Sammlung kleiner Schriften
zur
NEUROSENLEHRE
aus den
Jahren 1893—1906
von
Prof. Dr. Sigm. Freud.
Vierte, unveränderte Auflage.
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LEIPZIG UND WIEN
FRANZ DEUTICKE
1922.
Verlags-Nr. 281-1.
VERLAG VON FRANZ DEUTICKE IN LEIPZIG UND WIEN
Bleuler, Prof. Dr. E., Die Psychoanalyse Freuds. Verteidigung und
kritische Bemerkungen. Preis M 30" — .
Braun, Prof. Dr. L., Herz und Psyche in ihren Wirkungen aufeinander.
Preis M 50-—.
Breuer, Dr. Josef, und Freud, Prof. Dr. Sigm., Studien über Hysterie.
Vierte Auflage in Vorbereitung.
Ferenczi, Dr. S., Introjektion und Übertragung. Eine psychoanalytische
Studie. (Sonderabdruck aus dem Jahrbuch für psychoanalytische und
psychopathologische Forschungen, I. Band.) Vergriffen.
Freud, Prof. Dr. Sigm., Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Fünfte,
unveränderte Auflage. Preis M 32* — .
Freud, Prof. Dr. Sigm., Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre.
Erste Folge. Aus den Jahren 1893 bis 1906. Vierte Auflage.
Zweite „ Dritte Auflage. Preis M 120—.
Dritte ,, Zweite Auflage. Preis M 126— .
Freud, Prof. Dr. Sigm., Über Psychoanalyse. Fünf Vorlesungen. Sechste
Auflage. Preis M 16' — .
Freud, Prof. Dr. Sigm., Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten.
Dritte Auflage. Preis M120- — .
Freud, Prof. Dr. Sigm., Der Wahn und die Träume in W. Jensens
„Gradiva". (Schriften zur angewandten Seelenkunde, 1. Heft.) Zweite
Auflage. Preis M 30-—.
Freud, Prof. Dr. Sigm., Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da
Vinci. (Schriften zur angewandten Seelenkunde, 7. Heft.) Zweite
Auflage. Preis M 20'— .
Hitschmann, Dr. Eduard, Freuds Neurosenlehre. Nach ihrem gegenwärtigen
Stande zusammenfassend dargestellt. Neue Auflage in Vorbereitung.
Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen.
Herausgegeben von Prof. Dr. E. Bleuler in Zürich und Prof. Dr.
Sigm. Freud in Wien. Redigiert von C. G. Jung, Privatdozent do. .
Psychiatrie in Zürich.
I. Band. 1. Hälfte. 1909. Preis M 84-—.
I.
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1909.
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1910.
( M. 96-—.
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1911.
, M 120-—.
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1912.
, M 168-—.
1912.
, M 48-—.
1913.
, M 144-—.
1913.
, M 96-—.
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Sammlung kleiner Schriften
zur
NEUROSENLEHRE
aus den
Jahren 1893—1906
von
Prof. Dr. Sigm. Freud.
Vierte unveränderte Auflage.
LEIPZIG UND WIEN
FRANZ DEUTICKE
1922.
'
Verlags-Nr. 2814.
INTERNATIONAL
PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
. PAUL GERIN. WIEN I'.
^
Inhaltsverzeichnis.
Seite
I. Cbarcot (1893) ...... 1
IT. Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene
von Dr. J. .Breuer und Dr. Sigm. Freud (1893) ' 14
ELL (Quelques considerations pour une etude comparative des para-
lysies motrices organiques et kysteriques (1893) 30
IV. Die Abwehr-Neuropsychoseri. Versuch' einer psychologischen
Theorie der akquirierten Hysterie, vieler Phobien und Zwangs-
vorstellungen und gewisser halluzinatorischer Psychosen (1894) 45
V. Über die Berechtigung, von der Neurasthenie einen bestimmten
Symptomenkomplex als „A-ngstneurose" abzutrennen (1895) 60
VI. Obsessions et phobies. Lenr meeanisme psychique et leur
etiologie (1895) 85
VII. Zur Kritik der „Angstneurose" (1895) 93
VIII. Weitere Bemerkungen über die Abwehr-Neuropsychosen (1896) 111
IX. L'herddite" et l'etiologie des Nevroses (1896) 133
X. Zur Ätiologie der Hysterie (1896) 147
XL Die Sexualität in der Ätiologie der Neurosen (1898) . . [ .... 178
XIT. Über Psychotherapie (1905) 201
XIII. Die Freud sehe psychoanalytische Methode (1904) 213
XIV. Meinte Ansichten über die Rolle der Sexualität in der Ätiologie
der Neueosen (1905) 220
I.
Charcot 1 ).
Mit J. M". Charcot, den nach einem glücklichen und
ruhmvollen Leben am IG. August d. J. ein rascher Tod ohne
Leiden und Krankheit ereilt, hat die junge Wissenschaft der
Neurologie ihren größten -Förderer, haben die Neurologen aller
Länder ihren Lehrmeister, hat Frankreich einen seiner ersten
Männer allzu früh verloren. Er war erst 68 Jahre alt, seine
körperliche Kraft wie seine geistige Frische schienen ihn im
Einklänge mit seinen unverhohlenen Wünschen für jene Lang-
lebigkeit zu bestimmen, die nicht wenigen Geistesarbeitern dieses
Jahrhunderts zuteil geworden ist. Die stattlichen neun Bände
seiner Oeuvres comple-tes, in denen seine Schüler seine Beiträge
zur Medizin und Neuropathologie gesammelt hatten, dazu die
Lecons du Mardi, die Jahresberichte seiner Klinik in der Sal-
pefcriere u. a. m., alle diese Publikationen, die der Wissenschaft
und seinen Schülern teuer bleiben werden, können uns den
Mann nicht ersetzen, der noch viel mehr zu geben und zu lehren
hatte, dessen Person oder dessen Werken noch niemand genaht
war. ohne von ihnen zu lernen.
Er hatte eine rechtschaffene menschliche Freude an seinem
großen Erfolge und pflegte sich gern über seine Anfänge und
den Weg, den er gegangen, zu äußern. Seine wissenschaftliche
Neugierde war frühzeitig durch das reiche und damals völlig
unverstandene Material neuropathologischer Tatsachen erregt
worden, wie er erzählte, schon als er junger Interne (Sekundar-
arzt) war. Wenn er damals mit seinem Primararzt die Visite
auf einer der Abteilungen der Salpetriere (Versorgungshaus für
l ) „Wiener Medizinische Wochenschrift", Nr. 37, 1893.
Freud, Neurosenlebre. 1. 4. Auflage 1
Frauen) machte, durch all die Wildnis von Lähmungen, Zuckungen
und Krämpfen, für die es vor 40 Jahren keine Namen und kein
Verständnis gah, pflegte er zu sagen: „Faudrait y retourner et
y rester" und er hielt Wort. Als er Medecin des höpitaux
(Primararzt) geworden war, trachtete er alshald in die Salpetrierö
zu kommen, auf eine jener Abteilungen, die die Nervenkranken
beherbergten, und einmal dort angelangt, verblieb er auch dort,
anstatt, wie es den französischen Primarärzten freisteht, im
regelmäßigen Turnus Spital und Abteilung und damit auch die
Spezialität zu wechseln.
So war sein erster Eindruck und der Vorsatz, zu dem er
geführt hatte, bestimmend für seine gesamte weitere Entwick-
lung geworden. Die Verfügung über ein großes Material an
chronisch Nervenkranken gestattete ihm nun, seine eigentümliche
Begabung zu verwerten. Er war kein Grübler, kein Denker,
sondern eine künstlerisch begabte Natur, wie er es selbst nannte,
ein „visuel", ein Seher. Von seiner Ai'beitsweise erzählte er uns
selbst folgendes: Er pflegte sich die Dinge, die er nicht kannte,
immer von neuem anzusehen, Tag für Tag den Eindruck zu
verstärken, bis ihm dann plötzlich das Verständnis derselben
aufging. Vor seinem geistigen Auge ordnete sich dann das Chaos,
welches durch die Wiederkehr immer derselben Symptome vor-
getäuscht wurde; es ergaben sich die neuen Krankheitsbilder,
gekennzeichnet durch die konstante Verknüpfung gewisser
Symptom gruppen; die vollständigen und extremen Fälle, die
„Typen", ließen sich mit Hilfe einer gewissen Art von Schema-
tisierung hervorheben, und von den Typen aus blickte das Auge
auf die lange Reihe der abgeschwächten Fälle, der „forme»
frustes", die von dem oder jenem charakteristischen Merkmal
des Typus her ins Unbestimmte ausliefen. Er nannte diese Art
der Geistesarbeit, in der er keinen Gleichen hatte, „Nosographie
treiben" und war stolz auf sie. Man konnte ihn sagen hören,
die größte Befriedigung, die ein Mensch erleben könne, sei,
etwas Neues zu sehen, d. h. es als neu zu erkennen, und in immer
wiederholten Bemerkungen kam er auf die Schwierigkeit und
Verdienstlichkeit dieses „Sehens" zurück. Woher es denn komme,
daß die Menschen in der Medizin immer nur sehen, was sie zu
sehen bereits gelernt haben, wie wunderbar es sei, daß man
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plötzlich, neue Dinge — neue Krankheitszustände — sehen könne,
die doch wahrscheinlich so alt seien wie das Menschengeschlecht,
und wie er sich selbst sagen müsse, er sehe jetzt manches, was
er durch 30 Jahre auf seinen Krankenzimmern übersehen habe.
Welchen Reichtum an Formen die Neuropathologie durch ihn
gewann, welche Verschärfung und Sicherheit der Diagnose durch
seine Beobachtungen ermöglicht wurde, braucht man dem Arzte
nur anzudeuten. Der Schüler aber, der mit ihm einen stunden-
langen Gang durch die Krankenzimmer der Salpetriere, dieses
Museums von klinischen Fakten, gemacht hatte, deren Namen
und Besonderheit größtenteils von ihm seihst herrührten, wurde
an C u v i e r erinnert, dessen Statue vor dem Jardin des plantes
den großen Kenner und Beschreiber der Tierwelt, umgeben von
der Fülle tierischer Gestalten, zeigt, oder er mußte an den
Mythus von Adam denken, der jenen von Charcot gepriesenen
intellektuellen Genuß im höchsten Ausmaß erlebt haben mochte,
als ihm Gott die Lebewesen des Paradieses zur Sonderung und
Benennung vorführte.
Charcot wurde auch niemals müde, die Rechte der rein
klinischen Arbeit, die im Sehen und Ordnen besteht, gegen die
Übergriffe der theoretischen Medizin zu verteidigen. Wir waren
einmal eine kleine Schar von Fremden beisammen, die, in der
deutschen Schulphysiologie auferzogen, ihm durch die Beanstän-
dung seiner klinischen Neuheiten lästig fielen: „Das kann doch
nicht sein", wendete ihm einmal einer von uns ein: „das wider-
spricht ja der Theorie von Young-Helmholt z". Er erwiderte
nicht: „Um so ärger für die Theorie, die Tatsachen der Klinik
haben den Vorrang", u. dgl., aber er sagte uns doch, was uns
einen großen Eindruck machte: „La theorie, c'esfc hon, mais ca
n'empeche pas d'exister."
Durch eine ganze. Reihe von Jahren hatte Charcot die
Professur für pathologische Anatomie in Paris inne, und seine
neuropathologischen Arbeiten und Vorlesungen, die ihn rasch
auch im Auslande berühmt machten, betrieb er ohne Auftrag
als Nebenbeschäftigung; für die Neuropathologie war es aber
ein Glück, daß derselbe Mann die Leistung zweier Instanzen
auf sich nehmen konnte, einerseits durch klinische Beobachtung
die Krankheitsbilder schuf und anderseits beim Typus wie bei
1*
der forme fruste die gleiche anatomische Veränderung als Grund-
lage des Leidens nachwies. Es ist allgemein bekannt, welche
Erfolge diese anatomisch-klinische Methode Charcots auf dem
Gebiete der organischen Nervenkrankheiten, der Tabes, multiplen
Sklerose, der amyotrophischen Lateralsklerose usw. erzielte. Oft
bedurfte es jahrelangen geduldigen Harrens, ehe bei diesen
chronischen, nicht direkt zum Tode führenden Affektionen der
Nachweis der organischen Veränderung gelang, und nur ein
Siech enkaus, wie die Salpetriere, konnte gestatten, die Kranken
durch so lange Zeiträume zu verfolgen und zu erhalten. Die
erste Feststellung dieser Art machte Charcot übrigens, ehe er
über eine Abteilung verfügen konnte. Der Zufall führte ihm
während seiner Studienzeit eine Bedienerin zu, die an einem
eigentümlichen Zittern litt und wegen ihrer Ungeschicklichkeit
keine Stelle bekommen konnte. Charcot erkannte ihren Zustand
als die von Duchenne bereits beschriebene „Paralysie chorei-
forme", von der aber nicht bekannt war, worauf sie beruhe. Er
behielt die interessante Bedienerin, obwohl sie ihm im Laufe
der Jahre ein kleines Vermögen an Schüsseln und Tellern kostete,
und als sie endlich starb, konnte er an ihr nachweisen, daß die
„Paralysie choreiforme" der klinische Ausdruck der multiplen
zerebrospinalen Sklerose sei.
Die pathologische Anatomie hat für die .Neuropathologie
zweierlei zu leisten: neben dem Nachweis der krankhaften Ver-
änderung die Feststellung von deren Lokalisation, und wir alle
wissen, daß in den letzten beiden Dezennien der zweite Teil der
Aufgabe das größere Interesse gefunden und die größere Förde-
rung erfahren hat. Charcot hat auch an diesem Werke in her-
vorragendster Weise mitgearbeitet, wenngleich die bahnbrechenden
Funde nicht von ihm herrühren. Er folgte zunächst den Spuren
unseres Landsmannes Tür ck, der, wie es beißt, ziemlich einsam
in unserer Mitte gelebt und geforscht hat, und als dann die
beiden großen Neuerungen kamen, die eine neue Epoche für
unsere Kenntnis der „Lokalisation der Nervenkrankheiten" ein-
leiteten, die Eeizungsversuche von Hitzig-Fritsch und die
Markentwicklungsbefunde von Flechsig, hat er in seinen Vor-
lesungen über die Lokalisation das Meiste und das Beste dazu
getan, die neuen Lehren mit der Klinik zu vereinigen und für
5
"'*"-
sie fruchtbar zu machen. "Was speziell die Beziehung der Körper-
muskulatur zur motorischen Zone des menschlichen Großhirns
betrifft, so erinnere ich daran, wie lange die genauere Art und
Topik dieser Beziehung in Frage stand (gemeinsame Vertretung
beider Extremitäten an denselben Stellen — Vertretung der
oberen Extremität in der vorderen, der unteren in der hinteren
Zentralwindung, also vertikale Gliederung), bis endlich fort-
gesetzte klinische Beobachtungen und Reiz- wie Exstirpations-
versuche am lebenden Menschen bei Gelegenheit chirurgischer
Eingriffe zugunsten der Ansicht von Charcot und Pitres ent-
schieden, daß das mittlere Drittel der Zentralwindungen vor-
wiegend der Armvertretung, das obere Drittel und der mediale
Anteil der Beinvertretung diene, daß also eine horizontale
Gliederung in der motorischen Region durchgeführt sei.
Es würde nicht gelingen, die Bedeutung Charcots für die
Neuropathologie durch die Aufzählung einzelner Leistungen zu
erweisen, denn es hat in den letzten zwei Dezennien überhaupt
nicht viele Themata von einigem Belang gegeben, an deren Auf-
stellung und Diskussion die Schule der Salpetriere nicht einen
hervorragenden Anteil gerom:nen hätte. „Die Schule der Sal-
petriere", das war natürlich Charcot selbst, der mit dem Reich -
tume seiner Erfahrung, der durchsichtigen Klarheit seiner Dik-
tion und der Plastik seiner Schilderungen unschwer in jeder
Schülerarbeit zu erkennen war. Aus dem Kreise von jungen
Männern, die er so an sich heranzog und zu Teilnehmern seiner
Forschungen machte, erhoben sich dann einzelne zum Bewußt-
sein ihrer Individualität, gewannen für sich selbst einen glänzenden
Namen, und hie und da kam es auch vor, daß einer mit einer
Behauptung hervortrat, die dem Meister mehr geistreich als
richtig- erschien und die er in Gesprächen und Vorlesungen
sarkastisch genug bekämpfte, ohne daß das Verhältnis zu dem
geliebten Schüler darunter litt. Tatsächlich hinterläßt Charcot
eine Schar von Schülern, deren geistige Qualität und bisherige
Leistungen eine Bürgschaft bieten, daß die Pflege der Neuro-
pathologie in Paris nicht so bald von der Höhe heruntergleiten
wird, zu der Charcot sie geführt hat.
Wir haben in Wien wiederholt die Erfahrung machen können,
daß die geistige Bedeutung eines akademischen Lehrers nicht
ohne weiteres mit jener direkten persönlichen Beeinflussung der
Jugend vereinigt sein muß, die sich in der Schöpfung einer
zahlreichen und bedeutsamen Schule äußert. Wenn Charcot
in diesem Punkte so viel glücklicher war, so mußte man dies
den persönlichen Eigenschaften des Mannes zuschreiben, dein
Zauber, der von seiner Erscheinung und Stimme ausging, der
liebenswürdigen Offenheit, die sein Benehmen auszeichnete, so-
bald einmal die gegenseitigen Beziehungen das Stadium der
ersten Fremdheit überwunden hatten, der Bereitwilligkeit, mit
der er seinen Schülern alles zur Verfügung stellte, und der
Treue, die er ihnen durch das Leben hielt. Die Stunden, die
er auf seinen Krankenzimmern verbrachte, waren Stunden des
Beisammenseins und des Gedankenanstausches mit seinem ge-
samten ärztlichen Stab; er schloß sich da niemals ein; der
jüngste Externe hatte Gelegenheit, ihn bei der Arbeit zu sehen
und durfte ihn in dieser Arbeit stören, und dieselbe Freiheit
genossen die Fremden, die in späteren Jahren niemals bei seiner
Visite fehlten. Endlich, wenn am Abend Madame Charcot ihr
gastliches Haus einer auserlesenen Gesellschaft öffnete, unter-
stützt von einer hochbegabten, in der Ähnlichkeit des Vaters
aufblühenden Tochter, so standen die nie fehlenden Schüler und
ärztlichen Gehilfen ihres Mannes als ein Teil der Familie den
Gästen gegenüber.
Das Jahr 1882 oder 83 brachte die endgültige Gestaltung
in Charcots Lebens- und Arbeitsbedingungen. Man war zur
Einsicht gekommen, daß das Wirken dieses Mannes einen Teil
des Besitzstandes der nationalen Gloire bilde, der nach dem
unglücklichen Kriege von 1870/71 um so eifersüchtiger behütet
wurde. Die Regierung, an deren Spitze Charcots alter Freund
Gambetta stand, schuf für ihn einen Lehrstuhl für Neuro-
pathologie an der Fakultät, für welchen er der pathologischen
Anatomie entsagen konnte, und eine Klinik samt wissenschaft-
lichen Nebeninstituten in der Salpetriere. „Le service de
M. Charcot" umfaßte jetzt nebst den früheren mit chronisch
Kranken belegten Räumen mehrere klinische Zimmer, in welche
auch Männer Aufnahme fanden, eine riesige Ambulanz, die
Consultation externe, ein histologisches Laboratorium, ein Mu-
seum, eine elektrotherapeutische, Augen- und Ohren abteilung
und ein eigenes photographisches Atelier, als ebenso viel An-
lässe, um ehemalige Assistenten und Schüler in festen Stellungen
dauernd an die Klinik zu binden. Die zwei Stock hohen, ver-
wittert aussehenden Gebäude mit den Höfen, die sie umschlossen,
erinnerten den Fremden auffällig an unser Allgemeines Kranken-
haus, aber die Ähnlichkeit ging wohl nicht weit genug. „Es ist
vielleicht nicht schön hier", sagte Charcot, wenn er dem Be-
sucher seinen Besitz zeigte, „aber man findet Platz für alles,
was man machen will."
Charcot stand auf der Höhe des Lebens, als ihm diese
Fülle von Lehr- und Forschungsmitteln zur Verfügung gestellt
wurde. Er war ein unermüdlicher Arbeiter, ich glaube, immer
noch der fleißigste der ganzen Schule. Eine Privatordination,
zu der sich die Kranken „aus Samarkand und von den An-
tillen" drängten, vermochte es nicht, ihn seiner Lehrtätigkeit
oder seinen Forschungen zu entfremden. Sicherlich wandte sich
dieser Zulauf von Menschen nicht allein an den berühmten For-
scher, sondern ebensosehr an den großen Arzt und Menschen-
freund, der immer einen Bescheid zu finden wußte und dort
ahnte und erriet, wo der gegenwärtige Zustand der Wissenschaft
ihm niclit gestattete, zu wissen. Man hat ihm vielfach seine
Therapie zum Vorwurf gemacht, die durch ihren Reichtum an
Verschreibungen ein rationalistisches Gewissen beleidigen mußte.
Allein er setzte einfach die örtlich und zeitlich gebräuchlichen
Methoden fort, ohne sich über deren Wirksamkeit viel zu täu-
schen. In der therapeutischen Erwartung war er übrigens nicht
pessimistisch und hat früher und später die Hand dazu geboten,
neue Behandlungsmethoden an seiner Klinik zu versuchen, deren
•kurzlebiger Erfolg von anderer Seite her seine Aufklärung fand.
Als Lehrer war Charcot geradezu fesselnd, jeder seiner Vor-
träge ein kleines Kunstwerk an Aufbau und Gliederung, form-
vollendet und in einer Weise eindringlich, daß man den ganzen
Tag über das gehörte Wort nicht aus seinem Ohr und das de-
monstrierte Objekt nicht aus dem Sinne bringen konnte. Er
demonstrierte selten einen einzigen -Kranken, meist eine Reihe
oder Gegenstücke, die er miteinander verglich. Der Saal, in
welchem er seine Vorlesungen hielt, war mit einem Bilde ge-
schmückt, welches den „Bürger" Pinel darstellt, wie er den
armen Irrsinnigen der Salpetriere die Fesseln abnehmen läßt;
die Salpetriere, die während der Revolution so viel Schrecken
gesehen, war doch auch die Stätte dieser humansten aller Um-
wälzungen gewesen. Meister Charcot selbst machte bei einer-
solchen Vorlesung einen eigentümlichen Eindruck; er, der sonst
vor Lebhaftigkeit und Heiterkeit übersprudelte, auf dessen Lippen
der Witz nicht erstarb, sah dann unter seinem Samtkäppchen
ernst und feierlich, ja eigentlich gealtert aus, seine Stimme klang-
uns wie gedämpft, und wir konnten etwa verstehen, wieso übel-
wollende Fremde dazu kamen, der ganzen Vorlesung den Vor-
wurf des Theatralischen zumachen. Die so sprachen, waren wohl
die Formlosigkeit des deutschen klinischen Vortrages gewöhnt
oder vergaßen daran, daß Charcot nur eine Vorlesung in der
Woche hielt, die er also sorgfältig vorbereiten konnte.
Folgte Charcot mit dieser feierlichen Vorlesung, in der
alles vorbereitet war und alles eintreffen mußte, wahrscheinlich
einer eingewurzelten Tradition, so empfand er doch auch das
Bedürfnis, seinen Hörern ein minder verkünsteltes Bild seiner
Tätigkeit zu geben. Dazu diente ihm die Ambulanz der Klinik,
die er in den sogenannten Lecons du Mardi persönlich erledigte.
Da nahm er ihm völlig unbekannte Fälle vor, setzte sich allen
Wechselfällen des Examens, allen Irrwegen einer ersten Unter-
suchung aus, warf seine Autorität von sich, um gelegentlich
einzugestehen, daß dieser Fall keine Diagnose zulasse, daß in
jenem ihn der Anschein getäuscht habe, und niemals erschien
er seinen Hörern größer, als nachdem er sich so bemüht hatte,
durch die eingehendste Rechenschaft über seine Gedankengänge,
durch die größte Offenheit in seinen Zweifeln und Bedenken
die Kluft zwischen Lehrer uud Schülern zu verringern. Die Ver«^
öffentlichung dieser improvisierten Vorträge aus den Jahren 1887
und 1888 zunächst in französischer, gegenwärtig auch in deut-
scher Sprache hat auch den Kreis seiner Bewunderer ins Un-
gemessene erweitert, und niemals hat ein neuropathologisches
Werk einen ähnlichen Erfolg im ärztlichen Publikum erzielt
wie dieses.
Ungefähr gleichzeitig mit der Errichtung der Klinik und
dem Zurücktreten der pathologischen Anatomie vollzog sich eine
Wandlung in Charcots wissenschaftlichen Neigungen, der wir
die schönsten seiner Arbeiten verdanken. Er erklärte nun, die
Lehre von den organischen Nervenkrankheiten sei vorderhand
ziemlich abgeschlossen, und begann sein Interesse fast aus-
schließlich der Hysterie zuzuwenden, die so mit einem Schlage
in den Brennpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit gelangte.
Diese rätselhafteste aller Nervenkrankheiten, für deren Beurtei-
lung die Arzte noch keinen tauglichen Gesichtspunkt gefunden
hatten, war gerade damals recht in Mißkredit geraten, der sich
sowohl auf die Kranken als auf die Ärzte erstreckte, die sich
mit der Neurose beschäftigten. Es hieß, hei der Hysterie ist
alles möglich, und den Hysterischen wollte man gar nichts
glauben. Die Arbeit Charcots gab dem Thema zunächst seine
"Würde wieder; man gewöhnte sich allmählich das höhnische
Lächeln ab, auf das die Kranke damals sicher rechnen konnte;
sie mußte nicht mehr eine Simulantin sein, da Charcot mit
seiner vollen Autorität für die Echtheit und Objektivität der
hysterischen Phänomene eintrat. Charcot hatte im kleinen die
Tat der Befreiung wiederholt, wegen welcher das Bild Pinels
den Hörsaal der Salpetriere zierte. Nachdem man nun der blin-
den Furcht entsagt hatte, von den armen Kranken genarrt zu
werden, welche einer ernsthaften Beschäftigung mit der Neurose
bisher im Wege gestanden war, konnte es sich fragen, welche
Art der Bearbeitung auf dem kürzesten Wege zur Lösung des
Problems führen würde. Für einen ganz unbefangenen Beobachter
hätte sich folgende Anknüpfung dargeboten: Wenn ich einen
Menschen in einem Zustande finde, der alle Zeichen eines
schmerzhaften Affektes an sich trägt, im Weinen, Schreien, Toben,
so liegt mir der Schluß nahe, einen seelischen Vorgang in diesem
Menschen zu vermuten, dessen berechtigte Äußerungen jene
körperlichen Phänomene sind. Der Gesunde wäre dann imstande
mitzuteilen, welcher Eindruck ihn peinigt, der Hysterische würde
antworten, er wisse es nicht, und das Problem wäre sofort ge-
geben, woher es komme, daß der Hysterische einem Affekt
unterliegt, von dessen Veranlassung er nichts zu wissen behauptet.
Hält man nun an seinem Schlüsse fest, daß ein entsprechender
psychischer Vorgang vorhanden sein müsse, und schenkt dabei
doch der Behauptung des Kranken Glauben, der denselben ver-
leugnet, sammelt man die vielfachen Anzeichen, aus denen her-
10
vorgeht, daß der Kranke sich so benimmt, als wüßte er doch
darum, forscht man in der Lebensgeschichtc des Kranken nach
und findet in derselben einen Anlaß, ein Trauma, welches ge-
eignet ist, gerade solche Affektäußerungen zu erzeugen, so drängt
dies alles zur Lösung, daß der Kranke sich in einem besonderen
Seelenzustandc befinde, in dem das Band des Zusammenhanges
nicht mehr alle Eindrücke oder Erinnerungen an solche um-
schlinge, in dem es einer Erinnerung möglich sei, ihren Affekt
durch körperliche Phänomene zu äußern, ohne daß die Gruppe
der anderen seelischen Vorgänge, das Ich, darum wisse oder-
hindernd eingreifen könne; und die Erinnerung an die allbe-
kannte psychologische Verschiedenheit von Schlaf und Wachen
hätte das Fremdartige dieser Annahme verringern können. Man
wende nicht ein, daß die Theorie einer Spaltung des Bewußt-
seins als Lösung des Rätsels der Hysterie viel zu ferne liegt,
als daß sie sich dem unbefangenen und ungeschulten Beobachter
aufdrängen könnte. Tatsächlich hatte das Mittelalter doch dies,.
Lösung gewählt, indem es die Besessenheit durch einen Dämon
für die Ursache der hysterischen Phänomene erklärte; es hätte
sich nur darum gehandelt, für die religiöse Terminologie jene»
dunkeln und abergläubischen Zeit die wissenschaftliche der
Gegenwart einzusetzen.
Oharcot betrat nicht diesen Weg zur Aufklärung der
Hysterie, obwohl er aus den erhaltenen Berichten der Hexen-
prozesse und der Besessenheit reichlich schöpfte, um zu erweise*^
daß die Erscheinungen der Neurose damals dieselben gewesen
seien wie heute. Er behandelte die Hysterie wie ein anderes
Thema der Neuropathologie, gab die vollständige Beschreibung
ihrer Erscheinungen, wies Gesetz und Regel in denselben nach,
lehrte die Symptome kennen, welche eine Diagnose der Hysterie
ermöglichen. Die sorgfältigsten Untersuchungen , die von ihm
und seinen Schülern ausgingen, verbreiteten sich über die Sen-
sibilitätsstörungen der Hysterie an der Haut und den tiefen
Teilen, das Verhalten der Sinnesorgane, die Eigentümlichkeiten
der hysterischen Kontrakturen und Lähmungen, der trophisehen
Störungen und der Veränderungen des Stoffwechsels. Die mannig,
fachen Formen des hysterischen Anfalles wurden beschrieben-,
ein Schema aufgestellt, welches die typische Gestaltung deä
11
großen hysterischen Anfalles in vier Stadien schilderte und die
Zurückführung der gemeinhin beobachteten „kleinen" Anfälle
auf den Typus gestattete; ebenso die Lage und Häufigkeit der
sogenannten hysterogenen Zonen, deren Beziehung zu den An-
fällen studiert usw. Mit all diesen Kenntnissen über die Er-
scheinung der Hysterie ausgestattet, machte man nun eine Reihe
überraschender Entdeckungen; man fand die Hysterie beim
männlichen Geschlechte und besonders bei den Männern der
Arbeiterklasse mit einer Häufigkeit, die man nicht vermutet
hatte, man überzeugte sich, daß gewisse Zufälle, die man der
Alkohol-, der Blei-Intoxikation zugeschrieben hatte, der Hysterie
angehörten, man war imstande, eine ganze Anzahl von bisher
unverstanden und isoliert dastehenden Affektionen unter die
Hysterie zu subsummieren und den Anteil der Hysterie auszu-
scheiden, wo sich die Neurose mit anderen Affektionen zu kom-
plexen Bildern vereinigt hatte. Am weittragendsten waren wohl
die Forschungen über die Nervenerkrankungen nach schweren
Traumen, die „traumatischen Neurosen", deren Auffassung jetzt
noch in Diskussion steht, und bei welchen Charcot das Recht
der Hysterie erfolgreich vertreten hat.
Nachdem die letzten Ausdehnungen des Begriffes der
Hysterie so häufig zur Verwerfung ätiologischer Diagnosen ge-
führt hatten, ergab sich die Notwendigkeit, auf die Ätiologie der
Hysterie einzugehen. Charcot stellte eine einfache Formel für
diese auf: als einzige Ursache hat die Heredität zu gelten, die
Hysterie ist demnach eine Form der Entartung, ein Mitglied
der „famille nevropathique"; alle anderen ätiologischen Mo-
mente spielen die Rolle von Gelegenheitsursachen, von „agents
rovocateurs".
Der Aufbau dieses großen Gebäudes fand natürlich nicht
ohne heftigen Widerspruch statt, allein es war der unfruchtbare
Widerspruch einer alten Generation, die ihre Anschauungen
nicht verändert wissen wollte; die Jüngeren unter den Neuro-
pathologen, auch Deutschlands, nahmen Charcots Lehren in
größerem oder geringerem Ausmaße an. Charcot selbst war
des Sieges seiner Lehren von der Hysterie vollkommen sicher;
wollte man ihm einwenden, daß die vier Stadien des Anfalles,
die Hysterie bei Männern usw., anderswo als in Frankreich nicht
12
zu beobachten seien, so wies er darauf hin, wie lange er dies«
Dinge selbst übersehen habe, und wiederholte, die Hysterie sei
allerorten und zu allen Zeiten die nämliche. Gegen den Vorwurf,
daß die Franzosen eine weit nervösere Nation seien als ander»',
die Hysterie gleichsam eine nationale Unart, war er sehr empfind-
lich und konnte sich sehr freuen, wenn eine Publikation „über-
einen Fall von Reflexepilepsie" bei einem preußischen Grenadier
ihm auf Distanz die Diagnose der Hysterie ermöglichte.
An einer Stelle seiner Arbeit ging Charcot noch über
das Niveau seiner sonstigen Behandlung der Hysterie hinaus
und tat einen Schritt, der ihm für alle Zeiten auch dm Rubra
des ersten Erklärers der Hysterie sichert. Mit dem Studium de«;
hysterischen Lähmungen beschäftigt, die nach Traumen entstehen,
kam er auf den Einfall, diese Lähmungen, die er vorher sorg-
fältig von den organischen differenziert hatte, künstlich zu repro-
duzieren, und bediente" sich hierzu hysterischer Patienten, die er-
durch Hypnotisieren in den Zustand des Somnambulismus ver-
setzte. Es gelang ihm durch lückenlose Schlußfolge nachzu-
weisen, daß diese Lähmungen Erfolge von Vorstellungen seien,
die in Momenten besonderer Disposition das Gehirn des Kranke«
beherrscht hatten. Damit war zum ersten Male der Mechanismus
eines hysterischen Phänomens aufgeklärt, und an dieses unver-
gleichlich schöne Stück klinischer Forschung knüpfte dann sein
eigener Schüler P. Janet, knüpften Breuer u. a. an, um eine
Theorie der Neurose zu entwerfen, welche sich mit der Auf-
fassung des Mittelalters deckt, nachdem sie den „Dämon" der-
priesterlichen Phantasie durch eine psychologische Formel er-
setzt hat.
Charcots Beschäftigung mit den hypnotischen Phänomenen:
bei Hysterischen gereichte diesem bedeutungsvollen Gebiet von
bisher vernachlässigten und verachteten Tatsachen zur größten
Förderung, indem das Gewicht seines Namens dem Zweifol an
der Realität der hypnotischen Erscheinungen ein- für allemal
ein Ende machte. Allein der rein psychologische Gegenstand
vertrug die ausschließlich nosographische Behandlung nicht, die-
er bei der Schule der Salpetriere fand. Die Beschränkung des.
Studiums der Hypnose auf die Hysterisehen, die Unterscheidung
von großem und kleinem Hypnotismus, die Aufstellung dreier-
13
Stadien der „großen Hypnose" und deren Kennzeichnung durch
somatische Phänomene, dies alles unterlag in der Schätzung
der Zeitgenossen, als Liebaults Schüler Bernheim es unter-
nahm, die Lehre vom Hypnotismus auf einer umfassenderen
psychologischen Grundlage aufzubauen und die Suggestion zum
Kernpunkt der Hypnose zu machen. Nur die Gegner des Hyp-
notismus, die sich damit zufrieden geben, ihren Mangel an eigener
Erfahrung durch Berufung auf eine Autorität zu verdecken,
halten noch an den Aufstellungen Charcots fest und lieben
es, eine aus seinen letzten Jahren stammende Äußerung zu ver-
werten, die der Hypnose eine jede Bedeutung als Heilmittel
abspricht.
Auch an den ätiologischen Theorien, die Charcot in
seiner Lehre von der ,.famille nevropathique" vertrat, und die
er zur Grundlage seiner gesamten Auffassung der Nervenkrank-
heiten gemacht hatte, wird wohl bald zu rütteln und zu korri-
gieren sein. Charcot überschätzte die Heredität als Ursache so
sehr, daß kein Raum für die Erwerbung von Neuropathien Übrig
blieb, er wies der Syphilis nur einen bescheidenen Platz unter
den „agents provocateur" an, und er trennte weder für die
Ätiologie, noch sonst hinreichend scharf die organischen Nerven-
aft'ektionen von den Neurosen. Es ist unausbleiblich, daß der
Fortschritt unserer Wissenschaft, indem er unsere Kenntnisse
vermehrt, auch manches von dem entwertet, was uns Charcot
gelehrt hat, aber kein Wechsel der Zeiten oder der Meinungen
wird den Nachruhm des Mannes zu schmälern vermögen, um
den wir jetzt — in Frankreich und anderwärts — alle trauern.
Wien, im August 1893.
IL
Über den psychischen Mechanismus hysteri-
scher Phänomene 1 ).
Von Dr. Josef Breuer und Dr. Sigm. Freud in Wien.
I.
Angeregt durch eine zufällige Beobachtung, forschen wir
seit einer Reihe von Jahren bei den verschiedensten Formen
und Symptomen der Hysterie nach der Veranlassung, dem Vor-
gange, welcher das betreffende Phänomen zum ersten Male, oft
vor vielen Jahren, hervorgerufen hat. In der großen Mehrzahl
der Fälle gelingt es nicht, durch das einfache, wenn auch noch
so eingehende Krankenexamen diesen Ausgangspunkt klarzu-
stellen, teilweise, weil es sich oft um Erlebnisse handelt, deren
Besprechung den Kranken unangenehm ist, hauptsächlich aber,
weil sie sich wirklich nicht daran erinnern, den ursächlichen
Zusammenhang des veranlassenden Vorganges und des patho-
logischen Phänomens nicht ahnen. Meistens ist es nötig, die
Kranken zu hypnotisieren und in der Hypnose die Erinnerungen
jener Zeit, wo das Symptom zum ersten Male auftrat, wachzu-
rufen; dann gelingt es, jenen Zusammenhang aufs deutlichst,,
und überzeugendste darzulegen.
Diese Methode der Untersuchung hat uns in einer großen
Zahl von Fällen Resultate ergeben, die in theoretischer wie i u
praktischer Hinsicht wertvoll erscheinen.
i) „Neurologisches Zentralblatt", 1893, Nr. 1 u. 2. (Auch abgedruckt
als Einleitung der „Studien über Hysterie«, 1895, in welchen J. Breuer
und ich die hier dargelegten Anschauungen weiter ausgeführt und durchs
Krankengeschichten erläutert haben.)
^
15
In theoretischer Hinsicht, weil sie uns bewiesen haben,
daß das akzidentelle Moment weit über das bekannte und an-
erkannte Maß hinaus bestimmend ist für die Pathologie der
Hysterie. Daß es bei „traumatischer" Hysterie der Unfall ist,
welcher das Syndrom hervorgerufen hat, ist ja selbstverständ-
lich, und wenn bei hysterischen Anfällen aus den Außeningen
der Kranken zu entnehmen ist, daß sie in jedem Anfalle immer
wieder denselben Vorgang halluzinieren, der die erste Attacke
hervorgerufen hat, so liegt auch hier der ursächliche Zusammen-
hang klar zutage. Dunkler ist der Sachverhalt bei den anderen
Phänomenen.
Unsere Erfahrungen haben uns aber gezeigt, daß die
verschiedensten Symptome, welche für spontane, so-
zusagen idiopathische Leistungen der Hysterie
gelten, in ebenso stringentem Zusammenhange mit
dem veranlassenden Trauma stehen, wie die oben
genannten, in dieser Beziehung durchsichtigen Phä-
nomene. Wir haben Neuralgien wie Anästhesien der ver-
schiedensten Art und von oft jahrelanger Dauer, Kontrakturen
und Lähmungen, hysterische Anfälle und epileptoide Konvul-
sionen, die alle Beobachter für echte Epilepsie gehalten hatten,
Petit-mal und ticartige Afl'ektionen, dauerndes Erbrechen und
Anorexie bis zur Nahrungsverweigerung, die verschiedensten
Sehstörungen, immer wiederkehrende Gesichtshalluzinationen
u. dgl. m. auf solche veranlassende Momente zurückführen können.
Das Mißverhältnis zwischen dem jahrelang dauernden hysteri-
schen Symptom und der einmaligen Veranlassung ist dasselbe,
wie wir es bei der traumatischen Neurose regelmäßig zu sehen
gewohnt sind; ganz häufig sind es Ereignisse aus der Kinder-
zeit, -die für alle folgenden Jahre ein mehr oder minder schweres
Krankheitsphänomen hergestellt haben.
Oft ist der Zusammenhang so klar, daß es vollständig er-
sichtlich ist, wieso der veranlassende Vorfall eben dieses und
kein anderes Phänomen erzeugt hat. Dieses ist dann durch die
Veranlassung in völlig klarer Weise determiniert. So, um das
banalste Beispiel zu nehmen, wenn ein schmerzlicher Affekt, der
während des Essens entsteht, aber unterdrückt wird, dann Übel-
keit und Erbrechen erzeugt, und dieses als hysterisches Erbrechen
16
monatelang andauert. — Ein Mädchen, das in qualvoller Angst
an einem Krankenbette wacht, verfällt in einen Dämmerzustand
und hat eine schreckhafte Halluzination, während ihr der rechte
Arm, über der Sessellehne hängend, einschläft; es entwickelt -
sich daraus eine Parese dieses Armes mit Kontraktur und
Anästhesie. Sie will beten und findet keine Worte; endlich ge-
lingt es ihr, ein englisches Kindergebet zu sprechen. Als sich
später eine schwere, höchst komplizierte Hysterie entwickelt,
spricht, schreibt und versteht sie nur englisch, während ihr die
Muttersprache durch 17 2 Jahre unverständlich ist. — Ein
schwerkrankes Kind ist endlich eingeschlafen, die Mutter spannt
alle Willenskraft an, um sich ruhig zu verhalten und es nicht
zu wecken; gerade infolge dieses Vorsatzes macht sie („hysteri-
scher Gegenwille!") ein schnalzendes Geräusch mit der Zunge.
Dieses wiederholt sich später bei einer andern Gelegenheit, wobei
sie sich gleichfalls absolut ruhig verhalten will, und es entwickelt
sich daraus ein Tic, der als Zungenschnalzon durch viele Jahre
jede Aufregung begleitet. — Ein hochintelligenter Mann assistiert,
während seinem Bruder das ankylosierte Hüftgelenk in der Nar-
kose gestreckt wird. Im Augenblick, wo das Gelenk krachen^
nachgibt, empfindet er heftigen Schmerz im eigenen Hüftgelenk,
der fast ein Jahr andauert u. dgl. m.
In anderen Fällen ist' der Zusammenhang nicht so einlach;
es besteht nur eine sozusagen symbolische Beziehung zwischen
der Veranlassung und dem pathologischen Phänomen, wie clor
Gesunde sie wohl auch im Traume bildet: wenn etwa zu seeli.
schem Schmerze sich eine Neuralgie gesellt oder Erbrechen zu
dem Affekte 'moralischen Ekels. Wir haben Kranke studiert.
welche von einer solchen Symbolisierung den ausgiebigsten Ge-
brauch zu machen pflegten. — In noch anderen Fällen i^t eine
derartige Determination zunächst nicht dem Verständnis offen ;
hierher gehören gerade die typischen hysterischen Symptome,
wie Hemianästhesie und Gesichtsfeldeinengung, epileptiform e
Konvulsionen u. dgl. Die Darlegung unserer Anschauungen iil><>,.
diese Gruppe müssen wir der ausführlicheren Besprechung deg
Gegenstandes vorbehalten.
Solche Beobachtungen scheinen uns die patho,
gene Analogie der gewöhnlichen Hysterie mit de r
.
.
17
traumatischen Neurose nachzuweisen und ein'e Aus-
dehnung des Begriffes der „traumatischen Hysterie"
zu rechtfertigen. Bei der traumatischen Neurose ist ja nicht
die geringfügige körperliche Verletzung die wirksame Krankheits-
ursache, sondern der Schreckaffekt, das psychische Trauma.
In analoger Weise ergehen sich aus unseren Nachforschungen
für viele, wenn nicht für die meisten hysterischen Symptome
Anlässe, die man als psychische Traumen bezeichnen muß. Als
solches kann jedes Erlebnis wirken, welches die peinlichen Affekte
des Schreckens, der Angst, der Scham, des psychischen Schmerzes
hervorruft, und es hängt begreiflicherweise von der Empfindlich-
keit des betroffenen Menschen (sowie von einer später zu er-
wähnenden Bedingung) ab, ob das Erlebnis als Trauma zur
Geltung kommt. Nicht selten finden sich anstatt des einen großen
Traumas bei der gewöhnlichen Hysterie mehrere Parti altraumen,
gruppierte Anlässe, die erst in ihrer Summierung traumatische
Wirkung äußern konnten, und die insofern zusammengehören,
als sie zum Teil Stücke einer Leidensgeschichte bilden. In noch
anderen Fällen sind es an sich scheinbar gleichgültige Umstände,
die durch ihr Zusammentreffen mit dem eigentlich wirksamen
Ereignis oder mit einem Zeitpunkt besonderer Reizbarkeit eine
Dignität als Traumen gewonnen haben, die ihnen sonst nicht
zuzumuten wäre, die sie aber von da an behalten.
Aber der kausale Zusammenhang des veranlassenden psy-
chischen Traumas mit dem hysterischen Phänomen ist nicht
etwa von der Art, daß das Trauma als Agent provocateur das
Symptom auslösen würde, welches dann, selbständig geworden,
weiter bestände. Wir müssen vielmehr behaupten, daß das psy-
chische Trauma respektive die Erinnerung an dasselbe nach
An eines Fremdkörpers wirkt, welcher noch lange Zeit nach
seinem Eindringen als gegenwärtig wütendes Agens gelten muß,
und wir sehen den Beweis hiefür in einem höchst merkwürdigen
Phänomen, welches zugleich unseren Befunden ein bedeutendes
praktisches Interesse verschafft.
Wir fanden nämlich anfangs zu unserer größten Über-
raschung, daß die einzelnen hysterischen Symptome
sogleich und ohne Wiederkehr verschwanden, wenn
es gelungen war, die Erinnerung an den veranlas-
Frtud, Neurosenlehre I. 4. Auflage. O
18
senden Vorgang zu voller Helligkeit /.u «t «n- k e n,
damit auch den begleitenden Affekt wachzurufen,
und wenn dann der Kranke den Vorgang in m ., g _
HchstausführlicherWeiseschilderte und. len. Alle kt
Worte gab. Affektloses Erinnern ist fast immer voll.- wirkun gs -
!„• d r° psychische Prozeß, der ursprünglich abgelaufen war,
muß so lebhaft als möglich wiederholt, in statum nascendi ge-
bracht und dann „ausgesprochen" werden. Dabc. treten, wenn
es sich um Reizerscheinungen bandelt, diese: Krumple. NeuraU
gien, Halluzinationen -- noch einmal in voller Intensität iiU f
und schwinden dann für immer. Funktionsausfälle. Lähmungen
und Anästhesien schwinden ebenso, natürlich ohne dal) ihre
momentane Steigerung deutlich wäre 1 '.
Der Verdacht liegt nahe, es handle sich dabei um ei Ue
unbeabsichtigte Suggestion; der Kranke erwarte, durch die Pro-
zedur von seinem Leiden befreit zu werden, und diese Erwar-
tung, nicht das Aussprechen selbst, sei der wirkende Kaktor.
Allein, dem ist nicht so; die erste Beobachtung dieser Art, bei
welcher ein höchst verwickelter Fall von Ilyst.-rie auf solche
Weise analysiert und die gesondert verursachten Symptome auch
gesondert behoben wurden, stammt aus dem Jahre ISS1, al So
aus „vorsuggestiver" Zeit, wurde durch spontane Autohxpnosen
der Kranken ermöglicht und bereitete dem Beobachter d
größte Überraschung.
In Umkekrung des Satzes: cessante causa cessat eiiecti,
dürfen wir wohl aus diesen Beobachtungen schließen: der \
anlassende Vorgang wirke in irgend «in er Weise noch nach
J) Die Möglichkeit einer solchen Thernpi.' haben Delboeuf und Hin et j
' klar erkannt, wie die beifolgenden Zitate .eigen: DelboeuT. Le inn -''.s^
animal, Paris 1889: r On s'expliquerait dos lors comiiu-nt I« um Ur
aide ä la guerison. I. rcmel 1e sujet da.» Mut ou le .n.,1 _■<■,. .„„mfe,
et combat par la parole le meme mal, mais renaissant." — Unu-t, 1 , es
alterations de la personnalite, 1892, p. 243: peut-ue yerrn-t- oa
qu'en reportant la malade par im artif.ee mental, au moment n
Symptome a apparu pour la premiere foi», on ren.l «• malad.- plus "nl c
une Suggestion carative." — In dem interessanten Im.-.he von 1'. .la,».
»er
L'automatisme psychologique, Paris 1889, findet sich die lWl.rP.bnng e,,.,
Heilung, welche bei einem hysterischen Mädchen durch Anwendung ei Ucs
dem unseligen analogen Verfahrens rzielt wurde.
19
Jahren fort, nicht indirekt durch Vermittlung einer Kette von
kausalen Zwischengliedern, sondern unmittelbar als auslösende
Ursache, wie etwa ein im wachen Bewußtsein erinnerter psychi-
scher Schmerz noch in später Zeit die Tränensekretion hervor-
ruft: der Hysterische leide größtenteils an Reminis-
zenzen 1 ). <*
IL
Es erscheint zunächst wunderlich, daß längst vergangene
Erlebnisse so intensiv wirken sollen, daß die Erinnerungen an
sie nicht der Usur unterliegen sollen, der wir doch alle unsere
Erinnerungen verfallen sehen. Vielleicht gewinnen wir durch
folgende Erwägungen einiges Verständnis für diese Tatsachen.
Das Verblassen oder Affektloswerden einer Erinnerung
hängt von mehreren Faktoren ab. Vor allem ist dafür von
Wichtigkeit, ob auf das affizierende Ereignis energisch
reagiert wurde oder nicht. "Wir verstehen hier unter Re-
aktion die ganze Reihe willkürlicher und unwillkürlicher Reflexe,
in denen sich erfahrungsgemäß die Affekte entladen: vom
Weinen bis zum Racheakt. Erfolgt diese Reaktion in genügen-
dem Ausmaße, so schwindet dadurch ein großer Teil des Affektes;
unsere Sprache bezeugt diese Tatsache der täglichen Beobach-
tung durch die Ausdrücke „sich austoben, ausweinen" u. dgl.
Wird die Reaktion unterdrückt, so bleibt der Affekt mit der
Erinnerung verbunden. Eine Beleidigung, die vergolten ist, wenn
auch nur durch Worte, wird anders erinnert, als eine, die hin-
genommen werden mußte. Die Sprache anerkennt auch diesen
Unterschied in den psychischen und körperlichen Folgen und
bezeichnet höchst charakteristischerweise eben das schweigend
erduldete Leiden als „Kränkung". — Die Reaktion des Ge-
schädigten auf das Trauma hat eigentlich nur dann eine völlig
„kathartische" Wirkung, wenn sie eine adäquate Reaktion
l) Wir können im Texte dieser vorläufigen Mitteilung nicht sondern,
was am Inhalte derselben neu ist, und was sich bei anderen Autoren, wie
Moebius und Strümpell, findet, die ähnliche Anschauungen für die
Hysterie vertreten haben. Die größte Annäherung an unsere theoretischen
und therapeutischen Ausführungen fanden wir in einigen gelegentlich publi-
zierten Bemerkungen B cnedikts, mit denen wir uns an anderer Stelle be-
■chäftigen werden.
2*
20
ist, wie die Ruche. Aber in der Sprache findet der Mensch ein
Surrogat für die Tat, mit dessen Hilfe der Affekt nahezu ebenso
„abreagiert" werden kann. In anderen Fällen ist das Reden
eben selbst der adäquate Reflex, als Klage und als AusspracUe
für die Pein eines Geheimnisses (Beichte!). Wenn solche Re-
aktion durch Tat, Worte, i« leichtesten Füllen durch Weinen
nicht erfolgt, so behält die Erinnerung au den Vorfall zunächst
die affektive Betonung.
Das „Abreagieren" ist indes nicht die einzige Art der
Erledigung, welche dem normalen psychischen Mechanismus des
Gesunden zur Verfügung steht, wenn er ein psychisches Traum.»
erfahren hat. Die Erinnerung daran tritt, auch wenn sie nie!»*
abreagiert wurde, in den großen Komplex der Assoziation ein,
sie rangiert dann neben anderen, vielleicht ihr widersprechende^
Erlebnissen, erleidet eine Korrektur durch andere Vorstellung
Nach einem Unfälle zum Beispiel gesellt sich zu der Erinne-
rung an die Gefahr und zu der (abgeschwächten) Wiederholung
des Schreckens die Erinnerung des weiteren Verlaufes, der
Rettung, das Bewußtsein der jetzigen Sicherheit Die Erinnerung
an eine Kränkung wird korrigiert durch Richtigstellung der
Tatsachen, durch Erwägungen der eigenen Würde u. dgl., und
so gelingt es dem normalen Menschen, durch Leistungen der
Assoziation den begleitenden Affekt zum Verschwinden zu bringen.
Dazu tritt dann jenes allgemeine Verwischen der Kin-
drücke, jenes Abblassen der Erinnerungen, welches wir „ver-
gessen" nennen und das vor allem die affektiv nicht mehr wirl*^
Samen Vorstellungen usuriert.
Aus unseren Beobachtungen geht nun hervor, daß jene
Erinnerungen, welche zu Veranlassungen hysterischer Phänomene
geworden sind, sich in wunderbarer Frische und mit ihrer volle u
Affektbetonung durch lange Zeit erhalten haben. Wir müssen
aber als eine weitere auffällige und späterhin verwertbare Ta%»
sache erwähnen, daß die Kranken nicht etwa über diese Erinne-
rungen wie über andere ihres Lebens vorfügen. Im Gegenteil^
diese Erlebnisse fohlen dem Gedächtnis der Kranken
in ihtam gewöhnlichen psychischen Zustande völlig
oder sind nur höchst Bummarisch da,rin vorhanden.
Erst wenn man die Kranken in der Hypnose befragt, stellen
I
L„
21
sich diese Erinnerungen mit der unverminderten Lebhaftigkeit
frischer Geschehnisse ein.
So reproduzierte eine unserer Kranken in der Hypnose ein
halbes Jahr hindurch mit halluzinatorischer Lebhaftigkeit alles,
was sie an denselben Tagen des vorhergegangenen Jahres (während
einer akuten Hysterie) erregt hatte; ein ihr unbekanntes Tage-
buch der Mutter bezeugte die tadellose Richtigkeit der Repro-
duktion. Eine andefe Kranke durchlebte teils in der Hypnose,
teils in spontanen Anfällen mit halluzinatorischer Deutlichkeit
alle Ereignisse einer vor zehn Jahren durchgemachten hysteri-
schen Psychose, für welche sie bis zum Momente des Wieder-'
auftauchens größtenteils amnestisch gewesen war. Auch einzelne
ätiologisch wichtige Erinnerungen von 15 — 25 jährigem Bestand
erwiesen sich bei ihr von erstaunlicher Intaktheit und sinnlicher
Stärke und wirkten bei ihrer Wiederkehr mit der vollen Affekt-
kraft neuer Erlebnisse.
Den Grund hierfür können wir nur darin suchen, daß
diese Erinnerungen in allen oben erörterten Beziehungen zur
Usur eine Ausnahmsstellung einnehmen. Es zeigt sich näm-
lich, daß diese Erinnerungen Traumen entsprechen,
welche nicht genügend „abreagiert-' worden sind, und
bei näherem Eingehen auf die Gründe, welche dieses verhindert
haben, können wir mindestens zwei Reihen von Bedingungen
auffinden, unter denen die Reaktion auf das Trauma unter-
blieben ist.
Zur ersten Gruppe rechnen wir jene Fälle, in denen die
Kranken auf psychische Traumen nicht reagiert haben, weil die
Natur de3 Traumas eine Reaktion ausschloß, wie beim unersetz-
lich erscheinenden Verlust einer geliebten Person, oder weil die
sozialen Verhältnisse eine Reaktion unmöglich machten, oder
weil es sich um Dinge handelte, die der Kranke vergessen
wollte, die er darum absichtlich aus seinem bewußten Denken
verdrängte, hemmte und unterdrückte. Gerade solche peinliche
Dinge findet man dann in der Hypnose als Grundlage hysteri-
scher Phänomene (hysterische Delirien der Heiligen und Nonnen,
der enthaltsamen Frauen, der wohlerzogenen Kinder).
Die zweite Reihe von Bedingungen wird nicht durch den
Inhalt der Erinnerungen, sondern durch die psychischen Zu-
22
stände bestimmt, mit welchen die entsprechenden Erlebnisse
beim Kranken zusammengetroffen haben. Als Veranlassung hyste-
rischer Symptome findet man nämlich in der Hypnose, auch
Vorstellungen, welche, an sich nicht bedeutungsvoll, ihre Er-
haltung dem Umstände danken, daß sie in schweren lähmenden
Affekten, wie zum Beispiel Schreck, entstunden sind, oder direkt
in abnormen psychischen Zuständen wie im hulbhypüotischen
Dämmerzustand des Wachträumens, in Autohypnosen u. dgl.
Hier ist es die Natur dieser Zustände, welche eine Reaktion
auf das Geschehnis unmöglich machte.
Beiderlei Bedingungen können natürlich auch zusammen-
treffen und treffen in der Tat oft zusammen. Dies ist der Fall, wenn
ein an sich wirksames Trauma in einen Zustand von schwerem
lähmenden Affekt oder von verändertem Bewußtsein fällt; es
scheint aber so zuzugehen, daß durch das psychische Traum a
bei vielen Personen einer jener abnormen Zustünde hervor-
gerufen wird, welcher dann einerseits die Reaktion unmög-
lich macht.
Beiden Gruppen von Bedingungen ist aber gemeinsam,
daß die nicht durch Reaktion erledigten psychischen Traumen
auch der Erledigung durch assoziative Verarbeitung entbehren
müssen. h\ der ersten Gruppe ist es der Vorsat/ der Krank«
welcher an die peinlichen Erlebnisse vergessen will und dieselben
somit möglichst von der Assoziation ausschließt. In der zweiten
Gruppe gelingt diese assoziative Verarbeitung darum nicht, weil
zwischen dem normalen Bewußtseinszustande und den patho-
logischen, in denen diese Vorstellungen entstanden sind, eii le
ausgiebige assoziative Verknüpfung nicht besteht. Wir werden
sofort Anlaß haben, auf diese Verhältnisse weiter einzugehen.
Man darf also sagon, daß die pathogen -ewo r ,
denen Vorstellungen sich darum so frisch und uffekfe
kräftig erhalten, weil ihnen die normale Usur durc^
Abreagieren und durch Reproduktion in Zustünden
ungehemmtci- Assoziation versagt ist.
111.
Als wir die Bedingungen mitteilten, welche nach unseren
Erfahrungen dafür maßgebend sind, daß sich aus psychisch j
-
23
Traumen hysterische Phänomene entwickeln, mußten wir bereits
von abnormen Zuständen des Bewußtseins sprechen, in denen
solche pathogeue Vorstellungen entstehen, und mußten die Tat-
sache hervorheben, daß die Erinnerung an das wirksame psy-
chische Trauma nicht im normalen Gedächtnis des Kranken,
sondern im Gedächtnis des Hypnotisierten zu finden ist. Je
mehr wir uns nun mit diesen Phänomenen beschäftigten, desto
sicherer wurde unsere Überzeugung, jene Spaltung des Be-
wußtseins, die bei den bekannten klassischen Fällen als
double conscience eo auffällig ist, bestehe in rudimen-
tärer Weise bei jeder Hysterie, die Neigung zu dieser
Dissoziation und damit zum Auftreten abaormer Be-
■wußtseinszustände, die wir als „hypnoide" zusammen-
fassen wollen, sei das Grundphänomen dieser Neurose.
Wir treuen in dieser Anschauung mit Binet und den beiden
Jan et zusammen, über deren höchst merkwürdige Befunde bei
Anästhetischen uns übrigens die Erfahrung mangelt.
Wir möchten also dem oft ausgesprochenen Satze: „Die
Hypnose ist artefizielle Hysterie" einen andern an die Seite
stellen: Grundlage und Bedingung der Hysterie ist die Existenz
von hypnoiden Zuständen. Diese hypnoiden Zustände stimmen
bei aller Verschiedenheit untereinander und mit der Hypnose in
dem einen Punkte überein, daß die in ihnen auftauchenden
Vorstellungen sehr intensiv, aber von dem Assoziativverkehr mit
dem übrigen Bewußtseinsinhalte abgesperrt sind. Untereinander
sind diese hypnoiden Zustände assoziierbar und deren Vorstel-
lungsinhalt mag auf diesem Wege verschieden hohe Grade von
psychischer Organisation erreichen. Im übrigen dürfte ja die
»atnr dieser Zustände und der Grad ihrer Abschließung von -
den übrigen Bewußtseinsvorgängen in ähnlicher Weise variieren,
wie wir es bei der Hypnose sehen, die sich von leichter Somno-
lenz bis zum Somnambulismus, von der vollen Erinnerung bis
zur absoluten Amnesie erstreckt.
Bestehen solche hypnoide Zustände schon vor der mani-
festen Erkrankung, so geben sie den Boden ab, auf welchem
der Affekt die pathogeue Erinnerung mit ihren somatischen
Folgeerscheinungen ansiedelt. Dies Verhalten entspricht der dis-
ponierten Hysterie. Es ergibt sich aber aus unseren Beobach-
24
tungen, daß ein schweres Trauma (wie das der traumatische!
Neurose), eine mühevolle Unterdrückung (etwa dcsScvualaffekteai
auch bei dem sonst freien Menschen eine Abspaltung von Vor-
Stellungsgruppen bewerkstelligen kann, und dies wäre der Me-
chanismus der psychisch akquirierten Hysterie. Zwischen dei
Extremen dieser beiden Formen muß man eine Reihe geltei
lassen, innerhalb welcher die Leichtigkeit der Dissoziation
dem betreffenden Individuum und die Afl'ektgrüße des Traumas
in entgegengesetztem Sinne variieren.
Wir wissen nichts neues darüber zu sagen, worin die dis-
ponierenden hypnoiden Zustände begründet sind. Sie entwickeln
sich oft, sollten wir meinen, aus dem auch bei Gesunden
häufigen „Tagträumen", zu dem zum Heispiel die weiblicheS
Handarbeiten so viel Anlaß bieten. Die Krage, weshalb di«
„pathologischen Assoziationen", die sich in solchen Zuständen
bilden, so feste sind und die somatischen Vorgänge sc viel stärl
beeinflussen, als wir es sonst von Vorstellungen gewohnt sin.l,
fällt zusammen mit dem Problem der Wirksamkeit hypnotisch©^
Suggestionen überhaupt. Unsere Erfahrungen bringen hierübe)
nichts neues, sie beleuchten dagegen den Widerspruch zwischen
dem Satze: „Hysterie ist eine Psychose", und der Tatsache,
daß man unter den Hysterischen die geistig klarsten, willen^«
stärksten, charaktervollsten und kritischesten Menschen linde*]
kann, in diesen Fällen ist solche Charakteristik richtig für das
wache Denken des Mensehen, in seinen hypnoiden Zustände*)
ist er alieniert, wie wir es alle im Traume sind. Ä.ber während
unsere Traum psychosen unseren Wachzustand nicht beeinflussen"
ragen die Produkte der hypnoiden Zustände als hysterisch«
Phänomene ins wache Leben hinein.
IV.
Fast die nämlichen Behauptungen, die wir für die hys
rischen Dauersymptome aufgestellt haben, können wir muh für-
die hysterischen Anfälle wiederholen. Wir besitzen, wie bekannt»
eine von Charcot gegebeuo Bchematisohe Beschreibung des
„großen" hysterischen Anfalles, welcher zufolge ein vollständiger
Anfall vier Pttasen erkennen läßt, 1. die epileptoide, 2. die der
großen Bewegungen, 3. die der attitndes passionelles (die hallu-
^ g
25
zinatorische Phase), 4. die des abschließenden Deliriums. Aus
der Verkürzung und Verlängerung, dem Ausfalle und der Iso-
lierung der einzelnen Phasen läßt Charcot alle jene Formen
des hysterischen Anfalles hervorgehen, die man tatsächlich
häufiger als die vollständige Grande attaque beobachtet.
Unser Erklärungsversuch knüpft an die dritte Phase, die
der attitudes passionelles, an. Wo dieselbe ausgeprägt ist, liegt
in ihr die halluzinatorische Reproduktion einer Erinnerung bloß,
welche für den Ausbruch der Hysterie bedeutsam war, die Er-
innerung an das eine große Trauma der xai' e^oxrjv sogenannten
traumatischen Hysterie oder an eine Eeihe von zusammen-
gehörigen Partialtraumen, wie sie der gemeinen Hysterie zu-
grunde liegen.. Oder endlich der Anfall bringt jene Geschehnisse
wieder, welche durch ihr Zusammentreffen mit einem Moment
besonderer Disposition zu Traumen erhoben worden sind.
Es gibt aber auch Anfälle, die anscheinend nur aus moto-
rischen Phänomenen bestehen, denen eine phase passionelle fehlt.
Gelingt es bei einem solchen Anfalle von allgemeinen Zuckungen,
kataleptischer Starre oder bei einer attaque de sommeil sich
während desselben in Rapport mit dem Kranken zu setzen oder
noch besser, gelingt es, den Anfall in der Hypnose hervor-
zurufen, so findet man, daß auch hier die Erinnerung an das
psychische Trauma oder an eine Reihe von Traumen zugrunde
liegt, die sich sonst in einer halluzinatorischen Phase auffällig
macht. Ein kleines Mädchen leidet seit Jahren an Anfällen von
allgemeinen Krämpfen, die man für epileptische halten könnte
und auch gehalten hat. Sie wird zum Zweck der Differential-
diagnose hypnotisiert und verfällt sofort in ihren Anfall. Be-
ragt: Was siehst du denn jetzt? antwortet sie aber: Der Hund,
der Hund kommt! Und wirklich ergibt sich, daß der erste An-
fall dieser Art nach einer Verfolgung durch einen wilden Hund
aufgetreten war. Der Erfolg der Therapie vervollständigt dann
die diagnostische Entscheidung.
Ein Angestellter, der infolge einer Mißhandlung von Seiten
seines Chefs hysterisch geworden ist, leidet an Anfällen, in
denen er zusammenstürzt, tobt und wütet, ohne ein Wort zu
sprechen oder eine Halluzination zu verraten. Der Anfall läßt
sich in der Hypnose provozieren und der Kranke gibt nun an,
25
daß er die Szene wieder durchlebe, wie der Herr ihn auf der
Straße beschimpft und mit einem Stocke schlügt. Wonige Tage
später kommt er mit der Klag«- wieder, er habe denselben Anfall
von neuem gehabt, und diesmal ergibt sich in der Hypnose,
daß er die Szene durchlebt hat, an die sich eigentlich der Aus-
bruch der Krankheit knüpfte, die Szene im Gericlitssaale, als
es ihm nicht gelang, Satisfaktion für die Mißhandlung zu er-
reichen usw.
Die Erinnerungen, welche in den hysterischen Antillen
hervortreten oder in ihnen geweckt werden können, entsprechen
auch in. allen anderen Stücken den Anlässen, welche sich uns
als Gründe hysterischer Dauersymptome ergeben haben. Wie
diese, betreffen sie psychische Traumen, die sich der Erledigung
durch Abreagieren oder durch assoziative Denkarbeit entzogen
haben; wie diese, fehlen sie gänzlich oder mit ihren wesent-
lichen Bestandteilen dem Erinnerungsvermögen des normalen
Bewußtseins und zeigen sich als zugehörig zu dem Yorsiellungs-
inhalt hypnoider Bewußtseinszustände mit eingeschränkter Asso-
ziation. Endlich gestatten sie auch die therapeutische Probe,
Unsere Beobachtungen haben uns oftmals gelehrt, daß eine
solche Erinnerung, die bis dahin Anlälle provoziert hatte, dazu
unfähig wird, wenn man sie in der Hypnose zur Reaktion und
assoziativen Korrektur bringt.
Die motorischen Phänomene des hysterischen Anfalles
lassen sich zum Teil als allgemeine Reaktionsformen des die
Erinnerung begleitenden Affektes, wie das Zappeln mit allen
Gliedern, dessen sich bereits der Säugling bedient, zum Teil als
direkte Ausdrucksbewegungen dieser Erinnerung deuten, zui u
andern Teil entziehen sie sich ebenso wie die hysterischen;
Stigmata bei den Dauersymptomen dieser K.iklärung.
Eine besondere Würdigung des hysterischen Anfalles ergibt
sich noch, wenn man auf die vorhin angedeutet'' Theorie Bück-
sicht nimmt, daß hei der Hysterie in hypnoiden Zuständen ent-
standene Vorstellungsgruppen vorhanden sind, die, vom assozia-,
tiven Verkehr mit den übrigen ausgeschlossen, aber untereinander
•assoziierbar, ein mehr oder minder hoch organisiertes Rudiment
eines zweiten Bewußtseins, einer oondition seconde durstellen.
Dann entspricht ein hysterisches Dauersymptom einem II
27
ragen dieses zweiten Zustandes in die sonst vom normalen
Bewußtsein beherrschte Körperinnervation; ein hysterischer
Anfall zeugt aber von einer höheren Organisation dieses zweiten
Zustandes und bedeutet, wenn er frisch entstanden ist, einen
Moment, in dem sich dieses Hypnoidbewußtsein der gesamten
Existenz bemächtigt hat, also einer akuten Hysterie; wenn es
aber ein wiederkehrender Anfall ist, der eine Erinnerung ent-
hält, einer Wiederkehr eines solchen. Charcot hat bereits den
Gedanken ausgesprochen, daß der hysterische Anfall das Rudi-
ment einer condition seconde sein dürfte. Während des Anfalles
ist die Herrschaft über die gesamte Körperinnervation auf das
hypnoide Bewußtsein übergegangen. Das normale Bewußtsein
ist, wie bekannte Erfahrungen zeigen, dabei. nicht immer völlig
verdrängt, es kann selbst die motorischen Phänomene des An-
falles wahrnehmen, während die psychischen Vorgänge desselben
seiner Kenntnisnahme entgehen.
Der typische Verlauf einer schweren Hysterie ist bekannt-
lich der. daß zunächst in hypnoiden Zuständen ein Vorstellungs-
inhalt gebildet wird, der dann, genügend angewachsen, sich
während einer Zeit von „akuter Hysterie" der Körperinner-
vation und der Existenz des Kranken bemächtigt, Dauersymptome
und Anfälle schafft und dann bis auf Beste abheilt. Kann die
normale Person die Herrschaft wieder übernehmen, so kehrt
das, was von jenem hypnoiden Vorstellungsinhalt überlebt hat,
in hysterischen Anfällen wieder und bringt die Person zeitweise
wieder in ähnliche Zustände, die selbst wieder beeinflußbar und
für Traumen aufnahmsfähig sind. Es stellt sich dann häufig
eine Art von Gleichgewicht zwischen den psychischen Gruppen
her, die in derselben Person vereinigt sind; Anfall und normales
Leben gehen nebeneinander her, ohne einander zu beeinflussen.
Der Anfall kommt dann spontan, wie auch bei uns die Erinne-
rungen zu kommen pflegen, er kann aber auch provoziert werden,
wie jede Erinnerung nach den Gesetzen der Assoziation zu er-
wecken ist. Die Provokation des Anfalles erfolgt entweder durch
die Reizung einer hysterogenen Zone oder durch ein neues Er-
lebnis, welches durch Ähnlichkeit an das pathogene Erlebnis
anklingt. Wir hoffen zeigen zu können, daß zwischen beiden
anscheinend so verschiedenen Bedingungen ein wesentlicher Unter-
28
schied nicht besteht, daß in beiden Fällen an eine hyperästhe-
tische Erinnerung gerührt wird. In anderen Fällen ist dieses
Gleichgewicht ein sehr labiles, der Anfall erscheint als Äuße-
rung des hypnoiden Bewußtseinsrestes, so oft die nurmale Person
erschöpft und leistungsunfähig wird. Es ist nicht von der Hand
zu weisen, daß in solchen Fällen auch der Anfall seiner ur«
sprünglichen Bedeutung entkleidet als inhaltslose motorische
Reaktion wiederkehren mag.
Es bleibt eine Aufgabe weiterer Untersuchung, welche Be-
dingungen dafür maßgebend sind, ob eine hysterische Individua-
lität sich in Anfüllen, in Dauersymptomen oder in einem Ge-
menge von beiden äußert.
V.
Es ist nun verständlich, wieso die hier von uns dargelegte
Methode der Psychotherapie heilend wirkt. Sit; hebt die
Wirksamkeit der ursprünglich nicht abreagierton
Vorstellung dadurch auf, daß sie dem eingeklemm-
ten Affekte derselben den Ablauf durch die Hede
gestattet, und bringt sie zur assoziativen Korrek-
tur, indem sie dieselbe ins normale Bewußtsein
zieht (in leichter Hypnose) oder durch ärztliche
Suggestion aufhebt, wie es im Somnambulismus mit
Amnesie geschieht.
Wir halten den theurapeutischen Gewinn bei Anwendung
dieses Verfahrens für einen bedeutenden. Natürlich heilen wi r
nicht die Hysterie, soweit sie Disposition ist, wir leisten ja nichts
gegen die Wiederkehr hypnoider Zustände. Auch während des
produktiven Stadiums einer akuten Hysterie kann unser Vor-
fahren nicht verhüten, daß die mühsam beseitigten Phänomen*
alsbald durch neue ersetzt werden. Ist aber dieses akute Stadium
abgelaufen und erübrigen noch die Reste desselben als hysterisch*
Dauersymptome und Anfälle, so beseitigt unsere Methode die,
selben häutig und für immer, weil radikal, und scheint uns hierin
die Wirksamkeit der direkten suggestiven Aufhebung, wie si Q
jetzt von den Psychotherapeuten geübt wird, weit zu Übertreffen,
Wenn wir in der Aufdeckung des psychischen Mechanismus
hysterischer Phänomene einen Schritt weiter auf der Bahn g e «.
i -
29
macht haben, die zuerst Charcot so erfolgreich mit der Er-
klärung und experimentellen Nachahmung hysterotraumatischer
Lähmungen betreten hat. so verhehlen wir uns doch nicht, daß
damit eben nur der Mechanismus hysterischer Symptome und
nicht die inneren Ursachen der Hysterie unserer Kenntnis näher
gerückt worden sind. Wir haben die Ätiologie der Hysterie nur
gestreift und eigentlich nur die Ursachen der akquirierten Formen,
die Bedeutung des akzidentellen Momentes für die Neurose be-
leuchten können.
Wien, Dezember 1892.
III.
Quelques consideratious pour um* etude com-
parative des paralysies motrices organiquos
• et hysteriques 1 ).
Ät Cbarcot, dont j'ai ete Wlcvc en 1S8'> et issf>, a bien
voulu, ä cettc epoque, mo conticr Iß snin ilo taue 11110 i'-tudo
comparative des paralysies motrices organiques ei bysh'riqii.
basee sur les observations de la Salpetriörc, «iui pourrait servir
a saisir quelques caraoteres geofraux de ,1a aevrose et eonduirej
a une coneeption sur la nature de cette derniere. De eauses
accidontelles et personelles m'ont empeebe pendant longtemp*
d'obeir ä son Inspiration; aussj je ne veux apportor maintenaut
que quelques resultats de nies lveberebes, laissant ä cote los
dt'tails necessaires pour une demonstration complete de ra©a
opiuions.
I. — II faudra commencer par quelques remarques sur le».
paralysies motricos organiques. d'ailleurs gt'-imralemcnt admis
La clinique nerveuse reconnait deux sortes de paralysies motrie -.
la paralysie pcriphero-xpiiutb- (<m bulbaire) et la paralysic
brate. Cette distinetion est parfaitement 011 aecord avee I
donnees do l'anatomie du Systeme nerveux qui nous lmmtrent
qu'il n'y a que deux Segments sur le parcours des libres motu,
conduetrices, le premier qui va de la penpberic jusqu'aux cö|
lules de» corncs anterieures dans la moelle, et le M-et.nd qui \-j
de lä jusqu'ä l'ecorce cerebrale. La nouvelle bistologie »l u
Systeme nerveux, fondee sur les travaux de Colgi. rinmün y ( JajalJ
Kölliker etc., traduit ce i'ait par les inots: „le trajet des tibrQÄ
l ) Arcliives do Neurologie, No. 77, 1893.
31
r
de conduction motrices est constitue par äenx neuron (unites
nerveuses cellulo-fibrillaires), qui se rencontren't pour entrer en
relation au niveau des cellules dites motrices des cornes anteri-
eures". La difference essentielle de ces deux sortes de paralysies,
en clinique, est la suivante: La paralysie periphero-spinah est
wie paralysie detaillec, la paralysie cerdbrale est une paralysie
en masse. Le type de la premiere est la paralysie faciale dans
la maladie de Bell, la paralysie dans la poliomydlite aigue de
l'enfance, etc. Or, dans ces affections, chacque muscle, on pour-
rait dire chaque fibre musculaire, peut etre paralysee individuelle-
ment et isoleinent, Cela ne depend que du siege et de l'etendue
de la lesion nerveuse, et il n'y a pas de regle fixe pour que
l'un des elements peripheriques echappe k la paralysie, tandis
que l'autre en sonffre d'une manrerrconstante.
La paralysie cerebrale, au contraire, est'toujours une affec-
tion qui attaque une grande partie de la peripherie, uneextre-
mite, un segment de celle-ci, un appareil moteur complique.
Jamais eile n'affecte un muscle individuellement, par exemple le
biceps du bras, le tibial isolement, etc., et s'il y a des excep-
tions apparentes ä cette regle (le ptosis cortical, par exemple),
un voit bien qu'il s'agit de muscles qui, ä eux seuls, remplissent
une fonction de laquelle ils sont Pinstrument unique.
Dans les paralysies cerebrales des extremites, on peut re-
marquer que les segments peripheriques souffrent toujours plus
que les segments rapproches du centre; la main, par exemple,
est plus paralysee que l'epaule. II n'y a pas, que je sacbe, une
paralysie cerebrale isolee de l'epaule, la main conservant sa
motilite", tandis que le contraire est la regle dans les paralysies
qui ne sont pas completes.
Dans une etude critique sur l'aphasie, publiee en 1891,
Zur Auffassung der Äphasien, Wien, 1891, j'ai tächg de montrer
que la cause de cette difference importante entre la paralysie
periphero-spinale et la paraljsie cerebrale doit etre cherchöe
dans la structure du Systeme aierveux. Chaque element de la
Peripherie correspond a un element dans l'axe gris, qui est,
comme le dit M. Charcot, son aboutissant nerveux; la ])eripherie
est pour ainsi dire projectee sur la substance grise de la moelle,
point pour point, element pour element, J'ai propose de denommer
32
la paralysie detaillee periphero-spinale, paralysie ih- projeetion,
Mais il n'en est pas de meine pour les relations entre les >'U'-~
ments de la muello et ceux de l'ecorce. Le nombiv des fibres
eonduetrices ne suffirait plus pour donner uno seconde projec-
tion de la peripherie sur l'ecorce. II faut supposer que les fibres
qui vont de la moelle a l'ecorce ne represontent plus chaeun©
un seul eleinent peripherique, mais plutöt un groupe de ceux-ci
et que ineme, d'autre part, un älemenl peripherique peut corre-
spondre ä plusieurs fibres eonduetrices spino-corticales. ( "es|
qu'il y a un changenient d'arrangement qui a eu Heu au point
de connexion entre les deux segmente du Bysteme moteur.
Alors, je dis la reproduetion de la peripherie dans l'ecorcä
n'est plus une reproduetion lidi-Je point pur point, n'est plus
une projeetion veritable; c'est une relation par des fibres, puur
ainsi dire repräsentatives et je propose, pour la paralysie cere-
brale, le nom de paralysie de repr&enfation.
. Naturellement, quand la paralysie do projeetion est totale
et d'une grande ätendue, eile est aussi une paralysie cn
et 6on grand caractere distinetif est efface. D'autre part, la
paralysie cortieale, qui so distingue parmi les paralysies cer&
brales par sa plus grande aptitude a la dissociation, prösento
cependant toujours le caractere d'une paralysie par representation,
Les autres diffeVences entre. les paralysies de projectiojj
et de representation sont bien connues; je cite parmi elles l'in-
tegrite' de la nutrition et de la reaction fleetrique qui se rattacho
ä la" derniere. Bien que tres impurtants dans la elinique, . ••■>.
signes n'ont pas la portee theorique qu'il faut attribuer au Pre-
mier caractere difturentiel que nous avons releve", a savoir ;
paralysie dt'taille'e ou en masse.
On a assez souvent attribuc a l'bysterio la faculte
simuler les affections nervouses organiques les plus diverses,
s'agit de savoir si d'une facon plus preise eile simule les;
caraetöres des deux sortes de paralysies organiques, s'il y a des
paralysies hysteriques de projeetion et des paralysies hystöriquea
de representation, comme dans la Symptomatologie organiqu^
Ici, un premier fait important se deiache: l'bysterio ne sinmle
jamais les paralysies periphero-spinales ou de projeetion; l<
paralysies bysteriques partagent seulement les earacteres de a
__.
33
paralysies organiques de representation. C'est lä un fait bien
interessant, puisque la paralysie de Bell, la paralysie radiale,
etc., sont parmi les affections les plus communes du Systeme
nerveux.
II est bon de faire observer ici, de maniere ä eviter toute
confusion, que je ne traite que de la paralysie hysterique flas-
que et non de la contracture histerique. II me parait im-
possible de soumettre la paralysie et la contracture bysteriques
aux memes regles. Ce n'est que des paralysies bysteriques flas-
ques qu'on peut soutenir qu'elles n'affectent jamais un seul
muscle, excepte le cas oü ce muscle est l'instrument unique
d'une fonction, qu'elles sont toujours des paralysies en masse,
et qu'elles correspondent sous ce rapport ä la paralysie de
representation, ou cerebrale organique. En outre, en ce qui
concerne la nutrition des parties paralysees et leurs reactions
electriques, la paralysie hysterique presente les memes carac-
teres que la paralysie cerebrale organique.
Si la paralysie hysterique se rattacbe ainsi a la paralysie
cerebrale et particulierement ä la paralysie corticale, qui pre-
sente une plus grande facilite de dissociation, eile ne manque
pas de s'en distinguer par des caracteres iniportants. D'abord
eile n'est pas soumise ä cette regle, constante dans les paraly-
sies cerebrales organiques, ä savoir que le segment periphe-
rique est toujours plus affecte' que le segment central. Dans
l'bysterie, l'epaule ou la cuisse peuvent etre plus paralysees
que la main ou le pied. Les mouvements peuvent venir dans
les doigts tandis que le segment central est encore absolument
inerte. On n'a .pas la moindre difficulte de produire artificiel-
lement une paralysie isolee de la cuisse, de la jambe etc., et
on peut assez souvent retrouver, en clinique, ces paralysies
isolees, en contradiction avec les regles de la paralysie orga-
nique cerebrale.
Sous ce rapport important, la paralysie hysterique est pour
ainsi dire intermediaire entre la paralysie de projection et la
paralysie de representation organique. Si eile ne possede pas
tous les caracteres de dissociation et d'isolement propres s\ la
premiere, eile n'est pas, tant s'en faiit, sujette aux strictes lois
qui regissent la derniere, la paralysie cerebrale. Ces restrictions
Freud, Neurosenlehre. I. 4. Auflage. * o
34
faites, on peiit soutenir que la paralysie hysteriquo est ausai
une paralysie de representation, mais d'unc repn'sentation spe-
ciale dont la charactenstique reste a trouver 1 ).
II. — Pour avancer dans cette direction je ine propos«
d'etudier les autres traits distinctifs entre la paralysie hyst^.
rique et la paralysie corticale, type 1c plus pnrfait de la para-
lysie cerebrale organique. Le premier de ces caracteres distinctifs
nous l'avons dejä mentionne\ c'est que la paralysie hysteriqu©^
peut etre beaueoup plus dissocie'e, systematisch que la paralysi«
cebrale. Les symptömes de la paralysie organique sc retrou-
vent couime morceles dans l'bysWrie. De rhemiplcgic et um
organique (paralysie des merabres supericur et inferiour et du
facial inferieur) l'hystene ne reproduit que la paralysie de*
merabres et dissocie meine assoz souvent, et avec la plus gram
facilite, la paralysie du bras de celle de la janibe sous form«
de monoplegies. Du Syndrome de l'aphasie organique, ell<
reproduit l'aphasie motrice a l'elat d'isoloment, et co qui
chouse inouie dans l'aphasie organique, eile peut cr<$er
aphasie totale (motrice et sensitive) pour teile langue, satis
attaquer le moins du monde la faculte de comprendre e|
d'articuler teile autre, comme je Tai observe dans quelques
inödits. Ce meme pouvoir de dissociation so manifeste dans 1,
paralysies isolees d'un segment de membre avec integrite coifej
plete des autres parties du meme membre, ou encore dai\ a
l'abolition complete d'une fonetion (abasie, astasie) avec inli'grit
d'une autre fonetion executec par les meines organes. < \ 1
dissociation est d'autant plus !Vai»pante. quam! la foneti,
respectee est la plus complexe. Dans 1« Symptomatologie org a .
J ) Cbeinin faisant, je ferai remarquer quo ob caractorc imporiant <j<_
la paralysie hysterique de la jambe que M. Cbaroot a relevc d'apres Tod<j_
ä savoir que l'hysterique traine la jambe comme une maxie mort. mi li e ^
d'executer la circumduetion avecla hauche quo fait rhemiplngique ordinal
8'explique facilement par la propri6te de la növrose que j'ai mentioi
Pour l'hemiplegie organique, le partie centrale de l'extromite est toii|o Up%
un peu indemue, le malade peut remuer la hauche et il «•" faii uiage po«,.
ce mouvement de circumduetion, qui fait avancor la jambe. Dun« l'hyst^pj^
la partie centrale (la hanche) ne jouit pas dt» ce privil^ge, la paralysie '
est auasi complete que dans la partie peripherique et en constfqiu-nco,
jambe doit etre trainee en masie.
35
nique, quand il y a affaiblissement inegal de plusieurs fonctions,
c'est toujours la fonction la plus complexe, celle d'une acqui-
sition posterieure, qui est la plus atteinte en cons^quence de la
paralysie.
La paralysie hysterique presente de plus un autre carac-
tere qui est comme la signature de la nevrose et qui vient
s'ajouter au premier. En effet, comme je Tai entendu dire ä
M. Charcot, l'hysterie est une maladie il manifestations exces-
sives, ayant une tendance ä produire ses symptömes avec la
plus grande intensite possible. C'est un caractere qui ne se
montre pas seulement dans les paralysies, mais aussi dans les
contractures et les anesthesies. On sait jusqu'ä quel degre de
distorsion peuvent aller les contractures hystenques, qui sont
presque sans egales dans la Symptomatologie organique. On
sait aussi corabien sont frequentes dans l'hysterie les anesthe-
sies absolues, profondes, dont les lesions organiques ne peu-
vent reproduire qu'une faible esquisse. II en est de meme pour
les paralysies. Elles sont souvent on ne peut plus absolues;
l'aphasique ne profere pas un mot, tandis que l'aphasique
organique garde presque toujours quelques syllabes, le „oui et
non", un juron, etc.; le bras paralyse" est absolument inerte, etc.
Ce caractere est trop bien connu pour y persister longuement.
Au contraire, on sait que, dans la paralysie organique, la paresie
e6t toujours plus frequente que la paralysie absolue.
La paralysie hysterique est donc d'une Kmitation exacte et
d'une intensite exzessive; eile possede ces deux qualites ä la fois
et c'est en cela qu'elle contraste le plus avec la paralysie cere-
brale organique, dans laquelle, d'une maniere constante, ces deux
caraderes ne s'associent pas. II existe aussi des monoplegies
dans la Symptomatologie organique, mais celles-ci sont presque
toujours des monoplegies a potiori et non exactement delimitees.
Si le bras se trouve paralyse' en consöquenee d'une lesion cor-
ticale organique, il y a presque toujours aussi atteinte con-
comitante moindre du facial et de la jambe, et si cette com-
plication ne se voit plus ä un moment donne, eile a cependant
bien existe au commencement de l'affection. La monoplegie cor-
ticale est, ä vrai -dire, toujours une hemiplegie dont teile ou
teile partie est plus ou moins effacee, mais toujours reconnais-
3*
.
36
sable. Pour aller plus loin, supposonB que la paralysie n'ait
affecte - aucune autrc partie, que le bras, quo ce soit une mono-
plegie corticale pure; alors on voit que lu paralysie est U'une
intensite moderee. Aussitöt que cette Monoplegie augmentera ea
intensite", qu'elle doviendra une paralysie absolue, eile perdra
son caract(>re de Monoplegie pure et s'accoiupagnere de troubles
moteurs dans la jambo ou la face. Elle nc pettt pas dcrc>i£ r
absoluc et restöe dtUimitt'e ä In fois.
C'est ce que la paralysie hysterique peut, au contrair«.
furt bieu realisor, comine la clinique le montre chaque jour.
Elle affecte par exemple le bras d'uno facon exelusive, on n'ea
trouve pas trace dans la jambe ou la face. I)<- plus, au niv<. uu
du bras, eile est aussi forte qu'une paralysie peut lVtre, et c\
la une diflerence frappante avec la paralysie organique, dit-
ference qui prete grandement ä pensor.
Naturellcment, il y a des eas de paral,\>ie livsterique da
lesquels l'intensitd n'est pas oxcessive et ort la dissm-iation n'otVre
rien de remarquablo. (,'oux-ci, on les reeounait au iiioyen d'autro©
caracteres; raais ce sont des cas qui no portent pas rempraim^
typique de la nevrose et »iui, no pouvant en rien nous n«nseign 0r
sur sa nature ne preaentent point d'intent au point de vue q^
nous oecupe ici.
Ajoutons quelques remarques d'une importanco secondaij^
qui meine depassent un peu les limites de notre sujet.
Je constaterai d'abord que les parulysies hysteri<| U08
s'aecompagnent beaueoup plus souvent de troublcs de la ^, x _
sibilite quo les paralysics organiques. Kn geiieral, eeux-ci so ö ^
plus profonda et plus frequenti dans la nevrose que dans j a
Symptomatologie organique. Uion de plus roinmun que r ;in .
esthesie ou l'analgesie hystenque. Qu'on w rappelle par contra
avec quelle tenacite la sensibilite parsiste en cas d. l.>von
nerveuse. Si Ton sectionne un nerf prriplierique, l'anesth^sii
sera nioindre en t'tendue et intensite qu'on no s'y attend. jg^
une lesion inflamraatoire attaquo les uerfs spinaux ou les eent roa
de la moelle, on trouvera tOUJOUTS que la motilite soutTre en
premier lieu et que la aenaibilitd est epargm'e ou seulem cnt
affaiblie, car il persiste toujours quelque .part des 'leme nta
nerveux qui ne sont pas completemcnt detruits. En caa ^ e
L
37
lesion cerebrale, on connait la frequence et la duree de l'herai-
plegie motrice, tandis que l'hemianesthesie concomitante est
indistincte, fugace et ne se trouve pas dans tous les cas. II
n'y a que quelques localisations tout ä fait speciales qui puissent
produire une affection de la sensibilite" intense et durable (car-
refour sensitif), et menie ce fait n'est pas exerapt de doutes.
Cette maniere d'etre de la sensibilite. differente dans les
lesions organiques et dans l'hysterie, n'est guere explicable
aujourd'hui. II semble qu'il y ait lä un probleme dont la
Solution nous renseignerait peut-etre sur la nature intime des
choses.
ün autre point qui me parait digne d'etre releve, c'est
qu'il y a quelques fornies de paralysie cerebrale qui ne se
trouvent pas realisees dans l'hysterie, pas plus que les paralysies
periphero-spinales de projection. II faut citer en preinier lieu
la paralysie du facial inferieur, la manifestation la plus frequente
d'une affection organique du cerveau et, si je me permets de
passer dans les paralysies sensorielles pour un monient, l'he"-
mianopsie laterale homonyme. Je sais que c'est presque une
gageure que de vouloir affirmer que tel ou tel Symptome ne
se trouve pas dans l'hysterie, quand les recherches de M. Char-
cot et de ses eleves y decouvrent, on pourrait dire journelle-
ment, des symptomes nouveaux qu'on n'avait point soupgonnes
jusque-lä. Mais il me faut prendre les choses comme elles sont
actuellement. La paralysie faciale hysterique est fortement
contest£e par M. Charcot et meme, si on croit ceux qui en
sont partisans, c'est un phenomene d'une grande rarete. L'h6-
mianopsie n'a pas encore 6te vue dans l'hysterie et. je pense,
eile ne le sera jamais.
Maintenant, d'oü vient-il que les paralysies hysteriques,
tout en Simulant de pres les paralysies corticales, s'en e"cartent
par les traits distinctifs que j'ai täche d'6numerer, et quel est
le caractere general de la representation speciale auquel il faut
les rattacher? La reponse ä cette question contiendrait une
bonne et importante partie de la the"orie de la nevrose.
III. — H n'y a pas le moindre doute sur les conditions
qui dominent la Symptomatologie de la paralysie cerebrale. Ce
sont les faits de l'anatomie, la construction du Systeme nerveux.
38
la distribution de ses vaisseaux et la relation entre ces deux
series de faits et les circonstances de la lesion. Nous avons dit
que le noinbre moindre des fibres qui vont de la moelle au
cortex en comparaison avec le nombre des fibres qui vont de
la peripherie ä la moelle, est la base de la difference entre la
paralysie de projection et celle de representation. De meine,
chaque detail clinique de la paralysie de representation peut
trouver son explication dans un detail de la structure cerebrale
et vice versa nous pouvons deduire la construction du cerveau
des caracteres cliniques des paralysies. Nous croyons ä un paral-
lelisme parfait entre ces deux series.
Ainsi s'il n'y a pas une grande facilite de dissociation
pour la paralysie cerebrale commune, c'est parce que les fibres
de conduction niotrices sont trop rapprochees sur une longue
partie de leur trajet intraceröbral pour etre l<?,s<5es isolenient.
Si la paralysie corticale montre plus de tendance aux mono-
plegies, c'est parce que le diametre du faisceau conducteur
brachial, crural, etc., va en croissant jusqu'ä l'ecorce. Si de
toutes les paralysies corticales celle de la main est la plus coni-
ple-te, cela vient, croyons-nous, du fait, que la relation croisee
entre l'hemisphere et la periphere est plus exclusive pour la
main que pour toute autre partie du corps. Si le segment
peripherique d'une extremite souffre plus de la paralysie que
le segment central, nous supposons que les fibres repräsentatives
du segment peripherique sont beaucoup plus nombreuses que
celles du segment central, de sorte que l'influence corticale
devient plus importante pour le premier qu'elle n'est pour le
- dernier.Jgi ifes lesions un peu etendues de l'ecorce ne reussissent
pas a ^rjffiLuire des monoplegies pures, nous en concluons que
les cemfctes moteurs sur l'ecorce ne sont pas nettement separes
les Uns des autres par des territoires neutres, ou qu'il y a des
actions en ( distance (Fernwirkungen) qui anulleraient l'effet
diune Separation exacte des centres.
De meme s'il y a dans l'aphasie organique, toujours un
> '• "melange de troubles de diverses fonctions, ga B'explique par le
fait que des branches de la meine artere nourrissent tous les
centres dij langage, ou si l'on accepte l'opinion ßnoncße dans
mon etude. critique sur l'aphasie, parce qu'il ne s'agit pas de
* -
centres separes, mais d'un territoire continu d'association. En
tout cas, il existe toujours une raison tiree de l'anatomie.
Les associations reinarquables qu'on observe si sourent
dans la clinique des paralysies corticales: aphasie motrice et
hemiplegie droite, alexie et hemianopsie droite, s'expliquent par
le voisinage des centres leses. L'hemianopsie meme, Symptome
bien curieux et etranger ä l'esprit non scientifique, ne se com-
prend que par l'entre-croisement des fibres du uerf optique dans
le cbiasma; eile en est l'expression clinique, corame tous les
d eMails des paralysies cerebrales sont l'expression clinique d'un
fait anatomique.
Comme il ne peut y avoir qu'une seule anatomie cerebrale
qui soit la- vraie et comme eile trouve son expression dans les
caracteres cliniques des paralysies cerebrales, il est evidemment
impossible que cette anatomie puisse expliquer les traits distinc-
tifs de la paralysie hysterique. Pour cette raison, il n'est pas
permis de tirer au sujet de l'anatomie cerebrale des conclusions
basöes sur la Symptomatologie de ces paralysies.
Assurement il faut s'adresser ä la nature de la lesion pour
obtenir cette explication difficile. Dans les paralysies organiques,
la nature de la lesion joue un röle secondaire, ce sont plutöt
l'elendue et la localisation de la lesion, qui dans les conditions
donnees de structure du Systeme nerveux produisent les caracteres
de la paralysie organique, que nous avons releves. Quelle pour-
rait etre la nature de la lesion dans la paralysie hysterique,
qui ä eile seule domine la Situation, independamment de la
localisation, de l'etendue de la lesion et de l'anatomie du Systeme
nerveux?
M. Charcot nous a enseigne assez souvent que c'est une
lesion corticale mais purement dynamique ou fonctionnelle.
C'est une these dont on comprend bien le cote negatif.
Cela equivaut k affirmer qu'on ne trouvera pas de changements
de tissus appreciab les äl'autopsie; mais ä un point de vue plus
positif, son Interpretation est loin d'etre ä l'abri de l'equivoque.
Qu'est-ce donc qu'une lesion dynamique? Je suis bien sür que
beaucoup de ceux qui lisent les oeuyres de M. Charcot, croient
que la lesion dynamique est bien une lesion, mais une lesion
dont on ne retrouve pas la trace dans le cadavre, comme un
40
cedeme, une anemie, une hyperemie active. Mais ce sont lä, bien
qu'elles ne persistent pas necessairem( nt apres la mort, des.
lesions organiques vraies, qu'elles soient legeres et fugaces. II
est n<5cessaire que les paralysies produites par les lesions de
cet ordre, partagent en tout les caracteres de la paralysie
organique. L'oedeme, l'anemie ne pourraient, plutöt que Ph6-
morragie et le ramollissement, produire la dissociation et
l'intensite" des paralysies hysteriques. La seule difference serait
que la paralysie par l'oedeme, par la constriction vasculaire etc.,
doit etre moins durable que la paralysie par destruction du
tissu nerveux. Toutes les autres conditions leur sont com-
munes et l'anatomie du Systeme nerveaux determinera les pro-
prietes de la paralysie aussi bien dans le cas d'anemie fugace
que dans le cas d'anemie permanente et definitive.
Je ne crois pas que ces remarques soient tout ä fait
gratuites. Si on lit „qu'il doit y avoir une lösion hysterique«
dans tel ou tel centre, le merae dont la lesion organique pro-
duirait le Syndrome organique correspondant, si Ton se souvient
qu'on s'est habitue ä localiser la lesion hysterique dynamique
de meme maniere que la lösion organique, on est porte ä croire
que sous 1'expressioD „lesion dynamique" se cache l'idee d'une
lösion comme l'oedeme, l'anemie, qui, en verite\ sont des affections
organiques passageres. J'affirme par contre que la lesion des
paralysies hysteriques doit §tre tout ä fait indöpendante de
l'anatomie du Systeme nerveux, puisque VhysUrie se comport&
dans ses paralysies et autres manifcstations comme si Vanatomier
n'existait pas, ou comme si eile n'en avait nulle connaissanee.
ün bon nombre des caracteres des paralysies hysteriques-
justifient en verite cette affirmation. L'hystene est ignorante de
la distribution des nerfs et c'est pour cette raison qu'elle n&
simule pas les paralysies periphero-spinales ou de projection;
eile ne connait pas le chiasma des nerfs optiques et con-
sequemment eile ne produit pas l'hemianopsie. Elle prend les
organes dans le sens vulgaire, pupulaire du nom qu'ils portent:
la jambe est la jambe jusqu'ä Insertion de la hanche, le bras-
est l'extremite superieure comme eile se dessine sous les vete-
ments. II n'y a pas de raison pour joindre a la paralysie du
bras la paralysie de la face. L'hysterique qui ne sait pas parier
41
n'a pas de motif pour oublier l'intelligence du langage, puisque
aphasie motrice et surdite verbale n'ont aucune parente dans
la notion populaire, etc. Je ne peux que m'associer pleinement
sur ce point aus vues que M. Janet a avaneees dans les derniers
numeros des Archives de Neurologie; les paralysies hysteriques
en donnent la preuve aussi bien que les anesthesies et les sym-
ptömes psycliiques.
IV. — Je tächerai enfin de developper comment pourrait
etre la lesion qui est la cause des paralysies hysteriques. Je ne
dis pas que je montrerai comment eile est en fait; il s'agit
seulement d'indiquer la ligne de pensee qui peut conduire ä
une conception qui ne contredit pas aux proprietes de la para-
lysie hysterique, en tant qu'elle differe de la paralysie organique
cerebrale.
Je prendrai.le mot „lesion fonctionnelle ou dynamique"
dans son sens propre: „alteration de fonction ou de dynaniisme";
alteration d'une propri£te fonctionnelle. Une teile alteration serait
par exemple une diminution de l'excitabilite" ou d'une qualite
physiologique qui dans l'etat normal reste constante ou varie
dans des limites determinees.
Mais dira-t-on, l'alteration fonctionnelle n'est pas autre chose,
eile n'est qu'un autre cöte" de l'alteration organique. Supposons
que le tissu nerveux soit dans un 6tat d'anemie passagere, son
excitabilite" sera diminuee par cette circonstance, il n'est pas
possible d'eviter d'envisager les lesions organiques par ce moyen.
J'essaierai de montrer qu'il peut y avoir alteration fonc-
tionnelle sans lesion organique concomitante, sans lesion grossiere
palpable du moins, meme au moyen de l'analyse la plus deli-
oate. En d'autres termes, je donnerai un exemple approprie
d'une alteration de fonction primitive; je ne demande pour cela
que la permission de passer sur le terrain de la psychologie,
qu'on ne saurait eviter quand on traite de l'hysterie.
Je dis avec M. Janet, que c'est la conception banale, po-
pulaire des organes et du corps en general, qui est en jeu dans
les paralysies hysteriques comme dans les anesthesies, etc. Cette
conception n'est pas fondee sur une connaissance approfondie
de Fanatomie nerveuse mais sur nos perceptions tactiles et sur-
tout visuelles. Si eile determine les caracteres de la paralysie
42
bysterique, celle-lä doit bien se montrer ignorante et indepen-
dante de toute notion de l'anatomie du Systeme nerveux. La
lesion de la paralysie bysterique sera donc une alteration de la
conception, de l'idöe de bras, par exemple. Mais de quelle sorte
est cette alteration ponr produire la paralysie?
Consideröe psychologiquement, la paralysie du bras con-
siste dans le fait que la conception du bras ne peut pas entrer
en association avec les autres idees qui constituent le moi dont
le corps de l'individu forme une partie importante. La lesion
serait donc l'aboliiiom. de VaccessibilitS associative de la conception
du bras. Le bras se comporte comme s'il n'existait pas pour le
jeu des associations. Assurement si les conditions materielles,
qui correspondent ä la conception du bras, se trouvent profonde-
ment alterees, cette conception sera perdue aussi, mai j'ai ä
montrer qu'elle peut etre inaccessible sans qu'elle soit detruite
et sans que son substratum materiel (le tissu nerveux de la
region correspondante de l'ecorce) soit endomniage\
Je commencerai par des exemples tirös de la vie sociale.
On raconte l'bistoire comique d'un sujet loyal qui ne voulut
plus laver sa main, parce que son souverain l'avait touchee. La
relation de cette main avec l'idee du roi semble si importante
ä la vie psychique de l'individu, qu'il se refuse ä faire entrer
cette main en d'autres relations. Nous obeissons a la meine irn-
pulsion si nous cassons le verre dans lequel nous avons bu a
la sante de jeunes maries; les anciennes tribus sauvages brülant
le cbeval, les armes et meme le femmes du chef mort, avec son
cadavre, obeissaient ä cette idee que nul ne devait plus le
toucher apres lui. Le molif de toutes ces actions est bien clair.
La valeur affective que nous attribuons ä la premiere associa-
tion d'un objet repugne k la faire entrer en association nou-
velle avec un autre objet et par suite rend l'idee de cet objet
inaccessible e l'association.
Ce n'est pas une simple comparaison, c'est presque la chose
identique, si nous passons dans le domaine de la psychologie
des conceptions. Si la conception du bras se trouve engagee
dans une association d'une grande valeur affective, eile sera in-
accessible au jeu libre des autres associations. Le bras sera
paralyse' en proportion de la persistance de cette valeur affective
-
43
ou de sa diminution par des moyens psyckiques appropries. C'est
la Solution du probleme que nous avons pose, car, dans tous
le cas de paralysie hysterique, ou trouve que l'organe paralyse
ou la fon'ction abolie est engage dans une association subconsciente
qui est munde d'une grande valeur affective, et Von peut montrer
que le bras devient libre aussilöt que eette valeur affective est
effacie. Alors la conception du bras esiste dans ie substratum
materiel, mais eile n'est pas accessible aux associations et im-
pulsions conscientes parce que tout son affinite associative, pour
ainsi dire, est saturee dans une association subconsciente avec
le souvenir de l'evenenient, du trauma, qui a produit cette
paralysie.
C'est M. Charcot qui nous a enseigne le premier qu'il faut
s'adresser ä la psychologie pour l'explication de la nevrose
hysterique. Nous avons suivi son exemple, Breuer et nioi, dans
un memoire preliminaire [Über den psychischen Mechanismus
hysterischer PMnomene, Neurolog. Centralblatt , Nr. 1 und 2, 1893).
Nous demontrons dans ce memoire que les symptomes perma-
nents de l'hysterie dite non traumatique s'espliquent (ä part les
stigmates) par le meme mecanisme que Charcot a reconnu dans
les paralysies traumatiques. Mais nous donnons aussi la raison
pour laquelle ces symptomes persistent et-peuvent etre gueris
par un procede special de psycbotherapie bypnotique. Cbaque
övönement, cbaque impression psycbique est munie d'une certaine
valeur affective (Affektbcirag), dont le moi se delivre ou par la
voie de reaction uiotrice ou par un travail psycbique associatif.
Si l'individu rie peut ou ne veut s'acquitter du surcroit, le Sou-
venir de cette impression acquiert l'importance d'un trauma et
devient la cause de symptomes permanents d'hysterie. L'im-
possibilite de ri'limination s'impose quand l'inipression reste dans
le subconscient. Nous avons appele cette tbeorie: Das Abrea-
gieren der Reixxuiuächse.
En resume, je pense qu'il est bien en accord avec notre
vue generale sur l'bysterie, teile que nous l'avons pu former .
d'apres l'enseignement de M. Charcot, que la lösion dans les
paralysies bysteriques ne consiste pas en autre chose que dans
l'inaccessibilite de la conception de l'organe -ou de la fonction
pour les associations du moi conscient, que cette alteration pure-
44
ment fonctionelle (avec integrum de la conception meme) est
causee par La fixation de cette conception dans une association
subconsciente avec le souvenir du trauma et que cctte concep-
tion ne devient pas libre et accessible tant que la valeur affective
du trauma psycbique n'a pas ete eliminee par la röaction motrice
adequate ou par le travail psycbique conscient. Mais meme si
ce mecanisme n'a pas lieu, s'il faut pour la paralysie hyste'rique
toujours une id<5e autosuggestive directe comme dans les cas
traumatiques de M. Cbarcot, nous avons reussi ä montrer de
quelle nature la lesion ou plutöt l'alteration dans la paralysie
hysterique devrait etre, pour expliquer ses diffcrences avec la
paralysie organique cerebrale.
\
IV.
Die Abwehr-Neuro-Psycliosen 1 ).
Versuch einer psychologischen Theorie der akquirierten Hysterie,
vieler Phobien und Zwangsvorstellungen und gewisser hallu-
zinatorischer Psychosen.
Bei eingehendem Studium mehrerer mit Phobien und
Zwangsvorstellungen behafteter Nervöser hat sich mir ein Er-
klärungsversuch dieser Symptome aufgedrängt, der mir dann
gestattete, die Herkunft solcher krankhafter Vorstellungen in
neuen, anderen Fällen glücklich zu erraten, und den ich darum
der Mitteilung und weiteren Prüfung würdig erachte. Gleich-
zeitig mit dieser „psychologischen Theorie der Phobien
und Zwangsvorstellungen" ergab sich aus der Beobach-
tung der Kranken ein Beitrag zur Theorie der Hysterie oder
vielmehr eine Abänderung derselben, welche einem wichtigen,
der Hysterie wie den genannten Neurosen gemeinsamen Charakter
Rechnung zu tragen scheint. Ferner hatte ich Gelegenheit, in
den psychologischen Mechanismus einer Form von unzweifelhaft
psychischer Erkrankung Einsicht zu nehmen, und fand dabei,
daß die von mir versuchte Betrachtungsweise eine einsichtliche
Verknüpfung zwischen diesen Psychosen und den beiden an-
geführten Neurosen herstellt. Eine Hilfshypothese, deren ich
mich in allen drei Fällen bedient habe, werde ich zum Schlüsse
dieses Aufsatzes hervorheben.
I.
Ich beginne mit jener Abänderung, die mir an der Theorie
der hysterischen Neurose erforderlich scheint:
*) „Neurologisches Zentralblatt", 1894, Nr. 10 und 11.
46
Daß der Symptomkomplex der Hysterie, soweit er bis
jetzt ein Verständnis zuläßt, die Annahme einer Spaltung des
Bewußtseins mit Bildung separater psychischer Gruppen recht-
fertig^ dürfte seit den schönen Arbeiten von P. Janet r
J. Breuer u. a. bereits zur allgemeinen Anerkennung gelangt
sein. Weniger geklärt sind die Meinungen über die Herkunft
dieser Bewußtseinsspaltung und über die Rolle, welche dieser
Charakter im Gefüge der hysterischen Neurose spielt.
Nach der Lehre von Jan et 1 } ist die Bewußtseinsspaltung
ein primärer Zug der hysterischen Veränderung. Sie beruht auf
einer angeborenen Schwäche der Fähigkeit zur psychischen Syn-
these, auf der Enge des „Bewußtseinsfeldes" (champ du con-
science), welche als psychisches Stigma die Degeneration der
hysterischen Individuen bezeugt.
Im Gegensatz zur Anschauung Janets, welche mir die
mannigfaltigsten Einwände zuzulassen scheint, steht jene, die
J. Breuer in unserer gemeinsamen Mitteilung 2 ) vertreten hat.
Nach Breuer ist „Grundlage und Bedingung" der Hysterie
das Vorkommen von eigentümlichen traumartigen Bewußtseins-
zuständen mit eingeschränkter Assoziationsfähigkeit, für welche
er den Namen „hypnoide Zustände" vorschlägt. Die Bewußt-
seinsspaltung ist dann eine sekundäre, erworbene; sie kommt
dadurch zustande, daß die in hypnoiden Zuständen aufgetauchten.
Vorstellungen vom assoziativen Verkehr mit dem übrigen Bewußt-
seinsinhalte abgeschnitten sind.
Ich kann nun den Nachweis zweier weiterer extremer Former*
von Hysterie erbringen, bei welchen die Bewußtseinsspaltung
unmöglich als eine primäre im Sinne von Jan et gedeutet wer-
den kann. Bei der ersteren dieser Formen gelang es mir wieder-
holt, zu zeigen, daß die Spaltung des Bewußtseins-
inhaltes die Folge eines "Willensaktes des Kranken,
ist, das heißt durch eine Willensanstrengung eingeleitet wird r
deren Motiv man angeben kann. Ich behaupte damit natürlich
nicht, daß der Kranke eine Spaltung seines Bewußtseins herbei-
») Etat mental des hystenques. Paris 1893 und 1894. — Quelques
definitions recentes de l'hysterie. Aren, de Neurol. 1893. XXXV— VI.
J ) Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene. Dieses
Zentralblatt, 1893, Nr. 1 und 2. *
47
zuführen beabsichtigt; die Absicht des Kranken ist eine andere,
sie erreicht aber nicht ihr Ziel, sondern ruft eine Spaltung des
Bewußtseins hervor.
Bei der dritten Form der Hysterie, die wir durch psychische
Analyse von intelligenten Kranken erwiesen haben, spielt die
Bewußtseinsspaltung nur eine geringfügige, vielleicht überhaupt
keine Rolle. Es sind dies jene Fälle, in denen bloß die Reaktion
auf traumatische Reize unterblieben ist, die dann auch durch
„Abreagieren" 1 ) erledigt und geheilt werden, die reinen Re-
tentionshysterien.
Für die Anknüpfung an die Phobien und Zwangsvorstel-
lungen habe ich es hier nur mit der zweiten Form der Hysterie
zu tun, die ich aus bald ersichtlichen Gründen als Abwehr-
hysterie bezeichnen und durch diesen Namen von den Hypnoid-
und Retentionshysterien sondern will. Ich kann meine Fälle
von Abwehrhysterie auch vorläufig als „akquirierte" Hysterie auf-
führen, weil bei ihnen weder von schwerer hereditärer Belastung,
noch von eigener degenerativer Verkümmerung die Rede war.
Bei den von mir analysierten Patienten hatte nämlich
psychische Gesundheit bis zu dem Moment bestanden, in dem
ein Fall von Unverträglichkeit in ihrem Vorstel-
lungsleben vorfiel, d. h. bis ein Erlebnis, eine Vorstellung,.
Empfindung an ihr Ich herantrat, welches einen so peinlichen
Affekt erweckte, daß die Person beschloß, daran zu vergessen, weil
sie sich nicht die Kraft zutraute, den "Widerspruch dieser unver-
träglichen Vorstellung mit ihrem Ich durch Denkarbeit zu lösen.
Solche unverträgliche Vorstellungen erwachsen bei weib-
lichen Personen zumeist auf dem Boden des sexualen Erlebens
und Empfindens, und die Erkrankten erinnern sich auch mit
aller wünschenswerten Bestimmtheit ihrer Bemühungen zur Ab-
wehr, ihrer Absicht, das Ding „fortzuschieben", nicht daran zu
denken, es zu unterdrücken. Hierher gehörige Beispiele aus
meiner Erfahrung, deren Anzahl ich mühelos vermehren könnte,
sind etwa: Der Fall eines jungen Mädchens, welches es sich
verübelt, während der Pflege ihres kranken Vaters an den jungen
Mann zu denken, der ihr einen leisen erotischen Eindruck ge-
*) Vgl. unsere gemeinsame Mitteilung.
r
48
macht hat; der Fall einer Erzieherin, die sich in ihren Herrn
verliebt hatte, und die beschloß, sich diese Neigung aus dem
Sinne zu schlagen, weil sie ihr mit ihrem Stolze unverträglich
schien u. dgl. m. 1 )
Ich kann nun nicht behaupten, daß die Willensanstrengung,
etwas derartiges aus seinen Gedanken zu drängen, ein patho-
logischer Akt ist, auch weiß ich nicht zu sagen, ob und auf
welche Weise das beabsichtigte Vergessen jenen Personen ge-
lingt, welche unter denselben psychischen Einwirkungen gesund
bleiben. Ich weiß nur, daß ein solches „Vergessen" den von mir
analysierten Patienten nicht gelungen ist, sondern zu verschie-
denen pathologischen Reaktionen geführt hat, die entweder eine
Hysterie oder eine Zwangsvorstellung, oder eine halluzinatorische
Psychose erzeugten. In der Fähigkeit, durch jene Willensanstren-
gung einen dieser Zustände hervorzurufen, die sämtlich mit
Bewußtseinsspaltung verbunden sind, ist der Ausdruck einer
pathologischen Disposition zu sehen, die aber nicht notwendig
mit persönlicher oder hereditärer „Degeneration" identisch zu
sein braucht.
Über den Weg, der von der Willensanstrengung des Pa-
tienten bis zur Entstehung des neurotischen Symptoms führt,
habe ich mir eine Meinung gebildet, die sich in den gebräuch-
lichen psychologischen Abstraktionen etwa so ausdrücken läßt:
Die Aufgabe, welche sich das abwehrende Ich stellt, die unver-
trägliche Vorstellung als „non arrivee" zu behandeln, ist für
dasselbe direkt unlösbar; sowohl die Gedächtnisspur als auch
der der Vorstellung anhaftende Affekt sind einmal da und nicht
mehr auszutilgen. Es kommt aber einer ungefähren Lösung
dieser Aufgabe gleich, wenn es gelingt, aus dieser starken
Vorstellung eine schwache zu machen, ihr den Affekt,
die Erregungssumme, mit der sie behaftet ist, zu entreißen.
Die schwache Vorstellung wird dann so gut wie keine Ansprüche
an die Assoziationsarbeit zu stellen haben; die von ihr ab-
getrennte Erregungssumme muß aber einer andern
Verwendung zugeführt werden.
») Diese Beispiele sind der noch nicht veröffentlichten ausführlichen
Arbeit von Breuer und mir über den psychischen Mechanismus der
Hysterie entnommen.
_
49
Soweit sind die Vorgänge bei der Hysterie und bei den
Phobien und Zwangsvorstellungen die gleichen; von nun an
scheiden sich die Wege. Bei der Hysterie erfolgt die Unschäd-
lichmachung der unverträglichen Vorstellung dadurch, daß deren
Erregungssumme ins Körperliche umgesetzt wird,
wofür ich den Namen der Konversion vorschlagen möchte.
Die Konversion kann eine totale oder partielle sein und
erfolgt auf jene motorische oder sensorische Intervention hin,
die in einem innigen oder mehr lockeren Zusammenhang mit
dem traumatischen Erlebnis steht. Das Ich hat damit erreicht,
daß es widerspruchsfrei geworden ist, es hat sich aber dafür
mit einem Erinnerungssymbol belastet, welches als unlösbare
motorische Innervation oder als stets wiederkehrende halluzi-
natorische Sensation nach Art eines Parasiten im Bewußtsein
haust, und welches bestehen bleibt, bis eine Konversion in
umgekehrter Richtung stattfindet. Die Gedächtnisspur der
verdrängten Vorstellung ist darum doch nicht untergegangen,
sondern bildet von nun an den Kern einer zweiten psychischen
Gruppe.
Ich will diese Anschauung von den psycho-physischen
Vorgängen bei der Hysterie nur noch mit wenigen Worten
ausführen: Wenn einmal ein solcher Kern für eine hysterische
Abspaltung in einem „traumatischen Moment" gebildet worden
ist, so erfolgt dessen Vergrößerung in anderen Momenten, die
man „auxiliär traumatische" nennen könnte, sobald es
einem neu anlangenden Eindruck gleicher Art gelingt, die vom
Willen hergestellte Schranke zu durchbrechen, der geschwächten
Vorstellung neuen Affekt zuzuführen und für eine Weile die
assoziative Verknüpf ung beider psychischer Gruppen zu erzwingen,
bis eine neuerliche Konversion Abwehr schafft. — Der so bei
der Hysterie erzielte Zustand in der Verteilung der Erregung
stellt sich dann zumeist als ein labiler heraus; die auf einen
falschen Weg (in die Körperinnervation) gedrängte Erregung
gelangt mitunter zur Vorstellung zurück, von der sie abgelöst
wurde, und nötigt dann die Person zur assoziativen Verarbeitung
oder zur Erledigung in hysterischen Anfällen, wie der bekannte
Gegensatz der Anfälle und der Dauersymptome beweist. Die
Wirkung der kathartischen Methode Breuers besteht darin,
Freud, Neurosealehre. I. 4 Auflage 4
***
50
daß sie eine solche Zurückleitung der Erregung aus dem Körper-
lichen ins Psychische zielbewußt erzeugt, um dann den Ausgleich
des Widerspruches durch Denkarbeit und die Abfuhr der Er-
regung durch Sprechen zu erzwingen.
Wenn die Bewußtseinsspaltung der akquirierten Hysterie
auf einem Willensakt beruht, so erklärt sich überraschend leicht
die merkwürdige Tatsache, daß die Hypnose regelmäßig Jas ein-
geengte Bewußtsein der Hysterischen erweitert und die abge-
spaltene psychische Gruppe zugänglich macht. Wir kennen, es.
ja als Eigentümlichkeit aller schlafähnlichen Zustände, daß sie
jene Verteilung der Erregung aufheben, auf welcher der „Wille"
der bewußten Persönlichkeit beruht.
Wir erkennen demnach das für die Hysterie charakteri-
stische Moment nicht in der Bewußtseinsspaltung, sondern in
der Fähigkeit zur Konversion und dürfen als ein wich-
tiges Stück der sonst noch unbekannten Disposition zur Hysterie
die psycho-physische Eignung zur Verlegung so großer Er-
regungssummen in die Körperinnervation anführen.
Diese Eignung schließt an und für sich psychische Ge-
sundheit nicht aus und führt zur Hysterie nur im Falle eiuer
psychischen Unverträglichkeit oder einer Aufspeicherung der
Erregung. Mit dieser Wendung nähern wir, Breuer und ich,
uns den bekannten Definitionen der Hysterie von Oppen-
heim 1 ) und Strümpell 2 ) und sind von Jan et abgewichen,
welcher der Bewußtseinsspaltung eine übergroße Rolle in der
Charakteristik der Hysterie zuweist 3 ). Die hier gegebene Dar-
') Oppenheim: Die Hysterie ist ein gesteigerter Ausdruck der Ge-
mütsbewegung. Der „Ausdruck der Gemütsbewegung" stellt aber jenen Betrag-
psychischer Erregung dar, der normalerweise eine Konversion erfährt.
*) Strümpell: Die Störung der Hysterie liegt im Psychophysischen,,
dort, wo Körperliches und Seelisches miteinander zusammenhängen.
3 ) Jan et hat im zweiten Abschnitt seines geistvollen Aufsatzes
„Quelques definitions etc." den Einwand, daß die Bewußtseinsspaltung
auch den Psychosen und der sogenannten Psychasthenie zukommt, selbst
behandelt, aber nach meinem Ermessen nicht befriedigend gelöst. Dieser
Einwand ist es wesentlich, der ihn dazu drängt, die Hysterie für eine
Degenerationsform zu erklären. Er kann aber die hysterische Bewußtseins-
spaltung durch keine Charakteristik genügend von der psychotischen u. dgl..
sondern.
r
51
Stellung darf den Anspruch erheben, daß sie den Zusammen-
hang der Konversion mit der hysterischen Bewußtseinsspaltung
verstehen läßt.
II.
Wenn bei einer disponierten Person die Eignung zur Kon-
version nicht vorhanden ist und doch zur Abwehr einer uner-
träglichen Vorstellung die Trennung derselben von ihrem Affekt
vorgenommen wird, dann muß dieser Affekt auf psychi-
schem Gebiet verbleiben. Die nun geschwächte Vor-
stellung bleibt abseits von aller Assoziation im Bewußtsein
übrig, ihr frei gewordener Affekt aber hängt sich an
andere, an sich nicht unverträgliche Vorstellungen
an, die durch diese „falsche Verknüpfung" zu Zwangs-
vorstellungen werden. Dies ist in wenig Worten die
psychologische Theorie der Zwangsvorstellungen und Phobien,
von der ich eingangs gesprochen habe.
Ich werde nun angeben, welche von den Stücken, die in
dieser Theorie gefordert sind, sich direkt nachweisen lassen,
welche andere ich ergänzt habe. Direkt nachweisbar ist außer
dem Endpunkt des Vorganges, eben der Zwangsvorstellung,
zunächst die Quelle, aus welcher der in falscher Verknüpfung
befindliche Affekt stammt. In allen von mir analysierten Fällen
war es das Sexualleben, welches einen peinlichen Affekt
von genau der nämlichen Beschaffenheit geliefert hatte, wie er
der Zwangsvorstellung anhing. Es ist theoretisch nicht aus-
geschlossen, daß dieser Affekt nicht gelegentlich auf anderem
Gebiete entstehen könnte; ich habe bloß mitzuteilen, daß eine
andere Herkunft sich mir bisher nicht ergeben hat. Übrigens
versteht man es leicht, daß gerade das Sexualleben die reich-
lichsten Anlässe zum Auftauchen unverträglicher Vorstellungen
mit sich bringt.
Nachweisbar ist ferner durch die unzweideutigsten Äuße-
rungen der Kranken die Willensanstrengung, der Versuch zur
Abwehr, auf den die Theorie Gewicht legt, und wenigstens in
einer Reihe von Fällen geben die Kranken selbst darüber Auf-
schluß, .daß die Phobie oder Zwangsvorstellung erst dann auf-
trat, nachdem die Willensanstrengung scheinbar ihre Absicht
erreicht hatte. „Mir ist einmal etwas sehr Unangenehmes pas-
4*
52
siert, ich habe mich mit Macht bemüht, es fortzuschieben,
nicht mehr daran zu denken. Endlich ist es mir gelungen, da
bekam ich das andere, das ich seither nicht losgeworden bin."
Mit diesen Worten bestätigte mir eine Patientin die Haupt-
punkte der hier entwickelten Theorie.
Nicht alle, die an Zwangsvorstellungen leiden, machen
sich die Herkunft derselben so klar. In der Regel bekommt
man, wenn man den Kranken auf die ursprüngliche Vorstellung
sexueller Natur aufmerksam macht, die Antwort: „Davon kann
es ja doch nicht kommen. Ich habe ja gar nicht viel daran
gedacht. Einen Moment war ich erschrocken, dann habe ich
mich abgelenkt und seither Ruhe davor gehabt." In dieser
so häufigen Einwendung liegt ein Beweis, daß die Zwangs-
vorstellung einen Ersatz oder Surrogat der unverträglichen
sexuellen Vorstellung darstellt und sie im Bewußtsein abge-
löst hat.
Zwischen der Willensanstrengung des Patienten, der es
gelingt, die unannehmbare sexuelle Vorstellung zu verdrängen,
und dem Auftauchen der Zwangsvorstellung, die, an sich wenig
intensiv, hier mit unbegreiflich starkem Affekt ausgestattet ist,
klafft die Lücke, welche die hier entwickelte Theorie ausfüllen
will. Die Trennung der sexuellen Vorstellung von ihrem Affekt
und die Verknüpfung des letzteren mit einer anderen, passen-
den, aber nicht unverträglichen Vorstellung — dies sind Vor-
gänge, die ohne Bewußtsein geschehen, die man nur supponieren,
aber durch keine klinisch-psychologische Analyse erweisen kann.
Vielleicht wäre es richtiger, zu sagen: Dies sind überhaupt
nicht Vorgänge psychischer Natur, sondern physische Vorgänge,
deren psychische Folge sich so darstellt, als wäre das durch
die Redensarten: Trennung der Vorstellung von ihrem Affekt
und falsche Verknüpfung des letzteren, Ausgedrückte wirklich
geschehen.
Neben den Fällen, die ein Nacheinander der sexuellen
unverträglichen Vorstellung und der Zwangsvorstellung be-
weisen, findet man eine Reihe anderer, in denen gleichzeitig
Zwangsvorstellungen und peinlich betonte sexuelle Vorstellungen
vorhanden sind. Letztere „sexuelle Zwangsvorstellungen" zu
heißen, geht nicht gut an: es mangelt ihnen ein wesentlicher
53
Charakter der Zwangsvorstellungen; sie erweisen sich als voll-
berechtigt, während die Peinlichkeit der gemeinen Zwangs-
vorstellungen ein Problem für den Arzt und den Kranken
bildet. Soweit ich mir in Fälle dieser Art Einsicht verschaffen
konnte, handelte es sich hier um eine fortgesetzte Abwehr gegen
beständig neu anlangende sexuelle Vorstellungen, eine Arbeit
also, die noch nicht zum Abschluß gekommen war.
Die Kranken verheimlichen häufig ihre Zwangsvorstellungen,
solange sie sich der sexuellen Abkunft derselben bew.ußt sind.
Wenn sie darüber klagen, so geben sie zumeist ihrer Ver-
wunderung darüber Ausdruck," daß sie dem betreffenden Affekt
unterliegen, daß sie sich ängstigen, bestimmte Impulse haben
u. dgl. Dem kundigen Arzt dagegen erscheint dieser Affekt
berechtigt und verständlich; er findet das Auffällige nur in
der Verknüpfung eines solchen Affektes mit einer hierfür nicht
würdigen Vorstellung. Der Affekt der Zwangsvorstellung er-
scheint ihm — mit anderen Worten — als ein dislozierter
oder transponierter, und wenn er die hier niedergelegten
Bemerkungen angenommen hat, kann er für eine große Reihe
von Fällen von Zwangsvorstellung die Rückübersetzung
ins Sexuelle versuchen.
Zur sekundären Verknüpfung des frei gewordenen Affektes
kann jede Vorstellung benutzt werden, die entweder ihrer Natur
nach mit einem Affekt von solcher Qualität vereinbar ist,
oder die gewisse. Beziehungen zur unverträglichen hat, denen
zufolge sie als Surrogat derselben brauchbar erscheint. So zum
Beispiel wirft sich frei gewordene Angst, deren sexuelle Her-
kunft nicht erinnert werden soll, auf die gemeinen primären
Phobien des Menschen vor Tieren, Gewitter, Dunkelheit u. dgl.,
oder auf Dinge, die unverkennbar mit dem Sexuellen in irgend
einer Art assoziiert sind, auf das Urinieren, die Defäkation,
auf Beschmutzung und Ansteckung überhaupt.
Der Vorteil, den das Ich erreicht, indem es zur Abwehr
den Weg der Transposition des Affektes einschlägt, ist ein
weit geringerer als bei der hysterischen Konversion psychi-
scher Erregung in somatische Innervation. Der Affekt, unter
dem das Ich gelitten hat, bleibt unverändert und unverringert
nach wie vor, nur daß die unverträgliche Vorstellung nieder-
r
54
gebalten, vom Erinnern ausgeschlossen ist. Die verdrängten Vor-
stellungen bilden wiederum den Kern einer zweiten psychischen
Gruppe, die, wie mir scheint, auch ohne Zuhilfenahme der
Hypnose zugänglich ist. Wenn bei den Phobien und Zwangs-
vorstellungen die auffälligen Symptome ausbleiben, welche bei
der Hysterie die Bildung einer unabhängigen psychischen Gruppe
begleiten, so rührt dies wohl daher, daß im ersteren Falle die
gesamte Veränderung auf psychischem Gebiete geblieben ist,
die Beziehung zwischen psychischer Erregung und somatischer
Innervation keine Änderung erfahren hat.
Ich will das hier über die Zwangsvorstellungen Gesagte
durch einige Beispiele erläutern, die wahrscheinlich typischer
Natur sind:
1. Ein junges Mädchen leidet an Zwangsvorwürfen. Las
sie in der Zeitung von Falschmünzern, so kam ihr der Ge-
danke, 'sie habe auch falsches Geld gemacht; war irgendwo
von einem unbekannten Täter eine Mordtat geschehen, so fragte
sie sich ängstlich, ob sie nicht diesen Mord begangen habe.
Dabei war sie sich der Ungereimtheit dieser Zwangsvorwürfe
klar bewußt. Eine Zeit lang gewann das Schuldbewußtsein
solche Macht über sie, daß ihre Kritik erstickt wurde und sie
sich vor ihren Verwandten und vor dem Arzt anklagte, sie
habe alle diese Untaten wirklich begangen (Psychose durch ein-
fache Steigerung — Überwältigungspsychose). Ein scharfes
Verhör deckte jetzt die Quelle auf, aus der ihr Schuldbewußt-
sein stammte: Durch eine zufällige wollüstige Empfindung ange-
regt, hatte sie sich von einer Freundin zur Masturbation ver-
leiten lassen und betrieb diese seit Jahren mit dem vollen Be-
wußtsein ihres Unrechtes und untor den heftigsten, aber wie
gewöhnlich nutzlosen Selbstvorwürfen. Ein Exzeß nach dem
Besuche eines Balles hatte die Steigerung zur Psychose her-
vorgerufen. — Das Mädchen heilte nach einigen Monaten Be-
handlung und strengster Überwachung.
2. Ein anderes Mädchen litt unter der Furcht, von Harn-
drang überfallen zu werden und sich nässen zu müssen, seitdem
ein solcher Drang sie wirklich einmal genötigt hatte, einen
Konzertsaal während der Aufführung zu verlassen. Diese Phobie
hatte sie allmählich völlig genuß- und verkehrsunfähig gemacht.
"
N
55
Sie fühlte sich nur wohl, wenn sie ein Klosett in der Nähe
wußte, zu dem sie unauffällig gelangen konnte. Ein organisches
Leiden, welches dieses Mißtrauen in der Beherrschung der Blase
gerechtfertigt hätte, war ausgeschlossen. Der HarndraDg war
zu Hause unter ruhigen Verhältnissen und zur Nachtzeit nicht
vorhanden. Eingehendes Examen wies nach, daß der Harndrang
zum'ersten Male unter folgenden Verhältnissen aufgetreten war:
In dem Konzertsaale hatte ein Herr nicht weit von ihr Platz
genommen, der ihrem Empfinden nicht gleichgültig war. Sie
hegann an ihn zu denken und sich auszumalen, wie sie als
seine Frau neben ihm sitzen würde. In dieser erotischen Träu-
merei bekam sie jene körperliche Empfindung, die man mit der
Erektion des Mannes vergleichen muß, und die bei ihr — ich
• weiß nicht, ob allgemein — mit einem leichten Harndrang
abschloß. Sie erschrak jetzt heftig über die ihr sonst gewohnte
sexuelle Empfindung, weil sie bei sich beschlossen hatte, diese
wie jede andere Neigung zu bekämpfen, und im nächsten Moment
hatte sich der Affekt auf den begleitenden Harndrang über-
tragen und nötigte sie, nach qualvollem Kampf den Saal zu
verlassen. Sie war im Leben so prüde, daß sie sich vor allem
Sexuellen intensiv grauste, und den Gedanken, je zu heiraten,
nicht fassen konnte; anderseits war sie sexuell so hyperästhe-
tisch, daß bei jeder erotischen Träumerei, die sie sich gerne
bestattete, jene wollüstige Empfindung auftrat. Der Harndrang
hatte die Erektion jedesmal hegleitet, ohne ihr bis zu der Szene
im Konzertsaal einen Eindruck zu machen. Die Behandlung
führte zu einer fast vollkommenen Beherrschung der Phobie.
3. Eine junge Frau, die aus fünfjähriger Ehe nur ein
Kind hatte, klagte mir über den Zwangsimpuls, sich vom
Fenster oder Balkon zu stürzen, und über die Furcht, die sie
beim Anblick eines scharfen Messers ergreife, ihr Kind damit
zu erstechen. Der eheliche Verkehr, gestand sie zu, werde
selten und nur mit Vorsicht gegen die Konzeption ausgeübt;
allein das fehle ihr nicht, sie sei keine sinnliche Natur. Ich
getraute mich darauf ihr zu sagen, daß sie beim Anblicke eines
Mannes erotische Vorstellungen bekomme, daß sie darum das
Vertrauen zu sich verloren habe und sich als eine verworfene
Person vorkomme, die zu allem fähig sei. Die Rückübersetzung
56
der Zwangsvorstellung ins Sexuelle war gelungen; sie gestand
sofort weinend ihr lange verborgenes eheliches Elend ein und
teilte später auch peinliche Vorstellungen von unverändert
sexuellein Charakter mit, so die häufig wiederkehrende Emp-
findung, als ob sich etwas unter ihre Röcke dränge.
Ich habe mir derartige Erfahrungen für die Therapie
zunutze gemacht, um bei Phobien und Zwangsvorstellungen
trotz alles Sträubens der Kranken die Aufmerksamkeit auf die
verdrängten sexuellen Vorstellungen zurückzulenken und, wo es
anging, die Quellen, aus denen dieselben stammten, zu ver-
stopfen. Ich kann natürlich nicht behaupten, daß alle Phobien
und Zwangsvorstellungen auf die hier aufgedeckte Weise ent-
stehen; erstens umfaßt meine Erfahrung eine im Verhältnis zur
Reichhaltigkeit dieser Neurosen nur beschränkte Anzahl, und
zweitens weiß ich selbst, daß diese „psychasthenischen"
Symptome (nach Janets Bezeichnung) nicht alle gleichwertig
sind 1 ). Es gibt z. B. rein hysterische Phobien. Ich meine aber,
daß der Mechanismus der Transposition des Affektes bei
der großen Mehrzahl der Phobien und Zwangsvorstellungen
nachzuweisen sein wird, und möchte dafür eintreten, diese
Neurosen, die sich ebenso oft isoliert als mit Hysterie oder
Neurasthenie kombiniert finden, nicht mit der gemeinen Neur-
asthenie zusammenzuwerfen, für deren Grnndsymptome ein
psychischer Mechanismus gar nicht anzunehmen ist.
III.
In beiden bisher betrachteten Fällen war die Abwehr der
unverträglichen Vorstellung durch Trennung derselben von
ihrem Ali'ekt geschehen; die Vorstellung war, wenngleich ge-
schwächt und isoliert, dem Bewußtsein verblieben. Es gibt nun
eine weit energischere und erfolgreichere Art der Abwehr, die
*) Die Gruppe von typischen Phobien, für welche die Agoraphobie
Vorbild ist, läßt sich nicht auf den oben entwickelten psychischen Mecha-
nismus zurückführen, vielmehr weicht der Mechanismus der Agoraphobie
von dem der echten Zwangsvorstellungen und der auf solche reduzierbaren
Phobien in einem entscheidenden Punkte ab. Es findet sich hier keine
verdrängte Vorstellung, von welcher der Angstaffekt abgetrennt wäre. Die
Angst dieser Phobien hat einen andern Ursprung.
w
57
i
darin besteht, daß das Ich die unerträgliche Vorstellung mit-
samt ihrem Affekt verwirft und sich so benimmt, als ob die
Vorstellung nie an das Ich herangetreten wäre. Allein in
dem Moment, in dem dies gelungen ist, befindet
sich die Person in einer Psychose, die man wohl
nur als „halluzinatorische Verworrenheit" klassi-
fizieren kann. Ein einziges Beispiel soll diese Behauptung
erläutern :
Ein junges Mädchen hat einem Mann eine erste impulsive
Neigung geschenkt und glaubt fest an seine Gegenliebe. Tat-
sächlich befindet sie sich im Irrtum; der junge Mann hat ein
anderes Motiv, ihr Haus aufzusuchen. Die Enttäuschungen
bleiben auch nicht aus; sie erwehrt sich ihrer zunächst, indem
sie die entsprechenden Erfahrungen hysterisch konvertiert, er-
hält so ihren Glauben, daß er eines Tages kommen und um
sie anhalten werde, fühlt sich aber dabei infolge unvollständiger
Konversion und beständigen Andranges neuer schmerzlicher
Eindrücke unglücklich und krank. Sie erwartet ihn endlich in
höchster Spannung für einen bestimmten Tag, den Tag einer
Familienfeier. Der Tag verrinnt, ohne daß er gekommen wäre.
Nachdem alle Züge, mit denen er ankommen könnte, vorüber
sind, schlägt sie in halluzinatorische Verworrenheit um. Er ist
angekommen, sie hört seine Stimme im Garten, eilt in Nacht-
kleidung herunter, ihn zu empfangen. Von da an lebt sie durch
zwei Monate in einem glücklichen Traum, dessen Inhalt ist: er
sei da, sei immer um sie, es sei alles so wie vorhin (vor der
Zeit der mühsam abgewehrten Enttäuschungen). Hysterie und
Verstimmung sind überwunden; von der ganzen letzten Zeit des
Zweifels und der Leiden wird während der Krankheit nicht
gesprochen; sie ist glücklich, solange man sie ungestört läßt,
und tobt nur dann, wenn eine Maßregel ihrer Umgebung sie
an etwas hindert, was sie ganz konsequent aus ihrem seligen
Traum folgern will. Diese seinerzeit unverständliche Psychose
wurde zehn Jahre später durch eine hypnotische Analyse auf-
gedeckt.
Die Tatsache, auf die ich aufmerksam mache, ist die, daß
der Inhalt einer solchen halluzinatorischen Psychose gera'de
in der Hervorhebung jener Vorstellung besteht, die
-58
durch den Anlaß der Erkrankung bedroht war. Man ist also
berechtigt zu sagen, daß das Ich durch die Flucht in die
Psychose die unerträgliche Vorstellung abgewehrt hat; der Vor-
gang, durch den dies erreicht worden ist, entzieht sich wiederum
der Selbstwahrnehmung wie der psychologisch-klinischen Analyse.
Er ist als der Ausdruck einer pathologischen Disposition hö-
heren Grades anzusehen und läßt sich etwa wie folgt um-
schreiben: Das Ich reißt sieb von der unerträglichen Vorstellung
los, diese hängt aber untrennbar mit einem Stück der Realität
zusammen, und indem das Ich diese Leistung vollbringt, hat
«s sich auch von der Realität ganz oder teilweise losgelöst.
Letzteres ist nach meiner Meinung die Bedingung, unter der
eigenen Vorstellungen halluzinatorische Lebhaftigkeit zuerkannt
wird, und somit befindet sich die Person nach glücklich ge-
lungener Abwehr in halluzinatorischer Verworrenheit.
Ich verfüge mir über sehr wenige Analysen von derartigen
Psychosen; ich meine aber, es muß sich um einen sehr häufig
benutzten Typus psychischer Erkrankung handeln, denn die als
analog aufzufassenden Beispiele der Mutter, die, über den
Verlust ihres Kindes erkrankt, jetzt unablässig ein Stück
Holz im Arme wiegt, oder der verschmähten Braut, die seit
Jahren im Putz ihren Bräutigam erwartet, fehlen in keinem
Irrenhause.
Es ist vielleicht nicht überflüssig hervorzuheben, daß die
drei hier geschilderten Arten der Abwehr und somit die drei
Formen von Erkrankung, zu denen diese Abwehr führt, an der-
selben Person vereinigt sein können. Das gleichzeitige Vorkom-
men von Phobien und hysterischen Symptomen, das in praxi so
häufig beobachtet wird, gehört ja mit zu den Momenten, die
eine reinliche Trennung der Hysterie von anderen Neurosea
erschweren und zur Aufstellung der „gemischten Neurosen"
nötigen. Die halluzinatorische Verworrenheit zwar verträgt sich
häufig nicht mit dem Fortbestand der Hysterie, in der Regel
nicht mit dem der Zwangsvorstellungen. Dafür ist es nichts
Seltenes, daß eine Abwehrpsychose den Verlauf einer hysteri-
schen oder gemischten Neurose episodisch durchbricht.
r
5'J
Ich will endlich mit wenigen Worten der Hilfsvorstellun"
gedenken, deren ich mich in dieser Darstellung der Abwehr-
neurosen bedient habe. Es ist dies die Vorstellung, daß an den
psychischen Funktionen etwas zu unterscheiden ist (Affektbetra^,
Erregungssumme), das alle Eigenschaften einer Quantität hat —
wenngleich wir kein Mittel besitzen, dieselbe zu messen — etwas,
das der Vergrößerung, Verminderung, der Verschiebung und der
Abfuhr fähig ist und sich über die Gedächtnisspuren der Vor-
stellungen verbreitet, etwa wie eine elektrische Ladung über
die Oberflächen der Körper.
Man kann diese Hypothese, die übrigens bereits unserer
Theorie des „Abreagierens" (Vorläufige Mitteilung 1893) zu-
grunde liegt, in demselben Sinne verwenden, wie es die Physiker
mit der Annahme des strömenden elektrischen Eluidums tun.
Gerechtfertigt ist sie vorläufig durch ihre Brauchbarkeit zur
Zusammenfassung und Erklärung mannigfaltiger psychischer
Zustände.
Wien, Ende Jänner 1S94.
V.
Über die Berechtigung, von der Neurasthenie
einen bestimmten Symptomenkoiiiplex al&
„Angstneurose" abzutrennen ').
Es ist schwierig, etwas Allgemeingültiges von der Neur-
asthenie auszusagen, solange man diesen Krankheitsnamen all
das bedeuten läßt, wofür Beard ihn gebraucht hat. Die Neuro-
pathologie, meine ich, kann nur dabei gewinnen, wenn man den
Versuch macht, von der eigentlichen Neurasthenie alle jene
neurotischen Störungen abzusondern, deren Symptome einerseits
untereinander fester verknüpft sind als mit den typischen neur-
asthenischen Symptomen (dem Kopfdruck, der Spinalirritation,
der Dyspepsie mit Flatulenz und Obstipation), und die ander-
seits in ihrer Ätiologie und ihrem Mechanismus wesentliche
Verschiedenheiten von der typischen neurasthenischen Neurose
erkennen lassen. Nimmt man diese Absicht an, so wird man
bald ein ziemlich einförmiges Bild der Neurasthenie gewonnen
haben. Man wird es dann dahin bringen, schärfer, als es bisher
gelungen ist, verschiedene Pseudoneurasthenien (das Bild der
organisch vermittelten nasalen Reflexneurose, die nervösen Stö-
rungen der Kachexien und der Arteriosklerose, die Vorstadien
der progressiven Paralyse und mancher Psychosen) von echter
Neurasthenie zu unterscheiden, ferner werden sich — nach
Mö bin 8' Vorschlag — manche Status nervosi der hereditär
Degenerierten abseits stellen lassen, und man wird auch Gründe
finden, manche Neurosen, die man heute Neurasthenie heißt,
besonders intermittierender oder periodischer Natur, vielmehr
i) „Neurologisches Zentralblatt", 1895, Nr. 2.
61
i
der Melancholie zuzurechnen. Die einschneidendste Veränderung
bahnt man aber an, wenn man sich entschließt, von der Neur-
asthenie jenen Symptomenkomplex abzutrennen, den ich im
folgenden beschreiben werde und der die oben aufgestellten
Bedingungen in besonders zureichender Weise erfüllt. Die
Symptome dieses Komplexes stehen klinisch einander weit näher
als den echt neurasthenischen (d. h. sie kommen häufig zusam-
men vor, vertreten einander im Krankheitsverlauf), und Ätio-
logie wie Mechanismus dieser Neurose sind grundverschieden
von der Ätiologie und dem Mechanismus der echten Neurasthenie,
wie sie uns nach solcher Sonderung erübrigt.
Ich nenne diesen Symptomenkomplex „Angstneurose", weil
dessen sämtliche Bestandteile sich um das Hauptsymptom der
Angst gruppieren lassen, weil jeder einzelne von ihnen eine
bestimmte Beziehung zur Angst besitzt. Ich glaubte, mit dieser
Auffassung der Symptome der Angstneurose originell zu sein,
bis mir ein interessanter Vortrag von E. Heck er 1 ) in die Hände
fiel, in welchem ich die nämliche Deutung mit aller wünschens-
werten Klarheit und Vollständigkeit dargelegt fand. Heck er
löst die von ihm als Äquivalente oder Rudimente des Angst-
anfalles erkannten Symptome allerdings nicht aus dem Zusammen-
hange der Neurasthenie, wie ich es beabsichtige; allein dies
rührt offenbar daher, daß er auf die Verschiedenheit der ätio-.
logischen Bedingungen hier und dort keine Rücksicht genommen
hat. Mit der Kenntnis dieser letzteren Differenz entfällt jeder
Zwang, die Angstsymptome mit demselben Namen wie die echt
neurasthenischen zu bezeichnen, denn die sonst willkürliche
Namengebung hat vor allem den Zweck, uns die Aufstellung
allgemeiner Behauptungen zu erleichtern.
I. Klinische Symptomatologie der Angstneurose.
Was ich „Angstneurose" nenne, kommt in vollständiger
oder rudimentärer Ausbildung, isoliert oder in Kombination mit
i) E. Hecker: Über larvierte und abortive Angstzustände bei Neur-
asthenie. Zentralblatt für Nervenheilkunde, Dezember 1893. — Die Angst
wird geradezu unter den Hauptsymptomen der Neurasthenie angeführt in
der Studie von Kaan: Der neurasthenische Angstaffekt bei Zwangsvorstel-
lungen und der primordiale Grübelzwang, Wien, 1893.
,
62
anderen Neurosen zur Beobachtung. Die einigermaßen vollstän-
digen und dabei isolierten Fälle sind natürlich diejenigen, welche
den Eindruck, daß die Angstneurose klinische Selbständigkeit
besitze, besonders unterstützen. In anderen Fällen steht man
vor der Aufgabe, aus einem Symptomen komplex, welcher einer
„gemischten Neurose" entspricht, diejenigen herauszuklauben
und zu sondern, die nicht der Neurasthenie, Hysterie u. dgl.,
sondern der Angstneurose zugehören.
Das klinische Bild der Angstneurose umfaßt folgende
Symptome:
1. Die allgemeine Keizbarkeit. Diese ist ein häufiges
nervöses Symptom, als solches vielen Status nervosi eigen. Ich
führe sie hier an, weil sie bei der Angstneurose konstant vor-
kommt und theoretisch bedeutsam ist. Gesteigerte Reizbarkeit
deutet ja stets auf Anhäufung von Erregung oder auf Unfähig-
keit, Anhäufung zu ertragen, also auf absolute oder relative
Reizanhäufung. Einer besonderen Hervorhebung wert finde ich
den Ausdruck dieser gesteigerten Reizbarkeit durch eine Ge-
hörshyperästhesie, eine Überempfindlichkeit gegen Ge-
räusche, welches Symptom sicherlich durch die mitgeborene
innige Beziehung zwischen Gehörseindrücken und Erschrecken
zu erklären ist. Die Gehörshyperästhesie, findet sich häufig als
Ursache der Schlaflosigkeit, von welcher mehr als eine
Form zur Angstneurose gehört.
2. Die ängstliche Erwartung. Ich kann den Zustand»
den ich meine, nicht besser erläutern, als durch diesen Namen
und einige beigefügte Beispiele. Eine Frau z. B., die an ängst-
licher Erwartung leidet, denkt bei jedem Hustenstoße ihres
katarrhalisch affizierten Mannes an Influenzapneumonie und
sieht im Geiste seinen Leichenzug vorüberziehen. Wenn sie auf
dem "Wege nach. Hause zwei Personen vor ihrem Haustor bei-
sammenstehend sieht, kann sie sich des Gedankens nicht er-
wehren, daß eines ihrer Kinder aus dem Fenster gestürzt sei;
wenn sie die Glocke läuten hört, so bringt man ihr eine Trauer- "
botschaft u. dgl., während doch in allen diesen Fällen kein be-
sonderer Anlaß zur Verstärkung einer bloßen Möglichkeit vorliegt.
Die ängstliche Erwartung klingt natürlich stetig ins Nor-
male ab, umfaßt alles, was man gemeinhin als „Ängstlichkeit,,
6a
Neigung zu pessimistischer Auffassung der Dinge" bezeichnet,,
geht aber so oft als möglich über solche plausible Ängstlichkeit
hinaus und ißt häufig selbst für den Kranken als eine Art von
Zwang erkenntlich. Für eine Form der ängstlichen Erwartung,
nämlich für die in bezug auf die eigene Gesundheit, kann man
den alten Krankheitsnamen Hypochondrie reservieren. Die
Hypochondrie geht nicht immer der Höhe der allgemeinen
ängstlichen Erwartung parallel, sie verlangt als Vorbedingung
die Existenz von Parästhesien und peinlichen Körperempfin-
dungen, und so wird die Hypochondrie die Form, welche die
echten Neurastheniker bevorzugen, sobald sie, was häufig ge-
schieht, der Angstneurose verfallen.
Eine weitere Äußerung der ängstlichen Erwartung dürfte ~
die bei moralisch empfindlicheren Personen so häufige Neigung
zur Gewissensangst, zur Skrupulosität und Pedanterie sein,
die gleichfalls vom Normalen bis zur Steigerung als Zweifel-
s u c h t variiert.
Die ängstliche Erwartung ist das Kernsymptom der Neu-
rose; in ihr liegt auch ein Stück von der Theorie derselben
frei zutage. Man kann etwa sagen, daß hier ein Quantum
Angst frei flottierend vorhanden ist, welches bei der Er-
wartung die Auswahl der Vorstellungen beherrscht und jeder-
zeit bereit ist, sich mit irgend einem passenden Vorstellungs-
inhalt zu verbinden.
3. Es ist dies nicht die einzige Art, wie die fürs Bewußt-
sein meist latente, aber konstant lauernde Ängstlichkeit sich
äußern kann. Diese kann vielmehr auch plötzlich ins Bewußt-
sein hereinbrechen, ohne vom Vorstellungsablauf geweckt zu
werden, und so einen Angstanfall hervorrufen. Ein solcher
Angstanfall besteht entweder einzig aus dem Angstgefühle ohne
jede assoziierte Vorstellung oder mit der naheliegenden Deutung
der Lebensvernichtung, des „Schlagtreffens", des drohenden
Wahnsinnes, oder aber dem Angstgefühle ist irgend welche
Parästhesie beigemengt (ähnlich der hysterischen Aura), oder
endlich mit der Angstempfindung ist eine Störung irgend einer
oder mehrerer Körperfunktionen, der Atmung, Herztätigkeit, der
vasomotorischen Innervation, der Drüsentätigkeit verbunden. Aus
dieser Kombination hebt der Patient bald das eine, bald das-
64
andere Moment besonders hervor, er klagt über „Herzkrampf«,
„Atemnot", „Schweißausbrüche", „Heißhunger" u. dgl., und in
seiner Darstellung tritt das Angstgefühl häutig ganz zurück
oder wird recht unkenntlich als ein „Schlechtwerden", „Un-
behagen" usw. bezeichnet.
4. Interessant und diagnostisch bedeutsam ist nun, daß
das Maß der Mischung dieser Elemente im Angstfalle ungemein
variiert, und daß nahezu jedes begleitende Symptom den Anfall
ebensowohl allein konstituieren kann wie die Angst selbst. Es
gibt demnach rudimentäre Angstanf alle und Äqui-
valente des Angstanfalles, wahrscheinlich alle von der
gleichen Bedeutung, die einen großen und bis jetzt wenig ge-
würdigten Reichtum an Formen zeigen. Das genauere Studium
dieser larvierten Angstzustände (Hecker) und ihre diagnostische
Trennung von anderen Anfällen dürfte bald zur notwendigen
Arbeit für den Neuropathologen werden.
Ich füge hier nur die Liste der mir bekannten Formen
des Angstanfalles an:
o) Mit Störungen der Herztätigkeit, Herzklopfen, mit
kurzer Arrhythmie, mit länger anhaltender Tachykardie bis zu
schweren Schwächezuständen des Herzens, deren Unterscheidung
von organischer Herzaffektion nicht immer leicht ist; Pseudo-
angina pectoris, ein diagnostisch heikles Gebiet!
&) Mit Störungen der Atmung, mehrere Formen von
nervöser Dyspnoe, asthmaartigem Anfalle ... dgl. Ich bebe her-
vor, daß selbst diese Anfälle nicht immer von kenntlicher Angst
hegleitet sind.
c) Anfälle von Schweiß ausbrächen, oft nächtlich.
d) Anfälle von Zittern und Schütteln, die nur 2u
leicht mit hysterischen verwechselt werden.
e) Anfülle von Heißhunger, oft mit Schwindel ver-
bunden.
f) Anfallsweise auftretende Diarrhöen.
g) Anfälle von lokomotorischem Schwindel.
h) Anfälle von sogenannten Kongestionen, so ziem-
lich alles, was man vasomotorische Neurasthenie genannt hat
i) Anfälle von Parästhesien (diese aber selten ohne
Angst oder ein ähnliches Unbehagen).
65
5. Nichts als eine Abart des Angstanfalles ist sehr häufig
das nächtliche Aufschrecken (Pavor noeturnus der Er-
wachsenen), gewöhnlich mit Angst, mit Dyspnoe, Schweiß u.dgl.
verbunden. Diese Störung bedingt eine zweite Form von Schlaf-
losigkeit im Rahmen der Angstneurose. — Es ist mir übrigens
unzweifelhaft geworden, daß auch der Pavor noeturnus der
Kinder eine Form zeigt, die zur Angstneurose gehört. Der hyste-
rische Anstrich, die Verknüpfung der Angst mit der Reproduk-
tion eines hierzu geeigneten Erlebnisses oder Traumes, lassen
den Pavor noeturnus der Kinder als etwas Besonderes er-
scheinen; er kommt aber auch rein vor, ohne Traum oder wieder-
kehrende Halluzination.
6. Eine hervorragende Stellung in der Symptomengruppe
der Angstneurose nimmt der „Schwindel" ein, der in seinen
leichtesten Formen hesser als „Taumel" zu bezeichnen ist, in
schwererer Ausbildung als „Schwindelanfall" mit oder ohne
Angst zu den folgenschwersten Symptomen der Neurose gebort.
Der Schwindel der Angstneurose ist Aveder ein Drehschwindel,
noch läßt er, wie der Me nie re sehe Schwindel, einzelne Ebenen
und Richtungen hervorheben. Er gehört dem lokomotorischen
oder koordinatorischen Schwindel an wie der Schwindel bei
Augenmuskellähmung; er besteht in einem spezifischen Miß-
behagen, begleitet von den Empfindungen, daß der Boden wogt,
die Beine versinken, daß es unmöglich ist, sich weiter aufrecht ■
zu halten, und dabei sind die Beine bleischwer, zittern oder
knicken ein. Zum Hinstürzen führt dieser Schwindel nie. Da-
gegen möchte ich behaupten, daß ein solcher Schwindelanfall
auch durch einen Anfall von tiefer Ohnmacht vertreten werden
kann. Andere ohnmachtartige Zustände bei der Angstneurose
scheinen von einem Herzkollaps abzuhängen.
Der Schwindelanfall ist nicht selten von der schlimmsten
. Art von Angst begleitet, häufig mit Herz- und Atemstörungen
kombiniert. Höhenschwindel, Berg- und Abgrundschwindel finden
sich nach meinen Beobachtungen gleichfalls bei der Angstneurose
häufig vor; auch weiß ich nicht, ob man noch berechtigt ist,
nebenher einen Vertigo a stomacho laeso anzuerkennen.
7. Auf Grund der chronischen Ängstlichkeit (ängstliche
Erwartung) einerseits, der Neigung zum Schwindelangstanfalle
Freud, Nimrosenlehre. I. 4. Auflage. e
anderseits entwickeln sich zwei Gruppen von typischen Phobien,
die erste auf die allgemein physiologischen Bedrohungen, . die-
andere auf die Lokomotion bezüglich. Zur ersten Gruppe ge-
hören die Angst vor Schlangen, Gewitter, Dunkelheit, Unge-
ziefer u. dgl. sowie die typische moralische Übcrbedonklichkeit».
Formen der Zweifelsucht; hier wird die disponible Angst ein-
fach zur Verstärkung von Abneigungen verwendet, die jedem.
Menschen instinktiv eingepflanzt sind. Gewöhnlich bildet sich.
eine zwangsartig wirkende Phobie aber erst dann, wenn eine
Reminiszenz an ein Erlebnis hinzukommt, bei welchem diese-
Angst sich äußern konnte, z. B. nachdem der Kranke ein Ge-
witter im Freien mitgemacht hat. Man tut Unrecht, solche Fälle
einfach als Fortdauer starker Eindrücke erklären zu
wollen; was diese Erlebnisse bedeutsam und ihre Erinnerung
dauerhaft macht, ist doch nur die Angst, die damals hervor-
treten konnte und heute ebenso hervortreten kann. Mit anderen
Worten, solche Eindrücke bleiben kräftig nur bei Personen mit.
„ängstlicher Erwartung".
Die andere Gruppe enthält die Agoraphobie mit allen
ihren Nebenarten, sämtliche charakterisiert durch die Beziehung
auf die Lokomotion. Ein vorausgegangener Schwindelan fall
findet sich hierbei häufig als Begründung der Phobie; ich glaube-
nicht, daß man ihn jedesmal postulieren darf. Gelegentlich sieht
man, daß nach einem ersten Schwindclanfall ohne Angst die
Lokomotion zwar beständig von der Sensation des Schwindels-
begleitet wird, aber ohne Einschränkung möglich bleibt, daß
dieselbe aber unter den Bedingungen des Alleinseins, der engen
Straße u. dgl. versagt, wenn einmal sich zum Sehwindelaufallö-
Angst hinzugesellt hat.
Das Verhältnis dieser Phobien zu den Phobien der Zwangs-
neurose, deren Mechanismus ich in einem früheren Aufsatze 1 }
in diesem Blatte aufgedeckt habe, ist folgender Art: Die Über-
einstimmung liegt darin, daß hier wie dort einem Vorstellung
zwangsartig wird durch die Verknüpfung mit einem disponiblen
Affekt. Der Mechanismus der Affektversetzung gilt also
für beide Arten von Phobien. Bei den Phobien der Angstneurose
l) Die Abwehrnenropsychosen. Neurol. Zentralbl., 1894, Nr. 10 u. 11.
67
ist aber 1. dieser Affekt ein monotoner, stets der der Angst;
2. stammt er nicht von einer verdrängten Vorstellung her, son-
dern erweist sich bei psychologischer Analyse als nicht weiter
reduzierbar, wie er auch durch Psychotherapie nicht
anfechtbar ist. Der Mechanismus der Substitution gilt
also für die Phobien der Angstneurose nicht.
Beiderlei Arten von Phobien (oder Zwangsvorstellungen)
kommen häufig nebeneinander vor,, obwohl, die atypischen Pho-
bien, die auf Zwangsvorstellungen beruhen, nicht notwendig auf
dem Boden der Angstneurose erwachsen müssen. Ein sehr
häufiger, anscheinend komplizierter Mechanismus stellt sich heraus,
wenn bei einer ursprünglich einfachen Phobie der Angstneurose
der Inhalt der Phobie durch eine andere Vorstellung substituiert
wird, die Substitution also nachträglich zur Phobie hinzukommt.
Zur Substitution werden am häufigsten die „Schutzmaß-
regeln" benutzt, die ursprünglich, zur Bekämpfung der Phobie
versucht worden sind. So entsteht z: B. die Grübelsucht aus
dem Bestreben, sich den Gegenbeweis zu liefern, daß man nicht
verrückt ist, wie die hypochondrische Phobie behauptet: das
Zaudern und Zweifeln, vielmehr Repetieren der Folie de doute
entspringt dem berechtigten Zweifel in die Sicherheit des eigenen
Gedankenablaufes, da man sich doch so hartnäckiger Störung
durch die zwangsartige Vorstellung bewußt ist u. dgl. Man kann
daher behaupten, daß auch viele Syndrome der Zwangsneurose,
wie die Folie du doute und ähnliches, klinisch, wenn auch nicht
begrifflich, der Angstneurose zuzurechnen sind 1 ).
8. Die Verdauungstätigkeit erfährt bei der Angstneurose nur
wenige, aller charakteristische Störungen. Sensationen wie Brech-
neigung und Übligkeiten sind nichts Seltenes, und das Symptom
des Heißhungers kann allein oder mit anderen (Kongestionen)
einen rudimentären Angstanfall abgeben; als chronische Ver-
änderung, analog .der ängstlichen Erwartung, findet man eine
Neigung zur Diarrhöe, die zu den seltsamsten diagnostischen
Irrtümern Anlaß gegeben hat. "Wenn ich nicht irre, ist es diese
Diarrhöe, auf welche Möbius 2 ) unlängst in einem kleinen Auf-
') Obsessions et phobies. Revue neurologique, 1895.
*) Möbius: Neuropatbologiscbe Beiträge, 1894, 2. Heft.
5*
68
•
satze die Aufmerksamkeit gelenkt hat. Ich vermute ferner,
Fevers reflektorische Diarrhöe, die er von Erkrankungen der
Prostata ableitet 1 ), ist nichts anderes als diese Diarrhöe der
Angstneurose. Eine reflektorische Beziehung wird dadurch vor-
getäuscht, daß in der Ätiologie, der Angstneurose dieselben
Faktoren ins Spiel kommen, die bei der Entstehung von solchen
Prostataaffektionen u. dgl. tätig sind.
Das Verhalten der Magendarmtätigkeit hei der Angst-
neurose zeigt einen scharfen Gegensatz zu der Beeinflussung;
derselben Punktion bei der Neurasthenie. Mischfällc zeigen oft
die bekannte „Abwechslung von Diarrhöe und Verstopfung".
Der Diarrhöe analog ist der Harndrang der Angstueurose.
9. Die Parästhesien, die den Schwindel- oder Angst-
anfall begleiten können, werden dadurch interessant, daß sie
sich, ähnlieh wie die Sensationen der hysterischen Aura, zu
einer festen Reihenfolge assoziieren; doch linde ich diese asso-
ziierten Empfindungen im Gegensatze zu den hysterischen aty-
pisch und wechselnd. Eine weitere Ähnlichkeit mit der Hysterie
wird dadurch erzeugt, daß bei der Angstneurose eine Art von
Konversion 2 ) auf körperliche Sensationen stattfindet, die
sonst nach Belieben übersehen werden können, •/.. B. auf die
rheumatischen Muskeln. Eine ganze Anzahl sogenannter Rheu-
matiker, die übrigens auch als solche nachweisbar sind, leidet
eigentlich an — Angstneurose. Neben dieser Steigerung der
Schmerzeruptindlichkeit habe ich bei einer Anzahl von Fällen
der Angstneurose eine Neigung zu Halluzinationen
beobachtet, welch letztere sich nicht als hysterische deuten
ließen. •
1(1. Mehrere der genannten Symptome, welche den Angst-
aufall begleiten oder vertreten, kommen auch in chronischer
Weise vor. Sie sind dann noch weniger leicht kenntlich, da die
sie begleitende ängstliche Empfindung undeutlicher ausfällt als
beim Angstanfalle. Dies gilt besonders für die Diarrhöe, den
Schwindel nud die Parästhesien. Wie der Sehwindelanfall durch
') Peyer: Die nervösen Affektionen des Darmes. Wiener Klinik,
Jänner 1893.
2 ) Freud: Abwekrneuropsvclioacn.
-- m
r~
69
einen Ohnmachtsanfall, so kann der chronische Schwindel durch
die andauernde Empfindung großer Hinfälligkeit, Mattigkeit
u. dgl. vertreten werden.
II. Vorkommen und Ätiologie der Angstneurose.
In manchen Fällen von Angstneurose läßt sich eine Ätio-
logie überhaupt nicht erkennen. Es ist bemerkenswert, daß in
solchen Fällen der Nachweis einer schweren hereditären Be-
lastung selten auf Schwierigkeiten stößt.
Wo man aber Grund hat, die Neurose für eine erwor-
bene zu halten, da findet man bei sorgfältigem, dahin zielendem
Examen als ätiologisch wirksame Momente eine Reihe von
Schädlichkeiten und Einflüssen aus dem Sexualleben. Die-
selben scheinen zunächst mannigfaltiger Natur, lassen aber leicht
den gemeinsamen Charakter herausfinden, der ihre gleichartige
Wirkung auf das Nervensystem erklärt; sie finden sich ferner
entweder allein oder neben anderen banalen Schädlichkeiten,
denen man eine unterstützende Wirkung zuschreiben darf. Diese
sexuelle Ätiologie der Angstneurose ist so überwiegend häufig
nachzuweisen, daß ich mich getraue, für die Zwecke dieser
kurzen Mitteilung die Fälle mit zweifelhafter oder anders-
artiger Ätiologie beiseite zu lassen.
Für die genauere Darstellung der ätiologischen Bedingun-
gen, unter denen die Angstneurose vorkommt, wird es sich
empfehlen. Männer und Frauen gesondert zu behandeln. Die
Angstneurose stellt sich bei weiblichen Individuen — nun ab-
gesehen von deren Disposition — in folgenden Fällen ein:
a) als virginale Angst oder Angst der Adoles-
zenten. Eine Anzahl von unzweideutigen Beobachtungen hat
mir gezeigt, daß ein erstes Zusammentreffen mit dem sexuellen
Problem^ eine einigermaßen plötzliche Enthüllung des bisher
Verschleierten, z. B. durch den Anblick eines sexuellen Aktes,
eine Mitteilung oder Lektüre, bei heranreifenden Mädchen eine
Angstneurose hervorrufen kann, die fast in typischer Weise mit
Hysterie kombiniert ist;
b) als Angst der Neuvermählten. Junge FVauen, die
bei den ersten Kohabitationen anästhetiseh geblieben sind, ver-
fallen nicht selten der Angstneurose, die wieder verschwindet,
i
70
nachdem die Anästhesie normaler Empfindlichkeit Platz gemacht
hat. Da die meisten jungen Frauen bei solcher anfänglicher
Anästhesie gesund bleiben, bedarf es für das Zustandekommen
dieser Angst Bedingungen, die ich auch angeben werde;
c) als Angst der Frauen, deren Männer Ejaculatio praecox
oder sehr herabgesetzte Potenz zeigen; und
d) deren Männer den Coitus interruptus oder reservatus
üben. Diese Fälle gehören zusammen, denn man kann sich bei
der Analyse einer großen Anzahl von Beispielen leicht über-
zeugen, daß es nur darauf ankommt, ob die Frau beim Koitus
zur Befriedigung gelangt oder nicht. Im letzteren Falle ist die
Bedingung für die Entstehung der Angstneurose gegeben. Da-
gegen bleibt die Frau von der Neurose verschont, wenn der mit
Ejaculatio praecox behaftete Mann den Congressus unmittelbar
darauf mit besserein Erfolge wiederholen kann. Der Congressus
reservatus mittels -des Kondoms stellt für die Frau keine
Schädlichkeit dar, wenn sie sehr rasch erregbar und der Mann
sehr potent ist; im andern Falle steht diese Art des Prä-
ventivverkehres den andern an Schädlichkeit nicht nach. Der
Coitus interruptus ist fast regelmäßig eine Schädlichkeit; für die
Frau wird er es aber nur dann, wenn der Mann ihn rück-
sichtslos übt, daß heißt den Koitus unterbricht, sobald er der
Ejakulation nahe ist, ohne sich um den Ablauf der Erregung
der Frau zu kümmern. Wartet der Mann im Gegenteile die
Befriedigung der Frau ab, so hat ein solcher Koitus für letztere
die Bedeutung eines normalen; es erkrankt aber dann der Mann
an Angstneurose. Ich habe eine große Anzahl von Beobach-
tungen gesammelt und analysiert, aus denen obige Sätze her-
vorgehen; ,
e) als Angst der Witwen und absichtlich Absti-
nenten, nicht selten in typischer Kombination mit Zwangs-
vorstellungen;
/) als Angst im Klimakterium während der letzten
großen Steigerung der sexuellen Bedürftigkeit.
Die Fälle c), d) und c) enthalten die Bedingungen, unter
denen die Angstneurose beim weiblichen Geschlecht am häufig-
sten und am ehesten unabhängig von hereditärer Disposition
entsteht. An diesen — heilbaren, erworbenen — Fällen von
71.
Angstneurose werde ich den Nachweis zu führen versuchen, daß
die aufgefundene sexuelle Schädlichkeit wirklich das ätiologische
Moment der Neurose darstellt. Ich will nur vorher auf die
sexuellen Bedingungen der Angstneurose hei Männern eingehen.
Hier möchte ich folgende Gruppen aufstellen, die sämtlich ihre
Analogien hei den Frauen finden.
a) Angst der absichtlich Abstinenten, häufig mit
"Symptomen der Abwehr (Zwangsvorstellungen, Hysterie) kom-
biniert. Die Motive, die für absichtliche Abstinenz maßgebend
sind, bringen es mit sich, daß eine Anzahl von hereditär Ver-
anlagten, Sonderlingen u. dgl. zu dieser Kategorie zählt,
b) Angst der Männer mit frustraner Erregung (während
des Brautstandes), Personen, die (aus Furcht vor den Folgen
des sexuellen Verkehres) sich mit Betasten oder 'Beschauen des
Weibes begnügen. Diese Gruppe von Bedingungen (die übrigens
unverändert auf das andere Geschlecht zu übertragen ist —
Brautschaft, Verhältnisse mit sexueller Schonung) liefert die
reinsten Fälle der Neurose.
c) Angst der Männer, die Coitus interruptus üben. Wie
schon bemerkt, schädigt der Coitus interruptus die Frau, wenn
er ohne Rücksicht auf die Befriedigung der Frau geübt wird;
er wird aber zur Schädlichkeit für den Mann, wenn dieser, um
die Befriedigung der Frau zu erzielen, den Coitus willkürlich
dirigiert, die Ejakulation aufschiebt. Auf solche Weise läßt sich
verstehen, daß von den Ehepaaren, die im Coitus interruptus
leben, gewöhnlich nur ein Teil erkrankt. Bei Männern erzeugt
der Coitus interruptus übrigens nur selten reine Angstneurose,
meist eine Vermengung derselben mit Neurasthenie.
d) Angst der Männer im Senium. Es gibt Männer, die
-wie die Frauen ein Klimakterium zeigen und zur Zeit ihrer ab-
nehmenden Potenz und steigenden Libido Angstneurose pro-
duzieren.
Endlich muß ich noch zwei Fälle anschließen, die für
beide Geschlechter gelten:
e) Die Neurastheniker infolge von Masturbation verfallen
in Angstneurose, sobald sie von ihrer Art der sexuellen Befrie-
digung ablassen. Diese Personen haben sich besonders unfähig
gemacht, die Abstinenz zu ertragen.
72
Ich bemerke hier als wichtig Ihr das Verständnis der
Angstneurose, daß eine irgend bemerkenswerte Ausbildung der-
selben nur bei potent gebliebenen Männern und bei nicht
anästhetischen Frauen zustande kommt. Bei Neurasthenikern,
die durch Masturbation bereits schwere Schädigung ihrer Potenz
erworben haben, fällt die Angstneurose im Falle der Abstinenz
recht dürftig aus und beschränkt sieh meist auf Hypochondrie
und leichten chronischen Schwindel. Die Frauen sind ja in
ihrer Mehrheit als „potent" zu nehmen; eine wirklich impotente»
d. h. wirklich anästhetische Frau ist gleichfalls der Angstneurose
wenig zugänglich und erträgt die angeführten Schädlichkeiten
auffällig gut.
AVieweit man etwa sonst berechtigt ist, konstante Be-
ziehungen zwischen einzelnen ätiologischen Momenten und ein-
zelnen Symptomen aus dem Komplex der Angstneurose anzu-
nehmen, möchte ich hier noch nicht erörtern.
f) Die letzte der anzuführenden ätiologischen Bedingungen
scheint zunächst überhaupt nicht sexueller Natur zu sein. Die
Angstneurose entsteht, und zwar bei beiden Geschlechtern, auch
durch das Moment der Überarbeitung, erschöpfender Anstren-
gung, z. B. nach Nachtwachen. Krankenpflegen und selbst
nach schweren Krankheiten.
Der Haupteinwand gegen meine Aufstellung 'einer sexuellen
Ätiologie der Angstneurose wird wohl dahin lauten: derartige
abnorme Verhältnisse des Sexuallebens landen sich so überaus
häufig, daß sie überall zur Hand sein müssen, wo man nach
ihnen sucht. Ihr Vorkommen in den angeführten Fällen von
Angstneurose beweise also nicht, daß in ihnen die Ätiologie der
Neurose aufgedeckt sei. Übrigens sei die Anzahl der Personen,
die Coitus interruptus u. dgl. treiben, unvergleichlich größer
als die Anzahl der mit Angstneurose Behafteten, und die über-
wiegende Menge der ersteren befände sich bei dieser Schädlich-
keit recht wohl.
Ich habe darauf zu erwidern, daß man bei der anerkannt
übergroßen Häutigkeit der Neurosen und der Angstneurose spe-
ziell ein selten vorkommendes ätiologisches Moment gewiß
r
- .
73
nicht erwarten dürfe; ferner daß damit geradezu ein Postulat
der Pathologie erfüllt sei, wenn sich bei einer ätiologischen
Untersuchung das ätiologische Moment noch häufiger nachweisen
lasse als dessen Wirkung, da ja für letztere noch andere Be-
dingungen (Disposition, Summation der spezifischen Ätiologie,
Unterstützung durch andere, banale Schädlichkeiten) erfordert
werden können; ferner, daß die detaillierte Zergliederung ge-
eigneter Fälle vim Angstneurose die Bedeutung des sexuellen
Momentes ganz unzweideutig erweist. Ich will mich hier aber
nur auf das ätiologische Moment des Coitus interruptus und
auf die Hervorhebung einzelner beweisender Erfahrungen be-
schränken.
1. Solange die Angstneurose bei jungen Frauen noch
nicht konstituiert ist, sondern in Ansätzen hervortritt, die immer
wieder spontan verschwenden, läßt sich nachweisen, daß jeder
solche Schub der Neurose auf einen Koitus mit mangelnder
Befriedigung zurückgeht. Zwei Tage nach dieser Einwirkung,
bei wenig resistenten Personen am Tage nachher, tritt regel-
mäßig der Angst- oder Schwindelanfall auf. an den sich andere
Symptome der Neurose schließen, um — bei seltenerem ehe-
lichen Verkehr — wieder miteinander abzuklingen. Eine zufällige
Reise des Mannes, ein Aufenthalt im Gebirge, der mit Trennung
des Ehepaares verbunden ist, tun gut; die zumeist in erster
Linie eingeleitete gynäkologische Behandlung nützt dadurch, daß
während ihrer Dauer der eheliche Verkehr aufgehoben ist. Merk-
würdigerweise ist der Erfolg der lokalen Behandlung ein vor-
übergehender, stellt sich die Neurose noch im Gebirge wieder
ein, sobald der Mann seinerseits in die Ferien tritt u. dgl. Läßt
man als ein dieser Ätiologie kundiger Arzt bei noch nicht kon-
stituierter Neurose den Coitus interruptus durch normalen Ver-
kehr ersetzen, so ergibt sich die therapeutische Probe auf
die hier aufgestellte Behauptung. Die Angst ist behoben und
kehrt ohne neuen, ähnlichen Anlaß nicht wieder.
2. In der Anamnese vieler Fälle von Angstueurose findet
man bei Männern wie bei Frauen ein auffälliges Schwanken in
der Intensität der Erscheinungen, ja im Kommen und Gehen
des ganzen Zustandes. Dieses Jahr war fast ganz gut, das
nächstfolgende gräßlich u. dgl., einmal fällt die Besserung zu-
74
gunsten einer bestimmten Kur aus, die aber beim nächsten An-
falle ganz im Stieb gelassen bat u. dgl. ra. Erkundigt man sich
nun nach Anzahl und Reihenfolge der Kinder und stellt diese
Ehechronik dem eigentümlichen Verlauf der Neurose gegenüber,
so ergibt sich als einfache Lösung, daß die Perioden von Besse-
rung oder Wohlbefinden mit den Graviditäten der Frau zusammen-
fallen, während welcher natürlich der Anlaß für den Präventiv-
verkehr entfallen war. Dem Manne aber hatte jene Kur, sei es
beim Pfarrer Kneipp oder in der hydrotherapeutischen Anstalt,
genützt, nach welcher er seine Frau gravid antraf.
3. Aus der Anamnese der Kranken ergibt sich häufig, daß
die Symptome der Angstneurose zu einer bestimmten Zeit die
einer andern Neurose, etwa der Neurasthenie, abgelöst und sich
an deren Stelle gesetzt haben. Es läßt sich dann ganz regel-
mäßig nachweisen, daß kurz vor diesem Wechsel des Bildes ein
entsprechender Wechsel in der Art der sexuellen Schädigung
stattgefunden hat.
Während derartige, nach Belieben zu vermehrende Er-
fahrungen dem Arzte für eine gewisse Kategorie von Fällen die
sexuelle Ätiologie geradezu aufdrängen, lassen sich andere Fälle,
die sonst unverständlich blieben, mittels des Schlüssels der
sexuellen Ätiologie wenigstens widerspruchslos verstehen und
einreihen. Es sind dies jene sehr zahlreichen Fälle, in denen
zwar alles vorhanden ist, was wir bei der vorigen Kategorie ge-
funden haben, die Erscheinungen der Angstneurose einerseits,
das spezifische Moment des Coitus interruptus anderseits, wo
aber noch etwas anderes sich einschiebt, nämlich ein langes
Intervall zwischen der vermeintlichen Ätiologie und deren Wir-
kung, und etwa noch ätiologische Momente nicht sexueller Natur.
Da ist z. B. ein Mann, der auf die Nachricht vom Tode seines
Vaters einen Herzanfall bekommt und von da an der Angst-
neurose verfallen ist. Der Fall ist nicht zu vorstehen, denn der
Mann war bisher nicht nervös; der Tod des hochbejahrten Vaters
erfolgte keineswegs unter besonderen Umständen, und man wird
zugeben, daß das normale, erwartete Ableben eines alten Vaters
nicht zu den Erlebnissen gehört, die einen gesunden Erwach-
senen krank zu machen pflegen. Vielleicht wird die ätiologische
Analyse durchsichtiger, wenn ich hinzunehme, daß dieser Mann
_
75
seit 11 Jahren den Coitus interruptus mit Rücksicht auf seine
Frau ausübt. Die Erscheinungen sind wenigstens genau die
nämlichen, wie sie bei anderen Personen nach kurzer derartiger
sexueller Schädigung und ohne Dazwischenkunft eines anderen
Traumas auftreten. Ähnlich zu beurteilen ist der Fall einer
Frau, deren Angstneurose nach dem Verlust eines Kindes aus-
bricht, oder des Studenten, der in der Vorbereitung zu seiner
letzten Staatsprüfung durch die Angstneurose gestört wird. Ich
finde die Wirkung hier wie dort nicht durch die angegebene
Ätiologie erklärt. Man muß sich nicht beim Studieren „über-
arbeiten", und eine gesunde Mutter pflegt auf den Verlust eines
Kindes nur mit normaler Trauer zu reagieren. Vor allem aber
würde ich erwarten, daß der Student durch Überarbeitung eine
Zephalasthenie, die Mutter in unserem Beispiele eine Hysterie
akquirieren sollte. Daß sie beide Angstneurose bekommen, ver-
anlaßt mich, Wert darauf zu legen, daß die Mutter seit 8 Jahren
im ehelichen Coitus interruptus lebt, der Student aber seit
3 Jahren ein warmes Liebesverhältnis mit einem „anständigen"
Mädchen unterhält, das er nicht schwängern darf.
Diese Ausführungen laufen auf die Behauptung hinaus,
daß die spezitische sexuelle Schädlichkeit des Coitus interruptus
dort, wo sie nicht imstande ist, für sich allein die Angstneurose
hervorzurufen, doch wenigstens zu ihrer Erwerbung dis-
poniert. Die Angstneurose bricht dann aus, sobald zur la-
tenten Wirkung des spezitischen Momentes die Wirkung einer
andern, banalen Schädlichkeit hinzutritt. Letztere kann das
spezifische Moment quantitativ vertreten, aber nicht
qualitativ ersetzen. Das spezifische Moment bleibt stets
dasjenige, welches die Form der Neurose bestimmt. Ich hoffe,
diesen Satz für die Ätiologie der Neurose auch im größeren
Umfang erweisen zu können.
Ferner ist in den letzten Erörterungen die an sich nicht
unwahrscheinliche Annahme enthalten, daß eine sexuelle Schäd-
lichkeit wie der Coitus interruptus sich durch Summ ation
zur Geltung bringt. Je nach der Disposition des Individuums
und der sonstigen Belastung von dessen Nervensystem wird es
kürzere oder längere Zeit brauchen, ehe der Effekt dieser
Summation sichtbar wird. Die Individuen, welche den Coitus
76
interruptus scheinbar ohne Nachteil ertragen, werden in Wirk-
lichkeit durch denselben zu Störungen dir Angstneurose dispo-
niert, die irgend einmal spontan oder nach einem banalen, sonst
unangemessenen Trauma losbrechen können, gerade wie der
chronische Alkoholiker auf dem Wege der Summation endlich
eine Zirrhose oder andere Erkrankung entwickelt oder unter
dem Einfluß eines Fiebers in ein Delirium verfällt.
III. Ansätze zu einer Theorie der Angstneurose.
Die nachstehenden Ausführungen beanspruchen nichts als
den Wert eines ersten, tastenden Versuches, dessen Beurteilung
die Aufnahme der im vorigen enthaltenen Tatsachen nicht
beeinflussen sollte. Die Würdigung dieser „Theorie der Angst -
neurose" wird ferner noch dadurch erschwert, daß sie bloß einem
Bruchstücke aus einer umfassenderen Darstellung der Neurosen
entspricht.
In dem bisher über die Angstneurose Vorgebrachten sind
bereits einige Anhaltspunkte für einen Einblick in den Mecha-
nismus dieser Neurose enthalten. Zunächst die Vermutung, es
dürfte sich um eine Anhäufung von Erregung handeln, sodann
die überaus wichtige Tatsache, daß die Angst, die den Er-
scheinungen der Neurose zugrunde liegt, keine psychische
Ableitung zuläßt. Eine solche wäre z. B. vorhanden, wenn
sich als Grundlage der Angstneurose ein einmaliger oder wieder-
holter, berechtigter Schreck fände, der seither die Quelle der
Bereitschaft zur Angst abgäbe. Allein dies ist nicht der Fall;
durch einen einmaligen Schreck kann zwar eine Hysterie oder
eine traumatische Neurose erworben werden, nie aber eine
Angstneurose. Ich habe, da sich unter den Ursachen der Angst-
neurose der Coitus interruptus so sehr in den Vordergrund
drängt, anfangs, gemeint, die Quelle der kontinuierlichen Angst
könnte in der beim Akte jedesmal sich wiederholenden Furcht
liegen, die Technik könnte mißglücken und demnach Konzeption
erfolgen. Ich habe aber gefunden, daß dieser Gemütszustand
de- Frau oder des Mannes während des (Joitus interruptus für
die Entstehung der Angstneurose gleichgültig ist, daß die gegen
die Folgen einer möglichen Konzeption im Grunde gleichgül-
tigen Frauen der Neurose ebenso ausgesetzt sind wie die vor
77
dieser Möglichkeit Schaudernden, und daß es nur darauf an-
kam, welcher Teil bei dieser sexuellen Technik seine Befriedi-
gung einbüßte.
Einen weiteren Anhaltspunkt bietet die noch nicht er-
wähnte Beobachtung, daß in ganzen Reihen von Fällen die
Angstneurose mit der deutlichsten Verminderung der sexuellen
Libido, der psychischen Lust, einhergeht, so daß die Kran-
ken auf die Eröffnung, ihr Leiden rühre von „ungenügender
• Befriedigung", regelmäßig antworten: Das sei unmöglich, gerade
jetzt sei alles Bedürfnis bei ihnen erloschen. Aus all diesen
Andeutungen, daß es sich um Anhäufung von Erregung handle,
daß die Angst, welche solcher angehäufter Erregung wahrschein-
lich entspricht, somatischer Herkunft sei, so daß also somatische
Erregung angehäuft werde, ferner daß diese somatische Erre-
gung sexueller Natur sei und daß eine Abnahme der psychi-
schen Beteiligung an den Sexualvorgängen nebenher gehe —
Alle diese Andeutungen, sage ich, begünstigen die Erwartung,
der Mechanismus der Angstneurose sei in der Ab-
lenkung der somatischen Sexualerregung vom Psy-
chischen und einer dadurch verursachten abnormen
Verwendung dieser Erregung zu suchen.
Man kann sich diese Vorstellung vom Mechanismus der
Angstneurose klarer machen, wenn man folgende Betrachtung
über den Sexualvorgang akzeptiert, die sieh zunächst auf den
Mann bezieht. Im geschlechtsreifen männlichen Organismus
w ird — wahrscheinlich kontinuierlich — die somatische Sexual-
erre^ung produziert, die periodisch zu einem Reiz für das psy-
chische Leben wird. Schalten wir, um unsere Vorstellungen dar-
über besser zu fixieren, ein, daß diese somatische Sexualerre-
<mng sich als Druck auf die mit Nervenendigungen versehene
Wandung der Samenbläschen äußert, so wird diese viszerale
Erregung zwar kontinuierlich anwachsen, aber erst von einer
gewissen Höhe an imstande sein, den Widerstand der eingeschal-
teten Leitung bis zur Hirnrinde zu überwinden und sich als
psychischer Reiz zu äußern. Dann aber wird die in der Psyche
vorhandene sexuelle Vorstellungsgruppe mit Energie ausgestattet,
und es entsteht der psychische Zustand libidinöser Spannung,
welcher den Drang nach Aufhebung dieser Spannung mit sich
78
bringt. Eine solche psychische Entlastung ist nur auf dem Wege
möglich, den ich als spezifische oder adäquate Aktion be-
zeichnen will. Diese adäquate Aktion besteht für den männ-
lichen Sexualtrieb in einem komplizierten spinalen Reflexakt, der
die Entlastung jener Nervenendigungen zur Folge hat, und in
allen psychisch zu leistenden Vorbereitungen für die. Auslösung
dieses Reflexes. Etwas anderes als die adäquate Aktion würde
nichts fruchten, denn die somatische Sexualerregung setzt sich,
nachdem sie einmal den Schwellenwert erreicht hat, kontinuier-
lich in psychische Erregung um; es muß durchaus dasjenige
geschehen, was die Nervenendigungen von dem auf sie lasten-
den Druck befreit, somit die ganze derzeit vorhandene soma-
tische Erregung aufhebt und der subkortikalen Leitung gestattet,
ihren Widerstand herzustellen.
Ich werde es mir versagen, kompliziertere Fälle des Sexual-
vorganges in ähnlicher Weise darzustellen. Ich will nur noch
die Behauptung aufstellen, daß dieses Schema im wesentlichen
auch auf die Frau zu übertragen ist, trotz aller das Problem
verwirrenden, artefiziellen Verzögerung und Verkümmerung des
weiblichen Geschlechtstriebes. Es ist auch bei der Frau eine
somatische Sexualerregung anzunehmen und ein Zustand, in
dem diese Erregung psychischer Reiz wird, Libido und den
Drang nach der spezifischen Aktion hervorruft, an welche sich
das Wollustgcfühl knüpft. Nur ist man bei der Frau nicht im-
stande, anzugeben was etwa der Entspannung der Samenbläs-
chen hier analog wäre.
In den Rahmen dieser Darstellung des Sexualvorganges
läßt sich nun sowohl die Ätiologie der echten Neurasthenie als
die der Angstneurose eintragen. Neurasthenie entsteht jedesmal
wenn die adäquate (Aktion) Entlastung durch eine minder
adäquate ersetzt wird, der normale Koitus unter den günstigsten
Bedingungen, also durch eine Masturbation oder spontane Pol-
lution; zur Angstneurose aber führen alle Momente, welche die N
psychische Verarbeitung d#r somatischen Sexualerregung ver-
hindern. Die Erscheinungen der Angstneurose kommen zustande,
indem die von der Psyche "abgelenkte somatische Sexualerregung
sich subkortikal, in ganz und gar nicht adäquaten Reaktionen
ausgibt.
_
*
7S
Ich will es nun versuchen, die vorhin angegebenen ätio-
logischen Bedingungen der Angstneurosc daraufhin zu prüfen,
ob sie den von mir aufgestellten gemeinsamen Charakter erkennen-
lassen. Als erstes ätiologisches Moment habe ich für den Mann
die absichtliche Abstinenz angeführt. Abstinenz besteht in der
Versagung der spezifischen Aktion, die sonst auf die Libido-
erfolgt. Eine solche Versagung wird zwei Konsequenzen haben
können, nämlich, daß die somatische Erregung sich anhäuft,,
und dann zunächst, daß sie auf andere Wege abgelenkt wird,
auf denen ihr -eher Entladung winkt als auf dem Wege über
die Psyche. Es wird also die Libido endlich sinken und die
Erregung subkortikal als Angst sich äußern. Wo die Libido
nicht verringert wird, oder die somatische Erregung auf kurzem
Wege in Pollutionen verausgabt wird oder infolge der Zurück-
drängung wirklich versiegt, da entsteht eben alles andere als
Angstneurose. Auf solche Weise führt die Abstinenz zur Angst-
neurose. Die Abstinenz ist- aber auch ' das Wirksame an der
zweiten ätiologischen Gruppe, der frustranen Erregung. Der
dritte Fall, der des rücksichtsvollen Coitus reservatus, wirkt da-
durch, daß er die psychische Bereitschaft für den Sexualablauf
stört, indem er neben der Bewältigung des Sexualaffektes eine
andere, ablenkende, psychische Aufgabe einführt. Auch durch
diese psychische Ablenkung schwindet allmählich die Libido, der
weitere Verlauf ist .dann derselbe wie im Falle der Abstinenz.
Die Angst im Senium (Klimakterium der Männer) erfordert eine
andere Erklärung. Hier läßt die Libido nicht nach; es findet
aber, wie während des Klimakteriums der Weiber, eine solche
Steigerung in der Produktion der somatischen Erregung statt,
daß die Psyche für die Bewältigung derselben sich als relativ
insuffizient erweist.
Keine größeren Schwierigkeiten bereitet die Subsumie-
rung der ätiologischen Bedingungen bei der Frau unter den
angeführten Gesichtspunkt. Der Fall der virginalen Angst ist.
besonders klar. Hier sind eben die Vorstellungsgruppen noch
nicht genug entwickelt, mit denen sich die somatische Sexual-
erregung verknüpfen soll. Bei der anästhetischen Neuvermählten
tritt die Angst nur dann auf, wenn die ersten Kohabitationen
ein genügendes Maß von somatischer Erregung wecken. Wo die*
80
lokalen Zeichen solcher Erregtheit (wie spontane lleizempfindung,
Harndrang u. dgl.) fehlen, da bleibt auch die Angst aus. Der
Fall der Ejaculatio praecox, des Coitus interruptus, erklärt sich
ähnlich wie beim Manne dadurch, daß für den psychisch unbe-
friedigenden Akt. allmählich die Libido schwindet, während die
dabei wachgerufene Erregung subkortikal ausgegeben wird. Die
Herstellung einer Entfremdung zwischen dem Somatischen
und dem Psychischen im Ablauf der Sexualerregung erfolgt beim
Weibe rascher und ist schwerer zu beseitigen als beim Manne.
Der Fall der Witwenschaft und der gewollten Abstinenz sowie
der Fall des Klimakteriums erledigt sich beim Weibe wohl
ebenso wie beim Manne, doch kommt für den Fall der Absti-
nenz gewiß noch die absichtliche Verdrängung des sexuellen
Vorstellungskreises hinzu, zu welcher die mit der Versuchung
kämpfende abstinente Frau sich häufig entschließen muß, und
ähnlich mag in der Zeit der Menopause der Abscheu wirken,
den die alternde Frau gegen die übergroß gewordene Libido
empfindet.
Auch die beiden zuletzt angeführten ätiologischen Bedin-
gungen scheinen sich ohne Schwierigkeit einzuordnen.
Die Angstneigung der neurasthenisch gewordenen Mastur-
banten erklärt sich daraus, daß diese Personen so leicht in den
Zustand der „Abstinenz" geraten, nachdem sie sich so lange ge-
wöhnt hatten, jeder kleinen Quantität somatischer Erregung
eine allerdings fehlerhafte Abfuhr zu schaffen. Endlich läßt der
letzte Fall, die Entstehung der Angstneuroso durch schwere
Krankheit, Überarbeitung, erschöpfende Krankenpflege u. dgl.,
in Anlehnung an die Wirkungsweise des Coitus interruptus die
zwanglose Deutung zu, die Psyche werde hier durch Ablenkung
insuffizient zur Bewältigung der somatischen Sexualerregung,
einer Aufgabe, die ihr ja kontinuierlich obliegt. Man weiß, wie
tief unter denselben Bedingungen die Libido sinken kann, und
man hat hier ein schönes Beispiel einer Neurose, die zwar
"keine sexuelle Ätiologie, aber doch einen sexuellen
Mechanismus erkennen läßt.
Die hier entwickelte Auffassung stellt die Symptome der
Angstneurose gewissermaßen als Surrogate der unterlassenen
spezifischen Aktion auf die Sexualerregung dar. Ich erinnere
81
zur weiteren Unterstützung derselben daran, daß auch beim
normalen Koitus die Erregung sich nebstbei als Atembeschleuni-
gung, Herzklopfen, Schweißausbruch, Kongestion u. dgl. aus-
gibt. Im entsprechenden Angstanfalle unserer Neurose hat man
die Dyspnoe, das Herzklopfen u. dgl. des Koitus isoliert und
gesteigert vor sich.
Es könnte noch gefragt werden: Warum gerät denn das
Nervensystem unter solchen Umständen, bei psychischer Unzu-
länglichkeit zur Bewältigung der Sexualerregung, in den eigen-
tümlichen Affektzustand der Aoigst? Darauf ist andeutungs-
weise zu erwidern: Die Psyche gerät in den Affekt der Angst,
wenn sie sich unfähig fühlt, eine von außen nahende Auf-
gabe (Gefahr) durch entsprechende Reaktion zu erledigen; sie
gerät in die Neurose der Angst, wenn sie sich unfähig merkt,
die endogen entstandene (Sexual-) Erregung auszugleichen. Sie
benimmt sich also, als projizierte sie diese Erre-
gung nach außen. Der Affekt und die ihm entsprechende
Neurose stehen in fester Beziehung zueinander, der erstere ist
die Reaktion auf eine exogene, die letztere die Reaktion auf die
analoge endogene Erregung. Der Affekt ist ein rasch vorüber-
gehender Zustand, die Neurose ein chronischer, weil die exogene
Erregung wie ein einmaliger Stoß, die endogene wie eine kon-
stante Kraft wirkt. Das Nervensystem -reagiert in der
Neurose gegen eine innere Erregungsquelle wie in
dem entsprechenden Affekt gegen eine analoge
äußere
IV. Beziehung zu anderen Neurosen.
Es erübrigen noch einige Bemerkungen über die Bezie-
hungen der Angstneurose zu den anderen Neurosen nach Vor-
kommen und innerer Verwandtschaft.
Die reinsten Fälle von Angstneurose sind auch meist die
ausgeprägtesten. Sie finden sich bei potenten jugendlichen Indi-
viduen, bei einheitlicher Ätiologie und nicht zu langem Bestände
•des Krankseins.
Häufiger ist allerdings das gleichzeitige und gemeinsame
Vorkommen von Angstsymptomen mit solchen der Neurasthenie,
Hysterie, der Zwangsvorstellungen, der Melancholie. Wollte man
Freud. Neurosenlelire. I. 4. Auflaj«. 6
82
sich durch solche klinische Vermengung abhalten lassen, die
Angstneurose als eine selbständige Einheit anzuerkennen, so
müßte man konsequenterweise auch auf die mühsam erworbene
Trennung von Hysterie und Neurasthenie wieder verzichten.
Für die Analyse der „gemischten Neurosen" kann ich den
wichtigen Satz vertreten: Wo sich eine gemischte Neu-
rose vorfindet, da läßt sich eine Vermengung meh-
rerer spezifischer Ätiologien nachweisen.
Eine solche Vielheit ätiologischer Momente, die eine ge-
mischte Neurose bedingt, kann bloß zufällig zustande kommen,
etwa indem eine neu hinzutretende Schädlichkeit ihre Wirkungen
zu denen einer früher vorhandenen addiert; zum Beispiel eine
Frau, die von jeher Hysterica war, tritt zu einer gewissen Zeit
ihrer Ehe in den Coitus reservatus ein und erwirbt jetzt zu
ihrer Hysterie eine Angstneurose; ein Mann, der bisher mastur-
biert hatte und neurasthenisch wurde, wird Bräutigam, erregt
sich bei seiner Braut, und jetzt gesellt sich zur Neurasthenie
eine frische Angstneuro3e hinzu.
In anderen Fällen ist die Mehrheit ätiologischer Momente
keine zufällige, sondern das eine derselben hat das andere mit f-.
zur Wirkung gebracht; zum Beispiel eine Frau, mit welcher ihr
Mann Coitus reservatus ohne Rücksicht auf ihre Befriedigung
übt, sieht sich genötigt, die peinliche Erregung nach einem
solchen Akt durch Masturbation zu beenden; sie zeigt infolge-
dessen nicht reine Angstneurose, sondern daneben .Symptom.'
von Neurasthenie; eine zweite Frau wird unter derselben Schäd-
lichkeit mit lüsternen Bildern zu kämpfen haben, deren sie sich
erwehren will, und wird auf solche Weise durch den Coitus
interruptus nebst der Angstneurose Zwangsvorstellungen erwer-
ben; eine dritte Frau endlich wird infolge des Coitus inter-
ruptus die Neigung zu ihrem Manne einbüßen, eine andere
Neigung erwerben, welche sie sorgfältig geheim hält, und wird
infolgedessen ein Gemenge von Angstneurose und Hysterie zeigen.
In einer dritten Kategorie von gemischten Neurosen ist
der Zusammenhang der Symptome ein noch innigerer, indem
die nämliche ätiologische Bedingung gesetzmäßig und gleich-
zeitig beide Neurosen hervorruft. So zum Beispiel erzeugt die
plötzliche sexuelle Aufklärung, die wir bei 'der virginalen Angst
88
gefunden haben, immer auch Hysterie; die allermeisten Fälle
von absichtlicher Abstinenz verknüpfen sich von Anfang an mit
echten Zwangsvorstellungen; der Coitus interruptus der Männer
scheint mir niemals reine Angstneurose provozieren zu können,
sondern stets eine Vermengung derselben mit Neurasthenie u. dgl.
Es geht aus diesen Erörterungen hervor, daß man die
ätiologischen Bedingungen des Vorkommens noch unterscheiden
muß von den spezifischen ätiologischen Momenten der Neurosen.
Erstere, zum Beispiel der Coitus interruptus, die Masturbation,
die Abstinenz, sind noch vieldeutig und können ein jedes ver-
schiedene Neurosen produzieren; erst die aus ihnen abstrahierten
ätiologischen Momente, wie inadäquate Entlastung, psy-
chische Unzulänglichkeit, Abwehr mit Substitution,
haben eine unzweideutige und spezifische Beziehung zur Ätio-
logie der einzelnen großen Neurosen.
Ihrem inneren Wesen nach zeigt die Angstneurose die
interessantesten Übereinstimmungen und Verschiedenheiten gegen
die anderen großen Neurosen, besonders gegen Neurasthenie
und Hysterie. Mit der Neurasthenie teilt sie den einen Haupt-
charakter, daß die Erregungsquelle, der Anlaß zur Störung,
auf somatischem Gebiete liegt, anstatt wie bei Hysterie und
Zwangsneurose auf psychischem. Im übrigen läßt sich eher eine
Art von Gegensätzlichkeit zwischen den Symptomen der Neur-
asthenie und denen der Angstneurose erkennen, die etwa in den
Schlagworten: Anhäufung — Verarmung an Erregung, ihren
Ausdruck fände. Diese Gegensätzlichkeit hindert nicht, daß sich
die beiden Neurosen miteinander vermengen, zeigt sich aber
doch darin, daß die extremsten Formen in beiden Fällen auch
die reinsten sind.
Mit der Hysterie zeigt die Angstneurose zunächst eine
Reihe von Übereinstimmungen in der Symptomatologie, deren
genauere Würdigung noch aussteht. Das Auftreten der Erschei-
nungen als Dauersymptome oder in Anfällen, die auraartig
gruppierten Parästhesien, die Hyperästhesien und Druckpunkte,
die sich bei gewissen Surrogaten des Angstanfalles, bei der
Dyspnoe und dem Herzanfalle finden, die Steigerung der etwa
organisch berechtigten Schmerzen (durch Konversion): — diese
und andere gemeinschaftliche Züge lassen sogar vermuten, daß
manches, was man der Hysterie zurechnet, mit mehr Fug und
Kecht zur Angstneurose geschlagen werden dürfte. Geht man
auf den Mechanismus der beiden Neurosen ein, soweit er sich
bis jetzt hat durchschauen lassen, so ergeben sich Gesichts-
punkte, welche die Angstneurose geradezu als das somatische
Seitenstück zur Hysterie erscheinen lassen. Hier wie dort An-
häufung von Erregung — worin vielleicht die vorhin geschilderte
Ähnlichkeit der Symptome gegründet ist — ; hier wie dort eine
psychische Unzulänglichkeit, der zufolge abnorme
somatische Vorgänge Zustandekommen. Hier wie dort
tritt an Stelle einer psychischen Verarbeitung eine Ablenkung
der Erregung in das Somatische ein; der Unterschied liegt bloß
darin, daß die Erregung, in deren Verschiebung sich die Neu-
rose äußert, bei der Angstneurose eine rein somatische (die
somatische Sexualerregung), bei der Hysterie eine psychische
(durch Konflikt hervorgerufene) ist. Es kann daher nicht Wunder
nehmen, daß Hysterie und Angstneurose sich gesetzmäßig mit-
einander kombinieren, wie bei der „virginalen Angst" oder
der „sexuellen Hysterie", daß die Hysterie eine Anzahl
von Symptomen einfach der Angstnenrose entlehnt u. dgl. Diese
innigen Beziehungen der Angstneurose zur Hysterie geben auch
ein neues Argument ab, um die Trennung der Angstneurose
von der Neurasthenie zu fordern; denn verweigert man diese,
so kann man auch die so mühsam erworbene und für die Theorie
der Neurosen so unentbehrliche Unterscheidung von Neurasthenie
und Hysterie nicht mehr aufrecht erhalten.
Wien, im Dezember 1894.
VT,
Obsessions et pliobies.
Leur möcanisme psychique et leur etiologie 1 ).
Je commencerai par contester deux assertions, qui se trou-
vent souvent lvpetees sur le compte des Syndromes: „obsessions
et phobies". II faut dire: 1° qu'ils ne se rattaehent pas ä la
neurasthenie propre, puisque les malades atteints de ces sym-
ptömes sont aussi souvent des neurastheniques que non; 2° qu'il
n'est pas Justine" de les faire dependre de la degeneration
mentale, parce qu'ils se trouvent chez de personnes pas plus
degenerees que la plupart des nevrosiques en general, parce
qu'ils s'amendent quelquefois et qu'on parvient meme quelque-
fois ä les guerir 2 ).
Les obsessions et les pbobies sont des nevroses ä part r
d'un mecanisme special et d'une etiologie que j'ai reussi ä mettre
en lumiere dans un certain nombre de cas, et qui, je l'espere,.
se montreront de meme dans bon nombre de cas nouveaux.
Quant a la division du sujet je propose d'abord d'ecarter
une classe d'obsessions intenses, qui ne sont autre chose que des
Souvenirs, des images non alterees d'evenements importants. Je
citerai, par exemple, l'obsession de Pascal qui croyait toujours
voir un abimc ä son cöte gauche, „depuis qu'il avait manque
d'etre precipite dans la Seine avec son carrosse". Ces obsessions-
J) Revue neurologique, III, 1895.
■) Je suis tres content de trouver que les auteurs les plus, recents
sur notre sujet expriment des opinions voisines de la mienne. Voir: G6-
1 ine au, Des peurs maladiees ou phobies, 1894, et Hack Tuke, On impera-
tive ideas, Brain, 1894.
86
et phobies, qu'on pourrait nommer traumatiques, se rattachent
aux symptömes de l'hysterie.
Ce groupe ä part il faut distinguer: A) les obsessions
vraies; B) les phobies. La difference essentielle est la suivante.
II y a dans toute obsession deux choses: 1° une idee qui
s'impose au malade; 2° un etat emotif associe\ Or, dans la
classe des phobies, cet etat emotif est toujours l'angoisse, pen-
dant que dans les obsessions vraies ce peut etre au meme titre
que l'anxiöte un autre etat emotif, comme le doute, le remords,
la colere. Je tächerai d'abord d'expliquer le mecanisme psycho-
logique vraiment remarquable des obsessions vraies, qui est bien
different de celui des phobies.
Dans beäucoup d'obsessions vraies, il est bien evident que
l'gtat emotif est la chose principale, puisque cet etat persiste
inaltöre pendant que l'idee associee est variee. Par exemple, la
fille de l'observation I, avait des remords, un peu en raison de
tout, d'avoir vole, maltraite ses sce-urs, fait de la fausse monnaie,
etc. Les personnes qui doutent, doutent de beäucoup de choses
ä la fois ou successivement. C'ost lV'tat emotif qui, dans ces
cas, reste le meme: 'l'idee change. En d'autres cas l'idee aussi
semble fixee, comme chez la fille de l'observation IV, qui pour-
suivait d'une haine incomprehensible les servantes de la maison
en changeant pourtant de personne.
Eh bien, une analyse psychologique scrupuleuse de ces
cas montre que V6tat ömotif, comme tcl, est toujours ju-stifte". La
fille I, qui a des remords, a de bonnes raisons; les femmes de
l'observation III qui doutaient de leur resistance contre des
tentations Bavaient bien pourquoi; la fille de l'observation IV.
qui detestait les servantes, avait bien le droit de se plaindre.
etc. Seulement, et c'est dans ces deux caracteres que consiste
l'empreinte pathologique: 1) l'ctat ömotif s'est iternisc, 2) l'idee
associöe riest plus l'idöe juste, Mette originale, en rapport avec
V Ätiologie de Vobsession, eile en est un remplacant, une Substitution.
La preuve en est qu'on peut toujours trouver dans les ante-
cedens du malade ä Vorigine de Vobsession, l'idde originale, Sub-
stitute. Les idees substituees ont des caracteres communs, elles
87
correspondent ä des impressions vraiment penibles de la vie
sexuelle de l'individu que celui-ci s'est efforce d'oublier. H a
n'ussi seulement a remplacer l'idee biconciliabh par une autre
idee mal appropriee ä s'associer ä l'etat emotif, qui de son
cöte est reste le meme. C'est cette mesalliance de l'ötat emotif
et de l'idee associee qui rend compte du caractere d'absurdite
propre aus obsessions. Je veux rapporter mes observations, et
donner une tentative d'explication fheorique comme conclusion.
Obs. I. — l-"ne fille qui se faisait des reproches,- qu'elle savait ab-
surdes, d'avoir vole, fait de la fausse monnaie, de s'etre conjuree, etc., selon
sa lecture journaliere.
Redressement de la Substitution. — Elle se reprochait 1'onanisme qu'elle
pratiquait en secret sans pouvoir y renoncer.
Elle fut guerie par une Observation scrupuleuse qui l'empecha de se
masturber.
Obs. II. — Jeune homme, etudiant en medecine, qui souffrait d'une
Obsession analogue. II se reprochait toutes les actions immorales: d'avoir
tue sa cousine, deflore sa soeur, incendie - une maison, etc. H parvint jusqu'ä
la n6cessite de se retourner dans le rue pour voir s'il n'avait pas encore
tue le dernier passant.
RedrcssemeJit de la Substitution. — II avait lu, dans un livre quasi-
mödical, que 1'onanisme, auquel il etait sujet, abimait la morale^et il s'en
^tait emu.
Obs. III. — Plusieurs femmes qui se plaignaient de l'obsession de
se jeter par la fenetre, de blesser leurs enfants avec des couteaux, ciseaux, etc.
Redressement. — Obsessions de tentations typiques. C'etaient des fem-
mes qui, pas du tout satisfaites dans le mariage, se debattaient contre les
desirs et les idees voluptueuses qui les hantaient ä la vue d'autres hommes.
Obs. IV. — Une fille qui parfaitement saine d'esprit et trea intelli-
gente montrait une haiin' iucontrölabh contre les servantes de la maison, qus
s'6tait eVeillee ä l'occasion d'une servante effrontee, et s'etait transmise de-
puis de fille en fille, jusqu'ä rendre le menage impossible. C'etait un senti-
ment meld de haine et de degoüt. Elle donnait comme motif que les saletö-
de ces filles lui gätaient sou idee de l'amour.
Redressement. — Cette fille avait ete temoin involoutaire d'un rendez,
vous amoureux de sa mere. Elle s'etait cacbe le visage, bouche les oreilles
et s'etait donne la plus grande peine pour oublier la scene, qui la d6goütait
et l'aurait mise dans l'impossibilite de rester avec sa mere qu'elle aimaiti
tendrement. Elle y rdussit, mais la colere, de ce qu'on lui avait souille
l'image de l'amour, persista en eile, et cet etat emotif ne tarda pas ä s'as-
socier l'idöe d'une personne pouvant remplacer la mere.
Obs. V. die jeune fille s'etait presque completement isolfie en
consequence de la peur obsedante de l'incontinence des urines. Elle ne
88
pouvait plus quitter sa chambre ou recevoir une visite sans avoir urine
nombre de fois.
Chez eile et en repos complet la peur n'existait pas.
Bedressemmt. — O'etait une Obsession de teniation ou de mefiance.
Elle ne se mefiait pas de sa vessie mais de sa rösistance contre une impul-
sion amoureuse. L'origine de l'obscssion le montrait bien. Une fois, au
theatre, eile avait senti ä la vue d'un homme qui lui plaisait une envie
amoureuse accompagnee (comme toujours dans la pollution spontanee des
femmes) de l'envie d'uriner. Elle fut obligö ä quitter le thdätre, et de ce.
moment eile etait en proie ä la peur d'avoir la meme Sensation, mais
l'envie d'uriner s'ötait substituee ä l'envie amoureuse. Elle guerit com-
pletement.
Les observations enumerees, bien qu*elles montrent un
(legre variable de coniplexite, 'ont ceci de commun, que l'idee
originale (inconciliable) est substituee par une autre id6e, idee
remplacante. Dans les observations qui vont suivre maintenant,
l'idee originale est aussi remplacee mais non par une autre
idee; eile se trouve substituee par des actes ou irapulsions qui
ont servi ä l'origine comme soulagemcnts ou procedös protecteurs,
et qui maintenant se trouvent en association grotesque avec un
e"tat emotif qui ne leur convient pas mais qui est reste" le
meme, et aussi justifie qu'a l'orgine.
Obs. VI. — Obsession d'arithmomanic. — Une femme avait contractu
le besoin de compter toujours les plancbes du parquet, les marches de
l'escalier, etc., ce qu'elle faisait dans un (Hat d'angoisse ridicule.
Jiedressement. — Elle avait commenctf ä compter pour se distiaire
de ses idees obsedantes (de tentation). Elle y avait r6ussi. mais l'impulsion
de compter s'etait Substitute ä l'obsession primitive.
Obs. VII. — Obsession de „Grübelsucht" (folie de speculation). Une
femme soull'rait d'attaques de cette obscssion, qui ne cessaicnt qu'aux.
temps de maladie, pour y laisscr la place si des peurs hypocondriaques. Le
sujet de l'attaque etait ou une partie du corps ou une fonction, par exemple j
la respiration: Pourquoi faut-il respirer? Si je ne voulais respiror? etc.
Redrcsscmmt. — Tout d'abord eile avait soufl'ert de peur de devenir
folle, phobie hypochondriaque assez commune chez les femmes non salis-
faites par leur mari, comme eile etait. Pour sc garantir t/u'elle n'allait pas
derenir folle, qu'elle jouissait encore de son intelligencc, eile avait com-
mence" ä se poser des queBtions, ä s'oecuper de problemes siSrieux. Cela la
tranquillisait d'abord, mais avec le temps cette habitude de la sp6culation
se substituait ä la phobie. Depuis plus de quinze ans des pdriodes de peur
(pathophobie) et de folie de Spekulation alternaient chez eile.
89
Obs. Villi — Folie du doute. — Plusieurs cas, qui montraient les
symptömes typiques de cette Obsession, mais qui s'expliquaient bien simple-
ment. Ces personnes avaient souffert ou souffraieut encore d'obsessions
diverses, et la conscieuce que l'obsession les avait deiangees dans ioutes
leurs actions et interrompu maintes fois le cours de leurs pensees provo-
quait !e doute legitime dans la fidelite de leur memoire. Chacun de nous
verra cbanceler son assurance et sera oblige de relire une lettre ou de
refaire un compte si son attention a ete divertie plusieurs fois pendant
l'execution de l'acte. Le doute est une consequence bien logique de la pre-
sence des obsessions. -
Obs. IX. — Folie du doute (hesitation). — La fille de l'obs. IV 6tait
devenuc extremement tardive dans toutes les actions de la vie ordinaire,
paiticulierement dans sa toilette. II lui fallait des beures pour nouer les
cordons de ses souliers ou pour se nettoyer les ongles de mains. Elle don-
nait comme explication qu'elle ne pouvait faire sa toilette ni pendant que
les pens^es obsedantes la preoecupaient,. ni immediatement apres; de sorte
qu'elle s'e'tait aecoutumee ä attendre un temps determine" apres chaque
retour de l'idce obsedante.
Obs. X. — Folie du doute, crainle des papiers. — Une jeune femme,
qui avait souffert des scrupules apres avoir ecrit une lettre, et qui dans
ce mßme temps ramassait tous les papiers qu'elle voyait, donnait comme
explication l'aveu d'un amour que jadis eile ne voulait pas confesser.
A force de se repeter sans cesse le nom de son bien-aime, eile fut
saisie par Ja peur que ce nom se serait glisse dans sa plume, qu'elle l'aurait
traeö sur quelque bout de jjapier dans une minute pensive 1 ).
Obs. XI. — Mysophobie. — Une femme qui se lavait les mains cent
fois par jour et ne touebait les loquets des portes que du coude.
Jicdiessement. — C'etait les cas de Lady Macbetb. Les lavages etaient
symboliques et destines ä substituer la purete physique ä la purete morale
qu'elle regrettait avoir perdue. Elle se tourmentait de remords pour une
infid^litc conjugale dont eile avait deeide de ebasser le souvenir. Elle se
lavait aussi les parties genitales.
■
Quant ä la theorie de cette Substitution, je me con-
tenterai de repondre k trois questions qui se posent ici:
1° Comment cette Substitution peut-elle se faire?
II semble qu'elle est Texpression d'une disposition psy-
chique speciale. Au moins .rencontre-t-on dans les obsessions
assez souvent l'heredite similaire, comme dans l'bysterie. Ainsi
le malade de l'obs. II me racontait que son pere avait souffert
i) Voir aussi la chanson populaire allcmande:
Auf jedes weiße Blatt Papier möcbt' icb es schreiben:
Dein ist mein Herz und soll es ewig, ewig bleiben.
90
de symptömes semblables. II me fit connaitre un jour ud cousin
germain avec obsessions et tic convulsif, et la fille de sa soeur,
äg<3e de 11 ans, qui montrait dejä des obsessions (probablement
de remords).
2° Qucl est le molif de Celle Substitution?
Je crois qu'en peut l'envisager comrae un acte de defense
(Abwehr) du moi contre Vidte inconciliablß. Parmi raes malades
il y en a qui se rappellent l'effort de la volonte pour chasser
l'idee ou le souvenir penible du rayon de la conscience (V. les
obs. III, IV, XI). En d'autres cas cette expulsion de l'idee
inconcili.ble s'est produite d'une maniere inconsciente qui n'a
pas laisse trace dans la memoire des malades.
3° Pourquoi l'etat dmotif associä ä Vidöe obsedante
s'est-ü perpäite, au Heu de s'6vanouir comme les autres ttats
de notre moi?
On peut donncr cette reponse en s'adressant il la theorie
developpce pour la genese des symptömes hysteriques par
M. Breuer et moi 1 ). Ici je veux seulement reraarquer que, par
le fait raeme de la Substitution, la disparition de l'etat emotif
devient impossible.
II.
A ces deux groupes d'obsessions vraies s'ajoute la classe
des „phobies", qu'il faut considerer maintenant. J'ai dejä men-
tionne la grande diflerence des^obsessions et des phobies; que
dans les dernieres l'etat emotirest toujours l'anxiete, la peur.
Je pourrais ajouter que les obse sions sont multiples et plus
specialisees, les "phobies plutot monotones et typiques.
Mais ce n'est pas une difference capitale.
On peut discerner aussi parmi les phobies deux groupes,
caracterises par l'objet de la peur: 1° phobies communes: peur
exagdre'e des choses que tout le monde abhorre ou craint un
peu: la nuit, la solitude, la mort, les maladies, les dangers en
general, les serpents, etc.: 2° phobies d'oecasion, peur de con-
ditions speciales^ qui n'inspirent pas la crainte ä l'bomme sain,
par exemple l'agoraphobie et les autres phobies de la loco-
motion. II est interessant ä noter que ces dernieres phobies ne
i) Xewologisches Zentralbkäl, 1893, Nr. 1 und 2.
91
sont pas obsedantes comine les obsessions vraies et les phobies
coinmunes. L'e"tat emotif ici ne parait que dans le cas de ces
conditions speciales que le malade evite soigneusement.
Le mecanisme des pbobies est tojit ä fait different de
celui des obsessions. Ce n'est plus le regne de la Substitution.
Ici on ne devoile plus par l'analyse psycbique une idee incon-
ciliable, Substitute. On ne trouve jamais autre cbose que l'ötat
emotif anxieux, qui par une sorte d'election a fait ressortir
toutes les idöes propres ä devenir l'objet d'une pbobie. Dans
le cas de l'agorapbobie, etc., on rencontre souvent le souvenir
d'une attaque d'angoisse, et en verite ce que redoute le malade
c'est l'evenement d'une teile attaque dans les conditions speciales
oü il croit ne pouvoir y ecbapper. /
L'angoisse de cet etat emotif, qui est au fond des pbobies,
n'est pas derive" d'un souvenir quelconque; on doit bien se
demander quelle peut etre la source de cette conditiou puis-
sante du Systeme uerveux.
Eb bien j'espere pouvoir demontrer une autre fois qu'il y
a lieu de constituer une nevrose speciale, la nevrose anxieuse,
de laquelle cet etat emotif est le Symptome principe!; je
donnerai l'enumeration de ses symptomes varies, et j'insisterai
en ce qu'il faut differencier cette növrose de la neurasthenie,
avec laquelle eile est maintenant confondue. Ainsi les phobies
fönt nart de la nicrose anxieuse, et elles sont presque toujours
accompagnees d'autres symptomes de la meme serie.
La nevrose anxieuse est d'origine sexuelle, eile aussi, autant
que je puis voir, mais eile ne se rattache pas ä des idees
tirees de la vie sexuelle: eile n'a pas de mecanisme psycbique,
h vrai dire. Son etiologie specifique est Paccumulation de la
tension genösique, provoquee par l'abstinence ou l'irritation
genesique f rüste (pour donner une formule generale pour
l'effet du coit reserve, de l'impotence relative du mari, des
excitations sans satisfaction des fiances, de l'abstinence
forcee, etc.).
C'est dans de telles oonditions extremement frequeutes,
principalement pour la femme dans la societe actuelle, que se
developpe la nevrose anxieuse, de laquelle les pbobies sont une
manifestation psycbique.
92
Je ferai remarquer, comme conclusion, qu'il peut y avoir
combinaison de phobie et d'obsession propre, et nieme que c'est
im evenement trös frequent. On peut trouver qu'il y avait au
commencement de la maladie une phobie dcveloppue comme Sym-
ptome de la nevrose anxieuse. L'idöe qui constitue la phobie qui
s'y trouve associee ä la peur, peut etre substituee par une autre
idee ou plutöt par le procädd protecteur qui semblait soulager la
peur. L'obs. VI (folie de la Spekulation) presente un bei exemple
de cette categorie, phobie doublte d'une Obsession vraic par Sub-
stitution.
vir.
Zur Kritik der j, Angstneurose" 1 )-
In Nummer 2 des Neurologischen Zentralblattes
von Mendel 1895 habe ich einen kleinen Aufsatz veröffent-
licht, in welchem ich den Versuch wage, eine Reihe von nervösen
Zuständen von der Neurasthenie abzutrennen und unter dem
Namen „Angstneurose" selbständig zu machen 2 ). Ich ließ mich
hierzu bewegen durch ein konstantes Zusammentreffen klinischer
und ätiologischer Charaktere, das ja überhaupt für eine Sonderung
maßgebend sein darf. Ich fand nämlich, worin mir E. Heck er 8 )
zuvorgekommen war, daß die in Eede stehenden neurotischen
Symptome sich sämtlich zusammenfassen ließen als zum Aus-
druck der Angst gehörig, und ich konnte aus meinen Bemü-
hungen um die Ätiologie der Neurosen hinzufügen, daß diese
Teilstücke des Komplexes „Angstneurose" besondere ätiologische
Bedingungen erkennen lassen, die der Ätiologie der Neurasthenie
nahezu gegensätzlich sind. Meine Erfahrungen hatten mich ge-
lehrt, daß in der Ätiologie der Neurosen (wenigstens der er-
worben e n Fälle und erwerbbaren Formen) sexuelle Momente
eine hervorragende und viel zu wenig gewürdigte Holle spielen,
so daß etwa die Behauptung, „die Ätiologie der Neurosen liege
in der Sexualität", bei all ihrer notwendigen Unrichtigkeit per
excessum et defectum doch der Wahrheit näher kommt als die
1 ) Wiener klinische Rundschau, 1895.
2 ) "Über die Berechtigung-, von der Neurasthenie einen bestimmten
Symptomenkomplex als „Angstneurose" abzutrennen, von Dr. Sigm.
Freud.
•*) E. Heck er. Über larvierte und abortive Angstzustände bei
Neurasthenie. Zentralblatt für Nervenheilkunde, Dez. 1893.
t- • ^
94
anderen, gegenwärtig herrschenden Lehren. Ein weiterer Satz, zu
dem mich die Erfahrung drängte, ging dahin, daß die verschie-
denen sexuellen Noxen nicht etwa unterschiedslos in der
Ätiologie aller Neurosen zu finden seien, sondern daß unver-
kennbar besondere Beziehungen einzelner Noxen zu einzelnen
Neurosen beständen. Ich durfte so annehmen, daß ich die
spezifischen Ursachen der einzelnen Neurosen aufgedeckt
habe. Ich suchte dann die Besonderheit der sexuellen Noxen,
welche die Ätiologie der Angstneurose ausmachen, in eine kurze
Formel zu fassen, und gelangte (in Anlehnung an meine Auf- •
fassung des Sexualvorganges, 1. c. p. 61) zu dem Satze: Angst-
neurose schaffe alles, was die somatische Sexualspannung vom
Psychischen abhalte, an ihrer psychischen Verarbeitung störe.
Wenn man auf die konkreten Verhältnisse zurückgeht, in denen
sich dieses Moment zur Geltung bringt, so ergibt sich die Be- .
hauptung, daß freiwillige oder unfreiwillige Abstinenz, sexueller
Verkehr mit unvollständiger Befriedigung, Coitus interruptus,
Ablenkung des psychischen Interesses von der Sexualität u. dgl. m.,
die spezifischen ätiologischen Faktoren der von mir Angstneurose
genannten Zustände seien.
Als ich meine hier erwähnte Mitteilung zur Veröffent-
lichung brachte, täuschte ich mich keineswegs über deren Macht,
Überzeugung zu erwecken. Zunächst konnte ich mir ja sagen,
daß ich nur eine knappe, unvollständige, stellenweise sogar
schwer verständliche Darstellung gegeben hatte, vielleicht gerade
genügend, um die Erwartung der Leser vorzubereiten. Sonst
hatte ich kaum Beispiele angeführt und keine Zahlen genannt,
die Technik der Erhebung der Anamnese nicht gestreift, zur
Verhütung von Mißverständnissen nichts vorgesorgt, andere als
die naheliegendsten Einwände nicht berücksichtigt und von der
Lehre selbst eben nur den Hauptsatz und nicht die Einschrän-
kungen hervorgehoben. Demnach konnte auch wirklich ein jeder
sich seine eigene Meinung von der Verbindlichkeit der ganzen
Aufstellung bilden. Ich konnte aber noch auf eine andere Er-
schwerung der Zustimmung rechnen. Ich weiß sehr wohl, daß
ich mit der „sexuellen Ätiologie" der Neurosen nichts Neues
vorgebracht habe, daß die Unterströmungen in der medizinischen
Literatur, welche diesen Tatsachen Rechnung getragen, nie aus-
f
95
gegangen sind, und daß die offizielle Medizin der Schulen sie
eigentlich auch gekannt hat. Allein die letztere hat so getan, als
wüßte sie nichts davon; sie hat von ihrer Kenntnis keinen
Gebrauch gemacht, keine Folgerung aus ihr gezogen. Solches
Verhalten muß wohl eine tiefgehende Begründung haben, etwa
in einer Art von Scheu, sexuelle Verhältnisse ins Auge zu
fassen, oder in einer Reaktion gegen ältere, als überwunden
betrachtete Erklärungsversuche. Jedenfalls mußte man vor-
bereitet sein, auf Widerstand zu stoßen, wenn man. den Ver-
such wagte, Anderen etwas glaubwürdig zu machen, was diese
ohne jede Mühe auch selbst hätten entdecken können.
Es wäre bei solcher Sachlage vielleicht zweckmäßiger, auf
kritische Einwendungen nicht eher zu antworten, als bis ich
mich über das komplizierte Thema selbst ausführlicher geäußert
und besser verständlich gemacht hätte. Dennoch kann ich den
Motiven nicht widerstehen, die mich veranlassen, einer Kritik
meiner Lehre von der Angstneurose aus den letzten Tagen
auch unverzüglich zu begegnen. -Ich tue dies wegen der Person
des Autors, L. Löwenfeld in München, des Verfassers der
„Pathologie und Therapie der Neurasthenie und Hysterie",
dessen Urteil beim ärztlichen Publikum schwer ins Gewicht
fallen dürfte, wegen einer mißverständlichen Auffassung, mit
welcher mich die Darstellung Löwen felds belastet, und weil
ich von Anfang an den Eindruck bekämpfen möchte, als sei
meine Lehre gar so mühelos durch die nächstbesten, im Vorbei-
gehen angebrachten Einwendungen zu widerlegen.
Löwenfeld 1 ) findet mit sicherem Blick als das Wesent-
liche meiner Arbeit heraus, daß ich für die Angstsymptome
eine spezifische und einheitliche Ätiologie sexueller Natur
behaupte. Ist dies nicht als Tatsache festzustellen, so entfällt
auch der Hauptgrund für die Abtrennung einer selbständigen
Angstneurose von der Neurasthenie. Es erübrigt dann allerdings
eine Schwierigkeit, auf die ich aufmerksam gemacht habe, daß
nämlich die Angstsymptome so unverkennbare Beziehungen auch
') L. Löwenfeld. Über die Verknüpfung neurasthenischer und
hysterischer Symptome in Anfallsform nebst Bemerkungen über die Freud-
sche Angstneurose. Münchener med. Wochenschr. Nr. 13, 1895.
M
96
zur Hysterie haben, so daß durch die Entscheidung im Sinne
Löwenfelds die Sonderung von Hysterie und Neurasthenie
zu Schaden kommt; allein dieser Schwierigkeit wird durch die
später zu würdigende Berufung auf die Heredität als gemein-
same Ursache all dieser Neurosen begegnet.
Durch welche Argumente stützt nun Löwenfeld den
Einspruch gegen meine Lehre?
1. Ich habe als wesentlich für das Verständnis der Angst-
neurose hervorgehoben, daß die' Angst derselben eine psychische
Ableitung nicht zuläßt, das heißt, daß man die Angstbereit-
schaft, die den Kern der Neurose bildet, nicht durch einen ein-
maligen oder wiederholten, psychisch berechtigten Schreckaffekt
erwerben kann. Durch Schreck entstünde wohl eine Hysterie oder
traumatische Neurose, aber keine Angstneurose. Es ist diese
Leugnung, wie man leicht einsieht, nichts anderes als das Gegen-
stück zu meiner Behauptung positiven Inhalts, die Angst meiner
Neurose entspreche somatischer und vom Psychischen abge-
lenkter Sexualspannung, die sich sonst als Libido geltend ge-
macht hätte.
Dagegen betont nun Löwenfeld, daß in einer Anzahl
von Fällen „Angstzustände unmittelbar oder einige Zeit nach
einem psychischen Shok (bloßem Schreck oder Unfällen, die mit
Schrecken verbunden waren) auftreten, und daß zum Teil hier-
bei Verhältnisse bestehen, welche die Mitwirkung sexueller Schäd-
lichkeiten der angegebenen Art höchst unwahrscheinlich machen".
Er' teilt als besonders prägnantes Beispiel eine .Krankenbeob-
achtung (anstatt vieler) in Kürze mit. In diesem Beispiel handelt
es sich um eine 30jährige, seit vier Jahren verheiratete Frau,
erblich belastet, die vor einem Jahre eine erste schwierige Ent-
bindung hatte. Wenige Wochen nach ihrer Niederkunft erschrak
sie über einen Krankheitsanfall ihres Mannes, lief in ihrer Auf-
regung im Hemd im kalten Zimmer herum. Von da an krank,
zuerst mit abendlichen Angstzuständen und Herzklopfen, später
kamen Anfälle von konvulsivischem Zittern und in weiterer Folge
Phobien u. dgl.: das Bild einer voll entwickelten Angstneurose.
„Hier sind die Angstzustände", schließt Löwenfeld, „offenbar
psychisch abgeleitet, durch den einmaligen Schrecken herbei-
geführt."
97
Ich bezweifle nicht, daß der geehrte Autor über viele ähn-
liche Fälle verfügt; kann ich doch selbst mit einer großen Reihe
analoger Beispiele dienen. Wer solche Fälle von Ausbruch der
Angstneurose nach psychischem Shok. überaus häufige Vor-
kommnisse, nicht gesehen hätte, dürfte sich nicht anmaßen, in
Sachen der Angstneurose mitzusprechen. Ich will nur dabei an-
merken, daß in der Ätiologie solcher Fälle nicht jedesmal
Schreck oder ängstliche Erwartung nachweisbar sein muß; eine
beliebige andere Gemütsbewegung tut es auch. Wenn ich rasch
einige Fälle aus meiner Erinnerung mustere, so fällt mir ein
Mann von 45 Jahren ein, der den ersten Angstanfall (mit
Herzkollaps) auf die Nachricht vom Tode «eines betagten Vaters
bekam; von da an entwickelte sich volle und typische Angst-
neurose mit Agoraphobie; ferner ein junger Mann, der in die-
selbe Neurose durch die Erregung über die Zwistigkeiten zwischen
seiner jungen Frau und seiner Mutter verfiel und nach jedem
neuen häuslichen Zank neuerdings agoraphobisch wurde; ein
Student, der, einigermaßen verbummelt, die ersten Angstanfälle
in einer Periode scharfer Prüfungsarbeit unter dem Sporn
väterlicher Ungnade produzierte; eine selbst kinderlose Frau,
■die infolge der Angst um die Gesundheit einer kleinen Nichte
erkrankte, u. dgl. m. An der Tatsache selbst, die Löwenfeld
gegen mich verwertet, besteht nicht der leiseste Zweifel.
Wohl aber an ihrer Deutung. Es fragt sich, soll mau hier
ohne weiteres auf das post hoc ergo propter hoc eingehen, sich
jede kritische Verarbeitung des Rohmaterials ersparen? .Man
kennt ja Beispiele genug dafür, daß die letzte auslösende Ur-
sache sich vor der kritischen Analyse nicht als causa efficiens
bewähren konnte. Man denke an das Verhältnis von Trauma
und Gicht beispielsweise! Die Rolle des Traiimas ist hier, bei
^ler Provokation eines Gichtanfalles in. dem vom Trauma be-
troffenen Glied, wahrscheinlich keine andere, als sie iu der
Ätiologie der Tabes und der Paralyse sein dürfte; nur scheint
im Beispiel der Gicht bereits für jede Einsicht absurd, daß das
Trauma die Gicht „verursacht" anstatt provoziert haben sollte.
Man muß doch nachdenklich werden, wenn man ätiologische
Momente solcher Art — banale möchte ich sie # nennen — in
der Ätiologie der mannigfaltigsten Krankheitszustände antrifft.
Freud, Veurojenlehre. 1.4 Auflage. 7
98
\
Gemütsbewegung, Schreck ist auch solch ein banales Moment;
Chorea, Apoplexie, Paralysis agitans und was nicht alles sonst
kann der Schreck geradeso hervorrufen wie eine Angstneurose:
Nun darf ich freilich nicht weiter argumentieren, wegen dieser
Ubiquitüt genügten die banalen Ursachen unseren Anforderun-
gen nicht, es müßte außerdem spezifische Ursachen geben.
Das hieße den Satz, den ich erweisen will, vorwegnehmen. Ich
bin aber berechtigt, folgenderart zu schließen: "Wenn sich die
nämliche spezifische Ursache in der Ätiologie aller oder der
allermeisten Fälle von Angstneurose nachweisen läßt, dann
braucht sich unsere Auffassung nicht dadurch beirren lassen,
daß der Ausbruch der Krankheit erst nach der Einwirkung des
einen oder andern banalen Momentes, wie es Gemütsbewegung
ist, erfolgt.
So war es nun in meinen Fällen von Angstneurose. Der
Mann, der — "rätselhafterweise — auf die Nachricht vom
Tode seines Vaters erkrankte (ich mache diese Randglosse, weil
dieser Tod nicht unerwartet und nicht unter ungewöhnlichen,
erschütternden Umständen erfolgte), dieser Mann lebte seit elf
.Jahren im Coitus interruptus mit seiner Ehefrau, welche er
meistens zu befriedigen trachtete; der junge Mann, der den.
Streitigkeiten zwischen seiner Frau und seiner Mutter nicht ge-
wachsen war, hatte bei seiner jungen Frau von Anfang an das
Zurückziehen geübt, um sich die Belastung mit Nachkommen-
schaft zu ersparen; der Student, der sich durch Überarbeitung,
eine Angstneurose zuzog anstatt der zu erwartenden Cerebras-
thenie, unterhielt seit drei Jahren ein Verhältnis mit einem
Mädchen, das er nicht schwängern durfte; die Frau, die, selbst
kinderlos, über die Krankheit einer Nichte der Angstneurose-
verfiel, war mit einem impotenten Mann verheiratet und sexuell
nie befriedigt worden u. dgl. Nicht alle diese Fälle sind
gleich klar oder für meine These gleich gut beweisend; aber
wenn ich sie an die sehr beträchtliche Anzahl von Fällen
anreihe, in denen die Ätiologie nichts anderes als das spezi-
fische Moment aufweist, fügen sie sich der von mir aufgestellten»
•>fcehre widerspruchslos ein und gestatten eine Erweiterung:
unseres ätiologischen Verständnisses über die bisher geltenden
Grenzen.
<j9
| Wenn mir jemand nachweisen will, daß ich in vorstehen-
der Betrachtung die Bedeutung der banalen ätiologischen
Momente ungebührlich zurückgesetzt habe, so muß er mir Be-
obachtungen entgegenhalten, in denen mein spezifisches Moment
vermißt wird, also Fälle von Entstehung der Angfitneurose nach
psychischem Shok bei (im ganzen) normaler Vita sexualis.
Man urteile nun, ob der Fall von Löwen feld diese Bedingung
erfüllt. Mein geehrter Gegner hat sich diese Anforderung offen-
bar nicht klar gemacht, sonst würde er uns über die Vita
sexualis seiner Patientin nicht so völlig im unklaren lassen. Ich
will es beiseite lassen, daß der Fall der 30jährigen Dame
offenbar mit einer Hysterie kompliziert ist, an deren psychischer
Ableitbarkeit ieh am wenigsten zweifle; ich gebe die Angst-
neurose neben dieser Hysterie natürlich ohne Einspruch zu.
Aber ehe ich einen Fall für oder gegen die Lehre von der
sexuellen Ätiologie der Neurosen verwerte, muß ich das sexuelle
Verhalten der Patientin eingehender als Löwenfeld hier
studiert haben. Ich werde mich nicht mit dem Schlüsse be-
gnügen: da die Dame zur Zeit des psychischen Shoks kurz
nach einer Entbindung war, dürfte der Coitus interruptus im
letzten Jahre keine Bolle gespielt haben und somit sexuelle
Noxen hier entfallen. Ich kenne Fälle von Angstneurose bei
jährlich wiederholter Gravidität, weil (unglaublicherweise) von
dem befruchtenden Koitus an jeder Verkehr eingestellt wurde,
so daß die kinderreiche Frau all die Jahre über an Entbehrung
litt. Es ist keinem Arzte unbekannt, daß Frauen von sehr wenig
potenten Männern konzipieren, die nicht imstande sind, ihnen
Befriedigung zu verschaffen, und endlich gibt es, womit gerade
die Vertreter der Hereditätsätiologie rechnen sollten, Frauen
genug, die mit einer kongenitalen Angstneurose behaftet sind,
d. h. die eine solche Vita sexualis mitbringen respektive ohne
nachweisbare äußere Störung entwickeln, wie man sie sonst
durch Coitus interruptus und ähnliche Noxen erwirbt. Bei einer
Anzahl dieser Frauen kann man eine hysterische Erkrankung
der Jugendjahre eruieren, seit welcher die Vita sexualis gestört
und eine Ablenkung der Sexualspannung vom Psychischen her-
gestellt ist. Frauen mit solcher Sexualität sind einer wirklichen
Befriedigung selbst durch normalen Koitus unfähig und ent-
.»---
100
wickeln Angstneurose entweder spontan oder nach dem Zutritt
weiterer wirksamer Momente. Was von alledem mag in dem
Falle Löwen felds vorgelegen haben? Ich weiß es nicht, aber
ich wiederhole, gegen mich beweisend ist dieser Fall nur, wenn
die Dame, die auf einmaligen Schreck mit einer Angstneurose,
antwortete, sich vorher einer normalen Vita sexualis erfreut hat.
Wir können unmöglich ätiologische Forschungen aus der
Anamnese betreiben, wenn wir die Anamnese so hinnehmen, wie
der Kranke sie gibt, oder uns mit dem begnügen, was er uns
preisgeben will. Wenn die Syphilidologen die Zurückfükmng
eines Initialaffektes an den Genitalien auf sexuellen Verkehr
noch von der Aussage des Patienten abhängen ließen, würden
sie eine ganz stattliche Anzahl von Schankern bei angeblich
virginalen Individuen von Erkältung herleiten können, und die
Gynäkologen fänden kaum Schwierigkeiten, das Wunder der
Parthenogenesis an ihren unverheirateten Klientinnen zu bestä-
tigen. Ich hoffe, es wird dereinst durchdringen, daß auch die
Neuropathologen bei der Erhebung der Anamnese großer Neu-
rosen von ähnlichen ätiologischen Vorurteilen ausgehen dürfen.
2. Ferner sagt Löwenfeld, er habe wiederholt Angst-
zustände auftauchen und verschwinden gesehen, wo eine Ände-
rung im sexuellen Leben sicher nicht statthatte, dagegen andere
Faktoren im Spiele waren.
Ganz dieselbe Erfahrung habe ich auch gemacht, ohne
daß sie mich beirrt hätte. Auch ich habe die Angstzufälle durch
psychische Behandlung, Allgemeinbesserung u. dgl. zum Schwin-
den gebracht. Ich habe natürlich daraus nicht geschlossen, dati
der Mangel an Behandlung die Ursache der Angstanfälle war.
Nicht etwa, daß ich L Owen fei d einen derartigen Schluß
unterschieben wollte; ich will mit obiger* scherzhafter Bemerkung
nur andeuten, daß die Sachlage leicht kompliziert genug sein
kann, um den Einwand von Löwenfeld völlig zu entwerten.
Ich habe es nicht schwer gefunden, die hier vorgebrachte Tat-
sache mit der Behauptung der spezifischen Ätiologie der Angst-
neurose zu vereinigen. Man wird mir gerne zugestehen, daß es
ätiologisch wirksame Momente gibt, die, um ihre Wirkung zu
üben, in einer gewissen Intensität (oder Quantität) und über
einen gewissen Zeitraum wirken müssen, die sich also suni-
101
1
mieren; die Alkohol Wirkung ist ein Vorbild für solche Ver-
ursachung durch Summation. Demnach wird es einen Zeitraum
geben dürfen, in dem die spezifische Ätiologie in ihrer Arbeit
begriffen, aber deren Wirkung noch nicht manifest ist. Während
solcher Zeit ist die Person noch nicht krank, aber sie ist zur
bestimmten Erkrankung, in unserem Falle zur Angstneurose,
disponiert, und nun wird der Zutritt einer banalen Noxe die
Neurose auslösen können, geradeso wie eine weitere Steigerung
in der Einwirkung der spezifischen Noxe. Man kann dies auch
so ausdrücken: Es reicht nicht hin, daß das spezifische ätio-
logische Moment vorhanden ist, es muß auch ein bestimmtes
Maß davon voll werden, und bei der Erreichung dieser Grenze
kann eine Quantität spezifischer Noxe durch einen Betrag ba-
naler Schädlichkeit ersetzt werden. Wird letzterer wieder weg-
genommen, so befindet man sich unterhalb einer Schwelle; die
Krankheitserscheinungen treten wieder zurück. Die ganze Therapie
der Neurosen beruht darauf, daß man die Gesamtbelastung des
Nervensystems, welcher dieses erliegt, durch sehr verschieden-
artige Beeinflussungen der ätiologischen Mischung unter die
Schwelle bringen kann. Auf Fehlen oder Existenz einer spezifi-
schen Ätiologie ist aus diesen Verhältnissen kein Schluß zu
ziehen.
Das sind doch gewiß einwurfsfreie und gesicherte Er-
wägungen. Wem sie noch nicht genügen, der möge folgendes
Argument auf sich wirken lassen. Nach der Ansicht Löwen-
felds und so vieler anderer ist in der Heredität die Ätio-
logie der Angstzustände. Die Heredität ist nun gewiß einer
Änderung entzogen; wenn Angstneurose durch Behandlung ge-
beilt wird, sollte man nun mit Löwen feld schließen dürfen,
daß die Heredität nicht die Ätiologie enthalten kann.
Übrigens, ich hätte mir die Verteidigung gegen die beiden
angeführten Einwände von Löwen feld ersparen können, wenn
mein geehrter Gegner meiner Arbe.it selbst größere Aufmerksam-
keit geschenkt hätte. Die beiden Einwendungen sind in meiner
Arbeit selbst vorgesehen und beantwortet (p. 73 ff.); ich könnte
die Ausführungen von dort hier nur wiederholen, ich habe mit
Absicht selbst die nämlichen Krankheitsfälle hier neuerdings
analysiert. Auch die ätiologischen Formeln, auf die ich eben
102
vorhin Wert legte, sind im Texte meiner Abhandlung enthalten.
Ich will sie hier nochmals wiederholen. Ich behaupte: Es gibt
für die Angstneurose ein spezifisches ätiologisches
Moment, welches in seiner Wirkung von banalen
Schädlichkeiten zwar quantitativ vertreten, aber
nicht qualitativ ersetzt werden kann. Ferner: Dieses
spezifische Moment bestimmt vor allem die Form
der Neurose; ob eine neurotische Erkrankung über-
haupt zustande kommt, hängt von der Gesamt-
belastung des Nervensystems (im Verhältnis zu
dessen Tragfähigkeit) ab. In der Regel sind die Neurosen
üb er de terminiert, d. h. es wirken in ihrer Ätiologie mehrere
Faktoren zusammen.
3. Um die Widerlegung der nächsten Bemerkungen
Löwen felds brauche ich mich weniger zu bemühen, da die-
selben einerseits meiner Lehre wenig anhaben, anderseits
Schwierigkeiten hervorheben, die ich als vorhanden anerkenne.
Löwenfeld sagt: „Die Freudsche Theorie ist aber ganz und
gar ungenügend, das Auftreten* und Ausbleiben der Angst-
anfälle im einzelnen zu erklären. Wenn die Angstzustände, i. e.
die Erscheinungen der Angstneurose, lediglich durch subkorti-
kale Aufspeicherung der somatischen Sexualerregung und ab-
norme Verwendung derselben zustande kommen würden, so
müßte jeder mit Angstzuständen Behaftete, so lange keine
Änderungen in seinem sexuellen Leben eintreten, von Zeit zu
Zeit einen Angstanfall haben, wie der Epileptische seinen Anfall
von grand und petit mal hat. Dies ist aber, wie die alltägliche
Erfahrung zeigt, durchaus nicht der Fall. Die Angstanfälle
treten weit überwiegend nur bei bestimmten Anlässen ein; wenn
der Patient diese meidet oder durch irgend eine Vorkehrung
deren Einfluß zu paralysieren weiß, so bleibt er von Angst-
anfällen verschont, er mag dem Congressus interruptus oder
der Abstinenz andauernd huldigen oder sich einer normalen
Vita sexualis erfreuen."
Darüber ist nun sehr viel zu sagen. Zunächst, daß
Löwenfeld meiner Theorie eine Folgerung aufnötigt, die sie
nicht zu akzeptieren braucht. Daß es bei der Aufspeicherung
der somatischen Sexualerreguug so zugehen müsse wie bei der
103
Anhäufung des Reizes zum epileptischen Krämpfe, ist eine allzu
detaillierte Aufstellung, zu welcher ich keinen Anlaß gegeben
habe, und ist nicht die einzige, die sich darbietet. Ich brauche
nur anzunehmen, daß das Nervensystem ein gewisses Maß von
somatischer Sexualerregung, auch wenn diese von ihrem Ziele
abgelenkt sei, zu bewältigen vermöge, und daß Störungen nur
dann entstehen, wenn das Quantum dieser Erregung eine plötz-
liche Steigerung erfährt, und die Anforderung Löwen felds
wäre beseitigt. Ich habe mich nicht getraut, meine Theorie
nach dieser Richtung hin auszubauen, hauptsächlich darum,
weil ich keine sicheren Stützpunkte auf dem Wege dahin zu
finden erwartete. Ich will bloß andeuten, daß wir uns die Pro-
duktion von Sexualspannung nicht unabhängig von ihrer Ver-
ausgabung vorstellen dürfen, daß im normalen Sexualleben diese
Produktion bei Anregung durch das Sexualobjekt sich wesent-
lich anders gestaltet als bei psychischer Ruhe u. dgl.
Zuzugeben ist, daß die Verhältnisse hier wohl anders
liegen als bei epileptischer Krampfneigung, und daß sie aus der
Theorie der Aufspeicherung somatischer Sexualerregung noch
nicht im Zusammenhange abzuleiten sind.
Der weiteren Behauptung Löwenfelds, daß die Angst-
zustände nur bei gewissen Anlässen auftreten, bei deren Ver-
meidung sie ausbleiben, gleichgültig, welches die Vita sexualis
des Betreffenden sein mag, ist entgegenzuhalten, daß Löwen-
feld hierbei offenbar nur die Angst der Phobien im Auge
hat, wie auch die an die zitierte Stelle geknüpften Beispiele
zeigen. Von den spontanen Angstanfällen, deren Inhalt Schwindel,
Herzklopfen, Atemnot, Zittern, Schweiß u. dgl. ist, spricht er
gar nicht. Das. Auftreten und Ausbleiben dieser Angstanfälle
zu erklären, scheint meine Theorie aber keineswegs untüchtig.
In einer ganzen Reihe solcher Fälle von Angstneurose ergibt
sich nämlich wirklich der Anschein einer Periodizität des Auf^
tretens von Angstzuständen ähnlich der bei Epilepsie beobach-
teten, nur daß hier der Mechanismus dieser Periodizität durch-
sichtiger wird. Bei näherer Erforschung findet man nämlich mit
großer Regelmäßigkeit einen aufregenden sexuellen Vorgang auf
(d. h. einen solchen, der imstande ist, somatische Sexualspan-
nung zu entbinden), an welchen sich mit Einhaltung eines be-
104
I
stimmten, oft ganz konstanten Zeitintervalles der Angstanfall
anschließt. Diese Rolle spielen bei abstinenten Frauen die-
menstruale Erregung, die gleichfalls periodisch wiederkehrenden,
nächtlichen Pollutionen, vor allem der (in seiner Unvollständig-
keit schädliche) sexuelle VeYkehr selbst, der diesen seinen "Wir-
kungen, den Angstanfällen, die eigene Periodizität überträgt.
Kommen Angstaniälle, welche die gewohnte Periodizität durch-
brechen, so gelingt es zumeist, sie auf eine Gelegenheitsursache
von seltenerem und unregelmäßigem Vorkommen zurückzuführen,
ein vereinzeltes sexuelles Erlebnis, Lektüre, Schaustellung u. dgl.
Das Intervall, das ich erwähnt habe, beträgt einige Stunden
bis zu zwei Tagen; es ist dasselbe, mit welchem bei anderen
Personen auf dieselben Veranlassungen hin die bekannte Sexual-
migräne auftritt, die ihre sicheren Beziehungen zum Symptomen-
komplex der Angstneurose hat.
Daneben gibt es reichlich Fälle, in denen der einzelne
Angstzustand durch das Hinzutreten eines banalen Momentes,
durch Aufregung beliebiger Art, provoziert wird. Es gilt also
für die Ätiologie des einzelnen Angstanfalles dieselbe Vertre-
tung wie für die Verursachung der ganzen Neurose. Daß die
Angst der Phobien anderen Bedingungen folgt, ist nicht sehr
verwunderlich; die Phobien haben ein komplizierteres Gefüge
als die einfach somatischen Angstanfälle. Bei ihnen ist die
Angst mit einem bestimmten Vorstellungs- oder Wahrnehmungs-
inhalt verknüpft, und die Erweckung dieses psychischen Inhaltes
ist die Hauptbedingung für das Auftreten dieser Angst. Die
Angst wird dann „entbunden", ähnlich wie z. B. die Sexual-
spannung durch die Erweckung libidinöser Vorstellungen; aber
dieser Vorgang ist allerdings in seinem Zusammenhange mit der ;'
Theorie der Angstneurose noch nicht aufgeklärt.
Ich sehe nicht ein, weshalb ich streben sollte, Lücken und
Schwächen meiner Theorie zu verbergen. Die Hauptsache an
dem Problem der Phobien scheint mir zu sein, daß Phobien
bei normaler Vita sexualis — d. i. bei Nichterfüllung der
spezifischen Bedingung von Störung der Vita sexualis im Sinne
einer Ablenkung des Somatischen vom Psychischen — über-
haupt nicht zustande kommen. Mag sonst am Mechanis-
mus der Phobien noch so Vieles dunkel sein, meine Lehre ist
. - ^— _—
■i-
105
erst widerlegt, wenn man mir Phobien bei normaler Vita sexualis
oder selbst bei nicht spezifisch bestimmter Störung derselben
nachweist.
4. Ich übergehe nun zu einer Bemerkung, die ich meinem
geehrten Herrn Kritiker nicht unwidersprochen lassen darf.
Ich hatte in meiner Mitteilung über die Angstneurose
(]. c. p. 69) geschrieben:
„In manchen Fällen von Angstneurose läßt sich eine
Ätiologie überhaupt nicht erkennen. Es ist bemerkenswert, daß
in solchen Fällen der Nachweis einer schweren hereditären Be-
lastung selten auf Schwierigkeiten stößt."
„Wo man aber Grund hat, die Neurose für eine erwor-
ben e zu halten, da findet man bei sorgfältigem, dahin zielendem
Examen als ätiologisch wirksame Momente eine Reihe von
Schädlichkeiten und Einflüssen aus dem Sexualleben . . . .
Löwenfeld druckt diese Stelle ab lind knüpft an sie folgende
Glosse: „Als „erworben" scheint demnach F. die Neurose immer
zu betrachten, wenn Gelegenheitsursachen derselben aufzufin-
den sind."
Wenn sich dieser Sinn zwanglos aus meinem Texte ab-
leiten läßt, so gibt letzterer meinem Gedanken sehr entstellten
Ausdruck. Ich mache darauf aufmerksam, daß ich vorhin in
der Wertschätzung der Gelegenheitsursachen mich weit strenger
als Löwen fei d erwiesen habe. Sollte ich die Meinung meiner
Sätze selbst erläutern, so würde ich es tun, indem ich nach der
Bedingung: Wo man aber Grund hat, die Neurose für
eine erworbene zu halten . . ., einschalte: weil der (im
vorigen Satz erwähnte) Nachweis hereditärer Be-
lastung nicht gelingt. Der Sinn ist: Ich halte den Fall
für einen erworbenen, in dem sich Heredität nicht nachweisen
läßt. Ich benehme mich dabei wie alle Welt, vielleicht mit dem
kleinen Unterschiede, daß andere den Fall auch dann für here-
ditär bedingt erklären, wo Heredität nicht besteht, so daß sie
die ganze Kategorie erworbener Neurosen übersehen. Die«er
Unterschied aber läuft zu meinen Gunsten. Ich gestehe jedoch
zu, daß ich solches Mißverständnis durch die Redewendung im
ersten Satze: „es läßt sich eine Ätiologie überhaupt nicht er-
kennen", selbst verschuldet habe. Ich werde sicherlich auch von
106
anderer Seite zu hören bekommen, ich schaffe mir mit der
Suche nach den spezifischen Ursachen der Neurosen überflüssige
Mühe. Die wirkliche Ätiologie der Angstneurosen wie der Neu-
rosen überhaupt sei ja bekannt, es sei die Heredität, und zwei
wirkliche Ursachen könnten nebeneinander nicht bestehen. Die
ätiologische Rolle der Heredität leugnete ich wohl nicht? Dann
aber seien alle anderen Ätiologien — Gelegenheitsursachen und
einander gleichwertig oder gleich minderwertig.
Ich teile diese Anschauung über die Rolle der Heredität
nicht, und da ich gerade dieses Thema in meiner kurzen Mit-
teilung über die Angstneurose am wenigsten gewürdigt habe,
will ich versuchen, hier etwas vom Unterlassenen nachzuholen
und den Eindruck zu verwischen, als hätte ich mich bei der
Abfassung meiner Arbeit nicht um alle zugehörigen -Rätsel-
fragen gemüht.
Ich glaube, man ermöglicht sich eine Darstellung der
wahrscheinlich sehr komplizierten ätiologischen Verhältnisse, die
in der Pathologie der Neurosen obwalten, wenn man sich fol-
gende ätiologische Begriffe festlegt:
a) Bedingung, b) spezifische Ursache, c) kon-
kurrierende Ursache und, als den vorigen nicht gleich-
wertigen Terminus, d) Veranlassung oder auslösende
Ursache.
Um allen Möglichkeiten zu genügen, nehme man an, es
handle sich um ätiologische Momente, die einer quantitativen
Veränderung, also der Steigerung oder Verringerung fähig sind.
Läßt man sich die Vorstellung einer mehrgliedrigen ätio-
logischen Gleichung gefallen, die erfüllt sein muß, wenn der
Effekt zustande kommen soll, so charakterisiert sich als Ver-
anlassung oder auslösende Ursache diejenige, welche zuletzt
in die Gleichung eintritt, so daß sie dem Erscheinen des
Effektes unmittelbar vorhergeht. Nur dieses zeitliche Moment
macht das Wesen der Veranlassung aus, jede der andersartigen
Ursachen kann im Einzelfalle auch die Rolle der Veranlassung
spielen; in derselben ätiologischen Häufung kann diese Rolle
wechseln.
Als Bedingungen sind solche Momente zu bezeichnen
bei deren Abwesenheit der Effekt nie zustande käme, die aber
, 107
-für sich allein auch unfähig sind, den Effekt zu erzeugen, sie
mögen in noch so großem Ausmaße, vorhanden sein. Es fehlt
•dazu noch die spezifische Ursache.
Als spezifische Ursache gilt diejenige, die in keinem
Falle von Verwirklichung des Effektes vermißt wird, und die in
■entsprechender Quantität oder Intensität auch hinreicht, den
Effekt zu erzielen, wenn nur noch die Bedingungen erfüllt sind.
Als konkurrierende Ursachen darf man solche Mo-
mente auffassen, welche weder jedesmal vorhanden sein müssen,
noch imstande sind, in beliebigem Ausmaße ihrer Wirkung für
sich allein den Effekt zu erzeugen, welche aber neben den Be-
•dingungen und der spezifischen Ursache zur Erfüllung der ätio-
logischen Gleichung mitwirken.
Die Besonderheit der konkurrierenden oder Hilfsursachen
scheint klar; wie unterscheidet man aber Bedingungen und
-spezifische Ursachen, da sie beide unentbehrlich und doch keines
von ihnen allein zur Verursachung genügend sind?
Da scheint denn folgendes Verhalten eine Entscheidung
zu gestatten. Unter den „notwendigen Ursachen" findet
man mehrere, die auch in den ätiologischen Gleichungen vieler
anderer Effekte wiederkehren, daher keine besondere Beziehung
zum einzelnen Effekte verraten; eine dieser Ursachen aber stellt
sich den anderen gegenüber, dadurch, daß sie in keiner andern
oder in sehr wenigen ätiologischen Formeln aufzufinden ist, und
diese hat den Anspruch, spezifische Ursache des betreffenden
Effektes zu heißen. Ferner sondern sich Bedingungen und
spezifische Ursache besonders deutlich in solchen Fällen, in
denen die Bedingungen den Charakter von lange bestehenden
und wenig veränderlichen Zuständen haben, die spezifische Ur-
sache eiriem rezent einwirkenden Faktor entspricht.
Ich will ein Beispiel für dieses vollständige ätiologische
Schema versuchen:
Effekt: Phthisis pulmonum. •
Bedingung: Disposition, meist hereditär durch Organ-
beschaffenheiten gegeben.
Spezifische Ursache: Der Bazillus Kochii.
Hilfsursachen: Alles Depotenzierende: Gemütsbewe-
gungen wie Eiterungen oder Erkältungen.
108
Das Schema für die Ätiologie der Angstneurose scheint
mir ähnlich zu lauten:
Bedingung: Heredität.
Spezifische Ursache: Ein sexuelles Moment im Sinne-
einer Ablenkung der Sexualspannung vom Psychischen.
Hilfs Ursachen: Alle banalen Schädigungen: Gemüts-
bewegung, Schreck, wie physische Erschöpfung durch Krankheit
oder Überleistnng.
Wenn ich diese ätiologische Formel für die Angstneurose
im einzelnen diskutiere, kann ich noch -folgende Bemerkungen
hinzufügen: Ob eine besondere persönliche Beschaffenheit (die
nicht hereditär bezeugt zu sein brauchte) für die Angstneurose
unbedingt erfordert wird, oder ob jeder normale Mensch durch,
etwaige quantitative Steigerung des spezitischen Momentes zur
Angstneurose gebracht werden kann, weiß ich nicht sicher zu
entscheiden, neige aber sehr zur letzteren Meinung. — Die
hereditäre Disposition ist die wichtigste Bedingung der Angst-
neurose, aber keine unentbehrliche, da sie in einer Reihe
von Grenzfällen vermißt wird. — Das spezifische sexuelle Mo-
ment wird in der übergroßen Zahl der Fälle mit Sicherheit
nachgewiesen, in einer Reihe von Fällen (kongenitalen) sondert
es sich von der Bedingung der Heredität nicht ab, sondern ist
durch diese miterfüllt, d. h. die Kranken bringen jene Besonder-
heit der Vita sexualis als Stigma mit (die psychische Unzuläng-
lichkeit zur Bewältigung der somatischen Sexualspannung), über
welche sonst der Weg zur Erwerbung der Neurose führt; in
einer andern Reihe von Grenzfällen ist die spezifische Ursache
in einer konkurrierenden enthalten, wenn nämlich die besagte
psychische Unzulänglichkeit durch Erschöpfung u. dgl. zustande
kommt. Alle diese Fälle bilden fließende Reihen, nicht abgeson-
derte Kategorien; durch alle zieht sich indes das ähnliche Ver-
halten im Schicksal der -Sexualspannung, und für die meisten,
gilt die Sonderung von Bedingung, spezifischer und Hilfsursache,
konform der oben gegebenen Auflösung der ätiologischen
Gleichung.
Ich kann, wenn ich meine Erfahrungen danach befrage,
ein gegensätzliches Verhalten von hereditärer Disposition und
spezifischem sexuellem Moment für die Angstneurose nicht auf-
,,-«..
109
inden. Im Gegenteil, die beiden ätiologischen Faktoren unter-
stützen und ergänzen einander. Das sexuelle Moment wirkt
meistens nur bei jenen Personen, die eine hereditäre Be-
lastung mit dazu bringen; die Heredität allein ist meistens nicht
imstande, eine Angstneurose zu erzeugen, sondern wartet auf
das Eintreffen eines genügenden Maßes der spezifischen sexuellen
Schädlichkeit. Die Konstatierung der Heredität überhebt darum
nicht der Suche nach einem spezifischen Moment, an dessen
Auffindung sich übrigens auch alles therapeutische Interesse
knüpft. Denn was will man therapeutisch mit der Heredität als
Ätiologie anfangen? Sie hat seit jeher bei dem Kranken be-
standen und wird bis an dessen Ende weiter bestehen. Sie ist
an und für sich weder geeignet, das episodische Auftreten einer
Neurose, noch deren Aufhören durch Behandlung verstehen zu
lassen. Sie ist nichts als eine Bedingung der Neurose, eine
unsäglich wichtige zwar, aber doch eine zum Schaden der
Therapie und des theoretischen Verständnisses überschätzte. Man
denke nur, um sich durch den Kontrast der Tatsachen über-
zeugen zu lassen, an die Fälle von familiären Nervenkrankheiten
(Chorea chronica, Thomsensche Krankheit u. dgl.), in denen
die Heredität alle ätiologischen Bedingungen in sich vereinigt.
Ich möchte zum Schlüsse die wenigen Sätze wiederholen,
durch welche ich in erster Annäherung an die Wirklichkeit die
gegenseitigen Beziehungen der verschiedenen ätiologischen Fak-
toren auszudrücken pflege:
1. Ob überhaupt eine neurotische Erkrankung zu-
stande kommt, hängt von einem quantitativen Faktor ab,
von der Gesamtbelastung des Nervensystems im Verhältnis zu
dessen Resistenzfähigkeit. Alles was diesen Faktor unter einem
gewissen Schwellenwert halten oder zurückbringen kann, hat
therapeutische Wirksamkeit, indem es die ätiologische Gleichung
unerfüllt läßt.
Was man unter „Gesämtbelastung", was man unter „Ite-
sistenzfähigkeit" des Nervensystems zu verstehen habe, das ließe
sich mit Zugrundelegung gewisser Hypothesen über die Nerven-
funktion wohl deutlicher ausführen.
2. Welchen Umfang die Neurose erreicht, das hängt in
erster Linie von dem Maß hereditärer Belastung ab. Die He-
11U
redität wirkt wie ein in den Stromkreis eingeschalteter Multi-
plikator, der den Ausschlag der Nadel um das Vielfache ver-
größert.
8, Welche Form aber die Neurose annimmt — den Sinn:
des Ausschlages — dies bestimmt allein das aus dem Sexual-
leben stammende spezifische ätiologische Moment.
Ich hoffe, daß im ganzen, obwohl ich mir der vielen noch-,
unerledigten Schwierigkeiten des Gegenstandes bewußt bin, meine
Aufstellung der Angstneurose sich für das Verständnis der
Neurosen fruchtbarer erweisen wird, als Löwen fei ds Versuch,
denselben Tatsachen Rechnung zu tragen durch die Konstatie-
rung „ einer Verknüpf ung neu rastheni scher und hyste-
rischer Symptome in Anfallsform".
Wien, anfangs Mai 1895.
_.. _
VIII.
Weitere Bemerkungen über die Abwehr-
Neuropsychosen 1 ).
Als „Abwehr-Neuropsychosen" habe ich 1894 in
einem kleinen Aufsatze (Neurologisches Zentralblatt, Nr. 10 und
11) Hysterie, Zwangsvorstellungen sowie gewisse Fälle von.
akuter halluzinatorischer Verworrenheit zusammengefaßt, weil;
sich für diese Affektionen der gemeinsame Gesichtspunkt er-
geben hatte, ihre Symptome entstünden durch den psychischen-
Mechanismus - der (unbewußten) Abwehr, d. h. bei dem Ver-
suche, eine unverträgliche Vorstellung zu verdrängen, die in-
peinlichen Gegensatz zum Ich der Kranken getreten war. An.
einzelnen Stellen eines seither erschienenen Buches „Studien
über Hysterie" von Dr. J. Breuer und mir, habe ich dann er-
läutern und an Krankenbeobachtungen darlegen können, in-
welchem Sinne dieser psychische Vorgang der „Abwehr" oder
„ Verdrängung" zu verstehen ist. Ebendaselbst finden sich auch-
Angaben über die mühselige, aber vollkommen verläßliche Me-
thode der Psychoanalyse, deren ich mich bei diesen Unter-
suchungen, die gleichzeitig eine Therapie darstellen, bediene.
Meine Erfahrungen in den letzten beiden Arbeitsjahren
haben mich nun in der Neigung bestärkt, die Abwehr zum
Kernpunkt im psychischen Mechanismus der erwähnten Neurosen
zu machen, und haben mir anderseits gestattet, der psychologi-
schen Theorie eine klinische Grundlage zu geben. Ich bin zu
meiner eigenen Überraschung auf einige einfache, aber eng
umschriebene Lösungen der Neurosenprobleme gestoßen, über'
"
»
i) „Neurologisches Zentralblatt", 1896, Nr. 10.
112
die ich auf den nachfolgenden Seiten vorläufig und in Kürze
berichten will. Ich kann es mit dieser Art der Mitteilung nicht
vereinen, den Behauptungen die Beweise anzufügen, deren sie
bedürfen, hoffe aber, diese Verpflichtung in einer ausführlichen
Darstellung einlösen zu können.
1. Die „spezifische" Ätiologie der Hysterie.
Daß die Symptome der Hysterie erst durch Zurückführung.
auf „traumatisch" wirksame Erlebnisse verständlich werden, und
daß diese psychischen Traumen sich auf das Sexualleben be-
ziehen, ist von Breuer und mir bereits in früheren Veröffent-
lichungen ausgesprochen worden. Was ich heute als einförmiges
Ergebnis meiner an 13 Fällen von Hysterie durchgeführten
Analysen hinzuzufügen habe, betrifft einerseits die Natur dieser
sexuellen Traumen, anderseits die Lebensperiode, in der sie
vorfallen. Es reicht für die Verursachung der Hysterie nicht
hin, daß zu irgend einer Zeit des Lebens ein Erlebnis auftrete,
welches das Sexualleben irgendwie streift und durch die Ent-
bindung und Unterdrückung eines peinlichen Affektes pathogen
wird. Es müssen vielmehr diese sexuellen Traumen der
frühen Kindheit (der Lebenszeit vor der Pubertät)
angehören, und ihr Inhalt muß in wirklicher Irri-
tation der Genitalien (koitusähnlichen Vorgängen)
bestehen.
Diese spezifische Bedingung der Hysterie — sexuelle
Passivität in vorsexuellen Zeiten — fand ich in allen
analysierten Fällen von Hysterie (darunter 2 Männer) erfüllt.
Wie sehr die Anforderung an hereditäre Disposition durch solche
Bedingtheit der akzidentellen ätiologischen Momente verringert
wird, bedarf nur der Andeutung; ferner eröffnet sich ein Ver-
ständnis für die ungleich größere Häufigkeit der Hysterie beim
weiblichen Geschlechte, da dieses auch im Kindesalter eher z U
sexuellen Angriffen reizt.
Die nächstliegendsten Einwendungen gegen dieses Resultat
dürften lauten, daß sexuelle Angriffe gegen kleine Kinder zu
häufig vorfallen, als daß ihrer Konstatierung ein ätiologischer
Wert zukäme, oder daß solche Erlebnisse gerade darum Wir-
kungslos bleiben müssen, weil sie ein sexuell unentwickeltes
113
"Wesen betreffen; ferner daß man sich hüten müsse, derlei an-
gebliche Reminiszenzen den Kranken durchs Examen aufzu-
drängen, oder an die Romane, die sie selbst erdichten, zu
glauben. Den letzteren Einwendungen ist die Bitte entgegen-
zuhalten, daß doch niemand allzu sicher auf diesem dunkeln
-Gebiete urteilen möge, der sich noch nicht der einzigen Methode
bedient hat, welche es zu erhellen vermag (der Psychoanalyse
zur Bewußtmachung des bisher Unbewußten 1 ). Das Wesentliche
an den ersteren Zweifeln erledigt sich durch die Bemerkung,
daß ja nicht die Erlebnisse selbst traumatisch wirken, sondern
-deren Wiederbelebung als Erinnerung, nachdem das Indivi-
duum in die sexuelle Reifung eingetreten ist.
Meine 13 Fälle von Hysterie waren durchwegs von schwerer
Art, alle mit vieljähriger Krankheitsdauer, einige nach längerer
und erfolgloser Anstaltsbehandlung. Die Kindertraumen, welche
•die Analyse für diese schweren Fälle aufdeckte, mußten sämt-
lich als schwere sexuelle Schädigungen bezeichnet werden; ge-
legentlich waren es geradezu abscheuliche Dinge. Unter den
Personen, welche sich eines solchen folgenschweren Abusus
schuldig machten, stehen obenan Kinderfrauen, Gouvernanten
und andere Dienstboten, denen man allzu sorglos die Kinder
überläßt, ferner sind in bedauerlicher Häufigkeit lehrende Per-
sonen vertreten; in 7 von jenen 13 Fällen handelte es sich aber
auch um schuldlose kindliche Attentäter, meist Brüder, die mit
ihren um wenig jüngeren Schwestern Jahre hindurch sexuelle
Beziehungen unterhalten hatten. Der Hergang war wohl jedes-
mal ähnlich, wie man ihn- in einzelnen Fällen mit Sicherheit
. verfolgen konnte, daß nämlich der Knabe von einer Person
weiblichen Geschlechtes mißbraucht worden war, daß dadurch
in ihm vorzeitig die Libido geweckt wurde, und daß er dann
einige Jahre später in sexueller Aggression gegen seine Schwester
genau die nämlichen Prozeduren wiederholte, denen man ihn
selbst unterzogen hatte.
Aktive Masturbation muß ich aus der Liste der für
Hysterie pathogenen sexuellen Schädlichkeiten des frühen Kindes-
J ) Ich vermute selbst, daß die so häufigen Attentatsdichtühgeü der
Hysterischen Zwangsdichtungen sind, die. von- der Erinnerungsspur des
Kindertraumas ausgehen*
Freud, Neurosenlelire. 1.4. Auflage. 8
114
alters ausschließen. Wenn diese doch so häufig neben der
Hysterie gefunden wird, so rührt dies von dem Umstände her,,
daß die Masturbation selbst weit häufiger, als man meint, die-
Folge des Mißbrauches oder der Verführung ist. Gar nicht selten
erkranken beide Teile des kindlichen Paares später an Abwehr-
neurosen, der Bruder an Zwangsvorstellungen, die Schwester an
Hysterie, was natürlich den Anschein einer familiären neuroti-
schen Disposition ergibt. Diese Pseudoheredität löst sich aber
mitunter auf überraschende Weise; in einer meiner Beobachtun-
gen waren Bruder, Schwester und ein etwas älterer Vetter
krank. Aus der Analyse, die ich mit dem Bruder vornahm, er-
fuhr ich, daß er an Vorwürfen darüber litt, daß er die Krank-
heit der Schwester verschuldet; ihn selbst hatte der Vetter ver-
führt, und von diesem war in der Familie bekannt, daß er das
Opfer seiner Kinderfrau geworden war.
Die obere Altersgrenze, bis zu welcher sexuelle Schädi-
gung in die Ätiologie der Hysterie fällt, kann ich nicht sicher
angeben; ich zweifle aber, ob sexuelle Passivität nach dem 8.
bis 10. Jahre Verdrängung ermöglichen kann, wenn sie nicht
durch vorherige Erlebnisse dazu befähigt wird. Die untere Grenze
reicht so weit als das Erinnern überhaupt, also bis ins zarte
Alter \on V-fa oder 2 Jahren! (2 Fälle.) In einer Anzahl meiner
Fälle ist das sexuelle Trauma (oder die Reihe von Traumen)
im 3. und 4. Lebensjahre enthalten. Ich würde diesen sonder-
baren Funden selbst nicht Glauben schenken, wenn sie sich,
nicht durch die Ausbildung der späteren Neurose volle Ver-
trauenswürdigkeit verschaffen würden. In jedem Falle ist eine
Summe von krankhaften Symptomen, Gewohnheiten und Phobien,
nur durch das Zurückgehen auf jene Kindererlebnisse erklär-
lich, und das logische Gefüge der neurotischen Äußerungen
macht eine Ablehnung jener aus dem Kinderleben auftauchen-
den, getreu bewahrten Erinnerungen unmöglich. Es wäre freilich
vergebens, diese Kindertraumen einem Hysterischen außerhalb
der Psychoanalyse abfragen zu wollen; ihre Spur ist niemals
im bewußten Erinnern, nur in den Krankheitssymptomen auf-
zufinden.
Alle die Erlebnisse und Erregungen, welche in der Lebens-
periode nach der Pubertät den Ausbruch der Hysterie vor-
115
"bereiten oder veranlassen, wirken nachweisbar nur dadurch
daß sie die Erinnerungsspur jener Kindheitstraumen erwecken,'
welche dann nicht bewußt wird, sondern zur Affekten tbindun"
und Verdrängung führt. Es steht mit dieser Rolle der späteren
Traumen in gutem Einklänge, daß sie nicht der strengen Be-
dingtheit der Kindertraumen unterliegen, sondern nach Intensität
und ' Beschaffenheit variieren können, von wirklicher sexueller
Überwältigung bis zu bloßen sexuellen Annäherungen und zur
Sinneswahrnehmung sexueller Akte bei anderen oder Aufnahme
von Mitteilungen über geschlechtliche Vorgänge 1 ).
In meiner ersten Mitteilung über die Abwehrneurosen blieb
es unaufgeklärt, wieso das Bestreben der bis dahin Gesunden,
ein solches traumatisches Erlebnis zu vergessen, den Erfolg
haben könne, die beabsichtigte Verdrängung wirklich zu erzielen
und damit der Abwehrneurose das Tor zu öffnen. An der Natur
des Erlebnisses konnte es nicht liegen, da andere Personen trotz
der gleichen Anlässe gesund blieben. Es konnte also die Hysterie
nicht aus der Wirkung des Traumas voll erklärt werden; man
mußte zugestehen, daß die Fähigkeit zur hysterischen Eeaktion
schon vor dem Trauma bestanden hatte.
An Stelle dieser unbestimmten hysterischen Disposition
kann nun ganz oder teilweise die posthume Wirkung des sexuellen
Kündertraumas treten. Die „Verdrängung" der Erinnerung an
ein peinliches sexuelles Erlebnis reiferer Jahre gelingt nur
solchen Personen, bei denen dies Erlebnis die Erinnerungsspur
eines Kindertraiimas zur Wirkung bringen kann 2 ).
J ) In einem Aufsatze über die Angstneurose (Neurologisches Zentral-
blatt, 1895, Nr. 2) erwähnte ich, daß „ein erstes Zusammentreffen mit dem
sexuellen Problem bei heranreifenden Mädchen eine Angstneurose hervor-
rufen kann, die in fast typischer Weise mit Hysterie kombiniert ist". Ich
weiß heute, daß die Gelegenheit, bei welcher solche virginalc Angst
ausbricht, eben nicht dem ersten Zusammentreffen mit der Sexualität ent-
spricht, sondern daß bei diesen Personen ein Erlebnis sexueller Passivität
in den Kinderjahren vorhergegangen ist, dessen Erinnerug bei dem „ersten
Zusammentreffen" geweckt wird.
2 ) Eine psychologische Theorie der Verdrängung müßte auch Aus-
kunft darüber geben, warum nur Vorstellungen sexuellen Inhaltes verdrängt
werden können. Sie darf von folgenden Andeutungen ausgehen: Das Vor-
stellen sexuellen Inhaltes erzeugt bekanntlich ähnliche Erregungsvorgänge
8*
116
Zwangsvorstellungen haben gleichfalls ein sexuelles Kinder-
erlebnis (anderer Natur als bei Hysterie) zur Voraussetzung.
Die Ätiologie der beiden Abwehr-Neuropsychosen bietet nun
folgende Beziehung zur Ätiologie der beiden einfachen Neurosen
Neurasthenie und Angstneurose. Die beiden letzteren Affektionen
sind unmittelbare "Wirkungen der sexuellen Noxen selbst, -wie
ich es in einem Aufsatze über die Angstneurose 1895 dargelegt
habe; die beiden Abwehrneurosen sind mittelbare Folgen sexueller
Schädlichkeiton, die vor Eintritt der Geschlechtsreife eingewirkt
haben, nämlich Folgen ' der psychischen Erinnerungsspuren an
diese Noxen. Die aktuellen Ursachen, welche Neurasthenie und
Angstneurose erzeugen, spielen häufig gleichzeitig die Bolle von
erweckenden Ursachen für die Abwehrneurosen; anderseits können
die spezifischen Ursachen der Abwehrneurose, die Kindertraumen
gleichzeitig den Grund für die später sich entwickelnde Neur-
asthenie legen. Endlich ist auch der Fall nicht selten, daß eine
Neurasthenie oder Angstneurose anstatt durch aktuelle sexuelle
Schädlichkeiten nur durch fortwirkende Erinnerung an Kinder-
traumen in ihrem Bestände erhalten wird.
II. Wesen und Mechanismus der Zwangsneurose.
In der Ätiologie der Zwangsneurose haben sexuelle Erleb-
nisse der frühen Kinderzeit dieselbe Bedeutung wie bei Hysterie
in den Genitalien wie das sexuelle Erleben selbst. Man darf annehmen, daß
diese somatische Erregung sich in psychische umsetzt. In der Regel ist die
diesbezügliche Wirkung beim Erlebnisse viel stärker als bei der Erinnerung
daran. Wenn aber das sexuelle Erlebnis in die Zeit sexueller Unreife fällt
die Erinnerung daran während oder nach der Reife erweckt wird, dann
wirkt die Erinnerung ungleich stärker erregend als seinerzeit das Erlebnis
denn inzwischen hat die Pubertät die Reaktionsfähigkeit des Sexualapparates
in unvergleichbarem Maße gesteigert. Ein solches umgekehrtes Verhältnis
zwischen realem Erlebnis und Erinnerung scheint aber die psychologische
Bedingung einer Verdrängung zu enthalten. Das Sexualleben bietet — durch
die Verspätung der Pubertätsreife gegen die psychischen Funktionen — die
einzig vorkommende Möglichkeit für jene Umkehrung der relativen Wirksam-
keit. Die Kindertraumen wirken nachträglich wi e frische Erleb-
nisse, dann aber unbewußt. Weitergehende psychologische Erörterungen
müßte ich auf ein anderes Mal verschieben. — Ich bemerke noch, daß die
hier in Betracht kommende Zeit der „sexuellen Reifung" nicht mit der
Pubertät zusammenfällt, sondern vor dieselbe (8. bis 10. Jahr).
117
doch handelt es sich hier nicht mehr um sexuelle Passivität,
sondern um mit Lust ausgeführte Aggressionen und mit Lust
empfundene Teilnahme an sexuellen Akten, also um sexuelle
Aktivität. Mit dieser Differenz der ätiologischen Verhältnisse
hängt es zusammen, daß hei der Zwangsneurose das männliche
Geschlecht bevorzugt erscheint.
Ich habe übrigens in all meinen Fällen von Zwangsneurose
einen Untergrund von hysterischen Symptomen ge-
funden, die sich auf eine der Lusthandlung vorhergehende
Szene sexueller Passivität zurückführen ließen. Ich vermute, daß
dieses Zusammentreffen ein gesetzmäßiges ist, und daß vorzeitige
sexuelle Aggression stets ein Erlebnis von Verführung voraus-
setzt. Ich kann aber gerade von der Ätiologie der Zwangs-
neurose noch keine abgeschlossene Darstellung geben; es macht
mir nur den Eindruck, als hinge die Entscheidung darüber, ob
auf Grund der Kindertraumen Hysterie oder Zwangsneurose
entstehen soll, mit den zeitlichen Verhältnissen der Entwick-
lung von Libido zusammen.
Das "Wesen der Zwangsneurose läßt sich «in einer einfachen
Formel aussprechen: Zwangsvorstellungen sind jedes-
mal verwandelte, aus der . Verdrängung wieder-
kehrende Vorwürfe, die sich immer auf eine sexuelle,
mit Lust ausgeführte Aktion der Kinderzeit bezie-
hen. Zur Erläuterung dieses Satzes ist es notwendig, den typi-
schen Verlauf einer Zwangsneurose zu beschreiben.
In einer ersten Periode — Periode der kindlichen Ln-
moralität — fallen die Ereignisse vor, welche den Keim der
späteren Neurose enthalten. Zuerst in frühester Kindheit die
Erlebnisse sexueller Verführung, welche später die Verdrängung
ermöglichen, sodann die Aktionen sexueller Aggression gegen
das andere Geschlecht, welche später als Vorwurfshandlungen
erscheinen.
Dieser Periode wird ein Ende bereitet durch den — oft
selbst verfrühten — Eintritt der sexuellen „Reifung". Nun
knüpft sich au die Erinnerung jener Lustaktionen ein Vorwurf,
und der Zusammenhang mit dem initialen Erlebnisse von Pas-
sivität ermöglicht es — oft erst nach bewußter und erinnerter
Anstrengung — diesen zu verdrängen und durch ein primäres
\
118
Abwehrsymptoni zu ersetzen. Gewissenhaftigkeit, Scham,
Selbstmißtrauen sind solclie Symptome, mit denen die dritte
Periode, die der scheinbaren Gesundheit, eigentlich der ge-
lungenen Abwehr beginnt.
Die nächste Periode, die der Krankheit, ist ausgezeichnet
durch die Wiederkehr der verdrängten Erinnerungen,
also durch das Mißglücken der Abwehr, wobei es unentschieden
bleibt, ob die Erweckung derselben häufiger zufällig und spontan
oder infolge aktueller sexueller Störungen gleichsam als Neben-
wirkung derselben erfolgt. Die wiederbelebten Erinnerungen
und die aus ihnen gebildeten Vorwürfe treten aber niemals
unverändert ins Bewußtsein ein, sondern was als Zwangs-
vorstellung und Zwangsaffekt bewußt wird, die pathogene Er-
innerung für das bewußte Leben substituiert, sind Kompromiß-
bildungen zwischen den verdrängten und den verdrängenden
Vorstellungen.
Um die Vorgänge der Verdrängung, der Wiederkehr des
Verdrängten und der Bildung der pathologischen Kompromiß-
vorstellungen anschaulich vind wahrscheinlich zutreffend zu be-
schreiben, müßte man sich zu ganz bestimmten Annahmen über
das Substrat des psychischen Geschehens und des Bewußtseins
entschließen. So lange man dies vermeiden will, muß man sich
mit folgenden, eher bildlich verstandenen Bemerkungen be-
scheiden: Es gibt zwei Formen der Zwangsneurose, je nachdem
allein der Erinnerungsinhalt der Vorwurfshandlung sich den
Eingang ins Bewußtsein erzwingt oder auch der an sie ge-
knüpfte Vorwurfsaffekt. Der erstere Fall ist der der typischen
Zwangsvorstellungen, bei denen der Inhalt die Aufmerksamkeit
des Kranken auf sich zieht, als Affekt nur eine unbestimmte
Unlust empfunden wird, während zum Inhalt der Zwangsvorstel-
lung nur der Affekt des Vorwurfes passen würde. Der Inhalt
der Zwangsvorstellung ist gegen den der Zwangshandlung im
Kindesalter in zweifacher Weise entstellt: erstens, indem etwas
Aktuelles an die Stelle des Vergangenen gesetzt ist, zweitens,
indem das Sexuelle durch Analoges, nicht Sexuelles substituiert
wird. Diese beiden Abänderungen sind die Wirkung der immer
noch in Kraft stehenden Verdrängungsneigung, die wir dem
„Ich" zuschreiben wollen. Der Einfluß der wiederbelebten patho-
119
genen Erinnerung zeigt sich darin, daß der Inhalt der Zwangs-
vorstellung noch stückweise mit dem Verdrängten identisch ist
oder sich durch korrekte Gedankenfolge von ihm ableitet. Re-
konstruiert man mit Hilfe der psychoanalytischen Methode die
Entstehung einer einzelnen Zwangsvorstellung, so findet man,
•daß von einem aktuellen Eindrucke aus zwei verschiedene Ge-
dankengänge angeregt worden sind; der eine davon, der über
die verdrängte Erinnerung gegangen ist, erweist sich als ebenso
korrekt logisch gebildet wie der andere, obwohl er bewußtseins-
unfähig und unkorrigierbar ist. Stimmen die Resultate der beiden
psychischen Operationen nicht zusammen, so kommt es nicht
etwa zur logischen Ausgleichung des "Widerspruches zwischen
beiden, sondern neben dem normalen Denkergebnisse tritt als
Kompromiß zwischen dem Widerstände und dem pathologischen
Denkresultate eine absurd erscheinende Zwangsvorstellung ins
Bewußtsein. Wenn die beiden Gedankengänge den gleichen
Schluß ergeben, verstärken sie einander, so daß ein ndrmal
gewonnenes Denkresultat sich nun psychisch wie eine Zwangs-
vorstellung verhält. Wo immer neurotischer Zwang im
Psychischen auftritt, rührt er von Verdrängung
her. Die Zwangsvorstellungen haben sozusagen psychischen
Zwangskurs nicht wegen ihrer eigenen Geltung, sondern wegen
der Quelle, aus der sie stammen, oder die zu ihrer Geltung
■einen Beitrag geliefert hat.
Eine zweite. Gestaltung der Zwangsneurose ergibt sich,
wenn nicht der verdrängte Erinnerungsinhalt, sondern der gleich*
falls verdrängte Vorwurf eine Vertretung im bewußten psychi-
schen Leben erzwingt. Der Vorwurfsaffekt kann sich durch einen
psychischen Zusatz in einen beliebigen andern Unlustaffekt ver-
wandeln; ist dies geschehen, so steht dem Bewußtwerden des
substituierenden Affektes, nichts mehr im Wege. So verwandelt
sich Vorwurf (die sexuelle Aktion im Kindesalter vollführt
zu haben) mit Leichtigkeit in Scham (wenn ein anderer davon
erführe), in hypochondrische Angst (vor den körperlich
schädigenden Folgen jener Vorwurfshandlung), in soziale
Angst (vor der gesellschaftlichen Ahndung jenes Vergehens)
in religiöse Angst, in Beachtungswahn (Furcht, daß
man jene Handlung anderen verrate), in Versuchungsangst
120
(berechtigtes Mißtrauen in die eigene moralische Widerstands-
kraft) u. dgl. Dabei kann der Erinnerungsinhalt der Vorwurfs-
handlung im Bewußtsein mitvertreten sein oder gänzlich zurück-
stehen, was die diagnostische Erkennung sehr erschwert. Viele
Fälle, die man bei oberflächlicher Untersuchung für gemeine
(neurasthenische) Hypochondrie hält, gehören zu dieser Gruppe
der Zwangs äff ekte, insbesondere die sogenannte „perio-
dische Neurasthenie" oder „periodische Melancholie" scheint in
ungeahnter Häufigkeit sich in Zwangsaffekte und Zwangsvorstel-
lungen aufzulösen, eine Erkennung, die therapeutisch nicht,
gleichgültig ist.
Neben diesen Kompromißsymptomen, welche die Wieder-
kehr des Verdrängten und somit ein Scheitern der ursprünglich
erzielten Abwehr bedeuten, bildet die Zwangsneurose eine Reihe
weiterer Symptome von ganz änderer Herkunft. Das Ich sucht,
sich nämlich jener Abkömmlinge der initial verdrängten Er-
innerung zu erwehren und schafft in diesem Abwehrkampfe-
Symptome, die man als „sekundäre Abwehr" zusammen-
fassen könnte. Es sind dies durchwegs „Schutzmaßregeln",,
die bei der Bekämpfung der Zwangsvorstellungen und Zwangs-
affekte gute Ditnste geleistet haben. Gelingt es diesen Hilfen
im Abwehrkampfe wirklich, die dem Ich aufgedrängten
Symptome der Wiederkehr neuerdings zu verdrängen, so über-
trägt sich der Zwang auf die Schutzmaßregeln selbst und schafft-
eine dritte Gestaltung der „Zwangsneurose", die Zwangs-
handlungen. Niemals sind diese primär, niemals ent-
halten sie etwas anderes als eine Awehr, nie eine Aggression^
die psychische Analyse weist von ihnen nach, daß sie —
trotz ihrer Sonderbarkeit — durch Zurückführung auf die
Zwangserinnerung, die sie bekämpfen, jedesmal voll aufzuklären
sind 1 ).
') Ein Beispiel anstatt vieler: Ein lljähriger Knabe hatte sich fol-
gendes Zeremoniell vor dem Zubettgehen zwangsartig eingerichtet: Er
schlief nicht eher ein, als bi9 er seiner Mutter alle Erlebnisse des Tages
haarklein vorerzählt hatte; auf dem Teppich des Schlafzimmers durfte abends
kein Papierschnilzelehen und kein anderer Unrat zu finden sein; das Bett-
maßte ganz an die Wand angerückt werden, drei Stühle davorstehen, die
Polster in ganz bestimmter Weise liegen. Er selbst mußte, um einzuschlafen,
zuerst eine gewiäse Anzahl von Malen mit beiden Beinen stoßen und sich
121
Die sekundäre Abwehr der Zwangsvorstellungen kann er-
folgen durch gewaltsame Ablenkung auf andere Gedanken,
möglichst konträren Inhaltes; daher im Falle des Gelingens der
Grübelzwang, regelmäßig über abstrakte, übersinnliche
Dinge, weil die verdrängten Vorstellungen immer sich mit der
Sinnlichkeit beschäftigten. Oder der Kranke versucht, jeder
einzelnen Zwangsidee durch logische Arbeit und Berufung auf
seine bewußten Erinnerungen Herr zu werden; dies führt zum
Denk- und Prüfungszwange und zur Zweifelsucht. Der
Vorzug der Wahrnehmung vor der Erinnerung bei diesen Prü-
fungen veranlaßt den Kranken zuerst und zwingt ihn später,
alle Objekte, mit denen er in Berührung getreten ist, zu sam-
meln und aufzubewahren. Die sekundäre Abwehr gegen die
Zwangsaffekte ergibt eine noch größere Eeihe von Schutzmaß-
regeln, die der Verwandlung in Zwangshandlungen fähig sind.
Man kann dieselben nach ihrer Tendenz gruppieren: Maßregeln
der Buße (lästiges Zeremoniell, Zahlenbeobachtung), der
Vorbeugung (allerlei Phobien, Aberglauben, Pedanterie,
Steigerung des Primärsymptoms der Gewissenhaftigkeit), der
Furcht vor Verrat (Papiersammeln, Menschenscheu), der
Betäubung (Dipsomanie). Untpr diesen Zwangshandlungen
und -impulsen spielen die Phobien als Existenzbeschränkungen
des Kranken die größte Rolle.
dann auf die Seite legen. — Das klärte sich folgendermaßen auf: Jahre
vorher hatte es sich zugetragen, daß ein Dienstmädchen, welches den
schönen Knaben zu Bette bringen sollte, die Gelegenheit benutzte, um sich
dann über ihn zu legen und ihn sexuell zu mißbrauchen. Als dann später
einmal diese Erinnerung durch ein rezentes Erlebnis geweckt wurde, gab
sie sich dem Bewußtsein durch den Zwang zu obigem Zeremoniell kund,
dessen Sinn leicht zu erraten war und im einzelnen durch die Psychoana-
lyse festgestellt, wurde: Sessel vor dem Bett und dieses an die Wand ge-
rückt — damit niemand mehr zum Bett Zugang haben könne; Polster in
einer gewissen Weise geordnet — damit sie anders geordnet seien als an
jenem Abend; die Bewegungen mit den Beinen — Wegstoßen der auf ihm
liegenden Person; Schlafen auf der Seite — weil er bei der Szene auf dem
Jucken gelegen; die ausführliche Beichte vor der Mutter — weil er diese
md andere sexuelle Erlebnisse infolge von Verbot der Verführerin ihr ver-
shwiegen hatte; endlich Reinhaltung des Bodens im Schlafzimmer — weil,
lies der Hauptvorwurf war, den er bis dabin von der Mutter hatte hin-
nehmen müssen.
•
'
v
.
•',
1
122
' Es gibt Fälle, in welchen man beobachten kann, wie sich,
-der Zwang von der Vorstellung oder vom Affekt auf die Maß-
regel überträgt; andere, in denen der Zwang periodisch zwischen
dem Wiederkehrsymptome und dem Symptom der sekundären
Abwehr oszilliert; aber daneben noch Fälle, in denen über-
haupt keine Zwangsvorstellung gebildet, sondern die verdrängte
Erinnerung sogleich durch die scheinbar primäre Abwehrmaß-
regel vertreten wird. Hier. wird mit einem Sprunge jenes Sta-'
dium erreicht, welches sonst erst nach dem Abwehrkampf den
Verlauf der Zwangsneurose abschließt.- Schwere Fälle dieser
Affektion enden mit der Fixierung von Zeremoniellhandlungen,
allgemeiner Zweifelsucht oder einer durch Phobien bedingten
.Sonderlingsexistenz.
Daß die Zwangsvorstellung und alles von ihr Abgeleitete
keinen Glauben findet, rührt wohl daher, daß bei der ersten
Verdrängung' das Abwehrsymptom der Gewissenhaftigkeit
gebildet worden ist, das gleichfalls Zwangsgeltung gewonnen
hat. Die Sicherheit, in der ganzen Periode der gelungenen
Abwehr moralisch gelebt zu haben, macht es unmöglich, dem
Vorwurfe, welchen ja die Zwangsvorstellung involviert, Glauben
zu schenken. Nur vorübergehend beim Auftreten einer neuen
Zwangsvorstellung und hie und da bei melancholischen Er-
schöpfungszuständen des Ichs erzwingen die krankhaften Sym-
ptome der Wiederkehr auch den Glauben. Der „Zwang" der
hier beschriebenen psychischen Bildungen hat ganz allgemein
mit der Anerkennung durch den Glauben nichts zu tun, und
ist auch mit jenem Moment, das man als „Stärke" oder „Inten-
sität" einer Vorstellung bezeichnet, nicht zu verwechseln. Sein
wesentlicher Charakter ist vielmehr die Unauflösbarkeit durch
die bewußtseinsfähige psychische Tätigkeit, und dieser Charakter
erfährt keine Änderung, ob nun die Vorstellung, an der der
Zwang haftet, stärker oder schwächer, intensiver oder geringer
„beleuchtet", „mit Energie besetzt" u. dgl. wird.
Ursache dieser Unangreifbarkeit der Zwangsvorstellung oder
ihrer Derivate ist aber nur ihr Zusammenhang mit der verdrängten
Erinnerung aus früher Kindheit, denn wenn es gelungen ist, diesen
"bewußt zu machen, wofür die psychotherapeutischen Methoden
bereits auszureichen scheinen, dann ist auch der Zwang gelöst.
123
III. Analyse eines Falles von chronischer Paranoia.
Seit längerer Zeit schon liege ich die Vermutung, daß
.-auch die Paranoia — oder Gruppen von Fällen, die zur Paranoia
gehören — eine Abwehrpsychose ist, d. h. daß sie wie Hysterie
und Zwangsvorstellungen hervorgeht aus der Verdrängung pein-
licher Erinnerungen, und daß ihre Symptome durch den Inhalt
des Verdrängten in ihrer Form determiniert werden. Eigentüm-
lich müsse der Paranoia ein besonderer Weg oder Mechanismus
der Verdrängung sein, etwa wie die Hysterie die Verdrängung
auf dem Wege der Konversion in die Körperinnervation,
die Zwangsneurose durch Substitution (Verschiebung längs-
gewisser assoziativer Kategorien) bewerkstelligt. Ich beobachtete
mehrere Fälle, die dieser Deutung günstig waren, hatte aber
keinen gefunden, der sie erwies, bis mir durch die Güte des
Herrn Dr. J. Breuer vor einigen Monaten ermöglicht wurde,
•den Fall einer intelligenten 32jährigen Frau, dem man die
Bezeichnung als chronische Paranoia nicht wird versagen können,
in therapeutischer Absicht einer Psychoanalyse zu unterziehen.
Ich berichte schon hier über einige bei dieser Arbeit gewon-
nene Aufklärungen, weil ich keine Aussicht habe, die Paranoia
anders als in sehr vereinzelten Beispielen zu studieren, und weil
ich es für möglich halte, daß diese Bemerkungen einen hierin
günstiger gestellten Psychiater veranlassen könnten, in der jetzt
so regen Diskussion über Natur und psychischen Mechanismus
•der Paranoia das Moment der „Abwehr" zu seinem Bechte zu
bringen. Natürlich liegt es mir fern, mit der nachstehenden
einzigen Beobachtung etwas anderes sagen zu wollen, als: dieser
Fall ist eine Abwehrpsychose, und es dürfte in der Gruppe
„Paranoia" noch andere geben, die es gleichfalls sind.
Frau P., 32 Jahre alt, seit 3 Jahren verheiratet, Matter eines 2jäh-
rigen Kindes, stammt von nicht nervösen Eltern; ihre beiden Geschwister
kenne ich aber als gleichfalls neurotisch. Es ist zweifelhaft, ob sie nicht
einmal in der Mitte der 20er Jahre vorübergehend deprimiert und in ihrem
Urteile beirrt war; in den letzten Jahren war sie gesund und leistungsfähig,
bis sie i j i Jahr nach der Geburt ihres Kindes die ersten Anzeichen der
gegenwärtigen Erkrankung erkennen ließ. Sie wurde verschlossen und miß-
trauisch, zeigte Abneigung gegen den Verkehr mit den Geschwistern ihres
.Mannes und klagte, daß die Nachbarn in der kleinen Stadt sich anders als
'
124
früher, unhöflich und rücksichtslos gegen sie benähmen. Allmählich steigerten
sich diese Klagen an Intensität, wenn auch nicht an Bestimmtheit: man
habe etwas gegen sie, obwohl sie keine Ahnung habe, was es sein könne.
Aber es sei kein Zweifel, alle — Verwandte wie Freunde — versagten ihr
die Achtung, täten alles, sie zu kränken. Sie zerbreche sich den Kopf, wo-
her da6 komme; wisse es nicht. Einige Zeit später klagte sie, daß sie be-
obachtet werde, man ihre Gedanken errate, alles wisse, was bei ihr im
Hause vorgehe. Eines Nachmittags kam ihr plötzlich der Gedanke, man
beobachte sie abends beim Auskleiden. Von nun an wendete sie beim Aus-
kleiden die kompliziertesten Vorsichtsmaßregeln an, schlüpfte im Dunkeln
ins Bett und entkleidete sich erat unter der Decke. Da sie jedem Verkehr
auswich, sich schlecht nährte und sehr verstimmt war, wurde sie im Sommer
1895 in eine Wasserheilanstalt geschickt. Dort traten neue Symptome auf
und verstärkten sich schon vorhandene. Schon im Frühjahr hatte sie plötz-
lich eines Tages, als sie mit ihrem Stubenmädchen allein war, eine Empfin-
dung im Schöße bekommen und sich dabei gedacht, das Mädchen habe
jetzt einen unanständigen Gedanken. Diese Empfindung wurde im Sommer
häufiger, nahezu kontinuierlich, sie spürte ihre Genitalien, „wie man eine
schwere Hand spürt". Dann fing sie an, Bilder zu sehen, über die sie sich
entsetzte, Halluzinationen von weiblichen Nacktheiten, besonders einen ent-
blößten weiblichen Schoß mit Behaarung; gelegentlich auch männliche
Genitalien. Das Bild des behaarten Schoßes und die Organempfindung im
Schöße kamen meist gemeinsam. Die Bilder wurden sehr quälend für sie,
da sie dieselben regelmäßig bekam, wenn sie in Gesellschaft einer Fran
war und daran die Deutung sich anschloß, sie sehe jetzt die Frau in unan-
ständigster Blöße, aber im selben Moment habe die Frau dasselbe Bild von
ihr (!). Gleichzeitig--Wit~ diesen Gesichtshalluzinationen — die nach ihrem
ersten Auftreten in der Heilanstalt für mehrere Monate wieder verschwan-
den — fingen Stimmen an, sie zu belästigen, die sie nicht erkannte und
sich nicht zu erklären wußte. Wenn sie auf der Straße war, hieß es: Das
ist die Frau P. — Da geht sie. Wo geht sie hin? — Man kommentierte
jede ihrer Bewegungen und Handlungen, gelegentlich hörte sie Drohungen
und Vorwürfe. Alle diese Symptome wurden ärger, wenn sie in Gesellschaft
oder gar auf der Straße war; sie verweigerte darum auszugehen, erklärte
dann, sie habe Ekel vor dem Essen und kam rasch herunter. •
Die& erfuhr ich von ihr, als sie im Winter 1895 nach
Wien in meine Behandlung kam. Ich hahe es ausführlich dar-
gestellt, um den Eindruck zu erwecken, daß es sich hier wirk-
lich um eine recht häufige Form von chronischer Paranoia
handle, zu welchem Urteil die noch später anzuführenden Details
der Symptome und ihres Verhaltens stimmen werden. Wahn-
bildungen zur Deutung der Halluziationen verbarg sie mir da-
mals oder sie waren wirklich noch nicht vorgefallen; ihre In-
J
125
telligenz war unvermindert; als auffällig wurde mir nur berichtet,
daß sie ihrem in der Nachbarschaft lebenden Bruder wieder-
holt Rendez-vous gegeben, um ihm etwas anzuvertrauen, ihm
aber nie etwas mitgeteilt habe. Sie sprach nie über ihre Hallu-
zinationen und zuletzt auch nicht mehr viel über die Kränkungen
und Verfolgungen, unter denen sie litt.
Was ich nun von dieser Kranken zu berichten habe, be-
trifft die Ätiologie des Falles und den Mechanismus der Hallu-
zinationen. Ich fand die Ätiologie, als ich ganz wie bei einer
Hysterie die Breuer sehe Methode zunächst zur Erforschung
und Beseitigung der Halluzinationen in Anwendung brachte. Ich
ging dabei von der Voraussetzung aus, es müsse bei dieser
Paranoia wie bei den zwei anderen mir bekannten Abwehr-
neurosen unbewußte Gedanken und verdrängte Erinnerungen
geben, die auf dieselbe Weise, wie dort, ins Bewußtsein zu
bringen seien, unter Überwindung eines gewissen Widerstandes,
und die Kranke bestätigte sofort diese Erwartung, indem sie
sich bei der Analyse ganz wie zum Beispiel eine Hysterica be-
nahm und unter Aufmerksamkeit auf den Druck meiner Hand
(vergleiche die „Studien über Hysterie") Gedanken vorbrachte,
die gehabt zu haben sie sich nicht erinnerte, die sie zunächst
nicht verstand, und die ihrer Erwartung widersprachen. Es war
also das Vorkommen bedeutsamer unbewußter Vorstellungen auch
für einen Fall von Paranoia erwiesen, und ich durfte hoffen,
auch den Zwang der Paranoia auf Verdrängung zurückzuführen.
Eigentümlich war nur, daß sie die aus dem Unbewußten stam-
menden Angaben zumeist wie ihre Stimmen innerlich hörte oder
halluzinierte.
"Über die Herkunft der Gesichtshalluzinationen oder wenig-
stens der lebhaften Bilder erfuhr ich folgendes: Das Bild des.
weiblichen Schoßes kam fast immer mit der Organempfindung
im Schöße zusammen, letztere war aber viel konstanter und
sehr oft ohne das Bild.
Die ersten Bilder von weiblichen Schößen waren aufge-
treten in der Wasserheilanstalt, wenige Stunden, nachdem sie
eine Anzahl von Frauen tatsächlich im Baderaum entblößt ge-
sehen hatte, erwiesen sich also als einfache Reproduktionen
eines realen Eindruckes. Man durfte nun voraussetzen, daß diese
126
Eindrücke nur darum wiederholt worden seien, weil sich ein
großes Interesse an sie geknüpft habe. Sie gab die Auskunft,
sie habe sich damals für jene Frauen geschämt; sie schäme-
sich selbst, nackt gesehen zu werden, seitdem sie sich erinnere.
Da ich nun diese Scham für etwas Zwanghaftes ansehen mußte,
schloß ich nach dem Mechanismus der Abwehr, es müsse hier-
ein Erlebnis verdrängt worden sein, bei dem sie sich nicht
geschämt, und forderte sie auf, die Erinnerungen auftauchen zu
lassen, welche zu dem Thema des Schämens gehörten. Sie re-
produzierte mir prompt eine Reihe von Szenen vom 17. Jahre
bis zum 8., in denen sie sich im Bade vor der Mutter, der
Schwester, dem Arzte ihrer Nacktheit geschämt hatte; die Reihe
lief aber in eine Szene mit 6 Jahren aus, wo sie sich im
Kinderzimmer zum Schlafengehen entkleidete, ohne sich vor dem
anwesenden Bruder zu schämen. Auf mein Befragen kam heraus,,
daß es solcher Szenen viele gegeben habe, und daß die Ge-
schwister Jahre hindurch die Gewohnheit geübt hätten, sich
einander vor dem Schlafengehen nackt zu zeigen. Ich verstand
nun, was der plötzliche Einfall bedeutet hatte, man beobachte
sie beim Schlafengehen. Es war ein unverändertes Stück der
alten Vorwurfserinnerung, und sie holte jetzt an Schämen nach,
was sie als Kind versäumt hatte.
Die Vermutung, daß es sich hier um ein Kinderverhältnis
handle, wie auch in der Ätiologie der Hysterie so häufig, wurde
durch weitere Fortschritte der Analyse bekräftigt, bei denen-
sich gleichzeitig Lösungen für einzelne im Bild der Paranoia
häufig wiederkehrende Details ergaben. Der Anfang ihrer Ver-
stimmung fiel zusammen mit einem Zwiste zwischen ihrem
Manne und ihrem Bruder, infolgedessen der letztere ihr Haus
nicht mehr betrat. Sie hatte diesen Bruder immer sehr geliebt
und entbehrte ihn um diese Zeit sehr. Sie sprach aber außer-
dem von einem Moment ihrer Krankengeschichte, in dem ihr
zuerst „alles klar wurde", das heißt in dem sie zur Überzeugung
gelangte, daß ihre Vermutung, allgemein mißachtet und mit
Absicht gekränkt zu werden, Wahrheit sei. Diese Sicherheit
gewann sie durch den Besuch einer Schwägerin, welche im Ver-
lauf des Gespräches die Worte fallen ließ: „Wenn mir etwa»
Derartiges passiert, nehme ich es auf die leichte Achsel!". Fran
127
P. nahm diese Äußerung zunächst arglos hin; nachdem aber
ihr Besuch sie verlassen hatte, kam es ihr vor, als sei in diesen
"Worten ein Vorwurf für sie enthalten gewesen, als ob sie ge-
wohnt sei, ernste Dinge leicht zu nehmen, und von dieser
Stunde an war sie sicher, daß sie ein Opfer der allgemeinen
Nachrede sei. Als ich sie examinierte, wodurch sie sich berech-
tigt gefühlt, jene Worte auf sich zu beziehen, antwortete sie,
der Ton, in dem die Schwägerin gesprochen, habe sie — aller-
dings nachträglich — davon überzeugt, was doch ein für Para-
noia charakteristisches Detail ist. Ich zwang sie nun, sich an
die Reden der Schwägerin vor der angeschuldigten Äußerung
zu erinnern, und es ergab sich, daß diese erzählt hatte, im
Vaterhause habe es mit den Brüdern allerlei Schwierigkeiten
gegeben, und daran die weise Bemerkung geknüpft: „In jeder
Familie gehe allerlei vor, worüber man gerne eine Decke breite.
Wenn ihr aber Derartiges passiere, dann nehme sie es leicht."
Frau P. mußte nun bekennen, daß an diese Sätze vor der
letzten Äußerung ihre Verstimmung angeknüpft hatte. Da sie
diese beiden Sätze, die eine Erinnerung an ihr Verhältnis zum
Bruder wecken konnte, verdrängt hatte und nur den bedeutungs-
losen letzten Satz behalten, mußte sie die Empfindung, als
niache ihr die Schwägerin einen Vorwurf, an diesen knüpfen,
und da der Inhalt desselben keine Anlehnung hierfür bot, warf
sie sich vom Inhalte auf den Ton, mit dem diese Worte ge-
sprochen worden waren. Ein wahrscheinlich typischer Beleg
dafür, daß die Mißdeutungen der Paranoia auf einer Verdrän-
gung beruhen.
In überraschender Weise löste sich auch ihr sonderbares-
Verfahren, ihren Bruder zu Zusammenkünften zu bestellen, bei
denen sie ihm dann nichts zu sagen hatte. Ihre Erklärung lautete,,
sie habe gemeint, er müsse ihr Leiden verstehen, wenn sie ihn
bloß ansehe, da er um die Ursache desselben wisse. Da nun
dieser Bruder tatsächlich die einzige Person war, die um die
Ätiologie ihrer Krankheit wissen konnte, ergab sich, daß sie
nach einem Motiv gehandelt hatte, das sie bewußt zwar
selbst nicht verstand, das aber vollkommen gerechtfertigt,
erschien, sobald man ihm einen Sinn aus dem Unbewußten
unterlegte.
i
128 '
Es gelang mir dann, sie zur Reproduktion der verschie-
denen Szenen zu veranlassen, in denen der sexuelle Verkehr mit
dem Bruder (mindestens vom 6. bis zum 10. Jahre) gegipfelt
hatte. Während dieser Reproduktionsarbeit sprach die Organ-
empfindung im Schöße mit, wie es bei der Analyse hysterischer
Erinnerungsreste regelmäßig beobachtet wird. Das Bild eines
nackten weiblichen Schoßes (jetzt aber auf kindliche Propor-
tionen reduziert und ohne Behaarung) stellte sich dabei gleich-
falls ein oder blieb weg, je nachdem die betreffende Szene bei
hellem Lichte oder im Dunkeln vorgefallen war. Auch der Eß-
ekel fand in einem abstoßenden Detail dieser Vorgänge eine
Erklärung. Nachdem wir die Reihe dieser Szenen durch-
gemacht hatten, waren die halluzinatorischen Empfindungen
und Bilder verschwunden, um (wenigstens bis heute) nicht
wiederzukehren L ).
Ich hatte also gelernt, daß diese Halluzinationen nichts
anderes als Stücke aus dem Inhalt der verdrängten Kinder-
erlebnisse waren, Symptome der Wiederkehr des Verdrängten.
Nun wandte ich mich an die Analyse der Stimmen. Hier
war vor allem zu erklären, daß ein so gleichgültiger Inhalt:
„Hier geht die Frau P." — „Sie sucht jetzt Wohnung« u. dgl.
von ihr so peinlich empfunden werden konnte; sodann, auf
welchem Wege gerade diese harmlosen Sätze es dazu brachten,
durch halluzinatorische Verstärkung ausgezeichnet zu werden.
Von vornherein war klar, daß diese „Stimmen" nicht hallu-
zinatorisch reproduzierte Erinnerungen sein konnten wie die
Bilder und Empfindungen, sondern vielmehr „laut gewordene"
Gedanken.
Das erste Mal, als sie Stimmen hörte, geschah es unter
folgenden Umständen: Sie hatte mit großer Spannung die schöne
Erzählung von 0. Ludwig, Die Heiterethei, gelesen und
bemerkt, daß sie bei der Lektüre von aufsteigenden Gedanken
in Anspruch genommen wurde. Unmittelbar darauf ging sie auf
der Landstraße spazieren, und nun sagten ihr plötzlich die
J ) Als späterhin eine Exazerbatiou die ohnehin spärlichen Erfolge der
Behandlung aufhob, sah sie die anstößigen Bilder fremder Genitalien nicht
wieder, sondern hatte die Idee, die Fremden sähen ihre Genitalien, sobald
sie sich hinter ihr befänden.
129
Stimmen, als sie an einem Bauernhäuschen vorüberging: So
hat das Haus der Heiterethei ausgesehen! Da ist der Brunnen
und da der Strauch! Wie glücklich war sie doch bei all ihrer
Armut!" Dann wiederholten ihr die Stimmen ganze Abschnitte,
die sie eben gelesen hatte; aber es blieb unverständlich, warum
Haus, Strauch und Brunnen der Heiterethei und gerade die
belang- und beziehungslosesten Stellen der Dichtung sich ihrer
Aufmerksamkeit mit pathologischer Stärke aufdrängen mußten.
Indes war die Lösung des Rätsels nicht schwer. Die Analyse
ergab, daß sie während der Lektüre auch andere Gedanken
gehabt hatte und durch ganz andere Stellen des Buches an-
geregt worden war. Gegen dieses Material — Analogien zwi-
schen dem Paare der Dichtung und ihr und ihrem Manne,
Erinnerungen an Intimitäten ihres Ehelebens und an Familien-
geheimnisse — gegen dies alles hatte sich ein verdrängender
Widerstand erhoben, weil es auf leicht nachweisbaren Gedanken-
wegen mit ihrer sexuellen Scheu zusammenhing und so in letzter
Linie auf die Erweckung der alten Kindererlebnisse hinauskam.
Infolge dieser von der Verdrängung geübten Zensur gewannen
die harmlosen und idyllischen Stellen, die mit den beanstandeten
durch Kontrast und auch durch Yizinität verknüpft waren, die
Verstärkung für das Bewußtsein, die ihnen das Lautwerden er-
möglichte. Der erste der verdrängten Einfälle bezog sich zum
Beispiel auf die Nachrede, der die vereinsamt lebende Heldin
von seiten der Nachbarn ausgesetzt war. Die Analogie mit ihrer
eigenen Person wurde von ihr leicht gefunden. Auch sie lebte
in einem kleinen Orte, verkehrte mit niemand Und glaubte sich
von den Nachbarn mißachtet. Dies Mißtrauen gegen ihre Nach-
barn hatte seinen wirklichen Grund darin, daß sie anfangs ge-
nötigt war, sich mit einer kleinen Wohnung zu begnügen, in
welcher die Schlafzimmerwand, an der die Ehebetten des jungen
Paares standen, an ein Zimmer der Nachbarn stieß. Mit dem
Beginn ihrer Ehe erwachte in ihr — offenbar durch unbewußte
Erweckung ihres Kinderverhältnisses, in dem sie Mann und
Frau gespielt hatten — eine große sexuelle Scheu; sie besorgte
beständig, daß die Nachbarn Worte und Geräusche durch die
trennende Wand vernehmen könnten, und diese Scham verwan-
delte sich bei ihr in Argwohn gegen die Nachbarn.
Freud, Neurosenlehre. I. 4. Auflage. 9
130
Die Stimmen verdankten also ihre Entstehung der Ver-
drängung von Gedanken, die in letzter Auflösung eigentlich
Vorwürfe anläßlich eines dem Kindertrauma analogen Erleb-
nisses bedeudeten; sie waren demnach Symptome der Wiederkehr
des Verdrängten, aber gleichzeitig Folgen eines Kompromisses
zwischen Widerstand des Ich und Macht des Wiederkehrenden,
der in diesem Falle eine Entstellung bis zur Unkenntlichkeit
herbeigeführt hatte. In anderen Fällen, in denen ich Stimmen
bei Frau P. zu analysieren Gelegenheit hatte, war die Entstel-
lung minder groß; doch hatten die gehörten Worte immer einen
Charakter von diplomatischer Unbestimmtheit; die kränkende
Anspielung war meist tief versteckt, der Zusammenhang der
einzelnen Sätze durch fremdartigen Ausdruck, ungewöhnliche
Sprachformen u. dgl. verkleidet: Charaktere, die den Gehörs-
halluzinationen der Paranoiker allgemein eigen sind, und in
denen ich die Spur der Kompromißentstellung erblicke. Die
Rede: „Da geht die Frau P., sie sucht Wohnung in der Straße",
bedeutete zum Beispiel die Drohung, daß sie nie genesen werde,
denn ich hatte ihr zugesagt, daß sie nach der Behandlung im-
stande sein werde, in die kleine Stadt, wo ihr Mann beschäftigt
war, zurückzukehren; sie hatte für einige Monate in Wien pro-
visorisch Wohnung gemietet.
In einzelnen Fällen vernahm Frau P. ■ auch deutlichere
Drohungen, zum Beispiel in betreff der Verwandten ihres Mannes,
deren zurückhaltender Ausdruck aber immer noch mit der Qual
kontrastierte, welche ihr solche Stimmen bereiteten. Nach dem,
was man sonst von Paranoikern weiß, bin ich geneigt, ein all-
mähliches Erlahmen jenes die Vorwürfe abschwächenden Wider-
standes anzunehmen, so daß endlich die Abwehr voll mißlingt,
und der ursprüngliche Vorwurf, das Schimpfwort, welches man
sich ersparen wollte, in unveränderter Form zurückkehrt. Indes
weiß ich nicht, ob dies ein konstanter Ablauf ist, ob die Zensur
der Vorwurfsreden nicht von Anfang an ausbleiben oder bis
zum Ende ausharren kann.
Es erübrigt mir nur noch, die an diesem Falle von Paranoia
gewonnenen Aufklärungen für eine Vergleichung der Paranoia
mit der Zwangsneurose zu verwerten. Die Verdrängung als Kern
des psychischen Mechanismus ist hier wie dort nachgewiesen,
131
das Verdrängte ist in beiden Fällen ein sexuelles Kindererlebnis.
.Jeder Zwang rührt auch bei dieser Paranoia von Verdrängung
her; die Symptome der Paranoia lassen eine ähnliche Klassi-
fizierung zu, wie sie sich für die Zwangsneurose als berechtigt
erwiesen hat. Ein Teil der Symptome entspringt wieder der
primären Abwehr, nämlich alle Wahnideen des Mißtrauens,
Argwohnes, der Verfolgung durch andere. Bei der Zwangsneurose
ist der initiale Vorwurf verdrängt worden durch die Bildung
des primären Abwehrsymptoms: Selbstmißtrauen. Dabei
ist der Vorwurf als berechtigt anerkannt worden, und zur Aus-
gleichung schützt nun die Geltung, welche sich die Gewissen-
haftigkeit im gesunden Intervall erworben hat, davor, dem als
Zwangsvorstellung wiederkehrenden Vorwurfe Glauben zu schen-
ken. Bei Paranoia wird der Vorwurf auf einem Wege, den man
als Projektion bezeichnen kann, verdrängt, indem das Ab-
wehrsymptom des Mißtrauens gegen andere errichtet wird;
dabei wird dem Vorwurfe die Anerkennung entzogen, und wie
zur Vergeltung fehlt es dann an einem Schutze gegen die in
den Wahnideen wiederkehrenden Vorwürfe.
Andere Symptome meines Falles von Paranoia sind als
Symptome der Wiederkehr des Verdrängten zu bezeichnen und
tragen auch, wie die der Zwangsneurose, die Spuren des Kom-
promisses an sich, der ihnen allein den Eintritt ins Bewußtsein
gestattet. So die Wahnidee, beim Auskleiden beobachtet zu
werden, die visuellen, die Empfindungshalluzinatiohen und das
Stimmenhören. Nahezu unveränderter, nur durch Auslassung
unbestimmt gewordener Erinnerungsinhalt findet sich in der
erwähnten Wahnidee vor. Die Wiederkehr des Verdrängten in
visuellen Bildern nähert sich eher dem Charakter der Hysterie
als dem der Zwangsneurose, doch pflegt die Hysterie ihre Er-
innerungssymbole ohne Modifikation zu wiederholen, während
die paranoische Erinnerungshalluzination eine Entstellung er-
fährt, wie sie der Zwangsneurose zukommt; ein analoges mo-
dernes Bild setzt sich an die Stelle des verdrängten (Schoß
einer erwachsenen Frau anstatt eines Kindes; daran sogar die
Behaarung besonders deutlich, weil diese dem ursprünglichen
Eindruck fehlte). Ganz der Paranoia eigentümlich und in dieser
Vergleichung weiter nicht zu beleuchten ist der Umstand, daß
9*
132
die verdrängten Vorwürfe als lautgewordene Gedanken wieder-
kehren, wobei sie sich eine zweifache Entstellung gefallen lassen
müssen, eine Zensur, die zur Ersetzung durch andere assoziierte
Gedanken oder zur Verhüllung durch unbestimmte Ausdrucks-
weise führt, und die Beziehung auf moderne, den alten bloß
analoge Erlebnisse.
Die dritte Gruppe der bei Zwangsneurose gefundenen
Symptome, die Symptome der sekundären Abwehr, kann bei der
Paranoia nicht als solche vorhanden sein, da sich gegen die
wiederkehrenden Symptome, die ja Glauben finden, keine Abwehr
geltend macht. Zum Ersätze hierfür findet sich bei Paranoia
eine andere Quelle für Symptombildung; die durch das Kom-
promiß ins Bewußtsein gelangten Wahnideen (Symptome der
Wiederkehr) stellen Anforderungen an die Denkarbeit des Ich,
bis daß sie widerspruchsfrei angenommen werden können. Da
sie selbst unbeeinflußbar wird, muß das Ich sich ihnen anpassen,
und somit entspricht den Symptomen der sekundären Abwehr
bei der Zwangsneurose hier die kombinatorische Wahnbildung,
der Deutungswahn, der in die Ichveränderung aus-
läuft. Mein Fall war in dieser Hinsicht unvollständig; er zeigte
damals noch nichts von Deutungsversuchen, die sich erst später
einstellten. Ich zweifle aber nicht daran, daß man noch ein wich-
tiges Resultat wird feststellen können, wenn mau die Psycho-
analyse auch auf dieses Stadium der Paranoia anwendet. Es
dürfte sich ergeben, daß auch die sogenannte Erinnerungs-
schwäche der Paranoiker eine tendenziöse, das heißt auf
Verdrängung beruhende und ihren Absichten dienende ist. Es
werden nachträglich jene gar nicht pathogenen Erinnerungen
verdrängt und ersetzt, die mit der Ichveränderung in Wider-
spruch stehen, welche die Symptome der Wiederkehr gebieterisch
erfordern.
IX.
L'heredite et Fetiologie des Nevroses 1 ).
Je m'adresse specialement aus disciples de J.-M. Charcot
pour faire valoir quelques objections contre la theorie etiologique
des nevroses qui nous a ete transmise par notre maitre.
On sait quel est le role attribue ä l'heredite nerveuse dans
cette theorie. Elle est pours les affections nevrosiques la seule
cause vraie et indispensable, les autres influences ötiologiques
ne devant aspirer qu'au nom d'agents provocateurs.
Ainsi le maitre lui-meme et ses^eleves, MM. Guinon, GiÜes
de la Tourette, Janet et d'autres l'ont enoace pour la grande
•nevrose, l'hysterie et, je crois, la meme opinion est soutenue en
France et un peu partout pour les autres nevroses, bien qu'elle
n'ait pas ete emise d'une maniere aussi soleunelle et decidee
pour ces etats analogues ä l'hysterie.
C'est depuis longtemps que j'entretiens quelques soupgons
dans cette matifere, mais il m'a fallu attendre pour trouver des
faits d'appui dans l'expörience journaliere du medicin. Main-
tenant mes objections sont d'un double ordre, arguments de
faits et arguments tires de la speculation. Je commencerai par
les preraiers, en _Jes arrangeant selon l'importance que je leur
concede.
I. — s) On a parfois juge comme nerveuses et demon-
stratives d'une tendance ne>ropathique hereditaire, des affections
qui assez souvent sont etrangeres au domaine de la neuropatho-
logie et ne dependent pas ngcessairement d'une maladie du
Systeme nerveux. Ainsi les nevralgies vraies de Ja face et
nombre des cephalees, qu'on croyait nerveuses, mais qui derivent
J ) Revue neurologique. IV., 1896.
134
plutot des alterations pathologiques post-infectieuses et des
. suppurations dans le Systeme cavitaire pharyngo-nasal. Je me
tiens persuade, que les malades en profiteraient si nous aban-
donnions plus souvent le traitement de ces affections aux chirur-
giens rhinologistes.
b) On a accepte comme donnant lieu ä la Charge de tare
nerveuse hereditaire pour le malade en question toutes les affec-
tions nerveuses trouvees dans sa famille sans en compter la
frequence et la gravite. N'est-ce pas que cette maniere de voiY
semble contenir une Separation nette entre les familles indemnes
de toute predisposition nerveuse et les familles qui y soient
sujettes sans borne ni restriction? Et les faits ne plaident-ils
pas plutot en faveur de l'opinion opposee, savoir qu'il y ait
des transitions et des degres de disposition nerveuse et qu'au-
cune famille n'y echappe tout ä fait?
c) Assurement notre opinion sur le role etiologique de
l'hörddite dans les maladies nerveuses doit etre le rösultat d'un
examen impartial statistique et non pas d'une petitio principü.
Tant que cet examen n'aura pas 6te fait on devrait croire
l'existence des nevropathies acquises aussi possible que celle
des nevropathies herSditaires. Mais s'il peut y avoir des nevro-
pathies acquises par des hommes non predisposes, on ne pourra
plus nier que les affections nerveuses rencontrees chez les
parents de notre malade, ne soient en partie de cette origine.
Alors on ne saura plus les invoquer comme preuves concluantes
de la disposition hereditaire, qu'on impose au malade ä raison
de son histoire familiale, puisque le diagnostic retrospectif des
maladies des ascendants ou des membres absents de la famille
ne reussit que tres rarement.
d) Ceux qui se sont attaches ä M. Fournier et ä M. Erb
concernant le role etiologique de la syphilis dans le tabes
dorsal et la paralysie progressive, ont appris qu'il faut recon-
naitre des influences etiologiques puissantes dontla collaboration
est indispensable pour la pathogenie de certaines maladies, que
l'he'rödite ä eile seule ne saurait produire. Cependant M. Charcot
est demeure" jusqu'ä son dernier temps, comme j'ai su par une-
lettre privee du maitre, en stricte Opposition contre la th<5orie
de Fournier qui pourtant gagne du terrain de jour en jour.
m
135
e) II n'est pas douteux que certaines nevropathies peuvent
se developper chez l'homme parfaitement sain et de famille
irreprochable. C'est ce qu'on observe tous les jours pour la
nevrasthenie de Beard; si la nevrasthenie se bornait aux gens
predisposes eile n'aurait jamais gagne l'iinportance et l'etendue
que nous lui connaissons.
f) 11 y a dans la pathologie nerveuse, Vh&redite similaire
et l'heredite dite dissimilaire. Pour la premiere on ne trouvera
rien ä redire; c'est meme tres remarquable, que dans les affec-
tions qui dependent de l'heredite similaire (maladie de Thomsen,
de Friedreich; myopathies, choree de Huntington etc.) on ne
rencontre jamais la trace d'une autre influence etiologique ac-
cessoire. Mais l'heredite dissimilaire, beaucoup plus importante
que l'autre, laisse des lacunes qu'il faudrait combler pour arriver
ä une Solution satisfaisante des problemes etiologiques. Elle
consiste dans le fait que les membres de la meme famille se
montrent visites par les nevropathies les plus diverses, function-
nelles et organiques, sans qu'on puisse devoiler une loi qui
dirige la Substitution d'une maladie pour une autre ou l'ordre
de leur succession a travers les generations. 'A cöte des indi-
vidus malades il y dans ces familles des personnes qui restent
saines, et la theorie de l'heredite dissimilaire ne nous dit pas
pourquoi cette personne Supporte la meme charge h^röditaire
sans y succomber, ni pourquoi une autre personne malade aura
choisi, parmi les affections qui constituent la grande famille
nevropathique, une teile affection nerveuse au Heu d'en avoir
choisi une autre, l'hysterie au lieu de Pepilepsie, de la vesanie,
etc. Comme il n'y a pas une fortuite, en pathogenie nerveuse
pas plus qu'ailleurs, il faut bien conceder que ce n'est pas
l'heredite qui preside au choix de la nevropathie qui se de-
velloppera chez le membre d'une famille predisposö, mais qu'il y
a lieu de soupconner l'existence d'autres influences etiologiques,
d'une nature moins imcomprehensible, qui meriteraient alors le
nom d'une etwhgie specifique de teile ou teile affection nerveuse.
Sauf l'existence de ce facteur etiologique special l'heredite n'au-
rait pu rien faire; eile se serait pr$t£e ä la production d'une
autre nevropathie si l'etiologie specifique en question avait 6te
Bubstitu6e par une influence quelqu'autre.
136
II. — On a trop peu recherchä ces causes speciiiques
et determinautes des nevropathies, l'attention des m^decins
demeurant dblouie par la grandiose perspective de la condition
etiologique heröditaire.
Neanmoins elles meritent bien qu'on les rende l'objet d'une
etude assidue ; bien que leur puissance pathogenique ne soit en
general qu'accessoire ä celle de l'heredite", im grand interet
pratique se rattache ä la connaissance de cette etiologie speci-
fique qui pretera un acces ä notre travail the>apeutique, tandis
que la disposition her^ditaire, fix6"e d'avance pour le malade
des sa naissance, arrete nos efforts en pouvoir inabordable.
Je me suis engage depuis des annees dans la recherche
de l'etiologie des grandes n&vroses (etats nerveux fonctionnels
analogues & l'hystene) et c'est le re"sultat de ces e*tudes que
je raconterai dans les lignes qui vont suivre. Pout eviter tout
malentendu possible j'exposerai d'abord deux remarques sur
la nosographie des nevroses et sur l'etiologie des nevroses en.
general.
II m'a fallu commencer mon travail par une innovation
nosographique. A cöte de l'hysterie j'ai trouve raison de placer
la nevrose des obsessions (Zwangsneurose) comme affection
autonome et independante, bien que la plupart des auteurs
fassent ranger les obsessions parmi les Syndromes constituant
la degenerescence mentale ou les confondent avec la nevra-
sthenie. Moi, j'avais appris par l'examen de leur mecanisme
psychique, que les obsessions sont lie"es ä l'hysterie plus ätroite-
ment qu'on ne croirait.
Hysterie et nevrose d'obsessions forment le premier groupe
des grandes nevroses, que j'ai 6tudiees. Le second contient la
nevrasthenie de Beard que j'ai decomposee en deux etats fonc-
tionnels separes par l'etiologie comme par l'aspect symptomatique,
la n&wasthsnie propre et la nevrose d'angoisse (Angstneurose),
denomination qui, soit dit en passant, ne me convient pas ä
moi-meme. J'ai donne" les raisons de cette Separation, que je
crois ndcessaire, en detail dans un memoire public* en 1895
{Neurologisches Zentralblatt, n° 10—11).
Quant k l'etiologie des nevroses, je pense qu'on doit recon-
naitre en theorie que les influences etiologiques differentes entre
137
elles par leur dignite et maniere de relation avec l'effet qujelles
produisent, se laissent ranger en trois classes: 1) Conditions,.
qui sont indispensables pour la production de l'affection en
question, mais qui sont de nature universelle et se recontrent
aussi bien dans l'etiologie de beaucoup d'autres affections;
2) Causes concurrentes, qui partagent le caractöre des conditions
qu'elles fonctionnent dans la causation d'autres affections aussi
bien que dans celle de l'affection en question, inais qui ne sont
pas indispensables, pour que cette derniere se produise; 3) Causes
specifiques, autant indispensables que les conditions, mais de
nature etroite et qui n'apparaissent que dans l'etiologie de
l'affection, de laquelle elles sont specifiques.
Eh bien, dans la Pathogenese des grandes nevroses l'herä-
dite remplit le röle d'une condition, puissante dans tous les
cas et meme indispensable dans la plupart des cas. Elle ne
saurait se passer de la collaboration des causes specifiques,
mais l'importance de la disposition hereditaire se trouve de-
montr£e par le fait que les memes causes specifiques agissant
sur un individu sain ne produiraient aucun effet pathologique
manifeste pendant que chez une personne predisposee leur
action fera (Sclore la nevrose, de laquelle le developpement
en intensite et etendue sera conforme au degre" de cette con-
dition hereditaire.
L'action de l'heredite' est donc comparable ä celle du fil
multiplicateur dans le circuit electrique, qui exagere la deviation
visible de l'aiguille, mais qui ne pourra pas en determiner la
direction.
Dans les relations qui existent entre la condition hdredi-
taire et les causes specifiques des nevroses il y a encore autre
chose ä noter. L'experience montre, ce qu'on aurait pu supposer
d'avance, qu'on ne devrait pas negliger dans ces questions
d'etiologie les quantites relatives pour ainsi dire des influences
etiologiques. Mais on n'aurait pas devine" le fait suivant, qui
Bemble decouler de nies observations, que l'heredite et les causes
specifiques peuvent se remplacer par le cöte" quantitatif, que le
meme effet pathologique sera produit par la concurrence d'une
etiologie specifique tres serieuse avec une disposition mediocre
ou d'une her^dite - nerveuse chargöe avec une influence specifique
1 — »
138
legere. Alors ce n'est qu'un extreme bien plausible de cette Serie,
qu'on rencontre aussi des cas de nevroses, oü on cherchera en
vain im degre appreciable de disposition hereditaire, pourvu que
ce mänque soit compensö par une puissante influence specifique.
Oomme causes concurrentes ou accessoires des nevroses,
ont peut enumerer tous les agents banals rencontres ailleurs:
emotions morales, epuissement somatique, maladies aigues,
intoxications, accidents traumatiques, surmenage intellectuel, etc.
Je tiens ä la proposition qu'aucun d'eux, ni meme le dernier,
n'entre regulierement ou näcessairement dans l'etiologie des
nßvroses, et je sais bien qu'enoncer cette opinion c'est se
mettre en Opposition directe contre une tbeorie consideree comme
universelle et irreprochable. Depuis que Beard avait declare la
nevrasthenie etre le fruit de notre civilisation moderne, il n'a
trouve que des croyants; mais il m'est impossible ä moi
d'accepter cette opinion. Une etude laborieuse des nevroses m'a
appris que l'etiologie specifique des nevroses s'est soustraite ä
la connaissance de Beard.
Je ne veux pas deprecier l'importance etiologique de ces
agents banals. Ils sont tres varies, d'une occurrence frequente,
.et accuses le plus souvent par les malades memes, ils se rendent
plus evidents que les causes spöcifiques des nevroses, etiologie
ou cachee ou ignore"e. Ils remplissent assez souvent la fonction
des agents provocateurs qui rendent manifeste la nevrose jusque-
lä latente, et un int<§ret pratique se rattacbe ä eux, parce que
la consideration de ces causes banales peut preter des points
d'appui ä une tberapie qui ne vise pas la guerison radicale,
et qui se contente de refouler 1'arYection ä son etat anteneur
de latence.
Mais on n'arrive pas ä constater une relation constante
et etroite entre une de ces causes banales et teile ou autre
affection nerveuse; l'emotion morale, par exemple, se trouve
aussi bien dans l'etiologie de l'bysterie, des obsessions, de la
nevrasthenie, comme dans celle de l'epilepsie, de la maladie de
Parkinson, du diabMe, et nombre d'autres.
Les causes concurrentes banales pourront aussi remplacer
l'etiologie specifique en rapport de quantite, mais jamais la
substituer completement. II y a nombre de cas oü toutes les
l
■
..J
139
dnfluences etiologiques sont representees par la condition here-
<iitaire et la cause specifique, les causes banales faisant defaut.
Dans les autres cas, les facteurs etiologiques indispensables ne
■suffisent pas par leur quantite ä eux pour faire eclater la
nevrose, un etat de sante apparente peut etre maintenu pour
longtemps, qui est en verite un etat de predisposition nevrosique;
il suffit alors qu'une cause banale surajoute son action, la
nevrose devient manifeste. Mais il faut bien remarquer, dans
<le telles conditions, que la nature de l'agent banal survenant
«st tout ä fait indifferente, emotion, traumatisme, maladie
infectieuse ou autre; Peffet pathologique ne sera pas modine
selon cette Variation, la uature de la nevrose sera toujours
■dominee par la cause specifique preexistante.
Quelles sont donc ces causes specifiques des nevroses'?
T3st-ce une seule ou y en a-t-il plusieurs? Et peut-on constater
une relation etiologique constante entre teile cause et tel effet
neVrosique, de maniere que chacune des grandes nevroses puisse
^tre ramende ä une etiologie particuliere"?
Je veux maintenir, appuye sur un examen laborieux des
faits, que cette derniere supposition correspond bien ä la realite,
■que chacune des grandes nevroses enumerees a pour cause
immddiate un trouble particulier de l'dconomie nerveuse, et que
<;es modifications pathologiques fonctionnelles reconnaissent comme
.source commune la vie sexuelle de l'individu, soit desordre
de la vie sexuelle actuclle, soit eretiements importants de la
vie passde.
Ce n'est pas, ä vrai dire, une proposition nouvelle, inouie.
On a toujours admis les desordres sexuels parmi les causes de
la nervosa, mais on les a subordonnes ä l'heredite, coordonnös
äux autres agents provocateurs ; on a restreint leur influence
etiologique ä un nombre limite des cas observes. Les medecins
.avaient meme pris l'habitude de ne pas les rechercher si 16
malade ne les accusait lui-meme. Les caractöres distinctifs de
ma mani§re de voir sont que j'eleve ces influences sexuelles au
rang de causes specifiques, que je reconnais leur action dans
tous les cas de nevrose, enfin que je trouve un parallelisme
regulier, preuve de relation etiologique particuliere entre la
nature de l'influence sexuelle et l'espece morbide de la nevrose.
140
Je suis bien sür que cette theorie evoquera un orage de-
contradictions de la part \ des medecins conteniporains. Mais.
ce n'est pas ici le lieu de donner les documents et les ex-
periences, qui m'ont hnpose ma conviction, ni d'expliquer le
vrai sens de l'expression un peu vague „desordres de l'economie
nerveuse". Ce sera fait, j'espere le plus amplement, dans un
ouvrage que je prepare sur la matiere. Dans le memoire present.
je me borne ä enoncer mea resultats.
La nevrasthenie propre, d'un aspect clinique tres niono-
f . tone, si Ton a mis ä part la nevrose d'angoisse (fatigue, Sen-
sation de casque, dyspepsie flatulente, Obstipation, paresthesies-
spinales, faiblesse sexuelle etc.) ne reconnait comme Ätiologie
specifique que l'onanisme fimmoder<5) ou les pollutions spontanees.
C'est l'action prolongee et intensive de cette satisfaction
sexuelle pernicieuse qui suffit ä elle-meme pour provoquer la
nevrose ne'vrasthönique ou qui impose ä ce sujet le cachet
nevrasthenique special manifeste plus tard sous l'influence d'une
cause occasionelle accessoire. J'ai rencontre aussi des personnes-
qui presentaient les signes de la Constitution nevrasthenique
chez lesquels je n'ai pas reussi ä mettre en evidence l'etiologie-
nommee, mais j'ai constate au moins que chez ces malades la
fonction sexuelle n'etait jamais developpöe au niveau normal;,
ils semblaient doues par heritage d'une Constitution sexuelle^
analogue ä celle qui chez le nevrasthenique est produite en
consequence de l'onanisme.
La nevrose d'angoisse, de laquelle le tableau clinique est
beaucoup plus riebe (irritabilite, etat d'attente anxieuse, pbobies,.
attaques d'angoisse completes ou rudimentaires, de peur, de
vertige, tremblements, sueurs, congestion, dyspnee, tachycardie
etc.; diarrhöe chronique, vertige chroniqiie de locomotion, hyper-
esthesie, insomnies etc.) 1 ) est facilement devoilee comme l'effect
specifique de divers desordres de la vie sexuelle, qui ne man-
quent pas d'un caractere comniun ä eux tous. L'abstinence
forc£e, Tirritation genitale fruste (qui n'est pas assouvie par
l'acte sexuel), le coi't imparfait ou interrompu (qui n'aboutit pas
1 ) Voir pour la Symptomatologie comme l'etiologie de la neVrose-
d'angoisae, mon memoire cite plus haut. Neurologisches Zentrdlblait, 1895»
n° 10—11.
i
141
ä, la jouissance), les efforts sexuels, qui surpassant la capacite
psychique du sujet etc., tous ces agents, qui sont d'une
occurrence trop frequente dans la vie moderne, semblent con-
venir en ce qu'ils troublent lequilibre des fonctions psychiques
et somatiques dans les actes sexuels, et qu'ils empechent la
participation psychique necessaire pour delivrer l'econoniie ner-
veuse de la tension genesique.
Ces remarques, qui contiennent peut-etre le germe d'une
explicatioii theorique du mecanisme fonctionnel de la nevrose
en question, laissent dejä soupgonner, qu'une exposition complete
et vraiment scientifique de la inatiere ne soit pas possible
actiiellement et qu'il faudrait avant tout aborder le probleme
physiologique de la vie sexuelle sous un point de vue nouveau.
Je finis par dire, que la Pathogenese de la nevrasthönie
et de la nevrose d'angoisse peut se passer bien de la con-
eurrence d'une disposition hereditaire. U'est le resultat de
l'observation de tous les jours; mais si l'höreditö est presente,
le de"veloppement de la nevrose en subira l'influence fonnidable.
Pour la deuxieme classe des grandes nevroses, hysterie et
nevrose d'obsessions, la Solution de la question etiologique est
d'une simplicite et uniformite surprenante. Je dois nies resultats
ä l'emploi d'une nouvelle methode de psycho-analyse, au procede
explorateur de J. Breuer, un peu subtil, mais qu'on ne saurait
remplacer, tant il s'est montre fertile pour eclaircir les voies
obscures de l'idöation inconsciente. Au moyen de ce procede —
qu'il ne faut pas decrire ä cet endroit 1 ) — ou poursuit les
symptömes hysteriques jusqu'ä leur origine qu'on trouve toutes
2e6 fois dans un evenement de la vie sexuelle du sujet bien
approprie pour produire une emotion penible. Allant en arriere
dans ie passe" du malade, de pas } en pas et tou jours dirige" par
l'enchainement organique des symptömes, des Souvenirs et des
pensees eveillös, je suis arrivö enfin au point de depart du
processus pathologique et il m'a fallu voir, qu'il y avait au
fond la meine chose dans tous les cas soumis ä l'analyse,
l'action d'un agent, qu'il faut accepter comme cause specifique
de Thysterie.
r ) Voir: J. Breuer und Sigm. Freud. Studien über Hysterie
Wien, 1895, 2. unveränderte Auflage 1909.
-J
.142
C'est bien un souvenir qui se rapporte ä la vie sexuelle,
mais qui offre deux caracteres de la derniere importance.
L'evenement duquel le sujet a garde* le souvenir inconscient
est une exp&ience pre'coce de rapports sexuels avec Irritation
veritable des parties genitales, suite d'abus sexuel pratique par
une autre personne et la periode de la vie qui renfenne cet
evenement funeste est la premiere jeunesse, les annees jusqu'a
Tage de 8-10 aus, avant que l'enfant soit arrive ä la maturite
sexuelle.
Experietice de passivüe sexuelle avant la puberte: teile est
donc l'etiologie specifique de l'hysterie.
Je joindrai sans retard quelques details de faits et quel-
ques remarques commentaires au resultat enonce, pour combattre
la mefiance que j'attends. J'ai pu pratiquer la psycho-analyse
complöte en 13 cas d'hysterie, 3 de ce nombre combinaisons
vraies d'hysterie avec növrose d'obsessions (je ne.dis pas:
bysterie avec obsessions). Dans aucun de ces cas ne manquait
l'evenement caracterise lä-baut; il etait represente ou par un
attentat brutal commis par une personne adulte oii par une
seduction moins rapide, et moins repoussante, mais aboutissant
ä la meme fin. Sept fois sur treize il s'agissait d'une liaison
infantile des deux cotes, de rapports sexuels entre une petite
fille et un gar§on un peu plus äge, le plus souvent son fröre,
et lui-meme victime d'une seduction anterieure. Ces liaisons
s'etaient continuees quelquefois pendant des annees jusqu'a la
puberte des petits coupables, le gargon repetant toujours et
sans innovation sur la petite fille les meines pratiques, qu'il
avait subi lui-meme de la part d'une servante ou gouvernante,
et qui pour cause de cette origine etaient souvent de nature
degoütante. Dans quelques cas il y avait concurrence d'attentat
et de liaison infantile, ou abus brutal reitörö.
La date de l'experience pre'coce «Stait variable: en 2 cas
la serie commencait dans la deuxieme annee (?) du petit etre;
Tage de preference est dans mes observations la quatrieme ou
cinquieme annee. C'est peut-etre un peu par accident, mais j'ai
recu de lä l'impression qu'un evenement de passivite sexuelle
qui n'arrive qu'aprös l'äge de 8 ä 10 ans, ne pourra plus jeter
les fondements de la nevrose.
143
Comment peut-on rester conraincu de la realite de ces
confessions d'analyse qui pretendent etre des Souvenirs con-
serves depuis la premiere enfance, et coniment se munir contre
l'inclination de mentir et la facilite d'inventionattribuees aux
hysteriques? Je m'accuserais de credulite blamable moi-meme r
si je ne disposnis de preuves plus eoncluantes. Mais c'est que
les malades ne racontent jamais ces histoires spontenement, ni
ne vont jamais dans le cours d'un traitement offrir au medecin
tout d'un coup le souvenir complet d'une teile scene. On ne
reussit ä reveiller la trace psychique de l'evönement sexuel
precoce que sous la pression la plus energique du procede
analyseur et contre une resistance enorme, aussi faut-il leur
arracher le souvenir morceau par niorceau, et pendant qu'il
s'eveille dans leur conscience, ils deviennent la proie d'une emotion
difficile ä contrefaire.
On iinira meme par se convaincre si l'on n'est pas in-
fluence par la conduite des malades, pourvu qu'on puisse suivre
en detail le cours d'une psycho-analyse d'hysterie par röfere.
L'eveneinent precoce en question a laisse une empreinte
itnp^rissable dans l'histoire du cas, il y est represente par une
foule de symptomes et de traits particuliers, qu'on ne saurait
expliquer autrement; il est exige d'une maniöre peremptoire par
l'encbaineinent subtil mais solide de la structure intrinseque de
la n^vrose; l'effet therapeutique de l'analyse reste en retard, si
l'on n'a pas penetre aussi loin; alors on n'a pas d'autre choix
que de refuter ou de ci*oire le tout ensemble.
Peut-on comprende, qn'une teile experience sexuelle
precoce, subie par un individu, duquel le sexe est a peine
difierencie, devienne la source d'une abnormite psychique
persistante comme l'hysterie? Et comment s'accorderait une
teile supposition avec nos idees actuelles sur le mecanisme
psycbique de cette n£vrose? On peut donner une reponse
satisfaisante a la premiere question: C'est justement parce que
le sujet est' infantile, que l'irritation sexuelle precoce produit
nul ou peu d'eifet a sa date, mais la trace psycbique en est
conservee. Plus tard, quand ä la puberte se sera developp^e
la reactivite des organes sexuels ä un niveau presque in-
commensurable «vec l'etat infantile, il arrive d'une maniere ou
.
i
144
d'une autre, que cette trace psychique inconsciente se reveille.
Gräce au changeinent du ä la puberte le souvenir deploiera
une puissance qui a fait total eraent defaut ä l'evenement lui-
meme; le souvenir agira comme s'il üait un 6v6nement achtel.
II y a pour ainsi dire action posthume d'un traimatisme sexuel.
Autant que je vois, ce reveil du souvenir sexuel apres la
puberte, l'evenement meme 6tant arrive ä un temps recule"
avant cette periode, constitue la seule eventualite psycbologique,
pour que l'action imm^diate d'un souvenir surpasse celle de
l'evenement actuel. Mais c'est la une constellation anormale,
qui atteint un cöte faible du mecanisnie psychique et produit
necessairement un effet psycbique patbologique.
Je crois comprendre que cette relation inverse entre l' effet
psychique du souvenir et de l'övänement contieiit la raison pour
laquelle le souvenir reste inconscient.
On arrive ainsi ä un probleme psychique tres complexe,
mais qui düment appröcie promet de jeter un jour, une lumiere
vive sur les questions les plus delicates de la vie psychique.
Les idees ici exposees, ayant pour point de depart le resultat
de la psycho-analyse, qu'on trouve toujours comme cause
spöcifique de l'hysterie un souvenir d'experience sexuelle precoce,
ne s'accordent pas avec la theorie psycbologique de la nevrose
de M. Janet, ni avec une autre, mais elles harmonisent par-
faitement avec mes propres speculations developpees ailleurs sur
les „Abwehrneurosen".
Tous les evenements poste"rieurs ä la puberte, auxquels il
faut attribuer une influence sur le developpement de la
nevrose bysterique et sur la formation, de ses symptömes ne
sont vraiment que des causes concurrentes, „agents provo-
cateurs" comme disait Charcot, pour qui l'biredite nerveuse
occupait la place que je reclame pour l'experience sexuelle
precoce. Ces agents accessoires ne sont pas sujets aux con-
ditions strictes, qui pösent sur les causes specifiques; l'analyse
demontre d'une maniere irrefutable qu'ils ne jouissent d'une
influence pathogene pour Thysterie que par leur faculte d'eveiller
la trace psychique inconsciente de 1'evenement infantile. C'est
aussi gräce ä leur connexion avec l'empreinte pathogöne primaire
et aspires par eile, que leurs Souvenirs deviendront inconscients
145
ä. leur tour et pourront aider Paccroissenient d'une activite
psychique soustraite au pouvoir des fonctions conscientes.
La nevrose d'obsessions (Zwangsneurose) releve d'une cause
spe"ciiique tres analogue ä celle de Physterie. On y trouve aussi
un evenement sexuel precoce, arrive avant Page de la puberte.
duquel le souvenir devient actif pendant ou apres cette epoque,
et les inemes remarques et raisonnements exposes ä Poccasion de
Physterie pourront s'appliquer aus observations de Pautre ne"vrose
(six cas, dont trois purs). II n'y a qu'une difference qui sembk
capitale. Nous avons trouv4.au fond de Petiologie hysterique un
evenement de passivite sexuelle, une experience subie avec in-
difference ou avec un petit peu de depit ou d'effroi. Dans la
növrose d'obsessions il s'agit au contraire d'un evenement, qui
a fait plaisir, d'une aggression sexuelle inspir<§e par le desir
(en cas de garcon) ou d'une participation ayec jouissance aux
rapports . sexuels (en cas de petite fille). Les idees obsödantes,
reconnues par l'analyse dans leur sens intime, reduites pour
ainsi dire ä leur expression la plus simple ne sont pas autre
chose que des reprockes, que le sujet s'adresse ä cause de cette
j&imsmiee sexuelle anticiph, mais des reproches defigures par un
travail psychique inconscient de transformation et de Substitution.
Le fait meme, que de telles aggressions sexuelles se
passent dans un äge aussi tendre, semble denoncer Pinfluence
d'une s^duction anterieure, de laquelle la precocitei du d&ir
sexuel soit la consequence. L'analyse vient confirmer ce soupcon,
dans les cas analyses par moi. On s'explique de cette maniere
un fait interessant toujours present dans ces cas d'obsessions, la
complication reguliere du cadre symptomatique par un certain
nombre de symptömes simplement hysteriques.
L'importance de l'element actif de la vie sexuelle pour la
cause des obsessions comme de la passivite sexuelle pour la
Pathogenese de l'hysterie semble meme devoiler la raison de
la connexion plus intime de Physterie avec le sexe feminin et
le la prefeVence des hommes pour la nevrose d'obsessions.
On rencontre parfois des couples de malades nevrosös, qui
ont £te" un couple de petits amoureux dans leur premiere jeunesse.
Phomme soutfrant d'obsessions, la femme d'hysterie; s'il s'agit
d'un frere et de la sceur on pourra meprendre pour un efiet
Freud, Neurosenlehre. I. 4. Auflage. IQ
146
de l'heredite* nerveuse, ce qui en verite" derive d'experiences
sexuelles precoces.
II y a sans doute des cas d'hysterie ou d'obsession purs
et isoles, indcpendants de nevrasthenie ou nevrose d'angoisse;
mais ce n'est pas la regle. Plus souvent la psycho-nevrose se
präsente comme accessoiro aux neVroaes nevrastheniques, eroquee
par eux et suivant leur decours. C'est parce que les causes
specifiques des derniers, les desordres actuels de la vie sexuelle,
agissent en ineme temps comme causes accessoires des psycho-
nevroses, dont ils eveillent et raniment la cause specifique, le
sonvenir de l'experience sexuelle precoce.
Quant ä l'heredite nerveuse, je suis loin de savoir 6valuer
au juste son influence dans l'etiologie des psycho-nevroses. Je
concäde que sa presence est indispensable dans les cas graves,
je doute qu'elle soit necessaire pour les cas lßgers, mais je
suis concaincu que l'heredite nerveuse ä eile seule ne peut pas
produire les psycho-nevroses, si leur etiologie specifique, l'irri-
tation sexuelle precoce, fait defaut. Je vois merae, que la
question de savoir laquelle des nevroses, hyst^rie ou obsessions,
se developpera dans un cas donne, n'est pas jugee par l'here-
dite mais par un caractere special de cet evönenient sexuel de
la premiere jeunesse.
X.
Zur Ätiologie der Hysterie 1 ).
Meine Herren! Wenn wir daran gehen, uns eine Meinung
über die Verursachung eines krankhaften Zustandes wie die
Hysterie zu bilden, betreten wir zunächst den Weg der anamne-
stischen Forschung, indem wir den Kranken oder dessen Um-
gebung ins Verhör darüber nehmen, auf welche schädlichen
Einflüsse sie selbst die Erkrankung an jenen neurotischen
Symptomen znrückführen. Was wir so in Erfahrung bringen,
ist selbstverständlich durch alle jene Momente verfälscht, die
einem Kranken die Erkenntnis des eigenen Zustandes zu ver-
hüllen pflegen, durch seinen Mangel an wissenschaftlichem Ver-
ständnis für ätiologische Wirkungen, durch den Fehlschluß des
post hoc, ergo propter hoc, durch die Unlust, gewisser
Noxen und Traumen zu gedenken oder ihrer Erwähnung zu
tun. Wir halten darum bei solcher anamnestischer Forschung
an dem Vorsatze fest, den Glauben der Kranken nicht ohne
eingehende kritische Prüfung zu dem unserigen zu machen, nicht
zuzulassen, daß die Patienten uns unsere wissenschaftliche Mei-
nung über die Ätiologie der Neurose zurechtmachen. Wenn wir
einerseits gewisse konstant wiederkehrende Angaben anerkennen,
wie die, daß der hysterische Zustand eine lang andauernde
Nachwirkung einer einmal erfolgten Gemütsbewegung sei, so
haben wir anderseits in die Ätiologie der Hysterie ein Moment
eingeführt, welches der Kranke selbst niemals vorbringt und nur
unfern gelten läßt, die hereditäre Veranlagung von seiten der
i) „Wiener klinische Rundschau", 1896, Nr. 22—26. Ausführung nach
einem Vortrage im Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien am
2. Mai 1896.
10*
148
Erzeuger. Sie wissen, daß nach der Meinung der einflußreichen
Schule Charcots die Heredität allein als wirkliche Ursache
der Hysterie Anerkennung verdient, während alle anderen
Schädlichkeiten verschiedenartigster Natur und Intensität nur
die Rolle von Gelegenheitsursachen, von „Agents provocateur "
spielen sollen.
Sie werden mir ohne weiteres zugeben, daß es wünschens-
wert wäre, es gäbe einen zweiten Weg, zur Ätiologie der Hysterie
zu gelangen, auf welchem man sich unabhängiger von den An-
gaben der Kranken wüßte. Der Dermatologe z. B. weiß ein Ge-
schwür als luetisch zu erkennen nach der Beschaffenheit der
Ränder, des Belags, des Umrisses, ohne daß ihn der Einspruch
des Patienten, der eine Infektionsquelle leugnet, daran irre
machte. Der Gerichtsarzt versteht es, die Verursachung einer
Verletzung aufzuklären, selbst wenn er auf die Mitteilungen des
Verletzten verzichten muß. Es besteht nun eine solche Möglich-
keit, von den Symptomen aus zur Kenntnis der Ursachen vor-
zudringen, auch für die Hysterie. Das Verhältnis der Methode
aber, deren man sich hiefür zu bedienen hat, zur älteren Me-
thode der anamnestischen Erhebung möchte ich Ihnen in einem
Gleichnisse darstellen, welches einen auf anderem Arbeitsgebiete
tatsächlich erfolgten Fortschritt zum Inhalt hat.
Nehmen Sie an, ein reisender Forscher käme in eine wenig
bekannte Gegend, in welcher ein Trümmerfeld mit Mauerresten,
Bruchstücken von Säulen, von Tafeln mit verwischten und un-
lesbaren Schriftzeichen sein Interesse erweckte. Er kann sich
damit begnügen zu beschauen, was frei zutage liegt, dann die
in der Nähe hausenden, etwa halbbarbarischen Einwohner aus-
fragen, was ihnen die Tradition über die Geschichte und Be-
deutung jener monumentalen Reste kundgegeben hat, ihre Aus-
künfte aufzeichnen und — Weiterreisen. Er kann aber auch
anders vorgehen; er kann Hacken, Schaufeln und Späten mit-
gebracht haben, die Anwohner für die Arbeit mit diesen Werk-
zeugen bestimmen, mit ihnen das Trümmerfeld in Angriff neh-
men, den Schutt wegschaffen und von den sichtbaren Resten
aus das -Vergrabene aufdecken. Lohnt der Erfolg seine Arbeit,
so erläutern die Funde sich selbst; die Mauerreste gehören zur
Umwallung eines Palastes oder Schatzhauses, aus den Säulen-
r
149
trümmern ergänzt sich ein Tempel, die zahlreich gefundenen,
im glücklichen Falle bilinguen Inschriften enthüllen ein Alphabet
und eine Sprache, und deren Entzifferung und Übersetzung
ergibt ungeahnte Aufschlüsse über die Ereignisse der Vorzeit,
zu deren Gedächtnis jene Monumente erbaut worden sind.
S a x a loquuntur!
Will man in annähernd ähnlicher Weise die Symptome
einer Hysterie als Zeugen für die Entstehungsgeschichte der
Krankheit laut werden lassen, so muß man an die bedeutsame
Entdeckung J. Breuers anknüpfen, daß die Symptome
derHysterie (die Stigmata beiseite) ihre Determinie-
rung von gewissen traumatisch wirksamen Erleb-
nissen des Kranken herleiten, als deren Erinne-
rungssymbole sie im psychischen Leben desselben
reproduziert werden. Man muß sein Verfahren — oder
ein im Wesen gleichartiges — anwenden, um die Aufmerksam-
keit des Kranken vom Symptom aus auf die Szene zurück-
leiten, in welcher und durch welche das Symptom entstanden
ist, und man beseitigt nach seiner Anweisung dieses Symptom,
indem man bei der Reproduktion der traumatischen Szene eine
nachträgliche Korrektur des damaligen psychischen Ablaufes
durchsetzt.
Es liegt heute meiner Absicht völlig ferne, die schwierige
Technik dieses therapeutischen Verfahrens oder die dabei ge-
wonnenen psychologischen Aufklärungen zu behandeln. Ich
mußte nur an dieser Stelle anknüpfen,, weil die nach Breuer
vorgenommenen Analysen gleichzeitig den Zugang zu den Ur-
sachen der Hysterie zu eröffnen scheinen. Wenn wir eine größere
Reihe von Symptomen bei zahlreichen Personen dieser Analyse
unterziehen, so werden wir ja zur Kenntnis einer entsprechend
großen Reihe von traumatisch wirksamen Szenen geleitet werden.
In diesen Erlebnissen sind die wirksamen Ursachen der Hysterie
zur Geltung gekommen; wir dürfen also hoffen, aus dem Stu-
dium der traumatischen Szenen zu erfahren, welche Einflüsse
hysterische Symptome erzeugen und auf welche Weise.
Diese Erwartung trifft zu, notwendigerweise, da ja die
Sätze von Breuer sich bei der Prüfung an zahlreicheren Fällen
als richtig erweisen. Aber der Weg von den Symptomen der
150
Hysterie zu deren Ätiologie ist langwieriger und führt über
andere Verbindungen, als man sich vorgestellt hätte.
Wir wollen uns nämlich klar machen, daß die Zurück-
führung eines hysterisphen Symptoms auf eine traumatische
Szene nur dann einen Gewinn für unser Verständnis mit sich
bringt, wenn diese Szene zweien Bedingungen genügt, wenn sie
die betreffende determinierende Eignung besitzt, und
wenn ihr die nötige traumatische Kraft zuerkannt werden
muß. Ein Beispiel anstatt jeder Worterklärung! Es handle sich
um das Symptom des hysterischen Erbrechens ; dann glauben
wir dessen Verursachung (bis auf einen gewissen Rest) durch-
schauen zu können, wenn die Analyse das Symptom auf ein
Erlebnis zurückführt, welches berechtigterweise ein
hohes Maß von Ekel erzeugt hat, wie etwa der Anblick
eines verwesenden menschlichen Leichnams. Ergibt die Analyse
anstatt dessen, daß das Erbrechen von einem großen Schreck,
z. B. bei ' einem Eisenbahnunfall, herrührt, so wird man sich
unbefriedigt fragen müssen, wieso denn der Schreck gerade zum
Erbrechen geführt hat. Es fehlt dieser Ableitung an der Eig-
nung zur Determinierung. Ein anderer Fall von un-
genügender Aufklärung liegt vor, wenn das Erbrechen etwa von
dem Genuß einer Erucht herrühren soll, die eine faule Stelle
zeigte. Dann ist zwar das Erbrechen durch den Ekel deter-
miniert, aber man versteht nicht, wie der Ekel in diesem Falle'
so mächtig werden konnte, sich durch ein hysterisches Symptom
zu verewigen; es mangelt diesem Erlebnisse an traumati-
scher Kraft.
Sehen wir nun nach, inwieweit die durch die Analyse auf-
gedeckten traumatischen Szenen der Hysterie bei einer größeren
Anzahl von, Symptomen und Fällen den beiden erwähnten An-
sprüchen genügen. Hier stoßen wir auf die erste große Ent-
täuschung ! Es trifft zwar einige Male zu, -daß die traumatische
Szene, in welcher das Symptom entstanden ist, wirklich beides,
die determinierende Eignung und die traumatische Kraft, be-
sitzt, deren wir zum Verständnis des Symptoms bedürfen. Aber
weit häufiger, unvergleichlich häufiger, finden wir eine der drei
übrigen Möglichkeiten verwirklicht, die dem Verständnisse so
ungünstig sind: die Szene, auf welche wir durch die Analyse
151
geleitet werden, in welcher das Symptom zuerst aufgetreten ist,
erscheint uns entweder ungeeignet zur Determinierung des
Symptoms, indem ihr Inhalt zur Beschaffenheit des Symptoms
keine Beziehung .zeigt; oder das angeblich- traumatische Er-
lebnis, dem es an inhaltlicher Beziehung nicht fehlt, erweist
sich als ein normalerweise harmloser, für gewöhnlich wirkungs-
unfähiger Eindruck; oder endlich die „traumatische Szene"
macht uns nach beiden Bichtungen irre; sie erscheint ebenso
harmlos wie ohne Beziehung zur Eigenart des hysterischen
Symptoms. jfe
(Ich bemerke hier nebenbei, daß Bjeuers Auffassung
von der Entstehung hysterischer Symptonfe durch die Auf-
findung traumatischer Szenen, die an sich bedeutungslosen Er-
lebnissen entsprechen, nicht geBtört worden ist. Breuer nahm
nämlich — im Anschlüsse an Charcot — an, daß auch ein
harmloses Erlebnis zum Trauma erhoben werden und deter-
minierende Kraft entfalten kann, wenn es die Person in einer
besonderen psychischen Verfassung, im sogenannten hypnoi-
den Zustand, betrifft. Allein ich finde, daß zur Voraus-
setzung solcher hypnoider Zustände oftmals jeder Anhalt fehlt.
Entscheidend bleibt, daß die Lehre von den hypnoiden Zu-
ständen nichts zur Lösung der anderen Schwierigkeiten leistet,
daß nämlich den traumatischen Szenen so häufig die deter-
minierende Eignung abgeht.)
Fügen Sie hinzu, meine Herren, daß diese erste Ent-
täuschung beim Verfolg der Breuer sehen Methode unmittelbar
durch eine andere eingeholt wird, die man besonders als Arzt
schmerzlich empfinden muß. Zurückführungen solcher Art, wie
wir sie geschildert haben, die unserem Verständnis betreffs der
Detenninierung und der traumatischen Wirksamkeit nicht ge-
nügen, bringen auch keinen therapeutischen Gewinn; der Kranke
hat seine Symptome ungeändert behalten, trotz des ersten Er-
gebnisses, das uns die Analyse geliefert hat. Sie mögen ver-
stehen, wie groß dann die Versuchung wird, auf eine Fort-
setzung der ohnedies mühseligen Arbeit zu verzichten.
Vielleicht aber bedarf es nur eines neuen Einfalles, um
uns aus der Klemme zu helfen und zu wertvollen Resultaten
zu führen! Der Einfall ist folgender: Wir wissen ja durch
»
152
Breuer, daß die hysterischen Symptome zu lösen sind, wenn
wir von ihnen aus den Weg zur Erinnerung eines traumatischen
Erlebnisses finden können. Wenn nun die aufgefundene Er-
innerung unseren- Erwartungen nicht entspricht, vielleicht ist
derselbe Weg ein Stück weiter zu verfolgen, vielleicht verbirgt
sich hinter der ersten traumatischen Szene die Erinnerung an
eine zweite, die unseren Ansprüchen besser genügt, und deren
Reproduktion mehr therapeutische Wirkung entfaltet, so daß
die erstgefundene Szene nur die Bedeutung eines Bindegliedes
in der Assoziationsverkettung hat? Und vielleicht wiederholt
sich dieses Verhältnis, die Einschiebung unwirksamer Szenen als
notwendiger Übergänge bei der Reproduktion mehrmals, bis man
vom hysterischen Symptom aus endlich zur eigentlich traumatisch
wirksamen, in jeder Hinsicht, therapeutisch wie analytisch, be-
friedigenden. Szene gelangt? Nun, meine Herren, diese Ver-
mutung ist richtig. Wo die erstaufgefundene Szene unbefriedi-
gend ist, sagen wir dem Kranken, dieses Erlebnis erkläre nichts,
es müsse sich aber hinter ihm ein bedeutsameres, früheres Er-
lebnis verbergen, und lenken seine Aufmerksamkeit nach der-
selben Technik auf den Assoziationsfaden, welcher beide Er-
innerungen, die aufgefundene und die aufzufindende verknüpft 1 ).
Die Fortsetzung der Analyse führt dann jedesmal zur Repro-
duktion neuer Szenen von den erwarteten Charakteren. Wenn
ich z. B. den vorhip ausgewählten Fall von hysterischem Er-
brechen wieder aufnehme, den die Analyse zunächst auf einen
Schreck bei einem Eisenbahnunfall zurückgeführt hat, welcher
der determinierenden Eignung entbehrt, so erfahre ich aus weiter-
gehender Analyse, daß dieser Unfall die Erinnerung an einen
andern, früher vorgekommenen, geweckt hat, den der Kranke
zwar nicht selbst erlebte, der ihm aber Gelegenheit zu dem
Grauen und Ekel erregenden Anblick eines Leichnams bot. Es
ist, als ob das Zusammenwirken beider Szenen die Erfüllung
unserer Postulate ermöglichte, indem das eine Erlebnis durch,
') Es bleibt dabei absichtlich außer Erörterung, von welchem Rang
die Assoziation der beiden Erinnerungen ist (ob durch Gleichzeitigkeit,
kausaler Art, nach inhaltlicher Ähnlichkeit usw.), und auf welche psycho-
logische Charakteristik die einzelnen „Erinnerungen" (bewußte oder un-
bewußte) Anspruch haben.
153
den Schreck die traumatische Kraft, das andere durch seinen
Inhalt die determinierende Wirkung beistellt. Der andere Fall
daß das Erbrechen auf den Genuß eines Apfels zurückgeführt
wird, an dem sich eine faule Stelle findet, wird durch die
Analyse etwa in folgender Weise ergänzt: Der faulende Apfel
erinnert an ein früheres Erlebnis, an das Sammeln abgefallener
Apfel in einem Garten, wobei der Kranke zufällig auf einen
ekelhaften Tierkadaver stieß.
Ich will auf diese Beispiele nicht mehr zurückkommen,
denn ich muß das Geständnis ablegen, daß sie keinem Falle
meiner Erfahrung entstammen, daß sie von mir erfunden sind;
höchstwahrscheinlich sind sie auch schlecht erfunden; derartige
Auflösungen hysterischer Symptome halte ich selbst für un-
möglich. Aber der Zwange Beispiele zu fingieren, erwächst mir
aus mehreren Momenten, von denen ich eines unmittelbar an-
führen kann. Die wirklichen Beispiele sind alle unvergleichlich
komplizierter; eine einzige ausführliche Mitteilung würde diese
Vortragsstunde ausfüllen. Die Assoziationskette besteht immer
aus mehr als zwei Gliedern, die traumatischen Szenen bilden
nicht etwa einfache, perlschnurartige Beihen, sondern verzweigte,
stammbaumartige Zusammenhänge, indem bei einem neuen Er-
lebnis zwei und mehr frühere als Erinnerungen zur Wirkuno-
kommen; kurz, die Auflösung eines einzelnen Symptoms mit-
teilen, fällt eigentlich zusammen mit der Aufgabe, eine Kranken-
geschichte vollständig darzustellen.
Wir wollen es nun aber nicht versäumen, den einen Satz
nachdrücklich hervorzuheben, den die analytische Arbeit längs
dieser Erinnerungsketten unerwarteterweise gegeben hat. Wir
haben erfahren, daß kein hysterisches Symptom aus
einem realen Erlebnisse allein hervorgehen kann,,
sondern daß alle Male die assoziativ geweckte Er-
innerung an frühere' Erlebnisse zur Verursachung
des Symptoms mitwirkt. Wenn dieser Satz — wie ich
meine — ohne Ausnahme richtig ist, so bezeichnet er uns
aber auch das Fundament, auf dem eine psychologische Theorie
der Hysterie aufzubauen ist.
Sie könnten meinen, jene seltenen Fälle, in welchen die
Analyse das Symptom sofort auf eine traumatische Szene von
154
guter determinierender Eignung und traumatischer Kraft zurück-
führt und es durch solche Zurückführung gleichzeitig wegschafft,
wie dies in Breuers Krankengeschichte der Anna 0. geschil-
dert wird, seien doch mächtige Einwände gegen die allgemeine
Geltung des eben aufgestellten Satzes. Das sieht in der Tat so
aus; allein ich muß sie versichern, ich habe die triftigsten
Gründe, anzunehmen, daß selbst in diesen Fällen eine Verket-
tung .wirksamer Erinnerungen vorliegt, die weit hinter die erste
traximatische Szene zurückreicht, wenngleich die Reproduk-
tion der letzteren allein die Aufhebung des Symptoms zur Folge
haben kann.
Ich meine, es ist wirklich überraschend, daß hysterische
Symptome nur unter Mitwirkung von Erinnerungen entstehen
können, zumal wenn man erwägt, daß diese Erinnerungen nach
allen Aussagen der Kranken ihnen im Momente, da das Symptom
zuerst auftrat, nicht zum Bewußtsein gekommen waren. Hier
ist Stoff für sehr viel Nachdenken gegeben, aber diese Probleme
sollen uns für jetzt nicht verlocken, unsere Richtung nach der
Ätiologie der Hysterie zu verlassen. "Wir müssen uns vielmehr
fragen: Wohin gelangen wir, wenn wir den Ketten assoziierter
Erinnerungen folgen, welche die Analyse uns aufdeckt? Wie
weit reichen sie? Haben sie irgendwo ein natürliches Ende?
Führen sie uns etwa zu Erlebnissen, die irgendwie gleichartig
sind, dem Inhalte oder der Lebenszeit nach, so daß wir in
diesen überall gleichartigen Faktoren die gesuchte Ätiologie der
Hysterie erblicken könnten?
Meine bisherige Erfahrung gestattet mir bereits, * diese
Fragen zu beantworten. Wenn man von einem Falle ausgeht,
der mehrere Symptome bietet, so gelangt man mittels der Ana-
lyse von jedem Symptom aus zu einer Reihe von Erlebnissen,
deren Erinnerungen in der Assoziation miteinander verkettet
sind. Die einzelnen Erinnerungsketten verlaufen zunächst distinkt
voneinander nach rückwärts, sind aber, wie bereits erwähnt,
verzweigt; von einer Szene aus sind gleichzeitig zwei oder mehr
Erinnerungen erreicht, von denen nun Seitenketten ausgehen,
deren einzelne Glieder wieder mit Gliedern der Hauptkette
assoziativ verknüpft sein mögen. Der Vergleich mit dem Stamm-
baum einer Familie, deren Mitglieder auch untereinander ge-
155
™~
heiratet haben, paßt hier wirklich nicht übel. Andere Komplika-
tionen der Verkettung ergeben sich daraus, daß eine einzelne
Szene in derselben Kette mehrmals erweckt werden kann, so
daß sie zu einer späteren Szene mehrfache Beziehungen hat,
eine direkte Verknüpfung mit ihr aufweist und eine durch Mittel-
glieder hergestellte. Kurz, der Zusammenhang ist keineswegs ein
einfacher und die Aufdeckung der Szenen in umgekehrter chrono-
logischer Folge (die eben den Vergleich mit der Aufgrabung
eines geschichteten Trümmerfeldes rechtfertigt) trägt zum rasche-
ren Verständnis des Herganges gewiß nichts bei.
Neue Verwicklungen ergeben sich, wenn man die Analyse
weiter fortsetzt. Die Assoziationsketten für die einzelnen Sym-.
ptonie beginnen dann in Beziehung zueinander zu treten; die
Stammbäume verflechten sich. Bei einem gewissen Erlebnis der
Erinnerungskette, z. B. für das Erbrechen, ist außer den rück-
läufigen Gliedern dieser Kette eine Erinnerung aus einer andern
Kette erweckt worden, die ein anderes Symptom, etwa Kopf-
schmerz, begründet. Jenes Erlebnis gehört darum beiden Reihen
an, es stellt also einen Knotenpunkt dar, wie deren in jeder
Analyse mehrere aufzufinden sind. Sein klinisches Korrelat
mag etwa sein, daß von einer gewissen Zeit an die beiden
Symptome zusammen' auftreten, symbiotisch, eigentlich ohne
innere Abhängigkeit voneinander. Knotenpunkte anderer
Art findet man noch weiter rückwärts. Dort konvergieren die
einzelnen Assoziationsketten; es finden sich Erlebnisse, von
denen zwei oder mehrere Symptome ausgegangen sind. An das
eine Detail der Szene hat die eine Kette, an ein anderes Detail
die zweite Kette angeknüpft.
Das wichtigste Ergebnis aber, auf welches man bei solcher
konsequenten Verfolgung der Analyse stößt, ist dieses: Von
welchem Fall und von welchem Symptom immer man seinen
Ausgang genommen hat, endlich gelangt man unfehlbar
auf das Gebiet des sexuellen Erlebens. Hiermit wäre
also zuerst eine ätiologische Bedingung hysterischer Symptome
aufgedeckt.
Ich kann nach früheren Erfahrungen voraussehen, daß
gerade gegen diesen Satz oder gegen die Allgemeingültigkeit
dieses Satzes Ihr Widerspruch, meine Herren, gerichtet sein wird.
156
Ich sage vielleicht besser: Ihre Widerspruchsneigung, denn es
stehen wohl noch keinem von Ihnen Untersuchungen zu Gebote,
die, mit demselben Verfahren angestellt, ein anderes Resultat
ergeben hätten. Zur Streitsache selbst will ich nur bemerken,
daß die Auszeichnung des sexuellen Momentes in der Ätiologie
der Hysterie bei mir mindestens keiner vorgefaßten Meinung
entstammt.^ Die beiden Forscher, als deren Zögling ich meine
Arbeiten über Hysterie begonnen habe. Charcot wie Breuer,-
standen einer derartigen Voraussetzung ferue, ja sie brachten
ihr eine persönliche Abneigung entgegen, von der ich anfangs
meinen Anteil übernahm. Erst die mühseligsten Detailunter-
- suchungen haben mich, und zwar langsam genug, zu der Meinung
bekehrt, die ich heute vertrete. Wenn Sie meine Behauptung,
die Ätiologie auch der Hysterie läge im Sexualleben, der strengsten
Prüfung unterziehen, so erweist sie sich als vertretbar durch
die Angabe, daß ich in etwa 18 Fällen von Hysterie diesen
Zusammenhang für jedes einzelne Symptom erkennen und, wo
es die Verhältnisse gestatteten, durch den therapeutischen Erfolg
bekräftigen konnte. Sie können mir dann freilich einwenden,
die 19. und die 20. Analyse werden vielleicht eine Ableitung
hysterischer Symptome auch aus anderen Quellen kennen lehren
und damit die Gültigkeit der sexuellen Ätiologie von der All-
gemeinheit auf 80% einschränken. "Wir wollen es gerne ab-
warten, aber da jene 18 Fälle gleichzeitig alle sind, an denen
ich die Arbeit der Analyse unternehmen konnte, und da niemand
diese Fälle mir zum Gefallen ausgesucht hat, werden Sie es
begreiflich finden, daß ich jene Erwartung nicht teile, sondern
bereit bin, mit meinem Glauben über die Beweiskraft meiner
bisherigen Erfahrungen hinauszugehen. Dazu bewegt mich übrigens
noch ein anderes Motiv von einstweilen bloß subjektiver Geltung.
In dem einzigen Erklärungsversuch für den physiologischen und
psychischen Mechanismus der Hysterie, den ich mir- zur Zu-
sammenfassung meiner Beobachtungen gestalten konnte, ist mir
die Einmengung sexueller Triebkräfte zur unentbehrlichen Voraus-
setzung geworden.
Also man gelangt endlich, nachdem die Erinnerungsketten
konvergiert haben, auf sexuelles Gebiet und zu einigen wenigen
Erlebnissen, die zumeist in die nämliche Lebensperiode, in das
157
Alter der Pubertät fallen. Aus diesen Erlebnissen soll man
<lie Ätiologie der Hysterie entnehmen und durch sie die Ent-
stehung hysterischer Symptome verstehen lernen. Hier erlebt
man. aber eine neue und schwerwiegende Enttäuschung! Die
mit soviel Mühe aufgefundenen, aus allem Erinnerungsmaterial
■extrahierten, anscheinend letzten traumatischen Erlebnisse haben
zwar die beiden Charaktere: Sexualität und Pubertätszeit gemein,
«ind aber sonst so sehr disparat und ungleichwertig.
In einigen Fällen handelt es sich wohl um Erlebnisse, die wir
.als schwere Traumen anerkennen müssen, um einen Versuch
■der Vergewaltigung, der dem unreifen Mädchen mit einem Schlage
•die ganze Brutalität der Geschlechtslust enthüllt, um eine un-
freiwillige Zeugenschaft bei sexuellen Akten der Eltern, die in
Einem ungeahntes Häßliches aufdeckt und das kindliche wie das
-moralische Gefühl verletzt u. dgl. In anderen Fällen sind diese
Erlebnisse von erstaunlicher Geringfügigkeit. Eine meiner
Patientinneu zeigte zugrunde ihrer Neurose das Erlebnis, daß
-ein ihr befreundeter Knabe zärtlich ihre Hand streichelte und
ein andermal seinen Unterschenkel an ihr Kleid drängte, während
•sie nebeneinander bei Tische saßen, wobei noch seine Miene
■sie erraten ließ, es handle sich um etwas Unerlaubtes. Bei einer
andern jungen Dame hatte gar das Anhören einer Scherzfrage,
-die eine obszöne Beantwortung ahnen ließ, hingereicht, den
ersten Angstanfall hervorzurufen und damit die Erkrankung zu
eröffnen. Solche Ergebnisse sind offenbar einem Verständnis für
die Verursachung hysterischer Symptome nicht günstig. Wenn
es ebensowohl schwere wie geringfügige Erlebnisse, ebensowohl
Erfahrungen am eigenen Leib wie visuelle Eindrücke und durch
das Gehör empfangene Mitteilungen sind, die sich als die letzten
Traumen der Hysterie erkennen lassen, so kann man etwa die
Deutung versuchen, die Hysterischen seien besonders geartete
Menschenkinder — wahrscheinlich infolge erblicher Veranlagung
oder degenerativer Verkümmerung — bei denen die Scheu vor
der Sexualität, die im Pubertätsalter normalerweise eine gewisse
Rolle spielt, ins' Pathologische gesteigert und dauernd fest-
gehalten wird; gewissermaßen Personen, die den Anforderungen
der Sexualität psychisch nicht Geuüge leisten können. Man
vernachlässigt bei dieser Aufstellung allerdings die Hysterie der
'
158
Männer; aber auch, wenn es derartige grobe Einwände nicbt
gäbe, wäre die Versuchung kaum sehr groß, bei dieser Lösung
stehen zu bleiben. Man verspürt hier nur zu deutlich die
intellektuelle Empfindung des Halbverstandenen, Unklaren und
Unzureichenden.
Zum Glück für unsere Aufklärung zeigen einzelne der
sexuellen Pubertätserlebnisse eine weitere Unzulänglichkeit, die
geeignet ist, zur Fortsetzung der analytischen Arbeit anzuregen.
Es kommt nämlich vor, daß auch diese Erlebnisse der determi-
nierenden Eignung entbehren, wenngleich dies hier viel seltener
ist als bei den traumatischen Szenen aus späterer Lebenszeit
So z. B. hätten sich bei den beiden Patientinnen, die ich vorhin
als Fälle mit eigentlich harmlosen Pubertätserlebnissen angeführt,
habe, im Gefolge dieser Erlebnisse eigentümliche schmerzhafte
Empfindungen in den Genitalien eingestellt, die sich als Haupt-
symptome der Neurose fortgesetzt hatten, deren Determinierung
weder aus den Pubertätsszenen noch aus späteren abzuleiten war,.
die aber sicherlich nicht zu den normalen Organempfindungen
oder zu den Zeichen sexueller Aufregung gehörten. "Wie nahe
lag es nun, sich hier zu sagen, man müsse die Determinierung
dieser Symptome in noch anderen, noch weiter zurückreichenden
Erlebnissen suchen, man müsse hier zum zweiten Male jenem
rettenden Einfall folgen, der uns vorhin von den ersten trauma-
tischen Szenen zu den Erinnerungsketten hinter ihnen geleitet?
Man kommt damit freilich in die Zeit der ersten Kindheit, die-
Zeit vor der Entwicklung des sexuellen Lebens, womit ein
Verzicht auf die sexuelle Ätiologie verbunden scheint. Aber
hat man nicht ein Recht, anzunehmen, daß es auch dem Kindes-
alter an leisen sexuellen Erregungen nicht gebricht, ja, daß
vielleicht die spätere sexuelle Entwicklung durch Kindererlebnisse
in entscheidender Weise beeinflußt wird? Schädigungen, die
das un ausgebildete Organ, die in Entwicklung begriffene Funktion,
treffen, verursachen ja so häufig schwerere und nachhaltigere
Wirkungen, als sie im reiferen Alter entfalten könnten. Vielleicht
liegen der abnormen Reaktion gegen sexuelle Eindrücke, durch
welche uns die Hysterischeu in der Pubertätszeit überraschen,
ganz allgemein solche sexuelle Erlebnisse der Kindheit zugrunde,
die dann von gleichförmiger und bedeutsamer Art sein müßten? -
L_
^—.
159-
Man gewänne so eine Aussicht, als frühzeitig erworben auf-
zuklären, was man bisher einer durch die Heredität doch nicht
verständlichen Prädisposition zur Last legen mußte. Und da
infantile Erlebnisse sexuellen Inhaltes doch nur durch ihre
Erinnerungsspuren eine psychische Wirkung äußern könnten,
wäre dies nicht eine willkommene Ergänzung zu jenem Ergebnis
der Analyse, daß hysterische Symptome immer nur
unter der Mitwirkung von Erinnerungen entstehen?'
IL
Sie erraten es wohl, meine Herren, daß ich jenen letzten
Gedankengang nicht so weit ausgesponnen hätte, wenn ich Sie
nicht darauf vorbereiten wollte, daß er allein es ist, der uns
nach so vielen Verzögerungen zum Ziele führen wird. "Wir
stehen nämlich wirklich am Ende unserer langwierigen und
beschwerlichen analytischen Arbeit und finden hier alle bisher
festgehaltenen Ansprüche und Erwartungen erfüllt. Wenn wir
die Ausdauer haben, mit der Analyse bis in die frühe Kindheit
vorzudringen, so weit zurück nur das Erinnerungsvermögen eines
Menschen reichen kann, so veranlassen wir in allen Fällen den
Kranken zur Reproduktion von Erlebnissen, die infolge ihrer Be-
sonderheiten sowie ihrer Beziehungen zu den späteren Krankheits-
symptomen als die gesuchte Ätiologie der Neurose betrachtet
•werden müssen. Diese infantilen Erlebnisse sind wiederum
sexuellen Inhalts, aber weit gleichförmigerer Art als die
letztgefundenen Pubertätsszenen ; es handelt sich bei ihnen nicht
mehr um die Erweckung des sexuellen Themas durch einen
beliebigen Sinneseindruck, sondern um sexuelle Erfahrungen am
eigenen Leib, um geschlechtlichen Verkehr (im weiteren
Sinne). Siegestehen mir zu, daß die Bedeutsamkeit solcher
Szenen keiner weiteren Begründung bedarf; fügen Sie nun noch
hinzu, daß Sie in den Details derselben jedesmal die deter-
minierenden Momente auffinden können, die Sie etwa in den
anderen, später erfolgten und früher reproduzierten Szenen
noch vermißt hätten.
Ich stelle also die Behauptung auf, zugrunde jedes Falles
von Hysterie befinden sich — durch die analytische Arbeit
reproduzierbar, trotz des Dezennien umfassenden Zeitintervalles
160
— ein oder mehrere Erlebnisse von vorzeitiger
sexueller Erfahrung, die der frühesten Jugend angehören.
Ich halte dies für eine wichtige Enthüllung, für die Auffindung
eines caput Nili der Neuropathologie, aber ich weiß kaum,
wo anzuknüpfen, um die Erörterung dieser Verhältnisse fort-
zuführen. Soll ich mein aus den Analysen gewonnenes tatsächliches
Material vor Ihnen ausbreiten, oder soll ich nicht lieber vorerst
der Masse von Einwänden und Zweifeln zu begegnen suchen,
die jetzt von Ihrer Aufmerksamkeit Besitz ergriffen haben, wie
ich wohl mit Recht vermuten darf? Ich wähle das letztere;
vielleicht können wir dann um so ruhiger beim Tatsächlichen
verweilen : *
a) Wer der psychologischen Auffassung der Hysterie über-
haupt feindlich entgegensteht,- die Hoffnung nicht aufgeben möchte r
daß es einst gelingen wird, ihre Symptome auf „feinere anato-
mische Veränderungen" zurückzuführen, und die Einsicht ab-
gewiesen hat, daß die materiellen Grundlagen der hysterischen
Veränderungen nicht anders als gleichartig sein können mit
jenen unserer normalen Seelenvorgänge, der wird selbstverständ-
lich für die Ergebnisse unserer Analysen kein Vertrauen übrig
haben; die prinzipielle Verschiedenheit seiner Voraussetzungen
von den unserigen entbindet uns aber auch der Verpflichtung,
ihn in einer Einzelfrage zu überzeugen.
Aber auch ein anderer, der sich minder abweisend gegen
die psychologischen Theorien der Hysterie verhält, wird an-
gesichts unserer analytischen Ergebnisse die Frage aufzuwerfen
versucht sein, welche Sicherheit die Anwendung der Psycho-
analyse mit sich bringt, ob es denn nicht sehr wohl möglich
sei, daß entweder der Arzt solche Szenen als angebliche Er-
innerung dem gefälligen Kranken aufdrängt, oder daß der
Kranke ihm absichtliche Erfindungen und freie Phantasien vor-
trägt, die j ener für echt annimmt. Nun, ich habe darauf zu er-
widern, die allgemeinen Bedenken gegen die Verläßlichkeit der
psychoanalytischen Methode können erst gewürdigt und beseitigt
werden, wenn eine vollständige Darstellung ihrer Technik und
ihrer Resultate vorliegen wird; die Bedenken gegen die Echt-
heit der infantilen Sexualszenen aber kann man bereits heute
durch mehr als ein Argument entkräften. Zunächst ist das Be-
L
161
nehmen der Kranken, während sie diese infantilen Erlebnisse
reproduzieren, nach allen Richtungen hin unvereinbar mit der
Annahme, die Szenen seien etwas anderes als peinlich empfun-
dene und höchst ungern erinnerte Realität. Die Kranken wissen
vor Anwendung der Analyse nichts von diesen Szenen, sie
pflegen sich zu empören, wenn man ihnen etwa das Auftauchen
derselben ankündigt; sie können nur durch den stärksten Zwang
der Behandlung bewogen werden, sich in deren Reproduktion
einzulassen, sie leiden unter den heftigsten Sensationen, deren
' sie sich schämen und die sie zu verbergen trachten, während
sie sich diese infantilen Erlebnisse ins Bewußtsein rufen, und
noch, nachdem sie dieselben in so überzeugender Weise wieder
durchgemacht haben, versuchen sie es, ihnen den Glauben zu
versagen, indem sie betonen, daß sich hierfür nicht wie bei an-
derm Vergessenem ein Erinnerungsgefühl eingestellt hat.
Letzteres Verhalten scheint nun absolut beweiskräftig zu
sein. Wozu sollten die Kranken mich so entschieden ihres Un-
glaubens versichern, wenn sie aus irgend einem Motiv die '
Dinge, die sie entwerten wollen, selbst erfunden haben?
Daß der Arzt dem Kranken derartige Reminiszenzen auf-
dränge, ihn zu ihrer Vorstellung und Wiedergabe suggeriere, ist
■weniger bequem zu widerlegen, erscheint mir aber ebenso un-
haltbar. Mir ist es noch nie gelungen, einem Kranken eine
Szene, die ich erwartete, derart aufzudrängen, daß er sie mit
allen zu ihr gehörigen Empfindungen zu durchleben schien;
•vielleicht treffen es andere besser.
Es gibt aber noch eine ganze Reihe anderer Bürgschaften
für die Realität der infantilen Sexualszenen. Zunächst deren
üniformität in gewissen Einzelheiten, wie sie sich aus den
gleichartig wiederkehrenden Voraussetzungen dieser Erlebnisse
ergeben muß, während man sonst geheime Verabredungen zwi-
schen den einzelnen Kranken für glaubhaft halten müßte. So-
dann, daß die Kranken gelegentlich wie harmlos Vorgänge be-
schreiben, deren Bedeutung sie offenbar nicht verstehen, weil
sie sonst entsetzt sein müßten, oder daß sie, ohne Wert darauf
zu legen, Einzelheiten berühren, die, nur ein Lebenserfahrener
kennt und als feine Charakterzüge des Realen zu schätzen
versteht.
Freud, Neurosenlehre. I. 4. Auflag«. H
162
/
Verstärken solche Vorkommnisse den Eindruck, daß die
Kranken wirklich erlebt haben müssen, was sie unter, dem
Zwang "der Analyse als Szene aus der Kindheit reproduzieren,
so entspringt ein anderer und mächtigerer Beweis hierfür aus
der Beziehung der Infantilszenen zum Inhalt der ganzen übrigen
Krankengeschichte. Wie bei den Zusammenlegbildern der Kinder
sich nach mancherlei Probieren schließlich eine absolute Sicher-
heit herausstellt, welches Stück in die freigelassene Lücke ge-
hört — weil nur dieses eine gleichzeitig das Bild ergänzt und
sich mit seinen unregelmäßigen Zacken zwischen die Zacken der
anderen so einpassen läßt, daß kein freier Raum bleibt und kein
Übereinanderschieben notwendig wird — , so erweisen sich die
Infantilszenen inhaltlich als unabweisbare Ergänzungen für das
assoziative und logische Gefüge der Neurose, nach deren Ein-
fügung erst der Hergang verständlich — man möchte oftmals
sagen: selbstverständlich — wird.
Daß auch der therapeutische Beweis für die Echtheit der
Infantilszenen in einer Reihe von Fällen zu erbringen ist, füge
ich hinzu, ohne diesen in den Vordergrund drängen zu wollen.
Es gibt Fälle, in denen ein vollständiger oder partieller Heil-
erfolg zu erreichen ist, ohne daß man bis zu den Infantilerleb-
nissen herabsteigen muß; andere, in welchen jeder Erfolg aus-
bleibt, ehe die Analyse ihr natürliches Ende mit der Aufdeckung
der frühesten Traumen gefunden hat. Ich meine, im ersteren
Falle sei man vor Rezidiven nicht gesichert; ich erwarte, daß
eine vollständige Psychoanalyse die radikale Heilung einer
Hysterie bedeutet. Indes, greifen wir hier den Lehren der Er-
fahrung nicht vor!
Es gäbe noch einen, einen wirklich unantastbaren Beweis
für die Echtheit der sexuellen Kindererlebnisso, wenn nämlich
die Angaben der einen Person in der Analyse durch die Mit-
teilung einer andern Person in oder außerhalb einer Behand-
lung bestätigt würden. Diese beiden Personen müßten in ihrer
Kindheit an demselben Erlebnis Anteil genommen haben, etwa
in einem sexuellen Verhältnis zueinander gestanden sein. Solche
Kinderverhältnisse sind, wie Sie gleich hören werden, gar nicht
selten; es kommt auch häufig genug vor, daß beide Beteiligte
später an Neurosen erkranken, und doch, meine ich, ist es ein
L
163
Glücksfall, daß mir eine solche objektive Bestätigung unter
18 Fällen zweimal gelungen ist. Einmal war es der gesund ge-
bliebene Bruder, der mir unaufgefordert zwar nicht die frühesten
Sexualerlebnisse mit seiner kranken Schwester, aber wenigstens
solche Szenen aus ihrer späteren Kindheit und die Tatsache
von weiter zurückreichenden sexuellen Beziehungen bekräftigte.
Ein andermal traf es sich, daß zwei in Behandlung stehende
Frauen als Kinder mit der nämlichen männlichen Person sexuell
verkehrt hatten, wobei einzelne Szenen ä trois zustande gekom-
men waren. Ein gewisses Symptom, das sich von diesen Kinder-
erlebnissen ableitete, war, als Zeuge dieser Gemeinschaft, in
beiden Fällen zur Ausbildung gelangt.
b) Sexuelle Erfahrungen der Kindheit, die in Reizungen
der Genitalien, koitusähnlichen Handlungen usw. bestehen, sollen
also in letzter Analyse als jene Traumen anerkannt werden,
von denen die hysterische Reaktion gegen Pubertätserlebnisse
und die Entwicklung hysterischer Symptome ausgeht Gegen
diesen Ausspruch werden sicherlich von verschiedenen Seiten
zwei zueinander gegensätzliche Einwendungen erhoben werden.
Die einen werden sagen, derartige sexuelle Mißbräuche, an
Kindern verübt oder von Kindern untereinander, kämen zu
selten vor, als daß man mit ihnen die Bedingtheit einer so
häufigen Neurose wie der Hysterie decken könnte; andere werden
vielleicht geltend machen, dergleichen Erlebnisse seien im Gegen-
teil sehr häufig, allzu häufig, als daß man ihrer Feststellung
eine ätiologische Bedeutung zusprechen könnte. Sie werden
ferner anführen, daß es bei einiger Umfrage leicht fällt, Per-
sonen aufzufinden, die sich an Szenen von sexueller Verführung
und sexuellem Mißbrauche in ihren Kinderjahren erinnern, und
die doch niemals hysterisch gewesen sind. Endlich werden wir
als schwerwiegendes Argument zu hören bekommen, daß in den
niederen Schichten der Bevölkerung die Hysterie gewiß nicht
häufiger vorkommt als in den höchsten, während doch alles
dafür spricht, daß das Gebot der sexuellen Schonung des
Kindesalters an den Proletarierkindern ungleich häufiger über-
treten wird.
Beginnen wir unsere Verteidigung mit dem leichteren Teil
der Aufgabe. Es scheint mir sicher, daß unsere Kinder weit
11*
164
häufiger sexuellen Angriffen ausgesetzt sind, als man nach der
geringen, von den Eltern hierauf verwendeten Fürsorge erwarten
sollte. Bei den ersten Erkundigungen, was über dieses Thema
bekannt sei, erfuhr ich von Kollegen, daß mehrere Publikationen
von Kinderärzten vorliegen, welche die Häufigkeit sexueller
Praktiken selbst an Säuglingen von Seiten der Ammen und
Kinderfrauen anklagen, und aus den letzten Wochen ist mir
eine von Dr. Stekel in Wien herrührende Studie in die Hand
geraten, welche sich mit dem „Koitus im Kindesalter"
beschäftigt (Wiener medizinische Blätter, 18. April 1896). Ich
habe nicht- Zeit gehabt, andere literarische Zeugnisse zu sam-
meln, aber selbst wenn diese sich nur vereinzelt fänden, dürfte
man erwarten, daß mit der Steigerung der Aufmerksamkeit für
dieses Thema sehr bald die große Häufigkeit von sexuellen Er-
lebnissen und sexueller Betätigung im Kindesalter bestätigt
werden wird.
Schließlich sind die Ergebnisse meiner Analyse imstande,
für sich selbst zu sprechen. In sämtlichen 18 Fällen (von reiner
Hysterie und Hysterie mit Zwangsvorstellungen kombiniert
6 Männer und 12 Frauen) bin ich, wie erwähnt, zur Kenntnis
solcher sexueller Erlebnisse des Kindesalters gelangt. Ich kann
meine Fälle in drei Gruppen bringen, je nach der Herkunft
der sexuellen Reizung. In der ersten Gruppe handelt es sich
um Attentate, einmaligen oder doch vereinzelten Mißbrauch
meist weiblicher Kinder von seiten erwachsener, fremder Indi-
viduen (die dabei groben, mechanischen Insult zu vermeiden
verstanden), wobei die Einwilligung der Kinder nicht in Frage
kam und als nächste Folge des Erlebnisses der Schreck über-
wog. Eine zweite Gruppe bilden jene weit zahlreicheren Fälle
in denen eine das Kind wartende erwachsene Person — Kinder-
mädchen, Kindsfrau, Gouvernante, Lehrer, leider auch allzu-
häufig ein naher Verwandter — das Kind in den sexuellen Ver-
kehr einführte und ein — auch nach der seelischen Richtung
ausgebildetes — förmliches Liebesverhältnis, oft durch Jahre,
mit ihm unterhielt. In die dritte Gruppe endlich gehören die
eigentlichen Kinderverhältnisse, sexuelle Beziehungen zwischen
zwei Kindern verschiedenen Geschlechtes, zumeist zwischen Ge-
schwistern, die oft über die Pubertät hinaus fortgesetzt werden,
165
und die nachhaltigsten Folgen für das betreffende Paar mit
sich bringen. In den meisten meiner Fälle ergab sich kombi-
nierte Wirkung von zwei oder mehreren solcher Ätiologien; in
einzelnen war die Häufung der sexuellen Erlebnisse von ver-
schiedenen Seiten her geradezu erstaunlich. Sie verstehen aber
diese Eigentümlichkeit meiner Beobachtungen leicht, wenn Sie
in Betracht ziehen, daß ich durchweg Fälle von schwerer neu-
rotischer Erkrankung, die mit Existenzunfähigkeit drohte, zu -
behandeln hatte.
Wo ein Verhältnis zwischen zwei Kindern vorlag, gelang
nun einige Male der Nachweis, daß der Knabe — der auch
hier die aggressive Rolle spielt -*- vorher von einer erwachsenen
weiblichen Person verführt worden war, und daß er dann unter
dem Drucke seiner vorzeitig geweckten Libido und infolge des
Erinnerungszwanges an dem kleinen Mädchen genau die näm-
lichen Praktiken zu wiederholen suchte, die er bei der Er-
wachsenen gelernt hatte, ohne daß er selbständig eine Modifika-
tion in der Art der sexuellen Betätigung vorgenommen hätte.
Ich bin daher geneigt, anzunehmen, daß ohne vorherige
Verführung Kinder den Weg zu Akten sexueller Aggression
nicht zu finden vermögen. Der Grund zur Neurose würde dem-
nach im Kindesalter immer von seiten Erwachseher gelegt, und
die Kinder selbst übertragen einander die Disposition, später
an Hysterie zu erkranken. Ich bitte, verweilen Sie noch einen
Moment bei der besonderen Häufigkeit sexueller Beziehungen
im Kindesalter gerade zwischen Geschwistern und Vettern in-
folge der Gelegenheit zu häufigem Beisammensein, stellen Sie
sich vor, daß 10 oder 15 Jahre später in dieser Familie mehrere
Individuen der jungen Generation krank gefunden werden, und
fragen Sie sich, ob dieses familiäre Auftreten der Neurose nicht
geeignet ist, zur Annahme einer erblichen Disposition zu ver-
leiten, wo doch nur eine Pseudoheredität vorliegt und in
Wirklichkeit eine Übertragung, eine Infektion in der Kindheit
stattgefunden hat.
Nun wenden wir uns zu dem andern Einwand, welcher
gerade auf der zugestandenen Häufigkeit infantiler Sexual-
erlebnisse und auf der Erfahrung fußt, daß viele Personen sich
an solche Szenen erinnern, die nicht hysterisch geworden sind.
166
Dagegen sagen wir zunächst, daß die übergroße Häufigkeit eines
ätiologischen Momentes unmöglich zum Vorwurf gegen dessen
ätiologische Bedeutung verwendet werden kann. Ist der Tuberkel-
bazillus nicht allgegenwärtig und wird von weit mehr Menschen
eingeatmet, als sich an Tuberkulose erkrankt zeigen? Und wird
seine ätiologische Bedeutung durch die Tatsache geschädigt, daß
er offenbar der Mitwirkung anderer Faktoren bedarf, um die
Tuberkulose, seinen spezifischen Effekt hervorzurufen? Es reicht
für seine Würdigung als spezifische Ätiologie aus, daß Tuber-
kulose nicht möglich ist ohne seine Mitwirkung. Das gleiche
gilt wohl auch für unser Problem, Es stört nicht, wenn viele
Menschen infantile Sexualszenen erleben ohne hysterisch zu
werden; wenn nur alle, die hysterisch werden, solche Szenen
erlebt haben. Der Kreis des Vorkommens eines ätiologischen
Faktors darf gerne ausgedehnter sein als der seines Effektes,
nur nicht enger. Es erkranken nicht alle an Blattern, die einen
Blatternkranken berühren oder ihm nahe kommen, und doch
ist Übertragung von einem Blatternkranken fast die einzige
uns bekannte Ätiologie der Erkrankung.
Freilich, wenn infantile Betätigung der Sexualität ein fast
allgemeines Vorkommnis wäre, dann fiele auf deren Nachweis
in allen Fällen kein Gewicht. Aber erstens wäre eine derartige
Behauptung sicherlich eine arge Übertreibung, und zweitens
ruht der ätiologische Anspruch der ' infantilen Szenen nicht
allein auf der Beständigkeit ihres Vorkommens in der Anamnese
der Hysterischen, sondern vor allem auf dem Nachweis der
assoziativen und logischen Bande zwischen ihnen und den
hysterischen Symptomen, der Ihnen aus einer vollständig mit-
geteilten Krankengeschichte sonnenklar einleuchten würde.
"WelcheB mögen die anderen Momente sein, deren die
„spezifische Ätiologie" der Hysterie noch bedarf, um die Neu-
rose wirklich zu produzieren ? Dies, meine Herren, ist eigentlich
ein Thema für sich, das ich zu behandeln nicht vorhabe; ich
brauche heute bloß die Kontaktstelle aufzuzeigen, an welcher
die beiden Teilstücke des Themas — spezifische und Hilfs-
ätiologie — ineinander greifen. Es wird wohl eine ziemliche
Anzahl von Faktoren in Betracht kommen, die erbliche und
persönliche Konstitution, die innere Bedeutsamkeit der infantilen
, 167
Sexualerlebnisse, vor allem deren Häufung; ein kurzes Ver-
hältnis mit einem fremden, später gleichgültigen Knaben wird
an Wirksamkeit zurückstehen gegen mehrjährige, innige, sexuelle
Beziehungen zum eigenen Bruder. Es sind in der Ätiologie der
Neurosen quantitative Bedingungen ebensowohl bedeutsam wie
qualitative; es sind Schwellenwerte zu überschreiten, wenn die
Krankheit manifest werden soll. Ich halte die obige ätiologische
Reihe übrigens selbst nicht für vollzählig und das Rätsel, warum
die Hysterie in den niederen Ständen nicht häufiger ist, durch
sie noch nicht erledigt. (Erinnern Sie sich übrigens, welche
überraschend große Verbreitung Charcot für die männliche
Hysterie des Arbeiterstandes behauptete.) Ich darf Sie aber
auch daran mahnen, daß ich selbst vor wenigen Jahren auf ein
bisher wenig gewürdigtes Moment hingewiesen habe, für welches
ich die Hauptrolle in der Hervorrufung der Hysterie nach der
Pubertät in Anspruch nehme. Ich habe damals ausgeführt, daß
sich der Ausbruch der Hysterie fast regelmäßig auf einen
psychischen Konflikt zurückführen läßt, indem eine unver-
trägliche Vorstellung die Abwehr des Ich rege mache und zur
Verdrängung auffordere. Unter welchen Verhältnissen dieses
Abwehrbestreben den pathologischen Effekt hat, die dem Ich
peinliche Erinnerung wirklich ins Unbewußte zu drängen und
an ihrer Statt ein hysterisches Symptom zu schaffen, das konnte
ich damals nicht angeben. Ich ergänze es heute: Die Abwehr
erreicht dann ihre Absicht, die unverträgliche Vor-
stellung aus dem Bewußtsein zu drängen, wenn bei
der betreffenden, bis dahin gesunden Person infan-,
tile Sexualszenen als unbewußte Erinnerungen vor-
handen sind, und wenn die zu verdrängende Vorstel-
lung in logischen oder assoziativen Zusammenhang mit
einem solchen infantilen Erlebnis gebrachtwerden kann.
Da das Abwehrbestreben des Ich von der gesamten
moralischen und intellektuellen Ausbildung der Person abhängt,
sind wir nun nicht mehr ohne jedes Verständnis für die Tat-
sache, daß die Hysterie beim niederen Volk so viel seltener ist,
als ihre spezifische Ätiologie gestatten würde.
Meine Herren, kehren wir noch einmal zurück 7.11 jener
letzten Gruppe von Einwänden, deren Beantwortung uns so
168
weit geführt hat. Wir haben gehört und anerkannt, daß es
zahlreiche Personen gibt, die infantile Sexualerlebnisse sehr
deutlich erinnern, und die doch nicht hysterisch sind. Dieser
Einwand ist ganz ohne Gewicht, er wird uns aber Anlaß zu
einer wertvollen Bemerkung bieten. Personen dieser Art dürfen
nach unserem Verständnis der Neurose gar nicht hysterisch
sein, oder wenigstens nicht hysterisch infolge der Szenen, die
sie bewußt erinnern. Bei unseren Kranken sind diese Erinne-
rungen niemals bewußt; wir heilen sie aber von ihrer Hysterie,
indem wir ihnen die unbewußten Erinnerungen der Infantil-
szenen in bewußte verwandeln. An der Tatsache, daß sie solche-
Erlebnisse gehabt haben, konnten und brauchten wir nichts zu
ändern. Sie ersehen daraus, daß es auf die Existenz der in-
fantilen Sexualerlebnisse allein nicht ankommt, sondern, daß-
eine psychologische Bedingung noch dabei ist. Diese Szenen
müssen als unbewußte Erinnerungen vorhanden sein; nur
so lange und insofern sie unbewußt sind, können sie hysterische
Symptome erzeugen und unterhalten. Wovon es aber abhängt, ob-
diese Erlebnisse bewußte oder unbewußte Erinnerungen ergeben,
ob die Bedingung hierfür im Inhalt der Erlebnisse, in der Zeit,
zu der sie vorfallen, oder in späteren Einflüssen liegt, dies ist-
ein neues Problem, dem wir behutsam aus dem Wege gehen
wollen. Lassen Sie sich bloß daran mahnen, daß uns die Analyse
als erstes Resultat den Satz gebracht hat: Die hysterischen
Symptome sind Abkömmlinge unbewußt wirkender
Erinnerungen.
c) Wenn wir daran festhalten, infantile Sexualerlebnisse-
seien die Grundbedingung, sozusagen die Disposition der
Hysterie, sie erzeugen die hysterischen Symptome aber nicht
unmittelbar, sondern bleiben zunächst wirkungslos und wirken
pathogen erst später, wenn sie im Alter nach der Pubertät als
unbewußte Erinnerungen geweckt werden, so haben wir uns mit
den zahlreichen Beobachtungen auseinanderzusetzen, welche das
Auftreten hysterischer Erkrankung bereits im Kindesalter und
vor der Pubertät erweisen. Indes löst sich die Schwierigkeit-
wieder, wenn wir die aus den Analysen gewonnenen Daten
über die zeitliehen Umstände der infantilen Sexualerlebnisse
näher betrachten. Man erfährt dann, daß in unseren schweren
169
Fällen die Bildung hysterischer Symptome nicht etwa aus-
nahmsweise, sondern eher regelmäßig mit. dem 8. Jahr be-
ginnt, und daß die Sexualerlebnisse, die keine unmittelbare
Wirkung äußern, jedesmal weiter zurückreichen, ins 3., 4., selbst
ins 2. Lebensjahr. Da in keinem einzigen Fall die Kette der
wirksamen Erlebnisse mit dem 8. Jahr abbricht, muß ich an-
nehmen, daß diese Lebensperiode, in welcher der 'Wachstums-
schub der zweiten Dentition erfolgt, für die Hysterie eine Grenze
bildet, von welcher an ihre Verursachung unmöglich wird. Wer
nicht frühere Sexualerlebnisse hat, kann von da an nicht mehr
zur Hysterie disponiert werden; wer solche hat, kann nun bereits
hysterische Symptome entwickeln. Das vereinzelte Vorkommen
von Hysterie auch jenseits dieser Altersgrenze (vor 8 Jahren)
ließe sich noch als Erscheinung der Frühreife deuten. Die
Existenz dieser Grenze hängt sehr wahrscheinlich mit Ent-
wicklungsvorgängen im Sexualsystem zusammen. Verfrühung
der somatischen Sexualentwicklung kommt häufig zur Beob-
achtung, und es ist selbst denkbar, daß sie durch vorzeitige
sexuelle Beizung befördert werden kann.
Man gewinnt so einen Hinweis darauf, daß ein gewisser
infantiler Zustand der psychischen Funktionen wie des Sexual-
systems erforderlich ist, damit eine in diese Periode fallende
sexuelle Erfahrung später als Erinnerung pathogene Wirkung
entfalte. Ich getraue mich indes noch nicht, über die Natur
dieses psychischen Infantilismus und über seine zeitliche Be-
grenzung Näheres auszusagen.
d) Eine weitere Einwendung könnte etwa daran Anstoß
nehmen, daß die Erinnerung der infantilen Sexualerlebnisse so
großartige pathogene Wirkung äußern soll, während das Erleben
derselben selbst wirkungslos geblieben ist. Wir sind ja in der
Tat nicht daran gewöhnt, daß von einem Erinnerungsbild Kräfte
ausgehen, welche dem realen Eindruck gefehlt haben. Sie be-
merken hier übrigens, mit welcher Konsequenz bei der Hysterie
der Satz durchgeführt ist, daß Symptome nur aus Erinnerungen
hervorgehen können. Alle die späteren Szenen, bei denen die
Symptome entstehen, sind nicht die wirksamen, und die eigent-
lich wirksamen Erlebnisse erzeugen zunächst keinen Eifekt. Wir
stehen aber hier vor einem Problem, welches wir mit gutem
170
Recht von unserem Thema sondern können. Man fühlt sich
freilich zu einer Synthese aufgefordert, wenn man die Reihe
von auffälligen Bedingungen überdenkt, zu deren Kenntnis wir
gelangt sind: daß, um ein hysterisches Symptom zu bilden, ein
Abwehrbestreben gegen eine peinliche Vorstellung vorhanden
sein muß; daß diese eine logische oder assoziative Verknüpfung
aufweisen muß mit einer unbewußten Erinnerung durch zahl-
reiche oder wenige Mittelglieder, die in diesem Moment gleich-
falls unbewußt bleiben; daß jene unbewußte Erinnerung nur
sexuellen Inhalts sein kann; daß sie ein Erlebnis zum Inhalt hat,
welches sich in einer gewissen infantilen Lebensperiode zuge-
tragen hat; und man kann nicht umhin, sich zu fragen, wie es
zugeht, daß diese Erinnerung an ein seinerzeit harmloses Er-
lebnis posthum die abnorme Wirkung äußert, einen psychischen
Vorgang wie das Abwehren zu einem pathologischen Resultat
zu leiten, während sie selbst dabei unbewußt bleibt?
Man wird sich aber sagen müssen, dies sei ein rein
psychologisches Problem, dessen Lösung vielleicht bestimmte
Annahmen über die normalen psychischen Vorgänge und über
die Rolle des Bewußtseins dabei notwendig macht, das aber
einstweilen ungelöst bleiben kann, ohne unsere bisher gewonnene
Einsicht in die Ätiologie der hysterischen Phänomene zu ent-
werten.
III.
Meine Herren, das Problem, dessen Ansätze ich soeben
formuliert habe, betrifft den Mechanismus der hysterischen
Symptombildung. Wir sind aber genötigt, die Verursachung
dieser Symptome darzustellen, ohne diesen Mechanismus in
Betracht zu ziehen, was eine unvermeidliche Einbuße an
Abrundung und Durchsichtigkeit unserer Erörterung mit sich
bringt. Kehren wir zur Rolle der infantilen Sexualszenen zurück.
Ich fürchte, ich könnte Sie zur Überschätzung von deren
symptomenbildender Kraft verleitet haben. Ich betone darum
nochmals, daß jeder Fall von Hysterie Symptome aufweist,
deren Determinierung nicht aus infantilen, sondern aus späteren,
oft aus rezenten Erlebnissen herstammt. Ein anderer Anteil der
Symptome geht freilich auf die allerfrühesten Erlebnisse zurück,
ist gleichsam vom ältesten Adel. Dahin gehören vor allem die
_. . _J
171
so zahlreichen und mannigfaltigen Sensationen und Parästhesien
an den Genitalien und anderen Körperstellen, die einfach dem
Empfindungsinhalt der Infantilszenen in halluzinatorischer Re-
produktion, oft auch in schmerzhafter Verstärkung, entsprechen
Eine andere Reihe überaus gemeiner hysterischer Phänomene,
der schmerzhafte Harndrang, die Sensation bei der Defäkation,
Störungen der Darmtätigkeit, das Würgen und Erbrechen,
Magenbeschwerden und Speiseekel, gab sich in meinen Analysen
gleichfalls — und zwar mit überraschender Regelmäßigkeit —
als Derivat derselben Kindererlebnisse zu erkennen und erklärte
sich mühelos aus konstanten Eigentümlichkeiten derselben. Die
infantilen Sexualszenen sind nämlich arge Zumutungen für das
Gefühl eines sexuell normalen Menschen; sie enthalten alle
Ausschreitungen, die von Wüstlingen und Impotenten bekannt
sind, bei denen Mundhöhle und Darmausgang mißbräuchlich zu
sexueller Verwendung gelangen. Die Verwunderung hierüber
weicht beim Arzte alsbald einem völligen Verständnis. Von
Personen, die kein Bedenken tragen, ihre sexuellen Bedürfnisse
an Kindern zu befriedigen, kann man nicht erwarten, daß sie
an Nuancen in der Weise dieser Befriedigung Anstoß nehmen,
und die dem Kindesalter anhaftende sexuelle Impotenz drängt
unausbleiblich zu denselben Surrogathandlungen, zu denen sich
der Erwachsene im Falle erworbener Impotenz erniedrigt. Alle
die seltsamen Bedingungen, unter denen das ungleiche Paar
sein Liebesverhältnis fortführt: der Erwachsene, der sich seinem
Anteil an der gegenseitigen Abhängigkeit nicht entziehen kann,
wie sie aus einer sexuellen Beziehung notwendig hervorgeht, der
dabei doch mit aller Autorität und dem Rechte der Züchtigung
ausgerüstet ist und zur ungehemmten Befriedigung seiner
Launen die eine Rolle mit der andern vertauscht; das Kind,
dieser Willkür in seiner Hilflosigkeit preisgegeben, vorzeitig zu
allen Empfindlichkeiten erweckt und allen Enttäuschungen aus-
gesetzt, häufig in der Ausübung der ihm zugewiesenen sexuellen
Leistungen durch seine unvollkommene Beherrschung der natür-
lichen Bedürfnisse unterbrochen — alle diese grotesken und
doch tragischen Mißverhältnisse prägen sich in der ferneren
Entwicklung des Individuums und seiner Neurose in einer Un-
zahl von Dauereffekten aus, die der eingehendsten Verfolgung
172
würdig wären. Wo sich das Verhältnis zwischen zwei Kindern
abspielt, bleibt der Charakter der Sexualszenen doch der näm-
liche abstoßende, da ja jedes Kinderverhältnis eine voraus-
gegangene Verführung des einen Kindes durch einen Erwach-
senen postuliert. Die psychischen Folgen eines solchen Kinder-
verhältnisses sind ganz außerordentlich tiefgreifende; die beiden
Personen bleiben für ihre ganze Lebenszeit durch ein unsicht-
bares Band miteinander verknüpft.
Gelegentlich sind es Nebenumstände dieser infantilen
Sexualszenen, welche in späteren Jahren zu determinierender
Macht für die Symptome der Neurose gelangen. So hat in
eiuem meiner Fälle der Umstand, daß das Kind abgerichtet
wurde, mit seinem Fuß die Genitalien der Erwachsenen zu
erregen, hingereicht, um Jahre hindurch die neurotische Auf-
merksamkeit auf die Beine und deren Funktion zu fixieren und
schließlich eine hysterische Paraplegie zu erzeugen. In einem
andern Falle wäre es rätselhaft geblieben, warum die Kranke
in ihren Angstanfällen, die gewisse Tagesstunden bevorzugten,
gerade eine einzige von ihren zahlreichen Schwestern zu ihrer
Beruhigung nicht von ihrer Seite lassen wollte, wenn die Ana-
lyse nicht ergeben hätte, daß der Attentäter seinerzeit sich bei
jedem dieser Besuche erkundigt hatte, ob diese Schwester zu
Hause sei, von der er eine Störung befürchten mußte.
Es kommt vor, daß die determinierende Kraft der Infantil-
szenen sich so sehr verbirgt, daß sie bei oberflächlicher Analyse
übersehen werden muß. Man vermeint dann, man habe die
Erklärung eines gewissen Symptoms im Inhalt einer der späteren
Szenen gefunden und stößt im Verlaufe der Arbeit auf denselben
Inhalt in einer der Infantilszenen, so daß man sich schließlich
sagen muß, die spätere Szene verdanke ihre Kraft, Symptome
zu determinieren, doch nur ihrer Übereinstimmung mit der
früheren. Ich will darum die spätere Szene nicht als bedeutungs-
los hinstellen; wenn ich die Aufgabe hätte, die Kegeln der
hysterischen Symptombildung vor Ihnen zu erörtern, würde ich
als eine dieser Regeln anerkennen müssen, daß zum Symptom
jene Vorstellung auserwählt wird, zu deren Hebung mehrere
Momente zusammenwirken, die von verschiedenen Seiten her
gleichzeitig geweckt wird, was ich an anderer Stelle durch den
■
173
Satz auszudrücken versucht habe: Die hysterischen Symptome
seien überdeterrainiert.
Noch eines, meine Herren; ich habe zwar vorhin das Ver-
hältnis der rezenten Ätiologie zur infantilen als ein besonderes
"Thema beiseite gerückt; aber ich kann doch den Gegenstand
nicht verlassen, ohne diesen Vorsatz durch wenigstens eine
Bemerkung zu übertreten. Sie gestehen mir zu, es ist vor allem
-eine Tatsache, die uns am psychologischen Verständnis der
hysterischen Phänomene irre werden läßt, die uns zu warnen
-scheint, psychische Akte bei Hysterischen und bei Normalen
mit gleichem Maß zu messen. Es ist dies das Mißverständnis
zwischen psychisch erregendem Reiz und psychischer Reaktion,
•das wir bei den Hysterischen antreffen, welches wir durch die
Annahme einer allgemeinen abnormen Reizbarkeit zu decken
-suchen und häufig physiologisch zu erklären bemüht sind, als
ob gewisse, der Übertragung dienende Hirnorgane sich bei den
Kranken in einem besonderen chemischen Zustande befänden,
•etwa wie die Spinalzentren des Stryelimnfroscb.es, oder sich dem
Einflüsse höherer hemmender Zentren entzogen hätten, wie im
vivisektorischen Tierexperiment Beide Auffassungen mögen hier
und dort zur Erklärung der hysterischen Phänomene voll-
berechtigt sein; das stelle ich nicht in Abrede. Aber der Haupt-
Anteil des Phänomens, der abnormen, übergroßen, hysterischen
Reaktion auf psychische Reize läßt eine andere Erklärung zu,
die durch zahllose Beispiele aus den Analysen gestützt wird.
Und diese Erklärung lautet: Die Reaktion derHysterischen
ist eine nur scheinbar übertriebene; sie muß uns so
erscheinen, weil wirnur einen kleinen Teil der Motive
kennen, aus denen sie erfolgt.
In Wirklichkeit ist diese Reaktion proportional dem
.erregenden Reiz, also normal und psychologisch verständlich.
"Wir sehen dies sofort ein, wenn die Analyse zu den manifesten,
.dem Kranken bewußten Motiven jene anderen Motive hinzu-
gefügt hat, die gewirkt haben, ohne daß der Kranke um sie
-wußte, die er uns also nicht mitteilen konnte.
Ich könnte Stunden damit ausfüllen, Ihnen diesen wichtigen
.gatz für den ganzen Umfang der psychischen Tätigkeit bei
Hysterischen zu erweisen, muß mich aber hier auf wenige Bei-
174
spiele beschränken. Sie erinnern sich an die so häufige see-
lische „Empfindlichkeit" der Hysterischen, die sie auf die
leiseste Andeutung einer Geringschätzung reagieren läßt, als
seien sie tödlich beleidigt worden. Was würden Sie nun denken,
wenn Sie eine solche hochgradige Verletzbarkeit bei gering-
fügigen Anlässen zwischen zwei gesunden Menschen, etwa Ehe-
gatten, beobachten würden? Sie würden gewiß den Schluß
ziehen, die eheliche Szene, der Sie beigewohnt, sei nicht allein
das Ergebnis des letzten kleinlichen Anlasses, sondern da habe
sich durch lange Zeit Zündstoff angehäuft, der nun in seiner
ganzen Masse durch den letzten Anstoß zur Explosion gebracht
worden sei.
Bitte, übertragen Sie denselben Gedankengang auf die
Hysterischen. Nicht die letzte, an sich minimale Kränkung ist
es, die den Weinkrampf, den Ausbruch von Verzweiflung, den
Selbstmordversuch erzeugt, mit Mißachtung des Satzes von der
Proportionalität des Effektes und der Ursache, sondern diese
kleine aktuelle Kränkung hat die Erinnerungen so vieler und
intensiverer früherer Kränkungen geweckt und zur Wirkung
gebracht, hinter denen allen noch die Erinnerung an eine schwere,
nie verwundene Kränkung im Kindesalter steckt. Oder: wenn
ein junges Mädchen sich die entsetzlichsten Vorwürfe macht,
weil sie geduldet, daß ein Knabe zärtlich im geheimen über
ihre Hand gestrichen, und von da ab der Neurose verfällt, so
können Sie zwar dem Rätsel mit dem Urteil begegnen, das sei
eine abnorme, exzentrisch angelegte, hypersensitive Person ; aber
Sie werden anders denken, wenn Ihnen die Analyse zeigt, daß
jene Berührung an eine andere, ähnliche erinnerte, die in sehr
früher Jugend vorfiel und die ein Stück aus einem minder harmlosen
Ganzen war, so daß eigentlich die Vorwürfe jenem alten Anlaß
gelten. Schließlich ist das Rätsel der hysterogenen Punkte auch
kein anderes; wenn Sie die eine ausgezeichnete Stelle berühren,
tun Sie etwas, was Sie nicht beabsichtigt haben; Sie wecken
eine Erinnerung auf, die einen Krampfanfall aiiszulösen vermag,
und da Sie von diesem psychischen Mittelglied nichts wissen,
beziehen Sie den Anfall als Wirkung direkt auf Ihre Berührung
als Ursache. Die Kranken befinden sich in derselben Unwissenheit
und verfallen darum in ähnliche Irrtümer, sie stellen beständig
■
A
175
„falsche Verknüpfungen" her zwischen dem letztbewußten Anlaß
und dem von so viel Mitgliedern abhängigen Effekt. Ist es
dem Arzte aber möglich geworden, zur Erklärung einer hysterischen
Reaktion die bewußten und die unbewußten Motive zusammen-
zufassen, so muß er diese scheinbar übermäßige Reaktion fast
immer als eine angemessene, nur in der Form abnorme anerkennen.
Sie werden nun gegen diese Rechtfertigung der hysterischen
Reaktion auf psychische Reize mit Recht einwenden, sie sei
doch keine normale, denn warum benehmen die Gesunden sich
anders; warum wirken bei ihnen nicht alle längst verflossenen
Erregungen neuerdings mit, wenn eine neue Erregung aktuell
ist? Es. macht ja den Eindruck, als blieben bei den Hysterischen
alle alten Erlebnisse wirkungskräftig, auf die schon so oft, und
zwar in stürmischer Weise reagiert wurde, als seien diese Personen
unfähig, psychische Reize zu erledigen. Richtig, meine Herren,
etwas Derartiges muß man tatsächlich als wahr annehmen. Vergessen
Sie nicht, daß die alten Erlebnisse der Hysterischen bei einem
aktuellen Anlasse als unbewußteErinnerungen ihre "Wirkung
äußern. Es scheint, als ob die Schwierigkeit der Erledigung,
die Unmöglichkeit, einen aktuellen Eindruck in eine machtlose
Erinnerung zu verwandeln, gerade an dem Charakter des psychisch
Unbewußten hinge. Sie sehen, der Rest des Problems ist wiederum
Psychologie, und zwar Psychologie von einer Art, für welche
uns die Philosophen wenig Vorarbeit geleistet haben.
Auf diese Psychologie, die für unsere Bedürfnisse erst zu
erschaffen ist — auf die zukünftige Neurosenpsychologie —
muß ich Sie auch verweisen, wenn ich Ihnen zum Schluß eine
Mitteilung mache, von der Sie zunächst eine Störung unseres
beginnenden Verständnisses für die Ätiologie der Hysterie besorgen
•werden. Ich muß es nämlich aussprechen, daß die ätiologische
Rolle der infantilen Sexualerlebnisse nicht auf das Gebiet der
Hysterie eingeschränkt ist, sondern in gleicher Weise für die
merkwürdige Neurose der Zwangsvorstellungen, ja vielleicht auch
für die Formen der chronischen Paranoia und andere funktionelle
Psychosen Geltung hat. Ich drücke mich hierbei minder bestimmt
aus, weil die Anzahl meiner Analysen von Zwangsneurosen noch
weit hinter der von Hysterien zurücksteht; von Paranoia habe
ich gar nur eine einzige ausreichende und einige fragmentarische
176
Analysen zur Verfügung. Aber was ich da gefunden, schien mir
verläßlich und hat mich mit sicheren Erwartungen für andere
Fälle erfüllt. Sie erinnern sich vielleicht, daß ich für die Zusammen-
fassung von Hysterie und Zwangsvorstellungen unter dem Titel
„Abwehrneurosen" bereits früher eingetreten bin, ehe mir
noch die Gemeinsamkeit der infantilen Ätiologie bekannt war.
Nun muß ich hinzufügen — was man freilich nicht allgemein
zu erwarten braucht — , daß meine Fälle von Zwangsvorstellung
sämtlich einen Untergrund yon hysterischen Symptomen, meist
Sensationen und Schmerzen, erkennen ließen, die sich gerade
anf die ältesten Kindererlebnisse zurückleiteten. Worin liegt nun
die Entscheidung, ob aus den unbewußt gebliebenen infantilen
Sexualszenen später Hysterie oder Zwangsneurose oder gar Para-
noia hervorgehen soll, wenn sich die anderen pathogenen
Momente hinzugesellt haben? Diese Vermehrung unserer Erkennt-
nisse scheint ja dem ätiologischen "Wert dieser Szenen Eintrag zu
tun, indem sie die Spezifität der ätiologischen Relation aufhebt.
Ich bin noch nicht in der Lage, meine Herren, eine ver-
läßliche Antwort auf diese Frage zu geben. Die Anzahl meiner
analysierten Fälle, die Mannigfaltigkeit der Bedingungen in
ihnen, ist nicht groß genug hierfür. Ich merke bis jetzt, daß die
Zwangsvorstellungen bei der Analyse regelmäßig als verkappte
und verwandelte Vorwürfe wegen sexueller Aggressionen
imKindesalter zu entlarven sind, daß sie darum beiMännern
häufiger gefunden werden als bei Frauen, und häufiger bei ihnen
sich entwickeln als Hysterie. Ich könnte daraus schließen, daß
der Charakter der Infantilszenen, ob sie mit Lust oder nur passiv
erlebt werden, einen bestimmenden Einfluß auf die Auswahl, der
späteren Neurose hat, aber ich möchte auch den Einfluß des
Alters, in dem diese Kinderaktionen vorfallen, und anderer
Momente nicht unterschätzen. Hierüber muß erst die Diskussion
weiterer Analysen Aufschluß geben; wenn es aber klar sein
wird, welche Momente die Entscheidung zwischen den möglichen
Formen der Abwehrneuropsychosen beherrschen, wird es wiederum
ein rein psychologisches Problem sein, kraft welches Mechanismus
die einzelne Form gestaltet wird.
Ich bin nun zum Ende meiner heutigen Erörterungen
gelangt. Auf Widerspruch und Unglauben gefaßt, möchte ich
_-J
■
177
meiner Sache nur noch eine Befürwortung mit auf den Weg
geben. Wie immer Sie meine Resultate aufnehmen mögen, ich
darf Sie bitten, dieselben nicht für die Frucht wohlfeiler Spekulation
zu halten. Sie ruhen auf mühseliger Einzelerforschung der Kranken,
die bei den meisten Fällen hundert Arbeitsstunden und darüber
Terweilt hat. Wichtiger noch als ihre Würdigung der Ergebnisse
ist mir Ihre Aufmerksamkeit für das Verfahren, dessen ich mich
bedient habe, das neuartig, schwierig zu handhaben und doch
unersetzlich für wissenschaftliche und therapeutische Zwecke ist.
Sie sehen wohl ein, man kann den Ergebnissen, zu denen diese
modifizierte Breuersche Methode führt, nicht gut widersprechen,
wenn man die Methode beiseite läßt und sich nur der gewohnten
Methode des Krankenexamens bedient. Es wäre ähnlich, als
wollte man die Funde der histologischen Technik mit der Berufung
auf die makroskopische Untersuchung widerlegen. Indem die
neue Forschungsmethode den Zugang zu einem neuen Element
des psychischen Geschehens, zu den unbewußt gebliebenen, nach
Breuers Ausdruck „bewußtseinsunfähigen" Denkvorgängen
breit eröffnet, winkt sie uns mit der Hoffnung eines neuen, besseren
Verständnisses aller funktionellen psychischen Störungen. Ich
kann es nicht glauben, daß die Psychiatrie es noch lange auf-
schieben wird, .sich dieses neuen Weges zur Erkenntnis zu
bedienen.
Freud, Ke:irocenl»tirc J- * Auflage. 12
XI.
Die Sexualität in der Ätiologie der Neurosen 1 ).
Durch eingehende Untersuchungen bin ich in den letzten
Jahren zur Erkenntnis gelangt, daß Momente aus dem Sexual-
leben die nächsten und praktisch bedeutsamsten Ursachen eines
jeden Falles von neurotischer Erkrankung darstellen. Diese
Lehre ist nicht völlig neu; eine gewisse Bedeutung ist den
sexuellen Momenten in der Ätiologie der Neurosen von jeher
und von allen Autoren eingeräumt worden; für manche Unter-
strömungen in der Medizin ist die Heilung von „Sexualbeschwer-
den" und von „Nervenschwäche" immer in einem einzigen Ver-
sprechen vereint gewesen. Es wird also nicht schwer halten,
dieser Lehre die Originalität zu bestreiten, wenn man einmal
darauf verzichtet haben wird, ihre Triftigkeit zu leugnen.
In einigen kürzeren Aufsätzen, die in den letzten Jahren
im „Neurologischen Zentralblatt", in der „Revue neurologique"
und m der „Wiener klinischen Rundschau" erschienen sind,
habe ich versucht, das Material und die Gesichtspunkte anzu-
deuten, welche der Lehre von der „sexuellen Ätiologie der
Neurosen" eine wissenschaftliche Stütze bieten. Eine ausführliche
Darstellung steht noch aus, und zwar wesentlich darum, weil
man bei der Bemühung, den als tatsächlich erkannten Zusammen-
hang aufzuklären, zu immer neuen Problemen gelangt, für deren
Lösung es an Vorarbeiten fehlt. Keineswegs verfrüht erscheint
mir aber der Versuch, das Interesse des praktischen Arztes auf
die von mir behaupteten Verhältnisse zu lenken, damit er sich
in einem von der Richtigkeit dieser Behauptungen und von den
') Wiener klinische Rundschau, 1898, Nr. 2, 4, 5 und 7.
179
"Vorteilen überzeuge, welche er für sein ärztliches Handeln aus
ihrer Erkenntnis ableiten kann.
Ich weiß, daß es an Bemühungen nicht fehlen wird, den
.Arzt durch ethisch gefärbte Argumente von der Verfolgung
dieses Gegenstandes abzuhalten. Wer sich bei seinen Kranken
überzeugen will, ob ihre Neurosen wirklich mit ihrem Sexual-
leben zusammenhängen, der kann es nicht vermeiden, sich bei
ihnen nach ihrem Sexualleben zu erkundigen und auf wahr-
heitsgetreue Aufklärung über dasselbe zu dringen. Darin soll
aber die Gefahr für den einzelnen wie für die Gesellschaft
liegen. Der Arzt, höre ich sagen, hat kein Recht, sich in die
sexuellen Geheimnisse seiner Patienten einzudrängen, ihre
Schamhaftigkeit — besonders der weiblichen Personen — durch
solches Examen gröblich zu verletzen. Seine ungeschickte Hand
kann nur Familienglück zerstören, bei jugendlichen Personen
die- Unschuld beleidigen und der Autorität der Eltern vor-
greifen; bei Erwachsenen wird er unbequeme Mitwisserschaft
erwerben und sein eigenes Verhältnis zu seinen Kranken zer-
stören. Es sei also seine ethische Pflicht, der ganzen sexuellen
Angelegenheit ferne zu bleiben.
Man darf wohl antworten: Das ist die Äußerung einer
des Arztes unwürdigen Prüderie, die mit schlechten Argumenten
ihre Blöße mangelhaft verdeckt. Wenn Momente aus dem-
Sexualleben wirklich als Krankheitsursachen zu erkennen sind,
so fällt die Ermittlung und Besprechung dieser Momente eben
hierdurch ohne weiteres Bedenken in den Pflichtenkreis des Arztes.
pie Verletzung der Schamhaftigkeit, die er sich dabei zuschul-
den kommen läßt, ist keine andere und keine ärgere, sollte man
meinen, als wenn er, um eine örtliche Affektion zu heilen, auf
der Inspektion der weiblichen Genitalien besteht, zu welcher
Forderung ihn die Schule selbst verpflichtet. Von älteren Frauen,
die ihre Jugendjahre in der Provinz zugebracht haben, hört '
man oft noch erzählen, daß sie einst .durch übermäßige Genital-
blutungen bis zur Erschöpfung heruntergekommen waren, weil
sie sich nicht entschließen konnten, einem Arzte den Anblick
ihrer Nacktheit zu gestatten. Der erziehliche Einfluß, der von
den Ärzten auf das Publikum geübt wird, hat es im Lauf einer
Generation dahin gebracht, daß bei unseren jungen Frauen
12*
180
solches Sträuben nur höchst selten vorkommt. Wo es sich träfe
würde es als unverständige Prüderie, als Scham am unrechten
Orte verdammt werden. Leben wir denn in der Türkei, würde
der Ehemann fragen, wo die kranke Frau dem Arzte nur den
Arm durch ein Loch in der Mauer zeigen darf?!
Es ist nicht richtig, daß das Examen und die Mitwisser-
schaft in sexuellen Dingen dem Arzt eine gefährliche Macht-
fülle gegen seine Patienten verschafft. Derselbe Einwand konnte
sich mit mehr Berechtigung seinerzeit gegen die Anwendung
der Narkose richten, durch welche der Kranke seines Bewußt-
seins und seiner Willensbestimmung beraubt, und es in die
Hand des Arztes gelegt wird, ob und wann er sie wieder er-
langen soll. Doch ist uns heute die Karkose unentbehrlich ge-
worden, weil sie dem ärztlichen Bestreben, zu helfen, dienlich
ist wie nichts anderes, und der Arzt hat die Verantwortlichkeit
für die Narkose unter seine anderen ernsten Verpflichtungen
aufgenommen.
Der Arzt kann in allen Fällen Schaden stiften, wenn er
ungeschickt oder gewissenlos ist, in anderen Fällen nicht mehr
und nicht minder, als bei der Forschung nach dem Sexual-
leben seiner Patienten. Freilich, wer in einem schätzenswerten
Ansätze zur Selbsterkenntnis sich nicht das Taktgefühl, den
Ernst und die Verschwiegenheit zutraut, deren er für das Examen
der Neurotiker bedarf, wer von sich weiß, daß Enthüllungen
aus dem Sexualleben lüsternen Kitzel anstatt wissenschaftlichen
Interesses bei ihm hervorrufen werden, der tut recht daran,
dem Thema der Ätiologie der Neurosen fernzubleiben. Wir
verlangen nur noch, daß er sich auch von der Behandlung der
Nervösen fernhalte.
Es ist auch nicht richtig, daß die Kranken einer Erfor-
schung ihres Sexuallebens unüberwindliche Hindernisse entgegen-
setzen.- Erwachsene pflegen sich nach kurzem Zögern mit den
Worten zurechtzurücken: Ich bin doch beim Arzte; dem darf
man alles sagen. Zahlreiche Frauen, die an der Aufgabe, ihre
sexuellen Gefühle zu verbergen, schwer genug durchs Leben zu
tragen haben, finden sich erleichtert, wenn sie beim Arzte
merken, daß hier keine andere Rücksicht über die ihrer Hei-
lung gesetzt ist, und danken es ihm, daß sie sich auch einmal
k
181
in sexuellen Dingen rein menschlich gebärden dürfen. Eine
dunkle Kenntnis der vorwaltenden Bedeutung sexueller Momente
für die Entstehung der Nervosität, wie ich sie für die Wissen-
schaft neu zu gewinnen suche, scheint im Bewußtsein der Laien
Oberhaupt nie untergegangen zu sein. Wie oft erlebt man
Szenen wie die folgende: Man hat ein Ehepaar vor sich, von
dem ein Teil an Neurose leidet. Nach vielen Einleitungen und
^Entschuldigungen, daß es für den Arzt, der in solchen Fällen
helfen will, konventionelle Schranken nicht geben darf u. dgl.,
teilt man den beiden mit, man vermute, der Grund der Krank-
heit liege in der unnatürlichen und schädlichen Art des sexuellen
Verkehres, die sie seit der letzten Entbindung der Frau gewählt
haben dürften. Die Arzte pflegen sich um diese Verhältnisse in
der Regel nicht zu kümmern, allein das sei nur verwerflich,
•wenn auch die Kranken nicht gerne davon hören usw. Dann
stößt der eine Teil den andern an und sagt: Siehst du, ich
habe es dir gleich gesagt, das wird mich krank machen. Und
der andere antwortet: Ich hab' mir's ja auch gedacht, aber was
soll man tun?
Unter gewissen anderen Umständen, etwa bei jungen Mäd-
chen, die ja systematisch zur Verhehlung ihres Sexuallebens er-
zogen werden, wird man sich mit einem recht bescheidenen
Maße von aufrichtigem Entgegenkommen begnügen müssen. Es
fällt aber hier ins Gewicht, daß der kundige Arzt seinen Kranken
nicht unvorbereitet entgegentritt und in der Regel nicht Auf-
klärung, sondern bloß Bestätigung seiner Vermutungen von ihnen
zu fordern hat. Wer meinen Anweisungen folgen will, wie man
sich die Morphologie der Neurosen zurechtzulegen und ins
Ätiologische zu übersetzen hat, dem brauchen die Kranken nur
•wenig Geständnisse mehr zu machen. In der nur allzu bereit-
willig gegebenen Schilderung ihrer Krankheitssymptome haben
sie ihm meist die Kenntnis der dahinter verborgenen sexuellen
Faktoren mitverraten.
Es wäre von großem Vorteile, wenn die Kranken besser
•wüßten, mit welcher Sicherheit dem Arzte die Deutung ihrer
neurotischen Beschwerden und der Rückschluß von ihnen auf
die wirksame sexuelle Ätiologie nunmehr möglich ist. Es wäre
sicherlich ein Antrieb für sie, auf die Heimlichkeit von dem
182
Augenblicke an zu verzichten, da sie sich entschlossen haben,
für ihr Leiden um Hilfe zu bitten. "Wir haben aber alle ein
Interesse daran, daß auch in sexuellen Dingen ein höherer Grad
von Aufrichtigkeit unter den Menschen Pflicht werde, als er
bis jetzt verlangt wird. Die sexuelle Sittlichkeit kann dabei nur
gewinnen. Gegenwärtig sind wir in Sachen der Sexualität samt
und sonders Heuchler, Kranke wie Gesunde. Es wird uns nur
zugute kommen, wenn im Gefolge der allgemeinen Aufrichtig-
keit ein gewisses Maß von Duldung in sexuellen Dingen zur
Geltung gelangt.
Der Arzt hat gewöhnlich ein sehr geringes Interesse an
manchen der Fragen, welche unter den Neuropathologen in
betreff der Neurosen diskutiert werden, etwa ob man Hysterie
und Neurasthenie strenge zu sondern berechtigt ist, ob man eine
Hystero-Neurasthenie daneben unterscheiden darf, ob man das
Zwangsvorstellen zur Neurasthenie rechnen oder als besondere
Neurose anerkennen soll u. dgl. m. Wirklich dürfen auch solche
Distinktionen dem Arzte gleichgültig sein, so lange sich an die
getroffene Entscheidung weiter nichts knüpft," keine tiefere Ein-
sicht und kein Fingerzeig für die Therapie, so lange der Kranke
in allen Fällen in die Wasserheilanstalt geschickt wird, oder zu
hören bekommt — daß ihm nichts fehlt. Anders aber, wenn
man unsere Gesichtspunkte über die ursächlichen Beziehungen
zwischen der Sexualität und den Neurosen annimmt. Dann er-
wacht ein neues Interesse für die Symptomatologie der einzelnen
neurotischen Fälle, und es gelangt zur praktischen Wichtigkeit,
daß man das komplizierte Bild richtig in seine Komponenten
zu zerlegen und diese richtig zu benennen verstehe. Die Morpho-
logie der Neurosen ist nämlich mit geringer Mühe in Ätiologie
zu übersetzen, und aus der Erkenntnis dieser leiten sich, wie
selbstverständlich, neue therapeutische Anweisungen ab.
Die bedeutsame Entscheidung nun, die jedesmal durch
sorgfältige Würdigung der Symptome sicher getroffen werden
kann, geht dahin, ob der Fall die Charaktere einer Neurasthenie
oder einer Psychoneurose (Hysterie, Zwangsvorstellen) an sich
trägt. (Es kommen ungemein häufig Mischfälle vor, in denen
Zeichen der Neurasthenie mit denen einer Psychoneurose ver-
einigt sind; wir wollen aber deren Würdigung für später auf-
. _
j
183
sparen.) Nur bei den Neurasthenien hat das Examen der Kranken
den Erfolg, die ätiologischen Momente aus dem Sexualleben
aufzudecken; dieselben sind dem Kranken, wie natürlich, be-
kannt und gehören der Gegenwart, richtiger der Lebenszeit seit
der Geschlechtsreife an (wenngleich auch diese Abgrenzung
nicht alle Fälle einzuschließen gestattet). Bei den Psycho -
neurosen leistet ein solches Examen wenig; es verschafft uns
etwa die Kenntnis von Momenten, die man als Veranlassungen
anerkennen muß, und die mit dem Sexualleben zusammenhängen
oder auch nicht; im ersteren Falle zeigen sie sich dann nicht
von anderer Art als die ätiologischen Momente der Neurasthenie,
lassen also eine spezifische Beziehung zur Verursachung der
Psychoneurose durchaus vermissen. Und doch liegt auch die
Ätiologie der Psychoneurosen in jedem Falle wiederum im
Sexuellen. Auf einem merkwürdigen Umwege, von dem später
die Hede sein wird, kann man zur Kenntnis dieser Ätiologie
gelangen iind begreiflich finden, daß der Kranke uns von ihr
nichts zu sagen wußte. Die Ereignisse und Einwirkungen näm-
lich, welche jeder Psychoneurose zugrunde liegen, gehören nicht
der Aktualität an, sondern einer längst vergangenen, sozusagen
prähistorischen Lebensepoche, der frühen Kindheit, und darum
sind sie auch dem Kranken nicht bekannt. Er hat sie — in
einem bestimmten Sinne nur ■ — vergessen.
Sexuelle Ätiologie also in allen Fällen von Neurose; aber
bei den Neurasthenien solche von aktueller Art, bei den Psycho-
neurosen Momente infantiler Natur; dies ist der erste große
Gegensatz in der Ätiologie der Neurosen. Ein zweiter ergibt
sich, wenn man einem Unterschiede in der Symptomatik der
Neurasthenie selbst Rechnung trägt. Hier finden sich einerseits
Fälle, in denen sich gewisse für die Neurasthenie charakteristische
Beschwerden in den Vordergrund drängen : Der Kopf druck, die
Ermüdbarkeit, die Dyspepsie, die Stuhlverstopfung, die Spinal-
irritation usf. Id. anderen Fällen treten diese Zeichen zurück,
und das Krankheitsbild setzt sich aus anderen Symptomen zu-
sammen, die sämtlich eine Beziehung zum Kemsymptom, der
„ Angst" , erkennen lassen (freie Ängstlichkeit, Unruhe, Erwartungs-
angst, komplette, rudimentäre und supplementäre Angstanfälle,
lokomotorischer Schwindel, Agoraphobie, Schlaflosigkeit, Schmerz-
184
>
Steigerung usw.). Ich habe dem ersten Typus von Neurasthenie
seinen Namen belassen, den zweiten aber als „Angstneurose"
ausgezeichnet, und diese Scheidung an anderem Orte begründet,
woselbst auch der Tatsache des in der Regel gemeinsamen
Vorkommens beider Neurosen Rechnung getragen wird. Für
unsere Zwecke genügt die Hervorhebung, daß der symptomati-
schen Verschiedenheit beider Formen ein Unterschied der Ätio-
logie parallel geht. Die Neurasthenie läßt sich jedesmal auf
einen Zustand des Nervensystems zurückführen, wie er durch
exzessive Masturbation erworben wird oder durch gehäufte Pol-
lutionen spontan entsteht; bei der Angstneurose findet man
regelmäßig sexuelle Einflüsse, denen das Moment der Zurück-
haltung oder der unvollkommenen Befriedigung gemeinsam ist,
wie: Coitus interruptus, Abstinenz bei lebhafter Libido, so-
genannte frustrane Erregung u. dgl. In dem kleinen Aufsatze,
welcher die Angstneurose einzuführen bemüht war, habe ich die
Formel ausgesprochen, die Angst sei überhaupt eine von ihrer
Verwendung abgelenkte Libido.
Wo in einem Falle Symptome der Neurasthenie und der
Augstneurose vereinigt sind, also ein Mischfall vorliegt, da
hält man sich an den empirisch gefundenen Satz, daß einer
Vermengung von Neurosen ein Zusammenwirken von mehreren
ätiologischen Momenten entspricht, und wird seine Erwartung
jedesmal bestätigt finden. Wie oft diese ätiologischen Momente
durch den Zusammenhang der sexuellen Vorgänge organisch
miteinander verknüpft sind, z. B. Coitus interruptus oder un-
genügende Potenz des Mannes mit der Masturbation, dies wäre
einer Ausführung im einzelnen wohl würdig.
Wenn man den vorliegenden Fall von neur asthenischer
Neurose sicher diagnostiziert und dessen Symptome richtig
gruppiert hat, so darf man sich die Symptomatik in Ätiologie
übersetzen und dann von den Kranken dreist die Bekräftigung
seiner Vermutungen verlangen. Anfänglicher Widerspruch darf
einen nicht irre machen; man besteht fest auf dem, was man
erschlossen hat, und besiegt endlich jeden Widerstand dadurch,
daß man die Unerschütterlichkeit seiner Überzeugung betont.
Man erfährt dabei allerlei aus dem Sexualleben der Menschen,
womit sich ein nützliches und lehrreiches Buch füllen ließe,
185
lernt es auch nach jeder Richtung hin bedauern, daß die Sexual-
wissenschaft heutzutage noch als unehrlich gilt. Da kleinere
.Abweichungen von einer normalen vita sexualis viel zu häufig
sind, als daß man ihrer Auffindung Wert beilegen dürfte, wird
man hei seinen neurotisch Kranken nur schwere und lange Zeit
fortgesetzte Abnormität des Sexuallebens als Aufklärung gelten
lassen; daß man aber durch sein Drängen einen Kranken, der
psychisch normal ist, veranlassen könnte, sich selbst fälschlich
sexueller Vergehen zu bezichtigen, das darf man getrost als eine
imaginäre Gefahr vernachlässigen.
Verfährt man in dieser Weise mit seinen Kranken, so er-
wirbt man sich auch die Überzeugung, daß es für die Lehre
von der sexuellen Ätiologie der Neurasthenie negative Fälle
nicht gibt. Bei mir wenigstens ist diese Überzeugung so sicher
geworden, daß ich auch den negativen Ausfall des Examens
diagnostisch verwertet habe, nämlich um mir zu sagen, daß
solche Fälle keine Neurasthenie sein können. So kam ich mehr-
mals dazu, eine progressive Paralyse anstatt einer Neurasthenie
anzunehmen, weil es mir nicht gelungen war, die nach meiner
Lehre erforderliche ausgiebige Masturbation nachzuweisen, und
der Verlauf dieser Fälle gab mir nachträglich Recht. Ein ander-
mal, wo der Kranke, bei Abwesenheit deutlicher organischer
Veränderungen, über Kopfdruck, Kopfschmerzen und Dyspepsie
klagte und meinen sexuellen Verdächtigungen mit Aufrichtigkeit
und überlegener Sicherheit begegnete, fiel es mir ein, eine la-
tente Eiterung in einer der Nebenhöhlen der Nase zu vermuten,
und ein spezialistisch geschulter Kollege bestätigte diesen aus
dem sexuell negativen Examen gezogenen Schluß, indem er den
Kranken durch Entleerung von fötidem Eiter aus einer High-
morshöhle von seinen Beschwerden befreite.
Der Anschein, als ob es dennoch „negative Fälle" gäbe,
kann auch auf andere Weise entstehen. Das Examen weist mit-
unter ein normales Sexualleben bei Personen nach, deren Neu-
rose einer Neurasthenie oder einer Angstneurose für oberfläch-
liche Beobachtung wirklich genug ähnlich sieht Tiefer eindrin-
gende Untersuchung deckt aber dann regelmäßig den wahren
Sachverhalt auf. Hinter solchen Fällen, die man für Neurasthenie
gehalten hat, steckt eine Psychoneurose, eine Hysterie oder
V
186
•
Zwangsneurose. Die Hysterie insbesondere, die so viele orga-
nische Affektionen nachahmt, kann mit Leichtigkeit eine der
aktuellen Neurosen vortäuschen, indem sie deren Symptome zu
hysterischen erhebt. Solch e Hysterien in der Form der Neurasthenie
sind nicht einmal sehr selten. Es ist aber keine wohlfeile Auskunft,
wenn man für die Neurasthenien mit sexuell negativer Auskunft .
auf die Psychoneurosen rekurriert; man kann den Nachweis hier-
für führen auf jenem Wege, der allein eine Hysterie untrüglich
entlarvt, auf dem Wege der später zu erwähnenden Psychoanalyse.
Vielleicht wird nun mancher, der gerne bereit ist, der
sexuellen Ätiologie bei seinen neurasthenisch Kranken Rechnung
zu tragen, es doch als eine Einseitigkeit rügen, wenn er nicht
aufgefordert wird, auch den anderen Momenten, die als Ursachen
der Neurasthenie bei den Autoren allgemein erwähnt sind, seine
Aufmerksamkeit zu schenken. Es fällt mir nun nicht ein, die
sexuelle Ätiologie bei den Neurosen jeder anderen zu substituieren,
so daß ich deren Wirksamkeit für aufgehoben erklären würde.
Das wäre ein Mißverständnis. Ich meine vielmehr, zu all den
bekannten und wahrscheinlich mit Recht anerkannten ätiologi-
schen Momenten der Autoren für die Entstehung der Neurasthenie
kommen die sexuellen, die bisher nicht hinreichend gewürdigt
worden sind, noch hinzu. Diese verdienen aber, nach meiner
Schätzung, daß man ihnen in der ätiologischen Reihe eine
besondere Stellung anweise. Denn sie allein werden in keinem
Falle von Neurasthenie vermißt, sie allein vermögen es, die
Neurose ohne weitere Beihilfe zu erzeugen, so daß diese anderen
Momente zur Rolle einer Hilfs- und Supplementärätiologie herab-
gedrückt scheinen; sie allein gestatten dem Arzte, sichere
Beziehungen zwischen ihrer Mannigfaltigkeit und der Vielheit
der Krankheitsbilder zu erkennen. Wenn ich dagegen die Fälle
zusammenstelle, die angeblich durch Überarbeitung, G-emüts-
aufregung, nach einem Typhus u. dgl. neurasthenisch geworden
sind, so zeigen sie mir in den Symptomen nichts Gemeinsames, ich
wüßte aus der Art der Ätiologie keine Erwartung in betreff der
Symptome zu bilden, wie umgekehrt aus dem Krankheitsbilde
nicht auf die einwirkende Ätiologie zu schließen.
Die sexuellen Ursachen sind auch jene, welche, dem Arzte
am ehesten einen Anhalt für sein therapeutisches Wirken bieten.
J
187
Die Heredität ist unzweifelhaft ein bedeutsamer Faktor, wo sie
sich findet; sie gestattet, daß ein großer Krankheitseffekt zu-
stande kommt, wo sich sonst nur ein sehr geringer ergeben
hätte. Allein die Heredität ist der Beeinflussung des Arztes
unzugänglich; ein jeder bringt seine hereditären Krankheits-
neigungen mit sich; wir können nichts mehr daran ändern. Auch
dürfen wir nicht vergessen, daß wir gerade in der Ätiologie
der Neurasthenien der Heredität den ersten Rang notwendig
versagen müssen. Die Neurasthenie (in beiden Formen) gehört
zu den Affektionen, die jeder erblich Unbelastete bequem
erwerben kann. Wäre es anders, so wäre ja die riesige Zunahme
der Neurasthenie undenkbar, über welche alle Autoren klagen.
Was die Zivilisation betrifft, . zu deren Sündenregister man oft
die Verursachung der Neurasthenie zu schreiben pflegt, so mögen
auch hierin die Autoren Recht haben (wiewohl wahrscheinlich
auf ganz anderen Wegen, als sie vermeinen); aber der Zustand
unserer Zivilisation ist gleichfalls für den einzelnen etwas
Unabänderliches; übrigens erklärt dieses Moment bei seiner
Allgemeingültigkeit für die Mitglieder derselben Gesellschaft
niemals die Tatsache der Auswahl bei der Erkrankung. Der
nicht neurasthenische Arzt steht ja unter demselben Einflüsse
der angeblich unheilvollen Zivilisation wie der neurasthenische
Kranke, den er behandeln soll. — Die Bedeutung erschöpfender
Einflüsse bleibt mit der oben gegebenen Einschränkung bestehen.
Aber mit dem Momente der „Überarbeitung«, das die Ärzte so
gerne ihren Patienten als Ursache ihrer Neurose gelten lassen,
wird übermäßig viel Mißbrauch getrieben. Es ist ganz richtig,
daß jeder, der sich durch sexuelle Schädlichkeiten zur Neur-
asthenie disponiert hat, die intellektuelle Arbeit und die
psychischen Mühen des Lebens schlecht verträgt, aber niemals
wird jemand durch Arbeit oder durch Aufregung allein neurotisch.
Geistige Arbeit ist eher ein Schutzmittel gegen neurasthenische
Erkrankung; gerade die ausdauerndsten intellektuellen Arbeiter
bleiben von der Neurasthenie verschont, und was die Neur-
astheniker als „krankmachende Überarbeitung" anklagen, das
verdient in der Regel weder der Qualität noch dem Ausmaße
nach als „geistige Arbeit" anerkannt zu werden. Die Ärzte
werden sich wohl gewöhnen müssen, dem Beamten, der sich in
188
seinem Bureau „überangestrengt", oder der Haustrau, der ihr
Hauswesen zu schwer geworden ist, die Aufklärung zu geben,
daß sie nicht erkrankt sind, weil sie versucht haben, ihre für
ein zivilisiertes Gehirn eigentlich leichten Pflichten zu erfüllen,
sondern weil sie während dessen ihr Sexualleben gröblich ver-
nachlässigt und verdorben haben.
Nur die sexuelle Ätiologie ermöglicht uns ferner das Ver-
ständnis aller Einzelheiten der Krankengeschichten bei Neur-
asthenikern, der rätselhaften Besserungen mitten im Krankheits-
verlaufe und der ebenso unbegreiflichen Verschlimmerungen, die
von Ärzten und Kranken dann gewöhnlich mit der eingeschlagenen
Therapie in Beziehung gebracht werden. In meiner mehr als
200 Fälle umfassenden Sammlung- ist z. B die Geschichte eines
Mannes verzeichnet, der, nachdem ihm die hausärztliche Be-
handlung nichts genützt hatte, zu Pfarrer Kneipp ging und
von dieser Kur an ein Jahr von außerordentlicher Besserung
mitten in seinen Leiden zu verzeichnen hatte. Als aber ein Jahr
später die Beschwerden sich wieder verstärkten und er neuerdings
Hilfe in Wörishofen suchte, bl'ieb der Erfolg dieser zweiten Kur
aus. Em Blick in die Familienchronik dieses Patienten löst das
zweifache Rätsel auf: 67 2 Monate nach der ersten Rückkehr
aus Wörishofen wurde dem Kranken von seiner Frau ein Kind
geboren; er hatte sie also zu Beginn einer noch unerkannten
Gravidität verlassen und durfte nach seiner Wiederkunft natür-
lichen Verkehr mit ihr pflegen. Als nach Ablauf dieser für ihn.
heilsamen Zeit seine Neurose durch neuerlichen Coitus inter-
ruptus wieder angefacht war, mußte sich die zweite Kur erfolglos
erweisen, da jene oben erwähnte Gravidität die letzte blieb.
Ein ähnlicher Fall, in dem gleichfalls eine unerwartete
Einwirkung der Therapie zu erklären war, gestaltete sich noch
lehrreicher, indem er eine rätselhafte Abwechslung in den
Symptomen der Neurose enthielt. Ein jugendlicher Nervöser
war von seinem Arzte in eine wohlgeleitete Wasserheilanstalt
wegen typischer Neurasthenie geschickt worden. Dort besserte
sich sein Zustand anfänglich immer mehr, so daß alle Aussicht
vorhanden war, den Patienten als dankbaren Anhänger der
Hydrotherapie zu entlassen. Da trat in der sechsten Woche ein
Umschlag ein; der Kranke „vertrug das Wasser nicht mehr",
189
wurde immer nervöser und verließ endlich nach zwei weiteren
Wochen ungeheilt und unzufrieden die Anstalt. Als er sich bei
mir über diesen Trug der Therapie beklagte, erkundigte ich
mich ein wenig nach den Symptomen, die ihn mitten in der
Kur befallen hatten. Merkwürdigerweise hatte sich darin ein
Wandel vollzogen. Er war mit Kopfdruck, Müdigkeit und
Dyspepsie in die Anstalt gegangen; was ihn in der Behandlung
gestört hatte,- waren: Aufgeregtheit, Anfälle von Beklemmung,
Schwindel im Gehen und Schlafstörung gewesen. Nun konnte
ich dem Kranken sagen: „Sie tun der Hydrotherapie Unrecht.
Sie sind, wie Sie selbst sehr wohl gewußt haben, infolge von
lange fortgesetzter Masturbation erkrankt. In der Anstalt haben
Sie die Art der Befriedigung aufgegeben und sich darum rasch
erholt. Als Sie sich aber wohl fühlten, haben Sie unklugerweise
Beziehungen zu einer Dame, nehmen wir an, einer Mitpatientin,
gesucht, die nur zur Aufregung ohne normale Befriedigung
führen konnten. Die schönen Spaziergänge in der Nähe der
Anstalt gaben Ihnen gute Gelegenheit dazu. An diesem Ver-
hältnisse sind Sie von neuem erkrankt, nicht an einer plötzlich
aufgetretenen Intoleranz gegen die Hydrotherapie. Aus Ihrem
gegenwärtigen Befinden schließe ich übrigens, daß Sie dasselbe
Verhältnis auch in der Stadt fortsetzen." Ich kann versichern,
daß der Kranke mich dann Punkt für Punkt bestätigt hat.
Die gegenwärtige Therapie der Neurasthenie, wie sie wohl
am günstigsten in den Wasserheilanstalten geübt wird, setzt
sich das Ziel, die Besserung des nervösen Zustandes durch zwei
Momente: Schonung und Stärkung des Patienten zu erreichen.
Ich wüßte nichts anderes gegen diese Therapie vorzubringen,
als daß sie den sexuellen Bedingungen des Falles keine Rechnung
trägt. Nach meiner Erfahrung ist es höchst wünschenswert, daß
die ärztlichen Leiter solcher Anstalten sich genügend klar
machen, daß sie es nicht mit Opfern der Zivilisation oder der
Heredität, sondern — sit venia verbo — mit Sexualitätskrüppeln
zu tun haben. Sie würden sich dann einerseits ihre Erfolge wie
ihre Mißerfolge leichter erklären, anderseits aber neue Erfolge
erzielen, die bis jetzt dem Zufalle oder dem unbeeinflußten
Verhalten des Kranken anheimgegeben sind. Wenn man eine
ängstlich-neurasthenische Frau von ihrem Hause weg in die
190
Wasserheilanstalt schickt, sie dort, aller Pflichten ledig, baden,
turnen und sich reichlich ernähren läßt, so wird man gewiß
geneigt sein, die oft glänzende Besserung, die so in einigen
Wochen oder Monaten erreicht wird, auf Rechnung der Ruhe,
welche die Kranke genossen hat, und der Stärkung, die ihr die
Hydrotherapie gebracht hat, zu setzen. Das mag so sein; man
übersieht aber dabei, daß mit der Entfernung vom Hause für
die Patientin auch eine Unterbrechung des ehelichen Verkehres
gegeben ist, und daß erst diese zeitweilige Ausschaltung der
krankmachenden Ursache ihr die Möglichkeit gibt, sich bei
zweckmäßiger Therapie zu erholen. Die Vernachlässigung dieses
ätiologischen Gesichtspunktes rächt sich nachräglich, indem der
scheinbar so befriedigende Heilerfolg sich als sehr flüchtig
erweist. Kurze Zeit, nachdem der Patient in seine Lebens-
verhältnisse zurückgekehrt ist, stellen sich die Symptome des
Leidens . wieder ein und nötigen ihn, entweder immer von Zeit
zu Zeit einen Teil seiner Existenz unproduktiv in solchen
Anstalten zu verbringen, oder veranlassen ihn, seine Hoffnungen
auf Heilung anderswohin zu richten. Es ist also klar, daß die
therapeutischen Aufgaben bei der Neurasthenie nicht in den
Wasserheilanstalten, sondern innerhalb der Lebensverhältnisse
der Kranken in Angriff zu nehmen sind.
Bei anderen Fällen kann unsere ätiologische Lehre dem
Anstaltsarzte Aufklärung über die Quelle von Mißerfolgen geben,
die sich noch in der Anstalt selbst ereignen, und ihm nahe-
legen, wie solche zu vermeiden sind. Die Masturbation ist bei
erwachsenen Mädchen und reifen Männern weit häufiger, als
man anzunehmen pflegt, und wirkt als Schädlichkeit nicht nur
durch die Erzeugung der neurasthenischen Symptome, sondern
auch, indem sie die Kranken unter dem Drucke eines als
schändlich empfundenen Geheimnisses erhält. Der Arzt, der
nicht gewohnt ist, Neurasthenie in Masturbation zu übersetzen,
gibt sich für den Krankheitszustand Rechenschaft, indem er sich
auf ein Schlagwort, wie Anämie, Unterernährung, Überarbeitung
usw. bezieht, und erwartet nun bei Anwendung der dagegen
ausgearbeiteten Therapie die Heilung seines Kranken. Zu seinem
Erstaunen wechseln aber beim Kranken Zeiten von Besserung
mit anderen ab, in denen unter schwerer Verstimmung alle
_.
a
191
Symptome sich verschlimmern. Der Ausgang einer solchen
Behandlung ist im allgemeinen zweifelhaft.. Wüßte der Arzt
daß der Kranke die ganze Zeit über mit seiner sexuellen An-
gewöhnung kämpft, daß er in Verzweiflung verfallen ist, weil
er ihr wieder einmal unterliegen mußte, verstünde er, dem
Kranken sein Geheimnis abzunehmen, dessen Schwere in seinen
Augen zu entwerten, und ihn bei seinem Abgewöhnungskampfe
zu unterstützen, so würde der Erfolg der therapeutischen Be-
mühung hierdurch wohl gesichert.
Die Abgewöhnung der Masturbation ist nur eine der
neuen therapeutischen Aufgaben, welche dem Arzte aus der
Berücksichtigung der sexuellen Ätiologie erwachsen, und diese
Aufgabe gerade scheint wie jede andere Abgewöhnung nur in *
einer Krankenanstalt und unter beständiger Aufsicht des Arztes
lösbar. Sich selbst überlassen, pflegt der Masturbant bei jeder
verstimmenden Einwirkung auf die ihm bequeme Befriedigung
zurückzugreifen. Die ärztliche Behandlung kann sich hier°kein
anderes Ziel stecken, als den wieder gekräftigten Neurastheniker
dem normalen Geschlechtsverkehre zuzuführen, denn das einmal
geweckte und durch eine geraume Zeit befriedigte Sexualbedürfnis
läßt sich nicht mehr zum Schweigen bringen, sondern bloß auf
ein anderes Objekt verschieben. Eine ganz analoge Bemerkung
gilt übrigens auch für alle anderen Abstinenzkuren, die so lange
nur scheinbar gelingen werden, so lange sich der Arzt damit
begnügt, dem Kranken das narkotische Mittel zu entziehen, ohne
sich um die Quelle zu kümmern, aus welcher das imperative
Bedürfnis nach einem solchen entspringt. „Gewöhnung" ist eine
bloße Redensart, ohne aufklärenden Wert; nicht jedermann, der
eine Zeitlang Morphin, Kokain, Chloralhydrat u. dgl. zunehmen
Gelegenheit hat, erwirbt hierdurch die „Sucht" nach diesen
Dingen. Genauere Untersuchung weist in der Eegel nach, daß
diese Narkotika zum Ersätze — direkt oder auf Umwegen
des. mangelnden Sexualgenusses bestimmt sind, und wo sich
normales Sexualleben nicht mehr herstellen läßt, da darf man
den Rückfall des Entwöhnten mit Sicherheit erwarten.
Die andere Aufgabe wird dem Arzte durch die Ätiologie
der Angstneurose gestellt und besteht darin, den Kranken
zum Verlassen aller schädlichen Arten des Sexualverkehres und
192
zur Aufnahme normaler sexueller Beziehungen zu veranlassen.
Wie begreiflich, fällt diese Pflicht vor allem dem ärztlichen
Vertrauensmanne des Kranken, dem Hausarzte, zu, der seine
Klienten schwer schädigt, wenn er sich zu vornehm hält, um in
diese Sphäre einzugreifen.
Da es sich hierbei zumeist um Ehepaare handelt, stößt
das Bemühen des Arztes alsbald mit den malthusianischen
Tendenzen, die Anzahl der Konzeptionen in der Ebe einzu-
schränken, zusammen. Es scheint mir unzweifelhaft, daß
diese Vorsätze in unserem Mittelstande immer mehr an Aus-
breitung gewinnen; ich bin Ehepaaren begegnet, die schon
nach dem ersten Kinde die Verhütung der Konzeption durch-
zuführen begannen, und anderen, deren sexueller Verkehr
von der Hochzeitsnacht an diesem Vorsatze Rechnung tragen
wollte. Das Problem des Malthusianismus ist weitläufig und
kompliziert; ich habe nicht die Absicht, es hier erschöpfend
zu behandeln, wie es für die Therapie der Neurosen eigent-
lich erforderlich wäre. Ich gedenke nur zu erörtern, welche
Stellung der Arzt, der die sexuelle Ätiologie der Neurosen
anerkennt, zu diesem Problem am besten einnehmen kann.
Das Verkehrteste ist es offenbar, wenn er dasselbe —
unter welchen Vorwänden immer — ignorieren will. "Was
notwendig ist, kann nicht, unter meiner ärztlichen Würde
sein, und es ist notwendig, einem Ehepaare, das an die Ein-
schränkung der Kiuderzeugung denkt, mit ärztlichem Rate bei-
zustehen, wenn man nicht einen Teil oder beide der Neurose
aussetzen will. Es läßt sich nicht bestreiten, daß malthusianische
Vorkehrungen irgend einmal in einer Ebe zur Notwendigkeit
werden, und theoretisch wäre es einer der größten Triumphe
der Menschheit, eine der fühlbarsten Befreiungen vom Natur-
zwange, dem unser Geschlecht unterworfen ist, wenn es gelänge,
den verantwortlichen Akt der Kinderzeugung zu einer will-
kürlichen und beabsichtigten Handlung zu erheben, und ihn von
der Verquickung mit der notwendigen Befriedigung eines natür-
lichen Bedürfnisses loszulösen.
Der einsichtsvolle Arzt wird es also auf sich nehmen, zu
entscheiden, unter welchen Verhältnissen die Anwendung von
Maßregeln zur Verhütung der Konzeption gerechtfertigt ist, und
193
wird die schädlichen unter diesen Hilfsmitteln von den harm-
losen zu sondern haben. Schädlich ist alles, was das Zustande-
kommen der Befriedigung hindert; bekanntlich besitzen wir
aber derzeit kein Schutzmittel gegen die Konzeption, welches
allen berechtigten Anforderungen genügen würde, d. h. sicher,
bequem ist, der Lustempfindung beim Koitus nicht Eintrag tut
und das Feingefühl der Frau nicht verletzt. Hier ist den Ärzten
eine praktische Aufgabe gestellt, an deren Lösung sie ihre
Kräfte dankbringend setzen können. "Wer jene Lücke in unserer
.ärztlichen Technik ausfüllt, der hat Unzähligen den Lebens-
genuß erhalten und die Gesundheit bewahrt, freilich dabei auch
eine tief einschneidende Veränderung in unseren gesellschaftlichen
Zuständen angebahnt.
Hiermit sind die Anregungen nicht erschöpft, die aus der
Erkenntnis einer sexuellen Ätiologie der Neurosen fließen. Die
Hauptleistung, die uns zugunsten der Neurastheniker möglich
ist, fällt in die Prophylaxis. Wenn die Masturbation die Ursache
der Neurasthenie in der Jugend ist und späterhin durch die von
ihr geschaffene Verminderung der Potenz auch zur ätiologischen
Bedeutung für die Angstneurose gelangt, so ist die Verhütung
der Masturbation bei beiden Geschlechtern eine Aufgabe, die
mehr Beachtung verdient, als sie bis jetzt gefunden hat. Über-
denkt man alle die feineren und gröberen Schädigungen, die
von der angeblich immer mehr um sich greifenden Neurasthenie
ausgehen, so erkennt man geradezu ein Volksinteresse darin,
■daß die Männer mit voller Potenz in den Sexualver-
kehr eintreten. In Sachen der Prophylaxis aber ist der ein-
zelne ziemlich ohnmächtig. Die Gesamtheit muß ein Interesse
an dem Gegenstande gewinnen und ihre Zustimmung zur
Schöpfung von gemeingültigen Einrichtungen geben. Vorläufig
6ind wir von einem solchen Zustande, der Abhilfe versprechen
würde, noch weit entfernt, und darum kann man mit Recht
auch unsere Zivilisation für die Verbreitung der Neurasthenie
verantwortlich machen. Es müßte sich vieles ändern. Der Wider-
stand einer Generation von Ärzten muß gebrochen werden, die
sich nicht mehr an ihre eigene Jugend erinnern können; der
Hochmut der Väter ist zu überwinden, die vor ihren Kindern
eicht gerne auf das Niveau der Menschlichkeit herabsteigen
Freud, Nenroseulehre. I. 4. Auflage. 13
194
•
wollen, die unverständige Verschämtheit der Mütter zu be-
kämpfen, denen es jetzt regelmäßig als unerforschliche, aber
unverdiente Schicksalsfügung erscheint, daß „gerade ihre Kinder
nervös geworden .sind". Vor allem aber muß in der öffentlichen
Meinung Raum geschaffen werden für die Diskussion der Pro-
bleme des Sexuallebens; man muß von diesen reden können,
ohne für einen Ruhestörer oder für einen Spekulanten auf
niedrige Instinkte erklärt zu werden. Und somit verbliebe auch
hiev genügend Arbeit für ein nächstes Jahrhundert, in dem
unsere Zivilisation es verstehen soll, sich mit den Ansprüchen
unserer Sexualität zu vertragen!
Der Wert einer richtigen diagnostischen Scheidung der
Psychoneurosen von der Neurasthenie bezeigt sich auch darin,,
daß die ersteren eine andere praktische Würdigung und be-
sondere therapeutische Maßnahmen erfordern. Die Psychoneu-
rosen .treten unter zweierlei Bedingungen auf, entweder selb-
ständig oder im Gefolge der Aktualneurosen (Neurasthenie
und Angstneurose). Im letzteren Falle hat man es mit einem
neuen, übrigens sehr häufigen Typus von gemischten Neurosen
zu tun. Die Ätiologie der Aktualneurose ist zur Hilfsätiologie
der Psychoneurose geworden; es ergibt sich ein Krankheitsbild,
in dem etwa die Angstneurose vorherrscht, das aber sonst
Züge der echten Neurasthenie, der Hysterie und der Zwangs-
neurose enthält. Man tut nicht gut, angesichts einer solchen
Vermengung etwa auf eine Sonderung der einzelnen neuro-
tischen Krankheitsbilder zu verzichten, da es doch nicht schwer-
ist, sich den Fall in folgender Weise zurechtzulegen: Wie die
vorwiegende Ausbildung der Angstneurose beweist, ist hier die
Erkrankung unter dem ätiologischen Einfluß einer aktuellen
sexuellen Schädlichkeit entstanden. Das betreffende Individuum
war aber außerdem zu einer oder mehreren Psychoneurosen,
durch eine besondere Ätiologie disponiert und wäre irgend
einmal spontan oder bei Hinzutritt eines andern schwächenden.
Momentes an Psychoneurose erkrankt. Nun ist die noch fehlende
Hilfsätiologie für die Psychoneurose durch die aktuelle Ätiologie
der Angstneurose hinzugefügt worden.
Für solche Fälle hat sich mit Recht die therapeutische
Übung eingebürgert, von der psychoneurotischen Komponente
195
im Krankheitsbilde abzusehen und ausschließlich die Aktual-
neurose zu behandeln. Es gelingt in sehr vielen Fällen, auch
der mitgerissenen Neurose Herr zu werden, wenn man der
Neurasthenie zweckmäßig entgegentritt. Eine andere Beurteilung
erfordern aber jene Fälle von Psychoneurose, die, sei es spontan,
auftreten oder nach dem Ablaufe einer aus Neurasthenie und
Psychoneurose gemengten Erkrankung als selbständig übrig
bleiben. "Wenn ich von „spontanem" Auftreten einer Psycho-
neurose gesprochen habe, so meine ich damit nicht etwa, daß
man bei anamnestischer Nachforschung jedes ätiologische Moment
vermißt. Dies kann wohl der Fall sein, man kann aber auch
auf ein indifferentes Moment, eine Gemütsbewegung, Schwächung
durch somatische Erkrankung u. dgl. hingewiesen werden. Doch
muß man für alle diese Fälle festhalten, daß die eigentliche
Ätiologie der Psychoneurosen nicht in diesen Veranlassungen
liegt, sondern der gewöhnlichen "Weise anamnestischer Erhebung
unfaßbar bleibt
Wie bekannt, ist es diese Lücke, welche man versucht
hat, durch die Annahme einer besonderen neuropathischen
Disposition auszufüllen, deren Existenz einer Therapie solcher
Krankheitszustände freilich nicht viel Aussicht auf Erfolg übrig
ließe. Die neuropathische Disposition selbst wird als Zeichen
einer allgemeinen Degeneration aufgefaßt, und somit gelangt
dieses bequeme Kunstwort zu einer überreichlichen Verwendung
gegen die armen Kranken, denen zu helfen die Ärzte recht
ohnmächtig sind. Zum Glück steht es anders. Die neuropathische
Disposition existiert wohl, aber ich muß bestreiten, daß sie zur
Erzeugung der Psychoneurose hinreicht. Ich muß ferner be-
streiten, daß das Zusammentreffen von neuropathischer Dispo-
sition und veranlassenden Ursachen des späteren Lebens eine
ausreichende Ätiologie der Psychoneurosen darstellt. Man ist in
der Zurückführung der Krankheitsschicksale des einzelnen auf
die Erlebnisse seiner Ahnen zu weit gegangen und hat daran
vergessen, daß zwischen der Empfängnis und der Eeife des
Individuums ein langer und bedeutsamer Lebensabschnitt lie»t
die Kindheit, in welcher die Keime' zu späterer Erkrankung
erworben werden können. So ist es tatsächlich bei der Psycho-
neurose. Ihre wirkliche Ätiologie ist zu finden in Erlebnissen
13*
•
196
der Kindheit, und zwar wiederum — und ausschließlich — in
Eindrücken, die das sexuelle Lebeu betreffen. Man tut Unrecht
daran, das Sexualleben der Kinder völlig zu vernachlässigen; sie
sind, so viel ich erfahren habe, aller psychischen und vieler soma-
tischen Sexualleistungen fähig. So wenig die -äußeren Genitalien
und die beiden Keimdrüsen den ganzen Geschlechtsapparat des
Menschen darstellen, ebensowenig beginnt sein Geschlechtsleben
erst mit der Pubertät, wie es der groben Beobachtung erscheinen
mag. Es ist aber richtig, daß die Organisation und Entwicklung
der Spezies Mensch eine ausgiebigere sexuelle Betätigung im
Kindesalter zu vermeiden strebt; es scheint, daß die sexuellen
Triebkräfte beim Menschen aufgespeichert werden sollen, um
dann bei ihrer Entfesselung zur Zeit der Pubertät großen
kulturellen Zwecken zu dienen. (Wilh. Fließ.) Aus einem der-
artigen Zusammenhange läßt sich etwa verstehen, warum sexuelle
Erlebnisse des Kindesalters pathogen wirken müssen. Sie ent-
falten ihre Wirkung aber nur zum geringsten Maße zur Zeit,
da sie vorfallen; weit bedeutsamer ist ihre nachträgliche
Wirkung, die erst in späteren Perioden der Reifung eintreten
kann. Diese nachträgliche Wirkung geht, wie nicht anders
möglich, von den psychischen Spuren aus, welche die infantilen
Sexualerlebnisse zurückgelassen haben. In dem Intervall zwischen
dem Erleben dieser Eindrücke und deren Reproduktion (viel-
mehr dem Erstarken der von ihnen ausgehenden libidinösen
Impulse) hat nicht nur der somatische Sexualapparat, sondern
auch der psychische Apparat eine bedeutsame Ausgestaltung
erfahren, und darum erfolgt auf die Einwirkung jener früheren
sexuellen Erlebnisse nun eine abnorme psychische Reaktion, es
•entstehen psychopathologische Bildungen.
In diesen Einleitungen konnte ich nur die Hauptmomente
anführen, auf welche sich die Theorie der Psychoneurosen
stützt: die Nachträglichkeit, den infantilen Zustand des Ge-
schlechtsapparates und des Seeleninstrumentes. Um ein wirk-'
liches Verständnis des Entstehungsmechanismus der Psycho-
neurosen zu erzielen, brauchte es breiterer Ausführungen; vor
allem wäre es unvermeidlich, gewisse Annahmen über die Zu-
sammensetzung und die Arbeitsweise des psychischen Apparates,
die mir neu scheinen, als glaubwürdig hinzustellen. In einem
197
Buche über „Traumdeutung", das ich gegenwärtig vorbereite,
werde ich die Gelegenheit finden, jene Fundamente einer Neu-
rosenpsychologie zu berühren. Der Traum gehört nämlich in
dieselbe Reihe psychopathologischer Bildungen, wie die hy-
sterische fixe Idee, die . Zwangsvorstellung und die Wahnidee.
Da die Erscheinungen der Psychoneurosen vermittels der
Nachträglichkeit von unbewußten psychischen Spuren aus ent-
stehen, werden sie der Psychotherapie zugänglich, die allerdings
hier andere "Wege einschlagen muß als den bis jetzt einzig
begangenen der Suggestion mit oder ohne Hypnose. Auf der
von J. Breuer angegebenen „kath artischen" Methode fußend,
habe ich in den letzten Jahren ein therapeutisches Verfahren
nahezu ausgearbeitet, welches ich das „psychoanalytische" heißen
will, und dem ich zahlreiche Erfolge verdanke, während ich
hoffen darf, seine "Wirksamkeit noch erheblich zu steigern. In
den 1895 veröffentlichten Studien über Hysterie (mit J.
Breuer) sind die ersten Mitteilungen über Technik und Trag-
weite der Methode gegeben worden. Seither hat sich manches,
wie ich behaupten darf, zum Besseren daran geändert. Während
wir damals bescheiden aussagten, daß wir nur die Beseitigung
von hysterischen S) r mptomen, nicht die Heilung der Hysterie
selbst in Angriff nehmen könnten, hat sich mir seither diese
Unterscheidung als inhaltslos herausgestellt, also die Aussicht
auf wirkliche Heilung der Hysterie und Zwangsvorstellungen
ergeben. Es hat mich darum recht lebhaft interessiert, in den
Publikationen von Fachgenossen zu lesen: In diesem Falle habe
das sinnreiche, von Breuer und Freud ersonnene Verfahren
versagt, oder: Die Methode habe nicht gehalten, was sie zu
versprechen schien. Ich hatte dabei etwa die" Empfindungen
eines Menschen, der in der Zeitung seine Todesanzeige findet,
sich aber dabei in seinem Besserwissen beruhigt fühlen darf.
Das Verfahren ist nämlich so schwierig, daß es durchaus er-
lernt werden muß, und ich kann mich nicht besinnen, daß es
einer meiner Kritiker von mir hätte erlernen wollen, glaube
auch nicht, daß sie sich, ähnlich wie ich, genug intensiv damit
beschäftigt haben, um es selbständig auffinden zu können. Die
Bemerkungen in den Studien über Hysterie sind vollkommen
unzureichend, um einem Leser die Beherrschung dieser Technik
198
zu ermöglichen, streben solche vollständige Unterweisung auch
keineswegs an.
Die psychoanalytische Therapie ist derzeit nicht allgemein
anwendbar; ich kenne für sie folgende Einschränkungen: Sie
erfordert ein gewisses Maß von Reife und Einsicht beim Kranken,
taugt daher nicht für kindliche Personen oder für erwachsene
Schwachsinnige und Ungebildete. Sie scheitert bei allzu be-
tagten Personen daran, daß sie bei ihnen, dem angehäuften
Material entsprechend, allzuviel Zeit in Anspruch nehmen würde,
so daß man bis zur Beendigung der Kur in einen Lebens-
abschnitt geraten würde, für welchen auf nervöse Gesundheit
nicht mehr Wert gelegt wird. Endlich ist sie nur dann mög-
lich, wenn der Kranke einen psychischen Normalzustand hat,
von dem aus sich das pathologische Material bewältigen läßt.
Während einer hysterischen Verworrenheit, einer eingeschalteten
Manie oder Melancholie ist mit den Mitteln der Psychoanaly83
nichts zu leisten. Man kann solche Fälle dem Verfahren noch
unterziehen, nachdem man mit den gewöhnlichen Maßregeln
die Beruhigung der stürmischen Erscheinungen herbeigeführt
hat. In der Praxis werden überhaupt die chronischen Fälle von
Psychoneurosen besser der Methode Stand halten, als die Fälle
mit akuten Krisen, bei denen das Hauptgewicht naturgemäß
auf die Raschheit der Erledigung fällt, Daher geben auch die
hysterischen Phobien und die verschiedenen Formen der Zwangs-
neurose das günstigste Arbeitsgebiet für diese neue Therapie.
Daß die Methode in diese Schranken gebannt ist, erklärt
sich zum guten Teil aus den Verhältnissen, unter denen ich
sie ausarbeiten mußte. Mein Material sind eben chronisch Ner-
vöse der gebildeteren Stände. Ich halte es für sehr wohl mög-
lich, daß sich ergänzende Verfahren für kindliche Personen und
für das Publikum, welches in den Spitälern Hilfe sucht, aus-
bilden lassen. Ich muß auch anführen, daß ich meine Therapie
bisher ausschließlich an schweren Fällen von Hysterie und
Zwangsneurose erprobt habe; wie es sich bei jenen leichten
Erkrankungsfällen gestalten würde, die man bei einer indifferenten
Behandlung von wenigen Monaten in wenigstens scheinbare
Genesung ausgehen sieht, weiß ich nicht anzugeben. Wie be-
greiflich, durfte eine neue Therapie, die vielfache Opfer erfor-
__
199
■dert, nur auf solche Kranke rechnen, die bereits die anerkannten
Heilmethoden ohne Erfolg versucht hatten, oder deren Zustände
den Schluß berechtigten, sie hätten von diesen angeblich be-
-quemeren und kürzeren Heilverfahren nichts zu erwarten. So
mußte ich mit •einein unvollkommenen Instrumente sogleich die
schwersten Aufgaben in Angriff nehmen; die Probe ist um so
beweiskräftiger ausgefallen.
Die wesentlichen Schwierigkeiten, die sich jetzt noch der
psychoanalytischen Heilmethode entgegensetzen, liegen nicht an
ihr selbst, sondern in dem Mangel an Verständnis für das
Wesen der Psychoneurosen bei Ärzten und Laien. Es ist nur
das notwendige Korrelat zu dieser vollen Unwissenheit, wenn
sich die Arzte für berechtigt halten, den Kranken durch die
unzutreffendsten Versicherungen zu trösten oder zu therapeuti-
schen Maßnahmen zu veranlassen. „Kommen Sie für sechs
Wochen in meine Anstalt und Sie werden Ihre Symptome
(Reiseangst, Zwangsvorstellungen usw.) verloren haben." Tat-
sächlich ist die Anstalt unentbehrlich für die Beruhigung akuter
Zufälle im Verlaufe einer Psychoneurose durch Ablenkung,
Pflege und Schonung; zur Beseitigung chronischer Zustände
leistet sie — nichts, und zwar die vornehmen, angeblich wissen-
schaftlich geleiteten Sanatorien ebensowenig wie die gemeinen
Wasserheilanstalten.
Es wäre würdiger und dem Kranken, der sich doch schließ-
lich mit seinen Beschwerden abfinden muß, zuträglicher, wenn
der Arzt die Wahrheit sprechen würde, wie er sie alle Tage
kennen lernt: Die Psychoneurosen sind als Genus keineswegs
leichte Erkrankungen. Wenn eine Hysterie anfängt, kann nie-
mand vorher wissen, wann sie ein Ende nehmen wird. Man
tröstet sich meist vergeblich mit der Prophezeiung: Eines Tages
wird sie plötzlich vorüber sein. Die Heilung erweist sich häufig
genug als ein bloßes Übereinkommen zur gegenseitigen Duldung
zwischen dem Gesunden und dem Kranken im Patienten oder
erfolgt auf dem Wege der Umwandlung eines Symptoms in
eine Phobie. Die mühsam beschwichtigte Hysterie des Mädchens
lebt nach kurzer Unterbrechung durch das junge Eheglück in
der Hysterie der Ehefrau wieder auf, nur daß jetzt eine andere
Person als früher, der Ehemann, durch sein Interesse veranlaßt
200
wird, über den Erkrankungsfall zu schweigen. Wo es nicht zu
manifester Existenzunfähigkeit infolge von Krankheit kommt,
da fehlt doch fast nie die Einbuße an aller »freien Entfaltung
der Seelenkräfte. Zwangsvorstellungen kehren das ganze Leben
hindurch wieder; Phobien und andere Willensainschränkungen
sind für jede Therapie bisher unbeeinflußbar gewesen. Das alles
wird dem Laien vorenthalten, und darum ist der Vater einer
hysterischen Tochter entsetzt, wenn er z. B. einer einjährigen
Behandlung seines Kindes zustimmen soll, wo doch die Krank-
heit etwa erst einige Monate gedauert hat. Der Laie ist sozusagen
von der Überflüssigkeit all dieser Psychoneurosen tief innerlich
überzeugt, er bringt darum dem Krankheitsverlaufe keine Geduld
und der Therapie keine Opferbereitschaft entgegen. Wenn er sich
angesichts eines Typhus,' der drei Wochen anhält, eines Bein-
bruches, der zur Heilung sechs Monate beansprucht, verständiger
benimmt, wenn ihm die Fortsetzung orthopädischer Maßnahmen
durch mehrere Jahre einsichtlich erscheint, sobald sich die ersten
Spuren einer Rückgratsverkrümmung bei seinem Kinde zeigen,
so rührt dieser Unterschied von dem besseren Verständnis der
Arzte her, die ihr Wissen in ehrlicher Mitteilung dem Laien
übertragen. Die Aufrichtigkeit der Ärzte und die Gefügigkeit
der Laien wird' sich auch für die Psychoneurosen herstellen,
wenn erst die Einsicht in das Wesen dieser Affektionen ärzt-
liches Gemeingut geworden ist. Die psychotherapeutische Radikal-
behandlung derselben wird wohl immer eine besondere Schulung,
erfordern und mit der Ausübung anderer ärztlicher Tätigkeit
unverträglich sein. Dafür winkt dieser, in der Zukunft wohl
zahlreichen Klasse von Ärzten Gelegenheit zu rühmlichen
Leistungen und eine befriedigende Einsicht in das Seelenleben
der Menschen.
-*"*-
XII.
Über Psychotherapie 1 ).
Meine Herren! Es sind ungefähr acht Jahre her, seitdem
ich über Aufforderung Ihres betrauerten Vorsitzenden Professor
v. K e d e r in Ihrem Kreise über das Thema der Hysterie spre-
chen durfte. Ich hatte kurz zuvor (1895) in Gemeinschaft mit
Dr. Josef Breuer die „Studien über Hysterie" veröffentlicht
und den Versuch unternommen, auf Grund der neuen Erkenntnis,
welche wir diesem Forscher verdanken, eine neuartige Behand-
lungsweise der Neurose einzuführen. Erfreulicherweise, darf ich
sagen, haben die Bemühungen unserer „Studien" Erfolg gehabt;
die in ihnen vertretenen Ideen von der Wirkungsweise psychi-
scher Traumen durch Zurückhaltung von Affekt und die Auf-
fassung der hysterischen Symptome als Erfolge einer aus dem
Seelischen ins Körperliche versetzten Erregung, Ideen, für
welche wir die Termini „Abreagieren" und „Konversion" ge-
schaffen hatten, sind heute allgemein bekannt und verstanden.
Es gibt — wenigstens in deutschen Landen — keine Darstellung
der Hysterie, die ihnen nicht bis zu einem gewissen Grade
Rechnung tragen würde, und keinen Fachgenossen, der nicht
zum mindesten ein Stück weit mit dieser Lehre ginge. Und doch
mögen diese Sätze und diese Termini, solange sie noch frisch
waren, befremdend genug geklungen haben!
Ich kann nicht dasselbe von dem therapeutischen Verfahren
sagen, das gleichzeitig mit unserer Lehre den Fachgenossen
vorgeschlagen wurde. Dasselbe kämpft noch heute um seine
Anerkennung. Man mag spezielle Gründe dafür anrufen. Die
J ) Wiener Medizinische Presse, 1905, Nr. 1. (Vortrag, gehalten im
Wiener mediz. Doktorenkollegium am 12. Dezember 1904.)
202
Technik des Verfahrens war damals noch unausgebildet; ich
vermochte es nicht, dem ärztlichen Leser des Buches jene An-
weisungen zu geben, welche ihn befähigt hätten, eine derartige
Behandlung vollständig durchzuführen. Aber gewiß wirken auch
•Gründe allgemeiner Natur mit. Vielen Ärzten erscheint noch
heute die Psychotherapie als ein Produkt des modernen Mysti-
zismus und im Vergleiche mit unseren physikalisch-chemischen
Heilmitteln, deren Anwendung auf physiologische Einsichten
gegründet ist, als geradezu unwissenschaftlich, des Interesses
■eines Naturforschers unwürdig. Gestatten Sie mir nun, vor
Ihnen die Sache der Psychotherapie zu führen und hervorzuheben,
Avas an dieser Verurteilung als Unrecht oder Irrtum bezeichnet
■werden kann.
Lassen Sie mich also fürs erste daran mahnen, daß die
Psychotherapie kein modernes Heilverfahren ist. Im Gegenteil,
■sie ist die älteste Therapie, deren sich die Medizin bedient hat.
In dem lehrreichen "Werke von Löwenfeld (Lehrbuch der ge-
samten Psychotherapie) können Sie nachlesen, welches die Me-
thoden der primitiven und der antiken Medizin waren. Sie
■werden dieselben zum größten Teil der Psychotherapie zuordnen
müssen; man versetzte die Kranken zum Zwecke der Heilung
in den Zustand der „gläubigen Erwartung", der uns heute noch
•das nämliche leistet. Auch nachdem die Ärzte andere Heil-
mittel aufgefunden haben, sind psychotherapeutische Bestre-
bungen der einen oder der anderen Art in der Medizin niemals
untergegangen.
Fürs zweite mache ich Sie darauf aufmerksam, daß wir
Ärzte auf die Psychotherapie schon darum nicht verzichten
können, weil eine andere beim Heilungsvorgang sehr in Betracht
kommende Partei — nämlich die Kranken — nicht die Absicht
hat, auf sie zu verzichten. Sie wissen, welche Aufklärungen wir
hierüber der Schule von Nancy (Lieb au lt, Bern he im) ver-
danken. Ein von der psychischen Disposition der Kranken ab-
hängiger Faktor tritt, ohne daß wir es beabsichtigen, zur Wir-
kung eines jeden vom Arzte eingeleiteten Heilverfahrens hinzu,
meist im begünstigenden, oft auch im hemmenden Sinne. Wir
i haben für diese Tatsache das Wort „Suggestion" anzuwenden
gelernt, und Moebius hat uns gelehrt, daß die Unverläßüch-
203
"keit. die wir an so manchen unserer Heilmethoden beklageu,
gerade auf die störende Einwirkung dieses übermächtigen Mo.
mentes zurückzuführen ist. Wir Arzte, Sie alle, treiben also
beständig Psychotherapie, auch wo Sie es nicht wissen und
nicht beabsichtigen; nur hat es einen Nachteil, daß Sie den
psychischen Faktor in Ihrer Einwirkung auf den Kranken so
ganz dem Kranken überlassen. Er wird auf diese Weise un-
kontrollierbar, undosierbar, der Steigerung unfähig. Ist es dann
nicht ein berechtigtes Streben des Arztes, sich dieses Faktors
zu bemächtigen, sich' seiner mit Absicht zu bedienen, ihn zu
lenken und zu verstärken? Nichts anderes als dies ist es, was
die wissenschaftliche Psychotherapie Ihnen zumutet. ,
Zu dritt, meine Herren Kollegen, will ich Sie auf die alt-
bekannte Erfahrung verweisen, daß gewisse Leiden und ganz
besonders die Psychoneurosen, seelischen Einflüssen weit zu-
gänglicher sind als jeder anderen Medikation. Es ist keine
moderne Rede, sondern ein Ausspruch alter Arzte, daß diese
Krankheiten nicht das Medikament heilt, sondern der Arzt, d. h.
wohl die Persönlichkeit des Arztes, insofern er psychischen Ein-
fluß durch sie ausübt. Ich weiß wohl, meine Herren Kollegen»
daß bei Ihnen jene Anschauung sehr beliebt ist, welcher der
Ästhetiker Vi sc her in seiner Faustparodie (Faust, der Tragödie
III. Teil) klassischen Ausdruck geliehen hat:
„Ich weiß, das Physikalische
Wirkt öfters aufs Moralische."
Aber sollte es nicht adäquater sein und häufiger zutreffen,
daß man aufs Moralische eines Menschen mit moralischen, d h.
psychischen Mitteln einwirken kann?
Es gibt viele Arten und Wege der Psychotherapie. Alle
sind gut, die zum Ziel der Heilung führen. Unsere gewöhnliche
Tröstung: Es wird schon wieder gut werden! mit der wir den
Kranken gegenüber so freigebig sind, entspricht einer der
psychotherapeutischen Methoden; nur sind wir bei tieferer Ein-
sicht in das Wesen der Neurosen nicht genötigt gewesen, uns
auf die Tröstung einzuschränken. Wir haben die Technik der
hypnotischen Suggestion, der Psychotherapie durch Ablenkung,
durch Übung, durch Hervorrufung zweckdienlicher Affekte ent-
wickelt. Ich verachte keine derselben und würde sie alle unter
204
geeigneten Bedingungen ausüben. Wenn ich in Wirklichkeit mich
auf ein einziges Heilverfahren beschränkt habe, auf die von
Breuer „kathar tisch" genannte Methode, die ich lieber die
„analytische" heiße, so sind bloß subjektive Motive für mich
maßgebend gewesen. Infolge meines Anteiles an der Aufstellung
dieser Therapie fühle ich die persönliche Verpflichtung, mich
ihrer Erforschung und dem Ausbau ihrer Technik zu widmen.
Ich darf behaupten, die analytische Methode der Psychotherapie
ist diejenige, welche am eindringlichsten wirkt, am weitesten
trägt, durch welche man die ausgiebigste Veränderung des
Kranken erzielt. Wenn ich für einen Moment den therapeuti-
schen Standpunkt verlasse, kann ich für sie geltend machen,
daß sie die interessanteste ist, uns allein etwas über die Ent-
stehung und den Zusammenhang der Krankheitserscheinungen
lehrt. Infolge der Einsichten in den Mechanismus des seelischen
Krankseins, die sie uns eröffnet, könnte sie allein imstande
sein, über sich selbst hinauszuführen und uns den Weg zu noch
anderen Arten therapeutischer Beeinflussung zu weisen.
In bezug auf diese kathartische oder analytische Methode
der Psychotherapie gestatten Sie mir nun, einige Irrtümer zu
verbessern und einige Aufklärungen zu geben.
a) Ich merke, daß diese Methode sehr häufig mit der
hypnotischen Suggestivbehandlung verwechselt wird, merke es
daran, daß verhältnismäßig häufig auch Kollegen, deren Vertrauens-
mann ich sonst nicht bin, Kranke zu mir schicken, refraktäre
Kranke natürlich, mit dem Auftrage, ich solle sie hypnotisieren.
Nun habe ich seit etwa 8 Jahren keine Hypnose mehr zu Zwecken
der Therapie ausgeübt (vereinzelte Versuche ausgenommen) und
pflege solche Sendungen mit dem Rate, wer auf die Hypnose
baut, möge sie selbst machen, zu retournieren. In Wahrheit
besteht zwischen der suggestiven Technik und der analytischen
der größtmögliche Gegensatz, jener Gegensatz, den der große
Leonardo da Vinci für die Künste in die Formeln per via
di porre und per via di levare gefaßt hat. Die Malerei, sagt
Leonardo, arbeitet per via di porre; sie setzt nämlich Farben-
häufchen hin, wo sie früher nicht waren, auf die nicht farbige
Leinwand; die Skulptur dagegen geht per via di levare vor, sie
nimmt nämlich vom Stein soviel weg, als die Oberfläche der
205
in ilira enthaltenen Statue noch bedeckt. Ganz ähnlich, meine
Herren, sucht die Suggestivtechnik per via di porre zu wirken,
sie kümmert sich nicht um Herkunft, Kraft und Bedeutung der
Krankheitssymptome, sondern legt etwas auf, die Suggestion
nämlich, wovon sie erwartet, daß es stark genug sein wird, die
pathogene Idee an der Äußerung zu hindern. Die analytische
Therapie dagegen will nicht auflegen, nichts Neues einführen,
sondern wegnehmen, herausschaffen, und zu diesem Zwecke
bekümmert sie sich um die Genese der krankhaften Symptome
nnd den psychischen Zusammenhang der pathogenen Idee, deren
Wegschaffung ihr Ziel ist. Auf diesem Wege der Forschung
hat sie unserem Verständnis so bedeutende Förderung gebracht.
Ich habe die Suggestionstechnik und mit ihr die Hypnose so
frühzeitig aufgegeben, weil ich daran verzweifelte, die Suggestion
so stark und so haltbar zu machen, wie es für die dauernde
Heilung notwendig wäre. In allen schweren Fällen sah ich die
darauf gelegte Suggestion wieder abbröckeln, und dann war das
Kranksein oder ein dasselbe Ersetzendes wieder da. Außerdem
mache ich dieser Technik den Vorwurf, daß sie uns die Einsicht
in das psychische Kräftespiel verhüllt, z. B. uns den Wider-
stand nicht erkennen läßt, mit dem die Kranken an ihrer Krankheit
festhalten, mit dem sie sich also auch gegen die Genesung
sträuben, und der doch allein das Verständnis ihres Benehmens
im Leben ermöglicht.
b) Es scheint mir der Irrtum unter den Kollegen weit
verbreitet zu sein, daß die Technik der Forschung nach den
Krankheitsanlässen und die Beseitigung der Erscheinungen durch
diese Erforschung leicht und selbstverständlich sei. Ich schließe
dies daraus, daß noch keiner von den vielen, die sich für meine
Therapie interessieren und sichere Urteile über dieselbe von sich
geben, mich je gefragt hat, wie ich es eigentlich mache. Das
kann doch nur den einzigen Grund haben, daß sie meinen, es
sei nichts zu fragen, es verstehe sich ganz von selbst. Auch höre
ich mitunter mit Erstaunen, daß auf dieser oder jener Abteilung
eines Spitals ein junger Arzt von seinem Chef den Auftrag
erhalten hat, bei einer Hysterischen eine „Psychoanalyse" zu
unternehmen. Ich bin überzeugt, man würde ihm nicht einen
exstirpierten Tumor zur Untersuchung überlassen, ohne sich
I
206
vorher versichert zu haben, daß er mit der histologischen Technik
vertraut ist. Ebenso erreicht mich die Nachricht, dieser oder
jener Kollege richte sich Sprechstunden mit einem Patienten
ein, um eine psychische Kur mit ihm zu machen, während ich
sicher bin, daß er die Technik einer solchen Kur nicht kennt.
Er muß also erwarten, daß ihm der Kranke seine Geheimnisse
entgegenbringen wird, oder sucht das Heil in irgend einer Art
von Beichte oder Anvertrauen. Es würde mich nicht wu&dern,
wenn der so behandelte Kranke dabei eher zu Schaden als-
zum Vorteil käme. Das seelische Instrument ist nämlich nicht
gar leicht zu spielen. Ich muß bei solchen Anlässen an die
Rede eines weltberühmten Neurotikers denken, der freilich nie
in der Behandlung eines Arztes gestanden, der nur in der
Phantasie eines Dichters gelebt hat. Ich meine den Prinzen
Hamlet von Dänemark. Der König hat die beiden Höflinge
Rosenkranz und Güldenstern über ihn geschickt, um ihn
auszuforschen, ihm das Geheimnis seiner Verstimmung zu entreißen.
Er wehrt sie ab; da werden Flöten auf die Bühne gebracht.
Hamlet nimmt eine Flöte und bittet den einen seiner Quäler,
auf ihr zu spielen, es sei so leicht wie lügen. Der Höfling'
weigert sich, denn er kennt keinen Griff, und da er zu dem
Versuch des Flötenspiels nicht zu bewegen ist, bricht Hamlet
endlich los: „Nun seht ihr, welch ein nichtswürdiges Din^ ihr
aus mir macht? Ihr wollt auf mir spielen; ihr wollt in das Herz
meines Geheimnisses dringen; ihr wollt mich von meiner tiefsten
Note bis zum Gipfel meiner Stimme hinauf prüfen, und in
diesem kleinen Instrument hier ist viel Musik, eine vortreffliche
Stimme, dennoch könnt ihr es nicht zum Sprechen bringen»
Wetter, denkt ihr, daß ich leichter zu spielen bin als
eine Flöte? Nennt mich was für ein Instrument ihr
wollt, ihr könnt mich zwar verstimmen, aber nicht auf
mir spielen" (III. Akt, 2).
c) Sie werden aus gewissen meiner Bemerkungen erraten
haben, daß der anatytischen Kur manche Eigenschaften anhaften,
die sie von dem Ideal einer Therapie ferne halten. Tuto, cito,
iucunde; das Forschen und Suchen deutet nicht eben auf
Raschheit des Erfolges, und die Erwähnung des Widerstandes
bereitet Sie auf die Erwartung von Unannehmlichkeiten vor.
'■'■ ■- - - '■'"-'-* __ ^ .„früh
**.
207
Gewiß, die psychoanalytische Behandlung stellt an den Kranken
wie an den Arzt hohe Ansprüche; von ersterem verlangt sie
das Opfer voller Aufrichtigkeit, gestaltet sich für ihn zeitraubend
und daher auch kostspielig; für den Arzt ist sie gleichfalls zeit-
raubend und wegen der Technik, die er zu erlernen und auszuüben
hat, ziemlich mühselig. Ich finde es auch selbst ganz berechtigt,
daß man bequemere Heilmethoden in Anwendung bringt, solange-
man eben die Aussicht hat, mit diesen letzteren etwas zu erreichen.
Auf diesen Punkt kommt es allein an; erzielt man mit dem
mühevolleren und langwierigeren Verfahren erheblich mehr als
mit dem kurzen und leichten, so ist das erstere trotz alledem
gerechtfertigt. Denken Sie, meine Herren, um wieviel die Finsen-
therapie des Lupus unbequemer und kostspieliger ist als das
früher gebräuchliche Ätzen und Schaben, und doch bedeutet e&
einen großen Fortschritt, bloß weil es mehr leistet; es heilt
nämlich den Lupus radikal. Nun will ich den Vergleich nicht
gerade durchsetzen; aber ein ähnliches Vorrecht darf doeh die
psychoanalytische Methode für sich in Anspruch nehmen. In
Wirklichkeit habe ich meine therapeutische Methode nur an
schweren und schwersten Fällen ausarbeiten und versuchen können ;_
mein Material waren zuerst nur Kranke, die alles erfolglos ver-
sucht und durch Jahre in Anstalten geweilt hatten. Ich habe
kaum Erfahrung genug gesammelt, um Ihnen sagen zu können,
wie sich meine Therapie bei jenen leichteren, 'episodisch auf-
tretenden Erkrankungen verhält, die wir unter den verschieden-
artigsten Einflüssen und auch spontan abheilen sehen. Die
psychoanalytische Therapie ist an dauernd existenzunfähigen
Kranken und für solche geschaffen worden, und ihr Triumph
ist es, daß sie eine befriedigende Anzahl von solchen dauernd
existenzfähig macht. Gegen diesen Erfolg erscheint dann aller
Aufwand geringfügig. Wir können uns nicht verhehlen, daß wir
vor dem Kranken zu verleugnen pflegen, daß eine schwere Neurose
in ihrer Bedeutung für das ihr unterworfene Individuum hinter keiner
Kachexie, keinem der gefürchteten Allgemeinleiden zurücksteht.
d) Die Indikationen und Gegenanzeigen dieser Behandlung
sind infolge der vielen praktischen Beschränkungen, die meine
Tätigkeit betroffen haben, kaum endgültig anzugeben. Indes will
ich versuchen, einige Punkte mit Ihnen zu erörtern:
208
1. Man übersehe nicht über die Krankheit den sonstigen
Wert einer Person und weise Kranke zurück, welche nicht einen
gewissen Bildungsgrad und einen einigermaßen verläßlichen Cha-
rakter besitzen. Man darf nicht vergessen, daß es auch Gesunde
gibt, die nichts taugen, und daß man nur allzu leicht geneigt ist, bei
solchen minderwertigen Personen alles, was sie existenzunfähig
macht, auf die Krankheit zu schieben, wenn sie irgend einen
Anflug von Neurose zeigen. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß
die Neurose ihren Träger keineswegs zum Degenere stempelt, daß
sie sich aber häufig genug mit den Erscheinungen der Degeneration
vergesellschaftet an demselben Individuum findet. Die analytische
Psychotherapie ist nun kein Verfahren zur Behandlung der
neuropathischen Degeneration, sie findet im Gegenteil an der-
selben ihre Schranke. Sie ist auch bei Personen nicht anwendbar,
die sich nicht selbst durch ihre Leiden zur Therapie gedrängt
fühlen, sondern sich einer solchen nur infolge des Machtgebotes
ihrer Angehörigen unterziehen. Die Eigenschaft, auf die es für
die Brauchbarkeit zur psychoanalytischen Behandlung ankommt,
die Erziehbar keit, werden wir noch von einem andern Gesichts-
punkte würdigen müssen.
2. Wenn man sicher gehen will, beschränke man seine
Auswahl auf Personen, die einen Normalzustand haben, da man
sich im psychoanalytischen Verfahren von diesem aus des Krank-
haften bemächtigt. Psychosen, Zustände von Verworrenheit und
tiefgreifender (ich möchte sagen: toxischer) Verstimmung sind
also für die Psychoanalyse, wenigstens wie sie bis jetzt ausgeübt
wird, ungeeignet. Ich halte es für durchaus nicht ausgeschlossen,
daß man bei geeigneter Abänderung des Verfahrens sich über
diese Gegenindikation hinaussetzen und so eine Psychotherapie
der Psychosen in Angriff nehmen könne.
3. Das Alter der Kranken spielt bei der Auswahl zur
psychoanalytischen Behandlung insofern eine Rolle, als bei
Personen nahe an oder über 50 Jahre einerseits die Plastizität
der seelischen Vorgänge zu fehlen pflegt, auf welche die Therapie
rechnet — alte Leute sind nicht mehr erziehbar — und als
anderseits das Material, welches durchzuarbeiten ist, die Be-
handlungsdauer ins Unabsehbare verlängert Die Altersgrenze
nach unten ist nur individuell zu bestimmen; jugendliche
M. - -- „__
209
Personen noch vor der Pubertät sind oft ausgezeichnet zu
beeinflussen.
4. Man wird nicht zur Psychoanalyse greifen, wenn es sich
um die rasche Beseitigung drohender Erscheinungen handelt,
also z. B. bei einer hysterischen Anorexie.
Sie werden nun den Eindruck gewonnen haben, daß das
Anwendungsgebiet der analytischen Psychotherapie ein sehr
beschränktes ist, da Sie eigentlich nichts anderes als Gegen-
anzeigen von mir gehört haben. Nichtsdestoweniger bleiben Fälle
und Krankheitsformen genug übrig, an denen diese Therapie
sich erproben kann, alle chronischen Formen von Hysterie mit
Resterscheinungen, das große Gebiet der Zwangszustände und
Abulien u. dgl.
Erfreulich ist es, daß man gerade den wertvollsten und
sonst höchstentwickelten Personen auf solche Weise am ehesten
Hilfe bringen kann. Wo aber mit der analytischen Psycho-
therapie nur wenig auszurichten war, da, darf man getrost be-
haupten, hätte irgend welche andere Behandlung sicherlich gar
nichts zustande gebracht.
e) Sie werden mich gewiß fragen wollen, wie es bei
Anwendung der Psychoanalyse mit der Möglichkeit, Schaden zu
stiften, bestellt ist. Ich kann Ihnen darauf erwidern, wenn Sie
nur billig urteilen wollen, diesem Verfahren dasselbe kritische
Wohlwollen entgegenbringen, das Sie für unsere anderen thera-
peutischen Methoden bereit haben, so werden Sie meiner Meinung
zustimmen müssen, daß bei einer mit Verständnis geleiteten
analytischen Kur ein Schaden für den Kranken nicht zu be-
fürchten ist. Anders wird vielleicht urteilen, wer als Laie gewohnt
ist, alles, was sich in einem Krankheitsfalle begibt, der Behandlung
zur Last zu legen. Es ist ja nicht lange her, daß unseren
Wasserheilanstalten ein ähnliches Vorurteil entgegenstand. So
mancher, dem man riet, eine solche Anstalt aufzusuchen, wurde
bedenklich, weil er einen Bekannten gehabt hatte, der als Nervöser
in die Anstalt kam und dort verrückt wurde. Es handelte sich,
-wie Sie erraten, um Fälle von beginnender allgemeiner Paralyse,
■die man im Anfangsstadium noch in einer Wasserheilanstalt
unterbringen konnte, und die dort ihren unaufhaltsamen Verlauf
bis zur manifesten Geistesstörung genommen hatten; für die
Freud, Neuroseiüelire. I. 4. Auflage. 14
210
Laien war das Wasser Schuld und Urheber dieser traurigen
Veränderung. Wo es sich um neuartige Beeinflussungen handelt,
halten sich auch Ärzte nicht immer von solchen Urteilsfehlern
frei. Ich erinnere mich, einmal bei einer Frau den Versuch mit
Psychotherapie gemacht zu haben, bei der ein gutes Stück ihrer
Existenz in der Abwechslung von Manie und Melancholie ver-
flossen war. Ich übernahm sie zu Ende einer Melancholie; es
schien zwei Wochen lang gut zu gehen; in der dritten standen
wir bereits zu Beginn der neuen Manie. Es war dies sicherlich
eine spontane Veränderung des Krankheitsbildes, denn zwei
Wochen sind keine Zeit, in welcher die analytische Psycho-
therapie irgend etwas zu leisten unternehmen kann, aber' der
hervorragende — jest schon verstorbene — Arzt, der mit mir
die Kranke zu sehen bekam, konnte sich doch nicht der Be-
merkung enthalten, daß an dieser „Verschlechterung" die Psycho-
therapie Schuld sein dürfte. Ich bin ganz überzeugt, daß er sich
unter anderen Bedingungen kritischer erwiesen hätte.
f) Zum Schlüsse, meine Herren Kollegen, muß ich mir
sagen, es geht doch nicht an, Ihre Aufmerksamkeit so lange
zugunsten der analytischen Psychotherapie in Anspruch 'zu
nehmen, ohne Ihnen zu sagen, worin diese Behandlung besteht,
und worauf sie sich gründet. Ich kann es zwar, da ich kurz
sein muß, nur mit einer Andeutung tun. Diese Therapie ist also
auf die Einsicht gegründet, daß unbewußte Vorstellungen
besser: die Unbewußtheit gewisser seelischer Vorgänge — die
nächste Ursache der krankhaften Symptome ist. Eine solche
Überzeugung vertreten wir gemeinsam mit der französischen
Schule (Jan et), die übrigens in arger Schematisierung das
hysterische Symptom auf die unbewußte Idee fixe zurückführt.
Fürchten Sie nun nicht, daß wir dabei zu tief in die dunkelste
Philosophie hineingeraten werden. Unser Unbewußtes ist nicht
ganz dasselbe wie das der Philosophen, und überdies wollen die
meisten Philosophen vom „unbewußten Psychischen" nichts
wissem Stellen Sie sich aber auf unseren Standpunkt, so werden
Sie einsehen, daß die Übersetzung dieses Unbewußten im Seelen-
leben der Kranken in ein Bewußtes den Erfolg haben muß,
deren Abweichung vom Normalen zu korrigieren und den Zwang
aufzuheben, unter dem ihr Seelenleben steht. Denn der bewußte
211
Wille reicht so weit als die bewußten psychischen Vorgänge,
und jeder psychische Zwang ist durch das Unbewußte begründet.
Sie brauchen auch niemals zu fürchten, daß der Kranke unter
der Erschütterung Schaden nehme, welche der Eintritt des
Unbewußten in sein Bewußtsein mit sich bringt, denn Sie
können es sich theoretisch zurechtlegen, daß die somatische und
affektive Wirkung der bewußt gewordenen Regung niemals so
groß werden kann wie die der unbewußten. Wir beherrschen
alle unsere Regungen doch nur dadurch, daß wir unsere höchsten
mit Bewußtsein verbundenen Seelenleistungen auf sie wenden.
Sie können aber auch einen anderen Gesichtspunkt für
das Verständnis der psychoanalytischen Behandlung wählen.
Die Aufdeckung und Übersetzung des Unbewußten geht unter
beständigem Widerstand von seiten der ( Kranken vor sich.
Das Auftauchen dieses Unbewußten ist mit Unlust verbunden,
und wegen dieser Unlust wird es von ihm immer wieder zurück-
gewiesen. In diesen Konflikt im Seelenleben des Kranken greifen
Sie nun ein; gelingt es Ihnen, den Kranken dazu' zu bringen,
daß er aus Motiven besserer Einsicht etwas akzeptiert, was er
zufolge der automatischen Unlustregulierung bisher zurück-
gewiesen (verdrängt) hat, so haben Sie ein Stück Erziehungs-
arbeit an ihm geleistet. Es ist ja schon Erziehung, wenn Sie
einen Menschen, der nicht gern früh morgens das Bett verläßt,
dazu bewegen, es doch zu tun. Als eine solche Nacherziehung
zur Überwindung innerer Widerstände können Sie nun
die psychoanalytische Behandlung ganz allgemein auffassen. In
keinem Punkte aber ist solche Nacherziehung bei den Nervösen
mehr vonnöten als betreffs des seelischen Elementes in ihrem
Sexualleben. Nirgends haben ja Kultur und Erziehung so großen
Schaden gestiftet wie gerade hier, und hier sind auch, wie Ihnen
die Erfahrung zeigen wird, die beherrschbaren Ätiologien der
Neurosen zu finden; das andere ätiologische Element, der
konstitutionelle Beitrag, ist uns ja als etwas Unabänderliches
gegeben. Hieraus erwächst aber eine wichtige an den Arzt zu
stellende Anforderung. Er muß nicht nur selbst ein integrer
Charakter sein — „das Moralische versteht sich ja von selbst",
wie die Hauptperson in Th. Vischers „Auch Einer" zu sagen
pflegt — ; er muß auch für seine eigene Person die Mischung
212
von Lüsternheit und Prüderie überwunden haben, mit welcher
leider so viele andere den sexuellen Problemen entgegenzutreten
gewohnt sind.
Hier ist vielleicht der Platz für eine weitere Bemerkung.
Ich weiß, daß meine Betonung der Rolle des Sexuellen für die
Entstehung der Psychoneurosen in weiteren Kreisen bekannt
geworden ist. Ich weiß aber auch, daß Einschränkungen und
nähere Bestimmungen beim großen Publikum wenig nützen; die
Menge hat für wenig Baum in ihrem Gedächtnis und behält
von einer Behauptung doch nur den rohen Kern, schafft sich
ein leicht zu merkendes Extrem. Es mag auch manchen Ärzten
so ergangen sein, daß ihnen als Inhalt meiner Lehre vorschwebt,
ich führe die Neurosen in letzter Linie auf sexuelle Entbehrung
zurück. An dieser fehlt es nicht unter den Lebensbedingungen
unserer Gesellschaft. Wie nahe mag es nun bei solcher Vor-
aussetzung liegen, den mühseligen Umweg über die psychische
Kur zu vermeiden und direkt die Heilung anzustreben, indem
man die sexuelle Betätigung als Heilmittel.emptiehlt? Ich weiß
nun nicht, was mich bewegen könnte, diese Folgerung zu unter-
drücken, wenn sie berechtigt wäre. Die Sache liegt aber anders.
Die sexuelle Bedürftigkeit und Entbehrung, das ist bloß der
eine Faktor, der beim Mechanismus der Neurose ins Spiel tritt -
bestünde er allein, so würde nicht Krankheit, sondern Aus-
schweifung die Folge sein. Der andere, ebenso unerläßliche
Faktor, an den man allzu bereitwillig vergißt, ist die Sexual-
abneigung der Neurotiker, ihre Unfähigkeit zum Lieben, jener
psychische Zug, den ich „Verdrängung" genannt habe. Erst aus
dem Konflikt zwischen beiden Strebungen geht die neurotische
Erkrankung hervor, und darum kann der Bat der sexuellen
Betätigung bei den Psychoneurosen eigentlich nur selten als
guter Rat bezeichnet werden.
Lassen Sie mich mit dieser abwehrenden Bemerkung
schließen. Wir wollen hoffen, daß Ihr von jedem feindseligen
Vorurteil gereinigtes Interesse für die Psychotherapie uns darin
unterstützen wird, auch in der Behandlung der schweren Fälle
von Psychoneurosen Erfreuliches zu leisten.
L
■ —m. ■ ■ - - -U-t-^^.^.
XIII.
Die Freudsche psychoanalytische Methode 1 )-
„Die eigentümliche Methode der Psychotherapie, die
Freud ausübt und als Psychoanalyse bezeichnet, ist aus dem
sogenannten kathartischen Verfahren hervorgegangen, über wel-
ches er seinerzeit in den „Studien über Hysterie" 1895 in
Gemeinschaft mit J. Breuer berichtet hat. Die kathartische
Therapie war eine Erfindung Breuers, der mit ihrer Hilfe
zuerst etwa ein Dezennium vorher eine hysterische Kranke her-
gestellt und dabei Einsicht in die Pathogenese ihrer Symptome
gewonnen hatte. Infolge einer persönlichen Anregung Breuers
nahm dann Freud das Verfahren wieder auf und erprobte es
an einer größeren Anzahl von Kranken.
Das kathartische Verfahren setzte voraus, daß der Patient
hypnotisierbar sei und beruhte auf der Erweiterung des Bewußt-
seins, die in der Hypnose eintritt. Es setzte sich die Beseiti-
gung der Krankheitssymptome zum Ziele und erreichte dies,
indem es den Patienten sich in den psychischen Zustand zurück-
versetzen ließ, in welchem das Symptom zum ersten Male auf-
getreten war. Es tauchten dann bei dem hypnotisierten Kranken
Erinnerungen, Gedanken und Impulse auf. die in seinem Be-
wußtsein bisher ausgefallen waren, und wenn er diese seine
seelischen Vorgänge unter intensiven Affektäußerungen dem
Arzte mitgeteilt hatte, war das Symptom überwunden, die
Wiederkehr desselben aufgehoben. Diese regelmäßig zu wieder-
holende Erfahrung erläuterten die beiden Autoren in ihrer ge-
meinsamen Arbeit dahin, daß das Symptom an Stelle von
unterdrückten und nicht zum Bewußtsein gelangten psychischen
*) Aus: Löwenfeld, Psychische Zwangserscheinungen, 1904.
214
Vorgängen stehe, also eine Umwandlung (..Konversion") der
letzteren darstelle. Die therapeutische Wirksamkeit ihres Ver-
fahrens erklärten sie sich aus der Abfuhr des bis dahin' gleich-
sam „eingeklemmten" Affektes, der an den unterdrückten seeli-
schen Aktionen gehaftet hatte („Abreagieren"). Das einfache
Schema des therapeutischen Eingriffes komplizierte sich aber
nahezu alle Male, indem sich zeigte, daß nicht ein einzelner
(„traumatischer") Eindruck, sondern meist eine schwer zu über-
sehende Reihe von solchen ■ an der Entstehung des Symptoms
beteiligt sei.
Der Hauptcharakter der kathartischen Methode, der sie
im Gegensatz zu allen anderen Verfahren der Psychotherapie
setzt, liegt also darin, daß bei ihr die therapeutische Wirksam-
keit nicht einem suggestiven Verbot des Arztes übertragen wird.
Sie erwartet vielmehr, daß die Symptome von selbst verschwin-
den werden, wenn es dem Eingriff, der sich auf gewisse Voraus-
setzungen über den psychischen Mechanismns beruft, gelungen
ist, seelische Vorgänge zu einem andern als dem bisherigen
Verlaufe zu bringen, der in die Symptombildung einge-
mündet hat.
> Die Abändeiimgen, welche Freud an dem kathartischen
Verfahren Breuers vornahm, waren zunächst Änderungen
der Technik; diese brachten aber neue Ergebnisse und haben
in weiterer Folge zu einer andersartigen, wiewohl der früheren
nicht widersprechenden, Auffassung der therapeutischen Arbeit
genötigt.
Hatte die kathartische Methode bereits auf die Suggestion
verzichtet, so unternahm Freud den weiteren Schritt, auch die
Hypnose aufzugeben. Er behandelt gegenwärtig seine Kranken,
indem er sie ohne andersartige Beeinflussung eine bequeme
Rückenlage auf einem Ruhebett einnehmen läßt, während er
selbst ihrem Anblick entzogen auf einem Stuhle hinter ihnen
sitzt. Auch den Verschluß der Augen forciert er von ihnen
nicht und vermeidet jede Berührung sowie jede andere Proze-
dur, die an Hypnose mahnen könnte. Eine solche Sitzung ver-
läuft also wie ein Gespräch zwischen zwei gleich wachen Per-
sonen, von denen die eine sich jede Muskelanstrengung und
jeden ablenkenden Sinneseindruck erspart, die sie in der Kon-
^^^^^.^
215
zentration ihrer Aufmerksamkeit auf ihre eigene seelische Tätig-
keit stören könnten.
Da das Hypnotisiertwerden, trotz aller Geschicklichkeit des
Arztes, bekanntlich in der Willkür des Patienten liegt, und eine
große Anzahl neurotischer Personen durch kein Verfahren in
Hypnose zu versetzen ist, so war durch den Verzicht auf die
Hypnose die Anwendbarkeit des Verfahrens auf eine unein-
geschränkte Anzahl von Kranken gesichert. Anderseits fiel die
Erweiterung des Bewtißtseins weg, welche dem Arzt gerade
jenes psychische Material an Erinnerungen und Vorstellungen
geliefert hatte, mit dessen Hilfe sich die Umsetzung der Sym-
ptome und die Befreiung der Affekte vollziehen ließ. Wenn für
diesen Ausfall kein Ersatz zu schaffen war, konnte auch von
einer therapeutischen Einwirkung keine Rede sein.
Einen solchen völlig ausreichenden Ersatz fand nun Freud
in den Einfällen der Kranken, d. h. in den ungewollten, meist
als störend empfundenen und darum unter gewöhnlichen Ver-
hältnissen beseitigten Gedanken, die den Zusammenhang einer
beabsichtigten Darstellung zu durchkreuzen pflegen. Um sich
dieser Einfälle zu bemächtigen, fordert er die Kranken auf, sich
in ihren Mitteilungen gehen zu lassen, „wie man es etwa in
einem Gespräche tut, bei welchem man aus dem Hundertsten
in das Tausendste gerät". Er schä/ft ihnen, ehe er sie zur de-
taillierten Erzählung ihrer Krankengeschichte auffordert, ein,
alles mit zu sagen, was ihnen dabei durch den Kopf geht, auch
wenn sie meinen, es sei unwichtig, oder es gehöre nicht dazu,
oder es sei unsinnig. Mit besonderem Nachdrucke aber wird von
ihnen verlangt, daß sie keinen Gedanken oder Einfall darum
von der Mitteilung ausschließen, weil ihnen diese Mitteilung
beschämend oder peinlich ist. Bei den Bemühungen, dieses
Material an sonst vernachlässigten Einfällen zu sammeln, machte
nun Freud die Beobachtungen, die für seine ganze Auffassuug
bestimmend geworden sind. Schon bei der Erzählung der Kranken-
geschichte stellen sich bei den Kranken Lücken der Erinnerung
heraus, sei es, daß tatsächliche Vorgänge vergessen worden, sei
es, daß zeitliche Beziehungen verwirrt oder Kausalzusammen-
hänge zerrissen worden sind, so daß sich unbegreifliche Effekte
ergeben. Ohne Amnesie irgend einer Art gibt es keine neuro-
216
tische Krankengeschichte. Drängt man den Erzählenden, diese
Lücken seines Gedächtnisses durch angestrengte Arbeit der
Aufmerksamkeit auszufüllen, so merkt man, daß die hierzu sich
einstellenden Einfälle von ihm mit allen Mitteln der Kritik
zurückgedrängt werden, bis er endlich das direkte Unbehagen
verspürt, wenn sich die Erinnerung wirklich eingestellt hat.
Aus dieser Erfahrung schließt Freud, daß» die Amnesien das
Ergebnis eines Vorganges sind, den er Verdrängung heißt,
und als dessen Motiv er Unlustgefühle erkennt. Die psychischen
Kräfte, welche diese Verdrängung herbeigeführt haben, meint
er in dem Widerstand, der sich gegen die Wiederherstellung
erhebt, zu verspüren.
Das Moment des Widerstandes ist eines der Fundamente
seiner Theorie geworden. Die sonst unter allerlei Vorwänden
(wie sie die obige Formel aufzählt) beseitigten Einfälle be-
trachtet er aber als Abkömmlinge der verdrängten psychischen
Gebilde (Gedanken und Regungen), als Entstellungen derselben
infolge des gegen ihre Reproduktion bestehenden Widerstandes.
Je größer der Widerstand, desto ausgiebiger diese Ent-
steilung. In dieser Beziehung der unbeabsichtigten Einfälle zum
verdrängten psychischen Material ruht nun ihr Wert für die
therapeutische Technik. Wenn man ein Verfahren besitzt, wel-
ches ermöglicht, von den Einfällen aus zu dem Verdrängten,,
von den Entstellungen zum Entstellten zu gelangen, so kann
man auch ohne Hypnose das früher Unbewußte im Seelenleben
dem Bewußtsein zugänglich machen.
Freud hat 'darauf eine Deutungskunst ausgebildet,
welcher diese Leistung zufällt, die gleichsam aus den Erzen
der unbeabsichtigten Einfälle den Metallgehalt an verdrängten
Gedanken darstellen soll. Objekt dieser Deutungsarbeit sind
nicht allein die Einfälle der Kranken, sondern auch seine
Träume, die den direktesten Zugang zur Kenntnis des Un-
bewußten eröffnen, seine unbeabsichtigten, wie planlosen Hand-
lungen (Symptomhandlungen) und die Irrungen seiner Leistungen
im Alltagsleben (Versprechen, Vergreifen u. dgl.). Die Details
dieser Deutungs- oder Übersetzungstechnik sind von Freud
noch nicht veröffentlicht worden. Es sind nach seinen Andeu-
tungen eine Reihe von empirisch gewonnenen Regeln, wie aus-
- ■
—
217
den Einiällen das unbewußte Material ssu konstruieren ist, An-
weisungen, wie man es zu verstehen habe, wenn die Einfälle
des Patienten versagen, und Erfahrungen über die wichtigsten
typischen Widerstände, die sich im Laufe einer solchen Behand-
lung einstellen. Ein umfangreiches Buch über „Traumdeutung",
1900 von Freud publiziert, ist als Vorläufer einer solchen Ein-
führung in die Technik anzusehen.
Man könnte aus diesen Andeutungen über die Technik
der psychoanalytischen Methode schließen, daß deren Erfinder
sich überflüssige Mühe verursacht und Unrecht getan hat, das
wenig komplizierte hypnotische Verfahren zu verlassen. Aber
einerseits ist die Technik der Psychoanalyse viel leichter aus-
zuüben, wenn man sie einmal erlernt hat, als es bei einer Be-
schreibung den Anschein hat, anderseits führt kein anderer
Weg zum Ziele, und darum ist der mühselige Weg noch der
kürzeste. Der Hypnose ist vorzuwerfen, daß sie den Widerstand
verdeckt und dadurch dem Arzt den Einblick in das Spiel der
psychischen Kräfte verwehrt hat. Sie räumt aber mit dem
Widerstände nicht auf, sondern weicht ihm nur aus und ergibt
dagegen nur unvollständige Auskünfte und nur vorübergehende
Erfolge.
Die Aufgabe, welche die psychoanalytische Methode zu
lösen bestrebt ist, läßt sich in verschiedenen Formeln aus-
drücken, die aber ihrem Wesen nach äquivalent sind. Man kann
sagen: Aufgabe der Kur sei, die Amnesien aufzuheben. Wenn
alle Erinnerungslücken ausgefüllt, alle rätselhaften Effekte des-
psychischen Lebens aufgeklärt sind, ist der Fortbestand, ja eine
Neubildung des Leidens unmöglich gemacht. Man kann die
Bedingung anders fassen: es seien alle Verdrängungen rück-
gängig zu machen; der psychische Zustand ist dann derselbe,
in dem alle Amnesien ausgefüllt sind. Weittragender ist eine
andere Fassung: es handle sich darum, das Unbewußte dem
Bewußtsein zugänglich zu machen, was durch Überwindung der
Widerstände geschieht. Man darf aber dabei nicht vergessen,
daß ein solcher Idealzustand auch beim normalen Menschen
nicht- besteht, und daß man nur selten in die Lage kommen
kann, die Behandlung annähernd so weit zu treiben. So wie
Gesundheit und Krankheit nicht prinzipiell geschieden, sondern
t 318
nur durch eine praktisch bestimmbare Summationsgrenze ge-
sondert sind, so wird man sich auch nie etwas anderes zum
Ziel der Behandlung setzen als die praktische Genesung des
Kranken, die Herstellung seiner Leistungs- und Genußfähigkeit.
Bei unvollständiger Kur oder unvollkommenem Erfolge der-
selben erreicht man vor allem eine bedeutende Hebung des
psychischen Allgemeinzustandes, während die Symptome, aber
mit geminderter Bedeutung für den Kranken, fortbestehen
können, ohne ihn zu einem Kranken zu stempeln.
Das therapeutische Verfahren bleibt, von geringen Mo-
difikationen abgesehen, das nämliche für alle Symptombilder
der vielgestaltigen Hysterie und ebenso für alle Ausbildungen
der Zwangsneurose. Von einer unbeschränkten Anwendbarkeit
desselben ist aber keine Eede. Die Natur der psychoanaly-
tischen Methode schafft Indikationen und Gegenanzeigen so-
wohl von Seiten der zu behandelnden Personen, als auch
mit Rücksicht auf das Krankheitsbild. Am günstigsten für
die Psychoanalyse sind die chronischen Fälle von Psycho-
neurosen mit ' wenig stürmischen oder gefahrdrohenden Sym-
ptomen, also zunächst alle Arten der Zwangsneurose, Zwangs-
denken und Zwäugshandeln, und Fälle von Hysterie, in denen
Phobien und Abulien die Hauptrolle spielen, weiterhin aber
auch alle somatischen Ausprägungen der Hysterie, insoferne
nicht, wie bei der Anorexie, rasche Beseitigung der Symptome
_ zur Hauptaufgabe des Arztes wird. Bei akuten Fällen von
Hysterie wird man den Eintritt eines ruhigeren Stadiums abzu-
warten haben: in allen Fällen, bei denen die ' nervöse Er-
schöpfung obenan steht, wird man ein Verfahren vermeiden,
welches selbst Anstrengung erfordert, nur langsame Fortschritte
zeitigt und auf die Fortdauer der Symptome eine Zeitlang keine
Rücksicht nehmen kann.
An die Person, die man mit Vorteil der Psychoanalyse
unterziehen soll, sind mehrfache Forderungen zu stellen. Sie
muß erstens eines psychischen Normalzustandes fähig sein; in
Zeiten der Verworrenheit oder melancholischer Depression
ist auch bei einer Hysterie nichts auszurichten. Man darf
ferner ein gewisses Maß natürlicher Intelligenz und ethischer
Entwicklung fordern; bei wertlosen Personen läßt den Arzt
•im ii-
219
bald das Interesse im Stiche, welches ihn zur Vertiefung in
das Seelenleben des Kranken befähigt. Ausgeprägte Charakter-
verbildungen, Züge von wirklich degenerativer Konstitution
äußern sich bei der Kur als Quelle von kaum zu überwindenden
Widerständen. Insoweit setzt überhaupt die Konstitution eine
Grenze für die Heilbarkeit durch Psychotherapie. Auch eine
Altersstufe in der Nähe des fünften Dezenniums schafft un-
günstige Bedingungen für die Psychoanalyse. Die Masse des
psychischen Materials ist dann nicht mehr zu bewältigen die
zur Herstellung erforderliche Zeit wird zu lang, und die
Fähigkeit, psychische Vorgänge rückgängig zu machen, beginnt
zu erlahmen.
Trotz aller dieser Einschränkungen ist die Anzahl der
für die Psychoanalyse geeigneten Personen eine außerordentlich
große, und die Erweiterung unseres therapeutischen Könnens
durch dieses Verfahren nach den Behauptungen Freuds eine
sehr beträchtliche. Freud beansprucht lange Zeiträume, V«, Jahr
bis 3 Jahre für eine wirksame Behandlung; er gibt aber die
Auskunft, daß er bisher infolge verschiedener leicht zu erratender
Umstände meist nur in die Lage gekommen ist, seine Behandlung
an sehr schweren Fällen zu erproben, Personen mit vieljähriger
Krankheitsdauer und völliger Leistungsunfähigkeit, die, durch
alle Behandlungen getäuscht, gleichsam eine letzte Zuflucht bei
seinem neuen und viel angezweifelten Verfahren gesucht haben
In Fällen leichterer Erkrankung dürfte sic'i die Behandlungs-
dauer sehr verkürzen und ein außerordentlicher Gewinn an
Vorbeugung für die Zukunft erzielen lassen."
XIV.
Meine Ansichten über die Bolle der Sexualität
in der Ätiologie der Neurosen ').
„Ich bin der Meinung, daß man meine Theorie über
die ätiologische Bedeutung des sexuellen Momentes für die
Neurosen am besten würdigt, wenn man ihrer Entwicklung
nachgeht. Ich habe nämlich keineswegs das Bestreben, abzu-
leugnen, daß sie eine Entwicklung durchgemacht und siclr
während derselben verändert hat. Die Fachgenossen könnten
in diesem Zugeständnis die Gewähr finden, daß diese Theorie
nichts anderes ist, als der Niederschlag fortgesetzter und ver-
tiefter Erfahrungen. Was im Gegensatze hierzu der Spekulation
entsprungen ist, das kann allerdings leicht mit einem Schlage
vollständig und dann unveränderlich auftreten.
Die Theorie' bezog sich ursprünglich bloß auf die als
„Neurasthenie" zusammengefaßten Krankheitsbilder, unter denen
mir zwei, gelegentlich auch rein auftretende Typen, auffielen,,
die ich als „eigentliche Neurasthenie" und als „Angst-
neurose" beschrieben habe. Es war ja immer bekannt, daß
sexuelle Momente in der Verursachung dieser Formen eine Rolle
spielen können, aber man fand dieselben wedar regelmäßig
wirksam, noch dachte man daran, ihnen einen Vorrang vor anderen
ätiologischen Einflüssen einzuräumen. Ich wurde zunächst von
der Häufigkeit grober Störungen in der Vita sexualis der Nervösen
überrascht; je mehr ich darauf ausging, solche Störungen zu
suchen, wobei ich mir vorhielt, daß die Menschen alle in sexuellen
Dingen die "Wahrheit verhehlen, und je geschickter ich wurde,
*) A.us: Löwenfeld „Sexualleben und Nervenleiden", IV. Aufl., 1906.
221
das Examen trotz einer anfänglichen Verneinung fortzusetzen,
desto regelmäßiger ließen sich solche krankmachende Momente
aus dem Sexualleben auffinden, bis mir zu drfren Allgemeinheit
wenig zu fehlen schien. Man mußte aber von vornherein auf
ein ähnlich häufiges Vorkommen sexueller Unregelmäßigkeiten
unter dem Drucke der sozialen Verhältnisse in unserer Gesell-
schaft gefaßt sein, und konnte im Zweifel bleiben, welches Maß
von Abweichung von der normalen Sexualfunktion als Krankheits-
ursache betrachtet werden dürfe. Ich konnte daher auf den
regelmäßigen Nachweis sexueller Noxen nur weniger Wert legen
als auf eine zweite Erfahrung, die mir eindeutiger erschien. Es
ergab sich, daß die Form der Erkrankung, ob Neurasthenie oder
Angstneurose, eine konstante Beziehung zur Art der sexuellen
Schädlichkeit zeige. In den typischen Fällen der Neurasthenie
war regelmäßig Masturbation oder gehäufte Pollutionen, bei der
Angstneurose waren Faktoren wie der Coitus interruptus, die
„frustrane Erregung" u. a. nachweisbar, an denen das Moment
der ungenügenden Abfuhr der erzeugten Libido das Gemeinsame
schien. Erst seit dieser leicht zu machenden und beliebig oft zu
bestätigenden Erfahrung hatte ich den Mut, für die sexuellen
Einflüsse eine bevorzugte Stellung in der Ätiologie der Neurosen
zu beanspruchen. Es kam hinzu, daß bei den so häufigen Misch-
formen von Neurasthenie und Angstneurose auch die Vermengung
der für die beiden Formen angenommenen Ätiologien aufzuzeigen
war und daß eine solche Zweiteilung in der Erscheinungsform
der Neurose zu dem polaren Charakter der Sexualität (männlich
und weiblich) gut zu stimmen schien.
Zur gleichen Zeit, während ich der Sexualität diese Be-
deutung für die Entstehung der einfachen Neurosen zuwies 1 ),
huldigte ich noch in betreff der Psychoneurosen (Hysterie
und Zwangsvorstellungen) einer rein psychologischen Theorie,
in welcher das sexuelle Moment nicht anders als andere
emotionelle Quellen in Betracht kam. Ich hatte im Verein
mit J . Breuer und im Anschluß an Beobachtungen, die er
gut ein Dezennium vorher an einer hysterischen Kranken gemacht
v ) Über die Berechtigung, von der Neurasthenie einen bestimmten
8ymptomenkomplex als „Angstneurose" abzutrennen. Neurol. Zentral-
blatt, 1895.
222
hatte, den Mechanismus der Entstehung hysterischer Symptome
mittels des Erweckens von Erinnerungen im hypnotischen Zu-
stande studiert, und wir waren zu Aufschlüssen gelangt, welche
gestatteten, die Brücke von der traumatischen Hysterie Charcots
zur gemeinen, nicht traumatischen, zu schlagen 1 ). Wir waren
zur Auffassung gelangt, daß die hysterischen Symptome Dauer-
wirkungen von psychischen Traumen sind, deren zugehörige
Affektgröße durch besondere Bedingungen von bewußter Be-
arbeitung abgedrängt worden ist und sich darum einen abnormen
Weg in die Körperinnervation gebahnt hat. Die Termini „ein-
geklemmter Affekt", „Konversion" und „Abreagieren"
fassen das Kennzeichnende dieser Anschauung zusammen.
Bei den . nahen Beziehungen der Psychoneurosen zu den
einfachen Neurosen, die ja so weit gehen, daß dem Ungeübten
die diagnostische Unterscheidung nicht immer leicht fällt, konnte
es aber nicht ausbleiben, daß die für das eine Gebiet gewonnene
Erkenntnis auch für das andere Platz griff. Überdies führte,
von solcher Beeinflussung abgesehen, auch die Vertiefung in den
psychischen Mechanismus der hysterischen Symptome zu dem
gleichen Ergebnis. Wenn man nämlich bei dem von Breuer
und mir eingesetzten „kathar tischen" Verfahren den psychischen
Traumen, von denen sich die hysterischen Symptome ableiteten,
immer weiter nachspürte, gelangte man endlich zu Erlebnissen,
welche der Kindheit des Kranken angehörten und sein Sexual-
leben betrafen, und zwar auch in solchen Fällen, in denen eine
banale Emotion nicht sexueller Natur den Ausbruch der Krankheit
veranlaßt hatte. Ohne diese sexuellen Traumen der Kinderzeit
in Betracht zu ziehen, konnte man weder die Symptome aufklären,
deren Determinierung verständlich finden, noch deren Wiederkehr
verhüten. Somit schien die unvergleichliche Bedeutung sexueller
Erlebnisse für die Ätiologie der Psychoneurosen als unzweifelhaft
festgestellt, und diese Tatsache ist auch bis heute einer der
Grundpfeiler der Theorie geblieben.
Wenn man diese Theorie so darstellt, die Ursache der
lebenslangen hysterischen Neurose liege in den meist an sich
geringfügigen sexuellen Erlebnissen, der frühen Kinderzeit, so
•
') Studien über Hysterie, 1905.
223
mag sie allerdings befremdend genug klingen. Nimmt man aber
auf die hysterische Entwicklung der Lehre Rücksicht, verlegt den
Hauptinhalt derselben in den Satz, die Hysterie sei der Ausdruck
eines besonderen Verhaltens der Sexualfunktion des Individuums,
und dieses Verhalten werde bereits durch die ersten in der
Kindheit einwirkenden Einflüsse und Erlebnisse maßgebend
bestimmt, so sind wir zwar um ein Paradoxon ärmer, aber um
ein Motiv bereichert worden, den bisher arg vernachlässigten,
höchst bedeutsamen Nachwirkungen der Kindheitseindrücke über-
haupt unsere Aufmerksamkeit zu schenken.
Indem ich mir vorbehalte, die Frage, ob man in den sexuellen
Kindererlebnissen die Ätiologie der Hysterie (und Zwangsneurose)
sehen dürfe, weiter unten gründlicher zu behandeln, kehre ich
zu der Gestaltung der Theorie zurück, welche diese in einigen
kleinen, vorläufigen Publikationen der Jahre 1895 und 1896
angenommen hat 1 ). Die Hervorhebung der angenommenen ätio-
logischen Momente gestattete damals, die gemeinen Neurosen als
Erkrankungen mit aktueller Ätiologie den Psychoneurosen gegen-
überzustellen, deren Ätiologie vor allem in den sexuellen Erleb-
nissen der Vorzeit zu suchen war. Die Lehre gipfelte in dem
Satze: Bei normaler Vita sexualis ist eine Neurose unmöglich.
Wenn ich auch diese Sätze noch heute nicht für unrichtig
halte, so ist es doch nicht zu verwundern, daß ich in zehn Jahren
fortgesetzter Bemühung um die Erkenntnis dieser Verhältnisse
über meinen damaligen Standpunkt ein gutes Stück weit hinaus-
gekommen bin ixnd mich heute in der Lage glaube, die UnVoll-
ständigkeit, die Verschiebungen und die Mißverständnisse, an
denen die Lehre damals litt, durch eingehendere Erfahrung zu
korrigieren. Ein Zufall des damals noch spärlichen Materials
hatte mir eine unverhältnismäßig große Anzahl von Fällen zu-
geführt, in deren Kindergeschichte die sexuelle Verführung durch
Erwachsene oder andere ältere Kinder die Hauptrolle spielte.
Ich überschätzte die Häufigkeit dieser (sonst nicht anzuzweifelnden)
Vorkommnisse, überdies da ich zu jener Zeit nicht imstande
war, die Erinnerungstäuschungen der Hysterischen über ihre
') Weitere Bemerkungen über die Abwehr - Neuropsychosen, Neuro 1.
Zentralblatt. 1896. — Zar Ätiologie der Hysterie, Wiener klinische Rund-
schau, 1896.
224
Kindheit von den Spuren der wirklichen Vorgänge sieber zu
unterscheiden, während ich seitdem gelernt habe, so manche
Verführungsphantasie als Abwehrversuch gegen die Erinnerung
der eigenen sexuellen Betätigung (Kindermasturbation) aufzulösen.
Mit dieser Aufklärung entfiel die Betonung des „traumatischen"
Elementes an den sexuellen Kindererlebnissen, und es blieb die
Einsicht übrig, daß die infantile Sexualbetätigung (ob spontan
oder provoziert) dem späteren Sexualleben nach der Reife
die Richtung vorschreibt. Dieselbe Aufklärung, die ja den
bedeutsamsten meiner anfänglichen Irrtümer korrigierte, mußte
auch die Auffassung vom Mechanismus der hysterischen Symptome
verändern. Dieselben erschienen nun nicht mehr als direkte Ab-
kömmlinge der verdrängten Erinnerungen an sexuelle Kindheits-
erlebnisse, sondern zwischen die Symptome und die infantilen
Eindrücke schoben sich nun die (meist in den Pubertätsjahren
produzierten) Phantasien (Erinnerungsdichtungen) der Kranken
ein, die auf der einen Seite sich aus. und über den Kindheits-
erinnerungen aufbauten, auf der andern sich unmittelbar in die
Symptome umsetzten. Erst mit der Einführung des Elementes
der hysterischen Phantasien wurde das Gefüge der Neurose und
deren Beziehung zum Leben der Kranken durchsichtig; auch
ergab sich eine wirklich überraschende Analogie zwischen diesen
unbewußten Phantasien der Hysteriker und den als "Wahn bewußt
gewordenen Dichtungen bei der Paranoia.
Nach dieser Korrektur waren die „infantilen Sexual-
traumen" in gewissem Sinne durch den „Infantilismus der
Sexualität" ersetzt. Eine zweite Abänderung der ursprünglichen
Theorie lag nicht ferne. Mit der angenommenen Häufigkeit der
Verführung in der Kindheit entfiel auch die übergroße Betonung
der akzidentellen Beeinflussung der Sexualität, welcher ich
bei der Verursachung des Krankseins die Hauptrolle zuschieben
wollte, ohne darum konstitutionelle und hereditäre Momente zu
leugnen. Ich hatte sogar gehofft, das Problem der Neurosenwahl,
die Entscheidung darüber, welcher Form von Psychoneurose
der Kranke verfallen solle, durch die Einzelheiten der sexuellen
Kindererlebnisse zu lösen, und damals — wenn auch mit Zurück-
haltung — gemeint, daß passives Verhalten bei diesen Szenen
die spezifische Disposition zur Hysterie, aktives dagegen die für
225
die Zwangsneurose ergebe. Auf diese Auffassung mußte ich
später völlig Verzicht leisten, wenngleich manches Tatsächliche
den geahnten Zusammenhang zwischen Passivität und Hysterie,
Aktivität und Zwangsneurose in irgend einer Weise aufrecht zu
halten gebietet. Mit dem Rücktritt der akzidentellen Einflüsse
des Erlebens mußten die Momente der Konstitution und Here-
dität wieder die Oberhand behaupten, aber mit dem Unterschiede
gegen die sonst herrschende Anschauung, daß bei mir die
„sexuelle Konstitution" an die Stelle der allgemeinen neuro-
pathischen Disposition trat. In meinen jüngst erschienenen
„Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie" (1905) habe ich den
Versuch gemacht, die Mannigfaltigkeiten dieser sexuellen Kon-
stitution sowie die Zusammengesetztheit des Sexualtriebes über-
haupt und dessen Herkunft aus verschiedenen Beitragsquellen
im Organismus zu schildern.
Immer noch im Zusammenhange mit der veränderten Auf-
fassung der „sexuellen Kindertraumen" entwickelte sich nun die
Theorie nach einer Richtung weiter, die schon in den Veröffent-
lichungen der Jahre 1894 — 96 angezeigt worden war. Ich hatte
bereits damals, und noch ehe die Sexualität in die ihr gebührende
Stellung in der Ätiologie eingesetzt war, als Bedingung für die
pathugene Wirksamkeit eines Erlebnisses angegeben, daß dieses
dem Ich unerträglich erscheinen und ein Bestreben zur Abwehr
hervorrufen müsse l ). Auf diese Abwehr hatte ich die psychische
Spaltung — oder wie man damals sagte: die Bewußtseins-
spaltung — der Hysterie zurückgeführt. Gelang die Abwehr,
so war das unerträgliche Erlebnis mit seinen Affektfolgen aus
dem Bewußtsein und der Erinnerung des Ichs vertrieben; unter
gewissen Verhältnissen entfaltete aber das Vertriebene als ein
nun Unbewußtes seine Wirksamkeit und kehrte mittels der
Symptome und der an ihnen haftenden Affekte ins Bewußtsein
zurück, so daß die Erkrankuug einem Mißglücken der Abwehr
entsprach. Diese Auffassung hatte das Verdienst, auf das Spiel
der psychischen Kräfte einzugehen und somit die seelischen
Vorgänge der Hysterie den normalen anzunähern, anstatt die
• i) Die Abwehr-Neuropsychosen. Versuch einer psychologischen Theorie
der akquirierten Hysterie, vieler Phobien und Zwangsvorstellungen und
gewisser halluzinatorischer Psychosen. Neurol. Zentralblatt, 1894.
Freud, N«uro«snUhre. I 4 Auflage. 15
226
Charakteristik der Neurose in eine rätselhafte und weiter nicht
analysierbare Störung zu verlegen.
Als nun weitere Erkundigungen bei normal gebliebenen
Personen das unerwartete Ergebnis lieferten, daß deren sexuelle
Kindergeschichte sich nicht wesentlich von dem Kinderleben
der Neurotiker zu unterscheiden brauche, daß speziell die Rolle
der Verführung bei ersteren die gleiche sei, traten die akzidentellen
Einflüsse noch mehr gegen den der „Verdrängung" (wie ich
anstatt „Abwehr" zu sagen begann) zurück. Es kam also nicht
darauf an, was ein Individuum in seiner Kindbeit an sexuellen
Erregungen erfahren hatte, sondern vor allem auf seine Reaktion
gegen diese Erlebnisse, ob es diese Eindrücke mit der „Ver-
drängung" beantwortet habe oder nicht. Bei spontaner infantiler
Sexualbetätigung ließ sich zeigen, daß dieselbe häufig im Laufe
der Entwicklung durch einen Akt der Verdrängung abgebrochen
wurde. Das geschlechtsreife neurotische Individuum brachte so
ein Stück „Sexualverdrängung" regelmäßig aus seiner Kindheit
mit, das bei den Anforderungen des realen Lebens zur Äußerung
kam, und die Psychoanalysen Hysterischer zeigten, daß ihre
Erkrankung ein Erfolg des Konfliktes zwischen der Libido und
der Sexualverdrängung sei und daß ihre Symptome den Wert
von Kompromissen zwischen beiden seelischen Strömungen haben.
Ohne eine ausführliche Erörterung meiner Vorstellungen
von der Verdrängung könnte ich diesen Teil der Theorie nicht
weiter aufklären. Es genüge, hier auf meine „Drei Abhandlungen
zur Sexualtheorie" (1905) hinzuweisen, wo ich auf die somatischen
Vorgänge, in denen das Wesen der Sexualität zu suchen ist,
ein allerdings erst spärliches Licht zu werfen versucht habe.
Ich habe dort ausgeführt, daß die konstitutionelle sexuelle An-
lage des Kindes eine ungleich buntere ist, als man erwarten
konnte, daß sie „polymorph pervers" genannt zu werden verdient,
und daß aus dieser Anlage durch Verdrängung gewisser Kom-
ponenten das sogenannte normale Verhalten der Sexual funktion
hervorgeht. Ich konnte durch den Hinweis auf die infantilen
Charaktere der Sexualität eine einfache Verknüpfung zwischen
Gesundheit, Perversion und Neurose herstellen. Die Norm ergab
sich aus der Verdrängung gewisser Partialtriebe und Komponenten
der infantilen Anlagen und der Unterordnung der übrigen unter das
227
Primat der Genitalzonen im Dienste der Fortpflanzungsfunktion;
die Perversionen entsprachen Störungen dieser Zusammen-
fassung durch die übermächtige zwangsartige Entwicklung ein-
zelner dieser Partialtriehe, und die Neurose führte sich auf eine
zu weitgehende Verdrängung der libidinösen Strebungen zurück.
Da fast alle perversen Triebe der infantilen Anlage als symptom-
bildende Kräfte bei der Neurose nachweisbar sind, sich aber
bei ihr im Zustande der Verdrängung befinden, konnte ich die
Neurose als das „Negativ" der Perversion bezeichnen.
Ich halte es der Hervorhebung wert, daß meine Anschauungen
über die Ätiologie der Psychoneurosen bei allen Wandlungen doch
zwei Gesichtspunkte nie verleugnet oder verlassen haben, die
Schätzung der Sexualität und des Infantilismus. Sonst
sind an die Stelle akzidenteller Einflüsse konstitutionelle Momente,
für die rein psychologisch gemeinte „Abwehr" ist die organische
„Sexualverdrängung" eingetreten. Sollte nun jemand fragen,
wo ein zwingender Beweis für die behauptete ätiologische Be-
deutung sexueller Faktoren bei den Psychoneurosen zu finden
•sei, da man doch diese Erkrankungen auf die banalsten Gemüts-
bewegungen und selbst auf somatische Anlässe hin ausbrechen
sieht, auf eine spezifische Ätiologie in Gestalt besonderer Kinder-
erlebnisse verzichten muß, so nenne ich die psychoanalytische
Erforschung der Neurotiker als die Quelle, aus welcher die
bestrittene Überzeugung zufließt. Man erfährt, wenn man sich
dieser unersetzlichen Untersuchungsmethode bedient, daß die
Symptome die Sexualbetätigung der Kranken dar-
stellen, die ganze oder eine partielle, aus den Quellen normaler
oder perverser Partialtriebe der Sexualität. Nicht nur, daß
ein guter Teil der hysterischen Symptomatologie direkt aus den
Äußerungen der sexuellen Erregtheit herstammt, nicht nur, daß
eine Reihe von erogenen Zonen in der Neurose in Verstärkung
infantiler Eigenschaften sich zur Bedeutung von Genitalien
erhebt; die kompliziertesten Symptome selbst enthüllen sich als
die konvertierten Darstellungen von Phantasien, welche eine
sexuelle Situation zum Inhalte haben. Wer die Sprache der
Hysterie zu deuten versteht, kann vernehmen, daß die Neurose
nur von der verdrängten Sexualität der Kranken handelt! Man
wolle mir die Sexualfunktion in ihrem richtigen, durch die infantile
15*
228
Anlage umschriebenen Umfange verstehen. Wo eine banale
Emotion zur Verursachung der Erkrankung gerechnet werden
muß, weist die Analyse regelmäßig nach, daß die nicht fehlende
sexuelle Komponente des traumatischen Erlebnisses die pathogene
Wirkung ausgeübt hat. ,
Wir sind unversehens von der Frage nach der Ver- |
ursachung der Psychoneurosen zum Problem ihres Wesens vor-
gedrungen. AVill man dem Rechnung tragen, was man durch
die Psychoanalyse erfahren hat, so kann man nur sagen, das
Wesen dieser Erkrankungen liege in Störungen der Sexual-
vorgänge, jener Vorgänge im Organismus, welche die Bildung
und Verwendung der geschlechtlichen Libido bestimmen. Es ist
kaum zu vermeiden, daß man sich diese Vorgänge in letzter
Linie als chemische vorstelle, so daß man in den sogenannten
aktuellen Neurosen die somatischen, in den Psychoneurosen
außerdem noch die psychischen Wirkungen der Störungen im
Sexualstoffwechsel erkennen dürfte. Die Ähnlichkeit der Neurosen
mit den Intoxikation s- und Abstinenzerscheinungen nach gewissen
Alkaloiden, mit dem Morbus Basedow i und Morbus Addisoni
drängt sich ohne weiteres klinisch auf, und sowie man diese beiden
letzteren Erkrankungen nicht mehr als „Nervenkrankheiten
beschreiben darf, so werden. wohl auch bald die echten „Neu-
rosen" ihrer Namengebung zum Trotze aus dieser Klasse entfernt
werden müssen.
Zur Ätiologie der Neurosen gehört dann alles, was
schädigend auf die der Sexualfunktion dienenden Vorgänge ein-
wirken kann. In erster Linie also die Noxen, welche die Sexual-
funktion selbst betreffen, insoferne diese von der mit Kultur und
Erziehung veränderlichen Sexualkonstitution als Schädlichkeiten
angenommen werden. In zweiter Linie stehen alle andersartigen
Noxen und Traumen, welche sekundär durch Allgemeinschädigung
des Organismus die Sexualvorgänge in demselben zu schädigen
vermögen. Man vergesse aber nicht, daß das ätiologische Problem
bei den Neurosen mindestens ebenso kompliziert ist wie sons
bei der Krankheitsverursachung. Eine einzige pathogene Ein-
wirkung ist fast niemals hinreichend; zu allermeist wird eine
Mehrheit von ätiologischen Momenten erfordert, die einander
unterstützen, die man also nicht in Gegensatz zu einander
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229
, der Zustand des neurotischen
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Wien, Juni 19° 5 -
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VERLAG VON FRANZ DEUTICKE IN LEIPZIG UND WIEN
Jahrbuch der Psychoanalyse. Herausgegeben von Prof. Dr. Sigm. Freud
in Wien. Redigiert von Dr. Karl Abraham in Berlin und Dr. Eduard
Hit seh mann in Wien. Neue Folge des Jahrbuches für psychoanalyt. und
Psychopath. Forschungen. VI. Band. 1914. Mit einer Tafel. Preis M 168- — ,
Jung, Doz. Dr. C. G„ Der Inhalt der Psychose. Akademischer Vortrag,
gehalten im Rathause der Stadt Zürich am 16. Jänner 1908. Zweite,
durch einen Nachtrag ergänzte Auflage. (Zuerst erschienen als 3. Heft
der „Schriften zur angewandten Seelenkunde".) Preis M 18' — .
Jung, Doz. Dr. C. G., Die Bedeutung des Vaters für das Schicksal des
Einzelnen. (Sonderabdruck aus dem Jahrbuch für psychoanalyt. u. psycho-
patholog. Forschungen. I. Band.) Als Separatabdruck vergriffen. Nur noch
in Band I, 2. Hälfte, des Jahrb. für psychoanalyt. Forschungen zu haben.
Jung, Doz. Dr. med. et jur. C. G., Über Konflikte der kindlichen Seele.
(Sonderabdruck aus dem Jahrbuch für psychoanalytische und psycho-
pathologische Forschungen, II. Band.) Zweite Auflage. Preis M 15' — .
Jung, Doz. Dr. med. et jur. C. G., Wandlungen und Symbole der Libido.
Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Denkens. Als Sonderabdruck
vergriffen. Nur noch in Band III, 1. Hälfte, und Band IV, 1. Hälfte,
des Jahrbuches für psychoanalytische Forschungen zu haben.
Jung, Doz. Dr. med. et jur. C. G, Versuch einer Darstellung der psycho-
analytischen Theorie. Neun Vorlesungen, gehalten in New .York im
September 1912. Vergriffen. Nur noch im Jahrbuch für psychoana-
lytische Forschung V. Bd. zu haben.
Kaplan, Leo, Gründzüge der Psychoanalyse. Preis M 72- — .
Kaplan, Leo, Psychoanalytische Probleme. Preis M 60- — .
Kaplan, Leo, Hypnotismus, Animismus und Psychoanalyse. Historisch-
kritische Versuche. Preis M 90-—.
Loy, Dr. R., Psychotherapeutische Zeitfragen. Ein Briefwechsel mit Dr.
C. G. Jung, Privatdozenten der Psychiatrie in Zürich. Preis M 15' — .
Maeder, Dr. A.. Über das Traumproblem. Nach einem am Kongresse' der
Psychoanalytischen Vereinigung gehaltenen Vortrage, München, Sep-
tember 1913. (Sonderabdruck aus dem Jahrbuch für psychoanalytische
und psychopathologische Forschungen, V. Band.) Preis M 15- .
Pfennig R., Grundzüge der Fließschen Periodenrechnung. Preis M CO-—.
Pfister, Dr. Oskar, Die psychologische Enträtselung der religiösen
Glossolalie. (Sonderabdruck aus dem Jahrbuch für psychoanalytische
und psychopathologische Forschungen, III. Band.) Preis M 36'— .
Pfister, Dr. Oskar, Analytische Untersuchungen über die Psychologie
des Hasses und der Versöhnung. (Sonderabdruck aus dem Jahrbuch
für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen, II. Band.)
Vergriffen als Sonderabdruck. Nur mehr im Jahrbuche zu haben
Rank, Otto, Das Inzest-Motiv in Dichtung und Sage. Grundzüge einer
Psychologie des dichterischen Schaffens. Preis M 180'— .
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Schriften zur angewandten Seelenkunde. Herausgegeben von Prof. Dr.
Sigm. Freud in Wien.
I. Heft. Der Wahn und die Träume in W. Jensens „Gradiva" . VonProf .
Dr. Sigm. Freud in Wien. Zweite Auflage. Preis M 30* — .
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Für Österreich gelten besondere Kronenpreise. — Preisänderungen vorbehalten.
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Sigm. Freud in Wien.
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Dr. Franz Riklin. Vergriffen. Neuauflage in Vorbereitung.
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Sammlung kleiner Schriften
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NEUROSENLEHRE
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Jahren 1893—1906
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Vierte, unveränderte Auflage.
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