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Full text of "Der Mensch als Symbol. Unmaßgebliche Meinungen zur Sprache und Kunst"

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GEORG GRODDECK 

DER MENSCH 
ALS SYMBOL 



DER MENSCH 
ALS SYMBOL 

Unmaßgebliche Meinungen über 

Sprache und Kunst 

VON 

GEORG GRODDECK 



Mit 14 Bildtafeln im Anhang 



19 3 3 
INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER 

VERLAG GESELLSCHAFT M.B.H. WIEN 



ALLE HECHTE 

BESONDERS DIE DER ÜBERSETZUNG 

VORBEHALTEN 

COPYRIGHT 1933 BY 
INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG, WIEN 




INTERNATIONAL 

PSYCHOANALYTIC 

UNIVERSITY 

DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN 



PRINTED IN GERMANY 
DRUCK DER SPAMERSCHEN BUCHDRUCKEREI IN LEIPZIG 



In den zehn Jahren, die seit meinen letzten Mitteilungen über 
die Arheitshypothese vom Es des Menschen verstrichen sind, hat 
sich nichts ereignet, was mich veranlassen könnte, diese vielfach 
erprobte Betrachtungsart aufzugeben oder etwas Wesentliches daran 
zu ändern. 

Die Behauptung, daß alles Menschliche von diesem in unauf- 
klärbares Geheimnis gehüllten Wesen abhängig ist, halte ich auf- 
recht, und ebenso bleibe ich dabei, daß niemand in die Tiefen des 
Es hineinschauen kann. 

Dagegen kann ich einiges von jenen Formen des Es erzählen, die 
bisher wenig besprochen worden sind. Ich halte es auch für not- 
wendig zu betonen, daß eine dieser Formen das Ich ist. Wie ich 
mir das denke, habe ich in dem „Buch vom Es" soweit mitgeteilt, 
als ich es konnte. 

Eioe andere Form des Es, die mir zugänglicher ist, möchte ich 
als das Zwiefache des Es bezeichnen: Alles Menschliche läßt sich 
als zugleich männlich-weiblich und kindlich-mannbar betrachten. 

Etwas Weiteres ist die Erfahrung, daß das Es sich ebenso selb- 
ständig und ebenso gegenseitig abhängig in dem Leben des Geeamt- 
menschen wie in den Teilen dieses lebenden Menschen offenbart, 
oder um es anders auszudrücken: Es hat den Anschein, als ob 
zwischen dem Ganzen des Menschen und der ZeUe oder noch klei- 
neren Wesen, dem Gewebe, dem einzelnen Organ oder Körperteil 
ein ähnliches Verhältnis bestände, wie es in den Begriffen Makro- 
kosmos und Mikrokosmos in früheren Zeiten für das All und den 
Teil angenommen wurde. 



I 



Schließlich ist das Symbolische, das alle menschlichen Lebens- 
beziehungen begleitet, Form des Es. 

Zu dem Versuch, diese Formen des Es zu betrachten, hat mich, 
abgesehen von dem Zwang des Tageslebens und des Berufs, eine 
etwas einseitige und eigensinnige Beschäftigung mit Werken der 
bildenden Kunst imd mit der Sprache geführt. 

Daß in jedem einzelnen Menschen Männlich-weiblich und Kindlich- 
mannbar enthalten ist, kann ohne weiteres daraus geschlossen 
werden, daß der Mensch aus Mann und Weib entsteht, und daß, 
soweit wir das bisher haben nachweisen können, wohl eine Mischung, 
aber nicht eine gegenseitige Auflösung dieser Beetandteile statt- 
findet. Daß er, so erwachsen er sein mag, in allen grundlegenden 
Lebensfunktionen, in Sterben und Entstehen der ZeUen, in Atmen, 
Schlafen, Sichregen, Sichnähren usw. kindlich bleibt, ist gleichfalls 
sinnfällig. Von dem Symbol wird im folgenden so viel gesprochen 
werden, daß ich fast selbst annehmen könnte, meine Bemühungen 
in diesem Aufsatz gälten nur der Schilderung dieser Esform. 

Die Tatsache, daß der Mensch männlich- weiblich und kindlich- 
mannbar ist und daß er im Symbol lebt, können vdr benutzen wie 
ein farbiges Glas, um das Menschenleben zu betrachten. Freilich 
bringt uns eine solche Betrachtung der Wahrheit ebensowenig nahe 
wie das Sehen durch ein rotes oder gelbes Glas, im Gegenteil, wir 
wissen hei solchem Versuch von vornherein, daß wir durch Be- 
nutzen der farbigen Glasscherbe der Welt falsche Farben geben, 
und so ist es dem Verfasser dieser Mitteilungen auch bekannt, daß 
er mit seinem Verfahren die Buntheit der Welt eintönig färbt. Es 
ist aber nicht bloß mutwillige Spielerei, so an menschliche Probleme 
heranzugehen, sondern dies Verfahren scheint so weit zurückzu- 
reichen wie die Überlieferung menschlicher Vergangenheit. 

Die erste Folge der Weltbetrachtung durch solches Medium ist 
Mißtrauen gegen die Realität. Vermutlich gibt es Reales ; aber wir 
kommen niemals in Berührung damit. Unser Es ändert das un- 
bekannte X des Realen, es wirkt auf die Dinge und macht aus dem 
Realen Wirkliches. Werk und Sache sind nicht dasselbe. Das 
Menschliche arbeitet nicht mit einem „Realitätsprinzip", sondern 
mit dem Wirklichkeitsprinzip. Wenn man das in Betracht zieht. 



verschwindet der Gegensatz von Ich und Es, es entsteht eine Mensch- 
welt, in der das Ich nur eine Funktion des Es ist. Diese wirkliche 
Welt des Menschen zerfallt bei dem Versuch, Reales zu hegreifen. 

Wir werden von dem verdrängenden Wirken des Menschlichen 
und unsrer vermenschlichten Umwelt (Erziehung usw.) in das 
Phantasieren über das Reale hineingezwungen. Zunächst haben 
wir nicht mit Dingen zu tun, sondern mit Symbolen. Man hat sich 
bisher wenig darum gekümmert, wie der Neugeborene die Umwelt 
kennenlernt, was er von ihr denkt. Wenn ich mir überlege, was 
ich im Mutterleib erfahren haben mag, komme ich zu dem Schluß, 
daß ich damals alles, was zu meiner Welt gehörte, für Bestandteil 
meines eigenen Selbst gehalten habe : Selbst und Umwelt des Selbst 
waren dasselbe. Vielleicht wird diese symbolische Denkart durch 
die Geburt ein wenig umgeändert; nach dem Verhalten der Säug- 
linge in ihrer ersten Lebenszeit muß ich aber annehmen, daß das 
Kind in der Hauptlemzeit des Lebens, in den ersten Stunden, Tagen 
und Wochen im. wesentHchen noch symbolisch denkt: ein Löffel 
ist für das Kind nicht ein Löffel, sondern eine Hand, eine Tür nicht 
eine Tür, sondern ein Mund, ein Bett nicht ein Bett, sondern ein 
Mutterschoß usw. 

Von diesen ersten Vorstellungen, die in primitiven Kulturen 
wenig verändert beibehalten werden, kommen unser Bewußtes und 
Unbewußtes nie ganz los : bis an das Lebensende bleibt menschliche 
Erkenntnis dem Symbol verfallen. Mögen wir noch so gelehrt sein, 
es hilft uns nichts: ein Fenster bleibt für uns Auge, eine Höhle 
Mutter, ein Pfahl Vater. 

Auch den Menschen und seine Teile betrachten wir symbolisch, 
wie wir es als Kinder taten. Wir wußten einmal aus Erfahrung, 
daß der Kopf in sich zugleich Ganzes und Teil ist, selbständig und 
abhängig, daß der Mensch Symbol des Kopfes und der Kopf Symbol 
des Menschen ist. Symbol bezeichnet nicht die Ähnlichkeit zweier 
Dinge, sondern im Symbol werden zwei Dinge zusammengeworfen, 
sie sind dasselbe. Weil wir symbolisch denken und empfinden, kurz 
in jeder Beziehung an das Symbol als an etwas zum Menschlichen 
Gehöriges gebunden sind, ist es möglich, alles Menschenleben sym- 
bolisch zu betrachten. 



Daß der Mensch zwiegescUeclitig ist, nie Mann, nie Weib, sondern 
immer Weibmann, Mannweib, daß er nie Kind, nie Erwachsener 
ist, sondern immer Kindmann, Mannkind, haben alle Zeiten in 
Denken und Tun, in Mythus und Alltagsleben zum Ausdruck ge- 
bracht; es ist nicht erst die christliche Kunst, die den Menschen 
im Symbol von Weib und Knabe, > Madonna und Christus dar- 
stellt. Die Antike gab der Aphrodite den Eros zur Seite, Venus 
und Amor sind noch jetzt, wo sie längst zu Schatten dessen ge- 
worden sind, was sie einmal waren, eine Einheit, ein Symbol des 
Menschen. 

In der Villa Borghese zu Rom hängt ein weltbekanntes Gemälde von 
Lukas Cranach, eine Venus, die allen Betrachtern unvergeßlich ist 
(Taf. 1). Der Grund dafür ist das Gleichnis. Das Zwiegeschlechtige, wie 
es sich in dem Zusammenfügen des Weibes und Knaben offenbart — 
zugleich zeigt sich darin das Kindlich-Mannbare — ist durch den 
m.ännHchen Baumstamm und die weiblichen Spalten in der Rinde 
verstärkt. Der Baum hat symboUsch beide Geschlechter und Alter; 
der Baum, die Eiche; Wurzel und Frucht sind Kind, Stamm und 
Ast Mann, Rinde und Krone Weib. 

Bei dem Wort Frucht — fructus ventris tui — ist dies ohne 
weiteres klar. Wurzel kommt von Würz, das Pflanze, Kraut be- 
deutet, ist ursprünglich wurzwala (wala = Stab); das w ist wie in 
Rönaer-Römware, Bürger-Burgware verschwunden. In Wurzel ist 
also die MännUchkeit des Kindes betont. Stab (wala) ist mit sanskrit 
sthapai verwandt : stehen machen, was dann zu Ständer und schwe- 
disch stond für das Steifsein des Ghedes führt. Es sei gleich hier 
darauf hingewiesen, daß als Symbol des Menschen der Knabe oder 
das mannliche Glied gebraucht werden, niemals das Mädchen; das 
Symbolische scheint für den Begriff Mensch das Aufrechte, Stehende, 
Aufrichtige, Selbständige zu bevorzugen. Außerdem ist im Knaben 
und im Geschlechtsglied das Zwiegeschlecht und das Kindlich- 
Mannbare in dem Verhältnis Eichel- Vorhaut und Steifheit und 
Schlaffheit sichtbar, während beim Mädchen alles Geheimnis ist. 
Endlich ist Wurzel stammverwandt mit Rüssel; was dem primi- 
tiven Denken Rüssel ist, zeigt jedes Kind beim Anblick des Ele- 
fanten. 



8 



Das Männlich-Symbolische in Baum und Äst zeigt sich in der 
Gewohnheit, beide Wörter in der Bedeutung des aufgerichteten 
GKedes zu gebrauchen. Ferner ist „Stammbaum" zu erwähnen, 
worin sich die Idee der urmännüchen Abstammung ausspricht. Von 
Etymologen wird Stamm mit der Wurzel stha (stehen) zusammen- 
gebracht; im Griechischen heißt der Weinhrug stamnos (orajuvog), 
der Behälter, aus dem der Wein des Lebens in den Becher (das' 
Weib) gegossen wird, ist ihm besonders männlich. Ast zeigt seine 
Bedeutung in dem Verbum „asten" (das Feld tragbar machen); 
es erinnert an den Fluch, mit dem Adam aus dem Paradies getrieben 
wird, an das Symbol der Sage, der das Weib fruchtbarer Acker. 
der Mann pflügender Bauer war. 

Krone (Kranz) ist als entschieden weibliches Symbol allgemein 
bekannt, das aufreizend ümschheßende drückt sich darin aus. 
Rinde ist verwandt mit Rand, englisch rim (Ende, Schluß), die 
Rinde liält den Stamm in der Umarmung, sie schützt ihn mütter- 
lich und umschlingt ihn zärtlich. Fachgelehrte verknüpfen rim 
mit dem gotischen rimi (Ruhe). So würde in dem Wort Rinde das 
weibUche Wesen als Leidenschaften beruhigend, beendend Hegen. 
Im Griechischen heißt Ruhe eroe (e^w?;) (eigentlich „Angriff mit 
darauf eintretender Ermüdung, Ruhe"). Die Vermutung, daß eroe 
stammverwandt mit Eros {egmg) ist, liegt nahe ; Eros ist den Griechen 
der ZwiUingsbruder des Todes — der PhaUus stirbt durch den Lie- 
besakt — und der Tod ist Ruhe. 

Das Unbewußte der Kunst, das den Doppelsinn des Symbols 
dadurch besonders hervorhebt, daß es den Kopf des stehenden 
Knaben bis an die eine Spalte der Stammborke reichen läßt und 
seinen Blick auf den Schoß des Weibes gerichtet hat, fügt dem 
Gleichnis noch ein Motiv hinzu, das dem Bilde eine schier un- 
ergründliche Tiefe gibt: um die Hüften der Venus ist, den Schoß 
verhüllend und zeigend, der Schleier geschlungen, das uralte Symbol 
der Jungfräidichkeit und des Jungfrauentodes in der Empfängnis. 
Das Weibliche, das göttUch Liebende im Weibe, die Venus Urania 
ißt immer jungfräuKch. Wer anerkennt, daß es, unabhängig von 
der Verkörperung in der einzelnen Frau, ein Ewig -Weibliches gibt, 
weiß, daß dieses Ewig -Weibliche, unabhängig von allen körper- 



"^ 



liehen Vorgängen, trotz Liebeshandlung und G«bärens unveränder- j 

lieh jungfräulich bleibt. Der Christusmythua sagt dasselbe: in dem f.; 

bekannten Liede von dem Reis, das einer Wurzel zart entsprang, 

heißt es: 

„Es fiel ein Himmelstaue 

In eine Jungfrau fein, 

Es -war keine bessere Fraue, : 

Das macht ihr Kindelein. > ■ 

Ob sie schon hat geboren, ; r 

Blieb sie doch Jungfrau rein." ;i 

Das tägbcbe Leben lehrt dasselbe; jede Frau wird, wenn ihre Liebes- 
erregung irgendwie bis zum höchsten gesteigert wird, von neuem ^ 
Jungfrau: ihre Öffnung zieht sich dann wieder, trotz häufiger Ge- j 
burten, so zusammen, daß das Eindringen des Gliedes wie bei der |^ 
Entjungferung als zunächst schmerzhaft empfunden wird, ja eme 
Blutung entsprechend dem Zerreißen des Jungfernhäutchens tritt 
nicht selten ein. Cranach hat, wie Botticelli in seinem Frühlings- 
bUde, dieses tiefe Wiesen in sein BÜd aufgenommen, seine Venus 

ist schwanger. 

Daß eine Darstellung der Liebesgöttin voll Symbolik ist, nimmt 
nicht wunder. Aber der große Künstler kann auch DarsteUungen 
von Tagesereignissen nicht anders geben als mit unbewußter Be- 
nutzung des Symbols. Man betrachte beispielsweise Rembrandts 
„Anatomie des Dr. Tulp" im Haag (Taf. 2). Angeblich ist es ein 
Gruppenporträt von acht Medizinern, in dem die Figur des Dr. Tulp 
besonders hervorgehoben ist. Es sind aber gar nicht acht Menschen, 
sondern neun, und gerade der neunte, der Tote, empföngt das volle 
Licht des Bildes. Der Tote ist also die Hauptperson geworden. 
entweder weil Rembrandt es so beabsichtigt hat oder weil ihn sein 
Unbewußtes dazu gezwungen hat. Neun ist die Zahl der Voll- 
endung; irgendwie wird sich der Gedanke der Vollendung in dem 
Bilde durchgesetzt haben, und die Vollendung muß mit dem toten 
Körper zusammenhängen. Neun ist aber auch die Zahl der Schwan- 
gerschaft, und neun ist dreimal drei. Das Unbewußte pflegt bei 
neun Personen die Dreiteilung zu erzwingen, drei ist die mächtigste 

10 



ZaU, die heilige Drei. Sie symbolisiert in erster Linie die Männ- 
lichkeit, die volle Potenz in der Vereinigung des Gliedes mit den 
beiden Hoden, weiterhin das Männlich- Weiblich-Kindliche. Be- 
trachtet man das Bild auf die Gruppierung der Drei hin, so ge- 
hören zu der stehenden und allein handelnden Figur des Tulp die 
beiden weit vorgebeugten Figuren; sie sind am sichtbarsten an der 
Handlung beteiligt. Hinter diesen ist eine andre dreifaltige Gruppe: 
nur einer der Männer ist ganz bei der Sache, der zweite unterbricht 
seine Lektüre, beginnt also sich für die Sektion zu erwärmen, ein 
dritter ganz im Hintergrund nimmt an der Handlung nicht viel teil. 
Die dritte Gruppe ist in dem Leichnam von der Handlung getrennt, 
die ergänzenden Figuren jenseits des Bildmittelpunkts, der Leiche, 
widmen dem Vorgang keine Aufmerksamkeit, ja der eine blickt 
aus dem Bilde heraus, ihn geht die Sektion nichts an. Vollkommen 
teilnahmlos aber ist der Tote, und doch dreht sich um ün alles. 

Geht man bei der Betrachtung des Bildes von der Neuuzahl aus, 
so wird aus dem genrehaften Gruppenporträt ein Schicksalsgemälde 
des Männlichen, eine Darstellim^g der Entstehung, des Handelns 
und des Sterbens des Mannes. Mann, wirklicher Mann ist der männ- 
liche Mensch nur solange, als er seine männliche Potenz besitzt und 
gebraucht; er entsteht — das Wort „entsteht'* ist mit Vorbedacht 
gebraucht — aus der Erregung, er stirbt in der Liebeshandlung, 
die der Erregung folgt, folgt solche Handlung nicht, so stirbt er 
nicht, sondern schrumpft nur zum Knaben zusammen. 

Das Bild zeigt, als Symbol gesehen, die einzelnen Schicksals- 
stadien des mänuUchen Mannes. In der Hintergrundsgruppe be- 
ginnt die Erregung: die Begierde des Erzeugens ist in dem einen 
Augenzeugen (testis, testiculus) lebhaft, seine Erregung ergreift 
noch nicht den andern, aber das Membrum verwandelt sich in den 
Phallus. Der Mann, der das veranschaulicht, unterbricht sein Lesen; 
Lesen ist, symbolisch aufgefaßt, Phantasie über das Weibliche. — 
Die zweite Gruppe zeigt beide testes in höchster Spannung und den 
stehenden Mann (Ständer) in voller Aktion. Er ist der einzige, der 
einen Hut trägt und sein Kragen ist halb offen, beides Symbole 
der Vereinigimg mit dem Weibe. — Die dritte Gruppe stellt die 
unmittelbare Folge des Akts dar, nicht als Erschlaffung des Phal- 
li 



lus, sondern als Tod; erschlafft ist die Begierde der Zeugen. Daß 
der Tod am Weibe stattfand, erzählt die Wunde am linken, am 
Herzens-Liebesarm, und die Tatsache, daß die Finger trotz des 
Zerrens an dem Beugemuskel unbeweglich bleiben, beweist äugen- ^'-Äl 

scheinlicb den Tod. Die Geschlechtsteile sind durch ein kreuzweis 
gelegtes Tuch verhüllt: der beschämende Zustand des Unvermögens 
ist dem BUck entzogen. Auch der Daumen der rechten Hand, der >; 

so deutlich den Phallus versinnbildlicht, ist nicht zu sehen. Beides '.'^ 

entspricht dem Verhalten des männlichen Menschen, der von den *3 

Mächten des Es gez'wungen wird, entweder sich dem Bewußtsein \ 

seiner vernichteten Mannheit durch Schlaf zu entziehen oder diesen S; 

Verlust wenigstens vor dem weiblichen Menschen zu verstecken. — ^ 

Das Schimpfwort „Schlappschwanz", das in den letzten Jahren * 

salonfähig geworden ist, beweist, wie groß die Schande solchen ,' 

Todes ist. Die Kunstgeschichte erzählt, daß der Tote ein Erhängter 
war. Mag das nun wahr sein oder nicht — wenn es nicht wahr ist, 
beweist die Sage die symbolische Kraft des Unbewußten — die 
Tatsache des Samenergusses bei dem Erhängen verstärkt meine 
Annahme, daß hinter der Handlung des anatomischen Unterrichts 
das Geheimnis von Zeugen und Sterben, von Liebe und Tod steckt. 

Ich möchte schon hier darauf aufmerksam machen, daß Ge- 
staltung und Gebrauchsgewohnbeiten des Daumens, auch seine 
Erkrankungen oder Verletzungen von der Symholkraft des Es 
beeinflußt sein können, ebenso wie irgendwelche Wunden ihre 
Entstehung, Form, Heilungsmöglichfceit vielfach von der Symbolik 
des Weihlichen oder Zwiegeschlechtigen erhalten. 

Um in die Nähe des Es zu kommen, kann man auch einen andern 
Weg einschlagen, den Weg über die Sprache. Er kreuzt sich viel- 
fach mit dem der Kunstbetrachtung, geht zuweüen parallel, ja 
streckenweise ist er derselbe. Auch hier zeigt am besten das Beispiel, 
was ich meine. 

Schon in der Schule fiel es mir auf, daß Homer, wenn er von 
dem Dunkel der Zukunft spricht, die Wendung gebraucht: theon 
en gunasi keitai ('&s(üv ev yovvaoi xeaai). Es wird unserm Den- 
ken entsprechend übersetzt: „Das liegt im Schöße der Götter." 
Aber gony (yovv) ist nicht Schoß, sondern das Knie. Die wört- 

12 



A, 



VA 

I] 



I 



liehe Übersetzung lautet also : „Es liegt in den Knieen der Götter." 
Die moderne Wendung, daß die Zukunft in dem Schöße der Götter 
liegt, ist ohne weiteres verständlich: Zukunft und Leibesfrucht 
sind dasselbe. Der Gedanke, daß der Grieche mit seiner Rede von 
den Knieen vielleicht auch Zukunft und Kind gleichsetzte, ist mir 
zuerst aus der Erfahrung am Krankenbette gekommen. Bei der 
analytischen Behandlung von Kniegelenksentzündungen stieß ich 
immer wieder auf die Tatsache, daß der Kranke in seinen Mit- 
teilungen aus dem Unbewußten die Anschwellung des Kniegelenks 
als ein Symbol der Schwangerschaft auffaßte. Damals war mir 
die Symbolik der Organe noch wenig bekannt, aber hie und da 
gaben Kranke die Erklärung, daß man den Oberschenkelknochen 
als Mann, die beiden Unterschenkelknochen als "Weib und die Knie- 
scheibe als Kind auffassen könnte. Lange Zeit habe ich solche Aus- 
sagen für Gefälhgkeit gegenüber meiner Sucht, Symbole zu finden, 
gehalten. Dann ivurde mir aber gelegentlich eia andrer Gedanke 
entgegengebracht. Kranke erzählten mir, daß sie das gestreckte 
Bein für ein Symbol der phallischen Erregung hielten, daß in der 
Streckung die Vereinigung von Mann und Weib dargestellt sei, 
während die davor hegende Kniescheibe, wie alles, was vorn liegt, 
die Zukunft, das zukünftige Kind sei. Danach wäre das Knie Sym- 
bol des Männlich- Weiblichen und des Kindlich-Mannbaren. In der 
Beugung des Knies, ganz besonders im Knien, sahen diese Leute 
die Erschlaffung, die beim Manne nach der Geschlechtsvereinigung 
eintritt, eine Annahme, die in den Schwierigkeiten vieler Menschen 
beim Knien eine Art Bestätigung findet. Eines Tages stieß ich beim 
Durchblättern eines griechischen Lexikons auf die Redewendungen 
hypolyein {vnolveiv) und blaptein ta gunata tinos {ßlaTneiv xa 
yovvaxa Tivog). Das eine bedeutet töten, das andre erschlaffen 
machen. Das Lexikon setzt hinzu, daß dem Homer die Kniee als 
Hauptsitz der Körperkraft galten; es liegt nahe, anzimehmen, daß 
für Homer die Tatsache des Stehens mit Hilfe der Kniee bestimmend 
wirkte, da ja das Stehen des Phallus überall als Zeichen der Mannes- 
kraft gut. Setzt man statt des Worts Kraft Stärke, so ist die Ver- 
mutung nicht ganz unsinnig, daß dem Griechen und wohl auch 
dem Unbewußten des modernen symbolempfindlichen Kranken 

13 



das gestreckte Knie Symbol der männlichen Potenz, des starren 
Phallus war oder ist; denn Stärke hängt zusammen mit starr. 
Der griechische Ausdruck hypolyein ta gunata (die Knie lösen) 
für töten führt dann zu der allbekannten Gleichung des Sterbens 
und Liebens bei den Griechen zurück; ich erwähnte sie gelegentlich 
der Rembrandtschen Anatomie. Das Knien wäre dann ein Aus- 
druck für das Unvermögen des Mannes nach vollzogenem Ge- 
schlechtsakt (blaptein = erschlaffen machen). 

Für diese Dinge findet sich in der lateinischen Sprache die Be- 
stätigung. Das Knie heißt im Lateinischen genu; hängt man daran 
ein 8, so wird es genus, was unmittelbar zu dem Begriff der Fort- 
pflanzung, zu dem mäoulich-weiblichen, kindlich-mannbaren All- 
menschlichen führt. 

Von diesem Punkte aus hat man eine erschütternde Aussicht. 
Die Etymologen behaupten allerdings, genu und gcnus hätten 
nichts miteinander zu tun; aber bei einer Wissenschaft, die so mit 
Vermutungen arbeitet wie die Etymologie, braucht man nicht alles 
zu glauben, was gesagt -wird, zumal wenn sich herausstellt, daß in 
andern Zusammenhängen zwar nicht gcnus und genu, dafür aber 
Knie, kennen, können, König, Kunst, Kind und Kinn auf ein und 
dieselbe Wurzel zurückgeführt werden. Ehe mir nicht bewiesen 
wird, daß genu und genus nicht miteinander zusammenhängen, 
bleibe ich auf Grund des Symbols dabei, daß sie sprachlich ver- 
wandt sind*). 

Um sich in dem Labyrinth der Wortverbindungen zurechtzu- 
finden, fasse man den vielgeschichteten und wandelbaren Stamm 



•) Der Zufall hat mir nach Ahechluß meiner Arbeit einen Aufsatz des Heidel- 
berger Forschers Hermann GUntert in die Hände gCBpielt, der ebenfallB, wenn auch 
auf anderm Wege, unter Anlehnung an Geechlechtsdinge die VeiwandtBcbaft von 
gony und gigaeBtbai mit ihren Folgerungen feststellt; er erwähnt bei dieser Ge- 
legenheit das homerische theon en gunasi keitai. Ich empfinde diese Übereinstim- 
mung freudig und dankbar, besonders, weil es nachweisbar ausgeschlossen ist, daß 
einer von uns den Gedanken des andern gekannt hat. Günterts Arbeit (erschienen 
in „Wörter und Sachen", Band 8) ist 1928 veröffentlicht worden; meine erste Mit- 
teilung über die Wörter gony und gigucstbai, gignoskein usw. ist 1926 in einer pri- 
vaten Zeitschrift „Die Arche" gedruckt worden. Güntert kann diese Zeitschrift 
nicht gekannt haben. 

14 



,,kaii, ken, kun", zu dem sich dann nocli aus mir nictt bekannten 
Gründen „gen" hinzugesellt. Man muß kühn dabei verfahren 
{aber kühn leitet sich auch von dem fruchtbaren Stamme kan, 
ken, kun her). Angeblich enthält diese Wunderwurzel die Be- 
deutung „gebären" in sich. — Von dieser Wurzel kan, ken, kun 
wird das Sanskrit -Wort janu = Knie abgeleitet. Andrerseits soll 
von einer skrt. Wurzel jan = zeugen aus janus = Geburt, Janas 
= Geschlecht, jantu = Kind zu unserm Ariadnefaden kan, ken, 
kun, gen gehören. Aber janu und janus haben nach Meinung der 
Gelehrten ebensowenig miteinander zu tun wie genu und genus im 
Lateinischen. Was soll man nun tun? 

Das beste wird sein, man stellt die Aussagen der Etymologen 
nach eigenem Gutdünken zusammen, ohne sich um die Privat- 
meinung des Lexikographen zu kümmern. Um den Vorwurf allzu 
großer Phantasiesprünge einigermaßen zu entkräften, stelle ich 
einen Satz aus Kluges „Etymologischem Wörterbuch" voran, der 
sich in dem Abschnitt über das Wort „können** findet : „Die weite 
Verzweigung der eugverwandten idg. Wz. gen, gno »erkennen*, 
jwissen* ist allgemein anerkannt." 

Hält man sich an diese Verwandtschaft, so ordnen sich um den 
Begriff „Knie" in den verschiedenen indogermanischen Sprachen 
in erstaunlicher Weise große Lebensgebiete. 

Im Griechischen gehören zu dem Wort gouy {yovv) = Knie 
gignoskein (ytyvatoHEtv) = erkennen und gignesthai {yiyvEa-&ai) 
— werden, entstehen, geboren, erzeugt werden mit ihren Ab- 
leitungen. Was das bedeutet, ergibt sich, wenn man bedenkt, 
daß das Wort Gnosis oder Gnostiker (also ein gut Teil aller Philo- 
sophie und Religion) dadurch ebenso mit dem angeblich körper- 
hchen Knie zusammengebracht wird wie das Wort Genesis = Ent- 
stehung oder Genos = Geschlecht. Weiter gehört in diese Ver- 
bindung genys {yevvg) = Kinn und genaiaskein (yevaiaoxftv) 
= einen Bart bekommen, mannbar werden. 

Im Lateinischen gruppieren sich ähnlich, ja vielfach gleich um 
das Wort genu = Knie: cognoscere = erkennen, nasci = geboren 
werden, genus = Geschlecht. Ein besonderes Gebiet gerät dort 
mit in das Lawinenfeld, die Wissenschaft von den Zähnen: dentes 

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genuini = Backenzähne. Es wird sich später zeigen, wie nahe ver- 
wandt das Zahnen mit Erzeugungs- und Geburtsvorgängen auch 
in der Welt der Symbole ist und damit auch im organischen Leben 
des Menschen, in seinem Sein und Werden. Wer alle diese Beziehun- 
gen gewissenhaft durcharbeiten wollte, müßte wohl einige Gene- 
rationeu lang leben und wirken. 

Im Englischen gehört knee = Knie zusammen mit to know 
= kennen, wissen, knowledge — Kenntnis, natiou, native, gentry, 
gentleman, chin usw. 

Im Deutschen findet man rings um das Wort Knie: kennen, 
können, König, Kinn, Kind, Kujide und so fort. 

In diesen kurzen Mitteilungen, die nur eine Art Einleitung zu 
weiteren Aufsätzen sein sollen, möchte ich nur auf einiges auf- 
merksam machen, was für den Arzt erwägenswert ist. Ich habe 
vorhin behauptet, daß Kniegelenfcsleiden unter Umständen das Zwie- 
geschlechtswesen des Menschen, seine Kind-Mannbarkeit, Zeugungs- 
Schwangerschafts- und Geburtsvorgänge im Symbol organischer Er- 
krankung darstellen, und habe mich dabei auf Mitteilungen aus dem 
Unbewußten meiner Patienten berufen. Das Nachsuchen in indo- 
germanischen Sprachen scheint mir zu beweisen, daß solch Symbol 
bei der Entstehung der Sprachen mitgewirkt hat; daß das Symbol 
noch jetzt wirkt, halte ich, abgesehen von meinen persönlichen 
Erfahrungen in der Behandlung Kranker mit Hilfe symbolischer 
Gleichungen, auch deshalb für wahrscheinlich, weil die Macht des 
Worts in allen Lebensbeziehungen noch immer die gleiche ist wie 
vor Jahrtausenden. In einer Reihe von Sprachen klingt die Be- 
nennung des Gelenks zwischen Ober- und Unterschenkel fast gleich 
wie in längst gestorbenen Sprachen und die Redewendung, daß der 
Mann das Weib erkennt, ist unsrer Zeit noch ebenso verständlich 
wie den Verfassern des Alten Testaments. 

Daß ich das Wort König trotz einiger Bedenken in Zusammen- 
hang mit Knie gebracht habe — unter Benutzung des vielgestaltigen 
ken, kau, kun (kuni heißt im Gotischen vornehmes Geschlecht) — 
erleichtert mir die Mitteilung, daß Kniekranke nicht selten im Un- 
bewußten von Phantasien über königliche Abstammung beeinflußt 
sind. Ich bin auch geneigt, die lateinische Bezeichnung rex für 

16 



König auf das männliche Lebensprinzip des Äufrechtsteliens zurück- 
zuführen. 

Eine Vermutung, die ich zurällig nicht in eigener ärztlicher Er- 
fahrung habe prüfen können, ist, daß die gonorrhoischen Knie- 
geleokserkrankungen eng mit der Begattungssymbolik des Gelenks 
verbunden sind und daß eine Behandlung darauf Rücksicht nehmen 
sollte. 

Schließlich erwähne ich, daß die moderne Wissenschaft die alte 
fruchtbare Wurzel in dem Ausdruck „Gen" zu neuem Leben ge- 
bracht hat. Gen umfaßt in der Vererbungslehre so viel, daß es sich 
in seinem Wert dem alten Genesis an die Seite stellen läßt. Ich 
will nicht behaupten, daß die Brücke zwischen dem homerischen 
theon en gunasi keitai und der Vererbungslehre fest ist. Aber wie 
tropische Schlinggewächse Flüsse von Kilometerbreite und mehr 
überbrücken, so mag es auch hier sein. Die Wege zum Es sind 
wunderlich. 



2 Groddeck, Der Mensch ala Symbol 



17 



Wenn man sich einmal auf Etymologie eingelassen hat, merkt 
man erst, wie schwer es ist, üLer den Menschen zu schreiben. Man 
denkt, wer weiß wie weit gekommen zu sein, wenn man sich davon 
überzeugt bat, daß der Mensch zwei Geschlechter und zwei Lebens- 
alter hat. Aussprechen läßt sich solche Überzeugung leicht; aber 
sie sieb so zu eigen machen, daß man danach leben kann und daß 
man danach Kranke behandeln muß, ist nicht leicht. Für den 
Deutschen geht es noch eher, sich bei dem Worte Mensch je nach 
Belieben einen Mann, ein Weih oder ein Kind vorzustellen. Aber 
wie macht es der Engländer, für den der Mensch man ist, der 
Franzose, der Italiener mit homme, uomo ? Haben sie eine Neigung, 
ein menschlicbee Wesen so lange für einen Mann zu halten, bis sie 
es als Weib (woman — wifman, femme — femina = die Säugende) 
„erkennen"? 

Im Griechischen ißt Mensch anthropos (av&QCOTiog), das Wort wird 
mit maskulinem Artikel für beide Geschlechter gebraucht. „He an- 
thropos ()5 av&QCOTiogy'' ist die Hure, ähnlich wie das jetzige Deutsch, 
übrigens erst seit kurzer Zeit, „das Mensch'* sagt, wenn eine an- 
rüchige Frau bezeichnet werden soll; noch vor zwei Jahrhunderten 
war jede Frau das Mensch, und der Franzose spricht noch immer 
unbefangen von ma chose, wenn er von seinem Weibe erzählt. Die 
erste Silbe geht auf die fruchtbare Wurzel men, man — meinen 
zurück, von der bald die Rede sein wird; die Sachverständigen 
sagen, anthropos sei eine Zusammensetzung von menthere (fiev- 
{hjQYj) = Stirn und ops (cüv) = sehen. Meine eigne Vermutung, daß 
die beiden letzten Silben aus der Wurzel thor (i?op) (thoros, '&OQog 
=: männlicher, menschlicher Samen) gebildet sind, gründet sich nur 

18 



auf die Tatsache, daß sich das Wort throsko {■&Q(oax(o) = springen, 
bespringen, befruchten, aus der Wurzel thor herleitet. 

Ein besonderes Verfahren hat die dänische Sprache befolgt, dem 
Dänen ist der Mensch eine Sache — et menneske — , ein Neutrum, 
während der Schwede sogar so weit geht, dem Menschen als Lebe- 
wesen einen weiblichen Charakter zu geben, människa ist bei ihm 
nicht ein „han" (er), sondern eine „hon*' (sie). Die beiden nordi- 
schen Wörter zeigen schon in ihrem Klang, daß auch für die ger- 
manischen Sprachen der Mann Symbol des menschlichen Lebe- 
wesens ist. Das deutsche Mensch ist ein Substantiv gewordenes 
Adjektiv, lautet ursprünglich „männisch", also Mann. 

In gewisser Beziehung ist es erklärlich, warum gerade der Mann 
als Vertreter des Menschlichen gebraucht wird: wir sind sehende 
Wesen, in großer Entfernung nun entscheidet die Bewegung des 
gesehenen Gegenstandes, ob es sich um ein Lebewesen handelt oder 
nicht, und die aufrechte Haltung, ob es ein Mengch ist oder ein 
Tier; erst in der Nähe, eigenthch an der Kleidung sieht man den 
Geschlechtsunterschied, ja völlig sicher wird man oft erst durch die 
erkennende Umarmung. — Was sich aufrichtet, aufrecht steht, sich 
aufrecht bewegt, ist durch das Symbol männisch bezeichnet, und 
das Symbol entscheidet so für den Mann. „Mann" nun stammt von 
der Wurzel „men", die denken bedeuten soll. Danach wäre Mensch 
— wenigstens der männliche Mensch — das denkende Lebewesen: 
der zwiegeschlechtige Organismus im Besitz beider Lebensalter, 
begabt mit der Fähigkeit zu denken. 

Plötzlich stehen wir vor der Grundlage unsrer heutigen Kultur, 
all unsrer Philosophie, Wissenschaft, Religion, Lebensauffassung 
und Lebensführung: der Mensch denkt, er allein denkt, kein andres 
Wesen tut es; die Zweifel, ob nicht auch Tiere, Pflanzen, ja wo- 
möglich Atome, lone, Elektrone denken, oder die andern, ob das 
Denken nicht dazu da ist, um jedes Erkennen zu verhindern, haben 
keine Bedeutung in unserm Lehen; wir spielen mit diesen Zweifeln, 
sonst nichts. 

Trotzdem, die Zweifel sind da, verstärken sich immer mehr, von 
allen Lebensgebieten aus erheben sich Bedenken gegen die Tyrannei 
des Denkens. Und da kommt es uns Mystikern zu Paß, wenn die 

3* 19 



Etymologen erzählen: Denken ist „machen, daß etwas scheint", 
es beschäftigt sich nicht mit dem "Wahren, sondern will wahr scheinen 
lassen, was gut dünkt. 

Es handelt sich für mich nicht darum, etwas gegen das Denken 
zu sagen. Niemand ist so blind zu verkennen, was der Mensch 
dem Denken schuldet. Aber welch eine Weisheit des Sprach-Un- 
bewußten, schon vor Jahrtausenden das Einseitige, Absichtliche, 
völlig Subjektive, Dogmatische dieser Funktion des Menschen fest- 
gelegt zu haben ! Die Sprache ist ehrlich geblieben, sie gibt zu ver- 
stehen, daß uns das Denken zu belügen sucht, wir aber machen 
uns im Gebrauch der Sprache selbst zu Unehrlichen, wenn wir das 
Denken rein nennen. Ich freue mich, daß das Wort Mensch nichts 
mit Denken zu tun hat, sondern mit Meinen; Meinen kann auch 
der ehrliche Mensch, im Denken hegt das überzeugenwollen, das 
Haschen nach Vorteil. Und es ist wohl kaum noch ein Zweifel 
daran: wir Europäer haben genug gedacht, wir sollten zum Meinen 
zurückkehren. 

Mitunter hat die Kunst versucht, den denkenden Menschen dar- 
zustellen; gemeinsam ist diesen absichthchen Darstellungen die 
Mühe, die das Denken nach Ansicht der Kunst bereitet. Meist 
werden Denker sitzend abgebildet, zusammengekrümmt und offen- 
bar dringend damit beschäftigt, etwas aus sich herauszupressen. 
Damit man nicht auf den Gedanken kommt, es handle sich um einen 
ganz andern aUtäghchen mitunter recht schweren Vorgang des 
Hervorbringens, sondern um eine Arbeit des Schädels, legt man 
den Kopf mit dem Kinn, als ob er schwer sei, in die Stütze der 
Hand. Dieselbe Gewißheit, daß nicht eine Tätigkeit iu den Regionen 
des Bauches vorgeführt werden soll, ergibt sich daraus, daß die 
Beine übereinander geschlagen sind: die in Betracht kommende 
Öffnung ist verschlossen. Die Kunst hält ebenso wie die Sprache 
das Denken für etwas gewollt Einseitiges; es ist nicht ein Streben 
nach Wahrheit, sondern der Wunsch, etwas Gedachtem den Schein 
der Wahrheit zu geben. 

In Florenz ist ein Bildwerk des Michelangelo zu sehen, das der 
Voltsmund il pensiero (der Gedanke) genannt hat; es ist die Grabmal- 
figur des jüngeren Lorenzo di Medici. Wir sind gewöhnt, pensare 

20 



mit denken zu übersetzen, aber icb bezweifle, daß ein Deutseber 
dieses Denkmal mit dem Wort „der Gedanke" bezeichnet hätte. 
Lorenzo sitzt freilich auch, er stützt sein Kinn mit der Hand, aber 
jede Spur des Krampfhaften, mit dem die heutige Kunst den Denker 
auszustatten pflegt, fehlt; pensare (von pendere) schließt das Ab- 
sichtliche des Denkakts aus, es ist ein Erwägen, der Kopf wird 
eher festgehalten als gestützt, das Pendeln, Wackeln soll verhütet 
werden. 

Das Denken wird jetzt überall, nicht nur bei den germanischen 
Rassen, betrieben, es gehört zu dem gewohnheitsmäßigen Sich- 
vordrängen des Worts und Begriffs Ich, wie es sich sprachlich schon 
darin ausdrückt, daß uns die Verb-Endung nicht mehr zur Personal- 
bezeichnung genügt, daß wir das „Ich, Du, Er" hinzufügen. Als 
ob das Ich nicht an sich mächtig genug wäre, im Guten und Bösen, 
als ob der Mensch dadurch größer würde, daß er die Welt in Natur 
und Mensch einteilt ; er bleibt doch nur ein Stück Natur. Je heftiger 
unser Wunsch ist, eine Welt außerhalb von uns exakt zu erforschen, 
um 60 tiefer werden wir in die Knechtschaft des Ichs geraten. 

Soviel ich weiß, kannte weder der Grieche noch der Römer das 
Denken. Der griechische Ausdruck lautet unter anderem noeo 
(voeco) = wahrnehmen, erkennen, Wurzel sncuo = winken. Die 
Lateiner haben das Wort cogitare = co-agitare = zusammen-trei- 
ben (agere). Also in beiden Sprachen ist etwas andres gemeint als 
in unserm Wort denken. Auch die neueren romanischen Sprachen 
haben ihren Wörtern penser, pensare die Bedeutung denken unter- 
schieben müssen, was nicht ganz gelungen zu sein scheint. Das 
englische to think ist eine Mischform aus den beiden alten Wörtern 
denken und dünken. Die alte Bedeutung von Denken — den Schein 
erwecken — hat sich bei uns in dem Wort Dünkel lebenskräftig 
erhalten. 

Wenn man ein Beispiel der doppelten Leistungen des Verdrängens 
geben will, so ist das Wort denken brauchbar : Denken ist das Ver- 
drängen der andern Wahrheit — vielleicht aus Dünkel ; dieses Ver- 
drängen hat uns zu Wissenshöhen geführt, wie sie wohl kein andres 
Zeitalter gehabt hat, es hat uns aber der andern Wahrheit, dem 
Weg und dem Licht und der Wahrheit entfremdet, hat zum großen 

21 



Teil die spezifisch europäischen Leiden herbeigeführt, die in gefähr- 
licher Weise unser stolzes europäisches Wesen zu zerstören drohen. 
Unser Gehirn ist nicht durch vieles Suchen nach Wahrheit über- 
arbeitet, sondern durch den Versuch, das Primitive, Zwiege schlech- 
tige, Mannbar-Kindhche, Meinende, Menschliche in uns zugunsten 
des Realen, Objektiven zu vernichten. Da der Mensch nicht aus 
seiner Haut heraus kann, mißlang die Vernichtung, und nur eine 
Verdrängung kam zustande, bei der das Verdrängte zu Gift ge- 
worden ist. — Man kann das an tausend verschiedenen Formen 
menschlicher Krankheiten nachweisen, am leichtesten bei Men- 
schen, die an Kopfschmerzen leiden: die beiden häufigsten Er- 
scheinungen, das Gefühl des Zerplatzens des Schädels und das Ge- 
fühl des Drucks auf den Schädel sind nach meinen Erfahrungen 
zu urteilen Symbole des Kampfs gegen die Geburt der primitiven 
Wahrheit im Innern des Schädels oder gegen die Befruchtung des 
wahrheitsempfänglichen Schädels von außen. Und die Unterleibler, 
die den halben Tag mit der quälenden Sorge zubringen: Werde ich 
Stuhlgang haben? War die Entleerung genügend in Menge, Form 
und Farbe? Oder: Wird mir, was ich aß und trank, bekommen 
oder drohen mir Durchfall und Bauchschmerzen? Oder: Wird die 
Periode rechtzeitig kommen, wird sie zu stark sein oder zu schwach, 
zu dunkel oder zu hell? sie alle denken, wollen etwas scheinen 
lassen, damit das andre Wahre in der Verdrängung bleiben kann. 
Wer sähe es nicht täglich, wie einer plötzlich in der Unterhaltung 
den Kopf stützt, weil er zu schwer wird oder wackelt, wie ein andrer 
die Beine übereinander schlägt, weil er viel zu verbergen hat und 
wenigstens der hintern Körperöffnung sicher sein will; mag der 
Bauch dann knurrend sprechen, sein Knurren ist unverständlich, 
kaum jemand weiß, daß Knurren auch Sprechen ist. 

Der Mensch heißt nicht Mensch, weil er denkt, sondern weil er 
meint; weÜ er ehrlich meint, ein Ich zu sein, weil er ehrUch mit 
allen Fasern seines Wesens meint, selbständig der Natur gegen- 
überzustehen, ein richtiger Mann mit der Potenz der Erektion und 
des Befruchteus, mit dem Glauben, Herr der Natur zu sein. Der 
Mensch hat Meinungen, das ist die Sache. Die Wurzel von Mensch 
ist „men — meinen". „Mein ist die Welt, mein das Werk, mein 

22 



die Tat", ist es nicht herrlich, daß der Mensch so empfindet, so 
meint, so spricht? Auf dem Glauhen an das Ich ruht die Menschen- 
■weit, und meinen kann nur der, der an sein Ich glaubt, der zu sagen 
wagt, das ist meine Meinung; denn auch das Besitzwort „mein" 
bringe ich auf die Wurzel men zurück, allerdings ohne dazu von 
der Sprachforschung autorisiert zu sein. 

Wenige Wurzeln sind einem phantastischen Ohr so gefällig und 
nachgiebig wie die Wurzel men — man. Da ist gleich das viel- 
gebrauchte und vieldeutige lateinische Wort mens (gr. menos, fZEvog, 
got. muns) mit allen seinen in der Wissenschaft so nützlichen Ab- 
leitungen, z. B. mental, dementia, über deren Bedeutungen sich 
niemand mehr den Kopf zerbricht. Die Engländer haben sich dar- 
aus das rätselhafte, wenigstens für den Ausländer rätselhafte, Wort 
mind gebildet und damit das Geheimnis der Begriffe Seele — Geist 
noch schwerer zugänghch gemacht, die Griechen (mimnesko, fufj,- 
vrjaxo}) und Lateiner (reminiscere) lassen Gedächtnis, Erinnerung 
daraus wachsen, was die Skandinavier in dem Wort Minne noch 
beutigen Tages tun. Man bedenke, welche Rolle die Lehre vom Ge- 
dächtnis des Organischen in der Wissenschaft spielt. Wir Deut- 
schen haben diese Bedeutung fallen gelassen, aber dafür das ganze 
unendliche Gebiet keuscher Liebe von Mann und Weib hinzugefügt, 
während der Holländer noch ein Stück der Geschlechtlichkeit mit 
hineingezogen hat. Gegen den Versuch, die Wörter gemein — mean 
— communis damit zusammenzubringen, sträubt sich die Etymo- 
logie mit Recht, wie es scheint. Gar die Silbe mein-falsch, lügnerisch 
(Meineid) von der Wurzel men-man abzuleiten wäre ein Vergehen. 
Aber wie ist es mit dem griechischen menis (firjvig) = Zorn? Der 
Zorn war der Antike nicht ohne weiteres Zeichen des Unverstandes, 
das Wort thymos {'&vfzog) — wir übersetzen es gar nicht so schlecht 
mit Gemüt — beweist das. Es ist verwandt mit lat. fumus — Rauch. 
In dem Wort thymos kUngt das Feuer der Leidenschaft mit, in 
dem Wort Gemüt der Mut. Für den Griechen war der Zorn etwas 
menschlich Wesenthches. Die Griechen haben noch eine andre 
Überraschung für uns : sie gebrauchten für unser Wort rasen maino- 
mai (fiaivo/xai), und wie es scheint sind alle Etymologen darin einig, 
mainomai vom Stamm „men-man" abzuleiten. Und mit diesem 

23 



Wort hängt nun gar das "Wort mantis (fiavTig) = Seher zusammen. i-^ 

Wer von uns kennte nicht den blinden Teiresias? Der Lateiner 
hat das Wort vates = Seher, unser Wort Wut hängt damit zu- 
sammen, während der Ausdruek haruspex zu unserm „Seher" hin- 
leitet. Welch seltsame Sache! Antikes Meinen verlangt für die 
höchste Weisheit die Raserei, die nordischen Völker das Sehen und 
beide das Sagen (prophetes, 7ZQ0<pi]Tf]g = Vorhersagen). Haben 
„rasen, sehen, sagen" engere Verwandtschaft miteinander, als man 
gewöhnlich glaubt? Sehen wir zu, ob uns der Künstler, der gewiß 
ein Rasender, Sehender, Sagender, ein Mantis, Seher, Prophet war, 
Michelangelo in seinen Propheten- und Sibyllenbildern eine zu- 
reichende Antwort gibt. 

Zunächst: kaum eines dieser Wesen hat die Beine übereinauder- 
gescUagen, kaum eines stützt den Kopf, keines denkt, alle wissen, 
aus Eigenem heraus oder aus Büchern; bei Jeremias, dessen Sonder- 
stellung ebenso wie die der persischen Sibylle durch die schon 
mannbaren Begleitfiguren betont ist, könnte man an Kopfstützen 
denken, aber er hält sich nur den Mund zu, er hindert sich selbst 
am Sprechen, ist mehr klagender Seher als Prophet. Allen ge- 
meinsam ist das Leidenschaftliche — Hesekiel ist sogar zornig , 

sie rasen alle. Das drückt sieh in Gesicht und Bewegung aus, ja 
es ist etwas hinzugefügt, was viel gewaltiger die Raserei zeigt, der 
Wind stürmt über sie weg und ihre Haare flattern darin. Was 
soll es mit dem Winde? Ist es der Sturm, in dem der schaffende 
Gott Michelangelos daherbiaust, wenn er Erde und Firmament 
trennt oder den Mann zum Leben wecken will? Oder ist es der 
Odem, mit dessen Hauch er Leben gibt? Ach leider, die Kunst 
Michelangelos antwortet nicht auf die Frage der Fragen, die heute 
wieder wie vor Jahrtausenden Menschen beim Suchen nach Meinung 
narrt, die Frage nach Geist und Seele. 

Ich hoffe, ein jeder, der die beiden Wörter braucht und darauf 
seine Theorien aufbaut, weiJ3, was er damit sagen will, aber be- 
gründen kann ich diese Hoffnung nur mit der menschenfreundlichen 
Gesinnung, an die mich mein Jahrhundert gewöhnt hat. Wirk- 
lich sehe ich nur eine heillose Verwirrung der Begriffe, die mit 
Wörtern verbunden sein sollten, und diese Verwirrung wird 

24 



durch das Einschalten griechischer und lateinischer Wörter nur 
schlimmer. 

Mit den Ausdrücken „Seele" und „Geist" ist wenig anzufangen, 
Seele ist im Neuhochdeutschen weiblich, Geist männlich; aber das 
hat keinen Wert. Geist, meint Kluge, hat vielleicht etwas mit alt- 
uord. geisa = wüten zu tun (got. us-gaigjan = außer sich bringen). 
Damit würde seine Bedeutung dem Stamm men-man, gr. mainomai, 
mania nahegerücfct; eine Sanskritwurzel hid (aus ghizd) = zürnen 
erwähnt er auch und beruft sich dabei auf das englische aghast 
= aufgeregt, zornig; das neigt sich dem Sinne nach dem griechischen 
thjTUGS ZU. (Man könnte sehr wohl annehmen, daß das primitive 
Meinen den Rauch für den Atem des zornigen Feuers gehalten hat.) 
Kluge weist bei dieser Gelegenheit daraufhin, daß „Geist" im Goti- 
schen ahma hieß, was von der Wurzel ah- herkommt und sich in, 
unserm „achten" lebendig erhalten hat. Das ist wichtig, weil die 
Wurzeln ah- und oq- zusammenhängen und sich an die Wurzel oq- 
der Komplex Auge — Sehen anschheßt. Geist tritt damit in Be- 
ziehungen zu dem Begriff „Seher". 

Mit dem Worte Seele ist, außer daß es bestimmt von Beginn 
an feminin empfunden wurde, nicht allzuviel zu machen: es kann, 
wie ich aus den Lexika herauslese, mit dem griechischen aiolos 
(aiöXog) = beweghch zusammenhängen. Das paßt mir gut, denn 
Aiolos {ÄioXog) ist der König der Winde, und Wind, Hauch scheint 
das Letzte zu sein, was sich über Seele und Geist sagen läßt; aller- 
dings haben aiolos und Aiolos verschiedene Akzente. 

Die Erwähnung des Windes bringt mich auf ergiebigeren Acker- 
boden; Wind ist im Griechischen anemos (avefiog)^ und das führt 
sofort auf das lateinische animus und anima, Geist und Seele, um 
deren Unterscheidung ganze Literaturen, nicht nur etymologische, 
entstanden sind. Da sind nun Männlein und Weiblein beieinander, 
die Stammwurzel lautet „an"-hauchen, atmen. 

Man sieht. Atmen — Wind — Hauch und Geist — Seele zeigen 
immer deutlicher ihre Zusammengehörigkeit, man möchte meinen, 
sie sind dasselbe. Und mit dem animus — Geist ist wieder der Zorn 
verbunden: animadverto ist tadeln, bestrafen, „ahnden", welch 
letzteres wieder von der Wurzel an- herstammt, also etwa un- 

25 



senu volkstümlichen Ausdruck „anhauclien^* angeglicliea wer- 
den mag. 

Das Lateinisclie hat noch ein andres Wort für Geist, bei dem 
der Zusammenhang mit dem Atmen viel leichter festzustellen ist: 
Spiritus; wir wissen alle, was dieses Wort in der Form Spiritus 
sanctus für die Entwicklung Europas bedeutet hat und noch be- 
deutet und für weitere lange Zeiten bedeuten wird. Denn selbst 
wenn wir uns nach und nach von der Bibel und Kirche abwenden 
sollten, was bisher doch höchstens eine Vermutung ist, dieses Funda- 
ment europäischen Lebens wird weiter bestehen und wirken, niag 
auch das Gebäude zertrümmert werden. 

Für meine Betrachtungen ist das Wort Spiritus besonders wert- 
voll. Zunächst hat das Unbewußte der Sprache und unseres Lebens 
es durch die Materialisation zum Alkohol mit dem Begriff des 
Rausches (Brausen des Windes) und des Zorns verquickt. Augen- 
blicklich wichtiger ist mir ein etymologischer Zusammenhang: 
Spiritus hat die Wurzel speis ^ blasen, hauchen, und von dieser 
selben Wurzel stammt das griechische speos {ojieog) =: Höhle, das 
im Lateinischen specus heißt; specus aber hängt zusammen mit 
specio = spähen mit seinen vielen Ableitungen, die im modernen 
Sprachgebrauch noch mehr unser Leben durchdrungen haben 
(z. B. Spiegel). 

Man darf sich wohl bei solchen Wurzelverwandtschaften gestatten, 
nach Sinnverwandtschaften zu suchen; mit welcher Höhle mag der 
Spiritus etwas zu tun haben? — Das zugehörige Verb ist Spiro, 
das sich in seiner Bedeutung atmen bis zum heutigen Tage im 
täghchen Leben der Sprachen oder wenigstens in der Sprache der 
Medizin erhalten hat. Damit sind die Ltingen (pulmones), weiter- 
hin die Brusthöhle mit dem spiritus verbunden, genau so wie die 
Wörter animus und anim^a. Im Griechischen entspricht dem spiritus 
sanctus das pneuma hagion {7ivEV/za äytov) {Hauch, Wind). Atmen 
(hauchen, wehen) heißt dort pneo(7iv£a>), und die Lunge ist pneumou 
(Ttvevf^oov). Auch pneuma hat in seiner Meinung etwas vom Zorn 
und Rausch, in der bibbechen Erzählung von der Ausgießung des 
Heiligen Geistes tritt die Flamme als Wahrzeichen des Geistes auf, 
auch das Reden in fremden Zungen mag hier als Wirken des Geistes 

26 



II 



erwähnt werden. — Im Mittelhochdeutschen wird das pneuma 
hagion beilege atem genannt, im Althochdeutschen wiho ätum. 

Aus alledem geht hervor, daß zum mindesten den Völkern, die 
für die europäische Lebensauffassung verantwortHch sind, Atem 
Symbol des Geistes ist, d. h. für ihr tiefes Menschliches ist beides 
dasselbe. Dazu kommt noch, daß die fremde hebräische Meinung 
ebenfalls Atem, Hauch als Symbol des Geistes braucht, also mit dem 
ganzen Gewicht der biblischen Denk- und Sprechweise das dunkle 
Wesen dieser symbolischen Auffassung noch verstärkt. Das Wort 
für den Geist Gottes, der über den Wassern schwebt, lautet, wie 
ich mir sagen ließ: ruach. 

Soweit lassen sich die Dinge leicht verfolgen, aber es bleibt eine 
Schwierigkeit : alle die erwähnten Sprachen haben noch einen zweiten 
Ausdruck mit der Bedeutung Atem und Hauch, mit dem sie eben- 
falls menschlich Lebendiges im Gegensatz zum menschlich Leb- 
losen bezeichnen: die Hebräer das Wort nefesch (der Odem Gottes, 
den er dem ersten Menschen einbläst, wird so benannt), die Griechen 
psyche (v*'^*?)» <iie Lateiner anima; von dem deutschen Seele ist 
der Zusammenhang mit Atmen nicht nachgewiesen, es muß also 
dahingestellt bleiben, ob wir auch diese seltsame Zweiheit haben, 
ob Seele eine richtige Übersetzung von anima und psyche ist. 

Ich werde mich auf die nutzlosen Untersuchungen über Unter- 
schiede zwischen Seele und Geist, anima und animus, ruach und 
nefesch, psyche und pneuma nicht einlassen, höchstens könnte ich 
auf das Märchen von der Ehe zwischen Eros und Psyche hinweisen, 
aber das eine halte ich für bewiesen, daß für den Menschen Atmen 
und Geist-Seele symbolisch dasselbe ist. 

Alle Untersuchungen über Geistig-SeeHsches sind in einem wesent- 
lichen Teil unvollständig, solange sie die Tatsache nicht berück- 
sichtigen, daß bestimmten Schichten des Unbewußten Geist-Seele 
dasselbe ist wie Atmen. Das Verständnis für gesundes und krankes 
Verhalten des Atmens und der Atemwerkzeuge wird mangelhaft blei- 
ben, bis wir begreifen, daß Atmen dasselbe ist — für die Wächter über 
Gesund- und Kranksein, die das Es aufstellt — wie Geist-Seele. 

Es ist nicht schwer zu erraten. — ob freilich die Lösung der Frage 
richtig ist, wissen die Götter — , warum das primitive Meinen des 

27 



MenschlicKen Atmen und Geist-Seele zu gegenseitigen Symbolen. 
gemacht hat; für dieses Meinen beginnt das Leben beim ersten 
Atemzuge und dauert, bis die Seele ausgebaucht ist. Man denke 
nur au die mittelalterlichen Bilder, die das Sterben darstellen, wie 
da die Seele, mitunter noch mit einem Zettel verseben, ausgeatmet 
wird, und selbst Goethes Mephistopheles hält es noch für gut, am 
Munde des toten Faust zu lauern, bis dessen Seele erscheint. 

Wie die Seele — oder der Geist oder beides — in den Menschen 
hineinkommt, wußte die Kunst freilich nicht, aber die Wiesenschaft 
weiß es auch nicht. Der Primitive meint, die Gottheit blase die 
Seele ein, wir Wissenden erzählen etwas vom Ei und Spermatozoon 
und Tropismen, von Chromatosomen und Genen und beschreiben 
auf den Universitäten und anderswo einen höchst verwickelten 
Vorgang, der Befruchtimg genannt wird, aber dahinter steckt zu- 
letzt doch die Gottheit, die macht, was sie will. Wir reden gelehrter 
über diese Vorgänge, aber es bleibt dabei, daß zur Entstehung des 
Menschen eine Höhle gehört, in die etwas hineingebracht wird, was 
die Eigenschaft der Ewigkeit hat, zum wenigsten keinen Anfang 
bat, es sei denn Gott, und aus der es verändert und doch auch un- 
verändert wieder herauskommt. Und es bleibt dabei, daß Ge- 
bärmutter und Brusthöhle symboKsch gleich sind, daß Atmen 
und Begatten eng zueinander gehören: im Ein und Aus und im 
Lebendigwerden in der Höhlung. Ja, plötzlich merken wir, daß, 
was von Gebärmutter und Brusthöhle gilt, auch für den Bauch 
oder den Schädel oder das Auge oder das Ohr symbolische Wahr- 
heit ist, ja daß die Höhlung nicht einmal nötig ist, sondern daß 
überall im Menschen Kind entsteht, weil überall Weiblich und 
Männlich ist, weil alles Menschliche die heilige Dreiheit von Mann, 
Weib und Kind enthält, mag dieses Menschliche nun vom Tages- 
leben geistig-seelisch oder körperlich genannt werden, mag es eine 
organische Funktion, etwa die der Verdauung oder des Kreislaufs 
sein, oder mag es sich um Denken, Dichten, Lieben, Kuponschnei- 
den, Autofahren oder Mitteilen hoher Weisheit handeln. 

Daß der Wind in die Symbolik Geist — Atem mit hineingezogen 
ist, bedarf keiner Erklärung: das Blasen des mütterlichen Atems, 
auch des eigenen, gehört zu den ersten Eindrücken des Neugeborenen. 

28 



Ob das Kind im Mutterleibe LebensgefüM bat, weiß ich nicht, 
sicher wäre es aber weseatlich anders als nach dem ersten Atem- 
zuge; von dem Moment der Geburt an verbindet sich die Erfahrung 
I^ben mit der Erfahrung Atmen, mit dem Meinen : Atmen sei Wind, 
blasender, wehender Wind. Der erste Atemzug gibt neues Leben, 
das bleibende Leben, so ist also der Mensch Geschöpf des blasen- 
den, wehenden Windes. Das ist der nefesch der Eloim; der Fruh- 
lingswind aber, der den Winter verscheucht und Blatt und Blüte, 
beides sprachlich Abkömmlinge des Blasens, erzeugt, ist der Geist 
Gottes über den Wassern „ruach". Diese Symbole sind in unserm 
Unbewußten verwurzelt — in Florenz hängt Botticellis Bild der 
Prima Vera mit der vom Wind geschwängerten Göttin und des- 
selben Malers Aphrodite Anadyomene, die von den Winden zum 
Lande ihres Wirkens getrieben wird — , wir können nichts andres 
tun, als das Wirken dieses Windsymbols anerkennen ujid es in 
unserm Urteil über gesundes und krankes Menschenleben ver- 
wenden; das aber können wir. 

Der Wind wohnt nach alter Auffassung in der Höhle ; wie könnte 
68 auch bei seiner Symbolik anders sein? Zeugen und Gebären ist 
dasselbe — das hat sich in den Sprachen bis zum heutigen Tage 
lebendig erhalten — ,Zeugen und Gebären sind Tun des Chaos, der 
Urhöhle; Worte wie Urmund, Blastula, Gastmla beherrschen noch 
die junge Wissenschaft der Embryologie. 

Ich habe nichts darüber gefunden, ob das griechische blastano 
{ßXixarav(o)i blaste (ßXaatt]) = keimen, keimen lassen mit Blasen 
des Windes etwas zu tun bat, ich nehme es aber an; sicher ist 
nach Angabe der Sachverständigen, daß Blatt und Blüte mit Blasen 
zusammenhängen, und ebenso scheint man darüber einig zu sein, 
daß das lateinische flare = wehen, blasen mit seinen Ableitungen 
flatus = Wind, Blähung und folium = Blatt damit verwandt sind, 
vaelleicht auch flere = weinen, ebenso flos = Blüte, Blume, und 
florere = blühen; auch follis := Ledersack, Blasebalg gehört dahin; 
folium soll dasselbe sein wie das griechische phyllon [q:ivXXov) von 
der Wurzel hei = schwellen, strotzen. 

Bis hierhin geht der Etymologe einen Weg, der ausgezeichnet 
zu meinen Meinungen paßt, und man könnte sich damit begnügen: 

29 



die Lebensgebiete, die so in den Bereicb vom Atmen gezogen sind, 
haben beträcbtliclie Ausdehnung. Aber vielleicht kann man noch 
einen Schritt weiter gehen, selbst auf die Gefahr hin, dem Chaos 
zu verfallen, und wenn mich nicht alles täuscht, drängt das Un- 
bewußte der Etymologie vorwärts; nur Scheu vor dem Hände des 
Abgrunds, eine Art Schwindelgefühl, hält die Kombinationen auf. 
Während ich mich in den verschiedenen Lexika über die Wurzel 
des Worts „blasen" umtat und dabei den lateinischen, nah ver- 
wandten Ausdruck flare fand, fiel mir ein, wie hübsch es wäre, 
wenn man eine Verbindung zu flagrare und Flamme finden könnte. 
Denn Wind und Flamme, Atem und Feuer schienen mir zusammen- 
zugehören. Zunächst mißlang das, dafür stellte sich aber heraus, 
daß fluere = fließen dieselbe Wurzel hat wie flare, nämhch bhle 
(bei, belg) ^= strotzen, schwellen. Das gefiel mir, zimial sich auch 
ein griechisches Wort phlyo, phleo {^lv(o, (pX^cü) = wallen, über- 
fließen, strotzen dazugesellte, was wiederum zu flumen ^^ Fluß 
führt. Dann fiel mir auf, daß in dem Wort folium, dessen Ver- 
wandtschaft mit flos = Blume und dem deutschen Blatt und Blase 
anerkannt zu sein scheint, die Stellung des I gewechselt hat, was 
aber nicht hindert, daß es zu der Wurzel bhle gehört. Das führte 
mich schon dicht an flagro, gr. phlego, phlox {(pXEyoi, (fXo^) = bren- 
nen, Licht heran, nur das g störte noch, Aber dieses g kannte 
ich schon aus Nachforschungen über das Auge und die Hoden; 
dabei hatte sich herausgestellt, daß bhel und bhelg dasselbe sind 
und schwellen bedeuten (noch heutigentags in dem englischen 
bellows = Lungen, ballocks = Hoden und in dem deutschen Dia- 
lektwort beigen enthalten). Damit ist für mich die sprachliche 
Verbindung Blasen (Wind, Atem) und flagrare — flamma (brennen, 
Feuer, glänzen) hergestellt. Wahrscheinlich würde ich lediglich auf 
andre Assoziationsreihen hin diese Annahme in meinen Mitteilungen 
ausgesprochen haben, aber es ist angenehm, sich schon vorher gegen 
kommende Angriffe hinter der dicken Mauer lexikaler Autorität 
zu decken. 

Die Versuchung, noch einen Schritt weiter zu gehen, ist zu groß, 
um ihr zu widerstehen; ebenso wie die Brusthöhle Tummelplatz 
der symbolischen Liebeespiele, des Zeugens und Schwelleua und 

30 



Schwangerseins und Gebarens, des Werdens und Sterbens von Wind 
— Atem — Geist ist, kann man das auch vom Bauch sagen, nur 
tritt an Stelle der Gleichung Wind — Atem — Geist die andre, 
Nahrung — Eesen — Kot und Samen — Begatten — Kind. Vielleicht 
besteht aber auch eine etymologische Verwandtschaft: Wind heißt 
im Lateinischen ventus (beide haben die gleiche Wurzel we-), 
Bauch heißt venter; für ein harmloses Ohr klingt ventus und venter 
ähnlich, zumal für das deutsche Ohr, das den Ausdruck Wind für 
die Bauchgase kennt. Ja, wir sprechen auch von Blähungen, vom 
Aufgeblasensein des Bauchs, genau eo, wie der Lateiner und der 
gebildete Mediziner vom flatus spricht : blähen ist aber das Stamm- 
wort von blasen (flatus, flare), blähen ist anschwellen lassen — 
der Wind bläht die Segel. Und was könnte den Urmenschen wohl 
mehr im Tiefsten bewegt haben als die Schwangerschaft, die den 
Bauch des Weibes durch das Kind (Balg) aufbläht? Der Etymo- 
logie freihch mag solches Laiengeschwätz unerträglich sein, sie leitet 
venter von derselben Wurzel ab wie vesica (skrt. vastis); aber wein 
fallt dabei nicht ein, daß vesica bei uns Blase, Harnblase heißt, 
daß wir das Wert Blase aber ebensowenig auf die Harnblase be- 
schränken wie der Lateiner vesica? Ja, meist ist das Wort Blase 
für eine mit Luft (Wind) gefüllte, abgeschlossene Höhlung in Ge- 
brauch, für eine Axt Blähung, eine Luftblase. Der Engländer würde 
noch heutigentags den Bauch belly = Blasebalg nennen, wenn ihm 
sein Anstandsgefühl erlaubte, ein so unanständiges Wort zu ge- 
brauchen. Für das deutsche Wort Bauch scheint man bisher noch, 
keine weit zurückgehende Wurzel gefunden zu haben ; daß ein Bauch 
aber gewisse Ähnlichkeiten mit einem Balg — auch im Klang der 
Wörter — hat, läßt sich behaupten, (Das deutsche Wort Bulge 
= Wasserbehälter aus Leder ist verwandt mit Balg, Wurzel bhelg 
oder bei = schwellen, und der Engländer nennt den Bauch eines 
Fasses bilge, bulge, der Franzose bouge und der Mittellateiner bulga.) 
— Eine andre deutsche Bezeichnung für Bauch ist Wanst, das 
etymologisch mit skrt. vasti ^ Harnblase und vanisthu = Ein- 
geweide und mit lateinisch venter zusammenhängen soll. Auch das 
Wort Wamme, aus dem das enghsche Wort womb = Gebärmutter 
hergeleitet wird, bedeutet zunächst Bauch; ob es mit Wanst zu- 

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sammenliängen kann, entzieht sich meiner Kenntnis. Der Begriff 
der Höhle, in der der Mensch gezeugt wird, verbindet es mit allem, 
was bisher besprochen wurde. 

Mein Suchen nach dem, was Geist und Seele sei, hat wenig Er- 
folg gehabt, und so wird es wohl allen gehen, die etwas darüber 
wissen wollen, statt sich mit dem Meinen zu begnügen. Trotzdem 
muß ich dem Gefühl Ausdruck geben, daß mein eigenes Meinen 
von Menschengeist und Menschenseele bei diesem Durchstöbern von 
Wortverwandtschaften bereichert worden ist, wie ich es anfangs 
nicht erwartet habe. Es haben sieb in mir Vorstellungen über 
Symbole des Werdens und Vergehens, des Lebens und Sterbens, 
des Zeugens, der Schwangerschaft und des Gebarens, des doppelten 
Geschlechts und der Kind-Mannbarkeit befestigt, deren Tragweite 
für Leben und Handeln, besonders für ärztliches Handeln im weiteren 
Verlauf dieser Mitteilungen sich zeigen soll. 

Die Sprache faßt Geist und Seele als Erscheinungen ein und des- 
selben Geschehens, des Atmens, auf, aber sie denkt bei dieser Gleich- 
setzung nur an das Atmen mit den Lungen, beide, Geist und Seele, 
bestehen nur von der Geburt bis zum Tode, die Sprache kennt 
weder Seele noch Geist bei der Frucht im Mutterleibe, bei der Leiche 
im Grabe; und doch weiß sie, daß Leben schon in der Frucht ist 
und daß im Tode schon neues Leben haust, fremdartig wie der 
Wind: man weiß nicht, von wannen er kommt und wohin er geht. 

Das ist das eine: Geist — Seele sind nicht zweierlei, sondern nur 
zwei Richtungen einer Bewegung; wenn sie in zivilisierten Kulturen 
noch etwas andres bedeuten als leeren Schall, so können es nur 
Reste von dem symbolischen Leben der primitiven Kultur sein, 
der sie das Hinein und Hinaus des Atmens, des Zeugens und Ge- 
barens waren, das Entstehen des Menschen durch die Empfängnis 
und sein erstes Sterben bei der Geburt, sein Lebenseintritt mit dem 
ersten Atemzug und sein Scheiden vom Leben im Tode. Das volle 
Leben in diesen Symbolen des Zwiegeschlechts muß freilich schon 
früh unverständlich geworden sein, sonst ließe sich die auffälHge 
Unterscheidung der Wörter in Maskuhn und Feminin nicht er- 
klären; nur in dem Neutrum pneuma hat sich das Doppelgeschlecht- 
liche erhalten. Und obwohl die Wörter Geist und Seele unsrer 

32 



Sprache unentbehrlich geworden sind, wird man doch gut tun, keine 
Gegensätze in sie hineinzulegen, ja eich von Zeit zu Zeit klar- 
zumachen, daß beiden Wörtern kein Sinn mehr innewohnt. Wir 
besitzen ein neutrales Wort, das lautet Leben. In ihm vereinigt 
sich Geist — Seele — Körper. 

Den besten Beweis, daß dem so ist, gibt die darstellende Kunst; 
sie vermag, wenn anders sie Kunst genannt werden darf, weder 
Geist noch Seele noch Körper darzustellen, sondern nur Leben; 
selbst den Leichnam muß der Künstler lebendig malen. Und auch 
das Leben erscheint in der Kirnst nie anders als im Symbol des 
Menschlichen, des meinenden Mann- Weib -Kindes. 

In der Galleria Borghese in Rom hängt ein Bild des Sassoferrato, 
„Die drei Lebensalter« genannt (Taf. 3). Die Anziehungskraft, die es 
auf den Beschauer ausübt, ist bedingt von dem Symbol des Kindlich- 
Mannharen und Männlich -Weiblichen und dem andern, dem Ewig- 
keitssymbol des Stirb und Werde. Im einzelnen ist das Gemälde reich 
an größtenteils woM unbewußter Symbolik. — Das Lebensalter 
der Kindheit zeigt drei Knaben; zwei davon (Testikel) schlafen, 
während der dritte in die Höhe strebt, er allein trägt die Flügel 
des Phallus. Er hält sich an einem Baumstamm, neben dem noch 
der in Kerbenform abgehauene Stumpf eines zweiten steht. Noch 
schlummert die Zeugungskiaft der Testikel, aber die Fähigkeit zur 
Erektion ist wie bei allen Knaben vorhanden, und die Erregung, 
die zur Erektion führt, wählt sich wie immer als ausreichenden 
und entschuldigenden Grund das Verhalten des Mannes, dessen 
ragende Kraft (der Baum) dem kindlichen Triebe Ansporn ist. 
Dahinter freihch droht in dem Stumpf die Angst vor dem Verlust 
des Phallus, die Kastrationsangst, wie es die Psychoanalyse komi- 
scherweise genannt hat, obwohl es sich um eine Angst vor voll- 
ständiger Verstümmelung, mutilatio, handelt, nicht bloß um Fort- 
nehmen der Hoden. Die Einkerbung des Stumpfendes erzählt von 
dem seltsamen Ideengang, den aUe Kinder einmal verfolgen, daß 
die Kerbe des Mädchens durch Mutilation entstände. — Auf der 
andern Seite des Gemäldes sieht man ein Liebespaar. Das Mäd- 
chen, mit der Blume im Haar geschmückt (sie ist mannbar), 
ist wie Eva der anreizende Partner: in der Linken hält sie die 

3 Gioddeok, Det Mensch als Symbol 33 



Flöte, die von dem Manne her aufragt, ein zweites Rohr führt sie 
zum Munde, gemäß der bekannten Gleichstellung der Muudöffnung 
mit der Geschlechtsöffnung. Sie ist ganz bekleidet, während der 
Mann fast nackt ist; trotzdem ist sie als beginnender Teil gedacht, 
das Weib, nicht der Manu, leitet das Flötenspiel der Liebe, nur 
daß sie den Anschein zu erwecken versteht, als sei der nackte Adam 
der Verführer; so ist es von jeher gewesen, so wird es auch bleiben, 
und mit Recht. Im Sündenfall, der gewiß kein Sündenfall war, 
sondern nur zum Besten menschlichen Lebens gedichtet wurde, 
weil ohne Schuldgefühl auch aller Stolz und alles Menschenempfinden 
tot bleiben würde, ist das Weib unschuldig schuldig: der Phallus 
lockt sie, die Schlange des Manns. Daß aber die Gabe der Ver- 
wandlung des Gliedes in den Phallus nicht dem Weibe gut, beweist 
das Bild der Kindheit mit dem hochkletternden Eros, die Erregung 
kommt auch ohne Weib zustande. — Die Sage vom Sündenfall ist 
charakteristisch für das Verhalten der Geschlechter dem Schuld- 
gefühl gegenüber: so plump, wie Adam die Schuld auf das Weib 
abwälzt, kann nur ein Mann handeln, so ganz frei von wirkendem 
Schuldgefühl und so einsichtig in den natürhchen Lauf der Dinge, 
wie es Eva ist, kann nur das Weib sein. Beide Arten der Ent- 
schiddigung lernt und verwendet das Kind, nur ist es doppelt so 
plump wie der Mann und doppelt so gewissenlos wie das Weib ; wer 
ein einziges Mal sich die Mühe gegeben hat, den Verlauf eines ge- 
schlechtlichen Traumas bei Kindern zu verfolgen, unvoreingenom- 
men und vorsichtig, wird zweierlei feststellen können: zunächst, 
daß derartige Traumen bei jedem Kinde tagtäglich vorkommen, 
und dann, daß das Kind den Schrecken der Erwachsenen vor diesem 
täglich xmbewußt verübten Traiuna genau kennt und zu bestimmten, 
ihm im Augenblick wichtigen Zwecken benutzt; wenn man das 
wüßte und beachtete, würde die vielberedete Geschlechtsneuroae 
der Neuzeit bald andern Krankheitsformen weichen; sie beruht 
nicht auf dem Traimia des Geschlechtslebens, sondern auf der be- 
wußten Lüge des Kindes, das sich schuldlos stellt, während es 
genau weiß, daß es selber das Trauma veranlaßt hat. Wüßte das 
Kind, welche verheerende Anklage es erhebt, so würde es schweigen, 
wie es so oft schweigt. Aber es kennt die Folgen seiner Lüge nicht, 

34 



sieht diese Folgen erst später in all ilirer Furchtbarkeit: an diesen 
Folgen, die es völlig bewußt seiner leichtfertigen Lüge — oder soll 
man es Verstellung nennen — zuschreibt, erkrankt es, nicht an 
dem Trauma. Kinder sind wissend von Natur, sie lernen aber erst 
durch Erfahrung, daß sich Heuchelei bei den wahrhaftigen Naturen 
immer rächt. 

Zurück zu dem Bilde! Unterhalb des Liebespaares sind in drei 
Gruppen Blumen gemalt: am weitesten rechts sind es drei, zwei 
dicht aneinandergedrängt, die dritte deutUch isoliert. Die Nähe 
des Liehespaars legt die Deutung der Dreizahl als Symbole des 
männlichen Zeichens nahe. Glied und Hoden sind im Kindheits- 
zustande dargestellt. In der mittleren Gruppe steht die dritte 
Blume, die Kepräsentantin des GHedes, entfernt von den beiden 
andern, der Manneszustand ist eingetreten, es sind die Testikel und 
der Phallus. Gerade unter der Stelle, wo das Mädchen die eine 
Flöte auf den Leib des Mannes setzt, ist wiederum eine Gruppe 
in deutlicher Phallusform dargestellt, aber jeder Teil der Dreizahl 
ist von zwei Blumen gebildet, offenbar in starker Betonung der 
Zeugungskraft. Eine vierte Gruppe zählt nur zwei Blumen ; sie stehen 
genau in der Verlängerungslinie des linken Männerfußes. Ihr Sinn 
wird klar, wenn man die Linie weiter verfolgt: man stößt dann 
auf das ausgestreckte Bein des Greises, des Repräsentanten des 
absterbenden Lebensalters, und auf diesen Greis müssen sie be- 
zogen werden. Das Doppelsymbol der Zeugungskraft — der Maler 
braucht, wie eben beschrieben wurde, die Zweizahl als Gleichnis 
der Testikel — ist durch Entfernung und Bodengestaltung so weit 
von dem Greise getrennt, daß er es nicht einmal mehr wahrnehmen 
kann. Der Greis ist der Zeugungskraft berauht, kümmert sich auch 
nicht mehr darum; ja er kümmert sich auch nicht mehr um Mann 
und Weib, nur seinen Erinnerungen, den toten Gestalten seiner 
Phantasie, gehört seine Teilnahme. Er ist der Kindheit im Bilde 
ganz nahe gerückt, wie das Kind besitzt er noch die Erregungs- 
fahigkeit — die Haltung des gestreckten Beins beweist das — , aber 
diese Erregungsfähigkeit ist ohne lebendige Zukunft. Zwei Knochen 
liegen neben ihm, der eine lang, der andre zerbrochen, genau ent- 
sprechend den Bäumen der Kindheit, und umgeben ist er von 

3* 35 



TotenscHädelu, deren leere Äugenhöhlea stark licrvorgcliobeii sind, 
um, von der Taubheit der Greisenhoden zu erzählen. — Hinter dem 
Greis ist, behütet und eingeschlossen von zwei jugendlichen Ge- 
stalten, deren eine sitzt, während die andre steht, die wimmelnde 
Herde des Menschenvolfcs dargestellt, und zum fernsten Hinter- 
grund strömt der Fluß der Fruchtbarkeit dem mütterlichen Meere zu. 
Man geht wohl nicht fehl mit der Annahme, daß die Absicht 
des Bildes ist. Urmenschliches so einfach wie mÖgHch zu malen. 
Leben ist dargestellt in der Form des Triebes. Aber niemand würde 
bei diesem Bilde versuchen, Geist und Seele zu trennen; die an- 
gebliche Kraft dieser Wörter versagt hier. Ja selbst die Landschaft 
gibt Meinen des Menschen wieder, nicht Denken und auch nicht 
Fühlen; sogar die Totenknochen werden lebendig in der Phantasie 
des Alten, so daß auch das Körperliche in die Einheit des Mensch- 
lichen verschmolzen ist. — Die besondere Eigentümlichkeit des 
Bildes ist, daß in ihm Männliches wird, ist und vergeht, während 
das Weibliche, in einer einzigen Figur gezeigt, weder entsteht noch 
vergeht, sondern unverändert immer ist. 



36 



Wenn ich auch zugebe, daß Schlüsse ans etymologischen Ver- 
wandtschaften der Wörter auf Sinneszusammenhange der Begriffe 
keinen großen Wert in dem Urteil des Sachverständigen hahen» so 
meine ich doch, vielleicht weil ich Dilettant hin: Das Sprach- 
mibewußte hat einst Geist-Seele und Atmen als dasselbe, als sym- 
bolisch gleich empfunden; das würde heißen, daß für das sprach- 
schaffende Meinen, zum mindesten in diesem speziellen Falle, 
wesentliche Unterschiede zwischen körperlichem und seelisch- 
geistigem Handeln nicht bestanden. Meine Meinung, daß solche 
Unterschiede für das menschliche Unbewußte auch jetzt nicht be- 
stehen und nie bestehen werden, kann erst nach und nach begründet 
werden. Aber ich halte es für zweckmäßig, ab und zu daran za 
erinnern, daß für mich Geist-Seele und Körper Erscheinimgsformen, 
Diener des Es sind, das sich je nach Gutdünken einmal mehr kör- 
perlich, ein andermal mehr seelisch-geistig offenbart, immer aber 
lebendig ist, d. h. beide Funktionen gleichzeitig verwendet. Eine 
Untersuchung, was die Sprache unter Körper versteht, wird meine 
bisherigen Mitteilungen verdeutlichen. 

Das Wort Körper verändert, so scheint es, langsam seinen Sinn, 
die Neigung, Totes damit zu bezeichnen, wächst, ja im Englischen 
ist man schon soweit, daß man den toten Menschen corpse benennt; 
aber auch im Deutschen laßt sich die Bedeutungsänderung fest- 
stellen. — Vielleicht ist sie bei uns am deutlichsten in der Mathe- 
matik, die ja merkwürdigerweise so entscheidend bei der Mechani- 
sierung des Lebens und bei dem Verdrängen des Meinens zugunsten 
des Denkens mitgeholfen hat; gerade diese Wissenschaft denkt 
nicht in den Grundschichten, sondern meint, und heute ist sie in 

37 



ihren höheren Schichten klare und reine Phantasie geworden. Sie 
kehrt in die Sphäre des Symbols zurück, in der sie früher unum- 
schränkte Gebieterin war. Vermuthch sind die Zeiten nicht mehr 
fern, wo man auch ira täghchen Leben einsehen wird, daß Mathe- 
matik nicht Sache des Gehirns ist, sondern Werkzeug und Wirken 
des Alls und des Es ; die Embryologie beweist, daß längst ehe ein Ge- 
hirn entsteht, das befruchtete Ei spielend die schwierigsten mathe- 
matischen Aufgaben löst, die Mineralogie zeigt es in der Lehre von 
den Kristallen, daß Mathematik außerhalb dessen ist, was wir ge- 
wöhnlich Leben nennen, ja, man braucht nur einmal zu sehen, wie 
sicher ein Hund die Schnelligkeit der Automobile berechnet, um 
zu begreifen, wie niedrig man die Mathematik einschätzt, wenn 
man sie als logisches Denken auffaßt. 

Nach dieser Abschweifung, die mit dem Gewicht ihres Inhalts 
entschiddigt werden mag, komme ich auf das etwas rätselhafte 
Wort Körper zurück. Daß es aus dem Lateinischen übernommen 
worden ist, steht fest; ebenso sicher haben schon vor dieser Über- 
nahme im deutschen Sprachschatz Wortbildungen existiert, die von 
der gleichen Wurzel stammen. Diese Wurzel lautet qrep-, querp- 
und ist aus quer (bilden, gestalten) entstanden. Im Sanskrit gehört 
dazu karoti und karman = Werk, auch kalpate = er paßt (gr. 
prapis, noamg = Zwerchfell — Sitz des Verstandes) und krp 
= Gestalt. Althochdeutsch lautet das Wort href = Leib, wozu 
angs. hrif gehört, und das ist bezeichnenderweise der Mutterleib: 
ein treffenderes Gleichnis für gestalten, ordnen kann wohl kaum 
gefunden werden. Aus dieser den Sprachen gemeinsamen Be- 
deutung des Ordnens und Gestaltens — Wörter wie corporation, 
Corpsgeist haben den Sinn von Ordnung beibehalten — schließe ich, 
daß dem Wort Körper kein Gegensatz zu Geist-Seele ursprüngUch 
innewohnt, sondern daß man diesen Gegensatz nach und nach 
aufgerichtet hat, um Leben und Tod voneinander zu trennen und 
sagen zu können: das Fleisch stirbt, aber der Geist dauert. Mir 
scheint der Gedanke unwissenschaftlich zu sein, widerlegt von 
menschlichem Meinen und Wissen, aber es wird schwer sein, unserm 
Kulturleben den Sinn des Heraklitschen panta rhei {jiavra qei) 
als wirkende Wahrheit wiederzugeben. 

38 



Der Gedanke, daß der Körper vergänglich sei im Gegensatz zu 
der Unsterbliclikeit von Geist-Seele, kann nicht sehr alt sein; wenig- 
stens spricht dagegen die deutsche Bezeichnung für Körper „Leib". 
In früheren Zeiten bedeutete Leib Daxier, Beharren (zusammen- 
hängend mit bleiben — bileiban, gr, liparein [XiTzageiv'j^). Man 
nimmt an, daß der Begriff des Klebens damit zu tun hatte. Das 
Wort „Leben" (engl, Ufe und live, dazu gehört auch leave = be- 
stehen lassen) hat dieselbe Wurzel lib- (leip, Hp, lei, li). Das 
sonderbare Leib-Seelenproblem, von dem jetzt soviel die Rede ist, 
bestand, scheint es, für andre Kulturen nicht, für sie gab es nur 
die Einheit: Körper, Leib; aber es scheint eine zu starke Zumutung 
für die Zeitgenossen zu sein, diese menschlich naheliegende An- 
schauung wieder aufzunehmen. Das ist um so seltsamer, als gewiß 
dem christhchen Dogma die Auferstehung des Fleisches selbstver- 
ständlich ist. Offenbar hat man aus der unwiderstehlichen Sucht, 
Denkstoff zu bekommen, eine Trennung vorgenommen, die allem, 
was wir wissen und meinen, widerspricht. 

Im Holländischen hat sich statt des Wortes Leib noch die alte, 
auch im Deutschen früher gebräuchliche Bezeichnung licham er- 
halten, während im Neuhochdeutschen es nichts Lebloseres gibt als 
einen Leichnam. Bei der Denkernation ist nur in dem Worte 
Leichdorn — Hühnerauge noch die Spur des alten tröstenden Glau- 
bens an Dauer und Leben geblieben. „Gleich", das in der deutschen 
Sprache mit der Endung „lieh" so reichlich vertreten ist, hängt mit 
Leiche eng zusammen (ahd. gihk), es bedeutet „einen übereinstim- 
menden Leib haben". 

Aus besonderen Gründen, die erst volle Bedeutung bei der Be- 
sprechung des Begriffs und Wortes „Weib" bekommen werden, 
hebe ich die Ableitung der zweiten Silbe in „Leichnam" hervor: 
sie ist nach Kluge ein uns verlorengegangenes Nomen hama-, 
haman- mit der Bedeutung Hülle (in dem Wort Hemd lebt es noch 
in der Sprache). Das Umhüllen klingt leise an, die wichtigste 
Iiebens- und Leibesfrage der Geschlechter und der menschlichen 
Zwiegeschlechtigkeit : das weiblich zu deutende UmhüUen der zwei- 
ten Silbe verführt zu der Meinung, daß in der ersten Männliches 
enthalten sei. 

39 



Beim Verfolgen dieser Wunschmeiniing gerate ich an das eng- 
lische body = Körper, Leib, über dessen Etymologie noch Un- 
gewißheit zu bestehen scheint; unter anderna nimmt man eine Ver- 
wandtschaft mit unserm Bottich und Bütte an, wodurch body 
ebenfalls zu einer Art Hülle (Schlauch, Faß, lat. budina, gr. pytina, 
TivTiva) würde. In einem gälischen Lexikon findet sich eine Ver- 
mutung, daß body von dem gälischen bod komme, das das männ- 
liche Glied bedeutet. Einige Autoritäten, berichtet das Lexikon, 
vermuten eine Verwandtschaft des gälischen bod mit Buddha, sie 
erzählen bei dieser Gelegenheit folgende Geschichte, die von einem 
der Hindu-Paranas herkommt: Während der Flut schlief Bramah 
und die Zeugungskräfte der Natur waren auf ihre Urelemente 
zurückgebracht, auf „the Bod und the Pita". The Pita nahm die 
Gestalt eines Schiffkiels (huff) an und the Bod wurde der Mast. 
Auf diese Weise wurden sie über den Ozean getrieben (wafted) 
unter dem Schutz von Vishnu. Die Erzählung ist für mich wichtig, 
weil das Wort Pita in deutlicher Beziehung zu dem Harn- und 
Geschlechtsapparat des Weibes erhalten ist : engl, pit = Grube, 
pitcher = a womans commodity, nhd. Pfütze, lat. puteus =Wasser- 
behälter, Zisterne, it. pozzo; über die Frage, ob lat. puteo = stin- 
ken, puter = faul mit puteus und Urin zusammenhängt, schwei- 
gen die mir zugängUchen Werke, wie so oft, wenn irgendwelche 
Gefahren für das drohen, was anständig heißt; ich nehme an, 
daß die Verwandtschaft besteht. Wenn so Pita sich erhalten hat, 
ist es immerhin denkbar, daß der männliche Teil Bod in dem 
englischen body sein Leben fristet. Wieder kUngt in Bod und 
Pita das Zwiegeechlechtige an: Bod ragend und stark, Pita um- 
hüllend. 

Bessere Auskunft gewährt das griechische soma (aco^a), das in 
unsrer Wissenschaft in dem Eigenschaftswort somatisch (Gegen- 
satz zu psychisch) eine fragwürdige Rolle spielt. Homer soll das 
Wort nur in der Bedeutung Leiche oder besser Aas gebraucht 
haben; erst später sei es mit dem Sinn Leib, Körper in die Alltage- 
sprache aufgenommen worden. Dem steht entgegen, daß soma ans 
tvomn — Schwellung (Wurzel teka tvo teva = stark sein, schwellen) 
abgeleitet und urverwandt mit dem Wort saos {000!;) =■ heil, ge- 

40 



sund ist; saos wiedermn bildet das Wort soter (öcoTi^g) = Retter, 
Heiland; soma ist also ebenso wie soter das Schwellende, obne Zwei- 
fel das Männliche. Damit ist der Sinn von soma nur noch mit dem 
Tode durch die oft erwähnte Tatsache verbunden, daß das Männ- 
liche stark und geschwollen ist in der Erregung, daß es aber am 
Weiblichen stirbt. Man kann sich schwer des Spottes enthalten, 
wenn man sieht, wie mühsam es für erosvergiftende Kulturen ist. 
Ausdrücke, Worte zu finden, um die Physis, die Natiu: seelenlos 
zu machen, um. die edle Seele vom Natürlichen, Sinnlichen zu 
trennen. Es ist nie gelungen und wird nie gelingen. 

Und nun bei dem Wort Physis? Ist etwa physisch und psychisch 
dasselbe? — Jedenfalls sind es keine Gegensätze. Physisch ist das 
Adjektiv des Verbums phyo (gwco) ^^ erzeugen. Wie konnte es je 
einem Menschen in den Sinn kommen, Seele und Geist für das Ge- 
schehen des Zeugens zu leugnen, es sei denn, daß er ein Denker 
war? Physis ist die Zeugung selbst, entspricht ungefähr dem la- 
teinischen Wort natura (nasci == geboren werden), dessen tief- 
sinnige Bedeutung als Zeugendes so uuverwüsthch für das Zer- 
denken war, daß selbst jetzt noch der deutsche Bauer und Arbeiter 
den Samenerguß die Natur nennt. — Nicht genug damit, daß man 
die edle Wissenschaft der Physik eifrig aus der verwandtschaftlichen 
Nähe der Psyche, der Seele oder wie man dies Ding nun nennen 
will, zu bringen suchte — der Versuch ist, verständhch genug, 
endlich aufgegeben worden, im Gegenteil sehen wir die Physiker 
bemüht, wieder zu beseelen, was man vor kurzem leblos hieß — 
nicht genug damit, man hat sogar eine Metaphysik erfunden, die 
noch etwas Höheres sein soll als die Natur selber. Ein geistreicher 
Spötter, Allan Upward, behauptet, der Ausdruck Metaphysik sei 
durch den Irrtum eines Buchbinders zu seinen hohen Ehren ge- 
kommen: Aristoteles habe, als er seine Schrift über die Physika 
veröffentlichte, nachträgHch ein Bündel Manuskripte gefunden und 
es an den Buchbinder mit der Anweisung geschickt, es anschließend 
an die Physika — meta physika (fxera (pvoixa) — zu bringen, 
der Buchbinder habe aber das meta physika für einen neuen Titel 
gehalten, für etwas ganz Besonderes, was außerhalb aller Physis 
läge, und 8o sei aus einem handwerklichen Mißverständnis eine 

41 



4^ 



Wissenschaft entstanden, mit der sich die Denker bis in alle Ewig- 
keit beschäftigen können. 

Es läßt sich nicht äadern: Physis ist nie und nimmer ein 
Gegensatz zu Psyche — Pneuma, Seele — Geist, anima — auimus, das 
Wort umfaßt wie das Wort Natur die Welt des meinenden Men- 
schen, alles, auch Eros und Psyche, auch Metaphysik und alle Art 
menschlichen Dünkels. Für das, was außerhalb des Menschlichen 
sein mag, gibt es nichts andres als das Wort Gott — Goethe hat 
es nicht ohne den Schein des Rechtes zu Gottnatur erweitert — 
und von Gott soll man sich kein Bildnis machen noch irgendein 
Gleichnis, noch soll man sich darüber eine Meinung bilden. 

Läßt sich denn gar nichts an dem Wort Physis ändern? Die 
Etymologie hat es versucht, und was sie darüber sagt, ist, daran 
zweifle ich nicht, wissenschaftlich gerechtfertigt, jede Einzelheit 
trägt den Stempel der Wahrheit, nur leider das Resultat ist klein, 
ja kleinlich. Die Wurzel von phyo — physis lautet bheu, bhu: 
davon abgeleitet sind außer den vielen griechischen Wörtern, die 
alle irgendwie etwas von der Zeugung sagen, lat. fui, futums (Ver- 
gangenheit und Zukunft), altind. (altbaktr.) bhu, bhumis ~ Erde, 
bhutis = Dasein usw., nhd. bin und — bauen und beim Bauen 
bleibt es. Ich nehme nicht an, daß gerade die Etymologie auf den 
seltsamen Einfall gekommen sein sollte, daß dem Menschen das 
Bauen eher sich zum Worte gefügt habe als das Zeugen; aber die 
Lexika hinterlassen den Eindruck, als ob man den Unhefangenen 
dazu überreden wolle, daß — vermutlich zum Besten des famosen 
Fortpflanzungstriebes — der Mensch der Geschlechtsliebe gepflegt 
habe, weil er durchaus bauen wollte. Die Sache wird doch wohl 
umgekehrt gewesen sein. Die symbolische Gleichung Ackerbau — 
Hausbau und Geschlechtsliebe besteht sicher, aber man kann sich 
ebensogut, vielleicht besser den Ackerbau und Hausbau als Folge 
des Eros vorstellen als umgekehrt. So wie es in den üblichen etymo- 
logischen Wörterbüchern gehandhabt wird, verbaut sich die Wissen- 
schaft vom Wort den Weg in das Freie. 

Dem Laien fällt, wenn er ein lateinisches Lexikon durchblättert, 
ein Wort auf, das dicht bei futurus = zukünftig steht, das lautet 
futuor ^ begatten. Man bringt es — warum weiß ich nicht — 

42 



mit dem Wort confuto ^= schlagen 2usanmien. Nun ist ja das 
sanfte, mitunter aucli das grausame Schlagen ein Erregungsmittel, 
das in dem Liebesleben überall gebraucht wird und von jeher ge- 
braucht wurde; man gesteht sich das nicht gern ein, seitdem ein 
überweiser Nervenarzt diese ganz natürlicbe und gesunde Neigung, 
im Liebesspiel Schläge auf den Hintern zu geben, für krankhaft 
und widernatürlich erklärt bat; daß alle Mütter bei ihren Säug- 
lingen die Zeremonie des Waschens mit einem Klitschen auf das 
„süße Popochen" beenden, daß sie das schreiende Kind, wenn sie 
es durcb Wiegen auf dem Arm zu beruhigen suchen, bintendrauf 
klopfen, daß das mäniJiche Glied vor noch nicht langer Zeit all- 
gemein die Rute genannt wurde, daß alle Kinder erotisch betonte 
Schlagspiele betreiben, daß das Klosett vor kurzem ein gemein- 
samer Zufluchtsort für mehr oder weniger tiefsinnige Unterhaltungen 
war und noch in vielen Gegenden ist — man kann in Gegenden 
boher Kultur, wenn auch geringer Zivilisation drei, vier, ja zehn 
dicht nebeneinander stebende Abtrittsbrillen zahlen, und in diesen 
Famibenklausen gibt es keine falsche Scham, jeder tut offen, was 
er kann — , das alles bedeutet nichts gegenüber den beiden inhalts- 
und gedankenlosen Wörtern Sadismus und Masochismus. Man 
sieht, ich unterschätze die engen Beziehungen der Lust zu dem 
Schlagen nicht, trotzdem kann ich dem Wunsch der Etymologen, 
das Begatten ganz aus dem Schlagen abzuleiten, nicht Gehör geben, 
muß vielmehr darauf bestehen, daß der Begattungsakt auch ohne 
Hauen bestehen kann, daß also das Wort confuto ^= schlagen von 
futuor -^^ begatten abgeleitet sein muß und nicht umgekehrt. Wie 
sich bei näherem Zusehen herausstellt, meint es die Etymologie 
auch nicht so ernsthaft, sie versteckt ihre Meinung nxir, weil sie 
Angst bat, im Namen des merkwürdigen Krafft-Ebing für peivers 
erklärt zu werden. Ihre wirkliche Meinung lernt man erst kennen, 
auch nur nach Überwindung vieler kunstvoll aufgebauter Hinder- 
nisse, wenn man im lateinischen Lexikon statt des Buchstabens „f" 
den Buchstaben „p" aufschlägt, genauer die Bucbstabenfolge «pu". 
Auch da gibt es noch allerlei Hilfsmittel, um das „pudendum" 
des Eros zu vermeiden, aber es hilft alles nichts, dieses pudendum 
(„Mensch schäme dich") kann bei seiner allgemein anerkannten 

43 



Stammverwandtschaft mit puer ~ Knabe, puella = Mädchen, 
putes ~ Geschleclitsteile die enge Beziehung zu puteo = stinken, 
puteus = Brunnen (Pfütze) nicht ableugnen, und bei dem harm- 
losen Wort puppis = Schiffshinterteil gesteht selbst der Etymologe 
ein: dieses Wort lebt heutigen Tages noch weiter in den Wörtern 
„Fut", „Fotze", „pupen" usw. UraprüngUch scheint sich die Wurzel 
puh — ich nehme etwas willkürlich an, daß futuor, phyo, physis 
usw. dieser Wurzel ebenso entstammen wie puteo, pubes, pudendum 
und sogar puto = ich glaube — auf den weiblichen Geschlechtsteil 
bezogen zu haben, ist dann aber auch auf den Hintern übertragen 
worden, vielleicht auf dem Wege des puteo = stinken. Man sollte 
wissen und nicht vergessen, daß stinken erst spät die Bedeutung 
von Schlechtriechen angenommen hat, daß es früher dasselbe wie 
duften war und ebenso den Blumenduft wie den Gestank des Furzes 
bezeichnete. Und es ist keine Frage, daß gerade das weibliche Ge- 
schlechtsorgan beide Eigentümlichkeiten hat und gebraucht, durch 
den Geruch anzuziehen und abzustoßen. Die Zwiespältigkeit alles 
WeibUchen, die uns Männern rätselhaft vorkommt, ist eben Natur 
des WeibHchen, Wir soUten es nicht zu verstehen suchen, sondern 
es anerkennen. 

Die verschiedenen Formen, in denen das Wort fut und seine 
Ableitungen in allen modernen Sprachen Europas vorkommen, 
stets in der Doppelbedeutung des Hintern und des weiblichen 
Genitales, also vielleicht des Begriffs Öffnung, Loch, gestatten es 
nicht, sich mit den kümmerlichen Mitteilungen der Lexika zu be- 
gnügen: die Phantasie muß suchen gehn. Denkbar wäre, wenig- 
stens für den Laien, eine Verbindung mit „feucht'*, das ahd. fuht, 
asächs. faht hieß. Denkbar sind aber auch Beziehungen zu lat. 
fetus — Leibesfrucht und fetor = Gestank; gerade der Geruch 
beim Wochenbett könnte zu der Verbindung von Gestank (Duft) 
und weibhchem Genital geführt haben. Es läßt sich nachweisen 
daß die Natur den Geruch des Wochenbetts benutzt, um die Ge 
schlechtsbindung des Kindes an die Mutter zu lösen. Das Schwedi 
sehe bringt in den Wörtern fätta, fitta das weibliche Geschlechts 
organ in die Nähe von födelse = Geburt; auch föda (füttern) ge 
hört dahin, denn wirklich besteht ja nur während der Schwanger 

44 



Schaft ein Zwang, daß das Kind von der Mutter gefüttert werden 
muß, und das wird den sprachschaffenden Kräften ebenso bekannt 
gewesen sein wie uns. 

Auffallend sind einige Beziehungen zu Ficke (schwed. ficka) 
= Tasche, das im ndd. Dialekt fixdk, föbkc, auch wohl fuppe heißt 
und sicher zu dem Ausdruck ficken = begatten gehört. Von dort 
aus ist es nur ein Schritt bis zu dem Wort Feige (ficus), das eine so 
seltsame Rolle in der vulgären und synxbolischen Erotik spielt. 
Auch „Fuß" könnte in Beziehung zu der aus menschlichen Ur- 
phänomenen geborenen Wurzel pu- stehen. 

Nimmt man an, wie ich es oben tat, daß „feucht" mit der Wurzel 
pu- zusammenhängt, ßo ergeben sich daraus einige verlockende 
Phantasien für das etymologisch etwas rätselhafte Wort der La- 
teiner für Weib „muher". Die Sanfteren unter den Sachverstän- 
digen bringen das Wort in Verbindung mit „mollis = weich, zart" ; 
es gibt aber auch realistische Naturen unter den Sprachgelehrten, 
und die behaupten, mulier komme von einem Adjektiv „mudos" 
= „naß" (gr. mydos, fivöog = Nässe, Fäulnis, mydaleos, fivöaXsog 
^feucht, mydaino, /iv^atvo = bewässern; engl, smud und mud; 
nhd. Schmutz und Moder; air. mutram, mir. mun = Harn). Man 
sollte denken, daß das Phänomen der Feuchtigkeit des Weiblichen 
ebenso auffallend zur Zeit der Sprachbildung gewesen sein muß 
wie das Weiche, jedenfalls aber hat die Erscheinung des Feucht- 
werdens erregende Wirkung auf den Menschen. Es ist merkwürdig, 
daß Walde den Zusammenhang von eiz. myllos (fivXXog) = pu- 
dendiun muliebre, gr. myllo (jUvAAco) = beschlafen, myllas (fivXXag) 
= Hure mit mudos als zufälligen Gleichklang ablehnt; er führt 
diese Wörter auf molere = mahlen zurück, das auch das Verbum 
von mollis ist und die Wurzel melax hat. Hier kommen mir allerlei 
komische Einfalle. Wenn mollis tatsächlich etwas mit Mahlen zu 
tun hat, so muß es das Zermahlene sein, mollis wäre das, was beim 
Mahlen weich wird, und das ist nicht oder wenigstens nicht zwin- 
gend Weibliches, wohl aber das harte Männliche, das zwischen 
dem Weiblichen zerrieben wird; mulier wäre dann das Schwächende, 
der Mühlstein gewissermaßen (gr. amalthyno, afiakß'VVüi = schwä- 
chen). Verwandt — so führt Walde weiter aus — sei vielleicht 

45 



auch idg. smeld = schmelzen, und zu dieser Wurzel gehöre ahd. 
malz = hinschmelzeud, kraftlos, gr. blenna (ßhvva) = Schleim, 
blennos {ßXEVVO<;) = verdummt, mir. bUnd = eines toten Mannes 
Speichel, ai. Mandafa = Schleim, vimradati = erweicht, gr. bla- 
daros (ßXadaQog) = schlaff und dgl. 

Der Laie in diesen Dingen kann kaum dem Gedanken ausweichen, 
daß das Wort muÜer, mag es nun mit mollis oder mit mudos zu- 
sammenhängen, seinen Ursprung in dem Liebesspiel des Männlich- 
Weiblichen hat. 

Vielleicht fördert es die Untersuchung, wenn ich mich mit den 
sprachlichen Ausdrücken für das Weibliche beschäftige. Im La- 
teinischen heißt femina das Weib: es wird abgeleitet von dem 
Verbum felare = säugen, saugen (stammverwandt gr. thao [&aü>] 
= saugen, thele, themene [dijXij, drjfxevrj] = an der gesogen wird). 
Das Zwiegeschlecht ist betont, denn der Saugakt ist im Symbol die 
Vereinigung des weiblichen Mundes mit der männlichen Brust- 
warze (gr. mazos [/J-a^og], mask. Wurzel mad — strotzen — triefen, 
medea [fi7]dm] = Scham, aidoia [aiöoiä] = Schamteile); die überall 
verbreitete Liebessitte des Saugens am GHede wird wissenechaftlich 
felare genannt. 

Das Wort femina stammt aus der nährenden Tätigkeit des Weibes 
dem Kind gegenüber. Im Griechischen ist das Wort gyne (yvvr}) 
=Weib gebräuchlich, es gehört zu dem Stamme gen — nachträg- 
lich ist es bei den Mitteilungen über gony {yovv) = Knie einzu- 
fügen — theleia (^rjhia) = Weibchen, das zu dem oben erwähnten 
femina gehört, wird angeblich nur von Tieren gebraucht; Männ- 
Uch -Weiblich und Kindüch -Mannbar sind in beiden Wörtern ent- 
halten. 

Da^s deutsche „Frau" ist femininum zu ahd. fro = Herr, das 
idg. prw = der erste geheißen hat, es ist also die führende Stellung 
und nebenbei das Zwiegeschlechtige hervorgehoben. — Bei dem 
Worte Weib hat mich die Etymologie im Stich gelassen. Kluge 
hält den bequemen Zusammenhang mit dem griechischen oiphein 
(OKpetv), lat. futuo = begatten, für zweifelhaft, er schlägt eine Be- 
ziehung zu skr. vip = begeistert sein vor; damit würde es dem 
Sinne nach in die Nähe des griechischen mantis — mainomai 

46 



=^ Seher, rasen rücken. Der Engländer Wcekley bringt es zu- 
sammen mit anord. vifadhr = die VerscMeierte, Verhüllte. Wenn 
diese Ableitung richtig ist, stützt sie einige Mitteilungen, die ich 
sogleich machen werde. Vorher möchte ich noch erwähnen, daß 
das enghsche quean und queeu, sowie schw. kvinna ^ Frau zu dem 
bekannten Stamm gen gehören. 

Ich habe schon mehrfach darauf aufmerksam gemacht, daß der 
Begriff des UmbüUens, der Höhle mit dem Begriff weiblich ver- 
bunden ist; vor allem symbolisiert eich darin das Ewig -Weibliche, 
das uns hinanzieht. Die Betrachtung einiger Bilder möge zeigen, 
wie das gemeint ist. 

Ich zeigte einmal einer einfältig klugen Frau die Maria mit der 
Stemenkrone, wie sie Dürer in Kupfer gestochen hat (Taf. 4). Sie 
sah das Bild lange an, dann sagte sie : „Es gibt keine Weiber, es gibt 
nur das Weib." Jeder, der den Stich aufmerksam betrachtet, errät, 
warum diese Frau solch eine tiefe Weisheit, die allen Frauen be- 
kannt ist, die sie aber nie anerkennen, beim Anblick der Maria mit 
der Sternenkrone aussprach: die Strahlen, von denen die Mutter 
Gottes umgeben ist, sind die Öffnung einer andern Mutter, aus der 
Maria mitsamt dem Kinde geboren wird. Das Weib beginnt nie 
imd hört nie auf. Das Weib wird als Mutter geboren, das ist der 
Sinn der Maria im Strahlenkränze. Mutterschaft ist immanente 
Eigenschaft des Weiblichen; das Weib wird nicht Mutter, sie ist 
immer Mutter, körperliche Vorgänge der Schwangerschaft und Ge- 
burt haben nichts damit zu tun. Daß man nur die Frauen Mütter 
nennt, die ein Kind geboren haben, ist ein Irrtum des irrenden 
Menschen. In Wirklichkeit ist Mutter das umhüllend WeibHche, 
mit dem Moment der Geburt hört die Frau auf, Mutter gerade 
dieses einen Kindes zu sein: sie wird seine Ernährerin, Führerin, 
Freundin, Geliebte, wird Weib diesem Kinde gegenüber, das sie 
geboren hat. 

Das Weib ist nie selber Kind, ist nie selber Greisin, nie Person — 
Person heißt Maske, und nur der Mann ist eitel genug, etwas durch 
die Maske vorzutäuschen, was er nur selten ist. Mann — ; sie ist 
immer „das Weib", mag sie auch Form und Einzelerscheinung 
wechseln; sich selbst, ihrem Weibhchen ist sie immer treu, mag 

47 



sie auch noch so oft lügen. Bei der Dürerschen Maria ist das Ewige 
und Einzige des Weibes doppelt betont: wie ihre Gestalt aus dem 
Weibesschoß fertig hervortritt, so ist ihr Haupt mit der Sternen- 
krone — Symbol der Vereinigung von Mann und Weib von 

einem zweiten mütterlichen Strahlenkranze umgeben. — Auf dem 
Arm trägt Maria den Knaben, das Männlich-Kindliche, Symbol des 
Zwiegeschlechts. Und wie so häufig steht Maria auf der Mond- 
sichel, diesem doppeldeutigen Sinnbild der Schwangerschaft und 
der männlich schwellenden Kraft, sie fußt auf dem kurzen Augen- 
blick des Mannseins während der Vereinigung und auf der Emp- 
fängnis, die sie dem Sieg über den Mann verdankt: am Saum 
ihres Gewandes hat Dürer den Besiegten dargestellt, im Stich kaum 
sichtbar. Dürer besaß wie Goethe den BHck für das Symbol und 
war wie Goethe voll von schalkhaften Einfällen. — Das Doppel- 
geschlecht des Mondes beweist der Sprachgebrauch: dem Deutschen 
ist er männhch, den Romanen ein Weib; man könnte fast annehmen, 
daß uns die Einsicht in das Ewige des Weibes, der Sonne, vertrauter 
ist als andern Völkern, die gern glauben, der Mann sei Mann, wäh- 
rend er in Wirklichkeit Knabe ist und nur durch das Weib Mann 
wird. 

In andrer Form hat Leonardo das Problem des Ewig-WeibUchen 
gelöst, in der heiligen Anna selbdritt, die im Louvre hängt. Maria 
sitzt auf dem Schoß ihrer Mutter Anna und hält das Christuskind 
beim Spiel mit dem Lamm. Die zwei Frauenkörper sind aufs engste 
miteinander verbunden und nur lose mit der Gruppe des Kindes 
und Lamms vereint; besonders merkwürdig ist der Kunstgriff, das 
Ewig-Weibbche dadurch unabhängig von dem Mannbarkeits alter, 
der Geschlechtsreife zu machen, daß die Augenbrauen fortgelassen 
sind. Das Auge ist ein wichtiges Muttersymbol und Zeugungs- 
symbol, wobei die Augenbrauen als Zeichen der Geschlechtsreife 
gelten. AUerdings war, wie es scheint, das Ausziehen der Augen- 
brauen in der letzten Renaissancezeit Mode, aber es sind Gemälde 
von Leonardo da, in denen er die Brauen mitgemalt hat. Im übrigen 
würde die Bedeutung der Tatsache sich nur von dem Bewußten 
oder Unbewußten des Leonardo auf das Unbewußte des Zeitalters 
verschieben, denn sicher sind solche Moden Äußerungen des vor- 

48 



1t 



herrschenden unbewußten Meinens. Damit soll nicht gesagt sein, 
daß die Idee des Ewig -Weiblichen das einzige ist, was sich in dem 
Ausreißen der Augenhaare ausdrückt. 

Die Art, in der Dürer verfahren ist, wurde gerade bei Madonnen- 
bildern viel verwendet, Mutter und Kind sind häufig von Licht- 
oder Strahlenkreisen umgeben. Unter Umständen treten an Stelle 
des Lichts andre Symbole der Mutterschaft, des Weiblichen, in 
dessen Machtbezirk Maria hineingemalt ist. Holbein hat seine 
Madonna in eine Nische gestellt, deren Abschluß die Muschel der 
Venus ist. In Michelangelos Menschenschöpfung ist es der flatternde 
Mantel des anstürmenden Gottes. In der Sixtinischen Madonna 
schreitet Maria aus einem Vorhang heraus, der sich vor ihr teilt 
und den Blick auf ein zahlloses Heer von Kindern frei läßt. Am 
meisten» nicht bloß bei Madonnenbildem, wird bei der Darstellung 
des Weiblichen die Höhle oder das Gewölbe verwendet; auf die 
sprachlichen Beziehungen von Höhle, wölben zum Weiblichen 
komme ich gleich zu sprechen. Hier möchte ich nur noch kurz ein 
andres Bild Leonardos erwähnen, die Madonna vor den Felsen. 
Das Gemälde ist ausgefüllt von Symbolik wie alle berühmten Werke 
der Kunst. Maria schiebt mit sanftem Druck Johannes den Täufer, 
der ein typisches Symbol des kindHch-männlichen Schicksals ist 
{Wassertaufe — Urin und Enthauptung — einen Kopf kürzer 
machen durch den Tanz des Weibes, die beiden Funktionen des 
Geschlechtsteils klingen an), zu dem Christuskinde hin. Bezeichnend 
ist dahei, daß Johannes die beiden Hände zur Vereinigung faltet, 
während das Christkind die Schwurfinger — testes — ter sto er- 
hebt; der Engel streckt den Zeigefinger straff aus. Der Blumen- 
achmuck, Akeleien, Schwertlilien und eine einsame Lilie, betonen, 
wie alle Blumen, so diese besonders das Zwiegeschlecht. Und nun 
hinter der Madonna wölben sich Felsen zu zwei Bogen, durch die 
hindurch der Bhck zum Strome gleitet in weite Femen, die andre 
Felsmassen abschließen. Der Fluß ist im Symbol lebendiges Leben, 
Vergangenheit, Gegenwart und Zukimft des Menschlichen, Schwan- 
gerschaft. In die beiden weibHchen Bogen ragen zwei Felsenpfeiler 
— Phalli — hinein: die Landschaft ist wie alles andre in dem Bilde 
ein Hymnus auf das tief menschliche Wort des Menschensohns : Ehe 

4 Croddeck, Der Mensch als Symbol 49 



denn Abraham war, bin ich, ein Preisen der Dauer dee Lebens 
durch das empfangende und gebärende Weib. 

Warum gerade Höhle und Gewölbe als Symbole des Weiblichen 
benutzt werden, braucht kaum erörtert zu werden: die Beziehung 
der Höhle zum Mutterschoß, zu der Bauchhöhle, im besonderen zu 
der Gebärmutter sind ohne weiteres verständbch, und ebenso gibt 
die Schwangerschaft Auskunft über das Gleichnis der Wölbung. 
Höhle als Wort öffnet aber so reiche Ausblicke auf wichtige Lebens- 
und Symbolgebiete, daß sich eine kurze Erwägung lohnt. Die 
Wurzel von Höhle ist nach Kluge „hei", er^veitert aus „kel" mit 
der Bedeutung umhüllen, verbergen; die Wurzel führt weiter zu 
„cve, cvo, ceve, cave, cu". Im Deutschen finden wir ebenso wie im 
Lateinischen und Griechischen eine Menge Ableitungen, von denen 
ich zunächst Hülle erwähne; daran schließt sich stammverwandt 
das Wort Hütte, und sofort begreift man von da aus wieder, daß 
die Ursprünge des Hausbaus, der Tempel- und Kirchengebäude im 
Wesen des Weibes zu suchen sind ; wenn auch eine Sprachverwandt- 
schaft von Haus und Höhle nicht angegeben wird, bleibt doch die 
Tatsache, daß ein jeder zunächst im Schöße seiner Mutter wohnt. 
Die Betrachtung der Tierbauten, die ja auch unter dem Zwange 
des Männhch-Weibhchen und Kindlich-Mannbaren stehen und oft 
den Vergleich mit den Schöpfungen unsrer Architektur aushalten, 
lehrt entweder, daß der Hausbau nichts mit dem Denken zu tun 
hat, oder daß den Tieren auch die Gabe des Denkens zuzusprechen 
ißt, — Das deutsche Wort Kirche zeigt auch sprachUch noch seine 
Herleitung vom Weiblichen, es stammt aus dem griechischen kyrikoe 
(tevQixog) = „das dem Herrn — fcyrios (pivgiog) Gehörende", und 
kyrioB ist Ableitung von kyeo {tcveo}) = schwanger sein. Die Auf- 
fassung der Kirche als Braut Christi, als reine Magd ist sprachlich 
ebenso gerechtfertigt wie der sinnige Ausdruck „Schoß der Kirche"; 
in den allegorischen (iemälden der Magd Kirche kommt das Um- 
hüllende in Gestalt des weiten schützenden Mantels zum Vor- 
schein. Ich möchte hier gleich anschließen, daß auch die kirchUchen 
Begriffe Himmel und Hölle dem Vorsteliungskreis vom Weiblichen 
angehören, der eine durch die unbewußte Erinnerung an das Para- 
diesesleben im Mutterleib und die unbewußte Sehnsucht nach 



50 



diesem Mutterleibe, die andre mit dem Weiblichen verknüpft durch 
den merkwürdigen Haß aller Menschen gegen ihre Mütter, eine 
Erscheinung, auf die ich oft zurückkommen werde. — Deutlich 
sprechen sich diese Beziehungen der Kirche in der Architektur aller 
Stile aus — das gilt natürlich ebenso von den Hausbauten, ja auch 
von den Brücken und Straßen — ; dabei muß allerdings erwähnt 
werden, daß dieses Weibliche nirgends rein, absolut auftritt, son- 
dern immer dem Menschlichen, das heißt der Tatsache des Mensch- 
lichen als dreieinigen Wesens, Mann — Weib — Kind, untergeordnet 
ist. Daß der Acker- und Gartenbau, überhaupt alles, was mit dem 
uralten Wort „bauen" zusammenhängt, mit in den menschlicb- 
weibUchen Kreis gehören, versteht sich von selbst. 

In diesem Augenblick, wo ich so auegedehnte Lebensgebiete — 
ich hoffe, nicht ohne eine gewisse Billigung des Lesers — für die 
Meinung beanspruche, daß Körper und Geist-Seele dasselbe sind, 
Äußerungsformen des Es, daß es also ein Leib-Seelen-Problem 
nicht gibt, greife ich auf meinen Beruf als Arzt zurück und äußere 
meine Verwunderung, daß man immer noch in der Theorie vom 
Ärzten an einem erdachten Grundunterschied zwischen physischer 
und psychischer Behandlung festhält. Für die Praxis ist oder 
sollte wenigstens kein größerer Unterschied zwischen Physisch und 
Psychisch sein als zwischen Rheinwein und Moselwein. 

Aus der Wurzel hei (Höhle, Hülle), kel, cve stammt im Lateini- 
schen cavus, dessen Ableitungen teils die Schlüsse aus dem Deut- 
sehen bestätigen — iuciens, das zu cavus gehört, beißt schwanger — , 
teils weiterführen. Bemerkenswert ist da das Wort cauhs = Kohl, 
das ursprünglich einen bohlen Pflanzenstengel bedeutet; hier ist die 
enge Verwandtschaft und Untrenniarkeit des Symbols Männlich 
und Weiblich besonders deutlich, da der hohle Stengel ziun Männ- 
lichen führt, während caubs ^ Kohl und das abgeleitete Wort 
cumiüus = Hügel ebenso stark das Weibliche betonen. 

Im Griechischen liegen die Verhältnisse ähnlich. Als Ausgangs- 
wort nehme ich das vorhin genannte kyeo = schwanger sein (dem 
lat. inciens entsprechend). Kyar {>cvag) heißt das Loch, kotbon 
(>cü)'&Qjv), kyathos (Kva-&OQ) xmd kylix (xvh^) = der Becher, was 
wegen der Verbindung Trinkgefäß, einschenken, trinken mit dem 

*• 51 



Zeugungsakt -wiclitig ist. Kyma {>cv/J.a) ist die Welle: die Ver- 
bindung ist in der Symbolik des Meers als Mutter der Aphrodite, 
der „Schaumgeborenen*', zu suchen. Ich komme auf diese Sache 
zurück. Kyma ist Macht (potentia, männliche Potenz). 

Von der Wurzel hei, kel stammt auch das griechische kalypto 
(xalvTiToy) her (verhüllen). Die zeitlich und räumlich verbreitete 
Sitte, das Weih zu verhüllen, hat seine tiefe Berechtigung in der 
Natur des Weiblich-Menschlichen, dessen Wesen Geheimnis ist; 
die Tatsache, daß die Kennzeichen des weiblichen Liebens, Tragens 
und Gebarens beim Menschen verborgen sind, ist das Fundament 
des Weihlichen, sie enthält in sich zugleich das verendum (das 
Ehrwürdige) und das pudendum (das Schimpfliche). Verendum 
hängt mit dem Begriffskreis des Sehens (gr. horao), pudendum mit 
dem des Geschlechts (pubes) zusammen. 

Zu dem Wort kalypto gehört kalix (xaXi^) = Knospe, das in gerader 
Linie zu den Lebenskeimen und zu der Welt des Sehens (Auge der 
Pflanze) fuhrt. Ich meine, daß man all diese Sprachzusammen- 
hänge nicht sorgsam genug betrachten kann, wenn man dem 
Menschlichen wirklich nahe kommen will. 

Natürlich liegt in dem Stamm hei, kel, dem Worte kalypto und 
der Sitte des Schleiers auch das Beschützen, Bewahren, Bewachen, 
was ja für alles Ehrwürdige Forderung ist (bewahren hängt mit 
horao zusammen). Auch unser deutsches Hülse, Ähkömmling der 
Wurzel hei, gehört in diesen Sinnkreis. 

Neben dem Verhüllen steht das Verhehlen, Hehlen, was zu dem 
lateinischen celo ^^ verhehlen überleitet; zu diesem Wort stehen 
u. a. clam =^ heimlich, color = Farbe und cilium ;:= Wimper in Ver- 
wandtschaft. Das englische clam bedeutet die Venusmuschel, als 
Verbum ist es klebrig machen, feucht sein; trotzdem die Sprach- 
forscher mir keinen Anhalt dazu geben, nehme ich an, daß eben 
die feuchte Venusmuscfael mit dem lateinischen clam — celo etwas 
zu tun hat: die Muschel ist Attribut der Venus und wird als Wort 
in allen Sprachen Europas zur Bezeichnung des weiblichen Ge- 
schlechtsorgans gebraucht; auch das deutsche klamm = feucht- 
kalt und die Klamm = enger feuchter Felsspalt vermag ich nicht 
von dem lateinischen clam zu trennen. Es ist wahrscheinUch, daß 

52 



'■•: 



auch die Antike eine Vulgärsprache und eine Sprechweise der Ge- 
ßchlechtsUebe hatte. — Die Sinnbeziehung zwischen celo und color 
wird darauf zurückgeführt, daß die Farbe verhüllt, ebensogut läßt 
es sich als etwas Verhehlendes auffassen. Das wird deutlich, sobald 
man annimmt, daß dem primitiven Lateiner ebenso wie ims das 
Phänomen des Sichverförbens, des Errötens und Erblassens auf- 
fiel; er wird es auch mit dem Gefühl der Scham zusammengebracht 
haben, der Scham, deren Wunsch es ist, sich zu verstecken. Ver- 
mutlich wußte aber der Primitive besser als der Moderne, daß das 
Erröten der Kinder und Frauen ihre Schwäche verstecken soll: 
der Mann wird rot, wenn er in Zorn gerät, wenn er gefährlich wird, 
und das ahmt das schwache Es nach, es tut so, als ob es männlich, 
gefährlich wäre. Bei Menschen, die an krankhaftem Erröten leiden, 
läßt sich dieser Zusammenhang leicht nachweisen. Der Vorgang 
beruht auf dem Symbol: das auszeichnend Männliche, sein Ge- 
schlechtszeichen, das Zeichen seiner Kraft und Waffenfähigkeit 
füllt sieb bei der Erektion, beim Mannwerden mit Blut, und diese 
Erektion wird im Moment des Schämens nachgeahmt im Symbol; 
ich werde später darauf zurückkommen, daß die aufrechte mensch- 
liche Gestalt Symbol der Erektion ist, wobei der Kopf die Rolle 
der Eichel übernimmt. — Cilium (Wimper) endlich beweist in dem 
Zusammenhang mit celo, daß unbefangene Zeiten erkannt hatten, 
daß eine Haupttätigkeit des Auges das Verdrängen, das Sich-selbst- 
etwas -verhehlen ist; das griechische blepharon {ßXscpaQOv) = Lid, 
blepbaris {ßXE(pagig) = Wimper hängt mit dem Begriff Höhle zu- 
sammen. Das Nähere darüber wird unter den Mitteilungen vom 
Auge und Sehen gesagt werden. 

Zur Illustration der Meinung, daß clam = Muschel mit den 
Liebesvorgängen vom Unbewußten zusammengebracht wird, berufe 
ich mich wieder auf das Botticellische Gemälde in Florenz, die Ge- 
burt der Venus: die Göttin steht auf der Muschel. 

Ein wichtiges Attribut der Aphrodite -Venus ist der Delphin 
(delphis, öeXcptg = Fisch mit gewölbtem Rücken) : delphys {öf.X(pvg) 
ist die Gebärmutter, adelphos = Bruder, adelphe = Schwester. 
Das Wort ist abgeleitet von der Wurzel ghelbo = aushöhlen (gr. 
glapho, ■yXa(p(o), von dem auch das obenerwähnte blepharon her- 

53 



kommen soll. In der griechischen Plastik ist der Aphrodite fast 
regelmäßig der Delphin heigegeben. Der Fisch ist Symbol des 
Knaben und — natürhch — des Männlichen an sich. Ob der ge- 
wölbte Rücken für die Wahl des Delphins als Attributs der Venus, 
wie Sprachforscher annehmen, maßgebend war oder ob die Antike 
über den Charakter des Delphins als Säugetier Bescheid wußte 
und ihn als zwiegeschlechtliches Symbol verwendete, weiß ich nicht. 
Jedenfalls ist schon hier eine Art Übergang zu dem Begriff Wöl- 
bung da. 

Die Ableitung des Wortes wölben, Gewölbe führt nach Kluge 
zu dem Wort walbjan, weiter geht es nicht; in der deutschen Etymo- 
logie merkt man oft, daß das endlose Grimmsche Wörterbuch immer 
noch nicht vollendet ist. Man wäre hilflos, namentlich wenn man 
nach einer Verbindung zu lat. volva (Gebärmutter) sucht, wenn 
nicht Waldes lateinisches Lexikon Dienste leistete. Walde leitet 
das Wort volva — vulva von volvo = wälzen ah, gleichzeitig be- 
hauptet er, daß mit volvo auch das Wort walwjan = wälzen zu- 
sammenhinge. Von wölben spricht er nicht, ich meine aber, walbjan 
und walwjan müsse dasselbe sein; dann wäre volva geradezu das 
Gewölbe, was für ein Gebilde wie die Gebärmutter gut paßt. Warum 
die Wissenschaft den Ausdruck vulva für das weiter außen Lie- 
gende des weiblichen Geschlechtsteils braucht und nicht mehr für 
die Gebärmutter, weiß ich nicht, vermute aber, daß sich volva 
und valva = Tür — einer weiteren Ableitung von volvo — assoziiert 
haben; ich erwähne das, weil der Begriff und die Tatsache Tür 
eine große Bedeutung für die organischen Erkrankungen, nament- 
lich bei dem weiblichen Geschlecht hat. Tür als Symbol des öffnens 
und SchKeßene, Klaffens und Sichklemmens, des Dichten und Un- 
dichten bedarf keiner Erklärung. Im Griechischen hängt das Wort 
elytron (ekvTQOv) = Hülle, Futteral mit dem Stamm vel — volvo 
zusammen und ebenso eilyma (EiXvfia) = Wickeltuch, auch Ge- 
bärmutter. Wenn damit die Verbindung zur Geburt und Säuglings- 
pflege hergestellt ist, so bringt hwitfri = Sarg, das zu Gewölbe ge- 
hört, den Begriff Tod und Grab dem Begriff Gebärmutter, Zeu- 
gung nahe. Die Idee, das Sterben als eine Geburt aufzufassen, die 
Auferstehung (resurrectio) dem Tode folgen zu lassen, spricht sich 

54 



darin aus (resurrectio könnte auch die Fähigkeit des Mannes sein, 
nach dem Sterben der Erektion im Weibe von neuem zeugungs- 
kräftig zu werden). 

Obwohl ich befürchten muJß, daß die weite Ausdehnung des 
Weiblichen schon jetzt ermüdend wirkt, muß ich doch noch zwei 
Begriffskreise erwähnen, in denen das Meinen vom Weiblichen in 
Gesunden und Kranken wirkt: Erde und Meer. „Der Schoß der 
Erde" beweist an sich schon, wie eng die Verbindung ist; die aller- 
dings unsichere Ableitung des Wortes Erde von der Wurzel ar 
= pflügen, lat. arvum = Ackerland bestätigt das; terra (Erde) 
scheint nicht damit verbunden zu sein, und über das griechische 
ge {fT}) schweigt die Sprachforschung. Dagegen gibt es in dieser 
Sprache ein Wort eraze (souI^e) = zur Erde hin, für das Verwandt- 
schaft mit Erde beansprucht wird. Übrigens wird ja wohl von der 
ganzen Menschheit die Erde als Mutter alles Lebens aufgefaßt. 

Zum Meer führt ein lateinischer Ausdruck für Gebärmutter 
„botulus*' ; mit ihm hängt das griechische bythos {ßvdog) ^== Meeres- 
tiefe zusammen. Aphrodites Geburt aus dem Schaume des Meers 
ist bekannt. Persönlich glaube ich — allerdings ohne wissenschaft- 
liche Berechtigung — , daß Meer, lat. mare, franz. mer auf das 
engste mit mater wortverwandt ist (Mutter, gr. meter, /*'/T?;p}, 
imd wenn das nicht richtig ist, so werden Meer und Mutter (franz. 
mer und mere) heutigentages jedenfedls vom Unbewußten identi- 
fiziert; das beweist fast jede genau durchgeführte Krankenunter- 
suchung. 



55 



4 

Wenn die Lateiner die Stärke des Männlichen hervorheben wollten, 
sprachen sie von einem „vir", die Griechen hatten dafür das Wort 
„aner (avj;^)". Hat das Deutsche nichts, was dem entspräche? 

Ich habe mich lange damit heriungequält, was nicht nötig ge- 
wesen wäre, wenn ich geübter Fachmann wäre; Spaßes halber, dem 
nicht ein gewisser Ernst fehlt, teile ich hier mit, wie ich die Antwort 
auf die Frage fand. Ich war im Begriff, aus einer Blechschachtel 
eine kleine Zigarre zu nehmen; auf dem Deckel des Kästchens war 
das Bildnis Karls des Ersten von England dargestellt: plötzlich 
wußte ich, daß der entsprechende Ausdruck bei uns Nordländern 
„Kerl" ist. Das Wort (ahd. karal, schwed. karl) bezeichnete und 
bezeichnet in vielen Verbindungen noch heute den Mann in voller 
Manneskraft, den Geliebten {angs. ceorHan = heiraten); pracht- 
voller Kerl oder „das ist mal ein Kerl, Hauptkerl" sind ebenso 
gutes Deutsch wie „Saukerl". Besonders deutUch tritt die Ge 
schlechtsbedeutung darin hervor, daß der Ausdruck Kerl im tag 
heben Leben als Bezeichnung für den leistungsfähigen Geschlechts 
teil gebraucht wird, auch „Kerlchen". — Auch das Wort „Held' 
scheint seine Entstehung der Kraft des männlichen Geschlechts 
gliedes zu verdanken, es hängt mit caleth, calath ^ hart zusammen 

Vielleicht ist es bemerkenswert, daß der Name Karl, der dasselbe 
ist wie Kerl, so häufig als Königsname gebraucht worden ist, ja 
zu Zeiten fast wie ein Königstitel auftrat. — Schon hier möchte ich 
auf die Tatsache hinweisen, daß der Name des Menschen für ihn 
und sein Leben wirksame Folgen hat; die Karle unter den Königen 
treten oft durch besonders glänzende Leistungen hervor, sind echte 
Kerle, oder sie fallen, gemäß der erniedrigenden Bedeutung des 

56 



Worts, durch ihre Unfähigkeit auf. Über die Zusammenhänge des 
Königtums mit der Geschlechtskraft zu sprechen, werde ich Ge- 
legenheit finden. 

Das vorhin erwähnte Wort „Held" weckt die Erinnerung an das 
im^ Mittelhochdeutschen, aber auch in der jetzigen Zeit gebrauchte 
Wort „Recke". Es ist, soweit ich bei den Sachverständigen fest- 
stellen konnte, erst spät zu der Bedeutung starker Krieger ge- 
kommen, ursprünglich soll es eine Bezeichnung für den Kinsamen, 
Vertriebenen, Umherschweifenden gewesen sein; noch spät tritt es 
im Schweizer Idiom als rek = Landstreicher auf, und das englische 
wretch = Lump (angels. wrekka = FlüchtUng) beweist, wie stark 
dieser Sinn des Worts einmal betont gewesen ist. Auch unser 
deutsches „Rächer, Rache" stammt von derselben Wurzel. Damit 
ist eine Seite des Männlichen, des Helden, Kerls betont, die grund- 
sätzUche Bedeutung als gegensätzlich zu dem Weiblichen hat, die 
tiefe Einsamkeit des Mannes und seine merkwürdige Hilflosigkeit, 
sein Hilfsbedürfnis einfachen Tagesereignissen gegenüber. Die kind- 
liche Natur des Mannes, die sich so deutlich in dem Verhalten 
seines Geschlechtsteils außerhalb der Erregungszeiteu zeigt, macht 
es begreiflich, daß dasselbe Wort für den Helden und den Elenden 
gebraucht wird; der Mann ist eben ein Anderer — elend bedeutet 
der Andere, lat.alius, engl, eise, der Vertriebene, anders Geartete — , 
ein Zweifacher, Kerl und Kerlchen, Riese und Zwerg, je nach dem 
Zustande seines Gemüts. 

Für meine Art der Betrachtung besteht kein Zweifel, daß die 
Begriffe Riese — Zwerg dem Phänomen der Erektion und der Er- 
schlaffung entnommen sind: in gleicher Weise müssen die Gegen- 
sätze von Kind (auch dem ungeborenen) und Erwachsenen gewirkt 
haben: dazu kommen noch die Rergeshöhen, verglichen mit ganz 
niedrigen Bodenerhebungen (Maulwurfshügel). Könnte man das 
Wort Recke mit „recken" zusammenbringen, so hätte man eine 
neue Stütze für den Versuchsbau einer Brücke zwischen Symbol 
und Sprache, ja Leben. Aber Recke (zu einem hypothetischen 
got. wrakja gehörig, got. wrikan ^ verfolgen) hat nichts mit recken 
(lat. porrigo, gr. orego [oQsyco], nhd. recht) zutun; allerdings darf 
man annehmen, daß der Wiederentdecker des Worts Wieland eher 

57 



dem Gleichklang und der Sinnes ähnUchkeit der beiden Wörter 
Recke und sich, recken gefolgt ist als der vergessenen Verbindung 
Recke — Vertriebener. Wieland entnahm das Wort, das aus dem 
Sprachschatz verschwunden war, den Heldengedichten des Mittel- 
alters, und dort wird Recke vielfach gleichbedeutend mit Riese 
gebraucht. 

Damit wird eine nähere Retrachtung des Gegensatzes von Riese 
und Zwerg ratsam. Ich sagte oben, daß ich dabei den Zusammen- 
hang mit den Vorgängen der Erotik für erwiesen halte: Kämpfe 
zwischen Zwerg und Riese, wie sie so oft in den Sagen aller Zeiten 
besungen werden, enden mit dem Siege des unscheinbaren, uralten 
Zwerges, der mit geheimnisvollen unwiderstehlichen Kräften begabt, 
den täppischen Riesen trotz dessen übernatürlicher Stärke über- 
windet (Riese verwandt mit sanskrit. vrsan ^= männlich, kräftig); 
das entspricht der Tatsache, daß jede Erektion in der Erschlaffung 
zusammenbricht. Daß der Riese nicht selten von dem siegenden 
Zwerg (Knaben) einen Kopf kürzer gemacht wird, beleuchtet eigen- 
tümUch die Zusammenhänge der Strafen — hier des Enthauptens 
entsprechend dem Verschwinden der Eichel in der Vorhaut bei der 
Erschlaffung — mit Geschlechtsvorgängen; ich habe darauf bei 
anderer Gelegenheit hingewiesen. 

Zu demselben Stamm wie Riese scheint gr. rheon (geov) ^= Vor- 
gebirge, Rergspitze zu gehören: die häufige Sinnverbindung von 
Riese und Berg findet vielleicht hier eine Art Erklärung. Walde 
lehnt allerdings die Verwandtschaft von gr, oros (oQog) = Berg mit 
Riese ab, aber die Wendung „Bergriese" ist in den nordischen 
Sprachen schon in frühen Zeiten gebräuchlich: Märchen und Sage 
verwenden die Gleichung oft. — Die Beziehung von Berg und 
Phallus ist in dem lateinischen mons — Berg noch deuthch vor- 
handen: mons kommt von der Wurzel men- emporragen, und von 
derselben Wurzel stammt mentula = mänidiches Glied. (Man kann 
kaum vermeiden, sich der Wörter Mensch und Mann vom; Stamme 
man, men- meinen zu erinnern.) Die deutsche Bezeichnung Berg 
bestätigt den Zusammenhang, da es von dem Stamme brg- hoch 
hergeleitet wird; auch das vielsagende Wort „empor" stammt von 
derselben Wurzel. Noch deutlicher wird der sexuelle Charakter der 

58 



Wörter in dem gegensätzlichen Begriff zu Berg, Tal (lat. vallis 
stammverwandt), zu dem gr. tliolos {'&o2.og) = Kuppeldach (sicher 
Symhol des Weiblichen) und altslaw. dolu ^^ Loch, Gruhe gehören. 
— Felsen und Stein geben neue Verbindungen zwischen „Felsriese, 
steinerner Riese, Phallus", zunächst in der Eigenschaft der Härte; 
aber auch in den Wörtern ist die Verwandtschaft noch erhalten. 
Mit dem deutschen Felsen ist freilich nicht viel anzufangen, da- 
gegen gibt das lateinische rupes (von rumpo ^= brechen, zerreißen) 
Anhaltspunkte. Von rumpo leitet sich her „rupex = klotziger, 
ruppiger Mann, Rüpel". (Ob der Name Ruprecht, besonders in 
der Verbindung Knecht Ruprecht irgend etwas damit zu tun hat, 
weiß ich nicht, halte aber zum mindesten eine spätere Vermischung 
mit rupex für wahrscheinlich.) Im Altindischen bedeutet ein zxmi 
Stamme gehörendes ropam Loch, das sich als aisl rauf = Spalte, 
Loch wiederfindet, serb. rupa; ir. soll „ropp = stößiges Tier" dazu- 
gehören; sicher hängt unser „Raub" (Brautraub), „rauban" mit 
rumpere zusammen. Aus alledem darf man wohl schließen, daß 
bei dem Wortgebrauch, wohl auch bei seiner Entstehimg, das Ver- 
halten der Geschlechter zueinander mitgewirkt hat. Walde bringt 
mit rumpo auch das Wort rubus = Brombeere zusammen (raufen, 
rupfen). Wenn man sich erinnert, daß gerade die Brombeere ein 
bekanntes Sexualsymbol ist (ein deutsches Marschlied vom Jägers- 
sohn und dem Mädchen, die zusammen Brombeeren pflücken, endet: 
Und als das Mädchen aus denx Wald rauskam, die Brombeeren 
wurden groß, und es dauerte kaum dreiviertel Jahr, hatte sie ein 
Kind auf dem Schoß), gibt man ihm vielleicht recht, wenn man 
nicht vorzieht, an unbewußte Assoziation zu denken, was ebenso 
beweisend wäre. Übrigens ist Brombeere die Dornbeere (alth. bramo 
= Dom, dazu engl, broom = Ginster und bezeichnenderweise franz. 
framboise = Erdbeere, die ebenso doppelgeschlechtliches Symbol 
ist: Brustwarze =^ Kitzler und Eichel), Dorn aber, Stachel, stechen, 
sticken sind Symbole des Männlichen in seiner Beziehung zum Weib- 
lichen. — Stein steht durch die Wurzel sti := festwerden in Ver- 
wandtschaft zu gr. stia {arm) = Steinchen, stear (ozeaQ) = Ge- 
ronnenes, steibo {üTEißoj) = feststampfen, stile {aTtlrj) =^ Tropfen, 
stibatos, steptos {pzißarog, ozejiTog) ■= gedrungen, fest. Die Be- 

59 



^-- it-^ j,- — '^^ 



Ziehungen zu der Erscheinung der Erektion, des Fest- und Steif- 
werdene des Zwerges „Kerlchen", des hängenden und wackelnden, 
wedelnden Penis (von lat. pendo) sind nach meiner Meinung deut- 
lich genug, ebenso ist die Assoziation des Tropfens und des Er- 
starrens einer Flüssigkeit „stear" (Stearinkerze ist ein brauchbares 
Beispiel unbewußter Worterfindung auf Grund der symbolischen 
Gleichung; Kerze ist weitverbreitetes Selbstbefriedigungsmittel) in 
Anlehnung an die männliche und vor allem weibliche Entladung 
verständlich. Grell beleuchtet wird der Sachverhalt durch das eng- 
lische stone = Stein als Bezeichnung für Hoden; Aufschluß gibt auch 
lat. stipo =: gr. steibo = hartwerden, gerinnen, stiria = Tropfen; zu 
letzterem gehören aisl. Starrheit der Augen = stirur, unser deut- 
sches „stieren", lit. styxos akis = starre Augen, styrtu = erstarren, 
styroti = steif, lümmelhaft dastehen (über Beziehungen zwischen 
Augen und Erotik später in der Abhandlung über Augen und Sehen), 
lat. stiprus = stark, steif; mhd. stif = steif, aufrecht, nhd. Stift. 
Weiter lat. stipes = Pflock, Pfahl, Stange; nd. stip, stippe = Punkt, 
Tupfen, stippen. Eine bemerkenswerte Verbindung ist das Wort 
„stips =^ Geldbetrag, Spende". Hüer finden wir im Wort — wir 
werden dasselbe in andern Wörtern fijiden — die enge symbolische 
Verbindung von Geld, Vermögen mit den Vorgängen des Eros und 
ebenso die Sinnesverwandtschaft von Gabe, Gift, Opfer mit den 
Geschlechtsereignissen. Das Wort „stipulor = fragend auffordern" 
paßt dazu, obwohl es nicht für geschlechtliche Aufforderung, wenig- 
stens in der Schriftsprache, gebraucht wurde. DeutUch wird diese 
Geschlechtsbeziehung in lat. Stipendium = Soldatenlöhnung: es ist 
zusammengesetzt aus dem obenerwähnten stips und pendo (penis), 
bezeichnet also unter Zuhilfenahme von „stipulus — fest" den Über- 
gang vom Hängenden in das Starre, betont die virtus (Tauglichkeit 
des Soldaten). — Ob stiria = gefrorener Tropfen, Eiszapfen und 
stiva — Pflugsterz mit zu stips und stipo gehört, weiß ich nicht; 
dagegen scheint mir das Wort stirps = Stamm des Baums, Nach- 
kommenschaft in diesen Kreis zu passen. 

Einige Aufklärung über den Begriff „Zwerg" gibt das Wort 
Wichtel, Wichtelmännchen: Wicht, von dem es abgeleitet ist, be- 
deutet Ding, Wesen, ein Etwas im Gegensatz zum Nichts, wobei 

60 



das Lebendige und Dämonenhafte betont ist (ndl., aber auch nhd. 
kleines Kind, kindlich hängender Geschlechtsteil — böser Wicht 
scherzhaft auch für den kleinen Finger — , im Gegensatz zu dem 
männHch starken aufrechtstehenden Kerl). Wichtelmännchen — 
Wichtel allein wird für beide Geschlechter gebraucht — ist immer 
ein zwerghaftes Wesen, meist im Hause (Mutterleib) ansässig, wird 
in Holz geschnitzt in dem Ehren (Platz hinter dem Ofen, weib- 
liche Genitalien, auch für die Vorhaut gebraucht, was bemerkens- 
wert ist), unter dem Namen Tocke aufgestellt (Tocke vielleicht zu 
dem männlichen Symbol Stock, skr. tuj — in heftige Bewegung 
setzen). Das Wichtelmännchen tritt dadurch in nähere Beziehungen 
zu den römischen Penaten. „Penates" sollen mit penitus = in- 
wendig, ganz innerlich, penetrare = eindringen, penus = Inneres 
des Vestatempels zusammenhängen: da der Vestakult zweifellos 
dem Symbol des Weibes galt, kann man Verbindungen zu der 
Eigenschaft des Ewig-WeibHchen und Ewig- Jungfräulichen, beide 
begabt mit der Fähigkeit der Verwandlung des bösen Wichts 
(digitus = Finger) in das kindliche Wichtchen (penates), annehmen; 
ein Zusammenhang mit penis Hegt nahe, scheitert aber an dem 

langen „e" in penis. 

Lehrreich sind die Sagen vom Däumling, die besonders deutlich 
die gegenseitigen Symbolbeziehungen der Körperteile und die des 
Teils zum Ganzen zeigen. Das Wort Daumen, von dem Däumling 
abgeleitet ist, stammt von der idg. Wurzel tu = schwellen und 
bedeutet der Starke (lat. tumeo = schwellen). Die in ihm lebende 
Geschlechtssymbolik ist allbekannt, ein jeder weiß, daß das Ein- 
schieben des Daumens zwischen den zweiten und dritten oder dritten 
und vierten Finger der geballten Hand Aufforderung zum Ge- 
schlechtsverkehr ist, und ähnlich Symbolisches gilt von dem 
Daumenhalten, dem Einschlagen des Daumens in die Höhlung der 
Faust (das Glück herbeizaubern, Glück als Vereinigung von Mann 
und Weib). Die römische Sitte, den Daumen nach unten zu drehen, 
wenn die Zuschauer den Tod des überwundenen Gladiators ver- 
langten, nach oben, wenn er am Leben bleiben soUte, beruht auf 
derselben Gleichung; das Aufrechte, die Erektion war der Antike — 
und ist es uns auch noch — Leben, die Erschlaffung Tod. — Das 

61 



Doppelgeschlecht des Symbols tritt in dem Wort Däumling hervor, 
■wenn der Deutsche den Handschuhfinger, mit dem er den ver- 
wundeten Daumen schützt, Däumling nennt. — Von der Macht 
des unbewußten Symbols gibt die Faustsage ein klassisches Bei- 
spiel: sie gesellt dem Faust (der Faust) den Teufel, Faust und Teufel 
zusammen ergeben aber die Onaniehandlung. Ich bezweifle nicht, 
daß Goethe diesen Zusammenhang gekannt und benutzt hat, da 
ihm vieles bewußt war auf Grund seiner zweiten mephistophelischen 
Natur. — Von der Wurzel tu- ist „Tausend" hergeleitet (skr. tavas 
= Kraft, tuvi = viel, tuvismat ^ kräftig, tuvistama — kräftigster; 
hunda = hundert, zusammengesetzt tu-hunda = tausend). Tau- 
send ist also viel hundert oder Krafthundert. Die Verbindung mit 
dem Geschlechtskreis bestätigt sich durch lat. mille und diurch 
gr. chilioi (xdiot) (ai. sa-hasram nach Grimm zu ai. saha = Stärke, 
got. sigis = Sieg, danach urgr. cheslioi (xeoXioi) aus sgheslio, lat. 
mille aus smi-zghsh). Die Bedeutung beider ist Krafthundert. — 
Sommer leitet beide Wörter von einem alten Femininum smi und 
ghsli ab (smi gr. mia, /iua, lat. Stamm sem-simplex = eins). Da 
smi Femininum ist, gibt die Sommersche Deutung in Verbindung 
mit der Grimmschen eine Ahnung von der symbolischen Doppel- 
geschlechtigkeit aUer Zahlen; besonders gilt das für die Zahl eins, 
die je nach der matrimonialen oder patriarchalen Denkweise als 
Mannes- oder Weibessymbol aufgefaßt wird. Das ist eine für alle 
Lebensbeziehtmgen, mögen sie sein, welche sie wollen, grundsätzlich 
wichtige Feststellung, weil bei dem mathematischen Tier Mensch 
die Zahl alles beeinflußt. 

Das lateinische Wort für Daumen ist pollex; es wird abgeleitet 
von pollos = groß, das wiederum mit polleo = vermögen, können, 
in etwas stark sein, pollens = vermögend, stark zusammenhängt. 
Die Zugehörigkeit zu dem Geschlechtskreis ist auch hier deutlieh. 
Das Griechische gebraucht den Ausdruck megas daktylos {/nsyag 
ÖaPtzvXog) = großer starker Finger. Ein andres Wort für Daumen 
ist anticheir {avTixeio) = Gegenhand. Da cheir [yeiQ) die flache 
Hand, Hohlhand bedeutet (ved. haras = Griff, harati = hält, ir. hir 
~ flache Hand), also weiblich empfangend ist, muß anticheir männ- 
liches Symbol sein. Die auch sonst nachweisbare Symbolik des 

62 



Greifens als Verkehrs zwiseten Mann und Weib (vgl. die vorhin 
erwähnte Symbolik von Faust und Teufel) spricht sich in dieser 
Gegenüberstellung von Hand und Gegenhand sehr gut aus. Die 
Bedeutung, die „Hand" als Symbol des Geschlechtsverkehrs hat, ist 
in den Wörtern Handlung, behandeln, Handel, Akt usw. enthalten. 

Das lateinische Wort peilen und pollis {polenta, pulvis = Staub, 
puls = Brei) = Blütenstaub wird von Walde nicht mit poUeo zu- 
sammengebracht, was ich sehr schade finde. Der Pollen ist so aus- 
gesprochen männlich, daß es leicht mit der männlichen Kraft, dem 
Geschlechtsvermögen, zusammenpaßte. (Heuschnupfen.) 

Das lateinische Wort für Zwerg ist pumilus, pumilio, das ent- 
weder zu puer, pubes (Wurzel puh, fuh-) gehört oder zu dem gr. 
pygmaios {nvy/xaiog)^ das sich füglich mit Däumling übersetzen läßt, 
jedenfalls das Zwerghafte betont; allerdings ist es nicht vom Dau- 
men, sondern vom Mittelfinger abgeleitet. Die Sage vom Pygmalion 
und der von ihm geschaffenen Bildsäule eines Mädchens, der Venus 
auf sein Gebet hin Leben verlieh, erzählt, entsprechend der Para- 
diesessage von Eva und der Schlange, jedem, der es hören will, 
wie das Mädchen durch den Phallus pyx {nvi = ausgestreckter 
Mittelfinger bei geballter Hand) zum Lehen, zum Weibsein geweckt 
wird. 

„Wecken" ist verwandt mit lat. vegeo = erregen, munter sein, 
vigil = wachsam, vegetus = rührig (idg. Wurzel uegh-, ai. vajah 
= Kraft, Schnelligkeit, ahd. wakar = wacker). Zu demselben Kreis 
gehört die Wurzel idg. aueg-, die wachsen, vermehren bedeutet: 
von ihr leiten sich die Wörter lat. augeo, augustus = hoch, auxiliiun 
= Hilfe, gr. aexo (ae^co) = wachsen machen, auxano (av^avo)) 
= wachsen machen her. Als Wurzel gilt skr. uks = größer werden, 
aber auch ausspritzen: die Verbindung mit den männlichen Ge- 
schlechtsvorgängen könnte nicht deutlicher hervortreten. — Im 
Deutschen gehört wahrscheinlich das Wort Ochs hierher, allerdings 
nicht in dem verblaßten modernen Sinn, kastrierter Bulle, sondern 
in dem Sinne symbolischer Geschlechtskraft, wie es in der Zoologie 
und außerhalb von Deutschland gehraucht wird. 

Wie verwandt das Unbewußte den Begriff des Wachsens (Weckens) 
und den der Geschlechtstätigkeit empfindet, geht aus dem ge- 

63 



bräucMichen lateimscken Wort für wactseii hervor, „crescere", zu 
dem noch das überaus wichtige „creo = erschaffen" gehört. Die 
Wurzel ist ker- wachsen, nähren (der Name der Ceres, der Göttin 
der Fruchtbarkeit, vereint die beiden Bedeutungen der Wurzel). 
Durch ker- mit crescere und creare verwandt sind arm. ser ^ Nach- 
kommenschaft, serim = werde geboren, stamme ab, wachse, serm 
= Same; gr. koros {?iOQOg) = Heranwachsender, auch junger Zweig, 
Schößbng, köre {>iOQ7}) = Mädchen, Pupille ; ai. „cardhati = ist frech, 
trotzt" weist Walde seltsamerweise aus dem Zusammenhang, weil es 
auch „er furzt" heißt, also mit blasen, aufgeblasen zusammenhängt. 
Es besteht gar kein Zweifel darüber, daß dem sprachbildenden Un- 
bewußten das Wachsen des Phallus als ein Aufgeblasensein erschien; 
„furzen" gehört übrigens zu der Wurzel puh, die das Geschlechts- 
wesen beherrscht. In dieser Wurzel findet sich auch, wie ich früher 
gezeigt habe, dieselbe Identifikation von „wachsen" und „nähren" 
(z. B. im schwed. fetta = Votz und föda = füttern, gebären). 

Mit den Wörtern „crescere, creare'* nähert sich der Kreis Riese — 
Zwerg dem Mittelpunkt des Kosmischen: der griechische Ausdruck 
„gigas (yiyag) {franz. geant, engl, giant) = Sohn der Erde, Riese" 
gehört in diesen Zusammenhang (ge, gaia, yr], yaia = Erde wird mit 
gen- zeugen zusammengebracht, die Wurzel gen- liegt zugrunde); 
sie sind gezeugt von dem Tartarus, der in dem tiefsten Erdinnern 
liegt. (Die Vorstellung, daß die zeugende Kraft, die dem Samen 
des Mannes Wirksamkeit gibt, in der Höhle wohnt, ist wohl bei 
allen Menschen nachweisbar.) Erwähnenswert ist, daß man sich 
die Giganten als schlangenfüßig vorstellte (Schlange ist doppel- 
geschlechtUches Symbol mit besonderer Betonung des Männlichen), 

Vielleicht beruht auf der Meinung des Unbewußten, daß zur Be- 
fruchtung die geheimnisvolle Höhlung notwendig ist, der Mythus 
von der Entstehung des Uranos, des Himmels aus den Kräften der 
Erde ohne Zusammenkommen ndt dem männlichen Geschlechts- 
wescn (jungfräuliche Empfängnis und Geburt des Sohnes ist an 
den Anfang gestellt, eine unbewußte Überzeugung aller Menschen, 
die noch jetzt in dem Glauben an die unbefleckte Empfängnis des 
Christs und der Maria lebendig ist). Eine weitere kindlich-primitive 
Meinung bringt der Mythus, wenn er die Götter und Titanen aus 

64 



der Verbindung der Mutter Gaia mit ihrem Sohne Uranos ent- 
stehen läßt. Uranos kommt von ureo [ovqecü) — urinieren (Befruch- 
tung der Erde durch den Urin des Himmels, den Regen). Daß die 
Zeugung durch den Urin stattfindet, ist der Glaube aller Kinder 
bestimmter Lebensalter. 

„Wolke", das mit welken, verwesen zusammenhängt, gehört wohl 
in diesen Kreis. — Im Lateinischen scheint die Wolke, nubes, 
gegenüber dem Himmel, caelum, das etwas mit Glanz, Feuer zu 
tun haben soll, in den Vordergrund getreten zu sein: nubes wird 
allerdings von der Wissenschaft nicht mit „nubere = heiraten" zu- 
sammengebracht, das will aber nichts sagen; im Gegenteil scheint 
das Unbewußte die Etymologen gegen ihren Willen — sonst hätten 
sie nubes und nubere als verwandt hingestellt — zur Andeutung 
der Zusammenhänge gezwungen zu haben (Walde bezieht das Wort 
„obnubere = bewölken, verhüllen" nur auf nubes, aber „verhüllen" 
wurde von allen Sprachen und Sitten als Symbol des Weiblichen 
in Beziehung zum Männlichen empfunden, es ist Symbol für die 
Begattung). Terra — Erde (Gaea) wird von der Wurzel ters 
— trocken abgeleitet — das trockne Weibhche wird in der Er- 
regung feucht; die Mutter wird vom Vater bewässert, um Frucht 
zu tragen. Die unbewußte Theorie von Urinzeugung macht sich 
in allen gesunden und kranken (Nieren- und Blasenleiden) Lebens- 
verhältnissen geltend. 

Das Wort „Urin" hat viele Verwandte, die alle in Beziehung zu 
Wasser stehen; auch im modernen Denken bat sich das in Aus- 
drücken wie See, Teich, Bächlein für den Urin erhalten, bezeich- 
nenderweise in der Kinderstubensprache. — Walde äußert Bedenken, 
weil „urinari" = unter Wasser tauchen, „urinator" der Taucher sei; 
gerade das aber führt dazu, dem Unbewußten die Verbindung von 
Urin und Zeugung zuzuschreiben, da ja das ungeborene Kind in 
urinähnliches Wasser eingetaucht, der Fötus also von Natur „Tau- 
cher" ist. — Über das Wort Erde findet sich nicht viel bei den 
Etymologen, dagegen scheint Himmel mit Heim zusammenzuhängen 
(Heim der Götter). — Bei den Griechen ist der Sohn der Erde und 
des Himmels die Zeit chrouos {xQOvoc). Auch im Lateinischen und 
im Deutschen haben die Wörter saeculum = Lebensdauer des Men- 

S Groddeoki Der Meuach als Symbol V>) 



sehen und Welt (wer, werwolf = vir und old, yld ^= Zeitalter) 
Sinnesvenvandtseliaft mit Säen und Männliclikeit. „Welt" ist lat. 
mundus = schmuck, reinlich, aber auch Schmuck der Frauen; und 
hier tritt uns etwas Seltsames entgegen, denn sprachhch hängt 
munduB mit gr. mydos — Nässe zusammen (Ableitung: muiier 
= Weib von naß, vgl. frühere Angaben, tatsächlich ist das Weib 
für jeden Menschen vor der Geburt die Welt, eine nasse Welt): 
danach ist geschlechtliche Erregung der Schmuck des Weibes, ja 
die Welt. — Griechisch ist das Wort für Welt kosmos {noofios), 
was wiederum auch Schmuck bedeutet. Bemerkenswert ist seine 
Ableitung von einem idg. kens = feierlich sprechen {lat. censeo 
= schätzen, censor). Die Verbindung des feierlich gesprocheneu 
Worts mit der Weltschöpfung („Eb werde Licht") ist damit ge- 
geben; das weibliche mydos, kosmos ist dazu notwendig. 

Unter den deutschen Wörtern, die wie Kerl das MännHche be- 
tonen, nimmt die Bezeichnung „Degen" für Held eine besondere 
Stelle ein. Degen ist nicht, wie man zunächst vermutet, von der 
Waffe Degen abgeleitet, sondern die Waffe hat ihren Namen von 
dem Männhchen, das in „Degen" enthalten ist: Degen (ahd. degan, 
angls. pögn =■ Gefolgsraann, Diener, engl, thane ;= Freiherr) be- 
deutet ursprünglich „Knabe", ja im Althochdeutschen ist thegan 
geradezu „männlich". Im Griechischen erscheint der idg. Stamm 
von Degen tek-no- in den Wörtern teknon (rexvov) ^ Kind, tokeus 
(roxEvg) — Vater, tikto {xtxrco) ~ gebären, erzeugen. Diese Wörter, 
verbunden mit der Tatsache, daß zu der Degenwaffe die Scheide 
gehört, machen die Symbohk des „Degens" als stark männlich ver- 
ständlich, es legt aber auch den Gedanken nahe, daß die Wörter 
Knabe, Knappe, Knecht, engl, knight = Ritter ebenfalls der Ge- 
schlechtssymbolik entstammen und alle miteinander die Wurzel gen, 
ken enthalten. Die Abhängigkeit des Waffenbaus und der Waffen- 
handhabung von dem Symbol Waffe — Phallus ist der Psychologie 
bekannt, die Bestätigung in der Sprache gibt dieser Auffassung 
Sicherheit. Aus diesem Grunde weise ich auf das Wort „Scheide" 
hin: während dieses Wort in den germanischen Sprachen vorhanden 
ist (auch als Bezeichnung für das weibliche Organ), fehlt es im Goti- 
schen, wo statt dessen ein Wort „födr" verwendet wird; da ist 

66 



wieder die Wurzel puh-, fuli-, das Aschenbrödel der Spracliforsclier, 
Födr bedeutet nämlich auch Futter = Nahrung. Wir sind dieser 
Verwandtschaft des Nährens und Zeugens schon oft begegnet, sie 
ist auch aus der primitiven Auffassung des Fötallebens leicht zu 
erklären. Lehrreich für das seltsame Verhalten der Etymologen 
ist Waldes Abschnitt „vagina = Scheide": er bringt es in Zu- 
sammenhang mit lit. voziu, vozti :^ etwas Hohles überstülpen, es 
kommt ihm aber nicht in den Sinn, diese Wörter mit dem deutschen 
Votz, Fut» fuen usw. zu verbinden. Dieselbe zaghafte Einstellung 
hat die Sprachforschung dem Worte „Faust" gegenüber. Wenn 
man im Schweizer Dialekt der Bezeichnung „Wiberfust" für eine 
Faust mit eingeschlagenem Daumen begegnet, ist es schwer, der 
Beziehung auf das Wort Votz auszuweichen, zumal wenn man den 
deutschen Ausdruck „die Faust ballen" mit in Rechnung zieht. 
Ballen kommt von der reichgesegneten Wurzel bhel-, die strotzen, 
schwellen bedeutet, und von ihr leitet Walde lat. folhs — Leder- 
sack ab; er bringt eine ganze Reihe von Wörtern verschiedener 
Sprachen, die mit den Geschlechtsbeziehungen zusammenhängen 
(gr. phallos, phales {(paXXog, (paXrjg) = männliches Glied, air. ball- 
= Glied, hess. Bille = Glied, penis, Bulle — vulva = weibHcher 
Schamteil, ags. beallock — Hode usw.). Der Schweizer Dialekt- 
ausdruck gibt neue Rätsel auf: er könnte als Symbol der Ver- 
einigung von Mann und Weib oder als Symbol der Theorie gelten, 
daß das Weibliche aus dem Männlichen durch Abschneiden des 
Gheds und der Hoden entsteht, oder schließHch — und das möchte 
ich annehmen — ein Wort für den Gedanken sein, daß beim Weibe 
der Penis und die Hoden innen vorhanden sind wie der Daumen 
in der Faust (Gebärmutter mit Hals gleich dem männlichen Gliede, 
Eierstöcke gleich den Hoden). — Die „Wiberfust" ist weiter der Tod 
des Mannes im Weibe : so lange der Daumen eingeschlagen ist, ist der 
männliche Daumen, der starke Finger, machtlos. — Schließlich ist 
diese „Wiberfust" Schwangerschaftssymbol,die Frucht imMutterleibe. 
Die wichtigsten Symbole, die des Doppelgeschlechts und der Kind- 
mannbarkeit des Menschen, das Stirb und Werde sind hier vereinigt. 
Zu dem Begriff Zwerg gehört noch das Wort Kobold (kubahulths = 
Haus-Holde: Holde sind gute Hausgeister): der erste Teil des Worts 

s. 67 



ist Koben, mlid. kobel = enges Haus, angis. cofa (edles Dichter- 
wort) = Schlafgemach, gr. gypas (yvTzag) = unterirdische Wohnung, 
Die Annahme, daß die Gebärmutter mit kuba gemeint ist und mit 
Holde der Mann, ist nahe. 

Wenn mir der Plan dieses Werks es gestattete, "würde sich hier 
die Gelegenheit bieten. Sagen und Dichtungen aller Axt mit in den 
Kreis der Betrachtungen zu ziehen; ich begnüge mich damit, an 
die griechische Sage vom Krieg der Kraniche (Erektionssymbol, 
Riese) mit den Pigmäen und an Swifts Roman „Gullivers Reisen 
und Gullivers Abenteuer im Lande der Zwerge" zu erinnern: die 
Tatsache, daß auf eine Erektion viele, viele Zwergformen des männ- 
lichen Gliedes kommen, wird in der Dichtung deutlicher als in der 
bildenden Kim.st (Urinentleerung GuUivers; Rabelais Pantagruel). 

In der darstellenden Kunst ist vor allem die Sage vom Riesen 
Goliath und dem Knaben David als Symbol benutzt worden. Das 
Auffallende in diesen Bildwerken ist, daß das Weib fehlt: während 
die Erschlaffung des Phallus durch den Liebesakt mit dem Weibe 
in den Judithbildern deutlich symbolisiert ist — in Florenz ist ein 
Gemälde des Allori, das Judith mit dem abgeschlagenen Haupte 
des Holofernes darstellt, während ihre alte Begleiterin als Mutter- 
symbol den Sack (^ uterus) hält, in dem das Haupt begraben 
wird — , zeigt Verrecchios David die Tatsache, daß der Riese Phallus 
durch den Phallus selbst, durch das Schwert, um Haupteslänge 
kleiner wird. Das Leben beendet die meisten Erektionen nicht 
durch das Weib, sondern durch das Kindwerden des Männlichen: 
Verrocchios Unbewußtes gab dem Knaben ein balbgesenktes Schwert 
in die Hand, das den Vorgang der Erschlaffung charakterisiert: 
der Knabe David siegt über den starken Goliath durch das Schleu- 
dern des Steins, die Wahrheit, daß Erektion, Erguß und Erschlaf- 
fung au sich vorhanden sind, ohne daß das Weib etwas damit zu 
tun hat (Onanie, Pollution), gibt zu diesen Kunstwerken den un- 
bewußten Anlaß. 

Eine seltsame Leistung des Unbewußten ist der David des Michel- 
angelo: in ihinist der Gedanke, dem man auch in Michelangelos 
Erschaffung des Mannes begegnet, daß das Männliche aus sich 
heraus Erektion und Erschlaffung erlebt, fast grausam deuthch vor 

68 



Augen gebraclit. — David ist Riese und Knabe zugleich, er trägt 
die Schleuder, ohne daß der Gegner gezeigt wird. Diese unverhüllte 
Schaustellung der Selbstliebe des Männlichen ist kaum zu ertragen. 
Das Unbewußte der Antike hat auch oft genug das Männliche in 
sich abgeschlossen dargestellt — man denke an den Doryphoros — , 
aber die Gestalt des riesigen Knaben mit der Fähigkeit zu schleu- 
dern, dieser triumphierende Hymnus auf die Selbständigkeit des 
Männlichen und seine Unabhängigkeit vom Weibe, da der Mann 
alle drei Menschenformen besitzt, ist wohl sonst nicht gewagt wor- 
den, und dem Verfasser ist es begreiflich, daß die Masse Mensch 
sofort mit Steinen nach dem Koloß geworfen hat. 

Die Sprachverwandtschaft zwischen den Begriffen Riese — Zwerg, 
wecken — wachsen — erschaffen ist Gegenstand des großartigsten 
Gemäldes der Welt, der Creazione del Uomo an der Decke der Sixti- 
nischen Kapelle zu Rom (Taf. 5). Langgestreckt mit weit vorgereck- 
tem Arm und vorwärtsdrängendem Finger gibt der HERR Leben. 
Umschlossen ist er von einem Mantel, der wie ein Stück lebendigen 
Gewölbes die Erregung des Augenblicks mitempfindet. In diesem 
Symbol des umhüllenden Schoßes wimmelt ein Heer von Kindern, 
zehn an Zahl. Aber das suchende Auge sieht sehr bald, daß nur 
neun der Kinder dem weiblichen Symbol des Mantels angehören; 
das zehnte ist dem Weibe im Arm des HERRN zugeteilt, es klam- 
mert sich an den Schenkel der Frau und des HERRN Hand faßt 
seine Schulter. Neun Kinder: neun ist das Symbol der Vollendung, 
der vollendeten Schwangerschaft, neunmal setzt die Blutung des 
Weibes aus. Unter dem Gotte fliegt, als ob es den Riesen stützen 
müsse, ein männliches Wesen, dessen Figur in ihrer Kürze und 
halben Verborgenheit die stets wiederkehrende unerschöpfliche 
Zeugungskraft des Mannessymbols hervorhebt: Riesig ist der Gott, 
so lange der Erzeugungssturm andauert, unterhalb dieser Kraft 
sieht man die Fähigkeit und Möglichkeit der Ruhe und Sammlung 
und Auferstehung. Menschen zu schaffen ist möglieh, weil vor und 
nach der Schöpfung Ruhe ist, Erschöpfung und Sammlung. — 
Mann, Weib und Kind zusammen sind der Mensch, erst wo sie 
vereint sind, wird der Mensch Schöpfer und Gott. Das Unbewußte 
des Bildes wiederholt diese Vereinigung in innig verschränkten 

69 



Symbolen: da ist das Weib und das Kind im Arme des HERRN, 
keine Ziele für ihn, sondern etwas, was er hat; beide, Weib wie 
Kind sind eigene Wesen, die sich zusammengetan haben und sich 
vom schaffenden Gotte fortreißen lassen. Weib und Kind ist auch 
der Mantel mit den Engeln, sie sind Eigenschaften des Gottes, sein 
Ziel aber ist, den Manu zu wecken, dem er zufliegt. 

Dieser Mann — das Bild heißt Erschaffung des Mannes im Gegen- 
satz zu der Erschaffung des Weibes, das Unbewußte des Benenners 
sah, daß es sich nicht um die Schöpfung des Menschen, noch weniger 
um die Erschaffung von Adam und Eva handelt — , dieser Mann 
ist — seltsam genug, aber den tiefsten Geheimnissen des Unbe- 
wußten entsprechend — der eigentliche Schöpfer, er erschafft sich 
selbst: er sieht, und durch das Sehen wird er lebendig, er ist Ge- 
schöpf seiner Vision, seiner Phantasie. Noch berührt ihn der Finger 
des HERRN nicht, und schon streckt sich sein Arm, hebt sich 
sein Leib, stemmt er sein Bein auf, um sich aufzurichten, um zu 
stehen: er wächst. Sein Schauen aber ist bereits volles Leben, 
lebendiges Leben. Sein Blick ist träumerisch, er schaut von innen 
nach außen; wer dem Bhck folgt, weiß nicht, gilt er dem kindlich- 
weiblicheu Gottmanne oder dem Weibe, das staunend tmd ohne 
jede Träumerei an dem Gotte vorbei auf den Mann blickt, oder 
dem Kinde, das zu dem Weibe gehört im^d selbst bei dem Erkennen 
des Mannes an dem Weibe hängt. Der Mann umfaßt alles Mensch- 
liche, wenn er lebendig wird, wenn er das Herannahen des Liebes- 
sturmes fühlt, wenn sich sein Mannsein wie im Bilde zur fortzeugen- 
den Tat zu erheben beginnt, er erschaut sich selbst, wie er im Zu- 
stand der Mannesvollendung ist, die Dreiheit von Mann — Weib — 
Kind. — Der Verfasser sieht in das Unbewußte dieses Bildes das 
Geheimnis des Männlichen hinein, das die Frauen so gut kennen, 
aber nie anerkennen, weil sie sonst danach handeln müßten, das 
Geheimnis, daß das, was wir Mann nennen, das Starke, Schöpferi- 
sche, nur für Minuten lebendig wird, daß der Mann nur dann Mann 
ist, wenn er sich im Zustand der Erregung befindet, im Enthusias- 
mus, im In-Gottsein befindet. La Creazione dell'uomo: der Gott, 
der den Mann erschafft, ist eingeboren im Manne, der Mann wird 
nicht Manu durch den Mann, nicht durch das Weib, nicht durch 

70 



i 



das Kind, er wird Geschöpf und Schöpfer durch die Idee des Mensch- 
lichen, durch die Vision der Dreieiuheit Mensch. Der Mann ist in 
der kurzen, sich immer wiederholenden Stunde des Mannseins 
Visionär, unbewußte Phantasie ist Vater und Mutter des Mannes. — 
Michelangelos Bild erzählt auch etwas vom Weibe: das Weib sieht 
nach dem Manne, aber selbst im Sturm der Leidenschaft hält es 
das Kind umfangen, es denkt nicht an das Kind, es denkt an den 
Mann, aber das Kind hat es bei sich; das Weib ist immer Mutter. — 
Jeder könnte und sollte es wissen, daß der Mann in der Umarmung 
auch an das Kind denkt, wollend oder versagend, die Frau denkt 
nie an das Kind in der Umarmung, nur an den Mann, sie braucht 
nicht daran zu denken, weil sie es immer von ihrer ersten Lebens- 
etunde an bei sich hat: wenn sie die Schwangerschaft vermeidet, 
so tut sie es nur des Mannes wegen, sie tut es nur, weil sie seine 
Gedanken und Bedenken errät. Frauen sind sehr klug, und sie 
sind nie und unter keinen Umständen Sklaven der Leidenschaft: 
Amor trägt die Binde vor den Augen, Venus sieht immer. Das 
einzige Weib mit der Binde vor den Augen ist Themis, die Gerechtig- 
keit, nicht weil sie ohne Ansehen der Person richtet, sondern weil 
die Gerechtigkeit, um richten zu können, blind für Gut und Böse 
sein muß, weil sie nur nach Gutdünken richten kann. Richtet 
nicht! — Überlaßt es den Müttern! Sie müssen richten, um das 
Kind für das Leben herzurichten, und dazu wird ihnen die Binde 
der Mutterliebe und des Mutterhasses umgelegt. 

Das lateinische „vir" hängt nach den Angaben der Sachver- 
ständigen mit dem Wort „vis = Kraft, gr. iphi (193t)" zusammen. 
Wie vollkommen das Wort dem Begriff des ausschließlich Männ- 
lichen entsprach, beweist das Adjektivum virilis, das noch heute 
im Englischen und Französischen die Manneskraft benennt; und 
in dem Ausdruck virago = Mannweib im unangenehmen Sinn, 
finden wir das bestätigt. — In der unbehinderten Lage des Laien 
fühlt man sich berechtigt, auch das Wort „virgo = Jungfrau" 
dem Wort „vir" zuzugesellen; aber die Etymologie erhebt Ein- 
spruch und behauptet, virgo hänge mit „virga = biegsame Gerte, 
Rute" zusammen. Offenbar benutzt sie den Begriff des Bieg- 
eamen, Grünenden, Wachsenden, um eine Annäherung auch in der 

71 



Bedeutung der beiden Wörter zu schaffen; Walde beruft sich dabei 
auf lat. talea = Stäbchen, Setzling und auf das verwandte griechi- 
sche talis (Tahg) = Braut, mannbares Mädchen. Dagegen will ich 
nicht streiten, Frauen haben etwas Biegsames, nur hört es nicht 
mit der Virginität auf; es fragt sich aber, ob virga nicht ebenfalls 
zu vir gehört, und das glaube ich. — Man nimmt an, daß virga mit 
uiz-ga, verbal genommen „winden", substantivisch „Bündel, Wisch, 
Besen'* zusammenhängt. Vorausgesetzt, daß diese von anerkannten 
Gelehrten (Walde, Kluge) aufgestellte Ableitung richtig ist, so hegt 
der Gedanke nahe, daß in dem Wort beide Geschlechter (vir — 
virgo) vereint im ursprüngHchen Symbol benannt worden sind, 
denn die Vereinigung der beiden Körper ist ein gegenseitiges Um- 
winden. Auch das dritte GUed der Gleichung des Menschen, das 
Kind, wäre im Sinne von Sprößling, Reis in dem Wort enthalten; 
die dichterischen Bilder vom Baumstamm, der vom Efeu um- 
schlungen ist, von dem Manne — auch wohl dem Weibe — um- 
wunden von der Schlange, Kranz und Krone auf dem Haupte 
drücken denselben Gedanken aus, ja der vulgäre Ausdruck „fegen, 
kehren" für den Beischlaf führt geradezu zu der Vorstellung des 
Bündels von biegsamen Gerten. Virga ist aber auch in andrer 
Weiße mit dem Worte vir verbunden, es besteht eine Wortverbin- 
dung „virga divina" = Zauberstab ; daß der Zauberstab der Phal- 
lus ist, läßt sich nicht bestreiten. Nimmt man die deutsche Sprache 
zur Erläuterung, so fällt einem zunächst ein, daß die gewöhnliche 
Übersetzung von virga Rute ist, das heißt ein volkstümlicher, bis 
vor wenigen Jahrzehnten allgemein gebrauchter Ausdruck für das 
männliche Glied. Die Bezeichnung der Meßstange als Rute leitet 
zum Ackerbau hin ebenso wie bei den Römern virga, und die Be- 
ziehungen zwischen dem menschlichen Eros und dem Ackern der 
Erde sind ia ihrer symbolischen Übereinstimmung in allen Sprachen 
und Gebräuchen nachweisbar. Nimmt man die Übersetzung Stab 
anstatt Stange (gebräuchlich als Bezeichnung des aufgerichteten 
Gliedes) oder Rute, so wird das Verhältnis noch klarer: Stab führt 
zu ahd. Stäben, idg. sthap ^^ fest, starr sein, und skr. stapay^stehen 
machen. Zu derselben Wurzel gehört gr. astemphes (aoTefi(pt]s) 
= fest, und dieses Wort führt zu einem weiteren wohlbekannten 

72 



Symbol des Männlichen und der Vereinigung von Mann und Weib 
„Btaphyle [azacpvXt]) = Weintraube, Weinstock". Bemerkenswert 
ist, daß staphyle aucb das Gaumenzäpfchen ist; hier begegnen wir 
wieder auf einem weiten Umwege der Symbolik der Körperorgane. 
Das Es verwendet den Schlund mit Mandeln und Zäpfchen in er- 
staunlicher Weise als Symbol der Erotik; die zahllosen Halsent- 
zündungen der Kinder — Kinder kennen offenbar diese Symbo- 
lik — , aber auch der Erwachsenen, die immer wieder an Mandel- 
entzündungen oder an Rachenkatarrh leiden, stehen fast immer in 
Zusammenhang mit Verdrängungen auf dem Ceschlechtsgebiet ; 
ja ich vermute, daß auch die diphtherischen Erkrankungen von 
dieser Symbolik abhängig sind, nur fehlt mir in der Praxis die Ge- 
legenheit, es nachzuprüfen. Das Zäpfchen symbolisiert natürlich 
das Glied — der Mannzapfen paßt in das Loch des Weibfasses, 
schließt und öffnet — , während die Mandeln bald als Vertreter der 
Hoden, bald der weiblichen Geschlechtsöffnung verwendet werden; 
das Ganze des Schlundes ist in seiner Funktion des Schlingens 
Gleichnis der Vereinigung oder der Geburt. — Der lateinische 
Ausdruck für das Zäpfchen ist uvula (uva =Weintraube); es 
herrscht also Übereinstimmung in beiden antiken Sprachen. Uva 
führt noch einen Schritt weiter, da es sprachlich mit oe (o?j)=^ Eber- 
esche, Vogelbeere zusammenhängt, die Eberesche aber Baum der 
Fruchtbarkeit ist; aus ihrem Holz wird die Lebensrute gewonnen, 
deren Schlag Menschen und Tiere fruchtbar macht. Daß Zapfen, 
Zäpfchen auch in der Funktionsbedeutung zu dem Ghede Beziehung 
hat, ist klar, es wird bestätigt durch das einzige mit Zapfen ver- 
wandte Wort „Zipfel", das ganz allgemein als Bezeichnung des 
männlichen Geschlechtsteils verwendet wird. 

Eine andre Übersetzung des Wortes virga lautet „Gerte*'; das 
Doppelgescblecbthche ist ebenso wie bei virga in dem femininen 
Gebrauch des Wortes im Gegensatz zu der männHchen Ableitung 
— Gerte ist verwandt mit lat. hasta = Speer, Lanze — ausgedrückt; 
hasta caelibaris war bei den Römern ein kleiner Spieß, mit dem 
das Haar der Braut geordnet wurde: die symbolische Bedeutung 
des Spießes als Symbol des Phallus ist um so verständlicher, als 
sowohl im Deutschen und Lateinischen wie in den andern indo- 

7* 



X 



germanischen Sprachen die Stoß- und "Wurfwaffe als aus dem 
Symbolzwange des Eros entstanden gekennzeichnet ist. Vor Ge- 
richt spielte die Lanze als Symbol des Männlichen von jeher eine 
wichtige Rolle, und das hat sich in dem bekannten Ausdruck Sub- 
hastation noch immer erhalten. Im Deutschen sind Lanze, Spieß, 
Speer, Dolch, Degen, aber auch Pfeil, Flinte, Revolver gebräuch- 
liche Bezeichnungen für den männlichen Geschlechtsteil. 

Besonders lehrreich ist das "Wort Pfeil, das von lat. pilum her- 
stammt (Wurfspieß). Walde erklärt kategorisch, daß pilum=Wurf- 
spieß nichts mit dem gleichlautenden pilum ^ Mörserkeule zu tun 
habe, das erste leitet er von einer Wurzel pig, pik her (franz. piquer 
= stechen) und bringt es in Zusammenhang mit pingo = malen, 
das andre soll zu pinso = zerstoßen, zermahlen gehören. Das mag 
schon sein, aber man könnte, von der Symbolik ausgehend, zu dem 
Schlüsse kommen, daß pingo ebenso wie pinso etwas mit der etymo- 
logisch anstößigen Wurzel puh-, fuh- zu tun habe. — Walde selbst 
gibt eine Art Anhalt dazu: er sagt, das Wort pingo = malen komme 
von einer Wurzel peik- und dazu gäbe es eine Parallelwurzel peuk-, 
von der pungo = stechen herkomme, aber auch pugil = Faust- 
kämpfer und pugna ^ Faustkampf, Schlacht, pugio = Dolch; alle 
diese Wörter hängen mit gr. pyx (tiv^) = mit der Faust, pygme 
{nvyfiri) = Faust, pygmes {nvyjuTjg) = Faustkämpfer zusammen, 
denen im Deutschen nach Kluge Faust stammverwandt ist. Das 
Wichtige aber ist, daß die Griechen unter pygme nicht unsere Faust 
verstanden, sondern die geballte Hand mit ausgestrecktem Mittel- 
finger; das aber ist eins der typischen Phallus symbole, besser Sym- 
bol des Mannes mit erigiertem Glied, der Faustkampf wäre damit 
der Kampf erregter Männer um das Weib. — Nähergebracht wird 
die Verwandtschaft pingo — pungo durch zwei andre Bedeutungen 
von pingo: die eine Ist „mit der Nadel stechen" (beim Sticken), 
die andre ist „ritzen". Pingo = ritzen führt zu dem russischen 
pizda (lit. pyzda, lett. pida) = weiblicher Schamteü, Ritze; dazu 
gehört altpr. peisda = Arsch und lit. pisti = begatten. In der 
Bedeutung „mit der Nadel sticken" tritt der erotische Zusammen- 
hang ebenfalls hervor; das Führen der Nadel ist vom Geschlecht 
bedingt, wie sich an der verschiedenen Art, wie Mann oder Weib 

74 



oder Kind sticken, leicht nachweisen läßt. — Bleibt man bei dem 
Klang des Worts pingo, so kommt man auf die Vermutung, daß 
unser Wort „pinkeln" damit zusammenhängt, nur muß man nicht 
glauben, daß solche Verwandtschaft in den etymologischen Werken 
näher behandelt wäre. Wenn man aber bedenkt, daß jeder Knabe 
im Sand oder Schnee mit Hilfe des Harns Malversuche macht und 
daß Grund vorhanden ist, die Neigung zum Malen auf die Tat- 
sache zurückzuführen, daß jeder Säugling ein geborener Windel- 
maler ist, fällt es doch auf, daß der Römer den Pinsel penicillus 
= kleines Schwänzchen, kleiner Penis nannte, eine Assoziation, 
die auch für das deutsche Pinsel zutrifft. Beide Sprachen benennen 
auch den Dummkopf so. Das stammverwandte Wort „Faust" 
bringt den Anschluß an die Wurzel fuh-. 

Alles bisher Gesagte macht die Ableitung von pilum ^Wurfspieß 
von demselben Stamm wie pingo nicht unwahrscheinlich. Das 
zweite Wort pilum = Mörserkeule geht zurück auf pinso = stamp- 
fen, stoßen. Die Geschlechtsbeziehung ist da ohne weiteres ge- 
geben: die Keule ist überall ein Symbol des Phallus = Pfahls, und 
auch etymologisch wird z. B. das Wort Viesel, Fasel = männliches 
GHed, ersteres auch für den weiblichen Geschlechtsteil gebraucht, 
mit pinso iind seinen Ableitungen zusammengebracht (mhd. visel 
== Mörser, air. cisel = Teufel — Zusammenhang von Teufel und 
Glied in einer von Boccaccios Novellen besonders hübsch ver- 
wendet — , lit. pisti = begatten, pinso würde zu pissen hinleiten). — ■ 
Zu allem Überfluß gab es noch bei den Römern ein Brüderpaar 
von Ehegöttern Pikunmus und Pilumnus, Pikumnus — abgeleitet 
von picus = Specht (gr. dryokolaptes, engl, woodpecker, beides 
Holz aushöhler, der Feuervogel des Prometheus) — zu pilum = Wurf- 
spieß, pingo = malen, ritzen gehörend Pilumnus zu pilum = Mörser- 
keule, pinso = stampfen. — Ein merkwürdiges Wort desselben 
Kreises ist pilarium = „Begräbnisort, wo die Asche Verstorbener auf- 
gehoben wurde*'. Es hängt nach Walde entweder mit pila = Mörser 
oder mit pila = Pfeiler zusammen. Symbohsch mag man es als das 
Weibliche auffassen, in dem die Asche des männlichen Liebesfeuers 
bleibt, sei es nun, daß die Keule (pilum) im Mörser gestampft hat 
oder daß der Pfeiler in dem pilarium zusammengebrochen ist. 

75 



Zusammenfassend m.öchte ich sagen, daß für mich kein Grund 
vorhanden ist, die Verwandtschaft von virga und damit von virgo 
mit vir und vis = Kraft zu bestreiten. 

Ein sicher von vir abgeleitetes Wort ist virtus, das ausschheß- 
lieh für den Mann gebraucht wird, Mannhaftigkeit, Mannestugend. 
Im Französischen hat sich daraus vertu gebildet, eine Weibes- 
tugend, ebenso wie für das deutsche Empfinden Tugend zunächst 
eine Eigenschaft der Frau ist; dabei liegt jedoch immer noch der 
Ton auf dem Verbalten im Geschlechtsleben. Auch scheint Tugend 
bei seiner Ableitung von taugen, tauglich ursprünglich ebenfalls 
eine männhche Tugend gewesen zu sein; wenigstens führt Kluge 
diese Wörter auf einen indogermanischen Stamm dhugb zurück, 
dem lit. dauksinti = mehren angehört und gr. tyche {tu;^j;) 
= Glück, tykane {xvxavi]) — Dreschflegel, tykos, tychos {xvxog, 
xvypc;) = Hammer, Meißel, männhche Symbole. In der modernen 
Umwandlung in Eigenschaften des Weibes zeigt sich die Doppel- 
geschlechtigkeit aller Symbole, die Erkenntnis des Unbewußten. 
von der männlich-weiblichen Natur des Menschen (Frauen- 
emanzipation). 

Verwickelt ist das Verhältnis des Wortes „virus = Gift" zu 
vir. Walde erwähnt eine Verwandtschaft nicht, hebt aber hervor» 
daß virus zunächst zähe Feuchtigkeit, Saft, Schleim bedeute 
(cymr. heißt das verwandte gwyar Blut). Das wurzelverwandte 
gr. ios {tog) bedeutet ebenfalls Gift (gleichlautend gibt es ein Wort 
ios, das Pfeil bedeutet, was mir als Hinweis auf den genitalen Zu- 
sammenhang auffällt), nach Prellwitz zu einem Stamm veiso 
= ergießen gehörig. Übereinstimmend leiten die Sachverständigen 
die Wörter verwesen und welken von demselben Ursprung wie 
virus, ios her; dabei scheint der Ton auf dem Dickflüssigen zu 
liegen (ai. heißt vesati, zerfließen). Nimmt man das deutsche Gift 
dazu, so hat man einen fast lückenlosen Beweis dafür, daß das 
Unbewußte Verbindungen zwischen Liebe und Tod kennt, nicht 
bloß bei den Griechen, die es ja in ihrer Kunst deutlich zeigen — 
die Darstellungen des Totentanzes in mittelalterhchen und neu- 
zeitlichen Bildern besagen dasselbe, ebenso die Gemälde der Auf- 
erstehung — , sondern bei allen Menschen. Im Deutschen haben 

76 



eicli diese Beziehungen am besten erhalten: Gift ist in den Wörtern 
Mitgift, Brautgift (Morgengabe) bei Namen genannt (jemanden ver- 
geben statt vergiften war früheren Sprachgewohnheiten geläufig 
und ist noch immer in der Dichtung lebendig); das Gift ist der 
Samen — dickflüssig = virus, vir — , das Vergiften der Samen- 
erguß — veiso = ergießen — , die Vergiftung die Schwangerschaft 
(die Rasse wird durch die Befruchtung mit minderwertigem Keim- 
plasma auch für die Folgezeit vergiftet, Kinder aus zweiter Ehe 
der Frau sind dem ersten Manne ähnlich) und das Hinwelken der 
Erektion. Verwesen, das zu dem Kreis gehört, bringt die Gruppe 
in Zusammenhang mit der von der Etymologie so scheu behandel- 
ten Wurzel puh- (puteo = stinken, putridus = faul usw.) ; das 
Sumpfige des erregten Weiblichen wird dabei angedeutet. Sumpfig, 
zum Faulen geneigt ist auch der Kaum zwischen Vorhaut und 
Eichel (dickflüssiges, stark riechendes Sekret der Talgdrüsen, Ent- 
zündungen dort); da die Vorhaut als weiblicher Teil des männ- 
lichen Organs vom Unbewußten aufgefaßt wird (Beschneidung), 
ist die Ableitung des Worts praeputium = Vorhaut von der Wurzel 
puh- annehmbar; Walde bringt sie mit puer =: Knabe, pnbea 
:= Geschlechtsteile zusammen, die aber ebenfalls zu der Wurzel 
puh- gehören. — Zu virus gehört ferner lat. viesco = welken, 
schrumpfen (engl, wither = verwittern), vietus = morsch, ein- 
geschrumpft. Auch das Wort viscum =^ Mistel, Vogelleim ist mit 
virus verwandt (Vogel ist wohl das bekannteste Symbol des uiänn- 
lichen Geschlechtsteils, der Leim, mit dem der Vogel gefangen 
wird, ist das zähe, feuchte virus des Weibes; die englische Sitte 
des Kusses unter dem Mistelzweig verbreitet sich allmähUch über 
ganz Europa). 

Wie stark das Unbewußte der Antike die Umarmung des Männ- 
lichen durch das Weibliche als tödliche Vergiftung empfand, zeigt 
die Laokoongruppe : drei männliche Figuren werden von den beiden 
Schlangen, die, von der Göttin gesandt, Doppelsymbol des Weib- 
lichen sind, getötet; soweit ist das Symbol schon in der Sage ge- 
geben. Das Kunstwerk selber formt das Gleichnis in eigner Weise 
weiter. Die mänulicbe Gewalt der Dreizahl fesselt den Blick sofort, 
weil der Mann zwischen den beiden Knaben — der Phallus zwischen 

77 



i 



den Hoden — unverhältnismäßig groß und kraftvoll ist; selbst der 
größere Knabe würde dem Vater kaum bis zur Hüfte reichen, und 
doch ist er nicht als Kind, sondern in Körperbau und Ausdruck 
als heranwachsender Jüngling gebildet. Das Symbol der Zwei als 
Weib ist ebenfalls stark hervorgehoben: die Schlangenleiber sind 
so kunstvoll durcheinander gearbeitet, daß mau nur schwer die 
Tiere einzeln in ihren Krümmungen verfolgen kann, es entsteht 
der Eindruck eines Lebewesens, einer Eins in der Zwei, eines Weib- 
chens mit umschlingenden Schenkeln. Und daß die Umscblingung 
des Männlichen sich so oft wiederholt, bis man zweifelt, ob der 
giftige Biß (virus) oder das pressende Umfangen den Tod herbei- 
führt, weckt den Schauer, den jeder zuweilen bei der Vision der 
weiblichen Leidenschaft empfindet : der Umarmung erliegen ist 
Wonne, aber undeutlich fühlt der Mann zuweilen die Gefahr des 
Gifts, da er ja nie weiß, ob es Liebe oder Haß ist, dem er erliegen 
wird, ob das Weib ihn wieder zum Halbgott erhebt oder als Sklaven 
knechtet (Delilah, Omphale). Verfolgt man die Linienführung der 
Gruppe, so sieht man die drei Phasen des männlichen Eros: rechts 
vom Beschauer die beginnende Erregung versinnbildlicht in der 
größeren Jünglingsfigur: das Männliche wird von der Erregung 
ergriffen, ist ihr aber noch nicht verfallen. Die Leitlinie geht dann 
zu dem riesigen Mann über, der schon unlösbar vom Eros um- 
strickt unter dem drohenden Schlangenbiß den Mund zum Aus- 
stoßen des Schreis öffnet, und sie endet bei der kleinsten Gestalt, 
bei der im Tode erschlaffenden Knabenfigur, dessen halbgeöffneten 
Lippen das letzte Leben entströmt. — Zieht man in Betracht, daß 
die Schlange und die Zweizahl auch als Sinnbild des Männlichen 
gebraucht werden, so wäre das weibliche Gift ganz ausgeschlossen 
und der Liebestod des Mannes durch sein Maunsein, durch das Her- 
geben seiner vires (Kräfte) und den Verlust des Samens (virus =^ Gift, 
zähe Flüssigkeit) dargestellt. Die Tatsache, daß Laokoon die Troer 
warnt, ein Loch in die Stadtmauer zu brechen, spricht für die erste 
Deutung, da die Stadt mit ihrer Mauer nur als weibliches Symbol 
aufgefaßt werden kann: das Weib rächt sieb an dem Weiberfeind. 
Aus dem Spätlatein ist das Wort „Intoxikation = Vergiftung*' 
in den Sprachgebrauch übergegangen, und von ihm stammen dann 

78 



eine Reihe von Wörtern, die namentlicli in der Ärztespraclie eine 
Rolle spielen (toxisch, Toxin — Antitoxin). Dieses griechisch- 
lateinische Mischwort verdankt seine Verbreitung der unbewuJ3ten 
Kenntnis vom Vergiftungscharakter der Liebeshandlung. Das grie- 
chische toxon (ro^ov) ist ursprünglich der Bogen, eine intoxicatio 
kann aber nicht durch den Bogen hervorgerufen werden, sondern 
nur durch den Bogenschuß, durch den vergiftenden Pfeil. Die 
Ableitungen des Wortes toxon (toxeyo, ro^evü) = schießen, 
toxotes, TO^oxrig = Bogenschütze) deuten schon an, daß Bogen 
und Pfeil als Einheit verstanden wurden. In der griechischen 
Mythologie sind die Geschwister Apollon und Artemis mit Bogen 
und Pfeil bewaffnet, und von Apollon ist ausdrücklich in der Ilias 
erwähnt, daß er vergiftete Pfeile, todbringende, benutzte : sein 
Schuß rief Epidemien hervor. Außer diesen beiden Gottheiten ist 
vor allem Eros noch mit Bogen und Pfeü bewaffnet, sein Geschoß 
tötet nicht, aber es vergiftet. Daß mit dem Bogen unter Vermitt- 
lung des Bogenspannens die Erektion gemeint ist, während Schuß 
und Gift auf den Geschlechtsverkehr und den Samenerguß zurück- 
geht, ist klar; natürlich ist bei der verwickelten Natur der Ge- 
schlechtsliebe schon die Erregung, die gegenseitige oder einseitige 
Begierde Wirkung der erotischen Waffe. Daß der Mythus zunächst 
die Vergiftung der Frau betont, ist leicht von der Tatsache der 
Schwangerschaft ableitbar, wobei hinzukommt, daß der Antike es 
ebenso wie uns bekannt war, wie das weibliche Tier im wahrsten 
Sinne des Worts mit der Befruchtung durch ein minderwertiges oder 
andersrassiges Männchen vergiftet wird. Der Samenerguß — Pfeil- 
schuß — führt aber auch die zeitweiHge Vergiftung, ja den zeit- 
weiHgen Tod des Männlichen herbei, so daß Bogen und Pfeil auch 
für die weibliche Liebeshandlung symboHsch sind. Von jeher hat 
das Volk angenommen, daß zum regelrechten Verkehr, vor allem 
zum Zustandekommen der Empfängnis ein Zusammentreffen des 
Samens mit dem Erregungssaft des Weibes notwendig sei, eine 
Meinung, die von der Wissenschaft nicht einmal mehr erörtert wird, 
obwohl sie richtig sein könnte. In der Etymologie findet sich für 
die Auffassung, daß Bogen und Pfeil auch weibliches Symbol sind, 
ein schwacher Anhalt in lat. arcus, das von Fick mit cymr. arffe 

79 



= Schoß (arm. argand = Gebärmutter) zusammengebracht wird. — 
Zu allerlei seltaamen Vermutungen führt die Tatsache, daß die töd- 
liche Waffe Bogen — Pfeil von der sanftkeuschen Artemis, der 
Herrin des Mondes und der Geburt ebenso wie von dem Gott der 
heißglühenden Sonne Apollon geführt wird. Artemis war den 
Griechen nicht jungfräulich, man mag bei ihr wohl das schlimmste 
Gift des WeibcB vermutet haben, heuchlerische Prüderie. 

In diesen Zusammenhang fügt sich ein Bild von Jan Steen in der 
Münchner Galerie ein, „der Arzt" genannt (Taf. 6) ; und für uns Ärzte 
ist es wie eine Auslegung einer der wichtigsten Tatsachen des Arztes, 
der Übertragung. Man sieht das wohl nicht auf den ersten Blick, 
denn die beherrschende Figur des Bildes ist weisUch im Hinter- 
grunde gehalten: ein Amor steht hoch oben auf einem Schrank der 
Stubenrückwand, er hält den Pfeil in der Hand, nicht um damit 
zu schießen, sondern um ihn nach der Kranken, einer jungen Frau, 
zu werfen. Die Waffe wird nur leicht verwunden, aber sie wird 
geschleudert werden und muß treffen, wenn anders die Behand- 
lung der Kranken in Gang kommen soll: zur .Behandlung gehört 
die Übertragung, das unbewußte Empfinden des hilfsbedürftigen 
Kranken, gleichgültig ob Mann, ob Weib, ob alt, ob jung, das 
Empfinden, in dem der Kranke Kind ist und den Arzt, ohne Wissen 
und Denken, in Vater und Mutter verwandelt. Meist ist dieses 
seltsame und einzigartige Verhältnis schon da, ehe der Arzt mit 
dem Kranken zusammentrifft, das Wort Arzt gehört der Magie an; 
aber erst die persönliche Begegnung entscheidet, und auch sie nur 
für kurze Zeit. Die Übertragung, das heißt die harmlose Ver- 
wundung und Vergiftung des Kranken durch den vom Eros ge- 
schleuderten Pfeil ist die Grundlage aller Behandlung: keine Wunde 
kann heilen ohne sie, der SpHtter im Finger wird vereitern, wo sie 
nicht da ist, jede Operation wird mißlingen, jedes Leiden sich ver- 
schKmmern. Es ist hier nicht der Ort, ausführlicher über dieses 
(Geheimnis zwischen Hilfesuchenden und Helfer — der Helfer 
braucht nicht Arzt zu sein, nicht einmal Mensch, nicht einmal Tier 
oder Sache, auch Vorgänge sind Helfer — zu sprechen, es gentigt, 
darauf hinzuweisen, daß der Künstler, der gewiß nur Spott zu geben 
glaubte, vom Unbewußten gezwungen wurde, tiefernste Wahrheit 

80 



zu malen. Das Bild beweist es. Ich sagte schon, der Pfeil wird 
geschleudert, kann also nicht schwer verletzen; aber dieser Pfeil 
ist vergiftet. Welcher Art ist das Gift der Übertragung? — Zunächst 
denkt man wohl an die Gefahr, daß ein ernstes Liebesverhältnis 
entstehen könnte, und diese Gefahr liegt um so näher, als ja die 
Neigung des Helfers zu dem Hilfsbedürftigen Voraussetzung alles 
Helfens — nicht bloß des ärztlichen — ist. Dieser Gefahr — wenn 
es eine Gefahr ist und die Erfahrung lehrt, daß das Gift eines 
solchen Liebesverhältnisses am Ende den Arzt, nicht den Kranken 
umbringt — , dieser Gefahr beugt Sitte und Gesetz vor; allerdings 
muß man wissen, daß dem Arzt nichts Menschliches fremd sein 
darf, auch kein menschliches Irren, daß also Sitte und Gesetz oft 
versagen werden. Aber solch Liebesverhältnis zwischen Arzt und 
Kranken kann immer nur Ausnahme sein, ganz abgesehen davon, 
daß es meistens ohne Schaden vorübergeht, es kann ja auch in der 
Regel nur der wcibhchen Kranken gegenüber sich entwickeln. Aber 
an dem Erospfeil klebt ein andres Gift, das wir unter dem Namen 
Widerstand kennen, und das kümmert sich weder um Geschlecht 
noch Alter, es ist immer da. Mit dem Augenblick, da der Pfeil des 
Eros — oder sagen wir der Übertragung — den Hilfeheisch enden 
trifft, und wenn er ihn auch nur ritzt, entsteht im Innern des meinen- 
den Menschen dieses Gift des Widerstandes, das sich gegen die 
Genesung richtet — Krankwerden und Kranksein dünkt dem Un- 
bewußten Rettung aus Gefahr zu sein — , es sucht folgerichtig 
alles und jedes zu erniedrigen, wertlos zu machen, was Genesung 
bringen könnte, Arznei, Bad, Klima, Umgebung, Pfleger, vor allem 
den Arzt. 

Gewiß kann man Kranke, auch mit Erfolg, behandeln, ohne das 
mindeste vom Widerstand zu wissen, ja das ist die Regel. Aber 
wer aufmerksam ärztliches Behandeln verfolgt, sieht sehr bald, 
daß das bewußte technische Handeln von einem unbewußten Be- 
sänftigen begleitet und, wenn es gut geht, geleitet ist. So ist denn 
in Wahrheit das A und der Therapie Widerstaudsbehandlung, 
mag die Erkrankung sein, welche sie wolle. Absichtlich die Über- 
tragung herbeizuführen oder zu pflegen, ist gar gefährlich, sie ist 
immer in ausreichendem Maße da. Daß sie nicht ausschließlich 

6 Groddeck, Dec Mensch als Symbol ol. 



dem Arzt gilt (er ist nur ein Träger dieser Übertragung), zeigt 
Steens Bild mit einem kleinen Zug, der jeden zum Lachen zwingt, 
wenn er ihn bemerkt hat. Das kranke Weib öffnet die Schenkel, 
aber diese Aufforderung zum Tanz gut nicht dem Arzt, der es nicht 
einmal bemerkt, sondern einem Symbol, zusammengesetzt aus 
Weibes Höhle und ragendem Phallus, einem nnentbehrhchen Ge- 
schirr des Krankenzimmers, das auch schon lüstern nach dem Tum- 
melplatz des Eros zielt. 

Erfahrene Ärzte haben gelernt und begabte ahnen es von vorn- 
herein, daß das Liebesfeuer und die Zuneigung des Kranken nicht 
ihrer Person gilt, sondern blinder Zwang des Eros ist. Dieses Feuer 
scheinbarer Dankbarkeit brennt nur dem Feuer zuhebe. Der 
Wächter im Krankenzimmer, der Hund, weiß das, er weiß, wie 
wenig das tiefste Herz seiner Herrin gefährdet ist, er sieht in der 
Haltung und dem Ausdruck der Kranken den Widerstand. — 
Noch ein zweiter Eros ist auf dem Bilde hinter dem Bett, aber 
auch er ist tot. — Man wecke ihn nicht. 

Im Griechischen ist das gebräucUiche Wort für Mann als männ- 
lichen Mann aner (avijQ). Der Stamm scheint nar zu sein und die 
Kraft zu betonen. Man bringt aner mit dem sabinischen neriosus 
= stark zusammen, hat auch sonst eine Menge Wörter aus andern 
Sprachen herbeigeholt, die bei gleichem Stamm das Kraftvolle 
hervorheben. Aber damit ist nicht viel erreicht, es fragt sich, 
worauf sich die Kraft bezieht. Brugmann nimmt eine Verwandt- 
schaft zu den Wörtern neura (vevga), neuron (vevqov), lat, nervus 
= Sehne an, aber andre bestreiten das. Folgt man Brugmann, so 
wird man au das bei vir erwähnte „iphi (itpi) = mit Kraft*' erinnert. 
Der Nominativ würde is (ig) lauten und die Sehne bedeuten. Aner 
würde auf dem Umweg über neriosus — nervus^ — aner die Fähigkeit 
zum Spannen der Sehne und damit des Bogens betonen; damit wäre 
man wieder bei der Symbolgleichung Waffe und Männliches ange- 
langt, bei dem männlichen Eros. Ergänzt man die Vorstellung von 
Bogen und Pfeil durch die griechischen und lateirdschen Wörter 
für „spannen"-— lat. tendo, gr. teino (zeivü)), dazu gehörig tonus — , 
80 vertieft und verbreitert sich der Wortsinn von aner-nervus be- 
deutend; man würde dann eher verstehen, warum der Ausdruck 

82 



ä 



nervus aUmählicb seine zentrale Bedeutung im menschlichen Leben 
gewonnen hat: nervus tritt dadurch in engste Beziehung zum 
Liebesleben, zu dem Problem des Menschen Mann-Weib-Kind- 
Sterben- Werden. Lat. tendo heißt zunächst spannen, ausdehnen, 
ihm entspricht aber im ai. tandate = läßt nach, tantra = Mattig- 
keit (Abspannung), tanuh ^= zart (lat. tenuis, nhd. dünn). Das 
Ambivalente beim Mann, der unvermeidliche Übergang von schlaff 
zu stark und von stark zu schlaff {Zwerg-Riese -Zwerg) drückt sich 
in diesem Bedeutungsspiel derselben Wurzel ten- aus. — Das 
deutsche „spannen" scheint mit der Wurzel span, mhd. spana 
= locken zusanamenzuhängen, was immerhin auf das Erotische 
bezogen werden könnte; der Ausdruck Spanne als Maß erinnert an 
die Volksmeinung, daß die Länge des aufrechten Gliedes der Hand- 
spanne entspreche. 

In den Zusammenhang Waffe-Männliches gehört ein Ausdruck 
der griechischen Kunsttheorie (Theorie ist Anschauung, Meinung, 
subjektives Urteil) „Kanon"; er wurde, wie ich gehört habe, für 
Polyklets Statue des Doryphoros (Speerträger) gebraucht, den die 
griechische Kritik als den Maßstab der Kunst betrachtete. Kanon, 
gr. xavmv, bedeutet gerader Stab, Rohr. Die Ableitung vom auf- 
gerichteten Gliede ist nicht zu bezweifeln. Ich meine, daß solch 
ein Wort wie Kanon mehr über die Macht des Eros auf allen Lebens- 
gebieten sagt als lange Abhandlungen. 

Das Merkwürdige an der Bezeichnung ist, daß wohl der Speer- 
träger selbst aufrecht steht, aber seine beiden Waffen, Speer und 
Ghed, sind nicht im Moment des Kämpfens dargestellt, sie sind 
nur zum Kampfe fähig und vorbereitet. Der Speerträger ist nicht 
allein ein Kanon des Männlichen, sondern in seiner ruhigen Bereit- 
schaft ist er Symbol des Menschen selbst, des Mann-Weib-Kindes. 
(Die Vorhaut ist immer als Weibliches im Männlichen zu werten, 
das Kunstwerk braucht beim nackten Mann das Weibliche nicht 
zu betonen.) 

Dieselbe Symbolik drückt sich in der Bezeichnung Doryphoros 
aus. Das Wort dory {Öoqv) = Holz, Speer wird von der Wurzel 
der- abgeleitet, die spalten, schinden bedeutet: während der Wort- 
sinn schinden auf die Entblößung der Eichel bei der Erektion gebt, 

6* 83 



weist spalten auf die Beziehung zum Weibe hin. Verwandt mit 
dory ist drye (dQvg) ^= Eiche, Baum, das in dem englischen tree 
weiterlebt; ebenso ist dendron (devögov) = Baum damit ver- 
wandt. — Das deutsche Baum (Stammbaum) gibt seine Beziehung 
zu dem Eros schon durch den Ausdruck „sich bäumen" kund, 
ebenso lat. arbor, das zu arduus = hoch gehörend, das Wachsen 
betont. Phoros (930^0?) gehört zu phero ((pegco) = tragen, lat. 
fero, Wurzel bhar, von der sich das schwedische barn ^ Kind 
ableitet (gebären). Das Spaltende, Schindende des Männlichen 
wird mit dem Weiblichen des Trächtigseins und Gebarens und mit 
dem Kindhchen zusammengebracht. 

Im Englischen gibt es ein Wort „pal", das ungefähr soviel wie 
Genosse, Kamerad bedeutet. Es ist verzeihlich, wenn dem Laien 
dabei das Wort Phallus einfällt, man denkt pal, phallos müsse 
dasselbe sein wie das deutsche Pfahl und das lateinische palus. 
Aber solche Gedanken passen nicht zur Gelehrsamkeit. Das la- 
teinische palus, von dem das deutsche Pfahl herkommt, soll durch- 
aus auf paciscor = Vertrag schließen (pax = Friede) zurückgehen. 
Es fragt sich nur, ob der Mensch den Frieden nicht doch als Ruhe 
nach dem Liebeskampf, als Erschlaffen nach der Erektion auf- 
gefaßt hat. Mich würde eine solche Annahme befriedigen. 



84 



Zum Begriff des Menschlichen gehört als dritter Bestandteil das 
Kindliche, Daß deutsche Wort Kind ist, wie ich schon früher er- 
wähnte, von der Wurzel gen, ken abgeleitet; es betont also das 
Entstehen und die Abstammung, führt nicht zu Merkmalen, die 
für uns wesentlich sein könnten. Ebenso bezeichnet das grie- 
chische Wort teknon (zexvov) (Zusammenhang mit Degen?) nur 
das Erzeugen, Erzeugt- und Geborenwerden (tikto, xixrai = ge- 
bären, erzeugen). Im Lateinischen gehört in diese Zusammen- 
hänge ein Plural libexi = die Kinder, ein Wort, das als die 
„Heranwachsenden" zu der indogermanischen Wurzel leudh- her- 
vorkommen, wachsen gehört (got. liudan, ahd. liotan, nhd. Leute, 
ab. Ijud = Volk, lat. liber, gr. eleutheros [eXev^EQO^] = frei, auch 
der lateinische Gottesname Liber als Gott der Zeugung). Schon 
eher gibt das englische Wort child eine Beziehung zu dem Mensch- 
lichen, da es möghcherweiee mit got. kilthei = Gebärmutter zu- 
sammenhängt. Dagegen führt das französische enfant mitten in 
die unterscheidenden Merkmale hinein, die das tägliche Leben für 
die Begriffe kindlich und erwachsen aufstellt. Enfant ist spät- 
lateinisch infans (in = Verneinung, fari = sprechen), das Wesen, 
das nicht spricht (unmündig). Damit ist eine bestimmte zeitliche 
Grenze, zwar nicht für den Gebrauch, aber für den Begriff gegeben. 

Infans: ein Wesen, das nicht sprechen kann, so eine Art Tier, 
ein Wurm, eine nette Pflanze oder gar ein Püppchen, jedenfalls 
ein Wesen, das nicht Becht noch Unrecht (fas und nefas von fari) 
kennt, dessen persönlichen Wert noch keine fama (Gerücht, Rtdim) 
in die Welt posaunt, das keine confessio (fateor ^^ bekennen), kein 
Glaubensbekenntnis, ja nicht einmal einen Glauben hat, das ebenso- 

85 



wenig von dem fatum (fari), dem allmäclitigen Schicksal etwas 
weiß wie von dem allmächtigen Gott, das keine fabula mit unver- 
meidlicher Moral ersinnt, sondern nur babbelt (schwed. babbia, 
nhd. babbeln, engl, baby, allgemein haba, Urwurzel von fari und 
infans bha- sprechen) und bampft und pampft = essen (dieselbe 
Wurzel bha-), ein infans, ein Wesen, das nicht spricht, das beißt 
das nicht denkt; denn denken, so höre ich, tut man in Worten 
(en arcbe en ho logos, sv fiQXV V^ ^ Xoyog = Im Anfang war das 
Wort, Theos en ho logos, ■&eo^ r)v 6 Äoyog = Gott war das Wort, 
Gott sprach: Es werde Licht und es ward Licht). 

Nein, das Kind denkt nicht, es dünkt sich auch nicht, hat keinen 
Dünkel, wovon sich ja das Wort denken herleitet, es ist arrbetos 
{cLQQtjTog) = irrational (eigentlich unaussprechlich, unfähig zu 
sprechen, von gr. eiro, siQCO = sprechen, fragen; es gibt noch ein 
andres eiro, das angeblich eine andre Wurzel ser- lat, sero hat 
und aneinanderreihen heißt), während das Nicht-Kind rbetos 
{^ijTog) = rational und rhetor (QrjrcoQ) = Redner ist. Aber das 
Irrationale hat auch seinen Sinn in der Welt, ja die hohe Wissen- 
schaft — nicht die Gelehrsamkeit — hat von jeher das Irrationale 
als das Tiefste des Lebens und Webens gekannt und ehrfürchtig 
staunend geahnt. 

Nein, das irrationale Kind infans kann nicht sprechen (eiro), 
aber es besitzt von Natur eine Eigenschaft, deren Bezeichnung 
von dem Wort eiro herkommt: eironeia (Etgcoveia) = Ironie. Das 
infans ist ein Schalk (eiron, eiqcov), der etwas scherzhaft äußert, 
aber es spöttisch meint: es hat für den weisen Mann, mit dem es 
zuerst zu tun bekommt, ein Lallwort erfunden, das lautet ; Papa — 
Babhler, Pappler. „Du redest soviel, gib mir lieber zu essen", meint 
infans. Und wahrhaftig, die Gelehrsamkeit ist auf das schalkhafte 
Lallen des Kindes hereingefallen, sie glaubt heutigentages noch, 
daß infans beim Anblick des Vaters — pater, pater {jiarrjg), pere, 
father, Pabst, Pfaff, Patriarch, alles kommt von diesem Spottwort 
her — , daß infans den weisen Mann Papa nennt, weil er für Papp 
sorgt; weil er dem infans „Essen, Speise" bedeutet. — Und wo 
bleibt die Mama? Hat man je gehört, daß ein Kind an der papilla 
(Brustwarze des Mannes, leere Brustwarze) gesogen hat oder be- 

86 



vorzugt es die mammilla der Mutterbrust? Komisch; Hybris, Ge- 
schwollensein des Mannes, der denkt, des Rhetors, des fatuus (von 
fari) = Narr. 

Dem griechischen eiro entspricht das lateinische verbum, auf 
deutsch Wort, von dem Kluge behauptet, es sei mit verbum eng 
verwandt. Die Annahme, daß das gesprochene Wort schöpferisch 
wirke, scheint sehr alt zu sein, wenigstens nimmt die christlich- 
jüdische Kulturwelt das an, wie aus den Kapiteln der Genesis 
und des Johannes - EvangeUums hervorgeht. Seitdem die Bibel 
nicht mehr Grundlage alles Forschens ist, hat man eine neue Aus- 
zeichnung für das Wort gefunden: man spricht von der Magie 
des Worts. Angeblich stammt die Bezeichnung Magie aus dem 
chaldäiechen Kulturkreis und es scheint etwas gemeint zu sein, 
was unserm Zaubern entspricht; Zaubern aber wiederum soll sich 
auf das geschriebene Wort beziehen (Runen). Jedenfalls liegen in 
dem Wort Kräfte — auch im Namen, Vor- und Zunamen — , die 
im Lehen eine bedeutende Rolle spielen. Waldes Lexikon reibt 
dies den Ärzten kräftig unter die Nase, wenn es bei dem Wort 
verbum das ab. vraib = Arzt, Zauberer, Hexenmeister erwähnt. 
Allerdings steht gleich daneben ein andres ab. Wort vräka = Ge- 
schwätz; man lasse sich gewarnt sein. 

Nach alledem könnte man auf den Gedanken kommen, daß 
infans weder Schöpfer noch Zauberer ist. Das wäre ein dummer 
Gedanke. Denn wer sollte wohl schöpferisch tätig sein, wenn es 
das infans nicht ist, das alles Menschhche, Leib und Seele, Hirn 
und Herz, Blut und Säfte erschafft. Wer kann so zaubern wie das 
Kind, nicht mit Worten, nicht mit Runen, aber durch sein bloßes 

Dasein? 

Die Griechen haben von eiro abgeleitet ein Wort eirene (etgrjvr]); 
wir übersetzen es mit „Frieden", aber dabei geht das Charakte- 
ristische des Ausdrucks verloren. Dem Griechen war Frieden Ge- 
schwätz, wie sie überhaupt Freude daran fanden, das Leben zu 
verschwatzen und zu zerschwatzen. (Als Darius seine Gesandten 
nach Art und Wesen der Athener fragte, antworteten sie: „Sie 
treiben sich auf dem Markt herum und schwatzen = agorazusi, 
ayogaCovöi."') — Die Römer fügen in ihrem Wort pax (papa, pater, 

87 



)l 



fari) der Bedeutung eirene „Gerede" gar noch den Fraß hinzu 
(paecor = weiden). Da kann der Germane nichts andres tun als 
pah sagen — ph — , das verächtliche Lallwort des infans für den 
Brot hiingenden Bahbler Vater („mh" ^= süße Milch, ma — mamma) 
Denn dem Germanen ist Friede (Freiheit, freien, Freundschaft) 
Folge und Ableitung von fri = lieben (germ. frija = lieb, geliebt, 
angs. frßod = Liebe, freobeam = Kind, got. frijön — lieben. Viel- 
leicht hat das römische Wort Hberi = Kinder doch etwas mit dem 
Begriff der Freiheit zu tun. — Nur Kinder sind frei vom Sitten- 
gesetz). 

Eirene, pax? Nein, Friede. Das lallende Kind ist Friede. „Ehre 
Gott in der Höhe, Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohl- 
gefallen." In seiner Nähe geht die Welt auf Zehenspitzen, ist leise 
und lächelt. 

Man kann es dem Magister Faust nicht verdenken, wenn er das 
Wort so hoch unmögHch schätzen kann. Eher könnte man an- 
nehmen, daß das Wort, die Sprache Mittel des Unbewußten sind, 
die Wahrheit, das Wesen der Dinge zu verschleiern, daß gerade 
die Eigenschaft des erwachsenen Menschen, in Worten zu denken, 
das Hindernis der Erkenntnis ist. Tatsache ist und bleibt es, daß 
alles Wesenthche des Menschen im arrhetos, dem Unsagbaren, 
Irrationalen vor sich geht, daß auch die Tat nicht der Anfang sein 
kann — Tat hängt zusammen mit der Wurzel dhe — setzen, stellen; 
lat. facio, gr. tithemi {xidn^fii) — , denn setzen, stellen ist unlösbar 
mit dem Begriff des Bewußten, des Ichs verbunden. Das Ich ist 
aber eine Fiktion, ein Irrtum oder um es anders auszudrücken, eine 
Maske, hinter der sich das Werden und Sein, das Es verbirgt. Und 
das Werdende ist eben das Kind; je mehr infans es ist, um so 
werdender ist es, um so näher der Wahrheit. Spaßhaft ist, daß die 
Grammatik durch den Gebrauch des Ausdrucks „verbum" sagen 
(Wort) und tun (Tat) in eins verschmilzt und so die Frage nach 
dem Anfang ganz verdunkelt. Die Philosophie macht es ebenso 
mit dem Ausdruck Logik. 

Das Wort „wahr", das im Leben und Streben so große Bedeutung 
hat, während es doch ohne weiteres klar ist, daß es für uns nur 
den Begriff „menschenwahi" gibt, Wahrheit mit dem Zusatz des 

88 



Menschlichen, irrende Wahrheit, wahres Irren, das Wort wahr 
(lat. verus) macht auch den Etymologen zu schaffen. Kluge bringt 
es kurzerhand und ohne sich um die gelehrten Gegenbeweise zu 
kümmern, mit der Wurzel wesro, wes zusammen, mit Wesen, sein. 
Walde dagegen gibt ihm den Sinn „vertrauensvoUe, freundliche 
Hingebung" ; allerdings muß man lange bei ihm suchen (unter dem 
Stichwort seveme steht es), ehe man das herausbekommt. Beides 
scheint mir, sobald man das Werden mit in Betracht zieht, also 
das Kindlich-Menschliche, zusammenzugehören. Das Kind ist Sym- 
bol des Werdens und Wesens so gut wie des Liebens (freundHche 

Hingabe). 

Wenn ich Wesen mit Werden und Sein zusammenbringe und gar 
mit Kind, dessen Wortabstammung von gen an früherer Stelle 
hervorgehoben ist, so treibe ich — in sehr unvoUkommener Weise — 
das, was die Wissenschaft Volksetymologie nennt, ohne daß sie 
ahnt, wie arg sie sich selbst mit dieser Bezeichnung verspottet. 
Die Gelehrsamkeit denkt nicht daran, Wesen und Werden für ver- 
wandt zu halten oder gar verus und verbum mit werden in einem 
Atem zu nennen. Werden ist für die Etymologie gleich lat. vertere 
= wenden, drehen. Sie weiß nicht, was sie damit sagt. Sie denkt 
nicht daran, daß erst durch das Drehen, Wenden des Kindes bei 
der Geburt aus der Lage mit hängendem Kopf in die könig- 
Uche (rex = König, regere = aufrichten) Stellung mit dem Kopf 
nach oben die Welt entsteht, wird, die Welt dessen, den wir 
Mensch nennen, das Wesen außerhalb des Mutterleibes. Ohne diese 
Wendung, die eine Grundlage für die menschliche Eigenschaft 
der Ambivalenz, des DoppeUebens und der Doppelerkenntnis 
ist, gäbe es Menschliches überhaupt nicht, sondern wir würden 
irgend etwas andres als „wissend" sein. Ich habe früher schon 
eiamal auf die Parallele zwischen dem Ptolomäischen und Ko- 
pernikanischen System und der EinsteUung des Kindes im Mutler- 
leib und außerhalb des Mutterleibes hingewiesen, auf die mich 
Egenolf von Boeder aufmerksam machte. Es würde sich der Mühe 
lohnen, die primitive Denkweise von Menschen zu untersuchen, 
die in Fuß- oder Steißlage zur Welt kommen, namentlich ihre 
ambivalente Einstellung. 

89 



Die Wurzelverwandtschaft der beiden Wörter Kind und König 
habe ich früher erwähnt. Die Geschichte sowohl wie das tägliche 
Leben lehren deuthch, daß das Wesentliche am König Kind ist; 
je mehr er durch sein bloßes Dasein wirkt, je mehr er arrhetos ist, 
um so größer ist seine Wirkung, um so mehr ist er König. König 
Friedrichs des Großen Wort, er sei der erste Diener des Staates, ist 
falsch und seine eigene Geschichte beweist, daß er erst König als 
Alter Fritz wurde, als er das Reden und Philosopliieren aufgegeben 
hatte und nur noch schweigsam, wünsch- und hoffnungslos da war, 
als er sich innerlich zum Kindsein bekannte. 

Dicht neben den Wörtern Kind — König stehen zwei andre: 
Können und Kunde (Kenntnis). Die Überhebung des Erwachsenen 
nimmt an, das Kind könne nichts, es müsse alles erst lernen. Aber 
abgesehen davon, daß es den Erwachsenen in seine Dienste zwingt, 
was doch immerhin ein großes Können voraussetzt und was uns 
nur mit Mühe zuweilen gelingt, stellt es sich Probleme und löst sie 
mit vollendeter Genauigkeit, die wir Älteren nur kümmerUch be- 
wältigen und die wir gering achten und in unser Unbewußtes ver- 
drängen, weil wir sie nicht so lösen können wie das Kind. Wann 
hätten wir je ein Auge aufgebaut? Allenfalls können wir es er- 
halten, wie es vom Kinde gebaut ist. Oder gar ein Gehirn? Man 
sollte das Können des Kindes (Fötus, Embryo, befruchtetes Ei) 
sich täglich wenigstens einmal vor Augen führen; dann würde man 
allmähhch einsehen, was das Kindliche ist, man würde froh sein. 
Kindliches zu besitzen und endlich ein neues Wort an Stelle des 
dummdreisten „infantil, Infantilismus" erfinden. In jedem Men- 
schen ist das Infantile, Gott sei Dank. Anders kann er nicht be- 
stehen, viel weniger etwas leisten. Die Bedeutung eines Menschen 
hängt wesentUch davon ab, wieviel Kindliches, Infantiles er sich 
in sein späteres, langsam verdummendes Leben gerettet hat. 

Was vom Können gilt, gilt auch von Kunde. Das Kind kennt 
viel mehr als der Erwachsene. Das Unbewußt 3 der Wissenschaft 
meint das und nichts andres, wenn es den Ausdruck „Gen" ge- 
braucht. Denn „Gen" ist ein naher Verwandter von Gnosis, know- 
ledge, Erkenntnis. Ja, in den Tihetanerklöstern scheint es Men- 
schen zu geben, die diese Kenntnisse des Kindes bewußt und er- 

90 



folgreicli in sich wieder auferwecken und pflegen, und die mittels 
dieser Kunde und Kenntnis sogenannte physiologische und psycho- 
logische Grundgesetze erschüttern, die beweisen, daß unsre Wissen- 
schaft vom Menschen auf einem wackligen und viel zu schmalen 
Fundament aufgebaut ist. 

Das Wort infans spricht dem Kinde, dessen Altersgrenze es auf 
zwei bis drei Jahre setzt, die Fähigkeit des fari ab, des Sprechens 
mit Wörtern. Sonstige Formen des Sprechens durch Ausdruck, 
Bewegung, Stimmung und Stimme, durch Zeigen, BHck, Auf- 
horchen, Nachahmung, Krankheit stehen dem infans zur Ver- 
fügung. Alle diese Arten des Sprechens konnte der Lateiner eher 
in dem Wort dicere = sagen und in seinen Ableitungen zusammen- 
fassen, da dicere in sich das Zeigen enthält. Im Griechischen ent- 
spricht dem dicere das Wort phemi {frjf^i) = sprechen, das mit 
phaino {<paiv(o) = zeigen, phaos {(paog) = Licht, phone (qaatvrj) 
= Stimme zusammenhängt. Die Wörter lat. vox, gr. ops (oy) 
= Stimme beschränken das Gebiet mehr, schließen aber das bab- 
belnde Kind nicht aus. Ich erwähne es hier, weü sowohl phaino ~ 
phemi wie ops zu den sprechenden Augen hinführen, die in der 
Ophthalmologie eine große Rolle spielen. Im Schwedischen lautet 
das entsprechende Wort für Sprache tal (ndl. taal). Daß tal ur- 
sprünglich mehr umfaßt als das Sprechen mit Wörtern, geht aus 
seinen mehrfachen Bedeutungen und aus denen des Verbums 
tala om hervor, noch deutUcher wird es, wenn man das verwandte 
englische tale = Erzählung, to teil = erzählen, sprechen, talk 
= Gespräch und das deutsche Zahl, Erzählung hinzuzieht. Das 
Erzählen ist eine der Sprachformen des Es, hei der es seine stimm- 
lichen Funktionen zur Verwendung bringt. 

Merkwürdig für meine Meinung ist die Verwandtschaft des 
Worts „sprechen" mit lat. spargo = ausstreuen, ausschütten, die 
Walde annimmt; er weist dabei auf das Wort sperma = mensch- 
licher Samen hin. Die Verbindung der Sprache mit dem Problem 
des Sexus (lat. secare = zerschneiden) und dem Individuum (Un- 
teilbares — Einzelmensch als Einheit von Mann — Weib — Kind) ist 

hier angedeutet. 

Warum der Erwachsene mit Wörtern spricht, darüber läßt sich 

91 



später diese oder jene Meinung andeuten. Hier will ich nur auf 
einiges aufmerksam machen, was das Unhewußte über die Am- 
bivalenz der Sprache mit Worten meint. Worte werden sehr oft 
von Gebärden begleitet, die genau das Gegenteil von dem erzählen, 
was der Mund spricht (Stottern, Wechsel der Stimmlage, Pausen, 
Heiserkeit, laut und leise, Haltung des Körpers und seiner Glieder, 
besondere der Hände, Abwenden der Augen, Kopfnicken, Kopf- 
schütteln usw.). — Der Ausspruch Talleyrands, daß die Sprache 
dem Menschen gegeben sei, um seine Meinungen zu verbergen, ist 
verrufen, bleibt aber trotzdem in der Tatsache der Ambivalenz 
wahr. Auch das Sprichwort: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, 
beweist, welche gewaltige Sprachkraft das Schweigen hat. Daß mit 
Schweigen etwas gesagt wird, zeigt das lateinische tacere, das nach 
Walde mit den aktiven Wörtern air. taihtan = ersticken, cymr. 
tagn = erwürgen verwandt ist. (Wer schweigt, erwürgt das Wort, 
aber nicht den Ausdruck. Verdrängung!) 

Man sieht, das infans verfügt über dieselben Kräfte wie der 
fatuus (= Narr), ja im Mutterleibe und bis zum dritten Jahr ver- 
fügt es über mehr. Man könnte einwenden, daß befruchtetes Ei, 
Emibryo, Fötus nicht mit in den Begriff Kind hineingezogen werden 
dürfen. Dann soll man sie auch nicht so nennen. Dann sollen die 
Weiber aufhören zu sagen: Ich trage ein Kind im Leibe, und die 
Männer sollen nicht mehr sich rühmen, sie hätten ein Kind gezeugt. 
Das Kind entsteht nicht durch das Geborenwerden, ja es ist von 
Ewigkeit zu Ewigkeit, das Kindliche fängt gar nie an und hört nie 
auf, ehe der Tod alles menschliche Leben zerstört, ein Ereignis, 
von dem wir nichts wissen. 

Die Schweden haben für Kind das Wort barn; sie leiten es in 
Übereinstimmung mit den Sprachforschern andrer Nationen von 
„bära = tragen" ab, das heißt für ihr SprachunbewidJtes beginnt 
das Kind — ebenso wie für uns Deutsche oder für die Griechen 
(teknon) — mit der Befruchtung, mit dem Augenblick, wo die 
Mutter trächtig wird. Elof Hellqvist, dessen etymologisches Lexikon 
ich zu Rate gezogen habe, ist es bei dieser Ableitung nicht wohl 
zumute, obgleich er sie anerkennt (bära ist für ihn wie für alle ver- 
wandt mit lat. fero, gr. phero, <p£Q(0 = tragen); er meint, bära 

92 



bedeute im Falle des barn fdda = nähren, füttern. Vielleicht hat 
ihn das schwedische Wort barm = Brust (barmherzig), Mutter- 
bnist darauf gebracht (ich werde mich gleich damit beschäftigen), 
vielleicht ist es auch födas = geboren werden oder lat. foetus. 
Wer weiß es? Jedenfalls entschlüpft er damit nicht der Fest- 
stellung, daß für den Schweden auch schon der Fötus ein barn 
ist, daß der kleine Schwede nicht erst mit dem födelsedag zu leben 
beginnt, sondern schon in der livmoder = Gebärmutter (wörtlich 
Lebensmutter) Kind ist. Ich habe schon früher gezeigt, daß föda 
und foetus von der Wurzel puh-fuh herkommen. Abo auch der 
Umweg über föda = füttern führt zum Augenblick der Befruch- 
tung, zu dem Verschmelzen von Männhchem und Weiblichem in 

puh-fuh. 

Dieselbe Ansicht, daß das Kind mit der Empfängnis beginnt, 
spricht sich in lat. puer und puella aus, die ebenfalls von der Wurzel 
puh" herstammen (verwandt ist das deutsche Bube und das eng- 
lische boy). Das Lateinische ist deshalb so wichtig, weil in den 
Wörtern puber, pubertas = geschlechtsreif, Reife die Erfahrung 
enthalten ist, daß das Kindliche auch nach Eintritt der Mannbar- 
keit dem Menschen bleibt, ja das Wort pubes = Schamteile beweist, 
daß das Unbewxißte des Lateiners gerade das immer Kindliche der 
Geschlechtsorgane ausdrücken wollte. Die Dreieinheit Mann- Weib- 
Kind setzte sich durch. 

Um auf das schwedische Wort barm = Brust ziuückzukommen, 
so ist eine enge Verwandtschaft zwischen bära ^ tragen, trächtig 
sein und föda = nähren durchaus verständlich. Schon in der 
Schwangerschaft, während das Kind noch von der hvmoder (Gebär- 
mutter) ernährt wird, schwellen die Brüste, werden zum barm — 
zur stellvertretenden livmoder. Möglich ist auch, daß das Symboli- 
sierende des Unbewußten das Wort barm erfunden hat, weil ihm 
die Milchsekretion ein Zeugungsakt ist, ein Anschwellen mit darauf- 
folgendem Erguß; Brust und Warze vertreten das Männliche und 
die Milch den Samen, der saugende Kindermund das WeibHche, 
das Wachsen und Gedeihen das Kindliche, das „barn". Im Deut- 
schen ist „Brüste" dual, abgeleitet von bersten, bresten, brechen. 
Die Brüste sind die Hoden, das Kind ist das Glied. — Weiße Milch 

93 



wird im Deutschen für den Saraenfluß und den Wochenfluß ge- 
braucht (lat. papilla und mammilla). Die symbolische Gleichung 
von Weiberbrust und männUchem Geschlechtsorgan hat viele 
Folgen für das Leben, die freilich wenig bekannt sind. Sie erklärt 
sich wohl auch daraus, daß das Saugen an der Brust, wer immer 
es ausübt, einen starken Wollustgenuß beim Weibe auslöst, wäh- 
rend andrerseits selbst der sogenannte normale Geschlechtsakt vom 
Unbewußten als ein Saugen der Vulva und Vagina am Phallus 
aufgefaßt wird, als eine felatio (felo = säugen, filius = Sohn, 
filia = Tochter). 

Die Meinung, daß das „Kind" schon von der Befruchtung an, 
vielleicht schon vom Beginn des Lebens auf Erden an (Keim- 
plasma) besteht, daß man also alles, was von diesem Geschehnis 
an vorgeht, zu dem Menschlich-Kindlichen zu rechnen bat, findet 
eine Stütze in dem Wort Embryo (gr, embryon [sfißQvov] von 
bryo [ßgvoj] = strotzen, sprossen, also wohl: was innen sproßt). 
Nach Walde und Prellwitz (der als Wurzel gern angibt und es in 
Verbindung mit harys [ßagv^] = schwer, lat. gravis = schwer, da- 
von graviditas = Schwangerschaft bringt), hängt lat. veru = Spieß 
mit bryo zusammen, das wiederum in verschiedenen Sprachen 
Verwandtschaften zu den Begriffen Baum — wie Spieß symbolisch 
zu Phallus gehörend — und Berg — Schwangerschaft und mons 
veneris — hat. 

Weiter führt die Bedeutung des Wortes bryo als strotzen, spros- 
sen. Für uns Laien führt strotzen ohne weiteres zu dem Strotzen 
des Phallus; in der Etymologie sei ein Umweg gestattet. Strotzen 
(germ. Wurzel: strut = schwellen) ist im Englischen in stmt 
= Anschwellung erhalten und mit der Bedeutungsentwicklung 
„vor Zorn schwellen" im deutschen Strauß = Kampf (angs. das 
verwandte J)rutian = vor Zorn schwellen). Zorn kommt von der 
Wurzel ter = zerreißen. Es fragt sich, was im „Schwellen vor 
Zorn" zerrissen wird. Darüber gibt gr. orge {oQyrj) und lat. ira 
= Zorn in Verbindung mit einem Ursymbol Aufschluß. Die leiden- 
schaftliche Empfindung des Zorns ist am nächsten der der Liebes- 
leidenschaft verwandt. Sie lodern beide, sind Feuerkinder, Auf- 
wallen und Kochen des Bluts kennzeichnen sie. Sie machen den 

94 



1 

j 



Menschen blind. Sie rasen. Und wenn die Geschlechteleidenschaft 
dem Manne die Liebeswaffe gibt, so wird dem Zornigen alles zur 
Waffe. Wie die Raserei der Liebe den Geschlechtsteil gegen das 
Weib sich aufbäumen läßt, so bäumt sich im Zorn alles gegen die 
Welt auf. Das Symbol hegt in dem Verhalten des Bluts: wie in 
der Liebesleidenschaft das Blut zum Geschlechtsteil schießt, steigt 
es im Zorn zu Kopf (Zornesröte); der Begriff der Franzosen „les 
yeux rouges" kennzeichnet schlagend die Verwandtschaft von 
Liebe und Zorn. Man muß diese Zusammenhänge beachten, nicht 
bloß kennen; in ihnen sind große Gebiete des Lebens aneinander- 
gebunden, sie umfassen Geheimnisse des Menschhchen, die dem, 
der sie ahnt, ehrfürchtiges Erstaunen aufzwingen. (Von der Ge- 
schlechtswurzel puh- geht der Weg über „puhes" zu „pudor 
= Scham", „pudet = es schämt mich", „pugna = der Kampf" 
zu „Faust", zur „Wut" und zu „vates = Seher" usw.) Die Zornes- 
und Schamröte sind Symbole des Eros. Vielleicht dachten die 
Griechen an diese Dinge, wenn sie dem Eros den Anteros entgegen- 
stellten. 

Analog diesen physiologisch-symboüschen Phänomenen ist der 
Sinn der Wörter orge und ira. Gr. orge [ogyt]) = Trieb, Zorn ist 
schon in seinen Geschlechtsbeziehungen durch die noch heute 
gebräuchlichen Wörter Orgie und Orgasmus (Augenhhck der Wol- 
lust) gekennzeichnet. (Orgia [oß^ia] ist ursprünghch geheimer Got- 
tesdienst, orgion [oQyicor] = Priester; man wußte von jeher, wie 
Eros und Gottesvorstellung und Gottesdienst gegen- und ineinander 
wirken.) Zu alldem bedeutet das Wort orgas (ogyag) mannbar. 
Die geheimnisvolle Macht des Worts im Symbol offenbart sich hier: 
orge hängt zusammen mit ergon {sQyov) = Werk und dessen Ab- 
leitungen. (Organon = Werkzeug, Organ ist davon abgeleitet, das 
Unbewußte der Sprache drückt ea deutlich aus, daß alles bewußte 
und unbewußte Wirken — durch die Organe des Organismus — 
vom Eros durchflutet ist.) Werk und Wirken gehören ebenso wie 
Wirklichkeit zu diesem idg. Stamm werg. Es ist, als ob die Sprache 
aus sich heraus entscheide, daß ohne orge und orgasmos kein Men- 
schenleben mögUch sei, keine Arbeit, kein Wirken. (Daß die Be- 
deutung des Worts „wirken" auf die Tätigkeit des Webens und 

95 



Nähens ausgedehnt worden ist, deren erotischer Ursprung klar ist, 
darf hervorgehoben werden.) — Die mir zu Gebote stehenden Hilfs- 
mittel erlauben mir nicht zu entscheiden, ob das Wort orego = auf- 
richten (verwandt mit lat. regere und erigere = aufrichten) irgend- 
welchen Zusammenhang mit orge und ergon hat. Ich erwähne es 
hier, weil von orego ein Wort orgyia {pQjvta) = Klafter abgeleitet 
wird. Das erinnert mich an Sätze, die ich über die Meinung des 
Worts Spanne gesagt habe; orgyia = Klafter (das Maß der 
Menschen mit ausgebreiteten Armen entspricht nach der Meinung 
des Kanon der Körperlänge) und Spanne der Hand sind für- 
einander dieselben Symbole wie Mann und Glied. — Zu ähnlichen 
Folgerungen führt das Wort ira. Es wird zu ai. esati, esanyati 
= treibt an, isyati ^^ erregt in Beziehung gesetzt, wozu dann 
gr. hieros (legog) = kräftig, heilig gehört. Das verwandte ai. is 
= Erquickung, Kraft; gr. iaino {tatvco) = erquicken, lat. eira 
= Erregtheit, gr. oistros (oiotqoc) = Wut und oima = stürmi- 
scher Angriff vervollständigen zusammen mit den gleichstämmigen 
Wörtern himeros {tfiegog) = Sehnsucht, Wunsch, ios (tog) = Pfeil, 
iotes {tOTYjg) = Wunsch die Bindung an die Gebiete des Eros. 

Bei alledem geht man wohl nicht fehl, wenn man das ter = zer- 
reißen in dem Worte Zorn mit dem Deflorationsakt in Beziehung 
bringt. Ich muß hier auf eigene Hand ein wenig Volksetymologie 
zum Besten meiner Meinung treiben. Im Lateinischen gibt es ein 
Wort vello = reißen, Wurzel dazu ist vel; Waide teilt mit, daß 
davon das Wort vulnus oder, wie er es schreibt, volnus = Wunde 
herkomme. Den ersten Eindruck einer Wunde bekommt jeder 
Mensch bei seiner Geburt durch die Blutung der Mutter und dieser 
Eindruck verstärkt sich durch das Durchschneiden der Nabel- 
schnur, das dem Neugeborenen eine Wunde am eigenen Körper 
bringt. Der Begriff Wunde entsteht in jedem Menschen aus den 
Geburtserlebnissen. In den ersten Kindheitsjahren wird diese Ver- 
bindung von Wunde und weibUchem Genital in den regelmäßigen 
Zwischenräumen der Menstruation bewußt vom Kinde immer 
wieder hergestellt und für das spätere Alter bleibt im Unbewußten 
diese Verbindung lebendig, selbst wenn bewußtes Wissen sie nicht 
mehr wahrhaben will. Sollte es da nicht möglich sein, daß das 

96 



1 



Unbewußte der Sprache das Wort vulva — Walde nennt es volva 

auch aus der Wurzel vel — velo = zerreißen hergeleitet oder wenn 
das sprachgesetzlich unmöglich ist, künstlich mit vulnus zusammen- 
gebracht hat? Dagegen spricht, daß die Etymologie — vermutlich 
mit gutem Grunde — volva von volvo = drehen, biegen ableitet, 
und wie erinnerlich sein mag, habe ich von dieser etymologischen 
Feststellung an früherer Stelle Gebrauch gemacht. Dafür spricht 
die ursprüngliche Bedeutung von volva = Eihaut. Mit dem Zer- 
reißen der Eihaut (vel, velo) beginnt für das Kind ein neues Leben, 
ein Landleben im Gegensatz zu dem bisherigen Leben im Wasser. 
Man kazm diesem Ereignis seine grundlegende Bedeutung nicht 
absprechen, die Wirkung auf das Kind muß groß und unvergeßHch 
sein. Diesem ersten Reißen schließt sich dann die Geburt und Ab- 
nabelung an, die ursprüngUch wohl ein Durchbeißen und Zerreißen 
gewesen ist, ehe Messer und Schere da waren. Und drittens kommt 
die Wundblutung der Mutter hinzu. All diese Dinge sprechen sich 
in der zweiten Bedeutung des Wortes vulva ^ Gebärmutter aus. 
Erst spät hat das Wort die Bedeutung der Schamspalte angenommen, 
in der es jetzt verwendet wird. Auch das heße sich als Resultat der 
Menstruationskenntnisse der Kinder deuten. 

Das Anschwellende, Strotzende, das in dem Wort Embryo liegt, 
geht in seinen letzten Wurzeln auf die Tatsache der Erektion zurück, 
was dem menschlichen Meinen von der Notwendigkeit des Vater- 
Erzeugers, mit andern Worten der Existenz des Kindes im Samen 
und Phallus entspricht. Für das Sprachunbewußte entsteht das 
Kind nicht, es ist immer da, der Geschlechtsakt zieht es nur von 
dem Männlichen in das Weibliche hinein, damit es dort, in der vom 
Phallus gerissenen Wunde (vulnus von vello = reißen, Wurzel vel), 
sprossen (bryo) und zum Sprößling — Kind werden kann. 

In dem Wort Sprößling, das ja geradezu für Kind gebraucht wird, 
wiederholt sich, was eben über das Vorhandensein des Begriffs Kind 
im Phallus gesagt worden ist. Das Zeitwort ist sprießen, ndl. spru- 
ten, engl, sprout. Die westgermanische Wurzel „spnit = hervor- 
springen" leitet zum Erguß des Samens hin; zumal wenn man die 
Ableitungen ags. spreot = Stange, Schaft, ndl. spriet = Spieß, 
Speer hinzurechnet. Noch deutlicher wird das durch die Fest- 

7 Croddeok, Der Mensoli ala Symbol 97 



Stellung, daß „spritzen" ebenfalls zur Wurzel sprut, spreut gehört, 
was namentlicli im Englischen nachzuweisen ist — sprit heißt dort 
spritzen und sprießen. Im Griechischen entspricht dem „sprießen" 
speiro {ojieiga}) = streuen, säen, gießen, davon abgeleitet ist 
Sperma (oneQfia) = menschlicher Samen und asparagos (aoTiagayog) 
= Spargel, eine Pflanze, die als Symbol des Phallus im täglichen 
Leben und in der Medizin eine große Rolle spielt. Im Lateinischen 
finden wir das verwandte spargo = streuen, sprengen, spritzen; 
Walde leitet davon das englische „sprinkie = besprengen, sprühen" 
ab — im Deutschen wird sprinkeln, sprenkeln für Harnlassen ge- 
braucht — , engl, „spark ^ Funke", „spring ^ Frühhng" (die Göt- 
tin auf BotticeUis Bild Prima Vera ißt schwanger). Schließlich führt 
spargo zu aisl. sprek, angs. spreuk, spranka = Schößling (Pflanze). 

Aus dieser Fülle greife ich das letzte Wort Schößling heraus, 
das zu Schoß führt. Man leitet Schoß von einer Wurzel skut^schie- 
ßen ab. Die Sprachwissenschaft, soweit sie mir bekannt ist, weiß { 

mit diesem Ursprung Schoß = skut, schießen wenig anzufangen, sie 
geht um die Frage, warum Schoß (Gewandteil, Gewandfalte, Lap- 
pen, engl, lap) für das Weibliche gebraucht wird, herum. Sobald 
man schießen, Schuß mit der Ejakulation des Samens zusammen- 
bringt, was nicht nur gerechtfertigt, sondern eine wichtige symboli- 
sche Wahrheit ist, fallen alle Schwierigkeiten fort; dann ist eben 
Schoß (engl, lap, nhd. Lappen gehört zusammen mit gr. lobos, { 

loßog = Ohrläppchen, Schamläppchen? und lat. legumen = Hül- 
senfrucht) die Einfaltung im Hautgewande des Weibes, die Scham- 
spalte mit den Schamlippen, die den Schuß auffängt. Der Schöß- 
ling wäre das, was im Schoß durch den Schuß entsteht, das Kind. 
(£lof Hellqvist bringt in seinem schwedischen Wörterbuch unter 
dem Stichwort scott Schoß der Erde und schützen auf skjuta 
schießen zurück, angs. scyda; engl, shut ^^ einschUeßen. Wahr- 
scheinlich hat er recht. Schoß der Kirche. Sicher wie im Mutter- 
Bchoß, Abrahams Schoß. Ausdrücke wie verschossen, Schuß 
= Kadettenausdruck für Verliebtheit zwischen älteren und jüngeren 
Kameraden.) 

Zu denselben Folgerungen wie Sprößling, Schößhng, daß näm- 
lich das Kind nicht wird, sondern ist — so betrachtet gilt Christi 

98 



\Vi 



Wort: „Ehe denn Abraham war, bin ich", von jedem Menschen — , 
zu denselben Folgerungen führt das Wort Keim, dessen Ewigkeits- 
wert die neuere Wissenschaft in dem Wort und Begriff Keim- 
plasma von neuem betont hat. ' 

Keim, keimen soll von einer Wurzel ki stammen; die beiden 
Begriffe des Wachsens und Aufbrechens vereinigen sich in dem 
Wort, und wenn es nicht schon ohne das klar wäre, daß der Keim 
nicht bloß das Pflanzenkind, sondern ebenso das Menschenkind ist, 
würde der Sprachgebrauch in der Wendung „keimende Hoffnung" 
es beweisen. „Hoffnung" ist Schwangerschaft mit dem Wachsen 
des Kindes und der Erwartung des Aufbrechens der Hülle, der 
Geburt. Noch weiter zurück in das Kindsein vor der Empfängnis 
führt das wurzelverwandte (ki-) Wort Keil. 

Zu dieser Wurzel ki gehören auch die beiden Ausdrücke „keist 
= menschlicher und tierischer Samen" und „Kautel = mensch- 
licher Samen". „K eisten" bedeutet onanieren und „keistern" 
Schleim auswerfen, speien; ebenso wurde und wird Keutel als Be- 
zeichnung für Nasenschleim gebraucht. Die Symbole Nase = Penis, 
Schleim = Samen, die in der Entstehung der Krankheiten solch 
große RoUe spielen (Heuschnupfen, Begattung des weiblichen 
Nasenlochs durch Blütenpollen) klingen hier an; aber ebenso alle 
sonstigen Erkrankungen mit Schleimabsonderung; allerdings muß 
man zum Verständnis dieser Zusammenhänge wiesen, daß das Un- 
bewußte auch einen Samen und Samenerguß des Weibes kennt. 
Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß das englische cud ^klebrige 
Flüssigkeit (nhd. Kitt), cuddle ^ umarmen und ebenso engl, quid 
= Tabakssaft zu Keut, Keutel Beziehungen haben; allerdings steht 
davon nichts in den Lexika. 

Eine besondere Bedeutung von Keil muß erwähnt werden: es 
wird ähnlich wie Pflock und Bolzen in dem Sinn des Verschließens 
eines Lochs, einer Öffnung gebraucht. Damit tritt es ebenso wie 
die beiden erwähnten Wörter in enge Beziehung zur Schwängerung 
(„das Loch verkeilen"). — In demselben Sinn ist die Redensart 
„Kind und Kegel" übHch (Kegel ist eng verwandt mit Keil, auch 
Keule gehört hierher). Die Neunzahl der Kegel bezeichnet den ur- 
sächhchen Zusammenhang des Spiels mit dem Geschlechtsakt aus- 



7« 



99 



reichend; der Kegelkönig in der Mitte der acht andern Kegel ist 
Doppelsymbol: Kind und Phallus. — Die Abhängigkeit der Spiele 
von der Erotik ist bekannt genug, ich werde aber doch an geeig- 
neter Stelle darauf eingehen müssen. 

Schließlich muß ich noch die Ableitung von Keil, Kegel, angs. 
caege erwähnen, das im Englischen in key ^= Schlüssel weiterlebt. 
Die Rolle, die das Verheren und Verlegen des Schlüssels aus sexuellen 
Verdrängungswünschen im tägüchen Leben spielt, ist bekannt. 
Das Besondere ist, daß key zunächst als musikalisches Zeichen, 
„Schlüssel", gebraucht wurde. Die Zusammenhänge von Eros und 
Musik sind eng (Schlüssel ^ Phallus). 

Verwandt mit Keim, Keil ist uach Grimm u. a. das "Wort Kiel, 
Federkiel, während Kluge Schiffskiel ganz anders ableitet. Er 
deutet an, daß Schiffskiel etwas mit Kehle zu tun haben könnte. 
Sollte das wahr sein, so wäre das den Etymologen rätselhafte Kiel- 
kropf = Wechselbalg, Mißgeburt allenfalls zu deuten. Der Kiel- 
kropf wird nach dem Volksglauben mit einer Kröte unter der Zunge 
geboren. Bringe ich dies in Verbindung mit Kehle, so scheue ich 
nicht davor zurück, daß die Vorstellung vom Wechselbalg = Teufels- 
kind auf dem Abscheu vor der felatio (Saugen am Gliede) und dem 
Verschlucken des Samens beruht. Kropf ist an sich eine hervor- 
stehende runde Masse (im anord. kroppr = Rumpf, Leib, Buckel, 
im ndl. wird es für die Brüste gebraucht, im angs. ist es Baum- 
wipfel, Ähre, Traubenbüschel). Das alles läßt sich in dem Begriff 
der Rundung des Weiblichen, der Schwangerschaft unterbringen, 
vor allem der Kropf und das Kröpfen der Vögel, Wörter, die in 
sich den Sinn von Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt ent- 
halten. Zu solcher Auffassung leitet auch die Bezeichnung Adams- 
apfel (im Schweizer Dialekt wird er auch Kind genannt) hin. Eine 
Bestätigung ist die Tatsache, daß die Anschwellung der Schilddrüse, 
die wir gemeinhin Kropf zu nennen pflegen, wie es scheint, immer 
mit Schwangerschaftsvorstellungen zusammenhängt (Schilddrüsen- 
anschwellung der Pubertät, während der Menstruation). Für das 
Unbewußte sind eine Menge Speisen, ja auch Wörter und Gesichts- 
eindrücfce leibhaftige Befruchtungssymbole, die sich in dem An- 
schwellen und Wachsen der Gewebe, Organe und Körperteile 

100 



(Baucli) offenbaren. — Ich neige auch zu der Ansicht» daß Kiel 
und Schiffskiel urverwandt sind. Hier möchte ich nur betonen, 
daß der Schiffskiel ein uraltes Weib — Schwangerschaftssymbol ist. 
Der Federkiel aber steht in Beziehung zum Vogel, Fliegen, die 
beide Begattungssymhole sind. 

Unklar in ihrer Ableitung sind die im Klang an Kind erinnernden 
Bezeichnungen für junge Tiere, speziell Zicklein (nhd. Kitze, 
schwed. killing oder kid, engl, kid, ganz gebräuchlich als Kosewort 
für Kind. Übrigens ist auch das Wort kind in Schottland üblich. 
Kille bedeutet im Schwedischen Harlekin, es ist mir aber nicht 
bekannt, ob das Wort im Puppenspiel verwendet wird. Daß unsre 
bekannten Figuren, der Hanswurst und der Kasperle und das Spiel- 
zeug des Hampelmanns mit erotischer Symbolik zusammenhängen, 
nehme ich an.). Auffallend ist die Ableitung, die Weekley für das 
Wort kidney = Niere gibt. Er nimmt an, daß die letzte Silbe 
(kiden-ey) das deutsche Ei, eventuell der Hoden ist, während die 
ersten Silben von ihm mit cud, quid = klebrig zusammengebracht 
werden, Wörter, die ich früher erwähnt habe; auch an chitterhng 
= Kutteln, Gekröse denkt er dabei (chit ist kleines Kind). Ist die 
Ableitung richtig, so würde sie eine der mächtigsten Symbolgleichun- 
gen „Niere = Hoden" betreffen. (Der Herr, der Herz und Nieren 
prüft. Zusammenhänge von Harnlassen und Samenerguß, gegen- 
seitige Stellvertretung, gr. nephros [vE(pQog] =^ Niere, Kode.) 

Um die Dreiheit Männlich- Weiblich-Kindlich in der Einheit 
Kind sich klar zu machen ist es bequemer, das Wesen des Knaben 
zu verfolgen; hei ihm ist die Dreiheit deuthcher ausgeprägt, vor 
allem das Kindliche. Ich erwähnte schon, daß bei dem kleinen 
Mädchen im frühesten Alter — schon im ersten Lebensjahr — die 
GeschlechtUchkeit dem Manne gegenüber sich wesentlich anders 
äußert als der Frau gegenüber; das Mädchen ist — man könnte 
sagen von Geburt an — ausschließlich dem Manne gegenüber kokett 
und die Frau behält diese Eigentümlichkeit das ganze Leben lang. 
Bei dem Mädchen ist die Bieexualität gewiß ebenso stark wie beim 
Knaben, ja man hat Grund anzunehmen, daß die gleichgeschlecht- 
liche Erotik des Weibes mächtiger ist als die des Mannes, und daß 
sie während des ganzen Lebens deutlich und dauernd hervortritt. 

101 



Aber das Gleichgeschlechtliche und Gegengeschlechtliche ist von 
vornherein scharf getrennt. Beim Knahen ist von solcher Unter- 
scheidung nicht die Rede, ja vielleicht tritt diese Trennung der 
beiden Richtungen bei dem Manne überhaupt nicht ein, sondern 
au Stelle der Trennung steht ein Verdrängen oder ein Umgestalten 
in Freundschaft. Unsre modernen Sitten gestatten nicht, darüber 
sich feste Meinungen zu bilden. 

über den Mann im Knaben brauche ich nicht viel zu sagen; er 
verrät sich in jeder Bewegung (Art des Tragens, der Stellung, der 
Knabe kniet viel im Gegensatz zum Mädchen, das das Hocken be- 
vorzugt usw.). Ich weise aber besonders darauf hin, daß schon im 
kleinsten Knaben derselbe seltsame Wechsel zwischen ICindsein- 
wollen und Mannseinwollen vorhanden ist wie beim Manne {Groß- 
tuerei und Ängstlichkeit). 

Es hieße Eulen nach Athen tragen, wenn ich in dieser Zeit, wo 
alle Welt besser mit den Entdeckungen Freuds Bescheid weiß als 
Freud selber, auf die erotischen Eigentündichkeiten des Kindes 
eingehen wollte. Man tut gut bei ohrenbetäubendem Lärm ganz 
zu schweigen, und wenn man das nicht aushalten kann, soll man 
die kurzen Pausen im Geschrei benutzen, um das eine oder andre 
Wort zu sagen. Viel erreichen läßt sich damit nicht. Lieber weise 
ich auf eine Eigentümlichkeit des neugeborenen Kindes hin, die 
ein jeder bestätigen wird: es sieht uralt aus. Und uralt ist es ja 
auch; wie ich vorhin sagte: es ist, ehe Abraham war. Die embryo- 
nale Zeit im Mutterleibe beweist nun gar, daß es noch viel älter ist 
als Abraham, daß es so alt ist wie das Leben selbst. Man kann, 
wenn man am Paradoxen Freude hat, mit Recht sagen, daß der 
Mensch von der Empfängnis an jünger und jünger wird, und wer 
dazu geneigt ist, solch ein Paradoxon bis ans Ende durchzudenken, 
wird erstaunt sein, wie viele Probleme des menschlichen Lebens 
dadurch in ein andres Licht kommen. Es würde begreiflich werden, 
daß das Kind vom Leben tausendmal mehr weiß als der Erwachsene, 
daß es vor allem das Urwissen und Urkönnen noch besitzt, zu leben 
und nur zu leben. Denn das Kind ist infans-irrational. Es hat 
noch nicht den Tyrannen „Ich" erfunden, hinter dem sich das Es 
und das Leben verbergen. 

102 



I 



Die Bezeiclmimg Kind (child) enthält in sich keine scharfe Alters- 
grenze; für die deutschen Mütter hört das Kindsein ihrer Brut nie 
auf. Das Wort infans (enfant) läßt das Kindsein mit der Fähigkeit 
des Sprechens endigen; an seine Stelle tritt das Wort puer (gr. pale, 
Tiaig, Wurzel puh-), das die Entwicklung der Genitahtät betont, 
während im Griechischen teknon (tikto = gestalten) das Ende des 
Wachstums hervorhebt. (Das Wort pais gibt mir willkommene 
Gelegenheit, die Beurteilung der Wörter nach den Lautverschiebun- 
gen ein wenig zu verspotten. Wir alle kennen das Verschen „Eia 
popeia, eia popei". Wer sollte vermuten, daß es lautverschobeues 
Griechisch ist? Und doch ist es so. Das griechische Kindermädchen 
eines deutschen Kaisersohns — die Mutter war Griechin — sang 
ihrem Pfieghng die Worte vor: 

eude mu paidion, eude mu pai 

[evöi fiov naibiov, evÖi fAOv Ttai) 

Schlafe mein Kindlein, schlafe mein Kind 

und die lauschenden Mägde machten daraus „eia popeia".) 

Brephos {ßQE(pog) (Wurzel grebho = empfangen) ist die Lei- 
besfrucht, das Neugeborene. Wörter wie baby, schwed. bam be- 
schränken das Kindsein auf die Zeit des Getragenwerdens, die Zeit 
vor dem Gehenlernen. Im Deutschen und anderswo gibt es noch 
das Wort Säugling, das sich im wesentUchen auf das Nahrungs- 
verhältnis des Kindes zur Mutter (Amme) bezieht und so zeithch 
abgeschlossen ist. Ich erwähne es besonders, weil unter die Ver- 
wandtschaften dieses Worts von der Etymologie (Walde), aller- 
dings zaghaft, das Wort sus = Sau eingeschaltet wird; Walde 
deutet an, daß sucus = Saft, sugere = saugen mit sus = Sau eine 
gemeinsame Wurzel su = gebären, zeugen haben könne; das grie- 
chische hys (uc) würde dazugehören. Ich vermute, daß hinter dieser 
gegen die Gewohnheiten der Etymologen verstoßenden Annahme 
— sie findet sich bei Walde nicht unter sucus, sondern unter sus — 
eine unbewußte Gewalt steckt, da die Verbindung Mutter-Schlachten- 
Sau noch jetzt in den kindlichen Symbolphantasien eine RoUe 
spielt. Uns großen gebildeten Leuten erscheint das absurd und 
abscheuUch. Aber ich darf daran erinnern, daß das Schwein für 

103 



nnBre nordischen Vorfahren das heilige Tier war, und daß es für 
ganze Volkerassen und Religionen tabu ist. 

Ich habe lange versucht, in den europäischen Wörtern für Kind 
einen Hinweis auf die wichtigste Tatsache im Kindesalter zu finden 
auf die Tatsache, daß dem Kinde das Wort und wohl auch der .J^' 

Begriff „Ich" fehlt. Meine Hoffnung und mein Wunsch ist, daß 
Sprachkundige auch dafür Anhaltspunkte geben werden. Un- 
wissend zu sein bat viele Vorteile, weil man unbedenklich der Ge- 
fahr des Irrtums gegenübertritt; es hat Nachteile, die aber durch 
die besser Unterrichteten ausgeglichen werden können. 

Damit komme ich auf die auffallenden Eigentümlichkeiten des 
Kindeslebens zu sprechen und freue mich, daß es auch auf meinem 
Wege möglich ist, die Altersgrenze des Kindes in Ühereinstimmung 
mit den psychoanalytischen Forschungen Freuds in das dritte 
Lebensjahr zu legen. Allerdings muß ich dabei nochmals be- 
tonen, daß mit dieser Grenze das Kind im Menseben nicht auf- 
bort, das ist immer da und scheint mir königliche Machtvollkommen- 
heit während des ganzen Lebens zu haben. Das Ziel und Ende des 
Menschen ist für mich und meine Meinung immer und unter allen 
Umständen das Wiederkindwerden; der Unterschied ist nur, ob 
man ein kindüches oder kindisches Kind wird; das Alter benutzt 
beide Erscheinungen. Und die, die vorzeitig sterben, entgehen 
dem Kiudwerden doch nicht. Im Sterben — wer die Erscheinungen 
des Sterbens aufmerksam erwägt, weiß es — , im Sterben ist der 
Mensch immer Kind, 

Drei grundlegende Wesenseigenscbaften der Kinder möchte ich 
hier besprechen, ohne damit behaupten zu wollen, daß man nicht 
von andern Gesichtspunkten Meinungen aufstellen dürfe: das Kind 
ist irrational, unpersönlich, immoral. 

Auf der Tatsache des Irrationalen im Kind beruht die seltsame 
Annahme des Menschen, daß das Kind nichts leiste, jedenfalls 
weniger als der Erwachsene. Wenn man sich das Wirkliche im 
Kindeshandeln und im Handeln des Erwachsenen ansieht, so kommt 
man zu dem xungekehrten Ergebnis. Für die erste Lebenszeit nach 
der Geburt gilt das nicht minder als für den Aufbau im Mutter- 
leibe. Das Lernen, mit den Augen zu sehen, mit den Ohren zu 

104 



hören, mit dem Munde zu saugen und zu atmen, ist sicherlich an- 
strengend, und die Bewältigung der unzähligen Aufgaben, die das 
Kind heim Aufbau seiner Welt lösen muß, ist eine Leistung, mit 
der sich nichts andres vergleichen läßt. Das Kind ist in Wahrheit 
Weltenschöpfer. Licht und Schall, Baum und Berg, Mann und 
Maus, alles ist sein Werk. Was es nicht aus sich heraus erschafft, 
ist Gut und Böse, Recht und Unrecht, denkend Streben, strebendes 
Sichbemühen. Der Immoralist Nietzsches ist keine Illusion, das 
Kind ist immoral. 

Zu denken, man könne oder wolle auch nur dieses tiefste Problem 
des Menschen von Gut und Böse lösen, wäre Vermessenheit. Und 
doch kann der Mensch nicht anders, als daran herumraten. Es ist 
der Inhalt seines Lebens. „Ihr werdet sein wie Gott, wissend, was 
gut und böse", so spricht die Schlange, die auf dem Bauch kriechen 
muß ihr Leben lang. Wissen wir denn, was gut und böse ist? 

Unser Gewissen sagt es uns. — Nein, unser Gewissen sagt es uns 
nicht. Heute gilt uns böse, was uns gestern gut dünkte, und morgen 
ist gut, was wir heute verdammen. Das Gewissen des Alten ist ein 
andres als das des Jungen, das des Kriegers loht, was der friedliche 
Bürger tadelt, das des Renaissancemenschen verwirft, was das 
Mittelalter heiHg hielt, der Chinese urteilt anders als der Europäer, 
der antike Mensch würde sich vor sich seihst ekeln, wenn er unsern 
Begriff „Gut und Böse" annehmen sollte. Und eine Menschen- 
klasse gibt es, die kennt das Gewissen nicht, die infantes, die Kinder. 
Ihrer aber ist das Himmelreich. 

„An sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es 
erst dazu." Dies Shakespearewort schrieb mir mein ältester Bru- 
der in das Stammbuch, das ich als Knabe führte. Es ist ein christ- 
liches Wort, entspricht dem Satze des Menschensohns : „Richtet 
nicht!" 

Das aUes ist in den Wind gesprochen, niemand kümmert sich 
darum, niemand kann danach leben, niemand empfindet es als die 
Gotteslästerung, die es ist, von Gut und Böse zu sprechen, was mit 
Gottes Willen und durch seinen Willen geschieht, Sünde zu nennen. 
Nur das Kind, das Kind kennt keine Sünde, obwohl es alles besitzt 
und ausübt, was wir Laster nennen. Es ist irrational und deshalb 

105 



jenseits von Gut und Böse, es ist immoral und deshalb rein, es ist 
frei vom. Ich und deshalb schamlos und keusch. 

Über das Wort „keusch*' gibt die Sprachwissenschaft höchst 
unvollkommene Auskunft. Im wesentlichen beschränkt man sich 
auf die Übersetzung „rein" und auf ein paar ähnliche Ausdrücke 
andrer Sprachen, die auch rein, zart bedeuten. Was aber ist rein? 
Keusch ist eben eine besondere Art rein. Am ehesten — und darin 
scheinen einige Sachverständige übereinzustimmen — könnte man 
der Meinung beistimmen, die „keusch" mit geheimen Kxilten zu- 
sammenbringt. Damit wäre das Mysterium der Gemeinschaftlich- 
keit und der Liebeshandlung unter Ausschluß Uneingeweihter nahe- 
gelegt. Grimm (auch der Schwede Hellqvist, schwed. kysk = keusch) 
bringt das Wort in eine Art Zusammenhang mit keusan, kiesen, 
küren (schwed. tjusk, kora). Keuschheit würde damit die Reinheit 
im Auswählen und Ausgewählten sein. — Ein nicht ganz bewiesener 
Zusammenhang muß erwähnt werden keusch und castus. Castus 
kann xind wird als verwandt mit kastriert betrachtet, und man geht 
dabei auf das zurück, was ich vorhin erwähnte, daß keusch mit 
Opferkulten zusamjnenhängt. Das würde eine geschichtliche Art 
der Betrachtung sein. Es gibt aber noch eine andre Möglichkeit. 
Der Kastrierte hat die Fähigkeit des Samenergusses verloren. Seine 
Erotik schließt die Fortpflanzungsidee vollständig aus, sie ist nur 
Erotik, nicht vermischt mit der Idee des Kindes. So ist in gewissem 
Sinne die Erotik des Kastrierten die einzige unvermischte reine 
Liebeshandlung, die im Dienste der Gottheit Berechtigung hat. 
Wenn das richtig ist, so ist in dem Wort keusche Frau ein tiefer 
Sinn verborgen. Ich habe bei früherer Gelegenheit erwähnt, daß 
bei dem Geschlechtsgenuß der Manu immer das Kind in seinem 
unbewußten Denken mitbeteiligt, die Frau nie. Der Gedanke an 
die Möglichkeit des Zeugens gehört aber nicht in das Lieben hinein, 
es ist dann nicht mehr reines Lieben; man kommt auf diesem Wege 
zu dem Schluß, daß die Frau ohne weiteres keusch sein kaiui, rein 
lieben kann, während der Mann dazu kastriert sein muß. 

Ich habe vorhin die beiden Wörter „schamlos" und „keusch" 
mit Absicht nebeneinandergestellt; nicht weil ich annehme, daß der 
Schamlose keusch sei, aber weil es meine Überzeugung ist, daß der 

106 



Measch in den kurzen und hochherrliclien Zeiträumen des Keusch- 
seins keine Scham empfindet. Nur der schämt sich, der seinem Ich 
Bedeutung gibt, der dies Ich mit der Welt in Gegensatz bringt, 
der sich nicht für einen Teil, sondern für ein Ganzes hält. Keusch- 
heit setzt voraus, daß man sich seiner selbst entäußert, daß man in 
Harmonie mit dem Schicksal Menschsein ist. Keuschheit ist eben- 
sowenig wie Scham eine Eigenschaft des Menschlichen, sondern ein 
gelegenthcher Zustand, der nur dann eintritt, wenn man sein Ich 
verliert. Deshalb kann es wohl eine Keuschheit zu zweit geben, 
wenn die völlige gegenseitige Hingabe des einen an den andern 
und des andern an den einen zustande kommt, und diese Keusch- 
heit ist durchtränkt vom köstlichen Genießen ohne Scham und 
Sündenbewußtsein. — Nur wer begreift, daß Keuschheit Gemein- 
samkeit zur Voraussetzung hat, kann verstehen, daß das Verhältnis 
Mutter-Kind, Kind-Mutter keusch ist, obwohl es wie kein andres 
Verhältnis in jeder Beziehung erotisch ist. 

Wie tief und fest diese Auffassung der Keuschheit im Unbewußten 
der Kunst verwurzelt ist, beweist eines der keuschesten Gemälde der 
Florentiner Uffizien, eine Madonna mit dem Christuskind und Engeln 
von Hans Memling (Taf. 7). Man braucht es nicht erst zu sagen, 
daß die einzig vollkommene SymboUsierung des Menschen, des 
Männhch-Weibhch-Kindlichen die Mutter mit dem Sohn auf dem 
Schoß ist. Deshalb wohl hat die Kunst das unbewußte Motiv der 
Madonna mit dem Knaben auf ihrem Weibesschoß unaufhörlich 
dargestellt und stellt es immer wieder dar; selbst unsre erbärmlich 
unchristliche und rationalistische Zeit wird unwiderstehlich von 
dem Madonnenbild angezogen. Memlings Gemälde ist ein keuscher 
Hymnus auf die Vereinigung von Mann und Weib und auf die 
Ekstase bei dieser Vereinigung. Wie so oft sind die Figuren im 
Dreieck angeordnet, dem tiefen Wahrzeichen des Menschen, ja 
diese Anordnung wird noch überboten dadurch, daß der Thron der 
Madonna den Blick weiter aufwärts führt bis zu den auseinander- 
weichenden Schenkeln einer Girlande. Worum es sich handelt, 
zeigen Sechszahl imd Dreipaar der Amoretten- Engel, die die Blumen- 
gewinde spreizen: der weiblichen Sechs ist die männhche Drei bei- 
gesellt. An den Pfeilern, die das Gemälde einschließen, sind die 

107 



symbolisclien Tiere der Mann - Weib - Vereinigung angebracht, 
Schnecke und Kidechse. 

Vor aufwühlende Fragen stellt uns das Verhalten des Christus- 
kindes. Daß es sich von der Frau, die ihm Mutter gewesen ist, ab- 
wendet der Welt zu, ist menschlich notwendig; könnte man doch 
das Leben des Menschen sehr wohl als ein Sichlösen von der Mutter 
betrachten, das schon mit der Empfängnis beginnt, in der Geburt 
den Fortgang nimmt und über das Hinabstreben von Brust und 
Schoß, über Verlassen des Heims und der erotischen Bindung zum 
Suchen und Finden der neuen Mutter in der GeUebten, zu dem Ver- 
zichten auf diese neue Mutter zugunsten des Sohns, zum zweiten 
Kindsein des Greises und schließUch zur Urmutter Erde führt. 
Einen seltsamen Hinweis aber gibt das Unbewußte der Kunst in 
dem Apfel, dem das Kind sich zuwendet. Christus greift nach dem 
Apfel, und der Apfel ist die Sünde, das Seinwollen wie Gott, wis- 
send, was gut und böse. Man sehe die beiden Engel an: der linke 
vom Menschensohn spielt mit ernstem, fast traurigem Ausdruck 
die Harfe, der rechte lächelt ein seltsames Lächeln, ein lockend 
zärtliches ; er bietet den Apfel an, und Christus greift danach, wie 
alle Menschen nach dem Apfel greifen. Man versteht es kaum, wie 
der rehgiöse Mensch — nicht die Kirche, bei deren Entwicklung 
iBt es folgerecht, daß sie den Christus als sündenlos hinstellt, sie 
hat es mit vollem Bewußtsein und erst nach langen Kämpfen ge- 
tan — , wie der religiöse Mensch das Wissen um das Menschsein 
des Christus so völlig verdrängt bat. Niemand glaubt seinem Wort 
vom Menschensohn, niemand glaubt an das Menschwerden des 
Gottes, was doch Anfang und Ende des Christentums ist. Die 
Kirchengläubigen lassen ihn nie Mensch werden ~ zum Menschen 
gehört alles Menschliche, auch das, was wir Sünde nennen, in frevel- 
hafter Überhebung frelHch nennen wir es so, da ja jeder, der an 
Wort und Begriff Sünde glaubt, sich Gott gleichstellt, den Gott 
selbst zum Ursprung und bewxißten Schöpfer der Sünde macht — , 
den Kirchengläubigen bleibt Christus auch auf Erden Gott. Andre 
nehmen ihm das Gottsein ganz, ihnen ist er nur Mensch; mau weiß 
nicht, soll man diese freien Geister noch Christen nennen, oder 
spielen sie nur mit Begriffen, in denen keine Bedeutung mehr ist. 

108 



Nein, niemand glaubt melir an den Menschensohn, an den Gott, 
der freiwillig aufhört Gott zu sein und Menecti wird, der in der 
Dumpfheit des Menschen lebt, liebt und haßt, verflucht und segnet, 
der müßig den Tag verbringt, wandernd und unstät, unwissend 
wie jeder andre, was gut und böse ist, aber immer wieder voll 
menschlicher Anmaßung richtet und Strafen der Ewigkeit androht, 
der an Gott glaubt und an Gott zweifelt, der Mensch ist, allem 
Menschlichen unterworfen, der als Mensch stirbt und wieder Gott 
wird. Niemand glaubt mehr? Das Unbewußte glaubt, es kann 
nicht anders als glauben, daß Gott Mensch wurde, wie wir Menschen 
sind, unseresgleichen, mit allen Vorzügen und allen Fehlern, mit 
allen Tugenden und allen Lastern. Christus wies selbst in heißem 
Zomeswort die freche Schmeichelei „Rabbi, guter Meister" zu- 
rück, die Evangelien erzählen auf jeder Seite, daß er war, was der 
Pharisäer in uns — und Christus war gewiß ebenso Pharisäer, wie 
jeder Mensch es ist — Sünder nennt. Das weiß das Unbewußte. 
Es weiß aber auch, daß sich der Mensch Christus nur als Kind oder 
als Toter darstellen läßt. Wir wollen alle sein wie Gott, für uns 
Menschen gilt das Wort, das der Dichter des Worts selber das 
Böse nannte — „Wer immer strebend sich bemüht, den können 
wir erlösen" — als Richtschnur, wir können nicht ohne den Irrtum, 
daß es Gut und Böse gebe, leben; und weil es solch Gut und Böse 
nicht gibt, mußten wir den guten Menschen erfinden, Christus 
mußte und sollte gut sein. Aber sobald der Christus sprechen kann, 
wehrt er sich gegen dieses angedichtete Gutsein. So blieb für die 
Kunst, wenn anders sie den sündlosen Christus bilden wollte, nur 
diese Möglichkeit, ihn als Kind oder als Sterbenden, ja als Toten 
darzustellen, als einen, der nicht nein sagen kann, wenn er ver- 
leumdet wird. TatsächUch gibt es kein einziges Bild des Menschen- 
ßohns als Mann, das des Ansehens wert wäre. Da war aber die 
Ironie des Lebens bequem zur Hand, die den Menschen glauben 
macht, daß das Kind sündlos sei; mit Hilfe dieser merkwürdigen 
Fälschung unseres Urteils gelang es, einen sündlosen, in Wahrheit 
immoralen Christus zu malen. Nur freilich, das Unbewußte läßt 
sich nicht betrügen, und da es weiß, daß gerade das Kind der ge- 
wissenlose Verbrecher ist, Dieb, Mörder, Lüstling, Gottesleugner, 

109 



muß der Maler, je frömmer er ist, um so sichtbarer, aus dem Un- 
bewußten heraus ohne Absicht und Willen die Symbole der Sünde 
beigesellen: Memlings Christuskind greift nach dem Apfel. Der 
Engel, der ihn verführt, hält Geige und Bogen in der Hand, die 
"Wahrzeichen der Liebe der Geschlechter. Wer die Handlung -weiter 
zu denken sucht, weiß, daß der Engel das Spiel vom Wissen, was 
gut und böse ist, beginnt, sobald das Kind in den Apfel beißt. 
Über diesem Engel ist das prangende Schloß der Lust gemalt; der 
harfende Engel, um den das Kind sich nicht kümmert, hat die 
Mühle über sich. In der linken Hand hält das Kind die Kirsche, 
seine Mutter hält den einen Fuß umfaßt, und ihre Rechte läßt 
uns wissen, daß sie ihn gelehrt hat, was Lust ist. Jede Mutter 
unterweist ihr Kind darin, wenn solches Unterweisen nötig ist, 
was der Verfasser nicht glaubt, das Wissen ist angeboren. Seit 
Adam und Eva den Apfel gemeinsam und doch jedes für sich aßen, 
. vergilt jeder Menschensobn diesem Irrtum, zu sein wie Gott mit 
der unentrinnbaren Trennung von Ich und All, und dann schämt 
er sich seiner Nacktheit und verleugnet sein Menschsein. 

Bei früherer Gelegenheit habe ich behauptet, daß das Kind die 
Umwelt als Symbolwelt wahrnimmt. Den Beweis dafür liefert jedes 
Kind in seinen ersten Lebensjahren, wo ihm der Stuhl durchaus 
nicht ein Stuhl ist, sondern ein Pferd, ein wirkliches lebendiges 
Pferd oder ein Haus mit lebendigen Bewohnern oder sonst irgend 
etwas. Ja, seihst der Erwachsene lebt weiter in der Symbolwelt, 
nur versteckt er das vor sich und andern, weil er ja so gerne groß 
sein möchte. Selbst die nüchternen, angebHch phantasielosen Tat- 
sachenmenschen leben, wenn man sie ehrÜch betrachtet, in der 
Phantasiewelt des Symbols, und nicht anders ist es mit den un- 
beirrbaren Leugnern der Menschenwelt, den PhUosophen und 
Denkern, denen, die Abstrakte von sich selbst auf eigne Hand 
machen wollen und sich doch nicht trauen, das Ding an sich zu 
begreifen. 

Auch dafür, daß das Kind in der Symbolwelt lebt, lassen sich 
in der Kunst des Kindes Beispiele finden. Seine eignen Zeichnungen 
stecken voll von Symbolen oder verstecken sie. Jedes Kind arbeitet 
bei der Darstellung des Menschen mit zwei Begriffen: runde Höhle 



110 



und gestreckte Form: WeibKches und Männliches; der Bauch ist 
ihm hohler Raum, ja auch die Kleidung ist es, und alle Gliedmaßen 
werden Abbilder des einen Gliedes. Dagegen wird kein Kind das 
Eins -Zwei-Drei- Symbol der Hoden mitzeichnen. Die Hoden sind 
tabu für Kinder und große Leute, wahrscheinlich das einzige überall 

gültige Tabu. 

Das klassische Bilderbuch des Kindes „Struwelpeter" darf ich 
nicht übergehen. Seine weite Verbreitung verdankt es der Tatsache, 
daß sein Verfasser, Dr. Hoffmann, ein kindhcher Dichter von Gottes 
Gnaden war, der überall das Symbol sah und danach handelte. 
Ich berufe mich auf die Geschichte von Hanns Guck-in-die-Luft. 

Dreierlei sieht das Kind in sämtlichen Bildern des Hanns Guck- 
in-die-Luft: die Päastersteine, die rote Mappe und die Figur des 
Hanns. Die Pflastersteine erscheinen in fast unveränderter Form, 
sie geben den Bildern den Untergrund, sie zeigen an — auch dem 
Kind und dem erst recht — , daß, was geschieht, überall ist, so daß 
man darauf tritt. Mappe und Hanns verändern sich in einzelnen 
Bildern, sie geben die Aufschlüsse über den Sinn der Ereignisse. 
In Bild eins und drei ist Hanns bis auf geringe Abweichungen ein 
und derselbe, er hat das rechte Bein straff nach vorn gestreckt, der 
Kopf ist hochgehoben und der Mund offen; der Hund kommt ihm 
mit langem ausholendem Sprung entgegengerannt. Die Mappe 
drückt der Knabe mit dem linken Arm an sich. Und nun kommt 
auf dem ersten Bilde ein Zusatz, der es weit über die Erzäh- 
lung hinaus bedeutend macht und diese Geschichte für Kinder 
in das allgemein Menschliche erhebt: In der Luft sieht man drei 

Vögel. 

Man könnte annehmen, daß diese drei Vögel das Hinaufstarren 
des Knaben erklären sollen. Aber nach dem Titel der Verse guckt 
der Junge in die Luft, und der entscheidende Vers lautet: „Häims- 
lein blickte unverwandt in die Luft." Und dann, in den spätem 
Bildern treten an die Stelle der Vögel drei Fische. 

Was ist es mit der Drei? Die Drei ist die Zahl der Männlichkeit, 
des typisch Männlichen; sie setzt sich zusammen aus eins und zwei, 
dem männlichen Gliede und den beiden Hoden. Wenn man die 
Figur der drei Vögel ansieht, bemerkt man, daß sie in der Figur 

111 



des Männlichen angeordnet sind unter Betonung der Tatsache, daß 
beim Manne die Hoden nicht gleichmäßig stehen, sondern der eine 
tiefer als der andre. Während so in den drei Vögeln und den drei 
Fischen der gewöhnliche Zustand des Männlichen dargestellt ist, 
symbolisiert Hanns selbst den Zustand der Erektion. Alle Kinder 
wissen auf irrationale Weise die Fakten des Eros und seiner Funk- 
tionen. Weder das Männliche noch das Weibliche noch beider Ver- 
mischung mit der Folge von Schwangerschaft und Geburt sind dem 
kleinen Kind {vor Vollendung des dritten Jahrs) rätselhaft. 

Verfolgt man die Idee, daß die drei Vögel nicht nur Ornament 
sind, sondern etwas bedeuten, weiter, so bemerkt man den Baum, 
der hinter Hännschen den einen Ast weit nach vorn streckt; par- 
allel dazu ist das ausgreifend hochgehobene Bein des Knaben: das 
Symbolische des Erektionsgedankens und der Erregung hebt sich 
deutlicher hervor. Und damit bekommt die Mappe Bedeutung. 
Hännschen ist auf dem Wege zur Schule; gibt es wohl für das 
Männliche — und Hanns ist ja nach meiner Annahme das Männ- 
liche — eine andre Schule als das Weib? Ein Jeder weiß, daß die 
Tasche, die Mappe Symbol des Weibes sind, ja man kann unbeschadet 
aller exakttuenden WissenschaftHchkeit so weit gehen, zu behaupten, 
daß der Mensch ebenso wie die Tiere nur auf dem Wege der Liebe 
zum Weibe und der Frucht im Leibe des Weibes den Schutz des 
Hohlraums erkannt hat. Aus der Tatsache der Sicherheit im 
Mutterleihe sind alle Wohnungen, Keller, Schränke, Taschen, 
Mappen entstanden. Zu allem Überfluß hat Hännschens Mappe 
auch noch eine rote Farbe — gewiß etwas Ungewöhnliches für die 
Schulmappe, aber symbolisch scheint Rot immer dasselbe auszu- 
drücken: den Eros. 

Der Hund ist der Wächter, Es ist nicht schwer, ihn als die 
immer wachende Moral des Menschen aufzufassen, die gegen die 
Begierde schützt. Es ist aber auch möghch, daß das Unbewußte 
des Dichters hier mit dem Hunde darauf aufmerksam macht, daß 
die Natur dem Männlichen eine absolut sichere Begrenzung der 
Begierde geschaffen hat dadurch, daß jede Erektion nach kurzer 
Dauer in sich zusammenfallen muß; dafür spricht die Tatsache, 
daß auf dem zweiten Bilde nicht nur der Knabe, sondern auch der 

112 



Hund im Zustande der machtlosen Erschlaffung — nach dem 
Sündenfall — dargestellt ist. 

In diesem zweiten Bilde ist die Mappe betont, das Weibliche. 
Das Männliche ist zu Fall gebracht, ist erschlafft; selbst die Zweige 
des Baumes hängen nach unten. Die Mappe aber ist vom Knaben 
getrennt gemalt, umgeben von allerlei seltsamen, scheinbar un- 
motivierten Schnörkeln. Diese Schnörkel sind schon im ersten Bilde 
vorhanden, dort bilden sie aber eine zusammenhängende Kette; 
sie sind Symbol des Samenergusses, nach dessen Eintreten sich die 
Samentierchen um das Weibliche, die Mappe, gruppieren. Die 
Haltung des Knaben sowohl wie des Hundes — sie breiten die 
Glieder empfangend auseinander und liegen auf dem Rücken — 
verstärkt das Symbol des empfangenden Weibes. 

Drittes und viertes Bild gehören zusammen. Der Baum ist ver- 
schwunden, statt dessen ist die Verbindung zwischen den Bildern 
durch den phallischen Laternenpfahl hergestellt. Die Zahl Drei, 
das Männliche ist — teilweise in engster Vereinigung mit der Vier, 
dem Prinzip des weibhcheu Geschlechts mit den vier Lippen des 
Eingangs zum Weihe — , die Drei ist mindestens ein dutzendmal 
gemalt, besonders die Laterne ist dadurch ausgezeichnet. Auch in 
den Stufen, die zum Wasser hinabführen, ist sie da. Am auffallend- 
sten sind aber die drei Vögel und die doppelte Erscheinung der 
drei Fische, die noch dazu das eine Mal quer, das andre Mal längs 
gerichtet sind. Der Fisch ist, das braucht man gar nicht erst zu 
sagen, das Symbol des Männlichen, und zwar des Knaben im Mut- 
terleib, der ja im Wasser lebt, und weiterhin des Phallus im Schöße 
des Weibes, 

„Kerzengrad" tritt Hännschen an Ufers Rand, aber, seltsam, er 
stürzt „kopfüber ganz" in das Wasser. Das ist in Wahrheit un- 
möglich, es ist so geschrieben, weil das Unbewußte das Symbol 
der Begattung erzwang: kopfüber. Die Fische sperren auf dem 
obern Bilde die Mäuler auf, als sie sich nach vollzogener Begattung 
und Befruchtung — das bedeutet der Sturz ins Wasser, auch in 
Träumen bedeutet er das — sehr erschreckt verstecken, sind die 
Mäuler geschlossen. Die Fische verstecken sich, das Verlangen 
Hännscbens ist gestillt, wie seine schlaff gekrümmten Beine und 

S Gioddeok, Der Mensch als Symbol 113 



das Stückchen Haad, das noch sichtbar ist, beweisen, die Schwanger- 
schaft ist eingetreten, die Fische als männliche Frucht verhüllen 
sich im Wasser des Mutterleibes. — Merkwürdig ist noch die Neun, 
die entsteht, wenn man die Dreien der Vögel und Fische zusammen- 
zählt: Neun ist die Zahl der Schwangerschaft, der neun Monate, 
die der Sprachgebrauch als Dauer der Schwangerschaft annimmt. 
SchUeßlich findet man noch einen Scherz des Unbewußten: der 
Phallus Hännsehen ist beide Male zwischen den Schenkeln einer 
Sechs gemalt, drei Vögel drei Fische, drei Fische drei Fische: Sechs 
ist von jeher das Weibliche. 

Während auf dem vierten Bilde die Mappe halb in das Wasser 
getaucht ist — die Verbindung von Mutter und Kind ist in der 
Befruchtungszeit noch sehr eng — schwimmt sie auf dem fünften 
Bilde davon, während Hännsehen allmählich wieder aus dem 
Wasser auftaucht: das Kind im Leibe der Mutter wächst. Die drei 
Fische haben sich in dieselbe Richtung wie der halbauftauchende 
Knabe gedreht, sie gehören zu dem Kinde, nicht zu der Drei der 
beiden Männer und des halben Laternenpfahls, die als Geburts- 
helfer schon durch ihre kniende oder gebückte Stellung oder durch 
die Halbierung des Pfahls ihre ziemlich neutrale Rolle dem Eros 
gegenüber andeuten. 

Im letzten Bilde ist die Mappe weitweggescbwommen, der Ödipus- 
zustand naht, der Kampf zwischen Eros und Anteros der Mutter 
gegenüber ist angebrochen. Aber das Männliche wächst kräftig 
heran, die Fische haben sich halb aus dem Wasser erhoben und 
starren mit weitgeöffneten Mäulern den Hanns an. 

Ganz ähnliche Symbole ziehen das Kind zu einem andern Bilder- 
buch hin, den „sprechenden Tieren". Die erste Geschichte vom 
Hahn entspricht dem Hanns Guck-in-die-Luft, 

Beachtenswert ist die Tatsache, daß das eine Bilderbuch den 
Hahn als Symbol des Erotischen gewählt hat, das andre den Namen 
Hans. Die phallische Bedeutung des Hahns ist bekannt. Die Vor- 
liebe für den Namen Hans in Volksmärchen und Volksliedern — 
übrigens besteht sie auch bei vielen Frauen — könnte auf derselben 
Symbolik beruhen. Im Mittelhochdeutschen wird das Wort Hahn 
noch han geschrieben, „han" ist noch jetzt das schwedische Wort 

114 



1 



für „er", „hans" ist „seiner". Man behauptet zwar, daß Hans von 
Johannes abgeleitet sei. Aber das glaube ich nicht. Der Name 
Hans ist so tief mit der deutschen Sage verwoben, daß er nicht 
jüdisches Lehnwort sein kann. Übrigens ändert das nichts an der 
Meinung, daß Hans das Männhche, und zwar ganz speziell das 
männliche Glied bedeutet. Die Legende von Johannes dem Täufer 
betont dasselbe Symbol und im Englischen sind noch heutigentages 
St. John und St. Thomas Volksbezeichnungen des Gliedes. 



«• 



115 



Die Drei des Menschen — Mann- Weib -Kind — ist unteilbar und 
das Wort Individuum berechtigt, wenn man es auf das bezieht, was 
unteilbar ist, das, was allen Menschen gemeinsam und notwendig 
ist: die Dreieinheit. Leider ist der Ableitung Individualität ein 
andrer Sinn untergelegt worden. Man braucht sie gerade für Eigen- 
schaften, die gewiß abtrennbar vom Individuum sind. Individuum 
ist Neutrum und bezieht sich nicht auf die Eigentümlichkeiten der 
einzelnen Menschen, sondern auf das Gemeinsame aller, auf das 
Menschliche. Eine individualisierende Behandlung, von der seit 
einigen Jahrzehnten in der Medizin soviel gesprochen wird, kann 
nur die sein, die das Menschliche, abgesehen von Person und Charak- 
ter, beriickBichtigt, Daß ein solches Individualisieren — nicht bloß 
für den Arzt, sondern für jeden, der mit Menschen zu tun hat — 
die Grundlage aller Erfolge ist und die Grundlage alles Meinens und 
Denkens sein sollte, brauche ich nicht erst zu sagen. Wer es fertig 
brächte, jede Lebenserscheinung ohne weiteres zu prüfen und zu 
entscheiden, was bei ihr „Individuum" und was „dividuum", all- 
gemein menschlich und persönlich ist, würde eine gewaltige Wirkung 
ausüben. Leider ist niemand dazu imstande und gerade unsre 
europäische Kultur kümmert sich bewußt so gut wie gar nicht um 
das Unteilbare. Was man hier und da von asiatischer Weisheit zu 
hören bekommt, legt den Gedanken nahe, daß man dort in den 
Klöstern wenigstens Forschungen in dieser Richtung treibt; ob es 
wahr ist, ist eine andre Frage. Bei uns Europäern liegt die Be- 
schäftigung mit dem Individuum im Unbewußten; dort ist sie 
tätig, leitet und lenkt unser Leben, ohne daß wir das Geringste 
davon wissen. Wir beten die Persönlichkeit an, wissen vom Mensch- 

116 



4 



liehen nur das, was Maske ist, behandeln als Personen die Personen 
im täglichen Leben so gut wie im ärztlichen Tun. 

Es läßt sich auch so leben, vielleicht bequemer und leichter als 
es uns ein bewußtes Anerkennen des Individuums, des Unteilbaren 
gewähren kann. Aber mit Wahrheit und Wissenschaft hat das 
nichts zu tun, es ist Charakterkunde, Studium des Theaters, des 
Unwesentlichen am Menschen. 

Persona kommt nach Walde aus dem etrusfcischen Phersu, das 
„maskiert" bedeutet („Maske" aus dem arabischen mashana 
:= Possen reißen). Die, die immer auf ihre Persönlichkeit pochen 
und daraus Rechte statt Pflichten ableiten, sollten endUch erfahren, 
daß sie sich Possenreißer nennen und mit Recht. Angeblich soll 
Goethe die Persönhchkeit höchstes Glück der Erdenkinder genannt 
haben. In den Versen über das Glück der Persönhchkeit braucht 
Hafis den Konjunktiv „sei", es ist die Meinung von Volk und Knecht 
und Uberwinder, nicht die des Hahs, der das Glück in dem Verlust 
der Persönhchkeit sieht. 

Wenn so das Unbewußte der Sprache mit dem Wort Individuum 
die Unteilbarkeit des MenschUchen feststellt, so erkennt es andrer- 
seits doch die gewaltsame Zertrennung dieses Unteilbaren in dem 
Wort sexus — männhches und weibhches Geschlecht an. Nach Walde 
ist das Wort sexus von secare = schneiden abgeleitet, von dem 
auch das Wort segmentum = Abschnitt eines Kreises herkommt. 
In dem Wort sexus hegt die Idee, daß Mann und Weib eins sind, 
daß sie zusammen den Kreis Individuum bilden und daß beide 
Segmente des Kreises die Eigenschaft des Individuums besitzen» 
daß Mann und Weib zerschnittene Einheit sind. (Es entspricht das 
einer alten Schöpfungssage der Juden, daß Gott zunächst eine Ein- 
heit Adam — Lihth geschaffen hat, die er dann zersägte. Es stimmt 
auch überein mit der Lehre Piatos.) 

Das Wort secare = schneiden führt zu einem Knäuel von unter- 
einander verwandten Wörtern, der nicht leicht zu entwirren ist. 
Ich greife einige davon heraus: Sichel und Sense sind, wie man an- 
nimmt, Ableitungen aus der in secare enthaltenen Wurzel sek- se-. 
Beide Instrumente sind in unsrer Vorstellung Attribute des Todes. 
Man darf vermuten, daß die Sichel das ältere Werkzeug ist, jeden- 

117 



falls bietet es mehr symbolische Anknüpfungen. Das Wort Mond- 
sichel verdankt sein Dasein zunächst der Ähnhchkeit in der Gestalt. 
Sofort stellt sich aber heraus, daß nur der zunehmende Mond in 
Frage kommt, weil allein seine Form der Handhabung der Sichel 
entspricht. Als Attribut des Todes bedeutet die Sichel nicht Ver- 
nichtung, sondern Auferstehung nach dem Tode; sie ist Symbol 
des „Stirb und Werde". 

Wir begegnen hier wieder der Symbolisierung der Zeugung durch 
den Tod, des Todes durch die Zeugung. Unsre Zeit erlaubt sich 
manchmal, solche Zusammenhänge dichterisch zu verwerten, daß 
hier aber eine der tiefsten und -wirkungsreichsten Tatsachen des 
Unbewußten vorhegt, hat sie vergessen. Die Stimmen, die das 
Sterben des europäischen Kulturkreises verkünden, mehren sich, 
aber jedes Sterben ist naturgemäß von der Hoffnung des Werdens 
begleitet. So ist es im Menschlichen beschlossen und anders kann 
es für das menschliche Meinen nicht sein. 

Ich entschließe mich nicht leicht, hier auf die Wörter „Mond" 
und „Monat" einzugehen; denn wie man gleich sehen wird, ver- 
bergen sich in ihnen Dinge, über die die sachgemäße Sprachforschung 
keinen Aufschluß gibt. — „Die gewöhnliche Ableitung von einer 
idg. Wurzel me = messen (skr. manessen, matram = Maß, gr. metron, 
fisreov) mag sachhch ansprechen", sagt Kluge, „ — der Mond wäre 
als Zeitmesser gedacht — , doch darf vom sprachhistorischen Stand- 
punkt aus diese Erklärung nicht als sicher gelten". Das klingt sehr 
unangenehm, man hat sich darauf eingerichtet, den Mond als Zeit- 
maß anzunehmen, und mir bleibt nichts übrig, als diese Ansicht 
zu akzeptieren in der unsichern Hoffnung, daß sich etwas Brauch- 
bares finden möge. Kluge hat seinen Worten einen Satz eingeschal- 
tet: „Der Mond wäre als Zeitmesser gedacht." Dieser Satz gibt 
Gelegenheit, sich mit einer der wichtigsten kulturhistorischen Fragen 
auseinanderzusetzen. 

Wie sie es auch immer anfangen mag, zuletzt endet unsre Ge- 
schichtswissenschaft bei dem gestirnten Himmel. Sonne und Mond, 
Tag und Nacht, das ist der Forschung letzter Schluß, weiter geht 
es nicht und weiter wird auch nicht gesucht. Aber jedes Weib kann 
uns erzählen, daß das Kind verhältnismäßig spät Notiz von Sonne 

118 



und Mond nimmt, und ab und zu könnte sich auch ein Mann diese 
Tatsache ins Gedächtnis rufen. Es wäre immerhin möghcb, daß 
der Mensch das Zeitmaß Monat nicht vom Mond genommen hat, 
sondern von den achtundzwanzigtägigen Perioden, in denen das 
Wesen lebt, das für das Kind alles ist, die Mutter. Ich bin geneigt, 
das anzunehmen. Selbstverständlich kann man und muß man zu- 
geben, daß Sonne und Mond, Tag und Nacht für das Menschenvolk 
entscheidende Bedeutung haben, ohne sie geht es nicht. Aber das 
Sonnensystem ist ja auch wieder nur ein Glied in der Kette des 
Geschehens, wir könnten mit Hilfe unsrer himmelstürmenden Phan- 
tasie alles Möghche herbeirufen, um uns die Entstehung des Zeit- 
maßes „Monat" zu erläutern. Schließlich können wir nicht leugnen, 
daß der Teil vom Ganzen abhängt, müssen aber hinzufügen das 
Ganze, die Welt, hängt auch vom Teil, dem Menschen ab. Und 
dem Bewußten und Unbewußten, ja auch dem Es ist gewiß das 
Menschliche näher als das Himmlische. 

Meine Meinung ist, daß die Kindheit der Kultur ebenso wie die 
des Einzelwesens aus den Tatsachen heraus, die es kennt, Begriffe 
und Wörter bildet. Ein deutscher hochachtbarer Menschenforscher 
Fließ will herausgefunden haben, daß sich das Leben des Weibes 
immer und unter allen Umständen in achtundzwanzigtägigen 
Perioden abspielt. So etwas läßt sich schwer nachprüfen; aber die 
Tatsache, daß Frauen, wenn ihre monatlichen Blutungen längst 
aufgehört haben, doch alle achtundzwanzig Tage nachweisbare 
Abweichungen in ihrem Wesen zeigen, spricht für seine Theorie. 
Ich brauche sie aber nicht zu Hilfe zu rufen. Jedes Kind wird in 
der Zeit geboren, in der die achtuudzwanzigtägige Periode des 
Weibes in voUer Wirkung steht, also muß jedes Kind, da es in 
nächster Nähe des Weibes lebt — auch in der Schwangerschaft 
bleibt die achtundzwanzigtägige Periode bestimmend — dieses 
Zeitmaß von achtundzwanzig Tagen mit auf die Welt bringen. 
Und nach der Geburt muß sich das Zeitmaß in das tiefste Erleben 
eingraben; es geht nicht anders. In dem gewaltigen Erlebnis des 
Geborenwerdens, der Trennung von der Mutter — sexus — nimmt 
das Kind die Tatsache des Blutens wahr. Und bei jedem Kinde 
bis weit in sein Wachstiun hinein wiederholt sich dieser bewußte 

119 




Eindruck des Blutens in regelmäßigen Zeiträumen, um erst langsam 
in das Unbewußte verdrängt zu werden. Lange Jahre hindurch 
stellt das Kind fest, daß das ihm nächststehende menschliche Wesen 
Menses — Monate — hat. Für mich besteht nicht der mindeste 
Grund, warum ich das lateinische Wort mensis, gr. meu {ftijv) 
= Monat, Mond nicht auf dieselbe Wurzel zurückführen sollte, die 
das Wort Mensch hat, auf die Wurzel men-man-, von der ich früher 
sprach. 

Sowohl die Römer als die Griechen hatten noch ein eignes Wort 
für Mond, lat. luna (fr. la lune), gr. selene (aElrjvi]). In beiden 
Wörtern drückt sich das zweite erschütternde Erleben bei der Ge- 
burt aus, das Wahrnehmen des Lichts: luna wird von luceo=leuch- 
ten, lux = Licht abgeleitet, selene von haleo (äXeco) = strahlen. 
Gerade in diesem gleichzeitigen Erleben von Blut und LicUt, das 
mit dem Verlassen der Mutter zusammenfallt, sehe ich eine Be- 
stätigung dafür, daß das Zeitmaß vom Menschlichen genommen ist, 
nicht vom gestirnten Himmel, von der Menstruation, nicht vom 
Mondwechsel. Und ich werde in dieser Meinung durch die Kenntnis 
bestärkt, daß Luna — Artemis — Selene Göttinnen des Mondes und 
der Geburtshilfe waren. 

Die Assoziation Sichel-Mond weckt die Erinnerung daran, daß 
die Mondgöttin die Geburten leitet. Auch da begegnen wir der 
seltsamen Tatsache, daß unsre scheinbar wissenschaftliche Zeit an 
Phänomenen vorübergeht, die für unsre Vorfahren und für anders- 
geartete Kulturkreise der Gegenwart größte Bedeutung haben. Bis 
zu dem Moment der Geburt kann man Mutter und Kind als eine 
Einheit betrachten, selbst wenn man weiß, daß die Lebensflüssig- 
keit des Bluts bei beiden Wesen verschieden ist; erst der Moment 
der Abnabelung trennt für den Augenschein das Kind von der 
Mutter. Aus dem Kreis Mutter — Kind löst sich ein Segment, zwei 
neue, einander nahe, aber ganz selbständige Kreise entstehen: 
Weib und Kind. Die Verbindung dieser Kreise, die Nabelschnur, 
wird zerschnitten. (Wir können annehmen, daß vor der Erfindung 
der schneidenden Werkzeuge, diese Schnur ebenso wie bei Tieren 
zerbissen wurde, was ja nur eine primitive Form des Schneidens ist.) 
Wie uns berichtet wird, hatten die Griechen in Delphi einen kegei- 

120 



nii 



förmigen Stein, den sie den Nabel der Welt nannten; ihnen nmß 
also der Nabel als Mittelpunkt des Lebens erschienen sein. Dabei 
erinnert man sich an die unzähligen Darstellungen Buddhas, wie 
er ernet und lächelnd den Nabel seines schwangeren Bauches be- 
schaut. Stellt man demgegenüber, daß bei uns nur noch die Kinder 
und die Studenten der Medizin — erstere mit allergrößtem Interesse, 
letztere mit dem Widerstreben, das wir allem entgegenbringen, -was 
mystische Bedeutung hat — , daß bei uns nur noch die irrationalen 
Infantes den eignen Nabel betrachten dürfen, bo haben wir allen 
Grand, unsre Kultur für todgeweiht zu halten: im Nabel ist Ver- 
gangenes und Zukünftiges, er ist das Symbol des Stirb und Werde, 
des Individuums und des Sexus. Wir sollten uns schämen. 

Die Etymologie versagt ganz. Sie zählt in den verschiedenen 
Sprachen die verschiedeneu Namen für Nabel auf, führt sie auf eine 
Wurzel nebho = platzen und ombh = schwellen zurück, spielt 
ein wenig damit, daß im Lateinischen Nabel umJbüicus heißt und 
Schild umbo, daß das griechische omphalos {ofi(palog) dem umbUicus 
gleichsteht und daß Nabe des Wagenrades dem Wort Nabel nahe 
verwandt ist. Und sonst gibt sie keine Auskunft, es sei denn, daß 
sie den Verdacht in uns zurückläßt, die Gelehrten seien der Mei- 
nung, daß der Wagen älter sei als die Schwangerschaft. 

Ich bin vorläufig auf das Meinen angewiesen, auf das Erdichten. 
Und da denke ich mir, daß der Omphalos der Griechen etwas mit 
dem Phallus (phales und wohl mit amphi) zu tun hat und Nabel 
in dem deutschen Näher, Naber = Bohrer, vielleicht auch in Natter 
■weiterlebt; Naber ist sicher mit Nabe, dem vorragenden Teil des 
Rades, dem Teil, um den sich alles dreht, aufs engste verbunden, 
amphi ist dann der Kreis, Phallus das Zentrum (Stachel). (Cymr. 
heißt naf, Herr; im Englischen ist neb = Schnabel, die symbohsch 
dem Phallus gleichwertige Brustwarze ~ nipple, das Wort nib [slangj 
bedeutet gentlemen.) Wenn dem so ist, so bezeichnet das Wort 
Omphalos ebensowohl wie Nabel das Doppelgeschlecht des Mensch- 
lichen und ebenso das Kindlich-Mannbare in der Beziehung von 
Nabel zu Schwangerschaft und Geburt. Ist der Nabel ein solches 
Symbol, so braucht man sich nicht darüber zu wundem, daß wir 
den Nabel nicht mehr wie Buddha und das Kind beschauen; denn 



m 



121 



nichts haben wir so gründlich verdrängt wie die Dreieinheit des 
Menschlichen und die Ehrfurcht vor der Mutter, von der wenig 
übriggeblieben ist, schon seit einem Jahrhundert. Denn daß fast 
alle Menschen schmerzhafte Punkte an der linken Seite des Nabel- 
lings haben, daß links oberhalb des Nabels nach dem Herzen zu 
und in der Mitte zwischen Nabel und Schwertfortsatz, dort wo 
das Männliche des Brustbeins sich dem Weibüchen des Nabelrings 
entgegenreckt, dem Sonnengeflecht vorgelagert, überaus empfind- 
liche Stellen sind, muß man wohl als Überbleibsel aus den Ver- 
drängungskämpfen gegen die Mutterverehrung anerkennen; aber 
es drückt sich darin nicht Verehrung, sondern Kampf gegen Ver- 
ehrung aus. Allerdings muß man zugeben, daß die Frauen es den 
Kindern nicht mehr leicht machen, sie zu verehren, seitdem sie die 
Schwangerschaften nicht als Ehre empfinden, sondern sie unter 
allerlei Vorwänden bewußt und unbewußt vermeiden oder ver- 
stecken. 

Irgend etwas muß die Sprachforschung dazu gebracht haben, den 
Nabel mit dem Wagen in Verbindung zu bringen. Es ist nicht 
selten, auch bei Gelehrten, daß das Unbewußte versucht, den 
Denker auf dem richtigen Weg zu bringen. Und so mag es auch 
hier sein. Denn unsre Kenntnis des Symbols ist soweit gediehen, 
daß wir die Erfindung des Wagens geradezu aus der Schwanger- 
schaft herleiten können. Die Geschichte vom kleinen Hans, die 
Freud schon vor drei Jahrzehnten veröffentlicht hat und die eine 
Fundgrube für die Mutteraymbole ist, sollte einen jeden darüber 
belehrt haben. Aber auch sprachlich läßt sich darüber viel sagen. 
Man behauptet, Wagen hänge mit Weg zusammen, ebenso wie 
vehiculum mit via. Der Urweg ist aber die Spalte und Scheide des 
Weibes. Weg und Brücke sind Schöpfungen des Eros, der ja auch 
Erfinder des Geldhandels und Warentausches ist, des „Verkehrs". 

Deutlich klingen diese Dinge noch in dem Worte „Rad" nach. 
(Es gibt einen Ausdruck für Schubkarre, der lautet Radebere, 
bayr. Tragradel; bere ist dasselbe wie das schwedische „barn", 
das englische „to bear", das deutsche „gebären". Der Schub- 
karren ist die Mutter — Frau.) Allgemein wird angenommen, daß 
„Rad" dem lateinischen rota = Rad und rotundus = rund stamm- 

122 



n 



n 



verwandt sei. Die Wurzel lautet angeblich reth ^= laufen. Das 
mag so sein. Die Ableitung rotundus = rund führt aber auch zu 
dem griechischen Ausdruck für Rad kyklos [KVxXog), der gleich- 
zeitig Kreis bedeutet. Zu kyklos gehören als Verwandte das eng- 
lische wheel und das schwedische hjul = Rad. Alle diese Wörter 
werden auf eine Wurzel gelo = drehen, treiben zurückgeführt, von 
der wiederum gr. polos (TtoXog) = Achse (erhalten in Pol) her- 
rührt. Verwandt damit sind gr. pelo (TzeXco) = sich bewegen, 
pelte {TzeXtr}) = Schild (s. oben umbo — umbilicus), pellis {jiekXtg) 
= Becken (lat. pelvis), pella (TisXla) = Milcheimer. Alle diese 
Wörter legen den Gedanken nahe, daß kyklos (wheel, hjid) etwas 
mit der Kugelform des schwangeren Leibes zu tun haben könnte, 
mit dem Kreise seines Umfangs. Und mag man es wollen oder 
nicht, gleichzeitig stellt sich die Meinung ein, daß die deutschen 
Wörter „kreisen, kreißen" (gewöhnlich von kreischen abgeleitet) 
doch mehr mit dem Kreis zu tun haben könnten, als die Etymologie 
es wahrhaben will, ja selbst die deutsche Bezeichnung für das 
OS sacrum = Kreuzbein, Kreuz könnte so zu Kreis (ahd. Kreits) 
bezogen werden. Entschließt man sich zu solcher Laienetymologie 
der Zeugung, Schwangerschaft und Geburt, so ündet man auch 
noch das lateinische radius = Stab, Radspeiche, Kreishalbmesser; 
ramus = Zweig, Ast ; radix = Wurzel. Und hei diesem letzten Wort 
„Wurzel" stehe ich plötzlich der Einsicht gegenüber, daß wirklich 
der sexus, das segmentum, das beim secare des Kreises entsteht, 
Wurzel dieser Wortgruppen ist, zumal da Wurzel von einem Stamm- 
wort rota =Wurzel, Rute herkommt. (Hier sei an den englischen 
Ausdruck holy rood erinnert. Eins der vielen Menschensymbole, 
die in dem Erlös ungsmythus der Kreuzigung und Auferstehung 
enthalten sind, gibt sich hier kund. Rute = männliches Glied ; 
rota ist auch Rad.) 

Ähnlich wie das religiöse Leben der Griechen den Nabel als 
Mitte der Welt anerkannt hat, versucht es von Urzeiten her die 
darstellende Kunst. Als Symbol dafür hat sie von jeher den Kreis 
gewählt, der um den Menschen bei ausgestreckten Armen und ge- 
spreizten Beinen geschlagen wird, so daß der Nabel Mittelpunkt 
wird. Die uralten Steinreliefs, vor allem auch das Hakenkreuz, 

123 



drücken die Symbolik des Menschen im Kreise der Mutter ebenso 
deutlich aus wie heutigentages die russische Schaukel oder das 
Rhönrad oder das Triebrad der Maschinen diesen Mythus ver- 
sinnbildlichen. Ja, bei näherem Zusehen gewahrt man, daß unser 
religiöses und wissenschafthchea und künstlerisches Leben so gut 
wie die Mathematik und Technik von dieser symbolischen Idee 
durchtränkt sind. Das grundlegende Prinzip des Menschhcheu, 
Mann-Weib-{Kreis)Kind (Mann im Kreis) ist in dem Symbol er- 
faßt, ja dadurch, daß sich in dieses Symbol des Menschhcheu die 
Zeitrechnung und das Sonnensystem, ja alles, was wir kennen, 
eingefügt hat, auch Wahrheit, Irrtum und Schwanken zwischen 
beiden, auch Himmel, Hölle und Mensch, auch Gut und Böse und 
Menschlich, zeigt sich, warum dieses Symbol trotz tausendfältigem 
Formwechsel immer wieder benutzt werden muß. Der Kreis zeigt 
die Grenze alles menschlichen Lebens, den Tod sowohl wie das 
Leben, das Sein wie das Werden, die Fähigkeit des Treibens und 
Getriebenwerdens (Radform) und das Gefesseltsein an Ebene und 
toten Körper. Und es muß erwähnt werden, daß sowohl das Haken- 
kreuz wie das griechische Kreuz das Symbolische des Sterbens und 
Werdens am deutlichsten zeigen durch die Bewegung andeutenden 
Haken und durch den Gekreuzigten. 

Betrachtet man den Mittelpunkt dieses um den Menschen ge- 
schlagenen Kreises, den Nabel, so zeigt sich auch da wieder die 
Eins und die Drei des MenschUchen. Der Nabel selbst entspricht 
der Spitze des Ghedes, die aus dem umgebenden Ring etwas hervor- 
ragt wie der oberste Teil der Eichel aus der Vorhaut. Ich habe 
schon früher erwähnt, daß die Vorhaut als weibhcher Teil des 
Menschhchen empfunden wird, gleichzeitig aber auch als KindHches 
im Gegensatz zum Männlichen, weil ja die Vorhaut verstreicht in 
dem Augenbhck, wo sich das KindKche in das Männliche verwandelt, 
in der Erektion. 

Man sieht, daß der Nabel in Wahrheit das Mysterium der Men- 
schenwelt in sich enthält, und dieses Mysterium gewinnt an Tiefe, 
sobald man sich der Entstehung des Nabels zuwendet: er ist der 
Rest des Nabelstrangs (Nabelschnur), der nach der Geburt in der 
Nähe der kindlichen Bauchhaut durchgeschnitten wird, wie ich 

124 



schon sagte, ein Versuch, das Unteilbare (Individuum) zu trennen 
(Geschlecht — sexus — secare). Die Ausdrücke Strang und Schnur 
führen einen Schritt weiter. Strang ist urverwandt mit dem Wort 
streng, das ursprünglich angespannt, stark, hart bedeutet. Die 
Bedeutung des Gedrehtseins scheint erst nachträglich hineingelegt 
worden zu sein, wahrscheinlich gerade wegen der gedrehten Form 
des vorbildlichen Nabelstrangs. Die Härte xind Länge des Nabel- 
strangs führt zum Männlichen hin, die Verbindung mit dem Mutter- 
kuchen zum WeibHchen, während die Drehung und das Rinnen 
des nährenden Blutes innerhalb des Nabelstrangs die Vereinigung 
von Mann und Weib symbolisieren ; an das andre Ende des Strangs 
ist das Kind, die Zukunft, befestigt. Das Wort Strang betont das 
Männliche, während in dem Wort Schnur das Weibliche vorherrscht. 
Wir haben in unsrer deutschen Bibelsprache überall noch die Be- 
zeichnung Schnur für die Sohnesfrau. Zugleich ist in dem Wort 
auch das männliche Sohn enthalten (idg. snusa, snusus ;= Schwie- 
gertochter wird als Ableitung des idg. sunu = Sohn aufgefaßt; im 
Schwäbischen entspricht dem Söhnin oder Söhnerin). 

Ehe ich mich näher über die geheimnisvollen Schicksale äußere, 
die im Nabel symbolisiert sind, muß ich nochmals auf das Wort 
secare und seine Ableitungen zurückgehen. Zunächst erwähne ich 
die Wörter Säge und lat. securis — Beil. Im Sägen symbolisiert 
sich das Hin und Her des Schneidens, aber auch des Geschlechts- 
verkehrs, der ja mit einer Trennung des Individuums Mann von 
seinem Männlichen, dem Samen, unter gewaltsamer Erregung endet. 
In lat. securis = Beil versinnbildlicht sich das Abschlagen, das im 
Deutschen das Wort Geschlecht geschaffen hat. (Merkwürdig ist 
die deutsche Redensart „sein Wasser abschlagen'*, was vielleicht 
auf die unbewußten Zusammenhänge von Urinieren und Samen- 
erguß hindeutet.) Kluge macht den Vorschlag, das Wort schlagen 
(got. slahan, altn. slä, engl, slay usw.) mit gr. laktizo {laKuCa), 
lat. lacerare = zerreißen, zerfetzen zusammenzubringen, was aller- 
dings Walde ablehnt, weil es sinnlos sei, jedoch gibt das Wort Ge- 
schlecht in Verbindung mit dem Zerfetzen der Jungfemhaut durch 
Beischlaf und Geburt den Beweis, daß mehr Sinn in dieser Ver- 
bindung steckt, als Walde annimmt. SchUeßhch gibt es noch das 

125 



lateinisclie Wort saxum, das abgeschnittener Ast bedeutet, gleict- 
zeitig aber auch Fels, Stein und Klippe. Ich stoße hier auf das, 
was die Psychoanalyse den Kastrationskomplex nennt, behalte mir 
aber vor, darauf später zurückzukommen; der unglücklich gewählte 
Ausdruck Kastration erfordert eine besondere Auseinandersetzung. 
Dagegen ist die ÄhnHchkeit der Erschlaffung des aufgerichteten 
Gliedes nach dem Geschlechtsverkehr mit dem Niedersinken eines 
ragenden Astes beim Durchsägen bezeichnend. Die Vorgänge in 
dem, was man Kastrationskomplex nennt, sind nicht erschöpft, 
wenn man nur an das blutige Abschneiden des Penis (Menstruation 
des Weiblichen) denkt ; neben der blutigen Verwandlung des Männ- 
lichen in das Weibliche (sexus, secare) liegt in dem Begriff Kastra- 
tionskomplex die Verwandlung des Mannbaren in das Kindliche 
durch den Verkehr mit dem Weiblichen. 

Um den Grund für meine weitern Meinungen noch zu verstärken, 
mache ich auf das schwedische Wort sax — Schere, Schwert auf- 
merksam; auch „sax" (lat. saxum) hat eine Bedeutung Fels, Stein. 
Der Wortsinn Fels, KHppe tritt in einem andern schwedischen Wort 
„skär = Felseneiland" hervor, während das Verbum skära in seiner 
Bedeutung „abschneiden" dem lat. secare ganz nahe steht. — Im 
Griechischen gesellt sich zu diesem Wortkreis keiro (xEtgco) = sche- 
ren, wozu ker {?ci]q) = Schicksal, Tod und karpos (xaQTiog) = Frucht, 
Leibesfrucht gehören. Im Deutscheu ist Stammverwandtschaft zu 
secare in den Wörtern Schere, scheren vorhanden, wahrscheinlich 
auch in Messer. (Ahd. mezzi-rahs, mezzi-sahs, sahs angebhch ver- 
wandt mit saxum, sax == Stein — Anschluß an die Messer der 
Steinzeit — , das mezzi soll mit schwed. mat, engl, meat — Speise 
zus ammenhängen.) 

Wichtig für meine Zwecke ist weiter, daß im Schwedischen klippa 
als Substantivum KHppe bedeutet, als Verbum sehneiden, scheren. 
Im Deutschen hat sich in dem Wort klipp-klapp das Klippen als 
Schneiden erhalten. Auffallend ist, daß im Englischen to clip neben 
schneiden auch umarmen bedeutet. 

Daß in allen indogermanischen Sprachen übereinstimmend die- 
selben wichtigen Lebensgebiete sich um das eine Wort secare 
gruppieren, das seinen tiefsten Sinn in den Wörtern sexus und 

126 



Geschlecht kundgibt, beweist, wie tief einmal die Menschenseele 
von der gewaltsamen Trennung des Individuums Mutter-Kind er- 
griffen gewesen sein muß, und das Erstaunen darüber, daß für uns 
der Moment des Äbnabelns kaum noch bewußte Bedeutung hat, 
wächst. Aber bei den Griechen hat es einmal Keren gegeben, bei 
den Römern Parzen und bei den Germanen Nornen. Das, was wir 
Schicksal nennen, war mit dem Durchschneiden des Nabelstrangg 
innig verbunden. Gemeinsam ist diesen Schicks alsgöttinnen die 
Zahl Drei, gemeinsam auch das weihliche Geschlecht, gemeinsam 
der Sinn von Vergangenheit (nord, urdh, gr. Atropos [arpoTio?]), 
Gegenwart {nord. verdhandi, gr. Klotho [xXcO'd-co]) und Zukunft 
(nord. skuld, gr. Lachesis [Aa;;£a(?]), gemeinsam das Spinnen des 
Schicksalsstrangs und die Schere, das Sein, Werden und Vergehen, 
Neben Ker (k^^ von keiro, heiqo) = scheren) hatte der Grieche 
auch die Moira (fzotQo) = Teil (von meiromai, fUiQO/ia = Anteil 
haben). Bei dem einen Namen ist die Handlung des Zerschneidens, 
bei dem andern der Erfolg der Handlung betont, das Entstehen 
des Geschlechts und die Tatsache des Geschlechts. Das lateinische 
Wort Parca = Parze (ursprünglich parica = Geburtsgöttin) zeigt 
die Verbindung des Schicksalsgedankens mit Geburt und Zer- 
schneiden der Nabelschnur (Lebensschnur) am deutlichsten. Der 
Name ist abgeleitet von pario = gebären, zu dem auch pars = Teil, 
portio = Teil (portio uteri wird der in die' Scheide ragende Teil 
der Gebärmutter genannt, der symbolisch sowohl die Eichel wie 
den Nabel vertritt), porta = Türe, portus — Hafen gehören, viel- 
leicht auch par = gleich. 

Ich muß einen Augenblick auf den Ausdruck spinnen (vielleicht 
verwandt mit spannen, Ehegespann, Ehegesponst) zurückgreifen. 
Wahrscheinlich verbindet sich der Schicksals gedanke ebenso mit 
dem Weben wie mit dem Spinnen, die ja in der Tat begrifflich 
zusammengehören, auch Spindel und Weberschiff haben gewisse 
Ähnlichkeiten. Der lateinische Ausdruck für weben ist texo, was 
gleichzeitig auch bauen heißt (textor ^^ Zimmermann, gr. tekton, 
Tefixwv = Zimmermann, techne,T£;Kr?; = Handwerk, Kirnst). Walde 
findet, daß ein kaum überhrückbarer Bedeutungsunterschied zwi- 
schen zimmern und weben besteht. Sobald man bedenkt, daß das 

127 



erste Haus, in dem der MenscL wohnt, die Gebärmutter ist und 
daß aus dem, ersten Hin- und Herbewegen des Weberschiffchens 
(männliches Glied) das großartige Gewebe (Textur) des Menschen- 
kindes entsteht, verschwinden diese Bedenken. 

Die deutschen Wörter wibbeln, wabbeln, Wespe, aber auch Wabe, 
die alle mit weben zusammenhängen, deuten nach derselben Rich- 
tung, ja ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß das rätselhafte 
Wort Weib {wif, wüf) mit weben zusammenhängen könnte. (Kluge 
gibt bei Weib das althochdeutsche weibon = unstet seins schwan- 
ken an, schwed. viv = Weih, viva = schwanken; daß das aber 
mit den Geschlechtsfunktionen des Weibes in Liebe und Schwan- 
gerschaft zusammenhängen könnte, kommt ihm nicht in den Sinn. 
Ist es richtig, ao erscheint in dem Unbewußten der englischen 
Sprache eine der schönsten Eigentümlichkeiten der englischen 
Rasse, ihr Humor. Sie nennen die Ehefrau vom Weben ausgehend 
wife, die unverheiratete spinster darf spinnen, aber nicht weben.) 
Ich glaube auch, daß gr. teknon = Kind stammverwandt mit 
texo ist und ebenso tikto = gebären, zeugen. 

Man ist gewöhnt, bei den Wörtern gebären, Geburt nur an den 
weibUchen Teil des Individuums Mensch zu denken, aber das Un- 
bewußte faßt den befruchtenden Samenerguß des Männlichen 
ebenso als ein Gebären auf. (Das Wort „gebären** wurde im Mittel- 
alter auch für „zeugen" gebraucht, dasselbe gilt von gr. tikto xmd 
lat. pario.) Darai^ ergibt eich, daß sexus = Geschlecht beide ge- 
trennte Teile des Individuums, männHch und weiblich, umfaßt. 
Bei dieser Gelegenheit mache ich darauf aufmerksam, daß die 
Schere ihrer Form und Leistung nach Symbol des Weiblichen im 
Geschlechtsakt ist und auch vom Unbewußten so aufgefaßt wird; 
es wäre denkbar, daß das Unbewußte aus der Tatsache der ge- 
spreizten weiblichen Schenkel und der schicksalsmäßigen Folge 
der Entmannung des Mannes im Beischlaf die Anregung zum Er- 
finden der Schere genommen hat. Ich erinnere au das englische 
to clip = umarmen. 

Der dritte Bestandteil des Individuums, das Kindliche, ist in 
dem Wort sexus allerdings nicht enthalten (ganz anders als bei dem 
deutschen „Geschlecht", das sich auch auf Abstammung bezieht 

128 



und das Kindliche mitbetont als Resultat des Abschlagens), aber 
ich halte es für möglich, daß das Wort saxum {Fels, Stein) ebenso 
wie das schwedische skär = Felseninsel und kUppa = Klippe der 
Symbolik des von der Mutter (Berg) abgesprengten, vereinsamten 
Kindes entsprungen ist. Zu dieser Annahme glaube ich einiges 
Recht zu haben. Das schwedische skär, dem das deutsche Klippe, 
weiterhin Riff entspricht, ist im Grunde Insel, lat. insula. Insula 
ist nach Walde das im Meere oder Salzwasser liegende (gr. en hale 
usa, £v aXr} ovaa) en sale. Wiederum muß ich feststellen, daß der 
Mensch bei Dingen im Salzwasser zunächst an das Kind gedacht 
haben muß, denn das Kind im Mutterleib hat er früher gekannt 
als das Meer. (Vermutlich sind mare = Meer und mater = Mutter 
nicht bloß klangähnlich, sondern stanun verwandt.) Die Beziehung 
des schwedischen skär zum Komplex Mann- Weib-Kind gewinnt 
dadurch an Kraft. Aber auch das deutsche Klippe führt zum 
gleichen Sinn hin. Klippe (engl, cliff), meint Kluge unter KHppe, 
könne mit dem isl. klifa = klettern nicht verknüpft werden, weil 
das gemeingermanische kliba-, von dem Klippe herkomme, kleben 
bedeute, kleben und klettern stimmten nicht zusammen. Ich könnte 
an den bekannten Volkswitz erinnern, daß das Kind an der Nabel- 
schnur hochklettert, aber das ist nicht nötig. Denn unter dem Stich- 
wort „kleiben" sagt derselbe Kluge, daß anord. klifa = klettern, 
klimmen zu kleben gehöre. (Wir sagen, jemandem eine Ohrfeige 
„kleben**, der Schweizer nennt die Ohrfeige „Chlefe'* ; Kleiber 
= Spechtmeise, angeblich weil er das Eingangsloch zum Nest zu- 
klebt, wahrscheinlich aber weil er der einzige Vogel ist, der auch 
abwärts klettern kann.) Das Wichtige darin ist, daß „kleben*^ mit 
den Wörtern „leben" und „bleiben" stammverwandt ist, das 
Lehende ist das Bleibende, das, was bei dem beiderseitigen Sterben 
des männlichen und weiblichen Sexus im Geschlechtsverkehr 
lebendig bleibt, das Individuum, wie ich es verstehe, das Kind, 
das im Salzwasser Seiende, die KUppe. Und wenn man den Weg 
des Samentierchens bei der Befruchtung bedenkt oder das Geboren- 
werden des Kindes, so liegt es klar vor Augen, daß die Tätigkeit 
des Kletterns dabei notwendig ist, daß der Same klebrig ist, hat 
noch niemand bezweifelt. — Weitern Aufschluß gibt das Wort 

9 Groddeck, Der Mensoli ab Symbol 129 



Riff (engl, reef), Kluge erwähnt, daß man es mit rifa = Ritze, 
Spalte, Riefe zußammenb ringe, das würde heißen mit dem weib- 
lichen Geschlechtsteil. Das englische rifle = Büchse, Gewehr leitet 
zu dem Männlichen über. Denn, sagt er, nord. rif (unser Felsen- 
riff) laute gleich mit nord. rif = Rippe, was wohl nur Zufall 
sei. Aber es ist wohl kein Zufall, denn Rippe — ich sehe ab von 
der hebräischen Sage über die Erschaffung des Weibes — ist ur- 
verwandt mit Rebe, das von idg. rebb — umschlingen herkommt. 
(Ahd. himi-reba =^ Hirnschale.) Das Unbewußte zwingt den Ety- 
tQologen, die richtige Verbindung herzustellen, ohne daß er eich 
dessen bewußt wird: denn da ist kein Zweifel, die Urumschliugung 
ist die von Mann und Weib. 

Wollte ich in dieser Richtung weitergehen, so könnte ich leicht 
noch manches Problem zu diesen Wörtern hinzufügen. Der Leser 
wird sich vieles selbst ergänzen müssen, zustimmend oder ab- 
lehnend. Ich möchte aber einen Einfall nicht unerwähnt lassen, 
der sich mir aufdrängt. Das Wort Rebe in seiner Ableitung von 
rebh = iimschlingen führt zu einem losen Zusammenhang mit dem 
Sexus von Mann und Weib. (Die Gewohnheit, die Rebe — weib- 
lich — so zu pflanzen, daß sie den Baum [Oberitalien] oder die Stange 
— männlich — umschlingt, bestätigt das.) Schlingen ist „hin und 
her ziehend schwingen" (Kluge), wie es sich noch in den Wörtern 
„schlingern, schlenkern, Schlange" erhalten hat (auch andre Spra- 
chen beweisen dasselbe). Die Sinnesverwandtschaft mit dem Leben 
gebenden Verkehr von Mann und Weib wird noch deutlicher, wenn 
man, wie es allgemein geschieht, dem Wort „schlingen" den Sinn 
von „schlendern" beilegt und das alte Phallussymbol „Schlange" 
dazu nimmt. Wählt man für „umschlingen" umwinden, so ist es 
dasselbe (Windel, wickeln). Winden führt zu „Wende" = Grenze, 
Umkehr (Wendeltreppe Symbol der Zeugung und Geburt) und 
„wenden" = sich ändern. Fügt man dem hinzu, was ich über 
Rippe und Riff und Kind gesagt habe, so gewinnt die hebräische 
Legende immer mehr symbolischen Halt. Das Leben kommt in 
Beziehung zu dem Auspressen des Traubensafts, zum Wein. (Leben, 
bleiben, kleben, Klippe, skär, Insel.) Auch das Wort Kelter gehört 
hierher, es ist mit lat. calcare = treten stammverwandt (calcar 

130 



11k. 



= sporn ist mäniJiclies Symbol). Man könnte diese Verbindungen 
rasch ablehnen, aber es erheben sich Schwierigkeiten. Im Griechi- 
schen gibt es ein Wort omphax (ofiqja^) = unreife Weinbeere; es 
steht in enger Verwandtschaft mit omphalus — amphi — phallus, 
amphi {afMpi)^ wahrscheiaUch verwandt mit um- = umschHngen, 
umwinden, sicher verwandt mit lat. ambo = beide. Kelter heißt 
im Griechischen lenos {Xr]vog) = Trog, Sarg, Standloch für den 
Mast, Wagenkasten, alles weibUche Symbole; es kommt von der 
Wurzel le-, die „ergreifen, wollen", aber auch „hingeben" be- 
deutet; die Geschlechtsbeziehung ist auch hier gegeben. Für „Wein" 
hat das Griechische oinos (oivoi;), das geradezu urverwandt mit 
dem lateinischen vinum = Wein ist. Nach Walde hängt vinum 
mit vieo := ranken, flechten zusammen. Er führt eine Menge Ab- 
leitungen und Verwandtschaften mit vieo an (unter andern vitus 
= Radfelge, das zu phallus leitet), leider nicht das Wort viesco 
= verwelken, verschrumpfen, das das Gleichnis des männlichen 
Einschrumpfens durch das Umwinden des Weihhchen erst ver- 
BtändHch macht. Noch viel weniger stellt er eine Verbindung mit 
vita = Leben und vivere = leben her. Auch vir = Mann fehlt in, 
diesem Verzeichnis der Wortverwandtschaften. Das Wort für Kel- 
ter „torcular" ist mit torqueo = drehen, winden zu verbinden, 
bietet also auch wieder das Gleichnis des Männlich -Weiblichen. 

Das griechische Wort für Insel ist nesos {vrjoog); Prellwitz bringt 
es in Beziehung zu naus {vavg) = Schiff, das von der Wurzel nau-, 
schwimmen herkommen soll (ebenso lat. navis = Schiff, nauta 
= Schiffer), nausia (vavma) ist die Seekrankheit. Nesos {vTjoog) 
ist demnach die im (Salz-) Wasser Schwimmende, in eale — insula. 

Für Wort und Begriff „KUppe" gibt es petra {jieiga)^ spilas 
{omXag)y skopelos [oHOneXog). Von petra gibt es das Maskulinum 
petros = Stein, während sich das Femininum in altisl. hvedra 
:= Riesin, Berg wiederfindet. Das Zwiegeschiecht kommt in spilas 
ebenso deutlich hervor: im Deutschen sind damit verwandt spitz, 
Spießer, Spieß. Die Wurzel spilo- ausdehnen, spi- spannen, strecken 
ist bezeichnend für die phallischen Beziehungen (Speile, Speiche, 
mhd. spicher = Nagel, ahd. spinula = Stecknadel, lat. spina = Dom, 
Gräte, spica = Ähre, spicare = spitzen usw.). Skopelos soll mit 



9* 



131 



ekeptomai (oxEmofiai) = Wache halten, spähen zusammenhängen. 
Skepas (axeTiag) ist Schutzdach, Hülle — weibliches Symbol. Die 
Sinnbeziehung zu sehen und Auge ist wichtig. Im Schwedischen 
heißt Insel ö, das Auge heißt ögon; im Deutschen ist Au, Aue 
= Insel, Wasser, die althochdeutsche Form ist augia, fast dasselbe 
Wort wie Auge; im Englischen ist Insel island (unser Eiland), es 
lautete im Angelsächsischen eg, egland, im Altnordischen ey. 
Natürlich Hegt für mich als Laien die Annahme nahe, daß hier eine 
Verbindung zwischen island, eye und egg, zwischen Ei und Auge 
und Eiland bewiesen sei. Aber die Etymologen sind andrer An- 
sicht. Man lernt es, sich zu fügen. 

Das „Scheren" heißt im Griechischen kura (jtovga) von keiro 
nnd koreuo = scheren. Auch da kann ich mich nicht der Meinung 
enthalten, daß dieses Wort etwas mit köre [xogi]) ^ Mädchen und 
kuros (xovQog) ^ Knabe zu tun hat; das Mädchen wegen Gestalt 
und Funktion der Schere, der Knabe weil von kuros, koros das 
Wort korthyno {xo Q0vvco) = crhehen abgeleitet ist; die Wurzel 
lautet angeblich cera, cor tragen, sich erheben, von der auch 
lat. crescere = wachsen und creare = erschaffen abhängig sein 
sollen. 

Die lateinischen Wörter für Klippe sind cautes und scopulus. — 
Cautes kommt nach Walde von cos = Wetzstein; er scheint es mit 
acutus = spitz zusammenzubringen, läßt sich nicht überzeugen, 
daß cos etwas mit coxa = Hüfteneinsatz, Hüftbeingrube oder gar 
Costa ^ Rippe zu tun habe; aUerdings gäbe es ein ab. Wort kost 
= Knochen, aber nun gar das russische kosa - Sense könne nicht 
als verwandt in Frage kommen. Das ist aber nach dem, was über 
secare und Sense zu sagen ist, gar nicht so unwahrscheinlich. ~ 
Wenn übrigens costa und coxa, cos -= Wetzstein (man denke an 
die Bewegung des Wetzens und an die obszöne Bedeutung davon) 
doch zusammenhängen soUten, paßt coxim = zusammengekauert 
(Erschlaffung) gut dazu. 

Scopulus = Khppe bringt Walde mit scapus = Schaft, Stengel, 
scopio = Stamm des Spargels, ahd. skaft = Speer, gr. skeptroa 
iaxr}7irQov) = Stab, Zepter zusammen. Die phalUsche Bedeutung 
ist ohne weiteres klar. 

132 



Die Schere heißt im Lateinischen forfex. Prellwitz (und halb 
und halb auch Walde) bringt es auf forma ^ Gestalt und facere — 
fex ^ tun zurück, Wenn „schneiden, scheren" Symbol des Ge- 
schlechtsverkehrs ist, könnte man es sich nicht besser wünschen. 
Das Verbum scheren heißt lat. tondeo (tonsura), und tondco wird 
von gr. tendo = abnagen abgeleitet; ob es auch zu lat. teudo 
^ spannen, dehnen gehört, habe ich nicht feststellen können. 

Wenn ich vorhin die Entstehung des Gedankens und Worts Schere 
aus dem Geschlechtsverhalten des Weibes herleitete, so führen die 
Wörter sica = Dolch, sahs, sachs = Messer, Schwert (alle verwandt 
mit secare) auf die Form und Tätigkeit des Männhchen zurück, ebenso 
kann sich sech = Pflugmesser nur auf die männliche Sexuahtät be- 
ziehen. (Das Pflügen ist uraltes Symbol der männlichen Geschlechts- 
betätiguug.) Man kann, wenn man will, den Begriff Schneiden, der 
in diesen Wörtern liegt, mit der Beischlafsbewegung, mit der Samen- 
ergießung oder mit dem Erschlaffen des Gliedes zusammenbringen, 
wie ich es getan habe. Ein weiteres Wort läßt noch eine andre 
Deutung zu, das ist das Wort Schermaus für Maulwurf. Selbst- 
verständlich ist der Maulwurf mit seiner geheimnisvollen unter- 
irdischen Tätigkeit, mit dem Graben des Gangs im Schöße der Erde 
ein treffhches Symbol des Männlichen, das ja vom Geheimnis lebt 
und den unterirdischen Gang gräbt. Die Silbe Scher- könnte vom 
weiblichen Partner genommen sein, eine Schere, die das Glied — 
Maus zum Erscblaffen bringt, abschneidet. Die Art der Zusammen- 
setzung spricht aber eher dafür, daß die Maus schert, als daß sie 
geschoren wird. Und außerdem wäre das Auffallende im Dasein 
des Maulwurfs, das Aufwerfen des Hügels, in dem Symbol nicht mit 
erfaßt. Deshalb glaube ich, daß der Ausdruck Schermaus sich auf 
den Vorgang der Geburt beziehen läßt. Das Ganggraben wäre 
der Geschlechtsakt, das Aufwerfen des Hügels die Schwanger- 
schaft, das Erscheinen des Maulwurfs die Geburt, die notwendig 
die Abnabelung zur Folge hat. Schermaus würde die vorbereiten- 
den Vorgänge bis zum Moment des Scherens, der Abnabelung um- 
fassen. 

Das Phänomen der Schwangerschaft (Hügel der Schermaus) 
bringt mich zu. dem Kyklos, Zirkel, Kreis zurück. Der Begriff des 

133 



Kreises erfordert den de8 Mittelpunktes, und hier lassen sieh wieder 
andre Fäden anknüpfen. Freilich mit dem Wort Mittel, Mitte, 
lat. medius, gr. mesos (fieaog) weiß ich nichts anzufangen, und die 
Etymologie gibt mir nicht den geringsten Aufschluß! Dagegen ist 
Punkt unbedingt der Stich als Resultat des Stechens (lat. pungere). 
Und nun ist es merkwürdig, daß das gleichbedeutende Wort Zen- 
trum Stachel heißt (gr. kentron, tcevzQOv). Man gibt eine einfache 
und sicher richtige Erklärung dafür, daß das Zentrum des Kreises 
ein Stachel oder ein Hineingestochnes (punctum) ist. Die Kreis- 
linie wurde mit Hilfe eines Pflockes als Mitte und eines Fadens oder 
SeUs als Hadius auf der Erde gezogen und in sie mit einem zweiten 
Werkzeug am andern Ende des Radius eingeritzt. Die Symbolik 
des Radius als Nabelschnur, des Zentrums als Ansatzstelle der 
Schnur am Mutterkuchen (Placenta), des Kreises als der größten 
EntfemungsUnie, die die Schnur zwischen Mutter und Kind ge- 
stattet, liegt nahe. Punctum mit dem Stachel kentron darin ist 
aber auch der Augenblick, in dem Männlich und Weiblich (sexus) 
sich zum individuxmi vereinen, dann ist der Kreis die Welt; denn 
das Weltgeschehen ist Streben des Sexus zum Individuum. Da 
diese KreisUnie nach allen Seiten hin denkbar ist, gehört auch 
der Begriff der Kugel (gr. sphaira, lat. globus) in den Komplex 
des Nabels und der Schwangerschaft hinein. 

Vorläufig werde ich erst einiges über Placenta und Mutterkuchen 
sagen. Walde leitet placenta von dem gr. plakus (TiXaHovg) = Kuchen 
unter Zuhilfenahme des lat. placeo = gefallen, eben sein ab (fr. 
plaire, engl, please, it. piacere). Man könnte kein treffenderes Wort- 
gleichnis für den gefälUgen Zustand des Kindes im Mutterleihe 
erfinden. (Das itaUenische piano, das in der Musik so bedeutend 
ist, gehört zu placeo, planus — flach, eben.) Das griechische 
plakus leitet Prellwitz von einer Wurzel plak- breitschlagen her; 
es hat ebenso wie placenta die Nebenbedeutung Kuchen (Fladen). 
Zu dieser Übereinstimmung, in allen drei Sprachen dem Gebilde die 
Bedeutung Kuchen zu geben, hat wohl nicht nur die Form des 
Mutterkuchens Veranlassung gegeben, sondern ebenso der selige 
Himmelszustand der Leibesfrucht während des Aufenthalts in der 
Mutter; die Vorstellung vom Kuchen i^t von der Glückseligkeit 

134 



nicht zu trennen^ und so ist es natürlich, die Ernährung des Kindes 
mit Kuchen zu verbinden. 

Dem Wort Kuchen etymologisch beizukommen ist kaum mög- 
lich. Ein Laie wird zunächst an Kochen, Koch, Küche denken; 
aber eben nur ein Laie. Die Wissenschaft denkt darüber ganz 
anders. Wenn ich es recht verstanden habe, ist das Haupthindernis, 
Kuchen mit Koch zusammenzubringen, die verschiedene Länge 
der Vokale, wozu noch für Kuchen ein gedehntes a im schwedischen 
kaka und englischen cake kommt, die abgründig vom lustigen 
kurzen o getrennt sind. Vielleicht sind es aber andre lautgesetz- 
liche Hindernisse, die solche laienhaften Zusammenstellungen un- 
möglich machen. Aber was kümmert das mich? Für mich steht 
es fest, daß die älteste Küche der Welt der Bauch gewesen ist, im 
besondern der Frauenbauch mit dem Kessel der Gebärmutter und 
der Feuerstätte der Scheide, imd daß der erste Koch der Mann 
gewesen ist, der das Feuer entzündete und die Frau mit Hilfe seines 
symbolischen Küchenjungen schwängerte. Und dieser Küchen- 
junge heißt im Französischen coq {coquet, coquin) und im Eng- 
lischen cock, im Deutschen Goekler, und im Lateinischen heißt 
kochen coqueo. Coq ist die Bezeichnung für den männlichen Ge- 
schlechtsteil, heißt aber Hahn, Hahn ist wieder das Tier mit Kamm 
und Sporn, bezeichnet aber ebenso wie coq den Geschlechtsteil, und 
im Schwedischen heißt „han" er, „hun" (hon geschrieben) sie, 
„bennes" ihrer. Da ist die Bescherung. Das Hühnchen ist Küch- 
lein, die Küche ist Kuchel (engl, chicken und kitchen). Und Pla- 
centa ist das griechische plakus und das deutsche Fladen, alles mit- 
einander Wörter für Kuchen, und im Schwedischen ist Kuchen 
kaka, und während der Deutsche Kuhfladen sagt, sagt der Schwede 
für dasselbe Ding kokaka. Und kacken? Nein, das geht zu weit. 
Das ist nicht mehr anständig. 

Aber es ist wahr. Wenn ihr armseligen Menschenkinder nicht in 
eurem Darm, dieser vortrefflichsten Küche, Millionen kleiner 
Mikrobenköche hättet, würdet ihr bald erledigt sein. Sie backen 
den Kuchen, den der rohe Barbar Kacke nennt, und die Mi- 
kroben des Spermas backen den Mutterkuchen, und symbolisch, 
das ist längst bewiesen, ist Geburt und Entleerung, Kind und 

135 



X 



Kacke dasselbe (Atavismus?). Ja, es ist unanständig, aber es ist 
wahr. 

Der Menscb ist unersättlich, indezente Dinge in sich aufzu- 
nehmen. So gehe ich denn weiter. Die Henne legt Eier, das heißt 
dem Wesen nach kackt sie diese Eier, und dazu gackelt sie, kackehi 
und kakern sind andre Ausdrücke dafür. Im Griechischen heißt das 
Bebfauhn kakkahe (xaHxaßrj)^ kakkazo (naxHaCco) = gackern, kak- 
kao (xaxxaco) = kacken, kakke (Haxxrj) ist identisch mit unserm 
deutschen Wort. 

Artokopos (agroxoTiog) ist Koch, kopros {xojiQog) = Mist. Die 
ersten Silben des Worts führen zu artos (aQTog) = Brot und hängen 
zusammen mit artyo {aQTVCo) — fügen, bereiten, würzen, und dies 
Wort führt zu ararisko {cLQaQioxoi) = fügen. Da stehen wir nun 
gar vor einer großen Auswahl : ai. gibt es ein Wort „arpayati = steckt 
hinein", aram = passend, aras = Radspeiche, araris = Türflügel, 
lauter erotische Symbole; ab. irmas- arema = Arm (umarmen, 
embrasser), lat. artus — G«lenk, gr. artys {aQTvg) = Freundschaft, 
Verbindung, arthron [agSgov) — Gelenk, arachne (aga^vy) = Spinne, 
aresko {agsaxcö) = zufriedenstellen, befriedigt werden, areion, 
aristos {ageiov, agimog) = besser, der beste, arete (agerrj) — Man- 
neskraft (virtus = Tugend). — Alles von der Wurzel ar- vereinigen. 
Das Gebilde des Mutterkuchens gibt mir Veranlassung zu einigen 
Bemerkungen, die bis zu einem gewissen Grade das „individuum", 
die gewaltsam getrennten „sexus" und die Wiedervereinigung 
dieser beiden zum „individuum" verdeutlichen sollen. Der Mutter- 
kuchen entsteht durch Wachstumsvorgänge von der Gebärmutter 
aus und durch solche vom Kinde aus. Von beiden Seiten bilden 
sich Platten, die mit Zotten bedeckt sind, so daß die Zotten des 
kindlichen TeUs in die Vertiefungen des mütterHchen hineinwuchem 
und ebenso die mütterlichen Zotten in die kindlichen Tiefen. Die 
kindliche Hälfte wird niemals Bestandteil der Mutter, die mütter- 
liche niemals des Kindes. Vielmehr könnte man das Verhältnis 
mit dem Falten der Hände, wo die Finger der einen Hand sich 
zwischen die Finger der andern legen, vergleichen, nur daß die 
kindlichen Zotten nicht aus den mütterHchen Tälern herausgezogen 
werden können. Der weitverbreitete Glaube, daß mütterUches Blut 

136 



in den kindlichen Organismus überfließe, ist falsch, ja, es muß hier 
deutlich und scharf ausgesprochen werden, daß das KindUche von 
dem Moment an, wo das Ei den mütterlichen Eierstock und das 
Samentierchen den väterlichen Hoden verläßt, nicht den geringsten 
organischen Zusammenhang mehr mit den Eltern hat, daß eben 
die beiden „sexus" sich selbsttätig aufgesucht und zu einem „In- 
dividuum" zusammengefügt haben. Von dem Samen wird das ein 
jeder sofort zugeben; da aber das Kindliche innerhalb des Mutter- 
leibes, allerdings ohne organische Verbindung, sondern nur zur 
Pflege bleibt, hat eich die Meinung auf allen Lebensgebieten durch- 
gesetzt, daß Kind und Mutter näher zueinander ständen als Kind 
und Vater. Bis zu einem gewissen Grade ist das richtig, ebenso wie 
es richtig ist, daß ein Haus, in dem wir lange Zeit wohnen und 
große Erlebnisse haben, uns vertrauter ist als eines, in dem wir 
nur die frühesten Kindheitswochen zugebracht haben; aber unter 
Umständen ist das Stammhaus, das seit Jahrhunderten steht, für 
uns wichtiger als das Geburtshaus ; das läßt sich nicht ohne weiteres 
entscheiden, es sind Imponderabilien. Jedenfalls aber ist das Kind- 
liche weder Schöpfung des Vaters noch der Mutter, sondern des 
Wiedervereinigungszwangs des „sexus" zum „individumn". Die 
Samenzelle sucht aus eigner Kraft das Ei auf, und aus eigner Kraft 
öffnet sich das Ei zum Empfang des Zellenbräutigams. Und wie 
bei dem Mutterkuchen ist diese Vereinigung der „sexus", Ei und 
Samenzelle, keine Vermischung, sondern ein Ineinanderfalten, ver- 
gleichbar dem Händefalten, der Umschlingung von Mann und 
Weib, nur daß sie unlöslich ist. So wenigstens darf man nach dem 
augenblicklichen Stande unsres Wissens urteilen. Naturgegeben ist 
die Beziehung Mutter — Kind als Notwendigkeit für das Kind nur 
für die Zeit der Schwangerschaft; mit der Geburt endet die Mutter- 
schaft im tiefsten Sinne des Worts, von da an kann die Mutter 
ersetzt ^verden. Das Kind verläßt die Welt des Mutterleibes und 
tritt in neue Weltordnung ein. 

Der vorgeburtliche Zustand des Menschen ist Geheimnis, wie 
schon die Verhüllung dieses Zustands in der Höhle des Mutterleibs 
zeigt, und dieses Geheimnis ist unantastbar, seine Wirkung un- 
ermeßlich. Höhle und Heiligtum entstammen derselben Wurzel. 

137 



Es ist niclit statthaft, dem heiligen Geheimnis nachzuspähen, es 
ist auch erfolglos. Aber man kann versuchen, sich einiges klarzu- 
machen, die Bedeutung des Heiligen an den Folgen zu ermessen, 
die auch die nachgeburthchen Beziehungen des Menschen zu seiner 
Mutter haben, Beziehungen, die, wie es scheint, nur der Mensch 
sein Leben lang bewahrt und pflegt. Nur so kann man dazu kommen, 
die Mutter zu verehren, und Ehrfurcht vor der Mutter ist Be- 
dingung des menschlichen Lebens. Der Bahmen dieses Buches 
würde gesprengt werden, wenn ich näher auf diese Dinge eingehen 
wollte, die sich auf dem Grenzgebiet der Meuschenperson und des 
Menschenindividuums abspielen. Person und Individuum sind 
weaensbedingende Eigentümlichkeiten, die miteinander verschlun- 
gen sind, weder das eine noch das andre steht höher oder niedriger, 
sie sind beide menschlich. 

Zu der Erscheinung Individuum — Sexus ließe sich leicht eine 
Parallele Keimplasma — Körperplasma ziehen. Meine Kenntnisse 
auf diesem Gebiet würden aber nur Wiedergaben der Erfahrung 
andrer sein. Ich verzichte lieber auf ein Mäntelchen der Wiasen- 
ßchafthchkeit, schon weil ich erwarten müßte, daß dies Mäntelchen 
sehr rasch von denen abgerissen werden würde, die sich durch 
Arbeit das Recht erworben haben, das Gewand der Wissenschaft 
zu tragen. Lieber wiederhole ich meine Meinung, daß sexus le- 
digUch eine Verkleidung der unteilbaren Dreieinhext des Mensch- 
lichen ist, daß schon Ei und Samenzelle individua sind, die nur 
der Form nach verschiedenes Geschlecht haben. Bei der Befruch- 
tung verschwindet der sexuelle Charakter und die Individuahtät, 
die bei dieser Verschliugung beider formell verschiedener individua 
entsteht, löst sich nicht wieder, sie ist in gewissem Sinne ewig. In 
dem Mutterkuchen ist diese Verschliugung von WeibHch-Kindlich- 
Männhch formell unlöslich, sie hat aber keine lebendige Dauer, mit 
der Geburt verhert dieses Symbol der Dreieinheit sein Leben. Im 
Laufe des embryonalen Lebens nimmt die Individuahtät wieder die 
Form des geschlechtlichen Unterschiedes an und führt schließlich 
zu dem, was wir als Mann und Weib im Gegensatz zueinander sehen. 

Das tägliche Leben, nicht zum wenigsten die Gewalt des Eros, 
macht uns fast ganz bhnd für die Tatsache des dreieinen Mensch- 

138 



liehen, das trotz aller sexuellen Unterschiede beider Geschlecliter 
tiefstes Leben regiert. Die Frage nach Männerrecht oder Frauen- 
recht, nach Elterngewalt und Kindererziehung dringt nicht bis zu 
den Tiefen. Aber niemand kann an ihnen vorübergehen, unser 
Erleben ist bedingt durch die verschiedene Form des Unteilbaren 
als Mann oder Weib, als Mannbar oder Kind. Die Unterschiede von 
Mann und Weib sind da, und sie suchen nach einem Ausgleich, der 
für den kurzen Moment der seelischen oder körperlichen Vermischung 
eintritt, um sofort wieder zu verschwinden. Man kann mit Recht 
diese kurzen Momente der Erosherrschaft das erschütternde Symbol 
des Menschlichen nennen; wenngleich die seelische Verschlingung 
wohl die innigere ist, so könnte zur Darstellung des Symbols doch 
nur die körperliche Verschlingung gewählt werden. Daß die Kunst 
fast nie wagt, diese Verscblingung darzustellen, und daß, wenn sie 
es wagt, das Wagnis immer künstlerisch mißlingt, ist der beste 
Beweis, wie mangelhaft sich tiefste Symbole im Bilde und, wie ich 
zufüge, im Wort ausdrucken lassen. Der Gott, der Mensch ist, 
der Mensch, der Gott ist, kann nicht dargestellt werden. 

Die Kunst vermag nur Mann und Weib gegenüberzustellen. 
Der Typus, den sie dafür im letzten Jahrtausend gewählt hat, 
ist Adam und Eva im Paradies. 

Von Albrecht Dürers Hand gibt es einen Kupferstich, der den 
Sündenfall darstellt (Taf. 8) ; in dem hat das Unbewußte — oder 
war es das Bewußte des frommen Schalks — in wenigen Strichen viel 
vom Menschenleben erzählt. Da sind zunächst im Vordergrund des 
Bildes zwei Tiere, dem Adam gehört ein harmloses Mäuschen an, 
vor Eva sitzt eine Katze; zum Zeichen, daß sie zu Eva gehört, 
ringelt sich ihr Schwanz zwischen den Beinen des Weibes. Wer 
kennt nicht Frauen, die beim Wahrnehmen der Maus auf den näch- 
sten Stuhl klettern, damit die Maus nicht unter den Röcken nach 
dem Mauseloch sucht? — Wer wüßte es nicht, daß die Katze, die 
die Maus frißt, ein Weibessymbol ist? — Zwischen Adam und Eva 
strebt der Baum in die Höhe, der das Werkzeug versinnbildlicht, 
mit dem Mann und Weib sich vereinigen. Und dieser Stamm trägt 
nach Evas Seite hin einen ragenden Ast voll lockender Früchte; 
um ihn und den Stamm schlingt sich die Schlange, dies Wahr- 

139 



zeichen vom Manne, vom Weibe und von beiden zusammen, und 
Eva nimmt dem Tiere den Apfel aus dem Maul. Adam hält schon 
die Hand hin, den Apfel zu nehmen. Aber was bedeutet es, daß 
Eva schon in der andern Hand einen zweiten Apfel hat, den sie 
hinter ihrem Rücken vor Adams Blick versteckt? Und warum ist 
dem Adam der Hirsch beigegeben, der sein Geweih zur Schau trägt? 
Adam schaut sein Weib an, Eva sieht nur den Apfel. Dürer war 
nicht der Meinung vom Weibe, die unsrer Zeit so seltsames Gesicht 
gegeben hat. Damals war wohl der Mann mehr der Gefahr des 
Geweihs ausgesetzt als in unsern Tagen der Frauentreue. Frucht- 
barer war das Weib sicher: Eva hat das Kaninchen bei sich, die 
Apfel hängen zu ihr hin, und hinter ihr ruht die Kuh. Adams Ast — 
er zweigt sich von einem Stamm hinter seinem Rücken ab und 
Adam hält sich an diesem Ast — , Adams Zweig ist früchtelos, nur 
ein Vogel sitzt darauf, ein Papagei, und eine Tafel prahlt von den 
Taten des Mannes Dürer. Dieser Stamm Adams, von dem er weg- 
schreitet, hat weibHche Symbole in zwei klaffenden Spalten der 
Rinde, ein zweiter Ast — Kind legt sein Laub vor das männUche 
Abzeichen: Adam geht von dem Symbol des MenschUchen aus, so 
schemt es, aber er verläßt Vater und Mutter und Kind — das 
Symbol - für das Weib, das ihm den Apfel geben wird, sie ist 
Imago geworden. Evas schamschützendes Laub kommt von dem 
Apfel her, den sie vor Adam verbirgt. Die Mutter Kuh ist noch 
dicht hinter ihr, aber der steinende Vater Steinbock ist auf einsamen 
i-elsengipfel verwiesen. Für Dürer war, scheint es. das Weib noch 
kern uiUÖsbares Rätsel. 

Bei früherer Gelegenheit habe ich Michelangelos Creazione 
deU Uomo besprochen, in der das Mysterium von der Erschaffung 
des Mannes aus der Vision des Menschhchen dargesteUt ist. Bei dem 
Gegenstück des Bildes, der Creazione della Donna (Taf. 9), ist das 
Mysterium ergänzt. Keine Spur der leidenschaftUchen Erregung 
des andern Bildes ist hier vorhanden, auch nichts von dem visio- 
nären Charakter. Das Weih, vom Gotte losgelöst, hat den Ausdruck 
des Staunens behalten, ja, dieser Ausdruck hat sich bis zur Ehr- 
furcht geläutert. Sonst herrscht auf dem Bilde Ruhe und Schlaf. 
Das Weib ist in der Umarmung des Mannes entstanden, das Un- 



140 




bewußte kennt das Geheimnis, daß das Mädchen Weib wird nicht 
in der Empfängnis, sondern im Liebesspiel mit dem Manne. Das 
Sichfortpflanzen ist eines der vielen Ergebnisse des Liebesspiels, 
kann es zuweilen sein, aber niemals fehlt in diesem Sichvereinigen, 
daß der Mann seine Kraft verliert und zum Kind wird, während 
das Mädchen zum schützenden Weibe des Mannes wird, zur Hüterin 
über seine Schwäche, zur Mutter des Geliebten. Auf Michelangelos 
Bild schläft der Mann in vollkommener Erschlaffung. Die Stümpfe 
von Baum und Ast betonen symbolisch, daß ihm die Mannheit 
genommen ist, und der riesige Gott der Creazione dell'Ucmo ist 
alt und überragt nicht mehr das Meuschenmaß, sein Rücken ist 
gebeugt, er ist der Weise, dessen Leidenschaft nicht mehr das Weib 
begehrt, sondern in verhaltner Kraft mit gekrümmten Armen und 
gebognem Knie das anbetende Weib dem Kosmos eingliedert. Dem 
Gotte entgegen schreitet das Weib der Mutterschaft zu, die es vom. 
Manne trennen wird. Alles in ihr ist ehrfürchtige Huldigung der 
Erschaffenen vor dem erzeugenden Gott, nicht mehr Anstaunen des 
Geliebten, den sie, einer neuen Zukunft zugewendet, treulos verläßt. 
Und wie der Mann nach dem Schlaf seine Fähigkeit, Mann zu sein, 
wieder hat, so wird die Mutter wieder zum Mädchen, um die lieb- 
liche, gut zu essende Frucht der Liebe mit dem Manne zu teilen. 



141 



Die Meinung, daß ein Individuum, wenn es gewaltsam in Sexus 
zerlegt worden ist, sich nach neuer Vereinigung sehnt, hat viel für 
sich. Der Trieh heider Geschlechter zueinander läßt eich darin 
verdeutlichen; die Sehnsucht nach Wiedervereinigung zweier 
Segmente, Weib und Kind, einer individuellen Welt würde die 
wichtigen Inzestwünsche zwischen Sohn und Mutter unabhängig 
von den Ereignissen nach der Geburt machen und ihnen den Charak- 
ter unvermeidlicher menschHcher Notwendigkeit geben; ja auch die 
gleichgeschlechtlichen Leidenschaften würden auf eine Art Urgrund 
zurückgeführt. Man stände der Möglichkeit gegenüber, das Leben 
selbst als abhängig von dem Triebe einer zwiegespaltenen Dreieinheit 
zxir Vereinigung aufzufassen. Die Wirkung des Begriffs Individuum 
würde sich damit auf alle Beziehungen des Menschen zum Menseben, 
ja zur ganzen Welt ausdehnen. Überall und durchaus gäbe es 
nicht Mensch und Nichtmensch, sondern nur immer Mensch-Gott, 
Mensch-Tisch, Mensch-Tag, Mensch- Welt, nicht Subjekt und Ob- 
jekt, sondern ein Neues, ein Subjekt-Objekt. Von meinem Stand- 
punkt als Arzt aus betone ich, daß eine solche Bildung eines neuen 
Individuums Kranker-Arzt die Angel ist, um die sich die Behand- 
lung dreht. Ich überlasse dem Leser die Anwendung auf das 
Problem des freien WiUens und der Notwendigkeit; andrerseits 
möchte ich hervorheben, daß die Beziehungen von Individuum und 
Sexus klarer werden, sobald man die Frage des freien Willens hinein- 
zieht. In der Tat kenne ich keinen andern Weg, um sich mit dem 
Phänomen des Ganzen im Teil und des Teile im Ganzen auseinander- 
zusetzen. Beschränkt man den BUck auf die Erscheinungen des 
menschhchen Individuums, so treten zwei solcher Versuche einer 

142 



Vereinigung deutlich hervor : der Beginn und daß Ende, Empfangen 
und Sterben. 

Ich habe schon mehrfach auf die enge Verwandtschaft von 
Empfängnis und Tod aufmerksam gemacht. Der Tod des Männ- 
lichen (Samenerguß mit folgender Erschlaffung) ist die Bedingung 
des Werdens. Großartig hat sich diese Wahrheit in der Sage vom 
Sündenfall durchgesetzt, die den Baiun des Lebens neben den der 
Erkenntnis (erkennen = begatten), das Sterben neben das Werden 
setzt. 

Das Wort „sterben" (engl, to starve = vor Hunger umkommen) 
scheint ursprünglich „sich mühen, arbeiten" zu bedeuten (anord. 
starf = Arbeit, starfa = sich mühen, stjarfe = Starrkrampf). Die- 
selbe Sinnverwandtschaft findet sich im Griechischen, wo kamno 
{xa^vco) sich mühen heißt, kamontes [nafiovreg) die Verstorbenen. 
(Wurzel: kam-, cema-, cme- = müde werden, sich mühen.) Ver- 
wandte griechische Wörter klären über die Beziehung von „sich 
mühen" und „sterben" auf. Kamara [xafiaQa) heißt das Gewölbe 
(lat. Camera, camur = gewölbt, nhd. Kammer; anord. hämo 
= Hülle, nhd. Hamen = Fangnetz, nhd. Hemd, got.himins = Him- 
mel, gr. kaminos [xafuvog] = Ofen, Ofen = Gebärmutter, in der 
das Kind gebacken wird, Backofen noch jetzt Bezeichnung für 
Gebärmutter). Kamaros {xafiagog) ist Hummer (Scheren sind 
Symbol der weiblichen Geschlechtstätigkeit), dasselbe Wort ist ge- 
braucht für Nieswurz und Gift (Samen), kamax (xafia^) ist Stange, 
Pfahl, kamasso (xa/naoaco) = schwingen, schütteln, kmelethron 
(xfieXs^gov) = Dach, Haus, alles Geschlechtssymbole (Wurzel: 
crampo-, kep- = krümmen; ai. capam = Bogen, capalam = un- 
stetes Wesen). 

Hält man sich an die frühere Bedeutung von sterben gleich 
arbeiten, so ist die Erinnerung an den Sündenfall kaum zu unter- 
drücken. „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot 
essen", lautet der Fluch, mit dem Adam aus dem Paradies vertrieben 
wird. Kaum etwas charakterisiert unsre modernen Gesinnungen 
besser, als daß wir Arbeiten für etwas Erstrebenswertes halten, vom 
Recht auf Arbeit, statt von der Pflicht zur Arbeit sprechen, daß 
wir so tun, als ob Arbeiten ein Wertmesser für den Menschen sei. 

143 



lii 



Die Verwechslung von tun, sich beschäftigen und arbeiten ist ver- 
hängnisvoll. Ich habe nie gesehen oder davon gehört, daß Kinder 
arbeiten. Wohl aber beschäftigen sie sich ununterbrochen, wenn 
sie nicht schlafen. Und ich finde auch im Neuen Testament nicht 
die leiseste Andeutung, daß Christus gearbeitet habe. Mühe und 
Arbeit, die, scheint es, denselben Wortsinn haben, gehören zum 
menschlichen Leben, aber sie als tiefsten Sinn des Lebens aufzu- 
fassen geht nicht wohl an. Es gibt keinen Menschen, der lange 
hintereinander, sagen wir, länger als eine halbe Stunde arbeiten 
kann, nach Ablauf dieser Zeit wird die Arbeit zur Beschäftigung, 
meist sogar zu einem neben dem Innenleben hergehenden Tun. 
Alles Wesentliche schafft in uns das Irrationale, das wohl tut, 
aber nicht arbeitet. Arbeit, Mühe ist und bleibt auf sehr kurze Zeit- 
räume beschränkt, führt niemals zum Erfolg, sondern wird hie 
und da vom Es bei seinem schöpferischen Wirken verwendet, 
durchaus nicht zum Wohlbehagen des Menschen — Mühe ist ver- 
wandt mit müde — , sondern weil sie hie und da notwendig ist. 
Da meine Meinung, die sich schlecht mit Hilfe der physiologischen 
und psychologischen Tatsachen begründen läßt, den Tagesmeinun- 
gen widerspricht, gebe ich einige Wortzusammenhänge, die m ir auf- 
gefallen sind. Die Lateiner haben das Wort labor mit der Bedeutung 
Mühe, Arbeit (ora et labora). Nach Walde geht labor auf eine 
idg. Wurzel lob zurück, von der im Griechischen lobe ßcoßtj) — Miß- 
handlung, Schmach herkommt. — Noch deutlicher wird das, wenn 
man statt des Worts „Arbeit", das ursprünglich einen ganz andern 
Sinn hatte, das Wort „Mühe" zum Ausgangspunkt nimmt. Nach 
Kluge geht dieses Wort auf eine gemeinindogermanische Wurzel m6 
zurück, von der lat. moles, molior = Mühe und gr. molos (ficoXog) 
= Mühe, molys (ficoXvg) = durch Mühe entkräftet, herkommen. 
Molys hängt nach Prellwitz mit dem got. ga-malvjan = zermahlen 
zusammen, das führt nach ihm zu dem Wort aleo (aXeco) = mahlen, 
zermalmen, das mit lat. molo = mahlen und Mehl zusammen- 
hängen soll. Prellwitz sagt, daß die Bedeutung mahlen erst euro- 
päisch sei, daß sie im Indogermanischen reiben, streichen, malmen 
und auch sudeln gewesen sei. Ich habe früher schon darauf hin- 
gewiesen, daß der Begriff des Mahlens gewisse Ähnlichkeiten mit 

144 



^J^ 



der Geschlechtstätigkeit hat, die männliche Starrheit wird von dem 
Weiblichen zermalmt (lat. molo verwandt mit mollis = weich; 
mollis ist nach Walde möglicherweise Ursprung von mulier). Über- 
einstimmend bringen beide Forscher (Walde und Prellwitz) das gr. 
blax [ß^at) und lat. flaccus = schlaff mit aleo und molo zusammen. 
Walde fügt noch das Wort blenna (ßlevva) == Schleim hinzu, so 
daß die Beziehung dieser ganzen Wortgruppe zu dem Geschlechts- 
verkehr, dem Absondern des Samenschleims und der Erschlaffung 
des Gliedes noch deutlicher wird. Damit stehen wir vor der Frage, 
ob man nicht ursprünglich unter Arbeit lediglich den Bau des 
eigenen Ackers und entsprechend der Symbohk das männliche Sich- 
müheu beim Pflügen des weihlichen Ackers verstanden hat, wie es 
auch in die Paradiesessage hineingedeutet werden kann; damit 
wird aus der mühseligen Arbeit eine freudige Arbeit. Diese Sym- 
bolik des Wortes Arbeit wird bestätigt durch das stamm- und sinn- 
verwandte lateinische Wort orbus = beraubt, das im Griechischen 
mit orphanos {ogq)avog) = Waise zusammenhängt, im Deutschen 
mit dem Wort Erbe und Arbeit (got. arbi, ahd. arbi, erbi = Erbe, 
altir. orbe = Erbe). Auch hier ist die Beziehung der Arbeit zu dem 
Männlich -Weiblich -Kindlichen deutlich. Aus dem Begriff Erbe hat 
sich dann folgerichtig ein vorgermanisches orbho = Knecht, alt- 
slaw, rabu ~ Knecht entwickelt, da der freie Gennane den Acker- 
bau (das Erbe) den Knechten und den Frauen überließ. 

Sterben, starve, starfa (sich mühen), stjarfe = Starrkrampf 
kommen nach Walde von der indogermanischen Wurzel sterb-, 
erweitert aus ster-, von dem das Wort starr = steif herkommt (gr. 
strephenios, atQe^rjviog). Kluge bringt sterben auch mit lat. 
torpeo = starr sein zusammen. Die Starre bringt die Symbolik 
sterben und Geschlecht noch näher. Während beim Sterben, dem 
sogenannten Ende des Lebens, die Beziehungen zu den mensch- 
hchen Geschlechtsverhältnissen weit in. das Unbewußte verdrängt 
sind, liegen sie bei dem Werden, Entstehen, dem sogenannten An- 
fang des Lebens, offen zutage. Entstehen gehört zu dem Begriff 
des Stehens, der mit dem Leben des Männlichen eng verbunden 
ist. Über das Wort Werden und seine Beziehungen zu lat. verto 
= drehen, werden habe ich bei früherer Gelegenheit gesprochen. 

10 Groddeok, Der Meaaofa ala Symbol 145 



Die entscheidende Drehung des Menschen tritt bei der Geburt ein, 
durch die, was Unten war, Oben wird (der Kopf vor der Geburt 
und nach der Geburt). Andre Gebiete werden durch die lateinischen 
Ausdrücke orior ^ sich erheben, aufsteigen, entstehen, origo ^ Ur- 
sprung erschlossen. Griechisch ist damit ornymi [oQvvfu) = er- 
regen, bewegen verwandt; orora (oQCoga) = ich bin erregt, orte 
((OQTo) =^ es erhob sich, anoruo (avoQVO)) = ich springe auf, ernos 
{egvog) = Schößling, Zweig („Emporgeschossenes", wie norw. rune 
= Zweig, aisl. renna = schnell wachsen) ; Wurzel nach Prellwitz 
ore = Ehre, dazugehörend eretes {egertj^) = der Ruderer (rudern 
= Geschlechtssymbol) ; erchomai (c^;fO/ta() = kommen („die Natur 
kommt"), ornis (ogvig) = Vogel, nhd. Aar (Symbol!). 

Aus all diesen stammverwandten Wörtern geht hervor, daß orior 
= entstehen das männliche Wirken bei dem Werdegang betont, es 
drückt den Gedanken aus, daß das Werden nur durch das Sterben 
des Männlichen möglich ist. Griechisch gignesthai {yiyveo&ai) und 
lateinisch nasci (Wurzel gen- erkennen) deuten nach derselben 
Richtung: nur der Mann erkennt das Weib, nicht das Weib den 
Mann, nur der Mann stirbt, aus seinem Sterben geht das Werden 
hervor. 

Folgt man dieser Meinung, so entsteht der Wunsch, auch das 
Wort „werden" (vertere = wenden, drehen) mit dem männlichen 
Prinzip zu verbinden. Ich nehme an, daß in dem Wort vertere 
neben der Drehung der Kindeswelt von dem Kopfstehen zum Kopf- 
hochtragen die Wendung der Richtung bei Befruchtung und Ge- 
burt, Samen und Kind enthalten ist, die Richtung hinein wird zur 
Richtung hinaus. 

In Dresden hängt unter der Bezeichnung „Das große Stilleben mit 
demVogebiest" ein Gemälde des Jan Davidsz de Heem (Taf. 10). Ganz 
rechts auf dem Bilde ist ein Baum gemalt, um dessen Stamm sich 
ein Ast windet; beide, Ast und Stamm, sind übersät von spieleri- 
Bcben Andeutungen, mit deren Beschreibung man lange Zeit zu- 
bringen könnte. Wichtig sind zwei Fratzen, die eine, mit breiter 
Nase und lachendem Mund, ist von einer vernarbten Astwunde ge- 
formt; dicht daneben sieht man eine affenähnliche als Ende eines 
Stumpfes. Diese Fratzen geben Aufschluß darüber, wie das Ganze 

146 



betrachtet werden soll. Hunger, Liebe, Leben, Tod erscheinen in 
den mannigfachen Verkörperungen. Oben sitzt ein bunter Vogel 
mit geöffneten Flügeln, während sein Partner unten tot am Boden 
liegt. Zwischen beiden, nahe bei dem Tod, ist das Nest gemalt; 
zwei Eier Hegen darin, ein drittes ist in zwei Hälften zerbrochen, 
aber der Eidotter ist nicht ausgelaufen. Auf einer Rauke des Nests 
sitzt ein Schmetterling mit halb zusammengeklappten Flügeln, der 
durch einen geknickten Kornbalm von einer Raupe getrennt ist. 
Dieser Halm trennt auch den toten Vogel von dem Nest und dem 
zerbrochenen Ei, nach oben zu endet er unter einem Eichenzweig 
mit zwei Eicheln und einer leeren EichelhülJe. Und um die Par- 
allele zu vervollständigen, ist ein zweiter aufrechter Halm gemalt, 
dessen Ähre auf eine Zweiggabel gerichtet ist, während die Ähre 
des geknickten Halms, ebenso wie die eines dritten, zum Boden 
hinweist. Die Dreizahl erscheint auch in der Anordnung des drei- 
fach gegliederten Eichenzweigs wieder, dessen einer Teil sich phal- 
lisch erhebt; auf seiner äußersten Spitze sitzt mit weitgeöffneten 
Flügeln ein zweiter bunter Falter voll Liebes- und Lebenslust. Auf 
dem umarmenden Ast des Baumes krabbelt als Sinnbild des Triebes 
in seiner brutalen Form der Maikäfer, an dessen unzweideutigen 
Geschlechtelüsten sich alle Kinder zu en-egen wissen. Weiter zum 
Rand hin ist ein Hirschkäfer zu sehen, doppelt symbolisch Mann 
und Weib in Körper und Zangen vorstellend. Und ganz verborgen 
schleicht der Mord: eine Spinne läßt sich von der Gabel, nach der 
hin die eine Ähre strebt, auf eine Mücke nieder. Doch nicht weit 
davon sitzt die Gallwespe auf einem Eichenblatt, die Welt von 
neuem zu beleben. Und all dies Gewimmel von Leben und Tod» 
Liehen und Fortpflanzen bestaunt eine Schnecke, die, Doppelsinn- 
bild, zum Fräße strebt. Hier reckt ein Kürbis seinen Stiel empor, 
dort labt sich eine Fliege an dem Saft, der sich an dem Spalt einer 
großen Melone gebildet hat. Raupen sieht man und Tausendfüßer, 
die zweisymbolige Wasserjungfer, die gefräßige Heuschrecke, ge- 
platzte Kastanien als Ejakulations- und Geburtssinnbilder, Maus 
und Molch, Frosch imd Käfer; xmd wie sich die eine Fliege an dem 
Spalt der Melone ergötzt, so tut es eine zweite kleinere an dem 
Sinnbild des Hinterteils, dem Pfirsich. Ganz am linken Rande 

M- 147 



aber sind Disteln gemalt, die mit ihren Blüten aufwärts in ein Loch 
in der Wölbimg des zerfallenen Mauerwerks weisen. 

Die massenbafte Verblendung der Symbole macht es wahrschein- 
lich, daß de Heem mit voller Absicht in dem Stilleben die Geschichte 
von Leben, Lieben und Sterben erzählt hat. Dicht bei seinem 
Bilde hängt ein zweites, von seinem Zeitgenossen Mignon gemaltes 
(Taf. 11), das fast dieselben Symbole bringt wie das de Heemsche. 
Um so mehr fallen die Unterschiede auf. Zunächst sind die un- 
geraden Zahlen Drei, Fünf, Sieben betont, und die Zwei bringt das 
Weibliche schärfer zum Ausdruck. Dafür fehlen alle Andeutungen 
des Sterbens. Beide Vögel sind lebendig, der eine baut an einem 
Nest, der andre sitzt dicht vor einem Zweiglein mit fünf Stachel- 
beeren. Die Mücke, die bei de Heem dem Tode durch die Spinne 
verfallen ist, läuft bei Mignon keine Gefahr, da ihre Feindin nicht 
mitgemalt ist. Das Bild deHeems hat die Stimmung des Verfalls 
schwüler Überreife, bei Mignon ist alles heiter in freudiger Frucht- 
barkeit. Wesentlich ist das von der verschiedenen Ausführung des 
Nestes bedingt: bei de Heem liegt es am Boden, zerzaust und flan- 
kiert von der VogeUeiche und dem zerbrochenen Ei. Mignons Nest 
ist in den Obstkorb gebettet und die Eier sind unversehrt. Es ist 
rings von Liebessymbolen umgeben, und nicht der Tod, sondern 
tausendfältige Fruchtbarkeit ist da: aus einem zusammengerollten 
Blatt rieselt ein Strom von kleinen Würmchen herab. Sie sind auch 
auf dem dcHeemschen Bilde zu sehen, aber dort sind sie nicht in 
so naher Beziehung zum Nest, sie zerstören dort, während sie bei 
Mignon in die Zukunft weisen. Der Zierkürbis mit seiner Phallus- 
ähnlichkeit ist dicht an das Nest gedrängt, bei de Heem ist er in 
die Nachbarschaft einer SchwertliUe gerückt, auf der andern Seite 
steckt ein Ästchen sich in den Ring des Korbhenkels, und auf 
diesem WeibessinnbÜd des Henkels sitzt der Vogel. Drei Pflaumen 
und drei Pfirsiche schmiegen sich an das Nest, eine leckere, drei- 
geteilte Traube hängt herab. Der männliche Kürbis mit seinem 
aufragenden Stiel ist neben die weibliche, noch unversehrte Melone 
gelagert, und um den Moment der sehgen Vereinigung zu verdeut- 
lichen, liegt die geplatzte Kastanie zwischen xmd vor den beiden. 
In der Fruchtschale vor dem Paar mischen sich schwarze Brom- 



I 



148 



beeren mit roten Himbeeren. Hier deutet das Unbewußte die 
wunderlichen Dinge des £ros an : drei Judaskirscheu liegen zwischen 
Fruclitschale und Kürbis-Melone, gekreuzt von einer herabhängen- 
den Distel; es ist die dritte Blüte der Distel, bei dcHeem sind nur 
zwei gemalt. Sie durchschneidet den K.opf des vordersten Judas, 
entmannt ihn, den Verräter. Am Griff der Fruchtschale aber sitzt 
die Fliege, um die Fünfzahl der Mispeln anzugreifen. Um den hän- 
genden Distelkopf herum lagern sich Bohnen, die uns als Kind- 
symbol gut bekannt sind. 

Drei Eier im Nest, das Nest gebettet in den fruchthegenden Korb, 
umgeben von Süße und Leben, alles umschlossen von dem Mutter- 
gewölbe: Soll man da nicht an die Macht des Symbols glauben? 

Eizelle und Samenzelle sind sexuell so scharf geschieden, wie es 
nur möglich ist. Sie sind aber gleichzeitig in sich vollkommene 
Individuen, enthalten die Dreieinheit Mann, Weib, Kind. Wird 
ihnen durch den Verkehr von Mann und Weib Gelegenheit geboten, 
sich zu einem neuen Individuum zusammenzuschließen, so beginnt 
die Samenzelle im wahrsten Sinne des Wortes zu arbeiten, voll 
emsiger Lebendigkeit klimmt sie empor zu der Eizelle, um in ihr 
das zukünftige Lehen zu erwecken (ercjuicken ^= zum Leben er- 
wecken, quick stammverwandt mit lat. vivus = lebendig; Queck- 
silber, keck, engl, the quick and the dead). Die Bedingung für das 
Entstehen dieses neuen Lebens ist der Tod des lebenspendenden 
Samens, des aufrechten Phallus. Ganz anders ist es mit den beiden 
Individuen Mann und Weib. Der Trieb zur Vereinigung ist aller- 
dings da und bestimmt das individuelle und persunliche Leben von 
Mann und Weib wesenthch, aber die Vereinigung zu einem Indi- 
viduum kommt nie zustande, nur eine Annäherung tritt ein. 

Die Bezeichnungen für diesen Vorgang der Annäherung sind in 
allen Sprachen unzählbar, ein deutlicher Beweis, wie eng die Be- 
ziehungen der Geschlechter mit aUeu Lebensvorgängen verwurzelt 
sind. Auffallend ist, daß gerade die Griechen, deren Sprachgefühl 
sonst so sicher ist, den Ausdruck meignysthai [junyvva&ai) = sich 
vermischen brauchen, was man wohl als ein Zeichen davon auf- 
fassen kann, daß ihr Wesen von der Gewalt des Eros besonders 
durchtränkt war. Ein andres Wort syneinai (avvEivai) =■ zu- 

149 



ßammensein übermittelt uns die tiefste Poesie, deren eine Sprache 
fähig ist. — Der Lateiner braucht coire = zusammengehen. Es ist 
bezeichnend, daß Frauen den Ausdruck komisch finden, denn in 
Wahrheit ist es nur der Mann, der taktmäßig schreitet. Das ist 
wichtig, weil in uusrer kenntnislosen Zeit die Männer den seltsamen 
Gedanken haben, eine Frau sei nur dann von der Leidenschaft des 
Verkehrs ergriffen, wenn sie ihrerseits die sich mühenden arbeitenden 
Bewegungen des Mannes zu übertreffen sucht. Jeder Mann könnte 
und sollte wissen, daß solche zur Schau getragene LeidenschaftUch- 
keit unecht ist. Das weihHche Wesen wird bei dem überwältigenden 
Genuß still mid in ihren Gliedern regungslos. Ein andrer beute 
noch gebräuchlicher Ausdruck ist cohabitare = zusammen wohnen. — 
Im Schwedischen gibt es das schöne Wort samlaga ^= zusammen- 
liegen. Ungefähr denselben Gedanken drückt unser deutsches „be- 
gatten" aus, das in dem enghscben together = zusammen weiter- 
lebt. — Aus den Tiefen des Unbewußten stammt der deutsche Aus- 
druck Beischlaf. Er deutet eines der tiefsten Geheimnisse von 
Mann und Weib an, das, soweit mir bekannt ist, keine andre Sprache 
enthält. In den meisten Wörtern ist das Zusammengenießen der 
Lust betont, unser Wort huldigt dem Gedanken, daß der Mann im 
Verkehr zum wehrlosen, schutzbedürftigen Kinde wird, über dessen 
Schlaf die Geliebte wie eine Mutter wacht. 

Wie fremd dieser Gedanke dem Bewußtsein geworden ist, be- 
weisen nicht nur die alltäglichen Redensarten, in denen wir uns 
über Mann und Weib, starkes und schwaches Geschlecht, Gleich- 
berechtigung usw. ergehen, es hat auch dazu geführt, daß ein Mann 
wie Michelangelo, gewiß ohne die Bosheit, die er malte, zu ahnen, 
in der Creazione della Donna, die ich früher erwähnte, dem Weibe 
den Charakter der Delila gibt, die sich von dem schlafenden kraft- 
losen Manne weg dem Inbegriff der Männlichkeit zuwendet. Das 
Weib ist von Natur aus zwiefach gerichtet, hin zum Manne und 
hin zum Kinde. Die Frau muß von Natur aus zwei Herren dienen, 
und bei keiner bleiben die Augenblicke aus, in denen sie den Mann 
für das Kind oder das Kind für den Mann verrät. Den einzigen 
Mittelweg, im Manne das erstgeborene Kind zu sehen, verfehlt sie 
nur allzuoft. Freilich gab ihr Natur eine besondere Kraft, solch 

150 



unterirdischen Konflikt ohne Schaden zu durchleben; sie sieht wie 
die Göttin der Gerechtigkeit nicht, was Recht und Unrecht ist. 
Die Frauen haben ein doppelzüngiges Gewissen. 

Der leidenschaftliche Taumel, in dem die Geschlechter die Ver- 
einigung suchen, verfehlt sein Ziel: das Individuum Mann -Weib 
zerfällt schon im Vereinigen, aber vom Manne haben sich Scharen 
von Söhnen abgespalten, die schöpferische Kraft in sich tragen. 
Wenn das Mämiliche längst gestorben ist, bleiben sie, um die har- 
rende Braut zu suchen, und in diesem Übrigbleiben hat die deutsche 
Sprache ihr wichtigstes Wort gebildet, das Wort „Leben". 

Ich habe schon früher darauf hingewiesen, daß „leben" {engl. 
live, schwed. leva) mit dem Wort bleiben (beleiben — den Leib 
geben) eng verwandt ist, daß es dem griechischen liparein (^kiTia^Eiv) 
nahe steht und ebenso dem lateinischen lippus = triefend. 

Die idg. Wurzel zu lippus ist leip = fette Schmiere; ai. liptah 
:= klebend, lepah = Schmutz. Man sieht, daß die schicksalsschwere 
Verklammerxmg von Geschlechtshebe und Beflecken, von Samen 
und Schmutz schon den sprachfaüdenden Gewalten des Unbewußten 
bekannt und zwingend bekannt war. — Das gr. lipos (ItTzog) = Fett 
und liparos (XinaQog) = fett führen zu dem Wort Leber, lat. jecur, 
gr. hepar {r}7iaQ), was für die ärztliche Betrachtung dieses Organs 
wichtig ist. Die Abneigung gegen Fett, die Idee des Unbekömm- 
hchen von Fett beruht auf einer Identifikation mit Samen; Flecken 
in der Wäsche. 

Das deutsche „Kleben" gehört in diesen Wortkreis. In dem 
Klebenden steckt das bleibende Leben; der scheinbare Abscheu des 
Weibes vor der Berührung mit dem männlichen Samen (Befleckung, 
Übelkeit bei dem Geruch der Edelkastanienhlüte) ist in Wahrheit 
Scheu, das heilige bleibende Leben zu berühren, sie beruht auf der 
gleichen unbewußten Verehrung, die dem Weibe es unmöglich 
macht, seihst in der Notwehr der Vergewaltigung die Hoden des 
Mannes zu zerdrücken, was sie sofort von ihrem Gegner befreien 
würde. — Die Wurzel leib- ist nach Walde vermutlich eine Er- 
weiterung von idg. lei-, das sich in dem lat. lino = beschmieren 
erhalten hat. Eine gleichlautende Wurzel bedeutet „sich anschmie- 
gen" (nhd. Und, bayr. len = weich usw.). Walde bezieht darauf, 

151 



,t 



allerdings zögernd, lat. limax = Schnecke (doppelgeschlechtliches 
Symbol), limus = Schlamm, nhd. Schleim, Lehm (Erschaffung 
Adams — humus — homo) usw., auch lubricus = schlüpfrig. 
Ebenso „libo = ausgießen, opfern, aber auch von etwas kosten, 
genießen" bringt Walde in diesen Zusammenhang. Er fügt hinzu, 
es sei fast unmöglich, alle vorliegenden Bedeutungen imter einen 
Hut zu bringen. Sobald man die Geschlechtsverhaltnisse mitbetrach- 
tet, besteht keine Schwierigkeit mehr. Ja, es drängt sich dann die 
Vermutung auf, daß auch das lateinische Wort Übet = es gefällt 
in diese Reihe gehört, das heißt zu dem Begriff und Wort „leben". 
Mit libet, libido ist aber unser deutsches Liebe (engl, love) auf das 
engste verwandt. 

Mit den Wörtern „Liebe, lieben" gerät man in ein Gebiet der 
Begriffsverwirrung, wie es schlimmer, gefährlicher kaum zu denken 
ist. Am besten ist es, sich um nichts zu kümmern, was nicht klar 
zu dem Worte gehört. Freilich auch dann wird man kaum je im- 
stande sein, dem Wort seinen einfachen Sinn wiederzugeben. Ein 
tief im Menschlichen verwurzelter Trieb, die Gier, hat sich in das 
Wort eingedrängt und hat es verwandelt, genau wie die Gier die 
Wörter „Gold" (ursprünglich Glut, Morgengrauen, lat. aurum — 
auiora, gr. chrysos \xevaog] = grau) und „Geld" (ursprünghch 
Opfergabe) entstellt hat. Die Wurzel des Worts „Heben" (engl. 
love) ist idg. leubh-, und von dieser Wurzel stammen weiter die 
Wörter „Lob", „geloben", „glauben". Der Sinn ist ohne Bedenken 
mit dem Wort gefaUen (lat. libet) zusammenzubringen. Ge-faUen 
ist mit etwas anderm zusammenfallen (ndl. medfallen. Kluge, der 
die Silbe ge- mit zusammen übersetzt, deutet das Wort gefaUen als 
zufaUen; ein Zeichen, wie Verdrängtes wirkt). Der Begriff Liebe 
steht in engster Beziehung zu dem griechischen Wort Symbol, ja 
ich glaube, daß es dasselbe ist. Wir Heben, was symboHsch mit 
uns ist, was wir selbst sind. Wie soUte es auch anders sein? Das 
bekannte Wort Christi, das, wie es scheint, der Sinn und Ausdruck 
der modernen europäischen ChristHchkeit geworden ist: „Liebe 
deinen Nächsten wie dich selbst!", drückt das in dem „wie" 
(gr. hos, ü}s) deutHch aus. Wir können nur Heben, was als 
Symbol, als Geglaubtes und vom tiefsten MenschHchen Erlaubtes 

152 



zu uns gehört. Das ist die Wahrheit. Wenigstens ist es meine 
Wahrheit. 

Das griechische symballein (av/ußaXXnv) bedeutet aber nicht nur 
zusammenfallen, sondern auch zusammenwerfen, bezeichnet also 
eine Handlung des Ichs (lieben — belieben sind analog dazu). 
Hier scheint mir die Wurzel des Übels zu liegen. Das Gefallen, 
Lieben ist eine klare Tätigkeit des Es, das Gefallenwollen, Belieben, 
Begebren trägt die Verkleidung des Ichs. Die menschliche Welt 
des Symbols wird stets durch die ebenso menschliche Welt des 
Denkens, des Dünkels, des „Scheinenmachens als ob" verdmikelt. 
So ist es mit der Wurzel leubh- gegangen, die neben „übet = es 
gefällt" und „lieben, geloben, glauben" die Wörter „Übido ^ Be- 
gierde" und „verliebt" hervorgebracht hat. „Liebe" mag ur- 
Eprünglich dem menschlichen „iudividuum'^ gegolten haben, wäh- 
rend der „Sexus" des „Individuums" für seine Beziehung zur „per- 
sona" des Menschen den Ausdruck „freien" gebrauchte. 

Die griechische Sprache scheint die Verdunklung der Wörter für 
Liebe (philein, q>tXeiv; erasthai, SQao&ai) in der Zeit des ent- 
stehenden Christentums, als es darauf ankam, statt der „persona'^' 
wieder das „individuum" anzuerkennen, so tief empfunden zu 
haben, daß sie das Wort agapan {aya:zav) = lieben in die Ausdrucks- 
weise der EvangeUen aufnahm; agapan ist zusammengefügt aus 
megas (fisyag) = groß und paomai (jzaofiai^ Wurzel pah-) = nehmen. 
Es ist nicht leicht zu übersetzen, am ehesten etwa mit „etwas mit 
Ehrfurcht in sich aufnehmen". Ich erwähne es, weil auch in diesem 
Versuch, das Wort dem menschKchen „individuum" anzupassen, 
der „sexus" hineinspukt, demi pah- gehört zu der großen Gruppe 
puh-, fuh-, die gewiß im höchsten Grade nicht bloß sexuell, sondern 
genital betont ist. 

Trotz dieser unlösbaren Verquickung des „sexus" und des „in- 
dividuums" auch in den Wörtern muß man versuchen, zu bestimm- 
ten Zwecken eine Unterscheidung zwischen Liebe und Liebe zu 
m.achen, und so sei es denn gesagt, daß sie in ihren tausendfachen 
Formen bald mehr von der Symbolwelt, der des Es, bald mehr von 
der Welt des Dünkels, des Ichs aus wirkt. Die eine Liebe steht 
nicht über der andern und die andre nicht über der einen. Man 

153 



bann Menschliches betrachten, ohne in den Streit über Wert und 
Unwert des Geschlechtlichen, des Sinnlichen, einzutreten, ja, für 
mein Meinen ist es schwer, nur die eine Seite zu betrachten. 

Unter Umständen erzählen Bilder mehr von der geheimnisvollen 
Vermischung des Individuums und der Person, der agape und der 
philia, der irdischen und himmlischen Liebe, um dies seltsam wenig 
sagende Wort zu gebrauchen, als Worte. 

Wer das Unbewußte des Bildes ins Auge faßt, erfährt zuzeiten 
Dinge, die da sind und dem Leben angehören, obwohl sie kaum 
je erwähnt werden. Daß Liebe und Leidenschaft zwei ganz ver- 
schiedene Dinge sind, spricht man so hin, aber man bedenkt nicht, 
daß die Leidenschaft so gut wie nichts mit der Liebe zu tun hat, 
daß sie von ganz andern Dingen geweckt wird als von der Gegen- 
wart des geÜebten Objekts. Man wundert sich, daß der Mensch 
das nicht wahrhaben will, obwohl es offen zutage liegt. Selbst das 
verhebte Paar ist nur selten leidenschaftlich, seine Liebe ist ruhiges 
Gleichgewicht; wenn dieses Gleichgewicht zugunsten der Leiden- 
schaft verlorengeht, so wirken geheime Kräfte, die wohl verdienen, 
heUig genannt zu werden, die jedenfalls so unfaßbar sind, daß dem 
Menschen nur übrig bleibt, sich mit der Anerkennung des Magischen 
zu begnügen. Mitunter zuckt ein Lichtstrahl auf und gestattet 
gerade so viel zu sehen, um dae Dunkel des Magischen noch stärker 
zu empfinden. Menzel hat einmal das Arbeitszimmer Friedriche des 
Großen gemalt (Taf.l2): Durch die geöffnete Flügeltür sieht mau 
auf den Schreibtisch, auf das Sofa und zwei Stühle. Das Bild ladet 
zur Liebe ein, verführt unmerklich zu zartestem Liebesrausch : Alles 
ist bereit, das Weibessymbol des Schreibtisches umgeben von der 
Dreizahl harrt der zärtlichen Hand des Eros, der in der tiefen, 
warmen Stille des Raums leise dem Betrachter die Reize der Ge- 
liebten vorzaubert. Und die offenen Flügel der Türe flüstern dem 
Mädchen zu, was geschehen kann, was sie ersehnen soll. 

Oder man sieht den Treppenaufgang zu Sanssouci von dem- 
selben Künstler. Drei Bäume deuten stumm den Sinn der Stufen 
zur Liebe, den Sinn davon, daß das Unbewußte gerade diese Zu- 
sammenstellung wählte, wo Liebesgötter im Spiel der Erotik das 
AbbUd der Vereinigung umrahmen. Gewiß, man kann sich das 

154 



allea aucli anders zurechtlegen, muß es anders deuten, da ist kein 
Zweifel. Aber das hindert nicht, daß tausendfach im Leben Bäume, 
Treppen und zärtliches Lieben zwei Menschen innig vereinigen, die 
eben noch weit in ihren Gedanken und Wünschen voneinander ge- 
trennt waren. — So nennt Menzel ein andres Bildchen ,, Reisepläne" 
(Taf. 13), aber das Unbewußte erzählt, wohin die Reise führen wird. 
Ein Weib schreitet die Treppe hinauf, den aufgespannten Sonnen- 
schirm gen Boden richtend und leicht ihr Kleid raffend. Noch 
wissen die beiden Männer am Tisch nichts von ihr, aber ein leises 
Ahnen lebt in ihnen: der eine steht halb aufrecht, und der Hund 
hinter ihm lugt nach der Dame aus. Beide Männer rauchen, sie 
sind Uehesreif, und dem halb stehenden gegenüber ist eine große 
Vase mit einer Pflanze, und um die Vase ringelt es sich wie eine 
Schlange. Zwischen ihr und dem Manne hegt der Reiseplan, nxit 
einer Dose beschwert. Seitwärts von ihm sieht man eine leere 
Flasche, eine leere Tasse und einen Teelöffel darauf, alles Dinge, 
die reden. Und was sie reden, erkennt man an den seitwärts stehen- 
den beiden Damen, die uns den Rücken zukehren, während über 
den Männern sich scharf betont der Baum ausbreitet. Satte Liebe 
blickt nicht einmal nach dem neu erwachenden Begehren. Reise- 
pläne? Wer weiß, wohin die Reise geht? 

Tausend Dinge, die nur das Unbewußte weiß, füllen die Bilder 
der Maler an, wie und was sie wirken, weiß niemand. Nur in glück- 
lichen erregten Momenten antwortet der Mensch dem Bilde in 
Empfindungen, deren Quelle er nicht kennt und deren Quelle ihm 
gerade im AugenbUck der Erregung gleichgültig ist. Der Kunst- 
hebhaber aber sucht — mit Recht, denn die Erkenntnis des Un- 
bewußten würde ihn nur verwirren — andres als das geheimnisvolle 
Helldunkel unbewußter Malerei. 

Von Millets Hand gibt es ein Bild, „L'Amour Vainqueur" ge- 
nannt. Drei kleine Knaben — wieder die Dreizahl — zerren ein 
halbnacktes Mädchen, das nur wenig widerstrebend ihr Gewand 
über den Hüften festzuhalten sucht, vorwärts. Es wäre überüüssig, 
das Bild zu erwähnen, da seine ungewollte SymboHk offen zutage 
liegt. Aber es ist noch ein vierter Knabe da, der das Mädchen von 
hinten schiebt. Das ist etwas Neues: was hinter uns geschieht, ist 

155 



Vergangenheit. Es ist kaum anzunehmen, daß der Maler gewußt 
hat, -was er mit diesem Zusatz darstellt, nämlich die Grundwahrheit, 
daß es niemals eine erste Begierde, eine erste Liebe gibt, sondern 
daß den Menschen neben der Hoffnung auf Lust auch die Erinne- 
rung an früher genossene Lust entflammt und widerstandslos 
macht, neben der Zukunft auch die Vergangenheit. Mythus und 
Kunst kannten schon längst vor der Einführung der Psychoanalyse 
die seltsame Tatsache, daß all unser Lieben Wiederholung früheren 
Liehens der Kindheit ist, und daß es gerade die Nebenumstände 
sind, die wiederholt werden. Das ist der tiefste Grund, warum 
Liebesgötter als kleine Knaben dargestellt werden. Millet betont, 
wohl unbewußt, diesen Zusammenhang durch den schiebenden 
Knaben. — Über die Tatsache dieses Wiederholungszwangs läßt 
sich nicht streiten; aber es scheint wenig bekannt zu sein, wie tief 
Vergangenes organische Gegenwart beeinflußt. Mütter pflegen am 
Hochzeitstage der Tochter die Brautnacht in Gedanken mitzu- 
erleben, ihr Miterleben wird aber nicht selten körperhch, sie be- 
zeugen in solcher Nacht durch schmerzhafte Enge der Scheide imd 
durch Blutung die neue Defloration, die sich an ihnen i\-iederholt. 
Weit mächtiger wirkt ein andres Ereignis im Leben der Tochter 
auf das Organische der Mutter ein, das ist die Entbindung der 
Tochter. Oft treten bei solcher Gelegenheit Kreuzschmerzen im 
Körper der Großmutter auf, ja deutUche Nachahmungen von Wehen, 
und auch da kommt es nicht selten zu Blutungen. 

In der Neuen Pinakothek zu München hängt ein Menzelsches Bild 
mit dem auffallenden Namen „Beim Lampenlicht" {Taf. 14). Die 
Bezeichnung fäUt auf, weÜ die Hauptfigur des Budes, ein junges 
Mädchen, nicht vom LampenHcht beleuchtet ist, sondern von der 
brennenden Kerze in seiner Hand. Die Lampe erhellt den Innen- 
raum des Zimmers und ihr Licht trifft die Gegenfigur des Mädchens, 
eine Frau, die klöppelt. Der, der den Namen des Bildes erfunden 
hat — wahrscheinlich ist es wohl Menzel selber gewesen — , muß 
wohl bewußt oder unbewußt gefühlt haben, daß man beim Be- 
trachten des Gemäldes besser von der Lampe und dem, was sie be- 
leuchtet, ausgeht. Lampe und Licht sind in Gegensatz gebracht, 
sie bedeuten etwas. Das Licht einer Lampe ist gebändigt, geordnet, 

156 



die Kerze des Mädchens flackert; sie würde es nicht tun, wenn sie 
Zylinder und Schirm hätte. Was gemeint ist, erzählt der Amor, 
der zwischen Frau und Mädchen von der Decke herahhängt: die 
beiden Gestalten stehen unter der Herrschaft der Liebe. Aber 
während die Frau an der Lampe ruhig an der heimischen Arbeit 
sitzt — der Klöppel geht stetig durch die Maschen der Fäden, ein 
unverkennbares Sinnbild ehelichen Zusammenwirkens, das durch 
Lampenschirm und Zylinder, weiblich und männlich, noch betont 
wird — , also ihren Liebesverkehr durch die Ehe geregelt hat, steht 
das Mädchen an den Pfosten der weitgeöffneten Flügeltür, sehn- 
süchtig in erträumte Zukunft blickend. Sie halt die Kerze vor sich, 
erleuchtet sich das, was außerhalb des wohnlichen Zimmers in der 
Zukunft ist, und in Erwartung des Lichts, das ihr Liebesleben 
schenken wird, lehnt sie an dem starren Pfosten in der geöffneten 
Tür. Wer wüßte es nicht, daß das verlangende Weib die Türen 
der Zimmer offen stehen läßt? 

Ich breche hier Meinungsäußerungen über das Problem der 
Liebe ah. Mir kam es darauf an, die Verschränkung der Symbol- 
welt mit der persönlichen Welt in grelles Licht zu stellen. Und zu 
demselben Zweck wage ich eine etymologische Vermutung auszu- 
sprechen, die vielleicht rasch vom Kritiker vernichtet werden kann. 

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß die lateinischen Wörter 
„vita = Leben" und „vivere = leben" zu der Wortgruppe vir 
= Mann und vis = Kraft gehören, und möchte dem auch gleich 
die griechischen Wörter bios {ßtog) = Leben und beiomai {ßsiofxai) 
= leben, bia (ßia) = Gewalt beifügen. Einen andern Beweis als 
den der Klangähnlichkeit und der Symbolverwandtschaft zwischen 
Leben und Liebe, des „Stirb und werde" habe ich nicht. 

Dagegen muß ich noch einmal auf die Gleichung „Liebe und 
Tod" zurückgreifen. Khige bringt das Wort Tod {engl, death, 
die = sterben, schwed. dö) in Zusammenhang mit dem air. Wort 
duine = Mensch, Sterblicher und mit dem lateinischen fumus 
=: Leichenbegängnis, Bestattung. Auch Walde gibt diese Mög- 
lichkeit der Erklärung zu. Gerade die Bestattung ist aber — 
wenigstens für das moderne Denken — ein symbolischer Liebesakt, 

157 



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ein Schlafen im Schoß der Mutter Erde bie zur Wiedergeburt» 
Prellwitz scheint unbewußt denselben Erklärungsversuch zu machen, 
er führt das griechische Wort thanatos (j^avaro?) auf ai. dhvanayat 
= hüUte ein, an. dvina = schwinden und die Wurzel dhven = eich 
verhüllen zurück. Ich brauche nicht näher darauf einzugehen, 
daß Hülle, sich verhüllen Symbole des empfangenden Weiblichen 
sind. 

Die weitest verbreitete idg. Wortwurzel für den Begriff „Sterben, 
Tod*' ist mor, die im deutschen Mord erhalten ist (lat. mors ^ Tod, 
morior =: sterben, mordeo = beißen, ,4n6 Gras beißen"). In ihr 
gibt sich nochmals die Verwandtschaft von Tod und Liebe kund, 
da sie mit idg, mer-, merax = sterben, zerreiben zusammenhängt; 
lat. marco = welk, schlaff sein; nhd. „mürbe", „morsch" sind 
verwandt. Auch das lateinische Wort mortarium, nhd. Mörser, 
dessen Beziehung zum Geschlechtlichen ich früher besprochen 
habe, gehört hierher, ebenso morbus = Krankheit. Im Griechi- 
schen ist die Ableitung maraino {^agaivco) = aufreiben, marasmos 
(jiaQaofiog) = verwelken und mamamai {fiaQva/iai) = kämpfen. 
Wichtig scheint mir in diesem Zusammenhang das griechische 
Wort stergio (ozegyia)) = lieben zu sein. Über seine Abstammung 
habe ich nichts finden können, es erinnert aber im Klang so stark 
an sterben, daß ich es dem anreihe, zumal das ähnlich lautende 
Stereos (öxsqeoc) = starr diese Meinung stützt. Dann würde auch 
ßterilis = unfruchtbar in denselben Bedeutungskreis treten (nhd. 
Stärke = junge Kuh). In dem Begriff Starrheit liegt beides: Liebes- 
leben und Liebessterben (lebendige Erektion mit den Wörtern 
stark, schwed. stör = groß, ahd. stoereu = ragen, niedd. und 
schwed. Start = Schwanz, andrerseits die noch dauernde Starre 
des Ghedes nach dem Samenerguß vor dem Welkwerden der Kraft, 
die unfruchtbare Starre, Todesstarre). — Wahrscheinlich gehören 
hierher lat. stercus = Kot, gr. sterganos {ozEQyavog) = Kot. Ob 
das französische merde = Scheiße zu dem vorhin erwähnten marieo 
= merax gehört, entzieht sich meiner Kenntnis. 

In dem Zusammenhang Liebe-Tod, Stirb-Werde erwähne ich 
noch die Todeszahl Dreizehn. Man erzählt, daß die Pythagoreer 
die Eins als Zahl des Weibes und die Drei als die Vereinigung der 

158 



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Weib -Eins und der Mann -Zwei auffaßten, dann ist in der 
Dreizehn das Zwischenglied der Zwei, der Mann gestorhen. Unsrer 
eigenen Zeit liegt am. nächsten, die Eins als Vater und die Drei als 
Symbol des Sohnes aufzufassen, dann ist die Zwei zwischen Eins 
und Drei der Schoß des Weibes, in den der sterbende Mann frucht- 
bringende Saat schüttet, die Dreizehn ist Todes- und AuferstehungB- 
symbol, die Wahrheit des Stirb und Werde steht so inmitten der 
Fruchtbarkeit der Dreizehn. Zu demselben Schluß kommt man, 
wenn man die Eins als ruhendes Glied, die Zwei als erigiertes die 
Drei als erschlafftes auffaßt. In der europäischen Kunst ist die 
Zahl Dreizehn vor allem in den Darstellungen des Abendmahls 
verwendet, und auf das Abendmahl ist wohl auch die besondere 
Angst vor der Dreizehn bei Tisch zurückzuführen. Bei diesem 
Abendmahl sind zwei Personen gegenwärtig, die dem Tode ver- 
fallen sind, Judas und Christus. Ursprünghch scheint das Un- 
bewußte der Kunst die Idee bevorzugt zu haben, daß Judas sterben 
muß; wenigstens ist Judas in den meisten bedeutenden Gemälden 
bis zu dem Bilde des Leonardo getrennt von den andern Tisch- 
genossen gemalt, er sitzt allein an der andern Seite des Tisches : nur 
das Todessymbol ist gegeben, die Bilder zeigen kein Bekenntnis 
zur Auferstehung, jede Hoffnung ist ausgeschlossen. Da ein jeder 
Tag uns lehrt, daß wir so wie alle Menschen die Judasnatur haben, 
daß das Verraten des Nächsten, des über alles geliebten und ver- 
ehrten Nächsten unvermeidKche menschliche Eigenschaft ist, die 
in jedem Augenblick imsres Lebens unser Denken, Fühlen, Handeln 
mitbestimmt, tritt bei einem jeden in diesen oder jenen Augen- 
blicken der schamvolle, verzweifelte Wunsch auf, diesen Judas in 
uns in Ewigkeit sterben zu lassen, so zu töten, daß er nie wieder 
lebendig wird. Weil Judas den Menschen repräsentiert, in jeder 
Faser uns eng verwandt ist, zieht er uns an, genau so wie der Ver- 
brecher, der Böse uns tiefer packt als der Gute, der Knecht des 
Gesetzes ; denn wir sind alle Verbrecher, haben in uns die Möghch- 
keit, ja die Gier nach dem Leidenlassen des Nächsten. So ist denn 
die Isolierung des Judas auf den Abendmahlsbildern eine Folge 
der Zwienatur von Gut und Böse im Mensehen und ein Versuch, 
dieser Zwienatur zugunsten dessen, was jeweilig gut genannt wird, 

159 



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wenigstens im Symbol sich zu entziehen. Ea hilft allerdings nicht 
das geringste, aber es ist nun einmal so, daß der Mensch eine Eins 
sein will, wollen muß, und daß er sich seine Tages- und Nacht-Natur 
wegzuphantasieren sucht, wegzudenken, wegzuhandeln. 

In dem berühmtesten aller Abendmahlsbilder, in dem des Leo- 
nardo, ist Christus selbst der Todgeweihte, der Dreizehnte; wenn 
er das Prinzip des Guten ist, so prägt sich in dem Bilde, das noch 
jetzt, wo fast nichts mehr davon übrig ist, als ein Gipfel der Malerei 
gilt, der frevelhafte, aber jedem, der ehrlich mit sich selbst ist, 
wohlhekaunte Wunsch aus, von Gewissensregungen frei zu werden, 
das Gute in xms zum Sterben zu bringen. Der Mut, die finsteren 
Tiefen des menschlichen Herzens darzustellen und zu bekennen, 
würde zu einem Teil die unvergleichliche Wirkung dieses Bildes auf 
Mit- und Nachwelt erklären. UnwiUkürHch drängt sich dem Ver- 
fasser die Annahme auf, daß hier die Hauptursache zu finden ist, 
die den Künstler an der Vollendung des Bildes hinderte; man 
könnte es begreifen, daß Leonardo vor der Enthüllung des Myste- 
riums nicht bloß des christliehen Wesens, sondern alles Mensch- 
lichen zurückwich; ja man könnte fast annehmen, daß die Zer- 
störung des Bildes folgerichtig vom Unbewußten der Menschen 
erzwungen wurde: das schmachvolle Geheimnis vom Neid und 
Haß des MenschUchen gegen das Göttliche wird in diesem Bude 
mit fast übermenschlicher Ironie enthüllt. „Wer töricht gnug sein 
volles Herz nicht wahrte, hat man von je gekreuzigt und verbrannt'\ 
gilt nicht nur von der Gesinnung, die der Mensch seinem Nachbar 
gegenüber hat, es gilt auch unserm Verhalten gegen uns selbst: 
wir müssen unser volles Herz uns selber gegenüber wahren, dürfen 
nur bis zu einer bestimmten, engen Schranke unser Wesen uns 
selbst offenbaren. Wer diese Grenze überschreiten will, wird in 
sich den Christus lebendig erschauen, und diesen Christus, sich 
selbst, das Göttliche, wird er alsbald verleugnen und kreuzigen. 
Dem Menschen taugt einzig Tag und Nacht, der Irrtum; das Licht 
ist Gottes. In eindringUchet Weise, vielleicht mit vollem Bewußt- 
sein, hat Leonardo dadurch, daß er statt des Judas den Christus 
als Dreizehnten malte, in dem Urphänomen des Sterbens zugleich 
das des Werdens gegeben, die zwölf Jünger sind alle in Gruppen 

160 



zu dreien zusammengefügt, zwölf ist viermal drei, drei ist der Mann, 
vier ist das Weib, viermal drei ist die Vereinigung und dreizehn 
der Tod und die Auferstehung, die Wiedergeburt, das Kind, die 
Ewigkeit. Daß der Kopf des Christus nie gemalt wurde, ist un- 
bewußtes Symbol des Werdens, es Hegt Zukunft im Unvollendeten. 
Das Sterben ist kein Ende, sondern Bedingung des Werdens. Stirb 
und werde! Man steht bei diesem Bilde, dessen Maler gewiß zu 
den menschlichsten Menschen zählte, wieder vor der Tatsache, 
daß der WirkKchkeitssinn des Unbewußten genau fühlte, man kann 
und darf das Gesicht des Christus nicht darstellen. Des Menschen 
Sohn ist Symbol und läßt sich als Individuum nicht malen. Christus 
hat kein Gesicht, es ist ein Irrtum, ihn zu malen. Den Juden ist 
nicht erlaubt, den Namen des Menschheitssymbols auszusprechen, 
und Fauet sagt: „Wer darf ihn nennen und wer bekennen: ich 
glaub' ihn?" 

Fast zur selben Zeit, als Leonardo sein Abendmahl schuf, ent- 
stand ein andres Werk aus der Tiefe des Unbewußten, das noch in 
voller Schönheit erhalten ist, die Pieta des Michelangelo, Es ist 
ein seltsames Bildwerk, seltsam, weil wohl niemand, der nicht die 
Zusammenhänge kennt, auf den Gedanken kommt, daß die junge 
schöne Frau Mutter des toten Mannes ist, der auf ihrem Schoß 
ruht. War es Schönheitsdurst, daß der Künstler die Mutter so 
darstellte? Es könnte auch anders bedingt sein. Aber um das be- 
greiflich zu machen, muß der Verfasser erst den Standpunkt fest- 
legen, von dem sich das Bildwerk in seiner Weise betrachten läßt. 

Wenn man das Kreuz ansieht, mag es Leben gewinnen, dann ist 
es ein Mensch mit zur Umarmung ausgebreiteten Armen. An diesen 
liebesbereiten Menschen wird ein andrer, auch mit ausgebreiteten 
Armen, angeheftet; auch er ist liebesbereit. Aber weder das Kreuz 
kann umarmen — denn es ist fühlloses Holz — noch der Mensch, 
der daran hängt — denn er ist festgenagelt. Und er wendet dem 
Kreuz den Rücken zu. Das einzige, was geschehen kann, ist, daß 
der Mann stirbt. Nach seiner Auferstehung kann er die ganze Welt 
umarmend erlösen, das Kreuz fesselt ihn nicht mehr, nur die Wund- 
male, die bleiben. Das Kreuz dagegen verharrt in dem Zustand 
der Bereitwilligkeit und der Unfähigkeit, zu umarmen, fühllos, leb- 

11 Graddeok, Der Meosoh ob Symbol 161 



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los, unwahr; es war schon tot, ehe Christus daran starb, Christus, 
des Menschen Sohn. Was ist das Kreuz, durch das er, allzu eng 
daran genagelt, sterben muß, damit die Menschheit erlöst wird? 
Das Kreuz kann nur die Mutter sein. Im Deutschen nennen wir 
den Knochen, in den der Schmerz der Geburtswehen verlegt wird, 
das Kreuz; die Lateiner nannten ihn, längst ehe es Christen gab, 
OS sacrum, den heiUgen Knochen. Das Kreuz ist die Mutter, die 
den Sohn umarmen würde, wenn sie nicht Holz wäre, und an deren 
fühlloser Liebesgebärde der lebendige Sohn in Liebe angenagelt ist, 
damit er aa dieser Liebe hinstirbt zur Auferstehung. So könnte es 
sein: des Menschen Sohn wird Erlöser, wenn er an dem Kreuze 
stirbt und wenn er nach der Kreuzabnahme in den Schoß der Erde 
gelegt wird zur Auferstehung. 

Vielleicht bedrängten Michelangelos dunkelste Seele ähnliche 
Gefühle, als er den toten Körper des Gekreuzigten einem jungen 
Weibe auf die Knie legte. Diese Frau ist nicht traurig, sie ist 
resigniert; ihre Handbewegung sagt das. 

Resignieren ist wieder und wieder unterzeichnen, mit seinem 
Signum versehen, daß man Mensch ist und nichts außerhalb des 
Menschlichen kennt, daß für uns nichts ist außer der Dreieinheit 
Mann-Weib-Kind. 

Das Wort Signum geht auf das Grundwort secare = schneiden 
zurück, geradeso wie das Wort sexus. Gäbe es wohl ein besseres 
Zeichen (signum) des Menschlichen als sein Schicksal, zugleich 
Individuum und sexus zu sein, ein unteilbares Ganzes und ein 
Segment des ganzen Kreises der Welt? Das ist sein Schicksal, und 
dieses Schicksal mit freudiger Wehmut zu bejahen ist Menschen- 
pflicht und Menschenstärke. 



162 



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INHALT 

KAPITEL SEITE 

1 5 

2 18 

3 37 

4 56 

5 85 

6 116 

7 142 



VERZEICHNIS DER TAFELN 

1 Cranach: Venus und Amor. Rom, GaUeria Borghcse. 

2 Rembrandt: Anatomie des Dr. Tulpius. Haag, Mauritslmig. 

3 Sassoferrato: Drei Lebensalter. Rom, Galleria Borghese. 

4 Dürer: Maria mit Stemenkrone. Kupferstieb (1508). 

5 Michelangelo: Creazione dell'Uomo. Rom, Sixtinische Kapelle. 

6 Jan Steen: Der Arzt. Müncben, Pinakothek. 

7 Mem.ling: Madonna mit Kind und zwei musizierenden Engeln. 

Florenz, Uffizien. 

8 Dürer: Adam und Eva. Kupferstich. 

9 Michelangelo: Creazione della Donna. Rom, Sixtinische 

Kapelle. 

10 Davidsz de Heem: Großes Stilleben mit Vogelnest. Dresden, 

Galerie. 

11 Mignon: Kleines Stilleben mit Vogelnest. Dresden, Galerie. 

12 Menzel: Arbeitszimmer Friedrichs des Großen. Holzschnitt. 

13 Menzel: Reisepläne. Gemälde. München. 

14 Menzel: Beim Lampenlicht. Gemälde. München. 



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Lukas Cranach : Venus 



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Dürer: Madonna mit Sterueukrone 



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IMiyi.l-. Iiniikiii.'iiiii Ai... MiiiulK-n 



Jan Steen: Der Arzt 




I'lii.l I-. \::i., I.u .11111 \l ,., Mliiu Ii.'Ii 

Haas Memlin;;: Mudunna mit iiiu^iziiircnden Eagelii 




Dürer: Der SüiKleufiiü 



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I'liipi. ]■. ({mcfcninnii AC, Miiiidn-ii 

J. Davidsz de Ileem: Da3 [^roße Stilleben mit dem Vogelnest 



10 



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Phüt. 1', Eri]i_-km:inn A*',, Mnnthpii 



Mignon: Das kleine Stilleben mit dem Vogelnest 



11 



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M.iIcii.lIit !■. ]!ni..kiii;iiLLi ,\ü.. :.]ljii. lii-ii 

Menzel: Arbeitszimmer Friedrichs des Großen 



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Menzel: Beim Lampenlicht 



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Druck der Bildbeilagen : '^ 

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In unserem Verlage sind von 

GEORG GRODDECK 

ferner erschienen: 

DAS BUCH VOM ES 

Psychoanalytische Briefe an eine Freundin 

In Leinen M. 13. — 

Ein Breviarium des Freud i an ismns für alle "Wissenscliaftsverächter. 
Der Briefschreiber nennt sich Patrik Troll und macht diesem lustigen 
Namen alle Ehre, pfeift auf die Wissenschaft, schreibt amüsant, 
geistreich, kritiklos und mit der üblichen Enldeckerfreudc. Es gelingt 
ihm mühelos, auf alles den rein sexuellen Reim zu finden. Dieser 
Patrik Troll hat für die Analyse ein so kurzweiliges Repetitorium 
geschrieben, wie es sonst wohl noch kein Wissenszweig hat. Die 
Herren Kollegen werden sich vielleicht darüber ärgern, die ..Laien"- 
aber werden verblüfft und bewundernd staunen über die fröhliche 
Ungeniertheit und Offenheit in der Art des sechzehnten Jahrhunderts. 
Und weil dieser derbe Stil damals doch vielleicht so eine Art geistiger 
Exhibitionismus war, so wird der Verfasser sich über die Wirkung 
auf seine Leser könighch freuen. (Neue Züricher Zeitung) 

DER SEELEN SUCHER 

Ein psychoanalytischer Roman 

In Leinen M. 11. — 

Alfred Pol gar im Berliner Tageblatt: „So was Freches, Un- 
geniertes, raffiniert Gescheit-Verrückies ist von Erzählern unserer 
Sprache noch nicht gewagt worden . , . Erfüllt von der Gewißheit, daß 
die Menschen ihre Psyche zwischen den Beinen tragen . . . Eine Figur, 
so voll der kostbarsten JNarrheit, ist noch durch keinen deutschen 
Roman gewandelt.'' — Frankfurter Zeitung: ..Ein ungewöhn- 
lich geistreicher Kerl..." — Alfred Dublin in der Neuen 
Kundschau: „Ein tüchtiger Mann, der Spaß machen kann," — 
Die Wage: „Ein köstliches Buch, ein abscheuliches Buch. Vor 
allem von einer imponierenden Kücksichtslosigkeit.'- 

INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER 
VERLAG IN WIENI 



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