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Full text of "Philosophische Dissertation: Der Mensch und die 'Künstliche Intelligenz'"

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Der Mensch und die ^Kiinstliche Intelligenz" 

Eine Profiliemng und kritische Bewertung der unterschiedlichen 
Gmndauffassungen vom Standpunkt des gemaBigten Realismus 



Von der Philosophischen Fakultat 

der Rheinisch-Westfalischen Technischen Hochschule Aachen 

zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie 

genehmigte Dissertation 



vorgelegt von 
Dipl.-Ing. Rolf EraBme M.A. 



aus 
Hannover 



Berichter: Universitatsprofessor Dr. Vincent Beming 
Privatdozent Dr. Reinhold Breil 

Tag der miindlichen Priifung: 15.11.02 



Diese Dissertation ist auf den Intemetseiten der Hochschulbibliothek online verfUgbar. 



Meiner lieben Frau Beate 



Der Mensch und die „Kunstliche Intelligenz" 

Eine Profilierung und kritische Bewertung der unterschiedlichen Grundauffassungen 

vom Standpunkt des gemafiigten Realismus 

- Gesamtubersicht - 



1. 


Einleitung 






1.1 


Problematik 


3.4.4 


Denken und Erkenntnis 


1.2 


Vorgehen der Arbeit 


3.4.5 


Wille 






3.4.6 


BewuBtsein und SelbstbewuBtsein 


2. 


Stand der Technik 


3.4.7 


Gefuhle 


2.1 


Gliederung in Teilgebiete 


3.4.8 


Leben 


2.2 


Wissensbasierte und damit verwandte Systeme 


3.4.9 


Zwischenfazit zum Physikalismus 


2.2.1 


Expertensysteme 


3.5 


Resumee der Grundauffassungen 


2.2.2 


Intelligente Assistenten 




2.2.3 


Intelligente Agenten 


4. 


Philosophische Kritik 


2.2.4 


Sonstige 


4.1 


Philosophische Betrachtung 


2.3 


Konnektionistische Systeme 


4.1.1 


Notwendigkeit der philosophischen Betrachtung 


2.4 


Bildverarbeitende Systeme 


4.1.2 


Wesen der Philosophic 


2.5 


Sprachverarbeitende Systeme 


4.1.3 


GemaBigt-kritischer Realismus 


2.6 


Robotik und Kunstliches Leben 


4.1.4 


Vorgehen der philosophischen Kritik 


2.7 


Zwischenfazit zum Stand der Technik 


4.2 


Erkenntnistheorie 


3. 


Grundauffassungen 


4.2.1 


Bedeutung und Vorgehen 


3.1 


Symbolismus 


4.2.2 


Logik 


3.1.1 


Grundzuge 


4.2.3 


Erkenntniskritik 


3.1.2 


Symbolistische Informationsverarbeitung 


4.2.4 


Wahrheit 


3.1.3 


Intelligenz und Geist 


4.2.5 


Zwischenfazit zur Erkenntnistheorie 


3.1.4 


Denken und Erkenntnis 


4.3 


Metaphysik 


3.1.5 


Wille 


4.3.1 


Bedeutung und Rechtfertigung 


3.1.6 


BewuBtsein und SelbstbewuBtsein 


4.3.2 


Ontologie 


3.1.7 


Gefuhle 


4.3.3 


Naturliche Theologie 


3.1.8 


Leben 


4.3.4 


Zwischenfazit zur Metaphysik 


3.1.9 


Zwischenfazit zum Symbolismus 


4.4 


Naturphilosophie 


3.2 


Konnektionismus 


4.4.1 


Bedeutung und Grundbegriffe 


3.2.1 


Grundzuge 


4.4.2 


Anorganisches 


3.2.2 


Konnektionistische Informationsverarbeitung 


4.4.3 


Pflanzen 


3.2.3 


Intelligenz und Geist 


4.4.4 


Tiere 


3.2.4 


Denken und Erkenntnis 


4.4.5 


Zwischenfazit zur Naturphilosophie 


3.2.5 


Wille 


4.5 


Anthropologic 


3.2.6 


BewuBtsein und SelbstbewuBtsein 


4.5.1 


Bedeutung und Vorgehen 


3.2.7 


Gefuhle 


4.5.2 


Leib 


3.2.8 


Leben 


4.5.3 


Seele und Geist 


3.2.9 


Zwischenfazit zum Konnektionismus 


4.5.4 


Intelligenz, Denken und Erkenntnis 


3.3 


Biologismus 


4.5.5 


Wille und Freiheit 


3.3.1 


Grundzuge 


4.5.6 


BewuBtsein und SelbstbewuBtsein 


3.3.2 


Biologische Informationsverarbeitung 


4.5.7 


Gefuhle 


3.3.3 


Intelligenz und Geist 


4.5.8 


Leben 


3.3.4 


Denken und Erkenntnis 


4.5.9 


Der Mensch - Zwischenfazit zur Anthropologic 


3.3.5 


Wille 


5. 


Fazit und Ausblick 


3.3.6 


BewuBtsein und SelbstbewuBtsein 


5.1 

5.2 


Fazit 
Ausblick 


3.3.7 


Gefuhle 


3.3.8 


Leben 






3.3.9 


Zwischenfazit zum Biologismus 




Literaturverzeichnis 


3.4 


Physikalismus 




Gedruckte Quellen 


3.4.1 


Grundzuge 




Elektronische Quellen und weiterfuhrende Adres! 


3.4.2 


Quantenphysikalische Informationsverarbeitung 






3.4.3 


Intelligenz und Geist 







INHALTSVERZEICHNIS 



1. Einleitung 1 

1.1 Problematik 1 

1.2 Vorgehen der Arbeit 5 

2. Stand der Technik 7 

2.1 Gliedemng in Teilgebiete 8 

2.2 Wissensbasierte und damit verwandte Systeme 10 

2.2.1 Expertensysteme 10 

2.2.2 Intelligente Assistenten 14 

2.2.3 Intelligente Agenten 16 

2.2.4 Sonstige 17 

2.3 Konnektionistische Systeme 20 

2.4 Bildverarbeitende Systeme 26 

2.5 Sprachverarbeitende Systeme 29 

2.6 Robotik und Klinstliches Leben 33 

2.7 Zwischenfazit zum Stand der Technik 42 

3. Grundauffassungen 43 

3.1 Symbolismus 48 

3.1.1 Grundzlige 48 

3.1.2 Symbolistische Informationsverarbeitung 50 

3.1.3 Intelligenz und Geist 58 

3.1.4 Denken und Erkenntnis 63 

3.1.5 WiUe 67 

3.1.6 BewuBtsein und SelbstbewuBtsein 70 

3.1.7 Gefuhle 73 

3.1.8 Leben 76 

3.1.9 Zwischenfazit zum Symbolismus 80 

3.2 Konnektionismus 82 

3.2.1 Grundzuge 82 

3.2.2 Konnektionistische Informationsverarbeitung 85 

3.2.3 Intelligenz und Geist 88 

3.2.4 Denken und Erkenntnis 91 

3.2.5 WiUe 96 

3.2.6 BewuBtsein und SelbstbewuBtsein 98 

3.2.7 Gefuhle 100 

3.2.8 Leben 101 

3.2.9 Zwischenfazit zum Konnektionismus 104 

3.3 Biologismus 106 

3.3.1 Grundzuge 106 

3.3.2 Biologische Informationsverarbeitung 110 

3.3.3 Intelligenz und Geist 116 

3.3.4 Denken und Erkenntnis 121 

3.3.5 WiUe 125 

3.3.6 BewuBtsein und SelbstbewuBtsein 128 

3.3.7 Gefuhle 132 

3.3.8 Leben 134 

3.3.9 Zwischenfazit zum Biologismus 139 



3.4 Physikalismus 142 

3.4.1 Gmndzuge 142 

3.4.2 Quantenphysikalische Informationsverarbeitung 144 

3.4.3 Intelligenz und Geist 151 

3.4.4 Denken und Erkenntnis 155 

3.4.5 WiUe 159 

3.4.6 BewuBtsein und SelbstbewuBtsein 162 

3.4.7 Gefuhle 166 

3.4.8 Leben 167 

3.4.9 Zwischenfazit zum Physikalismus 170 

3.5 Reslimee der Grundauffassungen 172 

4. Philosophische Kritik 176 

4.1 Philosophische Betrachtung 176 

4.1.1 Notwendigkeit der philosophischen Betrachtung 176 

4.1.2 Wesen der Philosophic 177 

4.1.3 GemaBigt-kritischer Realismus 180 

4.1.4 Vorgehen der philosophischen Kritik 184 

4.2 Erkenntnistheorie 186 

4.2.1 Bedeutung und Vorgehen 186 

4.2.2 Logik 188 

4.2.3 Erkenntniskritik 196 

4.2.4 Wahrheit 206 

4.2.5 Zwischenfazit zur Erkenntnistheorie 210 

4.3 Metaphysik 212 

4.3.1 Bedeutung und Rechtfertigung 212 

4.3.2 Ontologie 217 

4.3.3 Naturliche Theologie 233 

4.3.4 Zwischenfazit zur Metaphysik 239 

4.4 Naturphilosophie 241 

4.4.1 Bedeutung und Grundbegriffe 241 

4.4.2 Anorganisches 245 

4.4.3 Pflanzen 247 

4.4.4 Tiere 250 

4.4.5 Zwischenfazit zur Naturphilosophie 255 

4.5 Anthropologic 257 

4.5.1 Bedeutung und Vorgehen 257 

4.5.2 Leib 259 

4.5.3 Seele und Geist 263 

4.5.4 Intelligenz, Denken und Erkenntnis 278 

4.5.5 Wille und Freiheit 288 

4.5.6 BewuBtsein und SelbstbewuBtsein 295 

4.5.7 Gefuhle 303 

4.5.8 Leben 305 

4.5.9 Der Mensch - Zwischenfazit zur Anthropologic 315 

5. Fazit und Ausblick 317 

5.1 Fazit 317 

5.2 Ausblick 328 

Literaturverzeichnis 332 

Gedruckte Quellen 332 

Elektronische Quellen und weiterfuhrende Adressen 357 



Problematik 1 



1. EiNLEITUNG 

1.1 Problematik 

Bezuglich der „Kunstlichen Intelligenz" (KI) sowie ihrem Verhaltnis zum Menschen herr- 
schen stark divergierende Auffassungen. Hierbei lassen sich zunachst zwei grundverschiedene 
Positionen unterscheiden: Wahrend nach der einen Auffassung KI im wortlichen Sinne prin- 
zipiell unmoglich ist, halt die andere Auffassung KI fur bereits erreicht oder zumindest fiir 
grundsatzlich erreichbar. Unter denjenigen, die KI fiir moglich halten, scheiden sich wieder- 
um die Einschatzungen, auf welchem Wege sie zu erreichen sei. Wie sich zeigen wird, sind es 
insbesondere Ansatze aus der Informatik, Biologic und Physik bzw. Quantenphysik, die fiir 
sich beanspruchen, die natiirliche Intelligenz erklaren und cine kiinstliche Intelligenz herstel- 
len zu konnen. 

Hinsichtlich der Auswirkungen einer etwaigen KI stehen vereinfacht gesagt optimistischen 
Betrachtungen und Visionen pessimistische Einschatzungen und Szenarien gegeniiber/ Die 
Optimisten versprechen sich von der KI beispielsweise die Erfiillung des alten Mensch- 
heitstraumes, von der Notwendigkeit der Arbeit befreit zu werden und sich unbeschwert den 
Freuden des Lebens widmen zu konnen.^ Auch andere Probleme der Menschheit sind nach ih- 
rer Meinung kiinftig nicht mehr alleine vom Menschen zu losen, sondern konnen mit Hilfe 
der KI bewaltigt werden.^ In der Offentlichkeit bekannt wurden aber auch die - nicht selten 
sehr drastischen - Ansichten der Pessimisten. Nach ihnen werden sich die Klen verselbstan- 
digen und so sehr und schnell weiterentwickeln, daB die Menschen ihnen unterlegen sein 
werden.^ Man halt KI in diesem Sinne fiir die zukiinftige Lebensform und Intelligenz iiber- 
haupt, die sich gegen andere durchsetzen wird, oder sieht sie zumindest als neuen Evolutions- 
schritt.^ 



Damit soil nicht gesagt werden, daB nicht auch Ansatze vertreten werden, die beide Seiten beriicksichtigen. 
Diese ubertriebenen Erwartungen bzw. Hoffnungen erinnern an eine friihe Einschatzung der Atomkraft, 
nach der diese angeblich alle Energieprobleme losen sollte. 

„Die Bemiihungen um die KI bringen uns vielleicht so weit, daB wir eines Tages Intelligenzen gegeniiber- 
stehen, die liber die ihrer Schopfer hinausragen und eingreifen konnen, um einige der dauernden, sogar 
lethalen Probleme zu losen, die sich die Menschen selbst geschaffen haben, wozu sie aber nicht schlau ge- 
nug sind, sie zu losen. [...] Eine weniger optimistische Anschauung besagt, daB wir in der Tat wohl Proble- 
me schaffen konnen, die zu losen wir nicht schlau genug sind, daB aber eine KI vielleicht genau zu dieser 
Kategorie gehort." McCorduck 116. 

In dem bekannten Science-fiction-Film „Matrix" (USA 1999, Regie: Andy und Larry Wachowski) geht es 
soweit, daB die Klen gegen die Menschen Krieg fuhren und sie versklaven. 

Vgl. zur vermeintlichen kiinftigen (evolutionaren) tJberlegenheit die teilweise kritischen Darstellungen in 
McCorduck 322 ff.; McCorduck in: Graubard 87; Moravec 1999; Weizenbaum 1978, 97 ff., 105 f., 187 ff. 
und 268 ff.; Schafer 105 f.; Leidlmair 161; Dreyfus/Dreyfus in: Graubard 19 und Hofstadter 723 f. 



2 Problematik 



Um beurteilen zu konnen, welche der genannten Ansichten die angemessene Einschatzung 
des Verhaltnisses der KI zum Menschen ist, muB geklart werden, ob es moglich ist, Systeme 
zu konstmieren, die leben, intelligent sind, erkennen konnen, einen Willen und SelbstbewuBt- 
sein haben etc.^ Bevor diese Fragen nach den anthropologischen Gmndbegriffen jedoch auf 
die KI bezogen werden konnen, gilt es zu untersuchen, was die einschlagigen Grundbegriffe 
an sich bzw. in bezug auf den Menschen bedeuten. Damit ist die Notwendigkeit einer philo- 
sophischen Untersuchung des Themas gegeben.^ Philosophische Reflexion ist auch deshalb 
gefordert, well sich das herrschende Bild vom Menschen durch die Forschungsergebnisse und 
Theorien der Naturwissenschaften wie der Informatik, Biologic und Physik sowie der ver- 
meintlichen und wahren Erfolge der KI-Forschung (siehe Kapitel 2 und 3) radikal zu wandeln 
droht. Der Mensch sieht sich vermehrt als ein rein naturwissenschaftlich zu verstehendes 
stoffliches System. „Die eigentliche Frage lautet, ob wir, in einem entsprechend abstrakten 
Sinn, nicht selbst Computer sind."^ Fine - etwaige - KI hat also enorme Auswirkungen auf 
das Selbst- und Weltverstandnis des Menschen; „[...] es ware sicher von einschneidender, 
iiber das rein Akademische weit hinausreichender existentieller Bedeutung, wenn so etwas 
wie ,Kunstliche Intelligenz' im Wortsinn realisierbar ware."^ Durch eine KI erhielte die Fra- 
ge, ob der Mensch sich vom Rest der Welt wesentlich unterscheidet, ob er, mit anderen Wor- 
ten, eine Sonderstellung einnimmt, eine deutliche Wendung.^^ Es ist also keine Ubertreibung 
zu sagen: „Im Grund drehen sie [die Fragen bzgl. der KI; Anmerkung R. E.] sich um nichts 
weniger als um den Ort, den der Mensch innerhalb des Universums einnimmt."^ ^ Diese - nur 
philosophisch zu leistende - Einordnung des Menschen in das gesamte Sein ist wesentliches 
Ziel der nachfolgenden Untersuchungen, insbesondere des Kapitels 4. Erst im Rahmen dieser 
Einordnung laBt sich die Frage losen, ob es dem Menschen grundsatzlich moglich ist, den- 
kende, erkennende, woUende, selbstbewuBte, fuhlende und lebende Systeme zu erschaffen. 

Bevor in Kapitel 1.2 das Vorgehen der vorliegenden Arbeit dargestellt wird, sind an dieser 
Stelle einige Bemerkungen zu Geschichte, Begriff und Motivation der KI zu machen. 



^ Die Frage, ob Computer denken konnen, ist vor allem durch Alan Turing bekannt geworden. Vgl. Turing in: 

Boden 1990, 40 ff. 
^ Siehe zu Griinden fur die philosophische Beschaftigung mit dem Thema KI auch Daiser 75 ff. 
^ Haugeland 9. 
^ Wandschneider in: Kerner 119. Vgl. zu den moglichen Auswirkungen auf das Weltverstandnis auch Schank 

274. 
^^ Vgl. zum Wandel des Weltbildes in dem Sinne, daB der Mensch nicht mehr im Zentrum steht und nicht 

mehr die einzige Intelligenz ist, etwa McCorduck 319. 
^^ Weizenbaum 1978,21. 



Problematik 3 



Wie ein Blick zuriick zeigt, zieht sich der Traum von der KI durch die gesamte abendlandi- 
sche Geistesgeschichte, angefangen bei Homer und den von Hephaistos gebauten dreifuBigen 
Gehilfen mit goldenen Radern, die „von selbst" zum Versammlungsplatz der Gotter laufen, 
Uber die Vorstellung eines Golem und Homunkulus bis zu modernen Versionen a la Franken- 
steinmonstern und Science-fiction-Robotern in kommerziellen Spielfilmklassikern wie etwa 
„Star Wars"/^ Als eine Art Vorlaufer der heutigen KI-Forschung kann die auf Norbert Wiener 
zuriickgehende Kybemetik gelten.^^ Darunter versteht man die Wissenschaft von der Struktur 
und dem Verhalten dynamischer Systeme. Die Verwendung des Begriffes „Kunstliche Intelli- 
genz" (eigentlich: Artificial Intelligence^^) geht zuriick auf das Jahr 1956, in dem die legenda- 
re Dartmouth-Konferenz stattfand. Der Begriff KI meint in der Regel die wissenschaftliche 
Disziplin der KI-Forschung, kann aber genausogut deren Produkte, also die „intelligenten" 
Systeme, bedeuten.^^ Die KI-Forschung wird in der Hauptsache von zwei Zielen geleitet: Er- 
stens will man kiinstliche Systeme bauen, die intelligent (und alles, was damit zusammen- 
hangt) sind, und zweitens will man verstehen lernen, was Intelligenz im allgemeinen und die 
menschliche Intelligenz (und die damit zusammenhangenden Fahigkeiten) im besonderen 
sind.^^ Ein haufig mitschwingendes, aber unausgesprochenes Ziel der KI ist es, Geisteswis- 
senschaften und speziell die Philosophic groBtenteils uberflussig zu machen oder zumindest 
auf die Naturwissenschaften zuriickzufuhren.^^ In diesem Sinne halt sich die KI-Forschung 
nicht selten fur die Wissenschaft von Intelligenz, Erkennen, Wissen und dergleichen.^ ^ Hieran 
wird die vorliegende Arbeit, besonders in Kapitel 4.2 und 4.5, deutliche Kritik iiben. 

Die KI-Forschung ist eine verhaltnismaBig junge Wissenschaft, die haufig im Bereich der In- 
formatik angesiedelt wird. Wegen der immer deutlicher werdenden Zusammenhange mit an- 



Zu einer Zusammenfassung der Geschichte der KI-Forschung siehe McCorduck; Leidlmair 28; Weide 19 ff.; 
Dreyfus/Dreyfus in: Graubard so wie Hofstadter 640 ff. Meilensteine der KI-Entwicklung finden sich auch 
unter ftp ://f tp . cs .ucla. edu/AI/timeline . txt . 

Zur Kybernetik siehe Beck in: Schauer/Tauber, Hesse 129 und Brugger in: Brugger 21 1 f. 
Die tJbersetzung von „Intelligence" in das deutsche Wort „Intelligenz" ist zwar umstritten, trifft jedoch 
letztlich den Kern des Kl-Projektes. 

Zum Begriff der KI siehe Haugeland 2; Gitt 1989, 1 ff.; Schafer 103 ff.; Leidlmair 13; Bruns 1 f.; Soko- 
lowski in: Graubard 45 ff. und Simon 3 ff. 

Im folgenden wird das Wort „intelligent" zur Verbesserung des Leseflusses nicht jedesmal in Anfuhrungs- 
striche gesetzt, obwohl das Ergebnis der philosophischen Kritik an der KI dies im allgemeinen nahelegen 
wurde. 

Vgl. Boden 1990, 1 ff.; Leidlmair 34; Daiser 8 ff. und Foerst 150 ff. Fernziel ist der Bau eines kiinstlichen 
Menschen und das vollstandige Verstandnis des Menschen und seiner - insbesondere geistigen - Fahigkei- 
ten. 

Fur den Fall der Biologic heiBt es bei Herbig und Hohlfeld in diesem Zusammenhang treffend: „Die evoluti- 
onsbiologische Erforschung des Menschen beansprucht, mit einer ,Evolutionaren Ethik und Erkenntnistheo- 
rie' Philosophic und Ethik auf ein naturwissenschaftliches Fundament zu stellen." Herbig/Hohlfeld 17. 
Vgl. Hofstadter 744 f., Haugeland 2 und kritisch Degele 224 ff. 



4 Problematik 



deren Wissenschaften wie etwa der Neurobiologie, der Psychologie sowie der Physik ist KI 
jedoch mittlerweile ein multidisziplinares Forschungsprogramm. 

Innerhalb der KI-Forschung unterscheidet man vor allem „starke" und „schwache" Kl/^ Nach 
der Auffassung der schwachen KI sind kiinstliche Systeme, insbesondere Computer, bei der 
Erforschung des menschlichen Geistes bzw. der menschlichen Intelligenz ein hilfreiches 
Werkzeug. Trotz der auBeren Ahnlichkeit des Verhaltens der KI mit dem des Menschen bleibt 
jedoch stets ein grundsatzlicher, uniiberbriickbarer Unterschied zwischen naturlicher und si- 
mulierter bzw. kiinstlicher Intelligenz.^^ Nach der Auffassung der starken KI dagegen ist es 
moglich, daB kiinstliche Systeme, insbesondere Computer, Intelligenz und die damit zusam- 
menhangenden Leistungen nicht nur simulieren, sondern buchstablich und in demselben Sin- 
ne wie Menschen iiber diese verfugen. Zwischen Mensch und KI bestehe kein wesentlicher, 
sondern allenfalls ein gradueller Unterschied. Nach der starken KI gibt es dariiber hinaus - 
angeblich - keine prinzipiellen Grenzen der KI. Die Grenzen werden allenfalls durch den je- 
weiligen technologischen Stand und die Umsetzbarkeit von Experimenten etc. abgesteckt.^ ^ 

Der Unterschied zwischen der Sichtweise der schwachen und der starken KI laBt sich auch an 
den verschiedenen Bedeutungen des Wortes „kunstlich" erlautem. Zwei Beispiele sollen das 
verdeutlichen: Man spricht etwa von einer kiinstlichen Blume und von kiinstlichem Licht. Im 
ersten Fall ist gemeint, daB etwas einem anderen in gewisser Weise ahnelt, also etwa wie je- 
nes aussieht, sich jedoch grundsatzlich von ihm unterscheidet. Die kiinstlichen Blumen sehen 
nur aus wie Blumen; sie sind aber aus Stoffen wie Plastik oder Papier und wesensmaBig keine 
Blumen. Spricht man jedoch von kiinstlichem Licht, dann bezieht sich das Wort kiinstlich auf 
den Ursprung. Es wurde kiinstlich hergestellt, aber es leuchtet und verhalt sich in jeder Bezie- 
hung wie Licht. Es ist, was es zu sein scheint; es ist wesensmaBig Licht. 

Die Problematik bei der Einschatzung der KI und ihres Verhaltnisses zum Menschen ist, daB 
Intelligenz und die damit zusammenhangenden Begriffe nicht so leicht zu erkennen sind wie 
das physikalische Licht im obigen Beispiel. Die Untersuchung zur KI muB deshalb sehr weit 
ausholen, um zum Wesen der jeweiligen Begriffe vorzudringen und nicht bei ahnlichen oder 
gleichen Merkmalen stehen zu bleiben. 



^^ Vgl. zu den beiden Begriffen Kapitel 2.6 und 3 sowie Schafer 104 f.; Searle in: Boden 1990 und Penrose 

1995, 14 ff. 
^^ Dementsprechend kann schwache KI den menschlichen Geist und seine Fahigkeiten wie die Intelligenz 

letztlich nicht erklaren und ist somit keine Konkurrenz fur die Philosophic. 
^^ Vgl. Daiser 70. 



Vorgehen der Arbeit 5 



1.2 Vorgehen der Arbeit 

An dieser Stelle gilt es, die Gliedemng der Arbeit bzw. deren Vorgehen zu erlautem. Wie aus 
dem Titel und dem bisher Gesagten hervorgeht, ist das Ziel eine Profilierung und kritische 
Bewertung der unterschiedlichen Grundauffassungen des Menschen, der KI und ihres Ver- 
haltnisses zueinander. 

In Kapitel 2 wird zu diesem Zweck zunachst ein tJberblick iiber den Stand der KI-Technik 
gegeben. Dieser tJberblick erleichtert das Verstandnis fur die Herausforderungen und Philo- 
sophie der KI und vermittelt gleichzeitig wichtige Grundbegriffe. Sowohl fiir dieses wie auch 
das folgende Kapitel gilt in diesem Zusammenhang: Es miissen sich einige „an die Zusam- 
menschau von Tatsachen und Theorien wagen, auch wenn ihr Wissen teilweise aus zweiter 
Hand stammt und unvoUstandig ist [...]"^^. Dabei geht es der philosophischen Reflexion der 
Grundauffassungen vom Menschen und der KI um grundsdtzUche Moglichkeiten und Gren- 
zen sowie allgemeine Prinzipien. Der jeweils aktuelle Forschungsstand bzw. der Stand der 
Technik kann dazu immer nur Anhaltspunkte geben.^^ 

In Kapitel 3 werden vier verschiedene naturwissenschaftliche Theorien vom Menschen und 
der KI anhand wesentlicher anthropologischer Grundbegriffe profiliert. Rein technische bzw. 
naturwissenschaftliche Aspekte werden dabei in der Regel zuriickgestellt. Durch den bewuBt 
gewahlten, geniigend groBen Abstand zur Methode und Terminologie der Naturwissenschaf- 
ten zeigen sich erhebliche Schwachstellen dieser Theorien, die haufig den Zugang zum Men- 
schen und seinen Fahigkeiten sowie zur KI verstellen. Wo es notig und sinnvoU ist, wird be- 
reits in diesem Kapitel auf fragwurdige bzw. widerspriichliche Aussagen und nicht geniigend 
reflektierte Pramissen hingewiesen. Die im weiteren Verlauf der Arbeit zu leistende philoso- 
phische Losung wird an vielen Stellen bereits hier angedeutet. 

Kapitel 4 greift die Probleme und Widerspriichlichkeiten der vier profilierten Grundauffas- 
sungen auf und stellt sie in den Zusammenhang der Gesamtwirklichkeit. Wie der Titel der 
Arbeit bereits anzeigt, wird dabei die Position des gemaBigten und kritischen Realismus ver- 
treten, dessen besondere Starken implizit und explizit verdeutlicht werden. Es wird sich zei- 
gen, daB es zur Wurdigung und vor allem zur philosophischen Kritik der Grundauffassungen 
notig ist, erkenntnistheoretische, fundamentalphilosophische und anthropologische Untersu- 
chungen durchzufuhren. Nur so ist die Klarung des Wesens des Menschen und damit eine 



^^ Schrodinger 1987, 29 f. 
^^ Vgl. Penrose 1995, 55 ff. 



6 Vorgehen der Arbeit 



Abgrenzung von der KI moglich. Im Mittelpunkt steht dabei vor allem der Begriff des Gei- 
stes. 

Kapitel 5 wird die Arbeit mit einem ausfuhrlichen Fazit und einem Ausblick abrunden, aus 
denen noch einmal hervorgeht, daB die von der KI aufgeworfenen Wesensfragen letztlich nur 
durch die Philosophie gelost werden konnen. 



Stand der Technik 7 



2. Stand der Technik 



Bevor in Kapitel 3 die verschiedenen Theorien vom Menschen und der KI kategorisiert und 
dargestellt werden, ist es sinnvoU, zunachst einen Uberblick iiber den Stand der Technik zu 
gewinnen. Dieser Uberblick erleichtert das Verstandnis fiir die Herausforderungen und Philo- 
sophic der KI sowie die Spannweite der Probleme und vermittelt gleichzeitig wichtige Grund- 
begriffe. 

Viele der im weiteren Verlauf dieser Arbeit vorgestellten Einschatzungen der Kunstlichen Intel- 
ligenz werden erst vor dem Hintergrund der aktuellen Moglichkeiten der KI verstandlich. Zu- 
dem konnen anhand des gegenwartigen Technikstandes die Prognosen vergangener Jahre und 
Jahrzehnte uberpriift und beurteilt werden. Dabei wird sich auch die Wechselwirkung zwischen 
der Technik bzw. dem experimentell Beobachtbaren und der wissenschaftlichen, insbesondere 
philosophischen Erklarung derselben andeuten. Wie jede Wissenschaft ist auch die Philosophic 
auf die genaue Beobachtung der Wirklichkeit angewiesen, ohne jedoch dabei stehenzubleiben.^'^ 

Eine reprasentative Darstellung der aktuellen KI-Forschung bzw. -Technologic zu geben, stellt 
sich als besonders schwierig heraus. Dies liegt erstens an der hohen Komplexitat und zuneh- 
menden Verzweigung der KI-Tcilgcbictc, die es nahezu unmoglich machen, das gesamte Gebiet 
zu iiberschauen. Hinzu kommt zweitens, daB die Entwicklung der KI mit exponentieller Ge- 
schwindigkeit voranschreitet, da die erzielten Fortschritte haufig direkt auf ihre eigene Weiter- 
entwicklung riickwirken. Die herkommlichen, d.h. in der Regel gedruckten Publikationen^ ^ 
konnen mit dieser Geschwindigkeit teilweise nicht mehr Schritt halten. Aus diesem Grund wird 
im folgenden ofters auf elektronische Quellen wie Intemetadressen zuruckgegriffen und verwie- 
sen/^ bei denen sich haufig auch fortlaufend aktualisierte Daten und Erkenntnisse finden las- 
sen. Die Entwicklung der wissenschaftlichen KI-Theorien (vgl. Kapitel 3) ist naturgemaB etwas 
weniger sturmisch, da sic auf ubergeordnete Prinzipien gestutzt ist und deren Anzahl und Kom- 
binationsmoglichkeiten im Verhaltnis zu den technischen Anwendungsmoglichkeiten begrenzter 
sind. 

Im Sinne des Themas dieser Arbeit konzentriert sich die folgende Darstellung vor allem auf 
diejenigen Bereiche und Beispiele, die fiir die Theorienbildung der KI besonders interessant 
sind. 



Siehe Kapitel 4.1.2 und 4.2. 

Einen tJberblick liber mnd 100 aktuelle deutsche KI-Forschung sprojekte inklusive vorlaufiger Ergebnisse, 
ausgewahlter Literaturempfehlung und Kontaktadressen gibt Herzog/Gunter 25 1 ff . 

In der Regel wird in Klammern angegeben, wann die Seiten aufgerufen wurden. Sollten sie nicht mehr unter 
der angegebenen Adresse zu finden sein, bietet es sich an, die Adresse sukzessive von hinten jeweils bis zum 
nachsten „/" zu verkiirzen oder unter dem entsprechenden Schlagwort auf dem genannten Server zu suchen. 
Zu den besten Einstiegspunkten zum Thema KI gehoren die Seiten der American Association for Artificial In- 
telligence (AAAI). Sie sind zu finden unter www.aaai.org/pathfinder/pathfinder.html. 



8 Gliedemng in Teilgebiete 



2.1 Gliederung in Teilgebiete 

Angesichts der GroBe und Vielfalt der Leistungen der menschlichen Intelligenz ist es notig, die 
Erforschung der KI in uberschaubare Teilgebiete aufzugliedem. Wie so oft in den Wissen- 
schaften ist man sich nicht durchweg einig iiber die sinnvoUste Aufteilung und Benennung.^^ 
Aus Griinden, die sich im weiteren Verlauf der Arbeit, insbesondere im Rahmen der Anthro- 
pologic (Kapitel 4.5), noch deutlicher zeigen werden, wird sich die hier verwendete Einteilung 
an der Konstitution und den Vermogen des Menschen orientieren. Geschichtlich entstandene 
Besonderheiten werden dabei gegebenenfalls mit beriicksichtigt. 

Analog zur leiblich-geistigen Verfassung des Menschen laBt sich die KI zunachst in zwei Berei- 
che teilen: der cine beschaftigt sich mit den leiblichen, speziell den sinnlichen Vermogen des 
Menschen, der andere mit den geistigen. Weil die sinnliche „Intelligenz" des Menschen jedoch 
aufs Engste mit seiner geistigen Intelligenz verbunden ist, laBt sich eine strenge Aufteilung nicht 
immer durchhalten, ist jedoch zunachst einmal sinnvoU. 

Da Intelligenz im engen Sinne ein geistiges Vermogen ist, geht das Hauptinteresse der KI in 
Richtung der technischen Annaherung an die geistigen Fahigkeiten des Menschen, insbesondere 
diejenigen, die auf Wissen griinden. Hauptanwendung dieses Teilgebietes sind die wissensba- 
sierten Systeme. Die weiteren Verzweigungen innerhalb dieses Teilgebietes werden in Kapitel 

2.2 besprochen. 

Das Teilgebiet konnektionistische Systeme beschaftigt sich mit dem Verstandnis und Bau von 
kiinstlichen neuronalen Netzen. Diese sind dem biologischen Vorbild Gehim nachempfundene, 
mehrschichtige Systeme mit einfachen Elementen, die sich nach einem entsprechenden Training 
fiir vielfaltige Aufgaben eignen, insbesondere fur Mustererkennung. 

Bezuglich der leiblichen „Seite" des Menschen ergeben sich entsprechend den Sinnen (Gesicht, 
Gehor, Gefuhl, Geschmack, Geruch) zunachst einmal fiinf Teilgebiete. Weil sie fiir das Leben 
des Menschen und speziell fiir seine intellektuelle Entwicklung besonders wichtig sind, hat sich 
die KI-Forschung vorzugsweise auf die ersten beiden konzentriert: Es entstand das Gebiet der 
bild- und das der sprachverarbeitenden Systeme. Gefiihl, Geschmack und Geruch wurden in 
der Regel nicht als eigene Teilgebiete betrieben, sondem waren Teil von Automatisierungsanla- 
gen und Robotem. Dies lag vor allem daran, daB sie naturwissenschaftlich deutlich weniger er- 
forscht waren, was sich etwa daran zeigt, daB es vor den ersten Computem bereits Rundfunk- 
und Fernsehiibertragung, aber bis heute kaum komplexe und realitatsnahe Gefiihls- und noch 
viel weniger Geschmacks- und Geruchsiibertragung gibt. Es existiert zwar eine Vielzahl hoch- 
sensibler Sensoren und Detektoren fiir Druck, Temperatur, Fliissigkeits- und Gasbestandteile 
etc., an die Komplexitat der menschlichen Organe reicht die modeme Technologic jedoch nicht 
heran. 



^^ Zu moglichen Aufteilungen siehe Bruns 5 ff., Hofstadter 641 ff., Hesse 126 ff. und www.aaai.org. 



Gliedemng in Teilgebiete 9 



Entsprechend der menschlichen Fahigkeit, zu handeln und insbesondere sich sinnvoU und intel- 
ligent durch den Raum und das Leben zu bewegen, ist das Teilgebiet Robotik der Versuch, Ma- 
schinen zu bauen, die sich selbstandig in der realen Welt zurechtfinden. Sie kann als eine Art 
Integration der bisher genannten Teilgebiete aufgefaBt werden, da zur Konstruktion eines mog- 
lichst „menschlichen" Roboters sowohl leibliche wie geistige Komponenten notig sind. Im Zu- 
sammenhang mit der Robotik steht auch das Teilgebiet Kunstliches Leben, Dieses bemiiht sich 
um die Erschaffung oder wenigstens Simulation von Leben oder lebensahnlichen Organismen 
und Systemen in Computem oder biologisch-technischen Hybridformen. 

Im folgenden werden in der Form eines Uberblicks Ziele, Beispiele, Methoden und Probleme 
aus den verschiedenen Gebieten der KI dargestellt.^^ Dabei lassen sich die aufgefuhrten An- 
wendungen gelegentlich nicht eindeutig oder ausschlieBlich einem Teilgebiet zuordnen. So kann 
ein Textanalyseprogramm etwa als Teil eines Expertensy stems, eines sprach- oder auch eines 
bildverarbeitenden Systems funktionierten. Auch eine VoUstandigkeit der moglichen und tat- 
sachlichen Zweige der KI und ihrer exemplarischen Verwirklichungen ist nicht angestrebt. 
Vielmehr geht es um die Vermittlung der grundsatzlichen Vorgehensweise der KI-Forschung 
sowie eine Heranfuhrung an die dahinterliegende Philosophic der KI. 



^^ Eine sehr groBe Zahl von Kl-Programmen zu den im folgenden genannten Gebieten der KI kann fiir die ver- 
schiedensten Plattformen liber ftp aus dem Internet - oft kostenlos - heruntergeladen werden. Fiir die entspre- 
chenden AdreBangaben siehe das FAQ (Frequently Asked Questions) „WWW & FTP Resources" der Internet- 
Newsgroup „comp.ai". Die neueste Version ist auffindbar unter www.faqs.org. 



10 Wissensbasierte und damit verwandte Systeme 



2.2 Wissensbasierte und damit verwandte Systeme 

Der Begriff „wissensbasierte Systeme" wird fiir Computersysteme verwendet, die - wie ihr 
Name bereits sagt - auf Wissen basieren und mit diesem umgehen. Insofem das Wissen im 
Gegensatz zu konnektionistischen Ansatzen ausdriicklich in Form von Symbolen angelegt und 
verarbeitet wird, spricht man auch von symbolverarbeitenden Systemen.^^ Die wissensbasierten 
Systeme soUen in diesem Kapitel in einem sehr weiten Sinn verstanden werden, so daB alle 
Versuche, die nicht direkt sinnensgebundenen geistigen Tatigkeiten kiinstlich zu reproduzieren, 
darunter fallen. In diesem Sinne werden neben den klassischen Expertensystemen u.a. auch die 
folgenden, in der Fachliteratur meist als getrennt aufgefuhrten, Gebiete zugeordnet: Maschinel- 
les Lemen, Beweisen von mathematischen Satzen, Spiele und Automatisches Programmieren^ \ 
d.h. daB man die Funktionalitat des gewunschten Programmes eingibt und der Computer das 
entsprechende Programm selbstandig erstellt. Ebenfalls zugehorig seien Planung, Entschei- 
dungsfindung und Problemlosung, d.h. die Eingabe von 1st- und SoU-Zustanden eines Systems 
sowie dessen Verhalten und Randbedingungen, so daB der Computer den moglichst optimalen 
Weg von 1st zu Soil oder einen optimalen Zustand des Systems findet. 



2.2.1 Expertensysteme 

Durch das exponentielle Wachstum des Weltwissens stehen die Menschen vor dem Problem, 
wie sie die ungeheuren Informations- und Wissensmengen schnell, sicher und angemessen ab- 
speichem, auswerten und anwenden soUen. Hilfe dazu versprechen u.a. die „Experten- 
systeme". Unter einem solchen Expertensystem versteht man ein Computersystem „mit der Fa- 
higkeit, Fachwissen (Expertenwissen) eines begrenzten Spezialgebietes aufzunehmen, darzu- 
stellen, zu verarbeiten und zu erklaren - insbesondere durch formallogisches SchlieBen"^ ^ . Ih- 
ren Namen verdanken solche Systeme dem Wunsch, daB ihre Leistung der eines menschlichen 
Experten vergleichbar sein soil, wobei die Systeme zudem nicht selten auch von Experten be- 
nutzt werden. Ein Expertensystem besteht aus den folgenden Komponenten: Wissensbasis, 
Wissenserwerb-, Inferenz- sowie Dialog- und Erklarungskomponente. Die Wissensbasis be- 
steht aus digital abgespeicherten Fakten und Regelwissen sowie ggf. heuristischen oder sta- 
tistischen Erfahrungswerten. Zur Wissensreprasentation werden verschiedene Methoden be- 
nutzt wie etwa Frames, Produktionsregeln oder Semantische Netze,^^ da das meiste Wissen 
nicht einfach aus isolierten, kleinen „Informationspaketen" besteht, sondern ein komplexes 



Zum Vergleich konnektionistischer und symbolischer Informations verarbeitung siehe Kapitel 3.1 und 3.2 

sowie Helm. 

Siehe dazu etwa Aida/Ohsuga in: Mira et al. 47 ff. 

Hesse 70. 

Vgl. Brewka et al. 159-194, Hesse 257 und Hofstadter 655 ff. Zur meist empiristischen Verkiirzung des Be- 

griffes Wissen und einer kritischen Klarstellung siehe Kapitel 4.5.4. Zum „Frame Problem", nach dem ein 

System letztlich nicht das fiir eine Situation relevante Wissen herausfinden kann, well es dazu immer bereits 

die relevanten Regeln kennen miiBte, siehe Dennett in: Boden 1990, 147 ff. und Churchland 392 ff. 



Wissensbasierte und damit verwandte Systeme 1 1 



„Gebilde" ist. Die Wissensbasis wird iiber die Wissenserwerbskomponente durch einen Wis- 
sensingenieur mit dem Wissen von menschlichen Experten gespeist. Uber die Dialogkompo- 
nente richtet der Nutzer dann spater seine Fragen an das System, welches mit Hilfe der Infe- 
renzkomponente^^ aus der Wissensbasis eine Losung ableitet. Dazu stellt das System falls notig 
Ruckfragen an den Nutzer. Ist die Losung gefunden, so wird sie dem Nutzer prasentiert und 
auf Wunsch erlautert, d.h. die verwendeten Fakten und das Vorgehen der Losung werden 
schrittweise dargelegt. 

Die Anwendungsgebiete fur Expertensysteme sind sehr vielfaltig. Sie reichen von der Analyse 
und Interpretation iiber Entwurf, Planung, Prognose, Diagnose und Beratung bis bin zur Steue- 
rung und Reparatur.^ ^ Kl-Systeme werden mittlerweile in sehr vielen Bereichen menschlichen 
Lebens eingesetzt, u.a. in der Industrie, beim Militar, in der Medizin, in der behordlichen Ver- 
waltung und der Hochschulforschung. Im folgenden soUen einige Anwendungen exemplarisch 
vorgestellt werden. 

Zu den friihesten Expertensystemen gehoren neben den militarischen Anwendungen die medizi- 
nischen Diagnosesysteme.^ ^ Diese helfen dem Arzt bei der Krankheitsdiagnose, etwa indem sie 
Mikroskopaufnahmen von Blutproben auswerten. Die Systeme untersuchen die Proben u.a. auf 
Leukamie oder bewerten und hinterfragen kritisch bereits vorliegende arztliche Diagnosevor- 
schlage.^^ Das Expertensystem „Mycin" beispielsweise berat bei der Diagnose und der Be- 
handlung von Meningitis und bakteriellen Infekten, nachdem es die Laborergebnisse sowie 
korperlichen Symptombeschreibungen und andere Informationen iiber den Patienten erhalten 
hat. „Fiir eine Bewertung von Mycin ist folgendes Ergebnis interessant: Bei einem Vergleich 
mit menschlichen Diagnostikem brachte Mycin nach der Meinung von Fachexperten in ca. 65 
Prozent aller Falle akzeptable Therapien, die menschlichen Diagnostiker schnitten dagegen nur 
in zwischen 42.5 und 62.5 Prozent aller Falle richtig ab."^^ 

Bei vielen realitatsnahen Entscheidungsfindungen - etwa ob eine medizinische Situation in die 
eine oder andere Klasse eingeordnet werden soil - ist die klassische Mengenlehre, nach der ein 
Element entweder zugehorig ist oder nicht, nur sehr bedingt einsetzbar. Die modemen Inferenz- 
komponenten muBten deshalb iiber starren „Wenn (z.B. x=a), dann ..."-Regeln hinauswach- 
sen. Durch Systeme mit „qualitative reasoning" wird dementsprechend versucht, das qualitative 
Argumentieren und SchlieBen des Menschen technisch nachzuahmen. Dies geschieht z.B. mit 
„relation algebra", die neue logische Operatoren einfiihrt wie „a fordert/erzeugt b", „a hin- 
dert/verhindert b", „a hat ambivalente Auswirkung auf b" etc.^ ^ oder durch logische Verkniip- 
fung der neu eingefiihrten Wahrheitswerte „sicher", „beinahe sicher", „sicher genug", „sehr un- 



Abgeleitet vom engl. inference, d.h. SchluBfolgemng. Meist ist damit das deduktive SchluBfolgern gemeint. 

Zum Thema Expertensysteme siehe Leidlmair 18 ff., Weide 33 ff., Gitt 8 ff. und Bmns 5 ff. Zu soziologi- 

schen Aspekten von Expertensystemen siehe Degele. 

Siehe zu Diagnosesystemen z.B. Puppe oder Hucklenbroich/Toeller. 

Vgl. Herzog/Gunter 201 ff. 

Leidlmair 20. 

Vgl. Mercer/Neufeld 322 ff. 



12 Wissensbasierte und damit verwandte Systeme 



sicher", „vollig unsicher".^^ Das auch als Fuzzy-Logik^ ^ bzw. Fuzzyfizierung bezeichnete Ver- 
fahren, mathematisch zunachst nicht korrekt einzuordnende, unscharfe AUtagsaussagen einer 
numerischen Bearbeitung zuganglich zu machen, hat sich mittlerweile in vielen Bereichen be- 
wahrt.^ ^ Es hilft uberdies, das System robust zu machen gegen ungenaue Eingangsdaten, die 
bei konventioneller Programmierung nicht selten zu keinem oder einem widersinnigen Ergebnis 
fuhren konnen. Um auch mit unvoUstandigen Daten arbeiten zu konnen, werden fur die Infe- 
renzkomponenten dariiber hinaus auch z.B. „Probabihstic Graphical Models" und „Possibilistic 
Graphical Models" benutzt.^^ Diese wurden beispielsweise erfolgreich eingesetzt, um aus un- 
voUstandigen Blutmerkmalen von Rindem deren exakte Blutgruppe zu bestimmen. 

ErwartungsgemaB benutzt auch die Raumfahrtindustrie verstarkt Expertensysteme, die bei der 
Planung, KontroUe und Steuerung der Fluge helfen. Diese Systeme machen die Fluge vorher- 
sagbarer und erfassen Wissen, das ohne sie verloren gehen wurde. Als Beispiel dient hier das 
vom „Howard University Center for Energy Systems and Control" entwickelte Expertensystem 
zur Verwaltung der Energieversorgung wahrend des Fluges.^^ Das System optimiert die Bedin- 
gungen und Ablaufe der Energieversorgung und beinhaltet verschiedene komplexe Interaktio- 
nen zwischen den einzelnen Belastungen. So werden beispielsweise Notfallsituationen sowie 
das Auf- und Entladen von Batterien durch Solarzellen beachtet. Das System wertet wahrend 
des gesamten Fluges alle zehn Minuten die aktuellen Energieverbrauche aus. Durch das Exper- 
tensystem wird nicht nur der Flug selbst sicherer, effektiver und effizienter, sondem auch seine 
gesamte Vorbereitung inklusive der Zuweisung der jeweils benotigten Energiemengen. 

Eines der Probleme bei Expertensystemen ist das des Wissenserwerbs oder mit anderen Worten 
der Wissensaquisition.^^ Da es fur einen Experten in der Regel nicht moglich ist, sein eigenes 
Wissen als solches moglichst voUstandig zu erkennen und vor allem, dieses computergerecht zu 
formalisieren, bedarf es eines Wissensingenieurs. Dieser muB dem Experten in seinem Each 
entgegenkommen und insbesondere die vermeintlich selbstverstandlichen oder „intuitiven"^ ^ 
Vorgehensweisen so aufdecken, daB sie fur eine spatere Inferenzkomponente nutzbar sind. Oft 
sind die zu erfassenden Fachgebiete so weit, daB es notig ist, iiber lange Zeitraume (iterativ oder 
parallel) eine Vielzahl von Experten einzubeziehen. Durch die enorme GroBe und Komplexitat 
der standig erweiterten Wissensbasen kann es dann leicht zu Redundanzen und - wesentlich 
schwerwiegender - zu Inkompatibilitaten kommen. Wahrend die Komplexitat des Wissens auf 
menschlicher Seite Teamwork fordert, fuhrt sie auf technischer Seite zur „agent technology". 



Vgl. Mira et al. 377 ff. Fiir die mathematische Umsetzung umfaBt der Wertebereich dann beispielsweise nicht 

mehr die binaren Zahlen oder 1 , sondern kontinuierlich Werte zwischen und 1 . 

Von cngl. fuzzy, d.h. vage, undeutlich, unscharf. 

Vgl. dazu auch Kapitel 2.4. 

Vgl. Kruse/Borgelt in: Herzog/Gunter 3 ff. 

Vgl. den Beitrag „Expert Systems Couple with Spacecraft for more Reliable Flights" by Darrell Schuh, 

www.cbu.edu/~pong/engm624/624dwsl.htm (aufgerufen im Dezember 1999). 

Vgl. hierzu Bruns 59 ff. 

Zur philosophischen und insbesondere erkenntnistheoretischen Bedeutung der Intuition siehe Kapitel 4.2.3 

und 4.5.4. 



Wissensbasierte und damit verwandte Systeme 13 



also zu verteilten Systemen. Beispiele finden sich etwa bei medizinischen Diagnosesystemen, 
die aus mehreren Wissensbasen bestehen und zudem von mehreren Arzten genutzt werden."^^ 

Ebenfalls schwierig ist die Wieder- und Weiterverwendung von Wissen in neuen Systemen, da 
dieses oft sehr kontext- und problembezogen gespeichert wurde.^^ Die Ubersetzung bzw. 
Ubertragung in neue Zusammenhange stellt sich als ausgesprochen schwer dar. Ein Beispiel da- 
fur ist die Nutzung einer Datenbank bzw. eines Expertensystems zur Konstruktion eines Sy- 
stems fiir dessen spatere Wartung und Reparatur. Dies alles zeigt, wie wichtig und gleichzeitig 
schwierig, ja teilweise unmoglich die Pflege und insbesondere die Standardisierung von Wis- 
sensbasen ist.^^ Die genannte Thematik ist Aufgabe des seit gut zwei Jahrzehnten betriebenen 
„Knowledge Engineering" bzw. des modemeren und umfassenderen „Knowledge Manage- 
ment". Dabei geht es auch um die Fragen, wie man an das gelangt, was an verstecktem 
(Welt-)Wissen bereits abgespeichert ist („Data Mining") und wie man neues Wissen entspre- 
chend sachgerecht, langfristig, modular und interoperatibel anlegt. 

Die Wissensaquisition ist mittlerweile soweit fortgeschritten, daB sie teilweise schon automa- 
tisch Oder semi-automatisch geschieht. Ein Beispiel dafur ist das automatische Texterfassungs- 
und -analyseprogramm TANKA (Text ANalysis for Knowledge Acquisition).^^ Es besteht aus 
einem syntaktischen und einem semantischen Modul (vgl. zur Textanalyse auch das Kapitel 
2.5). Nachdem der Satzbau durch das erste Modul erkannt ist, ist es Aufgabe des zweiten Mo- 
duls, dessen Bedeutung zu erkennen. In gunstigen Fallen kann bei redundanten Texten trotz 
unvoUstandiger Satzerkennung der groBte Teil der Bedeutung erkannt werden. Sowohl beim 
Training als auch bei der KontroUe der vorgeschlagenen Ergebnisse wird das System durch ei- 
nenExpertenjeweilsbestatigt oder verbessert und „lemt" dabei hinzu, so daB Korrekturen mit 
der Zeit weniger notig werden. Die Ergebnisse hangen stark vom Training, den vorgelegten 
Texten, deren Redundanz, Stil, Inhalt etc. ab und konnen nur sehr schwer verallgemeinert wer- 
den. Es kann festgehalten werden, daB das System tatsachlich „lemte", d.h. ihm bis dahin un- 
bekannte Eingaben richtig klassifizierte. Das Wissen aus den mehr als 500 Satzen eines Textes 
konnte so innerhalb weniger Tage extrahiert werden. Ca. 80-90 % der automatischen Ergebnis- 
se wurden richtig zugeordnet. AUerdings ist dabei der sehr begrenzte Einsatzbereich (engl. do- 
main) zu beachten. Getestet wurden nur sehr wenige, ausschlieBlich streng technische Texte, 
die dementsprechend einen abgegrenzten Inhalt, keinen Humor, keine beabsichtigten Doppel- 
deutigkeiten und keine ubermaBig komplexe Struktur etc. enthielten. 



46 

47 



Vgl. dazu und zum Problem der Integration mehrerer dezentraler Wissensbasen Brewka et al. 325 ff. 

Vgl. Wielinga/Schreiber in: Mira et al. 1 ff., wo dies am Beispiel einer Olplattform erlautert wird. Die Pro- 

blematik liegt nebenbei bemerkt mit daran, daB die Naturwissenschaften die Welt nicht unter dem einen We- 

sensaspekt betrachten, sondern unter vielen Einzelaspekten, was zwar berechtigt und meistens auch gefordert, 

aber eben nicht ohne Nebenwirkungen ist. 

Vgl. Schlese in: Rammert 359 ff. 

Vgl. Barker et al. in: Mercer/Neufeld 60 ff. 



14 Wissensbasierte und damit verwandte Systeme 



2.2.2 Intelligente Assistenten 

Obwohl im Gmnde alle Expertensysteme bereits „Assistenten" sind, soUen die intelligenten As- 
sistenten hier noch einmal kurz getrennt betrachtet werden. Wahrend die Expertensysteme im 
engen Sinne dem Nutzer bei seiner eigentlichen Aufgabe, insbesondere dem Umgang mit Wis- 
sen, helfen, bieten intelligente Assistenten zusatzliche Informationen an, ubemehmen unterge- 
ordnete Routinearbeiten oder erleichtem die Hauptaufgabe, die weiterhin vom Menschen erle- 
digt wird. 

Ein gutes Beispiel hierfur ist eine intelligente Assistenzfunktion eines Anwendungsprogram- 
mes, das die Nutzeroberflache, also z.B. die Anordnung der Mentis, kontinuierlich an den je- 
weiligen Nutzer anpaBt.^^ Das System wertet beispielsweise das Verhalten, die Fahigkeiten 
oder auch den angenommenen Zeitdruck des Nutzers aus und optimiert die Ergonomie der An- 
wendungsoberflache entsprechend. Dazu notig ist ein flexibles und lemfahiges Modell des Nut- 
zers^ ^ , das nicht nur Situationen und Handlungen, sondem auch Nutzerziele erkennt und unter- 
stiitzt. Geforscht wird dabei etwa an Modellen, die mit Hilfe des B ayes-Theorems dem Nutzer 
die wahrscheinlich niitzlichste Option respektive Hilfe anbieten. Der Nutzer kann in der Regel 
mit einem Parameter einstellen, inwieweit er uberhaupt ein Eingreifen des Systems wunscht. 

Zu den bekanntesten Assistenten gehoren vermutlich die (interaktiven) Hilfefunktionen, wie die 
der verbreiteten Office-Software. Wahrend die Haupttatigkeit, etwa die Texterstellung, beim 
Nutzer liegt, kann der Assistent zu formalen Fragen, wie denen nach der Einstellung bestimmter 
Layoutparameter, herangezogen werden. 

Wer - um ein weiteres Anwendungsbeispiel zu nennen - eine groBe Menge von Emails bear- 
beiten muB, kann gegebenenfalls auf einen intelligenten Mailassistenten^ ^ zuriickgreifen. Dieser 
kann die elektronischen Briefe nach gewissen Kriterien ordnen oder bestimmte Absender, The- 
men oder Umfange „ausfiltem". Je mehr ein Dokument von vomherein strukturiert und forma- 
lisiert ist, desto wahrscheinlicher ist es, daB Assistenten brauchbare Ergebnisse liefem. Im Falle 
der Email lassen sich meist viele Erkenntnisse leicht aus der vereinheitlichten auBeren Form ab- 
lesen: Name, Organisation und Land des Absenders, Prioritat, Betreff, Lange des Textdoku- 
mentes und der Anhange, Absendedatum und -uhrzeit, Rucksendeadresse sowie, ob es sich um 
einen Rundbrief handelt. Doch selbst fur den Fall des Emailassistenten bleiben eine Menge 
Unwagbarkeiten wie etwa irrefuhrende Betreffsangaben. Auch automatische Textanalyse und 
-paraphrasierung^ ^ bieten keinen hundertprozentigen Schutz gegen Fehlklassifizierungen. 



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51 



Vgl. Weis in: Brewka et al. 361 ff. 

Vgl. Brown et al. in: Mercer/Neufeld 378 ff. und Pohl in: Herzog/Gunter 93 ff. Zur dynamischen Nutzermo- 

delliemng siehe auch Ardissono/Torasso in: Horn 621 ff. 

Vgl. Lamprecht 27 ff. 

Siehe dazu Abu-Hakima et al. in: Mercer/Neufeld 111. 



Wissensbasierte und damit verwandte Systeme 15 



SchlieBlich gilt es noch die zunehmende Zahl von intelligenten Assistenten zu nennen, die dem 
Menschen korperlich bzw. mechanisch helfen. In der Medizin sind beispielsweise Operations- 
systeme im Einsatz, die der arztlichen Hand helfen, indem sie etwa ihr Zittem „herausfiltem". 



16 Wissensbasierte und damit verwandte Systeme 



2.2.3 Intelligente Agenten 

Unter einem Agenten versteht man im herkommlichen Sinne jemanden, der im Auftrag eines 
anderen in dessen Interesse tatig ist. Bezogen auf die KI meint man damit ein System, das im 
Dienste eines anderen Systems oder des Menschen mehr oder weniger autonom handelt. Der 
Begriff Agent kann dabei sowohl einen ganzen Roboter als auch miteinander kooperierende 
Prozesse bzw. Programme bezeichnen.^"^ Agenten werden hauptsachlich in verteilten Systemen 
(Distributed Systems) eingesetzt. 

Als Beispiel fiir das durch Agenten voUzogene „Distributed Problem-Solving" (DPS) sei hier 
ein in Betrieb befindliches dezentrales Verkehrsmanagementsystem genannt, das mit Hilfe einer 
Vielzahl „selbstandiger" Verkehrsagenten den StraBenverkehr einer ganzen Region entscheidend 
verfliissigt.^ ^ Hierbei „verhandeln" die Agenten entsprechend der von ihnen gemessenen aktu- 
ellen Verkehrssituation mit anderen Agenten iiber mogliche Umleitungen der Fahrzeugstrome 
auf andere StraBen. Dazu miissen jeweils neben der Beachtung der globalen Randwerte die 
grundsatzlich erlaubten Altemativen bewertet sowie beispielsweise auch die Folge eines „Zu- 
sammenschlusses" anderer Agenten im Fall einer standigen Ablehnung von Lasten abgewogen 
werden. Zur Berechnung der maximalen Nutzlichkeit fiir den jeweiligen Agenten wird dabei 
beispielsweise auf die Verhandlungstheorie von J. Nash zuriickgegriffen. 

Ein weiteres Beispiel fur Software- Agenten sind „personal communication agents".^ ^ Das sind 
Programme, die einen Teilnehmer in den weltweiten heterogenen Kommunikationsnetzen (Tele- 
fon. Pager, Laptop, Desktop etc.) aufsuchen und nur die jeweils von ihm als relevant angege- 
benen Daten oder Personen durchschalten. 

Als letzte Beispielanwendung aus dem Bereich Agenten seien die personlichen Intemet- 
Suchagenten^ ^ genannt. Diese ahneln den bekannten Online-Suchmaschinen. Der Unterschied 
besteht jedoch darin, daB die Agenten - nachdem sie ggf. bei der Formulierung der Anfragen 
geholfen haben - „selbstandig" auf Datensuche durch das Netz gehen und Relevantes zusam- 
mentragen. Dabei beriicksichtigen einige von ihnen neben den explizit angegebenen Vorgaben 
des Nutzers auch dessen „Vorgeschichte".^ ^ 

Sowohl im Bereich Agenten als auch im Bereich Assistenten kommen zunehmend sog. „Avata- 
re" zum Einsatz.^^ Dies sind virtuelle und mehr oder weniger animierte Figuren, die als Bild- 
schirm-„Personen" die Kommunikation mit einer abwesenden Person oder einem technischen 
System erleichtem soUen, insbesondere im Bereich E-Business. Dabei wird versucht, den 
Avataren ein moglichst menschliches Aussehen und Auftreten zu verleihen. 



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Vgl. Hesse 5. 

Vgl. Os sow ski et al. in: Herzog/GUnter 105 ff. 

Vgl. Abu-Hakima et al. in: Mercer/Neufeld 99 ff. 

Vgl. Lamprecht 57 f. und Walke in: Kerner/Kegler 282 ff. 

Vgl. Shin/Chu in: Mercer/Neufeld 45 ff. und www.suchfibel.de (Suchagenten). 

Siehe zu Avataren: www.ccon.org und www.vplaces.net. 



Wissensbasierte und damit verwandte Systeme 17 



2.2.4 Sonstige 

Besonders interessant zum Thema wissensbasierte Systeme ist die bereits angedeutete Frage 
nach der Lemfahigkeit von Maschinen. Was Erkennen, Deduzieren, Induzieren, Lemen und 
ahnliche Begriffe genau bedeuten, und ob man bei der KI im echten Sinne davon reden kann, 
gilt es im spateren Verlauf der Arbeit (insbesondere in Kapitel 4.2 und 4.5.4) zu untersuchen. 
Hier soil zunachst nur vom technischen Stand bzw. Aspekt der Lemsysteme die Rede sein. 

Das KI-Teilgebiet ,,Mcischmenlemen" (Machine Learning) beschaftigt sich mit der Erforschung 
und dem Bau von Computersystemen, deren Ziel es ist zu lemen und das heiBt insbesondere, 
aus Beispielen, Erfahrung, Einzeltatsachen oder einzelnen Begriffen selbstandig Regeln und 
mehr oder weniger allgemeingultiges Wissen zu ermitteln. Man spricht in diesem Zusammen- 
hang von „induktiver Inferenz". 

Beim maschinellen Lemen kann man uberwachtes und uniiberwachtes Lemen unterscheiden. 
Uberwachtes Lemen geschieht z.B. durch Vorgabe bereits klassifizierter Beispiele oder durch 
interaktive Kommentiemng und Bewertung der durch das System vorgeschlagenen neuen „Er- 
kenntnisse". Als uberwachtes Lemen konnen auch Formen des Trainierens konnektionistischer 
Netze gelten (vgl. Kapitel 2.3). Uniiberwachtes Lemen geschieht beispielsweise beim Cluster- 
ing, d.h. wenn eine Anzahl von Elementen „selbstandig" so in Gmppen geordnet wird, daB die 
Ahnlichkeit der Elemente innerhalb einer Gmppe maximal und iiber die Gmppengrenze hinweg 
minimal ist. Dies kann etwa durch Vergleich der Redundanzwerte der zugehorigen Attributwerte 
geschehen.^^ Auffallig ist, daB die Ansatze des maschinellen Lemens im Gegensatz zum Vor- 
gehen der meisten Menschen sehr stark an der Mathematik orientiert sind. Wahrend dies beim 
alltaglichen, induktiven Lemen keineswegs so nahe liegt, ist es bei einem klassischen Dedukti- 
onssystem direkt zu erwarten: Die Rede ist von (lemenden) Theorem-Beweisem^ ^ . Aus einer 
endlichen Menge von Axiomen und Ableitungsregeln werden neue Satze bzw. Theoreme ge- 
schluBfolgert. Auf diesem Gebiet erzielten Computersystem eine Reihe nicht unerheblicher Er- 
folge. „Eines der beriihmtesten Programme, geschrieben von E. Gelemter, dreht sich um das 
Finden von Beweisen von Satzen in der euklidischen Geometric. Fines Tages produzierte das 
Programm einen von Originalitat geradezu funkelnden Beweis fiir einen der gmndlegenden Sat- 
ze der elementaren euklidischen Geometric - den sogenannten 'pons asinomm' oder die 'Esels- 
briicke'."^^ Um die Leistung des Programmes richtig einzuordnen, miiBte jedoch noch einiges 
gesagt werden, u.a. daB der Beweis bereits vom antiken griechischen Mathematiker Pappus ge- 
funden wurde. 

Als letzte Anwendung aus dem weiten Gebiet der wissensbasierten Systeme sei hier das KI- 
Teilgebiet Spiele bzw. Computerspiele angefuhrt. DaB Spiele neben dem Vergniigen und Zeit- 



^° Vgl. Mercer/Neufeld 273 ff. Zu einer weiteren Methode der „lernenden" Klassifikation von - teilweise inkon- 
sitenten - Daten siehe auch Mercer/Neufeld 426 ff . Zu moglichen Induktionsalgorithmen siehe Mercer/ Neu- 
feld 442 ff. und 455 ff. 

^^ Siehe dazu Brewka et al. 63-122. 



18 Wissensbasierte und damit verwandte Systeme 



vertreib tatsachlich Gegenstand der naturwissenschaftlichen Forschung sind^^ liegt an einer 
Reihe hochst interessanter technischer Anfordemngen, die sie stellen, und an Nebenprodukten, 
die wesentliche Erkenntnisse iiber Mensch und Maschine vermitteln konnen. So laBt sich aus 
der Erforschung der Spiele beispielsweise einiges iiber das menschliche Problemloseverhalten 
lemen, was fur die Simulation moglichst „menschlicher" Gegner oder noch allgemeiner 
„menschlicher" Computer sehr niitzlich ist. Es gibt dariiber hinaus viele Parallelen, Verkniip- 
fungen und Ubertragungsmoglichkeiten zu anderen Gebieten der KI wie etwa Sprach- und 
Bildverarbeitung. Fur Spiele mit dem Ziel einer moglichst realistischen Simulation der Wirk- 
lichkeit oder anderen Formen der „virtual reality" gilt es, neben den Modellbildungsfragen auch 
problematische Echtzeitanforderungen zu meistem. 

Fines der am intensivsten erforschten und entwickelten Computerspiele ist das Schachspiel, Da 
man die Fahigkeit des Schachspielens fur einen Intelligenzgradmesser hielt, lieB man schon seit 
den Anfangen der KI Computer gegen Menschen Schach spielen, um zu zeigen, wer wem 
uberlegen ist.^^ Als besonderer Erfolg der KI-Forschung gait vielen deshalb das Programm 
„Deep Blue", welches vor einigen Jahren den Weltmeister Kasparov schlug. Dies geschah je- 
doch groBtenteils durch „brute force", d.h. mit roher Rechengewalt: 512 parallele Prozessoren 
analysierten 200 Millionen Positionen pro Sekunde.^^ Wirklich alle moglichen Positionen bzw. 
Stellungen zu berechnen und zu analysieren, wird jedoch aufgrund der „kombinatorischen Ex- 
plosion" stets unmoglich bleiben. Immer gilt es deshalb, eine begriindete Auswahl zu treffen 
und diese weiter zu betrachten, wie es im ubrigen die echten Schachspieler auch tun. 

Es sind vor allem die klassischen, auch ohne Computer durchfuhrbaren Spiele, welche die KI- 
Forschung reizten und nicht selten vorantrieben. Arthur Samuel schrieb beispielsweise ein 
Computerprogramm, das auf Weltklasseniveau Dame spielte.^ ^ Der Kern des Programms be- 
stand in einer sowohl statischen als auch dynamischen Bewertung der jeweiligen Spielstellung. 
Die statische Bewertung wurde fur jede Stellung direkt aus einer mathematischen Funktion ver- 
schiedener charakteristischer GroBen berechnet. Die dynamische Bewertung beurteilt die baum- 
artig sich verzweigenden, denkbaren Spielmoglichkeiten bis zu einer gegebenen Suchtiefe, in- 
dem sie diese letztlich auf eine statische Beurteilung „herunterdruckt", da auch bei Dame nicht 
alle Spielstellungen bis zum Ende durchgerechnet werden konnen. 

Erst seit kurzem ist auch das Pokerspiel Gegenstand der KI-Forschung.^^ Es ist deshalb bei 
weitem nicht so entwickelt, wie das bei Schach der Fall ist. Das iiber das „Intemet Relay Chat" 

^^ Hofstadter 645. 

^^ Die „games" haben immerhin ihre eigene Newsgroup als eine von elf Untergmppen der internationalen wis- 
senschaftlichen Newsgroup „comp.ai" (Abkiirzung fur Computer. Artificial Intelligence). 

^^ Wenn die verwendete Theorie bzw. Strategic (wie etwa brute force) jedoch nicht der menschlichen Strategic 
entspricht, kann man von erfolgreichen Algorithmen und Implementationen nur wenig iiber Intelligenz ler- 
nen. Vgl. Marr in: Boden 1990, 143 f. Zur Kritik der Schachspielintelligenz der Rechner siehe neben der phi- 
losophischen Untersuchung der Intelligenz in Kapitel 4.5.4 auch Weizenbaum 1993, 48 f. 

^^ Vgl. Katsenelinboigen 64 ff. 

^^ Vgl. Hofstadter 644 f. 

^^ Vgl. Billings et al. in: Mercer/Neufeld 228 ff. 



Wissensbasierte und damit verwandte Systeme 19 



gegen menschliche Spieler getestete Programm „Loki" beispielsweise erreichte durchschnittliche 
bis gute Spielstarke. Die technische Beherrschung des Pokerspielens ist jedoch sehr interessant 
und vielversprechend, da es ein gutes Beispiel fiir unvoUstandiges Wissen, mehrere miteinander 
wettstreitende Parteien, Risikomanagement, Modellierung von Agenten und Betrug bzw. unzu- 
verlassige Informationen ist. All dies erwies sich als uberaus wichtig fiir technische Hilfen im 
Finanz- und Verhandlungswesen sowie fiir politische oder klimatische Vorhersagen, Diagno- 
sen, Losungsvorschlage und viele andere Gebiete des taglichen Lebens. 

Soweit zur Auswahl einiger wissensbasierter Anwendungen, die den Stand der Technik und die 
Breite des Themas verdeutlichen soUen. Um die Problematik der KI und ihrer Anwendungen 
vor der ausfiihrlichen Besprechung im weiteren Verlauf dieser Arbeit zu verdeutlichen, sei be- 
reits hier einiges zum Fiir-und- Wider angedeutet. Fiir den Einsatz von KI- bzw. Experten- 
systemen^^ spricht, daB man weniger abhangig von einzelnen Personen und insbesondere deren 
Schwachen wird. Die Computersysteme sind keinen Launen unterworfen, liefem gleichblei- 
bende und nachvoUziehbare Leistungen, streiken nicht (wenn man einmal von Softwareabstiir- 
zen absieht), vergessen nicht und konnen an mehreren Orten gleichzeitig genutzt werden. Au- 
Berdem vorteilhaft ist, daB Expertensysteme verteiltes Wissen in einem System vereinigen und 
menschliche Experten entlastet werden konnen. 

Gegen Expertensysteme (und auch andere Kl-Systeme wie die aus den folgenden Kapiteln) 
spricht, daB ihnen nach einem stets aktuellen Vorwurf der „common sense" und wahre Kreati- 
vitat fehlen. „Ein menschlicher Experte lost nicht nur Probleme, er erklart die Ergebnisse in ei- 
ner Weise, die nicht aus dem Aufzahlen der Regeln besteht. Er lemt und strukturiert sein Wis- 
sen neu, weiB, wann er die Regeln zu verletzen hat, wann eine Entscheidung besonders folgen- 
schwer ist und wann unwichtig. Ein guter Experte erkennt insbesondere die Grenzen seines 
Konnens, wann er also Hilfe holen muB und wann er mit vertretbarem Risiko experimentieren 
darf oder das Problem von einer ganz anderen Ebene betrachten muB. Ihn interessiert nicht der 
Buchstabe eines Gesetzes, sondem dessen Geist."^^ Das Problem ist, ob und wenn ja, wie man 
das allgemeine Welt- bzw. Hintergrundwissen des Menschen dem Rechner vermitteln kann, 
wie es reprasentiert und ob es vom Computer gar im echten Sinne gelemt werden kann. Zur 
Beurteilung der eigenen Zustandigkeit und Kompetenz ist letztlich ein Wissen um sein Wissen 
und sich selbst, also SelbstbewuBtsein notig. Dazu wird spater noch Entscheidendes zu sagen 
sein. 

Ein allgemeineres, nicht technisches Problem der Expertensysteme besteht darin, daB der Nut- 
zer durch den standigen Umgang mit dem System nicht dequalifiziert werden soUte. Es gilt 
vielmehr, die menschlichen Fahigkeiten durch die Technik zu unterstiitzen und zu fordem und 
sie nicht durch Passivitat und Riickzug stiickweise zu verlieren. 



^^ Vgl. Leidlmair 20. 
^^ Bmns65. 



20 Konnektionistische Systeme 



2.3 Konnektionistische Systeme 

Als eine Art Konkurrenz zu den klassischen symbolverarbeitenden Systemen entstand bereits 
sehr friih innerhalb der KI das Teilgebiet „Konnektionistische Systeme". Vorbild fiir diese Sy- 
steme ist das menschliche Gehirn, das stark vereinfacht als riesiges Netz aus durch Synapsen 
verbundenen Neuronen gesehen wird/^ Sie werden deshalb auch „Kunstliche Neuronale Net- 
ze" Oder kiirzer „Neuronale Netze" (NN) genannt. Im Gegensatz zu symbolverarbeitenden Sy- 
stemen, welche sich am kalkiilgeleiteten Rechnermodell von Neumanns orientieren und von ei- 
nem globalen Algorithmus gesteuert werden J ^ bestehen die neuronalen Netze aus einer sehr 
groBen Zahl einfacher aber stark parallelgeschalteter Einheiten. Diese werden in einer sehr weit 
gefaBten Analogie zum Gehirn „Neuronen" oder technisch gesprochen „Prozessoren" ge- 
nannt.^ ^ Ihr Verhalten wird ausschlieBlich durch sehr wenige und einfache innere Regeln sowie 
den numerischen Eingang ihrer Verbindungen bestimmt. Es laBt sich also weitgehend unabhan- 
gig voneinander und somit auch asynchron und parallel berechnen. 

Die Neuronen werden in der Regel in mehreren Schichten hintereinandergeschaltet, wie dies ex- 
emplarisch in der weiter unten befindlichen Abbildung 1 zu sehen ist, wobei es sich um ein sehr 
einfaches Netz mit nur drei Schichten handelt. Reale Netze bestehen nicht nur aus mehr 
Schichten und vor allem mehr Neuronen, sondem weisen ggf. auch Asymmetrien und vielfalti- 
ge Ruckkopplungen auf. Hat das Netz nur Verbindungen der Neuronen zur nachst hoheren 
Schicht, d.h. in Richtung Ausgang, spricht man von einem „Mitkopplungsnetz" (engl. feed- 
forward net). Existieren zudem auch Verbindungen zu niedrigeren Schichten oder innerhalb ei- 
ner Schicht, so heiBen sie „Ruckkopplungsnetz" (engl. feedback net). 

Der Ausgang jedes Neurons wird durch die gewichteten Eingange und eine jeweils festgelegte - 
haufig nichtlineare - Ausgangsfunktion^ ^ bestimmt. Verwendet man beispielsweise die Sprung- 
funktion bedeutet dies, daB das Neuron nur dann ein konstantes Ausgangssignal erzeugt („feu- 
ert"), wenn die Summe der Eingange eine festgelegte Schwelle uberschreitet. Die Gewichtung 
der Eingange, d.h. wie sehr ein Eingang auf den Ausgang wirkt oder mit andem Worten mit 
welchem Faktor er multipliziert wird, ist - zumindest wahrend des Lemprozesses - variabel 
und kann auch negativ sein („Hemmung"). Sie andert sich in Abhangigkeit etwa von der Hau- 



70 



Zu den Anfangen des Konnektionismus, seinen Zielen und dem durch ihn eingeleiteten Paradigmenwechsel 
siehe Leidlmair 192 ff. 
Vgl. Hesse 122. 

Von einem vollstandigen Verstandnis der Struktur und Leistung des Gehirns ist man noch sehr weit entfernt. 
Die kiinstlichen „Neuronen" stellen in vielen Hinsichten eine so groBe Vereinfachung der naturlichen Ver- 
haltnisse dar, daB Parallelen und Ruckschlusse stets mit groBer Vorsicht zu betrachten sind. Vgl. dazu auch 
Kapitel 3.3. 

Eine vorteilhafte Ausgangsfunktion ist - insbesondere fiir die verdeckten Schichten - die Funktion tanh(x), da 
sie beschrankt und differenzierbar ist und zudem sowohl positive als auch negative Werte liefert. Dies ermog- 
licht gute Trainingsergebnisse beim (weiter unten beschriebenen) Trainieren des Netzes, etwa durch ,3ack- 
propagation". Auch (pseudo-)zufalliges und stochastisches Feuern ist durch entsprechende Algorithmen bzw. 
Funktionen erzeugbar. Fiir Fuzzy Logik mit neuronalen Netzen siehe Braun 69 ff. und Hoffmann 8 ff . 



Konnektionistische Systeme 21 



figkeit Oder Starke der jeweiligen Eingange und bei riickgekoppelten Systemen insbesondere in 
Abhangigkeit von der Richtigkeit der Ausgangssignale bzw. des Ausgangsmusters.^"^ 




Abbildung 1: 

Einfaches neuronales Netz 
mit einer verdeckten Schicht 
und ohne Ruckkopplung 



Auf eine bestimmte „Frage" oder Situation in Form eines Eingangsmusters reagiert das System 
mit einem entsprechenden Ausgangsmuster, das als „Antwort" bzw. Folgesituation gedeutet 
werden kann. Das „Wissen" des Systems steckt in dem Verkniipfungsmuster der einzelnen 
Neuronen, mit anderen Worten in der Netztopologie sowie der Verteilung der Gewichte und 
Schwellenwerte. Es befindet sich also im Gegensatz zu klassischen Kl-Systemen in der Regel 
nicht an lokalisierbaren Stellen bzw. Programmteilen, sondem steckt implizit in der verteilten 
Gesamtheit der Verbindungen und Neuronen.^ ^ Deshalb spricht man auch von „Verteilter KI" 
(VKI) bzw. englisch „Distributed AI" (DAI) oder „Parallel Distributed Processing" (PDP). Aus 
dieser Verteilung ergeben sich mehrere Vorteile. Zunachst folgt aus der Tatsache, daB jedes ein- 
zelne Neuron nur minimal zum Ergebnis beitragt, daB der Ausfall einzelner Neuronen die 
Funktionsfahigkeit des Gesamtsystems in aller Regel nicht oder nur sehr unwesentlich beein- 
fluBt.^^ Zudem kann aufgrund der redundanten Vemetzung ein beschadigtes Eingangssignal 
trotzdem alle Ausgangsneuronen erreichen. Ein vom urspriinglichen Reiz abweichender Ein- 
gang kann so meist noch die richtige „Reaktion", d.h. den gewunschten Ausgang liefem. Die 
Leistung konnektionistischer Systeme bricht also nicht abrupt ab, sondern verschlechtert sich 
stetig. 

Der groBe Nachteil dieser verteilten und impliziten „Intelligenz" besteht darin, daB die Losungen 
bereits ab einer nicht mehr ganz trivialen Komplexitat der Vemetzung fur den Menschen in der 
Regel nicht mehr nachvoUziehbar sind. Ein damit zusammenhangendes Problem ist, daB die 
Anzahl der Neuronenebenen sowie die Start- und Grenzwerte der Gewichte sich - wenn iiber- 
haupt - nur sehr schwer im vorhinein bestimmen lassen. Meist ist man auf Experimente ange- 



Zum Prinzip der „Kompetition", bei dem sich einzelne Muster gegen anfangs ahnliche „starke" Alternativmu- 

ster auf deren Kosten durchsetzen, siehe Dorffner 55 ff . und Hoffmann 65 ff. Zu „Winner-takes-air'-Prinzipien 

siehe auch Braun 38 ff. 

Vgl. Bruns 80 ff. Zur expliziten Wissensreprasentation in neuronalen Netzen siehe Kapitel 3.2. 

Darauf wird in analoger Weise zuriickgefuhrt, weshalb der Tod von ca. tausend Gehirnzellen pro Tag die Funk- 

tion des menschlichen Hirns nicht gefahrdet. Vgl. Bruns 80 und Cowan/Sharp in: Graubard 86 ff. 



22 Konnektionistische Systeme 



wiesen/^ Trotzdem hat der Entwurf eines konnektionistischen Systems auch Vorteile gegen- 
iiber dem klassischen Verfahren, denn der Designer „braucht keine prazise, logische Beschrei- 
bung, nur ein informelles Verstehen der Komplexitaten des gewunschten Verhaltens, das aus- 
reicht, um die Gesamtarchitektur eines angemessenen neuronalen Netzes zu konstruieren" ^ 
Neuronale Netze kommen daher besonders dort zum Einsatz, wo die Zusammenhange zwi- 
schen Einzeltatsachen bzw. einzelnen Daten sehr komplex oder weitgehend unbekannt sind.^^ 
Sie eignen sich zudem zur Funktionsapproximation, zur Klassifikation und fiir unscharfe Ein- 
gangsdaten. Sehr wenig bis gar nicht sind neuronale Netze geeignet fiir Probleme, die Symbol- 
verarbeitung und Speicher benotigen, wie etwa Ver- und Entschlusselung oder die Faktorisie- 
rung von Zahlen, um nur einige zu nennen.^ ^ 

Einen Versuch der wechselseitigen Erganzung bzw. der Uberwindung zwischen den Gegensat- 
zen der klassischen und der konnektionistischen Systeme bildet die hybride Kombination von 
beiden. Mit Hilfe von neuronalen Netzen werden anhand von bereits klassifizierten Beispielen 
und wenigen Grundregeln die neuen Regeln zu einer komplexen Datenmenge gesucht. Diese 
werden daraufhin in einem klassischen regelbasierten Expertensystem implementiert, welches 
dann die gefundenen Losungen dokumentieren und erklaren kann.^ ^ 

Konnektionistische Systeme werden weniger programmiert (im konventionellen Sinne) als 
vielmehr trainiert. Dabei unterscheidet man uberwachtes und uniiberwachtes Lemen.^^ Beim 
uberwachten Lemen werden die Gewichte fiir vorgegebene beispielhafte Eingangsmuster so- 
lange „eingestellt", bis sie das gewiinschte Ausgangsmuster ergeben. Dabei gibt der „Lehrer" 
entweder (exemplarisch) korrekte Antworten bzw. Ziele vor oder teilt dem Netz mit, inwieweit 
es sich richtig verhalt. Beim uniiberwachten Lemen ordnet das System die angelegten Ein- 
gangsmuster bestimmten, oft aktivierten Merkmalsklassen zu und kann so zunehmend auch 
dann noch richtige Klassenzuordnungen treffen, wenn die Merkmale nicht mehr vollkommen 
typisch bzw. nur noch teilweise vorhanden sind. Ein Grundprinzip des Lemens ist die 
„Hebb'sche Lemregel", nach der die Verbindung zwischen Neuronen verstarkt wird, wenn 
beide gleichzeitig feuem oder anders ausgedriickt ein Zusammenhang um so besser gelemt 
wird, je groBer die Aktivierung der beteiligten Neuronen ist. Uniiberwachtes Lemen bietet sich 
z.B. an, um groBe Datenmengen systematisch zu verdichten, etwa in Form von visuellen Dar- 



82 



Vgl. Draghici in: Mercer/Neufeld 285 ff. und fiir einige Faustregeln zum Entwurf das FAQ der Internet- 
Newsgroup comp.ai. neural-nets (Teil 3). Dieses laBt sich aus dem Internet laden, z.B. unter www.faqs.org 
oder direkt ftp://ftp.sas.com/pub/neural/FAQ.html (September 1999). Zu einem computergestiitzten evolu- 
tionaren Netzwerkoptimierer siehe Braun. 
Cowan/Sharp in: Graubard 117. 
Vgl. Brasil et al. in: Mira et al. 408 ff. 

Vgl. das FAQ der Internet-Newsgroup comp.ai.neural-nets (Teil 1). 

Vgl. Brasil et al. in: Mira et al. 408 ff. sowie Hsu/Ho in: Mira et al. 503 ff. und siehe zum Verhaltnis von 
konnektionistischen Systemen und Expertensystemen auch Dorffner 404 ff . sowie 422 ff . 
Vgl. Dorffner 29 ff. und Hoffmann 57 ff. 



Konnektionistische Systeme 23 



stellungen. Haufig werden hierzu die dimensionsreduzierenden, topologieerhaltenden „selfor- 
ganising maps" von Kohonen verwendet.^^ 

Eines der verbreitetsten uberwachten Lemverfahren fiir Mitkopplungsnetze ist die „Backpro- 
pagation".^^ Hierbei wird nach der Propagierung^ ^ eines Musters durch das Netz das erhaltene 
Ausgabemuster mit der erwarteten Losung verglichen und der relative Fehler jedes Ausgabeneu- 
rons berechnet. Dieser wird nun riickwarts, also in Richtung Eingang in das Netz eingespeist, 
um mittels der Gradientenabstiegsmethode die Gewichte der einzelnen Neuronen sukzessive zu 
optimieren. Bei zu groBen Schritten („Lemraten") ist die Konvergenz der Fehlerfunktion nicht 
mehr gewahrleistet, bei zu kleinen Schritten kann die Anzahl der notigen Trainingslaufe sehr 
groB werden. Beim Einstellen der Gewichte kann es unglucklicherweise passieren, daB die Op- 
timierung in einem lokalen Minimum steckenbleibt. Auch die Wiederholung der Methode mit 
jeweils wechselnden, zufallig verteilten Anfangswerten der Gewichte verspricht nicht immer die 
Losung, da oft eine astronomisch hohe Zahl lokaler Minima existiert. Aus der Not, diese und 
weitere Schwierigkeiten zu uberwinden, wurde eine groBe Zahl verschiedener und sehr spezi- 
eller Lemverfahren entwickelt, da es die Losung fiir neuronale Netze nicht gibt.^ ^ 

Neuronale Netze eignen sich wie bereits angedeutet dazu, aus einer begrenzten Anzahl vorgege- 
bener und meist „verrauschter" Einzel- bzw. Trainingsfalle zu generalisieren,^ ^ d.h. von zufal- 
ligen und unwesentlichen Merkmalen abzusehen. Dies geschieht jedoch keinesfalls automatisch 
in jedem neuronalen Netz, sondem ist an eine Reihe von Bedingungen gekniipft. Die Eingangs- 
daten miissen geniigend Informationen enthalten, die auf die Ausgangsdaten verweisen, um auf 
einen tatsachlichen (mathematischen) Zusammenhang schlieBen zu konnen. Die Eingangsfunk- 
tionmuB im weiten Sinne „glatt" sein, also z.B. nicht aus pseudo-zufalligen Reihen bestehen. 
Es muB geniigend viele und vor allem „reprasentative" Trainingsfalle geben. Sind diese not- 
wendigen, jedoch nicht auch hinreichenden Bedingungen erfiillt, ist es moglich, mit einem ge- 
eigneten Netz durch Interpolation oder Extrapolation auf Ergebnisse auBerhalb der Trainings- 
falle zu schlieBen. 

Mit neuronalen Netzen ist es also moglich, Wissen, insbesondere experimentelles Wissen, zu 
erwerben, zu speichem und vielfaltig nutzbar zu machen. Mittlerweile werden neuronale Netze 
in sehr vielen verschiedenen Anwendungsgebieten eingesetzt wie etwa in der Chemie, dem Fi- 
nanzwesen, der Medizin, der Energieversorgung oder der Robotik.^^ Einige Beispiele soUen 
dies im folgenden verdeutlichen, wobei es nicht verwundem darf, daB sich die Anwendungen 
der symbolorientierten und der konnektionistischen Systeme iiberschneiden. 



Siehe dazu Speckmann 15 ff. und Braun 43 ff. 

Vgl. Hesse 22 sowie Dorffner 33 ff. und 122 ff. Zum Lernen neuronaler Netze siehe auch Helm 92 ff. und 

Braun 99 ff. 

Propagierung bedeutet Fortpflanzung, Ausbreitung, Verbreitung. 

Vgl. hierfur und fiir das folgende das FAQ comp.ai. neural- nets (Teil 2) sowie Braun 16 ff. 

Dabei ahneln sie sehr stark statistischen Methoden und hangen oft auch mit ihnen zusammen. 

Zu Anwendungsbeispielen siehe besonders Speckmann. 



24 Konnektionistische Systeme 



Wie aus der Formulierung „Ein- und Ausgangsmi/^-^^r" bereits zu ahnen war, sind neuronale 
Netze besonders gut zur optischen und akustischen Mustererkennung geeignet.^^ Eine Anwen- 
dung ist die Kriminalistik. Dort geht es beispielsweise um die Uberpriifung der Ubereinstim- 
mung von Personen auf verschiedenen Fotos oder den Vergleich von Phantombildem mit Fo- 
tos. „Auf dem Gebiet der Bilderkennung lassen sich mit Hilfe von PDF Probleme losen, die mit 
konventionellen Methoden zu uberwaltigenden Rechenzeiten fuhren: bekannte, gelemte Muster 
konnen zuverlassig auch in Variationen wiedererkannt und bei UnvoUstandigkeit erganzt wer- 
den."^^ Das gleiche gilt natiirlich auch fur akustische Muster, etwa wenn der Nachweis gefragt 
ist, daB zwei u.U. beschadigte oder entstellte Sprachproben von derselben Person stammen. 

Eine besonders naheliegende Anwendung ist die automatische Handschriftenerkennung. Als 
Beispiel kann hier die schweizerische Helvetia Krankenkasse dienen.^ ^ Sie ist eine der landes- 
weit groBten und bearbeitet an jedem Arbeitstag etwa 25.000 Antrage. Um dieser Flut von An- 
tragen gerecht zu werden, wurde ein automatisches Handschriftenerkennungssystem auf der 
Basis eines neuronalen Netzes eingerichtet und einem intensiven Training mit unzahligen Hand- 
schriften unterzogen. Das System erkennt die in das Formular eingetragenen Buchstaben und 
Zahlen so gut, daB nur etwa 3 von 10.000 nicht (richtig) erkannt werden und manuell nachge- 
bessert werden miissen. Die Bearbeitungsgeschwindigkeit pro Angestelltem stieg von 150 auf 
400 Antrage pro Stunde, so daB keine Antrage mehr auBer Haus gegeben werden miissen und 
die gesamte Anlage sich innerhalb von nur acht Monaten bezahlt machte. 

Ein weiteres Beispiel fur den erfolgreichen Einsatz von neuronalen Netzen ist das groBte Was- 
serkraftwerk Osterreichs, die Tauemkraft AG in Salzburg. Aufgrund der riesigen Wassermen- 
gen kommt es bei Staudammen zu dynamischen Deformationen, die u.a. von der Wasserhohe 
und der Temperatur abhangen. Um die Sicherheit zu gewahrleisten, ist es wichtig, die Verfor- 
mungen und Verschiebungen friihzeitig zu erkennen und soweit moglich zu prognostizieren.^ ^ 
Dazu wurden Modelle entwickelt und mit tatsachlichen MeBdaten verglichen. Wenn die Werte 
signifikant voneinander abweichen, sind - u.U. kostspielige - Untersuchungen notig. Um die- 
se Kosten zu reduzieren wurde ein neuronales Netz installiert, welches die Deformationen an- 
hand der verfugbaren EingangsgroBen wie insbesondere Wasserhohe und Lufttemperatur mo- 
delliert und vorhersagt. Dabei stellte sich eine deutliche Verbesserung der Ergebnisse gegeniiber 
den konventionellen statistischen Methoden (wie z.B. „multiple regression") heraus.^^ Der ab- 
solute Fehler betrug, abhangig vom Vorhersagezeitraum, zwischen 0,1 und 1 % im Gegensatz 
zu 2-3 % bei den bisher verwendeten statistischen Modellen. Dies zeigt die Leistungsfahigkeit 
von neuronalen Netzen, durch Extrapolation verlaBliche Prognosen zu erstellen. 



Siehe zu konnektionistischen Prinzipien und Beispielen der akustischen und visuellen Mustererkennung 

Dorffner 291 ff. und Speckmann 33 ff. 

Bruns 87. 

Vgl. www.mbfys.kun.nl/snn/siena/cases/helvetia.html (Januar 2000). 

Zu einer auf konnektionistischen Methoden beruhenden Prognose des Energieverbrauchs, den ein Kraftwerk 

decken soil, siehe Speckmann 102 ff. 

Vgl. www.mbfys.kun.nl/snn/siena/cases/tauern.html (Januar 2000). 



Konnektionistische Systeme 25 



Die Moglichkeiten, mit neuronalen Netzen Roboter zu steuem und sie aus Beispielen lemen zu 
lassen, demonstriert u.a. ein Projekt des Deutschen Zentrums fiir Luft- und Raumfahrt 
(DLR).^"^ Es gait die Genauigkeit von Roboterbewegungen angesichts hoher Geschwindigkei- 
ten und dynamischer Effekte wie beispielsweise Uberschwingen zu verbessern. Die dazu ent- 
wickelte Methode HLCR (Hierarchically Learning Control of Robots) wurde in konventionellen 
Industrierobotem wie dem Manutec R2 implementiert. Nachdem dem lemenden Feedforward- 
Controller die auszufuhrenden Wege einige Male vorgegeben wurden, konnten die mittleren 
Abweichungen der Bewegung um den Faktor 20 gegeniiber der herkommlichen Programmie- 
rung reduziert werden. 

SchlieBlich sei noch eine interessante Anwendung der neuronalen Netze aus dem Bereich der 
Kunst genannt. An der Universitat von Colorado (USA) wurde in Zusammenarbeit der Com- 
puterwissenschaft und der Kognitionswissenschaft ein konnektionistisches System namens 
CONCERT entwickelt.^ ^ Das „recurrent autopredictive connectionist network" wird mit klassi- 
scher Musik trainiert und kann daraufhin fehlende Noten oder Passagen erganzen sowie mehr 
Oder weniger neue Stucke erzeugen. Zum Lemvorgang und einigen Ergebnissen heiBt es: 
„Leaming the examples involves predicting a total of 1,260 notes altogether. CONCERT was 
trained with 40 hidden units, 35 with t = and 5 with t = .8, for 3000 passes through the 
training set. The learning rate was gradually lowered from .0004 to .0002. By the completion 
of training, CONCERT could correctly predict about 95 % of the pitches and 95 % of the dura- 
tions correctly."^ ^ Die Stucke waren gelegentlich „angenehm" und wurden von Testpersonen 
gegeniiber den mit herkommlichen Ubergangswahrscheinlichkeitstabellen erzeugten Verglei- 
chen bevorzugt.^^ Sie erwiesen sich jedoch insgesamt als sehr beschrankt, u.a. well es ihnen an 
einer globalen Koharenz mangelte. 



Vgl. www.robotic.dlr.de/Friedrich.Lange/path_accuracy.html (Januar 2000). 

Vgl. Michael C. Mozer: Neural network music composition by prediction: Exploring the benefits of psy- 
choacoustic constraints and multiscale processing, ftp://ftp.cs.colorado.edu/users/mozer/papers/music.ps (Ja- 
nuar 2000). 
a.a.O. Seite 23. 

„Twelve musically-untrained listeners were asked to state their preference for the CONCERT compositions or 
the transition table compositions. Two representative examples of each technique were played. Order of pres- 
entation was counterbalanced across listeners. All twelve chose CONCERT, some with ambivalence others 
with a strong preference. Listeners commented that the CONCERT compositions were more coherent and had 
a more consistent beat." (a.a.O. Seite 24, Hervorhebung nicht im Original) Wegen der mangelnden Kompe- 
tenz der Testpersonen ist dieses Ergebnis allerdings nicht besonders aussagekraftig. Das eigentliche Wesen der 
Musik, namlich die bewuBte Darstellung und das Aufleuchtenlassen der Ideen (vgl. Lotz in: Brugger 209 ff.) 
ist durch diese Art der Musikerzeugung in keiner Weise erreicht. 



26 Bildverarbeitende Systeme 



2.4 Bildverarbeitende Systeme 

Unter bildverarbeitenden Systemen versteht man technische Systeme, die stehende oder be- 
wegte Bilder von einer Darstellungsform in eine andere uberfuhren konnen, insbesondere um 
sie inhaltlich verandem oder auswerten zu konnen.^^ Am Anfang der Entwicklung standen Sy- 
steme der Bild&^arbeitung. Sie dienten der Konstruktion, Rekonstruktion und verschiedenen 
Bildmanipulationen wie etwa der Farb-, Kontrast- und Qualitatsveranderung. Als wichtiges 
Teilgebiet der KI haben die bildverarbeitenden Systeme von heute das ehrgeizige Ziel, den 
menschlichen Gesichtssinn zu reproduzieren, befassen sich also mit dem kiinstlichen Sehen. 
Dabei geht es hauptsachlich um die Extraktion und Analyse sowie Erkennung und ggf. Inter- 
pretation bestimmter Objekte, Muster oder Szenen aus stehenden oder bewegten Bildem. Diese 
ist erst durch die Digitalisierung, d.h. zahlenmaBige Erfassung und Beschreibung eines Bildes 
moglich geworden, die insbesondere mathematische Analysemethoden erlaubt.^ ^ 

Fur die Bilderkennung wurden verschiedene Methoden entwickelt. Man kann diese in klassi- 
sche, hierarchische Bottom-up-Methoden^ ^ ^ und „ganzheitliche" konnektionistische Methoden 
(vgl. Kapitel 2.3) unterteilen. Bei den Bottom-up-Methoden arbeitet sich die Software von un- 
ten stuckweise an das Ergebnis des zu erkennenden Inhaltes heran. Zuerst wird dabei das Bild 
in viele kleine Segmente eingeteilt, die sich aus markanten Punkten, Kanten oder anderen Berei- 
chen ergeben. Einzelne Bildelemente werden sukzessive erkannt und ggf. zu einem groBeren 
zusammengefaBt. Mit Hilfe des Wissens iiber mogliche Objektteile sowie mittels eines Situa- 
tions- und wenn notig Weltmodells geschieht dann letztlich die Erkennung bzw. Interpretation 
des vorgelegten Bildes oder der Szene. Dazu werden auch „Verfahren der Iteration zwischen 
Hypothesenbildung und Verifikation"^ ^ ^ verwendet. 

Je nach der Vielfalt und Art der zu erwartenden Bild- und Szenenelemente sowie der Anwen- 
dung der Ergebnisse sind unterschiedliche Erkennungs- bzw. Zuordnungsverfahren entstanden. 
Neben dem direkten Vergleich mit bereits vorliegenden Mustem oder der Hugh-Trans- 
formation, die beide sehr rechenzeitintensiv sind, besteht auch die Moglichkeit der heuristischen 
Suche. Diese birgt allerdings die Gefahr, nur ein lokales und nicht das globale Optimum der 
Zuordnung zu einem Ergebnis zu finden. Diese Nachteile versucht man z.B. durch den Ansatz 
der „genetic algorithms"^ ^ ^ bzw. des „Evolutionary Computing" zu minimieren. Dieser Ansatz, 
der fur verschiedenste Optimierungsprobleme verwendet wird, besteht in der Abbildung der 
(vermeintlichen) naturlichen Evolution auf die Computertechnik. Die einzelnen Telle einer mog- 



^^ Vgl. Hesse 28 ff. 
^^ Vgl. Bmns 28 ff. 
^^^ Die Programmiemng geschieht jedoch entsprechend dem klassischen Paradigma Top-down, d.h. von obersten 

Konzepten hin zu einzelnen Teilaspekten und Einzelregeln. Vgl. Kapitel 3.1.1 f. 
^^^ Bmns 29. 
^^^ Vgl. Bhandarkar et al. in: Mira et al. 647 ff. Siehe auch Kapitel 2.6 und 3.1.8. Zu genetic bzw. evolutionary 

programming siehe www.genetic-programming.org. 



Bildverarbeitende Systeme 27 



lichen Losung werden durch Mutation und Cross-Over bzw. Rekombination immer wieder ver- 
andert und bewertet, bis schlieBlich eine geniigend „starke" bzw. gute Losung ubrigbleibt. 

Zu den allgemeinen Problemen der Bildverarbeitung gehort, daB riesige Datenmengen (trotz 
Kompressionsalgorithmen im Bereich von einigen MB/s) so reduziert bzw. verdichtet werden 
miissen, daB sie, insbesondere vom Menschen, sinnvoU interpretiert und weiterverarbeitet wer- 
den konnen. Obwohl die Realitat farbig ist, wird deshalb zur Komplexitatsreduzierung u.a. auf 
Graustufenmodelle zuriickgegriffen. Da eine Kamera nur ein zweidimensionales Bild liefert, ist 
es fur dreidimensionale Anwendungen wie etwa Robotersteuerungen notwendig, analog dem 
menschlichen Sehen mehrere Bilder aus verschiedenen Perspektiven bzw. Kameras zu verglei- 
chen und in ein entsprechendes 3D-Modell der Wirklichkeit umzurechnen. Dabei treten weitere 
Schwierigkeiten auf, wie die der Unscharfe, Verdeckung, Verzerrung, Perspektive, Schatten, 
Zoom, Wackeleffekte und dergleichen. Inwieweit Bilderkennung eine Erkenntnis der Welt - 
etwa elementarer physikalischer Gesetze - voraussetzt, soil spater besprochen werden. An die- 
ser Stelle gilt es, aktuelle Anwendungen vorzustellen. 

Ein gutes Beispiel fur die Moglichkeiten modemer bildverarbeitender Systeme ist die automati- 
sche Erkennung von StraBen- und Verkehrszeichen.^^^ Dies ist eine wichtige Komponente fur 
etwaige spatere semi-automatische Fahrzeuge. Die hierzu verwendete Methode besteht in einer 
Zuordnung der - glucklicherweise gut bekannten und beschriebenen - StraBenschilder in be- 
stimmte Klassen. Die Entscheidung, um welches Schild es sich handelt, wird anhand eines 
hierarchischen Baumes der Schilderklassen getroffen. Dieser unterscheidet zwischen Farben 
bzw. Farbkombinationen, Art der Beschriftung sowie Form des Schildes und der ggf. darauf 
befindlichen Symbole. Dabei besteht eines der Hauptprobleme darin, das Schild als solches in 
dem gegebenen StraBenbild zu erkennen, d.h. es vom Hintergrund zu trennen. Das System be- 
findet sich allerdings noch im Pilotstadium, so daB iiber die Erkennungsquoten keine Angaben 
gemacht werden konnen. Ein ahnliches Anwendungsbeispiel ist die automatische Erkennung 
von Verkehrssituationen aus Videosequenzen.^^^ Das System erfaBt und prognostiziert die Po- 
sition, Orientierung sowie die Geschwindigkeit und den Winkel der Geschwindigkeit^ ^ ^ von 
Fahrzeugen. Dabei greift es auf Videoaufnahmen zuriick, die von einem festen Standpunkt 
oberhalb einer Kreuzung geliefert werden. Die Methode besteht in der Einordnung der Situation 
in Situationsgraphen mit Hilfe von Fuzzy-Logik. 

Seit langerer Zeit im Einsatz sind bildverarbeitende Systeme in der Qualitatspriifung der Indu- 
strie. Die von ihnen gesteuerte automatische Priifung betrifft zum Beispiel produzierte Oberfla- 
chen. Diese werden auf Unebenheiten, Kratzer, Inhomogenitaten etc. hin untersucht.^^^ Eben- 
falls bewahrt haben sich die Systeme zur automatischen MuUsortierung, etwa im Rahmen des 



^°^ Vgl. Mineau et al. in: Mercer/Neufeld 72 ff. 
^^^ Vgl. Haag et al. in: Brewka et al. 301 ff. 

^^^ Zur Geschwindigkeitsschatzung aus aufgezeichneten Videosequenzen siehe auch Mira et al. 687 ff. 
^^^ Dazu und zum Problem der Koordination und Integration von optischer und elektromagnetischer Inspektion 
siehe Mira et al. 657 ff. 



28 Bildverarbeitende Systeme 



„Grunen Punktes". Die auf einem Band vorbeilaufenden MuUteile werden zur spateren Wieder- 
verwertung teilweise automatisch nach verschiedenen Materialien sortiert. Hauptkriterien sind 
neben dem Gewicht die GroBe und Form, aus denen man auf Grund der Erfahmng meist auf 
das Material schlieBen kann. Dabei stellt sich bei der Auslese nach dem Kriterium Form oft das 
sog. „bin-picking problem"/^^ Es betrifft all jene Korper, die aus verschiedenen Blickrichtun- 
gen eine stark unterschiedliche Gestalt aufweisen und deshalb schwer zu identifizieren sind. So 
hat etwa ein Zylinder aus gewissen Perspektiven eine runde und aus anderen eine rechteckige 
Form. Als Losung zu diesem Problem werden z.B. mehrere Kameras eingesetzt. 

Als abschlieBendes Beispiel fur ein bildverarbeitendes System soil hier die automatische Erfas- 
sung und Klassifizierung von Fotos und Zeichnungen aufgefuhrt werden.^ ^^ Mit dem in Java 
und C++ entworfenen System SISTER (System for Image Storage and Retrieval) konnen Ent- 
wurfszeichnungen und Fotos von Modedesignem in einer Datenbank anlegt und nach verschie- 
denen Kriterien durchsucht werden. Zu den Kriterien gehoren Merkmale wie beispielsweise 
farbig oder schwarzweiB, kurzes oder langes Kleid sowie von welchem Zeichner die Bilder 
stammen. Bei der Erfassung werden die Bilder dazu auf Farbe, Farbverteilung, Helligkeit, Sat- 
tigung, Granularitat, Varianz u.a. untersucht und schrittweise in einzelne Segmente wie Hinter- 
grund, Korper, Kopf, Haare, etc. unterteilt. Die automatische Klassifizierung geschieht u.a. 
durch einen induktiven Algorithmus anhand einer Reihe von Trainingsbeispielen. Die durch- 
schnittliche Fehlerrate bei der Zuordnung einer Zeichnung zu einem Designer lag beim vorlie- 
genden System bei erstaunlich niedrigen 2%}^^ 

Das nachste Kapitel widmet sich den sprachverarbeitenden Systemen. Diese weisen eine Reihe 
von Ahnlichkeiten zu den bildverarbeitenden Systemen auf. Zudem gibt es einige Teilgebiete, 
die beiden Systemen zugeordnet werden konnen, wie beispielsweise die Erkennung gedruckter 
und handgeschriebener Schrift bzw. Schriftsprache, die im ubrigen eine langere Tradition als 
die Bilderkennung hat. 



^°' Vgl. Hesse 31. 

^^^ Vgl. Poggi/Golinelli in: Pobil et al. 628 ff. 



Das lag vermutlich an der geringen Zahl der moglichen Designer oder ihrer groBen Verschiedenheit, liber wel- 
che die angegebene Quelle leider schweigt. 



Sprachverarbeitende Systeme 29 



2.5 Sprachverarbeitende Systeme 

Die Definition und Erlauterung von sprachverarbeitenden Systemen kann analog zu dem in Ka- 
pitel 2.4 iiber Bildverarbeitungssysteme Gesagten geschehen. Unter sprachverarbeitenden Sy- 
stemen versteht man dementsprechend technische Systeme, die Sprache von einer Darstellungs- 
form in eine andere uberfuhren konnen, insbesondere um sie inhaltlich auswerten oder veran- 
dem zu konnen/ ^^ Als wichtiges Teilgebiet der KI hat die Sprachverarbeitung, die auch unter 
dem Begriff „Computerhnguistik", „Linguistische Informatik" oder enghsch „Natural Language 
Processing" (NLP) bekannt ist, das ehrgeizige Ziel, den menschhchen Gehorsinn, das Sprach- 
verstandnis sowie die Spracherzeugung zu reproduzieren. Dafur gibt es vor allem zwei Griinde. 
Zunachst wurde dies die Mensch-Maschine Interaktion i.d.R. wesenthch erleichtem und be- 
schleunigen. Die Devise ist: Weil die Menschen nicht die Programmiersprachen lemen woUen, 
muB der Computer die Umgangssprache lemen. Entscheidender diirfte sein, daB die Sprache 
von vielen fur das entscheidende Merkmal der (menschlichen) Intelligenz gehalten wird.^ ^ ^ Ihre 
Beherrschung ware demnach ein Meilenstein auf dem Weg zur wahren „kunstlichen Intelli- 
genz", ja zum „kunstlichen Menschen" (vgl. Kapitel 2.6). Subgebiete der Sprachverarbeitung 
sind das Verstandnis zusammenhangender Sprache, im besonderen der Umgangssprache, die 
Umsetzung von Sprache in Schrift und andersherum, die Spracherzeugung sowie Sprach- bzw. 
Textanalyse und -bearbeitung z.B. Paraphrase oder Ubersetzung. 

Das zu den Methoden der Bildverarbeitung Aufgefuhrte gilt in analoger Weise fur die Sprach- 
verarbeitung, da es beiden um die Analyse der - in der Regel digitalisierten - Sinneseindriicke 
geht. Auch fur die Spracherkennung gibt es klassische und konnektionistische Verfahren, wo- 
bei der Schwerpunkt hier auf den ersten liegt. Auf den ersten Blick konnte es scheinen, daB die 
Spracherkennung einfacher als die Bilderkennung ist, da es fur die Sprache im Gegensatz zu 
den Bildem eine einheitliche Grammatik gibt. Dieser Eindruck tauscht jedoch, da die Gramma- 
tik erstens komplexer ist als sie scheint, und da vor allem zweitens das Hauptproblem nicht bei 
der Grammatik und Syntax sondem der Semantik liegt. Dabei ist die Tatsache der im Vergleich 
zu Videodaten wesentlich geringeren Datenraten von Audiosignalen nur bedingt hilfreich. Er- 
hebliche Schwierigkeiten bereiten z.B. wechselnde Tonhohen, Dialekte, Hintergrundgerausche, 
Mehrdeutigkeiten^ ^ \ Metaphem, Wortspiele und Reime oder die Frage, worauf sich Prono- 
men, relative Adjektive etc. beziehen. Ebenfalls ungelost ist im allgemeinen das Problem, auf 
welche vorherigen Satze und mehr noch auf welches implizite Metawissen Bezug genommen 
wird. Echte Kommunikation zeigt zudem haufig eine gewisse Kontextabhangigkeit und basiert 
i.d.R. auf einem Wissen iiber den „Sender" und den „Empfanger".^ ^ ^ 



^^° Zu sprachverarbeitenden Systemen vgl. Leidlmair 23 ff.; Gitt 1989, 16 ff.; Bruns 20 ff. und siehe auch Bre- 

wka et al. 243 ff. 
^^^ Zum Verhaltnis von Intelligenz und Sprache siehe Kapitel 4.5.4. 

^ ^^ Zu Mehrdeutigkeiten von Wortern und den entsprechen Losungsversuchen siehe z.B. Brewka et al. 393 ff. 
^^^ Siehe dazu z.B. Weizenbaum 1978, 248 ff. 



30 Sprachverarbeitende Systeme 



Trotz der genannten Schwierigkeiten gibt es mittlerweile eine weite Palette von Anwendungs- 
beispielen. Der Kern der Spracherkennung, die den Schwerpunkt der Sprachverarbeitung bil- 
det, ist der sog. „Parser"^^'^. Dieser ist fiir die Zerlegung der Satze und deren (formale) Inter- 
pretation zustandig. Die Parser arbeiten sich meist stufenweise von der Wort- iiber die Satzteil- 
und Satz- bis zur Bedeutungsebene herauf.^^^ Wie weit der Stand der Technik bereits ist, zeigt 
sich auch daran, daB nicht nur akademische, sondem bereits eine Reihe kommerzieller Spra- 
cherkennungssysteme fiir PCs existieren. Als bekanntestes Beispiel kann das System „Via- 
Voice" von IBM gelten.^^^ Es umfaBt einen erweiterbaren 30.000 Worter starken Grundwort- 
schatz und weist nach eigenen Angaben recht hohe Erkennungsraten (ca. 94 %) auf. Dazu ist 
allerdings eine nicht unerhebhche Trainingsphase mit 265 vorzulesenden Satzen notig, in der 
das System sich auf den Nutzer „einschieBt". 

Oft hegt die Sprache bereits in geschriebener Form, d.h. als Text vor, so daB es „nur" noch um 
deren Erkennung geht. Als Beispiel hierfur kann das lemende Texterkennungssystem des 
„Knowledge Engineering Lab" an der Universitat Freiburg gelten.^^^ Dieses versucht, unbe- 
kannte Worter z.B. dadurch zu erkennen, daB sie auf Kompatibilitat mit gegebenen linguisti- 
schen und strukturellen Regeln und Mustem verglichen werden. Sie werden in Form von plau- 
siblen Hypothesen verschiedenen Kategorien zugeordnet, von denen schlieBlich die wahr- 
scheinlichste (u.a. durch heuristische Methoden, d.h. vereinfacht gesagt „Faustregeln") heraus- 
gesucht wird. Ein ahnliches Beispiel ist das automatische Einscannen, Erkennen, Einordnen 
und Verarbeiten von Dokumenten wie etwa Geschaftsbriefen, das sich hauptsachlich an deren 
Layout orientiert.^ ^ ^ 

Auch der umgekehrte Fall, d.h. die Umwandlung von Text in Sprache, ist eine wichtige An- 
wendung im Bereich der sprachverarbeitenden Systeme.^ ^^ Ein Beispiel ist das an der Univer- 
sity of Western Ontario in Kanada entwickelte, automatische Vorlesesystem. Es lemt, neue 
Worter auszusprechen und bietet sich fiir vielfaltige Nutzungen, wie etwa die Abfrage von 
schriftlichen Nachrichten iiber mobile Telefone, an. Das Problem besteht darin, aus den er- 
kannten Buchstaben die richtigen Phoneme und Silben zu bilden und sie entsprechend zu beto- 
nen. Benutzt werden dazu u.a. Tabellen mit erlaubten Buchstabenkombinationen und deren 
Haufigkeit sowie ein Zuordnungsalgorithmus, der auf einem Entscheidungsbaum basiert. Das 
System von Ling und Zhang erreicht dabei nach einer Trainingsphase mit 80 % der Worter bei 
den unbekannten anderen 20 % der Worter auf der Phonemebene zu 95 % und auf der Wor- 
tebene zu 80 % richtige Aussprache. 



^^"^ Der Begriff Parser kommt vom lateinischen /?ar^ orationis, d.h. Teil der Rede. Vgl. zum Parser Bruns 20 ff. 

^ ^ ^ Zu fuzzylogischen Methoden der Sprach- und Texterkennung siehe Mira et al. 200 ff . 

^^^ Vgl. www-4.ibm.coni/softw are/speech. Leider muB der Nutzer fiir das genannte System iiber 300 MB Fest- 

plattenspeicher zur Verfiigung stellen. Zum Problem der Spracherkennung vgl. auch Reischl/Sundt 21 ff., wo 

zudem erste Versuche des elektronischen Lippenlesens erwahnt werden. 
^^^ Vgl. Hahn/Schnattinger in: Mercer/Neufeld 169 ff. und Schnattinger/Hahn in: Brewka et al. 255 ff. 
^^^ Vgl. Walischewski in: Brewka et al. 409 ff. 
^^^ Vgl. Ling/Zhang in: Mercer/Neufeld 184 ff. und siehe auch Zhang/Hamilton in: Mercer/Neufeld 246 ff. 



Sprachverarbeitende Systeme 31 



Wie stark an sprachverarbeitenden Systemen geforscht wird, zeigt auch das Internationale, in- 
terdisziplinare Langzeitprojekt „Verbmobir', dessen Ziel die sprecherunabhangige Erkennung 
spontaner Sprache, die Ubersetzung in eine andere Sprache (z.B. Englisch-Deutsch) und die 
Pronounciemng bzw. Ausgabe der Ubersetzung ist. Problematisch ist u.a. das bisher noch sehr 
stark eingeschrankte Vokabular, da es folgendes Ziel zu erreichen gilt: „Processing time that is 
less than six time the length of the input signal"^^^. Von einer Echtzeit-Dolmetschung kann also 
bisher nur getraumt werden. Aktuelle Zahlen und Ergebnisse finden sich im Internet auf den 
Seiten des „Deutschen Forschungszentrums fur Kunstliche Intelligenz".^ ^ ^ 

Bereits im Einsatz befinden sich Ubersetzungsprogramme, die z.B. abgelesene Wettervorhersa- 
gen mit ihrem sehr beschrankten Wortschatz von einer Sprache in die andere iibersetzen. Mitt- 
lerweile existieren auch automatische Textubersetzungsprogramme fiir PCs. Besonders interes- 
sant ist das von Alta Vista kostenlos zur Verfugung gestellte Ubersetzungsprogramm, mit dem 
online von und in Deutsch, Englisch, Franzosisch und andere Sprachen ubersetzt werden 
kann.^^^ Dieser Service, der sogar ganze Intemetseiten ubersetzt, liefert jedoch teilweise nur 
maBige Ubersetzungen, die es ggf. noch nachzubessem gilt. Microsofts „Word" bietet - zu- 
mindest fur die englische Sprache - eine Grammatikpriifung an. Dabei wird der Benutzer auf 
mogliche Inkonsistenzen, etwa im Kasus oder Tempus, hingewiesen, oder es werden ihm 
mogliche, eventuell passendere synonyme Ausdriicke angeboten. Die Qualitat befindet sich al- 
lerdings noch lange nicht auf dem wunschenswerten Niveau. 

AbschlieBend sei noch eines der altesten und doch bekanntesten sprachverarbeitenden Systeme 
genannt: Joseph Weizenbaums Dialogprogramm „ELIZA", das bereits im Jahr 1966 am MIT 
vorgestellt wurde.^^^ Das Programm simuliert einen Psychotherapeuten, der durch nicht- 
direktives Nachfragen eine Kommunikation in Gang halt. Die auf den ersten Blick erstaunliche 
Leistung der „Sprachbeherrschung" beruht in Wirklichkeit auf einem recht simplen Referenz- 
mechanismus, der bestimmte Schlusselworter den auszugebenden neuen Fragen und Antworten 
zuordnet. Das System „sollte demonstrieren, wie man mit relativ einfachen Regeln erfolgreich 
ein scheinbar intelligentes, interagierendes System erzeugen kann."^^^ Die offentliche Reaktion 
verlief jedoch voUig anders. Viele hielten das System nicht nur fiir intelligent, sondem woUten 
es auch emsthaft fiir die Therapie einsetzen. Weizenbaum wurde sehr verargert und schrieb 
spater: „Diese Reaktionen auf ELIZA haben mir deutlicher als alles andere bis dahin Erlebte ge- 
zeigt, welch enorm iibertriebenen Eigenschaften selbst ein gebildetes Publikum einer Technolo- 
gic zuschreiben kann oder sogar will, von der es nichts versteht."^^^ Dies deutet bereits hin auf 



^2° Herzog/Gunter 345. 

^^^ Siehewww.dfki.de/verbmobil. 

^^^ Vgl. http://babelfish.altavista.com. 

^^^ Vgl. Hesse 60 f. sowie Weizenbaum 1978, 14 ff. und 250 ff. Das Programm ELIZA laBt sich auch online te- 
sten unter http://botspot.com. 

''' Hesse 61. 

^^^ Weizenbaum 1978, 20. Zu grundsatzlichen Bedenken gegen die automatische Spracherkennung siehe Weizen- 
baum 1978, 352 ff. 



32 Sprachverarbeitende Systeme 



das im weiteren Verlauf der Arbeit zu klarende Hauptproblem der sprachverarbeitenden sowie 
allgemein der Kl-Systeme, namlich die Frage: Konnen kiinstliche Systeme von der Syntax zur 
Semantik aufsteigen bzw. wahrhaft erkennen? Doch zunachst gilt es, sich dem vermutlich 
spektakularsten Gebiet der KI zu nahem: der Konstmktion intelligenter Roboter und den Be- 
strebungen, kiinstliches Leben zu schaffen. 



Robotik und Kiinstliches Leben 33 



2.6 Robotik und Kiinstliches Leben 

Im folgenden wird eine kurzer Uberblick iiber die KI-Teilgebiete „Robotik" und „Kunstliches 
Leben" gegeben. Da beide sehr eng miteinander zusammenhangen, sind sie hier in einem Kapi- 
tel zusammengestellt. Der Uberblick beginnt mit der Robotik, welche auch geschichtlich vor 
dem Forschungsgebiet Kiinstliches Leben steht. 

Unter Robotik versteht man die Erforschung und den Einsatz von Robotern, wobei das Wort 
Roboter vom slawischen robota stammt und Frondienst bzw. (Sklaven-) Arbeit bedeutet/^^ Ei- 
ne recht friihe Definition fiir einen Roboter lautet: , A reprogrammable, multifunctional manipu- 
lator designed to move material, parts, tools, or specialized devices through various pro- 
grammed motions for the performance of a variety of tasks (Robot Institute of America, 
1979y'i2 7 Hinzuzufugen ware noch, daB die Aufgabe modemer Roboter in der intelligenten 
Losung von Aufgaben in der Welt besteht. Man sagt deshalb auch, die Robotik sei das „Eintre- 
ten der KUnstlichen Intelligenz in die reale Welt"^^^ Femziel der Robotik ist ein moglichst au- 
tonomer Roboter, der in schwer vorhersagbaren AUtagssituationen so handeln kann, wie es 
gewohnlich ein Mensch tate. Dieser „Mensch-Roboter" soil Sprache, Schrift, Bilder, Situatio- 
nen etc. erkennen, d.h. letztlich die Welt um ihn herum verstehen und sich intelligent in ihr ver- 
halten.^'^ 

Die Entwicklung der Roboter^ ^ ^ nahm ihren Anfang mit fest installierten, servogesteuerten Ma- 
schinen ohne Sensoren, die deshalb voUig unflexibel waren. Es folgte der Einsatz von einzelnen 
Sensoren wie Tast- und Kraftsensoren sowie Bilderkennungssystemen und Mikrocomputer- 
steuerung. Heutige Roboter verfUgen iiber umfangreiche Sensoren (akustische, optische, hapti- 
sche, infrarot, ultraschall etc.), sind KLgesteuert sowie oft auch mobil, wobei sie dementspre- 
chend ein Navigationssystem besitzen. Auch an Sprachein- und -ausgabe sowie Gestenerken- 
nung wird mit Erfolg gearbeitet. 

Das Einsatzgebiet von Robotern ist ebenso weit gefachert wie das der bisher genannten KLTeil- 
gebiete. Wahrend sie zu Beginn vorwiegend als Fertigungsroboter, z.B. in der Autoindustrie, 
eingesetzt wurden, weitet sich das Aufgabenbereich der Roboter standig aus. Es reicht von Ar- 
beiten in schwer zuganglichen oder gefahrlichen Umgebungen iiber solche, die die natiirliche 
Beschrankung der menschlichen Sinne und Krafte erweitem bis hin zur Abnahme alltaglicher 
und lastiger Routinearbeiten. Im einzelnen kann das z.B. die Teleoperation durch einen femge- 
steuerten Roboter, Erkundungsfahrten auf dem Mars^ ^ ^ , automatische Giftmiillentsorgung oder 



^^^ Vgl. Gitt 15. Der Begriff Robotik stammt von Isaac Asimov. 

12^ www.cs.cmu.edu/afs/cs.cmu.edu/project/ai-repository/ai/html/faqs/ai/robotics/partl/faq.html (aufgerufen im 

Dezember 1999). 
^^^ Hesse 195. 

^^^ Zu den tatsachlichen und vor allem den erhofften Erfolgen der Robotik siehe auch Moravec 1999. 
^^^ Vgl. Hesse 194 und zu den alteren Systemen Bruns 36 ff. 
^^^ Siehe dazu http://mpfwww.jpl.nasa.gov/rover/sojourner.html (aufgerufen im Januar 2000) und zu einem ande- 

ren autonomen Planetenerforschungsroboter www.cs.cmu.edu/~rll/overview/reids_01 (Januar 2000). 



34 Robotik und Klinstliches Leben 



der selbstandige Staubsauger sein. Wie in der Behandlung des Teilgebietes Kunstliches Leben 
noch deutlicher wird, soil die Robotik auch dazu dienen, besser zu verstehen, wie Menschen 
sich in der Welt orientieren und mit ihr intelligent interagieren konnen. 

Aus dem bisher Gesagten ist zu sehen, daB die Robotik der Interdisziplinaritat bedarf, denn es 
gilt neben Hard- und Softwareproblemen vielfaltigste mechanische und elektronische sowie all- 
gemein technologische Herausforderungen zu losen. Dies gilt auch innerhalb der KI, da etwa 
wissensbasierte Systeme und Robotersteuerung lange Zeit getrennte Gebiete waren. So wurden 
beispielsweise spezialisierte Symbolverarbeitungssprachen etwa fur Expertensysteme einerseits 
und logische Beschreibungssprachen fur Robotersteuerungen andererseits entwickelt. Wie 
Hahnel et al. gezeigt haben/^^ konnen diese sich jedoch gegenseitig befruchten und sogar zu 
einem System zusammenwachsen. So war es ihnen moglich, die handlungsbezogene Roboter- 
steuerungssprache GOLOG durch ihr System GOLEX so zu erweitem, daB der Roboter seine 
Handlungen uberwachen und „intelligent" auf spontane Probleme reagieren kann. Als Beispie- 
lanwendung wurde ein interaktiver Museumsfuhrer vorgestellt, der Besucher durch eine Aus- 
stellung im Deutschen Museum Bonn fuhrt und ihnen an gegebener Stelle Informationen iiber 
die Ausstellungsstucke liefert. Dabei muBte er neben den Wunschen der Besucher auch den La- 
geplan der Ausstellung und die Vermeidung von KoUisionen beachten. Nach der Fuhrung von 
mehr als 2000 echten und iiber 600 virtuellen, durch das Internet vermittelten, Gasten offen- 
barte sich eine sehr positive Erfolgsbilanz: Von den 2400 Anfragen konnten nur 6 nicht erfullt 
werden. Dies zeigt, wie notig und erfolgreich das Zusammenkommen einzelner wissenschaftli- 
cher Zweige - auch innerhalb der KI-Forschung - ist. 

Ein weiteres Beispiel fur einen mobilen und im weitesten Sinne autonomen Roboter ist der an 
der Universitat Bonn entwickelte „FAXBOT".^^^ Dabei handelt es sich um einen Roboter, der 
gefunkte Emails erhalt, die in naturlicher, aber sehr stark eingeschrankter Sprache verfaBt wur- 
den. Die erhaltenen Anweisungen werden von ihm ausgewertet und zur entsprechenden Zeit 
ausgefuhrt. So ist es beispielsweise moglich, sich zu einer bestimmten Zeit einen bestimmten 
Gegenstand aus einem angegebenen Raum bringen zu lassen. Wenn es dabei zu Problemen wie 
etwa verschlossenen Turen, nicht erkennbaren Dingen oder mehrdeutigen Anweisungen kom- 
men soUte, versucht der Roboter, sich durch Menschen helfen zu lassen, indem er sie um neue 
oder prazisere Anweisungen bittet. Auch beim FAXBOT gait es, vielfaltigste Aufgaben wie 
Kommunikation, Handlungsplanung, Bildverarbeitung, Bewegung im Raum etc. zu koordinie- 
ren und integrieren. Trotz zunehmender Erfolge auf diesem Gebiet laBt sich zwischen den „in- 
tellektuellen" Ergebnissen, etwa durch wissensbasierte Systeme, und den sensomotorischen 



^^^ Hahnel et al. in: Herzog/Gunter 165 ff. Siehe zum Tourguide-Roboter auch www.cs.cmu.edu/~minerva 
^^^ Vgl. Beetz/Peters in: Herzog/Gunter 177 ff. Damit Roboter wirklich autonom sind, sollen sie - wie ihr Vor- 
bild die Tiere - vom Menschen vollig unabhangig sein und insbesondere von ihm keine Energie und Informa- 
tionen erhalten. Ein Projekt, das in diesem Sinne einen Roboter baut, der seine Energie aus selbst von einem 
Feld gesammelten Schnecken erhalten soil, die dazu in Biogas verwandelt werden, findet sich bei Kelly et al. 
in: Floreano et al. 289 ff. 



Robotik und Klinstliches Leben 35 



Interaktionen mit der Welt durch die Robotik noch immer eine Liicke feststellen/^"^ Dies liegt 
daran, daB die KI-Entwicklung iiber lange Zeit Turing-gepragt bzw. bildschirmlastig war. 

Einhaufiges Problem fiir mobile Roboter ist deren genaue Ortsbestimmung,^^^ die sowohl fiir 
femgesteuerte wie fiir autonome Roboter von wesentlicher Bedeutung ist. Die Probleme erge- 
ben sich einerseits aus den Ungenauigkeiten des Modells der Umgebung und vor allem anderer- 
seits aus den sich addierenden Fehlem der Sensoren, speziell denen an den Radern, mit denen 
sich Roboter meist bewegen. Kleine Unebenheiten auf dem Untergrund oder dem Reifen, 
wechselnde Haftung und dergleichen machen es notig, die Streckenmessung des Roboters 
standig zu kalibrieren bzw. die genaue Position mit Hilfe anderer Methoden zu bestimmen. Ein 
Losungsversuch dazu ist die Verwendung von Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen und Koor- 
dinatentransformationen in einem dreidimensionalen Gittemetz, das die Wahrscheinlichkeit da- 
fur liefert, daB das jeweilige Feld die aktuelle Position und Orientierung des Roboters angibt.^ ^ ^ 
Eine Alternative zu den recht ungenauen Radstandsensoren bietet das Globale Positionierungs- 
system. „The Global Positioning System (GPS) is an excellent positioning system that is useful 
in outdoor settings, although recent developments in Pseudolites (Pseudo Satellites) may bring 
GPS technology indoors and to urban environments. While accuracy is intentionally degraded 
by the US Military recent advances in differential systems and innovative tracking techniques 
can give 20cm real-time accuracy. Even newer techniques such as carrier-phase are bringing 
this figure into the mm range for real-time."^ ^ ^ 

Ein Problem, das sowohl mobile als auch fest installierte Roboter betrifft, ist die Frage: Wie soil 
sich der Roboter in rasch wandelnder und teilweise unbekannter Umgebung verhalten? Welche 
Schritte sind die sinnvoUsten, um zum Ziel zu gelangen? Gefragt ist also eine „intelligente" 
Auswahl des jeweils nachsten Schrittes, die sich an der durch Sensoren erfaBten Umweltsituati- 
on orientiert.^^^ Dabei geht es neben hoher Fehlertoleranz und Robustheit oft auch um zeitkriti- 
sche Probleme, d.h. es konnen nicht alle Verhaltensmoglichkeiten durchprobiert werden. Der 
Suchbaum ist dann entsprechend sinnvoU (heuristisch) zu beschranken, z.B. indem die Suchtie- 
fe begrenzt wird. Anschaulich kann das bedeuten, daB mit Hilfe eines lokalen Suchalgorithmus 
statt des Endzieles nur das jeweils nachste Zwischenziel angestrebt wird. Die Suche nach dem 
besten Schritt geschieht beispielsweise durch sukzessives Vergleichen zweier Aktionen und an- 
schlieBende Neuordnung der Aktionen entsprechend ihrer Eignung, das Zwischenziel zu errei- 
chen.^^^ 



^^4 Vgl. Mira et al. VI. 

^^^ Dies beschaftigt auch das Forschungsgebiet „Kunstliches Leben". Eine wichtige Fahigkeit von hoheren Le- 

bewesen ist die zur Lokalisiemng, d.h. festzustellen, wo sie sich befinden und ob ihnen der Ort bekannt ist. 

Siehe dazu Zhang et al. in: Wilke et al. 127 ff. 
^^^ Vgl. Burgard et al. in: Brewka et al. 289 ff. 
^ ^ ^ www.cs.cmu.edu/afs/cs.cmu.edu/project/ai-repository/ai/html/faqs/ai/robotics/part4/faq.html (aufgerufen im 

Dezember 1999). Siehe dazu auch die newsgroup sci.geo.satellite-nav. 
^^^ Vgl. Donaldson/Cohen in: Mercer/Neufeld 220 ff. 
^^^ Zu verschiedenen Suchalgorithmen siehe Donaldson/Cohen in: Mercer/Neufeld 222 ff. 



36 Robotik und Kiinstliches Leben 



Ein besonderer Schwerpunkt des Robotik im Sinne der KI liegt bei der Entwicklung von sog. 
Androiden oder auch Humanoiden. Dies sind Roboter mit menschenahnlichem Aussehen und 
mehr oder weniger menschenahnlichem Verhalten/"^^ Stellvertretend fiir die vielfaltigen For- 
schungstatigkeiten auf diesem Gebiet sei das von Rodney Brooks geleitete „Cog"-Projekt des 
MIT Artificial Intelligence Laboratory in den USA genannt.^^^ Der in diesem Projekt gebaute 
Roboter verfugt iiber erstaunliche Fahigkeiten, wie etwa die folgenden: Fokussierung von be- 
wegten Objekten, insbesondere von menschlichen Armen bzw. Handen, Ausrichtung des 
„Kopfes" und der Kameras auf die Augen des Gegeniiber („Augenkontakt"), Nachahmung von 
menschlichem Verhalten, z.B. Kopfschiitteln oder -nicken.^^^ 



Abbildung 2: Humanoider Roboter „Cog" 



Neben den in vorigen Kapiteln beschriebenen Verfahren wie Mustererkennung, Bildver- 
arbeitung oder automatisches Lemen ist dazu eine ausgefeilte Beherrschung der elektro- 
mechanischen Steuerung notig. Der „Korper" von Cog (siehe Abbildung 2) ahnelt deshalb dem 
des Menschen nicht nur in Form, sondem auch in der Struktur und in den Freiheitsgraden. Die 
Arme haben jeweils sechs Freiheitsgrade, der Torso, der Nacken und die Augen drei. Er wird 
von Elektromotoren bewegt, die nicht direkt, sondem iiber ein nichtlineares Federsystem die 
Krafte auf den Korper iibertragen. Dies hat nicht nur den Vorteil, daB Cog naturlicher wirkt 
(keine abgehackten Bewegungen), sondem es macht das System auch unempfindlicher gegen 
Stomngen aus dem Getriebe und sicherer, z.B. beim schockartigen Beriihren von Gegen- 



^"^^ Die heutigen Roboter erinnern im ubrigen stark an „C3P0", aus dem Spielfilmklassiker „Star Wars", wah- 

rend viele andere Roboterformen, wie die des weiter oben genannten Tourguides, seinem Roboterfreund 

„R2D2" ahnlich sehen. 
^^^ Vgl. www.ai.mit.edu/projects/cog (aufgerufen im Januar 2000) sowie Foerst 84 ff. 
^^^ Vgl. dazu das sehr anschauliche und eindrucks voile Video unter 

www.ai.mit.edu/projects/cog/Video/Cog.QT3-56-7.5f.mov. 

Zum lernenden Baby-Roboter „Kismet" siehe weiter unten im Abschnitt „Kunstliches Leben". 



Robotik und Kiinstliches Leben 37 



standen. Damit ist es sogar moglich, auf einigermaBen natiirlich wirkende Art mit einem Ham- 
mer einen Nagel in Holz zu schlagen. 

Ein mindestens ebenso komplexes und ehrgeiziges Projekt wie Cog ist „RoboCup"/'^^ Ziel die- 
ser weltweiten Anstrengung ist es, (bis 2050) ein Team von Robotem zu bauen, das gegen den 
menschlichen Weltmeister FuBball spielen - und ggf. gewinnen - kann. RoboCup gilt dabei als 
genormtes, intemationales „Testbett" neuer Technologien und ist fur viele das neue Femziel der 
KI, nachdem Projekte wie Schachspielen „erfolgreich" beendet wurden. 

Da mobile Roboter in Zukunft verstarkt fur Serviceaufgaben eingesetzt werden soUen, werden 
sie haufigen Kontakt mit Gruppen von Menschen haben. Um konfliktfrei mit ihnen interagieren 
zu konnen, benotigen sie u.a. ein „soziales" Verhalten, d.h. sie miissen den ungeschriebenen 
sozialen Regeln entsprechen. Eine Anwendung, die versucht, dieses Verhalten zu imitieren, 
wurde von Nakauchi und Simmons vorgestellt.^^^ Ihr Roboter ist in der Lage, sich in einer 
Schlange von Menschen anzustellen, die sich vor dem Ziel gebildet hat, das er eigentlich anfah- 
ren will. Hierzu werden zunachst mit Hilfe zweier Kameras die Positionen und Orientierungen 
der im Raum befindlichen Menschen bestimmt.^ ^^ Der Roboter berechnet danach den Punkt am 
Ende der Schlange, an dem er sich anstellen soil, wobei er den fiir Menschen typischen Abstand 
beachtet, um sich nicht bedrangt zu fuhlen. Dieser Abstand wird mit Hilfe von Ultraschallsen- 
soren beim Voranschreiten der Schlange beibehalten. 

Durch diese und viele weitere KI-Technologien wird also weltweit versucht, kiinstliche Intelli- 
genzen zu bauen, die es dem Menschen erlauben, mit ihnen moglichst natiirlich zu interagieren. 
Man verspricht sich davon u.a., daB die kiinstliche Intelligenz durch „Erfahrungen" mit der na- 
tiirlichen Intelligenz von dieser lemen und sich ihr schlieBlich immer mehr annahem kann.^^^ 
Das leitet nun iiber zum zweiten Teil des Kapitels, zum sog. „Kiinstlichen Leben". 



Das Forschungsgebiet „Kiinstliches Leben" (KL) ist eines der jiingsten groBen Teilgebiete der 
KL Es entstand Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts.^^^ KL beschaftigt sich mit der 
Erforschung, Simulation und Rekonstruktion von lebendigen Organismen bzw. Systemen. 
Analog zur KI spricht man auch von starker und schwacher KL und meint damit die Bestrebun- 
gen, tatsachlich Lebendiges schaffen zu woUen oder eben nur Lebensahnliches zu simulieren 
(Vgl. die Einleitung zu Kapitel 3 und Kapitel 3.1.8). Im Vergleich zur klassischen Biologic 
soUen in der KL-Forschung nicht nur Lebensprinzipien abstrahiert bzw. analysiert, sondem vor 



^"^^ Vgl. www.robocup.org. 

^^^ Vgl. www.cs.cmu.edu/~rll/overview/nakauchi_01 (aufgerufen im Januar 2000). 
^^^ Dieses ist jedoch bisher nach eigenen Angaben nicht immer fehlerfrei moglich. 
^^^ Dies ware bei einer korperlosen Intelligenz demnach so nicht moglich. 

Vgl. www.ai.mit.edu/projects/cog/OverviewOfCog/cog_overview.html (aufgerufen im Januar 2000) Zum le- 

benslang lernenden Agenten siehe www.cs.cmu.edu/~rll/overview/josullvn_01 (aufgerufen im Januar 2000). 
^^^ Den Beginn markiert Christopher Langtons Arbeit „Artificial Life" (Nachdruck z.B. in Boden 1996, 39 ff.) 

dargestellt auf einer Konferenz in Los Alamos im Jahr 1987. Vgl. Hesse 128 und Boden 1996, 7. AUerdings 

gibt es bereits bei Turing und Von Neumann Ansatze zu KL. 



38 Robotik und Klinstliches Leben 



allem synthetisiert werden/"^^ Dabei kann man zwischen softwaremaBiger Realisierung bzw. 
Simulation (A-Life) und stofflicher Realisierung (E-Life) der Synthese unterscheiden. Ein we- 
sentlicher Vorteil der KL-Forschung besteht darin, daB die Rahmenbedingungen und Vorgange 
im Gegensatz etwa zur klassischen Biologie - in der Regel - sehr genau kontroUierbar, rekon- 
struierbar und dokumentierbar sind. Wie bei der Robotik ist auch fur KL eine Integration der 
verschiedenen IT- und KI-Technologien und eine interdisziplinare Zusammenarbeit wesentlich. 
Neben Psychologie und Feinmechanik sind es vor allem Chemie sowie Biologie und hier insbe- 
sondere die Neurobiologie, welche die informationstechnischen Ansatze der Informatik ergan- 
zen und erweitem. Insgesamt will man das Leben als solches besser verstehen lemen. 

Das groBe Femziel von KL ist die Schaffung eines kiinstlichen und letztlich auch intelligenten 
Organismus,^^^ d.h. intelligentes Leben, das nicht von der Natur sondem vom Menschen ge- 
macht ist. Dabei sind nicht nur Pflanzen, Tiere und Menschen Objekt der Forschung. Es gilt 
vielmehr auch die Frage zu klaren, ob es auBer dem bisher bekannten, auf Kohlenstoff basie- 
renden Leben noch andere Lebensformen gibt oder geben kann. Bei dem Versuch, „Leben im 
Computer" (auch „in silicio") zu erzeugen, kann man die Betrachtung von Einzellebewesen und 
die von Gruppen bzw. Volkem oder sogar komplexen Okosystemen unterscheiden. 

KI und KL versuchen, das Naturliche zu reproduzieren und letztlich fur den Menschen niitzlich 
zu machen. Dabei steht die KL-Forschung oft noch so weit am Anfang, daB vieles Grundlagen- 
forschung ist und niitzliche (Alltags-)Anwendungen noch recht selten sind. Trotzdem gilt: „Arti- 
ficial life amounts to the practice of 'synthetic biology' and, by analogy with synthetic chemis- 
try, the attempt to recreate biological phenomena in alternative media will result in not only bet- 
ter theoretical understanding of the phenomena under study, but also in practical applications of 
biological principles in the technology of computer hardware and software, mobile robots, 
spacecraft, medicine, nanotechnology, industrial fabrication and assembly, and other vital engi- 
neering projects."^ ^^ Im folgenden werden deshalb einige Beispiele aus der Forschung be- 
schrieben. 

Wegen der GroBe des Femzieles hat die KL-Forschung verschiedene Unterziele entwickelt. 
Wenn es zunachst unmoglich scheint, ein voUstandiges Lebewesen zu verstehen und zu repro- 
duzieren, will man wenigstens einzelne seiner Fahigkeiten beherrschen. Besonders interessiert 
ist man neben den Fahigkeiten zur Fortpflanzung und Erhaltung^ ^ ^ beispielsweise an den auBe- 
ren Bewegungsfahigkeiten wie dem Gehen, Laufen, Kriechen, Klettem, Schwimmen oder 
Fliegen und dergleichen. 



^^^ Vgl. dazu und zum Folgenden Langton in: Boden 1996, 39 ff. 

^^^ Kunstliche Tiere werden auch „animats", kiinstliche Haustiere „software pets" genannt. 

^^^ Artificial Life FAQ, www.lib.ox.ac.uk/internet/news/faq/archive/ai-faq.alife.html. 

Zu „Artificial Chemistry" siehe Adami 37 ff. 
^^^ Siehe dazu etwa Floreano et al. 377-486. 



Robotik und Klinstliches Leben 39 



Ein Beispiel ist die Simulation der Schlangenbewegung bzw. die Konstruktion einer kiinstli- 
chen Schlange/^^ Ziel ist zunachst ein schlangenahnlicher Roboter mit intelligentem Verhalten, 
der flexibel auf unterschiedliche Umgebungen reagieren kann. Mit einer solchen „Schlange" 
konnte man sich iiber schwierige Oberflachen, insbesondere solche mit Hindernissen, oder 
durch Rohren bewegen und verschiedene Arbeiten wie etwa Inspektionen ausfuhren. Die vom 
Deutschen Forschungszentrum Informationstechnik (GMD) entwickelte Schlange^ ^ ^ weist dabei 
folgende Merkmale auf: Sie besteht aus einem Kopfelement, etwa zwei Dutzend gleicher 
Rumpfsegmente und einem Schwanz. Am Kopf befinden sich vier Lichtsensoren, durch welche 
die Schlange die Richtung der groBten HeUigkeit bestimmen kann und ein taktiler Sensor, mit 
dem die Beriihrung von Hindernissen festgestellt werden kann. Die mit einem Datenbus ver- 
bundenen Rumpfsegmente bestehen aus oktagonalen Aluminiumplatten, die durch Gummiziige 
von zwei Motoren horizontal und vertikal zusammengezogen werden konnen. Durch mehrere 
taktile Sensoren kann jedes Element die eventuelle Beriihrung des Bodens bzw. eines Hinder- 
nisses erfahren. Der Schwanz hat lediglich die Aufgabe, die Schlange mit der extemen Energie- 
versorgung und Steuerungshardware zu verbinden, woran sich eines der Probleme von KL 
zeigt: Wie bringt man die Energie-, die Informationsverarbeitungs- und die Bewegungselemente 
auf so geringem Platz unter, wie die Natur es vormacht? Der so verwirklichte Prototyp der 
Schlange war in der Lage, sich trotz Hindernissen durch schlangenartiges Kriechen auf eine 
Lichtquelle zuzubewegen. 

Ein Beispiel fur KL-Forschung auf einer anderen Ebene ist die Simulation der Entwicklung, des 
Wachstums und der Evolution von Nervenzellen.^^^ Wie in sehr vielen KL-Projekten geht es 
auch hier um die experimentelle Untersuchung von biologischen Evolutionstheorien. Das von 
Astor und Adami entwickelte System modelliert und simuliert das dezentrale Wachstum eines 
neuronalen Netzwerkes. Dazu werden die individuellen und autonomen kiinstlichen Neuronen, 
die nur durch ihre „genetischen" Programme bestimmt sind, einer kiinstlichen chemischen Um- 
gebung ausgesetzt. In der Simulation konnten verschiedene Strukturen und Prozesse erzeugt 
werden, die von natiirlichen Nervenzellen bekannt sind, so etwa das Wachstum entlang eines 
Diffusionsgradienten oder der Ansatz eines konditionierten Reflexes. Dabei bleibt es jedoch ein 
Dilemma, daB i.d.R. neurophysiologische Simulationen keine Ingenieursprobleme losen und 
kiinstliche neuronale Netze nur schwerlich die tatsachliche biologische Informationsverarbei- 
tung erklaren konnen.^ ^^ Um komplexere Strukturen entwickeln zu konnen, ist ein weltweites 
evolutionares Experiment geplant: Wer mochte, kann iiber Internet einen Genotyp erhalten und 
diesen auf dem heimischen Rechner - etwa durch Mutationen - sich weiterentwickeln lassen. 



^^^ Vgl. Worst in: Wilke et al. 113 ff. Zur Simulation der Bewegung ahnlicher Tiere wie etwa eines Salamanders 
siehe auch Ijspeert in: Floreano et al. 195 ff. 

^^^ Fur weitere Informationen zur GMD -Schlange und fur eine Sammlung weltweiter Schlangen-Forschungs- 
projekte inklusive Bildern der entwickelten Schlangen siehe www.gmd.de und 
http://set.gmd.de/~worst/snake-collection.html. 

^^^ Vgl. Astor/Adami in: Wilke et al. 15 ff. Zur Entwicklung eines Nervensystems siehe auch Albert in: Flore- 
ano et al. 236 ff. 

^^^ Vgl. Astor/Adami in: Wilke et al. 15 f. 



40 Robotik und Klinstliches Leben 



Nach einer gewissen Zeit kann man diesen zum zentralen „Fitness-Test" (mit anderen Worten 
zur Selektion) zuriickschicken, wo er entweder verworfen oder in den weiterverwendeten Pool 
ubemommen wird. Damit will man u.a. die dezentrale Rechenleistung der ans Internet ange- 
schlossenen Computer nutzen und so die teure Belegung eines Supercomputers vermeiden. 

Eine weitere exemplarische Anwendung ist die Simulation des Wachstums, der Verbreitung und 
der evolutionaren Entwicklung von Pflanzen mit energieabhangigen Mutationsraten/^^ Erwar- 
tungsgemaB zeigte sich dabei, daB bei zu geringen Mutationsraten keine Entwicklung stattfand 
und bei zu groBen Raten die Population ausstarb. Eine Ubertragung auf naturliche Verhaltnisse 
stellt sich dabei allerdings als sehr schwierig heraus, u.a. well die verwendeten Mutationsver- 
fahren und Mutationsraten sich nicht mit den Beobachtungen und Mechanismen (z.B. automati- 
sche Reparatur) in der Natur decken.^ ^ ^ 

Ein wichtiger Schwerpunkt des Teilgebietes KL ist auch die Erforschung des intelligenten Zu- 
sammenlebens bzw. -wirkens von Gruppen bzw. Schwarmen oder Herden. Besonderes Inter- 
esse gilt den Insektenvolkem, beispielsweise den Ameisenkolonien. Die zentrale Frage lautet: 
Wie ist das sinnvoUe, zielgerichtete und komplexe Zusammenleben trotz fehlender zentraler 
Steuerung moglich? Welche - oft wenigen und einfachen - Einzelfahigkeiten sind dazu notig 
und wie spielen sie zusammen?^ ^ ^ Ein Forschungsprojekt der Johannes-Gutenberg Universitat 
in Mainz hat dazu eine Simulation von Uberlebensstrategien von ameisenahnlichen Agenten in 
einer Wettbewerbsumgebungentwickelt.^^^ Ein Ameisenvolk wurde simuliert durch eine Koni- 
gin und wenige Dutzend Ameisen. Diese muBten die zufallig in der Umgebung verteilte Nah- 
rung fur sich selbst und ihre Konigin besorgen und diese vor Angriffen schiitzen. Die Nahrung 
konnte dabei getragen oder - unter Verlusten - aufgenommen und wieder abgegeben werden. 
Bewegung und insbesondere Kampfe verbrauchten die beschrankte Lebensenergie, die nur 
durch Nahrung wieder aufgefuUt werden konnte. Informationen, etwa iiber den Ort von Nah- 
rungsmitteln oder feindlicher Ameisen, konnten nur lokal von einer Ameise zur nachsten wei- 
tergegeben werden. Diese und weitere Vorgange wurden implementiert, ohne dabei den An- 
spruch zu erheben, eine Ameisenkolonie moglichst perfekt zu simulieren. Vielmehr wurden 
verschiedene Strategien (wie pazifistische, defensive oder aggressive) fur einzelne kleine Amei- 
senvolker entwickelt und in der Multi-Agent-Simulationsumgebung „XRaptor" gegeneinander 
getestet, um allgemeine Elemente und Mechanismen zu finden, welche die Organisation des Le- 
bens bei beschrankten Ressourcen ermoglichen. Dabei gewann die Strategic, die defensiv be- 
gann und mit wachsender Population aggressiver wurde. Obwohl die GroBe des Volkes um 



^^^ Vgl. Kim in: Wilke et al. 197 ff. 

^^^ Zur Kritik am meist ideologisch benutzten Evolutionsbegriff siehe Kapitel 4.5.8. Zu Problemen bei der Er- 
forschung von Selbstorganisation, Selbstregulierung und Selbstvervielfaltigung vergleiche Nehaniv/ Dauten- 
hahn in: Wilke et al. 283 ff. 

^^^ Siehe dazu und speziell zur „Selbst-Synchronisation" vom Ameisenvolkern Delgado/Sole in: Floreano et al. 
606 ff . 

^^^ Vgl. Polani/Uthmann in: Wilke et al. 185 ff. 



Robotik und Klinstliches Leben 41 



GroBenordnungen unter den natiirlichen Verhaltnissen lag, zeigten sich doch einige interessante 
dynamische und komplexe Vorgange in „lebendigen" Volkem/^^ 

Als abschlieBendes Beispiel sei eines der groBten und gewagtesten Vorhaben der KI bzw. KL 
genannt: das Projekt „Baby-Intelligenz".^^^ Der am MIT gebaute Roboter mit dem Namen 
„Kismet" besteht aus einem 3,6 kg schweren Kopf mit etwa menschlicher GroBe. Dieser besitzt 
zwei augenahnliche Farbkameras, kiinstliche und bewegliche Ohren, Augenbrauen und Augen- 
lieder sowie ebensolche Lippen. Obwohl Kismet insgesamt wie eine Mischung aus „Gremlin" 
und Roboter aussieht, hat er doch auch „menschliche" Ziige. Durch Variation seiner Gesichts- 
elemente ist er scheinbar in der Lage, „Gefuhle" wie etwa Freude, Angst, Neugier etc. auszu- 
driicken. Kismet ist mit „kindlichen" Verhaltensmustem ausgestattet, d.h. er braucht geniigend 
neue Reize, um nicht gelangweilt zu sein und nicht zu viele, um nicht uberfordert zu sein. Er 
soil den typischen Eindriicken und Umgebungen eines Babys bzw. Kindes ausgesetzt werden 
und ahnlich wie der Mensch im Laufe der Zeit zur voUen (menschlichen) Intelligenz „heran- 
wachsen".^^^ Seine „Eltem" miissen sich dazu ihm zuwenden, ihn unterhalten und ihm mehr 
Oder weniger Neues beibringen. Die Ergebnisse dieses noch sehr in der Entwicklung befindli- 
chen Projektes soUen dann in das weiter oben erwahnte Cog-Projekt einflieBen, um den huma- 
noiden Roboter zu „vermenschlichen". Mit Projekten wie diesen^^^ versucht man, einem der 
Hauptprobleme der KI-Forschung zu begegnen, der Frage nach dem BewuBtsein. Den Pro- 
dukten der KI bzw. KL wird namlich seit jeher vorgeworfen, sie seien „not epistemologically 
grounded in their environment"^ ^ V Inwieweit diese, aus Erfahrung mit der Welt „lemenden" 
Maschinen tatsachlich iiber Intelligenz und BewuBtsein verfugen oder verfugen konnen, wird 
im weiteren Verlauf der Arbeit zu klaren sein. 



^^° Zu einem ahnlichen Simulationsprojekt, in dem die sinnvolle Aufgabenteilung und Spezialisierung innerhalb 

eines Bienenvolkes betrachtet wird, siehe Dornhaus et al. in: Wilke et al. 171 ff. 
^^^ Vgl. die Projektseite des MIT www.ai.mit.edu/projects/kismet/kismet.html, von wo sich auch viele Demon- 

strationsvideos herunterladen lassen. Kurzer faBt das Kismet-Projekt zusammen 

www.robotbooks.com/kismet-robot.htm. 
^^^ Diese Idee findet sich 1950 bereits bei Turing. Vgl. Turing in: Boden 1990, 62 ff. 
^^^ Bin ebenso ehrgeiziges Projekt im Rahmen von Artificial Life ist „Golem", bei dem durch mehr oder weniger 

selbstandige, wiederholte, „evolutionare" Entwurfe, Fertigungen und Verbesserungen Roboter von Robotern 

hergestellt werden. 
^^^ Wellner in: Wilke et al. 226. 



42 Zwischenfazit zum Stand der Technik 



2.7 Zwischenfazit zum Stand der Technik 

Der in Kapitel 2 gegebene Uberblick iiber den Stand der Technik diente dem Verstandnis fiir die 
Herausfordemngen und Philosophie der KI und fiihrte gleichzeitig wichtige Grundbegriffe ein. 
Aufgrund der standig zunehmenden Verzweigung und der rasanten Weiterentwicklung der KI- 
Teilgebiete konzentrierte sich die Darstellung vor allem auf diejenigen Bereiche und Beispiele, 
die fiir die Theorienbildung der KI besonders interessant sind. Die exemplarische Vorstellung 
verschiedener fiir die KI typischer Anwendungsgebiete orientierte sich groBtenteils an der Kon- 
stitution und den Vermogen des Menschen, da dies am besten auf die spateren philosophischen 
und insbesondere anthropologischen Untersuchungen vorbereitet. 

Behandelt wurden Beispiele aus den Teilgebieten wissensbasierte Systeme, konnektionistische 
Systeme, bild- und sprachverarbeitende Systeme, Robotik sowie Kiinstliches Leben. Fiir aUe 
diese Bereiche wurden stellvertretende Anwendungen aus Forschung und Alltag beschrieben, 
die die teilweise hochst praktischen wie auch erstaunlichen Erfolge der Kl-Produkte verdeut- 
lichten/^^ Anhand der Beispiele wurden typische Methoden, Ziele und nicht zuletzt Probleme 
der KI erarbeitet. In Kapitel 3 gilt es nun, die den technischen Errungenschaften zugrundelie- 
genden philosophischen Pramissen sowie die sich ergebenden Folgen herauszuarbeiten. 



^^^ Was die Erfolge betrifft, ist jedoch neben den in Kapitel 4 zu erhebenden philosophischen Kritikpunkten und 
Einschrankungen die meist sehr stark eingeschrankte Domane zu beachten. 



Gmndauffassungen 43 



3. Grundauffassungen 



Die enorme Bandbreite der im vorigen Kapitel dargestellten KI-Anwendungen laBt bereits erah- 
nen, daB es ausgesprochen schwierig ist, aus den vielen isolierten KI-(Teil-)Systemen und ih- 
ren Theorien ein konsistentes Gesamtsystem und damit eine kognitive Gesamttheorie zu entwer- 
fen. Wie sich im weiteren Verlauf zeigen wird, hangt diese entscheidend von den mehr oder 
weniger bewuBt angestellten Uberlegungen zur Erkenntnistheorie, Ontologie und Anthropologie 
ab. Die Sicht der Wirklichkeit im allgemeinen und die des Menschen im besonderen pragt fun- 
damental die Theorie der Technik, besonders die der KI. 

Zunachst ist es von Interesse, welche Wissenschaften zur Theorienbildung der KI beitragen und 
wie sich die verschiedenen Theorien bzw. Grundauffassungen sinnvoU kategorisieren lassen. 
In erster Linie sind es die „Kognitionswissenschaften", die an KI-Theorien arbeiten. Damit sind 
in der Regel vor allem die Philosophie, Psychologie, Neurobiologie und Kl-Wissenschaft ge- 
meint. Im Zuge der fortschreitenden Erforschung des Gehims werden jedoch zunehmend auch 
die Chemie und mehr noch die Physik relevant, die kontinuierlich in „tiefere" Schichten der 
Natur vorzustoBen suchen. In diesem Zusammenhang sowie wegen der Anforderungen der In- 
formatik ist ebenfalls die Mathematik als wesentlich beteiligte Wissenschaft zu nennen. 

Zur Unterscheidung verschiedener Grundauffassungen der KI bietet sich also zunachst einmal 
eine Kategorisierung entsprechend der jeweiligen Wissenschaft an, die sich der Thematik an- 
nimmt. Dabei zeigt sich jedoch, daB es einerseits iiber die Wissenschaften hinweg Schnittmen- 
gen und andererseits auch innerhalb der einzelnen Wissenschaften gegensatzliche Auffassungen 
gibt. Deshalb ist bei der Profilierung der heute vertretenen Hauptauffassungen der naturlichen 
und kiinstlichen Intelligenz auf eine iiberschaubare Zahl auch von der Sache selbst und d.h. 
insbesondere vom Menschen auszugehen/^^ 

Fur die Unterteilung der KI-Theorien wird nachfolgend auf den noch zu erlautemden Schich- 
ten- bzw. Stufenbau der Wirklichkeit und damit des Menschen zuriickgegriffen (vgl. Kapitel 
4.4.1 und 4.5). Die unterste Stufe bildet demnach das materielle und das heiBt vor allem das 
quantisierbare Sein, welches einzelwissenschaftlich betrachtet in erster Linie Gegenstand der 
Physik ist. Darauf aufbauend ist die Stufe des Lebendigen, welche unter den Einzelwissen- 
schaften vomehmlich von der Biologic behandelt wird. Dariiber schlieBlich liegt die Stufe des 
Geistigen. Insofem das Sein und in diesem Fall das Geistige als solches betrachtet wird, ist dies 
Aufgabe der Universalwissenschaft Philosophie. Einzelne geistige Qualitaten werden von ver- 
schiedenen Einzelgeisteswissenschaften behandelt; die allgemeinen, abstrakten, immateriellen, 
aber quantisierbaren Zusammenhange hingegen sind Aufgabe der Mathematik. Fur die KI- 
Theorien bietet sich also zunachst folgende Unterteilung an: physikalische, biologische und gei- 



^^^ Dabei wird sich zeigen, daB diese sich groBtenteils mit den historisch gewachsenen Einteilungen der KI- 
Forschung decken. 



44 Gmndauf f as sungen 



stige Theorien. Nun fiel es der Informatik zu, die von der Mathematik gelieferten abstrakten 
Theorien der Logik, Zahlen, Algorithmen und dergleichen in eine Maschine umzusetzen und 
anhand dieser das Problem der Intelligenz zu untersuchen. Es ist also die Informatik, die die ab- 
strakten, d.h. hier insbesondere die von der physikalischen oder biologischen Ebene getrennten 
KI-Theorien vertritt. 

In bezug auf die Informatik gilt es, ein sinnvoUes Unterteilungskriterium fur deren Theorien der 
KI zu finden. Dazu bewahrt sich die Unterteilung in deduktives und induktives Vorgehen. Man 
unterscheidet deshalb innerhalb der KI zwischen „von-oben-nach-unten"- (top-down) und 
„von-unten-nach-oben"- (bottom-up) Ansatzen/^^ Die ersteren versuchen, intelligentes Verhal- 
ten durch „deduktive" Ableitungen aus ersten und allgemeinen Prinzipien zu erklaren und ggf . 
zu modellieren. Dazu werden Algorithmen entwickelt und implementiert, deren SchluBfolge- 
rungen (Inferenzen) zu intelligenten Aussagen bzw. Handlungen fuhren soUen. Dies ist der 
klassische, symbolistische Ansatz der KI. Die bottom-up-Ansatze hingegen gehen vom Einfa- 
chen und Speziellen aus, um daraus mehr oder weniger „induktiv" zum intelligenten Verhalten 
aufzusteigen. Hierfur soil der Computer sich schrittweise weiterentwickeln, indem er etwa von 
seiner Umgebung lemt. Obwohl sich dies grundsatzlich auch symbolistisch realisieren laBt (et- 
wa durch evolutionare bzw. genetische Algorithmen), gehoren in diese Klasse hauptsachlich die 
konnektionistischen Ansatze, bei denen die Intelligenz sozusagen emergiert. Beide Ansatze so- 
wie die Frage ihres gegenseitigen Verhaltnisses werden in den folgenden Kapiteln ausfuhrlich 
zu erortem sein. 

Eine allgemeinere und sehr bekannte Einteilung der KI-Theorien der Informatik stammt von 
dem amerikanischen Philosophen John R. Searle. Dieser unterscheidet „starke" und „schwache 
bzw. vorsichtige" KI.^^^ Schwache KI bedeutet demnach die Auffassung, daB kiinstliche Sy- 
steme, insbesondere Computer, bei der Erforschung des menschlichen Geistes bzw. der 
menschlichen Intelligenz ein hilfreiches Werkzeug sind. Mit ihnen lassen sich verschiedenste 
Hypothesen formulieren und in Grenzen uberpriifen. Trotz der auBeren Ahnlichkeit der Opera- 
tionsergebnisse bei der Simulation der geistigen Aktivitaten bleibt jedoch stets ein grundsatzli- 
cher, uniiberbriickbarer Unterschied zwischen naturlicher und simulierter bzw. allgemeiner ge- 
sprochen kiinstlicher Intelligenz.^ ^^ Entscheidend ist, daB weder dem programmierten Compu- 
ter im wahren Sinne geistige Eigenschaften oder Zustande zugesprochen werden konnen, noch 
daB das Gehim in irgendeiner Weise ein Computer ist. Dementsprechend konnen Programme 
auch nicht den menschlichen Geist hinreichend erklaren. 



^^^ Zu der empiristisch verkiirzten Auffassung vieler Naturwissenschaftler von Induktion und Deduktion wird Ka- 

pitel 4.2.2 kritisch Stellung nehmen. 
'^^ Vgl. Searle in: Boden 1990, 67 ff. und Schafer 104 ff. 
^^^ Dieser Unterschied geht auf den Wesensunterschied zwischen Geist und Materie zuriick. Zur ausfuhrlichen Be- 

griindung des Unterschiedes zwischen quantifizierbaren, materiellen Substanzen und unteilbaren Substanzen 

wie der geistigen Seele siehe Kapitel 4.3.2 und 4.5.3. 



Gmndauf f as sungen 45 



Im Gegensatz dazu halt der Ansatz der starken KI es fiir ausgemacht, daB kiinstliche Systeme, 
insbesondere Computer, nicht nur zu intelligenzahnlichen Leistungen gebracht werden konnen, 
sondem buchstablich und in dem selben Sinne wie Menschen intelligent sein und denken kon- 
nen. Es ist demnach also moglich, daB Computer - um es mit der Terminologie Searles zu sa- 
gen - mentale^^^ Zustande und Fahigkeiten haben. Dies liegt daran, daB auch der Mensch und 
insbesondere sein Gehim nur eine von mehreren moglichen Computerarten sowie Intelligenz 
eine hardwareunabhangige Softwareeigenschaft sein soil. 

Die Einteilung in starke und schwache KI greift Roger Penrose auf und macht zugleich auf ei- 
nen weiteren wichtigen Punkt aufmerksam, namlich die Frage nach der Berechenbarkeit. Pen- 
rose nennt vier Standpunkte bzw. Grundauffassungen, die bezuglich der KI moglich sind: 

„A. AUes Denken ist Berechnung; insbesondere wird der Eindruck, etwas bewuBt wahrzuneh- 
men, schon durch die Ausfuhrung geeigneter Berechnungen geweckt. 

B. BewuBtsein ist eine Eigenschaft physikalischer Vorgange im Gehirn. Zwar laBt sich jeder 
tatsachliche ProzeB rechnerisch simulieren, aber eine Computersimulation allein schafft kein 
BewuBtsein. 

C. Es gibt im Gehim physikalische Prozesse, die zu BewuBtsein fuhren, aber sie lassen sich 
rechnerisch nicht angemessen simulieren. Die Simulierung dieser physikalischen Vorgange 
erfordert eine neue Physik. 

D. BewuBtsein laBt sich uberhaupt nicht wissenschaftlich erklaren, weder in der Sprache der 
Physik noch in der Sprache der Computer."^ ^ ^ 

Bevor in den nachsten Kapiteln auf die verschiedenen Grundauffassungen im einzelnen einge- 
gangen werden wird, seien hier schon einige Bemerkungen vorweggenommen. Zunachst fallt 
auf, daB die Begriffe Denken und BewuBtsein - insbesondere an dieser Stelle^ ^ ^ - nicht genii- 
gend auseinander gehalten werden. Dies zeigt die Notwendigkeit einer genauen und an die Ur- 
spriinge zuriickreichenden philosophischen Auseinandersetzung mit der Thematik. Der Stand- 
punkt A ist offensichtlich derjenige der starken, der Standpunkt B derjenige der schwachen KI. 
Aus der Tatsache, daB Computersimulation das BewuBtsein nicht hinreichend erklaren kann, 
leitet Searle seine biologistische Theorie ab, aus dem Standpunkt C entwickelt Penrose seine 
physikalistische Theorie. Interessant ist aber auch, daB der mit D bezeichnete Standpunkt, der 
eine wissenschaftliche - gemeint ist naturwissenschaftliche! - Erklarung fiir unzureichend halt, 
von Penrose als Mystik abgetan wird. Dies verweist auf einen wichtigen Aspekt, der sich durch 



^^° Der Begriff „geistig" wird heutzutage bezeichnenderweise sehr selten verwendet. Wer geistige Substanzen und 
dergleichen fiir iiberholt halt, verwendet meist den Begriff „mental" (obwohl dies auch nur die lateinische Ver- 
sion von „geistig" ist). 

^^^ Penrose 1995, 14 f. Wie Penrose angibt, findet sich eine solche Einteilung u.a. bereits bei Johnson-Laird, P.: 
Mental Models, Cambridge 1987. Vgl. zu dieser Aufteilung ebenfalls Penrose 1997, 100 ff. 

^^^ Penrose geht zwar spater (1995, 46 ff.) auf Begriffe wie Verstehen, BewuBtsein und Intelligenz ein, halt aber 
exakte Definitionen fiir nicht moglich oder zumindest fiir nicht notig. Auch laut Searle (1992, 83) gibt es an- 
geblich keine Definition von BewuBtsein. 



46 Gmndauf f as sungen 



die gesamte vorliegende Arbeit ziehen wird, namlich die Unterscheidung in naturwissenschaftli- 
che und geisteswissenschaftliche Zusammenhange und Erklamngen. 



Folgende Einteilung der KI-Theorien scheint also fiir eine Darstellung und Kritisierung die ge- 
eignetste zu sein: Erstens die symbolistische Theorie, also die klassische Sicht der Informatik, 
welche die (insbesondere deduktive) Symbolverarbeitung mittels Algorithmen fiir das Wesen 
der Intelligenz halt. Zweitens die aus Informatik und Neurobiologie stammende Auffassung des 
Konnektionismus, der in einer geeigneten, stark parallelen, flexiblen und in der Regel dynami- 
schen Vemetzung einfacher (Schalt-)Einheiten das Wesen der Intelligenz sieht. Fiir beide An- 
satze gilt, daB die zugrundeliegende „Hardware" im Prinzip irrelevant ist. Intelligenz kann dem- 
entsprechend auf jeder geniigend komplexen Hardware implementiert werden, da es aus- 
schlieBlich auf die funktionalen Zusammenhange ankommt. Drittens die biologistische Theorie, 
welche die besondere biologische Konstitution des Menschen und speziell die des Gehims als 
fiir die Intelligenz verantwortlich halt. Und schlieBlich viertens die physikalistische, genauer 
quantenphysikalische Theorie, welche versucht, die Intelligenz durch quantenmechanische Vor- 
gange zu erklaren. Das intelligente Verhalten des Gehims soil demnach auf Superposition und 
Reduktion quantenmechanischer Zustande zuriickzufiihren sein. 

An dieser Stelle ist kurz auf den Begriff des Systems einzugehen. Ein Objekt, das aus gleichar- 
tigen Teilen besteht, die auBerlich mechanisch miteinander verbunden sind, heiBt Aggregat. Ein 
System dagegen ist ein Objekt, in dem die (heterogenen) Elemente innerlich miteinander ver- 
bunden sind. Es ist ein geordnetes Ganzes, ein Zusammenschluss von Teilen zu einer wohlge- 
gliederten Einheit bzw. Ganzheit. Man unterscheidet natiirliche und kiinstliche Systeme. 

Im Gegensatz zu natiirlichen Systemen gehen kiinstliche Systeme auf das Schaffen des Men- 
schen zuriick. Der Mensch kann (durch ihre Form geordnete) Dinge so zu einem neuen Ganzen 
zusammenfiigen, daB sie in ihrem Zusammenwirken dem von ihm vorgegebenen Ziel folgen. 
Das Ordnungsprinzip eines kiinstlichen Systems geht also auf die intelligente Planung des Men- 
schen zuriick. Natiirliche Systeme verdanken ihr Ordnungsprinzip der Planung bzw. dem Wir- 
ken Gottes. Das Ordnungsprinzip der natiirlichen, organischen Systeme, d.h. der Lebewesen 
ist im Gegensatz zu dem kiinstlicher Systeme eine substantielle GroBe. Es ist die Seele. Zur 
Notwendigkeit dieses immateriellen Ordnungsprinzipes als einheits- und zielstiftendem Teil von 
Lebewesen siehe Kapitel 4.4, 4.5.3 und 4.5.8. Die natiirlichen, organischen Systeme und hier 
insbesondere die Tiere stellen fiir die kiinstlichen bzw. technischen Systeme der KI-Forschung 
im allgemeinen das Vorbild dar. Weil die technischen Systeme jedoch nur durch das menschlich 
geordnete Zusammenwirken von „Formen" (siehe Kapitel 4.3.2) und nicht durch eine Seele 
geleitet werden, unterscheiden sie sich grundsatzlich von organischen Systemen, wie die vor- 
liegende Arbeit im weiteren Verlauf noch deutlicher zeigen wird. 

Im folgenden werden die genannten vier Hauptauffassungen von natiirlicher und insbesondere 
kiinstlicher Intelligenz in ihrem Wesen dargestellt. Hierbei wird auch auf die Entstehungsge- 



Gmndauf f as sungen 47 



schichte der jeweiligen Theorie und ihren Zusammenhang mit den konkurrierenden Systemen 
eingegangen. Insbesondere auf die Ausfuhrungen zur Symbolverarbeitungstheorie wird dabei 
ofter zuriickgegriffen werden. Da es sich um profilierte „Reinformen" handelt, darf es nicht 
verwundem, daB diese in der Literatur auch in vermischter, abgemilderter oder verdeckter Form 
vertreten werden. 

Die bei der Darstellung zu klarenden Fragen lauten vor allem: Was sind und woher kommen 
Intelligenz, Geist, Denken, Wille, Gefiihl, SelbstbewuBtsein und die damit zusammenhangen- 
den einschlagigen Begriffe? Besonders interessant sind die Fragen: Was sind und wie funktio- 
nieren die intelligenten Leistungen bzw. Handlungen des Menschen? Wie konnte und kann die 
naturliche Intelligenz des Menschen entstehen und was bedeutet dies fiir den Versuch der 
kiinstlichen Reproduktion? 

Aus den Schwierigkeiten und Widerspriichen der verschiedenen Theorien wird sich die Not- 
wendigkeit einer tiefgreifenderen Reflexion auf die erkenntnistheoretischen, metaphysischen 
und anthropologischen Grundlagen der Einschatzung von Mensch und KI erweisen. Hierbei 
ergeben sich vielfaltige Moglichkeiten, die Widerspriiche rein naturwissenschaftlicher Auffas- 
sungen von eigentlich philosophischen Fragestellungen wie denen nach dem Menschen und der 
KI zu kritisieren und zu korrigieren. Im Rahmen der fundamentalphilosophischen Auseinander- 
setzungen werden dann Grundzuge einer KI-Theorie aus der Sicht des gemaBigten und kriti- 
schen Realismus deutlich werden. 



48 Symbolismus 



3.1 Symbolismus 



3.1.1 Grundzuge 

Bevor die Symbolverarbeitungstheorie, die auch Symbolismus genannt wird, im Detail darge- 
legt wird, soUen zunachst ihre Grundzuge beschrieben werden. Erst danach gilt es, die Stellung 
der symbolistischen Theorie bezuglich Intelligenz, Geist, Denken, Erkenntnis, Wille, BewuBt- 
sein, SelbstbewuBtsein, Gefuhl und Leben zu untersuchen. Das Folgende bezieht sich vor allem 
auf die „starke"^^^ Version der Symbolverarbeitungstheorie (die besonders die Bezeichnung 
Symbolismus verdient), da sie die umstrittenen Eigenschaften bzw. Fahigkeiten wie Intelligenz, 
BewuBtsein etc. nicht nur simulieren, sondem in ihrem Wesen erklaren und so Konkurrenz, 
wenn nicht Ersatz, fur die Philosophic sein will. 

Die symbolistische Theorie gilt der Informatik als der klassische Ansatz bzw. das klassische 
Modell zur Erklarung der Intelligenz. Sie hat cine schr lange Tradition und ist dementsprechend 
die am weitesten ausgearbeitete Theorie mit der meisten Literatur. Sie wurde von John Hauge- 
land „GOFAr' genannt,^ ^^ d.h. ausgeschrieben Good Old Fashioned AI, also gute altmodische 
KI, was jedoch nicht bedeutet, daB sie nicht auch heute noch vorherrschend ist,^ ^ ^ wie sich 
spater noch zeigen wird. 

Die symbolistische Theorie sieht die Informationsverarbeitung als das Wesen der Intelligenz 
und der damit zusammenhangenden Begriffe. Genauer betrachtet ist es die symbolische Infor- 
mationsverarbeitung Oder mit anderen Worten Symbolverarbeitung, die samtliche intelligenten 
Vorgange, Prozesse und Handlungen erklaren soU.^^^ „Symbols lie at the root of intelligent ac- 
tion"^ ^^ heiBt es dementsprechend bei Allen Newell und Herbert Simon, den Computerpionie- 
ren und wohl bekanntesten Vertretem des symbolistischen Ansatzes. Unter der „Verarbeitung" 
der Informationen verstehen die Symbolisten die eindeutige Manipulation bzw. Umformung der 
vorgegebenen Symbole (Zeichen eines streng definierten Alphabets) in andere entsprechend ei- 
ner gegebenen Vorschrift (Algorithmus).^^^ Zu Algorithmen wird spater noch Wesentliches zu 
sagen sein. 



^^^ Vgl. zur starken und schwachen KI das weiter oben Gesagte. 

^^^ Vgl. Haugeland 96 f. Das Bestreben, die Intelligenz mit Hilfe objektiver Experimente, insbesondere innerhalb 

der Psychologie, durch Computermodelle bzw. Symbolmanipulation zu erklaren, wird teilweise auch „Kogni- 

tivismus" genannt. Vgl. Haugeland 219 f. und Searle 1992, 202 ff. 
^^^ Vgl. Foerst 54 f. 
^^^ Der wichtige Begriff des Symbols wird von den Naturwissenschaften i.d.R. einseitig und verengt aufgefaBt. 

Symbole beschranken sich in Wirklichkeit nicht auf Quantifizierbares; sie miissen im Zusammenhang mit 

nicht- sinnlichen, insbesondere geistigen GroBen verstanden werden. 
^" Newell/Simon in: Boden 1990, 107. 
^'^ Vgl. Helm 20 ff. 



Symbolismus 49 



Ein entscheidender Schritt zur Bildung der Symbolverarbeitungstheorie ist die Annahme, daB 
jedes intelligente Verhalten sich in einem physikalischen System manifestiert. Symbolverar- 
beitungssysteme sind dementsprechend immer „physical symbol systems". Damit ist gemeint, 
daB das gesamte System^ ^^ eindeutig und ausschlieBlich den Gesetzen der Physik gehorcht. 

Aus dem Gesagten wird schlieBlich die „Physikalische Symbol System Hypothese" formuliert: 
,A physical-symbol system has the necessary and sufficient means for general intelligent ac- 
tion."^ ^^ Physikalische Symbolmanipulation wird also als die notwendige und hinreichende Be- 
dingung fur Intelligenz - und damit in der Regel auch fur „Geistigkeit" und alle damit zusam- 
menhangenden, einschlagigen Begriffe - betrachtet.^ ^ ^ 

Eine der wesentlichsten Folgen, die sich bereits an dieser Stelle aus der Symbolverarbeitungs- 
theorie ergeben, ist die Eliminierung des Unterschiedes zwischen menschlicher und maschinel- 
ler, d.h. kiinstlicher Intelligenz. Da Menschen und Computer physikalische, symbolverarbei- 
tende Systeme sind,^ ^ ^ gibt es angeblich nur noch graduelle und nicht mehr wesentliche Unter- 
schiede zwischen beiden. Dies gilt nicht nur fur die Frage nach der Intelligenz. Wenn man die 
Natur des Menschen als intelligentes (Lebe-)Wesen auffaBt und der Maschine im wesentlichen 
auch eine solche Intelligenz zuspricht, wird sich letztlich der grundsatzliche Unterschied zwi- 
schen Mensch und Computer gar nicht mehr halten lassen, wie im folgenden noch deutlicher 
werden wird. 



^^^ Alle vier Ansatze (Kapitel 3.1-3.4) gehen vom Begriff des Systems aus. Die (insbesondere auf Wiener und 
Bertalanffy zuriickgehende) Systemtheorie beschaftigt sich mit der Erforschung der in der Regel dynamischen 
Beziehungen zwischen den Elementen eines Systems, zwischen Elementen und Gesamtsystem sowie zwi- 
schen Strukturen und Funktionen der Elemente u.a. Zur Systemtheorie und ihrem Verhaltnis zur Informatik 
siehe Pronay in: Schauer/Tauber. Kritisch gegen den Funktionalismus argumentiert Hennen, insbesondere 
220 ff . 

^^^ Newell/Simon in: Boden 1990, 111. Vgl. auch Simon 20. 

^^^ Siehe zur Physikalischen Symbol System Hypothese (PSSH) auch Leidlmair 188 ff. und McCorduck in: 
Graubard 73 ff. 

^^^ Vgl. Newell/Simon in: Boden 1990, 117 ff. 



50 Symbolismus 



3.1.2 Symbolistische Informationsverarbeitung 

Dieses Kapitel geht ausfuhrlicher auf die symbolistische bzw. symbolische Informationsverar- 
beitung ein. Dazu werden die technischen Hintergriinde erlautert und vor allem die zugrundelie- 
genden philosophischen Pramissen, Prinzipien und Folgen aufgedeckt. Vieles von dem iiber In- 
formationsverarbeitung Gesagten laBt sich auch auf die in Kapitel 3.2 zu besprechende konnek- 
tionistische Theorie ubertragen und wird deshalb dort nicht mehr so ausfuhrlich besprochen. 

Wie kam es nun zur Bildung der Symbolverarbeitungstheorie und welche technischen und phi- 
losophischen Griinde werden fur sie angefuhrt? Wie bereits gesagt, kann die symbolische 
Theorie auf eine besonders lange Tradition zuriickblicken. Das bedeutet in diesem Fall nicht 
nur, daB die symbolische Theorie die Entstehung der Computer in den vierziger Jahren des 
zwanzigsten Jahrhunderts begleitete, sondem daB GroBteile der abendlandischen Philosophie- 
geschichte als ihre geistigen Vater angesehen werden. Laut Haugeland beispielsweise ist der 
abendlandischen Tradition zufolge Denken angeblich die rationale Manipulation geistiger Sym- 
bole und diese nichts anderes als die Ideen.^^^ 

Was ist es also, das die Theorie der symbolischen Informationsverarbeitung ausmacht? Es fallt 
auf, daB die Frage nach dem Wesen der Intelligenz und den intelligenten Fahigkeiten des Men- 
schen verkiirzt und folgendermaBen umformuliert wird: Wie funktioniert die intelligente Infor- 
mationsverarbeitung des Menschen?^ ^ ^ So heiBt es etwa bei David Marr zur Frage nach der In- 
telligenz und der Disziplin der Kunstlichen Intelligenz: „Artificial Intelligence is the study of 
complex information-processing problems [...]"^^^ Die menschliche Fahigkeit, mit Informatio- 
nen umzugehen, wird also als das Wesen der Intelligenz gesehen. Dabei wird (beinahe) alles 
andere, wie etwa die Fahigkeit zur individuellen und freien Entscheidung sowie die Beziehung 
zu Dingen oder Personen, um nur einige zu nennen, darauf zuriickgefuhrt oder ausgeklammert. 

Informationsverarbeitung allein kann sicher die Intelligenz nicht erklaren, will man nicht in die 
Verlegenheit kommen, mehr oder weniger alle Lebewesen und sonstige komplexe Systeme fur 
intelligent zu halten. Auch die Menge der verarbeiteten Informationen bzw. der Grad der Kom- 
plexitat kann nur graduelle Unterschiede aber nicht den wesensmaBigen Unterschied zwischen 
Intelligentem und Unintelligentem erklaren. Als Voraussetzung fur die Intelligenz wird deshalb 
meist die universale Symbolmanipulationsmoglichkeit genannt, d.h. es miissen nicht nur spezi- 
elle Symbole umgeformt werden, sondem prinzipiell alle (vergleiche die Ausfuhrungen zur uni- 
versellen Turingmaschine gegen Ende dieses Kapitels). 



^^^ Vgl. Haugeland 3 f. Zur Philosophiegeschichte bezuglich dieser Fragen siehe z.B. McCorduck (1987) sowie 
Hirschberger, der im Gegensatz zu McCorduck eine realistische Philosophiegeschichte liefert. Das Informati- 
onsverarbeitung smodell stammt laut Dreyfus von E. Husserl. Gegen diese verkiirzte Fehlauf fas sung des Den- 
ken siehe Kapitel 4.5.4. 

^^^ Siehe dazu auch Metzinger in: Kramer 42. Der Begriff Information wird von Seiten der Naturwissenschaften 
im allgemeinen und der Symbolisten im besonderen i.d.R. materialistisch interpretiert und seines wesentli- 
chen Bezuges zum Geistigen und Intelligiblen beraubt. Das „Form" in In/c>rmation weist dagegen bereits auf 
das die Materie in/brmierende, von ihr verschiedene Prinzip hin. Siehe dazu Kapitel 4.3.2 und 4.5.4. 



Symbolismus 51 



Die in den obigen Ausfuhrungen unterstellte Pramisse, Intelligenz bestehe in einer komplexen, 
universellen Informationsverarbeitung, ist meist verbunden mit einer unzureichend reflektierten 
Auffassung vom Wesen der Information und dem Zusammenhang zwischen Syntax und Se- 
mantik. Doch dazu wird an spaterer Stelle mehr zu sagen sein/^^ Zunachst besteht die Frage, 
weshalb sich die Informationsverarbeitungstheorie des Geistes (im Englischen heiBt sie „com- 
putational theory of mind", was den Schwerpunkt der Berechnung noch starker hervorhebt) so 
stark durchsetzen konnte. Dies liegt vor allem an drei Griinden. Erstens scheint es keine Alter- 
native zu geben, denn Menschen konnen nun einmal in den verschiedensten Situationen intelli- 
gent handeln und nutzen die ihnen zur Verfugung stehenden Informationen. Ware es nicht diese 
Informationsverarbeitung, die fur die Intelligenz verantwortlich ist, so wird argumentiert, blie- 
ben nur Gluck bzw. Zufall oder Magie.^ ^^ Zweitens will man an der in den Naturwissenschaf- 
ten verbreiteten Pramisse festhalten, daB die gesamte Wirklichkeit physikalisch beschreibbar 
und kausal abgeschlossen ist.^^^ Die geistigen Phanomene, Zustande und Fahigkeiten soUen 
letzten Endes mit naturwissenschaftlichen, empirisch erfaBbaren GroBen wie Informationsge- 
halten^ ^ ^ , Datenraten, Speicherkapazitaten und dergleichen beschrieben werden konnen. Drit- 
tens waren und sind es die praktischen Erfolge, die durch Computersysteme erreicht wurden, 
welche entsprechend der Informationsverarbeitungstheorie die geistigen Fahigkeiten des Men- 
schen zu erreichen suchen (vgl. Kapitel 2). 

Nur am Rande sei erwahnt, daB Newell und Simon aus psychologischen Tests folgem, der 
Mensch sei ein „seriell organisiertes Informationsverarbeitungs-System"^ ^ V Dagegen spricht 
jedoch zunachst die Parallelitat der Neuronenaktivitaten, wozu im Rahmen des Konnektionis- 
mus (Kapitel 3.2) weiteres zu sagen sein wird. 



Aus der Sicht der KI lassen sich zwei Haupttypen der Informationsverarbeitung unterscheiden: 
symbolverarbeitende und konnektionistische, wobei letztere in Kapitel 3.2 behandelt wird. 
Welche Bedeutung kommt nun also innerhalb der Informationsverarbeitung den Symbolen 
bzw. der Symbolverarbeitung zu? Nach Haugeland gehen alle GOFAI-Theorien von folgenden 
zwei Pramissen aus: 



185 

186 
187 



Marr in: Boden 1990, 133. 

Dabei wird z.B. auch auf die Argumente des Philosopher! John Searle eingegangen. 
Vgl. Dennett in: Boden 1990, 156. 

Vgl. Helm 5 ff. und Eccles 110 f., wobei Eccles in seinem Buch eindeutig gegen eine physikalisch abge- 
schlossene Welt argumentiert. 

Mit der Erforschung der Entstehung, tJbertragung, MeBbarkeit, Selektierung und Weiterverarbeitung von In- 
formation beschaftigt sich die, vor allem auf Shannon und Wiener zuriickgehende, Informationstheorie. Zur 
Shannonschen Informationstheorie und zur Kritik an der tJberbewertung der Quantifizierbarkeit bzw. MeB- 
barkeit von Information siehe Roszak, Adami 59 ff., Gitt 1994 und Born, Rainer in: Schauer/Tauber. 
Vgl. Simon 71, 119 und Newell/Simon in: Boden 1990, 120. Siehe auch Hinton et al. in: Boden 1990, 248 
ff., besonders 276 ff. sowie Churchland in: Boden 1990, 334 ff. 



52 Symbolismus 



„l.unsere Fahigkeit, uns mit Dingen intelligent auseinanderzusetzen, bemht auf unserem Ver- 
mogen, vemunftgemaB iiber sie nachzudenken (wozu auch unbewuBtes Denken gehort); 
und 

2. unser Vermogen, vemunftgemaB iiber Dinge nachzudenken, ist gleichbedeutend mit der Fa- 
higkeit zur inneren ,automatischen' Symbolmanipulation."^^^ 

Interessant ist hierbei besonders die zweite Pramisse, da hier das Denken direkt auf die innere 
Bearbeitung von Symbolen (und nicht etwa die platonischen Ideen, die Wahrheit oder anderes) 
bezogen, ja mit ihr gleichgesetzt wird. 

Weshalb soil die Informationsverarbeitung (des Menschen) also iiber Symbole laufen? Die 
Antwort lautet: „Information ist etwas abstraktes. Bei der Informationsaufnahme wird nicht et- 
was in der Weise in den Korper aufgenommen wie ein Stiick Brot, vielmehr miissen durch die 
Sinnesorgane innere Zustande [...] in einer Form gebildet werden, die es dem Organismus er- 
lauben, Riickschliisse auf seine Umwelt zu ziehen."^^^ Diese inneren „Reprasentationen"^ ^ ^ 
sind laut der hier besprochenen Grundauffassung die Symbole. Newell und Simon definieren 
Symbole als „physical patterns that can occur as components of another type of entity called ex- 
pression (or symbol structure)."^ ^^ Ein Informationsverarbeitungssystem verfiigt nun einerseits 
iiber eine festgelegte Anzahl dieser Symbole und andererseits iiber eine Anzahl von Prozessen 
(auch Regeln genannt), welche Symbole erzeugen, modifizieren und zerstoren konnen. Die 
Symbole bzw. die Symbolstrukturen konnen (reale) Objekte bezeichnen, und zwar derart, daB 
das System bei gegebenen Symbolen das Objekt beeinflussen oder von ihm beeinfluBt werden 
kann. Die „Interpretation" der Symbolstrukturen bedeutet dementsprechend, daB das System bei 
Vorgabe der Symbolstruktur die entsprechenden Prozesse auszufiihren imstande ist. Symbol- 
strukturen konnen von inneren Zustanden des Systems (d.h. anderen Symbolstrukturen) oder 
von auBeren Zustanden (d.h. den Zustanden auBerer Objekte) verandert werden oder diese ver- 
andern. 

Neben dem spater zu behandelnden Problem des Funktionalismus^ ^ ^ stoBt dieser Ansatz auf ein 
fur den weiteren Verlauf der Arbeit entscheidendes Problem, das bereits hier angerissen werden 
soil: „Jede Maschine, die eine symbolische Informationsverarbeitung ausfiihrt, benotigt zwei 
Arten von Symbolen: Symbole, die Daten reprasentieren, und Symbole, die Regeln reprasentie- 



^^^ Haugeland 97. Gegen die verkiirzte Auffassung des Symbolbegriffs siehe die entsprechende Anmerkung in 

Kapitel 3.1.1. 
^^^ Helm 16. 
^^^ Es handelt sich philosophisch betrachtet nicht um eine Reprasentation im vollen Sinne, da hierfur eine (re- 

flektierte) tJbereinstimmung eines von einem Geist geformten Begriffs bzw. Urteils mit einer Sache oder ei- 

nem Sachverhalt notig ist. 
^^^ Newell/Simon in: Boden 1990, 109. Vgl. fur das folgende auch Newell/Simon in: Boden 1990, 109 ff. 
^^^ Siehe gegen den Funktionalismus vor allem Kapitel 4.5.3. 



Symbolismus 53 



ren"^^^. Wie werden aber dann die Symbole fur die Regeln „verstanden"? Will man hier nicht in 
einen unendlichen RegreB immer wieder neu auftretender symbolischer Informationssysteme 
geraten, so muB man zugeben, daB letztlich eine nicht-symbolische „Verarbeitung" zugrunde 
liegt. Dann stellt sich jedoch „die Frage, zu welchem Zweck man uberhaupt ein inneres sym- 
bolverarbeitendes System angenommen hat, wenn das Kernstuck jeder symbolischen Informa- 
tionsverarbeitung doch eine nicht-syntaktische, nicht symbolische Informationsverarbeitung 
ist."^^^ 

Sowohl Gedanken des Menschen bzw. dessen „geistige Zustande", um in der Sprache der KI 
zu reden, als auch innere Zustande eines Computers werden inhaltlich charakterisiert, d.h. sie 
beziehen sich jeweils auf Sachen oder Sachverhalte.^^^ Indem beide als Symbole bezeichnet 
werden, lassen sich sowohl der Mensch als auch der Computer als symbolverarbeitendes Sy- 
stem beschreiben.^ ^ ^ 

Aus der Kognitionswissenschaft, insbesondere der Neurobiologie, kommt die Lehre, daB es 
beim Menschen ausschlieBlich das Gehim ist, welches die komplexe Informationsverarbeitung 
leistet.^^^ Von ihm wird Information (Input) aufgenommen, gespeichert, manipuliert, wieder 
abgerufen und in beobachtbares Verhalten (Output) umgesetzt. Das symbolische Informations- 
verarbeitungssystem ist also letztlich ein rein physikalisches und wird definiert als ein System, 
das „in seiner Bewegung durch die Zeit eine evolvierende KoUektion von Symbolstrukturen er- 
zeugt"^^^ Diese Symbolstrukturen dienen (vomehmlich) als innere Reprasentation der auBeren 
Umgebung, an die sich das System anzupassen sucht.^^^ Das Informationssystem heiBt physi- 
kalisch, well es in jeder Beziehung den physikalischen Gesetzen gehorcht, und zwar nur ihnen. 
Deshalb handelt es sich dabei um ein so allgemeines Konzept, das nicht nur auf den Menschen, 
sondem auf das gesamte (und das soil demnach gleichbedeutend sein mit: physikalische) Sein 
angewandt werden kann. Bei Simon heiBt es in diesem Zusammenhang recht drastisch: „Ich 
nenne Symbolsysteme ,physikalisch', um den Leser daran zu erinnem, daB es sich um Dinge 



^^^ Helm 58. Die Regeln, denen das System folgt, miissen tatsachlich kausal wirken und ihre Reprasentation im 
System selbst haben. Anderenfalls waren sie nur auBerlich vom Beobachter „hineingedacht" und konnten das 
Verhalten nicht wirklich erklaren. Vgl. dazu Helm 60 f. 

^^^ Helm 61. Damit zusammenhangende Probleme lauten: Wie kommt die Reprasentation zu ihrem Inhalt? Kann 
ein formales System aus der Syntax auf die Semantik schlieBen? Wie konnen Symbole intelligent verarbeitet 
werden, ohne daB dazu ein Homunkulus vorausgesetzt wird? Ist es uberhaupt moglich, symbolische Reprasen- 
tation rein materiell zu erklaren? Siehe dazu auch Haugeland 21 ff., 33 ff. und 101 ff. 

'^^ Vgl. Helm 12. 

^^^ Siehe dazu auch Haugeland 26 f. 

^^^ Vgl. Helm 14. 

^^^ Simon 20. Vgl. auch Newell/Simon in: Boden 1990, 109. 

^^^ Problematisch ist dabei u.a., daB Symbole im eigentliche Sinne i.d.R. etwas Abstraktes, Nichtsinnliches be- 
zeichnen, so wie etwa der Ehering die Treue symbolisiert. Dies wird durch den physikalistischen Zugang von 
vornherein ausgeschlossen. Vgl. zu Symbolen und Zeichen Vries in Brugger 390 f. und Santeler/Brugger in: 
Brugger 478 f. 



54 Symbolismus 



aus der realen Welt handelt, hergestellt aus Glas und Metall (Computer) oder aus Fleisch und 
Blut (Gehime)."''' 

Damit steht also fest, daB Menschen und Computer informationsverarbeitende Systeme (engl. 
Information Processing Systems) sind, oder um es mit den Worten Herbert Simons zu sagen: 
beide sind Mitglieder der Familie der symbolischen Informationsverarbeitungssysteme.^^^ Das 
bedeutet, daB sich Mensch und Computer zwar bezuglich ihres physikalischen „Aufbaus" un- 
terscheiden, in dem jedoch, was sie wesentlich ausmacht, namlich der Fahigkeit zur universel- 
len symbolischen Informationsverarbeitung, entsprechen sie sich. Bevor dies in den folgenden 
Kapiteln anhand der Fragen nach Intelligenz, Wille, Gefuhl etc. naher erlautert wird, gilt es 
noch eine Reihe entscheidender Begriffe und Konzepte aus der Informatik zu beleuchten. Diese 
sind die wesentlichen Grundlagen fur die oben genannten Grundziige des Symbolismus und ih- 
rer Umsetzung in die konkreten Forschungen und Systementwicklungen der Kunstlichen Intel- 
ligenz. 

Finer der wichtigsten Begriffe fur die symbolistische Informationsverarbeitung ist der des Algo- 
rithmus. Unter einem Algorithmus versteht die KI zunachst allgemein eine Handlungsanwei- 
sung, die fur eine endliche Menge von Situationen jeweils eindeutig festlegt, was in dieser Si- 
tuation als nachstes zu tun ist.^ ^ ^ Fur den Bereich der Mathematik und Informatik versteht man 
unter Algorithmus - oder einem effektiven Verfahren, wie man auch sagen kann - eine endliche 
Vorschrift, die eindeutig angibt, wie eine endliche Menge von Zeichen umgeformt werden soil. 
Die Menge der Zeichen, auf die der Algorithmus anwendbar ist, wird dabei Alphabet genannt. 
Die durch den Algorithmus erzeugbaren, gultigen Zeichenkombinationen werden Satze genannt. 
Meist handelt es sich bei den Zeichen um Zahlen (in der Informatik sind dies i.d.R. die binaren 
Ziffem und 1) und bei den Umformungen um Rechnungen. Von einem Algorithmus spricht 
man also, wenn ein eindeutiges Rechenverfahren aus einem vorgegebenen Anfangszustand 
(Problem) durch eindeutige Umformungen bzw. Rechnungen einen Endzustand (Losung) her- 
stellen kann. Entscheidend ist, daB dies fur einen Algorithmus nach endlich vielen Schritten ge- 
schehen muB. Ein System aus gultigen Anfangszustanden (Axiomen) und eindeutigen Umfor- 
mungsregeln zur Erzeugung von Satzen wird formales System genannt.^ ^^ 

Die Frage bestand nun, ob es eine Maschine geben konne, die jeden beliebigen Algorithmus 
ausfuhren kann, oder anders gefragt, ob es moglich ist, jeden Algorithmus durch einen anderen 
zu ersetzen, dessen Operationen so einfach sind, daB sie von einer Maschine automatisch ausge- 
fuhrt werden konnen. Ende der DreiBiger Jahre^ ^ ^ des zwanzigsten Jahrhunderts wurde dies 



^°^ Simon 20. Gegen den philosophischen Materialismus, der hinter solchen Auffassungen steckt, werden in den 

Kapiteln 4.2 ff. schwerwiegende Einwande zu erheben sein. 
^^^ Vgl. Simon 19 ff. 

^^^ Vgl. zu Algorithmen Helm 20 ff.; Penrose 1991, 28 ff. und Penrose 1995, 82 ff. 
^^^ Siehe zu formalen Systemen Hofstadter 37 ff. Gegen die quantifizierende Auffassung der Logik im allgemei- 

nen und des Algorithmus im speziellen siehe Kapitel 4.2.2 f. 
^^^ Die entsprechende Arbeit erschien 1937 unter dem Titel „0n Computable Numbers". 



Symbolismus 55 



vom englischen Mathematiker Alan Turing mit Hilfe des - zunachst rein theoretischen - Kon- 
zeptes eines abstrakten Universalrechners bewiesen, der unter dem Namen „Turingmaschine" 
Geschichte schrieb.^^^ Die Turingmaschine gilt als der theoretische Vorlaufer des Computers, ja 
als der erste Computer, auch wenn der von Turing vorgeschlagene Aufbau wegen mangelnder 
Effizienz so nicht gebaut wurde. Mit dem Konzept der Turingmaschine lassen sich jedoch alle 
wesentlichen Fragen zu Algorithmen und insbesondere zur Frage nach der Universalitat und 
Endlichkeit von Algorithmen beantworten. Wie funktioniert also eine Turingmaschine? Verein- 
facht gesagt besteht eine Turingmaschine aus einer Vorrichtung, die sich in endlich vielen inne- 
ren Zustanden befinden^ ^ ^ und die mit einem Schreib- und Lesekopf jede Stelle eines unendlich 
langen Bandes erreichen kann, das in diskrete Felder eingeteilt ist. Die Maschine liest ein auf 
das Band geschriebenes Zeichen aus einem Feld und andert entsprechend einer vorgegebenen 
Maschinentafel (modem gesagt: Programm) falls notig ihren inneren Zustand. AuBerdem wird 
das Zeichen gegebenenfalls geloscht bzw. durch ein anderes ersetzt und das Band zu einem be- 
nachbarten Feld bewegt, wo sich der gesamte Vorgang wiederholt. Nach endlich vielen Schrit- 
ten ist dann aus dem auf das Band geschriebenen „Problem" bzw. allgemeiner dem „Input" 
durch Loschen und Schreiben von Zeichen eine „Losung" bzw. ein „Output" geformt worden 
und die Maschine halt an. Als Zeichen werden in der Regel die Null und die Bins verwendet. 
Durch die Eindeutigkeit des zugrundeliegenden Algorithmus ist der Output bei gegebenem Input 
determiniert, auch wenn es wegen der enormen Komplexitat und aufgrund von Laufzeitbedin- 
gungen, vielfachen Ruckkopplungen u.a. praktisch unmoglich ist, den Output vorherzusehen. 
Man beachte, daB es sich bei der Turingmaschine um eine Idealisierung handelt, da man davon 
ausgeht, daB die Maschine niemals Fehler macht, beliebig lange laufen kann und iiber ein un- 
endlich langes Band, d.h. iiber unbegrenzte Speicherkapazitat verfugt.^^^ Entscheidend fiir die 
symbolische Theorie der KI ist zudem, daB sich die abstrakte, theoretische Turingmaschine 
trotz ihrer urspriinglich so konkreten Fassung (ein Schreib-ZLesekopf mit einem Band etc.) 
grundsatzlich in quasi unbeschrankt vielen verschiedenen physikalischen Medien geniigender 
Komplexitat verwirklichen laBt. Man sagt in dieser Hinsicht, die Turingmaschine sei medien- 
bzw. hardwareunabhangig.^ ^ ^ 



^°^ Vgl. zur Turingmaschine Helm 24 ff.; Penrose 1991, 32 ff., Penrose 1995, 22 ff., 81 ff.; Hesse 238; Schafer 
108 ff.; Weizenbaum 1978, 80 ff. und Born, Rainer in: Leidlmair/Neumaier 11 ff. Zu Alan Turing siehe 
www.turing.org.uk. Zu seinen Verdiensten bei der Entschlusselung deutscher Nachrichten wahrend des zwei- 
ten Weltkrieges siehe Singh 205 ff. 

^'^^ Man spricht deshalb auch von endlichen Zustandsmaschinen (finite state machines). 

^^^ Bei realen Computern wird die Unzulanglichkeit der einzelnen physikalischen Bauteile durch geschickte Ver- 
schaltung aufzuheben versucht. Die Endlichkeit des Speichers als solche ist heutzutage weniger problematisch 
als die Komplexitatsbewaltigung, die durch extrem groBe Programme notig wird. 

^^ ^ Vgl. Haugeland 49 ff. Geht man allerdings wie die meisten KI-Theoretiker von der materialistischen Annahme 
aus, es gebe keine rein geistigen Substanzen, dann kann man eigentlich nur von einer Medien- und Hard- 
wareinvarianz und nicht einer echten Unabhangigkeit sprechen. Dagegen ist zu sagen, daB diese Invarianz der 
Information, Konzepte, Algorithmen etc. deutlich auf ihren immateriellen bzw. geistigen Ursprung bzw. ihr 
Wesen verweist. Siehe dazu und zum Verhaltnis von Form und Materie Kapitel 4.3.2. 



56 Symbolismus 



Turing bewies mit seiner Arbeit nicht nur, daB es mit Hilfe sogenannter „spezieller Turingma- 
schinen" grundsatzlich moglich ist, durch geeignete Maschinentafeln bestimmte Algorithmen 
automatisch ablaufen zu lassen. Er zeigte auBerdem, daB es moglich ist, mit einer sogenannten 
„universellen Turingmaschine" jede beliebige spezielle Turingmaschine zu simulieren.^^^ Dar- 
aus entstand, was man spater die „Church-Turing-These"^ ^ ^ nannte. Der These zufolge laBt sich 
jede im intuitiven Sinne berechenbare Funktion durch eine Turingmaschine berechnen.^ ^ ^ An- 
ders ausgedriickt sagt man auch, die Turingmaschine „ermoghcht die Berechnung jeder Aufga- 
be, die in Form eines endhchen Algorithmus dargestellt werden kann"^ ^ ^ . 

Von der Church-Turing-These ist es nur noch ein kleiner Schritt zu den oben genannten 
Grundlagen der symbohschen Informations verarbeitungstheorie der InteUigenz bzw. zur These 
des Funktionahsmus, der zufolge sich alle mentalen Phanomene so in ihrer kausalen RoUe und 
Vemetzung spezifizieren lassen, daB sie sich als Programm einer Turingmaschine formulieren 
lassen.^ ^^ Gegen die Annahme allerdings, daB die universelle Turingmaschine bzw. der Com- 
puter alles (losen) kann, was menschlich verstanden und (damit) beschreibbar ist, sprechen eine 
Reihe von Problemen, die nachweislich nicht algorithmisch zu losen sind. Hierzu gehoren u.a. 
bestimmte Gleichungen, wie etwa die diophantischen und vor allem das sogenannte „Haltepro- 
blem", d.h. die Frage, ob eine Turingmaschine bei ihren Berechnungen jemals anhalten 
wird.^^^ Zur Kritik am algorithmischen Vorgehen der KI wird in Kapiteln 4 einiges auszu- 
fuhren sein. Zunachst ist noch einmal die praktische Seite naher zu betrachten. 

Fur die KI gait es, von der Turingmaschine zu einer brauchbaren physikalischen Realisierung 
zu gelangen. Ohne auf die Einzelheiten eingehen zu woUen, laBt sich festhalten, daB die ab- 
strakte Turingmaschine auf dem Weg zum modemen AUzweckcomputer zur Von-Neumann- 
Maschine weiterentwickelt wurde.^^^ Der Hauptunterschied besteht in der Art des Speicherzu- 
griffs, welcher nicht mehr relativ, sondern absolut erfolgt, d.h. die Speicherzellen sind iiber ih- 
re eindeutige Adresse direkt aufrufbar. 

Entsprechend der Annahme, daB jeder mentalen bzw. kognitiven Leistung programmierbare 
Prozesse zugrundeliegen, ist es Ziel der klassischen KI, diese Prozesse aufzudecken und in 
realen Computersystemen zu implementieren. Die Informatik bedient sich hierzu vor allem des 
„top-down"-Ansatzes. Dies bedeutet, daB die Software in einer Art deduktivem Vorgehen von 
oben herab aus den allgemeinen Grundsatzen und Konzepten schrittweise in die immer speziel- 



^^^ Eine erstaunliche SchluBfolgemng daraus ist, daB es mit einem Alphabet aus nur zwei Zeichen (also etwa 
und 1) moglich ist, jedes effektive Verfahren zu beschreiben und damit jede andere Beschreibungssprache fur 
ein solches Verfahren in eine digitate Form zu uberfuhren. Vgl. Weizenbaum 1978, 91 ff. 

^^^ Da sie zwar in verschiedenen Fassungen, aber mehr oder weniger gleichzeitig von Alan Turing und Alonzo 
Church vorgetragen wurde. 

^^^ Vgl. zur Church-Turing-These Penrose 1991, 44 ff., Penrose 1995, 25 f.. Helm 24 und Hesse 40. 

^^^ Schaferl09. 

''^ Vgl. Schafer 109 und Churchland 1986, 351 ff. 

^^^ Zu nicht algorithmisch losbaren Problemen wie dem Halteproblem siehe Penrose 1995, insbesondere 33 ff. 
und 85 ff. und Weizenbaum 1978, 99 ff. 



Symbolismus 57 



leren Einzelheiten nach unten bin entwickelt wird.^^^ Bei der Losung einer Aufgabe (beispiels- 
weise: Wie findet man in einer Konfliktsituation den besten KompromiB?) gilt es deninach zu- 
nachst eine allgemeine, formalisierte Theorie des Problems aufzustellen. Diese beantwortet die 
Frage nach dem „Was?" und dem „Warum?". Erst dann ist die Frage nach dem „Wie?" zu be- 
antworten, indem ein angemessener Losungsalgorithmus zu finden ist, der angibt, in welchen 
Schritten die Losung durch Umformung der dem Problem entsprechenden Symbole zu errei- 
chen ist (funktionale Dekomposition). SchlieBlich muB der Algorithmus softwaremaBig imple- 
mentiert werden. Verwendet werden meist hierarchische Modelle sowie Module, die aus ver- 
schiedenen Ebenen heraus beliebig oft rekursiv aufgerufen werden konnen.^^^ Wahrend die all- 
gemeine Theorie nur von der Natur des Problems abhangt, ist der Algorithmus und mehr noch 
die Implementierung stark abhangig von der vorgegebenen Hardware. Es gibt in der Regel eine 
Vielzahl moglicher Algorithmen (beispielsweise was die Reihenfolge der Suchpfade angeht), 
die zur Problemlosung geeignet waren. Entsprechend der zur Verfugung stehenden Program- 
miersprache, des Speicherplatzes, der Rechengeschwindigkeit und anderer Rahmenbedingun- 
gen ist daraufhin der zur Implementierung geeignete Algorithmus auszusuchen. 

Soweit zu einer Auswahl der wesentlichen philosophischen und technischen Voraussetzungen 
und Verfahren, auf welche die symbolistische Informationsverarbeitungstheorie zuriickgreift 
und die es im Verlauf der vorliegenden Arbeit noch auszuweiten, zu vertiefen und vor allem zu 
hinterfragen gilt. Die folgenden Kapitel beleuchten ausgehend vom zentralen Begriff der Intelli- 
genz die einschlagigen Begriffe wie Denken, Wille und dergleichen, so wie sie vom Symbolis- 
mus verstanden werden. 



2^^ Vgl. Helm 27 ff. 

^^^ Vgl. fur das folgende Marr in: Boden 1990, 133 ff. 



^'^^ Vgl. Hinton: Boden 1990, 277 f. Der Computer selbst wird auch durch ein Schichtenmodell beschrieben. An- 
gefangen von der subatomaren (Quanten-)Ebene, auf der sich Prozesse beschreiben lassen, liber Spannungszu- 
stande. Bit- und Bytefolgen und Maschinensprache bis bin zu Compilersprachen, in denen die Algorithmen 
und ihre Elemente erkennbar sind. Vgl. dazu Foerst 63 ff. 



58 Symbolismus 



3.1.3 Intelligenz und Geist 

Intelligenz auBert sich nach der Symbolverarbeitungstheorie in der Fahigkeit, (komplexe) Pro- 
bleme zu losen, ja sie wird nicht selten damit gleichgesetzt.^^^ Wie die in Symbolform gegebe- 
nen Probleme gelost werden, sei stellvertretend fiir die mittlerweile sehr groBe Vielfalt an Ver- 
fahren an der „Heuristic Search Hypothesis" dargestellt.^ ^ ^ Nach ihr bedeutet Problemlosen ei- 
ne heuristisch geleitete Suche. „The solutions to problems are represented as symbol structures. 
A physical-symbol system exercises its intelligence in problem-solving by search - that is, by 
generating and progressively modifying symbol structures until it produces a solution struc- 
ture."^ ^^ Die Problemlosung geschieht, indem ein physikalisches Symbolsystem systematisch 
Symbolstrukturen modifiziert und auf Losungsmerkmale testet, bis eine Losungsstruktur ge- 
funden ist. Dabei auBert sich die Intelligenz darin, daB nicht einfach blind alle Moglichkeiten 
durchprobiert werden, da dies in der Regel wegen des exponentiellen Wachstums derselben gar 
nicht moglich ware. Vielmehr macht es ein intelligentes System aus, daB es die Suche nach der 
Losung von vomherein - eben heuristisch - einschrankt. Wegen der stets begrenzten Mittel 
(Speicher, Zeit etc.) sind also jeweils Entscheidungen zu treffen, die den sog. Losungsraum auf 
eine praktisch beherrschbare GroBe reduzieren, ohne allerdings dabei auch die angenommene 
Losung auszuschlieBen. Deshalb heiBt es bei Newell und Simon: „Intelligence for a system with 
limited processing resources consists in making wise choices of what to do next."^^^ Die fiir die 
Heuristik notigen Informationen extrahiert das System aus der Problemstruktur bzw. dem Pro- 
blemraum, von dem deshalb angenommen werden muB, daB er grundsatzlich logisch geordnet 
und auszuwerten ist. 

Die Flexibilitat der Intelligenz, d.h. letztlich der Umformungsregeln, soil durch Metaregeln er- 
zeugt werden. „Bei einigen Situationen gibt es stereotype Reaktionen, die ,ganz einfache' Re- 
geln verlangen. Gewisse Situationen sind Mischungen von stereotypen Situationen; sie verlan- 
gen also Regeln, um zu entscheiden, welche der ,ganz einfachen' Regeln anzuwenden sind. Ei- 
nige Situationen sind nicht klassifizierbar; es muB also Regeln fiir das Erfinden neuer Regeln 



Vgl. Newell/Simon in: Boden 1990, 120 ff. und Haugeland 154 ff. Intelligenz ist fiir einige die Fahigkeit, in 
die Zukunft sehen und planen zu konnen; vgl. Dennett in: Boden 1990, 150. Laut Minsky ist Intelligenz die 
Fahigkeit, schwierige Probleme zu losen; vgl. Minsky 71. Auch heute noch wird die KI davon geleitet, eine 
Art generellen Problemloser bauen zu wollen. Auch wenn bisher nur viele sehr kleine Ausschnitte aus der 
Wirklichkeit betrachtet wurden, ist eine Art Integration der vielen Module das Fernziel. Vgl. Foerst 73 f. 
Das folgende gilt aber im wesentlichen auch fiir nicht ausdriicklich heuristische Symbolmanipulationsverfah- 
ren wie etwa Genetic Algorithms, Case-Based Reasoning, Constraint Satisfaction oder Qualitative 
Reasoning. Zur Kritik an der Heuristic Search Hypothesis siehe Haugeland 159 f. 
Newell/Simon in: Boden 1990, 119. 

Newell/Simon in: Boden 1990, 121. Je starker und geeigneter ein System den Losungsraum einschrankt, de- 
sto intelligenter soil es demnach sein. Vgl. Newell/Simon in: Boden 1990, 124 ff. 

Der zu Recht erwahnte Zusammenhang zwischen Intelligenz und Weisheit ist hier noch nicht deutlich genug 
klargestellt. Siehe dazu Kapitel 4.5.4. 



Symbolismus 59 



geben ... usw. usw. Ohne Zweifel stehen Seltsame Schleifen, die Regeln verlangen, die sich 
selbst direkt oder indirekt andem, im Zentrum der Intelligenz."^^^ 

Ein intelligentes Prinzip bzw. eine intelligente Substanz (wie etwa eine geistige Seele) wird aus- 
driicklich bestritten. „There is no 'intelligence principle', just as there is no Vital principle' that 
conveys by its very nature. But the lack of a simple deus ex machina does not imply that there 
are no structural requirements for intelligence."^ ^ ^ Diese strukturellen Anforderungen sind die 
eines physikalischen Symbolsystems, das wie bereits erwahnt als notwendige und hinreichende 
Bedingung fur Intelligenz gesehen wird. „By 'necessary' we mean that any system that exhibits 
general intelligence will prove upon analysis to be a physical-symbol system. By 'sufficient' we 
mean that any physical-symbol system of sufficient size can be organized further to exhibit gen- 
eral intelligence."^ ^^ Die Begriindung der notwendigen Bedingung der Symbolverarbeitungs- 
theorie stutzt sich dabei nach eigener Angabe vor allem auf psychologische bzw. kognitions- 
wissenschaftliche Experimente, insbesondere Beobachtungen, wie Menschen „laut denkend" 
Probleme losen.^^^ Die hinreichende Bedingung soil durch den Bau intelligenter Computersy- 
steme mehr oder weniger empirisch bewiesen werden.^ ^ ^ 

Philosophisch gleichermaBen interessant wie problematisch ist die folgende Aussage iiber Intel- 
ligenz aus der Sicht des Symbolismus: „Of course intelligence is not an all-or-non matter"^ ^V 
Die Intelligenz eines Systems soil sich demnach aus einzelnen Teilen zusammensetzen und sich 
zudem stufenweise entwickeln konnen. Die einzelnen „nahezu unintelligenten" Programmodule 
bzw. -funktionen soUen in ihrer Gesamtheit und ihrem Zusammenspiel letztendlich Intelligenz 
hervorbringen.^ ^ ^ Intelligenz laBt sich dann graduell immer mehr steigem, was sich an den im- 
mer verfeinerteren Programmversionen ablesen lassen soU.^ ^ ^ Bei Hofstadter heiBt es zum Pro- 
blem der graduellen Intelligenz sogar: „Niemand weiB, wo die Grenze zwischen nichtintelli- 



228 
229 



^^^ Hofstadter 30. Siehe zu den Seltsamen Schleifen auch die Behandlung des SelbstbewuBtseins (Kapitel 4.5.6). 

^^^ Newell/Simon in: Boden 1990, 107. Auf die Widerspriichlichkeit dieser Behauptungen wird in den Kapiteln 
4.5.3 ff. eingegangen. 

^^' Newell/Simon in: Boden 1990, 111. 

Vgl. Newell/Simon in Boden 1990, 115 ff. und Simon, insbesondere 46 ff. 

Hierzu wurden eine nicht abreiBende Reihe von Systemen gebaut, die i.d.R. die Schwachen ihrer Vorganger zu 

uberwinden suchten. Die bekanntesten Systeme waren wohl der Logic Theorist, der geplante General Problem 

Solver (GPS), das Therapeutenprogramm ELIZA, die in Mikrowelten operierenden Programme wie 

SHRDLU, Expertensysteme, skript- und framebasierte Systeme u.v.m. Auf die Einzelheiten einzugehen, 

wurde hier zu weit fuhren. Siehe dazu neben dem Kapitel „Stand der Technik" beispielsweise: McCorduck, 

Haugeland und Kurzweil. Das Projekt, einen „generellen Problemloser" bauen zu wollen, zieht sich durch die 

gesamte klassische KI und kann weiterhin als deren Fernziel gelten. 

Newell/Simon in: Boden 1990, 116. DaB Intelligenz fur graduell und nicht selten auch fur beliebig steigerbar 

gehalten wird, liegt neben den fragwurdigen materialistischen und evolutionaren Grundannahmen vor allem 

am unberechtigten, rein quantifizierenden Denken. Siehe zur Kritik daran Kapitel 4.3.2 und 4.5.4. 

Vgl. dazu und zum Homunkulus-Paradoxon Searle 1992, 32 f. und Haugeland 98 ff. 

Der tJbergang von Nicht-Intelligenz zu Intelligenz soil wie der von ruckelnden Bildern zu flussig laufenden 

geschehen, also durch stufenweise Verbesserung. Vgl. Haugeland 182 f. 



60 Symbolismus 



gentem Verhalten und intelligentem Verhalten liegt; wahrscheinlich ist es sogar toricht zu sagen, 
daB eine scharf gezogene Grenze existiert."^^^ 

Zusammenfassend kann man also sagen: „Nach der Theorie der Symbolmanipulation hangt In- 
telligenz lediglich von der Organisation und Funktionsweise eines Systems als Symbolmanipu- 
lator ab"^^V Wenn Intelligenz demnach wesentlich durch abstrakte, formale Systeme entsteht 
Oder anders ausgedriickt in effektiven Prozessen bzw. Verfahren besteht/^^ kann sie - minde- 
stens grundsatzlich - Siufjeder universalen Turingmaschine implementiert werden. Da, wie be- 
reits gesagt, die Realisierung der Turingmaschine prinzipiell hardwareunabhangig ist, folgt: 
„Any substrate physically capable of storing and systematically transforming expression- 
patterns can implement symbols. But for psychological purposes the substrate is irrelevant. To 
understand intelligence, we must describe physical-symbol systems at the information-pro- 
cessing level [...y^^^ Demnach sei es beim Vergleich zwischen menschlicher und kiinstlicher 
Intelligenz ausreichend, die Isomorphic bzw. Aquivalenz zwischen Mensch und technischem 
System auf hohen Beschreibungsebenen zu zeigen.^ ^ ^ Auf den unteren Ebenen (Implementati- 
on, physikalische Ebene etc.) weichen die Systeme offensichtlich voneinander ab; das gilt sogar 
schon fur recht ahnliche technische Systeme. 

Die menschliche Intelligenz ist von der KI dementsprechend erreicht, wenn die Computer fur 
typisch menschliche Probleme in der gleichen Zeit die gleichen Losungen finden. In der Spra- 
che des Symbolismus heiBt das dann, daB typische, komplexe Informationsmengen in der glei- 
chen Zeit mit dem gleichen Ergebnis verarbeitet werden miissen. Die entsprechende Software 
vorausgesetzt bedeutet dies im wesentlichen, daB Computer in etwa so viele Rechenoperationen 
pro Zeiteinheit voUziehen konnen soUen wie das menschliche Gehim. Geht man nach dem Ge- 
setz Moores davon aus, daB sich die Rechenleistung der aktuellen Computergeneration alle 18 
Monate verdoppelt, so soUte die rechnerische Aquivalenz etwa im Jahr 2030 erreicht sein.^^^ 
Gegen eine schlichte Gleichsetzung der Intelligenz mit der Rechenleistung spricht neben vielen 
spater zu behandelnden Griinden,^ ^ ^ daB die Menge oder auch die Komplexitat der verarbeiteten 



236 

237 



2^^ Hofstadter 29. 

^^^ Haugeland4. 

^^^ Wie angreifbar dieses algorithmische Paradigma ist, zeigt sehr schon Penrose 1995. Siehe dazu auch Kapitel 
4.5.4. 

Boden 1990, 8. 

Siehe zur funktionalen Isomorphic Hofstadter 397 ff. Wenn Intelligenz eine reine Softwareeigenschaft ist, 
kann sie auf jeder beliebigen Hardware realisiert werden. Vgl. Hofstadter 384, 410 ff. Allerdings ist die Raum- 
lichkeit bzw. Materie nicht vollig irrelevant, denn ein 2D-Hirn bzw. Computer kann es nicht geben, da ent- 
sprechend komplexe Schaltungen auf einer endlichen Flache nicht „kreuzungsfrei" sind und so in die dritte 
Dimension ausweichen miissen. 

Dagegen ist bereits hier kritisch einzuwenden, daB der aus der Naturwissenschaft und Mathematik stammende 
Begriff der Isomorphic sich nicht auf geistige GroBen und Fahigkeiten wie etwa die Intelligenz anwenden laBt. 
Vgl. Bill Joy: Warum die Zukunft uns nicht braucht, FAZ vom 6. Juni 2000, Nr. 130, S. 49 und Hans Mo- 
ravec: Die Robotik - eine Vorankiindigung, FAZ vom 26. Juli 2000, S. 53. Siehe dazu auch Moravec 1999. 
Beispielsweise gilt es, den implizierten Funktionalismus bzw. Behaviorismus zu kritisieren. Siehe Kapitel 
4.5.3 f. 



Symbolismus 61 



Information (alleine) nicht allzu viel aussagt. GroBe und schnelle Datenbanken beispielsweise 
sind an sich nicht „intelligenter" als kleine und langsame. 

Wie ist nun der Zusammenhang zwischen Geist und Intelligenz bzw. was versteht die Symbol- 
verarbeitungstheorie unter Geist? „Geist, so schlagt Allen Newell vor, ist ein intelligenter 
Agent, einMitgliedjener speziellen Klasse von Informationsverarbeitem, die etwas jenseits ih- 
rer eigenen Prozesse berechnen konnen. Die vom Geist praktizierte Intelligenz ist ein Ergebnis 
des akkumulierten Verhaltens einer Hierarchie von Funktionen, das auf dem niedrigsten Niveau 
beginnt und sich zum komplexesten hinaufarbeitet."^"^^ Eine alternative Auffassung des Geistes 
stammt von Marvin Minsky.^^^ Dieser versteht den Geist als das Produkt einer Vielzahl von 
Agenten, die teils kooperieren und teils in Konflikt miteinander stehen. Geist ist demzufolge ein 
komplexer ProzeB der Interaktion mehrerer Softwareagenten. Statt mehrerer Agenten ist es bei 
Newell lediglich einer. FaBt man die mehr oder weniger selbstandigen Funktionsmodule in des- 
sen Theorie jeweils als eine Art „Agent" auf, ergibt sich jedoch kein wirklich schwerwiegender 
Unterschied zwischen beiden Theorien. Entscheidend ist die Auffassung, daB der Geist letztlich 
aus vielen kleinen, ungeistigen Teilen zusammengesetzt werden kann, ja muB. 

Dem Symbolismus gilt es als ausgemacht, „daB jedes Gehirn, jede Maschine oder jedes andere 
Ding, das Geist besitzt, aus kleinen Teilen komponiert sein muB, die uberhaupt nicht denken 
konnen."^ ^^ Der Geist ist demgemaB keine Substanz, sondern wird funktionalistisch als das 
aufgefaBt, was das Zusammenspiel der Einzelteile bewirkt. „Geist ist einfach, was Gehirne tun. 
Immer wenn wir iiber den Geist sprechen, sprechen wir iiber die Prozesse, die unser Gehirn 
von einem Zustand in den anderen versetzen."^^^ Das laBt den Geist als eine Art universelle Tu- 
ringmaschine erscheinen.^ ^ ^ „A given mental state is characterized in terms of its abstract causal 
relations to environmental input, to other internal states, and to output."^ ^^ Die klassische Auf- 
fassung von Geist bzw. Seele sei demnach uberflussig, denn der Geist bestehe aus „mentalen 
Agenten" so wie ein Haus aus Steinen und keiner zusatzlichen „Haussubstanz" bestehe.^ ^^ Es 



^^^ McCorduck in: Graubard 74. Auch hier ist eine quantifizierende und zudem noch begrifflich unklare Auffas- 
sung zu beklagen, welche in Kapitel 4.5.3 zu hinterfragen sein wird. 

^^^ Vgl. Minsky, insbesondere dessen Kapitel 1, 2 und 28 ff. Diese Auffassung laBt sich mindestens bis zu Hu- 
me zuriickfuhren. Aktuelle Vertreter sind beispielsweise Varela, Thompson und Rosch. Vgl. dazu und zu ei- 
ner Kritik der nachfolgend ausgefuhrten Auffassung Hennen 185 ff. und 224 ff. 

^^^ Minsky 324. Im Prolog (S. 17) schreibt Minsky er werde „zeigen, wie man Geist aus kleinen Teilen zusam- 
mensetzen kann, die jedes fur sich ohne Geist sind." 

^^^ Minsky 287. Trotz ihrer kritischen Stellung zum Symbolismus behaupten auch andere wie beispielsweise 
Dreyfus/Dreyfus, daB der Geist alles ausschlieBlich auf Grund der Verarbeitungskapazitat des Gehirns tut. Vgl. 
Dreyfus/Dreyfus 89 ff. Zur Darstellung funktionalistischer KI-Modelle und einer ausfuhrlichen Kritik daran 
siehe auch Seifert 1989, insbesondere 24 ff. 

^^^ Zu Minskys Behauptung „The brain is merely a meat machine" siehe Weizenbaum 1993, 72 ff. Siehe zur 
Frage, ob der Geist eine Turingmaschine ist, auch Haugeland 142. 

^^^ Churchland 1986,351. 

^^^ Das ist eine nicht zu Ende gedachte - um nicht zu sagen falsche - Behauptung. In Wirklichkeit kann es kein 
Haus ohne einen Plan bzw. eine Form fur dieses Haus geben. Dieser besteht im ubrigen schon vor dem Haus 



62 Symbolismus 



ist in den Augen der Symbolisten also ein Mythos anzunehmen, „das ,Ich' in ,ich glaube' sei 
tatsachlich ein von anderen getrenntes, dauerhaftes Ding."^"^^ Jeder geistige ProzeB kann nach 
der Symbolverarbeitungstheorie voUstandig durch ein Computerprogramm simuliert, ja sogar 
als ein solches verstanden werden.^^^ 

Als Hauptmerkmale bzw. -fahigkeiten des Geistes gelten nach klassisch-philosophischer Lehre 
das Denken und der Wille. Diese werden in den folgenden beiden Kapiteln behandelt. Neben 
dem Denken untersucht das nachste Kapitel auch die Frage nach der Erkenntnis sowie die damit 
verbundene Auffassung von Wahrheit. 



Oder zumindest vor dessen Fertigstellung. Vgl. Aristoteles: Metaphysik III, 2 (996 b). Zum Zusammenhang 

zwischen Form und Materie siehe Kapitel 4.3.2. 
^"^^ Minsky 302. Vgl. zur angeblichen Unwissenschaftlichkeit und „Mystik" der Auffassung des Geistes als im- 

materieller Substanz auch Dreyfus/Dreyfus 89. 
^^^ Vgl. Hofstadter 617. Das Gehirn ist demnach also Hardware, der Geist (nur) Software. Vgl. Hofstadter 324 ff.; 

Daiser 79 und Searle in: Boden 1990, 77 f., 83 ff. 



Symbolismus 63 



3.1.4 Denken und Erkenntnis 

Im folgenden geht es um zwei entscheidende Tatigkeiten des Geistes, und zwar um die des 
Denkens und Erkennens.^"^^ Wie sieht die Symbolverarbeitungstheorie diese im einzelnen? 

Die im Symbolismus verbreitete Definition des Denkens lautet: „thinking is computing".^ ^ ^ Mit 
dem „computing" ist dabei nicht nur das Rechnen, sondem die logisch bzw. algorithmisch be- 
schreibbare Umformung von Symbolen und Symbolstrukturen bzw. Satzen gemeint. Da die 
Symbolstrukturen Informationen reprasentieren, wird Denken auch definiert als „ein ProzeB der 
Aufnahme, Umwandlung und Speicherung von Informationen"^ ^ ^ Zur Frage, wer oder was 
die Symbole umformt, heiBt es bei Hofstadter: „Beim Denken aktivieren Symbole andere Sym- 
bole, und alle treten hierarchisch in Wechselwirkung."^^^ Die Symbolverarbeitungstheorie geht 
davon aus, „daB das Denken in all seinen Aspekten als eine Beschreibung hoher Stufe eines Sy- 
stems verstanden werden kann, das auf einer tieferen Stufe von einfachen, sogar formalen Re- 
geln beherrscht wird."^^^ Damit ist man allerdings wieder bei der Tatigkeit einer (universellen) 
Turingmaschine und kann auch sagen: Denken ist das Befolgen formaler Regeln. Der symboli- 
stisch verstandene Begriff des Denkens laBt sich demnach kaum von dem der Intelligenz und 
dem des Geistes unterscheiden.^^^ 

Da die Symbolstrukturen als eine innere Reprasentation realer Objekte aufgefaBt werden,^ ^ ^ be- 
ruht menschliches Denken auf der flexiblen symbolischen Darstellung der Wirklichkeit in der 
Hardware des Gehirns.^^^ Beim Menschen sei es demnach das Gehirn, das als „formales Sy- 
stem" diese Darstellung umformt. Aus diesem Grund wird auch gesagt, daB das Gehirn denke 
und daB mentale Zustande im Falle des Menschen Gehimzustande seien oder ihnen zumindest 
entsprechen.^ ^ ^ 

Eine wesentliche Folge der genannten Auffassung des Denkens besteht darin, daB die offen- 
sichtliche Komplexitat des Denkens in der Komposition bzw. Kombination atomarer Ur- 
elemente griinden muB. „[...] Gedanken sind [...] komplex, d.h. sie werden (entsprechend ih- 
rer Gehalte) aus einem vergleichsweise bescheidenen Vorrat atomischer Bestandteile systema- 



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250 



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Der Zusammenhang zwischen Denken und Erkennen wird in Kapitel 4.5.4 philosophisch klargestellt. 

Eigentlich handelt es sich nicht um eine echte Definition. Diese miiBte vor allem die Gattung und die spezifi- 

sche Differenz angeben. Geeigneter ware also: Denken ist das Umformen von Symbolen. Vgl. zu Definitio- 

nen Kapitel 4.2.2 und Arnauld/Nicole. 

Zitiert nach Foerst 55. 

Hofstadter 735. 

Hofstadter 596. 

Das deutet bereits auf die Mangelhaftigkeit der Symbolverarbeitungstheorie hin. 

Zur Notwendigkeit von Reprasentation und Konzepten siehe Kirsh in: Boden 1996, 237 ff. 

Vgl. Hofstadter 361 ff. und 596 ff. Damit bei Maschinen vom „Denken" geredet werden kann, wird oft gefor- 

dert, daB eine „tJbersetzung" der inneren Reprasentationsstrukturen zu denen des Menschen moglich sein muB. 

Vgl. dazu Churchland 1986, 344 ff. 

Zur Behauptung, daB das Gehirn denkt, vgl. Weizenbaum 1978, 286 f. Siehe dazu auch Kapitel 3.3 und die 

kritische Widerlegung der mind-brain-identity in Kapitel 4.5.3. 



64 Symbolismus 



tisch konstruiert."^^^ Hieran zeigt sich der fundamentale Unterschied zwischen Symbolismus 
und Konnektionismus.^^^ Der Symbolismus fordert eine „Language of Thought"^ ^ ^ (LOT) und 
damit kontextunabhangige, atomare Ursymbole bzw. Urbegriffe. AuBerdem miissen Operatio- 
nen auf die atomaren Einheiten einwirken und diese entsprechend der Struktur von LOT um- 
formen konnen. Die „Sprache des Geistes" kann dabei als eine Art Maschinensprache verstan- 
den werden, die der Gehimcomputer direkt ausfuhren kann.^ ^ ^ Auf die bereits oben angedeute- 
ten Probleme wie die Verwicklung in einen unendlichen RegreB symbolverarbeitender Systeme 
wird spater einzugehen sein. SchlieBlich bleibt noch festzuhalten, daB Denken - im Gegensatz 
zur klassischen Lehre der philosophischen Anthropologie - (zunachst) auch ohne BewuBtsein 
moglich sein soil. 

Was bedeutet das bisher Gesagte fur den Begriff der Erkenntnis? Auch hier laBt sich zusam- 
menfassend sagen: Die Symbolverarbeitungstheorie stutzt sich „im wesentlichen auf Hobbes 
Idee, daB rationale Erkenntnis Berechnung sei."^^^ Erkenntnis kann dabei aufgefaBt werden als 
die Losung von - letztlich theoretischen - Problemen sowie die Aneignung von Wissen. Wie 
bereits erwahnt, besteht (menschliches) Problemlosen im Erzeugen und Umformen von Sym- 
bolstrukturen, bis diese schlieBlich den an die Losung gestellten Anforderungen entsprechen. 
Mit der Annahme der heuristischen Suche ist Problemlosen dann „nichts weiter als Variieren 
von Mischungen aus Versuch und Irrtum sowie Selektivitat."^^^ Problematisch ist dabei jedoch, 
daB gerade die angemessene Formulierung des Problems und der Losungskriterien meist die ei- 
gentlich intelligente Leistung ist. Wenn dazu wieder ein physikalisches Symbolsystem benutzt 
werden muB, droht der unendliche RegreB. Die Hauptschwierigkeit bei der Losung von Pro- 
blemen ist also, aus einem „formlosen" Problem eine sinnvoUe interne, symbolische Reprasen- 
tation des Problems zu finden.^^^ Bei Simon heiBt es dazu ubertrieben optimistisch: „ein Pro- 
blem zu losen bedeutet einfach, es so darzustellen, daB die Losung transparent wird"^^^ Das 
Problem der intuitiven Erkenntnis wird meist nicht ausdriicklich behandelt oder als mehr oder 



2^^ HaugelandSO. 

^^^ Vgl. Clark in: Boden 1990, 285 ff. 



Der Ausdruck stammt von J. A. Fodor, der zusammen mit Pylyshyn zu den besonders bekannten Verfechtem 

des Symbolismus gehort. Vgl. zu LOT auch Cussins in Boden 1990, 378 ff. Zu einer Zusammenfassung der 

Lehren einiger Hauptvertreter des Symbolismus wie Putnam, Dennet, Fodor, Pylyshyn und Pollock siehe 

McClintock 9 ff. und Helm 113 ff. 

Siehe zu den verschiedenen Lesarten und Problemen von LOT Churchland 1986, 388 f. und Helm 55 ff. Zu 

dem im philosophischen Hintergrund stehenden logischen Positivismus sowie den sprachphilosophischen 

Einwanden Wittgensteins siehe Zemanek in: Schauer/Tauber. 

Haugeland97. Vgl. dazu auch Haugeland 19 ff., wo es u.a. heiBt: ,,'Unter rationaler Erkenntnis ... verstehe 

ich Berechnung', proklamierte der englische Philosoph Thomas Hobbes (1588-1679) und war damit um 1650 

zugleich ein Prophet und Wegbereiter der Kunstlichen Intelligenz." 

Der fur das Denken erhobene Vorhalt gilt entsprechend auch hier. Geistige Vorgange sind mit rein quantifizie- 

renden Methoden und Begriffen nicht zu erfassen. Vgl. Kapitel 4.5.3 f. 

Simon 154. 

Vgl. Haugeland 159 ff. Siehe zum Problem der Reprasentation auch Wiener in: Simon 175 ff. 

Simon 114. 



Symbolismus 65 



weniger unwissenschaftlich dargestellt, wenn es beispielsweise heiBt, Intuition sei der ,My- 
thos, daB der Geist unmittelbare (und deshalb unerklarliche) Fahigkeiten besitzt, Probleme zu 
losen Oder Wahrheiten zu erkennen"^^^. Auf der anderen Seite wird versucht, die Intuition 
durch bereits Bekanntes zu erklaren, indem es etwa heiBt, sie sei „ein ziemlich urspriingliches 
Phanomen, das relativ leicht erklart werden kann: Die meisten intuitiven Spriinge sind Vorgange 
des Wiedererkennens"^ ^ ^ . 

Der Zusammenhang zwischen den umgeformten und ggf. weiter umzuformenden Symbol- 
bzw. Bit-Ketten eines physikalischen Symbolsystems einerseits und dessen Wissen anderer- 
seits ist der folgende: „Die Information einer Bit-Kette ist die Bedeutung, die diese Bit-Kette im 
Programmverlauf hat, meBbar an der Reaktion, die sie im Computerprogramm auslost. [...] KI 
nun bezeichnet die so verstandene Information, sofem sie einen gewissen Komplexitatsgrad er- 
reicht hat, dem Computer bzw. dem Programm vorgegeben ist und sofem sie zweckbezogen ist 
Oder werden konnte, mit Wissen. [...] Bin Computer hat Wissen, wenn er im Besitz gewisser 
Informationen ist und diese so zu verwenden weiB, daB er sich [Fehler im Original] zu Hand- 
lungen in der Lage ist, fiir die wir intuitiv Intelligenz voraussetzen."^^^ Wissen hegt also vor, 
wenn das System in einem menschlichen Sinne handlungsfahig ist und so beispielsweise Tests 
wie den Turingtest besteht.^^^ Bezogen auf Alan Newells Werk „The Knowledge Level" weist 
Daiser zu Recht auf den Funktionalismus hin, wenn er schreibt: „Wissen wird funktional defi- 
niert als , Whatever can be ascribed to an agent, such that its behavior can be computed accord- 
ing to the principle of rationality.' (Newell 82, S. 105)"^ V Ebenfalls nach dem funktionalisti- 
schen Prinzip wird auch das Lemen definiert: „Lemen nennt man jegliche mehr oder minder 
dauerhafte Veranderung der Fahigkeit eines Systems, sich an seine Umwelt anzupassen."^^^ 
Dabei kann man beim Lemen als der Erweitemng von Wissen noch zwischen dem Erwerb von 
Informationen und dem von Fahigkeiten unterscheiden.^ ^ ^ 



^^^ Minsky 331, Hervorhebung nicht im Original. Dagegen ist zu sagen, daB Intuition weder ein Mythos noch 
vollig unerklarlich ist. Man kann im Gegenteil sagen, daB es ohne unmittelbar evidente bzw. intuitive Er- 
kenntnis gar keine Erkenntnis gebe. Siehe dazu Kapitel 4.2.3 f. und 4.5.4. 

^^' Simon 77. 

^^^ Foerst 38 f. Der Wort „Wissen" ist im Original durch Fett- und nicht durch Kursivdruck hervorgehoben. Zum 
Umgang mit komplexem, unsicherem, nur wahrscheinlichem oder teilweise inkonsistentem Wissen werden 
zum Beispiel probabilistische Systeme bzw. Netze sowie Belief-Systeme verwendet, wobei letztere eine ge- 
wisse Kontextabhangigkeit des Wissens mitberiicksichtigen. Vgl. dazu Foerst 47 ff. Siehe zu den Begriffen 
„ Wis sen" und „Verstehen" auch Daiser 98 ff. 

^^^ Nach dem Turingtest gilt eine Maschine dann als intelligent, wenn es einem menschlichen Fragesteller (in- 
nerhalb einer gewissen Zeit) nicht gelingt, die (schriftlichen) Antworten der Maschine von denen eines Men- 
schen zu unterscheiden. Zur Kritik an diesem funktionalistischen Test siehe Kapitel 4.5. 
Zur Wissensreprasentation sowie ihrem Verhaltnis zu Heuristik, Belief- Systemen und Lernen siehe Foerst 
134ff. undl52ff. 

^^^ Daiser 106. Neben dem Funktionalismus wird teilweise in der KI auch ein Relativismus vertreten. Wissen ist 
in diesem Sinne laut Minsky angeblich immer vorlaufig und relativ. Vgl. Minsky 301 ff. DaB der Relativis- 
mus vor allem in der Leugnung der geistigen Substanzen begriindet ist, wird sich spater herausstellen. 

^'^ Simon 87. 

^^^ Man unterscheidet bei der Wissensreprasentation deklarative (semantische Netze), prozedurale („wenn ... dann 
. . . "-Regeln) und episodische (Skripts) Formen. Dazu kommen - speziell fiir neuronale Netze - die assoziati- 
ven (Muster) und die raumlichen (Bilder) Formen der Reprasentation. Siehe zu verschiedenen Dimensionen 



66 Symbolismus 



Was bedeutet das bisher Gesagte fiir die symbolistische Auffassung des Begriffs der Wahr- 
heit?^^^ Nach der Auffassung der Symbolverarbeitungstheorie besteht Wahrheit in einer Bezie- 
hung zwischen der Innen- und der AuBenwelt des Symbolverarbeitungssystems. Man kann von 
Wahrheit sprechen, wenn die durch die Symbole bzw. Symbolstrukturen reprasentierten Dinge 
der AuBenwelt sich in den gleichen Beziehungen befinden wie die inneren Symbole. Aus den 
Zusammenhangen zwischen den Symbolanordnungen kann also auf die Zusammenhange in der 
AuBenwelt geschlossen werden und umgekehrt. Der Symbolismus vertritt demnach eine Korre- 
spondenz- bzw. Abbildtheorie der Wahrheit. Die Symbolstrukturen reprasentieren eine objekti- 
ve und grundsatzlich objektiv erkennbare Wirklichkeit.^ ^ ^ Die Wirklichkeit kann prinzipiell 
voUstandig erkannt werden, sieht man einmal von der durch Godel nachgewiesenen UnvoU- 
standigkeit des formalen Systems ab.^^^ 

Soweit zum Denken und den damit zusammenhangenden Fragen bezuglich Erkenntnis und 
Wahrheit. Nachfolgend wird das zweite Hauptmerkmal bzw. die Hauptfahigkeit des Geistes 
besprochen: der Wille. Mit diesem eng verkniipft ist der Begriff der Freiheit bzw. Willensfrei- 
heit. 



des Verstehens Wiener in: Simon 206 ff. Zu den moglichen Verfahren, aus einzelnen Beispielen auf Regeln 
bzw. aus Situationen auf ahnliche Situationen zu schlieBen und so durch „Lernen" den Umgang mit neuen 
Problemen zu meistern, siehe auch Kapitel 2 und Foerst 5 1 ff . 

2'^ Vgl. Haugeland 84 ff. und Foerst 171 ff. 

^^^ Diesen naiven Realismus und die materialistische Erkenntnistheorie gilt es zu hinterfragen. Die Unterschiede 
zur kritisch-realistischen Erkenntnistheorie in der Tradition von Aristoteles und Thomas werden sich in die- 
sem Zusammenhang in den Kapiteln 4.2 und 4.5.4 zeigen. Bereits hier muB gesagt werden, daB Erkenntnis 
bzw. Wahrheit nicht in einer empiristischen Abbildung im Sinne eines Fotoapparates besteht. Vielmehr rich- 
tet sich das Erkennen auf eine Erfassung der intelligiblen (Wesens-)Form und beinhaltet eine LFberpriifung 
dieser Form mit dem vom Geist aktiv gebildeten Begriff. 

^^^ Zu Godel siehe Kapitel 4.5.4. Die menschliche Erkenntnis ist im ubrigen nicht nur im Godelschen Sinne un- 
vollkommen. 



Symbolismus 67 



3.1.5 Wille 

In diesem Kapitel gilt es, die Auffassung der Symbolverarbeitungstheorie vom Willen zu profi- 
lieren. Beim Studium der entsprechenden Literatur fallt auf, daB die Frage nach dem Willen 
deutlich weniger thematisiert wird als die bisher besprochenen Begriffe. Die Problematik der 
Intelligenz, des Denkens, Erkennens usw. stand und steht fiir die Disziplin Kunstliche Intelli- 
genz verstandlicherweise zunachst einmal im Vordergrund. Da es der KI jedoch letztlich um ein 
Verstandnis und eine kunstliche Hervorbringung samtlicher mentaler Fahigkeiten des Menschen 
geht, wird auch der Wille betrachtet. Wie sich im Rahmen der Anthropologie (Kapitel 4.5) noch 
naher zeigen wird, hangen auBerdem Wille und Erkenntnis viel starker als auf den ersten Blick 
zu erwarten ist miteinander zusammen.^^^ 

Bei Maschinen von Willen zu sprechen, wurde bereits sehr friih angegriffen. Eine der ersten 
Kritikerinnen der - noch gar nicht in die Welt getretenen - KI war Lady Lovelace (1815- 
1852).^" Sie hat als erste darauf bestanden, daB Maschinen - wie etwa die von Babbage ge- 
plante „Analytical Engine" - stets nur das tun bzw. tun konnen, was man ihnen befiehlt.^^^ 
Menschen geben demnach der Maschine immer - mindestens - Axiome und Regeln oder Ziele 
vor, so daB von einer Freiheit im menschlichen Sinne nicht gesprochen werden kann. Dies wird 
noch durch die Annahme eines physikalischen Symbolsystems verstarkt, die wie oben erwahnt 
von der physikalischen Geschlossenheit, um nicht zu sagen Determiniertheit, der Wirklichkeit 
ausgeht.^^^ Demnach miiBte jede „Handlung" eines Symbolverarbeitungssystems voUstandig 
berechenbar und vorhersagbar sein, so daB der Begriff des freien Willens nicht anwendbar 
ist.^ ^ ^ Dagegen scheint zu sprechen, daB bei der heutigen Komplexitat der Software die Ergeb- 
nisse, d.h. die Folgen der Softwarebefehle oft nicht mehr vorhersagbar sind. Dies liegt vor al- 
lem an dem dynamischen, riickgekoppelten und eventuell pseudo-zufalligen sowie „chaoti- 
schen" Verhalten, d.h. daB kleinste Abweichungen in den EingangsgroBen zu enormen Veran- 
derungen der AusgangsgroBen fuhren konnen.^ ^ ^ 

Doch nun zur Frage, was der Wille in den Augen des Symbolismus ist und inwieweit man bei 
einem Computer von einem Willen sprechen kann. Nach Hofstadter ist „das, was wir , freien 
Willen' nennen, ein Ergebnis der Wechselwirkung zwischen dem Selbst-Symbol (oder Teilsy- 



^^^ Das sieht man schon daran, daB nur das (mindestens teilweise) Erkannte gewollt und nur mit Zustimmung des 

Willens erkannt werden kann. 
^" Vgl. Hofstadter 27 ff. und 329 ff. 

^^^ Dieses Argument wird auch gegen die Moglichkeit der echten Kreativitat von Maschinen eingebracht. 
^^^ Auf die Frage, inwieweit damit die Verantwortung des Menschen sowie allgemein die Ethik noch haltbar ist, 

wird Kapitel 4 kritisch eingehen. 
^^^ Minsky halt die Willensfreiheit deshalb fiir einen Mythos bzw. einen rein subjektiven „Glauben", da das Ge- 

schehen des gesamten Universums ausnahmslos durch Ereignisse in der Vergangenheit bzw. deterministische 

Gesetze (sowie reine Zufalligkeiten) bestimmt ist. Vgl. Minsky 306 f. 
^^^ Bereits Turing erwahnt den Einwand Lady Lovelaces und versucht ihn dadurch zu entkraften, daB er auf die 

Moglichkeit der Maschine verweist zu lernen. Vgl. Turing in: Boden 1990, 56 f., 60 ff. 



68 Symbolismus 



stem) und den anderen Symbolen im Gehim"^^^. Es wird vorgeschlagen, die Frage nach dem 
freien Willen folgendermaBen umzuformulieren: Statt zu fragen, ob ein System einen freien 
Willen habe, soil gefragt werden, ob das System eine Wahl trifft. Kann man aufgrund von in- 
nerer Symbolverarbeitung von einer Wahl zwischen verschiedenen Moglichkeiten sprechen, die 
das System selbst beeinflussen und so weit wie moglich nachvoUziehen kann, dann spricht man 
von „freiem Willen". Eine Murmel beispielsweise, die einen Berg herunter roUt, trifft demnach 
keine Wahl, auch wenn der Weg jedesmal trotz gleicher Anfangsbedingungen leicht anders ist. 
Einem Computersystem, das zwar physikalisch determiniert aber hinreichend komplex ist, kann 
jedoch „freier Wille" zugesprochen werden, da es das symbolische Abbild seiner Wahl in sich 
tragt und seine eigene Wahl bedingt nachvoUziehen kann.^^^ Das Symbolverarbeitungspro- 
gramm kann jedoch im Zuge seiner Selbstuberwachung „seine eigenen Prozesse nicht bis ins 
letzte Detail uberwachen und hat deshalb [nur; Einfugung R. E.] eine Art intuitives Gefuhl fiir 
seine Funktionen, aber kein voiles Verstandnis. Aus dem Gleichgewicht zwischen Kenntnis 
und Unkenntnis seiner selbst erwachst das Gefuhl des freien Willens. [...] Ob das System de- 
terministisch ablauft, ist ohne Belang; wir lassen gelten, daB es ,frei wahlt', well wir uns mit 
einer Beschreibung auf hoher Stufe desjenigen Prozesses, der beim Ablauf des Programms 
stattfindet, identifizieren konnen. Auf einer tieferen Stufe (Maschinensprache) sieht das Pro- 
gramm wie jedes andere aus: auf einer hohen (geballten) konnen Dinge wie ,Wille', , Intuition', 
,Kreativitat' und ,BewuBtsein' auftauchen."^^^ 

Aus Sicht des Symbolismus hat also sowohl der Mensch als auch ein geniigend komplexes 
Symbolverarbeitungssystem die gleiche Art von „freiem Willen", der eine - wenn auch einge- 
schrankte - Fahigkeit zur Selbststeuerung bzw. Selbstbewegung bedeutet. Aus der Sicht des 
„freien" Systems ist der Wille allerdings nur eine Art Gefuhl, da die Wahl zwar nicht von den 
auBeren Umstanden erzwungen wird, es aber nicht samtliche inneren Vorgange bei dessen Zu- 
standekommen kennen und damit beeinflussen kann. Fiir einen extemen Betrachter dagegen, 
der samtliche inneren Zustande und Vorgange des Systems - zumindest prinzipiell - kennen 
konnte, ist der „freie Wille" eine besonders vorteilhafte Beschreibungsform. Weil die physikali- 
sche Oder funktionale Beschreibung des Systems ab einer gewissen Komplexitat praktisch nicht 
mehr handhabbar und fur Vorhersagen unbrauchbar wird, wahlt man eine hohere Beschrei- 
bungsform, die dem System jeweils eine (vemiinftige) Wahl „unterstellt".^ ^ ^ Man spricht in 
diesem Zusammenhang von einer „intentionalen Einstellung" (intentional stance) gegeniiber 



^^^ Hofstadter 758. Zum „Selbst-Symbor' siehe auch das folgende Kapitel „BewuBtsein und SelbstbewuBtsein". 
Zum folgenden vgl. Hofstadter 758 ff. 

^^^ Es offenbart sich hier eine stark verzerrte und verkiirzte Auffassung der Freiheit. Zur wahrhaft freien Wahl ge- 
hort jedoch vor allem, das ethisch Richtige zu wahlen. Siehe zur Klarung des Freiheitsbegriffs Kapitel 4.5.5. 

^^^ Hofstadter 761. Gegen diese - teilweise mystisch anmutenden - Behauptungen wird in Kapitel 4.5 argumen- 
tiert. 

2 85 Ygj poerst 46 f. Zur Frage, inwieweit Maschinen mentale Qualitaten zugeschrieben werden konnen, siehe 
auch McCarthy in: Ringle. 

In diesem Zusammenhang sei noch auf eine fragwurdige Definition hingewiesen: „Intelligenz ist die Fahig- 
keit, auf etwas Neues in einer nicht einprogrammierten Weise zu reagieren." Schank 65. 



Symbolismus 69 



dem System. Dabei werden dem System Intentionalitat sowie evtl. auch andere menschliche 
Fahigkeiten wie BewuBtsein u.a. zugesprochen.^^^ Als eine der erstaunlichen Folgen dieser 
Auffassung des Willens ergibt sich, daB es demnach moglich ist, daB ein Wille nur Software 
innerhalb von Software ist, die wiedemm ein Teilsystem einer anderen Software bildet usw. Es 
wird dabei nur gefordert, daB die hochste Softwareebene letztlich auf irgendeiner wie auch im- 
mer gearteten Hardware lauft.^ ^ ^ Es kann also einen freien Willen innerhalb eines anderen freien 
Willens geben.^^^ 

In einem engen Zusammenhang zum Willen steht das BewuBtsein bzw. das SelbstbewuBtsein, 
ohne welches keine reflektierte, freie und verantwortliche Entscheidung gefallt werden kann. Im 
folgenden gilt es deshalb, die Auffassung des BewuBtseins naher zu betrachten. 



^^^ Die logischen und ontologischen Unzulanglichkeiten dieser Auffassung greift Kapitel 4.5.5 an. 

^^' Vgl. Hofstadter771ff. 

^^^ Damit fallt letztlich die Individualitat und Personalitat des Menschen. Siehe hierzu auch Kapitel 4.5.6. 



70 Symbolismus 



3.1.6 BewuBtsein und SelbstbewuBtsein 

Das SelbstbewuBtsein gilt nicht zu Unrecht als Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen 
Mensch und Tier bzw. der gesamten restlichen Schopfung, wie sich im Rahmen der Anthropo- 
logie (Kapitel 4.5) noch zeigen wird. An ihm wird dementsprechend seit langem auch die Un- 
terschiedlichkeit zwischen Mensch und KI zu zeigen versucht. Nachfolgend gilt es darzustellen, 
wie die symbolistische Auffassung von BewuBtsein und SelbstbewuBtsein ist, wobei auffallt, 
daB die beiden Begriffe meist nicht oder nicht geniigend auseinander gehalten werden.^^^ 

BewuBtsein bzw. SelbstbewuBtsein wird vom Symbolismus als Fahigkeit eines Systems zu 
Selbstbeobachtung, Selbsterkenntnis und SelbstkontroUe sowie ggf. zu einer Mitteilung dariiber 
verstanden. Um dies zu bewaltigen, muB ein Teil des Symbolverarbeitungssystems dem Rest 
des Systems oder der extemen AuBenwelt Mitteilungen iiber die inneren Zustande und Prozesse 
des Systems machen konnen. Dazu sind vor allem Selbstmodelle^ ^ ^ sowie „Aufzeichnungen" 
notig, auf die dann - mit einer entsprechenden Verzogerung - zugegriffen werden kann.^ ^ ^ Das 
BewuBtsein ist dann mit anderen Worten der Zugang zu einem speziellen Gedachtnispuffer.^ ^ ^ 
Durch diesen Speicherpuffer laufen alle oder zumindest alle wichtigen Vorgange des Systems 
und konnen so jederzeit „nachvollzogen" werden. 

Die Fahigkeit des BewuBtseins, das System iiber sich selbst aufzuklaren, ist allerdings grund- 
satzlich begrenzt, well es nicht in der Lage ist, voUstandige Selbstmodelle zu formen bzw. 
„vollstandige Selbst-Experimente auszufuhren. Solche Selbst-Experimente wurden die voU- 
standige Aufzeichnung der Vorgange in unserem Gedachtnismechanismus erfordem. Ein sol- 
cher Mechanismus muB bei Selbst-Experimenten, die den Versuch zum Ziel haben, seine Funk- 
tionsweise herauszufinden, zwangslaufig verwirrt werden - well derartige Experimente ebenje- 
ne Aufzeichnungen andem miissen, die zu untersuchen sie beabsichtigen!"^^^ Dies soil wegen 



Wie notig dies jedoch ist, zeigen Kapitel 4.4.4 und 4.5.6. 

Bei Metzinger heiBt es dazu: „Menschliche Organismen im Wachzustand gehoren zu einer bestimmten Klasse 
informationsverarbeitender Systeme, namlich zur Klasse der Selbstmodellgeneratoren.'' Metzinger in: Kramer 
67. In diesem Zusammenhang wird dann aus Subjektivitat eine „psychologische Eigenschaft komplexer in- 
formationsverarbeitender Systeme, die genau dann instantiiert wird, wenn das System in das von ihm aktivier- 
te Realitatsmodell ein Selbstmodell einbettet." Metzinger in: Kramer 47. Zum SelbstbewuBtsein als (kom- 
plexes) Symbol vgl. Hofstadter 413 ff. 

Dagegen ist zu sagen, daB etwa eine Videokamera vor einem Spiegel zwar ein „Model von sich selbst", jedoch 
sicher kein SelbstbewuBtsein hat. Vgl. Penrose 1991, 399 ff. 

Vgl. z.B. Minsky 151 ff., 160 und 301 ff. Minsky nennt die einzelnen Bestandteile des Symbolverarbeitungs- 
systems Agenten bzw. Agenturen und spricht so von Gehirnagenten, die von Gehirnzustanden und -vorgangen 
berichten. Siehe zur Programmierung von SelbstbewuBtsein durch Speicherung der Zustande und Prozesse 
auch Foerst 139 f. 
Vgl. Haugeland215ff. 

Minsky 58. Vgl. auch die analoge Argumentation im vorangegangenen Kapitel zum Thema Willensfreiheit. 
Zur Frage nach der vollstandigen Selbstbeobachtung bzw. -erkenntnis ist kritisch anzumerken, daB diese dem 
Menschen zwar aufgrund seiner Endlichkeit unmoglich ist, das Wesen der Reflexion und der Selbsterkenntnis 
des Menschen wird jedoch durch die von der KI betriebene, rein naturwissenschaftliche Betrachtung nicht er- 
faBt. Siehe dazu und zur Besonderheit der geistigen Seele auch Kapitel 4.5.3 und 4.5.6. 



Symbolismus 71 



der Aquivalenz der Symbolverarbeitungssysteme fiir das naturliche, menschliche ebenso wie 
fur das kiinstliche BewuBtsein gelten. 

Das Problem der (voUstandigen) Selbsterkenntnis lautet anders ausgedriickt: „So wie wir unser 
Gesicht nicht mit eigenen Augen [d.h. ohne jedes exteme Hilfsmittel wie Spiegel o.a.; Anmer- 
kung R. E.] sehen konnen, ist es unvemiinftig zu erwarten, daB wir unsere voUstandige geisti- 
ge Struktur in den Symbolen, die sie tragen, spiegeln konnen I"^^"^ Die Tatsache, daB es aber 
doch (menschliches) SelbstbewuBtsein gibt, beruht nach Hofstadter auf einer rekursiven oder 
wie er es nennt „Seltsamen Schleife" der verschiedenen Systemteile bzw. -stufen. Sie besteht in 
„einer Wechselwirkung zwischen Stufen, bei der die oberste Stufe auf die unterste zuriickgreift 
und auf sie einwirkt, wobei sie gleichzeitig durch die unterste Stufe bestimmt ist. In anderen 
Worten: eine sich selbst verstarkende ,Resonanz' zwischen verschiedenen Stufen".^ ^^ In eine 
ahnliche Richtung geht folgende Erklarung: „Consciousness involves reflection on one level of 
processing going on at a lower level. Work in classical AI [. . .] has studied multi-level problem- 
solving. Computationally informed work in developmental psychology has suggested that 
flexible self-control, and eventually consciousness, result from a series of 'representational re- 
descriptions' of lower-level skills (Clark and Karmiloff-Smith 1993)."^^^ 

Etwas weniger problematisch scheint dem Symbolismus die Erklarung des UnbewuBten bzw. 
UnterbewuBten. Dieses wird aufgefaBt als regelbasierte Mechanismen, die wegen der Uberle- 
benschance und der dafur meist notigen extremen Geschwindigkeit introspektiv nicht zugang- 
lich sind. Insbesondere physiologische Fahigkeiten - wie die Steuerung des Gleichgewichtes 
oder der Herzfrequenz - aber auch der Umgang mit Gefuhlen, „vergessenem" oder verdrang- 
tem Wissen, Wunschen und dergleichen sind demnach Prozesse, die durch zeitweise oder 
grundsatzlich nicht zugangliche Berechnungen des Symbolverarbeitungssystems gesteuert wer- 
den.^^^ 

Eng mit der Frage nach dem SelbstbewuBtsein zusammenhangend ist die Frage nach dem 
Selbst, d.h. dem inneren Ursprung und Zentrum samtlichen Handelns. Nach der Auffassung 
des Symbolismus gibt es keinen substanziellen Kern, den man als Selbst oder Ich bezeichnen 
konnte.^^^ Dieser wird analog zu dem iiber Intelligenz, Geist, Denken und Wille Gesagten ent- 
schieden ausgeschlossen. Statt dessen wird davon ausgegangen, daB das Selbst bzw. das sub- 



2^4 Hofstadter 743. Vgl. auch Gierer 1985, 236 ff. 

^^^ Hofstadter 756. Zur Problematik, daB ein System nicht liber sich selbst hinauswachsen bzw. aus sich selbst 

herausspringen kann, siehe auch Ausfuhrungen zu Godel (z.B. Hofstadter 741 ff.) und Kapitel 4.5.4. Zum 

BewuBtsein als Selbstmodell und Metareprasentation siehe Metzinger in: Kramer 61 ff. und Kapitel 3.2.6. 
^^^ Boden in: Boden 1996, 105. Das angesprochene Werk ist Clark/Karmiloff-Smith: The Cognizer's Innards: A 

Psychological and Philosophical Perspective on the Development of Thought, in: Mind and Language, 8: 

487-568. 
^^^ Vgl. Dreyfus/Dreyfus 88 f. und 270 f. Zu einer philosophischen Klarstellung des Un- bzw. UnterbewuBtseins 

unter Beriicksichtigung der Immaterialitat der Seele siehe Kapitel 4.5.6. 
^^^ Vgl. Minsky 39 ff. und Eccles 57 ff. Als seltenes Beispiel fiir eine hegelianische Auffassung des 

(Selbst-)BewuBtseins in der KI-Forschung siehe Cottam et al. in: Wilke et al. 239 ff. 



72 Symbolismus 



jektive Wissen oder Gefiihl um das Selbst eine Folge des (super-)komplexen Zusammenwir- 
kens geeigneter Algorithmen ist. Von einem Selbst zu sprechen, ist demnach nur auf einer ent- 
sprechend hohen Beschreibungsebene moglich, die von Materiellem, Funktionalem und Ahnli- 
chem absieht. Damit ist auch die Losung fiir das Problem der Individualitat vorgegeben. Nach 
der Lehre des Symbolismus gibt es keine klassische Individualitat im Sinne einer prinzipiellen 
Unteilbarkeit, Unmitteilbarkeit und Nichtvervielfaltigbarkeit der Person.^^^ Eine intelligente und 
selbstbewuBte Software laBt sich ohne Verluste auf jede geeignete Hardware ubertragen und 
damit beliebig vervielfaltigen. Auch bereits erworbene „Erfahrungen", gelemtes Verhalten und 
Wissen etc. lassen sich so grundsatzlich duplizieren, so daB sich mehrere Realisierungen des- 
selben komplexen Symbolverarbeitungssystems in nichts voneinander unterscheiden.^ ^ ^ Bei 
Menschen spricht man vor allem deshalb (noch) von deren Individualitat, well es bisher noch 
nicht moglich ist, ihre Symbolverarbeitungsmechanismen voUstandig zu entschlusseln und samt 
den durch sie erworbenen Informationen zu vervielfaltigen. 

Ein Gebiet, das lange Zeit und in besonderer Weise auf die individuelle Einmaligkeit von Men- 
schen hinwies, ist das der Gefuhle. Inwieweit dies vom Symbolismus bestritten wird und wie 
er die Gefuhle sieht, ist Gegenstand des nachsten Kapitels. 



^^^ Zur Zuriickweisung dieser Ansichten siehe Kapitel 4.5.3 und 4.5.6. 

300 Ygi Penrose 1991, 24 ff. Demnach sollte auch der Bau einer Teleportationsmaschine moglich sein. Ebenfalls 
moglich im Rahmen des Symbolismus (sowie des Konnektionismus) ware, mehrere „Selbst" in einer Hard- 
ware zu implementieren. Auch der Turingtest ware - wenn ihn erst einmal eine Software bestanden hatte - fur 
samtliche Hardwareversionen angeblich kein Problem. 



Symbolismus 73 



3.1.7 Gefuhle 

Die Analyse und eventuelle kiinstliche Synthese der Gefuhle wurde zu Beginn der KI-Ent- 
wicklung kaum betrieben, da sie auf den ersten Blick nicht zu den kognitiven Phanomenen 
bzw. Fahigkeiten gehoren oder sie mindestens zu hindem scheinen. Erst relativ spat wurde er- 
kannt, daB die Gefuhle sehr wohl mit dem intelligenten Verhalten des Menschen in einem - 
auch positiven - Zusammenhang stehen und so nicht nur fur das KI-Femziel eines kiinstlichen 
Menschen, sondem auch schon fur eine kiinstliche Intelligenz mit zu betrachten sind.^^^ Bis 
heute, aber vor allem in den Anfangen der KI, galten und gelten die Gefuhle haufig als Riick- 
zugsfeld fur KI-Gegner, da es scheinbar direkt einleuchtet, daB der Bereich der Gefuhle nie von 
Computem erobert werden konne. 

Dagegen haben die Symbolisten implementierbare Theorien der Gefuhle aufgestellt, die sich in 
zwei mogliche Auffassungen teilen lassen: Gefuhle entstehen entweder indirekt bzw. emergie- 
ren aus komplexen Symbolverarbeitungsstrukturen, oder sie werden ausdriicklich als separate 
Module programmiert. Die erste Auffassung vertritt beispielsweise Hofstadter, der schreibt: 
„Programme und Maschinen werden auf gleiche Weise Empfindungen erwecken: als Neben- 
produkt ihrer Struktur, der Art wie sie organisiert sind - nicht durch direkte Einprogrammie- 
rung. So wird z.B. niemand ein Unterprogramm ,Sich verlieben' schreiben, genauso wenig 
wie ein Unterprogramm ,Fehler machen'. ,Sich verlieben' ist eine Beschreibung, die wir einem 
komplexen ProzeB eines komplexen Systems zuordnen; innerhalb des Systems braucht jedoch 
kein einziges Modul dafur allein zustandig zu sein."^^^ 

Dagegen halt die zweite Auffassung Gefuhle fur „Varietaten oder Abarten von Gedanken"^^^ 
die in Form von mentalen bzw. hier emotionalen Zustanden und Prozessen algorithmisch pro- 
grammiert werden konnen. Diese Gefuhlsagenten bzw. Gefuhlsmodule werden insbesondere 
dann aufgerufen, wenn es zu Konflikten zwischen gegenlaufigen Prozeduren innerhalb einer 
Symbolverarbeitungsmaschine oder besonderer Ressourcenknappheit kommt. Bei den Gefuh- 
len handelt es sich dementsprechend um „Symbolstrukturen, die sinnvoU mit Wissen und Ent- 
scheidungsprozessen interagieren konnen"^ ^ ^ . 

Umstritten ist die Frage, inwieweit Gefuhle notwendigerweise einen Leib bzw. einen Korper 
voraussetzen und nur im Zusammenhang mit ihm verstanden werden konnen. Einige halten die 
leiblichen Aspekte fur untergeordnet: „Fury matters because it can produce actions causing harm 



Vgl. Haugeland 200 ff. und Dorner in: Kramer 157 f. 

Hofstadter 721. Das erinnert einerseits an die bereits geschilderte Methode, Phanomene vornehmlich und aus 
Praktikabilitatsgriinden auf einer entsprechend hohen Beschreibungsebene anzusiedeln. Andererseits zeigt sich 
eine starke Ahnlichkeit zum Emergenzprinzip des Konnektionismus. Vgl. deshalb auch Kapitel 3.2.1. 
Minsky 163. Vgl. auch Minsky 164 ff. und 37 f. Wie das Verhaltnis von Gefuhlen und Gedanken ist, die bei- 
de nicht wie von der KI materialistisch-quantifizierend miB verstanden werden diirfen, behandelt Kapitel 4.5.7. 
Schon hier kann festgehalten werden, daB die menschlichen Gefuhle von geistigen Akten begleitet werden 
oder zumindest begleitet werden konnen. 
Haugeland 201. 



74 Symbolismus 



to the hater and hated, not because there is physical tension and sweating. Grief matters because 
the beloved child is lost, not because there is a new feeling in the belly."^^^ Dementsprechend 
geht es bei der Programmierung der Gefuhle vor allem um die Frage, wie Gefuhle die inneren 
Zustande, Prozesse und Ziele sowie die auBeren Handlungen des kognitiven Systems beein- 
flussen. Gefuhle werden dabei beispielsweise als „Modulationen" kognitiver bzw. psychischer 
Prozesse aufgefaBt, die in der Regel Verhaltensdispositionen enthalten.^ ^ ^ In diesem behaviori- 
stisch-funktionalistischen Sinne kann man also bei einem entsprechenden Roboter (oder sogar 
bei AuBerirdischen) in genau der gleichen Weise von den jeweiligen Gefuhlen sprechen wie 
beim Menschen. 

Dagegen wird von anderen betont, daB Gefuhle aus der leiblichen und ggf . sozialen Eingebun- 
denheit in eine spezielle Umwelt entstehen.^ ^ ^ Um menschliche Intelligenz und menschliche Ge- 
fuhle zu entwickeln, ist es demnach notig, die Systeme mit kiinstlichen und moglichst men- 
schenahnlichen Sinnen, GliedmaBen, Organen und dergleichen auszustatten und sie einer 
menschlichen Gesellschaft auszusetzen. Als Vorstufe dazu und zur Verbesserung der Mensch- 
Maschine-Schnittstelle wird vielerorts^ ^ ^ versucht, die Gefuhle von Menschen durch - ggf. 
tragbare - Computer mit Hilfe von Sensoren feststellen zu lassen. Gefuhle wie etwa StreBemp- 
findung sind in den zugrundeliegenden Theorien wesentlich durch korperliche Zustande wie 
Atem- und Puis- bzw. Herzfrequenz, Hautwiderstand und Hauttemperatur, SchweiBbildung, 
Muskelspannung etc. gekennzeichnet. 

Bei der Frage nach der Notwendigkeit eines Leibes fur Intelligenz im allgemeinen und fur Ge- 
fuhle im besonderen konstatiert der Symbolismus, daB die Sinne die Aufgabe haben, symboli- 
sche Beschreibungen zu erzeugen, insbesondere fur hohere Prozesse.^ ^^ Fur die KI sind dem- 
entsprechend geeignete Sensoren zu konstruieren, die genau diese Aufgabe ubemehmen, indem 
sie die Umwelt in weiter zu verarbeitende Symbole umformen.^ ^ ^ 

Trotz der Verschiedenheit der Ansatze kann festgehalten werden, daB symbolistische Theorien 
auch die Gefuhle fur grundsatzlich kiinstlich reproduzierbar und damit fur nicht wirklich einma- 
lig halten. Gefuhle sind demnach nicht wesentlich anders als die bisher betrachteten psychi- 
schen oder mentalen Fahigkeiten aufzufassen. 

Im AnschluB an die bisherigen Ausfuhrungen wird das folgende Kapitel einen der um- 
fassendsten Begriffe der Anthropologic aus der Sicht des Symbolismus in Angriff nehmen, der 



^°^ Sloman in: Boden 1990, 242. 

^^^ Vgl. Dorner in: Kramer 132 ff. Dorner benutzt fUr die Beschreibung und kiinstliche Erzeugung von GefUhlen 
die fiinf Parameter Aktivierung, Externalisierung, Selektionsschwelle, Auflosungsgrad und Unlust. 

^^^ Vgl. die Ausfuhrungen zur „Embodied Artificial Intelligence" in Foerst 84 ff., wo u.a. die Notwendigkeit ei- 
ner „Nachvollziehung der Evolution" betont wird. 

^^^ Beispielsweise am „Media Lab" des MIT (www.media.mit.edu). 

^^^ Vgl. Dreyfus/Dreyfus 137. Um auch hier nicht in einen unendlichen Regress zu geraten, muB man allerdings 
annehmen, daB die Sinne selbst nicht nach dem Symbolverarbeitungsprinzip funktionieren konnen, was die 
Symbolverarbeitungstheorie in arge Bedrangnis bringt. 

^^^ Zur Umsetzung visueller und akustischer Wahrnehmung siehe z.B. Hausser in: Schneider 1 15 ff. 



Symbolismus 75 



nicht selten als die Grundlage der bisher genannten Fahigkeiten, Phanomene oder Vollzuge gilt: 
das Leben. 



76 Symbolismus 



3.1.8 Leben 

Mit der Erforschung und kiinstlichen Hervorbringung des Lebens befaBt sich, wie bereits in 
Kapitel 2 erwahnt, innerhalb der KI die Teildisziplin Kunstliches Leben (KL) bzw. englisch 
Artificial Life (AL, A-Life).^^^ „Artificial Life is an interdisciplinary field that attempts to under- 
stand the essential nature of living systems by means of devising and studying computationally 
implemented models of the characteristic processes of living systems."^ ^^ Lines der Hauptpro- 
bleme dabei besteht darin, daB es aufgrund der enormen Vielfalt des Lebendigen innerhalb der 
Naturwissenschaften keine einheitliche, allgemein anerkannte Definition von Leben gibt. „There 
is no consensus view on what makes something alive. [...] Perhaps the closest thing to a con- 
sensus is the view that life is what philosophers call a 'cluster concept'."^ ^ ^ Unter dem genann- 
ten „Cluster Concept" versteht man eine Ansammlung von Eigenschaften, die mit dem Leben 
verbunden sind, welche jedoch bei einem Lebewesen nicht alle erfullt sein miissen. Vielmehr 
reicht es bereits, wenn eine geniigend groBe Zahl davon vorhanden ist.^ ^ ^ Alternative Defini- 
tionsversuche, die eine genau begrenzte Anzahl notwendiger Eigenschaften benutzen, stehen in 
der Gefahr, entweder das Lebendige zu weit zu fassen und so offensichtlich Unlebendiges mit 
einzuschlieBen, oder auf der anderen Seite durch einen zu engen Kreis einzelne Lebensformen 
falschlich auszuschlieBen.^ ^ ^ Die Uneinigkeit bei der Frage nach den notwendigen und hinrei- 
chenden Bedingungen fur Leben betrifft auch den Zusammenhang zwischen Leben und Intelli- 
genz. Leben wird in der Tradition der klassischen KI meist nicht als die notwendige Vorausset- 
zung fur Intelligenz gesehen, obwohl dies beim naturlichen Leben der Fall ist.^ ^ ^ 

Man kann die Disziplin „Kunstliches Leben" analog der Unterteilung der KI in starke und 
schwache KL teilen.^ ^ ^ Das Folgende konzentriert sich vor allem auf die „starke" KL- Version, 
da diese das Leben und seine VoUzuge nicht nur simulieren, sondem in ihrem Wesen erklaren 
und voUwertig rekonstruieren will und so in besonderer Weise eine Konkurrenz bzw. ein The- 
ma fur die Philosophic ist. Die starke KL- Version vertritt eine funktionalistische Auffassung 
des Lebens, und zwar mit dem folgenden Anspruch: „Functionalism, both in the study of mind 
and the study of life, is a liberating doctrine. It leads us to view human cognition and terrestrial 
organisms as examples of mind and life. To understand mind and life, we must abstract away 



Im folgenden wird mit „KL" das kiinstliche Leben sowie die KL-Forschung abgekiirzt. Einen guten Einstieg 

zum Thema KL bietet die Internetadresse www.alife.org. 

Bedau in: Boden 1996, 343. 

Godfrey- Smith in: Boden 1996, 319. Vgl. auch Boden 1996, 1. Zum Versuch, Leben zu definieren als die Ei- 

genschaft eines Systems, seine Entropie trotz Umwelteinflussen zu minimieren, siehe Adami 5 ff. und 85 ff. 

Damit will man verhindern, daB gewisse Sonderfalle aus der Definition herausfallen. 

Legt man beispiels weise die Fortpflanzung als Kriterium fest, schlieBt man Falle wie das Maultier aus. Wahlt 

man z.B. Metabolismus, so schlieBt man ungewollt Konvektionszellen oder ahnliches ein. Siehe zu den ver- 

schiedenen Definitionsversuchen sowie der Kritik daran Bedau in: Boden 1996, 334 ff. 

Siehe dagegen Godfrey-Smith in: Boden 1996, 320 ff. Nach der dort vorgestellten „schwachen Kontinuitats- 

these" ist Leben die notwendige Bedingung fur Intelligenz, nach der „starken Kontinuitatsthese" ist Intelligenz 

eine (graduelle) Weiterentwicklung des Lebens. Das Kapitel 4.5.8 wird die oben dargestellte Theorie des Zu- 

sammenhangs zwischen Leben und seelischen sowie geistigen Vollzugen kritisch beleuchten. 



Symbolismus 77 



from physical details."^ ^^ Leben ist demnach nicht an bestimmte materielle Trager (wie bei- 
spielsweise Kohlenstoffverbindungen) gebunden, sondem analog dem iiber Intelligenz und 
Geist Gesagten quasi hardwareunabhangig. Die Unterscheidung zwischen organischen und an- 
organischen Stoffen ist damit letztlich irrelevant, da Leben iiber die Form und nicht den Stoff 
definiert wird. „Life is a property of form, not matter, a result of the organisation of matter 
rather than something that inheres in the matter itself."^ ^ ^ 

Die funktionalistische Abstraktion geht teilweise sogar soweit, daB nicht nur kiinstliche Tiere 
gebaut und als lebendig bezeichnet werden.^^^ In der von Thomas S. Ray entworfenen Com- 
puterplattform „Tierra" beispielsweise werden digitale Organismen, d.h. letztlich Programme, 
als lebendige Wesen betrachtet, da sie sich durch Vervielfaltigung, Mutation und Selektion ihrer 
„Umgebung" anpassen und weiterentwickeln.^ ^ ^ „Organic life is viewed as utilizing energy, 
mostly derived from the sun, to organize matter. By analogy, digital life can be viewed as using 
CPU (central processing unit) time, to organize memory. Organic life evolves through natural 
selection as individuals compete for resources (light, food, space, etc.) such that genotypes 
which leave the most descendants increase in frequency. Digital life evolves through the same 
process, as replicating algorithms compete for CPU time and memory space, and organisms 
evolve strategies to exploit one another."^ ^^ 

Bei der Betrachtung des Lebens kann man zwischen dem (eigentlichen) individuellen und dem 
koUektiven bzw. „gesellschaftlichen" Leben unterscheiden. Der Schwerpunkt soil hier auf dem 
individuellen Leben liegen, da dieses, zumindest im Bereich des Menschen, ein besonders ho- 
hes Gut ist (vgl. Kapitel 4.5.8). Das soziale Leben wird durch den Symbolismus vor allem 
durch Agenten-Technologie zu erfassen bzw. zu schaffen gesucht. Ein Lebewesen ist aus der 
Sicht des Symbolismus ein komplexes, ggf. nicht-lineares^ ^ \ autonomes^^\ selbstorganisiertes 



317 



318 



Vgl. Sober in: Boden 1996, 361 ff. 

Sober in: Boden 1996, 376. 

Langton in: Boden 1996, 53. Leider bleibt die Erkenntnis der tJberlegenheit der Form hier im Funktionalis- 

mus stecken und steigt nicht zur Erkenntnis der substanziellen, unstofflichen Seele bzw. Lebensform (Ente- 

lechie) auf. Siehe zur Darlegung der Notwendigkeit der Seele und zum Wesen des Lebens Kapitel 4.3.2 und 

4.5.8 sowie Hennen. 

Weit entfernt von der klassischen Auffassung des Lebens ist z.B. Bedau, der (in: Boden 1996, 332 ff.) Leben 

definiert als ein flexibles Anpassungssystem (supple adaptation bzw. open-ended evolution). Zur Kritik an 

dieser Auffassung, aus der u.a. folgt, daB vom Menschen entworfene, okonomische und intellektuelle Syste- 

me lebendig sind, siehe Domjan in: Floreano et al. 21 ff. Zur Kritik am Funktionalismus siehe Hennen 220 

ff. 

Zum Projekt Tierra und den teilweise erstaunlichen Entwicklungen, wie etwa die durch „Selektion" entstande- 

nen „Parasiten", welche die Kopierfunktion anderer „Wesen" ausnutzen, siehe Adami 45 ff.; Gell-Mann 436 

ff.; Ray in: Boden 1996, 111 ff. und Langton in: Boden 1996, 88 ff. sowie www.hip.atr.co.jp/~ray/tierra. 

Ein ebenfalls sehr bekanntes KL-Programm ist „Game of Life" oder kurz „Life", das auf einem Zellularauto- 

maten beruht. Siehe zu den auf J. von Neumann zuriickgehenden Zellularautomaten, mit denen sich vor allem 

Selbstreproduktion und Evolution untersuchen lassen, Adami 22 ff.; Casti 178 ff.; Hesse 263 f.; Boden 1996, 

6; Taylor in: Floreano et al. 94 ff. sowie Langton in: Boden 1996, 47 ff. und 63 ff. 

Ray in: Boden 1996, 113 f. 

Nicht-Linearitat bedeutet, daB eine Superposition (tJberlagerung) der zunachst getrennt betrachteten Telle, Ei- 

genschaften und Prozesse nicht die Eigenschaften der betrachteten Einheit erklaren kann. Das Ganze ist also 



78 Symbolismus 



System, das gewisse Eigenschaften hat bzw. einer Anzahl von Kriterien geniigt. Welche Krite- 
rien genau notwendig und hinreichend sind, ist seit langem umstritten. Genannt werden vor al- 
lem: Replikation, d.h. Selbstvervielfaltigung bzw. Vermehrung; Wachstum; Metabolismus, 
d.h. Stoffwechsel bzw. Aufnahme und Umwandlung von Materie und Energie; Interaktion mit 
der Umwelt und Anpassung an diese sowie Weiterentwicklung durch evolutionare Prozesse.^^^ 
Die Substanz bzw. das Wesen des Lebens ist also mit anderen Worten ein hinreichend komple- 
xer ProzeB, der wie alle beschreibbaren Prozesse auf einer universalen Turingmaschine imple- 
mentiert werden kann. Hierzu werden vor allem genetische bzw. evolutionare Algorithmen be- 
nutzt.^'^ 

Durch solche Algorithmen soil auch der Ursprung des Lebens erklart werden. Wie bereits in 
Kapitel 2.6 angedeutet, wird versucht, die in der Entwicklung der Natur angenommene Evolu- 
tion des Lebens und der verschiedenen Lebensformen im doppelten Sinne nachzuvoUziehen.^^^ 
Dazu greift man u.a. auch auf das Konzept der kiinstlichen, abstrakten bzw. generalisierten Ge- 
no- und Phenotypen zuriick.^ ^ ^ Bei der Theorie des Lebens spielt auch der Begriff der „Emer- 
genz" eine RoUe, allerdings eine nicht so zentrale wie im Konnektionismus.^^^ Nach der Theo- 
rie des Symbolismus ist es demnach moglich, daB sowohl Ordnung als auch zunehmende 
Komplexitat und Diversitat durch Algorithmen emergieren konnen.^ ^ ^ 

Eine Lebenskraft bzw. ein immaterielles Lebensprinzip, d.h. eine Seele wird vom Symbolismus 
bestritten, wie in Kapitel 3.1.3 unter einem anderen Aspekt bereits dargestellt wurde, da die 
Naturwissenschaften angeblich samtliche Lebensfunktionen ohne ein solches erklaren konnen: 



mehr als die Summe bzw. besser die tJberlagemng der Teile. Vgl. dazu die Ausfuhmngen liber Emergenz, 

Kapitel 3.2.8 und Langton in: Boden 1996, 52 ff. 

Vgl. zur Autonomie Boden in: Boden 1996, 101 ff. 

Vgl. zu den Kriterien Domjan in: Floreano et al. 24; Boden 1996, 1 f., 8, 12; Ray in: Boden 1996, 112; 

Matthews in: Boden 1996, 303 ff.; Bedau in: Boden 1996, 334 f. und Pattee in: Boden 1996, 387. Zur Unzu- 

langlichkeit dieser Kriterien, die den seelischen Aspekt des Lebens nicht oder nur ungeniigend beachten, siehe 

Kapitel 4.5.8 und Hennen. 

Vgl. zu diesen Algorithmen Langton in: Boden 1996, 71 ff.; Braun 167 ff. und Boden in: Boden 1996, 98 ff. 

Siehe zu rekursiven Algorithmen, insbesondere bezogen auf Wachstum, Langton in: Boden 1996, 59 ff. 

Wie die KI intelligentes, so sucht die KL lebendiges Verhalten zu erzeugen. Dementsprechend gibt es auch 

Vorschlage fur eine Art „Turing-Test" fur KL. 

Vgl. Boden 1996, 23 ff. und Langton in: Boden 1996, 69. Durch die „kunstliche Evolution" soil es moglich 

werden, notwendige Entwicklungen und Faktoren der Evolution von nebensachlichen bzw. zufalligen zu un- 

terscheiden. Gegen die - i.d.R. unbewiesenen - evolutionaren Voraussetzungen und Theorien ist bereits hier 

ein Vorhalt zu machen. Siehe zur Kritik an evolutionaren Auffassungen Kapitel 4.5.8. 

Siehe zu Geno- und Phenotypen Langton in: Boden 1996, 54 ff. Auf S. 55 heiBt es dort: „The genotype is 

the complete set of genetic instructions encoded in the linear sequence of nucleotide bases that makes up an 

organism's DNA. The phenotype is the physical organism itself - the structures that emerge in space and 

time as the result of the interpretation of the genotype in the context of a particular environment." 

Vgl. Kapitel 3.2, insbesondere 3.2.1 und 3.2.8. Siehe zur Emergenz von Komplexitat und Diversitat bzw. 

neuen „Lebensformen" im Computer Langton in: Boden 1996, 111 ff. Dort wird u.a. die „Entstehung" von 

„Parasiten" sowie eines „okologischen Systems" beschrieben. 

Siehe zur Emergenz, insbesondere der von Ordnung Burian/Richardson in: Boden 1996, 146 ff.; Hendriks- 

Jansen in: Boden 282 ff. und Pattee in: Boden 1996, 388 ff. 



Symbolismus 79 



„Ein gebildeter Mensch muB nicht langer nach einer besonderen Vitalkraft suchen, die alle Le- 
bewesen beseelt."^^^ 

Wahrend das Leben als eine besondere Form der Symbol- bzw. Informations verarbeitung auf- 
gefaBt wird, bedeutet dem Symbolismus der Tod ein Verlust von Information und vor allem 
von Informationsumformungsmoglichkeiten.^ ^ ^ Anders ausgedriickt ist der Tod dann die Zer- 
storung des Informationsverarbeitungssystems bzw. die Auflosung in seine Einzelteile. Dies ist 
jedoch - zumindest grundsatzlich und aus Sicht eines AuBenstehenden - umkehrbar, also nicht 
endgultig. Fur ein kiinstliches Lebewesen ist also bei entsprechenden Vorkehrungen des Men- 
schen wie geniigend „Nahrung", fehlenden aggressiven Gegnem etc. „unendlich" langes Leben 
moglich, vor allem auch deswegen, well es auf beliebige Medien ubertragbar ist.^^^ Unter Um- 
standen kann es jedoch auch erwunscht sein, dem naturlichen Vorbild zu entsprechen, so daB 
der Tod programmiert wird, z.B. durch allmahliche „self-decomposition".^ ^ ^ Dem uralten Un- 
sterblichkeitswunsch des Menschen will der Symbolismus also einen wesentlichen Schritt naher 
gekommen sein. Dabei fallt jedoch auf, daB dieser Wunsch im Rahmen des Symbolismus ei- 
gentlich nicht zu verstehen ist, da Sinn und Wert des Lebens weithin unbehandelt bzw. unver- 
standen bleiben. 



^^^ Minsky 19. 

^^^ Vgl. Titze 112ff. 

^^^ Zum Wunsch nach Unsterblichkeit vgl. Foerst 97 ff., 311 ff.; Roszak 167 f. sowie Kurzweil in: Schirrma- 
cherund siehe auch Moravec 1999, 229 f. sowie 265 ff. Zur philosophischen Richtigstellung des Begriffes 
der Unendlichkeit siehe Rast in: B rugger 420 f. und zur Unsterblichkeit Kapitel 4.5.3. 

^^^ Vgl. Oohashi et al. in: Floreano et al. 49 ff. 



80 Symbolismus 



3.1.9 Zwischenfazit zum Symbolismus 

Nach dem bisher Gesagten laBt sich die symbolistische Theorie wie folgt zusammenfassen: 
Samtliche menschlichen und insbesondere kognitiven Fahigkeiten lassen sich letztlich durch 
komplexe^^^ Symbolverarbeitung erklaren und - zumindest prinzipiell - mit einer Turingma- 
schine bzw. einem Universalcomputer gleichwertig nachbilden bzw. nachbauen. Die Errei- 
chung der Kl-Ziele ist letztlich nur eine Frage der Zeit sowie der technischen Reife und der 
Komplexitat der verwendeten Systeme.^^^ Vor allem die Modularitat und das hierarchische 
Schichtenmodell sind die Voraussetzungen fur eine „unbegrenzte" Komplexitatssteigerung, so- 
wohl der Theorie als auch der technischen Artefakte. Damit schwindet der Wesensunterschied 
zwischen dem Menschen und dem Rest der Schopfung sowie zwischen dem Menschen und 
seinen Werken, in diesem Fall dem Computer. Es ergeben sich eine Vielzahl philosophisch be- 
deutsamer Probleme, die es spater aufzugreifen gilt. Eine allgemeingultige, verbindliche Ethik 
beispielsweise, die, wie sich zeigen laBt,^^^ in der Individualitat, Geistigkeit und Wurde der 
Person griindet, ist im Rahmen des Symbolismus nicht moglich. Aber auch die anthropologisch 
bedeutenden Begriffe wie Geist, SelbstbewuBtsein, Leben etc. stoBen auf uniiberwindbare Pro- 
bleme, vor allem well die symbolistische Systemtheorie das Wesen des Immateriellen nicht er- 
reicht. Die Frage „Konnen Computer wie Menschen handeln und insbesondere wie sie den- 
ken?" wurde immer mehr zur Frage „Ist der Mensch auch (nur) ein Computer?". Beide Fragen 
sind nach dem Symbolismus mit „Ja" zu beantworten. Der Mensch ist nach ihm eine „intelli- 
gente Maschine", ein besonders komplexes Symbolverarbeitungssystem.^ ^ ^ Die Computer- 
Metapher^ ^ ^ wird nicht mehr als Metapher, sondem wortlich genommen und zudem auf den ge- 
samten Menschen und im Extremfall sogar auf die gesamte Wirklichkeit angewendet. 

Nach einigen Vertretem des Symbolismus ist es erst die Wissenschaft der KI bzw. der Com- 
puter und nicht die Jahrtausende der angeblich erfolglosen Philosophiegeschichte, die Gedan- 
ken, Intelligenz und dergleichen faBbar und verstehbar macht.^ ^ ^ Programme werden - insbe- 
sondere beim Symbolismus, aber auch beim Konnektionismus - als Theorien, allerdings auch 



^^^ Der Begriff der Komplexitat wird von der KI sehr haufig und oft so unprazise verwendet, daB man nicht selten 
den Eindruck gewinnt, er solle nur die Unzulanglichkeit einer Theorie verdecken. 

^^^ Ab wann die jeweils hinreichende Komplexitat erreicht wird, ist jedoch meist vollig ungeklart. Vgl. dazu 
Churchland 1986, 346. 

Simon geht soweit zu behaupten, die Komplexitat des Menschen und seines Verhaltens sei letztlich nur die 
Komplexitat seiner Umgebung, der Mensch selbst sei einfach. Simon 47 ff., 71 ff., 86, 93 f. Siehe dazu auch 
Pylyshyn in: Ringle, insbesondere 27 ff. und zur Kritik Weizenbaum 1978, 175 ff. 

^^^ Siehe Kapitel 4.5.9 und z.B. Lehmen, insbesondere Band IV. 

^^^ Vgl. McClintock 38 ff., wo diese Position am Beispiel der Veroffentlichungen Pollocks dargestellt wird. 

^^^ Siehe zur Computermetapher Helm 12 ff. Die Computermetapher bzw. das Computermodell ist im ubrigen 
ein Metaparadigma, d.h. es kann auf sehr viele Ebenen und Anwendungen ubertragen werden. Die Computer- 
metapher findet deshalb u.a. in der Psychologic, der Medizin und der Soziologie Anwendung. Zur Kritik an 
der Verwechselung von Metapher und Wirklichkeit siehe Roszak 7 1 ff . 

^^^ Vgl. Newell/Simon in: Boden 1990, 130 und Haugeland 217. Eine solche Unkenntnis und MiBachtung der 
Philosophic zeigt, wie sehr einzelne Wissenschaftler vom Zeitgeist gepragt sein konnen und wie wichtig die 
Kenntnis der (Philosophie-)Geschichte und der Philosophic ist. 



Symbolismus 81 



als deren Bestatigungen gesehen.^"^^ „Der Rechner ist zum ,signum veritatis' kognitions- 
technologischer Forschungsbemiihungen geworden; d.h. die Implementationsfahigkeit in Form 
von Computerprogrammen wird fiir eine Kognitionstheorie zum Wissenschaftlichkeitskriteri- 
um"^^^ Problematisch ist dabei jedoch, daB der Computer mehr oder weniger die Theorie be- 
weisen soil, nach der er selbst konstruiert wurde, d.h. die er selbst voraussetzt.^ ^ ^ 

Zu den Folgen des Symbolismus gehort, daB Informatik, Psychologie, Linguistik, Philosophie 
und Biologie, zumindest was ihre Forschung zum Thema Intelligenz angeht, mehr oder weniger 
in der Kognitionswissenschaft in Form der KI zusammenfallen soUen, da es ihr zufolge keinen 
Unterschied zwischen naturlicher und kiinstlicher Intelligenz gibt.^ ^ ^ Eine der frappierendsten 
Folgen der Symbolverarbeitungstheorie diirfte damit die Feststellung sein, daB Computer dem 
Menschen ahnlicher seien als Tiere.^ ^ ^ Als Ausweg daraus halten manche nur das fiir wahrhaft 
menschlich, was sich nicht in Worte und damit nicht in Programme fassen laBt. Wie fragwurdig 
diese Alternative ist und daB sie nicht die einzige ist, gilt es im Rahmen der vorliegenden Arbeit 
zu entwickeln. Bevor der Symbolismus in Kapitel 4 kritisiert wird, sind jedoch zunachst weite- 
re Theorien in bezug auf die anthropologisch relevanten Begriffe darzustellen. Entsprechend der 
zu Beginn von Kapitel 3 gegebenen Kategorisierung folgt nun die Theorie des Konnektionis- 
mus. 



^4^ Vgl. Daiser 66 ff . und Wolf in: Schneider 200 ff. 

^^^ Wolf in: Schneider 202. 

^^^ Vgl. zu diesem „Zirkularitatsaspekt" Wolf in: Schneider 206 ff. und Foerst 183 f. 

^^^ Vgl. Haugeland 4. 

^^^ Siehe zur Einordnung der Tiere in den Stufenbau der Wirklichkeit Kapitel 4.4.4. 



82 Konnektionismus 



3.2 Konnektionismus 



3.2.1 Grundzuge 

Analog dem Kapitel 3.1 soUen auch hier zunachst die Grundzuge der konnektionistischen Theo- 
rie erlautert werden, bevor ihre Auffassung von Intelligenz, Geist, Denken, Erkenntnis, Wille, 
BewuBtsein, SelbstbewuBtsein, Gefiihl und Leben im einzelnen untersucht wird. Das Folgende 
bezieht sich vor allem auf die „starke" Version des Konnektionismus, da dieser die umstrittenen 
Eigenschaften bzw. Fahigkeiten wie Intelligenz, BewuBtsein etc. nicht nur simulieren, sondem 
in ihrem Wesen erklaren und so Konkurrenz oder Ersatz fur die Philosophie sein will. 

Auch die konnektionistische Theorie bzw. der Konnektionismus^ "^^ hat eine lange Geschichte. 
So versuchten etwa McCuUoch und Pitts sowie Rosenblatt bereits in den vierziger und fUnfziger 
Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts die neuronale Struktur des Gehims nachzubilden.^ ^ ^ Nach 
den ersten Erfolgen dieser Systeme^ ^ ^ wurde der Konnektionismus jedoch durch die Arbeit von 
Minsky und Papert^ ^ ^ so negativ beurteilt, daB er lange Zeit fast keinerlei Beachtung und Fort- 
schritt erfuhr. Erst in den friihen achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts begann die Re- 
naissance des Konnektionismus, die u.a. auf die enorme Steigerung der Speicher- und Re- 
chenleistung zuriickging, welche die Konstruktion und Simulation hochst komplexer, mehr- 
schichtiger Netze ermoglichte.^ ^ ^ Hauptgriinde fiir die Wiederentdeckung des Konnektionismus 
waren jedoch die Probleme des Symbolismus.^^^ Erstens lieBen sich gewisse Aufgaben wie 
Mustererkennungen - beispielsweise die von menschlichen Gesichtem - nicht angemessen mit 
symbolistischen Systemen realisieren, da sie nicht oder nur mangelhaft formalisierbar sind. 
Zweitens schien es durch symbolistische Theorien nicht erklarbar, wie Menschen und sogar 
Tiere bestimmte Aufgaben in extrem kurzer Zeit losen konnen. Bei einer nachgewiesenen 
„Schaltfrequenz" der Neuronen im Bereich einer Millisekunde und einer realistischen Antwort- 
zeit in der GroBenordnung von 100 Millisekunden miiBte ein dem Menschen analoger Symbol- 
verarbeitungsalgorithmus mit nur etwa 100 Schritten auskommen, was bei der Komplexitat der 
typischen Probleme voUig unmoglich erschien.^ ^ ^ 

Was macht nun die konnektionistische Theorie aus? Wie in Kapitel 2.3 bereits angedeutet, be- 
steht die Hauptidee des Konnektionismus in der tJbertragung neurobiologisch erforschter Him- 



^^^ Der Begriff stammt vom engl. „to connect", d.h. verbinden. 

^^' Vgl. Helm 69. 

^^^ Siehe z.B. als ein Gmndlagenpapier von 1965 die Arbeit von McCulloch/Pitts in: Boden 1990, 22 ff. 

^^^ Ihr Werk „Perceptrons" (1969) zeigte u.a., daB mit (einstufigen) Perceptronen nicht alle elementaren logischen 

Funktionen realisiert werden konnen. 
^^^ Vgl. zur Geschichte des Konnektionismus Helm 68 ff. und Speckmann 8 ff. 
^^^ Vgl. Churchland 458 ff. 
^^^ Vgl. Helm 68 ff. und Churchland 410, 460. Das Argument setzt allerdings ein serielles Symbolverarbei- 

tungssystem voraus, was keinesfalls zwingend fiir die Theorie des Symbolismus ist. Vgl. dazu Foerst 80 ff. 



Konnektionismus 83 



funktionen, -prinzipien und -strukturen auf technische Informationsverarbeitungssysteme.^^^ 
Man spricht deshalb auch von „Bioinformatik" oder „Neuroinformatik". Die konnektionistische 
Theorie stellt gegeniiber dem Symbolismus einen „Paradigmenwechser' dar. Zwar sieht auch 
sie den Menschen als ein Informationsverarbeitungssystem, ihr Ansatz ist jedoch „bottom-up", 
d.h. die Entwicklung mentaler Eigenschaften und Fahigkeiten soil - in der Regel durch 
Selbstorganisation - von unten nach oben bzw. vom Einfachen zum Komplexen stattfinden. 
Der Bottom-up- Ansatz wird insbesondere durch die Nicht-Linearitat der Systemteile begriindet. 
Dies bedeutet, daB die Reaktion der einzelnen lokalen Elemente auf ihre direkte Umgebung im 
allgemeinen nicht „hochgerechnet" werden kann, indem man das Verhalten der Elemente iiber- 
lagert. Der Unterschied zwischen Symbolismus und Konnektionismus laBt sich auch beschrei- 
ben als der zwischen konzeptualistisch und nicht-konzeptualistisch.^ ^ ^ Das bedeutet, daB nach 
der Theorie des Symbolismus die intelligenten Fahigkeiten auf durchgangige, syntaktische, 
formalisierbare, begriffliche Konzepte der Wirklichkeit zuriickgehen, wahrend dies beim Kon- 
nektionismus nach eigenen Angaben nicht der Fall ist.^^^ Man spricht beim Konnektionismus 
auch von einer subsymbolischen Theorie, da sie die geistigen bzw. mentalen Fahigkeiten unter- 
halb der Symbolebene erklaren will.^ ^ ^ Anders ausgedriickt: Man kann den Konnektionismus 
auch „als »subsymbolische KI-Richtung« bezeichnen; denn [...] er geht davon aus, »daB die 
[. . .] Prinzipien der Kognition in diesem subsymbolischen Bereich zu finden sind, in einem Be- 
reich, der zwar iiber der biologischen Ebene liegt, aber ihr dennoch naher ist als die Ebene der 
Symbole des Kognitivismus.«"^^^ Das Zuriickfuhren der mentalen Fahigkeiten auf genau diese 
Ebene wird durch die noch naher zu betrachtende biologische und psychologische Plausibilitat 
bzw. Analogic sowie die praktischen Erfolge des Konnektionismus begriindet. 

Ein wesentliches Standbein des Konnektionismus sind die aus der Biologic stammenden evolu- 
tionaren Theorien.^ ^ ^ Diese Theorien werden fur die Optimierung sowohl der Netztopologie als 
auch der Parameter (wie Gewichte und Schwellenwerte) benutzt, da es hierfur in der Regel kei- 
ne oder keine geniigend schnellen analytischen Verfahren gibt.^ ^ ^ Obwohl auch der Symbolis- 
mus auf evolutionare Theorien zuriickgreift, sind sie fiir ihn doch bei weitem nicht so wesens- 



353 Ygj Foerst 81 ff. Zu Aufbau und Funktion echter Neuronen siehe Kapitel 3.3 sowie Penrose 1991, 379 ff. 
und Churchland 1986, 35 ff. 

^^^ Vgl. Cussins in: Boden 1990, 371 ff. 

^^^ Dagegen ist kritisch anzumerken, daB auch der Konnektionismus in Begriffe fassen muB, was er meint und 
was er verkniipfen sowie erreichen will. Der Unterschied zwischen Konnektionismus und Symbolismus 
scheint dementsprechend oft mehr pragmatischer als theoretischer Natur zu sein. 

^^^ Vgl. zum subsymbolischen Paradigma Dorffner 144 ff. 

^" Foerst 83. Zitiert wurde dort: Varela, F.J.: Kognitionswissenschaft - Kognitionstechnik, Fine Skizze aktuel- 
ler Perspektiven, 3. Auflage, Frankfurt am Main 1993, S. 79. 

^^^ Vgl. hierzu und zur Fmergenz Foerst 61 ff. und 167 ff. Dort wird die Emergenz als das „Komplement" zum 
Reduktionismus dargestellt. Zu „Fitness Landscapes" siehe Adami 199 ff. Die bisher erhobenen Vorbehalte 
gegen evolutionare Pramissen und Theorien gelten auch fiir den Konnektionismus. Siehe dazu neben dem Ka- 
pitel 4.5.8 auch Hennen. 

^^^ Vgl. Braun 167 ff. und Kapitel 3.2.4. Die tJbergange sind teilweise flieBend, da sich die Topologie zum Teil 
auch liber die Parameter verandem laBt, indem beispielsweise Gewichte auf Null gesetzt werden, und somit 



84 Konnektionismus 



bestimmend wie fiir den Konnektionismus. Einer der wichtigsten Begriffe fiir die konnektioni- 
stische Theorie ist in diesem Zusammenhang die „Emergenz". Darunter versteht die KI bzw. 
der Konnektionismus meist die Entstehung voUig neuer Systemeigenschaften und -fahigkeiten 
durch das Zusammenwirken der Einzelteile des Systems.^^^ Dies bedeutet u.a., daB demnach 
etwas qualitativ Neues durch die Zunahme der quantitativen Komplexitat entstehen kann.^^^ 
Wenig komplexe Systeme tragen emergente Eigenschaften potentiell in sich und bediirfen zu de- 
ren Aktualisierung gegebenenfalls nur einer Komplexitatssteigerung und kein Hinzutreten voUig 
anderer auBerer GroBen bzw. Ursachen.^ ^ ^ Eine noch zu kritisierende Folge dieser Emergenz- 
theorie ist, daB es keine qualitativen Unterschiede zwischen komplexen Informationsverar- 
beitungssystemen und letztlich gar keine qualitativen Unterschiede (mehr) gibt. GleichermaBen 
problematisch ist, daB der Begriff der Emergenz haufig mit sehr unterschiedhchem Inhalt gefullt 
wird. Um zu klaren, ob ein System emergente Phanomene enthalt, wurden deshalb verschiede- 
ne Kriterien sowie - in Anlehnung an den Turingtest - ein Test fiir Emergenz vorgeschlagen.^ ^ ^ 
Vorlaufig ist dazu festzuhalten, daB nicht alles, was uberraschend oder (zunachst) unerklarhch 
ist, Emergenz bedeutet bzw. auf sie schheBen laBt.^^^ Gegenbeispiele waren etwa Programmier- 
und Konstruktionsfehler. 



„keine" Verbindung zwischen den entsprechenden Neuronen besteht. Die Topologieoptimiemng verlauft aller- 
dings diskret, die Parameteroptimierung im allgemeinen kontinuierlich. 

Siehe zur Definition und Diskussion der Emergenz Ray in: Boden 1996, 135 ff. Zur Emergenz, insbesondere 
der von Ordnung siehe auch Burian/Richardson in: Boden 1996, 146 ff.; Hendriks-Jansen in: Boden 282 ff. 
und Pattee in: Boden 1996, 388 ff. 

Gegen diese Auffassung spricht, daB sich die fiir Qualitaten verantwortlichen immateriellen Substanzen bzw. 
Formen nicht (materiell) verandern lassen bzw. entstehen konnen. Siehe dazu Kapitel 4.5.3. 
Spater gilt es zu klaren, inwieweit es dem metaphysischen Kausalprinzip widerspricht, daB aus einem System 
mehr „herauskommt" als insgesamt „hineingesteckt" wurde bzw. ob ein System sich selbst vervollkommnen 
kann. Siehe dazu Kapitel 4.3.2. 

Vgl. Bedau in: Boden 1996, 343 ff. und Roland et al. in: Floreano et al. 13 ff. 

Clark (in: Boden 1996, 266 ff.) kritisiert, daB oft der tJberraschungseffekt bzw. das Unwissen oder die Nicht- 
herleitbarkeit von Phanomenen bereits als Emergenz bezeichnet wird. Als Alternative schlagt er vor, erst dann 
von Emergenz zu sprechen, wenn die Phanomene sich nicht durch Beeinflussung der einzelnen Systemteile 
kontrollieren bzw. steuern lassen, sondern sich als Nebeneffekte ergeben. Zur Beschreibung emergenter Sy- 
steme ist demnach u.U. auch die „Dynamical Systems Theory" notig, die eine Art komplementare Erganzung 
zu klassischen und konnektionistischen Theorien bieten soil. Detaillierter wird der Begriff Emergenz in Kapi- 
tel 4.5.8 kritisiert. 



Konnektionismus 85 



3.2.2 Konnektionistische Informationsverarbeitung 

In Anlehnung an Kapitel 2.3 und 3.1.2, in denen bereits wichtige Grundlagen des Konnektio- 
nismus sowie der Informationsverarbeitung behandelt wurden, werden nachfolgend die we- 
sentlichsten Pramissen und Prinzipien der Informationsverarbeitung durch kiinstliche neuronale 
Netze dargestellt. 

„Connectionism is a general term covering many species of information-processing systems 
[...] Their common feature is that they are conceptualized as massively parallel-processing de- 
vices, made up of many simple units. A unit's activity is regulated by the activity of neigh- 
bouring units, connected to it by inhibitory or excitatory links whose strength can vary accord- 
ing to design and/of learning. "^^^ Wesenthches Merkmal der konnektionistischen Informations- 
verarbeitung sind also die dezentralen, verteilten Einheiten bzw. (Assoziativ-)Speicher. Es gibt 
in kiinstlichen neuronalen Netzen dariiber hinaus keine Trennung zwischen Speicher und Pro- 
zessor und ebensowenig eine zentrale Steuerung.^^^ Der Konnektionismus vertritt einen (In- 
formations-)Holismus.^^^ Die in einem neuronalen Netz gespeicherte Information kann dem- 
nach mit derjenigen in einem Hologramm verglichen werden. Wird ein nicht zu groBer Teil des 
Gesamtsystems zerstort, so bleibt trotzdem das Gesamtbild bzw. die Gesamtfunktionahtat (wei- 
testgehend) erhalten. Die Informationen konnektionistischer Netze werden inhalts- und nicht 
ortsbezogen gespeichert und abgerufen.^ ^ ^ Fallen Teile des Systems aus, so konnen ihre Infor- 
mationen bzw. Aufgaben in der Regel von anderen Teilen des Systems ubemommen werden. 
Im Gegensatz zu symbolverarbeitenden Systemen deckt sich dies besser mit dem Verhalten der 
menschlichen „Hardware" Gehirn, was in Form der „biologischen Plausibilitat" als eine we- 
sentliche Rechtfertigung des Konnektionismus angegeben wird.^ ^ ^ 

Als Hauptmerkmale bzw. Vorteile der konnektionistischen Informationsverarbeitung, die dem 
menschlichen Vorbild ahneln und somit die biologische und psychologische Plausibihtat star- 
ken, gelten die folgenden Eigenschaften:^ ^ ^ Konnektionistische Netze haben die Moglichkeit, 
auch fehlerhafte, inkonsistente oder unvoUstandige Informationen mehr oder weniger „korrekt" 



^^^ Boden 1990, 14. Hervorhebung nicht im Original. 

^^^ Vgl. Helm 28. 

^^^ Vgl. Dreyfus/Dreyfus 128 ff. und siehe zur damit zusammenhangenden „network theory of meaning" Church- 
land 343 f. Der Begriff des Ganzen bedarf jedoch einer philosophischen Klarung. In der von der KI vertretenen 
Verkiirzung beriicksichtigt er nicht die Zusammengesetztheit des Seienden aus Stoff und Form. Siehe dazu 
Kapitel 4.3.2. 

^^^ Vgl. Dorffner 80 ff. Wie die Neurophysiologie zeigt, bedeutet das jedoch nicht, daB nicht teilweise innerhalb 
groBer konnektionistischer Netze Regionen (Cluster) ausgemacht werden konnen, die fur gewisse Aufgaben 
„hauptverantwortlich" sind. Siehe dazu auch Dorffner 376 ff. und Hinton et al. in: Boden 1990, 250 ff. Zu der 
Tatsache, daB mit neuronalen Netzen neben impliziter auch in Grenzen explizite Wissensreprasentation mog- 
lich ist, siehe Kapitel 3.2.4. 

^^^ Vgl. zur biologischen Plausibilitat Helm 111 f. und zum Gehirn, insbesondere aus Sicht der KI, Cowan/ 
Sharp in: Graubard 95 ff. sowie Schwartz in Graubard 122 ff. 

^^^ Vgl. Kapitel 2.3 sowie Helm 70, 111 f.; Hinton et al. in: Boden 1990, 248 ff.; Dorffner 79 ff. und Foerst 75 
ff. Die Vorteile der konnektionistischen Systeme lassen sich i.d.R. mit lokaler Reprasentation, d.h. durch 



86 Konnektionismus 



zu verarbeiten bzw. zu rekonstmieren. Die Leistung nimmt dabei stetig, aber nicht abrupt ab. 
Dadurch sind im Gegensatz zu zeitaufwendigen symbolischen Suchalgorithmen beispielsweise 
sehr schnelle „best-fit searches" moglich. Konnektionistische Netze haben die Fahigkeit zur As- 
soziation und Generalisierung, d.h. sie konnen u.a. auf unbekannte Inputs ahnlich reagieren 
wie auf einen bekannten Input, der dem unbekannten ahnelt.^^^ Konnektionistische Netze sind 
dynamisch und adaptiv, d.h. es bestehen gute Anpassungsmoglichkeiten an wechselnde „Um- 
gebungen"; das System kann aus vergangenen Inputs „lemen". Neue Problemlosungen konnen 
oft leichter als bei symbohstischen Systemen aus alten gewonnen werden, vor allem weil sich 
neue Eingaben „automatisch" in die bisherige Gesamtstruktur einfugen.^^^ 

Da die Anzahl der Neuronen eines - im Vergleich zum Erwachsenen weniger intelligenten - 
Kindes nicht entscheidend geringer ist als die eines Erwachsenen,^ ^ ^ schheBt man, daB die Fa- 
higkeiten des neuronalen Netzes vor allem von der - moglichst komplexen - Vemetzung der 
Neuronen ausgehen. Die Vemetzung bzw. die Verteilung der Gewichte kann also als die Soft- 
ware, die kiinstlichen Neuronen als die Hardware des Systems angesehen werden. Wie beim 
Symbolismus so ist auch beim Konnektionismus das Informationsverarbeitungssystem zwar an 
eine physikalische Realisierung bzw. Hardware gebunden, diese kann jedoch beliebig gewahlt 
werden, solange sie eine geniigend komplexe und schnelle Verbindung von einfachen Schalt- 
elementen unterstutzt. In diesem Sinne kann man also auch von der konnektionistischen Theorie 
sagen, sie sei medien- bzw. hardwareunabhangig.^^^ 

Entsprechend der Annahme, daB jeder mentalen bzw. kognitiven Leistung konnektionistische 
Netze zugrunde liegen, ist es Ziel des Konnektionismus, diese aufzudecken und in realen Sy- 
stemen zu implementieren. Diese Netze werden dann auch (kiinstliche) neuronale bzw. neurale 
Netze genannt. „Materially stated, the problems are to calculate the behaviour of any net, and to 
find a net which will behave in a specified way, when such a net exists."^ ^^ Die Informatik be- 
dient sich hierzu wie bereits gesagt des „bottom-up"-Ansatzes. Durch iiberwiegend experimen- 
telle sowie analogic- und erfahrungsgeleitete Verfahren wird die Netztopologie, d.h. die Art, 
Anzahl und Vemetzung der Eingangs- und Ausgangsneuronen, vor allem aber die der verdeck- 
ten Schichten des zu konstmierenden Netzes bestimmt. Dann wird das Netz auf das zu losende 
Problem angesetzt bzw. anhand geeigneter Lemangebote trainiert und ggf. so lange korrigiert, 

Symbolverarbeitungssysteme nur mit wesentlich groBerem Aufwand oder im Extremfall aufgmnd mangelnder 

Ressourcen gar nicht erreichen. 
^^^ Allerdings kann es bei der Generalisierung auch zu unerwunschten Interferenzen kommen, d.h. daB unkorre- 

Herte Eingange falschUch sich gegenseitig beeinflussen oder zusammengefaBt werden. Vgl. zur Assoziation 

im konnektionistischen Sinne Dorffner 38 ff. 
^^^ Vgl. Dorffner 153, 167 f. und die in Kapitel 3.2.4 beschriebene Gebirgsanalogie. 

Die hier vorgefundene empiristische Verwendung von Begriffen wie Generalisierung, Assoziation und Lernen 

ist philosophisch zu hinterfragen, da die entsprechenden Fahigkeiten den Besitz (ganzheitlicher) Begriffe bzw. 

eine geistige oder zumindest sinnliche Erkenntnis voraussetzen. Siehe dazu Kapitel 4.2.3 f. und 4.5.4. 
''' Vgl. Churchland 1986, 38 f. 
^^^ Vgl. hierzu und fur das Folgende Kapitel 3.1.2. 
^^^ McCulloch/Pitts in: Boden 1990, 26; Hervorhebung nicht im Original. Es ist anzumerken, daB der erste Teil, 

also die „Berechnung" des Netzverhaltens bei einigermaBen komplexen Netzen i.d.R. unmoglich ist. 



Konnektionismus 87 



bis sich das gewiinschte Verhalten „ergibt". Der fundamentale Unterschied zwischen konnek- 
tionistischer und symbolistischer Theorie besteht also in der „methodological and explanatory 
inversion".^^^ Dies bedeutet, daB die sog. „high-level principles", also die obersten Funkti- 
onsprinzipien, (wenn uberhaupt) erst wahrend oder nach der „Inbetriebnahme" des Netzes ent- 
stehen bzw. aufgedeckt werden und nicht wie bei Symbolismus bereits vor der Programmie- 
rung bzw. Implementierung des Systems feststehen.^ ^ ^ „Connectionists do not, and need not, 
first seek an axiomatic task-analysis before starting to model the processing involved in a given 
form of intelligence."^ ^^ Die emergierten Eigenschaften sind also mit anderen Worten allenfalls 
nachtraglich funktional erklarbar, aber in der Regel nicht vorhersagbar, da das Verhalten des 
Systems bzw. des kiinstlichen neuronalen Netzes nicht explizit programmiert wurde. Man sagt, 
die Netze seien ggf. „regelfolgend" aber nicht „regelbeherrscht", da das System keine Regeln 
voraussetzt bzw. diese nicht innerhalb des Systems zu finden sind, sondem sich allenfalls das 
Verhalten durch Regeln beschreiben laBt.^ ^ ^ Aus der Tatsache, daB sich das Netzverhalten im 
allgemeinen nicht oder nicht ausreichend vorhersagen laBt, wird die Notwendigkeit abgeleitet, 
es durch wiederholte „evolutionare" Versuche zu studieren und sich in die gewiinschte Richtung 
entwickeln zu lassen. 

AbschlieBend sei noch erwahnt, daB aus Mangel an geniigend groBen, echt parallelen (ggf. 
analogen) technischen Systemen konnektionistische Netze meist auf Von-Neumann-Maschinen 
simuliert bzw. emuliert werden.^ ^^ Soweit zu den Voraussetzungen und Verfahren, auf welche 
die konnektionistische Informationsverarbeitungstheorie zuriickgreift. Die folgenden Kapitel 
beleuchten ausgehend vom zentralen Begriff der Intelligenz die einschlagigen Begriffe wie Den- 
ken, Wille und dergleichen, so wie sie vom Konnektionismus verstanden werden. 



377 



376 Ygj (jazu Clark in: Boden 1990, 285 ff., wo diese Inversion auch als eine Art „Kopernikanische Wende" be- 
zeichnet wird. 

Die Aufdeckung der - unter Umstanden noch fehlerhaften - Prinzipien geschieht zum Beispiel durch „network 
pathology" oder „cluster- analysis". Vgl. Clark in: Boden 1990, 300 ff. 

DaB auch der Konnektionismus von Prinzipien geleitet ist und in Begriffe fassen muB, was er umformen 
will, wurde bereits kritisch angemerkt. Die miteinander wechselwirkenden Einheiten des Netzes miissen z.B. 
kompatibel und dementsprechend gestaltet worden sein. Ebenfalls gegen das vollige Fehlen von Prinzipien 
spricht der innerhalb des Konnektionismus vertretene Ansatz der „Tensor Network Theory", also der Theorie, 
nach der das konnektionistische Netz eine (topologieerhaltende) Koordinatentransformation von einem Zu- 
standsraum in den anderen voUbringt. 
Boden 1990, 16. 
Vgl. Dorffner 229 ff. 

Konnektionistische Netze lassen sich also durch Algorithmen in Form von aufwartsgerichteten Verfahren be- 
schreiben. Im Unterschied zu symbolischen, abwartsgerichteten Algorithmen miissen jedoch keine klar defi- 
nierten Regeln und kein Vorwissen festliegen. Vgl. Penrose 1995, 22 ff. und 194 f. Zum Betrieb neuronaler 
Netze auf Parallelrechnern siehe Braun 259 ff . 



8 8 Konnektionismus 



3.2.3 Intelligenz und Geist 

Nach der Auffassung des Konnektionismus entsteht Intelligenz in einem geniigend komplexen 
Netzwerk einfacher Schaltelemente, d.h. in einem Netz mit entsprechend vielen und vielseitig 
verbundenen kiinstlichen oder echten Neuronen. Vorbild dafur ist das menschliche Gehim, das 
jedoch nur eine der beliebig vielen Realisationsmoglichkeiten solcher Netze darstellt. Damit in 
einem entsprechend komplexen Netz tatsachlich Intelligenz entsteht, bedarf es der „richtigen" 
Verbindungen zwischen der sehr groBen Menge der Neuronen, wobei es i.d.R. viele mogliche 
Losungen gibt. 

Um ein kiinstliches intelligentes Netz zu schaffen, das dem des Gehims ahnelt, gibt es zwei 
Moglichkeiten. Erstens konnte man versuchen, die GroBe und Vemetzung des menschlichen 
Vorbildes so genau zu erf as sen, daB eine Rekonstruktion aller bzw. aller wesentlichen Ver- 
bindungen innerhalb der kiinstlichen Kopie moglich wird. Die Verbindungen waren dann somit 
vor „Inbetriebnahme" des Netzes bereits „intelligent" angelegt, das System von vomherein in- 
telligent und zum Einsatz in der mit Problemen gefuUten (Um-)Welt bereit.^^^ Hiervon ist man 
jedoch extrem weit entfemt, vor allem, well das Wissen um die genauen Himstrukturen und 
-funktionsweisen mit ihrer erdriickenden Komplexitat sowie die notige Rechnerleistung fehlen. 
Die zweite Moglichkeit besteht darin, ein rudimentares Netz zu konstruieren, welches sich 
durch geeignete „Erfahrungen" und „Erziehung" langsam zu intelligenten und vermutlich dem 
menschlichen Gehim ahnlichen Strukturen entwickelt. Diese Idee zum Bau einer „Baby- 
Intelligenz" wird schon 1950 bei Turing erwahnt, allerdings vor dem Hintergrund des Symbo- 
lismus. Dort heiBt es: „Instead of trying to produce a programme to simulate the adult mind, 
why not rather try to produce one which simulates the child's? If this were then subjected to an 
appropriate course of education one would obtain the adult brain. "^ ^ ^ 

In der Vergangenheit wurden aufgrund der vielzitierten Komplexitat der Probleme meist kon- 
nektionistische Systeme gebaut, die einen sehr kleinen Ausschnitt der intelligenten Leistungen 
des Menschen zu kopieren suchten. Schwerpunkte waren dabei die auf Sinneswahmehmungen 
basierenden Fahigkeiten, insbesondere die Bild- und Sprachverarbeitung, die sich auf sehr spe- 
zielle Problembewaltigung konzentrierten (vgl. Kapitel 2). Ein modemer Ansatz der KI, der in 
besonderer Weise die Idee der Baby-Intelligenz aufgreift und auf evolutionare Entwicklung 
setzt, ist die von R.A. Brooks vorangetriebene sogenannte „Embodied Artificial Intelli- 
gence".^ ^^ Intelligenz ergibt sich demnach nur aus der korperlichen Einbindung in die Wirklich- 
keit, insbesondere in die menschliche Kultur. Der mit moglichst „menschlichen" Sensoren und 
Aktoren ausgestattete Roboter soil sich durch Interaktion mit seiner uberwiegend menschlichen 



^^^ Damit ein System intelligent genannt wird, geniigt es i.d.R. nicht, daB es potentiell und passiv auf Situatio- 

nen reagieren konnte, sondern es muB dies auch aktuell und aktiv tun. 
^^^ Turing in: Boden 1990, 62. 
^^^ Vgl. dazu Kapitel 2.6 und Foerst, insbesondere 84 ff. und 141 ff. 



Konnektionismus 89 



Umwelt schrittweise zur universellen Intelligenz entwickeln.^^'^ Die KI muB also gewisserma- 
Ben die (vermeintliche) ontogenetische und phylogenetische Evolution des Menschen nachvoU- 
ziehen.^^^ Im Gegensatz zum klassischen Vorgehen, nach dem das System auf die Losung 
moglichst vieler abstrakter Probleme angelegt ist, um dann in einer neuen Umwelt das Unbe- 
kannte auf Bekanntes zuriickzufuhren, wird hier der entgegengesetzte Weg eingeschlagen. Aus 
vielen, in eine reale Umwelt eingebetteten Einzelproblemen und Erfahrungen soil das System 
lemen und sich zum allgemeinen Problemloser weiterentwickeln bzw. entfalten. 

Wie alle mentalen bzw. kognitiven Fahigkeiten so soil auch die Intelligenz in der Theorie des 
Konnektionismus durch Emergenz hervortreten. „Man hofft, daB sich Intelligenz als 'emergie- 
rende' Eigenschaft reicher Netze in der geeigneten Konditionierung quasi von selbst ergibt."^^^ 
Anders ausgedriickt kann man sagen, daB sich Intelligenz aus dem „emergenten Zusammenwir- 
kender Subsysteme ubersummativ" ergeben soll.^^^ Wie schon der Symbolismus so bestreitet 
auch der Konnektionismus ein intelligentes Prinzip bzw. eine intelligente Substanz wie die gei- 
stige Seele. Die Intelligenz kann demnach nur dem ganzen Computersystem bzw. dem neuro- 
nalen Netz zugesprochen werden und hat in der konnektionistischen Auffassung keine „zentra- 
le" Ursache.^^^ Intelligenz ist dariiber hinaus dem evolutionaren Ansatz entsprechend eine gra- 
duelle Fahigkeit des Systems, die sich mehr oder weniger beliebig erweitem laBt. Das Problem 
des graduellen Verstandnisses ist jedoch, daB sich keine Grenze fiir Intelligenz angeben laBt, 
und man demnach nicht eindeutig sagen kann, ob ein System schon intelligent ist oder nicht. 
Intelligenz ist aufgrund ihrer Medienunabhangigkeit grundsatzlich beliebig kopierbar, auch 
wenn dies aufgrund der komplexen und dynamischen Verteilung der Gewichte in der Praxis 
nicht immer leicht ist. 

Wie die Intelligenz so soil nach konnektionistischer Auffassung auch der Geist aus oder besser 
in einem geeigneten neuronalen Netz emergieren. Vorzugsweise soil er aus einem „kindlichen", 
zunachst untrainierten Netz entspringen. Das Training des Netzes - ob nun ausdriicklich durch 
den Menschen oder durch Interaktion mit der allgemeinen Umwelt - soil dem angenommenen 
natiirlichen Vorbild der evolutionaren Emergenz des Geistes entsprechen. Was genau dieser 



^^"^ Dagegen spricht, daB fiir eine erfolgreiclie Interaktion kompatible bzw. konaturale Strukturen vorliegen miiB- 
ten. Auf seiten der KI miiBte dementsprecliend der ontologisclie „Nalirboden" fiir Intelligenz, also eine geistige 
Substanz mit potentiellem Erkenntnis- und Strebevermogen, bereits vorliegen. Siehe dazu Kapitel 4.5.4. 

^^^ Hierzu ist einzuwenden, daB sich die geistige Seele des Menschen, die sein Wesen bestimmt und auf die seine 
Intelligenz zuriickgeht, unmoglich aus einer ungeistigen Tierseele entwickeln kann, geschweige denn aus 
(unbelebter) Materie. Siehe dazu Kapitel 4.5.3. 

^^^ Wiener in: Simon 216. 

^^^ Foerst 168. 

^^^ ZurFrage, inwieweit die Intelligenz im (menschlichen) Aufbau und Training des Netzes steckt, siehe Clark 
in: Boden 1990, 300 sowie Dorffner 258 ff. und zur philosophischen Einordnung der Intelligenz Kapitel 
4.5.4. 



90 Konnektionismus 



emergierte „Geist" ist, gilt als umstritten. Es werden hauptsachlich funktionalistische und epi- 
phanomenalistische Theorien vertreten.^^^ 

Die funktionalistische Auffassung sieht den Geist als die Tatigkeit eines geniigend komplexen, 
intelligenten neuronalen Netzwerkes. Geistige Zustande werden zwar im allgemeinen nicht mit 
den Zustanden des neuronalen Netzes gleichgesetzt,^ ^ ^ aber sie werden in eine enge Input- 
Output- Analogic gesetzt. Dabei ist im Gegensatz zum Symbolismus nicht die Idee der Turing- 
Maschine notig. Vielmehr werden die durch das Netz voUzogenen Funktionen im Sinne der 
kausalen RoUe des Systems definiert.^ ^ ^ Nach epiphanomenalistischen Auffassungen ist Geist 
ein Begleitphanomen der Aktivitaten komplexer neuronaler Netze.^ ^ ^ 

Geistige Wahrheit und Geist sind nach der Auffassung anderer nur Epiphanomene der Vorgan- 
ge auf der neuronalen Ebene. Der Geist ist demnach nur ein Begleitphanomen, das auch als ein 
(dynamisches) Muster der Materie verstanden werden kann. Dies ist im ubrigen eine gar nicht 
so neue Theorie des Geistes, was man daran erkennt, daB schon Platon gegen die Auffassung, 
die Seele bestunde in der Harmonic des Leibes, argumentieren muBte.^ ^ ^ In Anlehnung an den 
Epiphanomenalismus konnen Konnektionisten auch sagen, der Geist sei (nur) eine Charakteri- 
sierung der Netzvorgange auf einer hohen, d.h. dem Problem besser entsprechenden Beschrei- 
bungsebene.^ ^ ^ Jedenfalls sind sich Konnektionisten und Symbolisten darin einig, daB der 
Geist nichts Substanzielles ist, d.h. nichts, das ohne Trager bestehen konnte. Der Geist kann 
also nach dieser Lehre keine Individualitat und keine besonderen Rechte und Pflichten begriin- 
den. 

Als Hauptmerkmale bzw. -fahigkeiten des Geistes gelten nach klassisch-philosophischer Lehre 
das Denken und der Wille. Diese werden in den beiden folgenden Kapiteln thematisiert. Neben 
dem Denken behandelt das nachste Kapitel auch die Frage nach der Erkenntnis sowie die damit 
verbundene Auffassung von Wahrheit. 



^^^ Zur Unhaltbarkeit beider Theorieansatze siehe Kapitel 4.5.3. 

^^^ Das ware die Position des eliminativen Materialismus. 

^^^ Vgl. zum neuronalen Input- Output- System Thaler 2 f. Zur Darstellung funktionalistischer Geist-Theorien 

bzw. KI-Modelle siehe z.B. Churchland 340 ff. Fur eine ausfuhrliche Kritik an solchen Theorien siehe Seifert 

1989, insbesondere 24 ff. 
^^^ Siehe zum Epiphanomenalismus Seifert 1989, 74 ff. 
393 Vgl. Platons Phaidon, insbesondere Kapitel 36 folgende (85 E ff.). Vgl. zur Auffassung de la Mettries, nach 

der die Geistseele nur die Organisation des Gehirns ist, Tichy/Martens 47 ff . 
^^^ Vgl. Hofstadter 613 ff. sowie Kapitel 3.1.5. 



Konnektionismus 9 1 



3.2.4 Denken und Erkenntnis 

Das Denken war nach der Lehre des Symbolismus die Manipulation von Symbolen. Dies wird 
von Konnektionisten entschieden abgelehnt; von ihnen heiBt es: „connectionists insist that [...] 
thinking ('deep' thinking, rather than just sentence rehearsal) depends on the manipulation of 
quite different kinds of structure. "^^^ Die Strukturen, in denen das Denken laut Konnektionis- 
mus griindet, sind die komplexen Verbindungen einfacher Schaltelemente. 

Die „Symbole", die sich in einem neuronalen Netz „finden" lassen, stellen konnektionistisch 
gesehen nur eine Art Epiphanomen dar.^ ^ ^ Sie sind eine - in der Regel unzureichende - Mog- 
lichkeit, das System auf einer hohen Beschreibungsebene zu erfassen. Diese „Symbole" sind 
nicht die ersten, unteilbaren und notwendigen Elemente, die durch das Denken verarbeitet wer- 
den. Fur den Konnektionismus gibt es dementsprechend auch keine „Language of Thought" 
wie sie vom Symbolismus gefordert wird (vgl. Kapitel 3.1.4). Symbole bzw. symbolische Re- 
prasentation sind keine Bedingung fiir das „Funktionieren" eines kognitiven Systems.^ ^^ Dies 
zeigt sich vor allem daran, daB meist mehr oder weniger beliebig groBe Telle aus den verdeckten 
Schichten eines neuronalen Netzes entfemt werden konnen, ohne daB regelfolgendes Verhalten 
bzw. „symbolische" Funktionalitaten (voUig) verschwinden.^^^ 

Aus der Sicht des Konnektionismus sind Symbole bzw. symbolische Reprasentationen nur - 
meist grobe - Naherungen an die Wirklichkeit. Erst neuronale Netze sind in der Lage, die men- 
talen bzw. kognitiven Prozesse angemessen zu beschreiben. Dieses Verhaltnis wird haufig 
durch eine Gebirgsanalogie erklart.^ ^ ^ Der Raum der intemen Zustande eines kognitiven Sy- 
stems wird dabei als ein dreidimensionaler Gebirgszug gesehen. Punkte auf der Oberflache des 
Gebirges entsprechen Wissenszustanden. Der Symbolismus erfaBt durch seine Symbole und 
Konzepte in diesem Bild die Gipfel und Taler sowie deren Lage zueinander, kann jedoch nur 
sehr eingeschrankt mit der groBen Zahl der moglichen Berg-Tal-Verlaufe und Zwischengipfel 
umgehen.^^^ In einem konnektionistischen Netz hingegen sei „holistisch" die gesamte Bergkette 
enthalten.^ ^ ^ Dies bedeutet, daB sich samtliche Zwischenzustande handhaben lassen soUen. Au- 
Berdem geschieht die Veranderung oder Einfiigung von Gipfeln (etwa durch neues Wissen aus 



395 



396 



Clark in: Boden 1990, 306. 
Vgl. Dorffner 144 ff. 

Um einen Teil der Kritik am Konnektionismus bereits hier anzudeuten, sei auf ein Problem der fehlenden 
Konzepte und Symbole hingewiesen: die tJbermittlung eines Gedankens oder einer (Teil-)Losung etc. von ei- 
nem System zum anderen. Vgl. dazu McCarthy in: Ringle 183 ff. 

Vgl. Dorffner 173 ff. In Symbolverarbeitungssystemen konnen dagegen einzelne Symbole bzw. Symbol- 
strukturen im allgemeinen nicht ohne schwere Schaden entfernt werden. 
Vgl. Dorffner 148 ff. 

Zur Frage, inwieweit dies auch fiir die Logik gilt, siehe Dorffner 410 ff. 

Dies schlieBt allerdings nicht aus, daB es innerhalb groBer konnektionistischer Systeme sog. „Experten", d.h. 
Teilbereiche geben kann, die fiir bestimmte Teilaufgaben „verantwortlich" sind. Vgl. Braun 52 ff. und 151 f. 
Die meist - hierarchische - konzeptionelle Gliederung ist jedoch nicht durchgangig fiir alle Ebenen und das 
gesamte System moglich, so daB der Unterschied zu den streng formalisierbaren, syntaktischen Symbolver- 
arbeitungssystemen erhalten bleibt. 



92 Konnektionismus 



Erfahrung) „automatisch" so, daB sie sich auf alle benachbarten Gebiete in der notwendigen Art 
auswirkt. Damit soil sozusagen die Korrelation zwischen verschiedenen Wissensinhalten bzw. 
die Kontextabhangigkeit stets gewahrleistet sein. Denken kann also nach der Theorie des Kon- 
nektionismus als die - letztlich holistische - Adaption oder allgemeiner gesagt Manipulation ei- 
ner komplexen Netzwerkstruktur aufgefaBt werden."^^^ 

Auf die Frage, wie ein konnektionistisches Netz die Welt reprasentieren bzw. erkennen kann, 
gibt es verschiedene Ansatze. Nach einer stark von der Mathematik gepragten Auffassung ver- 
stehen einige unter Denken und Erkennen die konnektionistische Transferleistungen des Netzes 
zwischen Input und Output.^ ^^ Dazu heiBt es, „representations are positions in phase spaces, 
and computations are coordinate transformations between phase spaces."^ ^^ Das Gehim repra- 
sentiert dabei also die Wirklichkeit z.B. durch Positionen in Zustandsraumen, die durch Vektor- 
bzw. Koordinatentransformationen „berechnet" bzw. umgeformt werden (Tensor Network 
Theory). 

Was bedeutet das Gesagte fiir den Begriff der Erkenntnis? Konnektionistische Systeme erken- 
nen bzw. verstehen im allgemeinen implizit, nicht explizit. Als Beispiel konnte man ein neuro- 
nales Netz nennen, das die Strom- und Spannungszustande in einem elektrischen Netzwerk be- 
stimmen kann.^^^ Das Ohmsche Gesetz etwa wird dabei nicht als solches erkannt. Vielmehr 
sucht das entsprechend trainierte neuronale Netz, mit seiner Losung so viele „weiche Bedin- 
gungen" (soft constraints) wie moglich zu erfuUen.^^^ Der Vorteil ist, wie allgemein bei neuro- 
nalen Netzen, daB auch unvoUstandige oder teilweise inkonsistente Problemstellungen noch ak- 
zeptable Losungen finden. DerNachteilbesteht jedoch darin, daB fiir eine vorgegebene Genau- 
igkeit der Ergebnisse wohldefinierter Probleme unter Umstanden praktisch unerreichbare Netz- 
komplexitaten sowie Trainings- und Rechenzeiten notig waren. Der Konnektionismus betrachtet 
„Kognition primar als adaptives Handeln in einer Umwelt, im Zuge dessen die fiir das Handeln 
relevanten GesetzmaBigkeiten herausgefiltert werden."^ ^^ Erkenntnis ist eine Art Epiphanomen 
der Aktivitat sehr vieler Einzelaktoren.^^^ Meist wird dabei auf die Analogic eines Ameisenhau- 



"^^^ Dagegen ist bereits hier einzuwenden, daB Denken wesentlich mehr ist als (mathematische) Fehlerkorrektur 
bzw. Approximation. Siehe dazu Kapitel 4.5.4. 

^^^ Vgl. Thaler 71, 182 f., 186. Das setzt im ubrigen falschlich voraus, daB Erkenntnis letztlich immer einem 
meBbaren Output dient. Vgl. Churchland 473 f. 

^^^ Churchland 1986, 426; Schrift ist im Original kursiv. Vgl. auch Churchland in: Boden 1990, 334 ff., 345 ff., 
363 ff. und Kapitel 3.3.4. 

^^^ Vgl. Clark in: Boden 1990, 290 ff. 

^^^ Konnektionistische Systeme sind also keine „Look-up table", d.h. Input und Output werden nicht nur einfach 
aufeinander abgebildet. Man kann auch sagen, daB das Netz bei Minimierung der Fehler auf der Lernmenge 
(Stutzstellen) eine moglichst gute Generalisierung des restlichen Eingaberaums sucht. Vgl. Braun 52. 

^^^ Doffner 416. Vgl. dazu auch den Wert und Erfolg statistischer Ansatze, etwa bei der Spracherkennung, wie be- 
reits in Kapitel 2.5 erwahnt. Zu Bayes-Netzwerken siehe Horn 571 ff. Hiergegen ist festzuhalten, daB Gesetze 
nicht statistisch entstehen und auch nicht so erkannt werden konnen. Erkenntnis ist allgemein nicht stati- 
stisch moglich. Siehe gegen diese empiristischen MiBverstandnisse Kapitel 4.2. 

^^^ Vgl. Dorffner 144 f., wo insbesondere auf Hofstadter verwiesen wird. 



Konnektionismus 93 



fens verwiesen. Jede einzelne Ameise hat einen sehr beschrankten Aufgaben- und Wirkungsbe- 
reich und weiB nichts von den Leistungen, die von groBen Ameisenteams, geschweige denn 
vom gesamten Volk voUbracht werden. Unter „intuitiver Erkenntnis" versteht man im Rahmen 
des Konnektionismus instantane Reaktionen des Systems, die auf das assoziative Verhalten ei- 
nes neuronalen Netzes zuriickgehen. Damit wird intuitive mit assoziativer Erkenntnis gleichge- 
setzt.^^^ 

Unter Wissen versteht der Konnektionismus im Gegensatz zum SymboUsmus nicht die formah- 
sierten und logisch hergeleiteten Symbolstrukturen zur Reprasentation der Wirklichkeit.^ ^ ^ Viel- 
mehr seien es die selbstorganisierten und auf Interaktion mit der Umwelt zuriickgehenden, eini- 
germaBen stabilen Veranderungen der Netzverbindungen bzw. Netzstrukturen, die Wissen 
ausmachen.^ ^ ^ Da Wissen fur den Konnektionismus nicht auf Konzepte angewiesen ist, kann er 
auch „stummes Wissen" reprasentieren.^ ^ ^ AuBerdem braucht ein konnektionistisches Netz im 
Gegensatz zu einem symbohschen System kein oder kaum Vorwissen. Einig sind sich Kon- 
nektionismus und Symbohsmus in ihrer funktionahstischen Auffassung, daB Wissen die im 
System gespeicherte Information ist, die ihm gewisse - meist der Umwelt angemessene - 
Handlungsweisen ermogUcht.^ ^ ^ Wie bereits angedeutet, wird Wissen in neuronalen Netzen im 
allgemeinen implizit reprasentiert.^ ^ ^ Eine Mischform aus impliziter und expliziter Reprasenta- 
tion bilden die Modelle der radialen Basisfunktionen, bei denen sich die „Wirkungsbereiche" 
der Neuronen nur maBig uberlappen. 

Lernen ist im Sinne des Konnektionismus die auf Interaktion basierende Selbstorganisation ei- 
nes Systems, die insbesondere zum adaquaten Verhalten in neuen Situationen befahigt.^ ^ ^ Die 
einzelnen Zwischenschritte sind dabei in der Regel nicht interpretierbar. Wie bereits in Kapitel 
2.3 erwahnt, unterscheidet man uberwachtes und uniiberwachtes Lernen. Wahrend es beim 
uberwachten Lernen um eine Anpassung an das Verhalten und die Strategien des Lehrers geht. 



Vgl. Dorffner 147, 230. Zur Richtigstellung der Begriffe Intuition und Assoziation siehe Kapitel 4.2, 4.4.4 
und 4.5.4. 

Dagegen spricht auch nicht, daB eine Art „semantische Netze" mit konnektionistischen Systemen konstruiert 
werden konnen. Vgl. zu diesen semantischen Netzen Braun 72 ff. 
Vgl. zum Wissen Foerst 77 und Dorffner vi, 146 ff., 174. 

Vgl. Daiser 69 und Churchland 390 ff. Analog dem menschlichen Verhalten konnen Muster wie z.B. Gesich- 
ter erkannt und behalten werden, ohne daB ihre Struktur explizit beschreibbar sein muB. DaB der Konnektio- 
nismus sehr wohl auf Konzepte angewiesen ist, wurde bereits erwahnt. Hierzu gehoren nicht nur die logi- 
schen Grundlagen, nach denen das Netz arbeitet, sondern u.a. auch die nicht direkt im konnektionistischen 
Netz, jedoch beim Konstrukteur erkennbaren Konzepte und Begriffe der Wirklichkeit. 

Zur Kritik daran siehe Titze 123 f. Das erlernte Wissen wird dort als Aufnahme von Nachricht und echte In- 
formationserhohung aufgefaBt. 

Dies geschieht z.B. durch die verbreiteten mehrschichtigen Perzeptronen oder Boltzmann-Maschinen. Das 
Wissen besteht dabei nicht aus kombinierbaren, lokal begrenzten Einheiten. Beim Lernen werden dementspre- 
chend i.a. alle Parameter des Netzes verandert. Eher eine Ausnahme bilden Winner- takes-all-Netze, bei denen 
einzelne Neuronen (eine Art „Prototypen") das Netzverhalten bestimmen und so lokal begrenztes Wissen 
mehr oder weniger explizit reprasentieren. Vgl. zur impliziten und expliziten Wissensreprasentation Braun 5 
ff., d.h. dessen Kapitel 2. Neuronale Netze verwenden in der Regel geometrische Reprasentation. 
Vgl. zum Lernen Foerst 77 f., 93 f., 135 f.; Dorffner 248 ff.; McCulloch/Pitts in: Boden 1990, 24 und siehe 
auch Kapitel 2.3. Zur Frage nach dem Lernen mathematischer Wahrheiten siehe Penrose 1995, 197 ff. und 
245 ff. Zum „Bottom-up "-Lernen von Babys siehe Hendriks-Jansen in: Boden 1996, 292 ff. 



94 Konnektionismus 



kann das uniiberwachte Lemen als eine Anpassung an die Umwelt bzw. die von ihr erzeugten 
Inputs gesehen werden. Das Lemen eines neuronalen Netzes wird als eine dynamische Feinop- 
timierung an aktuelle Situationen gesehen, die letztlich auf der durch Evolution entstandenen 
groberen Optimierung des Netzes aufbaut."^^^ Das Verlemen bzw. Vergessen sieht der Konnek- 
tionismus als Verlust von Wissen. Dieser entsteht vor allem durch das Erreichen der Kapazitats- 
grenze des Netzes oder durch Uberschreiben mit neuen Aktivierungen. Verlemen bzw. Verges- 
sen kann jedoch auch durch einen „programmierten" stetigen Ruckgang der Gewichtsverteilun- 
gen in ihren Anfangszustand herbeigefuhrt werden.^ ^ ^ 

Was bedeutet das bisher Gesagte fur die konnektionistische Auffassung des Begriffs der Wahr- 
heit? Im Gegensatz zum Symbolismus vertritt der Konnektionismus keine strenge Abbildungs- 
theorie der Wahrheit.^ ^ ^ Er geht vielmehr vom Leitbild des Konstmktivismus aus. Ein kogniti- 
ves System hat demnach kein objektives Abbild der realen Welt, sondem konstmiert seine inne- 
re Stmktur und damit seine Realitatsauffassung weitgehend selbstandig, ja individuell. Die au- 
Beren Reaktionen und mehr noch die inneren Zustande, „Kategorisiemngen" etc. hangen stark 
von der Umwelt und Vorgeschichte des Systems ab und sind deshalb „subjektiv" und stets 
kontextabhangig.^ ^ ^ AUgemeingultige Reprasentationen sind nicht notwendig und in der Regel 
auch gar nicht moglich.^^^ Das System lemt „Kategorien" und dergleichen selbst aus der Um- 
welt und bekommt sie nicht wie beim Symbolismus „aus dem Nichts", d.h. vom Programmie- 
rer vorgegeben.^^^ „Der groBe Unterschied besteht also darin, daB sich in einem reprasentati- 
onsfreien System die Abhangigkeiten von selbst heranbilden, daB also niemand sie vorher iden- 
tifizierenundformalisierenmuB."^^^ Die Verankemng (physical grounding) des kognitiven Sy- 
stems soil durch Perzeption und Motorik geschehen. 

Soweit zum Denken und den damit zusammenhangenden Fragen bezuglich Erkenntnis und 
Wahrheit. Nachfolgend wird das zweite Hauptmerkmal bzw. die Hauptfahigkeit des Geistes 



Vgl. Braun 193 ff. Lernen findet zu „Lebzeiten" des Netzes, Evolution dagegen liber „Generationen" hinweg 
statt. Die tJbergange sind allerdings oft unscharf. Bel der „Evolution" kiinstlicher neuronaler Netze ist es - im 
Gegensatz zur biologischen Wirklichkeit - moglich, nicht nur die Topologie, sondern auch das gelernte Wis- 
sen zu „vererben". Durch die Notwendigkeit des Trainings eines Netzes tragi der Konnektionismus der beim 
Menschen erkennbaren Bedeutung von Wiederholungen mehr Rechnung als der Symbolismus. 
Zu den hier erkennbaren empiristischen und evolutionistischen Fehlinterpretationen und Verkiirzungen 
menschlicher Fahigkeiten, die u.a. die zum geistigen Lernen notige Reflexion verkennen, wird Kapitel 4.5 
kritisch Stellung beziehen. 
Vgl. Dorffner 267 ff. und Titze 124 f. 

Vgl. zur Wahrheitsauffassung des Konnektionismus Dorffner vi, 180 ff., 282 ff., 353, 423 f. und (teilweise 
kritisch dazu) Foerst 172 ff., nach der auch beim Konnektionismus von einer (schwachen) Korrespondenz- 
bzw. Abbildtheorie der Wahrheit gesprochen werden kann. Man kann beim Wahrheitsverstandnis des Konnek- 
tionismus auch von einer Art Koharenztheorie (vgl. Kapitel 4.2.4) sprechen, da ein neuronales Netz stets be- 
miiht ist, neuen Input mit moglichst wenig Inkonsistenzen in das bisherige System einzugliedern. 
Zur Relativitat der Wahrheit und des Wissens siehe McCulloch/Pitts in: Boden 1990, 37 f. und Churchland 
344. 

Siehe zur Frage nach der (verteilten) Reprasentation Helm 50 ff., 98 ff. und Dorffner 23 ff., 132 ff., 165 ff. 
Zu Grundlagen so wie Vor- und Nachteilen distributiver Reprasentation siehe auch Hinton et al. in: Boden 
1990, 248 ff. Gegen die hier vertretenen Behauptungen wird Kapitel 4.2 argumentieren. 
Zur konnektionistischen Konstruktion von „Konzepten" siehe Cussins in: Boden 1990. 
Dorffner 175. Vgl. dazu auch Leidlmair 194 ff. 



Konnektionismus 95 



besprochen: der Wille. Mit diesem eng verkniipft ist der Begriff der Freiheit bzw. Willensfrei- 
heit. 



96 Konnektionismus 



3.2.5 Wille 

Wie schon im Falle des Symbolismus so wird auch im Konnektionismus die Frage nach dem 
Willen deutlich weniger thematisiert als etwa die nach der Intelligenz, dem Geist und dem Er- 
kennen. Auch der Konnektionismus steht vor dem Problem, inwieweit ein kiinsthches System 
einen eigenen Willen haben kann, obwohl es von Menschen und in der Regel zu besonderen 
Zwecken entworfen und gebaut wurde. Kann also ein geeignetes neuronales Netzwerk einen 
eigenen Willen „eingepflanzt" bekommen oder einen solchen entwickeln? Die Antwort des 
Konnektionismus lautet ja. Optimistisch ist man vor allem, well schlieBlich auch beim Men- 
schen mit seinem biologisch-neuronalen Steuerelement Gehim vom Willen gesprochen werden 
kann. 

Bei dem Versuch, ein System zu schaffen, das iiber einen menschenahnlichen Willen (und In- 
telligenz) verfugt, ist aus praktischer Erfahrung sowie dem Vergleich mit dem menschlichen 
Vorbild mit einer enormen Komplexitat zu rechnen. Deshalb und entsprechend dem allgemeinen 
Vorgehen des Konnektionismus nimmt man an, daB sich der Wille erst entwickeln muB. Er 
kann dem Netz im allgemeinen nicht direkt eingebaut werden, sondem soil aus den vorgegebe- 
nen Strukturen emergieren. Diese anfanglichen Strukturen bestehen in mehr oder weniger „fest 
verdrahteten" Anfangskonfigurationen des Netzes/^^ Darunter konnen beispielsweise grundle- 
gendste Verhaltensmuster wie der „Uberlebensdrang", die Vermeidung von Schmerz bzw. Zer- 
storung, das Suchen von Energiequellen und dergleichen fallen. Diese soUen die Analogic zu 
den menschlichen Trieben und Instinkten darstellen. Im Verlauf der senso-motorischen Interak- 
tion mit der Umwelt soUen sich diese Verhaltensweisen dann immer starker ausdifferenzieren 
und (evolutionar) weiterentwickeln, bis sich komplexere Antriebe und Motivationen sowie 
schlieBlich ein eigener Wille entfalten.^ ^ ^ 

Eine konnektionistische Beschreibung des Willens auf einer tieferen Ebene besteht in der Beto- 
nung der Tatsache, daB neuronale Netze stets bemiiht sind, moglichst viele sog. „weiche" Be- 
dingungen zu erfuUen (constraint satisfaction).^ ^^ Nahezu auf der Ebene der physikalischen 
Theorie in Kapitel 3.4 ist die Erklarung, daB ein neuronales Netz stets in den stabilsten bzw. 
energiearmsten Zustand „wiir'. „Der prinzipielle Mechanismus, nach dem konnektionistische 
Systeme arbeiten, ist damit weniger der einer Berechnung, bei der Symbole sukzessive mani- 
puliert werden, als vielmehr eine Relaxion: Das Netzwerk ,sucht' den jeweils stabilsten Zustand 
als Gleichgewicht zwischen Input (der Umgebung) und der Gesamtheit der Verbindungsge- 
wichte (innerer Zustand) einzunehmen. In den Worten der Thermodynamik: Das System be- 



4^^ Vgl. Dorffner 279 ff. 

^^^ Dagegen ist zu sagen, daB sich nur das Ziel des Willens entwickeln kann, der Wille selbst jedoch nicht. Siehe 



dazu Kapitel 4.5.5. 
^^^ Vgl. Dorffner 82 f. 



Konnektionismus 97 



wegt sich hin zum Zustand der groBtmoglichen Entropie."'^^^ Diese Sichtweise ist jedoch inso- 
weit problematisch, als auch symbolische Systeme auf der physikalischen Ebene (beispielswei- 
se auf der Ebene der Transistoren) ein energetisches Optimum „suchen" und somit die Ver- 
schiedenheit des Ansatzes nicht mehr erkennbar ist. AuBerdem „sucht" jedes in einem physika- 
lischen Medium reahsierte System thermodynamisch gesehen ein Optimum, so daB dies keine 
Erklarung fur kognitive bzw. mentale Fahigkeiten sein kann. 

Problematisch bei der Willensauffassung des Konnektionismus ist auch, inwieweit es sich beim 
„Willen" des Netzes um einen wirklich freien sowie einen personlichen bzw. individuellen 
Willen handelt. Die „Entscheidungen" eines entsprechend groBen Netzes konnen zwar aufgrund 
der Komplexitat, Geschichtlichkeit, Kontextsensitivitat und Nicht-Linearitat des Netzes im Re- 
gelfall nicht oder nur statistisch vorhergesagt werden,^ ^ ^ damit ist jedoch noch nicht ihre Ein- 
maligkeit, geschweige denn die Freiheit des Willens gezeigt.^ ^ ^ Wie beim Symbolismus konnen 
auch im Rahmen der konnektionistischen Theorie weder Pseudozufall noch Chaos oder Kom- 
plexitat letztlich die voUstandige Determiniertheit des Systems durch schaltungstechnische und 
physikalische GesetzmaBigkeiten durchbrechen. Eine echte Individualitat ist nach konnektioni- 
stischer Auffassung nicht gegeben, da samtliche vorgegebenen und gelemten Verbindungen, 
wenn zwar nicht immer praktisch, so jedoch grundsatzlich, in anderen Systemen reproduzierbar 
sind. Dies gilt - wie alle Ausfuhrungen dieses Kapitels - sowohl fiir technische als auch fiir 
naturliche neuronale Netze. 

Im Zusammenhang mit dem Begriff des Willens und der Freiheit steht auch der Begriff der 
Autonomic. Das autonome, also selbstandige bzw. selbstgesetzliche Handeln eines Systems 
laBt sich in mehrfacher Hinsicht untersuchen.^ ^ ^ Die Fragen dabei sind, inwieweit die Handlun- 
gen erstens nicht nur von auBeren, sondem (auch) von inneren Zustanden des Systems geleitet 
werden. Zweitens ist fiir Autonomic entscheidend, inwieweit die intemen KontroUmechanismen 
vom System selbst gelemt anstatt von auBen aufgezwungen wurden. Drittens schlieBlich gilt es 
zu betrachten, wie sehr ein System in der Lage ist, die eigenen Entscheidungsmechanismen zu 
reflektieren und ggf. selektiv zu modifizieren. Wahrend die konnektionistischen Modelle bei 
den ersten beiden Punkten gut abschneiden, gibt es beim dritten Punkt - insbesondere im Ver- 
gleich zum symbolistischen Ansatz - noch sehr viele offene Fragen und Probleme. 

In einem engen Zusammenhang zum Willen steht das BewuBtsein bzw. das SelbstbewuBtsein, 
ohne welches keine reflektierte, freie und verantwortliche Entscheidung gefallt werden kann. Im 
folgenden gilt es deshalb, die Auffassung des BewuBtseins naher zu betrachteten. 



^^^ Helm 89. Siehe dazu auch Churchland 464 ff., wo das Gesagte allgemein auf die Funktionsweise konnektio- 

nistischer Netze und speziell auf Mustererkennung bezogen wird. 
^^' Vgl. Foerst 296 f. und Boden in: Boden 1996, 105. 
^^^ Eine deutliche Kritik am rein naturwissenschaftlich und darum zu kurz gefaBten Begriff des Willens und der 

Freiheit ubt Kapitel 4.5.5. 
^^^ Vgl. Boden in: Boden 1996. 



98 Konnektionismus 



3.2.6 BewuBtsein und SelbstbewuBtsein 

BewuBtsein bzw. SelbstbewuBtsein sind in den Augen des Konnektionismus emergente Pha- 
nomene, die sich aus zunachst unbewuBten oder teilbewuBten Systemen entwickeln konnen. 
Bei der Unterscheidung zwischen bewuBt und unbewuBt handelt es sich demnach um flieBende 
Ubergange. Das SelbstbewuBtsein unterscheidet den Menschen nicht qualitativ vom Rest der 
Lebewesen bzw. dem Rest des Universums. Sowohl bei Tieren als auch bei kiinstlichen Sy- 
stemen ist eine (individuelle oder artmaBige) Weiterentwicklung bis bin zum SelbstbewuBtsein 
moglich."^^^ Damit ist das Vorgehen fur die konnektionistische Konstruktion von BewuBtsein 
und SelbstbewuBtsein vorgegeben: Man baut ein zu Perzeption und Kognition fahiges System, 
das sich so weit wie moglich an das Verhalten von hoheren Tieren annahert. Durch gezieltes 
Training mit zunehmend komplexeren Situationen soUen sich dann immer komplexere neuro- 
nale Vemetzungen und damit komplexere Reaktionsmoglichkeiten sowie letztlich das Selbstbe- 
wuBtsein herausbilden. „Im Sinne von Hofstadter (1982) soUte man BewuBtsein wahrschein- 
lich ebenso wie die bisher betrachteten Aspekte als Epiphanomen massiv paralleler Prozesse an- 
sehen. Dieses Epiphanomen scheint nun selbst im Stande zu sein - auf welchem Weg bleibt of- 
fen - zielgerichtetes Verhalten zu erzeugen, also die Aktivierungsausbreitungen in Teilen des 
Systems zu steuem."^^^ Dagegen ist bereits hierkritisch anzumerken, daB komplexe Neuronen- 
strukturen alleine jedoch nicht das BewuBtsein erklaren. Dies erkennt man beispielsweise daran, 
daB das Kleinhim trotz seiner mit dem GroBhim vergleichbaren Komplexitat (uberwiegend) un- 
bewuBt arbeitet.^ ^ ^ 

Wie also die neuronalen Strukturen von bewuBten Systemen auszusehen haben, ist ungeklart 
und umstritten. Meist wird BewuBtsein wie im Symbolismus als eine Art Metainformation ge- 
sehen.^^^ Man konnte dann analog zu dem in Kapitel 3.1.6 beschriebenen Puffer beispielsweise 
versuchen, SelbstbewuBtsein in einem oder mehreren parallel betriebenen neuronalen Netzwer- 
ken zu speichem, die durch die Neuronenaktivitaten der entscheidenden Knotenpunkte des Net- 
zes aktiviert werden.^^^ Der Konnektionismus versteht BewuBtsein im Gegensatz zum Symbo- 
lismus nicht als eine Verkniipfung diskreter intemer Symbole, die propositionales Wissen re- 
prasentieren soUen, sondem als eine „nicht regel-geleitete Darstellung einer Menge von Sub- 
symbolen durch eine andere Menge von Subsymbolen innerhalb eines Parallelsystems"^ ^ \ 

Wie beim Symbolismus besteht auch fur konnektionistische Netze die Unmoglichkeit, daB das 
System sich mit Hilfe seiner inneren Zustande - hier insbesondere der Verbindungsgewichte - 



4^° Vgl. Foerst 94 f. 

^^^ Dorffner 281 f. Das angesprochene Werk Hofstadters ist: Waking up from the Boolean Dream, in: Hofstadter 

(ed.): Metamagical Themas: Questing for the Essence of Mind and Pattern, New York 1982. 
^^^ Vgl. Penrose 1995, 53 ff., 515 ff. und Titze 119. 
^^^ Vgl. Metzinger in: Kramer 58 ff. 
^^^ Vgl. Sloman, Aaron: Are Turing Machines Relevant to AI?, Draft (last updated 3 May 2000), erhaltlich un- 

ter: www.cs.bham.ac.uk/~axs. 
^^^ Metzinger in: Kramer 62. 



Konnektionismus 99 



voUstandig iiber sich selbst aufklart. Wie schwierig die Konstruktion eines bewuBten, parallel 
arbeitenden Systems ist, faBt Boden so zusammen: „It is widely agreed, even by connectionists, 
that conscious thought requires a sequential 'virtual machine', more like a von Neumann com- 
puter than a parallel-processing neural net. As yet, we have only very sketchy ideas about how 
the types of problem-solving best suited to conscious deliberation might be implemented in 
connectionist sy stems. '"^^^ 

Eng mit der Frage nach dem SelbstbewuBtsein zusammenhangend ist die Frage nach dem 
Selbst, d.h. dem inneren Ursprung und Zentrum samtlichen Handelns. Wie beim Symbolismus 
so gibt es auch nach der Auffassung des Konnektionismus keinen substanziellen Kern, den 
man als Selbst oder Ich bezeichnen konnte.^^^ Statt dessen wird davon ausgegangen, daB das 
Selbst bzw. das subjektive Wissen oder Gefuhl um das Selbst eine Folge des komplexen Zu- 
sammenwirkens geeigneter einfacher Schaltelemente ist. Von einem Selbst zu sprechen ist dem- 
nach nur auf einer entsprechend hohen Beschreibungsebene moglich, die von Materiellem, 
Funktionalem und Ahnlichem absieht. Nach der Lehre des Konnektionismus gibt es keine klas- 
sische Individualitat im Sinne einer prinzipiellen Unteilbarkeit, Unmitteilbarkeit und Nichtver- 
vielfaltigbarkeit der Person.^ ^^ Eine intelligente und selbstbewuBte „Software", d.h. die Art und 
das Gewicht samtlicher Verbindungen, laBt sich - zumindest grundsatzlich - ohne Verluste auf 
jede geeignete Hardware ubertragen und damit beliebig vervielfaltigen. Auch bereits erworbene 
„Erfahrungen", gelemtes Verhalten und Wissen etc. lassen sich so grundsatzlich duplizieren, so 
daB sich mehrere Realisierungen desselben komplexen neuronalen Netzes in nichts voneinander 
unterscheiden. 

Als erste Regung von BewuBtsein gelten oft die Gefuhle. Sie sind ein Gebiet, das lange Zeit 
und in besonderer Weise fur die Individualitat des Menschen und seine Uberlegenheit gegen- 
iiber technischen Systemen beansprucht wurde. Inwieweit dies vom Konnektionismus bestrit- 
ten wird und wie er die Gefuhle sieht, ist Gegenstand des nachsten Kapitels. 



4^^ Boden in: Boden 1996, 104. 

^^^ Das „Ich" steckt demnach sozusagen im gesamten Netz. 

^^^ „Personhood then, is not some one quality or thing, let alone some indwelling essence, it is a conglomera- 
tion and mishmash of bodily powers, abilities, and history, all of the right kind and of a sufficient complex- 
ity to lead us to say that the person has a life." McClintock 135. Siehe dagegen zur wahren Individualitat 
bzw. Personalitat Kapitel 4.5.3 und 4.5.6. 



1 00 Konnektionismus 



3.2.7 Gefuhle 

Gefuhle spielen fiir den Konnektionismus eine wichtigere RoUe als fiir den Symbolismus, weil 
das Femziel „kunstliche Intelligenz" bzw. kiinstlicher Mensch vor allem durch das „Nachvoll- 
ziehen" der naturlichen, evolutionar gefaBten Entwicklungen und Prozesse geschehen soll/^^ 
Da alle hoher entwickelten Lebewesen iiber Gefuhle verfugen, ist nach dem Konnektionismus 
anzunehmen, daB sie bei der Entstehung eines intelligenten und bewuBten Systems eine nicht zu 
vemachlassigende RoUe spielen. Gefuhle gelten dem Konnektionismus als einfachste Form des 
graduell zu steigemden BewuBtseins. Damit sind sie die notwendigen Vorstufen auf dem Weg 
zum BewuBtsein und letztlich dem SelbstbewuBtsein. Da Gefuhle im Falle der naturlichen Vor- 
bilder der Lebewesen einen evolutionaren Vorteil bewirkten, kann man sie konnektionistisch 
definieren als dynamische Aktivitatsmuster neuronaler Netze, die dem System dienen. Gefuhle 
emergieren nach der Auffassung des Konnektionismus aus komplexen Netzstrukturen.^^^ 

Fiir den Konnektionismus stellt sich das Problem, wie es gelingen soil, allgemeine Muster fiir 
innere emotionalen Zustande wie etwa Hunger, Miidigkeit, Freude, Gliick etc. zu finden. Da 
Zustande in neuronalen Netzen stets kontextabhangig sind, ist dies fiir das vielschichtige Pha- 
nomen der Gefiihle besonders schwierig.^^^ Im Sinne des Konnektionismus ist es jedoch 
grundsatzlich moglich, kiinstliche neuronale Netze bzw. Systeme zu bauen, die Gefiihle haben 
Oder entwickeln. Menschliche und erst recht tierische Gefiihle werden dementsprechend fiir 
nicht einmalig gehalten. 

Im AnschluB an die bisherigen Ausfiihrungen wird das folgende Kapitel einen der um- 
fassendsten Begriffe der Anthropologic aus der Sicht des Konnektionismus in Angriff nehmen, 
der nicht selten als die Grundlage der bisher genannten Fahigkeiten, Phanomene oder Vollziige 
gilt: das Leben. 



^^^ Vgl. dazu Foerst, insbesondere 84 ff. und 141 ff. 

^^^ Sie unterscheiden sich damit nicht wesentlich von den bisher betrachteten psychischen oder mentalen Fahig- 
keiten. 

^^^ Erschwerend kommt hinzu, daB Gefuhle naturwissenschaftlich und insbesondere neurophysiologisch noch 
nicht ausreichend erforscht sind. Zur psychologischen Einschatzung der Gefuhle siehe Zimbardo 442 ff . 



Konnektionismus 101 



3.2.8 Leben 

Die konnektionistische Theorie des Lebens weist eine Reihe von Ahnlichkeiten zur symbolisti- 
schen Lehre (Kapitel 3.1.8) auf. Wie die symbolistische Auffassung so geht auch die konnek- 
tionistische Theorie mehrheitlich davon aus, daB zur Erfassung des Lebens ein „Cluster Con- 
cept" geeignet ist. Dies bedeutet, daB das entsprechende System eine Reihe, nicht jedoch eine 
genaue Anzahl, von Kriterien bzw. bestimmten Eigenschaften erfuUen muB. Dazu gehoren vor 
allem Selbstorganisation'^'^^ bzw. Autonomic, Replikation, Wachstum, Metabolismus, Interakti- 
on mit der Umwelt und Anpassung an diese sowie Weiterentwicklung durch evolutionare Pro- 
zesse. Ebenso einig ist man sich zwischen Symbolismus und Konnektionismus iiber die Me- 
dienunabhangigkeit des Leben. „Since we know that it is possible to abstract the logical form of 
a machine from its physical hardware, it is natural to ask whether it is possible to abstract the 
logical form of an organism from its biochemical wetware."^^^ Die drastische SchluBfolgerung 
aus diesem Ansatz lautet dann: „Fur die KI ist Leben keine neue Qualitat. Aufgrund ihrer prag- 
matischen Einstellung [. . .] halt sie es zwar fiir hilfreich, fur die Untersuchung von Gegenstan- 
den bzw. Wesen der organischen Dimension die Erkenntnisse der Biologic (insbesondere der 
Verhaltensbiologie) hinzuzuziehen, grundsatzlich jedoch ist , Leben' ein Phanomen, das sich 
prinzipiell auch in physikalischen oder chemischen Kategorien voUstandig beschreiben lie- 
Be."''' 

Im Gegensatz zum Symbolismus ist Leben nach der Auffassung des Konnektionismus jedoch 
kein System komplexer Algorithmen, sondem ein besonderes, komplexes Netzwerk einfacher 
Schaltelemente. „Living systems are highly distributed and quite massively parallel. If our mod- 
els are to be true to life, they must also be highly distributed and quite massively parallel. In- 
deed it is unlikely that any other approach will prove viable."^ ^^ Dem generellen Ansatz des 
Konnektionismus entsprechend wird auch das Leben durch einen Bottom-up-Ansatz erklart. 
Statt also wie der Symbolismus von den globalen, abstrakten, formalen Konzepten auszugehen 
und diese in entsprechenden Algorithmen zu implementieren, beginnt die Erklarung und Syn- 
these des Lebens ganz unten auf der Ebene der lokalen, einfachen (Schalt-)Elemente.^ ^ ^ „In- 
deed, tremendously interesting and beguilingly complex behaviour can emerge from collections 
of extremely simple components. This leads directly to the exciting possibility that much of the 
complex behaviour exhibited by nature - especially the complex behaviour we call life - also 
has simple generators. Since it is very hard to work backwards from a complex behaviour to its 
generator, but very simple to create generators and synthesize complex behaviour, a promising 
approach to the study of complex natural systems is to undertake the general study of the kinds 



"^"^^ Siehe zu Selbstorganisation sowie zu Emergenz und Erhaltung von Ordnung Boden 1996, 3 ff., Burian/Ri- 

chardson in: Boden 146 ff. und Adami 139 ff. 
^^^ Langton in: Boden 1996, 54 f. 
''' Foerst299. 

^^^ Langton in: Boden 1996, 41. 
^^^ Vgl. Boden 1996, 3 ff. und Langton in: Boden 1996, 48 ff. 



1 02 Konnektionismus 



of behaviour that can emerge from distributed systems consisting of simple components 
[...]."'^'^^ Nach der konnektionistischen Theorie gibt es keine exphziten, globalen Konzepte fiir 
das Leben. Leben ist demnach keine Symbolumformung, keine Berechnung und kein Compu- 
terprogramm.^ ^ ^ 

Nach der starken KL- Version unterscheidet sich das aus geeigneten Teilen emergierende Leben 
nicht in seinem Wesen vom bisher bekannten „naturhchen" Leben. „The 'artificial' in Artificial 
Life refers to the component parts, not the emergent processes. If the component parts are im- 
plemented correctly, the process they support are genuine - every bit as genuine as the natural 
process they imitate. The big claim is that a properly organized set of artificial primitives carry- 
ing out the same functional roles as the biomolecules in natural living systems will support a 
process that will be 'alive' in the same way that natural organisms are alive."^^^ 

Mehr noch als beim Symbolismus soil die Komplexitat des Systems nach der Lehre des Kon- 
nektionismus durch die Komplexitat der Umwelt bzw. die riickgekoppelte Interaktion mit ihr 
entstehen und erklart werden. „It seems to me to be a guiding idea [. . .] that the fuel for the de- 
velopment of organic complexity is environmental complexity. The underlying assumption is 
that complex systems arise as solutions to complex environmental problems."^ ^^ Die genannte 
Annahme leitet insbesondere das KI-Teilgebiet „Situated Robotics". Dort geht man davon aus, 
daB Leben (wie auch Intelligenz etc.) sich erst durch das senso-motorische Interagieren mit der 
Umwelt ergibt.^ ^ ^ 

Bei der Frage nach dem Ursprung des Lebens ist der Konnektionismus geleitet von den Theori- 
en der Erd- und Evolutionsgeschichte, nach denen Leben ein relativ spat entstandenes, emer- 
gentes Phanomen ist, das jedoch noch vor der Intelligenz entstand.^^^ Dementsprechend kon- 
zentriert man sich besonders auf das Verstandnis und die Rekonstruktion der „einfachen" und 
friih entstandenen Tierarten. 

Wachsen bzw. Reifen eines Lebewesens kann vor allem als eine Zunahme der Komplexitat des 
entsprechenden neuronalen Netzwerkes gesehen werden.^ ^^ Im Gegensatz dazu wird Altem 
dann als die (stetige) Abnahme der Konnektivitat bzw. Verbindungen und damit der Komplexi- 
tat verstanden. Der Tod schlieBlich ist in den Augen des Konnektionismus der Verlust aller 
bzw. aller entscheidenden Schaltelemente und vor allem Verbindungen. Grundsatzlich sind die- 
se Verbindungsverluste nicht notwendig in den Schaltelementen oder der Netzstruktur veran- 



44' Langton in: Boden 1996, 51 f. 

^^^ Vgl. Langton in: Boden 1996, 50 ff. 



''^ Langton in: Boden 1996, 68 f. 

^^^ Godfrey-Smith in: Boden 1996, 322. 

^^^ Vgl. zu „Situated Robotics" und zur interaktiven Emergenz Hendriks-Jansen in: Boden 1996, 284 ff. Zu einer 

Implementiemng, die u.a. auf die Entwicklung der Schwimmfahigkeit abzielt, siehe Adami 9 ff. 
^^^ Wie bereits erwahnt, gibt es schwerwiegende Einwande gegen die evolutionaren und nicht selten dogmatischen 

Ansatze. Siehe dazu vor allem Kapitel 4.5.8 sowie Vollmert. 
^^^ Vgl. zum Reifen und Altern von Menschen im Gegensatz zu dem von Maschinen McClintock 106 ff. 



Konnektionismus 1 03 



kert, so daB prinzipiell ein unsterbliches Wesen bzw. ein beliebig langes Leben moglich ist/^"^ 
Aufgrund der Medienunabhangigkeit des Netzverhaltens laBt sich das lebendige System nicht 
nur auf verschiedener Hardware betreiben, sondem auch nach Belieben auf andere Hardware 
ubertragen, d.h. Lebewesen sind identisch kopierbar.^^^ 



Vgl. zur Unsterblichkeit im Sinne der KI Foerst 97 ff. und Moravec 1999, 265 ff. 

Das Kopieren eines lebendigen neuronalen Netzes mit alien seinen gewichteten Verbindungen sowie seiner ex- 
ternen Hardware wie Sensorik und Motorik stoBt heutzutage wegen der Komplexitat schnell an eine Mach- 
barkeitsgrenze. Hier geht es jedoch nur um das prinzipielle philosophische Argument, nachdem es moglich 
sein soil, von alien Lebewesen und damit auch vom Menschen eine exakte Kopie zu erstellen. 



1 04 Konnektionismus 



3.2.9 Zwischenfazit zum Konnektionismus 

Nach den bisherigen Ausfuhrungen laBt sich die konnektionistische Theorie folgendermaBen 
zusammenfassen: Der Mensch ist ein System, das durch ein besonders komplexes neuronales 
Netz gesteuert wird. Alle menschlichen und insbesondere mentalen bzw. kognitiven Fahigkei- 
ten lassen sich letztlich durch geeignete komplexe, stark parallele und flexible Vemetzung einfa- 
cher (Schalt-)Elemente erklaren und - zumindest prinzipiell - technisch gleichwertig nachbil- 
den. Die Frage ist also nicht mehr ob, sondem nur noch wie sich das gesamte menschhche Ver- 
halten und seine Fahigkeiten nachbauen lassen. Die Erreichung der Kl-Ziele ist damit nur eine 
Frage der Zeit sowie der Komplexitat der verwendeten Systeme. Die genannten Fahigkeiten 
konnen auch als bestimmte, komplexe und dynamische Muster aufgefaBt werden, die sich in 
geeigneten Medien naturlich oder kiinstlich emergent ergeben bzw. erzeugen lassen. Wie im 
Fall des Symbolismus zeigte sich, daB auch der Konnektionismus vor einer Reihe schwerwie- 
gender philosophischer Probleme steht (vgl. Kapitel 3.1.9). So gibt es auch fur ihn beispiels- 
weise keine Individualitat und Einmaligkeit im strengen Sinne, mit der Folge, daB er ebenfalls 
keine voUwertige und verbindliche Ethik begriinden kann. 

Bevor im nachsten Kapitel die Auffassungen der biologischen Theorie erlautert werden, soil an 
dieser Stelle noch etwas zum Verhaltnis von Konnektionismus und Symbolismus gesagt wer- 
den."^^^ Wahrend es durch die bisherige Profilierung der theoretischen „Reinformen" so schien, 
als wurden sich die beiden Theorien wechselseitig ausschlieBen,^^^ gibt es auch eine Reihe von 
Versuchen, sie zu verbinden. Wie bereits in Kapitel 3.2.4 erwahnt, wird haufig davon ausge- 
gangen, daB sich Symbolismus zu Konnektionismus verhalt wie Newtons Physik zur Quan- 
tenmechanik, d.h. das eine ist nur eine Naherung des anderen, und zwar fur bestimmte Falle 
bzw. GroBenordnungen.^^^ Aus den - nicht selten komplementaren - Nachteilen der beiden 
Ansatze ergibt sich jedoch auch die Notwendigkeit einer „Synthese" aus Konnektionismus und 
Symbolismus. Es wird beispielsweise vorgeschlagen, einen extemen Symbolismus bei gleich- 
zeitigem intemen Konnektionismus anzusetzen.^ ^ ^ Andere gehen davon aus, daB kognitive Sy- 
steme wie der Mensch sowohl konnektionistische als auch symbolistische Verfahren bzw. Ele- 
mente benutzen, und zwar abhangig von der Aufgabe. Zunachst wird demzufolge mit dem 
schnellen und robusten konnektionistischen System gearbeitet. Wenn dies nicht oder nicht mehr 
ausreicht, wird das symbolistische System herangezogen.^ ^ ^ 

Bis hierhin sind die beiden abstrakten und von der zwar notigen, aber doch nahezu beliebig 
wahlbaren materiellen Realisierung absehenden Theorien des Symbolismus und Konnektionis- 



4^^ Siehe dazu auch Foerst 80 ff. 

^" Eine gute tabellarische Gegeniiberstellung dazu findet sich bei Wolf in: Schneider 227. 
^^^ Vgl. Clark in: Boden 1990, 289 ff. und Dorffner 159 ff. 
^^^ Vgl. Helm 144 ff. 

^^^ Vgl. Clark in: Boden 1990, 295 ff. und Foerst 140 ff. Siehe auch das Beispiel „Verbmobil" aus Kapitel 2.5, 
das sich einer Kombination aus subsymbolischen und symbolischen Komponenten bzw. Verfahren bedient. 



Konnektionismus 1 05 



mus behandelt worden. Im folgenden ist die stark von den in der Natur vorgefundenen materi- 
ellen Gegebenheiten gepragte biologistische Theorie in bezug auf die anthropologisch relevanten 
Begriffe darzustellen. 



106 Biologismus 



3.3 Biologismus 



3.3.1 Grundzuge 

Ganz so wie in Kapitel 3.1 und 3.2 werden auch fiir die biologische Theorie zunachst die lei- 
tenden Grundzuge dargestellt und die wesentlichen Begriffe, Ansatze und Verfahren der biolo- 
gischen Informationsverarbeitung skizziert. Erst dann werden die „biophilosophischen" Theori- 
en zu den einschlagigen Begriffen Intelligenz, Geist, Denken, Erkenntnis, Wille, BewuBtsein, 
SelbstbewuBtsein, Gefiihl und Leben vorgestellt. 

Insofem die Biologie und ihre Teildisziplinen an die Stelle der Philosophie treten und das We- 
sen des Lebens, die „geistige Welt" oder gar die gesamte Wirklichkeit naturwissenschaftlich- 
biologisch erklaren woUen, wird im folgenden vom Biologismus bzw. von der biologistischen 
Theorie gesprochen."^^^ Der Biologismus ist eine weltanschaulich bzw. philosophisch unzurei- 
chende Interpretation biologischer Forschungen und Theorien, dem vor allem der Materialismus 
vorzuwerfen ist. Inwieweit es sich bei der Reduktion auf naturwissenschaftliche Erklarungen 
um einen ontologischen und methodologischen bzw. erkenntnistheoretischen Reduktionismus 
handelt und was dagegen zu sagen ist, wird noch zu klaren bleiben.^ ^ ^ 

Wie bei den bisherigen Kapiteln besteht auch hier kein Anspruch auf einen voUstandigen IJber- 
blick iiber samtliche Theorien. Ziel ist vielmehr eine Profilierung und das heiBt vor allem ein 
Herausstellen der wesentlichen und in der Regel gemeinsamen Prinzipien. Hierbei gilt es zu- 
nachst in bezug auf Kapitel 3.1 und 3.2. die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Symbolis- 
mus und Konnektionismus herauszustellen. Gemeinsam ist alien drei Theorien, daB sie die In- 
formationsverarbeitung fur eine notwendige Voraussetzung der zu klarenden Begriffe bzw. Fa- 
higkeiten halten. Im Gegensatz zur abstrakten symbolischen und zur ebenfalls abstrakten sub- 
symbolischen, konnektionistischen Theorie setzt die biologische Theorie jedoch auf der kon- 
kreten physiologischen Ebene an. Sie halt den tatsachlichen Aufbau intelligenter Lebewesen fiir 
so entscheidend, daB die Probleme nur durch eine moglichst detaillierte biologische Forschung 
zu beherrschen seien. Dementsprechend heiBt es gegen die entschieden zu starken Vereinfa- 
chungen des Konnektionismus, daB „if we want to understand the nature of the information 
processing that underlies such functions as thinking and sensorimotor control, our theories 
must be constrained by how neurons are in fact orchestrated [. . .]"^ ^ ^ . Dabei ist es insbesondere 
die Erforschung des Gehirns, vor allem durch die Neurologic bzw. die kognitive Neurobiolo- 



"^^^ Zur gmndsatzlichen Kritik am Biologismus siehe neben dem Kapitel 4 auch Haas in: Brugger 50 f. 

^^^ Siehe dazu etwa Kapitel 4.2 und 4.3. Zum Reduktionismus siehe auch Mahner/Bunge 108 ff.; Churchland 
1986, 277 ff., 356 ff. und 382 sowie Foerst 165 ff. Die eine „unified theory" soil laut Churchland schlieBlich 
das „mind-brain" erklaren. Dabei soUen Neurologic und Psychologic im Sinne einer Koevolution zusammen- 
arbeiten. Vgl. Churchland 1986, 181 f., 362 ff., 373. 

^^^ Churchland 1986, 36. Vgl. dazu auch Churchland 1986, 137 und 360 f. 



Biologismus 107 



gie, von der die Losungen erwartet werden.'^^'^ Obwohl die Analyse des menschlichen und tieri- 
schen Innenlebens, insbesondere die des Nervensy stems, eine lange Geschichte^ ^ ^ hat, kam es 
erst im 20. Jahrhundert durch die Entwicklung modemer, meist nicht-invasiver Techniken^ ^ ^ zu 
bahnbrechenden Erkenntnissen iiber die Mikrostrukturen und -funktionen des Gehirns. Als Ab- 
grenzung gegeniiber der in Kapitel 3.4 darzustellenden physikalischen Theorie muB gesagt 
werden, daB die biologische Theorie zwar auch biochemische, chemische^ ^ ^ und physikalische 
Erkenntnisse beriicksichtigt, jedoch in der Regel nicht ihre gesamte Theorie auf diese zu redu- 
zieren sucht, sondem sie als eine Art Rahmen ansieht.^^^ AuBerdem steht der Biologismus auf 
dem Boden der klassischen, also nicht quantentheoretischen Physik. 

Als das wesentliche Standbein der biologischen Theorie gilt die Evolutionstheorie.^^^ Samtliche 
infrage stehenden Begriffe bzw. Fahigkeiten des Menschen werden demzufolge auf die Ent- 
wicklung aus tierischen und letztlich „prabiotischen" Vorgangem zuriickgefuhrt. Der Mensch ist 
demnach nur einer von vielen Organismen in der Welt und das „reminds us that we, in all our 
cognitive glory, evolved, and that our capacities, marvelous as they are, cannot be a bolt from 
the blue. Which means that models for human cognition are inadequate if they imply a thor- 
oughgoing discontinuity with animal cognition."^ ^^ Als treibende Kraft der Evolution gelten 
(zufallige) Mutation, Migration, Gendrift und Rekombination.^ ^ ^ In den Augen des Biologis- 
mus sind es letztlich nicht immaterielle Entitaten oder gar Gott, sondern die „Selbstorganisation 
derMaterie", die die Weiter- und Hoherentwicklung der Lebensformen herbeifuhrt.^^^ Als we- 
sentliche Prinzipien zur Erklarung der Entwicklung der Arten gelten Isolation, Selektion und 



"^^"^ Weitere an der Erforschung beteiligte Untergebiete der Biologie sind beispielsweise die Neuromedizin, Neuro- 
physiologie, Neuropsychologie, Neuroanatomie, Molekularbiologie, Molekulargenetik, Sozio- und Verhal- 
tensbiologie sowie Evolutionsbiologie. Zur Abgrenzung der einzelnen Zweige siehe Roth 24 und Churchland 
1986, 153 f. 

^^^ Fur einen tJberblick liber die Geschichte der Biologie, insbesondere der Hirnforschung, siehe Churchland 
1986, 13 ff. Einen kritischen tJberblick liber die Geschichte der Biologie des 20. Jahrhunderts gibt Herbig/ 
Hohlfeld. 

^^^ Siehe zu diesen Techniken Kapitel 3.3.2. 

^^^ Flir eine Darstellung der chemischen Informationsverarbeitung im Rahmen der KI siehe Adamatzky et al. in: 
Floreano et al. 304 ff. 

^^^ Vgl. Herbig/Hohlfeld, z.B.24ff. 

^^^ Dazu muB gesagt werden, daB es die Evolutionstheorie nicht gibt. Man unterscheidet u.a. stellare, chemische, 
molekulare, biologische, psycho-soziale und kulturelle Evolution. Im folgenden sind insbesondere die (neo- 
darwinistisch aufgefaBte) molekulare und biologische Evolution gemeint. Zur Problematik der Evolution und 
der Fragwurdigkeit der evolutionaren Pramissen und Schlusse wird Kapitel 4.5.8 kritisch Stellung nehmen. 
Siehe zur Evolution im Sinne des Biologismus z.B. Smith in: Boden 1996, 173 ff.; EigenAVinkler; Sober; 
Vollmer; Mayr; Mahner/Bunge 301 ff. und Searle 1992, 88 ff. 

^'^ Churchland 1986, 36. Vgl. auch Sober 184 ff.; Churchland 1986, 275 und Hirschberger 489 f. 

^^^ Vgl. Sober 18 ff., Vogel/Angermann 472 ff. und Mayr 119 ff. Zu Evolutionsprinzipien siehe auch Vollmer 
59 ff. und Vogel/Angermann 490 ff. 

^^^ Vgl. Singer in: Kramer 167; Mahner/Bunge 34, 174 f.; Eigen/Winkler 196 ff. sowie Herbig/Hohlfeld 28 ff. 
Die bereits mehrfach erhobenen Vorbehalte gegen die evolutionaren Theorien sind auch hier zu nennen. Insbe- 
sondere die widersprlichHche Behauptung von der Selbstorganisation der Materie wird bei der kritischen Be- 
handlung in den Kapiteln 4.3.2 und 4.5.8 zurlickzuweisen sein. 



108 Biologismus 



Anpassung bzw. Adaption/^^ Die Entstehung neuer Qualitaten wird zudem durch den Begriff 
bzw. die Theorie der Emergenz zu erklaren versucht (vgl. Kapitel 3.2). ,JK\Iq Entwicklungs- 
und Evolutionsprozesse bestehen in der Emergenz oder Submergenz von (allgemeinen) Eigen- 
schaften."^^^ Unter Emergenz wird dabei die Entstehung, unter Submergenz das Vergehen von 
Eigenschaften eines komplexen Systems verstanden, dessen einzelne Teile oder Subsysteme 
diese Eigenschaften nicht besaBen. Neue Qualitaten konnen soUen so durch quantitative Kom- 
plexitatssteigerung, innere Restrukturierung sowie Interaktionen mit einer entsprechenden Um- 
welt entstehen konnen. 

Hinter diesen Auffassungen steht ein Monismus und zwar in Form des Materialismus, zu dem 
sich die meisten Biologen - mehr oder weniger off en - bekennen.^^^ Beim Materialismus kann 
man bezogen auf die vorliegende Problematik vor allem folgende drei Formen unterscheiden: 
den reduktionistischen bzw. physikalistischen, den eliminativen und den emergentistischen 
Materialismus. Wahrend der physikalistische Materialismus, der alles auf die GroBen und Ge- 
setze der Physik zuriickfuhren will, Thema des Kapitels 3.4 sein wird, werden die Positionen 
des eliminativen und des emergentistischen Materialismus in den folgenden Kapiteln deutlicher 
werden. Vorweg kann bereits gesagt werden, daB die eliminative Form (wie beispielsweise von 
Churchland vertreten) versucht zu zeigen, daB sich das „Geistige" ohne Verluste ganz aus der 
Wissenschaft und der Sprache streichen laBt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom 
radikalen Materialismus und von der Identitatstheorie.^ ^ ^ Ein Ansatz ist in diesem Zusammen- 
hang die auf Pellionisz und Llinas zuriickgehende „Tensor Network Theory", also die Theorie, 
nach der das Neuronennetz eine Art (topologieerhaltende) Koordinatentransformation von ei- 
nem Zustandsraum in den anderen voUbringt.^ ^ ^ Die weiter verbreiteten emergentistischen For- 
men (wie etwa von Searle, VoUmer und Mahner/Bunge vertreten) hingegen woUen das Geistige 
aus der komplexen, organischen Materie entspringen lassen. Laut Mahner und Bunge laBt sich 
der emergentistische Materialismus durch folgende drei Annahmen zusammenfassen: 

„1. Alle mentalen Zustande, Ereignisse und Prozesse sind Zustande von oder Ereignisse und 
Prozesse in den Gehimen bestimmter Lebewesen. 
2. Diese Zustande, Ereignisse und Prozesse sind emergent in Relation zu den zellularen Kom- 
ponenten des Gehirns. 



"^^^ Siehe dazu Mayr, besonders 119 ff. Siehe zu einer - bedingt kritischen - Darstellung ontogenetischer und 
phylogenetischer Adaptionstheorien Sober 84 f. und 119 ff. Zu Selektion bzw. Auslese siehe auch z.B. Mayr 
119 ff. 

^^^ Mahner/Bunge 33. Vgl. zur Emergenz Mahner/Bunge 31 ff.; Briintrup in: Quitterer/Runggaldier 116 ff. und 
Singer in: Spiegel 1/2001, 157. 

^^^ Vgl. beispielsweise Churchland, Mahner/Bunge, Mayr, Monod, Searle, Roth, Vollmer und Wuketits in: Her- 
big/Hohlfeld. Zur Darstellung und Kritik unterschiedlicher materialistischer Auffassungen siehe auch Eccles 
sowie Hennen. Die philosophische Zuriickweisung des Materialismus wird Kapitel 4.3.2 liefern. 

^'^ Vgl. Eccles 20 ff. 

^" Siehe hierzu - insbesondere zur Herleitung und Darstellung fur den Fall der senso-motorischen Koordination 
bei Tieren - Churchland 1986, 412 ff., 432 und Churchland in: Boden. Vgl. auch Kapitel 3.2. 



Biologismus 109 



3 . Die sogenannten psychophysischen (oder psychosomatischen) Beziehungen sind Interak- 
tionen zwischen verschiedenen Subsystemen des Gehims oder zwischen einigen zerebralen 
Subsystemen und anderen Subsystemen des Korpers, wie Muskulatur, Verdauungs- oder 
Immunsystem."'^^^ 

Die Theorie versucht also zu erklaren, wie es trotz der Annahme, daB die Welt ausschlieBlich 
aus physikalischen Teilchen in Kraftfeldem besteht, (biologische) Phanomene wie mentale Zu- 
stande und Prozesse geben kann.^^^ Obwohl dabei vieles noch ungeklart ist und nicht selten 
Uneinigkeit herrscht/ ^ ^ besteht doch die Hoffnung, schlieBlich und endlich eine naturwisstn- 
schaftliche Erklarung fiir das Psychische bzw. Geistige zu finden. 



"^^^ Mahner/Bunge 197. Siehe zum emergentistischen Materialismus, der einen moderaten Reduktionismus dar- 

stellen soil, auch Mahner/Bunge 108 ff. 
^^^ Vgl. Searle 1992, xii f. Es bleibt zu erganzen, daB vom Biologismus auch epiphanomenalistische Ansatze 

vertreten werden. 
^^^ Vgl. Churchland 1986, 407 ff. und 482. 



110 Biologismus 



3.3.2 Biologische Informationsverarbeitung 

Im folgenden werden die wesentlichen biologischen und philosophischen Grundlagen des Bio- 
logismus sowie der biologischen Informationsverarbeitung naher dargestellt. Wie bei den bisher 
genannten Theorien wird auch beim Biologismus von einem Schichtenmodell der Wirklichkeit 
ausgegangen/^^ Unterste Schicht ist jedoch nicht die der elementaren Symbole oder der ab- 
strakten Schaltelemente, sondem die der Neuronen bzw. allgemeiner der Zellen^^^ Uber der 
zellularen Ebene stehen die Zellverbandebene, die Organ- und Nervensystemebene sowie 
schlieBlich die Ebene des gesamten Organismus.^^^ Die einzelne Zelle, vor allem aber das (zen- 
trale) Nervensystem gelten als Informationsverarbeiter.^ ^ ^ In Anlehnung an die Informatik wird 
in diesem Zusammenhang haufig von genetischem bzw. neuronalem „Code", „Signar' und der- 
gleichen gesprochen.^ ^ ^ Da der Mensch jedoch im Gegensatz zum Symbolismus und Konnek- 
tionismus in der Regel nicht als biologischer Computer gesehen wird/ ^ ^ soil es sich bei diesen 
Begriffen im allgemeinen um Metaphem handeln.^ ^ ^ 

Jedes System, das zu einer bestimmten Ebene gehort, hat sich evolutionar durch Selbstzusam- 
mensetzung bzw. Selbstorganisation aus den Elementen der darunterliegenden Ebene bzw. 
Ebenen gebildet. Damit ist auch das Vorgehen der Neurowissenschaften bestimmt; es ist bot- 



481 



Vgl. Churchland 1986, 359 f.; Mahner/Bunge 171 ff. und Wuketits in: Herbig/Hohlfeld. Zum Schichten- 
modell im Sinne des kritischen und gemaBigten Realismus siehe dagegen Kapitel 4.3.2 und 4.4. 
Die Zelle wird als die kleinste Einheit des Lebens und zugleich von einigen als eine Art molekulare Maschine 
gesehen. Der Mensch besteht aus etwa 10^^ Zellen. Siehe zu Zellen Gitt 1994, 264 ff.; Hennen 29 ff. und 
Vogel/Angermann 8 ff . 

Die ebenfalls von der Biologic bzw. Okologie behandelten Fragen bezuglich der Populationen, Biozonosen 
und Biosphare werden hier nicht naher betrachtet. Siehe dazu beispielsweise Mahner/Bunge 165 ff. 
Vgl. Churchland 1986, 69 ff. Zu der offenen Frage, woher letztlich die Information, z.B. die in der DNS, 
kommt, siehe Kapitel 4.5.8 und Gitt 1994. 
Vgl. Monod 99 f.; Gitt 1994, 108 und Boden 1996, 8 f. 

Auffallig, wenn auch nicht fur eine qualitative Unterscheidung hilfreich, ist die sehr stark unterschiedliche 
Schaltfrequenz (symbolistischer) Computer von 10"^ s^ und von Gehirnen mit nur 10^ s'\ AuBerdem sind 
echte Neuronen mit bis zu 90.000 anderen Neuronen verschaltet, wahrend sich die Verschaltungszahlen kiinst- 
licher Neuronen GroBenordnungen darunter befinden. 

An dieser Stelle ist jedoch zu erwahnen, daB man aufgrund der absehbaren Grenzen der Packungsdichte klassi- 
scher Computertechnologie im Bereich der Nanotechnologie an sogenannten ,^iocomputem'' forscht. Vgl. 
dazu beispielsweise die Arbeit von Christian Press unter: www.uni-weimar.de/~press/Biocomp.html und sie- 
he auch www.bioinformatik.de. Dabei handelt es sich um Computer, deren Bauteile einzelne Biomolekiile in 
der GroBenordnung von Nanometern sind. In Biocomputern ubernehmen naturliche Molekiile wie DNS bzw. 
deren Bestandteile die Informationsverarbeitung. Neben der um viele GroBenordnungen hoheren moglichen 
(dreidimensionalen) Packungsdichte von Schaltelementen und damit von Informationen sollen sich Biocom- 
puter auch besonders fur parallele Datenverarbeitung eignen. Fin an die Leistungsfahigkeit klassischer Com- 
puter heranreichender Biocomputer ist allerdings in der naheren Zukunft noch nicht absehbar, u.a. well viele 
der benotigten biochemischen Reaktionen noch recht storanfallig sind. Neben der Konstruktion von kiinstli- 
chen Biocomputern arbeitet man im Bereich der Bioelektronik auch an der Fntwicklung hybrider Biocompu- 
ter, bei denen lebende Nervenzellen mit Silizium-Schaltkreisen verbunden werden. Siehe z.B. das Georgia In- 
stitute of Technology, www.gatech.edu. Bisher ist es beispielsweise gelungen, Blutegel-Nervenzellen mit ei- 
nem Computer zu verbinden und so einfachste mathematische Additionsprobleme zu losen. 
Vgl. Mahner/Bunge 274 ff., wo gegen einen biologischen, insbesondere genetischen Informationismus argu- 
mentiert wird. 



Biologismus 111 



tom-up/^^ Man sucht den Zusammenhang zwischen high-level-Fahigkeiten (auch Makropha- 
nomene genannt) wie Intelligenz, Wille etc. und low-level-Funktionen (auch Mikrophanomene) 
des biologischen Systems, vor allem denen des Nervensystems.^^^ Die bisher noch groBen 
Liicken zwischen biologischen und psychologischen Theorien soUen, wie bereits gesagt, na- 
turwissenschaftlich geschlossen werden. 

Fur das Verstandnis des Mentalen ist also nach dem Biologismus eine moglichst genaue Kennt- 
nis der physiologischen und insbesondere der neurologischen Zusammenhange bei Lebewesen 
notig, auf die nun naher eingegangen werden wird.^^^ Bei Lebewesen (zumindest den hoheren, 
die fur mentale Qualitaten in Frage kommen und auf die sich das Nachfolgende vomehmlich be- 
zieht) laBt sich ein typischer Aufbau nachweisen, der zudem auch der evolutionaren Entwick- 
lung entsprechen soil. Demnach stehen am Anfang spezielle Makromolekiile, welche insgesamt 
zwanzig verschiedene „proteinogene" Aminosauren bilden. Diese konnen sich zu Polypeptiden 
und schlieBlich zu Proteinen (EiweiBe) verbinden, welche ein Hauptbaustein der Zelle sind. Ei- 
ne Gruppe dieser EiweiBe sind die Enzyme, welche als sehr spezielle Katalysatoren chemische 
Reaktionen, wie etwa diejenigen fur den Stoffwechsel, ermoglichen bzw. beschleunigen. 

Die Synthese der lebenswichtigen Proteine wird hauptsachlich durch die Desoxyribonukleinsau- 
ren (DNS, engl. DNA) bestimmt.^^^ Die in jeder Korperzelle befindliche Erbsubstanz DNS be- 
steht aus zwei Polynukleotidstrangen. Diese beiden Molekiilstrange sind durch Wasserstoff- 
briickenbindungen zwischen den Basen Adenin und Thymin bzw. Cytosin und Guanin mitein- 
ander verbunden (Basenpaarung). Die Strange verlaufen gegenlaufig und sind zur sogenannten 
„DNS-Doppelhelix" aufgeschraubt. Diese Nukleotidsequenzen werden Gene genannt. Die Ge- 
samtheit der in Form von Chromosomen geformten Gene wird als Genom, die Gesamtheit der 
Erbanlagen eines Organismus als Genotyp bezeichnet. Die Chromosomen bilden den Hauptbe- 
standteil des Zellkems, welcher von einer zweischichtigen Kemmembran umfaBt ist. Der Zell- 
kem ist umgeben von Zytoplasma sowie einer Zahl von Zellorganellen wie etwa Mitochondrien. 
Eine Biomembran bildet die auBere Grenze der Zelle. Das Verhalten der Zelle wird von der 
DNS „gesteuert". Problematisch ist dabei, daB das Genom zwar die Proteine bzw. deren Syn- 
these steuert, jedoch auch von ebensolchen „abgelesen" wird.^^^ Die Entwicklung des individu- 
ellen Leibes (Phanotyp) geschieht durch systemische Interaktion eines Genoms, der „ubrigen" 



Im Sinne einer Koevolution mit anderen Wissenschaften, vor allem der Psychologie, und der einen „Unified 

Theory" soil laut Churchland die bottom-up- mit der top-down-Methode zusammenwachsen. Vgl. Churchland 

1986, 3 f. 

Es geht der vorliegenden Arbeit vor allem um die hoheren „Funktionen" wie Denken und Wollen etc. Zu den 

vegetativen und sensitiven Vermogen siehe Churchland 1986, 120 ff. 

Vgl. zum folgenden Gitt 1994, 102 ff., 219 f.; Plesse 167; Rensch 33 ff.; Monod 161 ff.; Vogel/Angermann; 

Mayr; Eccles 94 ff. und Hennen 27 ff. 

Vgl. zur DNS auch Vollmert 191 ff. Zur philosophischen Einordnung der DNS siehe dagegen Kapitel 4.5.8. 

Zur Transkription und Translation der DNS siehe Monod 100 ff.; EigenAVinkler 304 ff.; Gierer 1985, 74 ff. 

und Gitt 1994, 153. Die DNS hat ubrigens mit 10^^ bit/cm^ die hochste bekannte Speicherdichte. Vgl. Gitt 

1994, 174,201 und 211 ff. 



112 Biologismus 



Zellen und der Umgebung."^^^ Trotz der weitgehenden Erfassung und Entschlusselung der DNS 
ist die Zahl aller Gene des Menschen, geschweige denn deren genaue Funktionen und Zusam- 
menhange, weitgehend unbekannt. Schatzungen bewegen sich zwischen 27.462 und 

312.278.'^' 

Die Zellen, von denen es mehr als 200 verschiedene Sorten gibt, bilden Zellverbande wie bei- 
spielsweise Gewebe und Teilsysteme bzw. Korperteile, aus denen sich das Gesamtlebewesen 
zusammensetzt.^^^ Zu den wichtigsten Korperteilen gehoren die inneren Organe, von denen 
wiederum das vor allem aus Nervenzellen und -fasem bestehende Gehim das fur die vorliegen- 
de Arbeit entscheidende ist, da es als hauptverantwortlich fur samtliche mentalen Fahigkeiten 
sowie letztlich fur die Steuerung des gesamten Organismus gesehen wird. Die fur die Biophilo- 
sophie wichtigste Art von Zellen sind also die Nervenzellen, d.h. die Neuronen, die es nachfol- 
gend genauer zu beleuchten gilt. 

Von den Neuronen heiBt es: „Neurons are the basic elements of nervous systems; they are evo- 
lution's solution to the problem of adaptive movement."^ ^^ Wie kommt es, daB den Neuronen, 
von denen der Mensch nach Schatzungen etwa 2-10^^ bis 10^^ Stiick besitzt,^^^ eine solch we- 
sentliche Aufgabe zugeschrieben wird? Die Neuronen aller Lebewesen sind sich im allgemeinen 
sehr ahnlich. Sie unterscheiden sich von anderen Zellen vor allem darin, daB sie in ein Netz- 
werk anderer Neuronen eingebunden sind, durch das sie ihre Membranpolarisation systema- 
tisch verandem konnen.^^^ Wie sich bereits in Kapitel 3.2 gezeigt hat und auch im folgenden 
noch deutlicher herausstellen wird, ist es vor allem die „richtige" Vemetzung und Komplexitat 
geeigneter „Elemente", durch die Intelligenz und dergleichen entstehen soil. Die Neuronen 
selbst bestehen aus einem Zellkorper (Soma) sowie einer sehr unterschiedlichen Anzahl von 
Eingangen (Dendriten) und Ausgangen (Axone). Ein Neuron kann mit bis zu 90.000 anderen 
verbunden sein. Der Ubergang von einem Neuron zum nachsten wird als Synapse bezeich- 
net.^^^ Man unterscheidet vor allem folgende Formen der Neuronen: sensorische Neuronen, die 
physikalische Reize aufnehmen und in elektrochemische Signale umwandeln, motorische Neu- 
ronen, die an Muskeln enden und deren Kontraktion bewirken sowie die fur die vorliegenden 
Fragen besonders interessanten Intemeuronen, welche mit alien Neuronenformen verbunden 
sein konnen und elektrochemische Signale selektiv weiterleiten.^ ^ ^ 



^^^ Vgl. Mahner/Bunge 281 ff. Zum Problem der Zuordnung von Genen zu bestimmten Merkmalen und Fahig- 
keiten von Organismen siehe Sober 185 ff. Zu einer philosophischen Kritik rein materieller Erklarungen der 
Entwicklung und des Lebens von Zellen und Organismen siehe Hennen, Vollmert sowie Kapitel 4.5.8. 

'^' Vgl. Spiegel 1/2001, S. 68. 

^^^ Vgl. zur Biologie der Zellen Vogel/Angermann 8 ff. 

^^^ Churchland 1986, 14. 

^^^ Vgl. Dorffner 420, Christian in: Schauer/Tauber 152 ff. und Singer in: Kramer 168. 

^^^ Vgl. Churchland 1986, 76 f. Auf die Polarisationsanderung wird welter unten naher eingegangen. 

^^^ Vgl. auch Kapitel 2.3, wo konnektionistische Grundbegriffe und -prinzipien erlautert wurden. 

'^^ Vgl. Churchland 1986, 38 ff. 



Biologismus 113 



Die Signalausbreitung geschieht stark zusammengefaBt so^^^: Durch lonen (wie etwa K\ Na\ 
CI ), die aufgrund selektiver und variabler Membranpermeabilitaten in Zellen hinein und aus ih- 
nen heraus gelangen, verandert sich das elektrische Potential der Zellmembran gegeniiber ihrer 
Umwelt (im Bereich einiger 10 mV). Dieses „Aktionspotentiar' pflanzt sich dann mit einer Ge- 
schwindigkeit zwischen 0,5 und 130 m/s zur nachsten Synapse fort, wobei man auch vom 
„Feuem" des Neurons spricht. Es gibt eine groBe Zahl verschiedener Synapsen, die sich in 
elektrische und chemische teilen laBt. Die elektrischen Synapsen geben ihre elektrischen Poten- 
tiale durch sehr enge Zellkontakte quasi direkt weiter. Die chemischen Synapsen benutzen iiber 
40 verschiedene sogenannte „Neurotransmitter" wie beispielsweise Serotonin, Dopamin oder 
Glycin, die (eingepackt in Vesikel) ausgeschiittet werden, durch den Spalt zu postsynaptischen 
Rezeptoren wandem und dort eine signalverstarkende oder auch signalhemmende Kaskaden- 
bzw. Kettenreaktion auslosen. Dadurch wird die Polarisation der postsynaptischen Membran in 
die entsprechende Richtung geandert. Nach einem Abbau bzw. einer Entfemung der Neuro- 
transmitter konnen sich die Vorgange ggf . wiederholen. Die Informationsubertragung zwischen 
Neuronen geschieht durch mehr oder weniger haufiges, pulsartiges Feuem, also technisch ge- 
sprochen durch Puis- und nicht durch Amplitudenmodulation. 

Wahrend die bisher beschriebenen Prozesse die kurzfristigen Vorgange betreffen, werden lang- 
fristige Veranderungen der Konnektivitat vor allem auf folgende Art bestimmt: Einerseits durch 
gezieltes Wachstum der Axone und Dendriten, welches insbesondere bei der Entstehung und 
dem friihen Wachstum der entsprechenden Lebewesen entscheidend ist. Diese (Struktur-) Ent- 
wicklung des Gehims bzw. des zentralen Nervensystems geschieht mit Hilfe sehr komplexer 
mechanischer, chemischer und physikalischer Steuerungen und Regelungen.^ ^ ^ Andererseits 
geschieht die Anderung der Neuronenverbindungen in Abhangigkeit von der Geschichte und 
Aktivitat der miteinander verbundenen Neuronen durch chemische Veranderungen an der 
Synapse, welche vor allem von neurochemischen Botenstoffen wie den sogenannten Neuro- 
peptiden gesteuert werden. Sowohl das „Feuem" wie auch die Anderung der Konnektivitat ist 
also ein sehr komplexer chemisch-physikalischer ProzeB. Zu den bisher erwahnten GroBen und 
Vorgangen kommt noch die Tatsache, daB die Nervenzellen von einer riesigen Zahl Gliazellen 
umgeben sind, die u.a. der Stutzung und Ernahrung der Neuronen, vor allem jedoch der Isolie- 
rung der Neuronenfasem dienen. Von all diesen und vielen weiteren neurophysiologischen De- 
tails ausgehend ist es Ziel des Biologismus, die einschlagigen GroBen und Begriffe der Anthro- 
pologic (vor allem) mit Hilfe des Nervensystems zu erklaren. 

Das Nervensystem, das sich mehr oder weniger durch den gesamten Korper zieht, hat seine 
Zentrale im Gehim^ ^ ^ , welches zusammen mit dem Ruckenmark das zentrale Nervensystem 



^°^ Vgl. Thaler 48 ff.; Churchland 1986, 35 ff. und Roth 31 ff. 

^^^ Vgl. dazu Singer in: Kramer 166 ff., 183 ff. Siehe zur (molekularen) Ontogenese auch Monod 83 ff. und 

Mahner/Bunge 265 ff. 
^^^ Das Gehirn verbraucht ubrigens trotz seines geringen Korpergewichtsanteils von 2 % etwa 20 % der gesamten 



Korperenergie. Vgl. Roth 201. 



114 Biologismus 



(ZNS) bildet. Dieses ist kein undurchdringbarer „Knauer' von verbundenen Nervenzellen, wie 
es auf den ersten Blick scheinen mag, sondern ein zwar extrem flexibles^^"^ aber ebenso stark 
geordnetes und strukturiertes System.^ ^ ^ Das Gehim laBt sich grob gesehen in GroBhirn, Mit- 
telhim und Rautenhim einteilen. Der mit Abstand wichtigste Teil fiir die spatere Behandlung der 
anthropologischen Begriffe ist das GroBhirn (Cerebrum). Man unterscheidet dabei eine rechte 
und eine linke, durch den „Balken" verbundene, Hemisphare. Es ist die 1,5 bis 4,5 mm dicke 
GroBhimrinde (Cortex cerebri) und besonders deren Hauptteil der Neocortex, der die (hoheren) 
mentalen Fahigkeiten erklaren soUen. 

Bevor darauf in den folgenden Kapiteln eingegangen wird, sind noch kurz einige Methoden 
darzustellen, mit denen die modeme Neurobiologie die Strukturen und Vorgange im Gehim 
aufzudecken sucht.^^^ Mankann dabei beispielsweise in invasive, d.h. in der Korper bzw. das 
Gehim eindringende, und nicht-invasive Methoden unterteilen. Wegen der Sensibilitat und 
Verletzbarkeit des Gehims ist es ethisch meist untragbar, invasive Versuche an lebenden 
menschlichen Gehimen zu machen. Sind invasive und haufig auch irreversible Einblicke oder 
Eingriffe notig, greift man oft auf Tierversuche zuriick. Ebenfalls iiblich ist es, sich durch die 
bereits unfreiwillig geoffneten Kopfe von Unfallopfern, Kranken und Toten Erkenntnisse von 
Himaufbau und -funktionen zu verschaffen. Zu den invasiven Methoden gehort neben der Se- 
ziemng und den Laborversuchen an Himteilen bzw. -schichten, die teilweise in geeignete 
Nahrlosungen gelegt und am Leben gehalten werden, vor allem die elektromagnetische Stimu- 
liemng einzelner (lebender) Himregionen. 

Meist sind jedoch die modemen, nicht-invasiven Methoden von Vorteil, insbesondere da sie 
Aufschlusse iiber die Funktion lebender und gesunder Gehime erlauben sowie wiederholbare 
Experimente an einer groBen Zahl von Versuchspersonen ermoglichen. Zu den nicht-invasiven 
Methoden gehort die Elektroencephalographie (EEG), die mit Hilfe auBerlich an den Kopf an- 
gebrachter Elektroden Spannungsschwankungen einzelner Himregionen sichtbar macht. Dar- 
iiber hinaus gibt es eine Reihe modemer, computergestutzter, bildgebender Verfahren. Zu den 
bekanntesten gehoren die Computer- bzw. Kernspintomographie, bei der das Gehim mit Hilfe 
radioaktiver Strahlung „durchleuchtet" wird, und die Positronen-Emissions-Tomographie 
(PET), bei der die am Stoffwechsel beteiligten Stoffe radioaktiv markiert und in ihrem Verlauf 
im Gehim beobachtet werden. Neben der Senkung der hohen Kosten arbeitet man vor allem an 
immer hoheren zeitlichen und raumlichen Auflosungsvermogen. 

Mit Hilfe der genannten und weiterer Methoden und Techniken vergleicht man einerseits patho- 
logische Falle wie Himschlage, Koma, Schlaganfalle, Tumore, Geisteskrankheiten etc. mit den 



^^^ Wie flexibel das Gehirn ist, laBt sich schon daran erkennen, daB es i.d.R. ohne LeistungseinbuBe mit einer 
groBen Zahl taghch sterbender Neuronen fertig wird. Noch deutlicher sind sicherlich die Fahigkeiten der durch 
Erkennen, Lernen, Vergessen etc. notigen Um- und Neuorganisationen der Neuronen verbindungen. 

^^^ Vgl. zur Neuroanatomie z.B. Churchland 1986, 99 ff.; Penrose 1991, 365 ff.; Eccles 116 f.; Vogel/Anger- 
mann 1 10 f. und Rager in: Quitterer/Runggaldier. 

^^^ Vgl. dazu Churchland 1986, 171 ff. und Roth 200 ff. 



Biologismus 115 



gesunden Gegenstiicken. Andererseits stellt man tierische sowie vor allem menschliche Proban- 
den vor spezielle Probleme bzw. gibt ihnen ausgewahlte Aufgaben und verfolgt, welche Him- 
regionen in welchem MaB notig sind bzw. aktiv werden. Ziel ist eine Zuordnung von geistigen 
Fahigkeiten und Tatigkeiten zu einzelnen oder zusammenhangenden Himregionen. Die Lokali- 
sierung ist allerdings sehr schwierig, experimentelle Ergebnisse nicht selten widerspriichlich. 
Aus der Tatsache beispielsweise, daB eine gewisse Himregion x bei einem Patienten beschadigt 
ist und er die Fahigkeit y nicht mehr hat, kann nicht unbedingt geschlossen werden, daB die 
Region x das Zentrum fur y ist.^^^ Ebenso kann nicht ohne weiteres aus einer Gleichzeitigkeit 
einer Himaktivitat a und einer Tatigkeit oder Fahigkeit b geschlossen werden, daB a die (hinrei- 
chende) Ursache fur b ist.^ ^ ^ Trotz der genannten Schwierigkeiten existieren vielfaltige „Land- 
karten" des Gehirns, in denen die Zentren fiir die verschiedensten vegetativen, sensitiven und 
mentalen Fahigkeiten lokalisiert sind.^ ^ ^ Dabei wird in der Regel davon ausgegangen, daB we- 
der eine strenge Lokalisierung noch ein voUiger Holismus den Gegebenheiten des Gehirns ent- 
sprechen.^ ^ ^ 

Als Beweise fur die Starke der biologistischen Theorie werden u.a. die Erfolge in der Medizin 
angegeben. Dort ist es aufgrund der oben geschilderten und einer Vielzahl weiterer Methoden 
nicht nur moglich, pathologische Falle zu prognostizieren bzw. zu diagnostizieren, sondem 
auch sie zu behandeln und teilweise auch zu heilen.^ ^ ^ 

Soweit zu einer Auswahl der grundlegendsten und im folgenden noch zu erweitemden Voraus- 
setzungen und Verfahren, auf welche die biologistische Informationsverarbeitungstheorie zu- 
riickgreift. Die folgenden Kapitel beleuchten ausgehend vom zentralen Begriff der Intelligenz 
die einschlagigen Begriffe wie Denken, Wille und dergleichen aus der Sicht des Biologismus. 



^°^ Das liegt daran, daB x evtl. nur eine notwendige, aber nicht auch hinreichende Bedingung fiir y sein kann. 
Auch ist es moglich, daB es fiir y gar kein oder zumindest nicht nur ein Zentrum gibt. Vgl. Churchland 1986, 
163 ff. 

^^'^ Kapitel 4.5.3 wird darlegen, daB Hirntatigkeiten keine (hinreichende) Erklarung fiir geistige Vorgange sein 
konnen und daB dafiir ein subsistierender, d.h. in sich selbst stehender, Geist angenommen werden muB. 

^^^ Vgl. beispielsweise Churchland 1986, 147 ff.; Roth 204 ff. und Vogel/Angermann 382 ff. 

^^^ Vgl. Roth; Straschill in: Kramer sowie Churchland 1986, 171. Gegen eine strenge Lokalisierung spricht 
Z.B., daB das Gehirn oft nach Verletzungen bzw. Operationen die Funktionen entnommener Hirnteile durch 
die Leistungen anderer Hirnregionen ersetzen kann. Gegen einen volligen Holismus spricht, daB nicht fiir alle 
Aufgaben alle Telle des Gehirns notig (bzw. aktiv) sind. 

^^^ Gewisse „geistige" Storungen oder Defizite lassen sich zum Beispiel auf einen Mangel bestimmter Neu- 
rotransmitter zuriickfiihren. Zur medikamentosen Behandlung geistiger Leistungen im allgemeinen und der In- 
telligenz im besonderen siehe Thaler. 



116 Biologismus 



3.3.3 Intelligenz und Geist 

Nach der Theorie des Biologismus entstand bzw. entsteht Intelligenz durch Evolution bei genii- 
gend komplexen Lebewesen. Grundlage fur die Intelligenz ist dabei das Nervensystem, wobei 
einer der entscheidendsten Schritte die Entstehung der Intemeuronen gewesen sein soll.^^^ Da- 
durch war es den entsprechenden Lebewesen moglich, die motorischen Neuronen und damit 
das Verhalten nicht mehr nur in direkter Abhangigkeit von den sensorischen Neuronen zu steu- 
ern. Vielmehr war es durch „geschickte" Ausnutzung der verschalteten Intemeuronen erreich- 
bar, eine die Vergangenheit und Zukunft umfassende Reprasentation der Welt und damit eine 
flexiblere und angepaBtere Reaktion auf diese zu voUziehen. Durch die standig herrschende 
Konkurrenz bzw. den Selektionsdruck entwickelte sich eine immer effizientere sensomotorische 
Koordination, weitere Fahigkeit wie etwa die zu lemen (vgl. Kapitel 3.3.4) und schlieBlich die 
Intelligenz.^ ^ ^ Eine wesentliche RoUe beim Hervortreten der Intelligenz soil die Entwicklung der 
Sprache gehabt haben.^ ^ ^ Demnach hatten die friihen Menschen durch die Sprache einen ent- 
scheidenden Vorteil, insbesondere bei der Jagd in Gruppen, die durch vorausschauende und 
kooperative Planung enorm verbessert werden konnte. 

Im Sinne des Biologismus entstand bzw. evolvierte menschliche Intelligenz aus unintelligenten, 
friihsten tierischen Vorgangem: „The human nervous system evolved from simpler nervous 
systems."^ ^^ Die hoheren Funktionen und Fahigkeiten des Gehirns, zu denen auch die Intelli- 
genz zahlt, sind also keine eigene Sphare, sondem stehen am bisherigen Ende eines Kontinu- 
ums. Dabei ist es dem Biologismus wichtig festzustellen, daB die Entwicklung vom einfachsten 
zum komplexen und intelligenten Leben rein naturlich bzw. innerweltlich vor sich ging und 
auch so erklart werden kann und muB. Vom Gehim und seiner geschichtlichen wie individuel- 
len Weiterentwicklung heiBt es deshalb: „no master intelligence guides its construction"^ ^ ^ . 

Intelligenz ist biologistisch gesehen eine Himleistung. Sie ist dabei - wie die Klugheit - ein Or- 
chester einfacher, um nicht zu sagen dummer Einheiten.^ ^ ^ Problematisch bei der Auf fas sung, 
daB Intelligenz aus den immer komplexeren naturlichen Nervensystemen entstanden sein soil, 



^^2 Vgl. Churchland 1986, 76 f. 

^^^ Problematisch ist daran u.a., daB viele intelligente bzw. geistige Fahigkeiten wie beispielsweise kiinstlerische 
keinen tJberlebensvorteil bieten und so nicht (direkt) aus Selektionsvorgangen erklart werden konnen. Siehe 
zur Frage, ob es sich dabei um „Nebenprodukte" handelt sowie allgemein zur kulturellen Evolution aus bio- 
logischer Sicht, Sober 208 ff. Dort wird auch die Frage behandelt, inwieweit die fur die Evolution notige 
„Vererbung" auf die neue Generation genetisch bestimmt sein muB oder ob dafur auch ein „Lehren" der Toch- 
tergeneration moglich ist. 

^^^ Vgl. Monod 118 ff. und 138 ff. DaB Sprache immer schon Geist und Intelligenz voraussetzt und diese nicht 
hervorbringen kann, wird in Kapitel 4.5.4 dargelegt. Zur neurobiologischen und evolutionaren Erklarung der 
menschlichen Sprache bzw. Sprachfahigkeit, die im ubrigen ein Schwerpunkt kognitiver und neurobiologi- 
scher Untersuchungen ist, siehe Friederici in: Kramer und Wuketits in: Herbig/Hohlfeld 215 ff. 

^^^ Churchland 1986, 362. Vgl. auch Churchland 1986, 450 f. 

''^ Churchland 1986, 137. 

^^' Vgl. Churchland 1986, 406 f. sowie Kapitel 3.1.3 und 3.2.3. 



Biologismus 117 



ist u.a. die Tatsache, daB weder relatives noch absolutes Himgewicht oder -volumen in einem 
direkten Verhaltnis zu Intelligenz und anderen hoheren Himfunktionen stehen.^^^ 

Bei der Frage nach einer kiinstlichen, vom Menschen geschaffenen Intelligenz (sowie einem 
ebensolchen Geist) unterscheidet sich der Biologismus vom Konnektionismus und erst recht 
vom Symbolismus. Biologistisch betrachtet ist die materielle „Basis" der intelligenten Fahig- 
keiten und Vorgange namlich nicht irrelevant bzw. beliebig austauschbar. Es kommt vielmehr 
auf die tatsachlichen Eigenschaften und Strukturen der naturlichen Lebewesen bzw. ihrer Ner- 
vensysteme an. „What matters about brain operations is not the formal shadow cast by the se- 
quence of synapses but rather the actual properties of the sequences."^ ^^ Den technischen, rein 
formalen Systemen fehlen - mit den Worten Searles - die „causal powers of the brain", um die 
in Frage stehenden Fahigkeiten wie Intelligenz und dergleichen hervorzubringen.^ ^ ^ Es wird al- 
so davon ausgegangen, daB Geistiges ausschlieBlich Organischem, d.h. stofflichen Lebewesen 
zukommen kann.^^^ Fine kiinstliche Intelligenz konnte demnach hochstens dann geschaffen 
werden, wenn es gelange, die naturlichen Vorbilder mehr oder weniger voUstandig zu duplizie- 
ren oder zumindest ein potentiell intelligentes Lebewesen zu produzieren. Um also eine kiinstli- 
che Intelligenz im voUen Sinne zu schaffen, ware es notig, vollkommen kiinstlich einen Orga- 
nismus hervorzubringen. Da dies bisher nicht moglich ist, bleibt vorerst nur der Eingriff in die 
Vermehrung, Entwicklung und das Leben bereits vorhandener Lebewesen.^ ^ ^ In diesem Sinne 
betreibt man Analyse, Isolation, Ubertragung und letztlich gezielte Manipulationen der Erbsub- 
stanz und forscht am Eingriff in die Keimbahn, d.h. die Zellfolge, die von der befruchteten Ei- 
zelle zu den Keimzellen des geschlechtsreifen Organismus fuhrt. Aufgrund enormer theoreti- 
scher und technologischer Unzulanglichkeiten und Schwierigkeiten sowie nicht zuletzt wegen 
der - u.a. in Deutschland betonten - ethischen Einwande und Gesetzesbeschrankungen kann 
bislang nicht von kiinstlicher biologischer Intelligenz gesprochen werden. Dagegen sprechen 



^^^ Dies zeigt sich u.a. daran, daB es Tiere mit im Verhaltnis zu Menschen groBeren absoluten oder relativen 
Hirnvolumen bzw. -gewichten gibt, die sicher nicht intelligenter als der Mensch sind. Der Mensch hat auch 
nicht den relativ groBten (Neo-)Cortex. Vgl. Roth 53 ff. Entscheidender noch als diese biologischen Einwande 
sind die philosophischen Griinde, die deutlich gegen ein rein empiristisches bzw. materielles Verstandnis der 
Intelligenz sprechen. Siehe dazu Kapitel 4.5.4. 

^^^ Searle in: Boden 1990, 82. 

^^^ Insbesondere konnen sie demnach keine „intrinsische Intentionalitat" haben. Vgl. Searle in: Boden 80 ff. und 
Searle 1992, etwa 65 ff. sowie Eccles 76 ff. 

^^^ Dagegen wollen einige Autoren - wie Churchland - es off en lassen, ob es nicht auch technische Systeme ge- 
ben kann, denen Geist zugesprochen werden muB. Dafur ware allerdings eine „vollstandige" kognitive Neuro- 
biologie notig, aufgrund derer feststeht, welche Ebenen und Prozesse unterhalb der des Konnektionismus fur 
kiinstlichen Geist etc. notwendig und hinreichend sind. Vgl. Churchland 1986, 360 f. 

^^^ Vgl. z.B. Herbig/Hohlfeld 13, 281 ff. und EigenAVinkler 207 ff. Zu Versuchen des Menschen, seine Evoluti- 
on selbst in die Hand zu nehmen und sein Erbgut zu verbessern, siehe Herbig/Hohlfeld 403 ff. 
Ein wichtiges Fernziel des Biologismus ist die Klonierung des Menschen. Siehe zur Klonierung von Lebewe- 
sen Vogel/Angermann 480 ff. 

Zur Unmoglichkeit der Erzeugung eines Lebewesens ausschlieBlich aus anorganischem Material siehe dage- 
gen Hennen, besonders 334. 



118 Biologismus 



auch nicht die ersten Erfolge auf dem Gebiet der synthetischen Biologic und des „genetic engi- 
neering" bzw. der Gentechnologie.^^^ 

Da der gesamte Aufbau eines Lebewesens sowie letztlich sein Verhalten und seine Intelligenz 
nach der Auffassung des Biologismus wesentlich in den Erbanlagen verankert sind, zeichnet 
sich jedoch noch ein anderer Weg zu kiinstlicher biologischer Intelligenz ab. Es ware dies der 
Versuch, durch gezielte Manipulation (oder auch zufallige Veranderung und anschlieBende 
Auswahl) der Erbanlagen „eine neue Art des Lebens technisch herzustellen [...] und so eine 
neue und hohere Menschenrasse zuchten zu konnen, die genau die gewiinschten Verhaltensei- 
genschaften aufweist."^^^ Gegen diese Versuche des Menschen, sozusagen die bzw. seine 
„Evolution" in die eigene Hand zu nehmen, gibt es - zumindest bisher - schwerwiegende ethi- 
sche Bedenken, so daB an dieser Stelle nicht weiter auf diese Versuche eingegangen wird.^^^ 
Unproblematischer scheint dagegen die Intelligenzsteigerung oder Intelligenzwiederherstellung 
durch medikamentosen Eingriff bzw. medikamentose Therapie zu sein. Aufgrund biologisch- 
medizinischer Forschungen ist es heutzutage moglich, durch bestimmte Pharmazeutika in das 
Nervensystem, beispielsweise die synaptische Erregungsubertragung, einzugreifen und so die 
Intelligenzleistungen zu beeinflussen.^ ^ ^ Dem Problem, inwieweit Intelligenz uberhaupt meBbar 
und damit naturwissenschaftlich zu bewerten ist, begegnet man u.a. damit, die Reaktionszeiten 
des zentralen Nervensystems im Rahmen von psychologischen Tests miteinander zu verglei- 
chen.^^^ 

Wie die Intelligenz, so soil sich nach biologistischer Auffassung auch der Geist im Rahmen der 
Evolution aus und in ungeistigen Tieren entwickelt haben. Man geht sogar noch eine Stufe 
weiter zuriick: ,JDa die Organismen auch psychische Eigenschaften entwickelten, miissen auch 
diese ihren Ursprung bzw. ihre Vorstufen in anorganischem Material gehabt haben."^^^ Gegen 
die Lehre von der gottlichen Abstammung des Geistes heiBt es: „Der Geist fiel nicht vom Him- 
mer'^^\ das soil heiBen, er kam nicht von auBen und bereits voUendet auf diese Welt, sondem 
er entwickelte sich rein innerweltlich zu dem, was uns heute als die hochste Form des Geistes 
bekannt ist: dem menschlichen Geist. Die Frage nach dem „Wesen" dieses Geistes ist allerdings 
auch im Biologismus umstritten. Wahrend von der eliministischen Seite versucht wird, den 
Geist begrifflich und sachlich soweit wie moglich zuriickzudrangen und durch biologische Be- 



^^^ Siehe zur synthetischen Biologie Kapitel 3.3.8 und Winnachker in: Herbig/Hohlfeldund sowie zum „genetic 
engineering" (etwa im Bereich der Landwirtschaft) Herbig/Hohlfeld 287 ff. und Schirrmacher. Zur Kritik bzw. 
den Folgen und Risiken der synthetischen Biologie siehe Hohlfeld/Kolleg 319 ff.; Heitler in: Herbig/Hohl- 
feld; Kolleg in: Herbig/Hohlfeld; Vollmert 185 ff. und Chargaff in: Schirrmacher. 

^^^ Beckin:Schauer/Tauber 130. 

^^^ Siehe dazu z.B. Herbig/Hohlfeld 419 ff. 

^^^ Vgl. Thaler, besonders 3 ff., 51 ff. und 76 ff. 

^^^ Das Wesen der Intelligenz ist damit jedoch nicht erfaBt. Siehe dazu Kapitel 4.5.4. 

^^^ Rensch 120. 

^^^ So heiBt ein 1970 erschienenes Buch Hoimar v. Ditfurths. 



Biologismus 119 



griffe und GroBen zu ersetzen, ist die emergentistische Variante des Biologismus bestrebt zu 
zeigen, wie der Geist sich in und aus dem biologischen Substrat entwickelt bzw. zeigt.^^^ Einig 
ist man sich, daB das Gehim der Sitz des Geistes ist^ ^ ^ und daB es deshalb die Neurologie ist, 
die schlieBlich die Fragen bezuglich des Geistes beantworten wird.^ ^ ^ 

Es stellt sich dem Biologismus die Frage, wie Geisteszustande mit Gehimzustanden zusam- 
menhangen. Fur den eliminativen Materialismus lassen sich die einen im Zuge der fortschrei- 
tenden Neurowissenschaften immer mehr durch die anderen identifizieren. „Our mental states 
and processes are states and processes of our brain."^^^ Demnach sind neuronale Zustande und 
Prozesse notwendig und hinreichend fur geistige Zustande. Statt also von einem Geist und gei- 
stigen Prozessen und Zustanden (wie „Herr X bzw. dessen Geist erkennt den Satz des Pytha- 
goras") zu sprechen, ist es gleichwertig, ja wissenschaftlich angemessener, von bestimmten 
neuronalen Aktivitaten des Gehims (wie „im Gehim von X feuem diese und je Neuronen der 
Areale a^ , ?i^ etc. synchron") zu reden. Die Gesetze des Geistes sind demnach die Gesetze der 
Himfunktionen.^ ^ ^ In diesem eliminativen Sinn spricht man dann vom „mind-brain" und erteilt 
so jeder Form des rein Geistigen eine deutliche Absage. 

Fur den emergentistischen Materialismus dagegen gehen mentale Phanomene und Geist in 
nicht-reduktionistischer Weise aus neurophysiologischen Vorgangen hervor. „Mental features 
are caused by neurobiological processes."^ ^^ Wie dies genau zu verstehen sein soil, bleibt meist 
recht undeutlich. Haufig werden Analogiebeispiele angefuhrt. So wie die Festigkeit eine Eigen- 
schaft von (gefrorenem) H2O sein kann, obwohl diese Eigenschaften keinem seiner Telle zu- 
kommt, so soUen die mentalen Zustande Eigenschaften des Gehims sein konnen.^ ^ ^ Durch Zu- 
nahme der Quantitaten eines Systems soil es moglich sein, daB neue Qualitaten als Systemei- 
genschaften entstehen. „Durch die zunehmende Komplexitat ist offenbar das passiert, was in 
komplexen Systemen nicht ungewohnlich ist: Quantitative Vermehmng fuhrt zu neuen Qualita- 
ten."^ ^^ Geist wird so als ein emergenter Zustand verstanden, den ein Lebewesen haben kann 
und nicht etwa wie in der klassischen Philosophic als eine Substanz.^^^ Dieser Zustand bzw. 
diese Prozesse soUen dann Denken, WoUen, BewuBtsein, Gefuhle etc. umfassen. Altemativ zu 



530 Ygj 2um eliminativen und zum emergentistischen Materialismus Roth 266 ff. 

^^^ Dies ist ubrigens keine sonderlich neue Sichtweise. Schon die Griechen (wie der pythagoreische Mathematiker 

und Mediziner Alkmaion) hatten das Gehirn als Korrelat der geistigen Vermogen ausfindig gemacht. Vgl. 

Christian in Schauer/Tauber 152 f. 
^^^ Vgl. Churchland 1986, beispielsweise 334 f. und Roth 250 ff. Vgl. kritisch gegen diesen „Schuldschein- 

materialismus" Eccles, besonders 79 ff. und 140 f. 
^^^ Churchland 1986, 362. Vgl. zudem Churchland 1986, 315 ff. Andere Biologisten sehen den Geist als ein 

Epiphanomen. Vgl. zum eliminativen Materialismus Roth 266 ff. und siehe zu einer kritischen Einschatzung 

der Identitatstheorie neben Kapitel 4.5.3 auch Lockwood 71 ff. und 123 ff. 

Vgl. dazu auch Roth 267 ff. 

Searle 1992, 115. Vgl. auch Wuketits in: Herbig/Hohlfeld, nach dem der Geist eine emergente Systemeigen- 

schaft ist (S. 215 ff.). 

Vgl. Searle 1992, beispielsweise 14. 

Singer in: Spiegel 1/2001, 157. Zur Kritik an der Entstehung von Qualitaten aus Quantitaten siehe Kapitel 

4.3.2 und Hennen 197 ff. 



534 
535 



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120 Biologismus 



der Auffassung als einem speziellen Zustand oder ProzeB wird der Geist auch definiert als die 
Vereinigungsmenge aller mentalen Prozesse, welche die Komponenten eines plastischen, d.h. 
lebenslang variablen und anpassungsfahigen, neuronalen (Super-)Systems wahrend einer ge- 
wissen Zeitspanne durchmachen.^^^ Das Leib-Seele-Problem respektive die Geist-Materie- 
Interaktion wird damit zu einer Wechselwirkung bzw. einem Zusammenspiel eines plastischen 
neuronalen Netzes mit dem Rest des Leibes.^ ^^ 

Welche Definition des Geistes die verschiedenen Richtungen des Biologismus auch vertreten, 
folgendes steht fur sie bezuglich des Gehims quasi allgemeingultig fest: ,JDie Annahme, daB 
beim Menschen noch irgendetwas ,vollig Neues' hinzukommt, das dann den Geist erzeugt, ist 
nicht gerechtfertigt, auch wenn diese Annahme das Bediirfnis des Menschen nach Einzigartig- 
keit befriedigen mag."^^^ Eine eigenstandige geistige Substanz und damit einen unteilbaren 
Geist oder eine Seele gibt es also fiir den Biologismus nicht. Das wird hauptsachlich damit be- 
griindet, daB eine Wechselwirkung zwischen Geist und Gehim den Erhaltungssatzen der Phy- 
sik widersprache.^^^ Gegen den Geist als den einheitsstiftenden Trager des BewuBtseins und 
der Personalitat bzw. Personlichkeit scheinen auch die sog. „Split-Brain"-Experimente zu spre- 
chen, bei denen Menschen untersucht werden, deren Verbindung zwischen der rechten und lin- 
ken Himhalfte (beispielsweise durch Unfalle oder Notoperationen) getrennt wurde.^^^ Diese 
Menschen verhalten sich bei speziellen Tests teilweise wie zwei zwar unvoUstandige, jedoch 
voneinander groBtenteils unabhangige „Personlichkeiten". Als Beleg fiir die materialistische 
Grundauffassung des Biologismus wird auch angefuhrt, daB sowohl Begabungen als auch pa- 
thologische Falle wie etwa Geisteskrankheiten erblich sind. Daraus schlieBt man, daB Geist und 
geistige Vorgange erbinformationsabhangig und somit letztlich materiell bestimmt sind. 

Eines der wichtigsten Ergebnisse der biologistischen Theorie der Intelligenz und des Geistes, 
die es hier zusammenfassend festzuhalten gilt, ist die Feststellung, daB mentale Funktionen 
bzw. Prozesse - im Gegensatz zu den Ausfuhrungen der bisherigen Theorien - nicht von einem 
System respektive Gehim zu einem anderen ubertragen werden konnen.^ ^ ^ 

Als Hauptmerkmale bzw. -fahigkeiten des Geistes gelten nach klassisch-philosophischer Lehre 
das Denken und der Wille. Diese werden in den beiden folgenden Kapiteln thematisiert. Neben 
dem Denken behandelt das nachste Kapitel auch die Frage nach der Erkenntnis sowie die damit 
verbundene Auffassung von Wahrheit. 



^^^ Vgl. Roth 251. 

"^ Vgl. Mahner/Bunge 200 ff. 

^^^ Vgl. Mahner/Bunge 202. Siehe gegen diese philosophisch unhaltbare Position Kapitel 4.5.3. 

^^^ Roth 64. 

^^^ Eine Zuriickweisung dieses Arguments findet sich in Kapitel 4.5.3 sowie bedingt auch in Eccles, besonders 

116ff. undl62ff. 
^^^ Vgl. zu Split-Brain-Experimenten Churchland 1986, 173 ff. und Penrose 1991, 374 ff. und Lockwood 79 ff. 

Gegen diese aus den Experimenten gezogenen Schlusse siehe Kapitel 4.5, besonders 4.5.3 und 4.5.6. 
^^^ Vgl. Mahner/Bunge 199 f. 



Biologismus 121 



3.3.4 Denken und Erkenntnis 

Der Biologismus versteht unter Denken bestimmte korrelierte, komplexe und dynamische Akti- 
vitatsmuster ausgedehnter Neuronenverbande, die in selektiver Weise groBe Telle, wenn nicht 
das ganze Gehim durchziehen.^"^^ Denken ist die Funktion bzw. eine spezielle Aktivitat des Ge- 
hims und wird von einem mehr oder weniger engen, genetisch vorgegebenen Rahmen be- 
grenzt.^ ^ ^ Es ist - wie auch Erkennen und Lemen - genauer gesagt die Aktivitat gewisser pla- 
stischer neuronaler Systeme. Das schlieBt jedoch nicht aus, daB Denken auch durch andere leib- 
liche Bedingungen wie etwa Hormonkonzentrationen beeinfluBt wird.^^^ Denken im Sinne des 
Biologismus kann grundsatzlich auch bei Tieren, nicht jedoch bei Maschinen vorkommen;^ ^ ^ 
anders ausgedriickt: das Gehim und nur das Gehim kann denken. Der Ort des Denkens ist also 
das Gehim; die einzelnen Aktivitatszentren hangen vom Inhalt des Gedachten ab und konnen 
deshalb oft nur schwer genau begrenzt werden. Das mit bildgebenden Verfahren ermittelte Zen- 
tmm beim Nachdenken iiber die Bedeutung eines Wortes beispielsweise ist der inferiore fron- 
tale Cortex.^ '^ 

Bei der Zuordnung zwischen Denken und Neuronenaktivitaten ist zu beachten, daB aus den ge- 
messenen Nervenerregungen allein nicht auf deren Bedeutung geschlossen werden kann, da der 
„neuronale Code" neutral ist. Die verschiedenen Modalitaten der Wahmehmung bzw. verschie- 
dene Gedanken werden auf die gleiche Art pulsmodelliert, so daB fur eine „Entschlusselung" 
die Kenntnis des Ortes bzw. des topologischen Zusammenhangs der beteiligten Neuronen notig 
ist.^ ^ ^ Erschwerend kommt hinzu, daB die Neuronentopologie nicht nur ontogenetisch, sondem 
auch phylogenetisch bestimmt wird, d.h. von der individuellen Geschichte des einzelnen Lebe- 
wesens abhangt.^^^ Aus diesen Griinden ist eine (universelle) „Gedankenlesemaschine" auch 
bei einer noch so fortgeschrittenen Neurologic nicht zu erwarten.^ ^ ^ 

Zur Frage nach der Herkunft des Psychischen und damit des Denkens heiBt es aus Sicht des 
Biologismus: „Wir setzen die prinzipielle Richtigkeit der biologischen Evolutionstheorie voraus, 
ja wir setzen voraus, daB die Evolutionslehre universelle Giiltigkeit besitzt, daB sie im vororga- 
nischen Bereich genauso zur Geltung kommt wie im organischen, und daB sie dariiber hinaus 
auf die Spharen des Psychischen, des Sozialen und des Kulturellen ausgedehnt werden 
kann."^^^ Wie die Intelligenz entstand nach biologistischer Auffassung also auch das Denken 



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Vgl. Roth 268 f. 

Vgl. Mohr in: Herbig/Hohlfeld und gegen diese Behauptung Chargaff in: Schirrmacher. 
Vgl. Rensch 181 f. 
Vgl. Mahner/Bunge 59 ff. und 198 ff. 
Vgl. Roth 205 und siehe dazu auch Eccles 254. 
Vgl. Roth 228 ff. 
Vgl. Herbig/Hohlfeld 494 ff. 

Das gilt erst recht aus philosophischen Griinden, wie die Klarstellung des Denkens in Kapitel 4.5.4 zeigen 
wird. 

Zitiert nach Gitt 1994, 115. Das Zitat stammt aus F. M. Wuketits: Biologic und Kausalitat, Berlin / Ham- 
burg 1981, S. 11 f. Gegen diese ebenso weitreichende wie unbewiesene Behauptung siehe Kapitel 4.5. 



122 Biologismus 



evolutionar. Man geht davon aus, daB die Bildung und Entfaltung des Denkens „das Ergebnis 
eines Evolutionsprozesses ist, in dessen Verlauf die Leistungsfahigkeit dieses Vorgangs [ge- 
meint ist das Denken und zwar insbesondere in Form einer ,subjektiven Simulation'; Anmer- 
kung R. E.] und sein Wert fiirs Uberleben durch die Auslese im konkreten Handeln erprobt 
worden sind"^^"^. Es steht dariiber hinaus fur den Biologismus fest, „daB das Denken von 
Zwecken und das Entwerfen von Mitteln, um sie zu erreichen, keine Eigenschaften eines im- 
materiellen Geistes oder gar einer Seele sind"^ ^ ^ . 

Was bedeutet das bisher Gesagte fur die Frage nach dem Wesen der Erkenntnis? Auch das Er- 
kennen ist im Sinne des Biologismus eine naturalistisch zu betrachtende Aktivitat des Nerven- 
systems; man sagt deshalb: „Erkenntnisprozesse finden nur in Nervensystemen statt, seien die- 
se menschlich oder nicht" und „Es gibt keinen immateriellen Inhalt kognitiver Prozesse oder 
kultureller Artefakte"^ ^ ^ Erkenntnistheorie wird damit zu einer empirischen Wissenschaft er- 
klart: „Making sense of the world is probably as basic a function as just about anything else the 
brain does, and the nature of the representational system and the principles of its organization 
can be investigated empirically"^^ . Da Kognition sowohl evolutionsgeschichtlich als auch in 
jedem intelligenten Einzellebewesen aus prakognitiven Leistungen des neuronalen Nervensy- 
stems hervorgeht, laBt sich keine scharfe Grenze zwischen beiden angeben.^ ^ ^ Das deckt sich 
mit der bereits inKapitel 3.3.1 angesprochenen Aussage, daB samtliche menschliche Fahigkei- 
ten in Kontinuitat mit den Tieren und ihren Leistungen erklart werden miissen. 

Auf die Frage, wie das Gehim die Welt reprasentieren bzw. erkennen kann, gibt es verschiede- 
ne Ansatze. Nach einer an den Konnektionismus angelehnten Auffassung verstehen einige unter 
Denken und Erkennen die biologischen Transferleistungen des zentralen Nervensystems, d.h. 
genauer des Gehims zwischen sensorischem Input und efferentem Output.^ ^^ Dazu heiBt es, 
„representations are positions in phase spaces, and computations are coordinate transformations 
between phase spaces."^ ^^ Das Gehim reprasentiert dabei also die Wirklichkeit z.B. durch Po- 
sitionen in Zustandsraumen, die durch Vektor- bzw. Koordinatentransformationen „berechnet" 
bzw. umgeformt werden (Tensor Network Theory). 



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Monod 138. Vgl. dazu auch Vollmer 107 ff. 

Mahner/Bunge 350. Das Gesagte soil im ubrigen nicht nur fur das teleologische, sondem fur das gesamte 
Denken gelten. Zur philosophischen Unhaltbarkeit dieser Aussage und zum Nachweis, daB das Denken ein 
Akt des immateriellen Geistes ist, siehe Kapitel 4.5.3 f. 

Mahner/Bunge 60 und 63. Vgl. zur biologistischen Erkenntnistheorie auch Mahner/Bunge 131 f. 
Churchland 192. Gegen die empiristische Verkiirzung der Erkenntnistheorie und die Leugnung immaterieller 
Inhalte des Denkens werden Kapitel 4.2 und 4.5.4 argumentieren. 

Vgl. Roth 29. Die Wahrnehmung kann hier - so wichtig sie auch fur das Erkennen ist - nicht naher betrach- 
tet werden. Siehe dazu etwa Roth 65 ff. und Vollmer 1 10 ff. 

Vgl. Thaler 71, 182 f. und 186. Das setzt im ubrigen falschlich voraus, daB Erkenntnis letztlich immer (effe- 
rentem bzw. motorischem) Output dient. Vgl. Churchland 473 f. 

Churchland 1986, 426; Schrift ist im Original kursiv. Vgl. auch Churchland in: Boden 1990, 334 ff., 345 ff. 
und 363 ff. sowie Kapitel 3.2.4. 



Biologismus 123 



Andere Ansatze woUen sich nicht auf so allgemeine Prinzipien wie Koordinatentransformatio- 
nen festlegen und suchen stattdessen nach anderen raumlichen oder zeitlichen Zusammenhangen 
der Gehimprozesse sowie ihrer Beziehung zu mentalen Prozessen. Wie schwierig das ist, zeigt 
die folgende Einschatzung exemplarisch: „Wenn wir kognitive Prozesse wie das Erkennen eines 
individuellen Gesichts mit einem bestimmten mimischen Ausdmck auf Gehimprozesse korrelie- 
ren woUen, dann miissen wir ein bestimmtes Aktivitatsmuster angeben, welches weite Telle des 
primaren und sekundaren visuellen Cortex, des unteren temporalen (Gesichtserkennung im en- 
geren Sinne), des parietalen (raumliche Anordnung des Gesichts), des prafrontalen Cortex (so- 
zialer Kontext u.a.), des Hippocampus (Gedachtniszugriff) und einer ganzen Reihe subcortica- 
lerZentren (Amygdala, Septum, thalamische Kerne, retikulare Formation usw.) umfaBt."^^^ Es 
zeigt sich, daB die corticalen Areale und insbesondere die assoziativen corticalen Areale zwar 
wesentlich an kognitiven Leistungen des Gehims beteiligt, jedoch nicht deren Sitz sind, da bei 
kognitiven Prozessen corticale und subcorticale Zentren stets untrennbar zusammenarbeiten.^ ^ ^ 
Aus der Analyse des neuronalen Systems schlieBt man, daB es keine „gnostischen Neuronen" 
gibt oder anders ausgedriickt, daB kognitive Prozesse stets die Leistung von Neuronenensem- 
blessind.^^^ 

Weit im Biologismus verbreitet ist die „Evolutionare Erkenntnistheorie", nach der sich das Er- 
kenntnisvermogen durch Evolution, insbesondere die der Sinnesorgane und Nervensysteme 
entwickelt hat.^ ^ ^ Dabei soUen sich unter dem Anpassungs- und Uberlebensdruck in den Lebe- 
wesen immer komplexere und hohere Erkenntnisleistungen (weiter-)entwickelt haben, da dies 
Vorteile beim Konkurrenzkampf lieferte. Auch die immer komplexeren Ideen, Begriffe und 
Theorien soUen in diesem Sinn evolutionar entstanden sein sowie ihren Ursprung im zentralen 
Nervensystem und nicht in irgendwelchen rein geistigen GroBen haben.^ ^ ^ Problematisch an 
dieser Auffassung ist neben den spater zu behandelnden philosophischen Unzulanglichkeiten 
die Tatsache, daB viele Lebewesen gerade durch ihre Einfachheit und teilweise sogar ohne zen- 
trales Nervensystem uberleben konnten. 

Lemen wird biologistisch als die Aktivitat eines plastischen neuronalen Systems und Wissen als 
die Menge aller Veranderungen in einem plastischen neuronalen System definiert.^ ^ ^ Erworbe- 
nes Wissen kann deshalb - wie alle mentalen Prozesse und im Gegensatz zu kiinstlichen sym- 
bolistischen und konnektionistischen Systemen - nicht oder zumindest nicht direkt vererbt wer- 
den. 



^^1 Roth 268 f. 

^^^ Vgl.Roth 180 ff. 

^^^ Vgl. Roth 227 ff., 268 und Singer in: Kramer 165 ff. 

^^^ Vgl. zur evolutionaren Erkenntnistheorie Vollmer 107 ff.; Roth 65 f., 308 ff.; Rensch 163; Herbig/Hohlfeld 

161 ff.; Foerst 127 ff.; Mohr in: Herbing/Hohlfeld; Wuketits in: Herbig/Hohlfeld sowie Kapitel 3.3.3. 
^^^ Vgl. Eigen in: Monod 15; Mahner/Bunge 68 f. und Sober 208 ff. Die Widerspriichlichkeit und philosophi- 

sche Unhaltbarkeit der evolutionaren Erkenntnistheorie behandelt Kapitel 4.2. Siehe dazu auch Hennen. 



124 Biologismus 



Auch die Wahrheit ist nach der Auffassung des Biologismus kein fester und schon gar kein gei- 
stiger und absoluter Begriff bzw. eine eben solche GroBe.^^^ Sie hat sich vielmehr durch die 
naturliche Auslese in den Gehimen derjenigen „hoheren" Tiere auf unterschiedliche Weise ent- 
wickelt, die auf ihre Umgebung besonders angemessen und das heiBt im Sinne der Arterhaltung 
besonders erfolgreich reagierten.^ ^ ^ Die Wahrheit wird somit als ein Produkt des Gehims ver- 
standen. Wahrend ein Teil der Biologen eine mehr oder weniger objektive Abbildung der Wirk- 
lichkeit durch das Gehim (aufgrund der Tatsache des Uberlebens in dieser Wirklichkeit) an- 
nimmt,^^^ wird die Wahrheit von anderen konstruktivistisch aufgefaBt.^ ^ ^ Wahrheit ist dann 
nicht mehr wie in der klassischen Philosophie die Ubereinstimmung des geistigen Intellekts mit 
der Sache, sondem die Konstruktion bestimmter Gehimzustande und -prozesse durch das Ge- 
him nach seinen jeweils eigenen Regeln, die eine „Ubereinstimmung" mit den auBerhalb des 
Gehims befindlichen empirischen Tatsachen bzw. Zustanden jedoch nicht ausreichend garantie- 
ren konnen. 

Soweit zum Denken und den damit zusammenhangenden Fragen bezuglich Erkenntnis und 
Wahrheit. Nachfolgend wird das zweite Hauptmerkmal bzw. die Hauptfahigkeit des Geistes 
besprochen: der Wille. Mit diesem eng verkniipft ist der Begriff der Freiheit bzw. Willensfrei- 
heit. 



^^^ Vgl. Mahner/Bunge 61 ff. und Braun 196. Vgl. zum Lernen und zu Formen des Lernens auch Singer in: 
Kramer 165 ff.; Thaler 48, 53; Churchland 1986, 151 f. und Kapitel 3.2.4. Zum (phylo- und ontogenetisch) 
evolutionaren Aspekt von Lernen und Wissen vgl. Wuketits in: Herbig/Hohlfeld, besonders 215 ff. 

^^^ Dies ist jedoch - wie die Erkenntnistheorie in Kapitel 4.2 noch genauer ausfuhren wird - eine selbstwider- 
spriichliche Behauptung. 

^^^ Vgl. Rensch 150 und 168 f. Siehe dazu auch die kritische Darstellung kognitionswissenschaftlicher Ansatze 
in Hennen 224 ff . 

^^^ Siehe dazu und zur „Passung" z.B. Vollmer 108 ff. 

"^ Vgl. Churchland 1986, 21; Mahner/Bunge 125 ff.; Roth 21 f., 231 f., 281 ff., 303 ff.; Herbig/Hohlfeld 161 
ff.; Wuketits in: Herbig/Hohlfeld sowie Kapitel 3.2.4. Dagegen wird Kapitel 4.2 zeigen, daB der Konstrukti- 
vismus eine selbstwiderspriichliche Auffassung ist. 



Biologismus 125 



3.3.5 Wille 

Biologistisch gesehen ist der Wille weder eine Entitat noch „eine mysteriose Begabung eines 
immateriellen Geistes, sondem eine Fahigkeit eines hochevolvierten ZNS [zentralen Nervensy- 
stems]: Ja er scheint eine spezifische Aktivitat der Frontalloben zu sein."^^^ Auch der Wille ist 
also eine durch Evolution entstandene bestimmte Aktivitat des zentralen Nervensy stems. Wel- 
che Gehimregionen es genau sind, die fur den Willen verantwortlich sind, ist noch nicht genii- 
gend erforscht, dennoch heiBt es: „Das Gefuhl [Hervorhebung nicht im Original], etwas zu 
woUen, tritt nur bei ganz bestimmten Handlungen auf, namlich bei denen, die wir ,willkurmoto- 
risch' nennen. Das Gehim kennzeichnet damit diejenigen motorischen Zustande, die ihren Ur- 
sprung in einer komplexen Interaktion zwischen assoziativen corticalen Arealen und subcorti- 
calen Zentren (vor allem dem Corpus striatum) haben, im Gegensatz zu Reflexen und anderen 
unbewuBten, well automatisierten Reaktionen, die nicht den assoziativen Cortex und das Cor- 
pus striatum einbeziehen. Ebenso kennzeichnet das Gehim Prozesse der Handlungsplanung, 
der Imagination, der Erinnerung usw., um sie vom konkreten Handeln, vom Wahmehmen und 
vom Erleben eindeutig zu unterscheiden. Geistzustande als subjektiv erlebte Zustande sind also 
Kennzeichnungen spezifischer Gehimprozesse, die das Gehim sich selber gibt, um sich in sei- 
ner eigenen ungeheuren Komplexitat zurechtzufinden."^ ^ ^ 

Nach der Auffassung des Biologismus kann ausschlieBlich Lebewesen und auch nur solchen 
mit geeigneten Gehimen ein Wille zugesprochen werden. Ein wichtiger Begriff ist in diesem 
Zusammenhang die sogenannte Intentionalitat, die jedoch nicht mit der Intention (Absicht) ver- 
wechselt werden darf .^ ^ ^ Unter Intentionalitat versteht man die Gerichtetheit auf ein reales oder 
ideales Ziel. Es wird demjenigen Seienden Intentionalitat zugesprochen, das auf anderes Bezug 
nimmt oder hindeutet, also beispielsweise iiber Reprasentationen verfugt. Die intrinsische, d.h. 
dem Seienden innewohnende, nicht nur von auBen hinzugedachte Intentionalitat soil ein rein 
biologisches Phanomen sein. Zur intrinsischen Intentionalitat gehoren neben dem Willen bei- 
spielsweise auch die bereits behandelten Fahigkeiten wie Denken und Erkennen sowie Gefuhle. 
All diese Phanomene konnen nach biologistischer Auslegung nur von komplexen Neuroprotein- 
systemen bzw. Neuronensystemen erzeugt werden und sind deshalb nicht medieninvariant.^^^ 
Intentionalitat soil demnach ebenso von der Biochemie abhangen wie etwa die Photosynthese, 
die als ein Beispiel fur das gesehen wird, was Symbolismus und Konnektionismus nicht erkla- 
ren konnen. 



^^^ Mahner/Bunge 207. Vgl. zur entschiedenen Ablehnung des dualen Ansatzes einer geistigen Seele und eines 

Leibes auch Churchland 1986, 322 f. Zur Rechtfertigung desselben siehe dagegen Kapitel 4.5. 
"^ Roth 276. Zur entscheidenden Bedeutung des Stirn- bzw. Frontalhirns fur den Willen sowie zur Einschran- 

kung oder dem uberwiegenden Verlust des Willens durch Verletzungen der entsprechenden Regionen siehe 

Straschill in: Kramer 192 ff. 
"^ Vgl. zum umstrittenen Begriff der Intentionalitat Searle in: Boden 1990, besonders 86 f.; Churchland 1986, 

336 ff.; Boden in: Boden 1990, 92 ff.; Regenbogen/Mayer 323 und Eisler I, 526 ff. 
"^ Vgl. dagegen die Medieninvarianz bei Symbolismus und Konnektionismus, insbesondere in Kapitel 3.1.2 und 

3.2.2. 



126 Biologismus 



Aus dem bisher Gesagten ergeben sich entscheidende Folgemngen fur die Frage nach der Frei- 
heit des Willens. Nach biologistischer Auffassung werden die Handlungen eines Lebewesens in 
erster Linie durch dessen neuronale Prozesse bestimmt. Diese Prozesse sind stark von der Vor- 
geschichte des Gehims abhangig.^^^ Noch entscheidender ist jedoch die SchluBfolgemng: ,JDa 
der freie Wille ein neuronaler ProzeB ist, muB er gesetzmaBig sein."^^^ Weil das zentrale Ner- 
vensystem ausschlieBlich von biochemischen Gesetzen geleitet ist, lauft die Betrachtung der 
Willensfreiheit fiir den Biologismus letztlich darauf hinaus, den Willen als zwar komplexen und 
ggf. im einzelnen auch unvorhersehbaren, aber doch determinierten ProzeB aufzufassen.^ " 
Dies ergibt sich auch daraus, daB der Wille vielen nur dann als frei gilt, wenn er ohne jeglichen 
inneren oder auBeren Zwang seine Ziele wahlen kann.^^^ Der einzige naturwissenschaftliche 
Ausweg aus diesem Determinismus scheint dem Biologismus ein Ruckzug auf prinzipiell unbe- 
stimmte Quanteneffekte zu sein, worauf jedoch erst in Kapitel 3.4 im Rahmen der physikalisti- 
schen Theorie eingegangen wird. Fiir den Biologismus bzw. „aus der Sicht der Naturwissen- 
schaft ergibt sich die mit der Selbstwahmehmung unvereinbare SchluBfolgemng, dass der 
, Wille' nicht frei sein kann."^^^ Gegen die Willensfreiheit scheint auch zu sprechen, daB neu- 
rologische Bereitschaftspotentiale (etwa fiir spontane Bewegungen) bereits vor den Aktivitaten 
derjenigen Cortexareale entstehen, die die bewuBte Steuerung befehlen und als „Willenszen- 
trum"gelten.^^^ 

Wie kommt es aber dann, daB sich die Menschen als frei wahmehmen? DaB der Wille bzw. der 
freie Wille letztlich nur eine Illusion ist, wird groBtenteils durch die kulturelle Tradition zu erkla- 
ren versucht. AuBerdem heiBt es, der Wille sei ein „nur wegen seiner komplexen Bedingtheit 
zeitweilig autonom, d.h. ,frei' erscheinender Ablauf'^^^ Einen wirklich freien Eingriff in das 
Neuronensystem durch einen Geist sowie voUig neue und spontane Gedanken, Entschliisse etc. 
halt man auch deshalb fiir ausgeschlossen, weil sie unvereinbar mit dem Gesetz der Energieer- 
haltung waren.^ ^ ^ Ebenso schlieBt der Biologismus (substantielle) teleologische Ursachen aus 
und faBt die „als-ob-Teleologie" in einen eigenen Begriff, den der Teleonomie.^ ^ ^ 



^^^ Sie werden auBer durch die Gesetze und Vergangenheit des Gehirns nur noch von der - ebenfalls naturgesetz- 
lich regierten - Umwelt mitbestimmt. Vgl. Roth 219 ff. 

"^ Mahner/Bunge 207. 

^" Gegen einen freien menschlichen Willen gehen auch die Verweise auf ererbte Verhaltensprogramme oder mit 
anderen Worten der „Zwang der Gene" bzw. der genetische Determinismus (siehe Sober 185 ff., Mohr in: 
Herbig/Hohlfeld und kritischer Gould in: Herbig/Hohlfeld), die „egoistischen Gene" Dawkins (siehe dazu bei- 
spielsweise Sober 94) und die Behauptung „Die Lebewesen sind chemische Maschinen" (Monod 55). 

"^ Vgl. beispielsweise Mahner/Bunge 206 ff. Dagegen ist bereits an dieser Stelle kritisch zu sagen, daB Freiheit 
erstens nicht mit absoluter Freiheit, d.h. Gottes Freiheit, verwechselt werden darf. Zweitens darf Freiheit 
nicht fiir Zwanglosigkeit oder Willkiir gehalten werden, da echte Freiheit stets eine ethische Wahl beinhaltet. 
Siehe dazu bzw. und Beweis der Willensfreiheit Kapitel 4.5.5. 

"^ Singer in: Spiegel 1/2001, 156. 

^^^ Vgl. Roth 263 ff. Siehe dagegen Eccles 41, 204 ff., 237 f. und Seifert 1989, 194 ff. 

^^^ Rensch 170. Der Text steht im Original in kursiver Schrift. Vgl. zur Fehlauf fas sung der Freiheit als undurch- 
schaubarer Komplexitat auch Kapitel 3.1.5. 

^^^ Vgl. Rensch 128 f., 186 f.; Eccles 59 und Kapitel 3.3.8. Siehe zur vermeintlichen Unfreiheit des Willens und 
der durch das Gehirn produzierten Illusion der Freiheit auch Roth 288 ff. Gegen die auf den Energieerhaltungs- 



Biologismus 127 



In einem engen Zusammenhang zum Willen steht das BewuBtsein bzw. das SelbstbewuBtsein, 
ohne welches keine reflektierte, freie und verantwortliche Entscheidung gefallt werden kann.^^"^ 
Im folgenden gilt es deshalb, die Auffassung des BewuBtseins naher zu betrachten. 



satz gestutzten Einwande siehe Kapitel 4.5.3 und 4.5.5 sowie mit Einschrankungen Eccles 46, 116 ff., 162 
ff.und213ff. 

^^^ Vgl. Mahner/Bunge 347 ff., Mayr 51 ff. und Kapitel 3.3.8. Zu einer naturalistischen Teleologie siehe auch 
Sober 82 ff. Siehe zur „Als-ob"-Teleologie aus Sicht der Transzendentalphilosophie im Sinne Kants und sei- 
ner Nachfolger Breil 1993, 157 ff. Zu einer Zuriickweisung der Teleonomie und Rechtfertigung der Teleologie 
siehe Kapitel 4.3.2 und 4.5.8 sowie Hennen. 

^^^ Eine Handlung ist nach Mahner und Bunge genau dann willentlich, wenn sie eine bewuBte, zweckgerichtete 
Handlung ist. Vgl. Mahner/Bunge 206 f. 



128 Biologismus 



3.3.6 BewuBtsein und SelbstbewuBtsein 

Das BewuBtsein gilt dem Biologismus als eine ebenso entscheidende wie schwer zu erfassende 
Eigenschaft oder Fahigkeit einer ganzen Reihe von Lebewesen. Es ist eine Tatsache, die aus der 
biologischen Natur der Lebewesen bzw. einer bestimmten Gruppe von Lebewesen folgt.^^^ 
Wie alle bisher behandelten Fahigkeiten soil auch das BewuBtsein auf neurobiologische Vor- 
gange zuriickgehen.^ ^ ^ BewuBtsein besteht dabei nach einer verbreiteten biologistischen Auf- 
fassung in besonderen Zustanden oder Prozessen hochentwickelter Gehirne. Da diese Prozesse 
ausschlieBlich hoheren Tieren zukommen soil, zu denen dann auch der Mensch gezahlt wird, 
lautet eine typische Definition: „Das Bewufitsein eines Tieres b ist die Menge aller Zustande 
(oder vielmehr Prozesse) des Gehims von b, in denen sich b seiner Wahmehmungen oder sei- 
ner Gedanken bewuBt ist."^ ^ ^ BewuBtsein ist nach dieser Auffassung ein Sammelbegriff fur be- 
stimmte Himprozesse, die vielen im ubrigen als die hochsten aller Himprozesse gelten. 

Wahrend nach der oben genannten Definition das BewuBtsein in gewissen Himaktivitaten bzw. 
-zustanden besteht, ist es nach der Auffassung anderer etwas, das sich aus neuronalen Aktivi- 
taten emergent ergibt, Dementsprechend heiBt es, „some extremely complex nervous systems 
are capable of causing and sustaining conscious states and processes"^ ^ ^ und an anderer Stelle 
noch deutlicher: „Both consciousness and intentionality are biological processes caused by 
lower-level neuronal processes in the brain"^^^ So wie nicht jede komplexe Symbolverarbei- 
tung BewuBtsein erzeugt (vgl. Kapitel 3.1.6), so entsteht auch nicht durch jede beliebige, kom- 
plexe Erregungsverarbeitung im zentralen Nervensystem ein bewuBter Zustand. Geeignete, 
komplexe Nervensysteme soUen jedoch in der Lage sein, BewuBtsein hervorzubringen. 

Im Rahmen des Biologismus werden auch epiphanomenalistische Ansatze vertreten. Nach die- 
sen ist das BewuBtsein ein Begleitumstand und wird „von uns als Zustand bzw. Begleitzustand 
von Wahmehmen, Erkennen, Vorstellen, Erinnem und Handeln empfunden"^ ^ V „Bestimmte 
Himprozesse Gg haben neben vielen Eigenschaften auch diejenige des bewuBten Erlebens, ge- 
nau so wie bestimmte Gegenstande die Eigenschaft haben, rot oder rund zu sein."^ ^ ^ 



^^^ Vgl. Searle 79, 83 ff. und 239. Siehe zu den Eigenschaften des BewuBtseins auch Searle 128 ff. und Kapitel 
3.2.6. 

^^^ Vgl. Churchland 1986, 308 f. und 325. Wesentliche Erkenntnisse verspricht man sich deshalb z.B. auch von 
der Anasthesie und der Schlafforschung. 

^^^ Mahner/Bunge 205. Abgesehen davon, daB die Definition zirkulare Ziige hat, muB bereits hier kritisch einge- 
wendet werden, daB sich Wahmehmungen und Gedanken keinesfalls auf einer Ebene befinden, wie die Defini- 
tion es nahelegt. Denken ist zwar fur SelbstbewuBtsein, nicht jedoch fur BewuBtsein notig. Ausfuhrlich wer- 
den sich Kapitel 4.5.4 und 4.5.6 damit auseinandersetzen. Gegen die ungerechtfertigte Nivellierung des We- 
sensunterschiedes zwischen Tier und Mensch werden Kapitel 4.4.4 und 4.5 argumentieren. 

^^^ Searle 89. Hervorhebung nicht im Original. 

^^^ Searle xii. Vgl. auch Herbig/Hohlfeld 489 ff. und Wuketits in: Herbig/Hohlfeld 215 f., wo BewuBtsein als 
emergente Systemeigenschaft aufgefaBt wird. 

^^^ Roth 192. Vgl. auch Roth 252 ff. 

^^^ Roth 276. 



Biologismus 129 



Wie genau das Gehim BewuBtsein bzw. bewuBte Zustande erzeugt, ist umstritten und noch 
nicht geniigend erforscht. VerhaltnismaBig leicht laBt sich zeigen, daB die Intensitat des Be- 
wuBtseins u.a. von der Sauerstoff- und Glukosezufuhr zum Gehim abhangt.^^^ Ebenfalls gut 
gesichert ist, daB BewuBtsein „an die Unversehrtheit und Aktivitat corticaler Felder gebunden 
ist"^^\ Aus den modemen Untersuchungsmethoden der Neurologie (vgl. Kapitel 3.3.2) ist eine 
groBe Menge an MeBdaten entstanden, die in verschiedene BewuBtseinstheorien miinden. Bin 
bekannter neuronaler Erklarungsvorschlag besteht darin, BewuBtsein als eine Synchronisation 
neuronaler Prozesse aufzufassen. Das BewuBtsein und seine Einheit soUen demnach durch ko- 
harente bzw. synchrone Oszillation von Zell- bzw. Neuronengruppen entstehen respektive er- 
klart werden.^ ^ ^ Wie schwierig dies jedoch ist und daB es alternative Ansatze gibt, zeigt das fol- 
gende Zitat: „Es miiBte uns gelingen, einen Systemzustand zu definieren, der eine schlussige 
Beschreibung fur den kognitiven Inhalt unseres BewuBtseins ist. Das mag ein oszillierendes 
Ensemble sein, das hochsynchron schwingt, oder ein bestimmter Zustand in einem hochdimen- 
sionalen Raum, den ein nichtlineares System aufsuchen kann, oder es kann irgend eine andere, 
sehr komplizierte Beschreibung von in jedem Falle dynamischen Zustanden sein. Wenn wir al- 
so das Alphabet dieser dynamischen Zustande und ihrer Ubergange entschlusselt hatten und 
durch Messen dieser Zustande immer genau sagen konnten: , Aha, jetzt befindet sich das Gehim 
wieder in so einem Zustand, also muB es jetzt eine bestimmte Vorstellung haben', dann hatte ich 
die Ingredienzien fur BewuBtsein so weit beschrieben, wie die Molekularbiologen die Ingredi- 
enzien des genetischen Codes beschrieben haben."^^^ 

Ein anderer Vorschlag zur Wesensbestimmung der BewuBtseins geht davon aus, daB BewuBt- 
sein auf die A^^i/verkniipfung von Neuronenverbanden bzw. Neuronennetze zuriickgeht. Die 
Definition heiBt dann: „BewuBtsein ist das Eigensignal des Gehirns fur die Bewaltigung eines 
neuen Problems (ob sensorisch, motorisch oder intem-kognitiv) und des Anlegens entspre- 
chender neuer Nervennetze; es ist das charakteristische Merkmal, um diese Zustande von ande- 
ren unterscheiden zu konnen."^ ^ ^ 

Als besonderes Zentmm des BewuBtseins gilt der assoziative Cortex. AUerdings ist er keines- 
wegs die einzige Hirnregion, die fur das BewuBtsein notwendig ist. Mindestens die Formatio 



592 Ygj Rensch 143, 201 und 213 sowie Roth 200 ff. Das gleiche gilt allerdings auch fiir die Erkenntnisfahig- 
keit und andere „mentale Prozesse". 

^^^ Roth 195. Vgl. auch Roth 291. 

^^^ Vgl. Roth 243; Hameroff in: Philosophical Transactions 1870 und Singer in: Spiegel 1/2001, S. 155 ff. Das 
ahnelt der Auffassung Wuketits, der BewuBtseinsphanomene fiir eine Folge spezifischer Integrationsmuster 
materieller Elemente im zentralen Nervensystem halt. Vgl. Wuketits in: Herbig/Hohlfeld 216. 

^^^ Singer in: Spiegel 1/2001, 158. Solche und weitere Ansatze verschiedener Autoren zur Erklarung des BewuBt- 
seins faBt Eccles in seinem Kapitel 3 (S. 52 ff.) zusammen. 

^^^ Roth 213. 



130 Biologismus 



reticularis und ihre verschiedenen Subsysteme lassen sich ebenfalls als notwendig fiir den 
Nachweis von BewuBtsein aufzeigen.^^^ 

Auf die Frage nach der phylogenetischen Entstehung des BewuBtseins heiBt es biologistisch: 
„Es ist das Werk der blinden Evolution."^ ^^ Weil und so wie das Nervensystem evolutionar 
entstand, sei auch die Entstehung des BewuBtseins nur evolutionar zu verstehen.^ ^ ^ BewuBtsein 
hat sich demnach aus und in unbewuBten Lebewesen graduell immer weiter entwickelt, bis es 
schlieBlich auf dem heutigen, d.h. dem menschlichen Niveau „angekommen" ist. Es wird in 
diesem Sinne als ein Produkt der Gene aufgefaBt. 

Auch das UnbewuBte bzw. UnterbewuBte riihrt fiir den Biologismus voUig aus neurophysio- 
logischen Zustanden her. Die Erfassung des UnterbewuBtseins stellt sich jedoch als sehr 
schwierig heraus, u.a. well es (pathologische) Falle gibt, bei denen Menschen visuelle oder an- 
dere anspruchsvoUe Tatigkeiten voUbringen, ohne sich ihnen bewuBt werden zu konnen.^^^ 

Als hochste Form des evolutionar entstandenen BewuBtseins gilt dem Biologismus das Selbst- 
bewuBtsein. Biologistisch betrachtet entstand auch dieses durch „kognitives Wettriisten" im Zu- 
ge des „Informationsverarbeitungskrieges" der Lebewesen.^ ^^ Das SelbstbewuBtsein wird als 
eine Art Metawissen aufgefaBt, das insbesondere ein Wissen um sich selbst beinhaltet. Eine De- 
finition des SelbstbewuBtsein lautet demnach: „Ein Tier ist sich seiner selbst bewufit oder ver- 
fiigt iiber ein Selbst-Bewufitsein oder kurz, ein Selbst zu einer gegebenen Zeit gdw [genau 
dann, wenn] es weiB, wer und was es ist."^^^ Wie neurobiologische Experimente zeigen soUen, 
ist das SelbstbewuBtsein ebenso an Gehimprozesse gebunden wie samtliche anderen mentalen 
Fahigkeiten der Lebewesen. SelbstbewuBtsein konne demnach durch Himschaden stark be- 
schrankt, in Einzelfallen sogar zerstort werden.^ ^^ So wie in Kapitel 3.3.3 in bezug auf den 
Geist erwahnt, soUen zudem Split-Brain-Experimente gegen den einen personalen Willen und 
das eine und unteilbare BewuBtsein und „Selbst" sprechen.^^^ Keine Seele, kein Geist und kein 
Homunkuli, sondern ausschlieBlich Neuronenverbande seien es, auf die das SelbstbewuBtsein 
zuriickgeht.^^^ Nach den biologischen Forschungen gibt es im Gehim kein Zentrum, das fiir 



^^^ Vgl. Roth 51, 198 und 204 ff. sowie Penrose 1991, 372 ff. Auch der Hippocampus scheint nicht unwesent- 
lich an Vorgangen des BewuBtseins beteiligt zu sein. Vgl. dazu auch Gierer 1998, 159 ff. 

^^^ Singer in: Spiegel 1/2001, 158. 

^^^ Vgl. Searle 83 ff. und die Ausfuhrungen in den bisherigen Kapiteln aus Kapitel 3.3. 

^^^ Vgl. zum halbblinden, unbewuBten Sehen (Blindsight) sowie zum unbewuBten Handeln und zum „Blindness 
Denial" Churchland 1986, 224 ff., 371 und Roth 194 ff. 

^'^^ Vgl. Metzinger in: Kramer 48 ff. 

^^^ Mahner/Bunge 206. 

^^^ Vgl. Roth 192 ff., 292 ff. und Metzinger in: Kramer 49 ff. Eigentlich kann durch neurobiologische Versuche 
nur gezeigt werden, daB bestimmte Wirkungen des SelbstbewuBtseins nicht oder nicht mehr beobachtet wer- 
den konnen. Siehe zu den Fragen nach dem SelbstbewuBtsein Kapitel 4.5.6. 

^^^ Vgl. Roth 196 ff. Dagegen gilt es in Kapitel 4.5 zu argumentieren und zu zeigen, daB SelbstbewuBtsein, 
wahre Personalitat und Individualitat auf unteilbarer geistiger Substanz beruhen. Siehe dazu auch Hennen. 

^^' Vgl. Churchland 1986, 406 f. 



Biologismus 131 



das Ich-BewuBtsein zustandig ist. „Es gibt offensichtlich keinen einzelnen Ort, wo alle Infor- 
mationen zusammenlaufen, wo aus den verschiedenen Sinnessignalen schlussige Bilder der 
Welt gefertigt werden, wo Entscheidungen fallen, wo das Ich ,Ich' sagt. Stattdessen sehen wir 
uns einem extrem dezentral organisierten System gegeniiber [...]. Wie es kommt, dass dieses 
System iiber sich selbst ProtokoU fiihrt, so daB es sich seiner selbst bewusst wird, zahlt zu den 
spannendsten philosophischen Fragen unserer Zeit."^^^ Das „Selbst" gibt es fiir den Biologis- 
mus nur innerhalb des Gehims, das von der Neurologie zu erforschen ist, von der es dement- 
sprechend heiBt: „it helps to erode the metaphysical conviction that one's self is an affair apart 
from that mound of biological stuff hidden under the skuU."^^^ Die Individualitat eines Lebewe- 
sens bzw. die eines Menschen im besonderen soil durch die enorme Variations vielf alt der Gene 
^jq15ooo>j gQ^jg ^^g „Entwicklungsrauschen", d.h. die zufallige Beeinflussung durch die Um- 
welt garantiert werden.^ ^ ^ 

SchlieBlich bleibt festzuhalten, daB es zwar noch keine voUstandige und allgemein anerkannte 
neuronale Theorie des BewuBtseins und SelbstbewuBtseins gibt, es stehe jedoch fest, daB die 
dafur verantwortlichen Himzustande grundsatzlich mit Hilfe technischer Methoden erfaBt wer- 
den konnen. Daraus schlieBt man, daB BewuBtsein kein rein privates Phanomen sein kann.^ ^ ^ 

Auf die Frage, ob ein kiinstliches BewuBtsein oder SelbstbewuBtsein moglich ist, antwortet der 
Biologismus, wie bereits in Kapitel 3.3.3 angedeutet, deutlich skeptischer als Symbolismus 
und Konnektionismus. Da sie rein physiologisch-biologisch erklarbar sind, konnte BewuBtsein 
zwar grundsatzlich nachgebaut werden,^ ^^ praktisch sind die Naturwissenschaften davon je- 
doch noch extrem weit entfemt (vgl. Kapitel 3.3.8). 

Als erste Regung von BewuBtsein gelten oft die Gefuhle. Wie die Gefiihle aus Sicht des Biolo- 
gismus mit den bisher behandelten Begriffen zusammenhangen und was sie ausmacht, ist Ge- 
genstand des nachsten Kapitels. 



^°^ Singer in: Spiegel 1/2001, 155. Einen Ort, an dem Informationen zusammenlaufen, kann es aufgrund des 

Wesens der Information nicht geben. SelbstbewuBtsein geht auBerdem nicht auf ein System zuriick. Siehe da- 

zu Kapitel 4.5.6. 
^^^ Churchland 1986, 69. Zu den Theorien, es gebe keinen immateriellen Trager des „Ich", vgl. auch Rensch 162 

und Roth 292 ff. Widerlegen werden diese Behauptungen Kapitel 4.5.3 und 4.5.6. 
^^^ Vgl. die kritische Darstellung in Eccles 260 ff. sowie die in Hennen 157 f. 

Die Individualitat und LFberzeugungskraft des oben genannten Argumentes soil wohl auch eher zufallig zu- 

stande kommen. 
^^^ Vgl. dazu und zur Subjektivitat Churchland 1986, 323 ff. und Roth 225. 
^'^ Vgl. Searle 92. 



132 Biologismus 



3.3.7 Gefuhle 

Die groBe Vielfalt der Gefuhle bzw. Emotionen wird nach einer Reihe von Grundqualitaten un- 
terteilt. In diesem Sinne lassen sich die Gefuhle vor allem nach Dauer, Intensitat und Art unter- 
scheiden. Bei zeitlich kurzen und intensiven Gefuhlsregungen spricht man von Affekten; langer 
andauemde, gerichtete Gefuhle werden dagegen als Stimmungen bezeichnet.^^^ Bei der Unter- 
teilung nach der Art der Gefuhle gibt es eine groBe Zahl von moglichen Klassifikationen, von 
denen die bekannteste Hauptklasse die der Lust und Unlust ist.^ ^ ^ 

Biologistisch betrachtet sind auch die Gefuhle durch die Zustande und Prozesse des Nervensy- 
stems, insbesondere die des Gehims, bestimmt. Uber den Zusammenhang zwischen Gefuhlen 
und Gehim hatte schon Hippokrates (460-377 v. Chr.) gesagt: ,JDie Leute soUen wissen, daB 
Freude, Lust, Gelachter und Sorgen, Trauer, Mutlosigkeit und Wehklage allesamt nur dem Ge- 
him entspringen." Wie jedoch der genaue Zusammenhang zwischen den Gefuhlen und den na- 
turwissenschaftlich erfaBbaren Prozessen des Leibes bzw. des Nervensystems ist, gilt als noch 
nicht ausreichend geklart.^ ^ ^ Erschwerend zur bisher schon erwahnten Problematik der Zu- 
ordnung zu einzelnen Himregionen^ ^ ^ kommt hinzu, daB Gefuhle - etwa im Vergleich zum 
Denken - besonders eng mit dem gesamten Leib verkniipft sind. Sie werden haufig durch leib- 
liche Umstande hervorgerufen und auBem sich oft leiblich, wie beispielsweise das Herzklopfen 
bei Freude oder Aufregung zeigt. 

Wie alle Fahigkeiten der Lebewesen soUen auch die Gefuhle evolutionar entstanden sein. Von 
ihnen heiBt es, sie schiitzen „vor schadlichen Reizen und fordem das Aufsuchen niitzlicher Rei- 
ze sowie den Ablauf der fur die Erhaltung der Individuen und der Art niitzlichen Instinkte."^ ^ ^ 

Zur Aufklarung der Herkunft sowie der neurobiologischen Zusammenhange der Gefuhle greift 
man verstarkt auf Tierversuche zuriick, weil von einer Gleichartigkeit menschlicher und tieri- 
scher Gefuhle ausgegangen wird. Die Erforschung der angenommenen hormonellen und neu- 
ronalen Sachverhalte geschieht dementsprechend auBer durch bildgebende Verfahren unter an- 
derem auch durch Verabreichung von Opiaten und ahnlichen Stoffen. AuBerdem soil die Unter- 
suchung heranreifender Gehime Aufschlusse dariiber liefem, welche Himregionen und -ver- 
bindungen fur die (erstmalige) Entstehung von Gefuhlen verantwortlich sind.^ ^ ^ 

Zusammenfassend kann man sagen, daB Gefuhle fur den Biologismus bestimmte raum-zeitliche 
Aktivitatsmuster im Nervensystem, vor allem im limbischen System, und dem im Zwischenhim 



^^^ Vgl. Pschyrembel 24. 

^^^ Vgl. dtv-Brockhaus-Lexikon, Band 6, Stichwort Gefiihl, S. 233 f. Fiir weitere Einteilungen, insbesondere 

auch die in „geistige" und „leiblich-sinnliche" siehe Kapitel 4.5.7. 
^^^ Nach Gerhard Roth werden die den Emotionen zugrundeHegenden Hirnprozesse jedoch wahrscheinhch eher 

aufgedeckt werden als die fiir Aussagen wie „Ich sehe einen roten Ball." Vgl. Roth 266 f. 
^^^ Vgl. Kapitel 3.3.2. 
^^^ Rensch 164. 
^^^ Vgl. Kalin. 



Biologismus 133 



befindlichen Hypothalamus sind.^^^ DaB Gefuhle neurophysiologisch bestimmt sind, zeigt sich 
biologistisch gesehen auch in klinischen und neurologischen Versuchen, bei denen durch Medi- 
kamente Gefuhle erzeugt, gedampft und verstarkt werden konnen.^ ^ ^ Die identitistischen Ver- 
treter gehen soweit zu sagen, daB „Gefuhle der Himchemie aquivalent seien"^ ^ ^ . Andere sehen 
die Probleme, die sich aus der rein materialistischen Betrachtungsweise ergeben und woUen 
sich nicht so genau festlegen: „Gefuhle scheinen irgend etwas zwischen Mentalem und Korper- 
lichemzusein."^'^ 

Im AnschluB an die bisherigen Ausfuhrungen wird das folgende Kapitel einen der umfas- 
sendsten Begriffe der Anthropologic aus der Sicht des Biologismus in Angriff nehmen, der als 
die Grundlage der bisher genannten Fahigkeiten, Phanomene oder VoUzuge gilt: das Leben. 



^^^ Vgl. Gierer 1985, 197 f. und 226 ff. sowie Kalin 78 ff. und zum Hypothalamus sowie dem limbischen Sy- 
stem Vogel/Angermann 377 ff. 

^'^ Vgl. Churchland 1986, 77 f. 

^^^ Herbig/Hohlfeld433. 

^^^ Roth 278. Problematisch an der rein materialistischen Auffassung ist z.B. die Tatsache der Subjektivitat. 
Gleiche physiologische Reize konnen sehr unterschiedlich erlebt werden. Zur Zuriickweisung der materialisti- 
schen Sicht der Gefuhle und zur Darlegung ihres - besonders beim Menschen - immateriellen Wesens siehe 
Kapitel 4.5.7. 



134 Biologismus 



3.3.8 Leben 

Um die Frage nach dem Leben zu beantworten, haben sich in der Biologie eine groBe Zahl ver- 
schiedener Teildisziplinen gebildet. Zu den fiir die vorliegende Arbeit wichtigsten gehoren vor 
allem die Biochemie, die Phylogenetik (Wissenschaft der stammesgeschichtlichen Entwicklung 
der Lebewesen), Ontogenetik (Wissenschaft der Individualentwicklung, insbesondere von der 
Eizelle zum geschlechtsreifen Zustand), die Palaontologie (Wissenschaft von den Lebewesen 
vergangener Erdperioden) sowie die Molekulargenetik. 

Der Biologismus geht davon aus, daB Leben bzw. „die Lebenserscheinungen als komplex ver- 
netzte Reaktionsgefuge anzusehen sind, die letztlich von kausalen chemischen und physikali- 
schen Gesetzen bestimmt werden."^^^ Leben ist demnach also nichts Seelisches, geschweige 
denn Geistiges. Es gibt fiir den Biologismus kein substantielles, immaterielles, unsterbliches 
Lebensprinzip, d.h. keine Seele, was insbesondere damit begriindet wird, daB eine Seele den 
Energieerhaltungssatz verletzen wurde.^^^ „We know (a) that there is no such thing as vital 
spirit, and (b) that DNA is the 'secret' of life - it is what all living things on the planet sha- 
re."^ ^^ In diesem Zusammenhang betont der Biologismus auch, daB es keine teleologischen Ur- 
sachen gebe.^^^ 

Was ist es also, das biologistisch gesehen das Leben ausmacht bzw. das Lebendige vom Un- 
belebten unterscheidet? Wie dem Symbolismus und Konnektionismus so fallt auch dem Biolo- 
gismus eine Festlegung auf eindeutige Lebenskriterien bzw. eine klare Lebensdefinition wegen 
der enormen Vielfalt der Lebewesen und ihrer VoUzuge sehr schwer.^ ^ ^ Einige woUen Leben 
definieren durch eine Auflistung der Lebensmerkmale.^^^ Als Haupteigenschaften des Lebens 
werden (wie bereits in Kapitel 3.1.8 und 3.2.8 erwahnt) Selbstorganisation und -erhaltung 
bzw. Autonomic, Replikation, Wachstum, Stoffwechsel bzw. Metabolismus, Interaktion mit 
der Umwelt und Anpassung^ ^ ^ an diese sowie Weiterentwicklung durch evolutionare Prozesse 



Rensch 88. Einen tJberblick liber rein naturwissenschaftliche Ansatze, das Leben und speziell dessen Entwick- 
lung und Gestalt zu deuten sowie eine kritische Widerlegung derselben gibt Hennen. Behandelt werden dort 
z.B. Induktion, morphogenetische Felder sowie das Zellgedachtnis. 

Vgl. Rensch 226 ff., 233 f., Herbig/Hohlfeld 28, Mayr und Kapitel 3.3.5. Siehe gegen die genannte Auffas- 
sung Kapitel 4.5.3 und 4.5.8 sowie Eccles und Gitt. Zum Metabolismus bzw. zu der erstaunlich effizienten 
Energiegewinnung und -umwandlung bei Lebewesen siehe Gitt 1994, 259 ff. 

Churchland 1986, 334. Siehe dazu und gegen den Konnektionismus auch Sober 22 ff. Der Biologismus lehnt 
also den Vitalismus entschieden ab. Inwieweit der Vitalismus das Lebensprinzip bzw. die Entelechie einseitig 
und verkiirzt sieht, und warum immaterielle Substanzen sehr wohl notwendig und real sind, wird Kapitel 
4.5.8 ausfuhrlich behandeln. Siehe dazu auch Hennen. 

Vgl. Mahner/Bunge 347 ff., Hennen 72 ff. und Sober 82 ff. sowie Kapitel 3.3.5. Da es fiir den Biologismus 
kein reales (intelligentes) Seiendes gibt, das aktiv als Zielursache auf die Lebewesen wirkt, versucht er das 
Wesen des Lebens ganz aus den Einzellebewesen zu verstehen. Gegen die Ablehnung der Teleologie wird in 
den Kapiteln 4.3.2, 4.4 und 4.5.8 zu argumentieren sein. Siehe zur Rechtfertigung der Teleologie auch Hen- 
nen, besonders 271 ff. 

Vgl. Kapitel 3.1.8, 3.2.8 sowie Hennen 76 ff. und Monod 34 ff. 

Vgl. Hennen 80 ff. Damit ist jedoch das Wesen des Lebens nicht erfaBt. Darauf wird Kapitel 4.5.8 naher ein- 
gehen. 
Zur Darstellung und Kritik der Theorie, nach der Leben ein Optimierungsprozess sei, siehe Hennen 76 ff. 



Biologismus 135 



genannt. Dabei wird oft betont, daB nicht notwendigerweise die Gesamtheit dieser Eigenschaf- 
ten das Leben ausmache, und daB ein Lebewesen diese Eigenschaften nicht wahrend seiner ge- 
samten Lebenszeit (in gleichem MaB) aufweisen miisse.^^^ 

Wie von Symbolismus und Konnektionismus betont, sind Lebewesen zwar auch fiir den Bio- 
logismus (Erb-)Informationsverarbeitungssysteme, das allein mache jedoch noch nicht das We- 
sen des Lebens aus. Dieses gehe vielmehr auf die spezielle biologisch-chemische Konstitution 
der Lebewesen zuriick. Ausgangspunkt ist die Feststellung: ,AUe Lebewesen setzen sich aus- 
nahmslos aus den gleichen beiden Hauptklassen von Makromolekiilen zusammen - aus Prote- 
inen und Nukleinsauren. [...] Die gleichen Reaktionen oder vielmehr Reaktionsfolgen werden 
bei alien Organismen fiir die wesentlichen chemischen Operationen beniitzt: Mobilisierung und 
Reservenbildung des chemischen Potentials und Biosynthese der Zellbestandteile."^ ^ ^ Haufig 
wird in diesem Zusammenhang auch auf die Bedeutung der Biomembran hingewiesen. Als die 
grundlegende Invariante, der die Lebewesen bzw. Arten die Konstanz ihrer Vererbungs- 
merkmale und nach der Auffassung einiger sogar ihr Leben verdanken, stellt sich fiir den Bio- 
logismus die DNS heraus.^^^ Andererseits ist fiir das Leben eines Wesens auch nicht dessen 
gesamte DNS bzw. DNA notig, da diese auch „junk DNA" enthalt. Funktionstiichtige, d.h. re- 
plikationsfahige RNS dagegen reichen den meisten Autoren nicht als Kriterium fiir Leben.^ ^ ^ 

Wahrend fiir einige Vertreter des Biologismus bestimmte bio-chemische Vorgange, wie die 
oben genannten, Leben sind, vertreten dagegen andere die These, Lebendigsein ware „eine 
emergente Ebene, die auf der chemischen basiert"^^^ oder anders ausgedriickt eine „emergente 
Eigenschaft gewisser Systeme mit einer ganz bestimmten Zusammensetzung, Umgebung und 
Struktur"^^\ 

Man nennt lebende Systeme auch Biosysteme. Da solche Systeme einen selektiven Stoffaus- 
tausch mit ihrer Umgebung verwirklichen, bezeichnet man sie als „halboffene" Systeme.^ ^^ Die 
Zelle gilt als die kleinste, der Organismus als die groBte Einheit des Lebens.^ ^^ Da der Bio- 
logismus die funktionale Organisation eines Systems zwar als notwendige, jedoch mehrheitlich 
nicht auch als hinreichende Bedingung des Lebens anerkennt, sind fiir ihn Systeme wie ein 
Wald oder gar technische und wirtschaftliche Systeme nicht als lebendig zu bezeichnen. 



^^^ Vgl. Rensch 52 ff., Roth 67 ff. und Mahner/Bunge 139. Es ist darauf hinzuweisen, daB das Leben nicht mit 

den Lebenserscheinungen verwechselt werden darf . 
^^^ Monod 98 f. Bei der Frage, welche chemischen Verbindungen fiir alle Lebewesen unerlaBlich sind, stoBt man 

vor allem auf C, H, O, N, P und S. Vgl. auch Mahner/Bunge 137 f. und Hennen 27. 
^^^ Nach einigen Biologisten ist Leben ein sich autokatalytisch steuerndes Wechselspiel zwischen Genen und En- 

zymen. Gegen die tJberbewertung des bio-chemischen „Bauplanes" siehe Hennen 69 ff. und Vollmert. 
^^^ Vgl. Mahner/Bunge 141. 
^^^ Mahner/Bunge 136. 
^^^ Mahner/Bunge 142. Siehe zur Auffassung des Lebens als komplexe und emergente Systemeigenschaft auch 

Hennen 79 f. und 195. 
^^^ Vgl. Mahner/Bunge 139 f. Das Verhaltnis zwischen Biosystem und Umgebung kann als dynamisches Gleich- 

gewicht beschrieben werden. 



136 Biologismus 



Aus dem bisher Gesagten ist zu erkennen, wie schwierig es ist, eine (biologistische) Definition 
des Lebens zu finden. Einigen scheint eine Definition des Lebens gar voUig unmoglich, da es 
im Rahmen der Evolutionstheorie keine scharfen Grenzen zwischen Lebendem und Nichtleben- 
dem gebe.^^^ Das leitet iiber zu der Frage, wie das Leben auf der Erde entstanden ist. Es wird 
von einigen vertreten, daB Leben von einem anderen Planeten auf die Erde kam.^ ^ ^ Das ver- 
schiebt jedoch nur die Problemlage an einen anderen Ort und lost nicht die eigentliche Frage. 
Die generelle Antwort auf die Frage nach der Herkunft des Lebens lautet wie bereits vorwegge- 
nommen: Evolution.^ ^ ^ Was das jedoch im einzelnen bedeutet, ist umstritten. Stark vereinfacht 
kann man sagen, daB das Leben kontinuierlich aus einer - durch einen Urknall entstandenen - 
Ursuppe bzw. -atmosphare in Folge von energetischen Einwirkungen der Sonnenstrahlung, 
elektro-magnetischer Felder sowie radioaktiver Strahlung entstanden sein soll.^ ^ ^ Wie ungeklart 
das Problem der erstmaligen Entstehung von Leben ist, zeigt u.a. die folgende Aussage: „Le- 
bewesen konnten entstehen und sich fortpflanzen, nachdem sich unter prabiologischen Bedin- 
gungen replizierfahige DNS und Peptide gebildet batten und sich ein , Strom von Ordnung' in 
der Weise entwickelte, daB er sich laufend von uberschussiger Entropie durch Abgabe von beim 
Stoffwechselentstehender Warmebefreite."^^^ Deutlicher ist dagegen die folgende Aussage zur 
eigentumlichen Entstehung des Lebens: ,JDie Lebewesen [...] haben ihren Ursprung aber an- 
scheinend in einer einheitlichen ersten Organismengruppe. Dafur spricht vor allem die Tatsache, 
daB in Chromosomen, Ribosomen und Mitochondrien bzw. deren Aquivalenten alien Lebewe- 
sen gemeinsame Strukturelemente vorliegen und daB sich schlieBlich der Satz ,omne vivum e 
vivo' bisher ausnahmslos bewahrt hat."^ ^ ^ 

Die Moglichkeiten, Leben kiinstlich herzustellen, erforscht die kiinstliche bzw. synthetische 
Biologic (vgl. auch Kapitel 3.3.3). Da man sich auf diesem Gebiet noch stark in den Anfangen 

^^^ Vgl. Mahner/Bunge 143 ff. Ein Organismus ist definiert als ein Biosystem, das kein eigentliches Subsystem 
eines anderen Biosystems ist. 

^^^ Andere behaupten dagegen: „Natura facit saltus", die Natur macht Spriinge, insbesondere vom Unbelebten 
(Anorganischen, Prabiotischen) zum Belebten. Vgl. Mahner/Bunge 141. Gegen die angebliche Entstehung des 
Hoheren (Leben) aus dem Niedrigeren (Materie) ohne Einwirkung einer auBeren und ubergeordneten Ursache 
argumentieren Kapitel 4.3.2 und 4.5.8 sowie Hennen. 

^^^ Zur Frage nach extraterrestrischem Leben siehe Mayr 87 ff. und Wuketits 2000, 80. 

^^^ Vgl. z.B. Mayr, Vollmer, Monod sowie Wuketits 2000, wo sich ab S. 112 eine Liste weiterfuhrender Litera- 
tur findet. Vgl. zur evolutionaren Entstehung qualitativ neuartiger Dinge im allgemeinen und biologischer 
Arten im besonderen Mahner/Bunge 301 ff. Zu einer recht groBen Zahl von Regeln und Gesetzen, nach denen 
die Evolution funktionieren soil, siehe Rensch 108 ff. Zu einer kritischen Zuriickweisung evolutionarer Auf- 
fassungen siehe Kapitel 4.5.8, Hennen (beispielsweise 110 ff.), Vollmert sowie Junker/Scherer. 

^^^ Vgl. Vogel/Angermann 516 ff.; Gierer 1985, 99 ff.; Guitton et al. 58 ff. und kritisch dazu Vollmert. 

^^^ Rensch 228. Siehe zur Entropie auch Kapitel 3.4.8. Angeblich entsteht durch Selbstorganisation der Materie 
aus Ordnung (etwa in den Genen) durch Evolution noch mehr Ordnung (etwa in Form von komplexeren Ge- 
nen). Vgl. Fischer in: Schrodinger 21. 

^^^ Rensch 119. Die mehrheitlich vertretene Auffassung, nach der alle Lebewesen auf einen gemeinsamen (einzel- 
ligen) Vorfahren zuriickgehen, wird monophyletische Abstammungslehre genannt. Vgl. zum Ursprung des 
Lebens auch Vollmer 73 ff., Rensch 116 ff. und Sober 41 f. Der gemeinsame Ursprung alien Lebens soil 
auch dadurch erhartet werden, daB samtliche organischen Molekiile die Polarisationsrichtung von Licht in die 
selbe Richtung drehen. Vgl. Feynman 123 ff. Ein gemeinsamer Ursprung bzw. gemeinsame Strukturelemen- 
te beweisen im ubrigen keinesfalls ein evolutionares Entstehen, sondern weisen auf eine gemeinsame, auBer- 
weltliche Ursache, um nicht zu sagen einen Schopfer hin. Vgl. dazu auch Junker/Scherer 270 ff. 



Biologismus 137 



befindet, soil die Thematik nur knapp angedeutet werden. Ein Forschungszweig der syntheti- 
schen Biologie versucht beispielsweise, RNS- und letztlich DNS-Molekiile dadurch zu erzeu- 
gen, daB eine sehr groBe Anzahl „zufallig" zusammengesetzter Makromolekiile in einen echten 
Oder simulierten Reaktor gegeben und dort durchgemischt werden. Man hofft, daB sich unter 
geeigneten, der Uratmosphare entsprechenden Bedingungen (Temperatur, Druck, elektroma- 
gnetischer Felder etc.) und nach ausreichend langer Zeit die entsprechenden selbstreplizierenden 
Molekiile durch Polykondensation entwickeln.^"^^ Eine andere Moglichkeit der kiinstlichen 
Schaffung von Lebewesen besteht im Eingriff in die Vermehrung, Entwicklung und das Leben 
bereits vorhandener Lebewesen.^ ^ ^ In diesem Sinne betreibt man Analyse, Isolation, Ubertra- 
gung und letztlich gezielte Manipulationen der Erbsubstanz und forscht am Eingriff in die 
Keimbahn.^ ^ ^ Hierbei ergeben sich jedoch enorme theoretische und technologische Unzulang- 
lichkeiten und Schwierigkeiten sowie nicht zuletzt ethische Einwande und Gesetzesbeschran- 
kungen.^ ^ ^ 

Bei der Frage nach dem Tod bzw. dem Altem werden weitere Unterschiede des Biologismus zu 
Symbolismus und Konnektionismus deutlich. Nach biologistischer Auffassung fuhrt der orga- 
nische Abbau von Zellen und Strukturen schlieBlich zum SchluBpunkt der biologischen Prozes- 
se eines Wesens, d.h. zu dessen Tod, da die standig auftretenden Defekte nicht mehr vom Kor- 
per repariert werden bzw. werden konnen. „DaB jedes Individuum schlieBlich mit dem Tode 
endet, ist durch das Altem, d.h. nicht riickgangig zu machende degenerative Veranderungen der 
Gewebe bedingt."^^^ Wahrend der durch Stillstand von Atmung, Herz und Kreislauf bewirkte 
„klinische Tod" u.U. durch WiederbelebungsmaBnahmen riickgangig gemacht werden kann, 
gilt der „Himtod", d.h. das (mindestens 30-minutige) durch ein EEG gemessene Fehlen him- 
elektrischer Aktivitaten als irreversibel. Der Himtod wird haufig - wenn auch nicht unumstritten 
- mit dem Tod der hochentwickelten Lebewesen und insbesondere dem des Menschen gleich- 
gesetzt.^ ^ ^ Wahrend gezuchtete Gewebe unter Laborbedingungen und in geeigneten Kulturflus- 
sigkeiten durch Teilungen deutlich iiber ihre naturliche Lebenszeit hinweg lebendig erhalten 



643 



^^^ Vgl. zu diesen Versuchen, kiinstliches, kohlenstoff-basiertes Leben zu erzeugen, Adami 17 ff. und zur Syn- 
these des Lebens auch Ray in Boden 1996. Zur Unmoglichkeit der „evolutionaren" Entstehung von Leben 
durch chemische „Experimente" siehe dagegen Kapitel 4.5.8, Junker/Scherer, Hennen und Vollmert. 
Vgl. Kapitel 3.3.3 sowie Herbig/Hohlfeld 13, 281 ff. und EigenAVinkler 207 ff. Zu Versuchen des Men- 
schen, seine Evolution selbst in die Hand zu nehmen und sein Erbgut zu verbessern, siehe Herbig/Hohlfeld 
403 ff. 

Zur Unmoglichkeit der Erzeugung eines Lebewesens ausschlieBlich aus anorganischem Material siehe dage- 
gen Hennen, besonders 334. 

Siehe zur synthetischen Biologie Winnachker in: Herbig/Hohlfeldund zum „genetic engineering" (etwa im Be- 
reich der Landwirtschaft) Herbig/Hohlfeld 287 ff. Zu den Folgen und Risiken der synthetischen Biologie siehe 
Hohlfeld/Kolleg 319 ff., Heitler in: Herbig/Hohlfeld und Kolleg in: Herbig/Hohlfeld. 

Besonders problematisch ware der Versuch, Mensch-Tier-Hybriden schaffen zu wollen. Siehe zu ethischen 
Einwanden gegen eine genetische „Verbesserung" der Gattung Mensch Gierer 1991, 259 ff. 
Rensch 40. Allerdings versucht die moderne Medizin, dies zu verzogern oder gar aufzuhalten. Siehe dazu z.B. 
Herbig/Hohlfeld 403 ff. Zum graduellen Aspekt des Todes siehe Sober 151 ff. Zu einer Darstellung und Kri- 
tik des biologischen Bildes vom Tod siehe Engel in: Herbig/Hohlfeld. 

Vgl. Pschyrembel 640, 1541 f. Als „biologischer Tod" wird der Tod aller Organe bezeichnet. Da dieser in der 
Regel erst nach dem Hirntod eintritt, ist es moglich, lebende Organe zu entnehmen und zu verpflanzen. 



138 Biologismus 



werden konnen,^"^^ ist eine „Unsterblichkeit" individueller Organismen wie etwa die des Men- 
schen zwar immer wieder angestrebt, aber trotz intensiver Forschung nicht absehbar. Da men- 
tale Zustande und Prozesse fiir den Biologismus unaufloslich an individuelle, lebendige neuro- 
nale Netze gebunden sind, enden sie irreversibel und endgultig mit deren Tod und sind auch 
nicht medieninvariant, d.h. auf andere Systeme bzw. Gehime ubertragbar.^ ^ ^ Im Gegensatz zu 
Symbolismus und Konnektionismus gilt dem Biologismus das Leben als Voraussetzung fiir 
Intelligenz, Denken, Wille, BewuBtsein, Gefuhle etc. Andererseits bedarf das Leben - in einem 
gewissen Widerspruch zum Konnektionismus - nicht notwendigerweise eines Gehims bzw. 
neuronalen Systems, wie sich an Einzellem zeigt. 



^^^ Vgl. zu dieser „potentiellen Unsterblichkeit" durch Weitergabe des Lebens an Tochter-, Enkelzellen usw. 

Rensch 41. 
^^^ Vgl. Mahner/Bunge 198 ff. und Kapitel 3.3.3. 



Biologismus 139 



3.3.9 Zwischenfazit zum Biologismus 

Nach dem bisher Gesagten laBt sich die biologistische Theorie wie folgt zusammenfassen: Der 
Mensch ist das evolutionar am weitesten entwickelte Tier. Die mentalen Fahigkeiten der hoch 
entwickelten Tiere und des Menschen lassen sich durch deren biologische Konstitution erkla- 
ren. Die DNS und das mit ihrer Hilfe gebildete komplexe zentrale Nervensystem und hier be- 
sonders das Gehirn sind die wesentlichen Ursachen fur die behandelten, einschlagigen Fahig- 
keiten. Vom Gehirn heiBt es sogar, es sei „Zentrum fur alle Sinnesempfindungen und Willkiir- 
handlungen, Sitz des BewuBtseins, Gedachtnisses und aller geistigen und seel. Leistungen"^^^. 

Wie sich zeigte, deckt die modeme Biologic und insbesondere die Neurologic cine enorme 
Menge von Mcchanismen, Prozessen, Funktionen etc. auf, die im Rahmen dieser Arbeit in ih- 
ren Grundzugen behandelt wurden. Problematisch ist dabei u.a., daB oft nur bestimmte Neuro- 
nenzustande, -folgen oder Himregionen angegeben werden, die mit bestimmten (geistigen) Ta- 
tigkeiten in Verbindung stehen. Dies allein ist noch keine Erklarung dafur, wie aus Neuronenta- 
tigkeiten die menschlichen Qualitaten bzw. Geistiges und dergleichen entstehen soUen ge- 
schweige denn, was das Wesen des Geistigen ist. Der Biologismus schafft es letztlich nicht, die 
(nur immateriell zu verstehende) Einheit bewuBter, geistiger VoUzuge zu erklaren. Philoso- 
phisch relevant sind neben den oft wenig hinterfragten Pramissen auch viele der vorschnellen, 
unkritischen und zu weitreichenden SchluBfolgerungen, die aus den naturwissenschaftlichen 
Forschungen gezogenen werden. Bin Forschungsergebnis ist beispielsweise, daB das Gehirn 
des Menschen sich weder anatomisch noch physiologisch wesentlich von dem anderer Primaten 
unterscheidet. AuBcrdem sind die Gene des Menschen zu etwa 99 % mit denen von Schimpan- 
sen identisch.^ ^ ^ Aus solchen und weiteren biologischen Befunden wird geschlossen, daB der 
Mensch nur ein graduell hoher entwickeltes Tier sei oder mit anderen Worten, daB es keinen 
wesenhaften Unterschied zwischen Mensch und Tier gebe. Die Uberlegenheit des Menschen 
beruht demnach nicht auf einem dem Tier mangelnden Geist und auch nicht auf einem grundle- 
gend anderen bzw. einmaligen Gehirn. „Vielmehr resultiert die unbezweifelbar hohe Leistungs- 
fahigkeit des menschlichen Gehirns aus einer Kombination von Merkmalen, die sich einzeln 
auch bei Tieren finden, namlich ein aufrechter Gang, durch den die Hande freigesetzt werden, 
ein sehr hohes absolutes und relatives Himgewicht, cine hohe morphologische und funktionale 
Differenzierung des Gehirns, ein relativ groBer Neocortex, hochentwickelte neuronale Steue- 
rungsmechanismen der Hande und der Mundwerkzeuge und cine VergroBerung und Weiter- 
entwicklung von Zentren fur innerartliche Kommunikation (,Sprachzentren')."^^^ Fine zuge- 
spitzte Definition des Menschen lautet in diesem Sinne: Der Mensch ist „ein atomares System, 
das voUstandig durch im Ganzen zwei Meter lange Bandmolekiile determiniert ist, die einige 



^^° dtv-Brockhaus-Lexikon, Band 6, Stichwort Gehirn, S. 239. Siehe dazu auch Eccles 76 ff., der die Position des 

materialistischen Biologismus kritisch darstellt. 
^^^ VgLRoth26ff. 



140 Biologismus 



Milliarden gewisser Atomgruppen (Nukleotide genannt) enthalten. Verschiedene Menschen 
konnen sich nur durch die Anordnung dieser Nukleotide unterscheiden, und der Unterschied 
zwischen einem Menschen und einem Wurm besteht nur in der Zahl und der Anordnung der 
Nukleotide."''' 

Im Rahmen des Biologismus soUen Disziplinen wie die Neurologie helfen, die vermeintlich 
uberkommenen Auffassungen der „folk psychology"^ ^ ^ abzulosen, so wie es bereits bei der 
„folk physics" bzw. der klassischen Physik geschehen ist.^^^ Der Mensch hat demnach weder 
astronomisch noch biologisch oder philosophisch eine Sonderstellung. Naturalismus bzw. 
Biologismus zielen dariiber hinaus auf die Auflosung der Metaphysik bzw. der Ersten Philoso- 
phic: „Naturalism follows hard upon the heels of the understanding that there is no first phi- 
losophy."' '^ 

Eine weitere dramatische Folge der biologistischen Auffassung der Welt und besonders des 
Menschen ist, daB es keine personliche Schuld, Verantwortung und ahnliches mehr gibt, da das 
gesamte Verhalten des Menschen in den Genen, Himstrukturen sowie Umweltbedingungen 
liegt, welche letztlich ebenfalls materiell gesteuert und ohne Verantwortung sind. Dementspre- 
chend heiBt es zur Frage, was eine allgemeine Akzeptanz des Biologismus z.B. fur die Beur- 
teilung von Verbrechen und Verbrechem bedeuten wurde: „Unsere Sichtweise von Ubeltatem 
wurde sich eben andem miissen. Man wurde sagen: , Dieser arme Mensch hat Pech gehabt. Er 
ist am Endpunkt der Normalverteilung angelangt. ' Ob nun aus genetischen Griinden oder aus 
Griinden der Erziehung, die gleich machtig in die Programmierung von Himfunktionen einge- 
hen, ist unerheblich. Ein kaltblutiger Morder hat eben das Pech, eine so niedrige Totungs- 
schwelle zu haben. [. . .] Wir miissten uns als in die Welt geworfene Wesen betrachten, die wis- 
sen, dass sie standig lUusionen erliegen und keine wirklich stimmigen Erklarungen iiber ihr 
Sein, ihre Herkunft und noch viel weniger iiber ihre Zukunft abgeben konnen."' ^^ Eine weitere 
Konsequenz des Biologismus ist, daB es weder fur den einzelnen Menschen noch fur die Ge- 
samtheit der Menschen, der Lebewesen oder gar fur das gesamte Universum ein letztes Ziel 



^^^ Roth 64. Zur kritischen Behandlung der Problematik der LFbertragung von Tierforschungsergebnissen auf den 
Menschen siehe Herbig/Hohlfeld 143 ff. 

^^^ Heitler in: Herbig/Hohlfeld 474. Heitler stellt diese Position nur kritisch dar und vertritt sie nicht etwa. In 
dieselbe Richtung geht die Zusammenfassung, nach der Biologisten davon ausgehen, daB „sich die Gesamtheit 
von Leben und Seele letztlich durch eine Art Erweiterung der Arbeit, die iiber Struktur und Funktion der 
DNS-Moleklile geleistet wird, in mehr oder weniger mechanischen Begriffen verstehen laBt". Bohm in: Diirr 
279. 

^^^ Damit wird abwertend die klassische Psychologic bzw. Philosophic der Seele bezeichnet, insbesondere die 
Lehre von der Existenz und dem Wirken individueller, geistiger Seelen. 

^^^ Vgl. Churchland 234, 249, 299 ff., 395 ff., 481 f. sowie Herbig/Hohlfeld 22. Die Revolution durch die Neu- 
rologie soil im ubrigen der durch Kopernikus und Darwin gleichkommen. 

^^^ Churchland 1986, 277. Die Moglichkeit, ja Notwendigkeit der Metaphysik zeigt dagegen die weitere Argu- 
mentation der vorliegenden Arbeit, besonders Kapitel 4.3. 

^" Singer in: Spiegel 1/2001, 160. Siehe zur (Un-)Moglichkeit der biologischen Begriindbarkeit von objektiver 
Ethik auch Kapitel 4.5.5 und 4.5.9 sowie Sober 202 ff. und Herbig/Hohlfeld 143 ff. In diesem Zusammen- 
hang ist auch die Gefahr des Sozialdarwinismus und der (pranatalen) Eugenik zu nennen. Siehe dazu etwa 
Herbig/Hohlfeld 71 ff. und 426 ff. sowie Heitler in: Herbig/Hohlfeld. 



Biologismus 141 



bzw. einen Sinn gibt.^^^ Dies auBert sich dann nicht selten in Hoffnungslosigkeit und Ziigello- 
sigkeit, denn: „[...] der Mensch weiB endlich, daB er in der teilnahmslosen UnermeBlichkeit des 
Universums allein ist, aus dem er zufallig hervortrat. Nicht nur sein Los, auch seine Pflicht 
steht nirgendwo geschrieben."^^^ Die „UnermeBlichkeit des Universums" soil zur nachsten und 
letzten der vier Theorien uberleiten: der physikalischen bzw. physikalistischen. 



^^^ Vgl. Rensch 248 ff. Auch der Vorschlag, es ginge um die Erhaltung und Vermehrung der Art oder Artenviel- 

falt, fuhrt nicht wirklich weiter. Zur Darlegung des Lebensziels siehe Kapitel 4.5.8. 
^^^ Monod 157. Zu einer evolutionaren Ethik und ihren Problemen siehe auch Mayr 98 ff. und Vollmer 162 ff. 



142 Physikalismus 



3.4 Physikalismus 



3.4.1 Grundzuge 

Ganz so wie in den vorangegangenen Kapiteln werden auch fiir die physikalistische Theorie 
zunachst die leitenden Grundzuge dargestellt und im AnschluB daran die wesentlichen Begriffe, 
Ansatze und Methoden der (quanten-)physikalischen Informationsverarbeitung skizziert. Erst 
dann werden die (quanten-)physikalischen Theorien zu den einschlagigen Begriffen Intelligenz, 
Geist, Denken, Erkennen, Wille, BewuBtsein, SelbstbewuBtsein, Gefiihl und Leben kritisch 
vorgestellt. 

Im allgemeinen versteht man unter Physikalismus diejenige Auffassung, nach der die gesamte 
Wirklichkeit durch die Methoden der Physik zu erforschen und durch ihre Gesetze zu verstehen 
ist.^^^ In diesem Sinne hat der Physikalismus eine lange Geschichte.^ ^ ^ Im Unterschied zum 
Biologismus (Kapitel 3.3), der ebenfalls versucht, die Wirklichkeit rein naturwissenschaftlich 
zu verstehen und dazu auch klassisch-physikalisch arbeitet, argumentiert der in diesem Kapitel 
betrachtete Physikalismus mit Hilfe der „modemen Physik", d.h. auf der Basis der Relativitats- 
und hier vor allem der Quantentheorie.^ ^ ^ Wenn im folgenden von „physikalistischer Theorie" 
bzw. Physikalismus gesprochen wird, sind damit also die sich auf modeme, vor allem quanten- 
physikalische Forschung berufenden Theorien gemeint, welche die Physik und ihre Erkenntnis- 
se einseitig und verabsolutierend zur grundlegenden Wissenschaft erheben und so Konkurrenz, 
wenn nicht sogar Ersatz fiir die Philosophic sein woUen.^ ^ ^ Der Physikalismus ist eine weltan- 
schaulich bzw. philosophisch unzureichende Interpretation physikalischer Forschungen und 
Theorien, dem vor allem der Materialismus vorzuwerfen ist. 

Wie bei den bisher genannten Theorien wird auch im Physikalismus von einem Schichtenmo- 
dell ausgegangen. Unterste Schicht respektive Ebene ist demnach jedoch nicht die Symbol-, 
Neuronen- oder die Molekiil- bzw. DNS-Ebene, sondern die Quanten- bzw. Teilchenebene. 
Aus diesem Grund halt es der Physikalismus fiir notwendig, quantenphysikalisch zu argumen- 



^^° „Dem Physikalismus zufolge unter scheiden sich die Dinge nur in ihrer Komplexitat, so daB Ganzheiten voll- 
standig erkannt sind, wenn man ihre Teile kennt. Deshalb sollen alle Wissenschaften letzthch auf Physik re- 
duzierbar sein, und diese Reduktion wurde die Einheit der Wissenschaften vollenden." Mahner/Bunge 111. 
Fiir den Physikalismus gibt es auBerhalb der Physik keine „unerklarten Erklarer" (Haugeland 69). 
Als Paradebeispiel fiir den Reduktionismus wird immer wieder die mikrophysikalisch bzw. thermodynamisch 
berechenbare Bewegung der Teilchen genannt, auf die die makroskopisch feststellbare Temperatur zuriickgeht. 
Siehe zum Physikalismus, der auch (physikalistischer) Reduktionismus genannt wird: Churchland 1986, 257 
f.; Sober 73 ff., 78; Kanitscheider 375 ff. und Cussins in: Boden 1990, 374 ff. Zur Kritik am Physikalismus 
siehe Shimony in: Penrose 1997. 

^^^ Vgl. Mayr 7 f. und Gierer 1991, besonders 201 ff. Seinen geistigen Ursprung hat der Physikalismus vor al- 
lem im Positivismus und Empirismus. 

^^^ Zur philosophischen Betrachtung der Relativitatstheorie siehe z.B. Mittelstaedt 29 ff. sowie Junk in: Brugger 
324. Zu den enormen Problemen der Verbindung von Quanten- und Relativitatstheorie siehe Schommers 109 
ff.; Roth 272 ff.; Mahner/Bunge 110 ff.; Albert in: Spektrum der Wissenschaft 77 und Stapp 96 ff. 

^^^ Fiir einen kurzen tJberblick liber die Beziehung zwischen Philosophic und Physik siehe Brody 310 ff. 



Physikalismus 143 



tieren. Erst die Quantenmechanik bzw. -physik, die als eine (allerdings unvoUendete) Ver- 
allgemeinerung der klassischen Mechanik bzw. Physik gelten kann, soil es ermoglichen, die 
vielen immer noch offenen anthropologischen Fragen, vor denen die Naturwissenschaften ste- 
hen, zu losen, da sie einen ganz anderen, nicht-deterministischen, nicht-algorithmischen Ansatz 
vertritt.^^^ 

Der physikalistische Ansatz versucht also, die menschlichen und insbesondere mentalen bzw. 
kognitiven Fahigkeiten durch mikrophysikalische Vorgange zu erklaren. Das Zentrum der 
mentalen und seelischen Leistungen der Lebewesen im allgemeinen und des Menschen im be- 
sonderen wird wie schon beim Biologismus im Gehim gesehen. Auch der Physikalismus halt 
damit im Rahmen des Schichtenmodells die Erforschung des Gehims fiir entscheidend. Aller- 
dings miisse dies auf einer wesentlich tieferen Ebene als bei der klassischen Neurobiologie ge- 
schehen. „Es ist modische Arroganz, zu glauben, wir wurden bereits alle physikalischen 
Grundsatze fiir samtliche Einzelheiten biologischer Vorgange kennen."^^^ Erst die quantenphy- 
sikalische Erforschung des Nervensy stems erlange die fiir die mentalen bzw. kognitiven Fahig- 
keiten des Menschen angemessene Komplexitat.^ ^ ^ In diesem Zusammenhang ist zu erwahnen, 
daB auch der Physikalismus evolutionare Theorien vertritt, d.h. insbesondere von einer konti- 
nuierlichen phylogenetischen Entwicklung der geistigen Fahigkeiten und des Geistes selbst aus- 
geht.^^^ 

Das Grundprinzip der physikalistischen Theorie besteht darin, daB die seelischen bzw. geistigen 
Fahigkeiten auf die weitraumige Superposition, raum-zeitliche Veranderung und anschlieBende 
Reduktion einer sehr groBen Zahl mikroskopischer Teilchen zuriickgehen soil. Wo und wie die 
Quanteneffekte im Korper und speziell im Gehim wirken und vor allem wie sie sich systema- 
tisch auf die makroskopische Ebene auswirken soUen, ist Gegenstand der folgenden Kapitel. 
An dieser Stelle bleibt festzuhalten, daB sich der Physikalismus trotz seiner zur Zeit noch haufig 
sehr spekulativen Theorien fiir experimentell testbar halt. Wenn die entsprechenden Quantenef- 
fekte in der Zukunft erst einmal angemessen verstanden und handhabbar waren, lieBen sich 
nach der Vorstellung des Physikalismus die seelischen und geistigen Vermogen grundsatzlich 
auch mit einem entsprechend komplexen Quantensystem bzw. -computer verwirklichen.^ ^ ^ 



^^^ Vgl. Hameroff in: Philosophical Transactions 1870 und Herbert 611 f. Zu diesen Fragen zahlen insbesondere 
die nach der Subjektivitat, der Einheit der Wahrnehmung und des BewuBtseins, dem tJbergang zum BewuBt- 
sein, dem Willen sowie allgemein dem Vorhandensein von nicht berechenbaren Fahigkeiten. Es laBt sich zei- 
gen, daB Algorithmen unmoglich die erste Ursache bzw. Grundlage fiir Intelligenz, BewuBtsein, Erkenntnis 
etc. sein konnen, da die Einsicht in Wesen, Sinnhaftigkeit und Korrektheit von Algorithmen nicht selbst 
wieder algorithmisch erklart werden kann. Vgl. Penrose 1995, besonders 81 ff. 

^^^ Penrose 1995, 469. 

^^^ Vgl. Eccles, insbesondere 188 ff. und 255 ff. sowie Penrose 1995, 438 ff. und Penrose 1997, 93 ff. Roger 
Penrose und John C. Eccles gehoren ubrigens zu den wenigen modernen KI-Theoretikern, die sich der langen 
Tradition der Philosophic bewuBt sind und zudem auch teilweise auf sie zuriickgreifen. Wie unzureichend dies 
jedoch in wesentlichen Teilen geschieht, wird die philosophische Kritik in Kapitel 4 aufweisen. 

^^^ Vgl. Eccles 172 ff.; Hennen 108 und Mould in: Foundations of Physics 1960 f. 

^^^ Vgl. Hameroff in: Philosophical Transactions 1888 ff. sowie Kapitel 3.4.2. Zum allgemeinen Vorgehen der 
Physik sowie dem Verhaltnis von Experiment und (neuer) Theorie siehe Feynman 183 ff. 



144 Physikalismus 



3.4.2 Quantenphysikalische Informationsverarbeitung 

Im folgenden werden die wesentlichen physikalischen und philosophischen Grundlagen des 
Physikalismus sowie der quantenphysikalischen Informationsverarbeitung eingehender darge- 
stellt. Wie bei den bisher genannten Theorien wird auch beim Physikalismus von einem 
Schichtenmodell der Wirklichkeit ausgegangen.^^^ Als unterste zu betrachtende Schicht bzw. 
Ebene, auf der die gesamte Wirklichkeit aufbaut und auf die letztlich alles reduziert werden soil, 
gilt dem Physikalismus wie bereits erwahnt die Teilchen- bzw. Quantenebene. Auf dieser Ebene 
herrschen - entgegen der AUtagserfahrung und dem alten Prinzip „natura non facit saltus" - 
Diskontinuitaten bzw. Spriinge.^^^ Bei diesen Spriingen handelt es sich um die sog. „Quanten- 
spriinge", die Gegenstand der Quantenphysik sind und deren Grundlagen nun stark zusammen- 
fassend wiedergegeben werden. 

Die Quantenphysik ist eine verhaltnismaBig junge Wissenschaft, deren Anfange auf den Beginn 
des 20. Jahrhundert zuriickgehen.^ ^ ^ Das fur die vorliegende Problematik wichtigste Teilgebiet 
der Quantenphysik ist die Quantenmechanik, die eine - uberwiegend mathematische - Be- 
schreibung der nicht-relativistischen^ ^ ^ Vorgange auf der mikrophysikalischen Ebene liefert. 
Kemstuck der Quantenmechanik ist die unter dem Namen Schrodingergleichung bekannte 
Wellengleichung, die die moglichen Aufenthaltsorte und Bewegungen von Teilchen (in Quan- 
tensystemen) angibt. Da quantenphysikalische Theorien unanschaulich sind und uberwiegend 
aus mathematischen Zusammenhangen, haufig in Form von Differentialgleichungen, bestehen, 
treten in ihrem Zusammenhang erhebliche Probleme auf, die sich groBtenteils als philosophi- 
sche Fragestellungen entpuppen. Wenn die entsprechenden Zusammenhange gedeutet und in 
anschaulicher Sprache ausgedriickt werden soUen, kommt es deshalb zu einer Vielzahl konkur- 
rierender „Auslegungen" der Quantenphysik. 

Die verbreitetste ist die Ende der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts entstandene „Kopen- 
hagener Deutung", die als Standardtheorie gilt und auf die deshalb hier und in den folgenden 



^^^ Zum Schichtenmodell im Sinne des kritischen und gemaBigten Realismus siehe Kapitel 4.3.2 und 4.4. 

^^^ Es ist allerdings anzumerken, daB nach dem von Bohr eingefuhrten Korrespondenzprinzip fur den Grenzfall 
stationarer Zustande mit groBen Quantenzahlen quantenmechanische Beschreibungen in klassische ubergehen. 

^^^ Siehe zur Entstehung der Quantenphysik sowie den Grundlagenversuchen wie etwa der Beugung von Teilchen 
am Doppelspalt Hofling 721 ff.; Penrose 1995, 321 ff.; Penrose 1997, 55 ff. und Brody 267 ff. 

^^^ Die Tatsache, daB die Physik zum Verstandnis der Welt auf zwei Theorien zuriickgreifen muB, die nicht auf- 
einander und bisher auch nicht auf eine zugrundeHegende dritte Theorie reduziert werden konnen, wirft eine 
Reihe von Problemen auf. Einige Autoren ziehen daraus den SchluB, daB die Physik teilweise auf dem fal- 
schen Weg oder zumindest sehr unvollstandig ist. Fiir Penrose etwa „ist auch die Quantentheorie nur ein Not- 
behelf, dem gewisse wesentliche Voraussetzungen fehlen, um die Welt, in der wir tatsachlich leben, vollstan- 
dig wiedergeben zu konnen. Aber das liefert uns keine Ausrede: Wenn wir einige der ersehnten philosophi- 
schen Erkenntnisse gewinnen wollen, miissen wir das Weltbild der heutigen Quantentheorie begreifen." Pen- 
rose 1991, 219. Weiter heiBt es, das mangelnde Verstandnis der physikalischen Gesetze sei u.a. schuld daran, 
daB der Geist noch nicht oder nicht richtig verstanden wird. Vgl. Penrose 1995, xiii, 8 und 528 f. Siehe zur 
Problematik der UnvoUstandigkeit der Quantenphysik und der Nicht- Vereinbarkeit mit der Relativitatstheorie 
Penrose 1991, 392 ff. sowie Penrose 1997, 52 ff., 91, 102 und 137. 



Physikalismus 145 



Kapiteln vor allem eingegangen werden soll.^^^ Nach der Kopenhagener Deutung laBt sich der 
Zustand eines (isolierten) Quantensystems durch eine lineare Kombination bzw. „Superpositi- 
on" einer Reihe hochdimensionaler Zustandsvektoren beschreiben. Solange an dem System 
keine Messung vorgenommen wird, entwickelt es sich deterministisch entsprechend der Schro- 
dingergleichung. Man spricht dann von „verschrankten" oder auch (quanten-)koharenten Zu- 
standen. Es ist jedoch nicht moglich, den Zustand des Systems zu kennen, da es sich in einer 
Uberlagerung vieler, sich gegenseitig ausschheBender Zustande befindet. Erst im Augenbhck 
der Messung findet die sog. Zustandsreduzierung bzw. der sog. „Kollaps" oder auch die Deko- 
harenz statt, bei der die Zustandsfunktion auf einen Wert „zusammenbricht". Dieser Wert hangt 
u.a. von den Anfangsbedingungen des Systems und der Zeit ab, laBt sich jedoch prinzipiell nur 
mit Wahrscheinhchkeiten angeben^ ^ ^ und das bedeutet, daB sich das System letzthch zufaUig 
bzw. indeterministisch verhalt. 

Ebenfalls der klassischen Physik widersprechend ist die Heisenbergsche Unscharferelation, 
nach der nicht alle GroBen eines Mikroobjektes gleichzeitig behebig genau bestimmt werden 
konnen.^^^ Es stellt sich heraus, daB es fur Objekte mit mikroskopischen Dimensionen Paare 
von Eigenschaften gibt, bei denen die Genauigkeit der Feststellung einer Eigenschaft auf Ko- 
sten der jeweils anderen geschieht. Die „absolute" Untergrenze der Genauigkeit wird vom sog. 
Planckschen Wirkungsquantum oder mit anderen Worten von der Planck-Konstante h be- 
grenzt.^ ^ ^ In diesem Zusammenhang ist auch der von Niels Bohr gepragte Begriff der „Kom- 
plementaritat"^ " zu erwahnen. Hierunter versteht man die Tatsache, daB sich Gebilde der Mi- 
krophysik je nach Untersuchungsmethode von verschiedenen „Seiten" zeigen oder anders ge- 
sagt auf sich gegenseitig ausschlieBende Eigenschaften (z.B. Welle und Teilchen) schlieBen las- 
sen.^ ^^ Um den Problemen der ontologischen Deutung dieser Versuche zu entgehen, hat man 
sich entschieden, den Teilchen keine objektivierbaren Eigenschaften (und letztlich kein Wesen) 



^^^ Vgl. zur Kopenhagener Deutung, die vor allem auf Niels Bohr und Werner Heisenberg zuriickgeht, Byrne/Hall 
370 ff.; Lockwood 177 ff.; Shimony in: Penrose 1997, 150 ff. und Hofling 1032 ff. Genau genommen gibt 
es mittlerweile nicht mehr die Kopenhagener Deutung, da es unter ihren Vertretern zu verschiedensten Ausle- 
gungsformen gekommen ist. Vgl. Stapp 49 ff. 

^^^ Vgl. Hennen 26 und 299 ff. Zur Frage, ob die Wahrscheinlichkeit in den Dingen oder in den Erkennenden lie- 
gen, siehe Kapitel 3.4.4, wo diese Thematik eingehender untersucht wird. 

Die quantenmechanischen Wahrscheinhchkeiten unterscheiden sich im ubrigen von den klassischen, also etwa 
den thermodynamischen Wahrscheinhchkeiten, die sich aus den lediglich praktisch nicht geniigend bekannten 
Anfangsbedingungen sowie der Wirkung der sehr groBen Zahl der beteiligten Molekiile ergeben. Zur Auffas- 
sung, daB samtliche Naturgesetze statistischer Natur sind, siehe Schrodinger 1987, 33, 41, 135 f. und 138 f.; 
Jordan in: Diirr 219 ff. sowie EigenAVinkler. 

^^^ Vgl. Hofling 840 ff., 1037 ff.; Gierer 1985, 23 ff. und Heisenberg in: Durr 301 ff. Zur Bedeutung der Un- 
scharferelation fur die menschliche Erkenntnis siehe Kapitel 3.4.4, 4.3.2 und 4.5.4. 

^^^ Fur die Unscharfe der Ortsangabe (Ax) und die Unscharfe der Impulsangabe (Ap) gilt: AxAp > h/27r. 

^" Komplement bedeutet Erganzung; von lat. complere, d.h. anfullen. 

^^^ Dariiber hinaus werden auch die GroBenpaare, fur die eine Unscharferelation gilt, als komplementar bezeich- 
net. Vgl. Hofling 844. 



146 Physikalismus 



zuzuschreiben und sich statt dessen auf die Messung und Prognose physikalischer Zustande zu 
beschranken.^^^ 

Im Laufe der Entwicklung der Quantenphysik hat sich gezeigt, daB die sehr pragmatische Ko- 
penhagener Deutung auf eine groBe Zahl von Problemen sowie scheinbaren und wirklichen Wi- 
derspriichen stoBt. An dieser Stelle konnen nur die wesenthchsten Einwande angedeutet wer- 
den.^^^ Die Hauptschwierigkeiten betreffen Fragestellungen nach der Natur der Wellenglei- 
chung. Hierunter fallen Fragen nach dem ontologischen Stand der Dualitat bzw. Komplementa- 
ritat von Welle und Teilchen sowie solche nach der ontologischen Bedeutung von Superposition 
(„Schrodingers Katze"), Wahrscheinlichkeitsverteilungen und Unscharferelation. Ebenfalls zu 
erwahnen sind die auf Einstein, Podolsky und Rosen (EPR) zuriickgehenden Einwande gegen 
die Standardquantentheorie. Diese sind jedoch mittlerweile durch experimentelle Belege ent- 
kraftet worden.^ ^ ^ Die Schwierigkeiten mit der Kopenhagener Deutung haben zu einer Vielzahl 
altemativer Auslegungen^ ^ ^ der quantenphysikalischen Experimente gefuhrt, die im Rahmen 
dieses Kapitels jedoch nicht ausgefuhrt werden konnen.^ ^ ^ 

Zu erwahnen ist jedoch die bereits sehr friih entwickelte „objektive Deutung" David Bohms.^^^ 
Nach der objektiven Deutung stehen hinter den quantenphysikalischen Gleichungen nicht ma- 
thematische, sondem reale Objekte. Begriffe wie „Superposition" soUten sich also ihrer ur- 
spriinglichen Bedeutung gemaB nur auf Vektoren, nicht auf physikalische Zustande beziehen. 
Das bedeutet, daB jedes Teilchen sich prinzipiell und immer an einem wohldefinierten Ort auf- 
halt und wohldefinierte Eigenschaften hat. Die Unmoglichkeit, beliebig genaue Aussagen iiber 
Teilchen zu treffen, liegt nach Bohm nicht in den Teilchen bzw. einer Unbestimmtheit oder Zu- 
falligkeit der Natur, sondem ist auf mangelndes Wissen des Menschen zuriickzufuhren.^ ^ ^ 

Wie bereits in Kapitel 3.4.1 angedeutet, besteht das Grundprinzip der physikalistischen Theorie 
darin, daB die seelischen bzw. geistigen Fahigkeiten auf quantenmechanische Vorgange zu- 
riickgefuhrt werden soUen. Dazu jedoch miissen die mikroskopischen Quanteneffekte systema- 



^^^ Vgl. Diirr 12 ff. und die Ausfuhmngen zur Frage nach der Erkenntnis in Kapitel 3.4.4. 

^^^ Siehe zu einer ausfuhrlicheren Behandlung etwa Brody 159 ff. und 270 ff. 

Siehe zur Interpretationsproblematik quantenphysikalischer Experimente und Modelle auch Kanitscheider 238 
ff. Zur besonderen Bedeutung der Mathematik in der Physik bzw. zum Verhaltnis von Mathematik und Phy- 
sik siehe Feynman 48 ff. 

^^ ^ Siehe zu EPR und zum Aspect-Experiment beispielsweise http://theory.gsi.de/~vanhees/faq/epr. 

^^^ Vgl. zu den verschiedenen Auslegungen beispielsweise Penrose in: Philosophical Transactions 1931 f.; Stapp 
53 ff. und Kosso in: Foundations of Physics. 

^^^ Siehe zu der auf Hugh Everett zuriickgehenden „many- worlds theory" Penrose 1991, 288 f.; Penrose in: Phi- 
losophical Transactions 1931 f.; Lockwood 224 ff., 235 f., 249 f.; Guitton et al. 116 ff.; Moravec 1999, 318 
ff.; Hofling 1032 ff. und Stapp 110 ff. 

Die ensemble resp. statistical interpretation dagegen sieht den Zustand eines Quantensy stems als das statisti- 
sche Ergebnis der Wirkung eines Ensembles einer Vielzahl von Systemen. Vgl. Brody 160 ff., 185 ff. und 
270 ff. 

^^^ Vgl. dazu Albert in: Spektrum der Wissenschaft; Hiley/Pylkkanen in: Pylkkanen; Stapp 57 f. und Kosso in: 
Foundations of Physics. 



Physikalismus 147 



tisch in die makroskopische Ebene wirken.^^^ Hierbei gibt es eine Reihe von Einschrankungen 
und Hindemissen, die eine groBraumige und gerichtete Wirkung makroskopischer GroBenord- 
nung auf den ersten Blick unmoglich erscheinen lassen.^^^ Das Hauptproblem diirfte die fiir 
Lebewesen typische Temperatur sein. Diese scheint aus quantenmechanischer Sicht viel zu 
hoch, um zeitlich und raumlich geniigend ausgedehnte quantenkoharente Zustande einer sehr 
groBen Zahl von Teilchen zu erlauben. Das gleiche gilt fiir die vermeintlich schlecht gegen die 
„standig storende" Umwelt abgeschirmten bio-chemischen Bestandteile des Nervensy stems. 
Wie aus der neurobiologischen Forschung bekannt ist, sind bei mentalen Prozessen „Schaltzei- 
ten" in der GroBenordnung von Millisekunden bis zu Sekunden bei einer Anzahl der beteiligten 
Neuronen in der GroBenordnung bis zu mehreren Tausend notig (vgl. auch Kapitel 3.3). Um 
den genannten Anforderungen gerecht zu werden, sind eine Reihe von konkurrierenden Vor- 
schlagen namhafter Wissenschaftler gemacht worden, von denen nachfolgend einige der wich- 
tigsten in ihren Ansatzen vorgestellt werden. 

Zu den friihesten und bekanntesten Ansatzen gehoren die von Roger Penrose und Stuart Ha- 
meroff. Demnach sind es die sog. „Mikrotubuli", in und mit denen das Gehim via Quantenef- 
fekte psychische und geistige Leistungen voUbringt.^ ^ ^ Mikrotubuli bestehen aus Proteinen und 
sind lange, hohle Rohrchen mit einem Innendurchmesser von etwa 14 Nanometem, die den 
Zellen wie beispielsweise den Nervenzellen u.a. als Zellskelette dienen. Die Mikrotubuli beste- 
hen aus Tubulin-Dimeren, die zwei verschiedene Zustande annehmen konnen und in ihrem 
Verbund eine Art Quantencomputer darstellen soUen. Eine Nervenzelle enthalt etwa 10^ Tubu- 
lin-Dimeren. Die mentalen Leistungen des Nervensystems soUen auf folgende, nicht-rech- 
nerische bzw. nicht-algorithmische Art erzeugt werden: Eine sehr groBe Zahl von Tubulin- 
Dimeren in der GroBenordnung von 10^^ tritt in einen koharenten Quantenzustand, wobei die 
„Verbindung" zu Tubulin-Dimeren anderer Neuronen u.a. iiber Tunneleffekte geschieht. Der 
Quantenzustand entwickelt sich daraufhin entsprechend der Schrodingergleichung. Durch die 
von Penrose so genannte „objektive Reduktion (OR)" wird dieser Quantenzustand dann nach 
etwa 25-500 ms in einen eindeutigen biologischen Zustand reduziert.^ ^ ^ Dieser hat wesentlichen 

^^^ Zur Unmoglichkeit versteckter Parameter siehe Kosso in: Foundations of Physics 54 ff., wo insbesondere auf 
die Argumente von John Bell eingegangen wird. Zu Einwanden gegen diese Argumente und zur Theorie 
Bohms siehe Hiley in: Pylkkanen et al. 43 ff. 

^^^ Zur Theorie, nach der sich mikroskopische Zufalle - insbesondere bei labilen oder instabilen Systemen - zu 
makroskopischen Effekten aufschaukeln konnen, siehe etwa EigenAVinkler 35 ff. 

^^^ Vgl. Penrose 1995, 441 ff.; Penrose 1997, 178 ff.; Hameroff in: Philosophical Transactions 1887 ff. und 
Stapp 147 ff. Zur Kritik an groBraumiger Koharenz siehe auch Shimony in: Penrose 1997, 156 ff. 

^^^ Vgl. Penrose 1995, 449 ff.; Penrose 1997, 126 ff. und Hameroff in: Philosophical Transactions. Zur Biolo- 
gic der Mikrotubuli siehe auch Vogel/Angermann 16 f. und 94 f. 

^^^ Die Reduktion heiBt objektiv, da sie entgegen der Kopenhagener Deutung nicht als letztlich zufallig aufgefaBt 
wird, sondern auf Quantengravitation zuriickgehen soil. Siehe zur OR Penrose 1995, 422 ff. und 440 ff. so- 
wie Penrose 1997, 83 ff. Zur „Orchestrated OR (Orch OR)", nach der spezielle Proteine (MAP) die Isolierung 
sowie die Quantenoszillation und die Koharenz steuern, siehe Hameroff in: Philosophical Transactions 1877 
ff. 

Hier ist kritisch anzumerken, daB gerade die „Reduktion" als der entscheidende Punkt der „EinfluBnahme" auf 
das materielle/quantenphysikalische Geschehen undeutlich bleibt und so die Leib-Seele-Problematik weiter 
ungelost laBt. Siehe dazu Kapitel 4.5.3. Zur Kritik an der OR siehe auch Hawking in: Penrose 1997, 170 f. 



148 Physikalismus 



EinfluB auf das Verhalten der Nervenzelle und steuert so die synaptischen Verbindungsaktivita- 
ten wie etwa den Transport von Neurotransmittem oder das Nervenwachstum (vgl. Kapitel 
3.3.2). Sowohl die GroBendimensionen als auch die Isolierung von der AuBenwelt lassen auf 
diese Art rechnerisch Quanteneffekte zu, die den neurobiologischen Rahmendaten entsprechen. 

Eine weitere bekannte Theorie, wie Quanteneffekte die Vorgange im Gehim beeinflussen und 
letztlich den Geist hervorbringen konnten, stammt von Henry Stapp.^^^ Ihm zufolge leisten die 
Quanteneffekte bei der raumlichen Unbestimmtheit der Kalziumionen einen wesentlichen Bei- 
trag zum Verstandnis der mentalen Vorgange. Ansatzpunkt ist auch fur Stapp das Schaltverhal- 
ten des Neuronennetzes. Das Feuem der Neuronen (vgl. Kapitel 3.3.2) hangt entscheidend 
vom Transport bzw. dem Vorhandensein von Neurotransmittem ab. Die Ausschiittung eines 
Neurotransmitter- Vesikels wiederum ist durch das Vorhandensein einzelner Kalziumionen be- 
stimmt. Wegen der GroBe und Geschwindigkeit^ ^ ^ der Kalziumionen kommen fur sie quanten- 
physikalische Effekte in Betracht. Nimmt man an, daB die quantenphysikalisch bestimmte 
Wahrscheinlichkeit der Vesikelausschiittung beim Eintreffen eines Aktionspotentials etwa 50 % 
betragt, dann kann es fur n Synapsen zu einer quantenphysikalischen Uberlagerung von 2° Zu- 
standen kommen, bevor diese durch ein „Ereignis" bzw. eine Messung zu einem eindeutigen 
Zustand reduziert werden. Nach Stapp ist es diese hochdimensionale Uberlagerung von „Neu- 
ron feuert"- und „Neuron feuert nicht"-Zustanden sowie das durch ein Ereignis bewirkte KoUa- 
bieren auf eine eindeutige Verteilung von feuemden und nicht feuemden Neuronen, welche das 
Wesen samtlicher mentaler Fahigkeiten und Vorgange ausmacht. 

SchlieBlich sei noch auf die fur den Physikalismus interessanten aber auch ungewohnlichen 
Beitrage von John Eccles hingewiesen, der sich iiber Jahrzehnte hinweg mit der Leib-Seele- 
Problematik auseinandergesetzt hat. Ihm zufolge „zeigt die Anwendung der Quantenphysik auf 
die Ultra-Mikrostruktur und Funktionsweise des Gehirns [...], daB eine mentale Tatigkeit die 
neuronalen Reaktionen verstarken konnte, indem sie die Quantenwahrscheinlichkeit erhoht, oh- 
ne mit den Erhaltungssatzen der Physik in Konflikt zu geraten"^^^ Ansatzpunkte sind auch hier 
die Vorgange am synaptischen Spalt, insbesondere bezuglich der Transmitterstoffe und ihres 
Transports. Stark zusammengefaBt besteht die Theorie darin, daB der „Geist" oder das „Selbst" 
die auf Quantenmechanik zuriickgehenden Wahrscheinlichkeiten der Emission von Vesikeln aus 



^^° Vgl. Stapp 37 ff., 132 ff. und 152 f. Vgl. auch Mould in: Foundations of Physics 1959 f., der fur die Re- 
levanz von Quanteneffekten bezuglich einiger Peptide und ihrer Rezeptoren argumentiert. 
Gegen die auch im Physikalismus vertretenen materialistischen Grundannahmen wird in den Kapiteln 4.3.2 
und 4.5.3 zu argumentieren sein. 

^^^ Die entscheidende Bewegung vollzieht sich in Zeiten der GroBenordnung 200iis liber Entfernungen von etwa 
50 nm. 

^^^ Eccles 29. Die Wechselwirkung zwischen „Geist" und Gehirn geschieht demnach also ohne Stoff- oder Ener- 
gieiibertragung und vermeidet so die haufig gegen den Dualismus angefuhrten Stoff- und Energieerhaltungs- 
satze bzw. den Einwand der physikalischen Abgeschlossenheit der Welt. Siehe zur Widerlegung des Energie- 
erhaltungseinwandes z.B. Eccles 162 ff. Allerdings ist bereits hier kritisch anzumerken, daB Eccles mit 
„Geist" nicht die einfache, immaterielle, personale Substanz meint, die die philosophia perennis im Sinne des 
gemaBigten Realismus darunter versteht. Zur Kritik an der noch nicht ausreichend vom Materialismus gelau- 
terten Auffassung des Geistes siehe Kapitel 3.4.3 und 4.5.3. 



Physikalismus 149 



parakristallinen prasynaptischen Vesikelgittem andert und so die gesamten „Schaltvorgange" im 
Gehim beeinflussen kann.^^^ Als eine weitreichende Hypothese stellt Eccles zudem die Aussage 
auf, daB jedes Dendritenbiindel des Gehims auf eindeutige Weise mit einem sog. „Psychon" 
verbunden ist. Dabei soUen Psychonen elementare mentale Einheiten sein, aus denen sich das 
geistige Leben zusammensetzt.^ ^ ^ 

Zusammenfassend kann man sagen, daB die Mehrheit der Vertreter des Physikalismus es fiir 
grundsatzlich moglich halt, die seelischen und geistigen Fahigkeiten des Menschen mit Hilfe ei- 
nes Quantencomputers nachzubauen, der als eine verallgemeinerte Turingmaschine aufgefaBt 
werden kann.^ ^ ^ Das Grundprinzip dieses Quantencomputers besteht darin, daB er eine im Ver- 
gleich zu herkommlichen Computem unglaublich groBe Zahl von Rechnungen oder allgemeiner 
gesagt Prozessen parallel voUziehen kann, da sich die „Bauelemente" bis zu den jeweiligen 
„Messungen" der Ergebnisse in Uberlagerungszustanden befinden.^^^ Hierbei gibt es jedoch 
erhebliche theoretische und praktische Probleme. Zu den theoretischen Problemen gehort, daB 
sich die quantenphysikalischen Vorgange (im Gegensatz zu denjenigen des Symbolismus und 
Konnektionismus) auf ihrer elementarsten Ebene grundsatzlich nicht vorhersagen, also auch 
nicht algorithmisch beschreiben und berechnen lassen. Daran andem auch die durch Statistik 
und Pseudozufallsgeneratoren erzeugten guten Naherungen durch klassische Turingmaschinen 
bzw. Computer nichts. Dem Bau eines realen Quantencomputers stehen auch enorme technolo- 
gische Hindemisse entgegen. Hier sind vor allem die Schwierigkeit der Isolation eines Quan- 
tensystems gegeniiber der die Quantenkoharenz storenden Umwelt sowie die gezielte Beeinflus- 
sung und Messung einzelner Zustande des Systems und die extrem kurzen Zeittakte zu nennen. 
Prognosen iiber die Leistungsfahigkeit kiinftiger Quantenrechner sowie bisher existierende 
Prototypen, die allerdings nur eine HandvoU sich uberlagemder Teilchen benutzt,^ ^ ^ stimmen 
jedoch trotzdem viele Forscher optimistisch, eines Tages mit Hilfe solcher Systeme Intelligenz, 
BewuBtsein, Wille und dergleichen „produzieren" zu konnen. 

Soweit zu einer Auswahl der grundlegendsten und im folgenden noch zu erweitemden Voraus- 
setzungen und Theorien, auf welche die physikalistische Informationsverarbeitungstheorie zu- 



^^^ Vgl. Eccles, besonders 101 ff. und 118 ff. Nachweise der Vereinbarkeit der GroBenordnungen mit denen der 
Quantenphysik finden sich u.a. auf den Seiten 225 ff. 

^^^ Vgl. Eccles 137 ff., 151 ff., 208 ff., 216 ff. und 257 ff. Zur Kritik dieser nicht zureichenden Auffassung des 
Geistes und seines Lebens siehe wie bereits gesagt Kapitel 3.4.3 und vor allem Kapitel 4.5.3. 

^^^ Vgl. Hameroff in: Philosophical Transactions, besonders 1888 ff.; Penrose 1995, 447 ff., 495 ff. und Penrose 
1997, 131 ff. Siehe zu Quantencomputern auch Chrisley in: Pylkkanen sowie die Internetquellen 
www.qubit.org und www.quantum.at. 

^^^ Vgl. Lockwood 240 f. und 246 ff. Wie die Komplexitatstheorie herausgearbeitet hat, steigt beim Quanten- 
computer der Zeitbedarf fiir die Losung gewisser Probleme bei weitem nicht so schnell wie bei herkomm- 
lichen Computern, wo bei linear wachsendem n von polynomisch ansteigenden Rechenzeiten t(n) auszugehen 
ist. 

Durch die genannte Parallelitat wurden sich Quantencomputer besonders zur Ver- und Entschlusselung, insbe- 
sondere zur Faktorisierung sehr groBer Zahlen, eignen. Siehe zu Quantencomputern und -kryptographie Singh 
287 ff. 

^^^ Vgl. Yam in: Spektrum der Wissenschaft 62 sowie Hughes in: Hey. Verwendet werden beispielsweise laser- 
betriebene lonen-Fallen oder Systeme, die auf magnetischer Resonanz basieren. 



150 Physikalismus 



riickgreift. Die folgenden Kapitel beleuchten ausgehend vom zentralen Begriff der Intelligenz 
die einschlagigen Begriffe wie Denken, Wille und dergleichen aus der Sicht des Physikalismus. 



Physikalismus 151 



3.4.3 Intelligenz und Geist 

Physikalistisch gesehen ist die Grundlage von Intelligenz eine sehr groBe Zahl koordinierter und 
gezielt in die Makrowelt wirkender Quantenvorgange im Gehim. Wie bereits im vorigen Kapitel 
erwahnt, besteht zwar iiber die Vorgange im einzelnen noch keine Einigkeit, folgendes kann je- 
doch als eine Art gemeinsamer Nenner gelten. Intelligenz entsteht durch quantenmechanische 
Superposition einer groBen Zahl von moglichen Losungen und anschlieBende Reduktion auf die 
„richtige" Losung.^^^ 

Fur den Fall der natiirlichen Lebewesen ist man sich mit der Biologie einig, daB die zentrale 
„Steuereinheit" des intelligenten Verhaltens das Gehim ist. Da es im Gehirn vor allem die 
synaptischen Vorgange sind, die fiir intelligente Vorgange wie das Lemen oder Erkennen ver- 
antwortlich sind, miissen die Quanteneffekte dort angreifen. Intelligenz ist demnach aus der 
Sicht des Physikalismus die „vorausschauende", um nicht zu sagen „intelligente" Auflosung der 
Superposition mikrophysikalischer Teilchen innerhalb des zentralen Nervensy stems. In diesen 
mikrophysikalischen Vorgangen soUen makroskopische Vorgange wie die Weiterschaltung 
elektrischer Impulse oder auch das Wachstum der Nervenverbindung und letztlich alle geistigen 
Fahigkeiten ihre letzte Ursache haben. Obwohl Quanteneffekte die gesamte Materie des Univer- 
sums innerlich „regieren", zeigt sich Intelligenz bisher ausschlieBlich in hochentwickelten Ge- 
himen bzw. den mit einem solchen Gehim ausgestatteten Lebewesen. Dies - so der Physikalis- 
mus - zeige, daB Intelligenz nicht eine Frage der Komplexitat (alleine) sei, sondem (auch) von 
einer geeigneten „Ubertragung" bzw. „Verstarkung" der Quantenvorgange in die Makrowelt 
abhange.^ ^ ^ Wie der Biologismus so sieht auch der Physikalismus in der Intelligenz eine durch 
Evolution entstandene Fahigkeit.^ ^ ^ 

Wenngleich die technischen Moglichkeiten noch weit davon entfemt sind, halt der Physikalis- 
mus die Schaffung einer kiinstlichen Intelligenz fiir moglich.^ ^ ^ Hierfur miiBte eine Art Quan- 
tencomputer dem menschlichen Vorbild nahe kommen und Quantensuperpositionen sowie 
-reduktionen in etwa den gleichen Geschwindigkeiten, Mengen und Komplexitatsgraden voU- 
ziehen wie das Gehim. AuBerdem ware eine den menschlichen Verhaltnissen analoge „Uberset- 
zung" in makroskopische Dimensionen notig, was jedoch in den Augen des Physikalismus alles 
kein gmndsatzliches Hindemis darstellt. Entscheidend fiir natiirliche wie kiinstliche Intelligenz 
sei jedoch, daB das Wesen der Intelligenz nicht nur praktisch, sondem gmndsatzlich nicht algo- 
rithmisch-deterministisch faBbar und die Intelligenz so auf klassische Weise nicht verstehbar 
oder gar reproduzierbar ist.^ ^ ^ 



^^^ Vgl. Penrose 1991, 427 ff. und die Ausfuhmngen zum Erkennen in Kapitel 3.4.4. 

^^^ Vgl. Penrose 1995, 272 f. 

'^^ Vgl. Eccles 172 ff. und Penrose 1995, 182 ff. 

^^^ Vgl. Hameroff in: Philosophical Transactions, besonders 1888 und Penrose 1995, 494 ff. 

'^^ Vgl. Penrose 1995, 33 ff., 159 ff., 247 ff. und 497. 



152 Physikalismus 



Haufig wird nicht explizit iiber Intelligenz gesprochen, sondern mehr iiber BewuBtsein, Er- 
kenntnis etc., die als Voraussetzung fiir Intelligenz gesehen werden.^^^ Vieles iiber die Intelli- 
genz ergibt sich deshalb aus den nachfolgenden Ausfuhrungen. 

Wie die Intelligenz so soil nach physikalistischer Auffassung auch der Geist quantenmechanisch 
zu verstehen sein. Die klassische, nicht-quantenphysikalisch argumentierende Wissenschaft be- 
findet sich demnach in einer Sackgasse; von ihr heiBt es: „die Wissenschaft scheint uns zu der 
Ansicht zu zwingen, daB wir nur kleine Bestandteile einer Welt sind, die bis in alle Einzelheiten 
(wenn auch vielleicht letztlich nur probabilistischen) sehr prazisen mathematischen Gesetzen 
gehorcht. Selbst das Gehim, das alle unsere Handlungen zu kontroUieren scheint, unterliegt 
denselben prazisen Gesetzen. So ist der Eindruck entstanden, daB diese prazise physikalische 
Aktivitat alles in allem nicht mehr sei als das Ausfuhren einer riesigen (vielleicht probabilisti- 
schen) Berechnung - und daB demnach Gehim und Geist ausschlieBlich in Form solcher Be- 
rechnungen zu verstehen seien."^^^ Aufgrund der nachweislich nicht-rechnerischen oder mit 
anderen Worten nicht-algorithmischen Vermogen und Grundlagen des Geistes^ ^ ^ sowie nicht- 
lokaler Phanomene^ ^ ^ argumentiert der Physikalismus, daB nur die Quantenphysik Aufschlusse 
iiber den Geist geben kann.^ ^ ^ 

Bei der Behandlung des Themas Geist durch den Physikalismus fallt auf, daB dieser haufig den 
Begriff „Geist" umgeht und statt dessen von BewuBtsein, Selbst und dergleichen spricht.^^^ 
Das liegt daran, daB den Begriffen Geist und Seele ein scheinbar negativer und veralteter duali- 
stischer Beiklang anhaftet, den man vermeiden will. Geist und Seele werden dariiber hinaus 
meist nicht oder nicht ausreichend unterschieden.^ ^ ^ Eine Definition des Geistes aus physikali- 
stischer Sicht ahnelt derjenigen der Intelligenz. Physikalistisch gesehen geht der Geist demnach 
auf eine sehr groBe Zahl koordinierter und gezielt in die Makrowelt wirkender Quanteneffekte 
im Gehim zuriick.^ ^ ^ Moglich ware demnach, daB der Geist entweder in diesen quantenmecha- 
nischen Eigenschaften, Zustanden oder Prozessen selbst besteht, oder daB er aus ihnen (epi- 



703 

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Vgl. Penrose 1995, 46 ff. und Penrose 1997, 100 ff. 

Penrose 1991, 437. Vgl. auch Herbig/Hohlfeld 24 f. 

Siehe dazu auch Kapitel 4.2.2 f. und 4.5.3. 

Siehe zur Nicht-Lokalitat Brophy 97 ff. und Stapp 169 f. 

Siehe zu weiteren Griinden, warum die Physik und nicht die Biologic, Chemie oder Philosophic den Geist er- 

klaren konnen soil: Penrose 1995, 268 ff.; Cartwright in Penrose 1997, 161 ff. und Hawking in: Penrose 

169 ff. 

Vgl. Penrose 1991, 397; Penrose 1995, 14 ff., 46 ff., 439 ff. sowie Eccles. 

Penrose 1995, 182 ff. Siehe zu Argumenten fiir Seele und Geist im klassischen Sinne dagegen die philoso- 

phischen und differenzierten Ausfuhrungen der Kapitel 4.4.3 f. und 4.5.3. 

Die Formulierung, nach der der Geist in der Auffassung vieler seinen Ursprung in den Gesetzen der Physik hat 

(vgl. Schommers 61), ist besonders fragwurdig, da neben dem MiBverstandnis des Geistes auch eine Verwech- 

selung der ontologischen und erkenntnistheoretischen Ebene wahrscheinlich wird. 



Physikalismus 153 



phanomenal oder) emergent entstehtJ^^ Beide Varianten treffen allerdings auf emst zu nehmen- 
de Probleme. Wenn der Geist aus den Zustanden und Bewegungen der Teilchen bestehen soil, 
ist weder seine Einheit noch seine Wechselwirkung mit dem Leib zu verstehen. Wenn der Geist 
dagegen eine eigene mehr oder weniger substanzielle Realitat haben soil, argumentiert man ent- 
weder metaphysisch oder mystisch, verlaBt aber in jedem Fall den Bereich der PhysikJ ^ ^ 

Auch der Physikalismus steht vor dem Leib-Seele bzw. Materie-Geist-Problem. Da wie gesagt 
zwei grundsatzlich trennbare und wesensverschiedene Substanzen abgelehnt werden, versucht 
man, sich zudem durch folgenden Ansatz zu helfen. So wie Welle und Teilchen in der Quanten- 
physik als komplementar gelten, so soUen auch Leib und Geist bzw. Seele komplementare 
GroBen sein.^ ^ ^ 

Wahrend die Mehrheit der Physikalisten den Geist und seine Fahigkeiten auf Quantenvorgange 
zuriickfuhren will, gibt es auch Ansatze, nach denen eine (vermeintlich) „geistige" GroBe^ ^ ^ mit 
den Quantenvorgangen wechselwirkt. Diese soil wie bereits in Kapitel 3.4.2 angedeutet bei- 
spielsweise quantenmechanische Superpositionszustande reduzieren oder die Wahrscheinlich- 
keiten von Quantenereignissen beeinflussen. Insofern dabei von wahrhaft geistigen Realitaten 
ausgegangen wird, fallen solche Ansatze nicht mehr unter die letztlich materialistischen Ansatze 
des Physikalismus. Sie werden deshalb erst an spaterer Stelle (Kapitel 4.5.3) wieder aufgegrif- 
fen. 

Zur Frage nach der Entstehung des Geistes lehnt sich der Physikalismus an den Biologismus 
an. Demnach sind es evolutionare Vorgange, die fur das „Auftauchen" des Geistes verantwort- 
lich sein soUen.^ ^ ^ Da der Geist rein physikalisch verstanden werden kann, geht der Physika- 
lismus davon aus, daB es moglich ist, ihn - etwa mit Hilfe eines Quantencomputers - kiinstlich 
zu erzeugen. Dazu miiBten jedoch zunachst alle wesentlichen Vorgange durch eine entschieden 
weiterentwickelte „Quantenphysik des Geistes" aufgeklart sein. Allerdings bleibt auch dann 
festzuhalten, daB eine exakte Kopie des Geistes - im Gegensatz zu den Theorien des Symbo- 
lismus und Konnektionismus - prinzipiell unmoglich ist. Dies liegt daran, daB die Zustande des 



Zur Auffassung, nach der samtliche Materie „protomentale Qualitaten" besitzt, die sich emergent entfalten 
konnen, siehe Kanitscheider 386 f. Zum vermeintlichen „Ort" des Geistes aufgmnd der von der Relativitats- 
theorie angenommenen Raumzeit siehe Lockwood 72 ff. 

Damit ist erneut angedeutet, daB eine metaphysische und das heiBt sehr wohl wissenschaftliche und gar nicht 
mystische Argumentation zum Verstandnis des Geistigen notig ist. Siehe dazu Kapitel 3.4.6, 4.3 und 4.5.3. 
Vgl. Guitton et al. 151 ff. Zur Auffassung, nach der Materie und Geist grundsatzlich nicht auseinander zu hal- 
ten seien, siehe auch Bohm in: Diirr 275 ff. und Hiley in: Pylkkanen 52. 

Die Benutzung des Komplementaritatsbegriffs verdunkelt im allgemeinen die Verhaltnisse, well damit i.d.R. 
gemeint ist, daB die entsprechende Wirklichkeit weder das eine noch das andere ist und damit liber das Wesen 
des entsprechenden Seienden nichts ausgesagt ist. Auch das Problem der Wechselwirkung wird so nicht wirk- 
lich angegangen. Siehe zur Aufhellung der Leib-Seele-Problematik Kapitel 4.5.3. 

Die wesentlichen Kriterien des Geistigen wie etwa die Unteilbarkeit werden meist nicht wirklich erreicht. Sie- 
he deshalb Kapitel 4.3.2 und 4.5.3. 

Vgl. Mould in: Foundations of Physics 1960 f.; Gierer 1985, 115 ff.; Penrose 1995, 182 ff., 470 sowie teil- 
weise kritisch dazu Eccles 172 ff., 188 ff. und 264 f. Dagegen ist bereits hier kritisch einzuwenden, daB der 
Geist sich nicht entwickeln kann, da er das Prinzip der Entwicklung ist. Siehe zur ausfuhrlichen Kritik am 
Evolutionismus Kapitel 4.5.3 und 4.5.8. 



154 Physikalismus 



„Originals" niemals beliebig genau festgestellt und deshalb auch nicht eindeutig nachgebaut 
werden konnen/^^ 

Als Hauptmerkmale bzw. -fahigkeiten des Geistes gelten nach klassisch-philosophischer Lehre 
das Denken und der Wille. Diese werden in den beiden folgenden Kapiteln aus Sicht des Physi- 
kalismus dargestellt. Neben dem Denken behandelt das nachste Kapitel auch die Frage nach der 
Erkenntnis sowie die damit eng verbundene Auffassung von Wahrheit. 



716 Ygj Penrose 1991, 262. Demnach ist ein physikalisches Teleportationsgerat - etwa fiir Menschen - grund- 
satzlich unmoglich. 



Physikalismus 155 



3.4.4 Denken und Erkenntnis 

Uber das Wesen des Denkens ist sich der Physikalismus nicht vollkommen einig/^^ die Gmnd- 
aussagen lassen sich jedoch folgendermaBen zusammenfassen. Nach der Lehre des Physikalis- 
mus besteht Denken in der weitraumigen Superposition, einer darauf folgenden Weiterent- 
wicklung bzw. Umformung und der anschlieBenden Reduzierung von Quantenzustanden spezi- 
eller Teilchen in geeigneten Umgebungen. Die Einschrankung auf spezielle Teilchen und geeig- 
nete Umgebungen ergibt sich aus der Tatsache, daB Quanteneffekte die gesamte materielle 
Wirklichkeit durchziehen. Man kann im Sinne des Physikalismus nicht samtliche Quantensy- 
steme als denkend bezeichnen, sondem nur eine sehr geringe Teilmenge. Diese zeichnet sich 
u.a. dadurch aus, daB die entsprechenden Systeme einen ausreichenden Ordnungs- und Kom- 
plexitatsgrad haben und in der Lage sind, das sie umgebende Makrosystem gezielt zu beeinflus- 
sen. 

Das Beispiel eines denkenden Systems ist in den Augen des Physikalismus das zentrale 
menschliche Nervensystem, insbesondere das Gehim. Grundsatzlich jedoch sei es moglich, 
auch auf andere denkende Systeme zu treffen oder solche zu konstruieren, auch wenn dies 
technologisch bisher ausgeschlossen ist. Bei den entsprechenden kiinstlichen Denk„maschinen" 
plant man insbesondere Quantencomputer, so daB sich in Abwandlung der Kemaussage des 
Symbolismus (vgl. Kapitel 3.1.4) fur den Physikalismus sagen laBt: „Thinking is quantum 
computing." Dabei ist allerdings emeut festzuhalten, daB das „Computing" kein Umformen 
bzw. Berechnen im algorithmischen Sinn bedeutet.^^^ Gemeint ist vielmehr das mit einer 
grundsatzlichen Unbestimmtheit verbundene quantenphysikalische Verhalten von miteinander 
verschrankten Mikroteilchen. 

Die Spontanitat und Kreativitat des Denkens sowie „wilde Assoziationen" werden im Sinne des 
Physikalismus vor allem durch chaotische Mechanismen bzw. Systeme erklart.^ ^ ^ Das bedeutet, 
daB minimale Veranderungen der Anfangsbedingungen innerhalb eines dynamischen Systems 
zu extremen Anderungen der Systemzustande bzw. deren Wirkungen auf andere Systeme fuh- 
ren konnen. Ahnliche Ursachen haben demnach nicht oder nicht unbedingt ahnliche Wirkun- 
gen.^ ^^ 

Eng mit dem Denken verbunden ist die Frage, was unter Erkenntnis zu verstehen ist und wie 
der Mensch oder ggf. ein anderes System erkennt. Die Antworten des Physikalismus auf die 



^^^ „Was Denken ist, wissen wir noch nicht definitiv;" Schommers 79. 

^ ^ ^ Vgl. die Ausfuhmngen zur Nicht-Berechenbarkeit in Kapitel 3.4. 1 . 

^^^ Vgl. Roth 225 zum EinfluB klassischer Chaotik, fiir die Quanteneffekte nicht erforderlich sind und Brophy 

145 ff., wo fiir „Plancksche Schmetterlinge", also quantenmechanische Schmetterlingseffekte argumentiert 

wird. 

Es gibt auch Ansatze, die Spontanitat des Lebendigen bzw. Geistigen auf die „Spontanitat" des radioaktiven 

Zerfalls zuriickzufuhren. Vgl. zur Spontanitat auch die Ausfuhrungen zum freien Willen in Kapitel 3.4.5. 
^^^ Siehe zu Ursache und Wirkung Kapitel 4.3.2. 



156 Physikalismus 



Frage nach dem Wesen des Denkens werden deshalb durch die nachfolgenden Ausfuhmngen 
bezuglich des Erkennens noch erweitert und verdeutlicht. Der Physikalismus versteht unter Er- 
kennen die quantenmechanische Reduktion von superponierten moglichen Ergebnissen auf ein 
wirkliches Ergebnis der Erkenntnis, und zwar auf eines, das mit dem Sein und der Struktur der 
Umwelt korrespondiert. Als Beispiel dient etwa die Situation, in der jemand nur sehr kurz ein 
bekanntes Gesicht sieht/^^ Physikalistisch betrachtet kommt die Erkenntnis, daB es sich dabei 
etwa um Person C handelt, folgendermaBen zustande: Fiir alle moglichen bekannten Gesichter 
A, B, C usw. gibt es eine bestimmte Anordnung a, b, c usw. von Mikroteilchen (etwa Tubulin- 
Dimeren) innerhalb des Gehirns. Vor der (bewuBten) Erkenntnis befindet sich der fiir die Ge- 
sichtserkenntnis zustandige Teil des zentralen Nervensystems mikrophysikalisch betrachtet in 
einem Uberlagerungszustand samtlicher Zustande a, b, c usw. Nach einiger Zeit kommt es dann 
zur Reduktion auf einen eindeutigen, in die Makrowelt wirkenden Zustand c, der die schlagarti- 
ge Erkenntnis bzw. das Aha-Erlebnis bewirkt, daB es sich um Person C handelt.^ ^^ 

Neben den noch nicht besonders stark ausgearbeiteten Theorien, wie das Erkennen quanten- 
physikalisch funktionieren soil, gibt es mittlerweile sehr umfangreiche Literatur zum quanten- 
physikalischen Beitrag auf die Frage was bzw. was nicht erkannt werden kann. Zunachst ist 
hier die Heisenbergsche Unscharferelation zu nennen.^^^ Aus ihr wurden die verschiedensten, 
nicht selten zu weitreichenden Schlusse gezogen. GemaBigte Auffassungen betonen, daB dem 
Menschen durch die Unscharferelation eine grundsatzliche Erkenntnisschranke gewiesen ist, so 
daB er - entgegen den optimistischen Erwartungen des Rationalimus und Szientismus - nicht 
damit rechnen kann, die (materielle) Welt beliebig genau erforschen zu konnen.^ ^ ^ Die Tatsa- 
che, daB iiber eine Vielzahl physikalischer Zustande und Ereignisse nur statistische Aussagen 
getroffen werden konnen, wirft die Frage auf, ob die Wahrscheinlichkeit in den Dingen oder in 
denErkennendenliegt.^^^ Mehrheitlich wird im Rahmen des Physikalismus dafiir argumentiert. 



Vgl. Hameroff in: Philosophical Transactions 1882 ff. 

Damit ist das Problem der Erkenntnis allerdings nicht gelost. Es bleibt u.a. die Frage, wodurch die Quanten- 
zustande geeignet reduziert werden. AuBerdem wird der Physikalismus der Einheit einer Erkenntnis sowie dem 
„Einswerden" von Erkennendem und Erkanntem nicht gerecht. Siehe zur Kritik einer rein naturwissenschaftli- 
chen Erkenntnislehre sowie der ihr gegeniiber gestellten philosophischen Erkenntnislehre Kapitel 4.2. 
Vgl. Kapitel 3.4.2 sowie Hofling 840 ff., 1037 ff. und Heisenberg in: Durr 301 ff. 

Beispielsweise kann nicht gleichzeitig der exakte Ort und Impuls eines Teilchens angegeben werden. Auch der 
Weg eines Teilchens durch einen Doppelspalt kann prinzipiell nicht vorhergesagt werden. Lediglich fiir eine 
groBe Zahl von Teilchen lassen sich Aussagen treffen und dabei auch nur statistische. Vgl. Hofling 729 ff. 
und Feynman 172 ff. Daraus folgt, daB die Sinnesorgane nicht zu empfindlich, also z.B. auf einzelne Atome 
ausgerichtet sein diirfen, da dies nicht (beliebig genau) moglich ist. Vgl. Schrodinger 41 ff. 
Eine ahnliche Situation liegt beim radioaktiven Zerfall einzelner Teilchen vor. Auch hier lassen sich nur sta- 
tistische Angaben fiir groBe Teilchenzahlen machen. Vgl. Hofling 860 ff., 1040 ff. und Jordan in: Diirr 219 
ff. 

Vgl. Brody 107 ff. und Mittelstaedt 69 f., 107 sowie die Ausfuhrungen bezuglich der Subjektivitat und Ob- 
jektivitat von Erkenntnissen im weiteren Verlauf dieses Kapitels. 



Physikalismus 157 



daB es in der Natur echten Zufall, das soil heiBen Indeterminismus und Ursachenlosigkeit, 

Ubertriebene Deutungen der Unscharferelation tendieren dazu, von einer grundsatzlichen Uner- 
kennbarkeit der Welt zu sprechen.^ ^ ^ Man geht so weit zu sagen, daB die mikroskopischen Teil- 
chen nur potentielle Existenz und Eigenschaften besitzen^ ^ ^ und daB es keine objektive Welt 
gibt.^^^ Dagegen spricht jedoch u.a., daB gerade die Physik die Existenz universeller Konstan- 
ten wie etwa der Lichtgeschwindigkeit c oder des Planckschen Wirkungsquantums h belegt. 

Ein weiterer wichtiger Punkt in bezug auf die Erkenntnisfahigkeit des Menschen ist die Beto- 
nung der Beeinflussung des Erkannten durch den Erkennenden. Der Physikalismus beruft sich 
hier auf die Auswirkung der Messung von Quantenzustanden oder Teilchen durch einen Beob- 
achter. Da sich der eindeutige Zustand eines Mikroteilchens bzw. -systems erst durch die Mes- 
sung einstellt, sieht man die (scharfe) Trennung zwischen subjektiver und objektiver Erkenntnis 
im allgemeinen gefahrdet.^ ^ ^ Da die MeBinstrumente letztlich aus Teilchen (in der GroBenord- 
nung) wie die zu untersuchenden Teilchen bestehen, gibt es grundsatzlich keine geniigend fei- 
nen MeBinstrumente, um die gesamte Wirklichkeit beliebig genau zu untersuchen.^ ^ ^ , JDie phy- 
sikalischen Gesetze sind zugleich die Gesetze der MeBgerate und damit die physikalischen Be- 
dingungen, unter denen iiberhaupt experimentelle Ergebnisse gewonnen werden konnen."^^^ 

Entsprechend dem bisher Gesagten ist die Auffassung des Physikalismus vom Begriff der 
Wahrheit. Ahnlich wie fur den Biologismus gibt es auch fiir den Physikalismus keine absolute 
Wahrheit, kein unerschiitterliches Fundament aller Wissenschaft bzw. Wissenschaften.^ ^ ^ Dem- 
gemaB heiBt es: „the search for the absolute, for a wholly unshakeable foundation of our theo- 



Vgl. Hofling 860 ff., 1040 ff.; Mahner/Bunge 41 f. und Jordan in: Diirr 219 ff. Dagegen ist zu sagen, daB 
„Akausalitat" bzw. „Zufair' im Sinne einer physikalischen Ursachenlosigkeit zwar gegen einen materialisti- 
schen Determinismus spricht, aber keineswegs einen absoluten Zufall beweist, sondern das Vorhandensein des 
Geistigen und u.U. auch das des Geheimnisses offenbart. Siehe zur ausfuhrlicheren Behandlung des Zufalls 
Kapitel 4.3.2. 

Vgl. Guitton 14 ff. Von einer volligen Unerkennbarkeit der Realitat kann jedoch keine Rede sein. Bei der ge- 
nannten Behauptung handelt es sich um einen Selbstwiderspruch, da ihre Herleitung auf einer Reihe von 
Wahrheiten beruht, u.a. auf der Wahrheit bzw. Erkennbarkeit der physikalischen Messungen. Siehe zur aus- 
fuhrlicheren philosophischen Kritik an den in diesem Kapitel angefuhrten Erkenntnisauffassungen Kapitel 
4.2. 

Vgl. Hofling 1037 und Born in: Durr 92. 
Vgl. Durr 12 ff. 

Vgl. Hofling 400. „Es wird zwar bei jeder Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit auch in Zukunft notwen- 
dig sein, die objektive und subjektive Seite zu unterscheiden, einen Schnitt zwischen beiden Seiten zu ma- 
chen. Aber die Lage des Schnittes kann von der Betrachtungsweise abhangen, sie kann bis zu einem gewissen 
Grad willkiirlich gewahlt werden." Heisenberg in: Diirr 302; kursive Hervorhebung nicht im Original. 
Physikalische Antworten sind im allgemeinen nur Naherungen und mit Fehlern behaftet, z.B. mit MeBfehlern 
(die im MeBgerat oder dessen Ablesung liegen) und mit systematischen Fehlern wie etwa der Vernachlassi- 
gung fiir das Experiment wesentlicher Faktoren. Im Gegensatz zur klassischen Physik lassen sich in der 
Quantenphysik jedoch die Fehler nicht beliebig genau herausfiltern bzw. „wegrechnen". Vgl. Hofling 1036 
sowie Brody 139 ff. und siehe zum Problem der Beeinflussung des Systems durch Messungen auch Brody 239 
ff. 

Mittelstaedt 30. Vgl. auch Mittelstaedt 54 ff., 69 f. und 107 sowie Hofling 1036 ff. 

Es bleibt zu erwahnen, daB es auch Ausnahmen wie etwa Penrose gibt, der sich teilweise an Platon anlehnt 
und einen „Kontakt" mit der Welt der „Ideen" und „Wahrheit" fiir moglich halt. 



158 Physikalismus 



ries, is a snare and an illusion."^^'^ Physikalistisch betrachtet sind alle Theorien nur „Modelle" 
iiber die Welt. Das perfekte Modell und damit die Wahrheit iiber die Welt oder auch nur einen 
Teil von ihr halt man fiir ausgeschlossen.^ ^ ^ Letztlich soil trotz der im allgemeinen vertretenen 
Reprasentationstheorie^ ^ ^ der Wahrheit jede Aussage iiber die (quanten-)physikalisch verstan- 
dene Wirklichkeit vom Betrachter sowie dessen Standpunkt abhangig sein. 

Soweit zum Denken und den damit zusammenhangenden Fragen bezuglich Erkenntnis und 
Wahrheit. Nachfolgend wird das zweite Hauptmerkmal bzw. die Hauptfahigkeit des Geistes 
besprochen: der Wille. Mit diesem eng verkniipft ist der Begriff der Freiheit bzw. Willensfrei- 
heit. 



^^"^ Brody x. Siehe gegen diese dogmatistische und selbstwiderspriichliche Behauptung Kapitel 4.2. 

'^^ Vgl. Brody 13 ff. 

^^^ Vgl. Stapp 41. Zur Frage nach „Reprasentation" und „Bedeutung" siehe Stapp 191 ff. 



Physikalismus 159 



3.4.5 Wille 

Fiir die Frage nach dem Willen bzw. der Willensfreiheit des Menschen hatte und hat die Wende 
von der klassischen Physik zur Quantenphysik eine entscheidende Bedeutung. Die klassische 
Physik vertrat einen mechanistischen Determinismus, nach dem samthche Vorgange innerhalb 
des Universums durch eindeutig bestimmte und berechenbare Bewegungen und StoBe kleinster 
Teilchen festgelegt sind. Nach dieser Theorie war nirgends „Platz" fiir einen freien Willen, der 
in irgendeiner Weise EinfluB auf den Ablauf des Weltgeschehens nehmen konnteJ^^ Mit der Er- 
forschung quantenphysikalischer Effekte anderte sich diese Auffassung hin zu einem Indeter- 
minismus (vgl. Kapitel 3.4.2), dessen Auswirkungen auf das Verstandnis des Menschen und 
speziell seines Willens nachfolgend naher betrachtet werden.^ ^ ^ 

In den Augen des Physikalismus ist es die grundsatzliche quantenphysikalische Unbestimmtheit 
der Materie, die die Moglichkeit eines freien Willens schafft.^ ^ ^ Als Beispiel fiir die „Liicke im 
deterministischen Netz" gilt beispielsweise der bereits erwahnte radioaktive Zerfall einzelner 
Teilchen (vgl. Kapitel 3.4.4), der sozusagen „spontan" geschieht.^ ^ ^ Das Problem der physika- 
listischen Erklarung des freien Willens besteht vor allem darin zu zeigen, wie sich mikrophysi- 
kalische Quanteneffekte in die makrophysikalische Realitat, insbesondere die des Gehirns aus- 
wirken. Da Radioaktivitat fiir die taglichen neurobiologischen Aktivitaten des Menschen eine 
auBerst geringe RoUe spielt, konzentriert sich der Physikalismus darauf, den Willen anhand von 
Superpositionen und Reduktionen einer entsprechend groBen Zahl von Mikroteilchen (zugun- 
sten des Systems) zu erklaren. Im Rahmen des bereits mehrfach erwahnten Modells von Penro- 
se und Hameroff (vgl. Kapitel 3.4.2 und 3.4.4) bedeutet das beispielsweise folgendes: Ange- 
nommen jemand soil sich zwischen einer Reihe von moglichen Abendessen entscheiden. Dann 
gibt es fiir alle moglichen Gerichte A, B, C usw. eine bestimmte Anordnung a, b, c usw. von 
Mikroteilchen (etwa Tubulin-Dimeren) innerhalb des Gehirns. Vor der (bewuBten) Entschei- 
dung befindet sich der fiir den Willen zustandige Teil des zentralen Nervensystems mikrophysi- 
kalisch betrachtet in einem Uberlagerungszustand samtlicher Zustande a, b, c usw. Nach einer 
gewissen Zeit kommt es dann zur Reduktion auf einen eindeutigen, in die Makrowelt wirkenden 



737 



738 



739 



Vgl. Stapp 113 f. und Gierer 1991, 227 ff. 

Zur Auffassung, nach der lediglich die menschlichen Modelle der Welt, nicht jedoch die Welt selbst indeter- 

ministisch ist, siehe Brody 95 ff. 

Vgl. Kanitscheider 384 und Gell-Mann 234 ff. Die Zukunft ist demnach nicht determiniert, sondern „offen". 

Vgl. Gierer 1985, 27 ff. so wie 242 ff. und 262 ff. Dagegen ist bereits hier zu sagen, daB Quanteneffekte ein 

Problem bzw. eine Grenze fiir die Me s sung bestimmter Wirklichkeiten darstellt. tJber den ontologischen 

Stand dieser Wirklichkeit ist damit noch nichts ausgesagt. Siehe dazu Kapitel 4.3.2 und 4.5.5. 

Vgl. Jordan in: Diirr 220 ff. und Hofling 1040 ff. Bei solchen Vorgangen jedoch von „Nicht-Kausalitat" zu 

sprechen, ist problematisch, da der falsche Eindruck entstehen konnte, es gebe ein vollig ursachenloses Ge- 

schehen. Allenfalls cinQ physikalische bzw. materielle Ursachenlosigkeit ist denkbar. Geistige Ursachen diir- 

fen nicht grundsatzlich unbeachtet bleiben, wenn es um philosophische Fragen wie die nach dem Willen geht. 

Die Physik ersetzt eben nicht die Onotologie sondern setzt sie in gewissem Sinn voraus oder verweist auf sie. 

Siehe dazu die ausfuhrlichere Behandlung in den Kapitel 4.3.2, 4.5.3 und 4.5.5. 



160 Physikalismus 



Zustand, beispielsweise a, der die spontane, freie Wahl eines Gerichtes, in diesem Fall A, be- 
wirkt/'^ 

Hinsichtlich der Frage nach einer Determiniertheit des menschlichen Willens lautet die Anwort 
des Physikalismus: Der Wille ist weder vollkommen frei, noch ist er voUig determiniert. Er ist 
lediglich statistisch determiniert, d.h. er kann sich in einer mathematisch erfaBbaren Bandbreite 
von Wahrscheinlichkeiten bewegen.^^^ Mit Bezug auf den in der Quantenphysik eingefuhrten 
Begriff der Komplementaritat (vgl. Kapitel 3.4.2) wird die Spannung zwischen Freiheit und 
Determinismus von einigen Autoren als ein komplementares Phanomen eingestuft.^ ^ ^ 

Aus den bisherigen Ausfuhrungen folgt, daB der Physikalismus es fur grundsatzlich moglich 
erachtet, kiinstliche Systeme mit einem freien Willen zu konstruieren. Dabei denkt man vor al- 
lem an Quantencomputer (vgl. Kapitel 3.4.2). Auch wenn die technischen Moglichkeiten noch 
weit davon entfemt sind, einen Quantencomputer mit einer dem menschlichen Gehim ahnlichen 
Komplexitat zu bauen, ist man fur die Zukunft optimistisch. 

Im Vorgriff auf die philosophisch-anthropologische Kritik in Kapitel 4.5 ist hier emeuf ^^ dar- 
auf hinzuweisen, daB auch der Physikalismus das Leib-Seele-Problem nicht lost. Es bleiben 
z.B. die Fragen, wie Leib und Wille sich gegenseitig beeinflussen konnen oder anders ausge- 
driickt, mit welchen GroBen die Quanteneffekte wechselwirken soUen. Nach der mehrheitlichen 
Auffassung des Physikalismus geht die „Freiheit" gerade nicht auf eine substanzielle Geistseele 
als Trager freier Akte, sondem auf die quantenphysikalischen Eigenschaften der Materie zu- 
riick, so daB nicht von einer Wechselwirkung gesprochen werden kann. Eine Ausnahme zur 
monistischen Argumentation der Mehrheit der Physikalisten bildet dagegen beispielsweise John 
Eccles. Nach ihm ist es das nicht-materielle „Selbst" bzw. der „Wille", der die auf Quantenme- 
chanik zuriickgehenden Wahrscheinlichkeiten der Emission von Vesikeln aus parakristallinen 
prasynaptischen Vesikelgittem und somit das gesamte Schaltverhalten des Gehims beeinfluBt. 
Auch die Wirkung des Leibes, speziell des Gehims, auf den Geist bzw. Willen soil nach Eccles 
moglich sein.^^^ 



Vgl. Hameroff in: Philosophical Transactions 1882 ff. Damit ist das Problem der Freiheit und des Willens al- 
lerdings nicht gelost. Es bleibt u.a. die Frage, wodurch die Quantenzustande reduziert werden. AuBerdem wird 
der Physikalismus der ethischen Dimension der Freiheit nicht gerecht. Siehe zur Kritik einer rein naturwis- 
senschaftlichen Theorie des Willens sowie der ihr gegeniiber gestellten philosophischen Lehre Kapitel 4.5.5. 
Fur ein Verstandnis der Zusammenhange zwischen Wille und Gehirn ist auBerdem auch das Begriff spaar Form 
und Materie von entscheidender Bedeutung. Siehe dazu Kapitel 4.3.2. 

Vgl. Diirr 12 f. und Stapp 168 ff. Auch die kritische philosophische Reflexion (in Kapitel 4.5.5) kommt zu 
dem SchluB, daB der Mensch nicht grenzenlos frei ist. Die Bedeutung und die Begriindung dieser Erkenntnis 
unterscheiden sich jedoch erheblich vom hier Gesagten. Zu teleologischen Ursachen siehe auch Kapitel 4.3.2. 
Vgl. Stent in: Herbig/Hohlfeld 346 f. und Dorn in: Diirr 94 f. Dagegen ist zu sagen, daB sich physikalische 
Begriffe nur auBerst begrenzt auf philosophische Sachverhalte anwenden lassen. Die wesentlichen Probleme 
wie etwa die nach der Herkunft des Bosen oder die Verpflichtung zum Guten lassen sich so nicht losen. 
Vgl. die Ausfuhrungen zum Geist in Kapitel 3.4.3. 

Bei den Wechselwirkungen sollen die physikalischen Erhaltungssatze nicht verletzt werden. Vgl. Kapitel 
3.4.2 sowie Eccles, besonders 101 ff., 118 ff., 210, 217 f., 229 ff. und 250. Wie bereits zuvor muB jedoch 
kritisch beanstandet werden, daB die vermeintlich nicht-materiellen Begriffe wie „Geist" und „Wille" bei Ec- 
cles sich nicht mit den urspriinglichen philosophischen Begriff en decken. Vom Willen heiBt es beispielsweise 



Physikalismus 161 



In einem engen Zusammenhang zum Willen steht das BewuBtsein bzw. das SelbstbewuBtsein, 
ohne welches keine reflektierte, freie und verantwortliche Entscheidung gefallt werden kann. Im 
folgenden gilt es deshalb, die physikalistische Auffassung des BewuBtseins naher zu betrach- 
ten. 



bei Eccles (S. 36), er wiirde ein raum-zeitliches Muster aufweisen. Siehe zur kritischen philosophischen Be- 
leuchtung des Willens Kapitel 4.5.5. 



162 Physikalismus 



3.4.6 BewuBtsein und SelbstbewuBtsein 

Der Begriff und die Tatsache des BewuBtseins wird innerhalb des Physikalismus besonders 
haufig thematisiert. Dies diirfte hauptsachlich daran liegen, daB es eine Ahnlichkeit zwischen 
quantenphysikalischen Phanomenen und BewuBtseinsphanomenen zu geben scheint. Beide ent- 
ziehen sich (groBtenteils) einer Objektivierung, da sie perspektiven- bzw. beobachterabhangig 
sind Oder mit anderen Worten „subjektive" Ziige haben.^"^^ Dementsprechend betonen viele 
Autoren, daB Quanteneffekte das BewuBtsein erklaren und so die Psychologie revolutionieren 
Oder zumindest vervoUstandigen soUen. Andere dagegen heben hervor, daB erst das BewuBt- 
sein die Quantenphysik verstandlich macht oder zumindest vervoUstandigt.^ ^ ^ Gleichgultig auf 
welche Seite der Schwerpunkt gelegt wird, fest steht fiir den Physikalismus, daB fur ein Ver- 
standnis der Welt im allgemeinen sowie des Menschen und seines BewuBtseins im besonderen 
die klassische Physik unzureichend und eine quantenphysikalische Argumentation dringend ge- 
boten ist. 

Einen besonders starken Hinweis darauf, daB BewuBtsein nur durch die Quantenphysik erklart 
werden kann, besteht nach Penrose in der Tatsache, daB beide auf nicht-rechnerischen Vor- 
gangen beruhen. Ausgehend von den Ergebnissen Godels zeigt Penrose, daB mathematisches 
Erkennen im besonderen und Erkennen im allgemeinen nicht durch algorithmische Verfahren 
erklarbar bzw. moglich ist.^^^ Da es sich beim Erkennen um eine bewuBte Tatigkeit handelt, 
wird geschlossen, daB auch das BewuBtsein nicht ausschlieBlich algorithmisch sein bzw. erklart 
werden kann.^^^ 

Wie bereits in den vorhergehenden Kapiteln so spielt auch fiir die physikalistische Erklarung 
des BewuBtseins die Superposition und der KoUaps mikroskopischer Teilchenzustande im Ge- 
him die entscheidende RoUe. Welche Teilchen des zentralen Nervensystems fiir das BewuBtsein 
verantwortlich sein soUen und wie sich die Vorgange im einzelnen abspielen, ist umstritten. 
GroBtenteils einig ist man sich, daB es zur groBraumigen Quantenkoharenz und anschlieBenden 
Reduktion im Bereich der Synapsen kommen muB. Nach dem Modell von Penrose und Ha- 
meroff beispielsweise ist es wie bereits erwahnt (vgl. etwa Kapitel 3.4.2) die groBe Zahl der 
miteinander gekoppelten Tubulin-Dimeren, die in Quantenzustande eintreten und zu eindeutigen 
Zustanden reduziert werden konnen, die das Schaltverhalten der Neuronen beeinflussen bzw. 
steuem. BewuBtsein respektive bewuBte Zustande entstehen nach dieser Theorie jeweils in den 
Augenblicken des KoUapses der entsprechenden Zustandsfunktion.^ ^ ^ Durch die rasche Anein- 
anderreihung dieser bewuBten „Jetzt"-Erlebnisse soil der „Strom des BewuBtseins" entste- 



'4^ Vgl. Lockwood 176 f. 

^^^ Vgl. zum Verhaltnis zwischen Quantenphysik und Psychologie Hiley in: Pylkkanen et al. sowie Guitton et 

al. 107 ff. und Penrose 1995, 488. 
^^^ Vgl. Penrose 1995, besonders 159 ff., 272 ff., 464 ff. und Penrose 1997, 93 ff. 
^^^ Vgl. zum BewuBtsein, seiner schwierigen Definition sowie dem Zusammenhang zum Erkennen Penrose 

1991, 396 f. und Penrose 1995, 46 ff. 
^^^ Vgl. Hameroff in: Philosophical Transactions und Penrose 1995, 464 ff. 



Physikalismus 163 



hen/^^ Konkurrierende Ansatze sehen die bewuBten Phasen dagegen gerade wahrend des 
Uberlagerungszustandes und nehmen an, daB diese im Augenblick der Reduktion (kurzzeitig) 
verloschen.^ ^ ^ Da es im gesamten zentralen Nervensystem standig zu Superpositionen und Re- 
duktionen kommt, der Mensch jedoch nachweislich nicht standig bei BewuBtsein ist, nimmt 
man an, daB die genannten Quantenphanomene nur in ganz bestimmten Himregionen und unter 
geeigneten Bedingungen tatsachlich BewuBtsein erzeugen.^ ^ ^ 

Nach der Theorie Stapps reduziert das Gehim als eine Art MeBgerat die groBe Zahl der ver- 
schrankten Kalziumionen und aktualisiert so mehr oder weniger regelmaBig die fur BewuBtsein 
verantwortlichen Himregionen. „Certain Heisenberg events that actualize large-scale patterns of 
neuronal activity in human brains will be identified as the physical correlates of human con- 
scious events."^ ^^ 

Trotz der enormen Menge quantenphysikalischer Theorien bleibt das „MeBproblem" weitgehend 
ungelost. Wie ist es zu erklaren, daB gerade eine Messung die mikrophysikalischen Verhaltnisse 
dermaBen verandert? Bei der Frage, ob nur (selbst-)bewuBte Messungen den Zustandsvektor 
reduzieren, gehen die Auffassungen weit auseinander. Wahrend einige die Reduzierung aus- 
schlieBlich einem „geistigen" BewuBtsein zuschreiben, reichen nach anderen bereits geniigend 
groBe Teilchenverbande wie etwa die Neuronensysteme eines Gehirns.^^^ Gegen die Auffas- 
sung, daB ausschlieBlich das BewuBtsein den Zustandsvektor reduziert, spricht die unwahr- 
scheinliche Folgerung, wonach sich der groBte Teil des Universums in einem uberlagerten oder 
drastischer gesagt nur potentiellen Zustand befinden miiBte.^ ^ ^ 

Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daB fiir die physikalistischen Theorien, nach 
denen BewuBtsein und Quantenzustandsreduktionen aufs engste miteinander verbunden sind, 
unausweichlich ein Dilemma entsteht. Entweder besteht das BewuBtsein in Quanteneffekten 
oder es entsteht durch sie oder es wirkt durch Quantenvorgange. Alle Moglichkeiten stoBen auf 
erhebliche Probleme. Wenn BewuBtsein durch Quantenvorgange entstehen oder gar in ihnen 
bestehen soil, lassen sich die psychologisch gesicherten Eigenschaften und Fahigkeiten des 



^^^ Siehe dariiber hinaus zu einem „Strom des BewuBtseins" in dem fragwurdigen Sinne, daB die gesamte Wirk- 
lichkeit im FluB ist, Bohm in: Diirr 273 ff. 

Die Einheit des BewuBtsein soil durch den integrativen Charakter des Quantenereignisses bzw. der Messung 
kommen. Gemeint ist dabei, daB jeweils alle Superpositions„elemente" den neuen Zustand bilden. Vgl. Stapp 
134 ff., 148 f. und 185 ff. Zum Problem der Einheit bzw. zum „binding problem" siehe Hiley/Pylkkanen in: 
Pylkkanen. Die nur geistig zu verstehende Kontinuitat und Einheit des BewuBtseins ist jedoch letztlich durch 
keinen physikalischen und damit quantisierbaren Vorgang zu erreichen bzw. zu erklaren, wie Kapitel 4.5.6 
noch genauer begriinden wird. 

^^^ Vgl. Mould in: Foundations of Physics 1952. An beiden Sichtweisen ist problematisch, daB zwei unverstan- 
dene Phanomene, namlich das BewuBtsein und die quantenphysikalische Reduktion, miteinander verbunden 
werden und sich gegenseitig erklaren soUen. 

^^^ Vgl. Penrose 1995, 510 ff. 

'^^ Stapp 20. Vgl. zum BewuBtsein auch Stapp 92 f., 113 ff. und 153 ff. 

^55 Vgl. Pattee in: Boden 1996, 385. Man beachte die Gefahr des Zirkelschlusses, wenn man annimmt, daB nur 
BewuBtsein die Reduktion be wirkt und andererseits BewuBtsein durch Quantenreduktion entsteht bzw. in ihr 
besteht. 

^^^ Vgl. Penrose 1995, 415 ff. 



164 Physikalismus 



Menschen nicht oder nicht ausreichend verstehen.^^^ Nimmt man an, daB das BewuBtsein durch 
Quantenvorgange wirkt, ist man gezwungen, eine immaterielle GroBe anzunehmen und verlaBt 
so den selbst gewahlten Boden der Physik bzw. allgemeiner gesagt der Naturwissen- 
schaften.^^^ 

Nach der Auffassung der meisten Autoren des Physikalismus ist BewuBtsein ein graduelles 
PhanomenJ^^ es hat keine „all-or-nothing unity"^^V Die Koharenz und Reduktion von Super- 
positionszustanden reicht demnach von einfachsten Anhaufungen elementarer Teilchen iiber 
vielschichtige Anordnungen im Nervensystem von Tieren bis hin zum extrem komplexen zen- 
tralen Nervensystem des Menschen. Dementsprechend halt man die Entstehung des BewuBt- 
seins in Anlehnung an den Biologismus (vgl. Kapitel 3.3.6) fur einen evolutionaren ProzeB.^^^ 
Ganz auf dieser Linie wird im Rahmen des Physikalismus davon ausgegangen, daB es grund- 
satzlich moglich sei, kiinstlich oder anders gesagt technisch BewuBtsein zu erzeugen. Man halt 
die physikalistische Lehre des BewuBtseins fur eine empirisch testbare Theorie und konzentriert 
sich dabei einerseits auf die Konstruktion von (bewuBten) Quantencomputem und andererseits 
auf die quantenphysikalische Erforschung des zentralen Nervensystems.^^^ 

Als hochste Form des BewuBtseins gilt dem Physikalismus das SelbstbewuBtsein. Ent- 
sprechend den biologistischen Theorien sieht auch der Physikalismus das SelbstbewuBtsein als 
eine evolutionare Weiterentwicklung des BewuBtseins.^ ^^ Die Grundprinzipien des Selbstbe- 
wuBtseins entsprechen also denen des BewuBtseins. Das SelbstbewuBtsein wird wie in alien 
bisher behandelten Theorien als eine Art Metawissen und das soil heiBen als ein Wissen um das 
Wissen und den Wissenden verstanden. Eine vollstdndige Selbsterkenntnis halt man u.a. des- 
halb fur ausgeschlossen, weil Erkenntnis aufgrund der Unscharferelation grundsatzlich be- 
grenzt ist und die Selbstbeobachtung - wie jede Beobachtung - immer wieder den Zustand des 
Beobachteten andert.^ ^ ^ Haufig wird das SelbstbewuBtsein mit dem Selbst in enge Verbindung 



^^^ Gemeint sind beispielsweise die Kontinuitat und Einheit des BewuBtseins sowie die Moglichkeit der Selbster- 
kenntnis. 

^^^ Erneut zeigt sich hier, daB die Behandlung der wesentlichen anthropologischen Fragen eine Sache der Philoso- 
phie ist und letztlich metaphysisch angegangen werden muB. Siehe dazu Kapitel 4.3 und 4.5.6. 

^^^ Vgl. Hiley in: Pylkkanen et al. 37 und Penrose 1995, 510 ff. Siehe zum - angeblichen - BewuBtsein von 
Elementarteilchen auch Guitton et al. 113 ff. 

'^^ Lockwood293. 

^^^ Vgl. Eccles 172 ff.; Mould in: Foundation of Physics; Penrose 1995, 182 ff. und siehe fur eine Kritik daran 
Hennen 104 ff. Wesentliche „Ursache" der evolutionaren Entwicklung des BewuBtseins soil der Zufall sein: 
Die Existenz des erkennenden BewuBtseins fuBe „in der Koinzidenz verschiedener kosmischer Randbedingun- 
gen [...]" Kanitscheider 47. Die bereits in Kapitel 3.3 angedeuteten Einwande gegen den Evolutionismus gel- 
ten hier entsprechend. Siehe zur Kritik an den evolutionaren Auffassungen deshalb auch Kapitel 4.5.3 und 
4.5.8. 

^^^ Vgl. Hameroff in: Philosophical Transactions 1888 ff. 

'^^ Vgl. Eccles 172 ff. und 188 ff. 

^^^ Vgl. Planck 14 ff., wo die Ruckwirkung des Beobachtenden auf sich selbst (zunachst) ohne Ruckgriff auf die 
Quantenphysik analysiert wird. Man beachte allerdings die teilweise selbstwiderspriichlichen Ziige des Argu- 
mentes. 



Physikalismus 165 



gebracht oder sogar mit ihm gleichgesetzt. Wie im Fall des BewuBtseins so soil auch das 
SelbstbewuBtsein grundsatzlich technisch reproduzierbar sein, etwa durch einen Quantencom- 
puter/^^ Im Gegensatz zur Auffassung des Symbolismus und des Konnektionismus (vgl. Ka- 
pitel 3.1.6 und 3.2.6) ist es entsprechend der physikalistischen Theorie jedoch nicht moglich, 
exakte Kopien eines (menschlichen) SelbstbewuBtseins bzw. eines Selbst zu erzeugen.^^^ Dies 
lage an der uniiberwindbaren quantenphysikalischen Unbestimmbarkeit bzw. Unbestimmtheit, 
um nicht zu sagen Zufalligkeit. Diese Nicht-Reproduzierbarkeit soil damit eine Art „Individua- 
litat" jedes Quantensystems garantieren.^ ^ ^ Dazu im Widerspruch steht allerdings die allgemeine 
Auffassung, daB man eben gerade wegen der Unscharfe nicht mehr den Weg und den Ort ein- 
zelner „individueller" Mikroteilchen nachvoUziehen, ja uberhaupt nicht mehr von individuellen 
Teilchen sprechen kann.^ ^ ^ 

Zusammenfassend kann man festhalten, daB BewuBtsein bzw. SelbstbewuBtsein physikali- 
stisch aufgefaBt nicht auf einer seelischen bzw. geistigen Substanz im Sinne der Metaphysik 
sondem auf rein mikrophysikalischen Effekten basiert.^ ^ ^ 

Als erste Regung von BewuBtsein gelten oft die Gefuhle. Wie die Gefuhle aus Sicht des Physi- 
kalismus mit den bisher behandelten Begriffen zusammenhangen und was sie ausmacht, ist Ge- 
genstand des nachsten Kapitels. 



^65 Ygj Hameroff in: Philosophical Transactions, besonders 1888. 

^^^ Vgl. die Ausfuhmngen zum Geist in Kapitel 3.4.3 sowie Penrose 1991, 262. Demnach ist ein physikalisches 

Teleportationsgerat grundsatzlich unmoglich. 
^^^ Dagegen werden Kapitel 4.5.3 und 4.5.6 kritisch darlegen, daB echte Individualitat und Personalitat wesentlich 

mehr sind. 
'^^ Hofling 1038 f. 
^^^ Vgl. Stapp, besonders 160 und 170, wonach das Gehirn der einzige Trager von Erfahrung und BewuBtsein 

sein soil. Auch hier sei wieder auf die stellvertretende Ausnahme John Eccles hingewiesen, nach dem ein „im- 

materielles" Selbst mit dem Gehirn wechselwirkt. Vgl. Eccles, besonders 244 ff. Zum Nachweis der Existenz 

wahrhaft seelischer und geistiger GroBen siehe dagegen Kapitel 4.3 und 4.5.3. 



166 Physikalismus 



3.4.7 Gefuhle 

Auch die Gefuhle lassen sich nach physikalistischer Lehre nur durch quantenphysikalische Ef- 
fekte erklaren. Erst mit der Einbeziehung der Quantenphysik sei es moglich, den mechanischen 
und deterministischen Bereich zu verlassen und so den ganz anderen Bereich der mit Subjekti- 
vitat verbundenen Gefuhle zu erreichen.^^^ Uber die Entstehung der Gefuhle im einzelnen ist 
man sich nicht durchweg einig. Im Einklang mit dem Biologismus halt der Physikalismus je- 
doch dafur, daB Gefuhle sich evolutionar im Reich der Tiere entwickelt haben.^ ^ ^ 

Die Erklarung des „Wesens" der Gefuhle verlauft entsprechend dem mehrfach erlauterten 
Grundprinzip: innerhalb des Nervensystems bildet eine sehr groBe Zahl gewisser Mikropartikel 
ein groBraumiges Quantensystem, indem sie in eine verschrankte Uberlagerung verschiedener 
moglicher Zustande eintreten. Durch ein geeignetes Ereignis geschieht die Reduktion und es 
kommt zu einem eindeutigen (Gefuhls-)Zustand.^ ^ ^ Analog den Problemen bei der Erfassung 
des BewuBtseins (vgl. Kapitel 3.4.6) stellt sich auch hier die Frage, ob die Gefuhle in den je- 
weiligen Quantenvorgangen innerhalb des Nervensystems bestehen, von ihnen begleitet oder 
hervorgerufen werden. Wie beim BewuBtsein so soil auch die Kontinuitat der Gefuhle durch 
eine rasche Folge von Gefuhlsmomenten, insbesondere um den Zeitpunkt der Reduktion herum 
erklart werden.^ ^ ^ 

Gefuhle gelten dem Physikalismus als einfachste Form des graduell zu steigemden BewuBt- 
seins. Aufgrund der Analogic zu den Aussagen bezuglich des BewuBtseins diirfte es nicht iiber- 
raschen, daB es der Physikalismus trotz bisher fehlender Technologic fiir moglich halt, ein 
kiinstliches fuhlendes System zu konstruieren. 

Als die Grundlage der bisher genannten Fahigkeiten, Phanomene oder VoUzuge gilt das Leben. 
Im AnschluB an die bisherigen Ausfuhrungen wird das folgende Kapitel den sehr umfassenden 
Begriff des Lebens aus der Sicht des Physikalismus in Angriff nehmen. 



^^° Vgl. Stapp 147 ff. Oft wird ubrigens als Paradebeispiel fiir ein Gefiihl der Schmerz gewahlt. Im Zusammen- 

hang mit dem subjektiven und qualitativen Charakter von Gefiihlen und Wahrnehmungen wird haufig von 

„Qualia" gesprochen. Zu Qualia siehe Metzinger in: Kramer 51 ff. 
"^ Vgl. Eccles 188 ff. und Mould in: Foundations of Physics. 
"^ Vgl. Mould in: Foundations of Physics 1953 ff. und Stapp 153 ff. 
"^ Vgl. Stapp 155 ff. Das Zusammenhangen der einzelnen Momente soil dadurch garantiert sein, daB jeder Zu- 

stand aus vielen Komponenten besteht und mit seinen direkten Vor- und Nachgangern jeweils mehrere ge- 

meinsam hat. 

Auch dieses Modell verfehlt die wahre Einheit, die letztlich nur durch eine ungeteilte, nicht zusammengesetzte 

seelische oder geistige Substanz erreicht werden kann. Siehe dazu Kapitel 4.5.7. 



Physikalismus 167 



3.4.8 Leben 

Auch das Leben soil aus der Sicht des Physikalismus rein innerphysikalisch und insbesondere 
quantenphysikalisch verankert und damit ebenso erklarbar sein/^"^ In diesem Sinn vertritt eine 
groBe Zahl von Wissenschaftlem die „Vermutung, daB sich alle Aktivitaten der Tiere [und damit 
ist dann auch der Mensch gemeint; Anmerkung R. E.] auf atomarer Ebene erklaren lassen 
[...]" ^ Die wesentliche Neuerung gegeniiber den bereits sehr lange vertretenen Theorien, 
nach denen das Leben rein materialistisch-mechanisch zu verstehen ist J ^ ^ besteht in der quan- 
tenphysikalischen Unbestimmtheit. Weil die kiinftigen Zustande und Vorgange eines mikrophy- 
sikalischen Systems sich niemals beliebig genau aus den Anfangsbedingungen ergeben bzw. 
berechnen lassen, konnen Lebewesen nach der Lehre des Physikalismus keine Maschinen bzw. 
Automaten sein. 

Um das Wesen des Lebens zu erfassen, reicht es nach physikalistischer Anschauung nicht aus, 
die chemischen Vorgange auf der Ebene der Zelle und ihrer Bestandteile zu betrachten, auf der 
keine statistischen bzw. quantenphysikalischen Effekte zu bemerken sind. Erst durch noch tie- 
feres Eindringen, d.h. durch Untersuchung der Quantenvorgange auf den untersten Teilchene- 
benen, sei es moglich, das Geheimnis des Lebens zu luften. Da man bei der Erforschung des 
Lebens jedoch noch nicht so weit vorgedrungen ist wie in anderen Bereichen anthropologischer 
Fragestellungen, wird zunachst angenommen, daB Leben ein besonderer makroskopischer 
Quantenzustand ist.^ ^ ^ 

Lebendiges ist quantenphysikalisch betrachtet aus den gleichen Bestandteilen aufgebaut wie 
nicht Oder nicht mehr Lebendiges."^ Da der Physikalismus eine nur den Lebewesen zukom- 
mende besondere Substanz wie eine lebensspendende Seele ausschlieBt,^ ^ ^ muB das Leben fiir 
ihn auf besondere Zustande oder Zustandskombinationen entsprechender Mikroteilchen zuriick- 
gehen.^ ^ ^ Besonders auffallig ist das Vermogen der Lebewesen, der sie umgebenden Zunahme 
der Entropie bzw. Unordnung zu entkommen. In diesem Zusammenhang heiBt es: „Das Leben 
scheint ein geordnetes und gesetzmaBiges Verhalten der Materie zu sein, das nicht ausschlieB- 



^^^ Vgl. Gierer 1985, 65 ff. Siehe zu einer Entkraftung der Einwande gegen die Angemessenheit der Quantenphy- 
sik in bezug auf Lebewesen Stapp 121 ff. 

"^ Feynman201. 

"^ Siehe dazu etwa die Auffassung La Mettries (1709-1751), nach dem der Mensch eine Maschine ist. 

^" Vgl. Hameroff in: Philosophical Transactions 1890. 

"^ Vgl. Guitton et al. 50. 

"^ Man halt dies falschlich fiir „vitalistisch" und uberholt. Vgl. Schrodinger 124 ff. und Gell-Mann 180 ff. 

Es gibt jedoch auch Ansatze, nach denen das Leben auf besonders feinstoffliche Teilchen und ihre Wirkungen 
zuriickgehen soil. In Anlehnung an die Begriffe Elektron und Proton wurde so beispielsweise das fragwurdige 
Konzeptdes „Lifetron" eingefuhrt. Vgl. dazu Brophy 133 ff. Die Notwendigkeit der immateriellen Seele fur 
das Verstandnis des Lebens werden dagegen Kapitel 4.4.2 ff. und 4.5.8 darlegen. 

^^^ In diesem Zusammenhang schlieBen andere, es sei moglich, „den einzigen grundlegenden Unterschied zwi- 
schen dem Unbelebten und dem Belebten zu erfassen: Das eine enthalt ganz einfach mehr Informationen als 
das andere". Guitton et al. 50. Leider sehen physikalistische Autoren nicht, daB diese In-F6>rmation deutlich 
auf eine nicht-materielle Form verweist. Siehe zur ausfuhrlicheren Herleitung des Form-Materie-Verhaltnisses 
Kapitel 4.3.2. 



168 Physikalismus 



lich auf ihrer Tendenz, aus Ordnung in Unordnung uberzugehen, beruht, sondem zum Teil auf 
einer bestehenden Ordnung, die aufrechterhalten bleibt."^^^ Leben lieBe sich in diesem Sinn 
physikalisch, jedoch noch nicht unbedingt quantenphysikalisch, als eine Art Aufsaugen von ne- 
gativer Entropie aus der Umwelt definieren.^ ^ ^ In einer anderen Formulierung heiBt es, Leben 
griinde in der (quantenphysikalisch verankerten) Tendenz der Materie zur Selbstorganisation.^ ^ ^ 
Das Leben ist physikalistisch betrachtet ein Phanomen, das auf (quanten-)physikalische Irrever- 
sibilitat und komplexe, dynamische Nicht-Gleichgewichtvorgange zuriickgeht.^ ^ ^ 

Die Entstehung des Lebens erklart der Physikalismus in Anlehnung an den Biologismus (vgl. 
Kapitel 3.3.8) durch Evolution.^ ^ ^ Wegen der vermeintlichen Selbstorganisation der Materie 
wird die (erstmalige) Schopfung des Lebens durch ein transzendentes Wesen abgelehnt. Der 
Quanten-Zufall gilt als der einzige „Schopfer" innerhalb der Evolution.^ ^ ^ Fur den Physikalis- 
mus entstand Ordnung und Leben demnach im Rahmen der kosmischen Evolution durch Ab- 
kiihlung von Temperaturen im Bereich von 10^^ °K auf solche im Bereich von einigen hundert 
°K und schlieBlich auf die heute ubliche Erdoberflachentemperatur.^ ^ ^ Aus Elementarteilchen 
soUen sich so groBere Teilchen wie Protonen und Neuronen entwickelt haben, aus denen sich 
dann Atome, Molekiile und schlieBlich die DNS bildeten. Dabei handele es sich nach jedem 
Ubergang (durch eine kurzfristige Instabilitatsphase hindurch) in die nachst hohere Materieform 
stets um stabilere Quantenzustande.^ ^ ^ 

Obwohl die Forschung bezuglich dieser Frage noch sehr weit am Anfang steht, halt der Physi- 
kalismus es fiir grundsatzlich moglich, im voUen Sinne lebendige Systeme zu konstruieren. 
Auch hier konzentriert man sich auf Quantencomputer. 

Das Altem und letztlich der Tod der Lebewesen entstehen physikalistisch betrachtet durch die 
Anhaufung extemer und intemer quantenhafter Storungen.^ ^ ^ Diese gequantelten Storungen 
sind es, die die Struktur des lebendigen Systems zerstoren und die - insbesondere wenn sie die 



785 
786 



Schrodinger 122. 

Vgl. Schrodinger 128 f. und 134. Unter diese Definition fallen jedoch auch nicht lebendige Enzymsysteme. 

Vgl. Fischer in: Schrodinger 21 f. 

Vgl. Guitton et al. 49 ff. Dagegen ist jedoch zu sagen, daB eine buchstabliche Selbstorganisation der Materie 

unmoglich ist. Stets bedarf es der wesensfremden Form, um Materie zu organisieren bzw. zu formen. Siehe 

dazu Kapitel 4.3.2. 

Vgl. Prigogine 1995, 31 f. und 87 sowie Prigogine 1997, 3 und 158 ff. 

Vgl. Eccles 242 ff.; Guitton et al. 49 ff.; Gierer 1985, 99 ff. und Gierer 1998 79 sowie Gell-Mann 333 ff. 

Vgl. Monod 106 ff. und Mahner/Bunge 41 f. Insbesondere Mutationen gehen demnach auf Quantenzufalle zu- 

riick. Vgl. auch Schrodinger 74, 116 ff. und Bohr in: Diirr 149. 

Gegen den Zufall als „Schopfer" ist bereits hier anzumerken, daB Zufall (ontologisch betrachtet) gerade in ei- 

nem Mangel besteht und darum aus sich heraus nichts Neues oder Hoherwertiges schaffen kann. Siehe dazu 

Kapitel 4.3.2. 

Leben entsteht im „mittleren" Temperaturbereich, also weder bei Temperaturen um °K noch bei mehreren 

hunderttausend °K. Vgl. dazu auch Gell-Mann 176 ff. 

Vgl. Kanitscheider 382 ff. sowie Bohr in: Diirr 149 und siehe zur kosmischen Evolution auch Spaemann/Low 

226. Zum umstrittenen „anthropischen Prinzip", nach dem der Mensch die (teleologische) Ursache fiir das 

Sein oder zumindest das So-Sein des Universums ist, siehe Gierer 1998, 141 ff. und Kanitscheider 401 ff. 

Vgl. Monod 105 ff. 



Physikalismus 169 



fiir Reparatur und Reproduktion verantwortlichen Telle treffen - fiir das In der Regel Irrever- 
sible Ende des Lebewesen sorgen. Aus physlkallstlscher Slcht kann der Tod als das - vorlaufl- 
ge - Entroplemaxlmum bzw. das thermodynamlsche Glelchgewlcht elnes dynamlschen Sy- 
stems verstanden werden/^^ Das tote System vermag es nlcht mehr, Entrople an die Umwelt 
abzugeben bzw. Ordnung von Ihr aufzunehmen und fallt daraufhln In elnen (quantenphyslka- 
llsch) wahrschelnllcheren, ungeordneteren Zustand. 



^^° Vgl. Schrodinger 124 ff. und Titze 113 ff. Bezogen auf das gesamte Universum spricht man in diesem Zu- 
sammenhang vom „Warmetod des Universums" und meint damit den thermodynamischen Endzustand, in dem 
keine chemischen bzw. physikalischen Reaktionen mehr moglich sind. 



170 Physikalismus 



3.4.9 Zwischenfazit zum Physikalismus 

Mit Blick auf die Ergebnisse der vorigen Kapitel laBt sich die physikalistische Theorie folgen- 
dermaBen zusammenfassen: Die Physik und hier vor allem die Quantenphysik ist die universelle 
Wissenschaft; sie laBt sich auf die gesamte Wirklichkeit anwenden, da diese durchweg aus 
(quanten-)physikalisch bestimmter Materie besteht.^^^ Einen Wesensunterschied zwischen dem 
Menschen und der restlichen Wirklichkeit, etwa aufgrund einer von der Materie wesentlich un- 
terschiedenen Substanz (wie des Geistes), gibt es fur den Physikalismus nicht.^^^ Auch der 
Mensch und seine Fahigkeiten sind letztlich quantenphysikalisch „aufgebaut" und lassen sich 
dementsprechend nicht durch klassische, sondem nur durch quantenphysikalische Theorien er- 
klaren. Dazu ist vor allem eine quantenmechanische Erforschung und Beschreibung des zentra- 
len Nervensy stems und insbesondere des Gehims notig. 

Auch wenn die Einzelheiten der quantenmechanischen Funktionsweise des Gehims noch nicht 
ausreichend geklart sind, so steht fur den Physikalismus doch das Grundprinzip fest. Samtliche 
„seelischen" bzw. kognitiven Fahigkeiten soUen auf die weitraumige Superposition, raum- 
zeitliche Veranderung und anschlieBende Reduktion einer sehr groBen Zahl mikroskopischer 
Teilchen zuriickgehen. Wenn die entsprechenden Quanteneffekte in der Zukunft erst einmal an- 
gemessen verstanden und handhabbar waren, lieBen sich nach der Vorstellung des Physikalis- 
mus die „seelischen" und „geistigen" Vermogen grundsatzlich mit einem entsprechend komple- 
xen Quantensystem bzw. -computer verwirklichen. Intelligente, bewuBte, freie, fuhlende und 
lebendige Computer soUen also moglich sein. 

Als Gemeinsamkeiten des Physikalismus mit den anderen behandelten Theorien sei hier vor al- 
lem auf die immer wieder verheiBene, kiinftige „ideale bzw. voUstandige Wissenschaft" und die 
Affinitat zur Evolution verwiesen. 

Anders als bei den bisher vorgestellten Theorien lassen sich die quantenphysikalischen Vorgan- 
ge grundsatzlich nicht fur jeden Einzelfall vorhersagen, also im allgemeinen auch nicht algo- 
rithmisch beschreiben und berechnen. Aus der quantenphysikalischen Unbestimmtheit folgt 
dariiber hinaus, daB exakte Kopien von kognitiven Systemen, um nicht zu sagen Menschen, 
ausgeschlossen sind. Damit ist jedoch bei weitem noch keine echte Individualitat und Persona- 
litat (im philosophischen Sinne) erreicht.^ ^ ^ 

Wie schon den drei anderen naturwissenschaftlichen Theorien, so gelingt auch dem Physikalis- 
mus letztlich keine befriedigende Erklarung der anthropologischen Gegebenheiten. So bleiben 



^^^ Als wesentliche Einschrankung wird dabei allerdings zugegeben, daB es noch keine Kompatibilitat von Quan- 
ten- und Relativitatstheorie gibt. Da man diese jedoch fiir moglich halt, steht dem Allgemeingultigkeitsan- 
spmch des Physikalismus nach eigener Auffassung kein grundsatzliches Hindernis im Weg. 

^^^ Vgl. auch Schommers 14 ff. Die Stellung des Menschen ist in den Augen des Physikalismus besonders be- 
driickend: Er hat nur einen verschwindend kurzen Auftritt und winzige AusmaBe im Vergleich zu den GroBen- 
ordnungen des Weltalls mit seinem Alter von etwa 10 Milliarden Jahren und den liber 100 Milliarden Sternen, 
die alleine im MilchstraBensystem zu finden sind. 

^^^ Siehe zur Individualitat und Personalitat Kapitel 4.5.3 und 4.5.6. 



Physikalismus 171 



beispielsweise das Leib-Seele-Problem und insbesondere die Frage, wie der Leib bzw. das Ge- 
him auf den Geist wirkt, weiter offen. Bezuglich der Ethik ist festzuhalten, daB diese zwar nicht 
mehr durch deterministisch gepragte Gleichgultigkeit bedroht wird, der neuen „Freiheit" im 
Sinne der quantenphysikalischen Unbestimmtheit jedoch wesentliche Grundlagen wie ein letztes 
Ziel und ewige Werte fehlen/^"^ Auch der Begriff des Geistes wird nicht hinreichend erfaBt und 
zu Ende gedacht. Das gleiche gilt fur die anderen in der Arbeit behandelten Begriffe wie etwa 
den des Willens oder des Lebens. Das Hauptproblem des Physikalismus besteht darin, daB 
auch er die Ebene des MeB- bzw. Quantisierbaren nicht verlaBt. 

Bevor Kapitel 4 zur philosophischen Kritik ansetzt, blickt das nachfolgende Kapitel noch ein- 
mal auf alle vier naturwissenschaftlichen Theorien zuriick und ruft so die Not zur philosophi- 
schen Reflexion emeut ins BewuBtsein. 



Siehe zu einem nicht uberzeugenden Versuch, die Ethik auf der Quantenphysik aufzubauen, Stapp 202 ff. 



172 Reslimee der Gmndauffassungen 



3.5 Resumee der Grundauffassungen 

Im Ruckblick auf die in Kapitel 3.1 bis 3.4 vorgestellten Theorien des Menschen und der 
Kiinstlichen Intelligenz zeigt sich, daB jede naturwissenschaftliche Disziplin bzw. Theorie ihre 
philosophischen Pramissen hat und - meist implizit und unbewuBt - „Philosophie" betreibt.^^^ 
Bevor die ausfuhrliche philosophische Kritik dieser philosophischen Bestande naturwissen- 
schaftlicher Theorien (in Kapitel 4) einsetzt, faBt dieses Kapitel noch einmal deren wichtigste 
Ergebnisse und Schwachstellen zusammen. 

Das alien vier Grundauffassungen gemeinsame Welt- und Menschenbild laBt sich vor allem auf 
den Nenner bringen, daB es keinen uniiberwindbaren Wesensunterschied zwischen dem Men- 
schen und der restlichen Wirklichkeit sieht. Der Mensch hat demnach weder systemtheoretisch 
noch biochemisch, physikalisch oder in irgendeiner philosophisch relevanten Weise eine Son- 
derstellung. Das gemeinsame Ziel ist dementsprechend die Schaffung eines kiinstlichen Men- 
schen oder zumindest einer „Kiinstlichen Intelligenz". Alle vier Theorien erklaren den Men- 
schen „von unten her", d.h. im Sinne einer weltlichen Immanenz. Sie lassen dadurch jedoch 
den Menschen letztlich auf die Ebene der Gegenstande bzw. Korper herabsinken. Er wird zu 
einem mehr oder weniger austauschbaren Teil bzw. Subsystem innerhalb eines komplexen 
Weltsy stems. Der Mensch wird in Verdrehung der wahren Verhaltnisse analog zur Dingwelt, 
zur Technik oder giinstigstenfalls zum Tier verstanden. Die Ergebnisse der jeweiligen naturwis- 
senschaftlichen Untersuchungen miinden haufig in stark verkiirzte und ebenso verzerrte Bilder 
des Menschen.^ ^^ Die Einschrankung des Wirklichkeitsverstandnisses auf den naturwissen- 
schaftlich erfaBbaren Teil des Seins hat deutliche Auswirkungen auf samtliche anthropologi- 
schen Begriffe. Am offensichtlichsten ist dies bei der Frage nach der Freiheit des Willens. Aber 
auch bei der Behandlung des Geistes, der Intelligenz, des Denkens und Erkennens, des Be- 
wuBtseins und SelbstbewuBtseins, der Gefuhle sowie des Lebens wurde deutlich, daB eine im 
Quantifizierbaren stehenbleibende Behandlung nicht zum Wesen der einschlagigen GroBen 
bzw. Vermogen vordringt.^ ^ ^ Evolutionistische Ansatze widersprechen dariiber hinaus haufig 
dem metaphysischen Kausalprinzip, da sie eine Entwicklung vom seinsmaBig Unvollkomme- 
nen zum Vollkommeneren ohne das Eingreifen einer entsprechend vollkommenen Ursache an- 
nehmen. Zu nennen ist auch das Leib-Seele-Problem, das letztlich nicht gelost wird. AuBerdem 
konnen die genannten Theorien nicht das Ziel bzw. den Sinn des Lebens erklaren.^ ^^ Ohne die- 



^^^ Die Physik (und die Naturwissenschaften im allgemeinen) sind „weit davon entfernt, frei von metaphysischen 
Elementen zu sein". Schommers 20 und vgl. Schommers 20 ff. Ihre Gesetze ubersteigen samtliche tatsachli- 
chen und sogar alle nur moglichen Erfahrungen, wie etwa das Beispiel der Induktion oder der Begriff des „un- 
endlichen" Feldes zeigen. 

^^^ „Wir miissen also zu dem SchluB kommen, daB ein nur-physikalisches Bild des Menschen, sei es genetisch 
oder kybernetisch oder sonstwie betont, nicht nur ein Zerrbild quasi in einer Seitendimension ist, in dem ge- 
wisse ethisch neutrale Bestandteile abgetrennt waren. Es ist auch ein Zerrbild nach unten in der Wert- 
dimension. Es ist entwertend in jeder Hinsicht.'' Heitler in: Herbig/Hohlfeld 485. 

^^^ Siehe dazu neben den Ausfuhrungen in Kapitel 4 auch Hennen, etwa die Zusammenfassung auf S. 17. 

^^^ „Am schmerzlichsten ist das vollige Schweigen unseres ganzen naturwissenschaftlichen Forschens auf unsere 
Fragen nach Sinn und Zweck des ganzen Geschehens." Schrodinger in: Dtirr 169. 



Reslimee der Gmndauffassungen 173 



sen ware aber keine objektive Ethik moglich/^^ und auch die Schaffung „Kunstlicher Intelli- 
genzen" ware letztlich wert- und sinnlos. 

Zu beklagen ist an den naturwissenschaftlichen Theorien in diesem Zusammenhang auBerdem 
eine empiristische Verwendung von urspriinglich philosophischen Begriffen sowie eine Ver- 
kiirzung der ihnen innewohnenden originaren Bedeutungen. Zudem werden Begriffe haufig 
nicht ausreichend differenziert. So werden beispielsweise BewuBtsein und SelbstbewuBtsein 
sowie Geist und Seele nicht oder nicht ausreichend unterschieden. Andere Begriffe, wie etwa 
derjenige der meist unzureichend definierten Komplexitat, dienen haufig dem Ersatz fehlender 
argumentativer Klarheit. 

Wie sich zeigt, ist alien Ansatzen eine entschiedene Ablehnung der klassischen, realistischen 
Philosophic, insbesondere der Ontologie und Anthropologic gemeinsam. Vor allem die Auffas- 
sung der menschlichen Geistseele als immaterielle, geistige Substanz und Trager der Willens- 
und Erkenntnisakte wird von der groBcn Mehrheit der Wissenschaftler vorschnell abgewiesen. 
Eine naturwissenschaftliche Anthropologic soil nach ihrem Selbstvcrstandnis helfcn, die ver- 
meintlich uberkommenen Auffassungen der „folk psychology" abzulosen, so wie es bereits bei 
der „folk physics" bzw. der klassischen Physik geschehen ist. Auffallig ist in diesem Zusam- 
menhang auch die Tatsache, daB die jeweiligen Einzelwissenschaften, insbesondere die Physik, 
dazu neigen, jeweils die „Basiswissenschaft" sein zu woUen.^^^ Die einzelnen Perspektiven, 
aus denen die jeweiligen Wissenschaften den Menschen und die KI betrachten, werden in die- 
sem Zusammenhang haufig verabsolutiert und geraten damit auf unhaltbare Abwege: Sic iiber- 
schreiten ihre eigenen Grenzen und werden zu Ismen.^ ^ ^ 

Zusammenfassend kann gesagt werden, daB die vier bisher behandelten Theorien einen philo- 
sophischen Materialismus vertreten, da sic die Existenz geistiger Substanzen, die sich in ihrem 
Wesen unreduzierbar vom Materiellen unterscheiden, fiir ausgeschlossen halten. Der Materia- 
lismus zielt deutlich auf die Auflosung der Metaphysik bzw. der Ersten Philosophic. Die ge- 
samte Wirklichkeit soil rein naturwissenschaftlich erklart werden. Metaphysik ist demnach an- 
geblich uberflussig, wenn nicht uberholt. Dieser Dogmatismus^ ^ ^ ist jedoch fiir die Wissen- 
schaft im allgemeinen und insbesondere fiir so hochgradig differenzierte Fragen wie die nach 
dem Wesen der Intelligenz, des Geistes etc. ungeeignet. 



^^^ Sehr deutlich heiBt es deshalb zutreffend bei Foerst: „Zusammenfassend kann demnach festgehalten werden, 
daB in KI Profanisiemng, Unkultur und Unmoral interdependent sind und alle wiederum von der radikalen 
Immanenz der KI abhangen." Foerst 310. 

'^^^ Vgl. Schommers 20 und 31. AuBerdem sieht sich etwa die Physik als die „exakteste aller Naturwissen- 
schaften". Planck in: Diirr 29. 

'^^^ Zu falschen Verallgemeinerungen naturwissenschaftlicher Erkenntnisse heiBt es deshalb bei Herbig/Hohlfeld: 
Viele Naturwissenschaftler „leiten aus einem eingeschrankten Wirklichkeitsverstandnis SchluBfolgerungen ab, 
die den erkenntnistheoretischen Rahmen ihres Modells weit uberschreiten". Herbig/Hohlfeld 519. Vgl. dazu 
und zur Gefahr des Reduktionismus auch Herbig/Hohlfeld 20 und Luyten in: Luyten 287 f. 

'^^^ „Nach wie vor beherrschen Materialisten die Diskussion, well sie einem dogmatischen Glaubenssystem an- 
hangen, das sie zu einer fast religiosen Orthodoxie verpflichtet [...]" Eccles 12. 



174 Resumee der Gmndauffassungen 



Um jedoch keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen, ist festzuhalten, daB Naturwissen- 
schaft und Naturwissenschaftler keineswegs allesamt so kurzsichtig und philosophisch unre- 
flektiert auftreten, wie dies bei der bisher erfolgten Profiliemng scheinen mag. Es geht dieser 
Arbeit deshalb auch nicht darum, pauschal die Naturwissenschaften anzugreifen, sondem viel- 
mehr deren „istische" Tendenzen und Fehlsichten aufzudecken und zu widerlegen. Dabei ist es 
jedoch wichtig festzuhalten, daB alle vier Theorien eine Vielzahl wahrer Gegebenheiten der 
menschlichen Konstitution aufdecken, wofur die Philosophie sehr dankbar ist. Die philosophi- 
sche Kritik naturwissenschaftlicher Forschungsergebnisse hat in diesem Sinne das Ziel, der 
enormen Menge informationstechnischer, neurobiologischer und quantenphysikalischer Daten 
eine einheitsstiftende, konsistente und reflektierte Theorie oder mit anderen Worten die philoso- 
phische Grundlage zu geben bzw. sie in diese einzugliedem. 

Zur besseren Ubersicht gibt die folgende Tabelle noch einmal die anthropologischen Hauptaus- 
sagen der vier Gmndauffassungen Symbolismus, Konnektionismus, Biologismus und Physi- 
kalismus stichpunktartig wieder. Um alles in einer Tabelle unterbringen zu konnen, muBten die 
Aussagen teilweise sehr stark gerafft werden. Fur ein angemessenes Verstandnis sei deshalb 
ausdriicklich auf die jeweiligen Kapitel verwiesen, in denen die Sachverhalte differenziert be- 
trachtet werden. 



Reslimee der Gmndauffassungen 175 





Symbolismus 


Konnektionismus 


Biologismus 


Physikalismus 


Intelligenz 


Intelligenz ist die algorithmische Lo- 
sung symbolisch kodierter Probleme. 


Intelligenz ist das angepaBte Verhalten 
eines komplexen Netzes einfacher 
Schaltelemente. 


Intelligenz ist das durch Evolution ent- 
standene angepaBte Verhalten hoch- 
entwickelter Lebewesen. 


Intelligenz ist die Reduktion der Uber- 
lagemng von durch Mikropartikel re- 
prasentierten Losungen auf die richtige. 


Seele/Geist 


Seele/Geist ist Epiphanomen oder 
emergente Eigenschaft komplexer 
Sy mbolverarbeitung . 


Seele/Geist ist Epiphanomen oder 
emergente Eigenschaft komplexer 
(kiinstlicher) neuronaler Aktivitat. 


Seele/Geist ist Epiphanomen oder 
emergente Eigenschaft hoch/hochst 
entwickelter Nervensysteme. 


Seele/Geist ist Epiphanomen oder 
emergente Eigenschaft weitraumiger 
Superpositionen und Reduktionen. 


Denken 


Denken ist (abstrakte) Symbolverar- 

beitung. 

Thinking is computing. 


Denken ist die dynamische Veranderung 
einer neuronalen Netzstruktur. 


Denken ist die dynamische Aktivitat 
gewisser Bereiche in hochentwickelten 
Gehirnen. 


Denken besteht in weitraumiger Super- 
position, Weiterentwicklung und Re- 
duktion von Quantenzustanden. 


Erkennen 


Erkennen ist die Ubereinstimmung 
der symbolischen Strukturen mit de- 
nen der Systemumgebung. 


Erkennen ist die Anpassung eines pla- 
stischen neuronalen Netzes an die 
Struktur der Netzumgebung. 


Erkennen ist die evolutionar bewirkte 
Anpassung komplexer Hirntatigkeit an 
die Umwelt. 


Erkennen ist die Reduktion von Quan- 
tenzustanden zur Korrespondenz der 
Mikroteilchen mit der Umwelt. 


Wille 


Wille ist die scheinbare 
Unvorherbestimmtheit der Symbol- 
verarbeitung. 


Wille ist die scheinbare 
Unvorherbestimmtheit der Netzwerk- 
Relaxation. 


Wille ist das triigerische Gefiihl der Un- 
vorherbestimmtheit der Aktivitat 
hochentwickelter Gehirne. 


Wille ist die Festlegung der quanten- 
physikalischen Unbestimmtheit zu- 
gunsten des Systems. 


BewuBtsein 


BewuBtsein besteht in oder entsteht 
durch komplexe Symbolstrukturen 
bzgl. des eigenen Systems. 


BewuBtsein ist ein graduelles, emergen- 
tes Phanomen komplexer (kiinstlicher) 
neuronaler Aktivitat. 


BewuBtsein ist ein graduelles, emergen- 
tes Phanomen komplexer neuronaler 
Aktivitat. 


BewuBtsein entsteht durch die Redukti- 
on des Uberlagerungszustandes be- 
stimmter komplexer Quantensysteme. 


SelbstbewuBtsein 


SelbstbewuBtsein besteht in oder ent- 
steht durch superkomplexe Symbol- 
strukturen bzgl. des eigenen Systems. 


SelbstbewuBtsein ist die hochste Form 
des BewuBtseins, also superkomplexe 
Aktivitat neuronaler Netze. 


SelbstbewuBtsein ist die hochste Form 
des BewuBtseins, also superkomplexe 
Neuronenaktivitat. 


SelbstbewuBtsein ist die hochste Form 
des BewuBtseins, also superkomplexe 
Reduktion von Quantenzustanden. 


Gefuhle 


Gefiihle sind dem System hilfreiche 
Symbolstrukturen (unter Umstanden 
Nebenprodukte). 


Gefuhle sind dem Netz dienliche dyna- 
mische Aktivitatsmuster (unter Um- 
standen Nebenprodukte). 


Gefiihle sind dem Uberleben dienliche, 
evolutionar entstandene, dynamische 
Aktivitatsmuster des Hirns. 


Gefiihle sind die einfachste Form des 
BewuBtseins. 


Leben 


Leben ist die Reproduktion und der 
„Stoffwechsel" von Symbol- 
verarbeitungssystemen. 


Leben ist die Reproduktion und der 
„Stoffwechsel" (kiinstlicher) neuronaler 
Netze. 


Leben ist das durch Evolution entstan- 
dene und auf DNS aufbauende Verhalten 
von Zellen. 


Leben ist ein auf Irreversibilitat zu- 
riickgehendes, dynamisches Nicht- 
Gleichgewichtsphanomen. 


Mensch 


Der Mensch ist das bisher komplexe- 
ste Symbolverarbeitungssystem. 


Der Mensch ist das bisher komplexeste 
neuronal gesteuerte System. 


Der Mensch ist das evolutionar am wei- 
testen entwickelte Tier. 


Der Mensch ist das komplexeste Sy- 
stem, durch das Quanteneffekte ko- 
ordiniert ins Makroskopische wirken. 



Tabelle 1 



176 Philosophische Betrachtung 



4. Philosophische Kritik 

4.1 Philosophische Betrachtung 

4.1.1 Notwendigkeit der philosophischen Betrachtung 

Wie Kapitel 3 gezeigt hat, weisen rein naturwissenschaftliche Theorien vom Menschen und 
der KI erhebliche Defizite auf und sind haufig wirklichkeits- und erkenntnistheoretisch zu un- 
differenziert. Zu nennen ist hier vor allem der Materialismus, also die Verkiirzung der Ge- 
samtwirklichkeit auf die materielle Wirklichkeit. Aus ihm ergeben sich kaum zu uberschat- 
zende Folgen fur das Welt- und Menschenbild. Am offensichtlichsten ist die ethische Kata- 
strophe, die aus der Verengung bzw. Veranderung des Menschenbildes und insbesondere der 
nicht mehr gesehenen Sonderstellung des Menschen resultiert. Aber auch auf anderen Gebie- 
ten wie etwa der Erkenntnistheorie zeigen sich deutliche Verkiirzungen und Verschiebungen. 

Wahrend die Relevanz, Tragweite und Auswirkungen der KI-Theorien und KI-Diskussionen 
der Forschung und der Offentlichkeit immer bewuBter werden, steht eine Losung der entstan- 
denen Probleme (alleine) durch die Naturwissenschaften nicht in Aussicht. Das ist philoso- 
phisch betrachtet nicht verwunderlich, denn es laBt sich zeigen, daB einzelwissenschaftliche 
bzw. innernaturwissenschaftliche Argumente die genannten Schwierigkeiten grundsatzlich 
nicht losen konnen, well sie die jeweilige Problematik stets unter einem Spezialaspekt behan- 
deln/^^ Aus diesem Grund ist fur eine Losung der in die Gesamtwirklichkeit einzuordnenden 
Wesensfragen eine philosophische Betrachtungsweise bzw. Reflexion notig. Wie sich noch 
genauer zeigen wird, ist insbesondere eine philosophische Erkenntnistheorie und Metaphysik 
unverzichtbar. Erst vor diesem Hintergrund ist es moglich, zu der im Titel der Arbeit ge- 
nannten „kritischen Bewertung der unterschiedlichen Grundauffassungen" des Menschen und 
der vermeintlichen KI zu gelangen. Was die Philosophic ausmacht und wie sie zur einzelwis- 
senschaftlichen Forschung steht, ist Gegenstand des folgenden Kapitels. 



Siehe dazu Kapitel 4.1.2 und den weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit. 



Philosophische Betrachtung 177 



4.1.2 Wesen der Philosophic 

Fiir die philosophische Kritik einzelwissenschaftlicher Theorien vom Menschen und der KI 
ist es hilfreich, die Frage zu klaren, was die Philosophie^^"^ ist und wie sie zu den Einzelwis- 
senschaften steht.^^^ Zunachst zeichnet die Philosophie aus, daB sie eine Wissenschaft ist.^^^ In 
zweifacher Hinsicht kann man sogar sagen, daB sie die Wissenschaft ist. Einerseits ist sie ge- 
schichtlich die erste Wissenschaft. Spatestens seit Aristoteles ist sie als solche bekannt und 
versammelte in sich - zum Teil nur ansatzweise - das, was sich deutlich spater zu den heuti- 
gen Einzelwissenschaften entwickelte. Andererseits, und das ist der entscheidendere Punkt, 
legt sie die Grundlagen fiir alle Einzelwissenschaften und ist damit inhaltlich die erste Wis- 
senschaft (prima scientia).^^^ Hierzu gehort vor allem die Beantwortung der Fragen, ob, wie 
und was der Mensch erkennen kann.^^^ Dies ist die Aufgabe der Erkenntniskritik, die unauf- 
gebbar zur Philosophie gehort und in Kapitel 4.2 behandelt wird.^^^ 

Wichtig fiir das Verhaltnis der Philosophie zu den (in Kapitel 3 behandelten) Einzelwissen- 
schaften ist zudem die Unterscheidung zwischen dem Materialobjekt, welches den behandel- 
ten Gegenstand^^^ meint, und dem Formalobjekt, das die besondere Riicksicht bzw. Hinsicht 
bezeichnet, unter der das zu Untersuchende erkannt werden soU.^^^ Hieran wird der grund- 
satzliche Unterschied zwischen der Philosophie und den anderen Wissenschaften deutlich. 
Wahrend die Einzelwissenschaften ihr Materialobjekt stets unter einem eingeschrankten 
Aspekt behandeln, mit anderen Worten ein einzelnes, spezielles Formalobjekt haben, richtet 



Der Begriff Philosophie kommt aus dem Griechischen philosophia, gebildet aus der entsprechend deklinier- 
ten Form von philia, d.h. Liebe und sophia, das ist die Weisheit. Demnach ist die Philosophie also die Liebe 
zur Weisheit. Da die Weisheit das Wissen um die wesentlichen Wahrheiten ist, wird die Philosophie auch 
als Liebe zur Wahrheit bezeichnet. In Weisheit steckt aber genauer betrachtet nicht nur das Wissen, sondern 
auch der Wille und die Bereitschaft, das Erkannte zu leben, also nicht nur die Liebe zur Wahrheit, sondern 
auch zur Wahrhaftigkeit. Siehe dazu auch Kapitel 4.3.1. 

Vgl. zur „Philosophie der Philosophie" Lehmen I, 2 ff.; Vries/Lotz 11 ff. und Pfeil, besonders 69 ff. 
Unter Wissenschaft versteht man das systematisch gegliederte, zusammenhangende und methodisch gewon- 
nene Wissen um einen Gegenstandsbereich aus (sachlichen) Griinden. Vgl. Aristoteles: Metaphysik I; Deku 
47 ff.; Lehmen I, 1 ff.; Hello 168 ff. und Vries 1937, 236 ff. Am Rande sei bemerkt, daB demnach eine rein 
beschreibende Wissenschaft, die nicht nach Griinden fragt, im engen Sinne keine Wissenschaft ist. 
Der Anfang der Philosophie und damit der Wissenschaft ist nach Aristoteles (Metaphysik I, 2) das Staunen. 
Vgl. Vries 1937, 273 ff. 

Zwar befruchten sich Theorie und Praxis gegenseitig, ohne Theorie kann jedoch kein einziges Experiment 
ausgewertet werden. Die Philosophie liefert in diesem Sinne die unentbehrlichen Voraussetzungen fiir die 
Interpretation einzelwissenschaftlicher Versuche so wie das Verhaltnis von Theorie und Praxis. Siehe zu De- 
duktion und Induktion Kapitel 4.2.2 und zum Verhaltnis zwischen theoretischer und praktischer Wissen- 
schaften Vries 1937, 238. 

Die Philosophie deckt in diesem Zusammenhang neben erkenntnistheoretischen vor allem auch ontologische 
Vor- und nicht selten Fehlentscheidungen der Einzelwissenschaften auf. Siehe zur Ontologie Kapitel 4.3.2. 
Mit diesem Begriff ist keinesfalls nur materielles Sein gemeint. 

Vgl. Lehmen I, 9. Vgl. zum Verhaltnis Philosophie - Naturwissenschaften auch Pfeil 168 ff. und Dempf 15 
ff. 



178 Philosophische Betrachtung 



sich die Philosophic auf die sog. Wesenserkenntnis.^^^ Am Beispiel des Menschen wird dies 
besonders deutlich. Die Einzelwissenschaften wie etwa die Biologie oder die Medizin behan- 
deln (mindestens solange sie nicht zu Ismen werden und „philosophisch" argumentieren) den 
Menschen unter recht speziellen Aspekten, etwa unter dem Aspekt des leiblichen Lebens oder 
des Gesundseins. Der Mensch fiihrt jedoch nicht nur ein leibliches Leben und ist auch 
Mensch, wenn er krank ist.^^^ Die Philosophic beschaftigt sich deshalb damit, was der Mensch 
und im allgemeinen was das in der Wirklichkeit Vorgefundene wesensmdfiig ist. 

Zum bisher Ausgefuhrten kommt noch ein weiterer bezeichnender Unterschied zwischen der 
Philosophic und den Natur- bzw. Einzelwissenschaften: Die Philosophic beschaftigt sich mit 
allem. Ihr Materialobjekt ist also die Gesamtheit des Seins^^\ weshalb sie (wie die Theologie) 
im Gegensatz zu den Einzelwissenschaften als Universalwissenschaft bezeichnet wird. In die- 
sem Sinne laBt sich die Philosophic auch als das methodisch gesicherte, systematisch durch- 
gefiihrte, gedanklich geklarte Wissen um das Wirkliche definieren.^^^ DaB cine Wissenschaft 
den gesamten Umfang des Seins zu ihrem Materialobjekt hat, ist dabei ebensowenig anma- 
Bend, wie es die Einzelwissenschaften iiberfliissig macht.^^^ So wie die Philosophic den Son- 
derwissenschaften dient, indem sie die letzten respektive ersten Grundlagen fiir diese sichert, 
so liefern umgekehrt die Ergebnisse der Sonderwissenschaften nicht zu ersetzende Beitrage 
und Ansatze zur philosophischen Erfassung und Klarung der Gesamtwirklichkeit. Die Einzel- 
wissenschaften behandeln dabei allerdings stets nur das Sosein eines Teilbereiches der - in 
der Regel erfahrbaren - Wirklichkeit. Sie setzen im Gegensatz zur Philosophic das Sein ihres 
Gegenstandes immer schon voraus und bleiben auf ihrer Stufe der Seinsordnung, also z.B. auf 
der materiellen oder der menschlichen.^^^ Damit ist das Bestreben der Einzel- und insbesonde- 
re der Naturwissenschaften, sich zu Leitwissenschaften aufzuschwingen, sachlich unangemes- 
sen; diese Aufgabe liegt wesensmaBig unverriickbar bei der Philosophic. Die Synthese der 
Erkenntnisse der Einzelwissenschaften und damit die Einheit der Wissenschaften kann letzt- 



812 



Zur Wesenserkenntnis siehe Kapitel 4.3.2 und 4.5.4. 

Genau genommen kann das Leben gar nicht rein leiblich verstanden werden. Siehe dazu Kapitel 4.5.8. 

Zum „Sein" wird in Kapitel 4.3.2 mehr gesagt werden. 

Vgl. Lotz in: Brugger 294 ff. Philosophie ist also nicht - wie es eine Reihe von Naturwissenschaftlern 

falschlich annimmt - auf rein formale Erkenntnis oder gar die Bereitstellung methodischer, didaktischer, 

kommunikativer oder anderer Hilfsmittel beschrankt. 

Siehe dazu auch Lehmen I, 306 f. 

Vgl. Aristoteles: Metaphysik VI, 1 und Lotz/Vries 15 ff. Zur Stufenordnung siehe auch Kapitel 4.3.2 und 

4.4. 



Philosophische Betrachtung 179 



lich nur durch den auf das Wesen und die Gesamtwirklichkeit gerichteten Standpunkt der 
Philosophie geschehen/^^ Was mit der Philosophie gemeint ist, erlautert das folgende Kapitel. 



Vgl. Lehmen I, 4 ff. Bei Hartmann heiBt es zu Recht: „Dauernde Aufgabe der Philosophie ist es, das Gewis- 
sen der Wissenschaft zu sein und immer wieder zur lebendigen tJberschau zuriickzufuhren." Hartmann 
1948, 239. 



1 80 Philosophische Betrachtung 



4.1.3 GemaBigt-kritischer Realismus 

Bei der Frage, welche Philosophie denn die Philosophic ist und dementsprechend geeignet ist, 
einzelwissenschaftliche Theorien kritisch zu bewerten, gehen die Auffassungen weit ausein- 
ander. Nach der Ansicht vieler gibt es beinahe so viele Philosophien wie es groBe Philoso- 
phen gab; die eine verbindUche Philosophie (und damit die eine Wahrheit) sei weder moglich 
noch sinnvoU.^^^ Dagegen ist zunachst zu sagen, daB die Philosophen in der Regel sehr weni- 
gen groBen Denkrichtungen zugeordnet werden konnen. Damit reduziert sich die Zahl der 
vermeintlichen „Philosophien" betrachtlich und es laBt sich feststellen, daB nur wenige Philo- 
sophen wirklich ganz Neues hervorgebracht haben. In diesem Zusammenhang sei auf die et- 
was Uberspitzte AuBerung des amerikanischen Philosophen Alfred North Whitehead verwie- 
sen, die gesamte abendlandische Philosophie bestehe aus FuBnoten zu Platon.^^^ Wahr daran 
ist, daB die groBen philosophischen Fragen^^^ seit jeher die gleichen geblieben sind und daB 
Platon sie im Grunde alle angegangen ist. AUerdings muB man dagegen festhalten, daB sie 
nicht allesamt von ihm gelost wurden und daB dies bei dem oben genannten Materialobjekt 
auch nicht von einer Person zu erwarten und zu leisten ist. 

Es deutet sich damit - noch starker als in alien anderen Wissenschaften - die Notwendigkeit 
der Tradition an. Diese Notwendigkeit folgt im wesentlichen aus zwei Griinden. Erstens ist 
der einzelne Mensch viel zu beschrankt, alleine schon zeitlich, um der enormen Aufgabe der 
begriindeten Erfassung der Wirklichkeit gerecht zu werden. Er kann im Sinne der „Arbeits- 
teilung" immer nur einen Beitrag leisten. Zweitens stellt die Tradition sicher, daB die Ergeb- 
nisse der Philosophie nicht durch Zufalligkeiten des Einzelnen und seiner Zeit verzerrt wer- 
den und „filtert" sozusagen das Gold aus dem Schlamm, um es sicher zu verwa/xren. Mit die- 
sem Bild ist schon angedeutet, daB die philosophische Tradition keinesfalls der Autoritat der 
„GroBen" verfallt und vorschnell oder gar unkritisch Formen und Inhalte der uberlieferten Er- 
kenntnisse ubernimmt. Im Gegenteil: Sie versteht sich ausdriicklich als kritisch^ ^^ Das Gold 
muB sich u.U. immer wieder neu als Gold erweisen, wobei es moglicherweise, jedoch nicht 
immer, einer Lauterung bedarf bzw. fahig ist. Wird es nicht verloren oder fahrlassig wieder in 



^^^ Gegen den hinter dieser Auffassung stehenden Relativismus bzw. Skeptizismus siehe Kapitel 4.2.4. 

^^^ Vgl. Hirschberger II, 562 f. 

^^^ Zum Beispiel: Wer ist der Mensch, woher kommt er und wo soil er bin? Gibt es eine Seele, ist sie frei und 

unsterblich? Gibt es Gott? 
^^^ Gegen den modernen Sprachgebrauch ist an der urspriinglichen Bedeutung festzuhalten. Kritisch stammt 

vom griechischen krinein und das bedeutet scheiden, sondern, urteilen, entscheiden. Es hat also keinen ne- 

gativen Beiklang. 



Philosophische Betrachtung 181 



den FluB geworfen, so sammelt sich das Gold im Laufe der Geschichte an; es kommt also zu 
echtem wissenschaftlichem Fortschritt. 

In diesem Sinne spricht man von der philosophia perennis^^^ und meint damit die „im- 
mer"wahrende Philosophie, genauer die Philosophie, die durch die Jahre hindurch wirkt und 
bleibt. Es gibt also demnach nur eine Philosophie, so wie und well es letztlich nur eine Wahr- 
heit gibt.^^^ DaB man sich nicht von der Vielheit und Uneinigkeit der philosophischen Auffas- 
sungen verunsichem lassen darf, zeigt die genaue Betrachtung des Einwandes. Wer behauptet: 
„Die widerspriichlichen philosophischen Uberzeugungen beweisen, daB diese sich nicht auf 
objektiv giiltige Griinde stutzen konnen und so die Wahrheit nicht erkennbar ist", hebt seine 
eigene Behauptung auf. Denn wenn sie wahr und allgemeingultig ware, miiBte sie auch fiir 
sich selber gelten. „Gerade davon aber kann keine Rede sein. Der Satz ist weit entfemt von 
jener allgemeinen Anerkennung [...] Die groBten Philosophen aller Zeiten haben diesen Satz 
mit bemerkenswerter Einmiitigkeit abgelehnt."^^^ 

Die vorliegende Arbeit sieht sich in der Tradition der philosophia perennis und vertritt den 
vor allem auf Aristoteles und die Scholastik zuriickgehenden Standpunkt des gemaBigt- 
kritischen Realismus.^^^ Er ist gemaBigt (und nicht radikal), da - im Gegensatz etwa zu Be- 
griffsrealismus oder Platonismus - der Inhalt der (allgemeinen) Begriffe nicht real unter- 
schieden ist von den das Einzelne konstituierenden Bestimmungen, sondern mit ihnen die 
konkrete Einheit eines Seienden bildet. Er ist kritisch (und nicht naiv), da er Rechenschaft 
iiber die Existenz des vom menschlichen BewuBtsein unabhangigen, wirklichen Seienden gibt 
und dazu im ubrigen auch die Ergebnisse der Einzelwissenschaften einbezieht.^^^ Um zu beto- 
nen, daB der Realismus auf dem Boden der noch zu behandelnden Metaphysik steht (vgl. Ka- 
pitel 4.3), wird er auch metaphysischer oder transzendenter Realismus genannt. Haufig wird 
der Realismus in einer unangemessenen Weise dem Idealismus gegeniibergestellt, nach dem 



825 
826 



Den Ausdmck pragte Leibniz. Siehe zur philosophia perennis auch Lotz in: Bmgger 152 und 294 ff. sowie 

Hirschberger II, 559 ff.; Ruber 272 ff.; Hennen 237 und Pfeil 69 ff. 

Zur Wahrheit siehe Kapitel 4.2.4. 

Lotz/Vries 30 f . 

Gemeint ist ein gemaBigter und kritischer Realismus. Vgl. dazu Vries in: Brugger 316 ff.; Maritain 87 ff.; 

Lehmen I, 216 f. und Hennen, besonders 15 ff., 120 ff. und 169 ff. sowie Dempf 22 ff. 

Siehe gegen den naiven Realismus sowie eingeschrankt zum kritischen Realismus Kiilpe 147 ff. Es ist aus- 

driicklich zu erwahnen, daB der hier vertretene Realismus sich trotz vieler Gemeinsamkeiten nicht mit dem 

Oswald Kulpes deckt. Zur Tatsache, daB von vielen Wissenschaftlern ein pragmatischer aber meist unre- 

flektierter Realismus vertreten wird, siehe Mahner/Bunge 68 f . 

Die realistische Theorie des Menschen (Kapitel 4.5) muB mit naturwissenschaftlichen, insbesondere den 

physikalischen und biologischen Erkenntnissen konsistent sein. Allerdings ist bei weitem nicht jede natur- 

wissenschaftliche Theorie von ihren (implizit philosophischen) Grundlagen her angemessen gesichert, wo- 

durch sie fiir die philosophische Anthropologic keine Verbindlichkeit einnehmen kann. 



182 Philosophische Betrachtung 



die Idee die vorrangige wenn nicht sogar einzige Stellung in der Wirklichkeit einnimmt. Da- 
gegen ist jedoch zu sagen, daB der hier vertretene gemaBigt-kritische Realismus ein „Ideal- 
Realismus" ist, da er das erste und realste Sein im reinen und absoluten Geist erkennt (vgl. 
Kapitel 4.3.3), von dem alles Seiende abhangt und durchformt ist. 

Zu den wesentlichsten und im weiteren Verlauf der Arbeit naher zu begriindenden Erkennt- 
nissen des gemaBigt-kritischen Realismus (kunftig kurzer nur noch als Realismus bezeichnet) 
gehoren folgende Bestande: Das wirklich Seiende existiert unabhangig vom Menschen und 
insbesondere von dessen BewuBtsein bzw. Erkenntnis. Ziel und Wesen der menschlichen Er- 
kenntnis bestehen in der Angleichung des Erkennenden an das zu erkennende Objekt, wie es 
„an sich" ist. Diese Angleichung ist grundsatzlich moglich, bleibt jedoch stets hinter der voU- 
kommenen Erkenntnis (die einzig Gott moglich ist) zuriick. 

Obwohl die Arbeit, wie bereits ihr Titel sagt, „von vornherein" den Realismus vertritt, be- 
deutet dies nicht, daB dieser keiner Rechtfertigung bedarf. Gemeint ist vielmehr, daB eine all- 
seitige Begriindung des kritischen und gemaBigten Realismus zwar grundsatzlich notwendig 
und moglich, im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht in einem erschopfenden MaBe zu ver- 
wirklichen ist.^^^ Der Realismus wird dementsprechend im Rahmen dieser Arbeit, so weit wie 
es notig und moglich erscheint, gegen andere Positionen (wie vor allem den Materialismus) 
abgegrenzt und seine Starke herausgearbeitet.^^^ Auf umfassendere Arbeiten zum grundsatzli- 
chen Wirklichkeitsverstandnis, insbesondere des Realismus, wird dabei immer wieder hinge- 
wiesen. 

Fiir die „kritische Bewertung der unterschiedlichen Grundauffassungen" des Menschen und 
der vermeintlichen KI ist es notig, die erkenntnistheoretischen, ontologischen, naturphiloso- 
phischen und anthropologischen Grundlagen der genannten vier Sichtweisen systematisch zu 
hinterfragen. Zu diesem Zweck wird nachfolgend die den bisher behandelten Einzelwissen- 
schaften gegeniiberstehende Position des philosophischen Realismus im einzelnen darzustel- 
len sein, um an ihr sowohl die Schwachen der rein naturwissenschaftlichen Theorien als auch 
das Wesen des Menschen und seiner Vermogen ausfuhrlich aufzuzeigen.^^^ Fiir die Kritik am 



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830 



Fiir ausfiihrliche Herleitungen und Verteidigungen des Realismus sielie vor allem Lehmen, Brugger, Mari- 

tain, Kalin, Lotz und Vries sowie die entsprechenden FuBnoten der Kapitel 4.2 - 4.5. 

Es bleibt anzumerken, daB die meisten anti-realistischen Theorien auf MeBergebnissen beruhen, die (unbe- 

wuBt) einen Realismus voraussetzen. 

Siehe dazu auch Hennen 169 ff. 

Eine detaillierte, „chronologische" Kritik aller Auffassungen der anthropologischen Begriffe jeweils fiir alle 

vier Grundauffassungen wiirde zu Wiederholungen fUhren. Deshalb wird die Kritik an den geigneten Stellen 

der Darlegung und Rechtfertigung der realistischen Auffassung angebracht werden. 



Philosophische Betrachtung 1 83 



Wirklichkeits- und insbesondere Menschenverstandnis der modernen Naturwissenschaften 
muB dabei wesentlich weiter und intensiver ausgeholt werden, als dies zunachst den Anschein 
hat. Das liegt vor allem daran, daB die Argumente des gemaBigten und kritischen Realismus 
groBtenteils nicht mehr bekannt sind und im allgemeinen eine erkenntnistheoretische sowie 
ontologische Basis fehlt. 

Im folgenden untersucht diese Arbeit in der Tradition der philosophia perennis und im Licht 
des gemaBigt-kritischen Realismus die groBen Fragen nach dem Wesen des Menschen/^^ Die 
gefundenen Antworten stehen dabei im BewuBtsein, daB alle Wissenschaftler nur Zwerge 
sind, aber - sofem sie es woUen - auf dem Rucken von Riesen. Das folgende Kapitel faBt zu- 
nachst die Einteilung der Philosophic und damit das Vorgehen der philosophischen Kritik zu- 
sammen. 



^^^ Auf von der philosophia perennis bzw. dem Realismus abweichende philosophische Grundpositionen wird 
wie gesagt immer wieder hinge wiesen werden. Haufig geschah dies jedoch bereits in Kapitel 3. 



184 Philosophische Betrachtung 



4.1.4 Vorgehen der philosophischen Kritik 

Vor der Erlauterung des Vorgehens der philosophischen Kritik dieser Arbeit sind zunachst ei- 
nige Ausfuhmngen zur allgemeinen inneren Einteilung der Philosophie notig. Da die Aufgabe 
des Weisen das Ordnen ist,^^^ gilt es fiir den Philosophen, den weiten Bereich seiner Wissen- 
schaft seinsgerecht zu ordnen.^ ^^ Man kann grundsatzlich unterscheiden zwischen den Seins- 
ordnungen und den Ordnungen des VoUziehens, wobei die letzteren in den ersteren griinden 
und teilweise mit ihnen gemeinsam behandelt werden. 

Das Sein ist Materialobjekt der Metaphysik, die sich in allgemeine und besondere bzw. ange- 
wandte teilen laBt. Die allgemeine Metaphysik behandelt die Gesamtheit des Seienden und 
laBt sich noch einmal unterteilen. Sie umfaBt erstens die Ontologie, die als Seinslehre die in- 
neren Strukturen und Prinzipien aufdeckt, und zweitens die naturliche Theologie, die das Sei- 
ende nach seinem ersten Ursprung hin und damit das absolute Sein untersucht. Demgegen- 
iiber gliedert sich die besondere Metaphysik in die Lehre von der Welt bzw. dem Kosmos, al- 
so die Naturphilosophie bzw. Kosmologie und die Lehre vom Menschen, also die Anthropo- 
logie"\ 

In bezug auf die VoUzugsordnungen wird unterschieden zwischen der Lehre vom seinsge- 
rechten und damit wahren Denken, d.h. der Logik einerseits und der Lehre vom seinsgerech- 
ten, mit anderen Worten guten Handeln, d.h. der Ethik andererseits. Da die Philosophie die 
eine Wirklichkeit behandelt, ist zu erwarten, daB sich die begrifflich getrennten Bereiche real 
iiberschneiden und die genannte Einteilung nicht standig aufrechterhalten werden kann. So 
kann etwa die Erkenntnistheorie als Reflexion der allgemeinen Metaphysik auf sich selbst 
Oder die Ethik als Teil der Anthropologic gesehen werden. 

An die bewahrte Einteilung der Philosophie anlehnend ist das weitere Vorgehen der vorlie- 
genden Arbeit das folgende: Zunachst gilt es, in Kapitel 4.2 die wissenschaftstheoretischen 
und mehr noch die erkenntnistheoretischen Grundfragen zu klaren. Hierzu werden zuerst die 
elementaren Ergebnisse der Logik beleuchtet. Schwerpunkt des Kapitels 4.2 sind im An- 
schluB daran die Fragen nach den Voraussetzungen, Modi, Moglichkeiten und Grenzen der 
Erkenntnis sowie eine Klarung des Wahrheitsbegriffs. 



^^^ Vgl. Aristoteles: Metaphysik I, 2. 

^" Siehe zur Methode der Wissenschaften im allgemeinen und der Philosophie im besonderen Albertus Magnus 

9 ff. sowie Lehmen I, 107 ff. und II, 75 f. 
^^^ Diese taucht in Unterteilungen nicht selten auch in Form der Psychologie auf, also der Lehre von der 

(Geist-)Seele des Menschen, wobei jedoch betont werden muB, daB der Mensch mehr als seine Seele ist. 



Philosophische Betrachtung 1 85 



Im Rahmen der Metaphysik werden in Kapitel 4.3 die wesentlichen bzw. wesensmaBigen Zu- 
sammenhange des jeweiligen Sachverhaltes mit Blick auf die gesamte Wirklichkeit erforscht. 
Dazu sind die ontologischen Grundbegriffe kritisch darzulegen. An dieser Stelle ist u.a. zu 
priifen, welche Formen des Seienden in der Wirklichkeit zu finden sind, wie das Seiende zu- 
sammengesetzt ist und wie es zusammenhangt. Es wird insbesondere gegen den Materialis- 
mus und fur die Zusammengesetztheit der Dinge aus Materie bzw. Stoff einerseits und im- 
materieller Form andererseits argumentiert. Zu betonen ist, daB ein dualer, nicht jedoch ein 
dualistischer Ansatz vertreten wird. Ebenfalls behandelt werden Begriffspaare wie Akt und 
Potenz, Substanz und Akzidens sowie Wesen und Existenz. Die philosophische Betrachtung 
fragt dann umfassend nach Voraussetzungen fur das Sein und Sosein des Wirklichen und 
zwar bis hin zu den ersten Ursachen und reflektiert diese im Sinne der natiirlichen Theologie. 

In der etwas kiirzeren Behandlung naturphilosophischer Fragestellungen werden in Kapitel 
4.4 wesentliche Phanomene der Natur im Hinblick auf das Sein gedeutet und die Bedingun- 
gen ihrer Moglichkeit offengelegt. Dabei soil besonders der Unterschied zwischen belebtem 
und unbelebtem Seienden herausgestellt und die Sonderstellung des Menschen gegeniiber den 
Tieren bereits grundgelegt werden. 

Im anthropologischen Kapitel 4.5 gilt es insbesondere, die leiblich-geistige Verfassung des 
Menschen herauszuarbeiten. Vor dem Hintergrund der Argumentation fUr eine subsistierende 
Geistseele werden vor allem der freie Wille, das Erkenntnisvermogen sowie SelbstbewuBt- 
sein, Leben und Personalitat des Menschen zu untersuchen sein. Auch eine Losung des Leib- 
Seele-Problems ist anzufuhren. Es wird sich noch deutlicher als bisher zeigen, daB das Ver- 
standnis vom Menschen eng mit dem der KI zusammenhangt und welche wechselseitigen 
Auswirkungen sich ergeben. Die in Kapitel 3 bereits stichpunktartig bemangelten, einseitigen 
Auffassungen rein naturwissenschaftlicher Pragung werden ausdriicklich kritisiert. 

Da in der jungeren Vergangenheit ein Wissen um die metaphysischen Grundlagen der Wis- 
senschaft immer weniger vorausgesetzt werden kann und sich nicht wenige in verkiirzender 
Weise direkt an die Betrachtung des Menschen und der KI geben, werden die nachsten Kapi- 
tel also zunachst einmal die Grundziige der Erkenntnistheorie und der allgemeinen Meta- 
physik aufzeigen. 



1 86 Erkenntnistheorie 



4.2 Erkenntnistheorie 

4.2.1 Bedeutung und Vorgehen 

Die Erkenntnistheorie gehort zu den wichtigsten und gleichzeitig schwierigsten Teilgebieten 
der Philosophie. Von ihr hangt letztlich die Beantwortung aller wissenschaftlichen Fragen 
ab,^^^ so daB hier besondere Sorgfalt geboten ist. Man unterscheidet zwischen Erkenntnis- 
theorie und Erkenntniskritik. Erkenntnistheorie und damit gleichbedeutend Epistemologie 
Oder Erkenntnislehre wird dabei in einem weiten Sinne verwendet und „kann jede philosophi- 
sche Oder einzelwissenschaftUche Untersuchung der menschUchen Erkenntnis bedeuten, sei es 
die empirisch-psychologische Erforschung des Zustandekommens und des gesetzmaBigen 
Verlaufs der Erkenntnisfunktionen, sei es die philosophisch-psychologische Untersuchung der 
Erkenntnisakte und -fahigkeiten oder auch die Erkenntnismetaphysik, die das Erkennen in den 
Gesamtzusammenhang des Seins stellt"^^^ Die Erkenntniskritik behandelt im zuletzt genann- 
ten Sinn die Seinsgeltung der Urteile und damit die grundsatzUchen Voraussetzungen, Mog- 
Uchkeiten, Grenzen sowie Wahrheit menschUcher Erkenntnis. Auf der Erkenntniskritik liegt 
der Schwerpunkt des Kapitels 4.2., wobei der zentrale Begriff der Wahrheit in einem eigenen 
Unterkapitel behandelt wird. 

Bevor die Erkenntniskritik die grundsatzUchen Erkenntnismoglichkeiten sichert, ist jedoch 
zunachst die Logik in ihren Grundzugen aufzuweisen. Die Logik untersucht die Ordnung des 
Denkens. Sie behandelt die Richtigkeit des Denkens und bestimmt die Bedingungen der Giil- 
tigkeit des Denkens. Die Beurteilung der Denkinhalte geschieht jedoch in immanenter Hin- 
sicht, d.h. die Logik behandelt im Gegensatz zur Erkenntniskritik nicht die Beziehung des 
Denkens zu seinem Inhalt bzw. Gegenstand. 

Im Rahmen der Logik wird auch in gedrangter Form auf die Wissenschaftstheorie eingegan- 
gen. Diese untersucht die Methoden, Strukturen, Ziele und Folgen wissenschaftlichen Erken- 
nens. Dabei stehen vor allem Hypothesen und Strategien der Gewinnung und rationalen 
Uberpriifung des wissenschaftlich gewonnenen Wissens im Vordergrund.^^^ 

Die Erforschung des menschlichen Denkens und Erkennens aus anthropologisch-psycho- 
logischer Sicht geschieht in Kapitel 4.5.4. Dort wird die Art und Weise der menschlichen Er- 
kenntnis dargelegt. Dabei geht es beispielsweise um die Frage, wie der Mensch von den durch 



^^^ Siehe dazu auch Lotz in: Bmgger 152 und 242. 
^^^ Vries in: Bmgger 93. 



Erkenntnistheorie 1 87 



die Sinne vemiittelten Einzelerkenntnissen bis zur hochsten Idee des Seins selbst aufsteigen 
kann. 

Die hier vertretene und im folgenden naher zu begriindende Position ist der erkenntnistheore- 
tische Realismus. Nach ihm ist der Mensch zu objektiver Erkenntnis, insbesondere Wesenser- 
kenntnis fahig, auch wenn die Erkenntnisse in der Regel unvoUkommen sind/^^ 



^^^ Vgl. Regenbogen/Meyer 738 f. 

^^^ Menschliche Begriffe und Erkenntnisse sind in der Regel zwar unvoUkommen, diese Unvollkommenheit 
selbst kann jedoch Gegenstand des Erkenntnisvermogens und so teilweise gemindert werden. 



188 Erkenntnistheorie 



4.2.2 Logik 

Der letzte Zweck der (wissenschaftlichen) Logik ist die Erkenntnis der Dinge aus ihrem 
Grund. Dazu legt sie die Art und Weise dar, wie wissenschaftliche Erkenntnis, oder anders 
ausgedriickt, wie seinsgerechtes Denken vorzugehen hat.^^^ Die Aufgabe der Logik ist also die 
Aufdeckung der Denkgesetze und zwar unter dem Aspekt der Beziehung der Denkinhalte als 
solcher. Sie untersucht dementsprechend nicht die Beziehung des Denkens und seiner Inhalte 
zum Sein; dies ist wie bereits gesagt die Aufgabe der Erkenntniskritik (vgl. Kapitel 4.2.4). Da 
die Logik jedoch auf die Erkenntniskritik vorbereitet, werden die Zusammenhange des Den- 
kens mit dem Sein bereits in diesem Kapitel angedeutet. 

Weil jede wissenschaftliche Arbeit bzw. Argumentation von der Folgerichtigkeit des Denkens 
abhangt, muB die philosophische Kritik einzelwissenschaftlicher Positionen zunachst dort an- 
setzen. Erst wenn die Entsprechung des Denkens und seines sprachlichen sowie schriftlichen 
Ausdrucks mit den Denkgesetzen gesichert ist, kann die auf die Sache selbst gerichtete Kritik 
beginnen. 

Bevor im folgenden die wichtigsten Gesetze des Denkens behandelt werden, ist auf eine 
grundsatzliche Kritik einzugehen, nach der es gar keine unwandelbaren Denkgesetze gibt, an- 
hand derer der Mensch zu unwandelbar gultiger Erkenntnis gelangen kann. Hier ist an die - 
insbesondere durch den Biologismus (vgl. Kapitel 3.3.4) vertretene - Auffassung zu erinnem, 
nach der das „Denken" und seine RegelmaBigkeit nur ein Ergebnis evolutionarer Prozesse ist. 
Dagegen ist einzuwenden, daB es durchweg widerspriichlich ist, die Wahrheit des Denkens 
mit dessen Nutzlichkeit gleichzusetzen. Die letztlich auf einen Relativismus oder Skeptizis- 
mus hinauslaufende Position der Leugnung unwandelbarer Denkgesetze entzieht sich damit 
selbst den Boden.^^^ Weil die radikale Bestreitung von dem Menschen ubergeordneten Denk- 
gesetzen auf eine Bestreitung der Wahrheit selbst hinauslauft, ist sie vor allem ein Thema der 
Erkenntniskritik (vgl. Kapitel 4.2.3 f.). Es bleibt hier festzuhalten, daB „die Gesetze der Logik 
zwar fiir alle in der Erfahrung auftretenden Aussagen giiltig sind, daB ihre Giiltigkeit aber 
nicht auf Erfahrung beruht"^^^ 

Die (philosophische) Logik, die bekanntlich vor allem auf Aristoteles zuriickgeht, ist nicht zu 
verwechseln mit der Logistik, d.h. der symbolischen bzw. mathematischen Logik, welche 



^39 Ygj Lehmen I, 8 ff. Die Unkenntnis der logischen Gmndlagen fiihrt i.d.R. zu widerspriichlichen Begriffen 

und Fehlschlussen sowie systematischen Unwahrheiten bzw. Ideologien. 
^^^ Vgl. Kapitel 4.2.3 und Lehmen I, 266 ff. 
^^^ Mittelstaedt 109. 



Erkenntnistheorie 1 89 



stets auf der philosophischen Logik aufbaut. Die Logistik ist die Lehre von den Zeichensy- 
stemen und ihren zugehorigen Operationsregeln (Kalkiil), die logisch gedeutet werden kon- 
nen. Die Hauptgebiete der Logistik sind die Aussagenlogik, die Pradikatenlogik, die Klas- 
senlogik, die modale Logik und die Relationenlogik.^"^^ Ebenfalls ist zu betonen, daB die phi- 
losophische Logik nicht durch die Quantenlogik^^^ ersetzt werden kann. Bei der Beobachtung 
von Quantensystemen zeigte sich, daB dort Zustande und damit Aussagen u.U. so sehr mit 
anderen zusammenhangen (inkommensurabel sind), daB die Feststellung des einen Zustands 
den anderen andert. Damit ist die klassische formale Logik fiir einzelne Aussagen nicht mehr 
ohne weiteres anwendbar. Aus der Tatsache, daB es moglich ist, eine der klassischen formalen 
Logik ahnliche formale Quantenlogik zu entwickeln, zeigt sich jedoch, daB die philosophi- 
sche Logik Grundlage jeder formalen Logik ist. 

Die Logik legt dar, wie aus dem Bekannten das Unbekannte hergeleitet wird und gibt die 
Griinde fiir die Richtigkeit dieser Herleitung sowie praktische Anweisungen fiir das folge- 
richtige Denken an. Auf die sehr umfangreichen praktischen Richtlinien folgerichtigen Den- 
kens kann an dieser Stelle nicht naher eingegangen werden.^ ^^ 

Den Ausgangspunkt der Logik bildet die dreifache Tatigkeit des Verstandes: das geistige Auf- 
fassen, Urteilen und SchlieBen.^^^ Beim SchlieBen fiihrt der Verstand wahre Urteile auf andere 
zuriick. Beim Urteil verbindet der Verstand Begriffe bzw. bejaht oder verneint deren Uberein- 
stimmung. Bevor diese Bejahung oder Verneinung jedoch stattfinden kann, bedarf der Ver- 
stand der Auffassung bzw. Erfassung des durch den Begriff Bezeichneten oder mit anderen 
Worten der Auffassung eines Gegenstandes. Innerhalb der Logik unterscheidet man deshalb 
vor allem die Lehre vom Begriff, vom Urteil und vom SchluB, wobei die zuletzt genannte in 
der Regel den Schwerpunkt bildet. Diese drei wesentlichen Telle der Logik gilt es nachfol- 
gend in der genannten Reihenfolge zu erortem. 

Der Begriff gilt als die einfachste Form des Denkens.^^^ Sein sprachlicher Ausdruck ist das 
Wort. Der Begriff ist die abstraktiv-geistige Darstellung einer immateriellen „Washeit". Der 



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Vgl. Bmgger in: Bmgger 226 ff. Siehe zur Aussagen- und Pradikatenlogik auch Hofstadter 198 ff. und zur 

klassischen Logik sowie deren Kalkiil Mittelstaedt 108 ff. Zur sogenannten nicht-monotonen Logik, nach 

der Pramissen zuriickgenommen werden und die Anzahl der wahren Satze sich verringern konnen, siehe 

Daiser 111 und McDermott in: Boden 1990, 216 ff. 

Vgl. zur Quantenlogik Brody 247 ff. und vor allem Mittelstaedt 108 ff. 

Siehe dazu die in diesem Kapitel angegebene Literatur, besonders Arnauld/Nicole. 

Vgl. Lehmen I, 11 f. sowie Kapitel 4.5.4. 

Vgl. hierzu und zum folgenden liber den Begriff Aristoteles: tJber die Seele II, 3 sowie Metaphysik VII, 15 

und XIII, 4; Lotz/Vries 58 f.; Vries in: Brugger 39 ff. und Vries 1937, 64 ff., 216 f., 221 ff. 



1 90 Erkenntnistheorie 



menschliche Geist bildet den Begriff durch Abstraktion^"^^ aus den von den Sinnen gelieferten 
anschaulichen Erfahmngsbildern. Die vom Menschen (nach-)geformten Begriffe richten sich 
letztlich nach den Ideen bzw. (Wesens-)Formen, d.h. nach den die Dinge bestimmenden Ur- 
bildem.^^^ Trifft der Begriff die innerste Natur eines Seienden und nicht nur einen Akzidens, 
so spricht man vom Wesensbegriff. Man unterscheidet urspriingliche und aus anderen Begrif- 
fen abgeleitete Begriffe. 

Zum unverzichtbaren Wert der Begriffe und ihrer Beziehung zur Erfahrung heiBt es: „Ferner 
bietet uns die Erfahrung nur eine Erkenntnis der Tatsachlichkeit, aber keine Erkenntnis der 
notwendigen Zusammenhange und keine sich klar abhebende Erfassung der Einheit im Vie- 
len. Die Begriffe aber ermogUchen uns beides. Nur so wird es uns mogUch, die ungeheure 
Mannigfaltigkeit des Gegebenen zu ordnen und erkenntnismaBig zu bewaltigen, was wieder- 
um die Vorbedingung fur die praktische Beherrschung der Dinge ist."^^^ Da es keine Wissen- 
schaft vom ZufalUgen geben kann,^^^ setzt Wissenschaft allgemeine Begriffe sowie notwendi- 
ge Wesenheiten voraus. Gegen den Nominalismus und KonzeptuaUsmus ist deshalb festzu- 
stellen, daB Begriffe objektive Geltung haben miissen, ihnen also Seiendes entsprechen 
muB.^^^ 

Der sprachUche Ausdruck, der angibt, was unter einem Wort zu verstehen ist, heiBt Begriffs- 
bestimmung bzw. Definition.^ ^^ Hierbei ist die Unterscheidung von Real- und Nominaldefini- 
tion entscheidend. Wahrend die Realdefinition das Wesen der Sache selbst angibt, indem sie 
die nachste Gattung und den artbildenden Unterschied nennt, dient die Nominaldefinition nur 
der Bestimmung, wie ein Wort gebraucht wird. Die Nominaldefinition ist ganz im Gegensatz 
zu der an das Sein gebundenen Realdefinition groBtenteils willkiirlich zu wahlen und dient 
beispielsweise der praktischen Verkiirzung der Sprache. 

Gegen den von der KI-Forschung und insbesondere vom Symbolismus vertretenen stark ver- 
kiirzten Symbolbegriff ist an dieser Stelle folgendes zu sagen: Symbole lassen sich nicht 



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Siehe zur Abstraktion Kapitel 4.3.1 und 4.5.4 sowie Vries 1937, 238 f. und 276 ff. Siehe zum Ursprung der 
intellektuellen Erkenntnis des Menschen bzw. der Begriffsbildung sowie zur diesbezuglichen Widerlegung 
des Empirismus, Traditionalismus, Ontologismus und der angeborenen Ideen auch Lehmen II. 2, 259 ff. 
Vgl. Hennen 146 f. Siehe zur Form sowie ihrem Verhaltnis zum Stoff Kapitel 4.3.2. Zur auf Platon zuriick- 
gehenden „idea" sowie ihrem Verhaltnis zur Form und zum Allgemeinen siehe Vries 1993, 22 ff. und Hen- 
nen 142 f. 
Vries 1937, 88. 

Vgl. Aristoteles: Metaphysik VI, 2. 
Vgl. Lehmen I, 182 ff. und Hennen 103 f. 

Vgl. zur Definition Lehmen I, 40 ff.; Arnauld/Nicole Teil 1, Kapitel XII (S. 77 ff.) und Aristoteles: Topik I, 
5 ff . und VI sowie Zweite Analytik II, 3 ff . 



Erkenntnistheorie 191 



quantifizierend verstehen.^^^ Das vom Symbol Bezeichnete ist im allgemeinen etwas nicht 
Oder nicht nur Stoffliches bzw. Sinnliches. Ein Symbol kann (wie beispielsweise die ,,1") fiir 
den Begriff (hier den der Eins bzw. Einheit) stehen, und so auf das immaterielle Wesen oder 
die Form von Wirklichem verweisen. 

Im Hinblick auf die fiir die Anthropologic entscheidende und noch auszufuhrende Metaphysik 
muB man bereits hier erkennen: „Ohne das begriffliche Denken kommt unsere menschliche 
Erkenntnis nicht zur VoUendung, kann sic den Bereich der moglichen Erfahrung nicht iiber- 
schreiten, ja nicht einmal den der tatsachlichen Erfahrung. Damit ware ihr nicht nur die Meta- 
physik, sondem alle Wissenschaft unmoglich."^^^ 

Der zentrale Akt des menschlichen Erkennens ist das Urteil, dessen sprachlicher Ausdruck 
der Satz.^^^ Wahrend Begriffe die geistigen Gehalte nur erfassen, ist es das Urteil, das die Ge- 
halte auf das Sein bezieht und somit Erkenntnis im voUen Sinne bedeutet. In der Form eines 
Satzes zeigt sich das Urteil als Verbindung eines Subjekts und eines Pradikats durch eine Ko- 
pula (meist „ist"). Von enormer Bedeutung fiir die Beurteilung der Frage nach der Kiinstli- 
chen Intelligenz ist die Differenzierung zwischen formalen Aussagen und ontologisch ge- 
griindeten Urteilen. Formale Aussagen bzw. Aussagen der formalen Logik verbinden zwar in 
irgendeiner Weise Subjekt und Pradikat miteinander, sie stellen jedoch nur mogliche und 
nicht tatsachliche Urteile dar. Erst durch das Urteil verbindet der Geist das mit den Begriffen 
Gemeinte, das an-sich Seiende. Wenn der Geist so urteilt bzw. verbindet, wie die „Dinge" 
selbst sind, sich also den realen Verhaltnissen anpaBt, spricht man von Wahrheit.^^^ Bei for- 
malen Systemen wie etwa Turingmaschinen kann man also unmoglich vom Erkennen spre- 
chen, da ihnen die unmittelbare Anschauung, die auf das immaterielle Wesen gerichtete Be- 
griff sbildung und das am Sein ausgerichtete Urteilen voUstandig fehlen.^" Eine (rein) quanti- 
fizierende Auffassung der Logik wird also einem erkenntniskritischen Anspruch und damit 
der Natur des Erkennens nicht gerecht. 

Es lassen sich vier Klassen von Urteilen unterscheiden: Erfahrungsurteile, Urteile iiber denk- 
unabhangige Wesensverhalte, Urteile iiber Gedankendinge und praktische Urteile. Von alien 
vier Klassen laBt sich zeigen, daB jedes Urteil entweder unmittelbar einen wirklichen Sach- 



^^^ Siehe gegen den von der KI falsch verstandenen Symbolbegriff Foerst 57 ff. und 113 ff. sowie Vries in: 

Bmgger 390 f . und Deku 407 ff . 
^^^ Vries in: Brugger 41. 
^^^ Vgl. zum Urteil Thomas: Von der Wahrheit I, 3; Lotz in: Brugger; Arnauld/Nicole Teil 2 (S. 94 ff.) und 

Lehmen I, 44 f. 
^^^ Zur ausfuhrlicheren Behandlung der Wahrheit siehe Kapitel 4.2.4. 



1 92 Erkenntnistheorie 



verhalt meint oder zumindest ein solches Urteil voraussetzt/^^ Damit basiert jedes Urteil auf 
einer vom erkennenden Subjekt unabhangigen Seinsgrundlage und zielt auf die Wahrheit im 
Sinne des Realismus.^^^ 

Man kann Urteile bzw. Satze nach verschiedensten Aspekten unterteilen; die wichtigste Un- 
terteilung ist die in bejahende und vemeinende sowie in allgemeine (universale) und besonde- 
re (partikulare). Die Logik untersucht die Struktur von Urteilen bzw. Satzen und legt die Re- 
geln ihres Aufbaus dar. Hierzu gehort beispielsweise, wie Satze richtig umgekehrt werden 
und welche Arten von Gegensatzen moglich sind.^^^ 

Wenn mehrere Urteile bzw. Satze miteinander verkniipft werden, spricht man vom SchluB.^^^ 
Der SchluB ist gegeniiber dem Urteil keine weitere Vervollkommnung der Erkenntnis, son- 
dern das Fortschreiten von einem Urteil zum nachsten. Das Wesen des Schlusses besteht dar- 
in, von der Wahrheit eines Urteils durch Einsicht in den notwendigen Zusammenhang zu ei- 
nem anderen Urteil zu dessen Wahrheit zu gelangen. Beim unmittelbaren SchluB ist dafiir 
keine Vermittlung eines dritten Satzes notig. Die Mehrheit der wissenschaftlichen Er- 
kenntnisse wird jedoch durch mittelbare Schlusse (Syllogismen) gewonnen. Beim mittelbaren 
SchluB wird durch Einsicht des notwendigen Zusammenhangs der Vordersatze auf den 
SchluBsatz (Konklusion) geschlossen. Sollen zwei Begriffe oder Urteile miteinander ver- 
kniipft werden, deren Verhaltnis bzw. Ubereinstimmung nicht unmittelbar einleuchtet, also 
unmittelbar evident ist, miissen sie mit einem dritten Begriff oder Urteil verglichen werden. 
Man spricht deshalb vom Beweis auch als mittelbarer Evidenz.^^^ 

Wahrend die (formale) Wahrheit des Schlusses bzw. des SchluB^'a^z^^' lediglich von der Be- 
ziehung der Urteile untereinander abhangt, spricht man erst bei wahren Schlussen aus objek- 
tiv wahren Vordersatzen von SchluBfolgerungen bzw. Beweisen. Der Beweis im strengen 
Sinne hat also stets eine Verankerung im Sein und basiert auf einem ausschlieBlich dem Geist 



857 



Siehe zur mangelnden Erkenntnisfahigkeit formaler sowie rein materieller Systeme Kapitel 4.5.4. 

Vgl. Vries 1937, 146 ff. 

Siehe dazu die Ausfuhmngen zur Wahrheit (Kapitel 4.2.4) und zur Ontologie (Kapitel 4.3.2). 

Vgl. zu Gegensatzen: Lehmen I, 25, 61 ff. und Brugger in: Brugger 121 f. Siehe zum kontradiktorischen und 

kontraren Gegensatz auch Kapitel 4.2.2 f. sowie Aristoteles: Metaphysik X, 4 ff.; Kategorien X und Topik 

II, 7 f. 

Vgl. zu Schlussen Arnauld/Nicole Teil 3 (S. 169 ff.); Lehmen I, 73 ff.; Vries 1937, 171 ff.; Brugger in: 

Brugger 333 f. und Aristoteles: Topik I, 1. Zu typischen Fehl- und Trugschlussen, deren Griinden und Ver- 

meidung siehe Arnauld/Nicole, dritter Teil, Kapitel neunzehn und zwanzig (S. 233 ff.) sowie Aristoteles: 

Topik IX. 

Vgl. Vries 1937, 165 ff. Im Gegensatz zu unmittelbaren Evidenzen kann es bei mittelbaren Evidenzen ver- 

schiedene Grade der GewiBheit geben, also beispielsweise die nur bedingte GewiBheit. Vgl. Vries 1937, 208 

ff. 



Erkenntnistheorie 1 93 



moglichen Urteil iiber Seiendes und damit letztlich auf unmittelbar evidenter Erkenntnis/^^ 
Man kann deshalb bei formalen Systemen wie etwa Turingmaschinen nicht vom Beweisen im 
VoUsinn sprechen. 

Da die meisten Urteile nicht unmittelbar evident sind, sondern in Form von Schlussen ge- 
schehen, ist es notig, diese naher zu betrachten. Das Wesen des Schlusses sowie der gesamten 
Wissenschaft ist die Erweiterung des Wissens, und zwar von einem bekannten Teil A zu ei- 
nem bis dahin unbekannten Teil C.^^^ Der Weg dahin geht iiber den Mittelteil B des Schlusses. 
Ist Teil A nun ein Wahrnehmungsurteil und soil Teil C ein nicht wahmehmbares Urteil sein, 
wie es in der Metaphysik oft vorkommt, so ist der sichere SchluB nur mit Hilfe eines allge- 
meinen Satzes moglich, genau gesprochen mit Hilfe eines synthetischen Satzes apriori, wor- 
unter man einen nicht auf Erfahrung beruhenden Erweiterungssatz versteht. Dessen Mog- 
lichkeit wird von Gegnem der Metaphysik in der Regel geleugnet. Dagegen ist jedoch festzu- 
halten, daB sich eine solche Behauptung selbst widerlegt, denn schlieBlich ist die pauschale 
Leugnung synthetischer apriori-Satze gerade ein ebensolcher apriorisch-synthetischer Satz.^^^ 

Eine besondere Art des SchlieBens ist die Induktion!^^ Die (unvoUstandige) Induktion gilt als 
ein KonvergenzschluB, da sie aus dem Besonderen, Einzelnen ein allgemeines Gesetz bildet 
und keine absolute GewiBheit vermitteln kann. Zu den induktiv gewonnenen Gesetzen geho- 
ren vor allem die von den Naturwissenschaften gelieferten Naturgesetze, die zwar keine voU- 
kommene, aber eine in der Regel ausreichende GewiBheit bieten.^^^ Als Grundlage der Be- 
rechtigung der Induktion gehen die Naturwissenschaften von der Gleichformigkeit der Natur 
bzw. vom Kausalsatz aus, nach dem gleiche Ursachen gleiche Wirkungen hervorbringen.^^^ 
Gegen eine Anwendung des Kausalsatzes auf die gesamte Wirklichkeit ist aber bereits hier 
festzuhalten, daB es keinesfalls apriori einsichtig ist, daB jede Ursache eine notwendig wir- 



863 



In diese Richtung weist auch das folgende Zitat: „SchluBfolgemngen miissen an Gegebenes ankniipfen, und 

so konnen die letzten Gegebenheiten uns nur durch einen nicht auf Schlussen beruhenden ProzeB offenbart 

werden [...]". Eddington in: Diirr 112 f. Eigentlich sind es die ersten Gegebenheiten; Prozefi ist fur evidente 

Erkenntnis auch nicht der beste Begriff. Siehe dazu auch die Ausfuhrungen zur Evidenz in Kapitel 4.2.3 f. 

Vgl. Lotz/Vries 64 ff., 122 ff. 

Vgl. Lotz/Vries 45. Siehe dazu auch die Ausfuhrungen zu den Grundwahrheiten und ersten Prinzipien in 

Kapitel 4.2.3. 

Vgl. zur Induktion Aristoteles: Erste Analytik II, 23; Fobes in: Brugger 182 f.; Lehmen I, 102 ff., 232 ff.; 

Hennen 82, 124 f., 131 f.; Arnauld/Nicole: Teil 3, Kapitel IX (S. 250 ff.); Lotz/Vries 69 ff. und Vries 1937, 

240 ff . 

Zur Deduktion, die (mittels Syllogismus) das Besondere aus dem Allgemeinen ableitet, siehe Lehmen I, 230 

ff.; Regenbogen/Meyer 134; Santeler in: Brugger 56 und Aristoteles: Zweite Analytik I. 

Daran zeigt sich ubrigens, daB die Naturwissenschaften keinesfalls die (einzig) „exakten" Wissenschaften 

und erst recht nicht die Geisteswissenschaften die „weichen" Wissenschaften sind, wie vielfach behauptet 

wird. 



1 94 Erkenntnistheorie 



kende Ursache ist, sie also unter den selben Bedingungen jeweils die selben Wirkungen her- 
vorbringt/^^ Wie sich bei der Behandlung der Willensfreiheit (Kapitel 4.5.5) noch zeigen 
wird, ist dies bei geistigen - und damit freien - GroBen gerade nicht der Fall. Auf der anderen 
Seite muB erwahnt werden, daB die Behauptung, es gebe gar keine giiltige Induktion, nicht 
deduktiv hergeleitet werden kann, da die GesetzmaBigkeit, auf die sich die Induktion bezieht, 
(in den Pramissen) immer vorausgesetzt wird. Eine induktive Herleitung der Behauptung 
scheidet aufgrund des Selbstwiderspruchs von vomherein aus.^^^ Im Hinblick auf die Proble- 
matik der KI bleibt zu sagen, daB Induktion (und das gilt auch fiir die mathematische bzw. 
voUstandige Induktion) nicht rein algorithmisch moglich ist. Sie setzt wie jede mittelbare Er- 
kenntnisform unmittelbare oder mit anderen Worten nicht-algorithmische Evidenz voraus. 

Nachdem nun die Grundzuge der Logik entsprechend den drei Grundtatigkeiten des Verstan- 
des feststehen, ist abschlieBend noch etwas zur Methode der Wissenschaft bzw. Wissen- 
schaften zu sagen.^^^ Die Untersuchung der Methoden, Strukturen, Ziele und Folgen wissen- 
schaftlichen Erkennens wird auch Wissenschaftstheorie genannt. Eine der wichtigsten Er- 
kenntnisse der Wissenschaftstheorie besteht in der Einsicht, daB neben den fiir jede Erkennt- 
nis allgemein verbindlichen logischen Grundlagen jede einzelne Wissenschaft ihre eigenen 
Methoden und Prinzipien hat, nach denen sie ihr Gebiet ordnet und bearbeitet. Eine besondere 
Gefahr, der vor allem auch die in Kapitel 3 behandelten Naturwissenschaften haufig erliegen, 
besteht darin, die auf dem eigenen Gebiet erfolgreichen Methoden auf andere Wissenschaften 
bzw. deren Materialobjekte ausdehnen zu woUen. Wie sich noch naher zeigen wird, laBt sich 
etwa die Metaphysik nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden durchfuhren. Die wissen- 
schaftlichen Methoden lassen sich unter verschiedenen Aspekten einteilen. Die fiir die vorlie- 
gende Arbeit wichtigste Unterscheidung ist die in analytisches und synthetisches Vorgehen. 
Wahrend die Analyse ein Ganzes in seine (heterogenen) Telle zerlegt, (re-)konstruiert die 
Synthese das Ganze aus den Teilen. Bei beiden Verfahren zeigen sich haufig entscheidende 
Unterschiede zwischen der Philosophic und den Einzelwissenschaften, insbesondere den Na- 
turwissenschaften. Als Beispiel kann die Analyse und die vergebliche Synthese von Lebewe- 

^^^ Zur Einschatzung der Induktion (und Deduktion) aus naturwissenschaftlicher, insbesondere physikalischer 

SichtsieheHofling391ff. 
^^^ Siehe zur Kausalitat Kapitel 4.3.2. 

^^^ Zur Behauptung, die Induktion sei bis heute unverstanden, siehe Dennett in: Boden 1990, 158. 
^^^ Vgl. zur Methode die folgenden Quellen, wo sich neben theoretischen Grundlagen meist auch praktische 

Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens finden: Lehmen I, 107 ff.; Lotz in: Brugger 244 ff.; Arnauld/Nicole 

Teil 4 (S. 282 ff.); Lotz 1937, 236 ff. und Aristoteles: Metaphysik II-IV. 



Erkenntnistheorie 1 95 



sen gelten. Hier stoBen die auf das Quantitative beschrankten Naturwissenschaften an ihre 
Grenze, wohingegen die Philosophie durch die Erkenntnis des nichtstofflichen Lebensprin- 
zips, d.h. der Seele, das Wesen des Lebendigen erklaren kann. 

Nachdem die Logik die gmndsatzlichen Bedingungen fiir Erkenntnisse, insbesondere fiir sol- 
che durch SchluBfolgemngen aufgezeigt hat, wird das nachfolgende Kapitel „Erkenntniskri- 
tik" die Beziehung der Urteile zum Sein und damit deren Wahrheit aufweisen. 



Zur Darstellung des logischen Empirismus sowie neuerer Ansatze wie der von Popper, Quine-Duhem etc. 
siehe (allerdings unter Vorbehalt) Churchland 249 ff. und Kanitscheider 8 ff. Fiir eine Einschatzung dieser 
Ansatze im Sinne des gemaBigten und kritischen Realismus siehe dagegen Dempf 46 ff . 



1 96 Erkenntnistheorie 



4.2.3 Erkenntniskritik 

Wissenschaft setzt Erkenntniskritik voraus.^^^ Die Erkenntniskritik (auch kurz „Kritik" ge- 
nannt) ist die kritische Rechtfertigung der Vernunfterkenntnis. Es geht ihr um die Beantwor- 
tung der Fragen, ob der Mensch fahig ist, wahre, allgemeine, gesicherte Erkenntnis zu gewin- 
nen und falls ja, wo deren Grenzen liegen. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang 
die Frage, ob die Erfahrung iiberschritten werden kann. Die Erkenntniskritik zielt auf die 
Ubereinstimmung des Denkens mit seinem Gegenstand, d.h. auf die Wahrheit des Erken- 
nens.^^^ Fiir die Kritik entscheidend ist die Aufdeckung des Zusammenhangs zwischen Seins- 
und Denkgesetzen, wobei sich zeigen wird, daB letztere in ersteren griinden.^^^ 

Um die Erkenntniskritik sind seit jeher, besonders aber seit der Neuzeit, heftige Kampfe ge- 
fiihrt worden. Zu nennen sind hier beispielsweise der Rationalismus und seine Gegenreaktion 
der Empirismus, auf die noch einzugehen sein wird. Zunachst gilt es, die wesentlichsten Ein- 
wande gegen die Moglichkeit objektiver Erkenntnis zu entkraften. Im Verlauf dieser Be- 
handlung sowie im AnschluB daran sind Reichweite, Prinzipien und Ergebnisse wahrer und 
gesicherter Erkenntnis positiv darzulegen. 

Den radikalsten Einwand gegen die Erkenntnisfahigkeit des Menschen erhebt der Skeptizis- 
mus. Nach ihm soil objektive Erkenntnis grundsatzlich unmoglich oder zumindest stets zwei- 
felhaft sein. Demnach ist alles nur Tauschung; nichts ist sicher bzw. wahr. Bereits hier zeigt 
sich die innere Haltlosigkeit und Widerspriichlichkeit des Skeptizismus.^^^ In diesem Zusam- 
menhang sei auf Augustinus verwiesen, der erkannt hatte, daB man (vorlaufig) an Vielem 
zweifeln kann, jedoch unmoglich an der Tatsache der eigenen Existenz, denn zweifeln oder 
sich tauschen kann nur, was ist.^^^ Auf die Form „Fallor ergo sum", d.h. „ich irre mich, also 
bin ich" gebracht, ist dies eine friihe Vorwegnahme des „Cogito ergo sum" (Descartes), d.h. 
des „Ich denke, also bin ich".^" 



872 

873 
874 



Vgl. neben dem bisher Gesagten vor allem auch Herbig/Hohlfeld 13 ff. 

Vgl. Lehmen I, 117ff. 

Die Erkenntniskritik steht damit in sehr engem Verhaltnis zur Metaphysik. Zum Zusammenhang zwischen 

Erkenntnistheorie bzw. -kritik und Metaphysik siehe Kapitel 4.3 und Vries 1937, 272 f. 

Wenn nichts sicher und wahr ist, dann vor allem auch nicht der Skeptizismus. Siehe gegen den Skeptizismus 

auch Aristoteles: Metaphysik IV, 8; Hennen 184 ff. und Vries 1937, 1 19 ff. 

Vgl. DerfreieWille, 55. 

Die Formulierung bei Augustinus lautet: „Si enim fallor, sum." Vgl. zur theoretischen und praktischen Un- 

haltbarkeit des Skeptizismus Lehmen I, 123 ff. und Vries 1937, 43 ff. 



Erkenntnistheorie 1 97 



Genauso unhaltbar wie der Skeptizismus ist der Relativismus, der sich ebenfalls hinter vielen 
der in Kapitel 3 hinterfragten Behauptungen versteckt.^^^ Das gilt besonders fiir die im Rah- 
men des Biologismus vertretene evolutionare Erkenntnistheorie, nach der die Wahrheit des 
Erkennens vom erkennenden Subjekt, insbesondere seiner Entstehung und Entwicklung sowie 
unbestandigen raum-zeitlichen Umstanden abhangt.^^^ Nach dem Relativismus ist alle Wahr- 
heit relativ. Das ist jedoch unmoglich, denn entweder soil diese Behauptung relativ oder ab- 
solut wahr sein. Ist sie nur relativ wahr, kann sie sich entweder nicht auf alle Wahrheit bezie- 
hen, oder sie nimmt falschlich an, es konne absolute Wahrheit geben, die zur relativen Wahr- 
heit wird bzw. andersherum. Soil die Behauptung absolut wahr sein, widerspricht sie sich 
selbst am offensichtlichsten. In die gleichen Widerspriiche verfangt sich auch der vom Relati- 
vismus abgeleitete Pragmatismus, nach dem das Wahre das fiir den Erkennenden (relativ) 
Praktische sei sowie der ihm ahnliche Subjektivismus.^^^ 

Eine weniger radikale aber nicht minder falsche Auffassung von der Wahrheit ist die Verkiir- 
zung und damit Verfehlung der Erkenntnisfahigkeit durch den Empirismus, der sich an vielen 
Stellen in Kapitel 3 offenbarte (vgl. etwa Kapitel 3.2.4 und 3.3.4). Dessen Grundaussage ist 
unhaltbar, denn die Behauptung „Alle Erfahrungserkenntnis ist wahr" und erst recht die An- 
nahme „AusschlieBlich Erfahrungserkenntnis ist wahr" lassen sich auch aus noch so vielen 
Erfahrungen nicht herleiten.^^^ Wer leugnet, daB tJbersinnliches erkannt werden kann, spricht 
auBerdem seiner eigenen intellektuellen, d.h. ubersinnlichen Vemunft bzw. Erkenntnis selbst 
entgegen.^^^ Damit ist der Empirismus endgiiltig widerlegt. Das gleiche gilt fiir den Positivis- 
mus, nach dem Wissenschaft nicht iiber sinnlich wahrnehmbare Tatsachen und deren Ver- 
kniipfung hinausgehen konne.^^^ Wie in Kapitel 4.5.4 noch ausfiihrlicher herauszuarbeiten ist. 



Vgl. zur Unhaltbarkeit des Relativismus (und damit auch des Subjektivismus) Lehmen I, 268 ff.; Vries 1937, 
124 ff. und Santeler in: Brugger 323. 

Gegen den Relativismus spricht eigentlich schon die naturwissenschaftliche Erkenntnis, daB es Konstanten 
gibt, etwa die mathematischen oder die physikalischen wie die Lichtgeschwindigkeit c oder das Plancksche 
Wirkungsquantum h (vgl. Kapitel 3.4). 

Zur Auffassung, nach der die Mathematik etwas „Absolutes" ist, das nicht erfunden, sondern entdeckt wird 
und notwendige Wahrheiten liefert, siehe Penrose 1995, 62 ff., 140 f. und 517 ff. Die (mathematische) Er- 
kenntnis geschieht nach platonischer Einschatzung durch den „Kontakt" mit den ewigen Ideen bzw. Wahr- 
heiten. Vgl. Penrose 1991, 416 ff.; 1997, 116 und 125. 

Siehe gegen die evolutionare Erkenntnistheorie auch Dempf 55 ff. und Low in: Herbig/Hohlfeld. 
Vgl. gegen Relativismus, Pragmatismus und Subjektivismus Hennen 191 ff., Deku 107 ff. und Lehmen I, 
264 ff. Der Subjektivismus scheitert auch, well Erkenntnis die Angleichung vom Geist bzw. Subjekt an das 
zu erkennende Sein bzw. Objekt ist und somit ein vom Subjekt verschiedenes Objekt voraussetzt. Vgl. auch 
Kapitel 4.2.4 und 4.5.4. 

Vgl. Santeler in: Brugger 82 f. und siehe zu weiteren Argumenten gegen den Empirismus Hennen 186 ff. 
und 207 ff.; Dempf 25 ff. sowie Lehmen I, 258 ff. und 387 ff.; 11.2, 3 und 261 ff. sowie 271 ff. 
Vgl. Kapitel 4.3.3 und Lehmen III, 18 f. 

Zu Argumenten gegen den Positivismus siehe Brugger in: Brugger 299 f.; Lehmen I, 259 ff. sowie 
Lotz/Vries 33 ff., 64 ff. 



198 Erkenntnistheorie 



wurzelt menschliche Erkenntnis zwar in der Erfahrung, geht aber nicht voUig darin auf. Das 
Denken und Erkennen schreitet vom Sichtbaren zum Unsichtbaren voran. Nur der sinnenge- 
bundene Mensch halt Unsichtbares bzw. Immaterielles fiir unmoglich. 

Und wie ist es mit dem Rationalismus, dessen Uberwindung bekanntlich das Ziel des (engli- 
schen) Empirismus war? Auch er wird dem Menschen, dessen Erkenntnissen und besonders 
dessen leib-geistiger Einheit nicht gerecht/^"^ Der Rationalismus woUte ausschlieBlich aus der 
Ratio mit Hilfe der angeborenen Ideen aprioristisch-deduktiv (more geometrico) die Wissen- 
schaften entspringen lassen. Er kann die Realitat der AuBenwelt nicht erklaren und scheitert 
an der Frage, wie denn die verworrenen Sinneserkenntnisse die angeblich angeborenen Ideen 
der Vernunft im Sinne der Wahrheitsfindung „anregen" sollen, wenn nicht jeder von Geburt 
an ohnehin schon alles wissen soil. Die tJberbewertung der Ratio laBt zudem intuitives Er- 
kennen ungeklart,^^^ verkennt die Leiblichkeit des Menschen und schlieBt anmaBend Offenba- 
rung und Geheimnis aus. 

Der Kritizismus Kants, der das Ziel hatte, den Gegensatz zwischen Rationalismus und Empi- 
rismus zu iiberwinden, kommt seinerseits letztlich nicht Uber einen subjektiven Autonomis- 
mus hinaus.^^^ Indem Kant behauptet, die Dinge an sich, mit anderen Worten das Wesen der 
Dinge, sei ganz und gar unerkennbar/^^ gleichzeitig aber angibt, die Dinge wiirden den Men- 
schen, genauer seine Sinne affizieren^^^ und von Ding^n sowie von Vermogen des Menschen 
redet usw., widerspricht er standig seiner Grundannahme, der Mensch kame Uber den Bereich 
der Erscheinungen nie hinaus.^^^ Kaum eine Aussage zum Ding an sich macht das Dilemma, 
um nicht zu sagen die Aporie, in die sich Kant begeben hat, so knapp und treffend klar wie 
das des oft zitierten Zeitgenossen Fr. H. Jacobi: Ohne den Begriff des Dings an sich kommt 
man nicht in die Kantische Philosophic hinein, mit ihm aber kann man nicht darin bleiben. 
Unhaltbar ist auch die Behauptung Kants, „die Gegenstande miissen sich nach unserem [sic!] 
Erkenntnis richten"^^V Sowohl die Widrigkeiten des taglichen Lebens, die iiberdeutlich auf 



Vgl. zum Rationalismus Brugger in: Brugger 313 f. und siehe auch Dempf 27 f. 

Siehe dazu auch Kapitel 4.5.4. 

Vgl. Dempf 28 ff.; Willmann III, besonders 292 ff. sowie Lehmen I, 186 ff. und 268 ff. 

Vgl. Kritik der reinen Vernunft B 45, B 59, B 332 und viele andere Stellen. 

Vgl. Kritik der reinen Vernunft B 69, B 74, B 275 und weitere Stellen. 

Der Rahmen dieser Arbeit laBt keine ausfuhrlichere Behandlung des so einfluBreichen Denkers Kants zu. 

Ausfuhrliche Wurdigung und Widerlegungen Kants sowie zum Teil des deutschen Idealismus finden sich 

bei Scheler 1954, 66 ff.; Jansen; Hirschberger; Vries 1937, 132 ff.; Lehmen I, 199 ff. und vor allem in end- 

gultiger Weise in Willmanns „Geschichte des Idealismus", speziell in Band III, §100-106. 

Kant: Kritik der reinen Vernunft B XVI. 



Erkenntnistheorie 1 99 



die Unabhangigkeit der Dingwelt vom menschlichen Wunschdenken hinweisen, wie auch die 
philosophische Kritik zeigen, daB es sich in Wirklichkeit gerade andershemm verhalt/^^ 

Zusammenfassend kann man zu den Fehlauffassungen der Erkenntnisbefahigung und damit 
der Wahrheit sagen: „Die Geschichte des menschlichen Geistes weist namUch auf keinem an- 
deren Gebiet so beklagenswerte Verirrungen auf als auf dem Gebiet, dem die Fragen nach der 
Wahrheit und GewiBheit unserer Erkenntnis angehoren. Der Grund all dieser Irrtumer ist die 
durchaus verkehrte Ansicht, eine wissenschaftliche Kritik diirfe nicht von einer durch die 
Natur gegebenen Grundlage ausgehen, sondern miisse sich erst eine Grundlage selbst schaf- 
fen."^^^ 

Der Mangel im bisher Gesagten besteht darin, daB zwar grundsatzlich Skeptizismus, Relati- 
vismus, Pragmatismus, Subjektivismus, Empirismus, Positivismus, Rationalismus, Kritizis- 
mus und ahnliche Positionen ausgeschlossen werden konnen, aber iiber die wahre und ange- 
messene Einschatzung der Erkenntnisfahigkeit des Menschen noch nicht viel feststeht. Diese 
soil nachfolgend untersucht werden.^ ^^ 

Die Frage lautet: Was steht unumganglich als das Sicherste fest? Was liegt allem Erkennen 
zugrunde, was ist nicht mehr reduzierbar und hinterfragbar? Es ist dies die uralte Frage, die 
alle Philosophen beschaftigt hat und beschaftigt. Es stellt sich heraus, daB das durch die Sinne 
Erkannte nicht der Ausgangspunkt des Erkennens ist, denn es geht der Erkenntniskritik „gar 
nicht um die Frage, welche .Erkenntnis' (im weitesten Sinn des Wortes) dem psychologi- 
schen Entstehen nach die ,erste' ist, sondern welches Urteil seiner Gewifiheit nach das ,erste', 
d.h. das grundlegendste ist."^^^ Gesucht sind also die Grundwahrheiten. Diese Grundwahrhei- 
ten sind „allseitig sichere, jedem Verstand notwendig einleuchtende Wahrheiten, die die Vor- 
aussetzung der Erkenntnis anderer Wahrheiten sind, selbst aber nicht durch andere Wahrhei- 
ten, sondern durch sich selbst erkannt werden"^ ^\ Als diese Grundwahrheiten, die nicht be- 
wiesen und auch nicht bestritten werden konnen, da sie Grundlage jedes Beweises und jeder 
Kritik sind, stellen sich folgende drei Wahrheiten heraus: die Wahrheit der ersten Bedingung, 



Vgl. Willmann III, § 101. 

Lehmen I, 118. 

Der Einwand, der Geist konne seine eigene Wahrheitsbefahigung nicht priifen, da er sonst Werkzeug und 

Werkstuck zugleich sein miiBte, ubersieht, daB zwischen potentiellen und aktuellen Vollzugen des Geistes 

so wie zwischen Denkinhalt und Denkakt bzw. Denkweise unterschieden werden muB. Vgl. Vries 1937, 73 

ff., 150 f. und 227 f. 

Vries 1937, 35; Hervorhebungen im Original in Sperr- statt in Kursivdruck. 

Lehmen I, 131. Siehe hierzu auch Kapitel 4.2.4 und Deku 51 f. 



200 Erkenntnistheorie 



der ersten Tatsache und des ersten Prinzips/^^ All diese Wahrheiten sind in jeder Erkenntnis 
als gewiB eingeschlossen. 

Die erste Bedingung ist die Befahigung der Vernunft, Wahrheit zu erkennen. Diese Befahi- 
gung kann nicht bewiesen und noch weniger ernsthaft bestritten werden, da man hierfiir 
Griinde angeben miiBte, die sich auf die objektive Wirklichkeit bzw. das Sein beziehen miiB- 
ten und so gerade das voraussetzen, was sie bestreiten woUen.^^^ 

Die erste Tatsache ist die Tatsache der eigenen Existenz. Auch sie kann nicht bestritten oder 
bewiesen werden, da jede Kritik und jeder Beweis jemanden voraussetzt, der diese Kritik oder 
diesen Beweis fiihrt. Es ist allerdings zu betonen, daB das „Cogito ergo sum" Descartes' nicht 
die eine, letzte Grundlage aller GewiBheit sein kann.^^^ 

Das erste Prinzip schlieBlich ist der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch, der auch 
(Nicht-) Widerspruchs- oder Kontradiktionsprinzip genannt wird.^^^ Er wurde von Aristoteles 
auf die bekannte Form gebrachte, „daB namlich dasselbe demselben und in derselben Bezie- 
hung (und dazu mogen noch die anderen naheren Bestimmungen hinzugefugt werden, mit de- 
nen wir logischen Einwiirfen ausweichen) unmoglich zugleich zukommen und nicht zukom- 
men kann."^^^ Wer dieses Prinzip bzw. diesen Satz widerlegen will, setzt ihn bereits voraus. 
Keine Aussage, kein Denken ist ohne oder gegen ihn moglich, da sonst alles „verschwim- 
men" wurde. Der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch besagt die unbedingte Unverein- 
barkeit von Sein und Nichts, er ist deshalb zu allererst die Grundaussage der Ontologie und 
erst nachfolgend das erste Prinzip der Erkenntnis und der Logik, das die Wahrheit zweier 
kontradiktorischer Gegensatze ausschlieBt. Der Widerspruchssatz ist mehr als nur ein ne- 
gatives Kriterium. Er sagt bereits Positives im Sinne der intuitiven Evidenz iiber das Sein 
aus.^^^ Im Zusammenhang mit dem Physikalismus (Kapitel 3.4) ist darauf zu verweisen, daB 
auch die Quantentheorie nicht gegen den Satz vom Widerspruch spricht bzw. ihn nicht wi- 
derlegen kann. 



Vgl. Lehmen I, 130 ff. und Hennen 126 ff. Zu einer tJbersicht der durch verschiedenste Philosopher! vertre- 
tenen (vermeintlichen) ersten bzw. angeborenen „Ideen" siehe Wuketits in: Herbig/Hohlfeld 208 ff. 
Vgl. auch das oben Gesagte gegen den Skeptizismus. 

Vgl. Lehmen I, 135 ff. und II. 2, 307. Sowohl das Widerspruchsprinzip als auch die notwendig wahre Er- 
kenntnis des Seienden sind neben der GewiBheit des eigenen Seins unumgangliche Bedingung jeder (weite- 
ren) Erkenntnis. 

Zum SelbstbewuBtsein siehe Kapitel 4.5.6. 
Vgl. auch Lehmen I, 330 ff. 

Metaphysik IV, 3 (1005 b). Siehe auch Metaphysik XI, 5 f. sowie Topik II, 7 f. und Zweite Analytik I, 1 1. 
Zum Identitatsprinzip (Was ist, ist oder anders ausgedrtickt: Jedes Seiende ist, was es ist.) siehe Hennen 127 
f.; Vries in: Brugger 177 f.; Vries 1937, 330 f. und (unter Vorbehalten) Wirk 44 ff. 



Erkenntnistheorie 20 1 



Man kann die drei Grundwahrheiten auch anhand der naheren Betrachtung eines Erkennt- 
nisaktes beleuchten. Ausgangspunkt ist: Ich erkenne, daB etwas ist. Liegt die Betonung auf 
dem Akte, also „ich erkenne, daB etwas ist", so leuchtet die erste Bedingung auf. Bei der (re- 
flexiven) Hinwendung zum Subjekt zeigt sich die erste Tatsache: Ich erkenne, daB etwas ist. 
Wird schlieBlich das Sein des Seienden in den Vordergrund geriickt, so offenbart sich das er- 
ste Prinzip: Ich erkenne, daB etwas ist (und nicht etwa nicht ist). Es bleibt festzuhalten, daB 
man immer erst erkennt, bevor man Erkenntnis studiert. „Der Realismus wird durch den er- 
kennenden Geist erlebt, bevor er von ihm erkannt wird."^^^ 

Um von den drei Grundwahrheiten und den durch die Sinne vermittelten Einzelerkenntnissen 
weiterzukommen, bedient sich der Geist weiterer entscheidender Prinzipien. Zu den wichtig- 
sten gehort der aus dem Widespruchssatz folgende Satz vom ausgeschlossenen Dritten, das 
„Principium exclusi tertii".^^^ Zwischen dem Sein und dem Nichtsein gibt es kein Drittes: 
„Tertium non datur." Aus dem ontologischen folgt auch hier der logische Satz: Jede Aussage 
Uber das Sein ist (letztlich) entweder wahr oder falsch. Zwei kontradiktorische Gegensatze 
konnen nicht zugleich wahr und nicht zugleich falsch sein. Sogenannte hoherwertige Logiken 
lassen sich letztlich immer auf zweiwertige zuriickfuhren. DaB gewisse Urteile dem Menschen 
nur mit eingeschrankter GewiBheit moglich sind, d.h. fiir ihn nur wahrscheinliche sind, be- 
deutet keinesfalls, daB es objektive Seinsaussagen geben kann, die weder wahr noch falsch 
sind. 

Das fur die menschliche Erkenntnis auBerordentlich wichtige Kausalprinzip wird im Rahmen 
der Ontologie (Kapitel 4.3.2) naher betrachtet werden. An dieser Stelle gilt es, zusammenfas- 
send zu den ersten Wahrheiten und Prinzipien zu sagen, daB diese nur von einem immateriel- 
len Geist erkannt werden konnen.^ ^^ Nur der Geist kann einen Zugang zum Sein haben und 
eine Entsprechung von Intellekt und Sein begriinden. Der Satz vom zu vermeidenden Wider- 
spruch oder vom ausgeschlossenen Dritten beispielsweise ist fiir eine Maschine oder allge- 
meiner gesagt fiir ein zusammengesetztes System nicht faBbar; sie sind allenfalls (mehr oder 
weniger metaphorisch) darstellbar.^'^^ 



^°2 Maritain 96. Vgl. dazu Maritain 90 ff. 

^'^^ Vgl. zum ausgeschlossenen Dritten Aristoteles: Metaphysik IV, 7; Vries 1937, 331 f.; Hennen 129; Vries in: 



Brugger 71 und siehe auch Mittelstaedt 121 f. 
^^^ Siehe dazu auch Kapitel 4.5.3 f. 
^^' Vgl. Titze 70 f. 



202 Erkenntnistheorie 



Die Aufgabe der Erkenntniskritik ist wie bereits gesagt „die ausdriickliche Zuruckfuhmng der 
GewiBheit auf ihre letzten Griinde"^^^. Dazu gehort neben dem Aufweis der ersten Wahrheiten 
auch die Darlegung allgemeiner (ontologischer) Voraussetzungen fur die Erkenntnis.^^^ 

Zu den wichtigsten Voraussetzungen fiir Erkenntnis gehort Ordnung.^^^ Erkennen setzt im be- 
sonderen die Bestandigkeit (Konstanz), Einheit und Ordnung des Erkennenden und des Er- 
kannten voraus. Nur so sind raumliche und zeitliche Veranderungen sowie Naturgesetze er- 
kennbar. Im totalen Chaos und einer totalen ZufalUgkeit kann es keine Wahrheit aber auch 
keine Fehler geben. Die Notwendigkeit einer realen, vom Menschen unabhangigen Welt (an 
sich) hatte sich ja bereits gezeigt.^^^ Dariiber hinaus laBt es sich aufweisen, daB das Sein des 
Seienden ein geordnetes ist. Ohne die innere Seinsordnung des Seienden ist das Leben, die 
inter subjektive Verstandigung und Erkenntnis nicht mogUch.^^^ Zur Herkunft der Ordnung ist 
bereits hier zu sagen, „daB jede nicht zufallige Ordnung geistigen Ursprungs ist"^^^ Der 
Mensch kann nicht der (alleinige) Ordnungsgeber alles Seienden sein.^^^ Da Ordnung nur aus 
Ordnung entstehen kann, muB es eine erste Ordnung und d.h. letztUch Gott geben.^^^ Es gibt 
zwei Hauptarten von Fehlem, die im Zusammenhang mit Ordnung gemacht werden konnen. 
Man kann erstens da Ordnung annehmen, wo keine ist (z.B. Aberglaube), oder zweitens tat- 
sachUche Ordnung iibersehen. 

Neben der Ordnung setzt Erkennen auch letzthch iiberraumUche und iiberzeithche Substanzen 
voraus. Erkenntnis von Zeit und Raum setzt Teilhabe am UberzeitUchen und tJberraumUchen 
voraus, das immer mitgedacht wird. Da der Mensch an iiberzeitlichen und uberraumUchen 
Konstanten teilhaben, mit anderen Worten sie erkennen kann, laBt das auf seine Raum und 
Zeit iibergeordnete geistige Seele schheBen.^^^ 

(Objektive) Erkenntnis setzt dariiber hinaus (objektiven) Abstand oder mit anderen Worten 
Distanz vom zu Erkennenden voraus. Das bedeutet neben der ontologischen Getrenntheit von 
Erkennendem und Erkanntem, daB Erkennen ein mogUchst niichternes, sachbezogenes Auf- 
nehmen, Priifen und Beurteilen aus Griinden ist. 



^°^ Vries 1937, 33. 

^^^ Siehe zur Ontologie Kapitel 4.3.2. 



Vgl. Hennen 161 ff. sowie 320 ff. und zur Ordnung auch Lotz/Vries 226 ff. Siehe zu Invarianz, Symmetrie 

und Erhaltungssatzen in der Natur Kanitscheider 337 ff. 

Vgl. dazu auch Maritain 107 ff. 

Siehe zum Erkennen auch Kapitel 4.5.4 und zur Seinsordnung Kapitel 4.3.2. 

Titze 159. 

Vgl. Hennen 26, 54, 66 f., 71 f., 78, 229 und Lotz/Vries 226 ff. 

Siehe dazu Kapitel 4.3, besonders 4.3.3. 



Erkenntnistheorie 203 



SchlieBlich bleibt noch zu erwahnen, daB Erkennen nicht zuletzt auch Tugend voraussetzt.^^^ 
Dies liegt vor allem an der engen Bindung des Willens an das Erkenntnisvermogen durch die 
beiden zugmndeliegende geistige Seele sowie der transzendentalen Einheit vom Guten und 
Wahren.'^' 

Ein wichtiger Teil der Erkenntniskritik ist die Beleuchtung der Mittel, durch deren richtigen 
Gebrauch der Mensch zur Erkenntnis der Wahrheit gelangt. Zu diesen sogenannten Erkennt- 
nisquellen zahlen das BewuBtsein, die Sinne, die Ideen und die Autoritat.^^^ 

Als erste Erkenntnisquelle gilt das BewuBtsein.^ ^^ Das BewuBtsein liefert dem Menschen die 
Erkenntnis der inneren Tatsachen, d.h. es laBt dem Menschen seine sinnUchen und vor allem 
geistigen Akte wie das Wollen und Denken gegenwartig sein. Entscheidend im Sinne der Er- 
kenntniskritik ist die Einsicht, daB das BewuBtsein grundsatzlich untriigliche, notwendig wah- 
re Erkenntnis liefert. Wollte man dies bezweifeln, fiele nicht nur jede Erkenntnis unter Irr- 
tumsverdacht, man widersprache sich auch selbst. Es ist dem Menschen zwar moglich - etwa 
durch ungeschultes oder nachlassiges SchluBfolgern - die Wahrheit eines Urteils zu verfeh- 
len. DaB es jedoch iiberhaupt zu einem eigenen Urteil kam, kann nicht ernsthaft bestritten 
werden. Es gibt auch hier nur die Alternative zwischen dem - bereits zuriickgewiesenen - 
Skeptizismus auf der einen Seite und dem an der Wahrheit des BewuBtseins festhaltenden 
Realismus. Da Kl-Systeme nicht iiber BewuBtsein verfugen und dies auch gar nicht konnen,^^^ 
kann man bei ihnen - auch beim Vorhandensein von „intemen Modellen ihrer selbst" - nicht 
von echtem Wissen um die inneren Vorgange oder gar sich selbst reden. 

Die zweite Quelle von Erkenntnis ist die Sinneserkenntnis.^^^ Mit Hilfe der Sinne gelangt der 
Mensch zur Erkenntnis der auBeren Tatsachen. Fiir die von den Sinnen vermittelten Eindriik- 
ke gilt, daB sie untriigliches Zeichen einer realen AuBenwelt sind.^^^ Zwar sind Sinnestau- 



914 



915 



Siehe zu Seele und Geist Kapitel 4.5.3. 

Vgl. Thomas: Summe der Theologie II, 55 ff. und III, 180 sowie Deku 64 ff. Dieser wichtige Zusammen- 

hang bleibt in der Regel von naturwissenschaftlicher Seite unbeachtet. Bei Kl-Systemen kann man nicht von 

Tugend, d.h. einer bewuBten und freien Bindung an das Gute sprechen. Siehe zur Freiheit auch Kapitel 

4.5.5. 

Siehe zur Tugend Kleinhappl/Rotter in: Brugger 415 f.; Hoh 138 ff. sowie Lehmen IV, 75 ff. und zu den 

Transzendentalien Kapitel 4.3.2. 

Vgl. Lehmen I, 139 ff.; Hennen 127 ff. und BruggerAVillwoll in: Brugger 90 ff. Die noch nicht an das Sein 

gebundene Betrachtung des richtigen Denkens war Thema der Logik (Kapitel 4.2.2). 

Vgl. dazu auch Kapitel 4.5.6 sowie Vries 1937, 146 ff. 

Siehe Kapitel 4.5.6. 

Vgl. dazu auch Kapitel 4.5.4 sowie Aristoteles: Metaphysik IV, 5 (1010 b); Lehmen II. 2, 171 ff.; Hennen 

135 ff., 160 f. und Vries in: Brugger 354 ff. 

Vgl. dazu und zur objektiven Realitat der spezifischen Sinnesqualitaten sowie gegen Subjektivismus, Idea- 

lismus und Wirkungstheorie Lehmen II. 1, 56 ff. 



204 Erkenntnistheorie 



schungen durchaus moglich und auch nicht sonderlich selten. Die Tauschung besteht jedoch 
in falsch voUzogenen Urteilen des Geistes, so daB im engen Sinne gar nicht von der Unwahr- 
heit bzw. Tauschung der Sinne gesprochen werden kann.^^^ Der grundsatzUche Zweifel an der 
Wahrheit der Sinneserkenntnis und damit der Objektivitat der AuBenwelt wiirde in einen ra- 
dikalen Skeptizismus und damit zur widersinnigen Bestreitung jeder Wahrheit fiihren. KI- 
Systeme verfiigen nicht iiber Sinneserkenntnis, da die Leistung der Sinne weit iiber den Be- 
reich des materiellen hinausgeht.^^^ 

Als weitere Quelle der Erkenntnis steht dem Menschen der Vergleich abstrakter Begriffe bzw. 
Ideen sowie das SchluBverfahren zur Verfugung. Hieriiber wurde bereits im Rahmen der Lo- 
gik (Kapitel 4.2.2) das Wesentlichste gesagt. 

SchlieBlich ist noch auf eine weitere Quelle von Erkenntnis einzugehen: den Glauben.^^^ Der 
Glaube ist ein Wissen aufgrund der Einsicht anderer. Er gibt uns „AufschluB iiber Tatsachen, 
die durch Zeit und Raum unserer eigenen Erfahrung entriickt sind"^^\ Weil der Mensch von 
seinem Wesen her auf Gemeinschaft bzw. Gesellschaft hin angelegt ist,^^^ verwundert es 
nicht, daB ein groBer Teil seines Wissens aus dem Glauben kommt. Auch die Wissenschaft 
lebt zu einem nicht unwesentlichen Teil vom Glauben, da die personliche Uberpriifung (bei- 
spielsweise von Experimenten oder auch von zitierten Textstellen) aus praktischen Griinden 
haufig nicht durchfiihrbar ist. Um wahre Erkenntnis aus dem Wissen anderer zu erhalten, ist 
es allerdings notig, deren Glaubwiirdigkeit bzw. Autoritat und Wahrhaftigkeit sowie ihre Er- 
kenntniskraft, Bildung und eventuell weitere entscheidende Lebensumstande zu kennen. Weil 
man bei Kl-Systemen grundsatzlich nicht von Erkennen im echten Sinne sprechen kann,^^^ ist 
ihnen auch kein Glaube moglich. 

Aus der Behandlung der Erkenntnisquellen sowie der bereits angefuhrten Widerlegung von 
Positivismus und Empirismus laBt sich schlieBen, daB der Erkenntnisumfang, d.h. das, was 
erkannt werden kann, grundsatzlich alles Seiende betragt, insbesondere also auch das Uber- 
sinnliche beinhaltet.^^^ Aus der Tatsache, daB menschliche Erkenntnis nie vollkommen ist 



^^^ Vgl. Thomas: Von der Wahrheit I, 9 und 1 1 . 

^^^ Siehe dazu auch Kapitel 4.4.4 und 4.5.4. 

^^^ Vgl. auch Vries in: Brugger 148 ff. 

^^^ LehmenI, 238. 

926 



Siehe Kapitel 4.5.9. 
^" Siehe Kapitel 4.5.4. 
^^^ Vgl. Lehmen I, 258 ff. Erkenntnisvermogen ist zwar grundsatzlich auf das gesamte Sein hin ausgerichtet, 

das bedeutet jedoch nicht, daB es grenzenlos alles oder beliebig genau erkennen kann. 



Erkenntnistheorie 205 



(was einzig bei Gott der Fall ist^^^), kann nicht gmndsatzlich an der Erkenntnisfahigkeit ge- 
zweifelt werden. Im Erkennen der Bedingtheit der menschlichen Erkenntnis, die unter ande- 
rem auch durch naturwissenschaftliche Ergebnisse nahegelegt wird, wird die Bedingtheit be- 
reits (teilweise) uberschritten. Dariiber hinaus ist darauf zu verweisen, daB der mogliche Grad 
der Genauigkeit von der zu betrachtenden Sache abhangt, man also nicht uberall die gleiche 
Genauigkeit und GewiBheit erwarten darf.^^^ 

AbschlieBend ist noch auf die letzten Griinde fiir das Bediirfnis sowie die Moglichkeit des Er- 
kennens einzugehen. Wieso kann man mit Aristoteles festhalten: „Alle Menschen streben von 
Natur nach Wissen"^^^? Worin liegt der tiefste Grund fiir dieses Streben? Hier zeigt sich er- 
neut, daB die Naturwissenschaften nicht alle Fragen bezuglich der Erkenntnis klaren konnen. 
Das Bediirfnis nach Erkenntnis kann letztlich nur philosophisch erklart werden. Der letzte 
Grund dafiir, nach Wissen zu streben und Wissenschaft zu betreiben, besteht namlich nicht 
darin, die Schopfung sondern den Schopfer zu erkennen, der das Ziel der gesamten Schop- 
fung, vor allem aber aller erkennenden Wesen ist.^^^ Die Ahnlichkeit des Menschen, beson- 
ders dessen Geist mit Gott, d.h. der Wahrheit, garantiert letzten Endes die Erkennbarkeit der 
Welt, die ihm ebenfalls (allerdings weniger) ahnlich und nach gottlichen Prinzipien geordnet 
ist. 

Der wohl wichtigste Begriff der Erkenntniskritik ist die Wahrheit. Aufgrund der fiir die Be- 
wertung jeder Theorie kaum zu iiberschatzenden Wichtigkeit dieses Begriffes ist ihm ein ei- 
genes Kapitel gewidmet, in dem das bisher Gesagte aufgegriffen sowie Wert und Wesen der 
Wahrheit ausfiihrlich dargelegt werden. 



^'^ Vgl. Kapitel 4.3.3. 

"^ Vgl. Aristoteles: Nikomachische Ethik I, 1 (1094 b). 

"^ Aristoteles: Metaphysik I, 1 (980 a). 

^^^ Siehe zu Gott als dem letzten Ziel des Seienden Kapitel 4.3.3. 



206 Erkenntnistheorie 



4.2.4 Wahrheit 

Obwohl die Wahrheit bereits teilweise in den vorherigen Kapiteln behandelt wurde, soil sie an 
dieser Stelle noch einmal gesondert untersucht werden. Es ist das Wesen der Wahrheit 
(griech. aletheia, lat. Veritas) herauszustellen, also die Frage zu beantworten: „Was ist Wahr- 
heit?" 

Allgemein besteht Wahrheit in der Ubereinstimmung zwischen Geist und Sein bzw. Seien- 
dem. Bezogen auf das Seiende spricht man von ontologischer Wahrheit (Seinswahrheit), be- 
zogen auf den Geist bzw. Intellekt von logischer Wahrheit (Erkenntniswahrheit).^^^ Die onto- 
logische Oder auch transzendentale Wahrheit kommt allem Seienden als solchem zu.^^^ Sie 
bedeutet die Angemessenheit des Seienden an das Denken und vor allem an die geistige Er- 
kenntnis. Das Seiende ist ontologisch wahr, da es grundsatzlich moglich ist, ein wahres Urteil 
iiber es zu bilden bzw. auszusagen. Der letzte Grund dieser Erkennbarkeit des Seienden liegt 
in den Ideen im Geiste Gottes, nach denen das Seiende geschaffen und durchgeistigt ist.^^^ 
Das Seiende ist also auf den (menschlichen) Verstand hingeordnet und von ihm erfaBbar, well 
es von Gott (und damit zusammenfallend: seinem Verstand) geschaffen und gleichzeitig (als 
wahr) erkannt ist. 

Die logische Wahrheit besteht in der Ubereinstimmung des (menschlichen) Intellektes mit 
den Dingen bzw. dem Gegebenen. Thomas von Aquin bringt dies in Anlehnung an Aristote- 
les^^^ auf die folgende Form: „Adaequatio intellectus et rei, secundum quod intellectus dicit 
esse, quod est, vel non esse, quod non est."^^^ Das heiBt, daB der Verstand vom Seienden sagt, 
daB es ist oder vom Nichtseienden, daB es nicht ist. Noch einmal mit anderen Worten: Vom 
wirklichen Sachverhalt wird gedacht bzw. ausgesagt, daB er besteht, vom nicht wirklichen, 
daB er nicht besteht.^ ^^ Der Verstand hat sich dabei an die gegebene Wirklichkeit - bei Kon- 
kreta beispielsweise bedeutet das an die sie bestimmende immaterielle Form - anzuglei- 
chen.^^^ Die Wahrheit ist fundamentaliter in den Dingen und formaliter im menschlichen 



934 
935 
936 

937 

938 
939 



Vgl. Thomas: Von der Wahrheit I, 1 ff. und Summe der Theologie I, 16; Lehmen I, 288 und 368 f.; Piper 
1947; Vries in: Brugger 448 f.; Lotz/Vries 49 ff. sowie Hennen 132 ff. 
Siehe auch die Ausfuhrungen liber die Transzendentalien in Kapitel 4.3.2. 
Vgl. Thomas: Summe der Theologie I, 15 und 44. 
Vgl. Metaphysik IV, 7 (101 1 b) und VI, 4. 

Summa contra gentiles I, 59. Vgl. dazu auch Vries 1937, 46 ff.; Lehmen I, 288 ff. und II.2, 159 ff.; Maritain 
102 ff. sowie Hennen 132 ff. 

Vgl. hierzu und zum folgenden liber die Wahrheit Vries 1937, 42 ff. 

Es heiBt deshalb auch in einigen Definitionen „adaequatio intellectus ad rem" oder der „conformitas intel- 
lectus cum rem". Vgl. Lehmen I, 288 ff. Zur Form siehe Kapitel 4.3.2. 



Erkenntnistheorie 207 



Geist. Man spricht bei der genannten Auffassung von der Korrespondenztheorie der Wahr- 
heit, da Verstand und Wirklichkeit korrespondieren. 

Gegen die konstmktivistischen und relativistischen Wahrheitsauffassungen aus Kapitel 3 ist 
deshalb hier noch einmal festzuhalten, daB nur das Dasein des wahren Urteils im menschli- 
chen Geist vom Menschen abhangt, nicht jedoch die Geltung des Urteils. ^"^^ Die (logische) 
Wahrheit gilt fiir jeden Verstand, nicht nur fiir den menschlichen.^^^ Sie ist damit uberkultu- 
rell, allgemeingiiltig und objektiv. Spricht man von der Wahrheit bzw. der Wahrheit schlecht- 
hin Oder mit anderen Worten der ersten Wahrheit, ist damit die absolute Wahrheit und das 
heiBt Gott gemeint.^^^ 

Es wurde immer wieder gefragt, wie sich die Ubereinstimmung von Vernunft und Sachver- 
halt, mit anderen Worten die Wahrheit eines Urteils^ ^^ iiberpriifen bzw. sichern laBt. Dazu ist 
zu sagen, daB es logisch ausgeschlossen ist, alles Wissen in Form von Beweisen zu sichern, so 
wie es unmoglich ist, alle Begriffe im engen Sinne zu definieren, da beides ein Zuriickfiihren 
auf anderes ist und dies nicht ins Unendliche fortgefiihrt werden kann.^^^ Damit steht fest, daB 
es neben den mittelbaren Evidenzen, mit anderen Worten Schlussen, erste unmittelbare Evi- 
denzen geben muB.^^^ Dabei versteht man unter Evidenz nicht nur einen weder zu beweisen- 
den noch zu widerlegenden, sondern einen klar sich zeigenden, mit anderen Worten ein- 
leuchtenden Sachverhalt.^^^ Die (unmittelbare) Evidenz ist das hochste bzw. letzte Kriterium 
fiir die (logische) Wahrheit.^ ^^ Die Einsicht in die Wahrheit ist dabei nicht durch ein subjekti- 
ves „Evidenzgefuhr', sondern durch die ontologische und notwendige Wahrheit des Seienden 
gesichert. Die VoUendung der Evidenz besteht in der GewiBheit, welche die „feste, in der 



Vgl. Vries 1937, 149 ff. In diesem Sinne kann man auch sagen: „Die Entscheidung liber die Richtigkeit der 
Gedanken ergibt sich aus der Antwort der Natur auf die Fragen des forschenden Menschen." Gierer 1998, 
250. 

Vgl. Lehmen I, 268 ff. Gegen den Skeptizismus und Relativismus ist bereits festgehalten worden, daB die 
Aussage, es gebe (letztlich) mehrere oder etwa keine Wahrheit, eben diese eine Wahrheit voraussetzt. 
Siehe dazu Kapitel 4.3.3 und Thomas: Von der Wahrheit I, 4 ff. 
Siehe zum Urteil auch Kapitel 4.2.2. 

Vgl. Aristoteles: Metaphysik I, 9 (992 b) so wie IV, 4 und 6, Zweite Analytik I, 1 ff. und II, 19; Lotz/Vries 
96 f.; Maritain 91 und Arnauld/Nicole 81 ff. AuBer dem bereits zuriickgewiesenen Skeptizismus gibt es kei- 
ne Moglichkeit, die grundsatzliche Entsprechung von Verstand und Wirklichkeit zu leugnen. 
Vgl. dazu und gegen den Skeptizismus Kapitel 4.2.3 f. 

Die Wahrheit offenbart sich aus sich heraus. Es heiBt vom Wahren deshalb zu Recht, es sei „index sui et fal- 
si", d.h. das Wahre weist auf sich selbst und auf das Falsche. Da das Falsche jedoch nur ein Mangel an Wah- 
rem ist, kann die Aussage nicht umgedreht werden, das Wahre also nicht (ausschlieBlich) aus dem Falschen 
erkannt werden. 

Unmittelbar Evidentes (wie die Grundwahrheiten aus Kapitel 4.2.3) kann gar nicht geleugnet werden. Die 
Grundevidenzen unter Irrtumsverdacht zu stellen, entzieht nicht nur jeder Wissenschaft, sondern jedem 
Denken den Boden. 
Vgl. Vries 1937, 167 ff. und Lehmen I, 284 ff. 



208 Erkenntnistheorie 



Evidenz begriindete Zustimmung"^'^^ ist, d.h. es gibt keine GewiBheit gegen den eigenen Wil- 
len. 

Erkenntnis setzt Erkenntnis von Evidenzen voraus. Was beim Menschen als ungeteilte, un- 
mittelbare Evidenz ganz am Anfang steht, muB dem Computer erst in zusammengesetzter 
bzw. stUckweiser Art eingegeben werden (etwa in Form von „Axiomen"). Dazu ist zu sagen, 
daB Evidenzen nicht vermittelt, programmiert bzw. formalisiert werden konnen. Das wiirde 
sie immer bereits voraussetzen. Kl-Systeme konnen also keine unmittelbaren Evidenzen (et- 
wa, daB die ,,1" nicht gleichzeitig die „0" sein kann etc.) erkennen. Man kann bei ihnen des- 
halb gar nicht von Erkennen, bei ihren „Aussagen" nicht im voUen Sinne von Wahrheit spre- 
chen. 

Obwohl die Wahrheit des Erkennens nicht im strengen Sinne (positiv) bewiesen werden kann, 
offenbart sie sich neben der indirekten Weise durch UnmogUchkeit des Skeptizismus durch 
verschiedene Erkennungsmerkmale. In bezug auf das praktische und vor allem ethische Leben 
kann man sagen: „Die Wahrheit hQwdhrt sich." Das darf jedoch nicht im Sinne einer pragma- 
tistischen Wahrheitsauffassung miBverstanden werden.^ ^^ In asthetischer Hinsicht ist zur 
Wahrheit zu sagen: „Man erkennt die Wahrheit namlich an ihrer Schonheit und Einfach- 
heit."^^^ Oder mit Thomas von Aquin: „Die Schonheit ist der Glanz der Wahrheit." 

Aus dem bisher Gesagten zur Wahrheit ergibt sich entsprechend die Bedeutung des Irrtums 
und des Falschen.^^^ Das logisch Falsche ist das Gegenteil des logisch Wahren. Es bedeutet 
also vom Seienden zu urteilen bzw. zu sagen, es sei nicht, oder vom Nicht-Seienden es sei. 
Das ontologisch Falsche ist nicht moglich, d.h. es ist nicht, da alles Seiende seinem Wesen 
nach den gottlichen Ideen entspricht, mit anderen Worten von ihm geschaffen und voUkom- 
men erkannt ist. Wahrend das Sein nicht von den (gottlichen) Seinsgesetzen abweichen kann, 
ist es dem Denken moglich, seinen Gegenstand zu verfehlen und sich so quasi auBerhalb der 
Denkgesetze zu bewegen. SchlieBt das logisch falsche Urteil die Unkenntnis dieser Falschheit 
mit ein, spricht man von Irrtum, beinhaltet sie dagegen das Wissen um die Falschheit, handelt 
es sich um Liige. 



^"^^ Vries 1937, 43. Die Untersuchung der Evidenzen ist Aufgabe der Philosophie. „So ist es also Sache der 
Philosophie, nicht unmittelbar einsichtige Wahrheiten auf unmittelbar evidente Grundwahrheiten zuriickzu- 
fuhren." Vries 1937, 3. Vgl. zur GewiBheit auch Lehmen I, 119 ff., 293 ff. und 11.2, 322 sowie IV, 123. 

^^^ Siehe gegen den Pragmatismus Kapitel 4.2.3. 

^^^ Feynman209. 

^^^ Vgl. Aristoteles: Metaphysik V, 29; Thomas: Von der Wahrheit I, 10 ff., Summe der Theologie I, 17; Leh- 
men I, 291 f.; Santeler/Brugger in: Brugger 189 f. und Santeler in: Brugger 107 f. 



Erkenntnistheorie 209 



Nach dem bisher Gesagten ist klar, daB die folgenden Theorien der Wahrheit unhaltbar sind: 
Erstens die Koharenztheorie.^^^ Nach ihr soil als Kriterium fiir Wahrheit die interne Koharenz 
bzw. Konsistenz von Aussagen ausreichen. Das miBachtet jedoch den alles entscheidenden 
Zusammenhang des Denkens und damit der Wahrheit mit dem Sein. Ohne diese Verbindung 
ist der Begriff der Wahrheit reine Illusion. Ebenso unhaltbar ist zweitens die Diskurs- bzw. 
Konsenstheorie^^^ der Wahrheit, nach der sich die Wahrheit im (unerreichbaren) idealen Dis- 
kurs gleichberechtigter Teilnehmer „ergeben" soil. Da - uberspitzt gesagt - iiber die Wahrheit 
nicht abgestimmt werden kann, kann sie nicht durch einen Diskurs als solchen bzw. einen 
Konsens gefunden werden.^^^ Zu bejahen ist jedoch, daB der wissenschaftliche ProzeB der ar- 
gumentativen Wahrheitsfindung der geordneten Beteiligung vieler bedarf. Insbesondere die 
unmittelbaren Evidenzen jedoch konnen nicht beweisbar oder gar „verhandelbar" sein. Ahnli- 
ches gilt drittens fiir eine Gebrauchstheorie der Wahrheit, nach welcher die Wahrheit durch 
den - veranderlichen - praktischen Gebrauch bzw. die Brauchbarkeit der Dinge und Begriffe 
bestimmt sein soil. Hier gilt das im Zuge der Erkenntniskritik (Kapitel 4.2.3) gegen den 
Pragmatismus Gesagte. SchlieBlich ist viertens die im Rahmen des Kapitels 3 haufig vertrete- 
ne konstruktivistische Wahrheitstheorie als widerspriichlich zuriickzuweisen, da die angeblich 
nur konstruierte und nicht objektive Wahrheitsauffassung den bereits widerlegten Subjekti- 
vismus voraussetzt.^^^ 



952 

953 



Vgl. zur Koharenztheorie Kapitel 3.2.4, Mahner/Bunge 125 ff. und Foerst 176 ff. 
Vgl. zur Diskurs- bzw. Konsens(us)theorie Regenbogen/Meyer 154 und 355. 
^^ Vgl. Hartmann 1949, 398. 

Vgl. Kapitel 3.2.4 und siehe zu den Widerspriichlichkeiten des Konstruktivismus sowie den miBlungenen 
well unmoglichen Versuchen, den Konstruktivismus zu retten. Roth besonders 19 ff. und 312 ff. 



955 



210 Erkenntnistheorie 



4.2.5 Zwischenfazit zur Erkenntnistheorie 

An dieser Stelle werden die wichtigsten Ergebnisse der philosophischen Erkenntnistheorie 
noch einmal zusammengefaBt. Zunachst ist festzuhalten, daB Wissenschaft nur dann sicher 
betrieben werden kann, wenn grundsatzlich geklart ist, daB der Mensch zu echter Erkenntnis 
fahig ist. Um also im Rahmen der vorliegenden Arbeit Welt, Mensch und KI angemessen be- 
handeln zu konnen, hat die philosophische Erkenntnistheorie und vor allem die Erkenntnis- 
kritik die letzten Griinde fur die Erkenntnismoglichkeit bzw. die aktuelle Erkenntnis und ihre 
Geltung bzw. Wahrheit aufgezeigt. Hierbei stellten sich vor allem die drei Grundwahrheiten 
der ersten Bedingung, der ersten Tatsache und des ersten Prinzips als die sicheren Funda- 
mente alien Philosophierens und jeder Wissenschaft heraus.^^^ 

Es hat sich gezeigt, daB der Versuch vieler Natur-, KI- und Kognitionswissenschaftler, Er- 
kenntnistheorie rein empirisch zu betreiben oder abzusichem, gescheitert ist, ja scheitern muB. 
Die Naturwissenschaften setzten ihren Gegenstand bzw. Gegenstandsbereich sowie die Unter- 
scheidung Subjekt, Objekt und Erkenntnisbeziehung immer schon voraus. Es bedarf daher der 
Universalwissenschaft Philosophic, um den Blick auf die Gesamtwirklichkeit zu wenden und 
Wahrheit als die tJbereinstimmung von Geist und Seiendem zu erkennen. Es ist dem Men- 
schen moglich, (vermittelt durch Begriffe) allgemeingultige und in den Dingen selbst veran- 
kerte Wesensnotwendigkeiten zu erkennen. Grundsatzlicher Zweifel an der Erkenntnisfahig- 
keit des Menschen, wie etwa vertreten durch den Skeptizismus, Subjektivismus, Relativismus 
etc., stellt sich als selbstwiderspriichlich bzw. unmoglich heraus. Es gibt zwar Zweifelhaftes, 
Irrationales, Subjektives, Rahmenbedingungen, Kontextabhangiges und Unerkennbares, aber 
eben nicht nur. So wie Sinnestauschungen, Fehlschlusse etc. nicht geleugnet werden konnen, 
so auch nicht gultiges Wissen. 

AbschlieBend soUen anhand der Ergebnisse noch einmal die erkenntnistheoretischen Grund- 
aussagen der naturwissenschaftlichen Theorien aus Kapitel 3 zusammenfassend kritisiert 
werden. Gegen den Symbolismus (vgl. Kapitel 3.1.4) ist festzuhalten, daB Algorithmen bzw. 
formale Symbolumformung unmoglich das Erkennen erklaren konnen. Dies liegt vor allem 
daran, daB Algorithmen immer schon erste Wahrheiten bzw. Erkenntnisse voraussetzen und 
auBerdem die fur die Wahrheit notwendige tJbereinstimmung von Geist und Seiendem nicht 



^^^ Der „moderne" Konformismus bzw. Pluralismus dagegen erlaubt alle erkenntnistheoretischen Lehren, nur 
nicht die Berufung auf die einfachen und ewigen Wahrheiten. Das ist jedoch eine selbstwiderspriichliche 
Behauptung, die auf dem bereits widerlegten Relativismus basiert. 



Erkenntnistheorie 211 



sichern konnen.^^^ Gegen den Konnektionismus (vgl. Kapitel 3.2.4) ist neben der teilweise 
auch fiir ihn geltenden Algorithmuskritik^^^ zu sagen, daB Erkenntnis nicht statistisch erklart 
werden kann. AuBerdem bemht der Konnektionismus auf unhaltbaren behaviouristischen und 
konstmktivistischen Voraussetzungen. Gegen den Biologismus (vgl. Kapitel 3.3.4) muB ein- 
gewendet werden, daB dessen Erkenntnistheorie von falschen pragmatistischen, subjektivisti- 
schen und letztlich relativistischen Pramissen ausgeht. Es bedeutet die Selbstauflosung der 
Evolutionaren Erkenntnistheorie, wenn sie (als eine objektive Theorie) subjektive, evolutionar 
entstandene Erkenntnisfahigkeiten und -strukturen behauptet, diese aber nach eigenem 
Selbstverstandnis nur subjektiv erkannt wurden.^^^ Gegen den Physikalismus (vgl. Kapitel 
3.4.4) schlieBlich ist anzufuhren, daB auch er relativistische Pramissen vertritt und durch sei- 
nen Reduktionismus das Wesen des Erkennens verfehlt. Wenn - wie in alien vier naturwis- 
senschaftlichen Grundauffassungen - rein Geistiges geleugnet wird, ist die Wahrheit als eine 
Entsprechung bzw. Angleichung von Geistigem an Seiendes nicht mehr zu fassen. Erkenntnis 
setzt dariiber hinaus die Erkenntnis der Grundwahrheiten bzw. unmittelbarer Evidenzen vor- 
aus. Das ist jedoch dem Zusammengesetzten, d.h. vor allem materiellen Systemen, unmog- 
lich. 

Im Hinblick auf die behandelte Erkenntnistheorie sowie die im AnschluB folgende Funda- 
mentalphilosophie ist unbedingt auf die angemessenen Methoden zu achten. Insbesondere 
sind naturwissenschaftliche Methoden fiir erkenntniskritische und allgemein fiir metaphysi- 
sche Fragen in der Regel ungeeignet, wie das nachste Kapitel anhand der Grundordnungen 
des Seienden noch genauer darlegen wird. 



Zum Nachweis, daB Computer die ersten Prinzipien, nach denen sie gebaut sind bzw. aus denen sie schluB- 

folgern, nicht als wahr erkennen konnen, siehe auch Penrose 1995, 232 ff. 

AuBerdem kann ein Algorithmus nicht die Gultigkeit, Sinnhaftigkeit oder Wahrheit von Algorithmen erfas- 

sen bzw. erklaren. Dafur bedarf es echter, d.h. geistiger Einsicht. Vgl. Penrose 1991, 61 und 402 ff.; Penrose 

1995, 159 ff. sowie Penrose 1997, 105 ff. 

Auch fiir Konnektionismus gilt die Kritik an den Algorithmen, da auch sie ihren Output letztlich „berech- 

nen". Vgl. Penrose 1995, 22 ff., 194 ff. und 445 f. sowie Penrose 1997, 125 ff. 

Zur Analogic zwischen Symbolismus und Konnektionismus heiBt es: Der Symbolismus gibt Verhaltensalgo- 

rithmen, der Konnektionismus „ Algorithmen" fiir das Erlernen von Verhalten an. Vgl. Tetens in: Schneider 

112f. 

Vgl. neben dem in Kapitel 4.2 Gesagten auch Herbig/Hohlfeld 166 und Low in: Herbig/Hohlfeld 221 ff. 



212 Metaphysik 



4.3 Metaphysik 

4.3.1 Bedeutung und Rechtfertigung 

Das Kapitel 4.3 behandelt die wichtigsten Fragen beziiglich der Fundamentalphilosophie oder 
mit anderen Worten der allgemeinen Metaphysik (im folgenden nur noch Metaphysik ge- 
nannt). Die Metaphysik, die vomehmUch auf Platon und Aristoteles zuriickgeht, behandelt die 
Frage nach dem, was jenseits der Physik bzw. besser des Physischen oder mit anderen Worten 
Erfahrbaren liegt. Sie betrachtet die ersten Voraussetzungen, Ursachen und Prinzipien sowie 
den Sinn bzw. die letzten Zwecke des Seienden und hat dabei stets die Gesamtwirklichkeit im 
BUck.^^^ Sie heiBt deshalb auch „Erste Philosophie". 

Man unterteilt die Metaphysik in Ontologie und naturliche Theologie.^^^ Die Ontologie, also 
die Seinslehre, betrachtet alles Seiende als Seiendes, d.h. sie untersucht die alles Seiende 
durchwaltende Grundordnung. Die natUrliche Theologie, also die auf der Vernunft (und nicht 
zusatzlich auf Offenbarung) beruhende Gotteslehre, betrachtet das Seiende im Hinblick auf 
seine erste Ursache. Sie untersucht das absolute Sein oder mit anderen Worten das Sein 
(schlechthin) als Ursache alles Seienden. 

Wie sich im folgenden noch genauer zeigen wird, ist Metaphysik die Wissenschaft der hoch- 
sten Abstraktionsstufe.^^^ Die meisten Wissenschaften (wie etwa die Biologic) arbeiten auf 
der ersten Stufe der Abstraktion und bewegen sich auf der Stufe der Art und Gattung. Die 
Mathematik abstrahiert weiter und bewegt sich auf der zweiten Stufe, der Quantitat. Erst die 
Metaphysik schlieBlich dringt zur hochsten Stufe der Abstraktion vor, indem sie sich nicht auf 
einen bestimmten Bereich des Seins, sondern auf das allem Seienden Gemeinsame richtet. 
Metaphysische GesetzmaBigkeiten bzw. Satze sind also nicht auf kategorial bestimmtes Sei- 
endes eingeschrankt, sondern transzendent und lassen deshalb keine Ausnahme zu.^^^ 



Vgl. Aristoteles: Metaphysik I, 1 ff. und Dempf 13 ff. 

Vgl. Lotz in: Bmgger 242 ff. und Lehmen I, 267 ff. Neben der allgemeinen oder reinen Metaphysik (also 

der Ontologie und naturlichen Theologie) spricht man von der Anthropologie und Kosmologie auch als der 

besonderen oder angewandten Metaphysik. Vgl. Kapitel 4.1.4. 

Vgl. Aristoteles: LFber die Seele III, 4 ff.; Thomas: Summe der Theologie I, 84 f.; Vries 1937, 238 ff. und 

Hennenl39f. 

Vgl. Lotz/Vries 123 ff. und siehe zu Transzendentalien Kapitel 4.3.2. 



Metaphysik 213 



Bevor in Kapitel 4.3.2 die wichtigsten ontologischen Erkenntnisse hergeleitet bzw. dargestellt 
werden, gilt es, in diesem Kapitel die wesentlichsten Einwande, die gegen die Moglichkeit der 
Metaphysik erhoben werden, zu entkraften.^^"^ 

Wie bereits in Kapitel 3 deutlich wurde, herrscht bei vielen Wissenschaftlem ein - wenn auch 
manchmal nur diffuses - MiBtrauen gegen die Philosophie im allgemeinen und die Metaphy- 
sik im besonderen. Gegen die Moglichkeit, letzte, metaphysische Antworten zu finden, heiBt 
es beispielsweise bei Vollmer: „Nun gibt es aber keine Tatsache und keine Tatsachenbe- 
hauptung, bei der die Frage ,Warum?' sinnlos ware. Letzte Erklarungen kann es deshalb nicht 
geben [. . .]."^^^ Weiter behauptet etwa Churchland in Anlehnung an Quine, daB es keine Prima 
Philosophia bzw. Metaphysik geben konne, da alle Aussagen revisionsbediirftig oder zumin- 
dest -fahig seien. „There is no corpus of philosophical doctrine concerning science and epis- 
temology such that we can be sure it is the Truth to which all science must conform."^ ^^ Ne- 
ben dem auf einen Relativismus oder Skeptizismus hinauslaufenden Selbstwiderspruch zeigen 
auch die nachfolgenden Ausfuhrungen der vorliegenden Arbeit die Falschheit dieser Aussa- 
gen. Gegen maBlose Zweifel und Kritik an allem muB aber bereits hier gesagt werden: „Si- 
cher: kritische Gesinnung tut not. Aber Kritik heiBt Urteil, und urteilen kann man nur von be- 
stimmten GewiBheiten her, und die werden uns nicht von der Naturwissenschaft geliefert."^^^ 

Weiter zu nennen ist der Einwand, nach dem samtliche angefiihrten metaphysischen Beweise 
nicht zwingend seien, denn sonst miisse es eine Einstimmigkeit unter den Philosophen geben, 
wie sie beispielsweise in den Naturwissenschaften zu finden sei. Der Einwand unterstellt, bei 
den Naturwissenschaften bestehe eine Einigkeit, zumindest in bezug auf die groBen Fragen. 
DaB die naturwissenschaftliche „scientific community" aber keineswegs so ungeteilt dasteht, 
wie einige es woUen, zeigte sich deutlich in Kapitel 3. Es bleibt jedoch die Frage, weshalb es 
in den Naturwissenschaften vergleichsweise weniger Unstimmigkeiten gibt als in der Philo- 
sophie. Diese auf den ersten Blick verwirrende Tatsache griindet in der einzigartigen Tiefe 
und Reichweite der fundamentalphilosophischen Fragen. Wie bereits von Platon erkannt,^^^ 
miissen diese Fragen vom ganzen Menschen und nicht nur theoretisch beantwortet werden. 



Vgl. Lotz/Vries 32 und siehe zu den Einwanden auch Kapitel 3, etwa 3.3.9. Allseitig, ausfuhrlich und ausge- 

sprochen uberzeugend widerlegen u.a. Lotz/Vries, Lehmen sowie Vries 1937 die moglichen Einwande und 

Bedenken. 

Vollmer 41. Angeblich gibt es nicht nur keine Letztbegriindung von Fakten, sondern auch keine von Nor- 

men. Vgl. Vollmer 57. Die Unhaltbarkeit beider Behauptungen wird sich nachfolgend zeigen. 

Churchland 265. 

Luyten in: Luyten/Scheffczyk 287. Zu ersten GewiBheiten bzw. Evidenzen siehe Kapitel 4.2.3 f. 

DerStaat, 518. 



214 Metaphysik 



Den gefundenen Beweisen ist in diesem Sinne mit alien Folgen frei zuzustimmen. Eine 
gmndsatzliche Bereitschaft, als ganze Person Stellung zu nehmen und sich unter Umstanden 
zu andern, ist also unabdingbar. Logische Uberzeugungskraft ist zudem zu unterscheiden von 
sozialen, leiblichen und geschichtlichen Randbedingungen sowie von psychologischer Uber- 
zeugungskraft. Es gibt keine psychologische Notigung durch philosophische Satze, im Ge- 
genteil: Die Freiheit^^^ des Menschen schlieBt diese sogar aus. „DaB die Entscheidung in den 
letzten Fragen sich nicht zwangslaufig aus den vorgelegten Griinden ergibt, ist also kein Be- 
weis, daB es an hinreichenden Vernunftgriinden fehlt, sondern nur ein Beweis, daB solche 
Uberzeugungen mehr sind als Angelegenheiten der bloBen WiBbegierde, daB sie Sache des 
ganzen Menschen sind. Darum verlangen sie mehr als die Haltung des bloBen Wissenschaft- 
lers, sie verlangen einen personalen Einsatz, nicht well sie weniger sind als wissenschaftliche 
Erkenntnisse, sondern well sie mehr sind."^^^ 

Vielfach wird auch gegen die Metaphysik vorgebracht, sie sei dogmatisch und intolerant. Sie 
sei nicht mehr als ein Uberbleibsel aus dem Mittelalter und in der modemen, aufgeklarten und 
demokratischen Welt unhaltbar. Hier taucht ein Wort auf, das besonders seit Kant^^^ immer 
wieder gegen die Metaphysik gerichtet wird: das Dogma bzw. die Dogmatik. Urspriinglich 
Lehrsatz bedeutend wird es heute nicht nur fiir religiose Glaubenssatze benutzt, sondern gene- 
rell alien Aussagen vorgeworfen, die vermeintlich oder wirklich unbegriindet sind und an de- 
nen nicht gezweifelt werden darf. Das gilt aber ganz und gar nicht fiir die Erkenntnisse der 
Metaphysik. Sie nehmen ausdriicklich den Zweifel ernst, nicht jedoch ohne ihn schlieBlich ar- 
gumentativ zu uberwinden. Die Metaphysik geht zudem nicht auf das Mittelalter^ ^ sondern 
auf die Antike zuriick. Dariiber hinaus sind die wesentlichen Wahrheiten uberraumlich und 
iiberzeitlich und somit auch uberkulturell.^^^ SchlieBlich ist noch etwas zur angeblichen Into- 
leranz zu bemerken. Unter Toleranz versteht man die in der Freiheit und Wurde der Person 
griindende, jedoch nicht absolute, sondern liebende Duldung anderer sowie ihrer Erkenntnisse 
und Handlungen, insbesondere, wenn sie den eigenen Auffassungen widersprechen. Toleranz 
ist damit ebensowenig Gleichgiiltigkeit, wie sie einen Agnostizismus voraussetzt. In diesem 



^^^ Vgl. zur Freiheit Kapitel 4.5.5. 

^^'^ Lotz/Vries 48. Es ist daran zu erinnern, daB Erkenntnis, insbesondere wenn sie die ersten Griinde betrifft, 

Tugend voraussetzt (vgl. Kapitel 4.2.3). Siehe zu Griinden der Uneinsichtigkeit, inneren Verhartung sowie 

oberflachlichen Beschaftigung mit den notigen Mitteln und Erkenntnissen etc. auch Lehmen I, 301 ff. 
^^^ Vgl. die Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft (zweite Auflage). Haufig meint Kant jedoch mit Dogmatis- 

mus eigentlich den Rationalismus. 
^^^ „GewiB ist die mittelalterliche Philosophic nicht jenes Nachbeten von Aristoteles, Platon und den Kirchen- 

vatern gewesen, als das sie haufig dargestellt wird." Herbig/Hohlfeld 291. 



Metaphysik 215 



recht verstandenen Sinne kommt Metaphysikern in besonderer Weise Toleranz zu, da sie 
Wert und Personsein der anderen in letzter Weise begriinden und anerkennen konnen.^^"^ 

Als weiterer Einwand gegen die Metaphysik wird von ihren Gegnem angefuhrt, daB es keine 
experiment elle Metaphysik gebe und die Aussagen deshalb nicht uberprufbar seien.^^^ Folg- 
Uch sei Metaphysik nur eine Art Lebenseinstellung oder Glauben. Hier Uegen zwei MiBver- 
standnisse vor. Erstens auBert sich eine grundsatzUche Verkiirzung von Wissenschaft auf ex- 
perimentell durchzufuhrende Wissenschaft und damit in der Regel auf einen Empirismus. 
Hierzu wurde bereits im Rahmen der Erkenntniskritik (Kapitel 4.2.3) das WesentUche gesagt. 
An dieser Stelle bleibt emeut festzuhalten, daB Metaphysik das wissenschaftUch abgesicherte 
tJberschreiten nicht nur der tatsachUchen, sondem auch der uberhaupt mogUchen Erfahrungen 
ist. Die Metaphysik wird darum auch zu Recht Spekulation genannt, aber im urspriingUchen 
Sinne (von lat. spectare, das bedeutet ansehen, priifend betrachten), d.h. sie ist schluBfolgem- 
des Denken und hat streng wissenschaftUchen Charakter.^^^ Es geht ihr um die objektive und 
gesicherte Erforschung und Aufdeckung der ersten bzw. letzten Griinde des So-Seins der 
WirkUchkeit bzw. des Seienden iiberhaupt. Zweitens Uegt der Gleichsetzung von Metaphysik 
mit Glauben ein ausgepragtes Unverstandnis von Glauben zugrunde. Dieser wird falschlich 
fiir ein Meinen gehalten und als ein Furwahrhalten beliebiger Inhalte verstanden. Dagegen ist 
zu sagen, daB erstens der echte Glaube nie der Vernunft widerspricht, sondern sie kronend 
ubersteigt und zweitens, daB er in einer Autoritat griindet, die, wenn auch nicht immer voll- 
standig, samt ihrer Glaubwurdigkeit gepriift werden kann und soU.^^^ 

Zur Rechtfertigung der Metaphysik ist abschlieBend mit Blick auf die Kontinuitat und Konsi- 
stenz festzuhalten, daB es eine durchgangige Lehre der Metaphysik gibt, wie in besonderer 
Weise die groBen Werke der Scholastiker zeigen. Die metaphysischen Erkenntnisse und ihre 
systematische Darstellung reichen dabei ganz im Sinne der philosophia perennis (vgl. Kapitel 
4.1.3) bis in die heutige Zeit. Zu nennen sind dabei Autoren wie etwa Georg von Hertling, 
Otto Willmann, Clemens Baeumker, Adolf Dyroff, Josef Geyser, Jacques Maritain, Hans 
Meyer, Etienne Gilson, Alois Dempf sowie Henry Deku.^^^ DaB die genannten Vertreter sich 



^^^ Zu „Wahrheit" und „Wahrheiten" siehe Kapitel 4.2. Die Gegenbehauptung, daB namlich keine Aussage ob- 
jektiv oder ewig wahr sei, widerspricht sich im ersten und „uberholt" sich im zweiten Teil. 

^^^ Siehe zu Wert und Wurde der Person Kapitel 4.5.6. 

^^^ Vgl. dazu und zu einer Kritik daran auch Hennen 207 ff. 

^'^ Vgl. Lotz/Vries 78 ff. 

^" Der christliche Glaube besteht zudem vor allem in der freien Selbsthingabe des Menschen an Gott, genauer 
an den auferstandenen Herrn und Heiland Jesus Christus. Vgl. zum Glauben Kapitel 4.2.3. 

^'^ Vgl. dazu auch Hirschberger II, 559 f. 



216 Metaphysik 



nicht in jedem Detail einig sind, zeigt, daB es erstens wissenschaftlichen Fortschritt gibt und 
wichtiger noch, daB zweitens die Notwendigkeit besteht, die Erkenntnisse der jeweiligen Zeit 
und Gesellschaft angemessen zu vermitteln. In diesen Zusammenhang gehort auch die drin- 
gend notwendige Unterscheidung zwischen Real- und Nominaldefinition. Zwar kennt die 
Tradition fur vieles verschiedene Nominaldefinitionen, was deren Studium nicht gerade er- 
leichtert, sachlich lassen sich diese im allgemeinen jedoch auf dieselben Realdefinitionen zu- 
riickfuhren.^^^ 

Nachdem nun der Wissenschaft der Metaphysik keine grundsatzlichen Hindemisse mehr im 
Wege stehen, werden nachfolgend die Grundzuge der Ontologie dargestellt. 



Siehe zu Real- und Nominaldefinition Kapitel 4.2.2. 



Metaphysik 217 



4.3.2 Ontologie 

Da die Frage nach dem Menschen in die Frage nach dem Sein miindet und die Ontologie ent- 
scheidend das Menschenbild und die Ethik bestimmt, ist fur eine seinsgerechte Anthropologie 
und Kl-Philosophie die Behandlung der Seinslehre unerlaBlich. 

Nach der Auffassung vieler Naturwissenschaftler ist nur das naturwissenschaftlich Bewiesene 
wirklich,^^^ so daB dementsprechend - wenn uberhaupt - auch nur die Naturwissenschaften 
eine Wirklichkeits- bzw. Seinslehre betreiben konnten. Dagegen ist zu sagen, daB die Ontolo- 
gie notwendigerweise ein Teil der Philosophie ist, da die Einzel- und damit auch die Natur- 
wissenschaften nicht erklaren konnen, warum uberhaupt etwas ist und was die Dinge wesens- 
maBig sind. AuBerdem lassen die Naturwissenschaften verschiedene Erfahrungstatsachen un- 
beriicksichtigt und behandeln nur die meBbaren Aspekte bzw. Telle der Wirklichkeit. Damit 
waren sie in der Vergangenheit zwar ausgesprochen erfolgreich und konnten immer mehr 
iiber die Natur herrschen. „Aber Macht ist nicht dasselbe wie Einsicht, und als Darstellung der 
Wirklichkeit ist die naturwissenschaftliche Abbildung der Welt nicht ausreichend, einfach aus 
dem Grund, well die Naturwissenschaft nicht einmal den Anspruch erhebt, sich mit Erfahrung 
schlechthin zu befassen, sondem nur mit bestimmten Ausschnitten und nur in bestimmten Zu- 
sammenhangen. Die eher philosophisch orientierten Naturwissenschaftler sind sich dessen 
wohl bewuBt. Aber unglucklicherweise hatten einige Naturwissenschaftler, viele Techniker 
und vor allem die Konsumenten der vielen kleinen technischen Errungenschaften weder Zeit 
noch Interesse, den philosophischen Urspriingen und Hintergriinden der Naturwissenschaften 
nachzugehen. Infolgedessen akzeptierten sie in der Regel das in den naturwissenschaftlichen 
Theorien implizierte Bild der Welt als voUstandige und erschopfende Darstellung der Wirk- 
lichkeit; sie tendieren dazu, diejenigen Aspekte der Erfahrung, die die Naturwissenschaftler 
wegen mangelnder Kompetenz nicht beriicksichtigen, so anzusehen, als seien diese weniger 
real als jene Aspekte, die die Naturwissenschaft willkiirlich durch Abstraktion aus der unend- 
lich reichen Gesamtheit bestehender Tatsachen ausgesondert hat."^^^ 

Weil das MeBbare bzw. Materielle nur einen Teil der Wirklichkeit darstellt, bedarf es der 
philosophischen Ontologie, um die die Gesamtwirklichkeit durchwaltende Grundordnung 
aufzudecken. Die Ontologie^ ^^ also die Lehre vom Seienden, betrachtet das Seiende als Sei- 



^^° Vgl. Herbig/Hohlfeld 10. 

^^^ Aldous Huxley: Science, Liberty and Peace, S. 35 f.. New York 1946. Zitiert in: Weizenbaum 1978, 175 f. 

^^^ Aus griech. on. Gen. ontos, d.h. seiend, wirklich, wahrhaft, eigentlich und logos, d.h. Lehre. 



218 Metaphysik 



endes^^^ (und dessen innere Stmktur), wobei, wie sich im nachsten Kapitel noch zeigen wird, 
die Beziehung zum Logos wesentliche Gmndlage ist. Dieser Logos wird sich dann als das 
schlechthin Seiende, das absolute Sein oder mit anderen Worten Gott herausstellen.^^^ Doch 
nun zu den Grundordnungen des kontingenten^^^ Seienden. 

Der zentrale Begriff der Ontologie ist der des Seins. „Sein (Esse) heiBt jene VoUkommenheit, 
durch die etwas ein Seiende s (Ens) ist"^^^ Was bedeutet das genau? VoUkommenheit bedeu- 
tet, wie das Wort bereits sagt, zum-Vollen-kommen. Man unterscheidet die absolute VoU- 
kommenheit (siehe dazu die Ausfuhrungen iiber Gott in Kapitel 4.3.3) von verschiedenen re- 
lativen VoUkommenheiten. Hat etwas sein Ziel erreicht oder anders gesagt seine Anlagen voU 
entfaltet, spricht man von VoUkommenheit oder auch von VoU-endung. Auf das Sein bezogen 
heiBt das, daB jedes Seiende in der Hinsicht voUkommen ist, als es eben - ganz - ist. Das Sein 
ist deshalb die erste VoUkommenheit, die „allem" zukommt und den Grund fiir alle weiteren 
VoUkommenheiten legt; der Begriff des Seins ist entsprechend der erste Begriff, auf dem alle 
anderen aufbauen. Weil dieser Begriff alle Sonderordnungen respektive Seinsbereiche, alle 
Kategorien iibersteigt, heiBt er transzendent(al)^^ . Als Transzendentalien gelten (neben dem 
Sein) die Einheit, Wahrheit und Gutheit.^^^ Die Transzendentalien sind Bestimmungen, die 
allem Seienden innewohnen. AUes Seiende ist eins, d.h. es ist ungeteilt und von jedem ande- 
ren Seienden verschieden. Weiter ist jedes Seiende wahr, d.h. es ist (wie in Kapitel 4.2.4 er- 
lautert) von Gott erkannt und zudem vom endlichen Geist - zumindest grundsatzlich - er- 
kennbar. AuBerdem ist jedes Seiende gut, d.h. es ist von Gott gewoUt und zudem vom endli- 
chen Geist anstrebbar. 

Man unterscheidet das nicht-notwendig, d.h. kontingent Seiende und das (absolut) notwendig 
Seiende.^ ^^ Wahrend man beim absolut notwendig Seienden vom Sein im vollen Sinne 
spricht, kommt dem Kontingenten das Sein nicht in ganzer Fiille, sondem nur nach MaBgabe 



Vgl. zur Ontologie Aristoteles: Metaphysik IV, 1 f.; V, 7 und VI; Lehmen I, 306 ff. und speziell zum Sein 

auch Vries 1993, 70 ff. 

Das Sein (schlechthin) ist die Bedingung der Moglichkeit des Seienden. Siehe dazu Kapitel 4.3.3. 

Vgl. zur Kontingenz die weiteren Ausfuhrungen dieses Kapitels so wie Kapitel 4.3.3. 

Lotz in: Brugger 345. Vgl. zum Sein vor allem Thomas: Seiendes und Wesenheit. 

Von lat. transcendere, ubersteigen. Der Begriff „transzendent" (im Sinne des Realismus) darf nicht mit dem 

„transzendentar' im Sinne Kants verwechselt werden, der darunter die kritizistische Beriicksichtigung der 

apriorischen Bedingungen menschlicher Erkenntnis versteht. 

Vgl. Lotz in: Brugger 411 ff.; Hennen 251 ff.; Thomas: Von der Wahrheit I, 1 und Lehmen I, 355 ff. Siehe 

zur Einheit auch Aristoteles: Metaphysik X und Lotz in: Brugger 77 f. Zur Wahrheit siehe Kapitel 4.2.4 und 

zur Beziehung zwischen dem am meisten Seienden und dem Wahrsten Aristoteles: Metaphysik II, 1 (993 b). 

Zur Gutheit siehe Kapitel 4.5.5; Vries in: Brugger 162 f. und Lehmen IV, 66 ff. Die Schonheit wird teilweise 

ebenfalls unter die Transzendentalien gezahlt. 



Metaphysik 219 



seines Wesens zu.^^^ Gegeniiber dem reinen Sein Gottes wird das Kontingente nur im analo- 
gen Sinne „Sein" genannt.^^^ Das Seiende reicht niemals an das reine Sein (Gottes) heran; mit 
Blick auf die Transzendentalien kann man jedoch sagen: Je einer, wahrer und besser etwas ist, 
desto mehr „ist" es. Das Seiende ist keinesfalls auf die sinnlich erfahrbare Welt beschrankt, 
wie die weiter unten ausgefuhrte Widerlegung des Materialismus aufzeigen wird. 

In den Augen vieler Naturwissenschaftler gibt es keine Objektivitat und Unabhangigkeit des 
Seienden vom menschlichen Denken, sondem allenfalls ein umstrittenes „Postulat" danach.^^^ 
Dieses werde zwar im praktischen Forschungsalltag von der groBen Mehrheit der Wissen- 
schaftler implizit vertreten, beruhe jedoch nicht auf philosophischer Reflexion. Andere hinge- 
gen, wie etwa einige Vertreter der Quantenphysik bzw. des Physikalismus, behaupten, es gebe 
gar keine Dinge an sich und deshalb auch keine Ontologie, sondem nur subjektives „Wissen" 
bzw. eine sehr eingeschrankte Epistemologie.^^^ Diese Ansichten sind als durchweg wider- 
spriichlich zuriickzuweisen. Es muB an der bereits im Rahmen der Erkenntnistheorie (Kapitel 
4.2) gewonnenen Einsicht festgehalten werden, daB die Welt oder allgemeiner das Sein des 
Seienden vom Sein des Menschen und seinem Handeln ontologisch unabhangig ist. Das zeigt 
sich bereits auf den unteren Stufen der Erkenntnis, also etwa der Wahrnehmung. „Auf jeden 
Fall kann die Tatsache der sinnlichen Wahrnehmung nicht aus dem bewuBten Ich allein er- 
klart werden, sondern es muB eine vom bewuBten Ich unabhangige Wirklichkeit angenommen 
werden, von der die Wahrnehmung abhdngig ist [...]"^^^ Wahrnehmung ist kontingent und das 
menschliche Ich ist nicht hinreichende Ursache dafiir, was sich etwa daran zeigt, daB Wahr- 
nehmungen sich oft gegen den ausdriicklichen Willen aufdrangen. Auch der Widerspruch an- 
derer Personen, der u.U. gegen die Mehrheit der eigenen Erkenntnisse, Gefuhle und Willens- 
akte gerichtet ist, zeigt deutlich die Realitat der AuBenwelt. Das Sein des den Menschen um- 
gebenden Seienden ist kein „Produkt" seines Intellekts, wie Konstruktivismus und Telle des 
deutschen Idealismus es wollen. Dagegen muB der Realismus geltend machen, daB aus- 
schlieBlich Gottes „Denken" (das immer gleichzeitig Wollen und VoUbringen ist, da er actus 



Siehe zur Kontingenz die in diesem Kapitel befindlichen Ausfuhmngen im Zusammenhang mit der Kausa- 

litat und zum absolut notwendigen Sein Kapitel 4.3.3. 

Zum We sen siehe weiter unten. 

Vgl. Lehmen I, 324 ff. und III, 107 ff. 

Vgl. Mahner/Bunge 5 ff. 

Vgl. Hiley in: Pylkkanen et al. 42 ff. 

Vries 1937, 182. Hervorhebung im Original durch Sperr- statt durch Kursivdruck. Vgl. zur Unabhangigkeit 

der Wirklichkeit vom Menschen auch Vries 1937, 183 f. 



220 Metaphysik 



pums ist) der Gmnd des Seins von kontingent Seiendem bzw. der ontologischen Wahrheit 

Der Gegenbegriff zum Sein ist das Nichts.^^^ Dieser ergibt sich aus dem im nachsten Absatz 
noch naher zu betrachtenden Problem des Werdens. Zwar bietet sich dem Seienden in der Re- 
gel eine Moglichkeit des Werdens an, diese setzt aber notwendig immer bereits Sein voraus. 
Es gibt keinen „Schwebezustand" zwischen Sein und Nichts. Das Sein ist, und das Nichts ist 
nicht. Mit anderen Worten: Es gibt keine Alternative zum Sein. Das Nichts bezeichnet den 
Totalausfall des Sein(s), es hat keinerlei Realitat. „Das Sein ist nicht das Nichts." Das ist das 
erste Urteil, das der Verstand fallen und hinter das nicht zuriickgegangen werden kann. Das 
Widerspruchsprinzip ist, wie bereits erwahnt, in erster Linie Seinsprinzip, das die unbedingte 
Unvereinbarkeit von Sein und Nichts besagt und erst dann - well die Denkenden am Sein 
teilhaben und das Denken auf das Sein geht - Denkprinzip.^^^ Das „nicht" bezieht sich dabei 
auf die Kopula. „Keinesfalls sind wir berechtigt, aus dem negativen Prinzip vom Widerspruch 
ein positives zu machen, indem wir das , nicht' von der Kopula abtrennen und dem Pradikat 
zuweisen, so daB nunmehr dialektisch die gedoppelte Negativitat zur immanenten Form des 
Seins selber wird: Das Sein ist das Nicht-Nichts."^^^ Obwohl das erste Urteil ein negatives ist, 
setzt es doch das positive Sein voraus. Denken und Sein sind eben nicht dasselbe. Somit ist 
Kegels Aussage „Sein und Nichtsein ist dasselbe"^ ^^ als durchweg widerspriichlich zuriickzu- 
weisen. 

Wie verhalt es sich genauer mit dem Problem des Werdens? Hier fand die aristotelisch- 
scholastische Akt-Potenzlehre die realistische „Mitte" zwischen den beiden Reduktionismen 
des „Alles-ist-Werden"-Philosophems Heraklits und der Eleatischen Sicht, die jedes Werden 
leugnete und alles fUr Sein hielt.^^^^ Akt und Potenz oder mit anderen Worten Wirklichkeit 
und Moglichkeit sind die Grundlage des veranderlichen endlichen Seienden. Man unterschei- 
det zwischen zwei Arten der Potenz^^^^ Die passive Potenz bedeutet die Empfangs- 
moglichkeit einem (gleich noch naher zu definierenden) Akt gegeniiber. Man denke bei- 



Siehe dazu auch Kapitel 4.3.3. 

Vgl. zum Sein und zum Nichts Aristoteles: Metaphysik IX, 10; Hennen 246 ff.; Lehmen I, 327 ff. und Lotz 
in: Brugger 269 f. 

Vgl. zum Widerspruchsprinzip neben dem Kapitel 4.2.3 besonders auch Vries 1993, 88 ff. 
Lakebrink213. 

Enzyklopadie §88; Logik I, 67. Eine detaillierte Kritik findet sich bei Lakebrink. Siehe gegen Hegel auch 
Hoh 28 f . 

Siehe zum Werden Aristoteles: Metaphysik VII, 7 ff. sowie Physik I, III und V. Zu Akt und Potenz vgl. Ari- 
stoteles: Metaphysik V, 12 sowie IX; Hennen 248 ff.; Lehmen I, 332 ff.; Lotz in: Brugger 6 f. und 301 f.; 
Spaemann/Low 51 ff. sowie Vries 1993, 11 ff. 



Metaphysik 221 



spielsweise an einen Klumpen Lehm, der potentiell die Form einer Vase annehmen kann, aber 
kein potentieller Nahrungsaufnehmer ist. Die zweite Art der Potenz ist die aktive. Sie besteht 
in dem Vermogen, einen Akt hervorzubringen, so zum Beispiel das Vermogen, einen Lehm- 
klumpen zu formen. Es besteht also nur die Moglichkeit, nicht die Notwendigkeit. Der Akt^^^^ 
dagegen ist die entfaltete Wirklichkeit. Insofem es sich um einen von einem Trager und des- 
sen Potenz aufgenommenen Akt handelt, ist er von dessen Potenz abhangig und somit be- 
schrankt. Vorwegnehmend sei bereits hier bemerkt, daB alien endlichen Akten und Potenzen 
der reine und unbegrenzte Akt logisch und vor allem ontologisch vorausgeht. Es gilt: „Agere 
sequitur esse", zu deutsch: das Handeln oder besser gesagt das Wirken folgt dem Sein. Nur 
was die erste VoUkommenheit des Seins bereits besitzt, kann wirken und damit andere (akzi- 
dentielle) VoUkommenheiten hervorbringen. Damit ist eine Quantenontologie, nach der es nur 
Werden bzw. Ereignisse und keinerlei Trager gibt,^^^^ als philosophisch unmoglich abzuleh- 
nen.^^^^ Das Werden besteht darin, daB die Potenz, die mehr als nur D^n^moglichkeit, aber 
noch nicht Sein im voUen Sinne ist, von einem anderen Akt (Seienden) in ein VoUsein, d.h. 
einen Akt uberfuhrt wird. Keine Potenz kann sich selbst aktualisieren, also in den Akt iiber- 
fiihren. Deshalb ist es unmoglich, daB sich etwas aus dem Nichts entwickelt.^^^^ Ebenso aus- 
geschlossen ist eine Entwicklung vom ontologisch Niederen zum Hoheren, ohne daB eine au- 
Bere Ursache, die mindestens auf dem Stand des zu bewirkenden Hoheren steht, dies bewir- 
ken wiirde. Bezogen auf das Leben bedeutet dies, daB Lebendes letztlich nur aus Lebendem, 
Geist nur aus Geist kommen kann. Damit sind die evolutionaren Ansatze, nach denen sich 
Leben und Geist aus der Materie selbstandig entwickelt haben soUen (vgl. besonders Kapitel 
3.3), in ihren Grundannahmen philosophisch unhaltbar, wie sich bei der Behandlung des noch 
in diesem Kapitel zu betrachtenden metaphysischen Kausalitatsprinzips sowie des Geistes 
(Kapitel 4.5.3) und des Lebens (Kapitel 4.5.8) noch deutlicher zeigen wird. 

Das Anders-werden ein und desselben Seienden leitet iiber zum nachsten entscheidenden und 
bereits angedeuteten Begriffspaar, namlich zu Substanz und Akzidens. Unter Substanz^^^^ ver- 
steht man das, was ohne Trager ist, also was das Sein gewissermaBen selbstandig in sich 



1001 Von lat. posse, konnen. 

^^^'^ Griech. energeia. 

^^^^ Vgl. Kapitel 3.4 und Stapp 212 f. 

^^^^ Siehe dazu auch Hennen 299 ff. 

^^^^ Einzig Gott kann „aus" dem Nichts, d.h. ohne jede Voraussetzung schopfen. Auch dabei handelt es sich aber 

nicht um eine Entwicklung. Siehe zur Unmoglichkeit der Selbstbewirkung auch die Behandlung des Kau- 

salprinzips weiter unten in diesem Kapitel. 



222 Metaphysik 



hat/^^^ Man beachte aber, daB Substanzen ihr Sein dabei durchaus einer auBeren (Wirk-)Ur- 
sache verdanken konnen, ja wenn sie nicht absolut sind, sogar miissen. Substanzen sind der 
Gmnd der Dauerhaftigkeit und Einheit des Seienden. Sie sind nicht gleichzusetzen mit Mate- 
rie, materiellen Dingen oder Gegenstanden.^^^^ Substanz ist auch nicht zu verwechseln mit 
Ausdehnung^^^^ denn „waren Substanzen und Ausdehnung das gleiche, so miiBte sich mit der 
Ausdehnung eines Korpers jeweils eine Veranderung der Substanz einstellen, was nicht unse- 
rer Erfahrung entspricht und auch seitens der Physik und der Chemie bestritten wurde"^^^V 
Ausdehnung ist also nur ein Akzidens. 

Das Akzidens^^^^ (Plural: die Akzidentien) bedeutet das unselbstandig Seiende, das einer Sub- 
stanz nicht notwendig zukommt, das also auch anders sein oder unter Umstanden fehlen kann. 
Das Akzidens bestimmt die Substanz naher, ist dabei aber kein nur auBerliches Hinzutreten 
wie beispielsweise das Anbringen einer Hausnummer an ein Haus, sondern tritt im Konkre- 
ten, d.h. Zusammengewachsenen, als Einheit mit der Substanz auf. Nicht alles, was begriff- 
lich getrennt werden kann, kann auch real getrennt werden. Als Beispiel fUr akzidentielles 
Sein kann etwa die Haarfarbe oder Augenfarbe des Menschen genannt werden. Die entspre- 
chenden Farben gehoren offensichtlich nicht notwendig zum einzelnen Menschen hinzu, al- 
leine schon, well sie variabel sind und nicht fur sich alleine sein konnen. Das klassische Bei- 
spiel einer Substanz ist der Geist bzw. die Geist-Seele.^^^^ Die geistige Erkenntnis von Sub- 
stanzen kann nicht rein naturwissenschaftlich geschehen, wie Kapitel 4.5.4 noch ausfiihren 
wird. Das Akzidens ist der Substanz logisch und ontologisch nachgeordnet, setzt diese also 
voraus. Es kann nicht alles Akzidens, d.h. veranderlich sein, da dies letztlich einen Relativis- 
mus bedeuten wiirde. 



1006 Yqj^ j^^ sub-stare, also unter etwas stehen. Vgl. zur Substanz Aristoteles: Metaphysik VII f. und Kategorien 
V; Hennen 254 ff., 288 ff., 300; Lotz/Vries 61 f.; Seifert 1989, 112 ff.; Kenny 59 ff.; Santeler/B rugger in: 
Brugger 387 f.; Spaemann/Low 51 ff. sowie Lehmen I, 378 ff. und II, 217. 

^^^^ Genau genommen miiBte noch zwischen Substanz und Subsistenz unterschieden werden. Das subsistierende 
Sein, d.h. in sich selbst stehende Sein ist innerlich unabhangig vom Sein anderer (Teil-)Substanzen (wie der 
menschliche Geist) und im strengsten Sinne absolut unabhangig, kommt dann also nur Gott zu. 

^^^^ Es gibt auch keine „Anti-Substanz" (so wie es im streng philosophischen Sinn keine Anti-Materie gibt), da 
diese, wenn sie wirklich ware, wirken konnte und damit wieder Substanz ware. Siehe dazu auch die Be- 
handlung des ontologischen Widerspruchsprinzips und die weiter unten befindlichen Ausfuhrungen zur 
Materie. 

Zur Problematik des Substanzbegriffs im Rahmen der Physik und vor allem der Quantenphysik siehe Mittel- 
staedt 72 ff. sowie (allerdings unter Vorbehalten) Kanitscheider 197 ff. und 356 ff. 

^^^"^ Zum Begriff des Raumes siehe Kapitel 4.5.1. 

^^^^ Hennen 288. 

^^^^ Von lat. ac cadere, d.h. zu-fallen, also eine Art des Hinzukommens. Vgl. zum Akzidens Aristoteles: Meta- 
physik V, 30 und XI, 8 sowie Topik I, 5 ff.; Thomas: Seiendes und Wesenheit VI; Hennen 155 f., 259 ff.; 
Lotz/Vries 61 f. und Lehmen I, 382 ff. 



Metaphysik 223 



AnschlieBend an die Behandlung der Substanzproblematik ist ausfuhrlicher auf die beiden 
Begriffe Form und Materie einzugehen/^^^ Auch sie ergeben sich aus dem Problem des Wer- 
dens. Soil das Werden im Sinne von Wandlung bzw. Umwandlung erklart werden, so bedarf 
es eines „bleibenden" Teiles und eines das Neue bewirkenden und konstituierenden Teiles. 
Der bleibende Teil ist der Stoff oder mit anderen Worten die Materie,^^^^ was nicht bedeutet, 
daB sie ewig, womoglich absolut ist. Sie ist der bestimmbare, formbare Teil und als solcher in 
bezug auf die Formen akzidentiell. Da die Materie zunachst unbestimmt ist, erst noch zu et- 
was geformt werden muB, laBt sie sich als Potenz fassen.^^^^ 

Die Form dagegen ist der substantielle Teil, der als eine Art Bauplan dem „Materiar' bzw. 
Stoff die Form auf- oder besser einpragt. Erst durch die Form wird die Materie geordnet und 
damit (fUr den Menschen) erkennbar. Bin materielles System kann sich nicht selbst ordnen, 
wie es in Kapitel 3 haufig angenommen wurde.^^^^ Die (reine) Materie kann nicht wirken, sich 
nicht selbst bewegen, geschweige denn begriinden, da sie eben nur potentiell so ist, wie sie 
ist. Sie bedarf eines voUig anders gearteten Prinzips. Dieses ist die immaterielle Form. Sie ist 
immer voUendet bzw. unveranderlich, da sie das nicht zusammengesetzte Prinzip der VoUen- 
dung bzw. Veranderung ist.^^^^ Die Form der Lebewesen ist die Seele, die des Menschen der 
Geist bzw. die Geistseele, wie Kapitel 4.5.3 im einzelnen ausfuhren wird. Jedes Ganze bzw. 
Konkrete besteht aus den beiden Teilen Form und Stoff.^^^^ Nur die aus Form und Materie zu- 
sammengewachsenen Konkreta konnen werden. Die Formen sind raum- und zeitunabhangig; 
sie sind gegeniiber der Materie das Bleibende. Die Materie ist deshalb eine Substanz niederer 
Ordnung bzw. Substanz im analogen Sinne.^^^^ Die Materie und auch die nach der speziellen 
Relativitatstheorie in sie umformbare Energie sind nicht ewig und noch weniger letzte Ursa- 



^°^^ Naheres zur menschlichen Geist-Seele und deren Verhaltnis zu Leib und Akzidentien sowie zur Stufenord- 

nung Sein - Leben - Geist werden Kapitel 4.4 und 4.5 ausfuhren. 
^^^^ Die auf Aristoteles zuriickgehende Lehre der Zusammensetzung der Dinge aus Materie (griech. hyle) und 

Form (griech. morphe) wird Hylemorphismus und teilweise auch Duo-Monismus genannt. Vgl. zu Materie 

und Form Aristoteles: Physik I, 9 und Metaphysik VII, 3; Thomas: Seiendes und Wesenheit I f.; Albertus 

Magnus 155 ff.; Lehmen I, 435 ff. und II.l, 179 ff.; Kenny 1999, 67 ff.; Hoh 33 und 127 ff.; Hennen 88 und 

282 ff.; Spaemann/Low 51 ff. sowie Vries 1993, 41 ff. und 63 ff. und siehe auch Kapitel 4.4.1 f. 
^^ Fur einen physikalischen tJberblick liber die Materie siehe Hennen 274 ff.; Hofling, besonders 989 ff. und 

Kanitscheider 356 ff. 
^^ Diese fuhrt letztlich auf die sog. prima materia, die als reine Potenz naturwissenschaftlich unerkennbar 

bleibt. 
^^ Vgl. Kapitel 3.1.8 sowie 3.3.8 und zur Unmoglichkeit der Selbstorganisation im strengen Sinne Hennen 99 

ff. 
^^ Vgl. Aristoteles: Metaphysik VII, 8 f. 
^^ Das „Konkrete" kommt vom lat. con-crescere, d.h. zusammen-wachsen. 

Zum Begriff der Gestalt, welche die gegliederte Ganzheit einer (sinnenfalligen) Gegebenheit meint, siehe 

Hennen, besonders 241 ff., 262 ff. und 322 ff. 
^^ Vgl. Seifert 1989, 134 ff. und Santeler/Brugger in: Brugger 387 f. 



224 Metaphysik 



che alles Seienden,^^^^ da sie als teilbare, formbare und begrenzte Wirklichkeiten unmoglich 
notwendig und durch sich selbst sein konnen. So wie jedes einzelne Materielle begrenzt und 
bedingt ist, so erst recht die gesamte „Summe" des Materiellen, was sich etwa schon daraus 
ergibt, daB die Anordnung der „Teile" nicht notwendig ist und sich die einzelnen Teile un- 
moglich selbst Oder gegenseitig ins Sein rufen konnen. Ein „Urknair'^^^^ oder eine sonstige 
kosmische Ursache kann das Sein der (geformten) endlichen Materie bzw. Energie nicht er- 
klaren, da das Nicht-Notwendige zwingend auf das iiberkosmische, notwendige Sein schlecht- 
hin verweist.^^^^ 

Materie wird von den in Kapitel 3 dargestellten Grundauffassungen meist als das einzig Reale 
zugestanden, Immaterielles dagegen - teilweise von vornherein - ausgeschlossen.^^^^ Dies ist 
die Position des Materialismus, der eine voUstandige Reduzierbarkeit der Wirklichkeit auf die 
Materie lehrt.^^^^ Er scheitert jedoch an den Tatsachen und am inneren Widerspruch. Er kann 
weder Gestalt und Eigenart der Dinge noch seine eigene Entstehung und Verbreitung, ge- 
schweige denn seine Wahrheit erklaren.^^^^ Auch das Erkennen oder allgemein die Wahrheit 
kann nicht materiell erklart werden.^^^^ Gegen den Materialismus bleibt festzuhalten, daB man 
nichts erfahren konnte, wenn es nicht auch die nicht erfahrbare Wirklichkeit gebe. Der Mate- 
rialismus und mit ihm die Formen des Positivismus zeigen sich nicht nur als menschen- und 
gesellschaftsfeindlich,^^^^ sie halten vor allem auch nicht der wissenschaftlichen Priifung 
stand. Im Gegensatz zu (geistigen) logischen Aussagen, die ohne Verlust beliebig oft mit an- 
deren „geteilt" werden konnen, laBt die Materie dies prinzipiell nicht zu, weshalb sie als allei- 
nige Erklarung der Wirklichkeit nicht ausreicht. So wie nicht alles Sein Materie sein kann, so 
ist auch nicht alles quantisierbar bzw. quantifizierbar,^^^^ weshalb man auch nicht iiberall na- 



^°^° Vgl. Lehmen m, 40 ff., 49 f., 112 sowie Lotz/Vries 88 f., 221, und 233 ff. 

^^^^ Vgl. Kapitel 3.3.8 und Guitton 27 ff. 

^'^^^ Siehe zum notwendigen Sein bzw. Gott Kapitel 4.3.3. 

^^^^ Vgl. etwa Kapitel 3.3.1. Bei Mahner/Bunge heiBt es dazu unter anderem: „Es gibt keinen immateriellen In- 

halt kognitiver Prozesse oder kultureller Artefakte." (S. 63). Vgl. auch Mahner/Bunge 5 ff. 
^^^^ Gegen die metaphysische Reduktion aller Wissenschaften auf die Physik, d.h. den Physikalismus und letzt- 

lich den Materialismus, siehe neben dem hier Angefuhrten auch Cartwright in: Penrose 1997, 163 ff. 
^^^^ Vgl. gegen den Materialismus Brugger in: Brugger 236 f.; Lotz/Vries 89; Lehmen ILl, 75 ff.; 11.2, 2 und III, 

77 f . sowie Dempf 37 f . 
^^^^ Vgl. zum Erkennen und zur Wahrheit Kapitel 4.2. Mit der Unmoglichkeit einer materialistischen Wahrheit 

ergibt sich auch die Unmoglichkeit einer ebensolchen Un wahrheit. Etwas liber spitzt konnte man fragen: 

„Konnen sich Elementarteilchen irren?!" 
^^^^ Zu nennen ist vor allem die immanente Unhaltbarkeit von Ethik. Vgl. Brugger in: Brugger 299 f. 
^^^^ Die Reduktion auf Quantitatives abstrahiert von Qualitaten und setzt u.a. voraus, daB die zu messenden Gro- 

Ben gleichartig sind. Zur Tatsache, daB Quantitatives immer auf Qualitatives verweist siehe auch Hartmann 

1948, 237. 



Metaphysik 225 



turwissenschaftliche oder mathematische Beweise verlangen darf/^^^ Dem besonders seit Ga- 
lilei festzustellenden Methodenmonismus^^^\ also dem Drang, eine, hier die quantisierend- 
mathematische, Methode auf alles anzuwenden, ist zu sagen, daB - selbst innerweltlich - die 
entscheidendsten Wirklichkeiten, wie etwa Wiirde, Freiheit oder Liebe, gerade nicht quanti- 
sierbar sind. Obwohl die quantitativ-bedingte Methode besonders auch in der Technik groBe 
Erfolge verzeichnete und prinzipiell sehr wohl legitim ist, miissen ihre Grenzen erkannt und 
anerkannt werden. Gegen den Materialismus ist vor allem darauf zu verweisen, daB die Mate- 
rie nicht notwendig so ist, wie sie ist, also mit anderen Worten kontingent ist und darum un- 
moglich die einzige Wirklichkeit sein kann.^^^^ Im Vorgriff auf Kapitel 4.5.6 ist bereits hier zu 
sagen, daB Materie kein BewuBtsein und erst recht kein SelbstbewuBtsein hat und es auch gar 
nicht haben oder hervorbringen kann.^^^^ 

An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, daB es sich bei der Unterscheidung in materiell und 
immateriell Seiendes nicht um einen Dualismus handelt. Der Dualismus, d.h. die Zweiheits- 
lehre ist namlich die Ansicht, nach der die gesamte Wirklichkeit auf zwei absolut voneinander 
unterschiedene und unabhangige Prinzipien zuriickgeht.^^^^ Dies ist jedoch voUig unmoglich, 
wie die naturliche Theologie (Kapitel 4.3.3) zeigt. Es kann nur ein absolut Unabhangiges ge- 
ben. Dieses ist als der Ursprung aller Vielheiten und insbesondere der ontologischen Zweiheit 
selbst absolute Einheit.^^^^ Ebenso einseitig und deshalb letztlich falsch erweist sich der Mo- 
nismus, der die gesamte Wirklichkeit durch ein Prinzip erklaren will, und zwar nicht als Ein- 
heit des Ursprungs, sondern als Einheit alles Seienden bzw. seiner „Teile".^^^^ Es lassen sich 
mehrere monistische Hauptauffassungen unterscheiden, von den die wichtigsten wohl der 
Spiritualismus bzw. Idealismus und der Pantheismus (die jedoch fur die vorliegende Arbeit 
eine sehr untergeordnete RoUe spielen) sowie der bereits widerlegte Materialismus sind. Da- 



1029 Ygj Aristoteles: Nikomachische Ethik I, 1 (1094 b). Siehe zur Unterscheidung in Quantitatives und Quali- 

tatives auch Aristoteles: Metaphysik V, 13 f. 
^^^^ Vgl. Schonherr-Mann 35 f. 

^^""^ Siehe dazu Kapitel 4.3.3, wo vom Kontingenten auf das Absolute geschlossen wird. 
^^^^ Vgl. Seifert 1989, 123 f., 293 ff. und WillwoU in: Brugger 46 ff. 

Materie kann immer nur Trdger von Information, nie jedoch diese selbst sein. 
^'^^ Vgl. Regenbogen/Meyer 161 f. Siehe zum vieldeutigen Inhalt des Ausdrucks Dualismus auch die kritisch- 

realistischen Ausfuhrungen bei Seifert 1989, 158 ff. Die Frage nach dem dualen Aufbau des Menschen ist 

Gegenstand des Kapitels 4.5.2 f. 
^^^^ Vgl. auch WillwoiyBrugger in: Brugger 71 f. 
^^^^ Siehe gegen den Monismus auch Dempf 21 f. und Kapitel 4.5.3. 



226 Metaphysik 



mit zeigt sich der Realismus als die „goldene Mitte" zwischen den beiden extremen und un- 
haltbaren Lehren des Dualismus einerseites und des Monismus andererseits/^^^ 

Ein weiteres wichtiges ontologisches Begriffspaar, das im Verlauf der vorliegenden Arbeit 
bereits erwahnt wurde, stellen das Wesen und die Existenz dar.^^^^ Die Frage, wie Endliches 
und Unendliches^^^^ sein konnen, macht die Unterscheidung zwischen Wesen(heit)^^^^ und 
Dasein bzw. Existenz^ ^^^ notig. Unter Wesen versteht man dabei dasjenige Seinsprinzip, das 
beim endlichen Seienden durch das Seinsprinzip der Existenz voUendet wird.^^^^ Die Existenz 
antwortet auf die Frage, ob etwas ist, wahrend das Wesen beantwortet, was es ist. Das Wesen 
ist die Weise, nach der einem Seienden Sein zukommt.^^^^ Das weltliche Sein ist dem Werden 
und Vergehen unterworfen (bekanntes Beispiel: Samenkom), es ist bedingt, abhangig, mit an- 
deren Worten dem Sein gegeniiber indifferent, also nicht aus sich heraus bzw. wesensmaBig 
seiend. Beim endUchen Seienden ist also mit dem Wesen nicht auch schon die Existenz gege- 
ben, beide sind vielmehr voneinander zu unterscheiden. 

Weiter meint Wesen(heit) im engeren Sinne bzw. Natur - im Gegensatz zu den akzidentiellen 
Bestimmungen - den letzten inneren, nur geistig erfaBbaren (d.h. intelligiblen), bestandigen, 
ja unveranderlichen und damit in gewisser Hinsicht notwendigen „Kern", mit anderen Worten 
den Wesensgrund eines Seienden. Es ist dieser immaterielle Kern, der dem Seienden seine 
Einheit und die Zugehorigkeit zu einer bestimmten Art verleiht. Dieses Wesen geistig zu er- 
schlieBen, bildet das Ziel wissenschaftlicher Erkenntnis. Das jeweilige Wesen eines Seienden 
laBt sich jedoch letztlich nur philosophisch auf dem Weg der Abstraktion und unter Einbezie- 
hung metaphysischer Erkenntnisse gewinnen.^^^^ Fine rein naturwissenschaftliche Betrach- 
tung, die sich auf die Erscheinung oder die quantitativen Verhaltnisse beschrankt, kann nicht 



^°^^ Auch eine Unterscheidung in „ontological resp. substance dualism" einerseits und „property dualism" an- 
dererseits (vgl. Churchland 1986, 317 ff.) lost die Widerspriichlichkeit von Monismus und Dualismus nicht 
auf. 

^^^^ Vgl. zum Wesen und zur Existenz Aristoteles: Metaphysik VII, VIII, XII; Thomas: Seiendes und Wesenheit 
I f.; Lotz in: Brugger 55f., 349 f. und 463 f.; Lehmen I, 335 ff. und 392 ff.; Kenny 1999, 88 ff.; Hennen 161 
ff., 246 ff.; Lotz/Vries 85 ff.; Vries 1937, 73 ff. und Vries 1993, 107 ff. Eine sehr ausfuhrliche Untersuchung 
von Wesen und Sein findet sich in Seifert 1996. 

^^^^ Vgl. dazu Kapitel 4.3.3 und Lotz in: Brugger 463 f. 

^^^"^ Die lat. Bezeichnung lautet essentia, weshalb man auch von Essenz spricht. 

^^^^ Die lat. Bezeichnung lautet existentia. 

^^^^ Vgl. Aristoteles: Metaphysik IV, 4 f. und V, 8 sowie Vries 1993, 107 ff. Siehe zur Vollendung auch Aristo- 
teles: Metaphysik V, 16. 

^^^^ Weil Gott kein Sein zukommt, sondern er das Sein ist, fallen bei ihm Wesen und Existenz zusammen. Siehe 
dazu auch Kapitel 4.3.3. 

^^^^ Siehe zur Abstraktion Kapitel 4.2.2 und 4.5.4. 



Metaphysik 227 



bis zum Wesen vordringen; „Kurz, eine mathematische Formel kann uns nie sagen, was ein 
Ding ist, sondern nur, wie es sich verhalt"^^'^'^. 

Von besonderer Bedeutung fiir die Beurteilung wissenschaftlicher Zusammenhange und 
Theorien ist das richtige Verstandnis von Kausalitat. Kaum ein anderer fundamentalphiloso- 
phischer Zusammenhang hat solch enorme Auswirkungen auf anthropologische Fragestellun- 
gen wie dieser. Wie die Naturphilosophie (Kapitel 4.4) und vor allem die Anthropologie (Ka- 
pitel 4.5) naher ausfUhren werden, sind beispielsweise die Auffassung von Seele bzw. Geist, 
Freiheit oder Leben ganz entscheidend vom Verstandnis der Kausalitat abhangig. Zunachst 
sind die unterschiedlichen Formulierungen und Begriffe bezUglich der Kausalitat klarzustel- 
len.^^^^ Die grundlegendste Erfassung der Kausalitat geschieht durch das metaphysische Kau- 
salprinzip.^^^^ Es lautet: „Jedes kontingente Seiende hat eine wirkende Ursache." Dieses Kau- 
salitats- oder kiirzer Kausalprmz/p darf nicht verwechselt werden mit dem naturphilosophi- 
schen Kausalg^^-^^z oder dem physikalischen Kausaka^z. Wahrend das Kausalprinzip als all- 
gemeines, eben metaphysisch-ontologisches Prinzip fiir das gesamte kontingente Sein, spezi- 
ell auch fiir das freie, geistig-personale Sein gilt, haben Kausalgesetz und Kausalsatz nur be- 
grenzte Giiltigkeit. 

Das naturphilosophische Kausalgesetz^ ^^\ nach dem alles, was in der Natur geschieht oder zu 
sein beginnt, einer Ursache bedarf, vemachlassigt die Tatsache, daB das Kontingente nicht nur 
fiir den So^insbeginn bzw. jede Veranderung, sondern fiir sein Sein iiberhaupt einer hinrei- 
chenden Ursache bedarf. 

Die meisten Unklarheiten und Unwahrheiten betreffen den in den Naturwissenschaften haufig 
bemiihten Kausalsatz.^ ^^^ Nach diesem (induktiv gewonnenen) Satz soUen gleiche Ursachen 
(notwendig) gleiche Wirkungen haben. Das im Sinne dieser Naturkausalitat Bewirkte ist je- 
doch „trotz des spezifischen Anteils der Nachstursachen immer mitbedingt vom Gesamtzu- 
stand des Universums mit EinschluB des [nicht rein geistigen; Einschub R. £.] Beobachters 
u[nd] von der Empfanglichkeit der die Wirkung aufnehmenden Umgebung, so daB das tat- 
sachlich beobachtete Geschehen auch dort, wo es einem Gesetz gemaB vor sich geht, immer 



^^^ Jeans in: Diirr 59. 

^^^^ Durch unzulangliche Formulierungen wie „Jede Wirkung hat eine Ursache" wird die Kausalitat nicht wirk- 

lich erhellt, da im Begriff der Wirkung das Verursachtsein schon mit gegeben ist. 
^^^^ Vgl. zum (metaphysischen) Kausalprinzip Aristo teles: Metaphysik VII, 7; Thomas: Summe der Theologie I, 

44; Vries in: Brugger 196 ff.; Hennen 163 ff.; Lehmen I, 411 ff.; Vries 1937, 107 ff. und 275 ff. sowie Vries 

1993, 54 ff. und siehe auch Spaemann/Low 243 ff. 
^^^^ Vgl. zum Kausalgesetz Vries in: Brugger 196 ff. 
^^^^ Vgl. zum Kausalsatz Brugger in: Brugger 198 und Vries 1937, 242 f. 



228 Metaphysik 



um einen Mittelwert schwankt"^^"^^. Eine eindeutige Festlegung alien Geschehens durch die 
Gesamtheit der am Geschehen beteiligten GroBen (also ein Determinismus) laBt sich weder 
naturwissenschaftlich^^^^ noch philosophisch halten. Der philosophische Grund dafiir liegt 
darin, daB der Kausalsatz nicht notwendig aus dem metaphysischen Kausalprinzip folgt, denn 
das nur bedingt Seiende kann anderes bedingt Seiendes bzw. Wirkendes nicht notwendig er- 
klaren.^^^^ Sofern er uberhaupt angewendet werden kann, ist festzuhalten, daB der Kausalsatz 
auf die physikalische und untergeistige Natur eingeschrankt ist.^^^^ Wichtig in diesem Zu- 
sammenhang ist auch die Einsicht, daB die Naturwissenschaften Kausalitat nicht begriinden 
und auch nicht widerlegen konnen, da sie - insbesondere bei Experimenten - diese immer 
schon voraussetzen. Das gilt auch fiir die Quantenphysik.^^^^ 

Fiir die realistische Erkenntnis der Gesamtwirklichkeit sowie insbesondere fiir die Anthropo- 
logic ist also das metaphysische Kausalprinzip unumganglich. Seinen Ausgang nimmt die 
Formulierung des Kausalprinzips vom Begriff der (ontologischen oder metaphysischen) Kon- 
tingenz.^^^^ Darunter versteht man die aus dem Wesen folgende Indifferenz gegeniiber dem 
Sein und Nichtsein. Die Kontingenz zeigt sich besonders deutlich durch Entstehen und Ver- 
gehen des zu Betrachtenden, kann aber auch mittelbar nachgewiesen werden, etwa bei materi- 
eller Substanz anhand der Zusammensetzung. Kontingenz zeigt sich auch im reflexiven Be- 
wuBtsein. Das Ich erkennt seine Handlungen bzw. Akte, wie beispielsweise das WoUen, als 
nicht durch sich selbst seiende, also nicht notwendige Akte.^^^^ Hat der Verstand einmal die 
Kontingenz erfaBt, so erweitert er (synthetisch) die Erkenntnis, daB das, was aus seinem We- 
sen dem Sein gegeniiber indifferent ist, also sein und nicht sein kann, wenn es ist, notwendig 



^^^^ Bmgger in: Bmgger 259. 

^^^^ Vgl. die quantenphysikalischen Gmndlagen in Kapitel 3.4. Problematisch ist beispielsweise auch, daB phy- 

sikalisch verstandene Kausalitat sich nach der Relativitatstheorie maximal mit Lichtgeschwindigkeit aus- 

breiten konnen soil, Quantenexperimente jedoch eine sofortige Wirkung (etwa bei der Veranderung bzw. 

Festlegung des Spins bei verschrankten Teilchen) nahelegen. 
^^^^ Noch weniger als das Wirken kann das Sein des Kontingenten durch den physikalischen Kausalsatz und vor 

allem durch Wahrscheinlichkeiten erklart werden. 
^^^'^ Aus diesem Grund sind auch Energie- und Materie-Erhaltungssatze keine schlagkraftigen Einwande gegen 

das Sein und Wirken von Geistwesen und noch weniger gegen das Schopfen Gottes. Siehe dazu Lehmen III, 

52 f. 
^'^^ Zur Problematik der Kausalitat bei Quantenphanomenen siehe Brugger in: Brugger 309 f. und Mittelstaedt 

94 ff. Da man bestimmt Zustande (wie Ort und Impuls) nicht unabhangig voneinander und beliebig genau 

bestimmen kann, lassen sich keine oder zumindest keine beliebig genauen (physikalischen) Vorhersagen 

liber kiinftige Zustande treffen. Allerdings ist zu beachten, daB Kausalitat im allgemeinen nicht Vorhersag- 

barkeit bedeutet. Vgl. auch Kapitel 4.5.5. 
^^^^ Die logische Kontingenz meint die nicht-notwendige Modalitat einer Aussage. Vgl. zur Kontingenz Vries 

1993, 59 ff.; Lotz/Vries 85 f. und Vries in: Brugger 201 f. 
^^^^ Vgl. dazu die Evidenz des Ichs in Kapitel 4.2.3 sowie Lotz/Vries 62 f. 



Metaphysik 229 



durch ein anderes Seiendes, eben dessen Ursache, (gewirkt) sein muB/^^^ Da nur das Seiende 
wirken kann, ist es unmoglich, daB das Kontingente sich „an den eigenen Haaren" aus dem 
Nichts ins Sein hebt. Josef de Vries kann dementsprechend nach einer Behandlung der mogli- 
chen Einwande gegen das Kausalprinzip abschlieBend festhalten: „Es ist wirklich nicht bloB 
ein subjektiver Drang, alles zu begreifen, der uns den Gedanken eines ursachenlosen Entste- 
hens abweisen laBt, sondern der Gegenstand selbst. Da die Inhalte (»kontingentes Seiendes« 
und »verursacht«) selbst ihre Vereinigung fordern, ist es auch nicht eine Gesetzlichkeit des 
transzendentalen Subjekts, auf Gmnd derer wir urteilen. Insoweit also feststeht, daB der Be- 
griff des Kontingenten verwirklicht ist, muB auch ein wirkliches Verursachtsein angenommen 
werden; in diesem Sinn gilt das Prinzip von den »Dingen an sich«"^^". 

Aus der Erkenntnis des metaphysischen Kausalprinzips ergeben sich eine Reihe auBerst 
wichtiger SchluBfolgerungen^^^^ Erstens halten sich die Wirksamkeit der Ursache und die 
Wirkung das Gleichgewicht. Das bedeutet vor allem, daB die Wirkung nicht groBer als die 
Wirksamkeit der Ursache sein kann, da sonst ein Teil der Wirkung keine Ursache hatte, und 
daB die VoUkommenheit der Wirkung (in derselben oder einer hoheren Seinsweise) in der Ur- 
sache vorhanden sein muB.^^^^ Zweitens kann sich nichts selbst verursachen, da es dazu 
gleichzeitig und in derselben Hinsicht sein und nicht sein miiBte, was offensichtlich nicht mit 
dem Widerspruchsprinzip vereinbar ist. Drittens konnen sich zwei Dinge nicht gegenseitig 
bewirkende Ursachen sein, denn um zu wirken miiBte jedes bereits unabhangig vom anderen, 
also gerade nicht als dessen Wirkung sein. 

Die Verallgemeinerung des Kausalprinzips vom kontingenten auf das gesamte Sein ist der 
Satz vom zureichenden bzw. hinreichenden Grund.^^^^ Dieser besagt, daB alles, was irgendwie 
ist, einen hinreichenden Gmnd hat, durch den es ist. Wahrend das Kausalprinzip das kontin- 
gente, wirklich Seiende betrifft, gehort der Satz vom hinreichenden Gmnd zu den unmittelba- 
ren evidenten, ersten Prinzipien und gilt nicht nur im ontologischen Bereich fiir endliches und 
unendliches Sein, sondern auch im logischen Bereich. Hierbei gilt es zwei MiBverstandnissen 
entgegenzuwirken. Im Bereich des Logischen ist nicht gefordert, daB jedes Urteil eine Be- 
griindung durch einen Beweis und damit durch ein anderes Urteil verlangt. Vielmehr muB es 



^°^^ Bezogen auf das Ich folgt daraus, daB es nicht nur Naturkausalitat, sondern auch seelische sowie geistige 

Kausalitat gibt. 
^^" Vries 1937, 114. 
^^^^ Vgl. Lehmen I, 427 ff. 
^^^'^ Das Vollkommene geht also stets dem Unvollkommenen voraus. Vgl. Aristo teles: Physik VIII, 9 (265 a) 

und Lotz/Vries 233 ff. 
^^^^ Vgl. Hennen 165 ff.; Vries in: Brugger 160 f. und Lehmen I, 420 ff. 



230 Metaphysik 



erste, unmittelbare Evidenzen geben, deren Wahrheit aus sich heraus einsichtig ist/^^^ Fiir den 
ontologischen Bereich ist durch den Satz vom hinreichenden Gmnd nicht gefordert, das jedes 
Sein einen von ihm selbst verschiedenen, realen Gmnd, d.h. einer Ursache bedarf. Wie sich 
im nachfolgenden Kapitel 4.3.3 zeigen wird, ist namlich Gott das voUkommene, durch sich 
Seiende oder genauer gesagt das Sein. Er ist also in diesem Sinne Gmnd, nicht jedoch Ursa- 
che seines Seins. Mit Blick auf die KI ist festzustellen, daB der Satz vom hinreichenden 
Grund zwar mit der logischen ImpUkation zusammenhangt,^^^^ jedoch wie oben gezeigt we- 
sentUch mehr ist. Weder biologische noch physikaUsche (materielle) Systeme konnen Ursa- 
chen oder Griinde erkennen, da ihnen schon die dafiir notige geistige Erkenntnis der Grund- 
evidenzen nicht moghch ist. 

BeziigUch der Ursachen bleibt noch nachzutragen, daB man mit Aristoteles vier verschiedene 
Arten von Ursachen unterscheiden muB.^^^^ Diese lassen sich unterteilen in die zwei inneren 
Ursachen, namhch die Material- und die Formalursache,^^^^ sowie die zwei auBeren Ursachen, 
das sind die Zweck- und die Wirkursache^^^\ An dieser S telle ist besonders hervorzuheben, 
daB alle vier Ursachen, insbesondere also auch die Zweckursachen oder mit anderen Worten 
die teleologischen^^^^ bzw. finalen^^^^ Ursachen, objektive Seinsprinzipien sind, von denen das 
Sein des kontingent Seienden abhangt. Zweck- und Wirkursachen schlieBen sich also nicht 
gegenseitig aus.^^^^ Gegen die einseitigen Behauptungen und Auffassungen vieler Naturwis- 
senschaftW^^^ ist festzuhalten, daB die Wirkursache nicht die einzige (auBere) Ursache sein 
kann.^^^^ Vielmehr ist es so, daB die Wirkursache gar nicht und vor allem auch nicht in eine 



1061 Vgl. Kapitel 4.2, insbesondere 4.2.3 f. Diese ersten Wahrheit griinden letztlich in der Wahrheit selbst und 
das heiBt in Gott. 

^^^^ p ^ q ^ q V ^p. Vgl. Titze 48 f. 

^^^^ Vgl. zu den vier Ursachen Aristoteles: Metaphysik I, 3 ff.; V, 2 sowie Physik II, 3 ff.; Hennen 261 ff.; Nau- 
mann in: Brugger 424 ff.; Lehmen I, 41 1 ff.; Spaemann/Low 60 ff. und Vries 1993, 97 ff. 

^'^^^ Siehe dazu die obigen Ausfuhrungen liber Materie und Form in diesem Kapitel. 

^^^^ Von der Wirkursache war bisher meist die Rede, wenn einfach nur „Ursache" gesagt wurde. 

^^^^ Der Begriff kommt vom griech. teleos, d.h. Ziel. 

^^^^ Der Begriff kommt vom lat. finis, d.h. Ziel bzw. Zweck. 

^^^^ Vgl. dazu auch Weizsacker in: Diirr 256 ff. Die beiden Ursachen als komplementar zu sehen (vgl. Heisen- 
berg in: Diirr 305 ff.) ist jedoch problematisch, well damit impliziert werden konnte, die Ursache(n) ware(n) 
weder teleologisch noch effektiv. 

^^^^ Vgl. die Aussagen zur „als-ob-Teleologie" in Kapitel 3.3.5 und zur Kritik an der Teleonomie Spae- 
mann/Low 65 ff. und 213 ff. sowie Aristoteles II, 8. 

^^^^ Das liegt vor allem daran, daB physikaUsche Wirkursachen auf andere Wirkursachen und ihre Randbe- 
dingungen verweisen, sodaB eine Erklarung ohne teleologische Ursachen keinen Halt hatte. 



Metaphysik 231 



bestimmte, um nicht zu sagen richtige, Richtung wirken konnte, wenn sie nicht von der 
Zweckursache begleitet, gelenkt, ja ausgelost wurde/^^^ 

Im Zusammenhang mit der Behandlung der Kausalitat ist noch auf einen weiteren wichtigen 
Begriff einzugehen, den Zufall.^^^^ Unter Zufall versteht man „weder beabsichtigtes noch in 
der Natur der Dinge liegendes Zusammenwirken mehrerer Ursachen zu einer gemeinsamen 
Wirkung"^^ \ Will man dagegen - wie teilweise in Kapitel 3 deutlich wurde - unter Zufall ein 
durch keinerlei Ursache bestimmtes Seiendes oder Werden verstehen, so ist dies unbedingt 
zuriickzuweisen.^^^^ Dieser sog. absolute oder pure Zufall ist aufgrund des metaphysischen 
Kausalprinzips ausgeschlossen.^^^^ Wenn vom (relativen) Zufall gesprochen wird, liegt der 
Bedeutungsschwerpunkt haufig auf der Tatsache, daB das Zufallige nicht erwartet oder gar 
nicht erkennbar ist. Aus der Tatsache, daB die Ursachen von etwas „Zufalligem" nicht vom 
Menschen erkannt werden konnen, ist jedoch nicht zu schlieBen, daB es grund- bzw. ursa- 
chenlos ist. In bezug auf Gott steht fest, daB es fur ihn keinerlei Zufall gibt, da er als die iiber- 
zeitliche Ursache alles Seienden „gleichzeitig" auch alles erkennt.^^^^ Im Hinblick auf die dem 
Kasualismus bzw. Neodarwinismus nahestehenden Theorien des Menschen und der KI muB 
hier folgendes betont werden: Eine zufallige Entstehung des Lebens alleine durch naturge- 
setzlich bestimmte Materie und ohne auBere teleologische Ursache bzw. Ursachen ist ausge- 
schlossen. So wie Materie immer bereits vom Immateriellen geordnet und nur so erkennbar 
ist, so verweist auch das Lebewesen auf eine seelische Ordnung, die es sich nicht selbst geben 
kann, well dies sie immer bereits voraussetzen wiirde.^^^^ Weil die Wirkung seinsmaBig nicht 



10^1 Vgl. zu den teleologischen Ursachen Aristoteles: Physik II, 8 f.; Thomas: Summe der Theologie I, 2; Hen- 

nen 163, 266 ff.; Spaemann/Low, besonders 239 ff.; Planck in: Diirr 34 ff.; Lotz/Vries 182 ff.; Lehmen I, 

430 ff. und 11. 1, 134 ff.; Dempf 60 ff. sowie Haas in: Brugger 396 ff. 

Es deutet sich hier erneut die Notwendigkeit einer ersten und absoluten (Zweck-)Ursache an. Siehe dazu 

Kapitel 4.3.3. 
^^^^ Vgl. zum Zufall Aristoteles: Metaphysik XI, 8 (1065 a) und Physik II, 4 ff.; Boethius: Trost der Philosophic 

V; Haas in: Brugger 396 ff.; Frank/Blandino in: Brugger 482 f.; Lehmen I, 429 f. und III, 70 ff.; Hennen 84 

f., 167 f., 205 f., 270 ff.; Deku 56 ff.; Lotz/Vries 228 ff. und Vries 1993, 60 ff. 
^'^^ Vries 245. Man kann Zufall auch als Fehlen einer teleologischen Ursache fassen. Vgl. Spaemann/Low 65. 
^^^^ In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daB die quantenphysikalische Unbestimmtheit nicht 

auf Akausalitat bzw. absoluten Zufall, sondern auf die Trennung von MeBgerat und MeBobjekt zuriickgeht. 

Vgl. Mittelstaedt 62 ff. und 103 ff. Gegen die Zufalligkeit quantenphysikalischer Ereignisse siehe auch Bro- 

phy 94 und 100 f. 
^^^^ Der Zufall im Sinne qivvqi physikalischen „Ursachenlosigkeit" - etwa beim Zerfall einzelner radioaktiver 

Teilchen - spricht ebenso gegen den materialistischen Determinismus, wie er letztlich das Vorhandensein 

des Geistigen und u.U. auch des Geheimnisses offenbart. 

Zur physikalischen Auffassung des „Chaos" siehe Mahner/Bunge 184 ff. und Prigogine 1995. Hier ist an- 

zumerken, daB Chaos in der Physik nicht totale Form-, Sinn- und Ordnungslosigkeit bedeutet (was philoso- 

phisch im ubrigen ein Nichts ware), sondern die groBtenteils unvorhersehbaren, nichtlinearen Auswirkungen 

minimaler Anderungen von Anfangsbedingungen, vor allem innerhalb von komplexen Systemen. 
^^'^ Vgl. dazu auch Kapitel 4.2.4 und 4.3.3. 
^'^^ Siehe zum Leben und seiner Entstehung auch Kapitel 4.5.8. 



232 Metaphysik 



iiber der Ursache stehen kann, ist es unmoglich, daB Materie die Seele oder gar den Geist her- 
vorbringen kann/^^^ Insofern der Zufall auf das Fehlen von (teleologischen) Ursachen zu- 
riickgeht, verweist er auf einen Mangel; er „ist" also letztlich nicht und kann deshalb auch 
nichts Substantielles erklaren, geschweige denn bewirken. Da nicht alles zufallig im Sinne 
von kontingent sein kann, verweist dariiber hinaus das Zufallige letztlich auf das absolute 
Sein Gottes, welches Gegenstand des nachsten Kapitels sein wird. 

FUr die Beurteilung der Theorien des Menschen und der KI ist neben dem bisher Gesagten 
auch die Erkenntnis der sog. Stufenordnung bzw. des Stufenbaus des Seins entscheidend, der 
jedoch groBtenteils im Rahmen der Naturphilosophie behandelt werden soU.^^^^ Zusammen- 
fassend kann aber bereits hier gesagt werden, daB sich das kontingente Sein aufsteigend in 
Seiendes, Lebendes und Geistiges gliedert, wobei das Hohere jeweils das Niedere enthalt. 

Soweit zu den wesentlichsten ontologischen Begriffen. Das folgende Kapitel stellt den kro- 
nenden AbschluB der Ontologie dar, der gleichzeitig aber auch erste^^^^ Grundlage alles bisher 
Gesagten ist. 



^°^^ Siehe zu Seele und Geist auch Kapitel 4.5.3. 

^^^^ Vgl. neben dem Kapitel 4.4 aber auch die Notwendigkeit von Ordnung fur das Erkennen in Kapitel 4.2.3. 
^^^^ Je nachdem, wo sich der Standort befindet, kann man vom (ontologisch) Ersten oder vom (aus menschlicher 
Sicht erkenntnismaBig) Letzten sprechen. 



Metaphysik 233 



4.3.3 Naturliche Theologie 

Da die Frage nach dem Sein in die Frage nach dessen Ursprung und damit nach Gott miindet 
und das Gottesbild entscheidend das Menschenbild und die Ethik bestimmt, ist fiir eine seins- 
gerechte Anthropologie und KI-Einschatzung die Behandlung der Gotteslehre letztlich uner- 
laBlich. Obwohl sie heutzutage nicht mehr ausreichend bekannt ist und somit eine ausfiihrli- 
che Behandlung grundsatzlich wunschenswert ware, konnen im Rahmen dieser Arbeit nur die 
Grundziige der natiirlichen Theologie herausgestellt werden. 

Die theologia naturalis, also die natiirliche Theologie, ist diejenige Lehre von Gott, die aus 
natiirlichen Quellen schopft. Sie unterscheidet sich von der Offenbarungstheologie^^^\ die ihr 
Wissen vor allem aus der ubernatiirlichen Selbstoffenbarung Gottes bezieht, dadurch, daB 
samtliche Erkenntnisse ausschlieBlich mit Hilfe der natiirlichen Vernunft des Menschen ge- 
wonnen werden oder zumindest gewonnen werden konnen. Obwohl also im folgenden von 
Gott geredet wird, handelt es sich nicht um Glauben und Religion,^ ^^^ sondern um den Hohe- 
punkt der Philosophic.^ ^^^ Dies wird bestatigt durch die Tatsache, daB alle groBen Philosophen 
iiber Gott geschrieben haben und monotheistische Ansatze beispielsweise unabhangig vom 
Judentum und vor dem Christentum in der griechischen Philosophic zu finden sind. 

Wie bereits bei der Rechtfertigung der Metaphysik im allgemeinen soil auch an dieser Stelle 
zunachst kurz auf grundsatzliche Einwande gegen die Moglichkeit einer natiirlichen oder mit 
anderen Worten philosophischen Gotteslehre eingegangen werden. Dabei ist zu erwahnen, 
daB die meisten Einwande jedoch bereits in den vorangegangenen Kapiteln entkraftet wurden. 
Hier sind vor allem die grundsatzliche Moglichkeit objektiver Erkenntnis sowie die durch- 
gangige Giiltigkeit des metaphysischen Kausalprinzips bzw. des Satzes vom zureichenden 
Grund zu nennen.^^^^ Unhaltbar ist auch die Kritik des Fideismus, nach dem Aussagen iiber 
Gott ausschlieBlich durch den Glauben und mit Hilfe der besonderen Gnade Gottes moglich 
seien. Diese Kritik stellt sich als widerspriichlich heraus, da es unmoglich ist, die genannte 
gnadentheologische Aussage des Fideismus iiber den der Vernunft angeblich vollig unzu- 



^°^^ Diese wird meist abkiirzend nur „Theologie" genannt. Vgl. zum Verhaltnis der natiirlichen Theologie zur 
Offenbarungstheologie Lehmen III, 1 ff. Zum Verhaltnis von Theologie zur Naturwissenschaft siehe Scheff- 
czyk in: Luyten/Scheffczyk sowie mit Einschrankungen die Internetquelle www.ctns.org (Centre for Theol- 
ogy and the Natural Sciences). 

^^^^ Vgl. zum Glauben Kapitel 4.2.3 und siehe zu den Pflichten des Menschen gegeniiber Gott bzw. zur natiirli- 
chen Religion Lehmen IV, 158 ff. 

^^^^ Die Metaphysik behandelt, wie in Kapitel 4.3.1 aufgefUhrt, Ursprung, Prinzipien und Sinn des Seienden. 
Damit ist Gott unumganglich wesentlicher Bestandteil der Metaphysik und allgemeiner gesagt der Philoso- 
phic. 

^^^^ Vgl. deshalb besonders Kapitel 4.2.3 f. und 4.3.2. 



234 Metaphysik 



ganglichen Inhalt mit den Mitteln eben dieser Vernunft zu beweisen.^^^^ In diesem Zusam- 
menhang ist auch anzumerken, daB es den Glauben nicht schmalert, wenn man philosophische 
Erkenntnisse iiber Gott gewinnt, oder ihn gar vermehrt, wenn man auf solche Erkenntnisse 
verzichtet.^^^^ 

Der Einwand gegen die naturliche Theologie, daB es fiir den endlichen Menschen gmndsatz- 
lich unmoglich sei, den unendlichen Gott zu erkennen, verwechselt die vollstandige bzw. 
vollkommene Wesenserkenntnis mit der Erkenntnis des Seins Gottes. Wahrend es sicher un- 
moglich ist, daB das Endliche den Unendlichen voUig er- um nicht zu sagen umfaBt,^^^^ ist es 
sehr wohl moglich, auf dessen Sein zu schlieBen. Der SchluB auf das Sein Gottes ist jedoch 
nicht durch den sog. ontologischen Gottesbeweis moglich, der (zumindest in der verbreiteten 
und nicht selten verkiirzten Form) vom Begriff des voUkommenen Wesens auf dessen Sein 
schlieBen will.^^^^ Aus der Mangelhaftigkeit des ontologischen Gottesbeweises folgt jedoch 
keine Unmoglichkeit von Gottesbeweisen uberhaupt, wie dies falschlich etwa von Kant be- 
hauptet wird.^^^^ Die Moglichkeit, das Sein Gottes zu beweisen, wird sich in Kurze positiv 
zeigen. Vorher ist jedoch noch darauf zu verweisen, daB eine Annaherung an Gott aufgrund 
dessen Erhabenheit mit Vorsicht, um nicht zu sagen in Demut zu geschehen hat.^^^^ Eben die- 
ser Mangel an Ehrfurcht bzw. der Unwille, sich den - vor allem ethischen - Folgen der Gotte- 
serkenntnis zu beugen, ist es auch, der zu der haufigen Bestreitung der Gottesbeweise 
fuhrt.^^^^ Nach all dem steht also fest, daB es keine grundsatzlichen Bedenken gegen die wis- 
senschaftliche, d.h. hier philosophische Behandlung der Gottesfrage gibt.^^^^ 

Nach dieser Vorarbeit stellt sich die zentrale Frage der naturlichen Theologie, die zugleich so 
schlicht und doch so tiefgreifend wie keine andere ist: Existiert Gott? Genauer muB man sa- 
gen: Ist Gott?^^^^ Es geht nachfolgend um das begriindete Wissen um Gott. Da das schluBfol- 



1085 Ygj sowohl gegen den Fideismus als auch gegen die Agnostik Thomas: Summe der Theologie I, 1 ff. und 
Summe gegen die Heiden I, 1 ff. sowie Deku 47 ff. 

^^^^ Man denke an Kants unberechtigte Forderung „Ich muBte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz 
zu bekommen [...]" in der Kritik der reinen Vernunft B xxx. Biblisch gesehen ist es jedoch eindeutig so, daB 
der Mensch von Gott aufgerufen ist, nicht nur die Schopfung, sondern an ihr auch sich selbst und den 
Schopfer zu erkennen. Erst daraufhin ist die Annahme der Begnadigung durch Christus sinnvoll. Siehe dazu 
etwa im Neuen Testament den Romerbrief . 

^^^ Diese Erkenntnis setzt jedoch bereits eine gewisse Kenntnis des Unendlichen voraus. 

^^^ Siehe zum FehlschluB des ontologischen Beweises Lehmen III, 25 ff. und Brugger in: Brugger 278. 

'^^^ Siehe dazu Kants „Kritik der reinen Vernunft", etwa A 620 ff. 

^^^ Vgl. Lotz/Vries 237 ff. 

^^^ Vgl. Kapitel 4.3.1; Lehmen III, 100 f. und Deku 64 ff. 

'^^^ Vgl. zur Moglichkeit der Gottesbeweise auch Lehmen II. 1, 155 und III, 7 ff. 

'^^^ Da Existenz dem Wesen des Seienden erst noch hinzukommen muB, Gott sich aber als das Sein selbst her- 
ausstellen wird, kann man bei ihm nicht von „existieren" sprechen. Vgl. Kapitel 4.3.2. 



Metaphysik 235 



gernde Wissen aus Griinden Beweis genannt wird, spricht man von „Gottesbeweisen". Um 
einen eventuell mitschwingenden anmaBenden Unterton zu vermeiden, spricht man mit Tho- 
mas von Aquin auch von We gen zu Gott/^^"^ Auf Thomas stiitzt sich auch die folgende Argu- 
mentation, die in diesem Rahmen jedoch nur die Hauptargumente nennen kann.^^^^ Man kann 
die fiinf Wege den vier AristoteUschen Ursachen zuweisen oder sie nach Ordnungs-, Wir- 
kungs- und Seinszusammenhangen gliedern. Letztlich gibt es aber nur einen Gottesbeweis, 
namUch den Kontingenzbeweis. Die verschiedenen Wege beleuchten die Kontingenz jeweils 
nur aus einem anderen Blickwinkel, einem anderen Seinsmodus des Kontingenten.^^^^ Der 
Beweis aus der Bewegung^^^^ beginnt bei der Moglichkeit, bewegt, allgemeiner gesprochen 
verandert zu werden; der Beweis aus der Wirkursache^^^^ setzt beim Gewirktsein an; der Stu- 
fenbeweis^^^^ betrachtet die Tatsache, daB einigem mehr Wahrheit, Gutheit und Einheit zu- 
kommt als anderem, und der teleologische Beweis^ ^^^ schlieBlich betont die Hinordnung und 
das Gelenktwerden des Seienden auf ein Ziel (griechisch telos). 

Allen zugrunde liegt wie bereits erwahnt der Kontingenzbeweis, der im folgenden etwas na- 
her betrachtet werden soU.^^^^ Die Kontingenz war bei der Behandlung des Kausalprinzips 
(vgl. Kapitel 4.3.2) erkannt worden als die Indifferenz dem Sein gegeniiber, also die Mog- 
lichkeit zu sein oder genausogut nicht zu sein. Mit dem kontingenten Sein und dem Kausal- 
prinzip ist der Gottesbeweis quasi schon gegeben, er besteht sozusagen im zu Ende gedachten 
metaphysischen Kausalprinzip. Ausformuliert lautet die Kurzform des Beweises also: Das 
Kontingente setzt das Absolute voraus. Anders ausgedriickt: Wenn und well das Bedingte ist, 
muB das Unbedingte sein.^^^^ Es kann unmoglich nur kontingent Seiendes geben. Da das Sei- 
ende nur Sein-Habendes ist, verweist es notwendig auf anderes. Dies ist entweder selbst wie- 
der nur Seiendes oder das absolute Sein selbst. Ein unendlicher Regress von Seiendem zu 



^'^^^ Siehe zu den fiinf Wegen zu Gott Thomas: Summe der Theologie I, 1 ff. so wie Summe gegen die Heiden I, 

Iff. 
^^'^^ Fiir ausfiilirlicliere Darstellungen sielie neben Tliomas aucii Cramer, Seidl, Kalin I, Brugger, Lelimen III und 

Deku 47 ff . 
^^^^ Vgl. Lotz/Vries 218 ff. Zur Einteilung der Gottesbeweise in drei Gruppen (metaphysische, physische und 

moralische) siehe Lehmen III, 32 ff. Zum deontologischen Beweis siehe Lehmen III, 78 ff. und zum euda- 

mologischen Beweis Lehmen III, 84 ff. 
^^^^ Vgl. auch Aristoteles: Metaphysik XII, 7 ff. und Physik VIII sowie Lehmen III, 53 ff. 
^^^^ Vgl. auch Metaphysik II und Lotz/Vries 233 ff. 

^^^^ Vgl. auch Augustinus: Der freie Wille, 2. Buch und Lehmen III, 58 ff. sowie Vries 1937, 280 ff. 
^^^^ Vgl. auch Lehmen III, 64 ff. sowie Planck in: Diirr und siehe zu Gott als letztem Ziel alles Seiendem eben- 

falls Spaemann/Low 71 ff. und 84 ff. 
^^^^ Vgl. zum Kontingenzbeweis Lehmen III, 34 ff.; Lotz/Vries 215 ff.; Vries in: Brugger 155 ff. und Deku 47 ff. 

Zu den Einwanden Kants gegen die Gottesbeweise sowie ihrer Widerlegung siehe Lehmen III, 43 ff. und 

Willmann III, § 102 ff. 



236 Metaphysik 



Seiendem ist unmoglich, da diese jeweils nur potentiell, aber eben nicht notwendig sind/^^^ 
Gebe es das reine, subsistierende Sein, das „ens a se"^^^^ nicht, gebe es gar nichts. 

In der Hinsicht und Sprache des Wirkens heiBt das: Wenn es vemrsachtes, gewirktes Sein 
gibt, muB es das unverursachte Sein geben, die „prima causa" also die erste Ursache, ohne die 
auch keine folgenden und damit auch nicht die jetzigen Ursachen und Wirkungen waren. Te- 
leologisch betrachtet ist aus der Ordnung der Natur auf einen weisen Ordner und Lenker zu 
schUeBen. Auf die Bewegung bezogen muB es den unbewegten Beweger, auf Wahrheit, Gut- 
heit, Einheit bezogen die Wahrheit^ ^^^ Giite und Einheit geben. Da die A^(9mma/definition^^^^ 
dem Menschen bei der Wahl der Begriffe eine gewisse Freiheit laBt, gibt es eine Reihe von 
Namen fiir das Absolute. Zum bekanntesten Namen heiBt es bei Thomas treffend: „quam om- 
nes Deum nominant"^^^^ also, daB dies(er) von alien Gott genannt wird. 

Urspriinglich war es „nur" Ziel der Gottesbeweise zu zeigen, dafi Gott ist. Weil jede DaB-Er- 
kenntnis immer auch eine Was-Erkenntnis enthalt, und sei sie auch noch so bescheiden, ist ei- 
ne rein agnostische Position, nach der man vermeintlich gar nichts von Gott aussagen kann, 
ausgeschlossen. Durch die fiinf thomistischen Beweise steht von Gott immerhin schon folgen- 
des fest: Er ist unbewegter Beweger, erste Wirkursache, notwendiges, absolutes Sein, hoch- 
stes, wahrstes Sein, mit Vernunft und Willen. DaB das Ende der fiinf Beweisketten wirklich 
der personliche Gott ist und nicht ein blindes Prinzip, bedarf jedoch weiterer Ausfuhrungen. 
Es sei aber darauf verwiesen, daB dies an vielen Stellen geschehen ist.^^^^ Die Gotteslehre 
wird dabei im AnschluB an die Gottesbeweise uberwiegend im analytisch-deduktiven Verfah- 
ren entwickelt. Besonderer Wert wird zudem auf den Weg des Heraushebens, der Analogic 
und der Verneinung gelegt^^^^: Je mehr „Negationen" feststehen, desto mehr verliert die 
menschliche Erkenntnis an Dunkelheit. DaB dem Menschen jedoch immer sehr viel mehr von 

^^°^ Gegen den Einwand, der Begriff des Kontingenten setze den Begriff des Absoluten unmittelbar voraus, d.h. 

die Gottesidee sei urspriinglich, siehe Lehmen III, 13 f. 
^^^^ Gegen den Einwand einer angeblich moglichen unendlichen Reihe siehe Lehmen III, 48 f. und Aristoteles: 

Metaphysik II, 2. 

Fiir die KI-Theorien bedeutet Transzendenz falschlicherweise unbeschrankte Regression und die EinfUhrung 

immer neuer Metaebenen. Dies bleibt jedoch letztlich „radikal immanent" (Foerst 294) und verfehlt somit 

das Wesen des Transzendenten. 
^^^^ Weil Gott das „ens a se'\ d.h. das Sein aus sich, ist, spricht man auch von seiner A^eitat. 
^^^^ Siehe zur W^ahrheit auch Kapitel 4.2.4. 
^^^^ Vgl. zu den Definitionen Kapitel 4.2.2. 

^^^^ Summe der Theologie I, q. 2, 3. Siehe zum GottesZ?^^r/^auch Lehmen III, 4 ff. 
^^^^ Siehe dazu vor allem die Argumente Thomas' in der Summe der Theologie als auch in der Summe gegen die 

Heiden sowie Lehmen III, 102 ff. und LotzA^ries 237 ff. 
^^'^^ Vgl. Lotz/Vries 90 f. und 104 f. Eine Dialektik im Sinne Hegels, die der Verneinung und dem Nichts eine 

vollig unhaltbare eigene „Kraft" und eigenes „Sein" zuspricht, ist dagegen entschieden abzulehnen. Siehe 

dazu Lakebrink 53 ff. und Hotschl 41 ff. 



Metaphysik 237 



Gott verborgen bleibt, als sich ihm erschlieBt, zeigt sich alleine schon daran, daB er der Viel- 
zahl der Beweise und Begriffe bedarf, obwohl Gott wesensmaBig in absoluter Weise Einheit 
ist. 

Um die Argumentationen der Gotteslehre anzudeuten, folgt eine extrem geraffte Darstellung 
iiber den Gang der „Wesenserkenntnis" Gottes^^^^: Aus der Unbeweglichkeit und Unverander- 
lichkeit folgt Gottes Ewigkeit.^^^^ Weil Gott erste Ursache und notwendig ist, was alles Nicht- 
seinkonnen ausschlieBt, ist er frei von jeglicher Potenz, also reiner Akt (actus purus).^^^^ Da- 
mit ist er frei von jeder Zusammensetzung, ohne Materie und auch nicht von seiner Wesenheit 
zu unterscheiden. Da Gottes Wesen mit seinem Sein zusammenfallt,^^^^ er das erste Sein, die 
oberste Ursache und reiner Akt ist, bleibt ihm jeder Mangel fern, ist er also vollkommen.^^^^ 
Mit der Vollkommenheit folgt auch die All-Gute, die Einheit, die AUmacht und die AUwis- 
senheit sowie die Tatsache, daB Gott schlechthin unendlich ist.^^^^ Das Erkennen und Lenken 
aller Dinge setzt einen Willen voraus, und da dieser in absoluter und voUkommener Weise 
wirkt, folgt ebenfalls Gottes unendliche Liebe. Die voUkommene, intelligente Ursache alien 
Lebens und aller Personen ist nicht nur das Leben selbst, sondern auch Person.^ ^^^ In seiner 
hochsten VoUendung ist Gott zudem nicht nur glucklich, sondern das Gliick selbst, wie Tho- 
mas es als die Kronung der natiirlichen Theologie erweist.^^^^ 

Der Hohepunkt der Metaphysik und damit derjenige der (Universal-)Wissenschaft ist der 
SchluB vom relativen, begrenzten und bedingten Seienden zum absoluten, unbegrenzten und 
unbedingten Sein, sprich Gott.^^^^ Obwohl das Wissen um Gott in der letzten Zeit immer mehr 
in den Hintergrund verdrangt wird, gibt es doch eine Reihe exponierter Stellen, die offentlich 
auf die Wirklichkeit Gottes hinweisen. So heiBt es etwa in der Praambel des deutschen 
Grundgesetzes, das fur das gesamte Volk und nicht nur fur Glaubige gilt: „Im BewuBtsein 
seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen [...] hat das deutsche Volk [...] dieses 



^^^° Vgl. Meyer 1938, 268 ff. und Lehmen III, 5 f. und 151 ff. Wenn man die Aseitat Gottes gezeigt hat, lassen 
sich alle Vollkommenheiten daraus ableiten. 

^ ^ ^ ^ Siehe zur Ewigkeit Gottes auch Boethius: Trost der Philosophic V. 

^^^^ Vgl. auch Lotz/Vries 240 ff. Gott kann unmoglich das Ergebnis einer Entwicklung sein, wie es falschlich 
von Hegel (etwa in Logik II, S. 490 ff.) behauptet wird. 

^^^^ Vgl. Lehmen III, 105; Seifert 1996, 476 ff. und zum Wesen auch Kapitel 4.3.2. 

^^^^ Gott ist das absolut bzw. unendlich vollkommene Wesen, das deshalb jedoch nicht alle anderen Wesen aus- 
schlieBt, sondern nur solche, deren Vollkommenheit die seine erhohen wurden. Vgl. Lehmen III, 1 10 ff. 

^^^^ Siehe zum Unendlichen auch Aristoteles: Metaphysik XI, 10 und Seifert 1996, 461 ff. 

^ ^ ^^ Vgl. Lehmen III, 55 und 58. 

^^^^ Vgl. Thomas: Summe der Theologie I, 26. 

^^^^ Damit ist neben vielen anderen Ideologien vor allem auch der „moderne Naturalismus" widerlegt, der die 
gesamte Wirklichkeit aus dem selbstgeniigsamen Sein und Wirken der Natur erklaren will. 



238 Metaphysik 



Gmndgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen."^^^^ Noch deutlicher wird die Ver- 
fassung des Landes Nordrhein-Westfalen. Dort heiBt es im ersten Satz des ersten Artikels des 
dritten Abschnittes, der Schule, Kunst, Wissenschaft, Sport, Religion und Religionsgemein- 
schaften behandelt, kurz gesagt in Artikel 7: ^Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Wiirde des 
Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erzie- 
hung/'^^^^ 



^^^^ Hervorhebung nicht im Original. Das (kommentierte) Gmndgesetz ist kostenlos zu beziehen bei der Bundes- 

zentrale fiir politische Bildung in Berlin. 
^^^^ Hervorhebung nicht im Original. Die (kommentierte) Landes verf as sung ist kostenlos bei der Landeszentrale 

fiir politische Bildung in Dusseldorf zu beziehen. 



Metaphysik 239 



4.3.4 Zwischenfazit zur Metaphysik 

An dieser Stelle gilt es, noch einmal die wichtigsten Ergebnisse der Metaphysik zusammen- 
zufassen. Die Begriindung bzw. Rechtfertigung der Metaphysik vor dem Hintergrund moder- 
ner Kritik ist - um es auf einen Satz zu bringen - notig und moglich. Die Metaphysik bzw. 
Fundamentalphilosophie oder auch „Erste Philosophie" besteht in der Aufdeckung und Ent- 
faltung der Gmndordnung und der ermogUchenden Griinde des Seienden. Dieser Bhck fUr die 
gesamte Wirklichkeit ist erforderlich, da nur so die in der Regel sehr tiefgehenden Fragen 
nach dem Menschen und der KI angemessen beantwortet werden konnen. 

Die Metaphysik und hier zunachst die Ontologie hat „die Ursachen und Prinzipien des Seien- 
den, insofern es Seiendes ist, zu untersuchen"^^^\ Dabei zeigt sich vor allem, daB der Mate- 
riaUsmus bei genauerer Betrachtung unhaltbar ist. NaturwissenschaftUche und insbesondere 
quantitativ-bedingte Methoden sind zwar ausgesprochen erfolgreich, jedoch nicht auf alles 
anwendbar. Ein „quantitativer Dogmatismus" bzw. ein Diktat des Quantitativen oder der 
quantitativen Methode wird der GesamtwirkUchkeit nicht gerecht. Neben dem Materiellen ist 
auch das Immaterielle wirkUch. Es erweist sich fur das unbelebte Konkrete als dessen Form, 
fur die Lebewesen als Seele und fur den Menschen als Geist, wie in der Anthropologic (Ka- 
pitel 4.5) noch weiter auszufiihren ist. Ein weiteres entscheidendes Ergebnis der Ontologie ist 
die Einsicht in das metaphysische Kausalprinzip und seine Geltung fur alles kontingent Sei- 
ende. Dadurch ist es moglich, von den Wahmehmungsgegebenheiten zu den nicht erfahrbaren 
Realitaten aufzusteigen. 

Die Dinge weisen iiber sich hinaus, und zwar nicht nur auf andere Dinge, sondern iiber die 
Gesamtheit der erfahrbaren Wirklichkeit. Es zeigt sich letztlich die Notwendigkeit einer 
Uberweltlichen, transzendenten Wirklichkeit, mit anderen Worten das Sein Gottes. Die Meta- 
physik gipfelt also in der natiirlichen Theologie, welche Gott als den absoluten Urgrund alles 
Seienden aufweist. Vom Endlichen, Bedingten, Relativen wurde auf das Unendliche, Unbe- 
dingte. Absolute geschlossen. Der wichtigste SchluB der Metaphysik ist der vom kontingent 
Seienden zum Sein selbst, d.h. zur Aseitat Gottes. Da die Metaphysik die letzten Griinde be- 
handelt, stellt sie den Menschen auch vor „letzte Entscheidungen", etwa vor die, ob er die aus 
dem Sein Gottes folgenden Anspriiche an ihn akzeptieren und ihnen gemaB denken und han- 



^^^^ Aristo teles: Metaphysik VI, 4 (1028 a). Ontologie kann also nicht von der Physik, insbesondere von Teil- 
chen- und Quantenphysik betrieben werden. 



240 Metaphysik 



deln will. Aus diesem Grund geht auch mit dem Verlust der Metaphysik eine allgemeine Des- 
orientierung, ethische Zugellosigkeit und der Verlust des Lebenssinns einher. 

KI-Theorien diirfen die Wirklichkeit Gottes nicht ausblenden oder gar leugnen/^^^ Das gilt 
erst recht fiir die Anthropologie, da Gott nicht nur erste Ursache, sondem auch letztes Ziel des 
Menschen und seiner Handlungen ist. Die Beriicksichtigung der naturlichen Theologie gibt 
also sowohl der Theorie des Menschen als auch derjenigen der Technik bzw. der KI die noti- 
ge Verankerung und Orientierung. 

Zusammenfassend muB man feststellen, daB auch oder gerade bei Einbeziehung naturwissen- 
schaftlicher Forschungsergebnisse die Metaphysik unumganglich ist.^^^^ Es zeigt sich nam- 
lich, daB alle Wissenschaften auf metaphysischen Voraussetzungen beruhen. „Wie also viel- 
fach richtig bemerkt wurde, ist ein Antimetaphysiker nur jemand, der primitive und unanaly- 
sierte metaphysische Auffassungen vertritt."^^^^ 

Soweit zu den grundlegenden Aussagen der Metaphysik. Auf sie wird im weiteren Verlauf 
der Arbeit immer wieder zuriickgegriffen werden. Bevor in Kapitel 4.5 das Wesen des Men- 
schen dargelegt wird, ist im nun folgenden Kapitel 4.4 ein weiterer wichtiger Teilbereich der 
Philosophic zu behandeln. Die Rede ist von der Naturphilosophie, die fiir ein angemessenes 
Verstandnis des Menschen und der KI ebenfalls unerlaBlich ist. 



^^^^ Die naturwissenschaftlichen Theorien der Begriffe Intelligenz, Geist, Wille etc. pas sen nicht auf Gott, was 

neben den vielen inneren Widerspriichen ebenfalls ihre Mangelhaftigkeit andeutet. 
^^^^ Vgl. zum nicht abreiBenden Faden der Metaphysik von den Anfangen der Philosophic bis heute Hirschber- 

ger, besonders II, 559 ff. 
^^^^ Mahner/Bunge 3. Insbesondere die - mehr oder weniger tiefgehende - Hinterfragung von (anthropologi- 

schen) Begriffen ist oft bereits Metaphysik. 

Zum Materialismus als widerlegter Form der Metaphysik siehe neben dem Kapitel 4.3.2 auch Spae- 

mann/Low 246. 



Naturphilosophie 24 1 



4.4 Naturphilosophie 

4.4.1 Bedeutung und Grundbegriffe 

Das Kapitel 4.4 behandelt die wichtigsten Fragen beziiglich der Natur, insbesondere in Hin- 
sicht auf die Lehre vom Menschen und der KI. Die Naturphilosophie, die mit ihrer zweiein- 
halbtausendjahrigen Geschichte bis in die griechische Philosophie zuriickgeht, untersucht, 
was die Natur ist, und hat dabei stets den Bezug zur GesamtwirkUchkeit im Bhck/^^^ Weil sie 
die Weltordnung bzw. das Weltall behandelt, heiBt sie auch Kosmologie.^^^^ 

Es gilt zunachst zu klaren, was mit dem Begriff Natur gemeint wird.^^^^ Wie bereits im Rah- 
men der Ontologie behandelt, wird „Natur" teilweise synonym mit „Wesen" verwendet. In 
diesem Sinne bedeutet Natur dann die Wesensart jedes Seienden, zielt jedoch vor allem auf 
das Dynamische, das innere Prinzip des Wirkens, etwa der Bewegung.^^^^ Im Rahmen der 
Naturphilosophie meint Natur^^^^ dagegen zunachst die auf die Geburt zuriickgehende Eigen- 
art des Lebendigen. In einem allgemeineren Sinn, der fur die Naturphilosophie im Vorder- 
grund steht, versteht man unter Natur die Gesamtheit aller sich entfaltenden bzw. verandem- 
den Wesen. Anders ausgedriickt kann man sagen, daB sich die Naturphilosophie mit dem 
raum-zeitlich Seienden beschaftigt. Damit ist die Natur schon einmal deutlich vom tJbema- 
tiirlichen (vgl. Kapitel 4.3.3) unterschieden. Weiter wird Natur jedoch im allgemeinen auch 
gegeniiber Geist und gegeniiber Kultur abgegrenzt. Obwohl auch der Mensch ein sich durch 
Raum und Zeit bewegendes Wesen ist und in den Bereich der Natur hinabreicht, ist er doch 
wesentlich durch seinen immateriellen Geist bestimmt. Aus diesem Grunde wird der Mensch 
nicht im Rahmen der Naturphilosophie, sondem in einem eigenen Teilgebiet der Philosophie, 
namlich der Anthropologic (Kapitel 4.5), behandelt. Der Begriff Natur kann dariiber hinaus 
das urspriinglich von Gott Geschaffene im Gegensatz zu dem durch die menschliche Kultur 
(und damit etwa durch die Technik) Hervorgebrachten meinen.^^^^ 



^^^^ Vgl. Junk in: Bmgger 259 f. 

^^^^ Der Begriff stammt vom griech. kosmos, d.h. Schmuck, Ordnung, Anordnung. Weil der Begriff Kosmologie 

tendenziell einen Schwerpunkt in Richtung Korperwelt und Astronomie meinen kann, wird nachfolgend von 

Naturphilosophie gesprochen. 
^^" Vgl. dazu Lotz in: Brugger 256 f. und Regenbogen/Meyer 440 ff. Siehe zur Natur auch Aristoteles: Physik, 

besonders I f. und Metaphysik V, 4. 
^ ^^^ In dieser Natur wurzeln die Naturgesetze. Siehe zum Wesen Kapitel 4.3.2. 
^^^^ Der Begriff stammt sprachlich vom lat. natura, dem das griech. physis entspricht. Beides deutet auf geboren 

werden bzw. entstehen hin. 
^^""^ Die Natur ist in vielerlei Hinsicht Vorbild fur die Technik, steht in diesem Sinne also liber ihr. 



242 Naturphilosophie 



Von seiten vieler Naturwissenschaftler heiBt es, die Naturphilosophie sei nicht (mehr) notig 
bzw. sinnvoll, da die modernen Naturwissenschaften ihre RoUe iibernommen hatten. „Viele 
Naturwissenschaftler - auch hier gibt es wieder Ausnahmen - glauben [...], daB jeder Aspekt 
des Lebens und der Natur letztlich in ausschlieBlich naturwissenschaftlichen Begriffen erklart 
werden kann."^^^^ Dagegen hat sich jedoch in den bisherigen Kapiteln gezeigt, daB die Wirk- 
lichkeit nicht rein naturwissenschaftlich, also auch das „Buch der Natur" nicht rein naturwis- 
senschaftlich-mathematisch zu verstehen ist.^^^^ Wahrend sich das Materialobjekt von Natur- 
wissenschaft und Naturphilosophie groBtenteils deckt, zeigt das Formalobjekt deutlich die 
Unterschiede.^^^^ Die Naturwissenschaften untersuchen nicht die Natur als solche, sondem er- 
forschen - vor allem mit Hilfe von Beobachtung und Experiment - die GesetzmaBigkeiten der 
Naturvorgange. Die Naturphilosophie dagegen arbeitet auf einer hoheren Abstraktionsstufe, 
indem sie bis zum innersten Wesen sowie den Bedingungen der Moglichkeit des Naturlichen 
aufsteigt.^^^^ Naturphilosophie bedeutet eine Riickfiihrung auf allgemeinste Prinzipien und 
damit eine ausdriickliche Bindung an die Metaphysik. Die Philosophic der Natur ist ubrigens 
auch nicht zu verwechseln mit Philosophic der Wissenschaften von der Natur, also der Philo- 
sophic der Naturwissenschaften.^ ^^^ 

Man kann die Naturphilosophie in die Untersuchung der belebten und der unbelebten Natur 
unterteilen. Der Schwerpunkt wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit auf die belebte Natur, 
insbesondere die Tiere gelegt. Zunachst sind jedoch die Grundbegriffe Ausdehnung, Raum 
und Zeit zu behandeln. 

Die Grundeigenschaft aller Korper ist die Ausdehnung.^ ^^^ AUe anderen Akzidentien des Kor- 
pers wie etwa die Figur, die Farbe oder die Bewegung setzen die Ausdehnung voraus. Das 
Ausgedehnte ist jedoch wie bereits im Rahmen der Ontologie erwahnt, nicht mit der Substanz 
gleichzusetzen.^^^^ Das Ausgedehnte bzw. der Korper ist vielmehr eine aus Teilen bestehende 



^^^^ Weizenbaum 1978, 173 f. 

^^^^ Vgl. besonders Kapitel 4.3.2. AuBerdem folgt beispielsweise aus dem Sein Gottes, daB die Natur nicht ziel- 

los und ohne teleologische Sichtweise verstanden werden kann. Vgl. Kapitel 4.3.3 und Spaemann/Low. 
^^" Vgl. zum Verhaltnis Naturphilosophie zu Naturwissenschaft Hennen 16 ff. und 230 ff.; Brugger in: Brugger 

262 f.; Lehmen II. 1, 1 ff. sowie Maritain 33 ff. Zur Wichtigkeit der Naturphilosophie siehe auch Gierer 

1998, 9 ff. Vgl. zum Material- und Formalobjekt Kapitel 4.1.2. 
^ ^^^ Vgl. zu den verschiedenen Stufen der Abstraktion Kapitel 4.2.2. 

^ ^^^ Die Philosophic der Naturwissenschaft ware ein Thema der Wissenschaftstheorie. Vgl. dazu Kapitel 4.2.2. 
^^^^ Vgl. Lehmen II. 1, 4 ff. und Hennen 282 ff. Zur objektiven Geltung des Begriffs der Ausdehnung siehe auch 

Lehmen II. 1, 25 ff. und Lotz/Vries 54 f. 
^ ^" Vgl. dazu und gegen den Materialismus Kapitel 4.3.2. 



Naturphilosophie 243 



Substanz. Diese beiden (konstituierenden) Telle slnd die berelts besprochene Form und die 
Materle/^^^ 

Von der Ausdehnung der Korper ausgehend wlrd der Begrlff des Raumes geblldet.^^^^ Man 
kann den gefullten und den leeren Raum unterschelden. „Der gefullte Raum 1st die als Fas- 
sungsvermogen des Korpers gedachte Ausdehnung des Korpers."^^^^ Der leere Raum kann 
den bestlmmten leeren Raum melnen und 1st dann die Mogllchkelt elner bestlmmten Ausdeh- 
nung als Fassungsvermogen elnes Korpers. Der Ideale Raum bzw. der Raum schlechthln be- 
zelchnet den „unendllchen", leeren Raum, der dem gesamten Weltall sozusagen die Mogllch- 
kelt der Ausdehnung „bletet". Der Ideale Raum 1st jedoch nur der (passlven) Mogllchkelt 
nach unendllch. Er 1st keln von der Korperwelt unabhanglges Selendes, sondern elne objektl- 
ve, Im Seln der ausgedehnten Substanzen griindende, gelstlg erkannte Abstraktlon. 

Im Zusammenhang mlt dem Raum 1st auch der Begrlff der Zelt zu behandeln.^^^^ Die Zelt 1st 
„elne Art der Dauer. Dauer bedeutet die Selbstldentltat Im Daseln. Die Dauer unveranderll- 
cher Wesen 1st die Ewlgkelt, die Dauer veranderllcher Wesen die Z[elt]."^^^^ Der Begrlff der 
Zelt wlrd aus der Tatsache der Bewegung bzw. allgemelner gesagt der Veranderung geblldet. 
Die Zelt 1st das MaB der mogllchen und tatsachllchen Bewegung bzw. Veranderung des (kor- 
perllch) Selenden. Wle belm Raum kann elne Ideale, „unendllche" Zelt abstrahlert werden. In 
der alle zeltllchen Erelgnlsse sozusagen elngerelht werden konnen. So wle der Raum Im Ne- 
benelnander der Ausdehnung griindet, so flndet der objektlve Begrlff der Zelt selnen ontolo- 
glschen Grund In der Aufelnanderfolge der Veranderungen. Durch das ontologlsche Verhalt- 
nls von Ursache und Wlrkung 1st die Zeltrlchtung von der Vergangenhelt In die Zukunft ge- 
geben und deshalb auch nlcht umkehrbar.^^^^ 

Wle berelts aus der Analogic der Begrlffsblldungen anzunehmen 1st, hangen Raum und Zelt 
mltelnander zusammen. Dlesen Zusammenhang sowle die Abhanglgkelt belder vom Bezugs- 



1138 Ygj Kapitel 4.3.2 und Lehmen II. 1, 206 ff. Zur Erkenntnis, daB das Ausgedehnte aus Teilchen besteht, die 
immer wieder teilbar sind, siehe Lehmen II. 1, 12 ff. 

^^^^ Vgl. zum Raum Lehmen I, 401 ff. und II. 1, 42 ff.; Lotz/Vries 54 ff. und 166 ff.; Hennen 302 ff.; Vries 1937, 
196 ff. sowie Junk in: Brugger 315 f. Gegen die kritizistische Auffassungs Kants, nach der der Raum nur ei- 
ne (subjektive) Anschauungsform ist, siehe Willmann III, 310 ff. Siehe zum Raum auch die auBerordentlich 
umfangreiche Darlegung von Gosztnoyi, die auf liber 1300 Seiten samtliche nennenswerte Raumauf fas sun- 
gen in Philosophic, Mathematik und Naturwissenschaften beleuchtet. 

^^^^ Lehmen ILl, 43. 

^^^^ Vgl. zur Zeit Vries 1937, 184 ff.; Hennen 302 ff.; Lehmen I, 401 ff. und ILl, 163 ff.; Junk/Brugger in: 
Brugger 479 ff. sowie Aristoteles: Physik IV, 10 ff. Gegen die kritizistische Auffassungs Kants, nach der die 
Zeit nur cine (subjektive) Anschauungsform ist, siehe Willmann III, 310 ff. 

^ ^^^ Junk/Brugger in: Brugger 479. 

^^^^ Vgl. zu Ursache und Wirkung Kapitel 4.3.2 und zur Unumkehrbarkeit auch Prigogine 1995 sowie Prigogine 
1997. 



244 Naturphilosophie 



system betont besonders die Relativitatstheorie/^'^'^ Dazu ist jedoch zu erwahnen, daB die Re- 
lativitatstheorie nur das Problem der Messung von Raum und Zeit, nicht Raum und Zeit selbst 
behandelt.^^^^ Raum und Zeit konnen nicht rein experimentell erkannt bzw. gemessen werden, 
da Experimente stets Raum und Zeit voraussetzen. Die Klarung der Begriffe ist also Aufgabe 
der Philosophie. Fiir den weiteren Verlauf der Arbeit, insbesondere den Nachweis der Seele 
bzw. des Geistes, muB folgendes beachtet werden: Raum und Zeit betreffen nur die Konkreta, 
d.h. die aus Materie und Form zusammengesetzten Dinge und somit nicht die rein geistigen 
Substanzen.^^^^ 

In den folgenden Kapiteln wird der bereits im Rahmen der Transzendentalien angedeutete 
Schichten- oder besser Stufenbau der Wirklichkeit naher betrachtet.^^^^ Bei der Erforschung 
der Natur zeigen sich namlich verschiedene, grundsatzlich unterscheidbare Stufen oder mit 
anderen Worten Formen des Seienden.^^^^ Die groBte Fiille und Tiefe des Seins kommt dem 
reinen und absoluten Geist zu.^^^^ Deutlich weniger seinsmachtig, well nicht aus sich heraus 
seiend und lebend ist der Mensch, den im Gegensatz zur ihn umgebenden Natur vor allem 
sein Geist ausmacht. Obwohl sein Erkennen und WoUen grundsatzlich auf die gesamte Wirk- 
lichkeit gerichtet ist, ist er doch endlich und insbesondere durch die Bindung an den raum- 
zeitlichen Leib begrenzt. Noch unselbstandiger und weiter begrenzt zeigt sich das von der 
sensitiven Seele durchformte Tier, unter dem die Pflanze mit ihrer rein vegetativen Seele 
steht. Am unteren Ende der Stufenordnung des Seins befindet sich schlieBlich das Anorgani- 
sche, das Gegenstand des nachsten Kapitels ist. 



1144 Ygi 2ur Relativitatstheorie z.B. Heisenberg in: Diirr 301 f. und Junk in: Brugger 324. 

^^^^ Vgl. Breil 1993, 126 ff. 

^^^^ Vgl. Lehmen II. 1, 167 ff. und zu Form und Materie auch Kapitel 4.3.2. Zu Seele und Geist siehe Kapitel 
4.4.3 f. und 4.5.3. 

^^^^ Man spricht besser von Stufen als von Schichten, da mit Schichten haufig ausgesagt werden soil, daB das 
Sein der hoheren Schichten insofern von dem der unteren abhangt, als es ohne jene nicht sein konne. Dies 
trifft jedoch fiir den Geist - vor allem naturlich dem absoluten Geist - nicht zu. Vgl. zum Stufenbau Kapitel 
4.3.2 sowie Lotz in: Brugger 348 f. und mit Einschrankungen Scheler 1994, 126 ff. 

^^^^ Vgl. Lotz/Vries 22 und 153 ff.; Lehmen II.l, 203 ff. und II.2, 4 ff. sowie Hennen 163 und 268 f. 

^^^^ Vgl. Kapitel 4.3.3. Nach der Lehre der (judisch-christlichen) Theologie - die zwar philosophisch auBerst 
plausibel aber im strengen Sinne nicht beweisbar ist - gibt es Wesen, die zwischen Gott und dem Menschen 
stehen. Es sind dies die reinen aber endlichen Geister oder mit anderen Worten die Engel. 



Naturphilosophie 245 



4.4.2 Anorganisches 

Die Ordnung des Weltalls zeigt sich in abgestuften Wirklichkeitsmodi/^^^ Die unterste, d.h. 
am wenigsten voUkommene Stufe bildet das Anorganische^^^^ Das Anorganische ist der Teil 
der Korper, d.h. sinnlich wahrnehmbaren Dinge, dem die VoUkommenheit des Lebens fehlt. 
Es laBt sich deshalb gmndsatzUch durch physikaUsch-chemische Gesetze erfassen. Zwar kon- 
nen diese naturwissenschaftUchen Gesetze nicht zum innersten Wesen des Anorganischen 
vordringen und auch nicht dessen Zusammenhang mit dem Organischen hinreichend erklaren, 
fiir die Erkenntnis des stofflichen Wirkens jedoch sind sie - anders als im Fall der noch zu 
behandelnden Lebewesen - ausreichend geeignet. 

Der Korper und damit auch das Anorganische ist eine aus Teilen bestehende Substanz.^^^^ Er 
hat konstitutive und integrierende Telle. Die konstitutiven Telle sind real verschieden, da 
sonst Wesensverwandlungen unmoglich waren. Sie sind die aktive Form und der passive 
Stoff. Das erklart auch, daB die Korper aktiv und passiv sein konnen. Das Anorganische ist al- 
so in der Lage, nicht nur Wirkungen anderer Substanzen aufzunehmen, sondern auch selbst 
tatig zu sein.^^^^ So sind die Korper beispielsweise der bestimmende Grund der Sinneswahr- 
nehmungen.^^^^ DaB Materie wirkt und sich verandert, bedarf einer Ursache, die letztlich „au- 
Berhalb" der Materie liegen und immateriell sein muB. Dies ist fiir das Anorganische wie ge- 
sagt die Form, die jedoch nicht mit der Seele zu verwechseln ist. Weil die Form die einfache 
und bestandige Ursache des Wesens sowie der (akzidentiellen) Veranderungen ist, kann man 
vom Wirken der Korper zu den Naturgesetzen aufsteigen. Diese sind jedoch nur bedingt not- 
wendig.^^^^ 

„In der anorganischen Welt beobachten wir eine ganz bestimmte Verteilung der Stoffe und 
Krafte. Warum diese so und nicht anders ist, dafur laBt sich vom Anorganischen allein her oft 
kein Grund angeben. Hingegen bringt der Gedanke uberraschende Klarheit, daB dadurch das 
Leben ermoglicht und ihm eine Heimatstatt bereitet werden soU."^^^^ Die hier angedeutete 
ZweckmaBigkeit, die auf die Beachtung teleologischer Ursachen hindeutet, wird sich wesent- 



^^^° Vgl. Lotz in: Bmgger 348 f. 

^^^^ Der Begriff verweist auf das Fehlen von Organen, also von Werkzeugen bzw. Teilen, die verschiedene Le- 

bensfunktionen ubernehmen. 
^^^^ Vgl. zu Form und Materie Kapitel 4.3.2; Lehmen II.l, 186 ff. und 201 ff.; Hennen 237 ff., 282 ff. sowie 

Lotz/Vries 180 ff. Zur Widerlegung des Monismus, Atomismus und Dynamismus siehe Lehmen II.l, 180 ff. 
^^" Vgl. Lehmen II.l, 120 ff. 

^^^^ Vgl. Kapitel 4.2.3 sowie Lehmen I, 165 ff. und II.l, 123. 
^^^^ Vgl. Lehmen ILl, 157 ff. 
^^^^ Lotz/Vries 185. 



246 Naturphilosophie 



lich deutlicher bei der Behandlung der Lebewesen zeigen, weshalb sie erst in den folgenden 
Kapiteln behandelt wird/^^^ 

Wie sich beim Vergleich mit den Lebewesen im Folgenden ebenfalls deutlicher zeigen wird, 
ist das Anorganische aufgrund seiner raum-zeitlichen „Zerstreuung" sowie der sehr begrenz- 
ten Moglichkeit zu wirken das am wenigsten Seiende.^^^^ Dariiber hinaus besitzt es die am ge- 
ringsten ausgepragte Einheit, was sich etwa daran aufweisen laBt, daB Anorganisches in seine 
Bestandteile getrennt und wieder zur urspriinglichen Einheit zusammengesetzt werden kann, 
was das Organische im allgemeinen nicht zulaBt.^^^^ 

Das Anorganische ist jedoch offen fiir hohere Organisations- oder besser Seinsformen. Es 
kann durch ein immaterielles, der anorganischen Form ubergeordnetes Prinzip, mit anderen 
Worten die Seele, uberformt werden. Damit wird dann der Bereich des Lebendigen betreten. 
Dessen einfachste bzw. unterste Stufe bilden die im nachsten Kapitel zu betrachtenden Pflan- 
zen. 



115V Ygj 2ur Teleologie auch Kapitel 4.3.2. 
^^^^ Vgl. Lotz/Vries 162 ff. 

1159 



Vgl. Hennen 296 ff. 



Naturphilosophie 247 



4.4.3 Pflanzen 

Einen wesentlich hoheren Seins- bzw. Vollkommenheitsgrad als das Anorganische zeigt die 
Pflanze/^^^ Ihr kommt neben den VoUkommenheiten des Anorganischen auch noch die des 
Lebens zu.^^^^ Die stofflichen Lebewesen werden Organismen genannt.^^^^ Die Pflanze ist die 
niedrigste Stufe organischer mehrzelliger Individualitat.^^" 

Da die (naturwissenschaftliche) Aufzahlung von LebensauBemngen keine wirkliche Klarung 
des Lebensbegriffes bieten kann,^^^^ ist es Aufgabe der Philosophie, das Wesen des Lebens zu 
bestimmen. Es ist deshalb die Naturphilosophie, die das Leben als den substantiellen Grund 
erweist, durch den ein Wesen nach innen wirken und das heiBt sich selbst bewegen bzw. ver- 
andern kann.^^^^ Aus diesem Innewirken folgen eine Reihe wesentlicher Unterschiede zwi- 
schen Organischem und Anorganischem.^^^^ Das Wachstum der Lebewesen geschieht nicht 
durch auBere Anlagerung, sondem durch innere Assimilation und Entfaltung.^^^^ Lebewesen 
sind Individuen, d.h. sie lassen sich beispielsweise weder beliebig teilen noch beliebig und 
„maBstabsgetreu" vergroBern. Als Organismus sind die Telle so auf das Ganze ausgerichtet 
und vom ihm sowie untereinander abhangig, daB keine beliebige Analyse und emeute Synthe- 
se moglich ist. Lebewesen entstehen nur aus Substanzen ihresgleichen, d.h. genauer nur aus 
Lebewesen der selben Art, wogegen anorganische Substanzen wenn Uberhaupt nur aus ver- 
schiedenen andersartigen Substanzen entstehen. Dariiber hinaus konnen Lebewesen im Ge- 
gensatz zum Anorganischen nicht beliebig lange bestehen. 

Man unterscheidet drei Grade des Lebens: das vegetative, das sensitive und das intellektuelle 
bzw. intellektive Leben.^^^^ Bei der Pflanze findet sich das vegetative Leben, d.h. sie ist zu 
Ernahrung, Wachstum und Fortpflanzung fahig. Die Pflanze verfugt zwar iiber eine Reizbar- 
keit, durch die sie auf auBere Einflusse zweckmaBig, d.h. vor allem lebenserhaltend reagieren 



^^^° Vgl. Lotz in: Bmgger 348 f. und Frank/Haas in: Bmgger 289 f. 

^^^^ Siehe zum Leben auch Kapitel 4.4.4 und 4.5.8. Zur Herkunft des Leben und gegen die Evolution siehe Ka- 

pitel 4.5.8. 
^^^^ Vgl. Bmgger in: Bmgger 281 f. 
^^" Siehe zur Zelle Kapitel 3.3.1 f. 
''^' Vgl. Kapitel 3.1.8, 3.2.8 und 3.3.8. 
^^^^ Vgl. Lehmen n.2, 4 ff.; Vries in: Bmgger 212 ff. und Hennen 331 ff. Streng genommen muB hierbei stets 

erwahnt werden, daB die Bewegung, d.h. die tJberfuhrung von der Potenz in den Akt nicht ohne die „Mithil- 

fe" Gottes moglich ist. 
^^^^ Vgl. Lehmen n.2, 15 ff. und siehe auch Rensch 41. Gegen eine mechanistische Erklamng des Organischen 

heiBt es bei Hartmann: „[...] aber zu erklaren ist das Organische aus dem Mechanismus - auch der hochsten 

Formen - nicht." Hartmann 1949, 48. 
^^^' Vgl. Vollmert 148 ff. 
^^^^ Zum bewuBten, sensitiven Leben siehe Kapitel 4.4.4 und zum selbstbewuBten, intellektiven bzw. intellektu- 

ellen Leben Kapitel 4.5.8. 



248 Naturphilosophie 



kann. Diese Reaktionen sind jedoch so stark durch die Struktur der Reize und der pflanzlichen 
Organe vorgezeichnet, daB sie vollig ohne Wahmehmung, Empfindung oder gar Willen ab- 
laufen. Die Pflanze erkennt den Zweck ihrer Reaktionen nicht und strebt auch nicht sinnlich 
oder gar intellektuell geleitet nach Zielen. Die Pflanze fiihrt also ein unbewuBtes Leben/^^^ 

Fiir die vorliegende Arbeit von Bedeutung ist die Erkenntnis, daB das Leben - selbst in seiner 
untersten Form - nur durch eine nichtstoffliche oder mit anderen Worten immaterielle Seele 
erklart werden kann.^^^^ Dieses iiberstoffliche, gestaltgebende Lebensprinzip, das die organi- 
sche Ganzheit bzw. Einheit des Lebewesens zielstrebig verwirklicht, wird im AnschluB an 
Aristoteles auch Entelechie genannt.^^^^ Sie ist die (Wesens-)Form des Pflanzenleibes. Die 
Pflanzenseele ist eine unvoUstandige und nicht subsistierende Substanz, da sie ausschlieBlich 
die vollstandig an die Materie gebundene Vegetation bewirkt. Ohne Materie kann sie in kei- 
ner Weise wirken und ist deshalb auch in keiner Weise wirk\ic\\. Sie hat also unabhangig von 
der Materie kein Sein.^^^^ 

Ohne die Pflanzenseele ware die Bestimmung der Telle zur Ganzheit und zum Wohle des 
Ganzen nicht moglich, da keines der raumlich getrennten Telle ein Wissen um alle anderen 
Telle und ihren Beitrag zum Ganzen haben kann. Die Seele zeigt sich durch das harmonische 
Zusammenwirken der einzelnen Telle sowie durch viele Prozesse, die haufig erst in der welter 
entfernten Zukunft ihren Zweck offenbaren, dagegen kurzfristig und chemisch-physikalisch 
betrachtet widersinnig scheinen. Wenn es also um den ontologischen Bereich des Lebendigen 
geht, reicht die Betrachtung der Wirkursachen nicht aus. Es miissen auch die Zweckursachen 
erkannt werden, welche die Wirkursachen aktualisieren und leiten und so die ZweckmaBlgkeit 
und Zweckstrebigkeit der Natur erklaren.^^^^ Hinter der anti-teleologischen Beschreibung der 



^^^^ Vgl. Lotz/Vries 157 ff. und siehe zum BewuBtsein auch Kapitel 4.4.4 und 4.5.6. 

^^^"^ Vgl. Aristoteles: LFber die Seele, besonders II; Lotz/Vries 172 ff.; Lehmen II.2, 17 ff.; Vries in: Brugger 212 

ff.; Hennen 331 ff. und Seifert 1989, besonders 215 ff. 
^^^^ Vgl. Hennen, besonders 92 ff. und 331 ff.; Haas in: Brugger 216 f. und Willwoll in: Brugger 341 ff. Die 

Pflanzenseele wird auch Vitalseele genannt. 
^^^^ Vgl. Lehmen II. 2, 26 ff. Die besondere Bindung der Pflanzenseele an die Materie zeigt sich auch darin, daB 

Pflanzen von alien Lebewesen am meisten und deutlichsten an die stoffliche Umgebung gebunden sind, 

meist sogar an einen festen Ort. 

Ganz anders verhalt es sich mit der menschlichen Geistseele, die wie Kapitel 4.5.3 ausfuhren wird, innerlich 

vom Leib unabhangig ist. 
^^" Vgl. Lehmen II.l, 134 ff.; Lotz/Vries 182 ff.; Titze 129 ff. und Hennen 270 ff. Vgl. zu den teleologischen 

Ursachen auch Kapitel 4.3.2 und Spaemann/Low. Ohne teleologische Ursachen konnte man gar nicht von 

fehlerhaften Entwicklungen wie Krankheiten etc. sprechen, da nach dieser verkiirzten Auffassung alles den 

(mehr oder weniger notwendigen, jedenfalls nicht falschen) Wirk- und Materialursachen folgen wurde. 

Fiir Lebewesen gilt nicht (nur) Kausaldetermination. Vgl. Breil 1993, 9 f. Vgl. zur Widerlegung des Deter- 

minismus auch das in Kapitel 4.3.2 zur Kausalitat Ausgefuhrte sowie Kapitel 4.5.5. 

Zur Zuriickweisung des Zufalls als mogliche Erklarung fiir das zweckmaBige Verhalten der Lebewesen vgl. 

ebenfalls Kapitel 4.3.2 und siehe Lehmen II.l, 142 ff. sowie Hennen 72 ff. 



Naturphilosophie 249 



Lebewesen als absichtslose „Maschinen" stehen in der Regel Absichten des Menschen, etwa 
die der Naturbeherrschung oder gar -ausbeutung/^^"^ 

Bevor im nachsten Kapitel das Wesen der Tiere untersucht wird, ist an dieser Stelle noch 
einmal ausdriicklich auf die Unterschiede zwischen Pflanze und Automat bzw. KI oder all- 
gemeiner gesagt Maschine hinzuweisen.^^^^ Die Maschine entsteht durch das Wirken des 
Menschen oder einer (im allgemeinen) andersartigen Maschine, wahrend die Pflanze durch 
eine gleichartige Pflanze hervorgebracht wird. Im Gegensatz zur Maschine schafft die Pflanze 
das fur sie bzw. ihre Ableger notige Material selbst, wobei sie sogar den anorganischen Stoff 
durch das Uberformen mit der Pflanzenseele belebt. Die Pflanze entfaltet ihre VoUkommen- 
heit aus einem Keim heraus von innen nach auBen, die Maschine dagegen entsteht durch ein 
auBeres bzw. auBerliches Aneinanderfugen. Wie bereits erwahnt, laBt sich das Organische 
nicht beliebig teilen und anschlieBend ohne Verlust wieder zusammenfugen, was bei der Ma- 
schine jedoch moglich ist. 



™ Vgl. Herbig/Hohlfeld 283 ff. 

^^^^ Vgl. Lotz/Vries 161 f. und Lehmen 11.2, 24 ff. 



250 Naturphilosophie 



4.4.4 Tiere 

Einen wesentlich hoheren Seins- bzw. VoUkommenheitsgrad als das Anorganische und die 
Pflanze hat das Tier/^^^ Ihm kommt nicht nur vegetatives, sondern auch sensitives Leben 
zu.^^^^ Das Tier ist mit Sinnen ausgestattet und fiihrt damit ein sinnliches Leben. Man unter- 
scheidet die auBeren Sinne, die aus den auBeren Sinnesreizen Empfindungen formen, von den 
inneren Sinnen.^ ^^^ Die inneren Sinne „verarbeiten" die Empfindungen weiter und formen das 
Wahrnehmungsbild. Zu den inneren Sinnen gehoren das sinnliche Vorstellungsvermogen 
bzw. die Phantasie, sinnliches Gedachtnis und Schatzungsvermogen sowie der Gemein- 
sinn.^^^^ Die sinnUche Phantasie und das sinnUche Gedachtnis ermoglichen die „Gegenwart" 
der Wahrnehmungen, auch wenn die sie auslosenden Reize bereits abwesend sind. Im Gegen- 
satz zum Verstand richten sich sinnUche Phantasie und Gedachtnis jedoch stets auf das Kon- 
krete. Die sinnUche Schatzungskraft ist die Fahigkeit, innerhalb enger Grenzen das NiitzUche 
vom SchadUchen zu unterscheiden. Man kann also beim Tier von sinnlicher Erkenntnis spre- 
chen, muB dabei jedoch betonen, daB es sich dabei um eine hochst unvoUkommene Erkennt- 
nis handelt. Sie ist nicht auf die - nur geistig mogliche - Wesensschau gerichtet und kommt 
deshalb nicht zu Urteilen im echten Sinne.^^^^ Der Gemeinsinn ist der Mittelpunkt der auBeren 
Sinneswahrnehmungen, durch den diese geeint werden. Insofem der Gemeinsinn die inneren 
Zustande bzw. Zustandlichkeiten wahrnimmt, heiBt er BewuBtsein. Dieses BewuBtsein be- 
deutet jedoch kein BewuBtwerden im voUen Sinne, sondern lediglich ein sinnliches BewuBt- 
sein, das auf die jeweilige Umwelt und die entsprechenden Lebensbediirfnisse eingeengt 
ist.^^^^ Das tierische BewuBtsein besteht vor allem darin, daB die Wahrnehmungen der ver- 
schiedenen Sinne unterschieden, in gewisser Weise auf Gegenstande bezogen und als die ei- 
genen Wahrnehmungen empfunden werden. 



^^^^ Vgl. Lotz in: Bmgger 348 f. und Haas in: Bmgger 406 f. 
^^" Vgl. Dempf 126 ff. und siehe zum Leben auch Kapitel 4.5.8. 



„Wenn man auch zwischen Pflanzen- und Tierwelt die Grenzlinie nicht jeweils mit Prazision ziehen kann, 
so bedeutet dieser Umstand keineswegs, daB eine solche Grenze nicht vorhanden sei." Berning 1984, 97. 

^^^ Vgl. zu den auBeren und inneren Sinnen Aristoteles: tJber die Seele II, 1 ff.; Lehmen II. 2, 32 ff. und II. 2, 
192 ff.; Hennen 135 ff. und Vries in: Brugger 354 ff. 

^^^ Die (unwillkiirliche) Verbindung von Vorstellungen (aufgrund wiederholter naturlicher oder zufalliger Zu- 
sammengehorigkeit) heiBt Assoziation. Vgl. Lehmen II. 2, 36. Sie ist eine rein sinnlich zu erklarende Fahig- 
keit und setzt - entgegen der in der KI ublichen Auffassung - keine Intelligenz und keinen Geist voraus. 

^^^ Vgl. zur Wesenserkenntnis und zum Urteil Kapitel 4.2 und siehe zur rein geistigen und damit vollen Er- 
kenntnis Kapitel 4.5.4. 

^^^ Vgl. Lotz in: Brugger 348 f. Zum menschlichen BewuBtsein bzw. SelbstbewuBtsein siehe Kapitel 4.5.6. 



Naturphilosophie 25 1 



Tiere konnen sich - im Gegensatz zu Pflanzen - willkiirlich und nicht nur reflexartig bewe- 
gen/^^^ Dieses Streben bzw. Begehren der Tiere ist jedoch ebenso sinnlich wie ihre Erkennt- 
nis, was sich etwa daran zeigt, daB Tiere nicht die abstrakten, sondem nur die konkreten, in- 
dividuellen Dinge erkennen und sie auch nur als solche „wollen".^^^^ Das Tier ist in seinem 
„Wollen" und „Erkennen" instinktgeleitet. Der Naturtrieb bzw. Instinkt ist das zwar objektiv- 
verniinftige Erkenntnis- und Strebevermogen, das aber nicht echte, eigene und geistige Ein- 
sicht Oder freien Willen bedeutet. Es verweist damit notwendig auf teleologische Ursachen 
und letztUch auf den Schopfer.^^^^ Wie bereits bei der Behandlung der Pflanze zeigt sich auch 
beim Tier die ZweckmaBigkeit des Organischen. Erst durch den Bezug auf Tiere wird bei- 
spielsweise der Aufbau und das Verhalten vieler Pflanzen sinnvoU verstanden.^^^^ Zur Frage 
nach dem Verhaltnis zwischen Wirkursachen und teleologischen Ursachen muB man deshalb 
sagen: In Lebewesen „sind die Gesetze von Physik und Chemie zwar nicht auBer Kraft ge- 
setzt, aber es gelten noch andere und mehr Gesetze als sie"^^^^ 

Die Sinnestatigkeit der Tiere ist eine seelisch-organische Tatigkeit.^^^^ Dies ergibt sich daraus, 
daB nur das von der Seele durchformte Organ, also eine zusammengesetzte Ursache, die aus- 
gedehnten Wirkungen wie etwa die Wahrnehmung konkreter, ausgedehnter Reize erklaren 
kann. Eine rein organische bzw. materielle Erklarung der Sinnestatigkeiten ist u.a. deshalb 
ausgeschlossen, weil sie die Einheit und Bestandigkeit des wahmehmenden Wesens sowie die 
Einheit von Erkenntnissen miBachtet.^^^^ Wie die Pflanzen, so haben also auch erst recht die 
Tiere eine Seele, die als die Wesensform zusammen mit dem Stoff die Natur des Tieres aus- 
macht.^^^^ Auch diese ist allerdings so sehr stoffgebunden, daB sie nicht subsistiert, d.h. die 
Trennung vom Korper bzw. Leib nicht uberdauert.^^^^ Die Sinne bzw. Sinnesleistungen der 
Tiere sind denen der Menschen nicht selten uberlegen. Die menschliche GroBe und Sonder- 



11^2 Ygj Lehjnen II. 2, 72 ff. Vgl. zu biologischen und biologisch bedingten Unterschieden zwischen Pflanze und 

Tiere auch Rensch 55 ff. 
^^^^ Siehe im Gegensatz dazu die Untersuchung des menschlichen Willens (Kapitel 4.5.5), der als eine rein gei- 
stige Tatigkeit vom sinnlichen Streben der Tieren grundsatzlich unterschieden ist. 
^^^^ Vgl. Haas in: Brugger 183 f. und Lehmen II.2, 47 ff. Vgl. ebenfalls Kapitel 4.3.3, wo sich Gott u.a. als erste 

Ursache und letztes Ziel alles Seienden gezeigt hat. Auf die „Intelligenz" des Schopfers verweisen auch das 

innere Wirken und der Aufbau des Organischen. Vgl. dazu Hennen, etwa 69 ff. 
^^^^ Vgl. Kapitel 4.4.3 und Lotz/Vries 182 ff. 
^^^^ Herbig/Hohlfeld 284. 
^^^^ Vgl. Hennen 135 ff. und Lehmen II. 2, 49 ff. Siehe dagegen Kapitel 4.5.4, in dem sich das (menschliche) 

Denken als eine rein geistige Tatigkeit erweist. 
^^^^ AuBerdem hatte sich der Materialismus als unhaltbar erwiesen. Siehe dazu Kapitel 4.3.2. 
^^^^ Vgl. Hennen 331 ff. und Lehmen II. 2, 74 ff. Pflanzen und Tiere sind nebenbei bemerkt - aufgrund ihrer 

Seele - an sich schiitzenswert und haben einen besonderen Wert, der nicht ausschlieBlich aus der Nutzlich- 

keit fur den Menschen kommt. 
^^^^ Vgl. Thomas: Summe der Theologie I, 75; Lotz/Vries 171 f.; Hennen 344 ff. und Lehmen II.2, 74 ff. 



252 Naturphilosophie 



stellung muB also aus seiner (mit dem Leib verbundenen) Geistseele herriihren/^^^ Wie sich 
im Rahmen der Anthropologie (Kapitel 4.5) noch deutlicher zeigen wird, besteht ein wesent- 
licher, nicht nur ein gradueller Unterschied zwischen dem Menschen und dem Tier, der aus 
den Wirkungen - insbesondere dem abstrakten Erkennen und freien WoUen - zweifelsfrei er- 
schlossen werden kann. 

Wie in Kapitel 3 ersichtlich wurde, schreiben viele naturwissenschaftliche Forscher Tieren 
Intelligenz zu. Dies liegt haufig an der nicht oder nicht ausreichend durchgefUhrten Unter- 
scheidung zwischen (sinnlichem) BewuBtsein und (geistigem) SelbstbewuBtsein.^^^^ Dagegen 
ist nach philosophischer Priifung festzuhalten, daB sich Tiere zwar auBerst zweckmaBig ver- 
halten, dies jedoch nicht auf ein ihnen innewohnendes geistiges Prinzip bzw. ein Intelligenz- 
vermogen zuriickzufiihren ist. Neben dem bisher Gesagten sprechen folgende Griinde gegen 
eine Intelligenz bei Tieren:^ ^^^ 

1. Tiere verfugen nicht iiber allgemeine Begriffe; sie besitzen mit anderen Worten kein gei- 
stiges Abstraktionsvermogen, sondern nur das auf das Konkrete gerichtete sinnliche „Er- 
kenntnisvermogen". Es laBt sich keine tierische Tatigkeit finden, die auf allgemeine Be- 
griffe hinweist oder sie gar voraussetzt. Tiere haben kein „Konzept", keine Idee, keine We- 
senserkenntnis von den Dingen.^^^^ Sie beherrschen deshalb auch keine (begriffliche und 
damit vemiinftige) Sprache.^^^^ Diese miiBte wegen der Universalitat der Begriffe im Ubri- 
gen in andere, und speziell in die menschliche Sprache iibersetzbar sein.^^^^ Wegen des 
nicht vorhandenen Abstraktionsvermogens gibt es viele Dinge, die keinem Tier beige- 
bracht werden konnen, wohl aber jedem Kind, beispielsweise elementare mathematische 
Zusammenhange wie das Assoziativgesetz der Multiplikation. 

2. Tiere erkennen keine Beziehungen im vollen Sinne, d.h. sie erkennen insbesondere nicht 
das wesentliche Verhaltnis von Ursache und Wirkung, den Satz vom zureichenden Grund 
sowie das Wesen und den Zusammenhang von Mittel und Zweck. Die zugrunde liegenden 



^^^^ Siehe zur menschlichen Sonderstellung, allerdings mit Einschrankungen, auch Scheler 1994, 126 ff. und 

Gehlen 149 ff. 
^^^^ Vgl. zur angeblichen Intelligenz der Tiere und die daraus resultierende Hoffnung auf intelligente Maschinen 

die entsprechenden Abschnitte in Kapitel 3 sowie Penrose 1995, 510 ff. 
^ ^^^ Vgl. Lehmen II.2, 59 ff. und 230 ff. 
^^^^ Der Frosch erkennt beispielsweise nicht die „Fliege", sondern nur die sich bewegende Nahrung. Vgl. Cus- 

sins in: Boden 1990, 416 f. 
^^^^ Vgl. auch Plessner 1985, 39 ff.; Lotz/Vries 151 ff. und Scheler 1994, 34 ff. 
^^^^ Versuche mit Affen haben dagegen gezeigt, daB sie die ihnen miihsam antrainierte, sehr eingeschrankte 

„Sprache" nur fur sinnlich-konkrete Bediirfnisse einsetzen. Waren Tiere intelligent, miiBte sich das dringen- 

de Bediirfnis zeigen, die geistigen Inhalte einerseits mitzuteilen und andererseits die Gedanken anderer zu 

erfahren. Hiervon ist jedoch in der Tierwelt nichts festzustellen. 



Naturphilosophie 253 



Prinzipien der eigenen und der sie umgebenden Verandemngen werden von Tieren nicht 
erkannt/^^^ Wie etwa das Beispiel der Spinne oder der Ameise zeigt, wissen Tiere nicht um 
die hinter den von ihnen eingesetzten Mitteln stehende Intelligenz. Ware dies so, ergebe 
sich nicht nur, daB beispielsweise Insekten viel „inteUigenter" sein miiBten, als sie im Ver- 
gleich zu weiterentwickelten Tieren entsprechend der Evolutionstheorie sein diirften. Auch 
gegeniiber dem Menschen miiBte man von einigen sagen, sie seien ihm an Intelligenz 
uberlegen, da dieser haufig trotz groBter Anstrengungen nicht an Effizienz und Wirkungs- 
grad der Tiere heranreicht.^^^^ 

3. Tiere haben keinen Begriff von Recht, Pflicht^^^^ Sittlichkeit, Tugend, ubersinnlichen Gii- 
tem und Gott. Tiere konnen den Irrtum und das Rose als solches nicht erkennen. Sie kon- 
nen und brauchen sich deshalb auch nicht zu rechtfertigen. 

4. Tiere sind einseitig. Intelligenz ist jedoch, wie sich am Menschen zeigt, allseitig. Der 
Mensch ist - schon leiblich - nicht spezialisiert. Er kann sich im Gegensatz zu den Tieren 
an nahezu alle auBeren und inneren Umstande anpassen. Tiere dagegen konnen sich nicht 
aus ihrer Perspektive losen, nicht objektiv sein. Sie verfugen nicht iiber Wesenserkenntnis 
und damit auch nicht iiber Selbsterkenntnis bzw. SelbstbewuBtsein. Aus diesem Grunde 
scheitern sie in ihnen fremden Umgebungen, obwohl dies rein korperlich betrachtet nicht 
notig ware. 

5. Tiere haben keine Kultur^''\ Geschichte^^'^ Kunst^''^ Wissenschaft^'^' oder Religion^''' 
und zeigen keinerlei selbstgewirkten Fortschritt in ihrem Leben. In diesem Zusammenhang 
heiBt es mit Recht: „Keine Tiergruppe kann ein Ziel haben, das iiber sie selbst hinausweist. 



^^^^ Die Sinne konnen eben den Zweck oder die Ursache als solchen nicht erkennen. Tiere haben also trotz 

zweckmaBigen Handelns kein ZweckbewuBtsein und obwohl sie letzte weltliche Ursache ihres Handelns 

sind, kein echtes und das heiBt allgemeines UrsachlichkeitsbewuBtsein. 
^^^^ Als Beispiel kann das Spinnennetz dienen, dessen Haltekraft im Verhaltnis zum Gewicht sowie der Faden- 

starke immer noch fur die menschliche Technik unerreichbar ist. 
^^^^ Vgl. zu den bei Tieren nicht vorhandenen (Rechts-)Pflichten auch Lehmen IV, 155 f. 
^^^^ Weil sie keine Kultur haben, fehlt den Tieren auch die Technik. Sie verfugen auch nicht iiber Werkzeuge im 

wahren Sinn des Wortes. Vgl. Scheler 1994, 42 ff.; Benthem 44 und Lotz/Vries 144 f. 
^^^^ Vgl. auch Brugger in: Brugger 133 f. und LotzA^ries 142 ff. 
^^^^ Vgl. auch Lotz/Vries 150 ff. 
^^^^ Vgl. auch Kant: Anthropologic in pragmatischer Hinsicht, 3. Buch, 2. Teil, E; Lotz/Vries 148 ff. sowie 

Scheler 1994, 79 ff. und siehe zur Wissenschaft auch Kapitel 4.1.2. 
^^^"^ Vgl. Scheler 1994, 46 f. und 168 ff. Religion setzt (naturliche) Gotteserkenntnis und die reflektierte Bereit- 

schaft zur Hingabe voraus. Vgl. zur philosophischen Einschatzung der Religion Lotz in: Brugger 325 ff. und 

zur Gotteserkenntnis auch Kapitel 4.3.3. 



254 Naturphilosophie 



Oder einen Plan verfolgen, dessen Ergebnisse erst Generationen spater sichtbar werden und 
dessen Vorteile oder auch Nachteile erst eben diese spateren Generationen erfahren."^^^^ 

Die Untersuchungen zum Wesen des Tieres resumierend muB man also sagen: Tiere fiihren 
im Gegensatz zum Menschen kein geistiges, sondem nur ein sinnliches Leben. Nachdem nun 
der Wesensunterschied zwischen Mensch und Tier deutlich geworden ist,^^^^ muB noch einmal 
explizit auf den Unterschied zwischen Tier und KI bzw. Maschine hingewiesen werden.^^^^ 
Der wesentliche Unterschied, aus dem alle auBerlich feststellbaren Unterschiede erwachsen, 
besteht in der Tatsache, daB in Tieren ein substanzielles, seelisches Prinzip wirkt, welches der 
KI fehlt. Zunachst folgen die bereits im Zusammenhang mit dem Leben der Pflanze behan- 
delten Verschiedenheiten bezuglich des Entstehens, des Wachstums sowie der Moglichkeit 
zur Teilung und Zusammensetzung.^^^^ Beim Tier wird das vegetative Leben wie erlautert 
durch das sensitive Leben erganzt. Wahrend das Tier durch seine seelisch durchformten Sin- 
nesorgane also echte Qualitaten wahrnimmt und iiber BewuBtsein verfiigt, verlaufen die KI- 
Vorgange auf der quantitativen Ebene. Die KI kann - wie sich in spateren Kapiteln noch 
deutlicher zeigen wird - nicht zu den seelisch erfaBbaren Bedeutungsinhalten von Reizen 
bzw. Zeichen aufsteigen, sondern ist auf die formalistische Umformung derselben begrenzt. 
Insofern Tiere also in den Bereich des Qualitativen und Unstofflichen reichen und sich somit 
„in der Nahe des Geistigen" befinden, sind sie sozusagen „intelligenter" als die KI, jedoch 
nicht aus sich heraus, sondern durch die ihnen von Gott mitgegebenen Fahigkeiten. 



^2°^ Foerst238. 

^^^^ Dieser Unterschied wird sich in Kapitel 4.5 noch klarer zeigen. 

^^^^ Vgl. dazu Lotz/Vries 161 f. sowie Brugger 406 f. 

''^^ Vgl. Kapitel 4.4.3. 



Naturphilosophie 255 



4.4.5 Zwischenfazit zur Naturphilosophie 

An dieser Stelle gilt es, noch einmal die wichtigsten Ergebnisse der Naturphilosophie zusam- 
menzufassen. Zunachst ergab sich die generelle Notwendigkeit einer von den Naturwissen- 
schaften unterschiedenen Naturphilosophie. „Eine naturphilosophische Perspektive, die ihre 
lange, faszinierende Geschichte und den wissenschaftlichen Erkenntnisstand der Gegenwart 
gleichermaBen einschlieBt, kann wesentlich dazu beitragen, die Wissenschaft in den allgemei- 
nen Sinn- und Wertzusammenhang menschlichen Lebens einzubinden."^^^^ Weil die Natur- 
wissenschaften immer schon bestimmte Begriffe wie Raum und Zeit voraussetzen, ist es Auf- 
gabe der Philosophie, die den Einzelwissenschaften zugrundeliegenden Begriffe und Tatsa- 
chen zu erhellen. Dabei zeigte sich, daB die Natur zwar in mancherlei Hinsichten (mathemati- 
schen) Gesetzen „gehorcht", sie jedoch nicht rein naturwissenschaftlich verstanden werden 
kann, well sie in ihrem Wesen nicht mathematisch und schon gar nicht rein materiell ist. 

Aus der verschiedenartigen Wirkungsweise der Naturdinge kann auf verschiedenartige Sub- 
stanzen, d.h. vor allem auf die Seele und die aus ihr resultierenden wesentlichen Unterschiede 
zwischen Anorganischem und Organischem geschlossen werden. Die Natur zeigt sich als ein 
wohlgeordneter Stufenbau. Auf der untersten Stufe steht das aus Materie und Form zusam- 
mengesetzte Anorganische. Dariiber befindet sich die Pflanze, die durch ihre Seele bewegt, 
ein vegetatives Leben fiihrt. Uber der Pflanze steht das beseelte Tier, das ein sensitives Leben 
fiihrt. Das Tier hat rein sinnliche Erkenntnis und Begehren sowie ebensolches BewuBtsein. 
Dem Tier fehlt das geistige Leben und damit das SelbstbewuBtsein, der freie Wille sowie die 
Intelligenz, weshalb es sich wesensmaBig vom geistdurchformten Menschen unterscheidet. 
Die scheinbare Intelligenz des Tieres „ist nicht die Fahigkeit, begrifflich zu denken oder die 
Ziel-Mittel-Beziehung abstrakt zu erfassen, sondem eine erb- und instinktbedingte Fahigkeit, 
sich der Umwelt (mehr oder weniger rasch) anzupassen"^^^V 

Die hoheren Seinsformen des natUrlichen Stufenbaus enthalten immer auch die VoUkommen- 
heiten der unter ihnen befindlichen Seinsformen. Das Tier ist mehr Einheit und VoUkommen- 
heit als die Pflanze und diese wiederum mehr als das Anorganische, dem als am meisten 
raum-zeitlich zerstreuten Seienden die geringste Einheit und damit am wenigsten Sein zu- 
kommt.^^^^ 



^2°^ Gierer 1991, 266. 
^^^^ Haas in: Bmgger 407. 



Vgl. zur groBeren Einheit der Tiere gegeniiber den Pflanzen auch, allerdings mit Einschrankungen, Plessner 
1965, 218 ff. 



256 Naturphilosophie 



Um zum Wesen der Dinge und vor allem der Lebewesen vorzudringen, ist die Erkenntnis der 
sie bestimmenden Formen notig. Die von den KI-Theorien bevorzugten Naturerklarungen da- 
gegen basieren im allgemeinen auf materialistischen Annahmen, weshalb Lehmen zu Recht 
sagt: „So ist also die vom modemen Materialismus so hoch gefeierte darwinistische Naturer- 
klamng nichts anderes als der alte griechische Materialismus in neuer Auflage, in der er nur 
etwas scharfer gefaBt und genauer bestimmt ist."^^^^ Im Gegensatz zum sowohl ontologisch 
als auch naturphilosophisch widerspriichlichen Materialismus erweist der Realismus das Sein 
des Immateriellen und insbesondere des Seelischen. 

Mit den bisher gewonnenen Erkenntnissen macht sich das nachste Kapitel an die Untersu- 
chung des menschlichen Wesens, das nicht nur fur das Zusammenleben und damit die Ethik, 
sondem auch fiir ein angemessenes Verstandnis der KI von entscheidender Bedeutung ist. 



Lehmen 11. 1, 140. 



Anthropologic 257 



4.5 Anthropologic 

4.5.1 Bedeutung und Vorgehen 

Die philosophische Anthropologie^^^^ behandelt die Frage, was der Mensch wesensmaBig ist. 
Um zu dem vorzudringen, was der Mensch zuinnerst ist, fiihrt sie das Sein und das Verhalten 
des Menschen auf dessen ermoglichende Griinde zuriick, insbesondere auf diejenigen im 
Menschen selbst.^^^^ Sie beriicksichtigt alle ihr zuganglichen naturwissenschaftlichen Er- 
kenntnisse, ist jedoch wesentlich mehr als eine Art Synthese der Naturwissenschaften, da sie 
diese kritisch hinterfragt, sie in die ihnen angemessenen Gesamtzusammenhange stellt und 
zudem eigene Forschung betreibt. Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften vernachlassigt 
die philosophische Anthropologic dementsprechend beispielsweise auch nicht den Bezug des 
Menschen zuGott.^^^^ 

Es ist zu betonen, daB die folgende Untersuchung der anthropologischen Gegebenheiten, Pha- 
nomene und Vollzuge auf dem Fundament einer kritisch-realistischen Wirklichkeitslehre 
steht, wie sie in den vorhergehenden Kapiteln dargestellt wurde. In diesem Sinne wird insbe- 
sondere gegen die funktionalistischen, empiristischen, materialistischen bzw. allgemein ge- 
sprochen gegen einseitige und in falscher Weise verabsolutierende Lehren vom Menschen 
und der KI argumentiert werden. Wie bereits an vielen Stellen deutlich wurde, halt weder die 
symbolistische oder konnektionistische noch die biologistische oder physikalistische Redukti- 
on des Menschen einer philosophischen Priifung stand. Obwohl im Rahmen der vorliegenden 
Arbeit keine umfassende und allseitig begrUndete Anthropologic betrieben werden kann, 
werden doch die - insbesondere auch im Hinblick auf die KI - entscheidenden Argumente 
und Argumentationsrichtungen vorgebracht werden.^^^^ 

Technikbeurteilung im allgemeinen und die Einschatzung der KI im speziellen setzen, wie 
sich im bisherigen Verlauf der Arbeit immer wieder offenbarte, die Kenntnis des menschli- 
chen Wesens voraus. Zu diesem Wesen wurde bereits implizit einiges gesagt, etwa zum Er- 
kenntnisvermogen (vgl. Kapitel 4.2). Im folgenden wird das Wesen des Menschen anhand der 



^^^^ Der Begriff kommt von griech. anthropos, d.h. Mensch und logos, d.h. Lehre. 

^^^^ Vgl. Lotz in: Brugger 19 ff. 

^^^^ Vgl. dazu auch Kapitel 4.3.3, wo sich Gott u.a. als das letzte Ziel alles Seienden und damit auch des Men- 
schen gezeigt hat. 

Wie bereits an anderer Stelle betont wurde, hangen Menschenbild und Gottesbild eng miteinander zusam- 
men. Ein realistisches Menschenbild kann nicht anthropozentrisch, sondern nur theozentrisch sein. 

^^^^ Dabei wird sich ubrigens auch zeigen, daB der Vorwurf, die Philosophic bzw. die philosophische Anthropo- 
logic erklare angeblich auf viel zu allgemeinem Niveau und lieBe die eigentlich interessanten Fragen unbe- 
riihrt (vgl. Dennett in: Boden 1990, 151), unberechtigt ist. 



258 Anthropologic 



wichtigsten Grundbegriffe der Anthropologic cxplizit crortcrt. Die folgende Darstellung halt 
sich dabei uberwiegend an die in Kapitel 3 eingefuhrte Reihenfolge der zu klarenden Begriffe. 
Zum Verstandnis der sogenannten „Doppelnatur" des Menschen ist jedoch das Kapitel „Leib" 
vorangestellt. Um dem Menschen gerecht zu werden, ist es anthropologisch gesehen notwen- 
dig, seine beiden „Bestandteile", den Leib und die geistige Seele, zu unterscheiden/^^^ Inwie- 
weit diese Unterscheidung auf reale Geschiedenheit zuriickgeht und wieweit Leib und Seele 
zusammenwirken bzw. eine Einheit sind, ist Gegenstand der nachfolgenden Kapitel. 



Viele anthropologische Fehlsichten entstehen durch eine falsche tJberbetonung einer der beiden Seiten. 



Anthropologic 259 



4.5.2 Leib 

Der Mensch „besteht" aus zwei „Teilen": Leib und Seele/^^^ Die nichtstoffliche Seele bzw. 
die Geistseele ist Gegenstand des nachsten Kapitels. Der sichtbare bzw. sinnlich erfahrbare 
„Bestandteir' des Menschen wird Leib (griech. soma; lat. corpus) genannt. Obwohl der 
menschliche Leib nicht angemessen ohne die noch naher zu untersuchende geistige Seele zu 
verstehen ist, kann man ihn zunachst getrennt betrachten. Wenn man vom Menschen als einer 
leib-seelischen Komposition spricht, darf man jedoch nicht an eine Art mechanische Zusam- 
mensetzung denken, wie etwa bei der Zusammenfugung von Natrium und Chlorid zu Natri- 
umchlorid, sprich Kochsalz. Der Mensch ist, wie immer wieder betont werden muB, eine Ein- 
heit; er ist „verleiblichtes Geistwesen". Er laBt sich nicht im engen Sinne in Telle teilen, die 
Jewells fur sich sein und verstanden werden konnen. Trotzdem spricht man von der Geistseele 
auf der einen und dem Leib auf der anderen Seite. Man muB dabei die enge und zu irdischen 
Lebzeiten nicht losbare Verschmelzung der beiden, das Zusammengewachsensein zu einem 
Konkretum beachten. Die Geistseele durchdringt hierbei die Materie und gibt ihr Form, Ein- 
heit, Leben, Ausrichtung auf das Geistige und damit Sinn.^^^^ In diesem Zusammenhang ist 
auch anzufiihren, daB der Leib im Gegensatz zur Seele die Einheit und Kontinuitat eines 
Menschen nicht sichern kann, alleine schon deshalb, well die Materie des Leibes etwa alle 
sieben Jahre voUstandig ausgetauscht wird. Erst die Geistseele macht den Korper, der auf der 
physikalischen Ebene dem einer Reihe von Tieren in vielem ahneln kann, zum lebendigen 
Leib. Die enge Verbindung der Geistseele mit dem Leib auBert sich z.B. im (unmittelbaren) 
Erleben des eigenen Leibes, wie etwa beim Schmerz oder Hunger, das sich vom Erfahren der 
auBeren Gegenstande unterscheidet. 

Der Leib hat allerdings nicht in der Weise Selbstand wie die Geistseele,^ ^^^ was sich bei sei- 
nem Zerfall nach dem Tod zeigt. Der Leib ist um der Seele willen und in gewisser Weise ihr 
Werkzeug.^^^^ Das gilt insbesondere auch fur die DNS, die nur „Hilfsmitter' der Seele und 
keinesfalls erste oder hauptsachliche Ursache des Menschseins bzw. des Lebens ist.^^^^ Der 
Leib steht im Dienste der Geistseele. Er ist „seiner innersten Struktur nach auf die Einheit mit 



1218 Ygj Aristoteles: tJber die Seele II; Thomas: Summe der Theologie I, 75 f.; Lehmen II. 2, 408 ff.; Hennen 

331 ff.; Lotz in: Brugger 241 f.; Seifert 1989, 215 ff. und Deku 288 ff. 

Die Anerkennung der den Menschen konstituierenden und in ihm verbundenen Telle bedeutet jedoch keinen 

Dualismus. Vgl. Kapitel 4.3.2 und Seifert 1989, 158 ff. 
^^^^ Vgl. zum Verhaltnis von Form und Materie Kapitel 4.3.2. 
^^^^ Siehe dazu auch Kapitel 4.5.3. 
'''' Vgl. Hennen 339 ff. 
^^^^ Vgl. Hennen 350 ff. und siehe zur Frage nach dem Leben auch Kapitel 4.5.8. 



260 Anthropologic 



der Geistseele hingeordnet, driickt das geistige Leben sichtbar aus und kann ohne Hinblick 
auf die Geistseele gar nicht in seinem Sein verstanden werden"^^^^ Obwohl der Leib grund- 
satzlich untergeordnet ist, da er in seiner Beziehung zur Geistseele der empfangend-geformte 
und weniger dauerhafte Teil ist, darf dies jedoch nicht zu einer Unterbewertung oder gar Leib- 
feindlichkeit fiihren. Zu beachten ist vielmehr auch die andere Seite der Beziehung. Trotz der 
noch zu zeigenden inneren Unabhangigkeit des eigentlichen Denkens bzw. Erkennens (vgl. 
Kapitel 4.5.4) und des Willens (vgl. Kapitel 4.5.5) empfangt die Geistseele sehr wohl auch 
vom Leib, was psychologisch, entwicklungsbiologisch und philosophisch eindeutig erwiesen 
werden kann.^^^^ Besonders zeigt sich dies beim ErkenntnisprozeB. Der Mensch ist, solange 
seine Seele mit dem Leib verbunden ist, angewiesen auf seinen Leib und insbesondere auf 
seine Sinne, die als unentbehrliche Werkzeuge die „Schnittstelle" zwischen dem menschli- 
chen Geist und seiner Umwelt bilden.^^^^ Die Sinne liefem der Geistseele die Sinneseindriicke 
oder anders ausgedriickt die Erfahrungen.^^^^ Der Verstand nimmt diese einerseits auf und 
beleuchtet sie andererseits nachfolgend, um aus den Eindriicken der Dinge deren immateriel- 
les bzw. intelligibles Wesen zu abstrahieren. Da der Mensch als raumlich-zeitliches Wesen 
begrenzt ist, bedarf er der stuckweisen, diskursiv-schluBfolgernden Methode, die allerdings 
intuitive Erkenntnis und Evidenzen voraussetzt.^^^^ Sein Erkenntnisleben ist also groBtenteils 
mittelbar. 

Der menschliche Leib gehorcht als Teil der erfahrbaren Welt den pysikalisch-chemischen Ge- 
setzmaBigkeiten,^^^^ was jedoch gerade nicht bedeutet, daB er vollstandig von ihnen determi- 
niert und dem EinfluB der Geistseele entzogen ist.^^^^ Allerdings folgt daraus z.B., daB der 
Mensch, im Gegensatz zu reinen Geistwesen, nicht beliebig schnell oder viel Information 
aufnehmen und „verarbeiten" kann. Eine seinsgerechte Beurteilung des Menschen - und seine 
Abhebung gegeniiber der KI - muB also stets beide Aspekte betrachten: die korperlichen Ge- 
gebenheiten, besonders deren Grenzen, und die geistseelischen Erfordernisse, besonders die 



^^^^ Seifert 1989, 222. Vgl. dazu auch Lehmen II.2, 146 ff. 

^^^^ Siehe dazu Kapitel 4.5.3 ff. sowie Seifert 1989. 

^^^^ Vgl. zur vermittelnden und kooperativen Rolle des Leibes Seifert 1989, 174 ff. 

Der Mensch bedarf ebenso der korperlichen Dinge; zunachst um biologisch zu leben, dann aber vor allem 
auch im Dienste des geistigen Lebens, was etwa bei der bildenden Kunst oder der Wissenschaft deutlich 
wird. Selbst um Raum und Zeit zu uberwinden, greift er haufig auf die Dingwelt bzw. Technik zuriick. 

^^^^ Der Leib alleine kann (sich) nicht erkennen. Siehe zur Frage nach der Erkenntnis Kapitel 4.2 und 4.5.4. 

^^" Vgl. zu den Evidenzen Kapitel 4.2.3 f. 

^^^^ Dies riihrt daher, daB die physikalisch-chemischen Unterordnungen und -formen durch die Geistseele nicht 
voUig aufgelost, sondern uberformt sind. 

'''^ Siehe dazu Kapitel 4.3.2 und 4.5.3 ff. 



Anthropologic 261 



Ausrichtung auf das Gute und Wahre. Nicht selten wird eine Seite auf Kosten der anderen 
vemachlassigt, und es kommt zu lebensfremden Zerrbildem, unter denen der Mensch leidet. 

Die gegenseitige Bezogenheit von Geistseele und Leib zeigt sich auch in der Notwendigkeit, 
sich anderen Menschen - vor allem durch den eigenen Leib - vermittelt mitzuteilen. Speziell 
im leiblichen Ausdruck^^^^ und da wiederum in besonderer Weise im Gesichtsausdruck auBert 
sich die Verwobenheit und AngepaBtheit des Leibes mit der bzw. an die Geistseele. Durch 
den leiblichen Ausdruck gewinnt das Gegeniiber eine nicht zu ersetzende Beziehung zu und 
eine Einsicht in andere Personen bzw. deren Personlichkeit, die durch kein technisches Medi- 
um zu erreichen oder gar zu ersetzen ist. Die menschlichen Ausdrucksformen zeigen dabei in 
besonderer Weise die soziale Natur des Menschen an. 

Das gleiche gilt fur das sehr wichtige Merkmal des Menschen, das aus seiner leib-geistigen 
Konstitution folgt: die Sprache.^^^^ Als Dialog- und vor allem Erkenntnismittel verbindet sie 
nicht nur Personen mit der Dingwelt, sondern vornehmlich Personen untereinander. Der 
Mensch ist nicht nur zoon noetikon, also erkennendes Lebewesen, sondern auch zoon politi- 
kon}^^\ respektive ens sociale, also ein politisches bzw. soziales (Lebe-)Wesen. Er ist auf das 
geordnete Zusammenleben in einer Gesellschaft und auf Sprache angelegt, ja mindestens in 
den ersten Jahren sogar notwendig angewiesen.^^" Eine seinsgerechte Bewertung der KI muB 
dies beachten und darf den Menschen weder funktionalisieren noch isolieren. Sprache ist 
mehr als Informationsverarbeitung und kann deshalb auch nur bedingt formalisiert, syntheti- 
siert oder technisch vermittelt werden. Vor allem aber setzt Sprache Denken und geistige Be- 
griffe voraus, wie es in Kapitel 4.5.4 ebenfalls deutlich werden wird.^^^^ 

Der menschliche Leib ahnelt zwar recht deutlich dem einiger Tiere, ist jedoch im Gegensatz 
zur gesamten Tierwelt unspezialisiert und insbesondere durch seine Sinne auf einen „mittle- 
ren", universalen Bereich ausgerichtet, was seine Weltoffenheit andeutet.^^^^ Der Leib alleine 



1230 Ygj ^^2u auch Willwoll in: Brugger 34 f. Siehe zum Ausdruck auch Zimbardo 451 ff. 

^^^^ Vgl. Willwoll in: Brugger 218 f. Die Sprache geht, wie sich zeigen laBt, liber die Verstandigungslaute der 

Tiere, welche keinen Bezug zur intelligiblen Welt haben, weit hinaus. Vgl. Kapitel 4.4.4. 
^^^^ Vgl. Aristoteles: Politik I, 2. Siehe dazu auch Kapitel 4.5.4 und 4.5.9. 

^^" Das unterscheidet ihn von vielen Tieren. Vgl. Lehmen IV, 263 ff. und Luyten in: Luyten/Scheffczyk 282 ff. 
^^^^ Vgl. Lehmen II. 2, 276 ff. Zur Kritik an der (meist positivistisch gefarbten) Sprachphilosophie bzw. Analyti- 

schen Philosophic, die Philosophic auf Sprachanalyse reduzieren will, siehe auch Dempf 50 ff. und 294 ff., 

Brugger in: Brugger 375 f. sowie Riesenhuber in: Brugger 14 ff. 
^^^^ Vgl. Lotz/Vries 200 ff.; Gehlen 338 ff. und Scheler 1994, 159 ff. Zur Bedeutung der menschlichen Hand, in 

der sein technisches Handeln bereits keimhaft angelegt ist, siehe Aristoteles: Biologische Schriften 65 ff. 

(tjber die Telle der Tiere IV, 10); Popltz 57; Deku 294; Plessner 1985, 44 ff.; Kant: Anthropologic In prag- 

matlscher Hlnslcht, 3. Buch, 2. Tell, E sowle Lotz/Vrles 145 f. 



262 Anthropologic 



kann allerdings nicht die Sonderstellung des Menschen begriinden, was bei der Behandlung 
des Geistes im nachfolgenden Kapitel deutlich werden wird. 

Auch das Gehirn ist nicht geeignet, den Wesensunterschied zwischen Tier und Mensch zu be- 
griinden. Die menschliche Uberlegenheit kann insbesondere nicht auf besonders hohe abso- 
lute Oder relative Gehirnmasse bzw. -volumen zuriickgehen, denn davon haben verschiedene 
Tiere mehr als der Mensch/^^^ Es handelt sich beim Gehirn lediglich um das Ztntralorgan des 
Menschen, d.h. es ist das wichtigste Werkzeug und nur instrumentelle Ursache seelischer Lei- 
stungen.^^^^ Hierauf ist in den folgenden Kapiteln, etwa bei der Widerlegung der angeblichen 
Identitat von Geist und Gehirn (mind-brain-identity) im Rahmen von Kapitel 4.5.3, noch zu- 
riickzukommen. Im folgenden Kapitel ist das Wesen der Seele und des menschlichen Geistes 
naher zu untersuchen. 



1236 ]y[^j^ betrachte dazu etwa den Elefanten oder die Maus. 
^^" Vgl. Lehmen 11.2, 199 ff. und Hennen 339 ff. 

Bereits hier ist festzuhalten, daB sich das Gehirn nicht selbst erfunden bzw. programmiert und erst recht 

nicht in seinem Sein hervorgebracht haben kann. 



Anthropologic 263 



4.5.3 Seele und Geist 

Eines der altesten Probleme der Menschen ist die Frage, ob es eine menschliche Seele gibt 
und wenn ja, wie diese beschaffen ist. In welcher Beziehung steht sie zum menschlichen Leib, 
dessen Sein im allgemeinen als deutlich unproblematischer gesehen wird. Ist eine Seele iiber- 
haupt notig, oder laBt sich der Mensch im Sinne des metaphysischen Materialismus restlos auf 
materielles Sein zuruckfuhren und erklaren? Dann namlich ware nach dem alten Satz^^^^ nie 
ohne Not eine neue GroBe bzw. Ursache einzufuhren, die Annahme einer Seele durchaus un- 
berechtigt und miiBte als Anachronismus zuriickgewiesen werden. Was ist auf der anderen 
Seite vom Trialismus zu halten, der den Menschen dreifach zusammengesetzt sieht: aus Leib, 
Geist und Seele? Diese und weitere Fragen zu losen, ist Aufgabe der philosophischen Anthro- 
pologie, die, insofern sie von der Seele handelt, auch als philosophische Psychologie bezeich- 
net wird. 

Zunachst einmal fallt schon auBerlich die Einheit des Menschen auf. Was zu einem einzelnen 
Menschen gehort, laBt sich, im Gegensatz etwa zu einigen anorganischen oder bakteriellen 
Substanzen, leicht und eindeutig erkennen. Trotz der extrem hohen innerleiblichen Gliede- 
rung sowie den erkennbaren Untereinheiten und -ordnungen, die ubrigens in ihrer Komplexi- 
tat schon biologisch den Menschen vom Tier abheben, ist der einzelne Mensch ein Ganzes, 
eben eine gegliederte Einheit. Weshalb sollte man aber neben einzelnen Korperteilen bzw. 
Organen von so etwas wie einer Seele oder einem Geist sprechen, und vor allem: was fur ei- 
nen Unterschied macht die Existenz einer solchen GroBe fur die Frage nach dem Verhaltnis 
von Mensch und KI aus? 

Bevor das Sein der Seele bzw. des Geistes positiv nachgewiesen wird, sind zunachst einmal 
die dem Realismus widersprechenden Positionen zu entkraften. Man kann bezuglich der 
Wirklichkeitsauffassung im allgemeinen und der Lehre vom Menschen im besonderen fol- 
gende zwei vom Realismus verschiedene Hauptrichtungen unterscheiden: Monismus und 
Dualismus.^^^^ Der Monismus lehrt entweder, daB alle Wirklichkeit Geist ist (Idealismus bzw. 
Spiritualismus) oder daB alle Wirklichkeit Materie ist (Materialismus). Weil eine idealistische 
bzw. spiritualistische Auffassung - insbesondere im Hinblick auf die (naturwissenschaftliche) 
Einschatzung der KI - in der aktuellen Diskussion nur sehr selten vertreten wird und dement- 
sprechend in Kapitel 3 keine RoUe spielte, wird sie im folgenden nicht weiter ausdriicklich 



^^^^ Gemeint ist der von William von Occam. 

^^^^ Vgl. dazu auch die Ausfuhrungen in Kapitel 4.3.2 sowie Helm 4 ff.; Rensch 128 ff. und Seifert 1989. 



264 Anthropologic 



kritisiert/^"^^ Ahnliches gilt fUr den Dualismus, der von naturwissenschaftlicher Seite nicht nur 
kaum vertreten, sondern auch heftig angegriffen wird.^^^^ Was gegen den Dualismus neben 
dem in der Ontologie (Kapitel 4.3.2) bereits Angefuhrten noch zu sagen ist, wird weiter unten 
im Rahmen der Frage nach der Wechselwirkung von Leib und Seele angefuhrt. 

An dieser Stelle sind also die verschiedenen Spielarten des materialistischen Monismus bzw. 
des Materialismus - insbesondere im Hinblick auf die Anthropologie - zu widerlegen.^^^^ Wie 
bei der Darstellung der Grundauffassungen in Kapitel 3 deutlich wurde, sind die wichtigsten 
Positionen die des Identitismus, Epiphanomenalismus, Emergentismus und des Funktionalis- 
mus. Auf diese vier Auffassungen ist nach einer generellen anthropologischen Kritik am Ma- 
terialismus in der genannten Reihenfolge kritisch einzugehen. 

Wie in Kapitel 3 an mehreren Stellen deutlich wurde, versucht der Materialismus die Gesamt- 
heit des Seienden und damit auch aller menschlichen Gegebenheiten und Vorgange rein mate- 
riell zu erklaren. An dieser Reduzierung des Wirklichen auf das Stoffliche ist seit jeher schar- 
fe und vernichtende Kritik geiibt worden, weshalb es wundert, wie sich der Materialismus bis 
in die heutige Zeit halten konnte.^^^^ Der Materialismus scheitert schon am inneren Wider- 
spruch, da er als Theorie auftritt, die als solche rein materialistisch nicht zu erklaren bzw. ver- 
stehen ist.^^^^ Gegen eine materialistische Erklarung der gesamten Wirklichkeit und damit 
auch samtlicher menschlicher Fahigkeiten spricht vor allem das Wesen der geistigen Akte, 
insbesondere der Reflexion.^ ^^^ Die Riickbeugung der ganzen Person auf sich selbst, wie sie 
beim Gedanken an sich selbst geschieht, ware materiell ganz und gar unmoglich. Stets kann 
sich bei Materiellem nur ein Teil auf einen anderen beziehen. Nicht einmal sich selbst kann 
ein Organ erfahren, geschweige denn seine Tatigkeit. So kann etwa das Auge hochstens ein 
Bild von sich, nie jedoch sich selbst oder das Sehen wahmehmen bzw. sehen. Das gilt genau- 
so fiir das Gehim und den ganzen Leib. Damit lautet eine Form des Beweises fur eine nicht- 
zusammengesetzte, nichtmaterielle, geistige Seele, die sich weiter unten als Vernunftseele 



^^^ Siehe zur Kritik an Idealismus und Spiritualismus neben dem in Kapitel 4.2 f. Gesagten auch Brugger in: 
Brugger 373; Vries in: Brugger 174 f.; Willmann m sowie Seifert 1989, 146 ff. und 178 ff. 

^^^^ Hierzu ist allerdings anzumerken, daB die Kritik am Dualismus nicht selten undifferenziert stattfindet, so 
daB auch duale Ansatze im Sinne des Realismus unberechtigterweise verworfen werden. 

^^^^ Siehe zur erkenntnistheoretischen Widerlegung des Materialismus Kapitel 4.2 und zur ontologischen Wi- 
derlegung Kapitel 4.3.2. 

^^^^ Vgl. gegen den Materialismus Kapitel 4.3.2; Seifert 1989; Brugger in: Brugger 236 f.; Lehmen II.2, 243 ff. 
und Hennen 195 ff. Systemtheorien sind haufig nur raffinierte materialistische Theorien. Vgl. Her- 
big/Hohlfeld 308 f. Fiir den Materialismus spricht allenfalls, daB es sich meist um den „bequemen" Weg 
handelt, der insbesondere von ethischen Verpflichtungen zu entbinden scheint. 

'''' Vgl. Scheler 1994, 19 f. 

^^^^ Vgl. Seifert 1989, 128 ff. und siehe auch Kapitel 4.5.4 ff. 



Anthropologic 265 



Oder mit anderen Worten als Geistseele erweisen wird: „Reflexion kann unmoglich durch eine 
materielle Substanz erklart werden, sondem setzt eine immaterielle und geistiger Akte fahige 
Substanz (=Seele) als Subjekt voraus. Reflexion existiert (als eine Grundtatsache bewuBter 
geistiger Erfahmng). Also existiert eine geistige Seele."^^"^^ Weiter scheitert der Materialismus 
an der Einheit und Kontinuitat des Menschen, vor allem des Ichs respektive des Ich- 
BewuBtseins. Die Einheit und Unteilbarkeit des SelbstbewuBtseins ist voUkommen unverein- 
bar mit der Vielheit und Teilbarkeit der materiellen Substanzen, auch und gerade im Gehirn. 
Auch die Kontinuitat des einzelnen Menschen ware rein materiell betrachtet unhaltbar, alleine 
schon weil im Rahmen des allgemeinen Stoffwechsels etwa alle sieben Jahre das gesamte 
„Materiar' eines Menschen ausgetauscht wird. 

Eine der radikalsten Formen des Materialismus (im Hinblick auf die Frage nach der Seele) ist 
der Identitismus.^^^^ Dieser behauptet die Identitat von Geistig-Seelischem und Gehirn, die 
sogenannte „mind-brain-identity".^^^^ Gegen den Materialismus im allgemeinen und den 
Identitismus im besonderen spricht schon der Vergleich der Wesenszuge des Materiellen mit 
denen des psychisch Gegebenen bzw. Erfahrbaren.^^^^ Was zeichnet das Korperliche, das 
Materielle aus? Es sind dies vor allem die raumliche Ausgedehntheit, genauer gesagt der 
raumfuUende Charakter und die Zusammengesetztheit.^^^^ Ganz im Gegensatz dazu stehen die 
wesenhaften Merkmale des Psychischen, also etwa des Verstandes oder Willens.^^^^ Die Ver- 
standesobjekte und -tatigkeiten tragen nichts Stoffliches an sich, sie miissen also auf eine 
nichtstoffliche, geistige Ursache zuruckgefuhrt werden.^ ^^^ Das ganzheitliche Erkennen unan- 
schaulicher Dinge wie etwa des Begriffs eines Tausendecks sowie das Wollen abstrakter 
„Gegenstande" setzt eine Substanz voraus, die nicht der raumlichen und nur beziiglich der 
Verbindung mit dem Leib der zeitlichen Ordnung unterworfen ist.^^^^ Dagegen spricht auch 
nicht, daB die Verstandestatigkeit in einem gewissen Sinne an die Funktionsfahigkeit und das 
Wirken des stofflichen Gehirns und der Sinne gebunden ist. Diese sind namlich nur notwen- 



^^^^ Seifert 1989, 129 f. Vgl. auch Kapitel 4.5.6 und Lehmen II.2, 239 ff. 

^^^^ Vgl. dazu etwa Kapitel 3.3.3 und siehe zu Formen des Identitismus sowie einer Kritik daran auch Quitterer 
in: Quitterer/Runggaldier 169 ff. 

^^^^ Wie in Kapitel 3.3.3 erwahnt, behauptet der Identitismus bzw. elimininative Materialismus „Mental states 
are brain states". Beides seien angeblich nur verschiedene Aspekte der einen physikalischen Wirklichkeit. 

^^^^ Vgl. Seifert 1989, 5 ff. und zur Materie auch Kapitel 4.3.2. 

^'^^^ Vgl. die Behandlung von Raum und Zeit in Kapitel 4.4.1. 

^^^^ Auch die Gefuhle, wie etwa der Schmerz, weisen auf eine nichtstoffliche Seele hin. Der Schmerz des Men- 
schen, der sich von dem des Tieres unterscheidet, weil bei ihm die reflexive Schmerz- und Ursachener- 
kenntnis hinzutreten kann, weist sogar auf den Geist hin. 

^^^^ Vgl. Lehmen II.2, 232 ff. 

^^" Vgl. Lotz/Vries 168 ff. 



266 Anthropologic 



dige Bedingung bzw. Instrumentalursache fiir die seelischen Akte und damit indirekt fiir das 
von der Materie innerlich unabhangige Wirken des Geistes/^^"^ Die psychischen Akte werden 
dariiber hinaus „innerlich"^^^^ wahrgenommen, wobei ihnen wesensmaBig kein Raum zuge- 
wiesen werden kann. Weiter zeichnet sich das Psychische durch eine Privatheit oder, anders 
gesagt, Intimitat aus, was bedeutet, daB im Gegensatz zum offentlichen Charakter der Materie 
keinem zweiten Menschen ein gleichartiger Zugang dazu moglich ist. SchlieBlich setzen psy- 
chische Akte stets einen substantiellen Gmnd bzw. einen Trager und das heiBt ein (bewuBtes) 
Subjekt, ein Ich voraus.^^^^ Auch wenn nachtraglich vom Subjekt abstrahiert werden kann, so 
sind psychische Erlebnisse doch urspriinglich immer gegeben als ich will, ich erkenne oder 
ich habe dieses oder jenes Gefiihl. 

Der Vergleich der materiellen und psychischen Merkmale zeigt, daB sie miteinander voll- 
kommen unvertraglich sind. So wie es sinnlos ist, von einem zusammengesetzten Willen zu 
sprechen, so kann Materielles unmoglich SelbstbewuBtsein haben.^^^^ Zudem wurden sich 
samtliche Sachverhalte wie Wahrheit, Erkenntnis, Richtigkeit, Freiheit, Liebe, Gerechtigkeit, 
Verantwortung oder etwa menschgerechte KI-Beurteilung und -Gestaltung in nichts auflosen, 
wenn es nur Materielles gebe. Es konnte dariiber hinaus nicht einmal eine einzige Aussage, 
geschweige denn eine Theorie zustande kommen, gebe es kein vom Geist gekniipftes Band 
zwischen Pradikat und Subjekt. Man kann also schluBfolgemd sagen, daB zwingend zwei ver- 
schiedene Substanzen angenommen^^^^ werden miissen: materielle und immaterielle. Im Fall 
der Lebewesen handelt es sich bei dieser immateriellen Substanz um die Seele, beim Men- 
schen ist es die geistige Seele oder kiirzer: der Geist. 

Eine weitere Spielart des Materialismus, die in Kapitel 3 bei der Behandlung der naturwissen- 
schaftlichen Theorien des Menschen und der KI haufig durchschien, ist der Epiphanomenalis- 
mus. Es ist dies die Position, die Seelisches bzw. Geistiges zwar nicht von vornherein leugnet. 



^^^^ Siehe dazu unbedingt auch Kapitel 4.5.4 f. und vgl. gegen die Zuordnung bzw. Identitat von psychischen 

und neurologischen Prozessen Hennen 200 ff., 339 ff.; Lehmen II.2, 243 ff., 382 f. sowie 421 ff. und I, 414 

ff. 
^^^^ Die Begriffe innen und aufien diirfen in diesem Zusammenhang gerade nicht wortlich genommen werden. 
^^^^ Vgl. Lehmen II. 2, 408 ff. Eine Seelentatigkeit ohne eine Seelensubstanz ist ebenso unmoglich wie ein Lau- 

fen ohne einen Laufer oder eine Veranderung ohne etwas, das sich verandert. 

Wer anderen mitteilen will, daB es kein (substanzielles) „Ich" gibt, setzt dieses bereits bei sich und anderen 

voraus. 
^^" Vgl. dazu das liber die Reflexion Gesagte sowie Kapitel 4.5.6. 
^^^^ Der Begriff ist im Sinne von akzeptiert und erkannt, nicht im Sinne von vermutet zu verstehen. 



Anthropologic 267 



es jedoch fiir eine bloBe Begleiterscheinung der Materie halt/^^^ Wie so oft bei „istischen" 
Fehlsichten fiihrt die konsequente Anwendung der Theorie auf sich selbst zur Selbstan- 
nihilation.^^^^ Wenn es namlich keine von der Materie unterschiedenen, eigenstandigen, gei- 
stigen GroBen und Akte gebe, konnte es auch keine Wahrheit bzw. Theorie iiber die Materie 
geben, womit dann auch der Epiphanomenalismus unmoglich ware. Weiter ist die Annahme 
einer Folge von Erscheinungen, die sich selbst erscheinen sollen, ontologisch unhaltbar. Es 
macht eben keinen Sinn, davon zu sprechen, es handle sich beim Geistigen um eine subjekt- 
lose Illusion der Illusion der Illusion ... Auch der Energieerhaltungssatz, demzufolge angeb- 
lich eine geistige Einwirkung auf die physikalische Welt unmoglich sei, kann die epiphano- 
menalistische Grundthese nicht retten. Das liegt vor allem daran, daB der Energieerhaltungs- 
satz und die thermodynamischen Gesetze keine apriorisch notwendigen Wesensgesetze sind, 
sondern eine induktiv gewonnene GesetzmaBigkeit fiir den Bereich der anorganischen Welt. 
Sie diirfen also nicht falschlich auf das ganze Sein ausgedehnt werden.^^^^ 

Insofern die Parallelitat von Geist und Gehirn bzw. Mentalem und Neuronalem betont wird, 
spricht man auch vom Parallelismus. Die genannte Parallelitat kann allerdings auBer durch 
eine von Gott garantierte prastabilierte Harmonic nicht erklart werden, der vom Parallelismus 
jedoch im allgemeinen bestritten wird. Eine substantielle Seele ware aber trotzdem notig.^^^^ 
AuBerdem blieben die unbestreitbaren und alltaglichen Wechselwirkungen zwischen Leibli- 
chem und Psychischem unmoglich, wenn die Seele nur ein schattenhaftes, ohnmachtiges Pha- 
nomen ware. Damit ware auch jede Kommunikation unter Menschen unmoglich, was wieder- 
um ein Zusammenleben ausschlieBen wurde.^^^^ Das Geistige konnte sich in keiner Weise in 
die sinnenfallige Welt einbringen, womit Wissenschaft, Kunst, Ethik etc. nicht moglich wa- 
ren. Gegen die Parallelitat einer seelischen und einer leiblichen „Welt" spricht schlieBlich, 
daB eine strenge Trennung von leiblichen und seelischen Prozessen unmoglich ist. Jede Sin- 
nestatigkeit ist ein Akt, den die zwar leiblichen, aber durch die immaterielle Seele durch- 
formten Organe voUziehen.^^^^ Zusammenfassend muB man also sagen, daB Epiphanomena- 



1259 Ygj Q\y^2i Kapitel 3.2.3 und Seifert 1989, 82 ff. Durch die unangemessene tJberbewertung des Materiellen 
wird das Seelische bzw. Geistige so weit seiner Eigenart beraubt, daB es nicht nur weit hinter dem Materiel- 
len zuriicksteht, sondern ontologisch zu Ende gedacht gar nicht mehr ist. 

''^^ Vgl. Seifert 1989, 96 ff. 

^^^^ Vgl. Kapitel 4.2.2 und 4.3.2 und siehe zur Wechselwirkung von Leib und Seele die weiter unten in diesem 
Kapitel befindlichen Ausfuhrungen zum Leib-Seele-Problem. Zu quantenphysikalischen Argumenten, nach 
denen es nicht gegen die physikalischen Erhaltungssatze spricht, wenn ein „Geist" in einem gewissen Rah- 
men tJbergangswahrscheinlichkeiten verandert, siehe Eccles. 

^^^^ Vgl. Lehmen II.2, 410 ff. 

^^" Vgl. Lehmen II.2, 423 ff. 

^^^^ Vgl. Kapitel 4.4.4 und siehe auch Kapitel 4.5.4. 



268 Anthropologic 



lismus bzw. Parallelismus das Wesen des Seelischen und Geistigen verfehlen, vor allem da 
sie es ihrer Substanzialitat und Wirkmoglichkeit berauben. 

Eine dem Epiphanomenalismus ahnliche Position vertritt der Emergentismus. Nach ihm soil 
sich das Seelische bzw. Geistige aus dem Materiellen entwickeln. Ursache soil das Zusam- 
menwirken einer groBen Zahl miteinander wechselwirkender materieller Telle bzw. Teilsy- 
steme sein. Dagegen ist einzuwenden, daB durch eine Steigemng der Quantitat (allein) nie- 
mals eine neue Qualitat, geschweige denn eine neue Substanz entstehen kann.^^^^ Weil die 
Seele eine einfache Substanz ist, kann sie vor allem auch nicht graduell entstehen. Da die 
Seele die Form des Leibes ist, kann sie nicht aus ihm emergieren; ein formloser Leib ist wie 
jedes formlose Etwas, namlich ein Unerkennbares und Ohnmachtiges, mit anderen Worten 
ein Nichts.^^^^ Die Seele ist als das Ordnungs- und Wirkprinzip gleichzeitig mit der entspre- 
chenden Materie. Eigentlich ist sie aufgrund ihrer hoheren Vollkommenheit sogar (ontolo- 
gisch) vor der Materie und kann aufgrund des Kausalprinzips unmoglich aus ihr entstehen, da 
die Wirkung sonst „groBer" als die Ursache sein miiBte.^^^^ 

Der Emergentismus laBt es voUig ratselhaft, wann, wie und wodurch genau die Seele aus der 
Materie entstehen soil. Die Emergenz kann weder die neuen Eigenschaften noch die neuen 
GesetzmaBigkeiten des vom Materiellen so verschiedenen Geistigen erklaren.^^^^ Aus der 
Vielheit (der Teilchen) - auf welcher naturwissenschaftlichen Ebene auch immer - kann nicht 
die Einheit entstehen und genauso wenig erklart werden. Insofern der Emergentismus nicht 
nur die Uberlegenheit, sondern auch die Eigenstandigkeit des Seelischen bzw. dessen Sub- 
stanzialitat bestreitet, gilt das gegen den Epiphanomenalismus Gesagte in analoger Weise. 
Zusammenfassend muB man festhalten, daB auch der Emergentismus das Wesen des Seeli- 
schen und Geistigen verfehlt, vor allem da er es ihrer Einfachheit, Substanzialitat und Wirk- 
moglichkeit beraubt. 

Die im Rahmen der KI-Diskussion wohl immer noch haufigste Form des Materialismus ist 
der Funktionalismus.^^^^ Es ist dies die Position, der zufolge psychische bzw. mentale Phano- 
mene mit ihrer (abstrakten) kausalen RoUe bzw. Funktion, die sie fur das Verhalten des Ge- 



^^^^ Das gilt auch fiir „unendlich" viele Teilchen, die liber „unendlich" lange Zeit miteinander wechselwirken, 
well fiir eine wirklich neue Qualitat oder Substanz das Wesen eines Seienden ein anderes sein miiBte. So wie 
auch unendlich viele Nullen zusammen nur Null ergeben, so bilden auch „unendlich" viele materielle Teil- 
systeme und Teilwirkungen nur wieder ein materielles System. Vgl. auch Lehmen II. 2, 417 f. 

''^^ Vgl. Kapitel 4.3.2. 

^^^^ Vgl. Hennen 200 ff. 

^ ^ ^ ^ Vgl. Herbig/Hohlfeld 5 1 7 ff . 

^^^^ Vgl. etwa Kapitel 3.1.3. 



Anthropologic 269 



samtsystems spielen, gleichgesetzt werden/^^^ Das Seelische bzw. Geistige soil im dynami- 
schen und komplexen Wechselspiel der Teilsysteme bzw. Teilfunktionen bestehen (oder sich 
daraus ergeben). Es geht dem Funktionalismus also im Gegensatz zum Behaviourismus nicht 
nur um das Input-Output- Verhalten des Gesamtsystems, sondern auch um die inneren Struk- 
turen und Funktionen. In dieser Hinsicht ist er etwas weniger mysterios als jener und auch als 
der Emergentismus.^^^^ Weil der Funktionalismus jedoch immaterielle Substanzen wie die 
Seele ablehnt, spricht er von seelischen bzw. geistigen Eigenschaften oder Prozessen. Dage- 
gen ist erneut zu sagen, daB Eigenschaften oder Prozesse ohne die ihnen angemessenen und 
sie tragenden Substanzen unmoglich sind.^^^^ 

Der Funktionalismus erreicht in keiner Weise den Bereich des Seelischen bzw. Geistigen, da 
er sich nur mit den quantisierbaren GroBen und Vorgangen beschaftigt. Der unzutreffende 
Eindruck, es handle sich bei funktionalistisch verstandenen Zustanden oder Prozessen von KI- 
Systemen um Seelisches oder Geistiges, entsteht allenfalls, weil das immaterielle Sein, auf 
das die von ihnen verwendeten Zeichen bzw. Symbole hinweisen, falschlich mit den Zeichen 
bzw. Symbolen selbst gleichgesetzt wird. Ein System, das einen „Input" mit Hilfe seiner ma- 
teriellen Telle nach eindeutigen Regeln bzw. Funktionen verarbeitet, kann unmoglich die fiir 
seelische oder geistige Akte notige Einfachheit und Unteilbarkeit erreichen.^^^^ Ein materielles 
System kann niemals zu immateriellen Inhalten von Zeichen oder Symbolen aufsteigen und 
deshalb weder erkennen noch woUen. Der Geist ist also sicher keine (Turing-)Maschine.^^^^ 

An dieser Stelle sei auch auf Searles - mittlerweile gegen viele Einwande und MiBverstand- 
nisse erweiterte - Argumente bezuglich des „Chinese Room" verwiesen, auf die hier aller- 



^^^° Unter der Annahme, daB sich alle „mentalen" Phanomene in ihrer (abstrakten) kausalen Rolle bezuglich des 
externen Verbal tens und der internen Beziebung zu anderen „mentalen" Pbanomenen spezifizieren lassen, 
sollen sie in nabezu jedem beliebigen Medium kiinstlicb reproduziert werden konnen, was den enormen An- 
reiz des Funktionalismus fiir die KI verdeutlicbt. 

^^^^ Es bleiben jedocb letztlicb die vielen kleinen „black-boxes" in Form von Funktionseinbeiten, die auf wun- 
dersame Weise die „mentalen" Pbanomene sein oder erzeugen sollen. 

^"^ Aus diesem Grund kann der Geist aucb nicbt „Software" sein. Vgl. gegen den Funktionalismus Seifert 1989, 
24 ff. und Hennen 220 ff. Wie sicb im weiteren Verlauf der Arbeit nocb deutlicber zeigen wird, ist der 
Computer kein elektroniscbes Gebirn und das Gebirn kein biologiscber Computer. „Wetware" (in Anspie- 
lung auf die Begriffe Hard- und Software so wie das Feucbtsein des Gebirns) ist desbalb fiir das Gebirn kein 
besonders geeigneter Begriff. 

^^" Die Seele kann eben kein System sein. Siebe dazu neben dem weiter unten AuszufUbrenden liber das Wesen 
der Seele aucb Kapitel 4.5.4 f. und Hennen 220 ff. Im iibrigen konnen die Regeln, nacb denen das materielle 
System sicb verbalt, selbst letztlicb nicbt wieder materiell sein. Damit ist ein ecbter Materialismus nicbt 
mebr durcbbaltbar. 

^"^ Zum auf die Godelgleicbungen zuriickgreifenden Nacbweis der tJberlegenbeit des Geistes gegeniiber der 
Mascbine siebe Lucas in: Millie an/Clark. Zur Bedeutung von Godel fiir das menscblicbe Erkennen siebe 
Kapitel 4.5.4. 



270 Anthropologic 



dings nicht naher eingegangen werden kann/^^^ So wie der Funktionalismus ist auch der Tu- 
ringtest, den nebenbei gesagt kein Tier bestehen wiirde, ungeeignet, die Intelligenz oder gar 
die Geistseele nachzuweisen. 

Um es noch einmal von der anderen Seite her zu sagen: Im Gegensatz zu wahrhaft geistigen 
Akten^^^^ sind die funktionalistisch verstandene Akte bzw. Prozesse eines Systems stets vom 
Sein materieller Teile abhangig. Auch der Funktionalismus kann also das wesensmaBig Ver- 
schiedene des Geistigen gegeniiber dem Materiellen nicht erklaren. Die generell gegen jede 
Form des Materialismus sprechenden Argumente gelten auBer fur die drei bisher betrachteten 
Formen des Identitismus, Epiphanomenalismus und Emergentismus selbstverstandlich auch 
fiir den Funktionalismus. 

Nachdem nun diejenigen philosophischen Positionen als widerspriichlich zuriickgewiesen 
wurden, auf die sich die in Kapitel 3 profilierten Grundauffassungen zuruckfuhren lassen, 
werden nachfolgend die wichtigsten Aussagen einer „Philosophie des Geistes" im Sinne des 
Realismus dargelegt. Den Ausgangspunkt dafiir bildet folgende Frage: Wieso kann das Ver- 
halten des Menschen einerseits psychisch bzw. psychologisch und andererseits neurophysio- 
logisch bzw. physikalisch beschrieben werden, ohne daB eine Beschreibung auf die andere re- 
duziert werden kann? Die Losung ist, daB der Mensch ein verleiblichtes Geistwesen ist, des- 
sen „Teile" je entscheidende Auswirkungen auf sein Verhalten haben. Sie konnen jeweils 
nicht auf den anderen „Teir' reduziert werden und deshalb fiir sich alleine betrachtet das 
menschliche Verhalten nur teilweise erklaren. Wie im Rahmen der Ontologie (Kapitel 4.3.2) 
bereits nachgewiesen, ist die realistische Unterscheidung von materiell und immateriell Sei- 
endem dabei kein Dualismus, sondern eine notwendige und seinsgemaBe Differenzierung. 
Folgender Einschatzung ist demnach zuzustimmen: „If one rejects dualism [as well as mo- 
nism; Anmerkung R. £.] and then searches around in the history of western philosophy for an 
alternative [...] account of mind the obvious starting point must be Aristotle. "^^" Das Nach- 
folgende verdankt dementsprechend die wesentlichen Argumente der aristotelisch- 
scholastischen Tradition.^ ^^^ 



1275 Ygj Searle 1980, Searle 1992 sowie Schafer 111 ff. Wahrend die Zuriickweisung des Funktionalismus (Se- 
arle 1992; besonders Kapitel 1 und 2) gute Argumente liefert, ist die von Searle vertretene, naturalistische 
Auffassung des Seelischen als widerspriichlich abzulehnen. 

^"^ Vgl. besonders Kapitel 4.5.4 f. 

^"' McClintock 46. 

^"^ Vgl. Aristoteles: tJber die Seele, besonders II f. und Thomas: Summe der Theologie I, 75 ff. 



Anthropologic 271 



Der Schlussel zum Verstandnis des Menschen und seines Geistes liegt im Verstandnis der 
seelisch-geistigen Vorgange. An erster Stelle ist hier das WoUen und das Erkennen zu nen- 
nen/^^^ Was hat es mit diesen Vorgangen bzw. Akten auf sich, wie sind sie zu erklaren, wor- 
auf verweisen sie und was setzen sie voraus? Wie in der Erkenntniskritik bereits angefuhrt, 
besteht das Erkennen im Angleichen des Intellektes an das Seiende und dessen Beschaffen- 
heit. Was in jenem Kapitel als „Intellekt" bezeichnet wurde, soil jetzt naher beleuchtet werden 
und sich als die substantielle Geistseele herausstellen. 

An dieser Stelle ist noch einmal die Unterscheidung von immaterieller Form, Seele und Geist 
zu klaren, vor allem weil diese von den naturwissenschaftlichen Theorien nicht oder nicht an- 
gemessen unterschieden werden. Unter immaterieller Form (lat. forma, griech. morphe) ver- 
steht man den „inneren Wesensgrund des arteigenen Soseins"^^^^ des Konkreten; sie ist es, die 
zusammen mit der Materie den Korper konstituiert. Die (Wesens-)Form der Lebewesen dage- 
gen wird Seele (lat. anima, griech. psyche) genannt. Sie ist die „forma corporis", die als un- 
stoffliches Lebensprinzip der Materie diese „informiert", ihr neben der Gestalt und Ordnung 
eben auch das Leben gibt.^^^^ Unter Geist oder auch Geistseele (lat. spiritus, griech. pneuma) 
versteht man diejenige immaterielle und einfache Substanz, die zu Selbstbesitz durch Selbst- 
bewuBtsein und freier Selbstbestimmung und damit zur Erkenntnis und gewollten Verwirkli- 
chung ubersinnlicher Werte fahig ist.^^^^ 

Das Wesen eines Seienden laBt sich aus seinen Wirkungen bzw. Akten erkennen. Die unbe- 
streitbaren geistigen Akte des Menschen setzen einen substantiellen Grund bzw. Trager vor- 
aus.^ ^^^ Dieser Trager ist eine nicht an Stoff gebundene Substanz, da er zu Akten fahig ist, bei 
denen eine materielle Mitwirkung unmoglich ist.^^^^ Hierzu zahlen vor allem das Denken 
nichtstofflicher Formen bzw. Wesenheiten und das WoUen nichtstofflicher Guter. Der Geist 
ist grundsatzlich anders als das materielle Sein, und zwar nicht akzidentiell, sondem wesens- 
maBig; es besteht zwischen beiden ein uniiberbriickbarer Unterschied. Der Geist ist dabei 



^^^^ Auf das Erkennen und Wollen wird in Kapitel 4.5.4 f. noch einmal einzeln eingegangen. 

^^^^ Vries in: Brugger 110. Siehe zur Form auch die Ausfuhrungen in Kapitel 4.3.2. 

^^^^ Vgl. neben den genannten Quellen auch Seifert 1989, besonders 215 ff. Zum Leben und dem Zusammen- 

hang zwischen Leben und Seele siehe Kapitel 4.5.8. 
^^^^ So in Anlehnung an Willwoll in: Brugger 124 ff. Vgl. zu Selbstbesitz und SelbstbewuBtsein auch Lotz/Vries 

128 f. Die Definition „Der Geist ist eine Substanz, die denkt" (vgl. Arnauld/Nicole 51) ist deshalb nicht 

weitreichend genug. 
^^^^ Vgl. Lehmen 11.2, 408 ff. Eine Geistestatigkeit ohne eine Geistsubstanz ist ebenso unmoglich wie ein Laufen 

ohne einen Laufer oder eine Handlung ohne etwas, das handelt. Ohne einen bestandigen Trager ware im tib- 

rigen kein moralisches Handeln moglich, da sich die Verantwortung jedes Handelnden nicht liber seine Ver- 

gangenheit geschweige denn sein gesamtes Leben erstrecken konnte. 
^^^^ Vgl. Lehmen n.2, 428 ff. 



272 Anthropologic 



mehr als nur immateriell, er ist wie gesagt innerlich vom Stoff und damit vom Leib unabhan- 
gig. Der Geist hat Selbstand, er ist einfach und kann sich nicht vermischen/^^^ Er ist mehr als 
das Regelprinzip eines Regelkreises, welches in das System eingeht.^^^^ Der Geist steht 
seinsmaBig „auBerhalb" des Beherrschten, kann nicht aus ihm entstehen. Der Geist ist „lei- 
densunfahig", d.h. er kann nicht werden bzw. sich verandem, da er das Prinzip des Werdens 
bzw. der Veranderung (der Komposita) ist.^^^^ Er kann sich genauer gesagt nicht substantiell, 
sondern nur akzidentiell verandern, da er einfach ist.^^^^ Der Geist kann also nicht (graduell) 
entstehen, vor allem nicht aus Materie, die in ihrem Wirken ja gerade von ihm abhangt, aber 
auch nicht aus der (tierischen) Seele, sondern nur als ganzer von Gott geschaffen werden.^ ^^^ 
Da der menschliche Geist die uberzeitlichen und uberraumlichen Formen erkennen kann und 
ihnen deshalb wesensverwandt sein muB, folgt, daB auch er weder raumlich noch zeitlich 
ist.^^^^ Der Geist und damit die geistigen Fahigkeiten sind nicht Folgen der Materie, sondern 
der Geist wirkt durch die Materie, „auBert" sich in ihr. Die Geistseele „bedient" sich des Ge- 
hirns und wirkt in besonderer Weise durch jenes. Das Gehirn ist jedoch nicht der Sitz der 
(geistigen) Seele.^^^^ Das ergibt sich schon daraus, daB immaterielle Substanzen keinen Ort 
haben und die Seele den gesamten Leib formt und leitet.^^^^ 

Geistige Akte zeichnen sich unter anderem durch zwei Merkmale aus: „durch ,Intentionalitat' 
im Sinne einer bewuBten und sinnvoUen Beziehung auf ein Objekt und durch eine Angemes- 
senheit der Akte ihrem Gegenstand gegeniiber."^^^^ Damit ubersteigt das Geistige deutlich und 
uniiberbriickbar das nur Psychische. Ihm kommt in der Form des reflexiven BewuBtseins die 
Moglichkeit zu, nicht nur die Objekte, sondern auch die Akte und sich selbst zu erkennen; nur 
bei Geistigem spricht man deshalb vom SelbstbewuBtsein.^^^^ Beim Menschen nun „uber- 
nimmt" der Geist gleichzeitig die „Aufgaben" der Seele.^^^^ Er steuert also letztlich die vege- 



1285 Ygj Aristoteles: tJber die Seele III, 4. Aristoteles bezieht sich dort ubrigens auf Anaxagoras. Der Geist kann 

nicht zusammengesetzt sein, weil er (unter anderem) das Prinzip der (leiblichen) Zusammensetzung ist. 
^^^^ Das Regelprinzip ist „dumm", nur der Urheber des durch das Regelprinzip Gelenkten ist intelligent. Nur er 

kann, da er immateriell und subsistierend ist, reflektierend erkennen und woUen. 
^^^^ Gegen das zunehmende Machtstreben vieler Forscher ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, daB der 

Geist unverfugbar ist. 
^^^^ Vgl. Kapitel 4.3.2; Lehmen II.2, 429 ff. sowie Hennen 154 ff. und 339 ff. 
^^^^ Vgl. Lehmen II. 2, 466 ff. und III, 198 ff.; Hennen 352 sowie Suarez: Funfte Metaphysische Disputation 

9.10. 
^^^^ Vgl.Lotz/Vriesl20f. 
^^^^ Vgl. Lehmen II.2, 462 ff. 

^^^^ Bezuglich des Ortes immaterieller Substanzen konnte man sagen: Der Geist „ist", wo er wirkt. 
^'" Seifert 1989, 289. 

^^^^ Siehe zum BewuBtsein und SelbstbewuBtsein Kapitel 4.5.6. 
^^^^ Vgl. Thomas: Summe der Theologie I, 76 und Seifert 1989, 297 ff. Vgl. zu den Seelenkraften bzw. 

-vermogen auch Hennen 344 f . 



Anthropologic 273 



tativen und sensitiven Vitalfunktionen und tragt als die Wesensform des Menschen dessen ge- 
samtes Leben. Gegen den Trialismus, der den Menschen aus drei „Teilen" zusammengesetzt 
sieht, also Geist und Seele fUr substantiell verschieden halt, ist folgendes zu sagen. Es gilt be- 
kanntlich, daB ohne Not keine weitere Substanz eingefuhrt werden darf und daB der Geist 
problemlos die psychischen Gegebenheiten hervorbringen kann. DaB der Geist tatsachlich 
nicht von der Seele geschieden ist, beweist die Erfahrung, daB sowohl geistige Akte als auch 
sinnliche Wahrnehmung von dem einen Ich erlebt werden. Die wechselseitige Beeinflussung 
bzw. Beeintrachtigung von psychischen und geistigen Tatigkeiten, zeigt neben der Begrenzt- 
heit ebenfalls die Einheit der Geistseele/^^^ 

Eine der wesentlichsten Folgen der Erkenntnis des personal-geistigen Seins des Menschen, 
die sich vor allem auf die Ethik, aber auch auf die Beurteilung der KI auswirkt, ist die Un- 
sterblichkeit der Geistseele. Zur Unsterblichkeit der Geistseele findet sich der wesentlichste 
Ansatz bereits bei Platon.^^^^ Das Argument lautet, daB die Geistseele als einfache, unzusam- 
mengesetzte Substanz nicht auseinanderf alien, mit anderen Worten nicht zerstort werden bzw. 
sterben kann. Sie kann sich allenfalls vom Leib „trennen", jedoch substantiell nicht verge- 
hen.^^^^ Erganzt werden kann dieser Beweis noch durch denjenigen aus der sittlichen Notwen- 
digkeit.^^^^ Da die Unzulanglichkeiten und UnvoUkommenheiten des zeitlich-weltlichen Le- 
bens den Forderungen nach Gerechtigkeit und VoUendung nie nachkommen konnen, besteht 
eine Sinnforderung nach Unsterblichkeit.^ ^^^ Weil die Welt aber auf den absoluten, unendlich 
guten und gerechten, personlichen Gott zuriickgeht (vgl. Kapitel 4.3.3), kann sie keinen ab- 
surden metaphysischen Sinnwiderspruch enthalten, der durch ein Ende der Geistseele ent- 
stiinde. Also ist die Geistseele tatsachlich unsterblich. Insofem die menschliche Geistseele ein 
in sich selbst stehendes Sein ist, das innerlich unabhangig vom Sein anderer (Teil-)Sub- 
stanzen ist, wird sie subsistierend genannt.^^^^ 

Die substantielle Unabhangigkeit der Geistseele und ihrer Akte vom Leib ist dabei nicht als 
voUige Losgelostheit vom Leib zu verstehen, „sondem vielmehr in jenem Sinne, daB sie einen 



1296 Ygj dazu Lotz/Vries 175 f. Ein Wesen kann auBerdem keine zwei Formprinzipien und damit zwei Naturen 

haben. 
^^^^ Vgl.Phaidon78B-84B. 
^^^^ Vgl. zur Unsterblichkeit und dazu, daB der Geist durch keine endliche Kraft des Daseins beraubt werden 

kann, Lehmen II. 2, 232 ff. und 435 ff. sowie Thomas: Summe der Theologie I, 75. 
''^^ Vgl. Seifert 1989, 269 ff. 
^^^^ Vgl. Lehmen IV, 22 ff. 
^^^^ Die Abhangigkeit der Geistseele von Gott ist damit selbstverstandlich nicht geleugnet. Vgl. zur Subsistenz 

und zu den nicht subsistierenden Pflanzen- und Tierseelen Kapitel 4.4.3 f. sowie Lehmen I, 436; II. 2, 428 f. 

und Brugger in: Brugger 386 f. 



274 Anthropologic 



unabhangigen, autonomen Ursprung gegeniiber dem Leib besitzen, einen Ursprung, der weder 
im Korper noch im erlebten Leib ist, was jedoch nicht ausschlieBt, daB geistige Akte sehr 
wohl den Leib mit einbeziehen und sich vor allem leiblich ausdriicken konnen."^^^^ 

Das leitet iiber zum sogenannten Leib-Seele-Problem, das sowohl fur die Philosophie als auch 
fiir die KI-Theorien immer eine sehr groBe RoUe spielte.^^^^ Die Problematik ist die folgende: 
In welchem Verhaltnis stehen leibliche und seelische Vorgange, und was heiBt das ontolo- 
gisch fiir die Beziehung zwischen der (geistigen) Seele und dem Leib? Haufig wird das Leib- 
Seele-Problem auch auf die Form gebracht: Gibt es eine Wechselwirkung von Leib und Seele, 
und wie laBt sie sich erklaren? DaB weder Identitismus noch Epiphanomenalismus, Emergen- 
tismus Oder Funktionalismus das Leib-Seele-Problem losen konnen, wurde bereits deutlich 
und liegt vor allem an den materialistischen Pramissen, die eben gar keine echte Seele zulas- 
sen. Auch die monistische Gegenposition (Spiritualismus), nach der nur dem Seelischen bzw. 
Geistigen Sein zukommt, bietet keine echte Losung, weil sie die korperlich-leibliche Wirk- 
lichkeit nicht oder nicht angemessen anerkennt. 

An dieser S telle zeigt sich die Ausgewogenheit des Realismus, der sowohl den leiblichen wie 
den seelischen Gegebenheiten gerecht wird und sie im Licht der Einheit des Lebewesens bzw. 
Menschen miteinander in Einklang bringt.^^^^ Im Gegensatz zum Dualismus vertritt der Rea- 
lismus keine zwei voUig voneinander unterschiedenen und geschiedenen Substanzen (Materie 
und Seele), die im Falle der Lebewesen eine akzidentielle Wirkung aufeinander haben. Viel- 
mehr ist es so, daB die Materie mit der sie formenden und belebenden Seele eine Einheit bil- 
det und erst durch sie zu dem wird, was sie ist, namlich dem Leib.^^^^ Die Frage, wie die Seele 
auf den Leib wirken kann, beantwortet sich gerade aus dem Wesen der Form im allgemeinen 
und der Seele im speziellen.^^^^ Die Seele ist das Prinzip des Wirkens des Leibes. Die ohne die 
Seele unvoUstandigen, ja unselbstandigen „Teile" des Leibes konnten ohne die Seele gar kei- 
ne Einheit bilden und in gar keiner Weise wirken. Es ist also nicht so, daB die Materie aus 
sich heraus und entsprechend den Naturgesetzen ihre Wirkungen voUbringt und die Seele bei 
gegebenem AnlaB in dieses Wirken eingreift. 



''°' Seifertl989,291. 

^^^^ Neben dem „Leib-Seele-Problem" wird auch vom „Geist-Materie-Problem" gesprochen. Im folgenden wird 
hauptsachlich der Begriff der Seele verwendet. Damit kann dann sowohl die vegetative oder sensitive Seele 
(von Pflanzen und Tieren) wie auch die geistige Seele (des Menschen) gemeint sein. Im Zweifelsfall wird 
auf den Unterschied hinge wiesen oder fiir den Menschen der eindeutige Begriff Geist verwendet. 

^^^^ Vgl. WillwoU in: Brugger 219 ff.; Naumann in: Brugger 452 f. sowie Hennen 104 ff. und 331 ff. 

''^' Vgl. Kapitel 4.3.2 und 4.4.3 f. 

^^^^ Vgl. Lehmen II. 2, 408 ff. Zur BeeinfluBung des Gehirns durch bewuBte Aufmerksamkeit siehe auch Eccles 
250 ff . 



Anthropologic 275 



Auch die Moglichkeit der Wirkung des Leibes auf die Seele laBt sich durch den Realismus 
erklaren. Wenn sich die leiblichen Verhaltnisse andem (etwa im Falle des extremen Durstes), 
so kann dies Auswirkungen auf das Wirken bzw. die Wirkmoglichkeiten der Seele haben (et- 
wa eine Beeintrachtigung der Sinneswahmehmung), well ihr dann ein anderes, je nach Situa- 
tion eben besser oder schlechter geeignetes „Materiar' zu Verfugung steht. Ahnliches gilt fur 
die Moglichkeit der auBeren Gegenstande, auf die Geistseele einzuwirken/^^^ Die Gegenstan- 
de konnen zwar nicht direkt auf den Geist einwirken, vermogen es jedoch indirekt durch den 
Leib. AuBer durch die eben erwahnte Veranderung leiblicher Verhaltnisse ist es vor allem die 
den Gegenstanden eingepragte Form, die durch die Sinneswahmehmung aufgenommen wird 
und dem Geist fur seine Tatigkeiten „bereitgestellt" werden kann.^^^^ Nur insofem das Denken 
und Wollen also von den organisch-sinnlichen Tatigkeiten ihren Ausgang nimmt bzw. sein 
„Materiar' empfangt, kann es von ihnen abhangen. Die eigentlichen geistigen Akte sind da- 
gegen trotz ihrer Moglichkeit, sich auf den Leib auszuwirken, innerlich von der Materie un- 
abhangig. 

Aus der Tatsache, daB die Geistseele, vor allem beziiglich des vegetativen und sensitiven Le- 
bens, so eng an den Leib gebunden und dieser von ihr abhangig ist, kann man im ubrigen 
nicht schlieBen, daB auch fiir die Geistseele alle Naturgesetze gelten.^^^^ Schon die Unverein- 
barkeit der quantitativen Aussagen vieler Naturgesetze mit der Einfachheit der Geistseele 
zeigt, daB die Geistseele nicht naturwissenschaftlich erfaBt werden kann. In diesem Zusam- 
menhang ist auch kurz auf den bereits in Kapitel 3 erwahnten Einwand einzugehen, nach dem 
die Existenz einer Seele bzw. ihr Wirken am Energieerhaltungssatz scheitern miisse. Die phy- 
sikalische Welt ist nach dieser naturwissenschaftlichen Auffassung vollig abgeschlossen, so 
daB es keinen „Platz" bzw. keine Wirkungsmoglichkeit fiir die Seele gebe. Das soil bedeuten, 
daB sich die Gesamtenergie eines geschlossenen physikalischen Systems nicht andern kann, 
was sie aber beim Eingreifen einer Seele miiBte.^^^^ Dagegen ist mehreres zu sagen. Zunachst 
muB betont werden, daB der Energieerhaltungssatz nur fiir das physikalische Sein gilt. Er hat 
- als eine naturwissenschaftliche Aussage - keinesfalls Geltung fiir das gesamte Sein.^^^^ Hin- 
zu kommt, daB der Energieerhaltungssatz durch ein Wirken der Geistseele gar nicht verletzt 



^^°' Vgl. Lehmen 11.2, 54 f. 

^^^^ Vgl. dazu auch Kapitel 4.5.4. 



^^'^^ Man denke z.B. an das fiir die stoffliclie Wirkliclikeit angemessene pliysikalisclie Gesetz von der Gegen- 

kraft, die ein Korper einer Krafteinwirkung entgegensetzt (Actio gleich Reactio). 
^^^^ Hieran zeigt sich, daB das Leib-Seele-Problem auch eng mit der Frage nach der Freiheit bzw. dem freien 

Willen zusammenhangt. Siehe dazu Kapitel 4.5.5. 



276 Anthropologic 



wird, da die Seele lediglich die Richtung des Energieflusses vorgibt, nicht die Energiemenge 
verandert/^^^ Weil es keinen „Informationserhaltungssatz" gibt,^^^^ ist es unproblematisch, daB 
die Seele dem Leib Informationen „zukommen laBt" oder besser gesagt, ihn in/brmiert. 

Im Hinblick auf die KI kann zum Geist folgendes resumiert werden: Zwischen dem Men- 
schen und der KI besteht ein wesentlicher Unterschied, der auf den nur dem Menschen inne- 
wohnenden Geist zuriickgeht. Der Geist und seine Fahigkeiten konnen unmoglich durch ein 
aus Teilen bestehendes System erklart werden.^^^^ „Das ,Geistige' in der Maschine, das dort 
angewendet wird und scheinbar aktive Denkhandlungen ausfuhrt, ist analog der Tatsache, daB 
die Naturgesetze und die Vorgange in der Natur mathematisch beschreibbar sind. Mathematik 
ist ein geistiges Erzeugnis, wird aber in der Natur wiedergefunden. Wenn man nun geistige 
Gesetze in physikalischen Vorgangen findet, so ist es nichts Wunderbares und Neues, wenn 
man diese geistigen Gesetze durch physikalische Vorgange nachbildet. Man konstruiert eben 
einen Gegenstand nach mathematischen Gesetzen und darf sich dann nicht wundern gerade 
diese Gesetze nachher in diesem Gegenstand wiederzufinden. Der Unterschied ist lediglich, 
daB in der Natur die Vorgange unabhangig vom Menschen entstanden sind, wahrend bei der 
Maschine der Mensch die Vorgange absichtlich erzeugt."^^^^ Der Mensch kann keinen Geist 
hervorbringen, weil er in seinem Schaffen immer nur aus dem „schopfen" kann, was bereits - 
mindestens als Anlage - vorhanden ist. Stets ist er auf Seiendes angewiesen, wenn er Neues 
hervorbringt. Einzig Gott kann in seiner AUmacht ein Seiendes ohne jede Voraussetzung, also 
aus dem „Nichts", schaffen.^^^^ Da der Geist eine einfache Substanz ist, kann er nicht aus an- 
deren, bereits vorhandenen Substanzen entstehen, muB also geschaffen werden. Der Geist 
unterscheidet den Menschen vom Tier und erst recht von der KI. Der Mensch ist aufgrund 

1311 Ygi Seifert 1989, 101 ff. und Seifert 1996, 536 f. sowie zur Reichweite naturwissenschaftlicher Gesetze und 
zum Kausalsatz auch Kapitel 4.3.2. 

^^^^ Vgl. Lehmen II. 2, 20 und 425 f. Nach Eccles ist es dem Geist moglich, in einem physikalisch vorgegebenen 
Rahmen die (Zustands-)tJbergangswahrscheinlichkeiten von Quantenteilchen zu andern, ohne gegen physi- 
kalische Erhaltungssatze zu verstoBen. Gegen Eccles ist allerdings einzuwenden, daB er einen nicht konse- 
quent zu Ende gedachten Begriff des Geistes vertritt, der noch zu sehr naturwissenschaftlich beeinfluBt ist 
und sich in vielem nicht mit dem bisher zum Geist Gesagten deckt. Zur ausfuhrlicheren Kritik an Eccles sie- 
he Hennen 104 ff. 

^^^^ Vgl. Gitt 1994, 52 ff. Jede Information bedarf einer geistigen Quelle. Das Kopieren oder mechanische Vari- 
ieren von Informationen (wie etwa durch die KI vollzogen) bedarf dieser Quelle nicht oder zumindest nicht 
direkt. Vgl. Gitt 1994, 81 ff., 128 ff. und 245 ff. 

^^^^ Die Geistseele ist darum auch nicht formalisierbar bzw. durch einen Algorithmus zu ersetzen. 

^^^^ Titze 140. Hervorhebung nicht im Original. 

^^^^ Vgl. Thomas: Summe der Theologie I, 44 ff. und Lehmen III, 198 ff., wo dies auf verschiedenen Wegen 
bewiesen wird und siehe auch Seifert 1996, 536 f. Ein Beweis lautet: Je weniger das neu Hervorzubringende 
bereits im vorliegenden „Ausgangsmateriar' enthalten ist bzw. dieses das Neue (potentiell) aufnehmen kann, 
desto groBer muB die schaffende Wirkursache sein. Gibt es gar kein „Ausgangsmateriar', also keine Potenz 
zur Aufnahme eines Aktes, muB die Wirkursache unendlich groB sein. Dies ist lediglich dem unendlichen 
Gott moglich. 



Anthropologic 277 



seiner Geistseele Person und dem Tier sowie der KI wesentlich uberlegen bzw. ubergeord- 
net/^^^ Ohne den Geist kann Erkennen und WoUen nicht erklart werden. Ohne ihn konnte ab- 
strakt bzw. immateriell Seiendes weder erkannt noch angestrebt werden. Dies genauer zu be- 
griinden, ist Aufgabe der folgenden beiden Kapitel. 



Vgl. zur Personalitat Kapitel 4.5.6. 



278 Anthropologic 



4.5.4 Intelligenz, Denken und Erkenntnis 

Vor dem Hintergrund der Geistigkeit der Seele des Menschen sind in diesem Kapitel die In- 
telligenz, das Denken sowie das Erkennen zu untersuchen. 

Bevor die Intelligenz definiert und erlautert wird, sind zunachst einmal die dem Realismus 
widersprechenden Positionen beziiglich der Intelligenz zu entkraften. Zuerst ist gegen eine - 
besonders in der Informatik - verbreitete Meinung festzustellen, daB Intelligenz sicher nicht 
die Fahigkeit ist, Informationen zu verarbeiten. Wenn Intelligenz namlich „Informationsver- 
arbeitung" bedeuten wurde, dann ware so ziemlich alles intelligent, da z.B. auch Pflanzen und 
einfachste Maschinen Informationen verarbeiten. Wenn uberhaupt, dann ist Intelligenz die 
selbstbewuBte bzw. reflexive Informations verarbeitung. Informationsverarbeitung ist also 
(hochstens) notwendige, aber nicht (auch) hinreichende Bedingung fur Intelligenz/^^^ 

Weil der Materialismus eine auf falschen Pramissen stehende Position ist,^^^^ kann auch Intel- 
ligenz nicht materialistisch erfaBt bzw. erklart werden. Intelligenz kann demnach nicht mit 
quantifizierenden Methoden verstanden und darf insbesondere nicht mit quantifizierender Lo- 
gik bzw. Logistik verwechselt werden.^^^^ Eine (funktionalistische) Definition, nach der Intel- 
ligenz der Wirkungsgrad gewisser meBbarer psychologischer Leistungen sein soil, erreicht 
damit nicht das Wesen der Intelligenz.^ ^^^ Aus den gleichen Griinden ist auch eine Gleichset- 
zung von Intelligenz und „Intelligenzquotient" (IQ) voUig unzulassig.^^^^ Die in Kapitel 4.5.3 
in bezug auf die Seele genannten Argumente gegen die materialistischen Fehlsichten (insbe- 
sondere Emergentismus und Funktionalismus) gelten beziiglich der Intelligenz analog. Auch 
die Intelligenz kann nicht aus (unintelligenten) Teilen bzw. deren Organisation entstehen, da 
sie auf der nur durch die Geistseele garantierten Einsicht in die Wahrheit beruht. 

Was bedeutet das fiir die realistische Lehre von der Intelligenz? Intelligenz ist nach ihr die 
Disposition zu geistigen Leistungen, genauer gesagt die Fahigkeit zur Erfassung von intelligi- 
blen Formen, Wesenheiten und (Sinn-)Zusammenhangen.^^^^ Intelligenz ist die Fahigkeit (des 



^^^^ Vgl. Searle in: Boden 1990, 72 ff.; Helm 12 ff. sowie Gitt 1989, 4 ff. und Gitt 1994, 52 ff. 

'''^ Vgl. Kapitel 4.3.2 und 4.5.3. 

^^^^ Vgl. zur Logik bzw. Logistik Kapitel 4.2.2 f., wo nachgewiesen wurde, daB weder Symbole noch Erkenntnis 
rein quantitativ verstanden werden konnen und daB die Verwendung der Logistik auf auBerlogistischen Evi- 
denzen beruht. 

^^^^ Siehe neben dem in Kapitel 3 Dargelegten zu weiteren Kl-gepragten Definitionen der Intelligenz auch Dai- 
ser 90 ff . 

^^^^ Vgl. gegen IQ-Tests, insbesondere fiir die KI, Schank 70 ff. 

^^^^ Nachfolgend bzw. analog werden auch die aus der Erkenntnis folgenden Handlungen bzw. Fertigkeiten in- 
telligent genannt. Man unterscheidet dann beispielsweise Sprachintelligenz, raumlich-visuelle Intelligenz, 



Anthropologic 279 



Geistes), durch Abstraktion bzw. Begriffsbildung sowie Urteil und SchluB zur Erkenntnis der 
Wahrheit zu gelangen/^^"^ Insofern es sich um eine unmittelbare Einsicht in die Wahrheit der 
Begriffe handelt, spricht man von Verstand (intellectus).^^^^ Die Fahigkeit, aus erkannten 
Wahrheiten andere abzuleiten, heiBt dagegen Vernunft (ratio).^^^^ Die ontologische Grundlage 
fiir Intelligenz ist also der Geist. Daraus folgt, wie man etwa an der durch Ubung und Lernen 
geforderten Weiterentwicklung von Kindern erkennen kann, daB zwar die intelligenten Akte 
eine immer groBere Reichweite, Genauigkeit, Leichtigkeit etc. erreichen konnen. Die Intelli- 
genz selbst kann jedoch nicht entstehen, da sie eine mit dem immer schon voUstandigen Sein 
des Geistes gegebene Potenz desselben ist. Intelligenz kann auch unmoglich aus Sprache ent- 
stehen, wie etwa in Kapitel 3.3.3 falschlich behauptet, da fiir die Sprache die (allgemeingulti- 
ge) Verbindung von Laut und Ding bzw. Sachverhalt erkannt werden muB. Das Erkenntnis- 
vermogen und speziell die Begriffsbildung bzw. die Intelligenz ist eine Voraussetzung fiir 
Sprache.^^^' 

Intelligenz ist nicht lokalisierbar, da sie geistig ist. Insofern die intelligenten Leistungen durch 
die Bindung der Geistseele an den Leib in Raum und Zeit voUzogen werden, kann man sie je- 
doch einem konkreten Menschen zuordnen und in diesem Sinne „lokalisieren". 

Wie bereits bei der Behandlung der Tiere (Kapitel 4.4.4) deutlich wurde, ist der Mensch unter 
alien irdischen Lebewesen das einzig intelligente. Dies zeigt sich besonders am Zweck- bzw. 
ZielbewuBtsein, welches die intelligenten menschlichen von den instinktiven tierischen und 
erst recht von den mechanischen Akten unterscheidet.^^^^ In diesem Zusammenhang ist zu er- 
wahnen, daB in gewisser Weise auch in der Natur „Intelligenz" steckt; dabei handelt es sich 
jedoch um die auf die gottliche Intelligenz verweisenden intelligiblen Formen bzw. Ente- 
lechien. 



musikalische Intelligenz, motorische Intelligenz, emotionale Intelligenz, mathematisch-logische Intelligenz 
usw. 

^^^^ Vgl. Kapitel 4.2 sowie Lehmen 11.2, 56 ff. 

^^^^ Der Verstand heiBt intellectus, weil er, wie Thomas sagt, intus legit, also innerlich liest, und zwar indem er 
das Wesen erkennt. Vgl. Kapitel 4.3.2 sowie Lehmen II. 2, 250 ff. und Lotz/Vries 123 f. Verstand und Ver- 
nunft sind nur theoretisch-begrifflich unterscheidbar, ontologisch handelt es sich um die Fahigkeiten des ei- 
nen Geistes. 

^^^^ Leider gibt es allerdings im Deutschen keinen wirklich einheitlichen Gebrauch. Vgl. zur Vernunft Vries in: 
Brugger 433 f. Demnach deutet Vernunft sprachlich auf „vernehmen" und sollte dementsprechend die Be- 
deutung des intellectus, der Verstand entsprechend die von ratio haben. Siehe zu Vernunft und Verstand 
auch Bernhart I, 305 FuBnote 1; Thomas: Summe der Theologie I, 79; Lehmen II. 2, 310 ff. sowie Vries 
1937, 117 f. und 161 ff. 

^^^^ Vgl. Brugger in: Brugger 373 ff. und Lehmen II. 2, 63 ff. KI kann - ebenso wie Tiere - keine Begriffe bilden 
und nicht das Seiende als solches bzw. das Wesen des Seienden erkennen und daher auch keine Sprache ha- 
ben. 



280 Anthropologic 



Bezogen auf die KI kann zur Intelligenz folgendes resumiert werden. „Zwischen der falschli- 
cherweise sogenannten ,Kunstlichen Intelligenz' und der menschlichen Intelligenz bestehen 
nicht nur graduelle, sondern grundlegende Unterschiede"^^^^. Intelligenz setzt - als Fahigkeit 
zur Wahrheitserkenntnis - Geist voraus. KI „hat" keinen Geist und kann ihn auch nicht haben. 
Also kann KI nie intelligent sein.^^^^ Wie bereits im vorigen Kapitel erwahnt, kann der 
Mensch in seinem Schaffen immer nur aus dem „schopfen", was bereits - mindestens als 
Anlage - vorhanden ist. Einzig Gott kann in seiner AUmacht ein Seiendes ohne jede Voraus- 
setzung, also aus dem „Nichts", schaffen. Da der Geist eine einfache Substanz ist, kann er 
nicht aus anderen, bereits vorhandenen Substanzen entstehen, muB also geschaffen werden. 
Weil es nicht in der Macht des Menschen steht, einen Geist zu schaffen, kann Intelligenz 
technisch allenfalls imitiert, modelliert oder simuliert, jedoch nie reproduziert, kopiert oder 
kreiert werden.^ "^ 

Eng mit der Intelligenz verbunden ist das Denken. Im folgenden gilt es zu klaren, was Denken 
ist, was seine notwendigen und hinreichenden Bedingungen sind und warum sie von der KI 
(und den Tieren) nicht erfullt werden. Wie bisher soil auch bezuglich des Denkens zunachst 
klargestellt werden, was Denken nicht ist bzw. welche Auffassungen des Denkens zuriickzu- 
weisen sind. Denken ist - wie in den vorhergehenden Kapitel deutlich wurde - nicht redu- 
zierbar auf materielle Vorgange und kann nicht quantitativ verstanden werden. Eine Beziffe- 
rung der auBeren Art und der Inhalte des Denkens (Er denkt drei Minuten iiber zwei mathe- 
matische Gleichungen nach) bedeutet nicht den Nachweis der Quantisierbarkeit des Denkens 
selbst. Um es etwas uberspitzt zu sagen: Es gibt kein halbes oder dreiviertel Denken. Weil das 
Denken sich vor allem auf nicht erfahrbare, unstoffliche Gegebenheiten richtet, kann es selbst 
nicht stofflich zusammengesetzt oder Akt einer stofflichen Substanz sein. Die Moglichkeit zu 

1328 Ygj unbedingt Kapitel 4.4.4 sowie Lehmen II. 2, 47 ff. Die Spinne weiB nicht um das Wesen ihres Netzes, 
der Stein „sucht" nicht den kiirzesten Weg zum Boden. 

'''^ Gitt 1994, 250. Vgl. auch Gitt 1989, 36 ff. 

^"'^ Der Turingtest (siehe Turing in: Boden 1990, 40 ff.) ist zur Beantwortung der Frage nach der Intelligenz ei- 
nes Systems nicht geeignet. Er ersetzt die Frage nach der Intelligenz unkrititsch durch die Frage nach der 
Imitation des kommunikativen Verhaltens des Menschen. Im ubrigen kann KI den Turingtest grundsatzlich 
nicht bestehen, wenn sie nach einem Godelsatz befragt wird. 

Zum Turingtest siehe Schafer 110; Leidlmair 183 ff.; Leidlmair/Neumaier 87 ff.; Rammert 43 ff., 165 und 
180. Zur Kritik am Turingtest siehe auch Gitt 1989, 12; Boden 1990, 4 ff.; Searle in: Boden 1990 und 
Tichy/Martens 23 ff. 

^"^ Die „Zeugung" eines geistbeseelten Menschen durch das Zusammenfuhren von Sperma und Eizelle bedeutet 
nicht, daB der Mensch die Geistseele (aus sich heraus) schaffen kann, sondern nur, daB er einen stofflichen 
Teil (den er im ubrigen auch nur empfangen hat) zum neuen Menschen hinzusteuern kann. Vgl. zur Entste- 
hung von Seele bzw. Geist Kapitel 4.5.3 und 4.5.8 sowie Hennen 342 ff.; Lehmen II.2, 466 ff. und III, 198 
ff. 



Anthropologic 281 



denken kann sich dementsprechend auch nicht graduell entwickeln. Sie ist im Wesen des Gei- 
stes verankert und mit ihm immer schon ganz gegeben. Denken kann darum auch kein Me- 
chanismus bzw. Algorithmus eines Systems sein/^^^ Denken ist auch nicht gleichzusetzen mit 
Rechnen, Problemlosen oder dem Befolgen logischer Regeln. Deshalb ist es auch nicht sinn- 
voU, vom Beweisen bzw. allgemeiner vom Denken zu fordem, es soUe sich voUstandig an der 
Mathematik orientieren,^"^ um dadurch etwa jegliche Uneinigkeiten zwischen den Menschen 
zu vermeiden. 

Nach dieser kurzen Zuriickweisung einiger dem Realismus widersprechender Auffassungen 
ist folgendes positiv zum Denken zu sagen. Denken ist eine Tatigkeit des Geistes, vor allem 
des Verstandes.^"^ Obwohl Denken vornehmlich alle Arten des unanschaulichen Erfassens 
meint, ist es mehr als (aufnehmendes oder diskursives) Erkennen. Es kann auch verarbeitende 
Reflexion oder kreative, etwa kiinstlerische Neuschopfung beinhalten. Insofern das Denken 
auf etwas (auBerhalb des Geistes) gerichtet ist bzw. darauf verweist, wird es auch intentional 
genannt.^^^^ Wenn der Geist sich und seine Akte denkt bzw. erkennt, spricht man vom Selbst- 
bewuBtsein, auf das in Kapitel 4.5.6 ausfuhrlicher eingegangen wird. Weil Denken ein Akt 
des unstofflichen Geistes ist, lost sich damit auch das Problem, wie Wesen, die in der Welt 
sind, iiber die Welt nachdenken konnen.^"^ Weil das Denken dem Sprechen ahnelt, kann man 
aus dem Sprechen auch vieles iiber das Denken lemen. Um Sprache zu lemen, muB jedoch - 
wie bereits erwahnt - die Verbindung von Laut und Ding bzw. Sachverhalt erkannt werden, 
d.h. Denken bzw. Erkennen ist urspriinglicher als die Sprache.^ "^ 

Wie bereits bei der Behandlung des Geistes (Kapitel 4.5.3) deutlich wurde, ist das Gehim 
nicht (Haupt-)Ursache geistiger Tatigkeiten im allgemeinen und damit des Denkens im be- 
sonderen.^^^^ Es ist nur indirekte Instrumentalursache, und zwar wahrend der Verbindung mit 
dem Leib. Insofern der Leib durch seine Organe der Geistseele Sinnesbilder und damit 
„Stoff ' fiir die geistige Durchleuchtung und das geistige Anstreben erkannter Guter liefert, ist 



^^^^ Im ubrigen konnen Algorithmen nicht die Sinnhaftigkeit bzw. Wahrheit von Algorithmen erf as sen bzw. er- 
klaren. Vgl. Penrose 1991, 61 und 402 ff.; Penrose 1995, 159 ff. sowie 1997, 105 ff. Gegen den Mechanis- 
mus siehe Lehmen II. 1, 181 ff. und Zitterbarth in: Schneider 185 ff. 

^"^ Vgl. Leibniz in: Tichy/Martens 36 ff. 

^"^ Vgl. WillwoU in: Brugger 59 f.; Lehmen I, 1 1 f. und LotzA^ries 56 ff. 

^"^ Denken hat also eine doppelte Bindung an das Sein, einerseits durch seinen Trager, den Geist, und anderer- 
seits, indem es (letztlich) auf Seiendes zielt. Siehe - allerdings unter Vorbehalt - zur Intentionalitat Hof- 
stadter 362 f.; Daiser 86 f.; Leidlmair 44 ff.; Searle in: Boden 1990 sowie Searle 1992, 130 ff. 

^"^ Vgl. zur Problems tellung, nicht jedoch zur Losung, Cussins in: Boden 1990, 368 ff. Zur Moglichkeit eines 
Wesens, iiber sich selbst nachzudenken, siehe wie gesagt Kapitel 4.5.6. 

^"^ Zur prinzipiellen Unmoglichkeit des Sprachverstandnisses durch Maschinen siehe Gitt 1994, 248 ff. 

^"^ Vgl. Lehmen I, 414 ff. und II.2, 243 ff. sowie Hennen 200 ff. und 339 ff. 



282 Anthropologic 



er Bedingung fiir die darauf aufbauenden geistigen Tatigkeiten. DaB auch das Gehim nur ein 
Werkzeug der Geistseele ist, zeigt sich u.a. daran, daB beim Ausfall einiger Gehimteile andere 
Gehirnteile deren Aufgaben iibernehmen konnen. Weil der Geist also nicht in alien seinen 
Tatigkeiten an den Leib gebunden ist, d.h. von ihm innerlich unabhangig ist, kann die 
menschliche Geistseele - nach der Trennung vom Leib, d.h. potentiell - ohne Leib denken. 

Das ist bei sinnlichen Akten anders. Wie sich schon bei der Untersuchung des tierischen Sin- 
nenlebens (Kapitel 4.4.4) herausstellte, ist die Sinnestatigkeit eine seelisch-organische Tatig- 
keit, d.h. sie ist voUig an das Organische bzw. Materielle gebunden und deshalb ohne es un- 
moglich.^^^^ Obwohl Denken als eine rein geistige Tatigkeit innerlich voUig von der Materie 
des Leibes gelost ist, erhalt es doch durch die geistbeseelten Sinnesorgane vielerlei „Stoff ', 
etwa fiir die Bildung geistiger Begriffe, und wird zudem meist von sinnlichen Vorstellungen 
begleitet.^^^^ Diese Vorleistungen und Begleitvorgange sind es auch, die sich naturwissen- 
schaftlich messen lassen und die bei barter geistiger Arbeit mitunter das korperliche „An- 
strengungsgefuhl" bis hin zu Kopfschmerzen verursachen konnen. Weil die Geistseele nicht 
nur Trager des Denkens, sondern auch Form des gesamten Leibes ist, kann das Denken, vor 
allem jedoch das WoUen, sich widerspruchsfrei auf den gesamten Leib, vor allem naturlich 
auf das Gehim auswirken.^^^^ 

Bezogen auf die KI kann zum Denken folgendes resiimiert werden. Technische Systeme im 
allgemeinen und Kl-Produkte im besonderen konnen weder potentiell noch aktuell denken.^ ^^^ 
Das Denken unterscheidet damit den Menschen von der gesamten Schopfung. Einzig der 
Mensch mit seinem Geist und nicht das Tier oder die KI ist zum Denken fahig, d.h. nur er hat 
auf abstrakte, unanschauliche Weise bewuBten Zugang zu den immateriellen Wesens- und 
Erkenntnisformen. Nur der Geist ist „kompatiber' mit den einfachen, intelligiblen Formen 
bzw. Substanzen und kann sie deshalb miteinander vergleichen und zu ihnen Stellung neh- 
men, die aus Teilsystemen zusammengesetzte KI dagegen nicht. Weil es nicht in der Macht 



13^9 Obwohl die leib-geistige Einheit des Menschen stets mitbedacht werden muB, ist die folgende Aussage unter 
starkem Vorbehalt zu sehen: „das Gehirn denkt ebensowenig wie die Lungen atmen, es ist der Mensch, der 
beides tut" (Taube 75). Dagegen ist es richtiger zu sagen: Es ist nicht das Auge, das sieht, sondern der ganze 
Mensch. 

^^^^ Vgl. Willwoll in: Brugger 59 f. sowie Lehmen II.2, 49 ff. und II.2, 421 ff. Obwohl die menschliche Erkennt- 
nis mit der Sinneserkenntnis anhebt und somit intakte Sinnesorgane eine Bedingung fiir die Lieferung des 
geistig zu erfassenden „Stoffs" sind, ist nicht gefordert, daB alle Sinnesorgane intakt sind. Wie das Beispiel 
von Blinden oder Tauben zeigt, kann die geistige Erkenntnis im Notfall auf einzelne Sinne verzichten und 
doch zur voUen Wesenserkenntnis aufsteigen. 

^^^^ Vgl. die Ausfiihrungen in Kapitel 4.5.3, besonders die zum Leib-Seele-Problem und siehe zum Willen Ka- 
pitel 4.5.5. Zu Auswirkungen des Denkens auf das Gehirn siehe auch (allerdings unter gewissem Vorbehalt) 
Eccles, besonders 159 ff. und 248 ff. 

'''' Siehe dazu auch Gitt 1989, 36 ff. 



Anthropologic 283 



des Menschen steht, eine einfache Substanz wie den Geist zu schaffen, kann ein denkendes 
Wesen technisch allenfalls imitiert, modelliert oder simuliert, jedoch nie reproduziert, kopiert 
Oder kreiert werden/^"^^ 

Als letzter der drei Hauptbegriffe dieses Kapitels ist schlieBlich die Erkenntnis zu untersu- 
chen. Hierbei geht es weniger um die erkenntniskritischen Aspekte (vgl. dazu Kapitel 4.2.3) 
als vor allem um die anthropologische Betrachtung der Erkenntnisakte und -zusammenhange. 
Bevor die wichtigsten Grundzuge der realistischen Theorie der Erkenntnis positiv argumenta- 
tiv dargelegt werden, ist noch einmal auf die Haltlosigkeit der in Kapitel 3 vorgestellten 
Theorien zu verweisen.^^^^ 

Wie aus dem bisherigen Verlauf der Arbeit deutlich wurde, setzten die im Rahmen der KI- 
Forschung uberwiegend vertretenen Theorien letztlich alle eine materialistische Grundpositi- 
on voraus. Materialistische Theorien konnen jedoch die tJbereinstimmung bzw. das „Eins- 
werden" von Begriffen ebenso wenig erklaren wie die Angleichung eines Geistes an das zu 
Erkennende. Sie konnen damit das Wesen der Erkenntnis nicht erreichen respektive erklaren 
und bleiben bei der Untersuchung der „auBerlichen" Aspekte des Erkennens wie dem Ver- 
halten des Gehirns oder des gesamten Organismus stehen.^^^^ Es gilt: „Entweder ist das Ich 
von der Materie abhangig; dann kann es nicht erkennen, weil es ein in den Entwicklungspro- 
zeB eingebundener Teil desselben ist. Oder das Ich ist nicht von der Materie abhangig, steht 
ihr vielmehr als Subjekt frei gegeniiber, dann kann es erkennen."^ ^^^ 

Ganz anders als die materialistische ist die realistische Auffassung von der Erkenntnis. ^^^^ 
Nach ihr ist es der immaterielle Geist, der das Sein und insbesondere die immateriellen For- 
men erfassen und so erkennen kann.^^^^ Um die Einzigartigkeit des menschlichen Erkennens 
zu verstehen, ist es unerlaBlich, zwischen zwei verschiedenen Modi des Erkennens zu unter- 



1343 Ygj jjg welter oben aufgefuhrten Argumente bezuglich der Intelligenz. 

^^^^ Vgl. dazu Kapitel 4.2 sowie das bisher in Kapitel 4.5 Dargelegte. 

^^^^ Es sei hier auch an die in Kapitel 4.5.3 in bezug auf die Seele genannten Argumente gegen die material! sti- 
schen Fehlsichten (insbesondere Emergentismus und Funktionalismus) erinnert, die die Unmoglichkeit einer 
materialistischen Erkenntnis untermauern. 

^^^^ Hennen202. 

^^^^ Vgl. zum Folgenden vor allem Aristoteles: tJber die Seele III; Thomas: Summe der Theologie I, 84 ff.; Ma- 
ritain 129 ff.; Lehmen II.2, 159 ff.; B rugger AVillwoll in: Brugger 90 ff. und Hennen 120 ff. 

^^^^ Der Mensch hat einen naturlichen Drang nach Erkenntnis (vgl. Aristoteles: Metaphysik I, 1) und dessen, u.a. 
technischer, Umsetzung. Die Erkenntnis soil jedoch nicht um der Erkenntnis willen und auch nicht um des 
Leibes oder eines anderen Einzelzieles willen, sondern zur menschlichen Gesamtvollendung erworben wer- 
den. Alle Erkenntnis muB in das Lebensganze und den Sinn des Lebens eingeordnet werden und in diesem 
Sinne einem seinsgerechten Leben dienen. 



284 Anthropologic 



scheiden, dem sinnlichen und dem geistigen Erkennen/^"^^ Wahrend das sinnliche Erkennen 
als eine Leistung der beseelten Sinne auch dem Tier zukommt, wird es einzig beim Menschen 
durch das geistige Erkennen der Geistseele nicht graduell, sondern wesensmaBig ubertroffen, 
so daB man nur hier im voUen Sinne von Erkenntnis sprechen kann. 

Das Wesen der geistigen Erkenntnis liegt in der Angleichung des Geistes an das zu Erken- 
nende.^^^^ Dabei ist das Erkannte im Erkennenden nach der Weise des Erkennenden.^^^^ Das 
bedeutet, daB alles Erkannte, also auch das Materielle bzw. Konkrete, vom Geist in geistiger 
Form erkannt wird.^^^^ Es muB also das geistige „Bild" bzw. die Form des Materiellen, und 
nicht das Materielle bzw. Konkrete selbst, „ini" Geist sein. 

Das geschieht beim Menschen zusammengefaBt folgendermaBen. Zunachst richten sich die 
Sinne auf die auBeren, konkreten Dinge. Die Seele liefert mit Hilfe der Sinnesorgane die zwar 
immateriellen, aber nicht geistiges Sinnesbilder, d.h. vor allem die Wahrnehmungen und An- 
schauungen bzw. Vorstellungen.^^^^ Auf diese Sinnesbilder richtet sich dann der Geist, der - 
wie mehrfach angemerkt - ontologisch mit der menschlichen Seele zusammenfallt und des- 
halb auch Geistseele heiBt. Der Geist nimmt also die Sinnesbilder auf und dringt zum Wesen 
des zu Erkennenden vor. Nach der aristotelisch-scholastischen Abstraktionslehre geschieht 
dies wie folgt.^^^^ Der Geist gewinnt seine Einsicht, indem er vom Akzidentiellen absieht und 
zur Substanz bzw. zum Wesentlichen vordringt bzw. aufsteigt.^^^^ Die Abstraktion ist also zu- 
nachst ein Absehen von (akzidentiellen) SeinsvoUkommenheiten.^^^^ Sie bedeutet jedoch auch 
eine aktive Schopfung des Geistes, da er - durch die Formen (formae in re) mensuriert bzw. 



1349 Ygj 2ur sinnlichen Erkenntnis auch Kapitel 4.4.4. 

^^^^ Vgl. Kapitel 4.2. Die Geistseele ist deshalb „gewissermaBen alles" oder auch die „Form der Formen". Vgl. 

Aristoteles: LFber die Seele III, 8. 

Vom Erkennen wird auch gesagt, es sei die bewufit erlebte Angleichung des Geistes an die Wirklichkeit. 

Vgl. Titze 70. 
^^^^ Vgl. Aristoteles: tJber die Seele; Thomas: Summe der Theologie I, 84, 1 sowie Lehmen I, 216 f. und II. 2, 

163 ff. 
^^^^ Weil Gleiches durch Gleiches erkannt wird, ergibt sich erst recht fur das Geistige, daB es geistig erkannt 

werden muB. 
^^" Schon die Sinnesbilder konnen unmoglich aus einem rein materiellen System und insbesondere nicht durch 

Algorithmen erklart werden. Vgl. zur Sinneserkenntnis Kapitel 4.4.4 und Lehmen II. 2, 159 ff., 187 ff. sowie 

Hennen 135 ff. und 160 f. Zur Sinneserkenntnis als Voraussetzung fur die geistige Erkenntnis vgl. auch 

Lehmen II.2, 243 ff. und 285 ff. 
^^^^ Vgl. neben den schon genannten Quellen auch Kapitel 4.2.2, Lehmen II. 2, 259 ff. und Vries in: Brugger 2 ff. 
^^^^ Vgl. Hennen 288 ff. Zu Substanz und Akzidens sowie zur Form vgl. auch Kapitel 4.3.2. 
1^56 Vgl. Vries 1937, 276 ff. Es ist zu betonen, daB auch durch den umgekehrten Weg, namlich das Zuriickfuhren 

des Unvollkommenen auf das Vollkommenere, Erkenntnis gewonnen wird. In diesem Sinne kommt die na- 

turliche Theologie (Kapitel 4.3.3) durch Absehen von Seinsw^vollkommenheiten zu Gott als der reinen 

Vollkommenheit. 



Anthropologic 285 



infomiiert - die Begriffe mit Blick auf die Formen bzw. das Wesen aktiv nachbildet/^^^ Die 
Form bildet damit das notwendige Bindeglied zwischen dem Sein und dem Erkennen. Das In- 
einandergreifen der wahrnehmbaren Welt (mundus sensibilis) und der intelligiblen Welt 
(mundus intelligibilis) ist die unaufgebbare Gmndlage fiir die Moglichkeit der Erkenntnis.^^^^ 

Erkenntnis besteht also im Aufstieg von den zufalligen Tatsachen zu den notwendigen Ge- 
setzmaBigkeiten bzw. Wahrheiten; von den einzelnen, auBeren, raum-zeitlichen Erscheinun- 
gen zum durch den Begriff erfaBten „inneren" Wesen. Die durch die Sinne vermittelte 
Washeit der sinnlichen Dinge (quidditas rei sensibilis) ist dabei das erste Objekt der Erkennt- 
nis.^ ^^^ Im AnschluB daran schreitet die Erkenntnis durch weitere Abstraktion iiber Art, Gat- 
tung und Kategorie bis zum Sein und zur Wahrheit selbst fort.^^^^ 

Wie bereits bei der Untersuchung der Intelligenz erwahnt, kann man in bezug auf das Erken- 
nen Intellekt und Ratio unterscheiden.^^^^ Ihnen entspricht intuitives und diskursives Erken- 
nen. Dabei versteht man unter Intuition die unmittelbare geistige Erkenntnis des Verstandes, 
durch die schauhaft insbesondere die Wesensgehalte bzw. Begriffsinhalte erfaBt werden. Dis- 
kursives Erkennen dagegen ist das durch andere Erkenntnisse vermittelte Erkennen, also das 
SchlieBen. Der Begriff der „Intuition" wird von Naturwissenschaftlem haufig vorschnell als 
Erklarung fiir tatsachlich oder vermeintlich sichere und nicht selten angeblich unhinterfragba- 
re Erkenntnisse verwendet.^^^^ Dagegen ist zu sagen, daB die intuitive Schau von Zusammen- 
hangen oft nachtraglich durch methodisches, rationales Denken gerechtfertigt werden kann 
und im allgemeinen sogar muB. Andererseits ist - wie bereits in Kapitel 4.2.4 - darauf zu 
verweisen, daB nicht alles Erkennen rational sein kann, weil es notwendigerweise erste, un- 
mittelbare Wahrheiten geben muB, die nicht diskursiv auf andere zuriickgefuhrt werden kon- 
nen. Diskursives Erkennen schlieBt also intuitives ein, aber nicht andersherum. 



^^^^ Die „formae ante rem" dagegen sind die „Urformen" bzw. die ewigen, gottlichen Ideen, nach denen den 

Dingen ihr Sein und Wesen zukommen soil. 

Weil die Begriffsbildung durch die Einwirkung des Wirklichen angestoBen wird und sich am objektiv Vor- 

gegebenen ausrichtet, ist jede Art von erkenntnistheoretischem Konstruktivismus ausgeschlossen. 
^^^^ Durch die gewaltsame Trennung zwischen Phanomen und Noumen, die beispielsweise Kant forderte, zer- 

reiBt man unwiderruflich das Band zwischen Subjekt und Erkenntnisobjekt und kann so das Erkennen letzt- 

lich nicht erklaren. 
^^^^ Vgl. Vries 1937, 156 f. und Lehmen II. 2, 250 ff. Zunachst das Einzelding und spater das gesamte Sein ist 

dabei das Materialobjekt der geistigen Erkenntnis, das Allgemeine, Wesenhafte, Notwendige sein For- 

malobjekt. Zur grundsatzlichen Wahrheit der Sinneserkenntnis vgl. Kapitel 4.2.3 und Hennen 130. 
^^^^ Siehe zur Reihenfolge des durch den Geist Erkannten auch die Behandlung des SelbstbewuBtseins in Kapitel 

4.5.6. 
^^^^ Vgl. Lotz/Vries 65; Vries 118, 161 f. und Lotz in: Brugger 17 ff. 
^^^^ Intuition ist im ubrigen auch kein unbewufites Erkennen oder Entscheiden und erst recht nicht Instinkt. 



286 Anthropologic 



Nach allem iiber die Geistseele im allgemeinen und das Denken und die Intelligenz im beson- 
deren Gesagten muB an dieser Stelle nur noch kurz festgestellt werden, daB materialistische 
Theorien Erkenntnis nicht erklaren konnen. Verstandes- und Vernunftakte sind rein geistige 
Tatigkeiten/^^^ Auch und gerade das Gehirn kann die Angleichung eines Geistes an das zu 
Erkennende in keiner Weise begriinden. Selbst die seelischen und erst recht die geistigen Er- 
kenntnisleistungen verweisen notwendig auf eine einfache, immaterielle Substanz als Trager 
der Erkenntnis.^ ^^^ 

Gegen die in Kapitel 3 mehrfach vertretene Verkiirzung des Begriffs Wissen ist hier folgen- 
des zu sagen. Wissen im VoUsinne beginnt jenseits der Wahrnehmung und sinnlichen Vor- 
stellung. Es ist die geistige Einsicht in Griinde und richtet sich vor allem auf Notwendigkei- 
ten. Wissen ist im Gegensatz zum Meinen allgemein und mittels notwendiger Satze gewon- 
nen.^^^^ Wissen und damit auch Lernen kann also nicht empiristisch, behaviouristisch, funk- 
tionalistisch oder ahnlich verstanden werden. Dem Wissen ubergeordnet ist die Tugend der 
Klugheit. Sie beruht auf Wissen und ist die Befahigung, seinsgerecht iiber die angemessenen 
Mittel zur Erreichung von - insbesondere praktischen - Zielen zu urteilen.^^^^ Die hochste 
Form des Wissens schlieBlich ist die Weisheit, welche das Wissen um die hochsten und ersten 
Griinde bzw. Ziele des Seienden ist.^^^^ 

Bezogen auf die KI kann zum Erkennen folgendes resiimiert werden: Wie bereits im Rahmen 
der Logik (Kapitel 4.2.2) gezeigt, kann man bei formalen Systemen wie etwa Turingmaschi- 
nen unmoglich vom Erkennen sprechen, da ihnen die unmittelbare Anschauung bzw. Intuiti- 
on, die auf das immaterielle Wesen gerichtete Begriffsbildung und das am Sein ausgerichtete 
Urteilen voUstandig fehlen.^^^^ Die Form bzw. das Wesen kann nur von einfachen, immate- 
riellen GroBen aufgenommen und erkannt bzw. verstanden werden. AusschlieBlich die Seele 



^^^^ Vgl. Lehmen 11.2, 230 ff. 

^^^^ Weil der Geist einfach ist, kann er auch keine Telle haben, die jeweils ftir ein Stiick seiner Erkenntnisse bzw. 
seines Wissens verantwortlich waren. In diesem Sinn kann es auch keine Gcistcsteile geben, die etwas Sei- 
endes oder Seinszusammenhange reprasentieren. 

^^^^ Vgl. Aristoteles: Zweite Analytik I, 33. 

^^^^ Vgl. Kleinhappl/Rotter in: Brugger 415 f. 

^^^^ Vgl. Vries in: Brugger 453. 

^^^^ Mit Blick auf die Ergebnisse Godels muB zudem folgendes gesagt werden: Jedes System hat Voraussetzun- 
gen auBerhalb seiner selbst. „Wie Godel zeigte, kann kein solches System je ausreichen, auch nur jene Aus- 
sagen der Arithmetik zu beweisen, deren Wahrheit sich im Prinzip durch menschliche Intuition und Einsicht 
erschlieBen laBt - und deshalb lassen sich menschliche Intuition und Einsicht nicht auf ein System von Re- 
geln reduzieren." Penrose 1995, 82. Zur Bedeutung von Godel fur den Unterschied zwischen Mensch und 
Maschine siehe Penrose 1991, 103 ff. und 406 ff. sowie Penrose 1995, 205 ff. und Deku 418 ff. 
Zu einer ausfuhrlichen, mathematischen Darstellung der Godelgleichungen siehe Leidlmair/Neumaier 41 ff. 



Anthropologic 287 



bzw. der Geist kann die Einheit der Wahmehmung bzw. der Erkenntnis garantieren/^^^ Einzig 
der Mensch mit seinem Geist und nicht das Tier oder die KI ist zur Abstraktion, d.h. zur durch 
Begriffe vermittelten Einsicht in das immaterielle Wesen der Dinge, fahig. Nur der einfache, 
intelligible Geist ist „kompatiber' mit den in die Natur „versenkten" intelligiblen Wesensfor- 
men und kann sie deshalb erkennen, die aus Teilsystemen zusammengesetzte KI dagegen 
nicht. Weil es nicht in der Macht des Menschen steht, eine einfache Substanz wie den Geist 
zu schaffen, kann ein erkennendes Wesen technisch allenfalls imitiert, modelliert oder simu- 
liert, jedoch nie reproduziert, kopiert oder kreiert werden.^"^ 

Nachdem sich erwiesen hat, daB das Denken und Erkennen notwendig auf eine geistige Seele 
verweisen, wird das nachste Kapitel darlegen, daB auch der freie Wille nur als ein Akt bzw. 
ein Vermogen einer Geistseele verstanden werden kann. 



^^^^ Vgl. Hennen 126 f. 

^^^^ Vgl. die welter oben aufgefuhrten Argumente bezuglich der Intelligenz. 



288 Anthropologic 



4.5.5 Wille und Freiheit 

Vor dem Hintergrund der geistigen Seele des Menschen sind in diesem Kapitel das Wesen des 
Willens und die Frage nach dessen Freiheit zu untersuchen. 

Bevor der Wille positiv definiert und erlautert wird, sind zunachst einmal die dem Realismus 
widersprechenden Positionen beziiglich des Willens zu entkraften. Die mit Abstand wichtig- 
ste und verbreitetste Leugnung des freien Willens basiert auf der Lehre des physikalisch be- 
griindeten Determinismus, der sich auf den Kausalsatz stiitzt/^^^ Nach diesem induktiv ge- 
wonnenen Satz sollen gleiche Ursachen notwendig gleiche Wirkungen im Sinne einer ein- 
deutigen Festlegung alien Geschehens durch die Gesamtheit der am Geschehen beteiligten 
(physikalischen) GroBen haben. Dies laBt sich jedoch weder naturwissenschaftlich noch phi- 
losophisch halten. Der philosophische Grund dafiir liegt darin, daB der Kausalsatz nicht not- 
wendig aus dem metaphysischen Kausalprinzip folgt, denn das nur bedingt Seiende kann an- 
deres bedingt Seiendes bzw. Wirkendes nicht notwendig erklaren.^^^^ Sofern er uberhaupt an- 
gewendet werden kann, ist festzuhalten, daB der Kausalsatz auf die physikalische und unter- 
geistige Natur eingeschrankt ist.^"^ Auch aus physikalischer Sicht ist der Determinismus alles 
andere als erwiesen. Auf der Ebene der Quanten ist ein Determinismus hochst unwahrschein- 
lich bzw. umstritten, wie anhand der Darstellung einiger quantenphysikalischer Hauptauffas- 
sungen deutlich wurde.^^^^ Es sei auch auf medizinisch-biologische Versuche gegen den De- 
terminismus verwiesen. ^ ^ ^ ^ 



Vgl. zum Kausalsatz Kapitel 4.3.2 und gegen den physikalischen und psychologischen Determinismus 
Willwoll in: Brugger 60 f. sowie Lehmen II. 2, 358 und 379 ff. Gegen die angeblich absolute Geltung der 
Naturgesetze siehe auch Lehmen II. 1, 161 ff. 

Noch weniger als das Wirken kann das Sein des Kontingenten durch den physikalischen Kausalsatz oder gar 
durch Wahrscheinlichkeiten erklart werden. 

Aus diesem Grund sind auch Energie- und Materie-Erhaltungssatze keine schlagkraftigen Einwande gegen 
das Sein und Wirken von Geistwesen und noch weniger gegen das Schopfen Gottes. Siehe dazu Lehmen III, 
52 f. 

Vgl. die quantenphysikalischen Grundlagen in Kapitel 3.4. Problematisch ist beispielsweise auch, daB phy- 
sikalisch verstandene Kausalitat sich nach der Relativitatstheorie maximal mit Lichtgeschwindigkeit aus- 
breiten konnen soil, Quantenexperimente jedoch eine sofortige Wirkung (etwa bei der Veranderung bzw. 
Festlegung des Spins bei verschrankten Teilchen) nahelegen. 

Gegen die deterministische Ruckfuhrung und Reduzierung geistiger Akte auf physio-chemische Vorgange 
spricht folgendes Ergebnis der Hirnbeobachtung von gewollten Bewegungen: „Selbst die sorgfaltigste Un- 
tersuchung (screening) des Gehirns einer Versuchsperson konnte keinerlei vorhergehende modulare Bewe- 
gungsmuster und Erregungen entdecken, die das modulare Bereitschaftspotential (readiness potential) und 
jene Erregungsmuster hatten erklaren konnen, die der leiblichen Bewegung vorangingen [im Gegensatz etwa 
zur Messung von Schmerzreaktionen; Anmerkung R. £".]. Also scheinen alle empirischen Evidenzen anzu- 
zeigen, daB diese modularen Bewegungsmuster in Form einer plotzlichen Erscheinung auftreten, unabhangig 
von jedem vorhergehenden Gehirnzustand und gerade nur dann, wenn die Versuchsperson aktiv werden will. 
Mit anderen Worten, diese Ergebnisse bestatigen in faszinierender Weise, [...] daB bei jeder willentlichen 
Bewegung ein objektiv bestehender und auch erfahrungsmaBig feststellbarer Einbruch der Ordnung des Gei- 
stes und Willens auf die Welt des Leibes stattfindet und daB die Quelle solcher leiblicher und korperlich- 



Anthropologic 289 



Insofern der Determinismus seinen Ausgang vom Materialismus nimmt, ist er aufgrund des- 
sen Widerlegung (vgl. Kapitel 4.3.2 und 4.5.3) von vornherein unhaltbar. In diesem Zusam- 
menhang ist auch darauf hinzuweisen, daB Wirkursachen keinesfalls die einzigen Ursachen 
sind und daB dementsprechend u.a. auch die teleologischen Ursachen bei der Untersuchung 
des menschlichen Verhaltens mitbetrachtet werden miissen.^^^^ Weil es keine Festlegung alien 
(materiellen) Geschehens durch die Gesamtheit der beteiligten physikalischen GroBen und 
Zustande gibt, konnen weder die Elementarteilchen noch die Gene, das Gehirn, das zentrale 
Nervensystem oder sonstige materielle GroBen oder Systeme den Willen des Menschen de- 
terminieren. Daraus folgt jedoch kein exzessiver Indeterminismus, nach dem der menschliche 
Wille absolut motivlos, uneingeschrankt oder gar unabhangig ist. Vielmehr ist es so, daB sehr 
wohl Gesetze bzw. Grenzen vorgegeben sind, innerhalb derer sich der Wille bewegt. Ohne 
verlaBliche Naturgesetze beispielsweise konnte gar nicht frei und verantwortlich entschieden 
werden, da die Folgen jeder Handlung und damit die Zukunft voUig undurchschaubar waren. 
Auch die Tatsache, daB es aufgrund bekannter RegelmaBigkeiten teilweise moglich ist, den 
Willen anderer vorherzusagen, bedeutet keinesfalls, daB dieser unfrei oder gar inexistent 
ist.^^^^ Der Wille kann auch unmoglich auf den Zufall zuriickgefuhrt oder gar mit ihm gleich- 
gesetzt werden.^ ^^^ Das ergibt sich neben dem weiter unten Auszufuhrenden schon daraus, daB 
es keinen absoluten Zufall gibt und der Zufall weder das regelmaBige BewuBtsein der eigenen 
Entscheidungen als solcher noch die ethischen Aspekte des Willens erklaren kann. SchlieBlich 
ist noch darauf zu verweisen, daB die Lehre von einem mangelnden oder unfreien Willen eine 
ethische Katastrophe bedeuten wurde.^^^^ Ein gemeinschaftliches Zusammenleben ware un- 
moglich, weil mit dem Willen auch jede Verantwortung und damit etwa der Sinn der Recht- 
sprechung. Strafe, Belohnung und dergleichen ausgeschlossen ware.^^^^ 

Ganz anders dagegen ist die realistische Auffassung vom Willen.^^^^ Nach ihr gilt es zunachst 
zwischen dem sinnlichen und dem geistigen Begehren bzw. Streben zu unterscheiden. Das 



physiologischer Veranderungen nicht im Gehirn selbst liegt, sondern im Willen der Person [...]". Seifert 
1989, 195 f., wo der Autor die Ergebnisse des Nobelpreistragers fiir Medizin John C. Eccles sowie die ge- 
meinsamen Veroffentlichungen von Popper und Eccles philosophisch auswertet. 

1376 Y)^^ Wille kann namlich durch zukiinftige Dinge, Ziele oder Wunsche und nicht ausschlieBlich durch ver- 
gangene und aktuelle Zustande geleitet werden. Vgl. zu den verschiedenen Ursachen Kapitel 4.3.2. 

^"^ Vgl. Lehmen II.2, 377 f. 

^"^ Vgl. zum Zufall Kapitel 4.3.2. 

^"^ Was soil man in diesem Zusammenhang von folgender Aussage halten: „If science tells us that we lack free- 
dom, we may be less likely to try to exercise it." (Boden in: Boden 1996, 95)? 

^^^^ Vgl. zur ethischen Unhaltbarkeit der Leugnung des Willens Lehmen II. 2, 371 ff. 

^^^^ Vgl. dazu vor allem Aristoteles: Nikomachische Ethik III, 3 ff.; Thomas: Summe der Theologie I, 80 ff.; 
Lehmen II.2, 334 ff.; Lotz/Vries 1 19 ff. und WillwoU in: Brugger 465 ff. 



290 Anthropologic 



sinnliche Begehren ist seelisch-organischen Charakters. Es ist das sinnliche Streben nach 
sinnlich erfaBten Giitern bzw. Zielen. Das sinnliche Begehren findet sich bereits beim Tier. 
Das geistige Begehren oder mit anderen Worte der Wille dagegen setzt den Geist voraus und 
ist deshalb in der sichtbaren Welt dem Menschen vorbehalten. Der Wille ist das geistige Stre- 
ben nach geistig erkannten bzw. zu erkennenden Giitern und Zielen. Insofern der Wille sich 
nicht auf ein erst noch zu erwerbendes oder zu verwirklichendes Gut bezieht, bedeutet er die 
Bejahung dieses Gutes oder mit anderen Worten die Liebe zu ihm. Das geistige Strebevermo- 
gen bzw. der Wille selbst kann nicht entstehen, insbesondere auch nicht aus dem sinnlichen 
Begehrungsvermogen, da er eine mit dem immer schon voUstandigen Sein des Geistes gege- 
bene Potenz desselben ist.^^^^ Der Wille ist - wie das Erkenntnisvermogen - eine urspriingli- 
che und nicht ableitbare Fahigkeit der Geistseele. 

Zwischen dem Erkennen und dem WoUen gibt es starke Analogien, weshalb die fur das Er- 
kennen genannten Argumente groBtenteils auf das WoUen ubertragen werden konnen.^^^^ Fiir 
das WoUen gilt ebenfalls, daB es einen geistigen Trager, d.h. Geist voraussetzt, weil seine 
Akte nichtstoffliches, ja intelligibles Sein betreffen.^^^^ Es laBt sich damit unmoglich materia- 
listisch verstehen und ist vom sinnlichen Begehren nicht graduell, sondem wesensmaBig ver- 
schieden. Auch und gerade das Gehirn kann das Bejahen und Anstreben intelligibler Giiter 
nicht begriinden. Schon das seelische Streben und erst recht der geistige Wille verweisen 
notwendig auf eine einfache, immaterielle Substanz als Trager des Strebens. 

Wille und Erkenntnis hangen sehr eng miteinander zusammen. Der Wille ist mit der Geistig- 
keit und insbesondere der Verniinftigkeit gegeben, denn ohne die Fahigkeit, ein Gut anzustre- 
ben, ware die Erkenntnis desselben letztlich widersinnig. Andererseits bedarf ein geistiges 
Streben auch einer angemessenen Erkenntnis, so daB der Wille ohne die geistige Erkenntnis 
ebenfalls nicht sinnvoU denkbar ware. Als die beiden Grundweisen geistiger Tatigkeit haben 
Erkennen und WoUen wechselseitigen EinfluB aufeinander. Einerseits setzt das WoUen eines 
Gutes dessen Erkenntnis voraus, andererseits kann ein Gut im allgemeinen nur erkannt wer- 
den, wenn der Wille die Aufmerksamkeit bzw. das Erkenntnisvermogen auf dieses Gut lenkt. 



^^^^ So wie der Geist nicht aus der wesensfremden und weniger seinsmachtigen Seele entstehen kann, so auch 

nicht die geistigen Fahigkeiten aus den seelischen. 
^^^^ Vgl. deshalb unbedingt Kapitel 4.5.4. Es gibt jedoch auch Unterschiede zwischen Begehren und Erkennen. 

So kann es beispielsweise im Gegensatz zur Erkenntnis beim Willen zwischen den sinnlichen und geistigen 

Akten bezuglich des selben Objektes einen Widerstreit geben, weil die einen es anstreben und die andern es 

fliehen. Vgl. dazu und zu weiteren Unterschieden Lehmen II. 2, 336 f. 
^^^^ Damit ist auch der „intentional stance" (vgl. Kapitel 3.1.5) widerlegt, nach dem es keinen (freien) Willen 

gibt bzw. dieser nur eine geschicktere Beschreibung der physikalischen, funktionalen oder anderer Gege- 

benheiten ist. 



Anthropologic 291 



Da man alles um des Guten willen anstrebt, geht der Wille letztlich immer auf das Gute/^^^ 
Der Wille kann nur das Gute als solches begehren. So wie das Formalobjekt des Erkennens 
das Wahre ist, so ist das Formalobjekt des Willens das Gute. Der Umfang des durch den Wil- 
len ErfaBbaren ist durch den Umfang des geistig ErfaBbaren gegeben: „Wahrend sinnliches 
Streben (Trieb) auf den engen Bereich sinnlicher Annehmlichkeitsguter eingeengt ist, hat der 
W[ille] ein unbeschranktes Gegenstandsgebiet."^^^^ Wegen der Transzendentalitat des Seins, 
d.h. dessen Wahr- und Gutsein, fallt das Materialobjekt des Erkennens mit dem des WoUens 
zusammen; es ist das gesamte Sein. 

Wie das geistige Erkenntnisvermogen, so ist auch der Wille innerlich unabhangig vom Leib, 
mit anderen Worten eine rein geistige Tatigkeit. AUerdings werden die WillensauBerungen im 
allgemeinen vom sinnlichen Begehrungsvermogen begleitet.^^^^ Wie bereits mehrfach ange- 
fiihrt, ist das Gehirn nicht (Haupt-)Ursache geistiger Tatigkeiten im allgemeinen und damit 
auch nicht des Wollens im besonderen.^^^^ Es ist nur indirekte Instrumentalursache, und zwar 
wahrend der Verbindung mit dem Leib. Insofern der Leib durch seine Organe der Geistseele 
Sinnesbilder und sinnliche Antriebe fiir die geistige Durchleuchtung und das geistige Anstre- 
ben erkannter Guter liefert, ist er Bedingung fiir die darauf aufbauenden geistigen Tatigkei- 
ten. Aufgrund der Einheit der Geistseele gibt es neben dem EinfluB des sinnlichen auf das 
geistige auch eine Wirkung des geistigen auf das sinnliche bzw. leibliche Streben. ^^^^ DaB 
auch das Gehirn nur ein Werkzeug der Geistseele und damit des geistigen Wollens ist, zeigt 
sich u.a. daran, daB beim Ausfall einiger Gehirnteile andere Gehirnteile deren Aufgaben iiber- 
nehmen konnen. Weil der Geist also nicht in alien seinen Strebetatigkeiten an den Leib ge- 
bunden ist, d.h. von ihm innerlich unabhangig ist, kann die menschliche Geistseele - nach der 
Trennung vom Leib, d.h. potentiell - ohne Leib woUen. 

Mit der Frage nach dem Zusammenhang von Leib und Willen ergibt sich auch das Problem 
der Selbstbewegung. Wie kann sich ein aus vielen Teilen zusammengesetztes Lebewesen als 
Ganzes gezielt selbst bewegen? Die Antwort lautet, daB es von der den gesamten Leib durch- 
dringenden Geistseele bzw. ihrem Strebevermogen bewegt wird. Insofern es sich um ein leib- 
lich-seelisches Streben handelt, ist es die Seele, die den Leib von der Potenz in den Akt iiber- 



^^^^ Das angestrebte Gute muB dem Menschen angemessen sein und seiner Vervollkommnung dienen oder min- 
destens in begriindeter Weise angemessen erscheinen. Vgl. Boethius: Trost der Philosophie III sowie Leh- 
men 11.2, 349 ff. und 397 f . 

13^6 ^iiiwoll in: Brugger 465. Vgl. zum geistigen Erkennen Kapitel 4.5.4. 

^^^' Vgl. Lehmen II.2, 421 ff. 

^^^^ Vgl. Kapitel 4.5.3 f.; Lehmen I, 414 ff. und II.2, 243 ff. sowie Hennen 200 ff. und 339 ff. 

^^^^ Vgl. die Behandlung des Leib-Seele-Problems in Kapitel 4.5.3 und Lehmen II.2, 403 ff. 



292 Anthropologic 



fiihrt. Beim rein geistigen Streben des Willens ist es die von der Materie innerlich unabhangi- 
ge und nichtstoffliche Geistsubstanz, die sich - weil nicht zusammengesetzt - selbst auf ein 
Ziel bin bewegt. Dazu ist jedoch anzumerken, daB, wie fiir alles Kontingente, auch fur die 
Geistseele gilt, daB eine tJberfiihrung von der Moglichkeit in die Wirklichkeit immer eine be- 
reits wirkliche Ursache voraussetzt/^^^ Damit sich die Geistseele selbst bewegen kann, bedarf 
sie - wie iiberhaupt alle geschopflichen Akte - der Mitwirkung Gottes, weil das Kontingente 
nicht nur in seinem Sein, sondem auch in seinem Wirken stets von Gott abhangig bleibt. 

In diesem Zusammenhang ist nachfolgend auf die Freiheit des Willens einzugehen.^^^^ Man 
unterscheidet dufiere und innere Freiheit sowie Freiheit von und zu etwas.^^^^ Die auBere Frei- 
heit (Handlungsfreiheit) bedeutet die Abwesenheit von physischen Hindernissen, die die 
Verwirklichung des willentlich Angestrebten hindern konnen. Die auBere Freiheit des Men- 
schen ist - schon alleine durch seine Endlichkeit - begrenzt, verweist jedoch auf die innere 
Freiheit. Diese innere Freiheit liegt im Wesen des Geistes begriindet und ist aufgrund der 
tJberlegenheit des Geistes gegeniiber dem Leib die eigentliche Freiheit.^ ^^^ Insofern der Wille 
(nur) frei von auBeren oder inneren Zwangen ist, bedeutet er die selbstbestimmte Wahlfrei- 
heit. Die Freiheit im voUen Sinne ist jedoch erst erreicht, wenn der geistdirigierte Wille sich 
auf das Gute wendet, also/r^/ zu den ihm angemessenen Akten ist.^^^^ Wie bereits von Augu- 
stinus erkannt, besteht das moralisch Gute im richtigen Gebrauch des ontologisch Guten und 
entsprechend das Bose im falschen Gebrauch des ontologisch Guten. Das moralisch Gute ist 
dementsprechend nur moglich, wenn Wesen und Ordnungszusammenhange des Ontologi- 
schen erkannt wurden, mit anderen Worten: Freiheit setzt geistige Erkenntnis voraus. Freiheit 
bedeutet also keine Autonomic (d.h. Selbstgesetzlichkeit), wie beispielsweise Kant es will,^^^^ 
sondern die auf geistiger Erkenntnis beruhende, bejahende Einordnung in die Seinsordnung 



^^^° Vgl. Lehmen 11.2, 7 f., 390 f. und 473 sowie m, 53 ff., 178 ff. und 221 ff. 

^^^^ Vgl. zur Freiheit vor allem Thomas: Summe der Theologie I, 82 f.; Augustinus: Der freie Wille; Brugger in: 

Brugger 112 f.; Willwoll in: Brugger 467 ff.; Lehmen I, 415 f. sowie II.2, 357 ff. und IV, 195 ff.; Hennen 

201 f. sowie Lotz/Vries 119 f. und 136 ff. 
^^^^ Nach den bereits widerlegten Auffassungen des Materialismus bzw. Determinismus ware letztlich jede die- 

ser Formen von Freiheit unmoglich. 
^^^^ Aus diesem Grund konnte Schiller sagen: „Der Mensch ist frei und wiird' er in Ketten geboren." 
^^^^ Die Freiheit kann durch Unwissenheit, Begierde, Furcht und dergleichen eingeschrankt sein. Vgl. Lehmen 

IV, 31 ff. 
^^^^ Treffend halt Willmann gegen den Autonomismus Kants fest: „Niemand soil ihm etwas zu sagen haben, 

auch die Dinge nicht, und was sie ihm sagen, soil nur sein, was er ihnen vorher gesagt hat." Willmann III, 

297. Vgl. zum Autonomismus Kants auch: Kritik der reinen Vernunft A 126 ff. oder B 159 ff. 



Anthropologic 293 



und die daraus resultierende Wahl der zur Vollendung des Endlichen geeigneten GUter/^^^ 
Mit Matthias Claudius laBt sich zur Freiheit sagen: „Und der ist nicht frei, der da will tun 
konnen, was er will [das ware Willkiir; Anmerkung R. £".], sondern der ist frei, der da wollen 
kann, was er tun soU."^^^^ 

Der Mensch ist die Ursache seiner Handlungen, die er durch seinen Willen bewuBt selbst be- 
stimmen kann; sein Wille ist frei.^^^^ Die Freiheit des Willens folgt auBer aus dem Wesen des 
vemiinftigen Geistes auch noch aus folgendem Grund: Als eine Fahigkeit des subsistierenden 
Geistes kann der Wille nicht von der Materie bestimmt bzw. gezwungen werden.^^^^ Weil 
Menschen nur einen indirekten EinfluB auf den Geist anderer Menschen ausuben konnen und 
deren Freiheit nicht verwirken konnen,^ ^^^ bliebe also nur noch Gott als moglicher Freiheits- 
verhinderer. In diesem Sinn wird beispielsweise der Einwand erhoben, daB Gott jeden 
menschlichen Akt (wie uberhaupt alles) vorhersieht und er deshalb nicht vermieden werden 
konne. Dagegen muB gesagt werden, daB man grundsatzlich zwischen Vorsehung im Sinne 
von Novh'dTwissen einerseits und YovhtYbestimmung andererseits unterscheiden muB.^^^^ Da 
Gott als der Absolute und Ewige iiber jeder Zeit steht und in der ewigen Gegenwart lebt, kann 
ihn kein EntschluB und kein Vorgehen „uberraschen".^^^^ Er weiB deshalb tatsachlich immer 
schon alles im „voraus". Daraus folgt jedoch in keiner Weise, daB er auf die Akte der Geist- 
seele einen (unwiderstehbaren) EinfluB nimmt. Obwohl Gott als das bonum omnis boni, als 
Gut jeden Gutes also, sich standig der Person anbietet, also als anziehende Finalursache wirkt, 
notigt er jedoch niemanden.^^^^ Aus der Realitat des in der Welt vorhandenen Bosen laBt sich 
gerade mit Blick auf Gott die menschliche Freiheit folgendermaBen beweisen: Es gibt bose 
Entscheidungen des Menschen. Gott ist absolut gut und kann das Rose nicht wollen bzw. wir- 



^^^^ Zu diesem richtigen Denken und Handeln und damit zur echten Freiheit bedarf der Mensch der lebenslangen 

Erziehung. Zur Lehre vom seinsgerechten Handeln, d.h. zur Ethik, und zum Gewissen, die an dieser Stelle 

leider nicht behandelt werden konnen, siehe Wittmann; Lehmen IV; Messner; Meyer 1960; Kalin II sowie 

EraBme 1997. 
^^^^ In: An meinen Sohn Johannes. 
^^^^ Vgl. Aristoteles: Nikomachische Ethik III, 3 ff. und Dempf 304 ff. Zum Zeugnis, das das BewuBtsein von 

der Freiheit gibt, vgl. auch Lehmen II. 2, 364 ff. Weil der Wille das Ziel von Handlungen vorgeben kann, 

kann er auch teleologische Ursache genannt werden. 
^^^^ Gegen den (materialistischen) Determinismus siehe die Ausfuhrungen weiter oben. 
1400 ^^j^g dieser EinfluB auf Freiheit gegriindet, so stunde die Freiheit von vornherein fest. Eine unfreie Verhin- 

derung der Freiheit anderer wurde die Frage nach der menschlichen Freiheit ebenfalls nicht losen. 
^^^^ Vgl. zur Frage nach der menschlichen Freiheit in bezug auf Gott Lehmen III, 171 ff. 
^^^^ Vgl. Thomas: Summe der Theologie I, 14 und 22 f.; Boethius: Trost der Philosophic V sowie zum Sein und 

zum „ Wesen" Gottes auch Kapitel 4.3.3. 
^^^^ Dagegen spricht auch nicht, daB jeder Akt und damit auch der Willensakt der gottlichen Mithilfe bedarf, 

denn diese ist im Falle des Willens eine (moralisch) indifferente. Der Mensch ist also (von Gott) aufgerufen, 

zwar nicht in absoluter, aber doch in groBtmoglicher Selbstbestimmung und damit Selbstverantwortung (ge- 

genliber Gott) auf seine eigene Vervollkommnung hinzuwirken. 



294 Anthropologic 



ken. Die untergeistigen Substanzen haben weder Einsicht in Gut und Bose noch die Macht, 
den Geist zu zwingen. Also geht die bose Entscheidung (und die Entscheidung im allgemei- 
nen) auf den menschlichen Geist zuriick. „Die Schuld liegt beim Wahlenden; Gott ist schuld- 

los/'^^^^ 

Bezogen auf die KI kann zum Willen folgendes resumiert werden: Wille setzt geistige Er- 
kenntnis voraus und ist schon deshalb in der sichtbaren Welt dem Menschen vorbehalten.^^^^ 
Nur der einfache, intelligible Geist ist „kompatiber' mit den uberzeitlichen und uberraumli- 
chen Giitern und kann sie deshalb anstreben, die aus Teilsystemen zusammengesetzte KI da- 
gegen nicht.^^^^ Auch ist es ausschlieBlich der Geist, der die Einheit des Willens garantieren 
kann.^^^^ Einzig der Mensch mit seinem Geist und nicht das Tier oder die KI ist zur freien 
Willensentscheidung, d.h. insbesondere zur liebenden Bindung an das Gute fahig.^^^^ Weil es 
nicht in der Macht des Menschen steht, eine einfache Substanz wie den Geist zu schaffen, 
kann ein frei woUendes Wesen technisch allenfalls imitiert, modelliert oder simuliert, jedoch 
nie reproduziert, kopiert oder kreiert werden.^ ^^^ 

Nachdem sich erwiesen hat, daB Erkenntnisvermogen und Wille notwendig auf eine immate- 
rielle Seele verweisen, wird das nachste Kapitel darlegen, daB dies auch fiir das BewuBtsein 
bzw. SelbstbewuBtsein gilt. 



'4°' Platen: Der StaatX (617). 

Einzig der Mensch kann die Bedeutung und den Sinn der eigenen Handlungen im vollen Sinn erkennen und 

ist deshalb auch fiir sie verantwortlich. Siehe zum Verhaltnis Gottes zum Bosen und zum tJbel auch Lehmen 

III, 240 ff . 
''^' Vgl. Kapitel 4.5.4. 
^^^^ In diese Richtung zielt auch das folgende Zitat: „Computer konnen keinen freien Willen haben, da sie keinen 

freien Geist, sondern nur Schaltkreise haben." Bruns 4. 
^^^' Vgl. Hennenl26f. 

^^^^ Vgl. dazu neben dem bisher Gesagten auch Titze 35 ff. 
^^^'^ Vgl. die weiter oben aufgefiihrten Argumente beziiglich Intelligenz, Denken und Erkenntnis. 



Anthropologic 295 



4.5.6 BewuBtsein und SelbstbewuBtsein 

Als Folge des sinnlichen sowie geistigen Erkenntnisvermogens verfugt der Mensch iiber Be- 
wuBtsein^"^^^ bzw. SelbstbewuBtsein, die es nachfolgend zu unterscheiden und zu untersuchen 
gilt. Bevor die wichtigsten Grundzuge der realistischen Theorie des BewuBtseins positiv ar- 
gumentativ dargelegt werden, ist noch einmal auf die Haltlosigkeit der in Kapitel 3 vorge- 
stellten Theorien zu verweisen. 

Wie aus dem bisherigen Verlauf der Arbeit deutlich wurde, setzten die im Rahmen der KI- 
Forschung uberwiegend vertretenen Theorien letztlich alle eine materialistische Grundpositi- 
on voraus. Materialistische Theorien konnen jedoch das Wesen der Erkenntnis, vor allem der 
geistigen Erkenntnis, nicht erreichen respektive erklaren.^^^^ So kann BewuBtsein beispiels- 
weise kein Epiphanomen sein, weil es nicht nur eine passive Begleiterscheinung der Lebens- 
akte ist, sondern aktiven EinfluB auf das Verhalten eines Lebewesens hat. Der Haupteinwand 
gegen die materialistischen BewuBtseinstheorien lautet, daB ein materielles, zusammenge- 
setztes, dynamisches System kein Wissen iiber seine Tatigkeiten besitzen kann, weil ein 
ganzheitliches Wissen um die Prozesse und Tatigkeiten im Hinblick auf das Ganze eben ein 
nicht wiederum teilbares Etwas bzw. Zentrum voraussetzt. Wie bereits beim Denken zeigt 
sich auch bezuglich des BewuBtseins, daB materialistische Theorien vor der fiir sie unlosbaren 
Frage stehen: „How can there be organisms in the world which are capable of thinking about 
the world? How can the world include, as part of itself, perspectives on the world?"^^^^ Schon 
die vermeintliche Erkenntnis, daB BewuBtsein auf algorithmische Symbolverarbeitung, kon- 
nektionistische, neuronale oder quantenphysikalische Prozesse reduzierbar sei, zeigt gerade, 
daB es dariiber hinausgeht. 

Der Moglichkeit des Wissens um sich selbst und seine Stellung in der Welt wird dagegen die 
realistische Auffassung von BewuBtsein gerecht.^^^^ Nach ihr ist es die immaterielle Seele 
bzw. der Geist, auf den das BewuBtsein als seinen Trager zuriickgeht. Um die Einzigartigkeit 
des menschlichen BewuBtseins zu verstehen, ist es unerlaBlich, zwischen zwei verschiedenen 
Arten des BewuBtseins zu unterscheiden, dem sinnlichen BewuBtsein und dem geistigen 



^"^^^ Der Begriff ist die tJbersetzung des lat. conscientia, d.h. Mit- Wissen bzw. begleitendes Wissen. 

^^^^ Vgl. Kapitel 4.5.4. Es sei hier auch an die in Kapitel 4.5.3 in bezug auf die Seele genannten Argumente ge- 
gen die materialistischen Fehlsichten (insbesondere Emergentismus und Funktionalismus) erinnert, die die 
Unmoglichkeit einer materialistischen Erkenntnis untermauern. 

'''' Cussins in: Boden 1990, 368. 

^^^^ Vgl. zum Folgenden vor allem Aristoteles: tJber die Seele III, 4 ff.; Thomas: Summe der Theologie I, 87; 
Lehmen II.2, 32 ff., 171 ff., 239 f. und 307 f.; Willwoll in: Brugger 46 ff. und Hennen 126 ff. 



296 Anthropologic 



SelbstbewuBtsein/'^^'^ Wahrend das sinnliche BewuBtsein als eine Leistung des beseelten Lei- 
bes auch dem Tier zukommt, wird es einzig beim Menschen durch das geistige SelbstbewuBt- 
sein der Geistseele nicht graduell, sondern wesensmaBig erganzt bzw. Ubertroffen, so daB man 
nur hier im voUen Sinne von BewuBtsein sprechen kann. 

Wie bereits im Rahmen der Untersuchung des tierischen Seelenlebens (Kapitel 4.4.4) ange- 
fiihrt, versteht man unter BewuBtsein die Wahrnehmung der inneren Zustande bzw. Zustand- 
lichkeiten. Dieses BewuBtsein bedeutet jedoch kein BewuBtsein im voUen Sinne, sondern le- 
diglich ein sinnliches BewuBtsein, das auf die unreflektierte Erfassung der eigenen, konkreten 
Empfindungen bzw. Befindlichkeiten und der sinnlichen Strebeakte eingeengt ist.^^^^ Das We- 
sen des BewuBtseins besteht vor allem darin, daB die Wahrnehmungen der verschiedenen 
Sinne unterschieden, in gewisser Weise auf Gegenstande bezogen und als die eigenen Wahr- 
nehmungen empfunden bzw. „erlebt" werden.^^^^ Auffalliges Merkmal des BewuBtseins ist 
seine Kontinuitat und Einheit. Diese lassen sich nicht durch physikalische oder allgemeiner 
gesagt quantisierbare Substanzen oder Vorgange erklaren. Einzig die einfache Seele ist in der 
Lage, die vielfaltigen, sich dem Lebewesen darbietenden Eindriicke zu einen.^^^^ 

Zur Frage nach dem Zusammenhang von BewuBtsein und Gehirn gilt das zur Seele und ihrem 
Verhaltnis zum Gehirn Gesagte in analoger Weise.^^^^ An dieser Stelle bleibt festzustellen, 
daB das Gehirn Organ des inneren Sinnes und nur in einem gewissen Sinne der „Sitz" des 
sinnlichen BewuBtseins ist.^^^^ Weil es auf die Leistung der einfachen, d.h. nicht zusammen- 
gesetzten Seele zuriickgeht, kann BewuBtsein unmoglich graduell bzw. evolutionar entstehen, 
weder naturlich noch in einem wie auch immer gearteten komplexen, dynamischen Netzwerk 
bzw. System.^^'^ 



^^^^ Die Unterscheidung erfolgt ganz analog derjenigen zwischen sinnlicher und geistiger Erkenntnis in Kapitel 

4.5.4. Die Nichtbeachtung dieser Unterscheidung ist eine der haufigsten Ursachen fur unzulangliche Urteile 

liber das menschliche, tierische und das vermeintliche technische BewuBtsein. 
^^^^ Vgl. Lotz in: Brugger 348 f. Weil dieses BewuBtsein eine seelisch-sinnliche Leistung ist, spricht man auch 

vom inneren Sinn bzw. Gemein^ym/i als dessen Ursache. Vgl. Lehmen II. 2, 34 ff. und 182 ff. 

Siehe zur Untersuchung der - insbesondere menschlichen - Gefuhle Kapitel 4.5.7. 
^^^^ BewuBtsein wird deshalb auch definiert als die erlebte Verkniipfung des sinnenbegabten Lebewesens und 

seiner Akte. Vgl. Titze 125 f. 
^^^' Vgl. Hennenl05und331ff. 
^^^^ Vgl. Kapitel 4.5.3 und siehe zur Kritik an der vermeintlichen Identitat von BewuBtsein und Hirnzustanden 

bzw. -tatigkeiten auch Hirschberger II, 574. 
^^^^ Vgl. Lehmen II. 2, 182 ff. Es muB jedoch betont werden, daB die Seele als Form des (gesamten) Leibes ge- 

naugenommen keinem Teil des Leibes mehr zugesprochen werden kann als einem anderen. 
^^'^^ Es kann sich zwar in graduell verschiedener Weise dufiern, das innere Erleben ist jedoch entweder gegeben 

oder nicht. 



Anthropologic 297 



Kurz erwahnt werden muB an dieser Stelle noch das UnterbewuBtsein/"^^^ Man versteht dar- 
unter diejenigen seelische Vorgange, die nicht mehr, noch nicht oder nur extrem vage dem 
BewuBtsein zuganglich sind.^^^^ Handelt es sich um seelische Akte, die gmndsatzlich nicht 
bewuBt werden konnen, spricht man auch vom „UnbewuBten".^^^^ Obwohl unbewuBte seeli- 
sche Vorgange nicht (unmittelbar) zuganglich sind, konnen sie jedoch teilweise an ihren Wir- 
kungen erkannt werden sowie EinfluB auf das bewuBte Erleben und Handeln haben. Wie alle 
- insbesondere sinnvoUen - Akte der Lebewesen, sind auch Unter- bzw. UnbewuBtsein nicht 
ohne die unstoffliche Seele als dem Form- und Wirkprinzip des Leibes moglich. 

Bezogen auf die Frage nach der Moglichkeit einer bewuBten KI bedeutet das hier Gesagte 
folgendes: Die KI-Forschung kann allenfalls „Zombies" hervorbringen, d.h. Wesen, die zwar 
wie Lebewesen aussehen und groBtenteils so handeln, aber innerlich tot bzw. ohne jedes Be- 
wuBtsein sind.^^^^ Bin kiinstliches bzw. maschinelles BewuBtsein, ob nun direkt konstruiert 
oder indirekt durch eine Art „BewuBtseinszuchtung" entwickelt, ist grundsatzlich unmoglich. 
Einzig das beseelte Sinneslebewesen und nicht die KI ist zu sinnlicher Erkenntnis im allge- 
meinen und zu sinnlichem BewuBtsein im besonderen fahig. Nur die einfache, immaterielle 
Seele ist in der Lage, die von ihr voUzogenen Akte ganzheitlich zu erfahren bzw. zu erfassen 
und ein (begleitendes) Wissen von ihnen zu haben, die aus Teilsystemen zusammengesetzte 
KI dagegen nicht.^^^^ Weil es nicht in der Macht des Menschen steht, eine einfache Substanz 
wie die Seele bzw. ein beseeltes Wesen zu schaffen, kann ein bewuBtes Wesen technisch al- 
lenfalls imitiert, modelliert oder simuliert, jedoch nie reproduziert, kopiert oder kreiert wer- 
den.'"' 

Die Einzigartigkeit des Menschen zeigt sich besonders deutlich durch sein SelbstbewuBtsein. 
Als ein geistiges Wissen ist das SelbstbewuBtsein wie gesagt unbedingt vom sinnlichen Be- 
wuBtsein zu unterscheiden. Bevor das Wesen des SelbstbewuBtseins herausgearbeitet wird, ist 



^^^^ Vgl. dazu Willwoll in: Brugger 60 f. und 419 f. sowie Seifert 1989, 50 ff. 

^^^^ Zur Unterscheidung vom ganzlich UnbewuBten oder BewuBtlosen wird es auch TiefenbewuBtsein genannt. 

^^^^ Hierunter fallen z.B. Ausubungen der Vitalfunktionen bzw. vegetative Steuerungen. Vgl. Zimbardo 232 f. 

^^^^ Aus einer angeblich moglichen Zombie- Welt, die mit der unseren zwar auBerlich identisch, jedoch vollig 
ohne jedes BewuBtsein bzw. ohne Seele ist, wollen einige schlieBen, daB die Wirklichkeit nicht rein materi- 
ell beschreibbar ist. Vgl. Chalmers 93 ff. sowie 123 ff. und siehe dazu auch Searle 1992, 65 ff. Gegen dieses 
nicht uberzeugende Gedankenexperiment ist zu sagen, daB vollig ungeformte und zugleich aktive Materie 
ebenso wie ein unbeseelter aber tatiger Leib unmoglich sind. 

^^^^ Treffend heiBt es dementsprechend von der Maschine: „Die Maschine nimmt nicht wahr, sondern sie nimmt 
einfach auf. Zur Wahmehmung gehort das BewuBtsein [...]" Titze 48. 



298 Anthropologic 



noch einmal kurz auf die Haltlosigkeit der in Kapitel 3 vorgestellten - letztlich materialisti- 
schen - Theorien des SelbstbewuBtseins hinzuweisen. 

Zunachst ist anzumerken, daB gegen die dem Realismus widersprechenden Theorien das be- 
zuglich des BewuBtseins Gesagte in analoger Weise gilt. Ein materielles, zusammengesetztes, 
dynamisches System kann kein Wissen iiber sich selbst besitzen, well aufgrund seiner Einge- 
bundenheit kein Teil alle anderen Telle und sich selbst sowie seine dynamische Beziehung zu 
den Teilen erfassen kann. SelbstbewuBtsein kann also nicht als ein symbolisch, konnektioni- 
stisch, biologisch oder quantenphysikalisch kodiertes inneres Modell der Welt und seiner 
selbst verstanden werden. Dies zeigt auch die Tatsache, daB geistige Erkenntnisse (wie etwa 
das „Ich bin") trotz Selbstreferenzialitat zu einem „Ende" kommen, zusammengesetzte Sy- 
steme wie Turingmaschinen oder andere Systeme mit rekursiven Schleifen dagegen nicht. ^"^^^ 

Im folgenden ist die realistische Lehre vom Wesen des SelbstbewuBtseins in ihren Grundzu- 
gen darzustellen.^^^^ SelbstbewuBtsein ist danach die Fahigkeit des immateriellen Geistes, 
nicht nur das in seiner Reichweite liegende und von ihm selbst verschiedene Seiende, sondern 
auch seine eigenen Akte sowie sich selbst zu erkennen. Es ist damit ein reflexives Wissen um 
Dinge (wie die eigene Wahrnehmung, den eigenen Leib, das eigene Erkennen und WoUen, 
die eigene Realitat und Geschichte und vor allem die eigene Person) als solche. Das Selbst- 
bewuBtsein kann sich im allgemeinen auf alle Akte des Erkennens und WoUens beziehen, vor 
allem natiirlich auf die geistigen. SelbstbewuBtsein ist ein geistiges „Wissen vom Wissen und 
WoUen"; es bedeutet zu wissen, daB und im allgemeinen auch warum und wie man weiB und 
will. Einzig der zum SelbstbewuBtsein fahige Mensch und nicht das Tier oder die KI kann die 
Bedeutung und den Sinn der eigenen Handlungen im voUen Sinn erkennen und ist deshalb 
auch fur sie verantwortlich. 

Wie ist nun dem Geist die unbestreitbare Tatsache der Reflexion im allgemeinen und der 
Selbsterkenntnis im besonderen moglich? Die Moglichkeit der Betrachtung der eigenen Ta- 
tigkeiten und letztlich des eigenen Seins geht auf die Unteilbarkeit des Geistes und seine inne- 
re Unabhangigkeit von der Materie bzw. dem Zusammengesetzten zuriick.^^^^ Nur well der 



1426 Ygj ^jg welter oben aufgefuhrten Argumente bezuglich Seele, Intelligenz etc. (Kapitel 4.5.3 ff.) und slehe 

auch Tltze 68 ff., wo ebenfalls (allerdlngs von elnem anderen Standpunkt aus) die Unmogllchkelt elnes ma- 

schlnellen BewuBtseins gezelgt wlrd. 
^^" Vgl. zur Unmogllchkelt, geistige Erkenntnls durch (materlelle) Systeme zu erklaren, auch Kapitel 4.2. 
^^^^ Vgl. zum SelbstbewuBtsein Arlstoteles: tJber die Seele III, 4 ff.; Thomas: Summe der Theologle I, 87; Hen- 

nen 109 f. und 126 ff.; Selfert 1989, 293 ff.; Wlllwoll In: Brugger 46 ff.; Lotz In: Brugger 172 f.; Vrles 1937, 

51 ff.; Lotz/Vrles 128 f.; Marltaln 93 ff. sowie Lehmen II.2, 239 ff. und 306 ff. 
^^^^ Vgl. Kapitel 4.5.3 sowie zur Reflexion auch Vrles In: Brugger 321 f. 



Anthropologic 299 



Geist einfach und in seinem Sein sowie seinem erkennenden und woUenden Wirken nicht an 
das Zusammengesetzte bzw. den Leib gebunden ist, kann er sich voUstandig auf sich selbst 
„zumckbeugen"/'^^^ Wahrend die eigenen Akte im sinnlichen BewuBtsein zwar bereits be- 
gleitend miterlebt werden, ist es erst das geistige SelbstbewuBtsein, das sie ihrer Natur nach 
erfassen kann. Indem der Geist zunachst die, auf die ihm auBerlichen Dinge gerichteten, Er- 
kenntnis- und Strebeakte als die seinen erfaBt, gelangt er nachfolgend zur Erkenntnis seiner 
selbst. Bezuglich der Selbsterkenntnis muB zwischen dem dem Sein nach und dem fiir den 
Menschen Ersten bzw. Friiheren unterschieden werden.^ ^^^ Dem Sein nach ist der Geist vor 
dem Erkenntnisakt. Der Gang der Selbsterkenntnis nimmt jedoch seinen Anfang im fiir den 
Menschen Friiheren, d.h. den bewuBten Denk- bzw. Erkenntnisakten. Erst dann folgt in der 
reflexiven Erkenntnis die Erfassung des ursachlichen Tragers dieser Akte.^^^^ Die Reihenfolge 
der Erkenntnis ist also: 1. der Gegenstand bzw. das Seiende, 2. der Erkenntnisakt als solcher 
und 3. der Geist bzw. das Ich.^^" 

An dieser Stelle ist auch darauf hinzuweisen, daB das geistige BewuBtsein bzw. Selbstbe- 
wuBtsein die entscheidende Rolle fiir die Erkenntnis von Evidenzen spielt.^^^^ Nicht das 
(sinnliche) Erleben der eigenen Akte als solcher, sondern die geistige Riickbeugung, d.h. Re- 
flexion auf die Akte, ist es, die die Evidenz (als solche) aufleuchten laBt.^^^^ 



Der Begriff des Zuriickbeugens ist eine bildhafte Darstellung eines gerade nicht raumlich zu verstehenden 
Zusammenhangs. Der Geist „geht" nicht aus sich heraus und kehrt dann wieder zuriick. Er ist und bleibt 
Einheit und „in" sich selbst. 

„Die Moglichkeit der Objektivation seiner selbst und der gegeniiberliegenden AuBenwelt beruht auf dem 
Geist." Plessner 1965, 305. 

Vgl. Aristo teles: Physik I, 1 (184 a ff.). Siehe zum Unterschied zwischen dem ansich und dem fiir Menschen 
Friiheren auch Aristoteles: Metaphysik V, 11 und Hartmann 1948, 33 ff. 

„Weil aber der Verstand sich iiber sich selbst zuriickbeugt, erkennt er durch dieselbe Zuriickbeugung sowohl 
sein Erkennen als auch das Bild, durch das er erkennt. Und so ist das Verstandesbild an zweiter Stelle das, 
was erkannt wird. Das aber, was zuerst erkannt wird, ist das Ding, dessen Ahnlichkeit das geistige Erkennt- 
nisbild ist." Thomas: Summe der Theologie I, 85, 2. 

Reflexion ist ein ausdriickliches tJberdenken des bereits Erkannten, insbesondere mit Blick auf das die Er- 
kenntnis Ermoglichende. In ihrer letzten Vollendung richtet sich die Erkenntnis auf die alles Erkennen er- 
moglichende Wahrheit bzw. das Sein selbst und das heiBt auf Gott. Vgl. Kapitel 4.2.3 f. und 4.3.3. 
Es bleibt zu erganzen, daB Gott - wie iiberhaupt bei alien Akten der Geschopfe - auch beim Selbsterkennt- 
nisakt mitwirken muB, well das Kontingente nicht nur in seinem Sein, sondern auch in seinem Wirken stets 
von Gott abhangig bleibt. Vgl. Lehmen III, 58 und II.2, 473. 
Vgl. zur Evidenz Kapitel 4.2.3 f. 

Beispielsweise sind die Urteile „Ich will die Losung des Erkenntnisproblems wissen" oder „Ich denke an 
Argumente gegen das bisher Gesagte" dann wahr, wenn jemand tatsachlich an der Losung des Problems in- 
teressiert ist respektive an entsprechende Argumente denkt. Keinesfalls entstehen Interesse oder Argumente 
dabei durch die genannten Aussagen, vielmehr sind eigener Wille und Denken Evidenzen und werden durch 
die feste Zustimmung zur GewiBheit. Die Begriindung der Geltung des Urteils „durch die Evidenz des Sach- 
verhaltes selbst ist aber letzte Begriindung, weil durch sie das Urteil nicht mehr auf andere Urteile, sondern 
auf die Sache selbst zuriickgefiihrt wird." Vries 1937, 41. Hervorhebung im Original in Sperr- statt in Kur- 
sivdruck. Siehe zur GewiBheit auch Lehmen IV, 123. 

Die inhaltliche tJbereinstimmung bei realer Verschiedenheit zwischen Sachverhalt und intellektuellem Ur- 
teil garantiert also die objektive Giiltigkeit des Urteils, mithin dessen Wahrheit. 



300 Anthropologic 



Durch die philosophische Betrachtung ergibt sich also, daB nur das geistige BewuBtsein Re- 
flexion und damit die das Wesen erfassende Selbsterkenntnis ermoglicht. Weil SelbstbewuBt- 
sein eine geistige Erkenntnis ist, gelten die in Kapitel 4.5.3 f. bezuglich des Gehirns genann- 
ten Argumente entsprechend. Intakte leibliche Verhaltnisse, insbesondere des Gehirns, sind 
nur Bedingungen bzw. indirekte Instrumentalursachen, nicht Hauptursache des SelbstbewuBt- 
seins. Aus diesem Grund bedeuten fehlende (neurobiologische oder verhaltensbiologische) 
AuBerungen des SelbstbewuBtseins nicht automatisch ein Fehlen des SelbstbewuBtseins.^"^^^ 
Aus dem Gesagten folgt, daB das Gehirn nicht Sitz des geistigen SelbstbewuBtseins sein 
kann.^^^^ Wahrend das Gehirn (in verschiedene Untereinheiten) teilbar und unbestandig ist, 
sind dies das SelbstbewuBtsein und dessen Trager, der Geist, gerade nicht. Einheit, Einfach- 
heit und Kontinuitat des SelbstbewuBtseins sind durch materielle und damit quantisierbare 
GroBen und Vorgange nicht erklarbar, sondern setzen eine einfache, uberstoffliche GroBe, 
namlich die Geistseele, voraus.^^^^ Als eine Grundfahigkeit des Geistes kann sich Selbstbe- 
wuBtsein nicht entwickeln bzw. graduell oder evolutionar entstehen.^^^^ 

Weil der Geist sich selbst erkennen und so selbstbewuBt „Ich" sagen kann, spricht man beim 
SelbstbewuBtsein auch von Ich-BewuBtsein. Der Trager dieses BewuBtseins wird dement- 
sprechend auch das „Ich" sowie das „Selbst" genannt, wobei dabei die Subjektivitat und „In- 
nensicht" betont wird, d.h. „Ich" und „Selbst" bezeichnen den individuellen Geist nicht so 
sehr als solchen, sondern insofem er zu sich selbst steht bzw. sich selber erkennt.^^^'^ 

Im Rahmen der philosophischen Betrachtung des Geistes und seiner Fahigkeit zum Selbstbe- 
wuBtsein ist an dieser Stelle darauf einzugehen, daB der Mensch Person ist.^^^^ Mit Boethius 
laBt sich sagen: „Persona est rationalis naturae individua substantia."^ ^^^ Also: Person ist die 
individuelle Substanz rationaler bzw. verniinftiger Natur. Das „individua" bedeutet hier zu- 
dem unteilbar und unmitteilbar, d.h. nicht vererbbar bzw. reproduzierbar.^^^^ Jede Person ist 



1436 Ygj Hennen 108 ff. Die AuBerungen des BewuBtseins konnen - beispielsweise durch Medikamente oder 

Unfalle - so stark eingeschrankt werden, daB sie fur Dritte nur mit enormem technischem Aufwand oder gar 

nicht wahrnehmbar sind. 
^^" Vgl. auch Lehmen 11.2, 182 ff. 
^^^^ Vgl. zur Einheit und Einfachheit des Geistes Kapitel 4.5.3. Nur der Geist ermoglicht beispielsweise die 

Kontinuitat des SelbstbewuBtseins trotz langerer „Ausfalle" wie etwa Schlaf oder Narkose. 
^^^^ Vgl. auch Hennen 201 f. 

^^^^ Vgl. Seifert 1989, 299 ff. und Lotz in: Brugger 172 f. 
^^^^ Vgl. zur Person Thomas: Summe der Theologie I, 29; Lehmen I, 393 ff.; Seifert 1989, 301 ff. sowie Hennen 

109 f. und 257 f. 
^^^^ Boethius: De trinitate oder Contra eutychen 3; vgl. auch Liber de persona et duabus naturis IIL 
^^^^ Zur Individualitat und Individuation siehe auch Suarez: Funfte metaphysische Disputation; Lehmen I, 358 ff. 

sowie Hennen 251 ff. und 312 f. 



Anthropologic 301 



damit unaustauschbar und einmalig/'^'^'^ Weil die Vernunftbegabung auf eine unteilbare Sub- 
stanz zuriickgeht, kann sich das Personsein nicht entwickeln. Jedes Wesen ist also entweder 
ganz Oder gar nicht Person.^ ^^^ 

Als Person kann der Mensch - im Gegensatz zum Tier und zur Technik - nicht besessen wer- 
den.^^^^ Die Person bzw. die Personenwurde stellt den hochsten innerweltlichen Wert dar. Auf 
ihr beruhen zu Recht Staats- und Rechtssysteme, und auch die seinsgerechte KI-Bewertung 
muB an der Person MaB nehmen. Es gilt jedoch zu beachten, daB die menschliche Person eben 
nur „vorletzter" Grund und Orientierungspunkt des Handelns ist. Ontologisch und ethisch 
letzter (bzw. erster) Grund ist und bleibt das absolute Sein, d.h. Gott.^^^^ Die Entfaltung des 
geistigen Lebens der Person etwa in Form der Kultur^^^^ zeigt den uniibersehbaren Unter- 
schied zwischen Mensch und apersonalem Sein.^^^^ DaB Person-sein im ubrigen nicht not- 
wendig an Leibliches gebunden ist, schlagt sich in folgender Definition nieder: „Ein Seiendes, 
das nicht nur erkenntnisfahig und frei, sondern auch intentionaler affektiver Erlebnisse fahig 
ist und einen bewuBten Bezug zu alien Seienden bis hin zum Absoluten haben kann, das nen- 

In bezug auf eine etwaige KI bedeutet das bisher Gesagte zusammenfassend folgendes: Wie 
bereits in Kapitel 4.5.4 gezeigt, konnen materielle Systeme nicht (und vor allem nicht geistig) 
erkennen. Damit folgt sofort auch die Unmoglichkeit eines kiinstlichen SelbstbewuBtseins 
und einer kiinstlichen Person.^ ^^^ Einzig der Mensch mit seinem Geist und nicht das Tier oder 



^"^ Die Einmaligkeit der Person bzw. des Geistes gilt selbstverstandlich auch fiir eineiige Zwillinge (oder ge- 
klonte Menschen), d.h. fiir Menschen mit der selben DNS. Materielles, wie etwa die DNS, kann also die 
Einzigartigkeit, Individualitat und das Person-Sein nicht garantieren bzw. erklaren. Vgl. Kapitel 4.5.8 sowie 
Eccles 40 und Hennen 103 ff. 

^^^^ Das gilt insbesondere auch fiir den ungeborenen Menschen, der von Anfang an Person ist und so den vollen 
Schutz der Personenwiirde verdient. Vgl. dazu auch Kapitel 4.5.8. „[Der Mensch] ist immer vollkommene 
Person. Ein Mehr oder Weniger kann es hier nicht geben. Denn eine vernunftbegabte Substanz ist Geist, also 
immateriell. Immaterielles und Geistiges aber ist von vorneherein das, was es ist. Es hat sein Sein fiir die 
ganze Dauer seiner Existenz in seiner ganzen Vollkommenheit." Hennen 110. 

Das Wesen der Person besteht nicht im aktuellen SelbstbewuBtsein, sondern in der Geistigkeit und Verniinf- 
tigkeit des Tragers. SelbstbewuBtsein ist eine Fahigkeit des Geistes. Es macht jedoch nicht den Geist zum 
Geist bzw. den Menschen zum Menschen, sondern setzt ihn voraus. Vgl. Lehmen I, 395 f. und Seifert 1989, 
52 f. 

^^^^ Vgl. Lehmen IV, 136. 

'''' Siehe zu Gott Kapitel 4.3.3. 

^^^^ Die Kultur offenbart und entfaltet den Selbstbesitz und das SelbstbewuBtsein des Menschen. Siehe zur Ein- 
heit des Menschen und seiner Kultur Benthem 58 f. 

^^^^ Das auBert sich auch in der Rechtsprechung, die zwischen Mensch und Tier unterscheidet, auch wenn die 
Bezeichnung „Sachbeschadigung" (StGB § 303) fiir einige Vergehen an Tieren deren Wesen nicht angemes- 
sen ausdriickt. 

'''^ Seifert 1989, 302. 

^^^^ Echte Individualitat und Personalitat ist - wie oben dargelegt - wesentlich mehr als physikalische Quanten- 
Einmaligkeit; sie kann unmoglich physikalisch bzw. physikalistisch verstanden werden. 



302 Anthropologic 



die KI ist zur geistigen Erkenntnis und damit zur Erkenntnis des Geistes im allgemeinen und 
des eigenen Geistes im besonderen fahig. Nur der einfache, intelligible Geist ist der Lage, 
sich ganz auf sich selbst zuriickzubeugen, die aus Teilen bzw. Teilsystemen zusammenge- 
setzte KI dagegen nicht. Weil es nicht in der Macht des Menschen steht, eine einfache Sub- 
stanz wie den Geist zu schaffen, kann ein selbstbewuBtes Wesen technisch allenfalls imitiert, 
modelliert oder simuliert, jedoch nie reproduziert, kopiert oder kreiert werden/"^^^ 

Im folgenden Kapitel ist noch einmal kurz auf die - insbesondere menschlichen - Gefuhle 
einzugehen, bevor Kapitel 4.5.8 mit der Behandlung des Lebens zum letzten wichtigen an- 
thropologischen Grundbegriff aus philosophischer Sicht Stellung bezieht. 



Weil nur das Geistige selbstbewuBt sein kann, konnen im ubrigen die in Kapitel 3.3.3 erwahnten Split- 
Brain-Experimente nicht die Teilbarkeit des SelbstbewuBtseins beweisen. 
1452 Ygj ^jg weiter oben aufgefuhrten Argumente bezuglich Seele, Geist, Intelligenz etc. in Kapitel 4.5.3 ff. 



Anthropologic 303 



4.5.7 Gefuhle 

Dieses Kapitel untersucht das Wesen der - insbesondere menschlichen - Gefuhle. Es kann 
verhaltnismaBig kurz ausf alien, weil viele Argumente bereits (implizit) bei der Behandlung 
der Sinneserkenntnis und des sinnlichen BewuBtseins genannt wurden/"^^^ 

Bevor die Gefuhle positiv definiert und erlautert werden, sind zunachst einmal die dem Rea- 
lismus widersprechenden Positionen bezuglich der Gefuhle zu entkraften. Zuvorderst ist ge- 
gen eine - besonders in der Informatik - verbreitete Lehre festzustellen, daB Gefuhle nicht 
funktionalistisch verstanden werden konnen. Neben den grundsatzlichen Einwanden gegen 
den Funktionalismus^^^^ ist an dieser Stelle zu betonen, daB er die „innere" Wirklichkeit der 
Gefuhle ubersieht und sie falschlich auf ihre auBerlich feststellbaren, ja meBbaren Auswir- 
kungen reduziert. Die Auswirkungen der Gefuhle - etwa die physiologischen - diirfen jedoch 
nicht mit den Gefuhlen selbst verwechselt werden. Weil der Materialismus eine auf falschen 
Pramissen stehende Position ist,^^^^ konnen Gefuhle auch nicht materialistisch erfaBt bzw. er- 
klart werden. 

Wie ist dagegen die realistische Lehre von den Gefuhlen?^ ^^^ Gefuhle sind nach ihr eine Fa- 
higkeit der Seele bzw. der Geistseele. „Wahrend die Seele sich im Erkennen Gegenstande in- 
tentional vergegenwartigt, im Streben sinnliche oder geistige Guter aktiv bej abend zu erlan- 
gen trachtet, ist das G[efuhl] als solches nicht eigentlich intentional, sondern eine subjektive 
Befindlichkeit, ein Bewegtsein der Seele in sich selbst (Emotion) ''^^^^ Gefuhle entstehen als 
Begleitung seelischer oder geistiger Akte. Weil Tiere leib-seelische Leistungen vollbringen, 
verfiigen sie iiber Gefuhle. Hier sind vor allem die durch die Sinneswahmehmungen hervor- 
gerufenen bewuBten Empfindungen zu nennen. Auch der Mensch erlebt diese durch die Sinne 
ausgelosten Gefuhle. Bei ihm konnen Gefuhle jedoch dariiber hinaus auch von geistigen Ak- 
ten wie etwa dem Denken oder dem SelbstbewuBtsein ausgelost oder begleitet sein bzw. mit 
ihnen eine Einheit bilden, weshalb seine Gefuhle sich von denen der Tiere unterscheiden.^^^^ 



^^^^ Vgl. Kapitel 4.2.3, 4.4.4, 4.5.4 und 4.5.6. 

^^^^ Vgl. gegen den Funktionalismus auch Kapitel 4.5.3. 

^^^^ Vgl. Kapitel 4.3.2 und 4.5.3. 

^^^^ Vgl. zu Gefuhlen Thomas: Summe der Theologie I, 80 f.; Lotz/Vries 135 ff.; Titze 37 ff. und 116 ff.; Will- 
woll in: Brugger 119 ff.; Seifert 1989, 169 ff. sowie Lehmen II.2, 337 ff. und 403 ff. 

^^" WillwoU in: Brugger 1 19. Zur psychologischen Einordnung der Emotionen siehe auch Zimbardo 442 ff. 

^^^^ Neben Gefuhlen, die in der Erkenntnis des eigenen Wesens griinden, sind dem Tier beispielsweise u.a. reli- 
giose Gefuhle nicht moglich. Vgl. zu Gefuhlen, die dem Tier unmoglich sind, auch Haugeland 200 ff . 



304 Anthropologic 



Gefuhle sind nicht raumlich zusammengesetzt. Eine rein naturwissenschaftliche Untersu- 
chung verkennt somit die wahre Einheit des Gefuhls, die letztlich nur durch eine ungeteilte, 
nicht zusammengesetzte seelische oder geistige Substanz erreicht werden kann. So wie die 
Sinneswahmehmung nicht allein durch die Sinne erklart werden kann, so ist auch das Gefiihl 
nicht alleine durch die physiologischen Gegebenheiten zu verstehen. Das Nervensystem im 
allgemeinen und das Gehirn im besonderen sind nur Bedingung bzw. Instrumentalursache der 
Gefuhle. 

Weil die Gefuhle als seelische Regung zwar dem Verstand und (mehr noch) dem Willen 
„Hinweise" geben, aber das sittliche Handeln des Menschen nicht angemessen bestimmen 
oder gar begriinden konnen, sagt man zu Recht von ihnen, sie seien gute Diener aber 
schlechte Herren. Die im Erkennen und WoUen griindenden Geisteshaltungen des Menschen 
(wie etwa die Liebe) diirfen also nicht mit den sie begleitenden Gefiihlen verwechselt oder gar 
gleichgesetzt werden/"^^^ 

Bezogen auf eine etwaige KI bedeuten die obigen Ausfuhrungen folgendes: Die Technik kann 
allenfalls „Zombies" hervorbringen, d.h. Wesen, die zwar wie fuhlende (und lebende) Wesen 
aussehen und groBtenteils so handeln, aber innerlich tot bzw. ohne jede Anteilnahme am Ge- 
schehen, ohne Gefiihl sind. Ein kiinstliches bzw. maschinelles Fiihlen ist grundsatzlich un- 
moglich. Einzig ein beseeltes Wesen und nicht die KI ist zu einem Gefuhlsleben fahig. Nur 
die einfache, immaterielle Seele ist in der Lage, die von ihr voUzogenen Akte innerlich zu er- 
fahren, die aus Teilsystemen zusammengesetzte KI dagegen nicht.^^^^ Weil es nicht in der 
Macht des Menschen steht, eine einfache Substanz wie die Seele bzw. ein beseeltes Wesen zu 
schaffen, kann ein fuhlendes Wesen technisch allenfalls imitiert, modelliert oder simuliert, je- 
doch nie reproduziert, kopiert oder kreiert werden.^ ^^^ 

Im AnschluB an die bisherigen Ausfuhrungen wird das folgende Kapitel einen der um- 
fassendsten Begriffe der Anthropologic aus der Sicht des philosophischen Realismus in An- 
griff nehmen: das Leben. 



^^^^ So helBt es von der Liebe beispielsweise: „Die umfassendste Grundkraft zu sittlichem Handeln von Mensch 
zu Mensch ist die Liebe, nicht als bloBes Gefiihl der Zuneigung, sondern als starkes, freies Ja des Menschen 
zum Personwert des Mitmenschen." LotzA^ries 316. 

^^^^ Gefiihle sind immer von BewuBtsein begleitet, also schon deshalb technisch nicht nachahmbar. Vgl. Kapitel 
4.5.6. Zur Unmoglichkeit von maschinellen Gefiihlen siehe auch Penrose 1995, 501 ff. 

^^^^ Vgl. auch die Argumente beziiglich Seele und Geist in Kapitel 4.5.4. 



Anthropologic 305 



4.5.8 Leben 

Vor dem Hintergmnd der geistigen Seele des Menschen ist in diesem Kapitel das Wesen des 
Lebens zu untersuchen. Bevor jedoch das Leben positiv definiert und erlautert wird, sind zu- 
nachst einmal die dem Realismus widersprechenden Positionen zu entkraften. Zuerst ist gegen 
den Funktionalismus bzw. die Maschinentheorie des Lebens festzuhalten, daB sie sich - weil 
sie auch fiir die sie vertretenden Menschen gelten miiBten - in einen erkenntnistheoretischen 
Widerspruch verwickeln/"^^^ AuBerdem kann das Lebensprinzip nicht mit Algorithmen gleich- 
gesetzt werden, und diese konnen zudem nicht durch Evolution entstehen.^^^^ Gegen die in 
Kapitel 3 mehrfach erwahnte Lebensdefinition durch Aufzahlung von Eigenschaften ist zu 
sagen, daB Leben nicht mit den Lebenserscheinungen zu verwechseln ist und nicht ohne sei- 
nen immateriellen Trager verstanden werden kann, wie sich weiter unten noch deutlicher zei- 
gen wird.^^^^ Die wohl verbreitetste Auffassung bezuglich des Lebens vertritt evolutionstheo- 
retische Ansatze. Gegen diese ist nachfolgend kritisch zu argumentieren, wobei sich die Ein- 
wande in einerseits uberwiegend naturwissenschaftliche und andererseits philosophische ein- 
teilen lassen. 

Die hier angefiihrten naturwissenschaftlichen Argumente gegen Evolutionstheorien richten 
sich in erster Linie gegen den Neodarwinismus, d.h. die mit den modernen Naturwissen- 
schaften verbundenen und durch sie modifizierten Lehren Darwins.^^^^ Im Rahmen der Evo- 
lutionsbetrachtung unterscheidet man vor allem historische und kausale Evolutionsfor- 
schung,^^^^ wobei letztere die fiir die vorliegende philosophische Arbeit interessantere ist. Ins- 
besondere biochemische Untersuchungen fuhren zu einer entscheidenden Kritik an der These 
der zufalligen bzw. „selbstorganisierten" Entstehung des Lebens aus der Ursuppe. Es konnen 
namlich diejenigen Makromolekiile, die fiir das Leben auf der Erde notwendige Bedingung 
sind, nicht durch statistische bzw. zufallige Copolykondensation aus der Ursuppe entstanden 
sein, weil das in groBen Mengen vorhandene sowie das durch Reaktionen entstehende Wasser 



^^^^ Weil es fiir den Funktionalismus nur (gegenseitig) Kontingentes gibt, kann er keine festen bzw. echten 
Wahrlieiten erreichen. Vgl. Hennen 220 ff. und siehe zur Erkenntniskritik auch Kapitel 4.2. 
Gegen funktionalistische Theorien spricht auch, daB sie offensichtlich Unlebendiges wie etwa Kettenbriefe 
Oder Wirtschaftssysteme zum Lebendigen zahlen. Vgl. Sober in: Boden 1996, 371 ff. 

^^^^ Vgl. das im weiteren Verlauf des Kapitels zur Seele AusgefUhrte und gegen die evolutionare Entstehung von 
Algorithmen Penrose 1991, 403 ff. 

^^^^ Vgl. Hennen 80 ff. und 331 ff. Das in Kapitel 3 haufig bemuhte „Clusterkonzept" (vgl. etwa Kapitel 3.1.8) 
erklart nicht, warum gerade diese Eigenschaften Leben definieren bzw. was Leben wesensmaBig ist. Siehe 
zu verschiedenen Definitionen und Eigenschaften des Lebens auch Plessner 1965, 111 ff. 

^^^^ Vgl. gegen den Neodarwinismus besonders Vollmert, Wilder-Smith, Gitt sowie Junker/Scherer und siehe 
zur Kritik am (Neo-)Darwinismus auch Krafczyk und Spaemann/Low 240 ff . 

^^^^ Vgl. Junker/Scherer 47 ff. 



306 Anthropologic 



zu standigen Kettenspaltungen fuhrt/"^^^ Das vom Neodarwinismus behauptete zufallige Ket- 
tenwachstum durch statistische Copolykondensation wird zudem durch den in der Ursuppe 
befindlichen UberschuB monofunktioneller Molekiile ausgeschlossen, die die Kettenenden 
(friihzeitig) abschlieBen und ein weiteres Wachstum verhindern.^^^^ „Die Rahmenbedingungen 
der friihen Erde, Naturgesetze und geologische Gegebenheiten, schlieBen daher die Entste- 
hung von Makromolekiilen wie DNS, RNS und Proteinen durch statistische Copolykonden- 
sation und damit die Entstehung des Lebens durch Selbstorganisation der Materie aus. [...] 
Sorgfaltige theoretische und experimentelle Untersuchungen der Polykondensationsreaktion 
zeigen die Unhaltbarkeit der modernen Selbstorganisationshypothesen, die nur wegen der 
vorherrschenden Unkenntnis in Fragen der Entstehung von Makromolekiilen durch Polykon- 
densation eine so weite Verbreitung finden konnten."^^^^ 

Zur Frage nach der Hoherentwicklung bereits vorhandener Tiere heiBt es beim selben Autor: 
„Von der Entstehung oder Synthese von Makromolekiilen weiB man indessen durch jahr- 
zehntelange sorgfaltige experimentelle Forschungsarbeit zu viel, als daB ein Polymerchemiker 
sich einreden konnte oder einreden lieBe, in Ursuppen konnten zufallig von selbst Makromo- 
lekiile von der Art der DNS entstehen. Dasselbe gilt auchfur das spdtere Kettenwachstum des 
DNS-Makromolekuls im Laufe der Erdgeschichte von einer Tierklasse zur ndchsthoheren."^^^^ 
Die von Evolutionisten so gefeierte Mutation und Selektion konnen dementsprechend alien- 
falls zu einer besseren Anpassung einer Art an ihre Umgebung, aber nie zu einer neuen Art 
bzw. einem neuen Grundtypen fiihren. Es gibt also keine Hoherentwicklung, sondern ledig- 
lich eine Spezialisierung bzw. eine Verarmung des „Genpools" einer Rasse.^^^^ In diesem Zu- 
sammenhang muB zwischen der sogenannten Makroevolution und der Mikroevolution unter- 
schieden werden. Wahrend die Mikroevolution, d.h. die Veranderung innerhalb einer Art 
bzw. eines Grundtyps, durchaus moglich sein kann, ist Makroevolution, d.h. „selbstorgani- 
sierte" grundtypen- bzw. arterzeugende Hoherentwicklung nicht nur nicht nachgewiesen. 



^^^^ Zufall kann auch philosophisch betrachtet kein konstituierendes Prinzip sein, insbesondere auch keines flir 

das Leben. Zufall ist Unordnung bzw. Mangel an Ordnung und kann deshalb keine Ordnung hervorbringen. 

Vgl. zur Ohnmacht des Zufalls Kapitel 4.3.2. 
^^^^ Vgl. Vollmert, besonders 38 ff. und 50 ff. sowie Hennen 1 10 ff. 
^^^^ Vollmert 69 f. Vgl. auch Gitt 1994, 120 ff. Gegen eine zufallige (Weiter-)Bildung von Nukleinsauren und 

eine dahingehende, falsche Auslegung der Versuche von Urey und Miller vgl. unbedingt auch Jun- 

ker/Scherer 137 ff. 
^^^^ Vollmert 189. Her vorhebung nicht im Original . 
^^^^ Vgl. Vollmert 128 ff. und Junker/Scherer 58 ff. Dazu, daB Evolution nur bereits (versteckt) vorhandene 

Qualitaten isolieren, aber keine neuen hervorbringen kann, siehe auch Lehmen II. 2, 136 ff. 

Gegen die Annahme, daB sich das Leben durch Selektion und Anpassung im Lauf der Zeit (automatisch) 

hoherentwickelt, spricht auch, daB oft gerade die Lebewesen (wie etwa die Bakterien) besonderen Erfolg ha- 

ben, die wenig komplex, differenziert und angepaBt sind. Vgl. Plessner 1985, 15. 



Anthropologic 307 



sondem auch gar nicht zu erwarten/"^^^ Gegen eine selbstandige, graduelle Weiterentwicklung 
und damit beispielsweise die makroevolutionare, komplexitatssteigernde Entstehung neuer 
Stmkturen wie etwa neuer Organe spricht nicht zuletzt auch folgende Einsicht: „Ein Selekti- 
onsvorteil ist nur im fertig ausgebildeten Zustand gegeben; ,unfertige' Zwischenformen sind 
biologisch wertlos und werden durch stabihsierende Selektionswirkung ausgemerzt."^^^^ 

Nach den naturwissenschaftlichen sind nun die philosophischen Argumente gegen die Evolu- 
tion zu behandeln. Zunachst fallt die Vielheit und Widerspriichlichkeit der konkurrierenden 
Evolutionshypothesen auf. „So gut wie jeder Autor, der iiber Evolution schreibt, hat seine ei- 
gene Auffassung dariiber, ob bestimmte Fragen befriedigend beantwortet sind oder nicht und 
welche der noch ungelosten Probleme besondere Aufmerksamkeit verdienen."^^^^ Obwohl es 
also schwierig ist, von der Evolutionstheorie zu sprechen, soil sie doch im folgenden philoso- 
phisch kritisiert werden, und zwar vor allem in der in Kapitel 3 profilierten Form des Biolo- 
gismus bzw. Evolutionismus. Wie sich bereits dort andeutete, beruht der Evolutionismus auf 
auBernaturwissenschaftlichen, um nicht zu sagen metaphysischen Pramissen. Diese sind je- 
doch im allgemeinen nicht oder auBerst unzureichend reflektiert und halten einer ausdriickli- 
chen philosophischen Priifung nicht stand.^^^^ Zunachst ist zu wiederholen, daB die Evolution- 
stheorie noch nicht einmal ihre eigene Wahrheit verkiinden, geschweige denn begriinden 
kann.^^^^ Sie spricht sich selbst das vemichtende Urteil: „Die Evolutionstheorie hat ebensowe- 
nig , Wahrheit' wie jede Theorie gegen sie; sie ist ubrigens auch keine Hypothese, sondem sie 
ist ein Vorkommnis unter anderen."^^^^ 

Obwohl es im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht ausfuhrlich thematisiert werden kann, 
ist gegen den Evolutionismus anzufuhren, daB er - konsequent zu Ende gedacht - zu unethi- 
schem, um nicht zu sagen unmenschlichem Verhalten oder, mit anderen Worten, in eine ethi- 
sche Katastrophe fuhrt. Auf ihn kann weder das sinnvoUe Handeln des Einzelnen noch eine 
seinsgerechte Gesellschaft gegriindet werden. ^^^^ Der Evolution „geht" es - wenn uberhaupt - 



'^'^ Vgl. Junker/Scherer 53 ff. 

^^" Junker/Scherer 81. Im Original ist diese Aussage durch Kursivdruck hervorgehoben. Vgl. dazu auch Leh- 
men II.2, 132 ff. und Dempf 1 17 ff. 

^^'^ Wuketits 2000, 108 f. 

^^^^ „Das Evolutionsprogramm als antimetaphysisch zu kennzeichnen ist Koketterie: es ist extrem metaphysisch; 
innerhalb seines metaphysischen Horizontes lassen sich allerdings abenteuerliche Widerspriiche aufzeigen - 
ein von H. E. Hengstenberg ebenso griindlich wie scharfsinnig durchgefuhrtes Unter nehmen." Spaemann/ 
Low 274; das angesprochene Werk ist Hengstenbergs „E volution und Schopfung" von 1963. 

'''^ Vgl. Kapitel 4.2 und 4.5.4. 

^^" Spaemann/Low 272. Zur ungerechtfertigten Ausweitung der Evolutionstheorien auf die gesamte Natur- 
wissenschaft, ja die Wissenschaft uberhaupt, siehe Spaemann/Low 220 ff. 

^^^^ Vgl. Lehmen IV, 36 ff. und 296 ff. sowie Vollmert 176 ff. 



308 Anthropologic 



nur um die Art und nicht um das einzelne Lebewesen. Die Wiirde der Person wird dabei vol- 
lig verkannt bzw. miBachtet/"^^^ 

Ein weiterer grundsatzlicher Einwand gegen den Evolutionismus ist die Unhaltbarkeit des 
Materialismus. Viele Forscher „gehen mit dem Vorurteil ans Werk, alles Leben sei aus der 
Materie zu erklaren; und weil sie nun bei ihren Experimenten keine Seele sehen, fuhlen oder 
riechen, halten sie es fur wissenschaftlich unanfechtbar, daB es keine Seele gebe, und daB der 
Stoff der alleinige Trager aller Lebenserscheinungen sei."^^^^ Dies ist jedoch ganz falsch, wie 
sich im Rahmen der Ontologie und bei der Behandlung der Seele bzw. des Geistes bereits ge- 
zeigt hat.^^^^ Dem Materialismus ist zu sagen: „In [...] Lebewesen sind die Gesetze von Physik 
und Chemie zwar nicht auBer Kraft gesetzt, aber es gelten noch andere und mehr Gesetze als 
sie."^^^^ Man kann die Unmoglichkeit der rein materiellen Erklarung der Entstehung von Le- 
ben auch anhand des Begriffs der Information erlautern.^^^^ Die Entstehung des Lebens be- 
deutet die Entstehung von Information. Information ist keine Eigenschaft der Materie „und 
darum scheiden rein materielle Prozesse grundsatzlich als Informationsquelle aus"^^^\ Weil 
Information nicht von selbst entstehen kann,^^^^ kann sie letztlich nur von einer nicht zusam- 
mengesetzten, also einer immateriellen Substanz herriihren.^^^^ 

Die schwerwiegendsten philosophischen Einwande gegen den Evolutionismus im allgemei- 
nen und die evolutionare Entstehung des Lebens sowie des Menschen im besonderen bezie- 
hen sich auf die Verkennung des Seelischen bzw. Geistigen. Diese Einwande werden sich 
nachfolgend im Rahmen der realistischen Philosophic des Lebens verdeutlichen. Zunachst ist 
noch einmal kurz das im Rahmen der Naturphilosophie (besonders Kapitel 4.4.3) zum Leben 
Ausgefuhrte zu wiederholen und insbesondere auf das menschliche Leben anzuwenden. Das 



^^'^ Vgl. zur Person Kapitel 4.5.6. 

^^^^ Lehmen II.2, 2. 

^^^^ Vgl. gegen den Materialismus im allgemeinen und die Selbstorganisation der Materie im besonderen Kapitel 
4.3.2. Zum Sein der Seele bzw. des Geistes vgl. Kapitel 4.5.3. 

Die Unangemessenheit des Materialismus (sowie des Funktionalismus) deutet sich auch darin an, daB Le- 
bewesen nicht so studiert werden konnen wie Dinge, da beim Auseinandernehmen in Telle das Leben ver- 
schwindet und nach der „Zusammensetzung" nicht zuriickkehrt. Vgl. Hennen 343 f. und Lehmen I, 111. 

^^^ Herbig/Hohlfeld 284. 

^^^ Vgl. Gitt 1994, 113 ff., 130, 142 und 151 ff. 

'^' Gitt 1994, 56. 

'^' Vgl. auch Gitt 1994, 88 ff. und 226 ff. 

^^^ Leben hat eine Tendenz zur Ordnung, Totes zur Unordnung. Vgl. Schrodinger 1987, 120 ff. Gegen den 
Energieerhaltungseinwand als vermeintliches Argument gegen Wirklichkeit und Wirksamkeit der Seele 
bzw. des Geistes siehe Kapitel 4.3.2, 4.5.5 und vor allem 4.5.3. 

Da das Wachstum eines Lebewesens die Zunahme seiner Ordnung, Information etc. auf Kosten der Umwelt 
bedeutet, muB dariiber hinaus letztlich eine urspriingliche Ordnung bzw. eine extrem niedrige Entropie das 
Universum bestimmt haben, deren Ursprung rein naturwissenschaftlich unerklarlich ist. 



Anthropologic 309 



Leben war erkannt worden als der substantielle Grund, durch den ein Wesen nach innen wir- 
ken und das heiBt sich selbst bewegen bzw. verandem und letztlich vervoUkommnen kann/"^^^ 
Aus diesem Innewirken folgen eine Reihe wesentlicher Unterschiede zwischen Organischem 
und Anorganischem bzw. Technischem.^^^^ Das Wachstum der Lebewesen geschieht nicht 
durch auBere Anlagerung, sondem durch innere Assimilation und Entfaltung.^^^^ Lebewesen 
sind Individuen, d.h. sie lassen sich beispielsweise weder beliebig teilen noch beliebig und 
maBstabsgetreu vergroBem. Als Organismus sind die Telle so auf das Ganze ausgerichtet und 
vom ihm sowie untereinander abhangig, daB keine beliebige Analyse und erneute Synthese 
moglich ist.^^^^ Lebewesen entstehen nur aus Substanzen ihresgleichen, d.h. genauer nur aus 
Lebewesen derselben Art, wogegen anorganische Substanzen - wenn uberhaupt - nur aus 
verschiedenen andersartigen Substanzen entstehen. Dariiber hinaus konnen Lebewesen im 
Gegensatz zum Anorganischen nicht beliebig lange bestehen. Man unterscheidet drei Grade 
des Lebens: das vegetative, das sensitive und das intellektuelle bzw. intellektive Leben. 

Das Leben kann - selbst in seiner untersten Form - nur durch eine nichtstoffliche oder mit 
anderen Worten immaterielle Seele erklart werden.^^^^ Dieses uberstoffliche, gestaltgebende 
Lebensprinzip, das die organische Ganzheit bzw. Einheit des Lebewesens zielstrebig ver- 
wirklicht, wird im AnschluB an Aristoteles auch Entelechie genannt.^^^^ Nur die Seele kann 
die - vor allem auch innere - Einheit der Lebewesen erklaren. Ein System dagegen ist etwas 
(auf Einheit hin) Geordnetes, bedarf also eines Einheits- bzw. Ordnungsprinzips und kann 
dieses Prinzip selbst unmoglich sein.^^^^ Dieses Ordnungsprinzip ist die (Wesens-)Form des 
Leibes, d.h. die Seele. Ohne die Seele ware die Bestimmung bzw. Ordnung der Telle zur 
Ganzheit und zum Wohle des Ganzen nicht moglich, da keines der raumlich getrennten Telle 
ein Wissen um alle anderen Telle und ihren Beitrag zum Ganzen haben kann.^^^^ Die Seele 
zeigt sich durch das harmonische Zusammenwirken der einzelnen Telle sowie durch viele 



^^^'^ Zur Selbstbewegung ist anzumerken, daB Gott bei jedem Selbstbewegungs- bzw. Lebensakt - wie uberhaupt 
bei alien Akten der Geschopfe - mitwirken muB, well das Kontingente nicht nur in seinem Sein, sondern 
auch in seinem Wirken stets von Gott abhangig bleibt. Vgl. Kapitel 4.3.3 und 4.5.5. 

^^^^ Aus diesem Grund ist die Erweiterung und (Re-)Produktion von Maschinen und Computern auch grundle- 
gend vom Wachstum und der Vermehrung der Lebewesen zu unterscheiden. Von Leben, Selbsterhaltung 
und Stoffwechsel kann man bei technischen Produkten nur im uneigentlichen Sinne sprechen. 
Vgl. zum Unterschied zwischen Organismus und Maschine auch Hennen 28 f., 70 und 297 ff. 

^^^^ Zur Selbstversorgung bzw. Ernahrung bei Wahrung der Identitat siehe auch Hennen 28 f. 

^^"^^ Lebendiges zeigt eingeschrankte Teilbarkeit, Totes dagegen eingeschrankte Einheit. 

''^' Vgl. Kapitel 4.4.3 f. und 4.5.3. 

^^^^ Vgl. Aristoteles: tJber die Seele; Hennen, besonders 92 ff. und 331 ff.; Haas in: Brugger 216 f. und Willwoll 
in: Brugger 341 ff. Die Pflanzenseele wird auch Vitalseele genannt. 
Siehe zur Aristotelischen Lehre vom Leben auch Matthews in: Boden 1996 und Nussbaum/Rorty. 

^^^^ Vgl. Hennen 24 f., 59 f., 64, 99 und 263. 

^^^^ Vgl. zur Seele als geistigem Band der leiblichen Telle auch Thomas: Summe der Theologie I, 76. 



310 Anthropologic 



Prozesse, die haufig erst in der weiter entfernten Zukunft ihren Zweck offenbaren, dagegen 
kurzfristig und chemisch-physikalisch betrachtet widersinnig scheinen. Wenn es also um den 
ontologischen Bereich des Lebendigen geht, reicht die Betrachtung der Wirkursachen nicht 
aus. Es miissen auch die Zweckursachen erkannt werden, welche die Wirkursachen aktualisie- 
ren und leiten und so die ZweckmaBigkeit und Zweckstrebigkeit der Lebewesen erklaren. Die 
Seele ist also Form-, Wirk- und Zielursache des Lebewesens/"^^^ Soweit die bisherigen Ergeb- 
nisse. 

An dieser S telle ist die Besonderheit des menschlichen Lebens hervorzuheben.^^^^ Der 
Mensch fuhrt nicht nur ein vegetatives und sinnliches, sondern vor allem ein intellektuelles 
Leben, d.h. er wirkt durch die Erkenntnis des Wahren und das freie WoUen des Guten zu sei- 
ner VoUendung.^^^^ Es heiBt deshalb zu Recht: Tatigkeit des Geistes ist Leben.^^^^ Weil Den- 
ken und WoUen die zwei wesentlichen Lebenstatigkeiten des Geistes sind, ist das (geistige) 
Leben nicht an Materie gebunden.^^^^ Leben ist kein Akzidens, sondern eine dem Nicht- 
Lebendigen ubergeordnete Stufe des Seins.^^^^ 

Um das Wesen und die Herkunft des Lebens zu erkennen, ist noch ausdriicklich darauf einzu- 
gehen, warum die DNS keinesfalls die Seele sein bzw. ersetzen kann.^^^^ Zunachst einmal 
leuchtet es ein, daB komplexe Materiestrukturen und insbesondere die DNS das Leben schon 
deshalb nicht hinreichend begriinden konnen, well sie nicht beim, sondern erst (weit) nach 
dem Tod vergehen.^^^^ Die Erbinformation ist fur das Lebewesen vor allem Potenz. Sie bedarf 
der Aktualisierung z.B. durch geeignete Umgebungen, vor allem aber durch die Seele. Eine 
entsprechende materielle Konstitution wie die DNS ist allenfalls notwendige, aber nicht 
(auch) hinreichende Bedingung fiir (leibliches) Leben.^^^^ Die DNS ist - insofern die Seele 



^^^^ Vgl. Hennen 266 f. und 339 ff. 

^^^^ Vgl. zum Wesen des (geistigen) Lebens Vries in: Brugger 212 ff. und Hennen 331 ff. 

^^^^ Vgl. Lotz/Vries 1 17 ff., Hennen 81 f. sowie Lehmen II.2, 230 ff. und 348 ff. 

^^^^ Vgl. Aristoteles: Metaphysik XII, 7 (1072 b). 

^^^^ Vgl. zum rein geistigen Leben die Ausfuhrungen zu Gott in Kapitel 4.3.3. 

^^^^ Vgl. Hennen 310 f. 

^^^^ Vgl. Hennen 74 ff., 103 ff., 114 ff., 262 ff., 329 und 353. 

„Die heute bei Biologen fast allgemein vertretene Auf fas sung, daB die Kenntnis der DNS und ihrer Funktion 
in der Zelle den Begriff der Entelechie uberflussig gemacht habe, beruht auf einem Irrtum: Die Formbildung 
im Bereich der Lebewesen ist durch die bisherige Kenntnis der DNS nicht zu erklaren." Vollmert 143. Die 
Formbildung ist genau genommen nicht nur durch die bisherige, sondern uberhaupt durch die Kenntnis der 
DNS unerklarlich. 
Zur biologischen bzw. biologistischen Einschatzung der DNS siehe dagegen Kapitel 3.3.2. 

^^^^ DaB Komplexitat das Leben bzw. die Lebendigkeit nicht erklaren kann, ergibt sich schon daraus, daB ein erst 
kurze Zeit toter Mensch komplexer als jedes lebendige Tier ist. 

^^^^ Vgl. auch Gitt 1994, 96 und zur Potenz Kapitel 4.3.2. 



Anthropologic 311 



sich ihrer bedient - nur Instmmentalursache des sinnlichen Lebens/^^"^ Wie bereits im Rah- 
men der Ontologie (Kapitel 4.3.2.) deutlich wurde, kann Materie sich nicht selbst organisieren 
bzw. bewegen. Fur ihre Gestalt und ihr Wirken bedarf sie notwendig der sie formenden im- 
materiellen Substanz, also der Form, der Seele oder des Geistes. 

Nur vor diesem Hintergrund laBt sich auch die Frage nach der Herkunft des Lebens, beson- 
ders des menschlichen Lebens, angemessen beantworten. Obwohl das Wissen um das Wesen 
des Menschen entscheidender ist als dasjenige um dessen Genese bzw. Entwicklung,^^^^ ist die 
realistische Sicht bezuglich des Ursprungs des Lebens ausgesprochen hilfreich.^^^^ Weil das 
Leben jedes Lebewesens auf seine Seele zuriickgeht, lauft die Frage nach der Herkunft des 
Lebens auf die bereits in Kapitel 4.5.3 behandelte Frage nach der Herkunft der Seele hinaus. 
Als eine materielle Substanz kann weder die DNS noch irgendeine chemische Verbindung die 
immaterielle Seele oder gar den Geist hervorbringen.^^^^ „Das weniger Vollkommene kann 
nicht Ursache eines Hoheren oder VoUkommeneren sein. Das widersprache dem Kausalitats- 
prinzip."^^^^ So wie die Materie kann auch das Leben nur durch das Wirken der absoluten und 
ersten Ursache entstanden sein. Die ersten Lebewesen miissen also von Gott erschaffen wor- 
den sein.^^^^ 

Fur die Beantwortung der Frage nach der Herkunft des Menschen muB gezeigt werden, wie 
dessen Geist ins Sein kommt. Die Unmoglichkeit der Entstehung aus der Materie wurde be- 
reits mehrfach (u.a. fur den analogen Fall der Seele) gezeigt. Aber auch aus der tierischen 
Seele kann in keiner Weise der sich wesentlich von ihr unterscheidende menschliche Geist 
entstehen. Das ergibt sich einerseits aus der Einfachheit der Seelen, die aus ihrer Natur heraus 
keine substantielle Veranderung zulassen. Es gibt keinen „fluxus formarum", d.h. kein Flie- 
Ben der Formen bzw. keine Entstehung einer Form aus einer anderen. Andererseits ist ein 
Entstehen des Geistes aus der Seele auch deshalb unmoglich, weil das Unvollkommenere 



^^^"^ Siehe dazu auch Vollmert 141 ff. 

^^^^ Vgl. Scheffczyk in: Luyten/Scheffczyk 23 ff. 

^^^^ Ein angemessenes und wahres Wissen um Vergangenheit und Ursprung bewahrt den Menschen beispiels- 

weise vor vielerlei Gefahren, wie etwa dem Hochmut oder der Hoffnungs- und Ziellosigkeit. 

Siehe zum Ursprung des Lebens auch www.AnswersInGenesis.org/home.asp; http://trueorigin.org sowie 

www.mpiz-koeln.mpg.de. 
^^^^ Vgl. gegen das angebliche (emergente) Entstehen der Seele bzw. des Geistes auch Kapitel 4.5.3. 
^^^^ Hennen 75. Vgl. auch Hennen 79, 85 und 248 ff. sowie Lehmen I, 100 und zum Kausalitatsprinzip Kapitel 

4.3.2. Dazu, daB Leben bzw. Lebendiges wertvoller als Totes ist, siehe auch Heitler in: Herbig/Hohlfeld 483 

ff. 
^^^^ Vgl. Lehmen II, 89 ff., 146 ff. und III, 196 ff.; Hennen 99 f. und 345 ff.; Vollmert 190 sowie Naumann in: 

Brugger 339 ff. 

In diesem Sinne hat Pasteurs Aussage „omne vivum e(x) vivo", also „Leben entsteht nur aus Leben", nicht 



312 Anthropologic 



nicht das VoUkommenere hervorbringen kann. Der Mensch kann also durch keine wie auch 
immer zu denkende Entwicklung aus einem Tier entstanden sein, denn: „Wer aber die Entste- 
hung des Geistes nicht erklaren kann durch Tierabstammung, erklart eben den Menschen 
nicht durch Tierabstammung. "^^^^ 

In diesem Zusammenhang ist eine ebenso haufig vorgetragene wie falsche Auffassung zu kri- 
tisieren, nach welcher der Mensch erst im Laufe der Schwangerschaft zum Menschen wird. 
Dagegen ist vorzubringen, daB schon biologisch gesehen der Mensch von der Befruchtung an 
ein Mensch ist, well seine DNA von Beginn an voUstandig und funktionsfahig ist.^^^^ Bei der 
„Entstehung" eines Menschen aus der befruchteten Eizelle handelt es sich um eine Entfaltung 
der keimhaften Anlagen, die jedoch wesensmaBig immer schon voUkommen bzw. voUstandig 
sind. Das gilt erst recht fur den Geist, der als unteilbare, subsistierende Substanz immer schon 
voUstandig, um nicht zu sagen voUkommen ist. „Die noch fehlende Moglichkeit des Geistes 
des Kindes, sich als selbstbewuBtes Sein zu offenbaren, ist nicht auf einen Seinsmangel des 
Geistes zuriickzufuhren, sondern auf den noch unvoUkommenen Zustand seiner korperlichen 
Werkzeuge[...]."^'^' 

SchlieBlich gilt es noch, den Tod philosophisch einzuordnen.^^^^ Kurz gesagt bedeutet Tod die 
Trennung von Leib und Seele. „Bei der Trennung gehen die Pflanzen- und Tierseelen zugrun- 
de, da sie ohne Leib nicht existieren konnen; die geistige Menschenseele hingegen beginnt ihr 
iiberleibliches, unsterbliches Fortleben, weshalb ihr Denken u[nd] WoUen zwar nicht mehr 
leiblich erscheint, keineswegs aber aufhort [...]."^^^^ Der Mensch ist das einzige Lebewesen, 
das iiber seinen Tod nachdenkt bzw. von ihm weiB.^^^^ Erst vor diesem Hintergrund leuchtet 
der Wert und Sinn des Lebens in seinem voUen Umfang auf. Der Sinn des Lebens besteht 



nur fiir das sichtbare Leben, sondern universell Gultigkeit. Vgl. dazu auch Lotz/Vries 191 ff.; Gitt 1994, 95; 

Junker/Scherer 149 so wie Hennen 29 und 339 ff. 
^^^° Lehmen II. 2, 155. Hervorhebung im Original nicht durch Kursiv- sondern durch Sperrdruck. Vgl. zur Un- 

moglichkeit der Abstammung des Menschen von einem affenahnlichen Wesen auch Lotz/Vries 200 ff. 
^^^^ Vgl. Vollmert 177 f. 
^^^^ Hennen 109. Weil der Mensch von Anfang an Lebensakte wie etwa Stoffwechselvorgange oder Zellteilun- 

gen vollzieht, setzt dies voraus, daB er von Anfang an durch einen Geist beseelt ist. 
^^^^ Vgl. Lehmen II.2, 435 ff.; Seifert 1989, 235 ff.; Lotz in: Brugger 407 f.; Lotz/Vries 270 f. sowie Hennen 331 

ff. und siehe zum Tod aus biologisch-chemischer Sicht auch Vollmert 164 ff. 
^^^^ Lotz in: Brugger 407. Die Unsterblichkeit der Geistseele ist auBer durch deren Subsistenz auch durch die 

gottliche Gerechtigkeit, insbesondere mit Hinblick auf den Ausgleich der weltlichen Ungerechtigkeiten ge- 

fordert. Vgl. Kapitel 4.5.3 sowie Lehmen II.2, 448 ff. 
^^^^ Vgl. Guitton et al. 20 f. und Plessner 1985, 74. 

Die (vermeintliche) KI kann deshalb keine Angst vor dem Tod haben, well sie weder sterben noch um ihren 

Tod wissen oder gar dariiber hinaus existieren kann. 



Anthropologic 313 



namlich im „Glucklichwerden durch Erkenntnis des Wahren und Tun des Guten"^^^^. Dabei 
ist das Glucklichwerden weniger das direkte Ziel als vielmehr die Folge der Erkenntnis und 
des guten Handelns. Doch noch entscheidender ist das Endzioi des menschlichen Lebens bzw. 
das schlechthin letzte Ziel, worunter man dasjenige Ziel versteht, das keinem anderen Ziel 
mehr unterstellt ist und sein kann.^^^^ Hat man den Willen als die Ausrichtung auf ein Ziel er- 
kannt, so folgt, daB sich dieser entweder bereits auf das hochste Ziel selbst oder auf ein ande- 
res mittelbares Ziel richtet, das notwendigerweise auf ein weiteres, ubergeordnetes Ziel ver- 
weist. Weil die Reihe der ubergeordneten Ziele nicht ins Unendliche gehen kann, da es zum 
Widerspruch des ziellosen Ziels kame, folgt die Existenz des Endziels.^^^^ Wahrend auf der 
einen Seite eine Vielzahl von (sich widersprechenden) innerweltlichen Zielen angegeben 
wird,^^^^ muB nach dem in Kapitel 4.3.3 Gesagten notwendig von der absoluten und transzen- 
denten Substanz, d.h. Gott, als Endziel ausgegangen werden. Alles andere Seiende scheidet 
aus, da es stets auf Hoheres verweist, abhangig, veranderlich und unvollkommen sowie nicht 
selten unerreichbar ist. Einzig Gott kann als das hochste, unveranderliche, unverlierbare und 
unmiBbrauchbare Gut eine voUkommene VoUendung des Menschen ermoglichen und seine 
Gluckseligkeit in jeder Hinsicht sichem.^^^^ Obwohl die groBtmogliche Gotteserkenntnis so- 
wie Ubereinstimmung mit seinem Willen zu irdischen Lebzeiten, d.h. vor dem Tod, aus vie- 
lerlei Griinden nicht moglich ist,^^^^ ist eine lebenslange Annaherung erstens moglich und 
zweitens geboten.^^^^ 



Deku 255. Dies geschieht, wie es einige Satze spater in Anlehnung an Aristoteles treffend helBt, um Gott die 

Ehre zu geben, was erneut auf die Wichtigkeit der naturlichen Theologie verweist. Den ersten Grundsatzen 

des Seins und Denkens entspricht in ethischer Hinsicht die erste Grundeinsicht des Urgewissens: Tue das 

Gute und meide das Bose! Mehr zu allgemeinen und abgeleiteten Grundsatzen ethischen Handels findet sich 

bei Kalin II, 69 ff.; Lotz/Vries 285 ff.; Lehmen IV; Messner; Wittmann sowie EraBme 1997. Siehe zum Ge- 

wissen auch Lehmen IV, 116 ff. 

Siehe dazu auch Lotz in: Brugger 152 ff. sowie Lehmen III, 84 ff. und IV, 4 ff. 

Dagegen gibt es fur die in Kapitel 3 genannten Theorien keinen letzten Grund und auch kein letztes Ziel fur 

den Willen, weshalb auch die „Teilziele" genau genommen ins Leere laufen. 

Eine sehr liber sichtliche Darstellung und Kritik der moglichen innerweltlichen Ziele findet sich bei Kalin II, 

1 1 ff . Innerweltliche Ziele werden insbesondere der Unsterblichkeit der Seele nicht gerecht. 

Vgl. Lehmen IV, 4 ff. Zu Gott als dem hochsten Gut bzw. Gluck vgl. auch Boethius: Trost der Philosophic 

III. Vgl. zum hochsten Gluck, das nachweislich nicht im Materiellen, Zusammengesetzten, Quantitativen 

liegen kann, auBerdem Lotz/Vries 272 f . 

Auf grund der Unvollkommenheit, der (leiblichen) Begrenztheit, einem Mangel an Zeit, Wissen, Kraft und 

Willen sowie aus anderen Griinde. Vgl. Kalin II, 26 ff. 

Aus der bewuBten Ausrichtung auf Gott folgen letztlich alle Normen fur das menschliche Leben, auf die an 

dieser S telle jedoch nicht naher eingegangen werden kann. In den Grundordnungen, die die Ontologie, na- 

turliche Theologie und Anthropologic aufdecken, griindet das sogenannte Naturrecht bzw. das naturliche 

Sittengesetz. Vgl. Lehmen IV, besonders 81 ff. und 142 ff. Zur weiteren Einteilung von Recht und Gesetz 

siehe auch Kalin II, 59 ff. Das naturliche Sittengesetz ist derjenige „Teir' des lex aeterna, also des ewigen 

Gesetzes, der das sittliche Verhalten bestimmt und von den verniinftigen, zeitlichen Wesen erkannt werden 

kann. Nur in dieser Hinsicht ist es „zeitlich". Auf dem Naturrecht hat das „positive" (von lat. ponere, setzen) 

vom Menschen gesetzte Recht und die Rechtsprechung zu beruhen. Zur Kritik von anthroponomem Moral- 



314 Anthropologic 



Bezogen auf die Moglichkeit eines kiinstlichen Lebewesens bzw. einer lebendigen KI ist zu- 
sammenfassend folgendes zu sagen: Zwischen Lebewesen und technischen Systemen bzw. KI 
besteht ein wesentlicher, uniiberbriickbarer Unterschied, der auf die den Lebewesen innewoh- 
nende (im Falle des Menschen geistige) Seele zuriickgeht. Seele bzw. Geist und deren Fahig- 
keiten konnen unmoglich durch ein aus Teilen bestehendes System erklart werden. ^^^^ Kunst- 
liche Erzeugnisse reichen nicht an den Bereich des vegetativen sowie sensitiven Lebens heran 
und haben einen noch viel groBeren Abstand zum geistigen, personalen Leben des Menschen. 
Weil es nicht in der Macht des Menschen steht, eine einfache Substanz wie die Seele oder gar 
den Geist zu schaffen, kann Leben, geschweige denn geistiges Leben technisch allenfalls imi- 
tiert, modelliert oder simuliert, jedoch nie reproduziert, kopiert oder kreiert werden.^^^^ 

Bevor Kapitel 5 das Fazit der gesamten Arbeit zieht, ist nachfolgend noch das Zwischenfazit 
der Anthropologic zu formulieren. 



positivismus, Moralrelativismus und -evolutionismus, Eudaimonismus und anderer vom Gesagten abwei- 

chenden Auffassungen siehe Kalin II, 74 ff . 
^^^^ Die Seele ist darum auch nicht formalisierbar bzw. durch einen Algorithmus zu ersetzen. 
^^^^ Vgl. auch die analogen Argumente in Kapitel 4.5.3 ff. 



Anthropologic 315 



4.5.9 Der Mensch - Zwischenfazit zur Anthropologic 

An dieser Stelle gilt es, noch einmal die wichtigsten Ergebnisse der philosophischen Anthro- 
pologie kurz zusammenzufassen. Zu den bedeutendsten Erkenntnissen gehort vor allem die, 
daB ein von den Naturwissenschaften dominiertes Menschenbild aus dem Lot gebracht ist und 
durch die auf das Ganze und das Wesen gerichtete Philosophie wieder zurechtgeriickt werden 
muB. Der Mensch ist namlich weder eine Symbolverarbeitungsmaschine noch ein neuronal 
Oder quantenphysikalisch gesteuertes System. Er kann also weder symbolistisch, konnektioni- 
stisch, biologistisch noch physikalistisch verstanden bzw. erklart werden. 

Der Mensch ist - mit Augustinus gesprochen - „animal rationale"^^^^ d.h. ein denkendes Le- 
bewesen bzw. vemiinftiges Sinnenwesen. Man kann auch sagen, er ist ein vernunftbegabtes 
Lebewesen, wenn man die Moglichkeit des unverniinftigen Verhaltens betonen will.^^^^ Wie 
die ausfuhrliche philosophische Kritik deutlich gemacht hat, ist der Mensch ein leib-geistiges, 
soziales und vemiinftiges Wesen.^^^^ 

Geformt und geleitet wird der Mensch von seiner geistigen und deshalb unsterblichen Seele, 
durch die er die Wiirde der Person innehat.^^^^ Er ist zum Denken und damit zu objektiver, ab- 
strakter Erkenntnis fahig und darum intelligent. Der Mensch hat einen freien Willen, der, 
durch die geistige Erkenntnis geleitet, sich auf das Gute richten soil. Er ist sich dariiber hinaus 
durch Reflexion seiner selbst bewuBt. Der Mensch empfindet Gefuhle, die im allgemeinen 
iiber die Gefuhle der Tiere hinausragen, weil sie geistig durchformt sind oder zumindest 
mehrheitlich sein konnen. Der Mensch lebt, und das heiBt vor allem, er lebt ein geistig be- 
stimmtes Leben, das sich wesensmaBig von dem aller Tiere unterscheidet und aufgrund seiner 
substanziellen Uberlegenheit unmoglich aus dem weniger seinsmachtigen Tierleben hervor- 
gegangen sein kann. 



1525 ^j^jj-Q^ bedeutet bekanntlich Seele. Der Mensch kann nicht als „ vemiinftiges Tier'' definiert werden, da ein 
Tier als unverniinftiges Lebe- bzw. Sinnenwesen definiert ist. Zur Bedeutung von „ratio" und „intellectus" 
siehe Kapitel 4.5.4. 

^^^^ Begabung sagt einmal, daB nicht alle Menschen immer und im selben MaB verniinftig sind, ihre Begabung 
also nicht in gleicher Weise aktualisieren, was der Beobachtung gerecht wird. Zweitens steckt in der Bega- 
bung die Gabe, und das bedeutet, daB der einzelne sowohl sein MaB als auch, metaphysisch zu Ende ge- 
dacht, die Vernunft selbst empfangen hat und nicht sich selbst verdankt. 

^^^^ Die allseitige Forderung und Entfaltung in alien menschlich-kulturellen Bereichen (Wissenschaft, Technik, 
Kunst, Sport, Religion etc.) ist zwar fiir jeden einzelnen wiinschenswert, aber als Aufgabe nur durch die Fa- 
milie, den Staat und letztlich die gesamte Menschheit zu erfiillen. Vgl. Lotz/Vries 331 ff. Zur Frage, wie der 
Mensch aufgrund seiner ontologischen Beschaffenheit leben soil, siehe beispiels weise Hoh. 

^^^^ Der Mensch darf jedoch nicht mit seiner Seele gleichgesetzt werden. Mit Augustinus muB man sagen: 
„Anima mea non est ego", d.h. „Meine Seele bin ich nicht". Vgl. dazu auch Thomas: Summe der Theologie 
I, 75 f. 



316 Anthropologic 



Weil es nicht in der Macht des Menschen steht, eine einfache Substanz wie den Geist zu 
schaffen, kann ein denkendes, erkennendes, intelligentes, frei wollendes, selbstbewuBtes, 
fuhlendes und lebendes Wesen technisch allenfalls imitiert, modelliert oder simuliert, jedoch 
nie reproduziert, kopiert oder kreiert werden. 

Die Ergebnisse der zuriickliegenden Kapitel haben erwiesen, daB die philosophische Be- 
trachtung des Menschen im Lichte metaphysischer Erkenntnisse und speziell der Aufweis sei- 
ner Geistseele unersetzbare Grundlage fiir die seinsgerechte Einordnung sowohl des Men- 
schen als auch der KI ist. Das folgende, letzte Kapitel zieht in diesem Sinne das Fazit der ge- 
samten vorliegenden Arbeit und wagt einen Ausblick. 



Fazit 317 



5. FazitundAusblick 



5.1 Fazit 



An dieser Stelle gilt es, die wichtigsten Ergebnisse der vorliegenden Arbeit noch einmal auf- 
leuchten zu lassen und um einige SchluBfolgerungen zu erweitem. 

Nach einer Einleitung in die Problematik der „Kr'^^^^ nimmt die Arbeit in Kapitel 2 ihren 
Ausgang mit einer zusammenfassenden Darstellung des Standes der Technik. Dieser Uber- 
blick erleichtert das Verstandnis fiir die Herausforderungen sowie Philosophie der KI und 
fiihrt gleichzeitig wichtige Grundbegriffe ein. Aufgrund der standig zunehmenden Verzwei- 
gung und der rasanten Weiterentwicklung der KI-Teilgebiete konzentriert sich die entspre- 
chende Darstellung vor allem auf diejenigen Bereiche und Beispiele, die fiir die Theorienbil- 
dung der KI besonders interessant sind. Die exemplarische Vorstellung verschiedener fiir die 
KI typischer Anwendungsgebiete orientiert sich groBtenteils an der Konstitution und den 
Vermogen des Menschen, da dies am besten auf die spateren philosophischen und insbeson- 
dere anthropologischen Untersuchungen vorbereitet. Behandelt werden Beispiele aus den 
Teilgebieten wissensbasierte Systeme, konnektionistische Systeme, bild- und sprachverarbei- 
tende Systeme, Robotik sowie Kiinstliches Leben. Fiir alle diese Bereiche werden stellvertre- 
tende Anwendungen aus Forschung und Alltag beschrieben, die die teilweise hochst prakti- 
schen wie auch erstaunlichen Erfolge der Kl-Produkte verdeutlichen. Anhand der Beispiele 
werden typische Methoden, Ziele und nicht zuletzt Probleme der KI herausgearbeitet. 

Das Kapitel „Stand der Technik" liefert die Vorarbeit fiir das Kapitel 3, in dem vier verschie- 
dene naturwissenschaftliche Grundauffassungen vom Menschen und der KI anhand wesentli- 
cher anthropologischer Grundbegriffe profiliert werden: Symbolismus, Konnektionismus, 
Biologismus und Physikalismus. Fiir alle vier Theorien werden zunachst die Grundziige bzw. 
die unterschiedlichen Systemansatze sowie typische Forschungs- und Umsetzungsmethoden, 
Informationsverarbeitungsprinzipien und Ziele herausgearbeitet. Der Schwerpunkt der Profi- 
lierung liegt auf der Verdeutlichung der anthropologisch relevanten Aussagen. Um der enor- 
men Bandbreite der implizit und explizit philosophischen Aussagen Herr zu werden, ist es 
notig, die Darstellung auf die wesentlichen anthropologischen Begriffe zu konzentrieren. Im 
einzelnen sind dies: Intelligenz, Geist, Denken, Erkenntnis, Wille, BewuBtsein, SelbstbewuBt- 



^^^^ Der Begriff KI wird zur Verbessemng des Leseflusses nicht jedesmal in Anfuhmngsstriche gesetzt, obwohl 
das Ergebnis der philosophischen Kritik an der KI dies im allgemeinen nahelegen wUrde. 



318 Fazit 

sein, Gefuhle und Leben. Bei der Darstellung der naturwissenschaftlichen Sichtweisen dieser 
Begriffe zeigt sich, daB jede naturwissenschaftliche Disziplin bzw. Theorie ihre philoso- 
phischen Pramissen hat, meist implizit oder explizit „Philosophie" betreibt und so erhebliche 
Auswirkungen auf das Wirklichkeitsbild hat. 

Das alien vier Grundauffassungen gemeinsame Welt- und Menschenbild laBt sich vor allem 
auf den Nenner bringen, daB es keinen uniiberwindbaren Wesensunterschied zwischen dem 
Menschen und der restlichen Wirklichkeit gibt. Der Mensch hat demnach weder system- 
theoretisch noch biochemisch, physikalisch oder in irgendeiner philosophisch relevanten Wei- 
se eine Sonderstellung. Das gemeinsame Ziel ist dementsprechend die Schaffung eines kiinst- 
lichen Menschen oder zumindest einer Kunstlichen Intelligenz. Alle vier Theorien erklaren 
den Menschen „von unten her", d.h. im Sinne einer weltlichen Immanenz. Sie lassen dadurch 
jedoch den Menschen letztlich auf die Ebene der Gegenstande respektive Korper herabsinken. 
Er wird zu einem mehr oder weniger austauschbaren Teil bzw. Subsystem innerhalb eines 
komplexen Weltsystems. Der Mensch wird in Verdrehung der wahren Verhaltnisse analog zur 
Dingwelt, der Technik oder gunstigstenfalls zum Tier verstanden. Die Ergebnisse der jeweili- 
gen naturwissenschaftlichen Untersuchungen miinden haufig in stark verkiirzte und ebenso 
verzerrte Bilder des Menschen. Die Einschrankung des Wirklichkeitsverstandnisses auf den 
naturwissenschaftlich erfaBbaren Teil des Seins hat deutliche Auswirkungen auf samtliche 
anthropologischen Begriffe. Am offensichtlichsten ist dies bei der Frage nach der Freiheit des 
Willens. Aber auch bei der Behandlung des Geistes, der Intelligenz, des Denkens und Erken- 
nens, des BewuBtseins und SelbstbewuBtseins, der Gefuhle sowie des Lebens wird deutlich, 
daB eine im Quantifizierbaren stehenbleibende Behandlung nicht zum Wesen der einschlagi- 
gen GroBen bzw. Vermogen vordringt. Evolutionistische Ansatze widersprechen dariiber hin- 
aus haufig dem metaphysischen Kausalprinzip, da sie eine Entwicklung vom seinsmaBig Un- 
voUkommenen zum VoUkommeneren ohne das Eingreifen einer entsprechend voUkommenen 
Ursache annehmen. Zu nennen ist auch das Leib-Seele-Problem, das letztlich nicht gelost 
wird. AuBerdem konnen die genannten Theorien nicht das Ziel bzw. den Sinn des Lebens er- 
klaren. Ohne diesen ware aber keine objektive Ethik moglich, und auch die Schaffung Kiinst- 
licher Intelligenzen letztlich wert- und sinnlos. 

An den naturwissenschaftlichen Theorien ist in diesem Zusammenhang auBerdem eine empi- 
ristische Verwendung von urspriinglich philosophischen Begriffen sowie eine Verkiirzung der 
ihnen innewohnenden originaren Bedeutungen zu beklagen. Zudem werden Begriffe haufig 
nicht ausreichend differenziert. So werden beispielsweise BewuBtsein und SelbstbewuBtsein 



Fazit 319 

sowie Geist und Seele nicht oder nicht ausreichend unterschieden. Andere Begriffe, wie etwa 
derjenige der meist unzureichend definierten Komplexitat, dienen haufig dem Ersatz fehlen- 
der argumentativer Klarheit. Wie sich zeigt, ist alien Ansatzen eine entschiedene Ablehnung 
der klassischen, realistischen Philosophie, insbesondere der Ontologie und Anthropologie ge- 
meinsam. Vor allem die Auffassung der menschlichen Geistseele als immaterielle, geistige 
Substanz und Trager der Willens- und Erkenntnisakte wird von der groBen Mehrheit der Wis- 
senschaftler vorschnell abgewiesen. Eine naturwissenschaftliche Anthropologie soil nach ih- 
rem Selbstverstandnis helfen, die vermeintlich Uberkommenen Auffassungen der „folk psy- 
chology" abzulosen, so wie es bereits bei der „folk physics" bzw. der klassischen Physik ge- 
schehen ist. Auffallig ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, daB die jeweiligen 
Einzelwissenschaften, insbesondere die Physik, dazu neigen, jeweils die „Basiswissenschaft" 
sein zu woUen. Die einzelnen Perspektiven, aus denen jede Wissenschaft den Menschen und 
die KI betrachtet, werden dabei haufig verabsolutiert und geraten damit auf unhaltbare Abwe- 
ge: Sie iiberschreiten ihre eigenen Grenzen und werden zu Ismen. 

Zusammenfassend kann gesagt werden, daB die vier behandelten Theorien einen philosophi- 
schen Materialismus vertreten, da sie die Existenz geistiger Substanzen, die sich unreduzier- 
bar in ihrem Wesen vom Materiellen unterscheiden, fiir ausgeschlossen halten. Der Materia- 
lismus zielt deutlich auf die Auflosung der Metaphysik bzw. der Ersten Philosophie. Die ge- 
samte Wirklichkeit soil rein naturwissenschaftlich erklart werden. Metaphysik ist demnach 
angeblich iiberfliissig bzw. Uberholt. Dieser Dogmatismus ist jedoch fiir die Wissenschaft im 
allgemeinen und insbesondere fiir so hochgradig differenzierte Fragen wie die nach dem We- 
sen der Intelligenz, des Geistes etc. ungeeignet. 

Aus diesem Grund und um zu verhindern, daB der Mensch das richtige Verhaltnis zu sich, 
dem Kosmos und dem Absoluten verliert und so die Unmenschlichkeit droht, ist eine philoso- 
phische Kritik vonnoten. Das Kapitel 4 greift in diesem Sinne die erheblichen Probleme und 
Widerspriichlichkeiten der vier profilierten Grundauffassungen auf und stellt sie in den Zu- 
sammenhang der Gesamtwirklichkeit. Wie der Titel der Arbeit bereits aussagt, wird dabei die 
Position des gemaBigten und kritischen Realismus vertreten, dessen besondere Starken impli- 
zit und explizit verdeutlicht werden. Es zeigt sich, daB es zur Wiirdigung und vor allem zur 
philosophischen Kritik der Grundauffassungen notig ist, erkenntnistheoretische, fundamental- 
philosophische und anthropologische Untersuchungen durchzufiihren. Nur so ist die Klarung 
des Wesens des Menschen und damit eine Abgrenzung von der KI moglich. 



320 Fazit 

Im Rahmen der philosophischen Erkenntnistheorie gilt es festzuhalten, daB Wissenschaft nur 
dann sicher betrieben werden kann, wenn gmndsatzlich geklart ist, daB der Mensch zu echter 
Erkenntnis fahig ist. Um also Mensch und KI wissenschaftlich einordnen zu konnen, hat die 
philosophische Erkenntnistheorie und vor allem die Erkenntniskritik die letzten Griinde fur 
die Erkenntnismoglichkeit und die aktuelle Erkenntnis sowie ihre Geltung respektive Wahr- 
heit aufgezeigt. Hierbei stellen sich vor allem die drei Grundwahrheiten der ersten Bedingung, 
der ersten Tatsache und des ersten Prinzips als die sicheren Fundamente alien Philosophierens 
und jeder Wissenschaft heraus. Es zeigt sich, daB der Versuch vieler Natur-, KI- und Kogniti- 
onswissenschaftler, Erkenntnistheorie rein empirisch zu betreiben oder abzusichem, scheitem 
muB. Die Naturwissenschaften setzen ihren Gegenstand bzw. Gegenstandsbereich sowie die 
Unterscheidung nach Subjekt, Objekt und Erkenntnisbeziehung immer schon voraus. Es be- 
darf daher der Universalwissenschaft Philosophic, um den Blick auf die Gesamtwirklichkeit 
zu wenden und Wahrheit als die Ubereinstimmung von Geist und Seiendem zu erkennen. Es 
ist dem Menschen moglich, (vermittelt durch Begriffe) allgemeingultige und in den Dingen 
selbst verankerte Wesensnotwendigkeiten zu erkennen. Grundsatzlicher Zweifel an der Er- 
kenntnisfahigkeit des Menschen, wie etwa vertreten durch den Skeptizismus, Subjektivismus, 
Relativismus, stellt sich als selbstwiderspriichlich heraus. Es gibt zwar Zweifelhaftes, Irratio- 
nales, Subjektives, Rahmenbedingungen, Kontextabhangiges und Unerkennbares, aber eben 
nicht nur. So wie Sinnestauschungen, Fehlschlusse etc. nicht geleugnet werden konnen, so 
auch nicht gultiges Wissen. 

Fur eine Kritik der erkenntnistheoretischen Grundaussagen der naturwissenschaftlichen Theo- 
rien aus Kapitel 3 bedeutet dies folgendes: Gegen den Symbolismus ist festzuhalten, daB Al- 
gorithmen bzw. formale Symbolumformung unmoglich das Erkennen erklaren konnen. Dies 
liegt vor allem daran, daB Algorithmen immer schon erste Wahrheiten bzw. Erkenntnisse vor- 
aussetzen und auBerdem die fur die Wahrheit notwendige Ubereinstimmung von Geist und 
Seiendem nicht sichern konnen. Symbolistische Systeme konnen die ersten Prinzipien, nach 
denen sie gebaut sind bzw. aus denen sie schluBfolgern, nicht als wahr erkennen. 
Ein Algorithmus kann nicht die Giiltigkeit, Sinnhaftigkeit oder Wahrheit von Algorithmen er- 
fassen bzw. erklaren; dafur bedarf es echter, d.h. geistiger Einsicht. Gegen den Konnektio- 
nismus ist neben der teilweise auch fur ihn geltenden Algorithmuskritik zu sagen, daB Er- 
kenntnis nicht statistisch erklart werden kann. AuBerdem beruht der Konnektionismus auf un- 
haltbaren behaviouristischen und konstruktivistischen Voraussetzungen. Gegen den Biolo- 
gismus muB eingewendet werden, daB dessen Erkenntnistheorie von falschen pragmatisti- 



Fazit 321 

schen, subjektivistischen und letztlich relativistischen Pramissen ausgeht. Es bedeutet die 
Selbstauflosung der Evolutionaren Erkenntnistheorie, wenn sie (als eine objektive Theorie) 
subjektive, evolutionar entstandene Erkenntnisfahigkeiten und -stmkturen behauptet, diese 
aber nach eigenem Selbstverstandnis nur subjektiv erkannt werden. Gegen den Physikalismus 
schlieBlich ist anzufuhren, daB auch er relativistische Pramissen vertritt und durch seinen Re- 
duktionismus das Wesen des Erkennens verfehlt. Wenn - wie in alien vier naturwissenschaft- 
lichen Grundauffassungen - rein Geistiges geleugnet wird, ist die Wahrheit als eine Entspre- 
chung bzw. Angleichung von Geistigem an Seiendes nicht mehr zu fassen. Erkenntnis setzt 
dariiber hinaus die Erkenntnis der Grundwahrheiten bzw. unmittelbarer Evidenzen voraus. 
Das ist jedoch dem Zusammengesetzten, d.h. vor allem materiellen Systemen, unmoglich. 

Um die in der Regel sehr tiefgehenden Fragen nach dem Menschen und der KI angemessen 
beantworten zu konnen, stellt sich die Notwendigkeit der Metaphysik heraus. Die Metaphysik 
Oder mit anderen Worten Fundamentalphilosophie ist das BewuBtmachen der tiefsten Griinde 
und Zusammenhange des Seins, mit dem Ziel einer umfassenden Schau der Seinsordnung 
bzw. der Gesamtwirklichkeit. Sie besteht in der Aufdeckung und Entfaltung der Grundord- 
nung und der ermoglichenden Griinde des Seienden. Es zeigt sich, daB die Begriindung bzw. 
Rechtfertigung der Metaphysik vor dem Hintergrund moderner Kritik zwar notig, aber auch 
moglich ist. Innerhalb der Metaphysik lassen sich Ontologie und naturliche Theologie unter- 
scheiden. 

Zu den wesentlichen Ergebnissen der Ontologie gehort der Nachweis, daB der Materialismus 
bei genauerer Betrachtung unhaltbar ist. Naturwissenschaftliche und insbesondere quantitativ- 
bedingte Methoden sind zwar ausgesprochen erfolgreich, jedoch nicht auf alles anwendbar. 
Ein „quantitativer Dogmatismus" bzw. ein Diktat der quantitativen Methode wird der Ge- 
samtwirklichkeit nicht gerecht. Neben dem Materiellen ist auch das Immaterielle wirklich. 
Der Kosmos sowie vor allem der Mensch und seine Vermogen sind nicht verrechenbar, d.h. 
mit ausschlieBlich quantitativen Methoden zu verstehen. Ein weiteres entscheidendes Ergeb- 
nis der Ontologie ist die Einsicht in das metaphysische Kausalprinzip und seine Geltung fur 
alles kontingent Seiende. Dadurch ist es moglich, von den Wahrnehmungsgegebenheiten zu 
den nicht erfahrbaren Realitaten aufzusteigen. Mit Hilfe des Kausalprinzips laBt sich u.a. ab- 
leiten, daB KI dem Menschen immer qualitativ unterlegen ist, da die Ursache nie die Wirkung 
wesensmaBig uberflugeln kann. 



322 Fazit 

Da die Frage nach dem Sein in die Frage nach dessen Urspmng und damit nach Gott miindet 
und das Gottesbild entscheidend das Menschenbild bestimmt, ist fiir eine seinsgerechte Ein- 
schatzung des Menschen und der KI die naturliche Theologie, d.h. die philosophische Got- 
teslehre, unerlaBlich. Wichtigstes Ergebnis der naturlichen Theologie ist die Einsicht, daB alle 
erfahrbaren Dinge iiber sich hinausweisen, und zwar nicht nur auf andere Dinge, sondern iiber 
die Gesamtheit der erfahrbaren Wirklichkeit. Es zeigt sich letztUch die Notwendigkeit einer 
uberweltUchen, transzendenten WirkUchkeit, mit anderen Worten das Sein Gottes. Die Meta- 
physik gipfelt also in der naturUchen Theologie, welche Gott als den absoluten Urgrund alles 
Seienden aufweist. Vom Endlichen, Bedingten, Relativen wird auf das Unendliche, Unbe- 
dingte, Absolute geschlossen. Der wichtigste SchluB der Metaphysik ist also der vom kontin- 
gent Seienden zum Sein selbst, d.h. zur Aseitat Gottes. Weil man dem Seienden nur gerecht 
wird, wenn man seine Stellung im Ganzen und vor allem zum Urgrund kennt, diirfen KI- 
Theorien die Wirklichkeit Gottes nicht ausblenden oder gar leugnen. Das gilt erst recht fiir die 
Anthropologic, da Gott nicht nur erste Ursache, sondern auch letztes Ziel des Menschen und 
seiner Handlungen ist. Die Beriicksichtigung der naturlichen Gotteslehre gibt demzufolge so- 
wohl der Theorie des Menschen als auch derjenigen der KI die notige Verankerung und Ori- 
entierung.^^^^ 

Zusammenfassend muB man feststellen, daB auch oder gerade bei Einbeziehung naturwissen- 
schaftlicher Forschungsergebnisse die Metaphysik unumganglich ist. Es zeigt sich namlich, 
daB alle Wissenschaften auf metaphysischen Voraussetzungen beruhen. Antimetaphysiker 
sind deshalb Menschen, die falsche, unreflektierte oder nicht offengelegte metaphysische 
Auffassungen vertreten. Wie Louis Pasteur treffend festhielt gilt: „Ein wenig Wissenschaft 
entfernt uns von Gott, viel jedoch fuhrt uns zu ihm zuriick." In diesem Sinne weist gerade die 
KI auf die Intelligenz, d.h. auf Gott, hin. 

Auf dem Weg zu einer philosophischen Anthropologic gilt es, einige Untersuchungen zur 
Naturphilo Sophie voranzustellen. Aus der verschiedenartigen Wirkungsweise der Naturdinge 
kann auf verschiedenartige Substanzen, d.h. vor allem auf die immaterielle Seele und die aus 
ihr resultierenden wesentlichen Unterschiede zwischen Anorganischem und Organischem ge- 



1530 ^j^ ^jj^ menschlichen Handlungen und Produkte soil auch die KI letztlich dem schlechthin Guten (Gott) 
dienen, kann also nicht rein innerweltlich und schon gar nicht innertechnisch verstanden bzw. beurteilt wer- 
den. 



Fazit 323 

schlossen werden. Die Natur zeigt sich als ein wohlgeordneter Stufenbau/^^^ Auf der unter- 
sten Stufe steht das aus Materie und Form zusammengesetzte Anorganische. Dariiber befindet 
sich die Pflanze, die durch ihre Seele bewegt ein vegetatives Leben fiihrt. IJber der Pflanze 
steht das beseelte Tier, das ein sensitives Leben fiihrt. Das Tier hat rein sinnliche Erkenntnis 
und sinnUches Begehren sowie ein ebensolches BewuBtsein. Die Seele und dadurch die Fa- 
higkeit des sinnUchen Erkennens und Wollens unterscheidet das Tier von der unbelebten Na- 
tur sowie von jeder Maschine bzw. KI. Dem Tier fehlt jedoch das geistige Leben und damit 
das SelbstbewuBtsein, der freie Wille sowie die Intelligenz, weshalb es sich wesensmaBig 
vom geistdurchformten Menschen unterscheidet. Die hoheren Seinsformen des naturlichen 
Stufenbaus enthalten immer auch die VoUkommenheiten der unter ihnen befindUchen Seins- 
formen. Das Tier ist mehr Einheit und Vollkommenheit als die Pflanze und diese wiederum 
mehr als das Anorganische, dem als am meisten raum-zeitlich zerstreuten Seienden die ge- 
ringste Einheit und damit am wenigsten Sein zukommt. Um zum Wesen der Dinge und vor 
allem der Lebewesen vorzudringen, ist die Erkenntnis der sie bestimmenden Formen notig. 
Die von den KI-Theorien bevorzugten Naturerklarungen dagegen basieren im allgemeinen auf 
materialistischen Annahmen. Im Gegensatz zum sowohl ontologisch als auch natur- 
philosophisch widerspriichlichen Materialismus erweist der Realismus das Sein des Immate- 
riellen und insbesondere des Seelischen und Geistigen. 

Die vorliegende Arbeit gipfelt in der philosophischen Anthropologie. Zu deren bedeutendsten 
Erkenntnissen gehort, daB ein von den Naturwissenschaften dominiertes Menschenbild aus 
dem Lot gebracht ist und durch die auf das Ganze und das Wesen gerichtete Philosophic wie- 
der zurechtgeriickt werden muB.^^^^ Der Mensch ist namlich weder eine Symbolverarbeitungs- 
maschine noch ein neuronal oder quantenphysikalisch gesteuertes System. Er kann also weder 
symbolistisch, konnektionistisch, biologistisch noch physikalistisch verstanden bzw. erklart 
werden.^ ^" 



1531 wissenschaft, die die ganze Fiille des Seins im Auge bewahrt, kann uns Menschen helfen, „diejenige Rang- 
ordnung der Naturdinge und des Menschen in der Natur zu finden, die wir brauchen, wenn wir verantwort- 
hch handeln wollen". Heitler in: Herbig/Hohlfeld 485. 

^"^ Die vorliegende Arbeit zeigt, daB die - bewuBt oder unbewuBt - getroffenen philosophischen Aussagen na- 
turwissenschaftlicher Theorien kaum zu uberschatzende Konsequenzen fur das Selbstverstandnis und Han- 
deln des Menschen haben. Besonders dramatisch ist der mit dem „Verlust" des Geistes einhergehende Un- 
tergang der Ethik. 

^"^ „Entweder ist der Mensch molekulargenetisch [oder symbolistisch, konnektionistisch bzw. physikalistisch; 
Anmerkung R. £".] definierbar: »Dann ist das Wort , Mensch' eine Illusion. Es gibt keine Giite, keine Liebe, 
keine Ethik, keine Freiheit, keine Verantwortung, keine Ehrfurcht.« Oder: Die molekularbiologische Defini- 
tion ist falsch: »Dann ist auch die ganze mechanistische Weltanschauung falsch«, und die molekulargeneti- 
schen Verbesserungsvorschlage sind »aus der Luft gegriffen. Ihre praktische Ausfuhrung ware verantwor- 
tungslos«." Herbig/Hohlfeld 432. 



324 Fazit 

Wie die ausfuhrliche philosophische Kritik deutlich macht, ist der Mensch ein leib-geistiges, 
vemunftbegabtes und soziales Lebewesen/^^"^ Geformt und geleitet wird der Mensch von sei- 
ner geistigen und deshalb unsterblichen Seele, durch die er die Einmaligkeit, Unersetzbarkeit 
und Wurde der Person innehat. Er ist zum Denken und damit zu objektiver, abstrakter Er- 
kenntnis fahig und darum intelligent. Der Mensch hat einen freien Willen, der, durch die gei- 
stige Erkenntnis geleitet, sich auf das Gute richten soil. Er ist sich dariiber hinaus durch Re- 
flexion seiner selbst bewuBt. Der Mensch empfindet Gefuhle, die im allgemeinen iiber die 
Gefuhle der Tiere hinausragen, well sie geistig durchformt sind oder zumindest mehrheitlich 
sein konnen. Der Mensch lebt, und das heiBt vor allem, er lebt ein geistig bestimmtes Leben, 
das sich trotz biologischer, speziell morphologischer und physiologischer Ahnlichkeit we- 
sensmaBig von dem aller Tiere unterscheidet und aufgrund seiner substanziellen IJber- 
legenheit unmoglich aus dem weniger seinsmachtigen Tierleben hervorgegangen sein kann. 
Naturwissenschaftlich, vor allem aber philosophisch laBt sich die Unmoglichkeit der artuber- 
greifenden Evolution zeigen.^^^^ 

Die Untersuchungen der vorliegenden Arbeit beweisen, daB die philosophische Betrachtung 
des Menschen im Lichte metaphysischer Erkenntnisse und speziell der Nachweis seiner 
Geistseele unersetzbare Grundlage fur die seinsgerechte Einordnung sowohl des Menschen 
als auch der KI ist. Naturwissenschaftliche Begriffe und Verfahren (allein) sind dem Men- 
schen und vor allem der Seele bzw. dem Geist nicht angemessen. Insbesondere monistische 
und hier wiederum speziell materialistische Ansatze erweisen sich als widerspriichlich und 
unhaltbar. Die Eigenarten und Fahigkeiten des Menschen sind nicht auf materielle GroBen 
bzw. Eigenschaften oder Prozesse zuriickzufuhren. Das Leben des Menschen transzendiert 
physikalisch-chemische bzw. allgemeiner gesagt raum-zeitliche Vorgange und ist nicht in- 
nerweltlich oder ohne seinen Geist zu verstehen. Die Geistseele ist kein Zustand, sondern ein 
Selbstand. Aufgrund seines Geistes ist der Mensch an keine bestimmte Umwelt gebunden. Er 
ist „weltoffen", unspezialisiert, kann Raum und Zeit uberwinden. Sowohl Tiere als auch tech- 
nische Systeme sind dagegen auf einen bestimmten Bereich spezialisiert und nicht universell. 
Der Mensch steht an der Spitze des weltlichen Stufenbaus, der vom (toten) Korper iiber 



1534 j-j^^ Mensch bedarf fiir seine Entwicklung, vor allem fiir die geistige, der geordneten Gemeinschaft bzw. Ge- 
sellschaft. Den Menschen jedoch wesensmaBig als Mangelwesen aufzufassen, verfehlt den Begriff des We- 
sens, der nicht ausschlieBlich im Fehlen von etwas bestehen kann, und wird dem Menschen nicht gerecht. 
Die Entfaltung der Person mit ihren geistigen Anlagen muB stets der ganzheitlichen leib-geistigen Verfas- 
sung des Menschen entsprechen. 

^"^ In diesem Zusammenhang gilt auch: „Der Mensch ist mehr als ein auf Anpassung zielendes Wesen, da er z. 
B. eine Unterscheidung treffen kann zwischen vitalrelativer ZweckmaBigkeit und ,Wahrheit'." Scheler 1994, 
18. 



Fazit 325 

Pflanzen und Tiere bis zum Menschen reicht. Daraus folgt jedoch nicht, daB der Mensch das 
„MaB aller Dinge" ist, wie es seit Protagoras immer wieder falschlich behauptet wird. Der 
Mensch ist zwar in gewisser Weise die Mitte der Schopfung, aber nicht in absoluter Weise 
Zentrum des Seins, was sich vor allem aus den Erkenntnissen der natiirUchen Theologie er- 
gibt. 

Alle wesentUchen anthropologischen Fahigkeiten (wie IntelUgenz, Wille, SelbstbewuBtsein 
etc.) setzen Geist voraus. In seinem Schaffen kann der Mensch immer nur aus dem „schop- 
fen", was bereits - mindestens als Anlage - vorhanden ist. Stets ist er auf Seiendes angewie- 
sen, wenn er Neues hervorbringt. Einzig Gott kann in seiner AUmacht ein Seiendes ohne jede 
Voraussetzung, also aus dem „Nichts", schaffen. Da der Geist eine einfache Substanz ist, 
kann er nicht aus anderen, bereits vorhandenen Substanzen entstehen, muB also im eigentli- 
chen Sinne geschaffen werden. Weil es nicht in der Macht des Menschen steht, eine einfache 
Substanz wie den Geist zu schaffen, kann ein denkendes, erkennendes, intelligentes, woUen- 
des, selbstbewuBtes, fiihlendes und lebendes Wesen technisch allenfalls imitiert, modelliert 
Oder simuliert, jedoch nie reproduziert, kopiert oder kreiert werden. Weil KI keinen Geist 
„haben" kann, muB sie immer wesentlich hinter dem Menschen zuriickstehen. 

Fur das Verhaltnis von Mensch und KI kann folgendes resumiert werden: Die Frage, ob und 
wie sich der Mensch von der KI unterscheidet, ist keine empirische, sondem eine philosophi- 
sche. Es ist die Philosophic, die zu klaren hat, was der Mensch wesensmaBig ist und ob der KI 
ebenfalls dieses Wesen zugesprochen werden muB. Naturwissenschafts- und technikimma- 
nente Kriterien und Theorien greifen bei der Beantwortung der betreffenden Probleme grund- 
satzlich zu kurz und konnen die groBen mit der KI zusammenhangenden Fragen nicht losen. 
Das gilt vor allem fiir den Symbolismus, Konnektionismus, Biologismus und Physikalismus, 
die Mensch und KI unter sehr speziellen, nicht wesentlichen Aspekten betrachten und diese 
zudem haufig verabsolutieren.^^^^ Sie vertreten letztlich einen unhaltbaren, auf falsche meta- 
physische Annahmen gegriindeten philosophischen Materialismus. 

Die philosophische Untersuchung von Mensch und KI ist dagegen durch die Einbeziehung 
der realistischen Erkenntnis-, Seins- und Naturlehre abgesichert. Vor diesem Hintergrund er- 



1536 jj^ diesem Zusammenhang heiBt es beispielsweise gegen den Biologismus treffend: „Wer den Menschen als 
molekulare Maschine erforscht, wird, sofern er die Grenzen seines Maschinenmodells nicht kennt, die Teil- 
wirklichkeit der biologischen Maschinerie stets mit dem ganzen Menschen verwechseln." Herbig/Hohlfeld 
14 f. 

Im gleichen Sinne ist auch folgender Aussage zuzustimmen: „Wir haben erkannt, daB die GroBen der Physik 
ihrem innersten Wesen nach nur einen Teilausschnitt der Wirklichkeit bilden konnen." Eddington in: Diirr 
103. 



326 Fazit 

weist die Anthropologie seinen, den Leib formenden und leitenden, immateriellen und des- 
halb einfachen Geist als das den Menschen wesentlich Bestimmende. Die KI ist aufgrund des 
fehlenden Geistes ein - im Vergleich zum Menschen - uneigenstandiges Seiendes. Aus dem 
Mangel an Geist offenbaren sich die prinzipiellen Grenzen der KI, die insbesondere Intelligi- 
bles weder erkennen noch woUen kann. Geist, freier Wille, SelbstbewuBtsein, Intelligenz etc. 
sind aus Bitketten und Symbolmanipulationen ebensowenig erklarbar wie aus massiv parallel 
verbundenen Schaltelementen, Molekiilen, Zellen und einem komplexen Nervensystem oder 
aus Quanteneffekten/^^^ All das kann die nur geistig zu erreichende Einheit der Person, des 
SelbstbewuBtseins, der Erkenntnis etc. nicht garantieren respektive begriinden. Die Auffas- 
sung, nach der „die KI irgendwann einmal alles kann", muB deshalb als moderner Mythos 
eingestuft werden. Das Verhaltnis des Menschen zur KI ist durch einen uniiberbriickbaren 
Wesensunterschied gepragt. 

In Analogic zur Tabelle 1 aus Kapitel 3.5 zeigt die nachfolgende Tabelle 2 in stark geraffter 
Form die Ergebnisse der philosophischen Untersuchung der anthropologischen Grundbegrif- 
fe. 



^^^^ Gegen einen nicht vorhandenen oder nur graduellen Unterschied zwischen KI und Mensch spricht nicht zu- 
letzt auch die Praxis: Symbolisten, Konnektionisten, Biologisten und Physikalisten behandeln in ihrem All- 
tag die Menschen nicht wie Symbolverarbeitungssysteme, neuronale Netze, genetische bzw. quantenphysi- 
kalisch gesteuerte Systeme und wollen selbst auch nicht so behandelt werden. 



Fazit 327 





Philosophische Definitionen (im Sinne des gemaBigten und kritischen Realismus) 


Intelligenz 


Intelligenz ist die Fahigkeit des Geistes zur Erfassung intelligibler Formen, Wesenheiten, 
Seins- und Sinnzusammenhange. 


Seele 
Geist 


Seele ist die einfache, immaterielle Substanz bzw. Form (lat. forma), die einem Wesen Ord- 
nung, Gestalt und Leben gibt. 

Geist ist die einfache, immaterielle Substanz, die zu Selbstbesitz durch Erkenntnis, Selbst- 
bewuBtsein und freier Selbstbestimmung veranlagt ist. 


Denken 


Denken ist das unanschauliche Erfassen des Seienden. 


Erkennen 


Erkennen ist die Angleichung des Geistes an ein Seiendes. 


Wille 


Wille ist das Streben nach geistig zu erkennenden Gutern und Zielen. 


BewuBtsein 


BewuBtsein ist ein begleitendes Erleben des seelischen Seins und seiner augenblicklichen 
Befindlichkeiten. 


SelbstbewuBt- 
sein 


SelbstbewuBtsein ist das Wissen um das eigene Sein und insbesondere sein Erkennen und 
Wollen als solches. 


Gefuhle 


Gefuhle sind die vor allem auf die Sinneswahrnehmungen zuriickgehenden bewuBten 
Empfindungen der Seele. 


Leben 


Leben ist der substantielle Grund, durch den ein Wesen nach innen wirken und das heiBt sich 
selbst bewegen bzw. verandern und letztlich vervoUkommnen kann. 


Mensch 


Der Mensch ist ein leib-geistiges, vernunftbegabtes und soziales Lebewesen. 



Tabelle 2 



328 Ausblick 



5.2 Ausblick 

Was bedeuten die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit fiir die Zukunft der KI?^^^^ Auf diese 
Frage ist ein behutsamer Ausblick zu geben, der einige Grundlinien andeutet. Zunachst ist 
festzuhalten, daB die in der Einleitung aufgefuhrten Horrorvisionen, nach denen Klen den 
Menschen uberflugeln oder gar ausloschen, sich vor dem Hintergrund einer philosophisch- 
realistischen Priifung als ebenso haltlos zeigen wie das Wunschdenken derjenigen, die in den 
Klen die Losung der Menschheitsprobleme sehen. Es besteht fiir die Menschen auch kein 
Grund, das Vertrauen in sich und den eigenen Geist zu verUeren und statt dessen von einer 
vermeintUchen KI Rettung zu erwarten. 

Bezogen auf die kiinftige Entwicklung der KI muB betont werden, daB nicht jede technische 
Weiterentwicklung Fortschritt bedeutet.^^^^ Echter Fortschritt ist Annaherung an die Wahrheit 
und vor allem an das Gute. Bei der Frage nach der Zukunft der KI geht es deshalb um nach- 
haltige, zukunftsfahige und insbesondere seinsgerechte Entwicklung. Die vorliegende Arbeit 
spricht sich damit einerseits gegen einen naiven Fortschrittsoptimismus und Machbarkeits- 
wahn sowie andererseits gegen Technikfeindlichkeit und Kulturpessimismus aus. KI muB der 
Gesellschaft dienen, ihre Ziele zu erreichen. Dabei soUte es Aufgabe der gesamten Gesell- 
schaft und nicht nur diejenige einiger „Experten" sein, die Technik mitzugestalten und in eine 
menschgerechte Richtung zu leiten. Die Faszination der Technik darf nicht bewirken, daB sie 
sich zunehmend verselbstandigt und immer mehr Politik, Ethik und Religion verdrangt, ja zur 
Ersatzreligion wird. Angebliche Zwangslaufigkeiten bzw. Sachzwange durch die KI-For- 
schungsergebnisse sind weiterhin kritisch zu hinterfragen. KI darf nicht um ihrer selbst willen 
betrieben, Mittel und Zweck nicht vertauscht werden. 

Vor dem Hintergrund des (philosophischen) Realismus sind dementsprechend folgende Hin- 
weise zu beachten: Das Leitbild der KI-Forschung muB der Seinsordnung entsprechen, sich in 
sie einfiigen und darf nicht vergeblich versuchen, sie aufzuheben.^^^^ Philosophische Fragen 
diirfen deshalb nicht ausgeblendet werden, um schneller vermeintliche oder tatsachliche prak- 
tische Erfolge zu erzielen. Ubertriebene und unrealistische Anspriiche, Ziele und Visionen der 
KI-Forschung sind von Anfang an als solche zu kennzeichnen und zu Gunsten realistischer 



^^^^ Aufgmnd der Freiheit des menschlichen Willens ist eine umfassende Antwort auf den zukiinftigen Einsatz 
der KI naturgemaB nicht moglich. 

^"^ Vgl. Hirschberger II, 532 ff. 

^^^^ In diesem Sinne lieBe sich sagen: Man muB der Technik zugestehen, was der Technik ist und dem Men- 
schen, was des Menschen ist. 

„Aber bevor man fruchtbar diskutieren kann, was Computer tun sollten, muB man sich klar dariiber werden, 
was sie tun konnen.'' Dreyfus/Dreyfus 11. 



Ausblick 329 



Einschatzungen aufzugeben. Bei der Gestaltung der KI ist darauf zu achten, daB sie stets als 
Hilfe, Medium oder Werkzeug^^"^^ beispielsweise zur Kommunikation, Organisation und Pro- 
blemlosung und nie um ihrer selbst willen zu entwerfen ist.^^^^ Nur das nicht-geistige, aperso- 
nale Sein, wozu eben auch die KI gehort, darf als Instrument bzw. Werkzeug benutzt werden. 
Der Mensch hingegen darf nie Mittel sein, sondern muB als einmalige Person behandelt wer- 
den. Der Mensch soUte durch die KI freier von „Bdiinderungen" und frei fiir das Wesentliche 
werden.^ ^^^ Vor diesem Hintergrund ist immer wieder neu zu fragen: Haben wir die Technik, 
die wir brauchen; brauchen wir die Technik, die wir haben? Weist die Technik auf ein tJber- 
steigen des innertechnischen, funktionalen Verhaltens hin oder ist es Technik um ihrer selbst 
willen? Dient die Technik der individuellen VervoUkommnung des Menschen? 

Es fragt sich, auf welchem Gebiet KI besonders sinnvoU sein kann. Am offensichtlichsten 
sind in diesem Zusammenhang die besonders datenintensiven, die gefahrlichen oder die stan- 
dig gleichen, sklavenmaBigen, austauschbaren Arbeiten, die dem Individuellen und Schopfe- 
rischen des Menschen oft nicht gerecht werden und deshalb im allgemeinen durch Technik 
ersetzt werden diirfen.^^^^ „Es gilt, sich den technischen Sklaven Computer [...] emanzipiert 
anzueignen und gleichzeitig die menschlichen Qualifikationen jenseits der Leistungen der In- 
formationstechnik deutlich zu entfalten."^^^^ Ein Kriterium fiir den Einsatz von KI ist sicher 
auch die Frage: Erfordert die Durchfiihrung der Aufgabe wahrhaft menschliche Fahigkeiten 
wie geistiges Verstandnis oder freien Willen? Abzulehnen sind in diesem Sinne beispielswei- 
se „alle Projekte, bei denen ein Computersystem eine menschliche Funktion ersetzen soil, die 
mit gegenseitigem Respekt, Verstandnis und Liebe zusammenhangt"^^^^ Richterliche, pad- 
agogische und psychiatrische Aufgaben sind neben vielen anderen dementsprechend sicher- 
lich nie durch KI zu ersetzen. 



^^^^ „Computer sind das vielleicht machtigste, mit Sicherheit aber das flexibelste Instrument, das wir bislang 
entwickelt haben." Dreyfus/Dreyfus 272. „Auch der Computer ist seiner Natur nach nichts anderes als die 
friiheren Werkzeuge und Maschinen. Er verstarkt die menschlichen Fahigkeiten und auch Schwachen. Der 
Computer ist Intelligenzverstarker, wenn er intelligent verwendet wird, und er ist Unintelligenz, wenn er 
unintelligent verwendet wird." Zemank in: Schauer/Tauber 38 f. 

Weil Computer bzw. KI nur Werkzeuge sind, ist ihr „Angesicht" januskopfig. KI hat ambivalente Folgen, 
well der Mensch ambivalent ist. Durch sie gewinnt und verliert der Mensch, je nach Einsatz dieses Werk- 
zeuges. 

^^^^ Fiir eine ausfuhrliche Darlegung, wie Technik gestaltet werden sollte, damit sie seinsgerecht und insbeson- 
dere menschgerecht ist, siehe EraBme 1997. 

^^^^ So wie die Schrift den menschlichen Geist erganzt, aber nicht ersetzt, so auch die KI. Es werden neue Mog- 
lichkeiten fiir den Geist geschaffen, der sich so starker auf das Wesentliche konzentrieren kann. 

^^^^ Dariiber hinaus bieten sich naturlich noch sehr viele andere Gebiete an wie etwa eine Verbesserung der Effi- 
zienz, Wirtschaftlichkeit oder Geschwindigkeit verschiedenster privater, wissenschaftlicher oder industriel- 
ler Prozesse. Zu weiteren Einsatzgebieten siehe beispielsweise Weide, besonders 153 ff. 

^^^^ Haefner 15. Siehe zu Moglichkeiten und Grenzen des KI-Einsatzes auch Penrose 1995, 494 ff. 

^^^^ Weizenbaum 1978,351. 



330 Ausblick 



Die philosophische Kritik an der KI-Forschung soil diese nicht ausbremsen/^'^^ sondern sie 
vor Sackgassen und Einseitigkeiten bewahren.^^^^ In diesem Zusammenhang ist noch einmal 
zu betonen, daB die durchgefuhrte philosophische Kritik keine Kritik der Naturwissenschaf- 
ten, sondern einer Reihe vorherrschender Tendenzen innerhalb der thematisierten Naturwis- 
senschaften ist. AuBerdem wird die Philosophie durch viele von der KI eingebrachte Ergeb- 
nisse bereichert. So wurde und wird beispielsweise bei dem Versuch, einem kiinstlichen Sy- 
stem das Denken, WoUen, Fiihlen etc. „beizubringen", vieles iiber die entsprechenden Fahig- 
keiten gelemt. Die GroBe des Menschen ist dadurch noch einmal klarer hervorgetreten. In die- 
sem Sinne macht die KI-Forschung noch deutlicher, wie komplex, tiefgriindig und geistbezo- 
gen die menschlichen Fahigkeiten, etwa die der Sprache oder des freien Willens, sind. Sie 
zeigt dariiber hinaus auch, was der Mensch iiber sich noch nicht und grundsatzlich nicht 
weiB.^^^^ 

Technik im allgemeinen und KI im speziellen losen in der Regel keine Lebensfragen, denn 
diese sind nicht quantisierbar und haufig moralischer Natur, weshalb sie nur von Personen 
gelost werden konnen. Obwohl die KI-Anwendungen immer machtiger und universeller wer- 
den, konnen sie die drangendsten menschlichen Fragen nicht beantworten, sondern nur eine 
standig steigende Zahl von Handlungsaltemativen zur Verfugung stellen.^^^^ Damit zeigt sich 
die Notwendigkeit der - nur philosophisch zu leistenden - Ethik besonders deutlich. Die 
Ethik wiederum bedarf der Einordnung des Menschen in die Gesamtwirklichkeit oder mit an- 
deren Worten in die Seinsordnung. „Das richtige Menschenbild ist Voraussetzung fiir richti- 
ges Denken und Handeln, auch dann, wenn der Denkende und Handelnde sich dariiber klar 
ist, daB er selbst nicht das MaB aller Dinge ist."^^^^ Um zu wissen, was er tun soil, muB der 
Mensch wissen, wer er ist. Vor allem muB deutlich sein, was den Menschen voUendet, wor- 
aufhin er angelegt ist, mit anderen Worten, was der Sinn des Lebens ist.^^^^ Hierauf gibt die 
Philosophie deutliche Antworten. Weil der Mensch ein geistig gepragtes, soziales und kultu- 



^^^'^ „Die Jnformatisiemng' der Gesellschaft (siehe nur Nora/Mine 1979 und Feigenbaum/McCorduck 1983) 
laBt sich von Unmoglichkeitsnachweisen kiinstlicher Intelligenz allenfalls anregen, aber keinesfalls aufhal- 
ten." Rammert 178. 

^^^^ Fiir die Wissenscliaft ist es deshalb sehr sinnvoll, daB Kritiker und „Neinsager" auf prinzipielle Grenzen und 
Unmoglichkeiten hinweisen. Man denke nur an die Unmoglichkeit, ein Perpetuum mobile zu bauen, und die 
durch den Energieerhaltungssatz gelieferte Erklarung dafur. Vgl. Haugeland 218. 

^^^^ Es ist eine Starke des Realismus, daB er die Wirklichkeit des Geheimnisses anerkennt und nicht (rationali- 
stisch) meint, alles erkennen zu konnen. 

^^^^ Es zeigt sich in diesem Zusammenhang nicht selten, daB KI die existentiellen Fragen der Menschen ver- 
scharft oder zumindest in besonderer Weise verdeutlicht. 

^^^^ Dempf 313. Es bleibt zu erganzen, daB sich das richtige Menschenbild nur durch seinsgerechtes Denken fin- 
den laBt. Vgl. deshalb die Ausfuhrungen zur Logik in Kapitel 4.2.2. 



Ausblick 331 



relies Lebewesen ist, bedarf er vor allem ethischer und nicht naturwissenschaftlicher Verbes- 

1553 

serungen. 

Zum grundsatzlichen und damit auch kiinftigen Verhaltnis von Philosophie und Naturwissen- 
schaften ist abschlieBend folgendes festzuhalten: Die beiden Wis senschaftsf elder stehen im 
Verhaltnis der gegenseitigen Befruchtung. Die Leistungen von Naturwissenschaften wie In- 
formatik, Biologie und Physik verdienen groBe Achtung. Sie tragen wesentlich zum Fort- 
schritt der Kultur und der Wissenschaft bei. So wie Naturwissenschaften nicht unterschatzt 
werden diirfen, gilt es jedoch auch, sie nicht zu uberschatzen. Sie sind nicht die Antwort auf 
alle und auch nicht auf die wesentlichen Fragen und Sorgen der Menschen. Das gilt auch fiir 
das dem Menschen so wichtige Verstandnis der anthropologischen Grundbegriffe (wie Geist, 
Denken, Intelligenz etc.), das letztlich nicht durch die Naturwissenschaften geleistet werden 
kann. Einzig die Universalwissenschaft Philosophie ist in der Lage, Wesensfragen zu losen. 
Dariiber hinaus liefert sie die kritische Zusammenschau einzelwissenschaftlicher Ergebnisse 
und die explizite Aufweisung der Gesamtzusammenhange. Nur sie kann das Band zwischen 
den Einzelwissenschaften sowie deren Gegenstanden schlieBen. Naturwissenschaften brau- 
chen zudem Philosophie „because ongoing research must have a synoptic vision within which 
the immediate goals make sense"^^^\ Die Kenntnis der sehr reichen philosophischen Tradition 
scharft dabei den Blick fiir modeme Probleme und hilft, diese zu losen sowie standige Neuer- 
findungen zu vermeiden.^^^^ Die Geisteswissenschaften im allgemeinen und die Philosophie 
im besonderen soUten sich nicht verleiten lassen, die quantisierenden Methoden der Naturwis- 
senschaften zu imitieren und in Gebieten zu iibernehmen, wo dies der Sache nicht angemes- 
sen ist. AuBerdem ist verstarkt darauf zu achten, die jeweils angemessene Sprache zu wahlen, 
d.h. vor allem nicht nur technisch iiber den Menschen zu sprechen.^^^^ 



^^^^ Dieser kann nicht ohne Gott verstanden werden, denn einzig er und das ihm Ahnlicher- werden ist geeignet, 

dem Menschen inneren Frieden zu geben. Vgl. dazu Kapitel 4.3.3 und 4.5.8. 
^^" Vgl. Heitler in: Herbig/Hohlfeld 486 f. Man bedenke in diesem Zusammenhang auch die Frage: „Was hiilfe 

es dem Menschen, wenn er alle Krafte der Natur zu erkennen, herauszufordern und zu nutzen wuBte, dariiber 

jedoch sich selbst als Menschen verlore". Benthem 53. 
^^^^ Churchland 482. 
^^^^ „Should AI workers study philosophy? Yes, unless they are content to reinvent the wheel every few days." 

Dennett in: Ringle 76. 

Hier zeigt sich erneut die Notwendigkeit und Starke der philo sop hia perennis. Vgl. dazu vor allem Kapitel 

4.1.2. 
^^^^ „Der schwerste VerstoB gegen das Leben ist, es zu einer Technik zu degradieren und zu entleeren." Benthem 

41. 



332 



Liter aturverzeichnis ^ 



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^ Um eventuellen MiBverstandnissen vorzubeugen, sei zu einer in der Arbeit haufig benutzten Abkiirzung 
Nachstehendes erlautert: Die Abkiirzung „jf. " steht im allgemeinen nicht nur fiir die zwei, sondern fiir eine 
groBe Zahl folgender Seiten. Meist erstreckt sich eine seiche Queiienangabe bis zum Ende des entsprechen- 
den Sinnabschnitts oder Kapiteis, sie kann jedoch auch samtiiche Seiten bis zum Ende der Quelle meinen. 



333 



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Deutsches Forschungszentrum fur Klinstliche Intelligenz GmbH (DFKI): www.dfki.de 

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Lebenslauf 



Personliche Daten 

Name: Dipl.-lng. Rolf EraBme M.A. 

Geboren am: 16. Februar 1 971 

Geboren in: Hannover 

Staatsangehorigkeit: deutsch 

Familienstand: verheiratet 



Ausbildung 

08/1977-06/1978 
08/1978-06/1981 
08/1981 -05/1990 

10/1990 

04/1992 

05/1993 
12/1994 
03/1998 
12/1998 
02/1999-11/2002 



Grundschule in IVIulheim/Ruhr 

Grundschule in Korschenbroich 

Gymnasium in Korschenbroich 
AbschluB: Abitur 

Beginn des Studiums der Elektrotechnik 
an der RWTH Aachen 

Beginn des Studiums der Philosophie 
an der RWTH Aachen 

Vordiplom Elektrotechnik 

Zwischenprufung Philosophie 

MagisterabschluB (M.A.) 

DiplomabschluB (Dipl.-lng.) 

Promotion im Fach Philosophie 
an der RWTH Aachen 
(gefordert durch ein Stipendium 
der Graduiertenforderung NRW)