Skip to main content

Full text of "Die Schutzeinrichtungen in der Entwickelung der Keimpflanze"

See other formats


5 


5 


£ 


MS 
eh 
RS 

BR 


ER 


EL RER re 
et "i 

K NR 

ha ut re te 
an Kun 


Br 


AR 


, 


, 
j 


p 


4 


f 


HER, 


7 


H j 7 
HR 


TPY 
ee 


FH; 
Y 


teen 


NEN, 
A 
Se N 


Z 
$ 


Met 


IHN 
My, N 
a ` W 


rU 
* 
8 


iz, 


nacht 


SCHUTZEINRICHTUNGEN "a 


IN DERENRWICKELUNG DER 


KEIMPFLANZE. 


EINE BIOLOGISCHE STUDIE 


VON 


DE G. HABERLANDT. 


WIEN. 


DRUCK UND VERLAG VON CARL GEROLD’S SOHN. 


a EEE 


r4 % 
5 ô 
7 e 
< < 
3 z 
S 

2 A 
ee â 
< o) 
> - 
; ; 


FRAN 


®. 


zus á 2 ie 
wes ... 
D) f 
.. y i se. OOR : e 
u A g Ö we 
f [2 =” x Br e S ig 
5‘ Ag „rs ° 
wer S7 ) re Sag I 
® . + p d 
A x > ve ‘ 
. N Ir k 
. ë ý {e 
aè 1 rs iR A 
A S e Sy > P S DA 4 
A ar > „d 3 $ 
ve we CE z2 > g à i 
A REIRA Kr 
o .. 2% = x 
% es VENNS: D - /B 
‘ | yis, ek man pes MARA 
Eh \ i 2 N P ) . 
> SS . . | 
B N : EA ` N 
A SE X R D 
À x E one, 
u ee... 
S u Wr 
f : rn N <. y 
; 2 > TI, 
5 & 63 ` 5 N v $ 
. x A Ò 0 A 
> ` : 
? - „ae 
DA 17 as 2 > A 
oa WA. NAA z a 
RR N - À Te 
a: ia 
ah LESE) 
j OT K f 
E AA AS = 
í Kun 
` 
E N WU \ = 
& ` 
| AN h Mm: 
N \ IRNI ` 
-. e] A N s 
A, W ? a 
Pe 7 D ES 
À. 2 > vr. 
ge % 8 4 teo 
Y A 
il O A N BR: 
» ` _ "| 
ps : A y) ` h 
N’ PO a 2 
", 4 p 
A g p 4 
B à . 
. “Mi t = 
2 PN. ” . ver 
i » KO Sa à 
Harry S .I8E8. 


DIE 


SCHUTZEINRICHTUNGEN 


IN DERENTWICKELUNG DER 


KEIMPFLANZE. 


EINE BIOLOGISCHE STUDIE 


Dr. G. HABERLANDT. 


WIEN. 


DRUCK UND VERLAG VON CARL GEROLD’S SOHN. 


>1877. 


pam 


SERBELR, 


———— 


. Erstes Gapitel. 
Einleitendes; Begriffsbestimmung der Keimpflanze . RE ME 
Bedeutung der Samenhülle für den tuhenden Embryo und seine Reserve- 
stoffbehälter. — Verschiedenheit der Ansichten über ihre Bedeutung für 


Seite 


das keimende Pflänzchen. — Die Samenhülle als Schutzmittel 
desselben RER ER N E se u oT 3 
Ihr Einfluss auf das Anguellen der Samen; Function des Hilums; Aufgabe 


_ der Spaltöffnungen an der Samenschale von Canna. — Die Quellschicht 
der Samenhülle . Br he ER A een, 
Ueber Quellungsunfähigkeit und ihre Folgen; die „Asymblastie«“ i 
Einfluss der Samenhülle auf das Austrocknen gequollener oder keimender 
Samen; auf den osmotischen Austritt von Nährstoffen aus denselben . 15 
Eigenthümliche Function der Testa bei den Samen von Soja hispida . 


17 
Keimungsversuche mit geschälten und ungeschälten Erbsen; wiederholt un- 
terbrochene Keimung der Gartenbohne . en NTS 
Einfluss der Samenhülle auf die geotropischen Krümmungen der austreten- 
den Radicula 


Zweites Capitel. 

Doppelte Bedeutung der Reservestoffe 
Untersuchungen. 
Beschreibung eines A 


für die Keimpflanze. — Bisherige 
— Die Reservestoffe als Schutzmittel. . 28 


nbauversuches mit ganzen und halbirten Weizenkör- 


nem; Unterschiede in der Ausbildung und im relativen Chlorophyll- 
gehalte der Pflänzchen . 


Sicherste Ausnützung und Unterbringung der Reservestoffe; Beispiele Er 
Angabe der Ursachen, weshalb die Samen vieler Pflanzen nur wenig Reserve- 
stoffe enthalten; die phanerogamen Schmarotzer und Humusbewohner 41 


Drittes Capitel. 

Die Schutzeinrichtungen der Keimpflanzen gegenüber den 

schädlichen Einflüssen des Klimas, — Das 

in der geeignetsten Jahreszeit ER A ar 2 

Die Keimpflanze und der Frost; Einrichtungen bezüglich des’Ueberwinterns 

den Keimlinse 0,0... % PER AASE N O A 
Die Keimungstemperaturen als Anpassungserscheinungen an die Bodentem- 

- Peraturen . ET E a AS 53 

- Das Keimen der Samen bei den an eine trocken 


Keimen der Samen 


e Jahreszeit gewöhnten ı 
Pflanzen; Eigenthümlichkeiten der Gräser; die Jerichorose. . . . 59. 


A a UT EEE FL 


Widerstandsfähigkeit der Keimpflanzen gegenüber den Folgen der Austrock- 
nung und des Ueberschwemmtwerdens; die Rhizophoren 
Die Biologie der Keimlinge in ihren Beziehungen zur DEE phie. 


| Viertes Gapitel. 

Die Schutzeinrichtungen der Keimpflanzen beim Durchbre- 
chen des Bodens. — Die Kotyledonarscheide der Gräser. — Auf- 
gabe der Nebenblätter . ER A N RE 

Biologische Bedeutung der Noledinsd: arkeikzhen 'an ER EN — 
Sonstige Ursachen derselben. — Physiologisches über die spontanen 
Nutationen. — Ursache der Nutation bei Helianthuskeimlingen ; Versuche 

Die Widerstandsfähigkeit der Keimpflanzen gegenüber den 
Folgen zufälliger Verletzungen; Beispiele und Versuche 


Fünftes Gapitel. 


Die Keimblätter als erste Assimilationsorgane 

Beispiele von langlebigen und sich kräftig entwiekelnden Kotylen 

Lage und Gestaltung derselben im Samen. — Ihr anatomischer Bau; Ver- 
theilung der Kaan 

Transpirationsversuche : 

Die Bilateralität der Keimblätter na: ai Licht. — aiit er müb 
blattartigen Kotylen zu hypogäischen bei den Papilionaceen 

Ergrünen der Keimblätter; Entstehung der Chlorophyllkörner 

Die Arbeitstheilung bei den echten Laubblättern und den ergrünten kanji 
ESSA N E E 


Berichtigung. 
Auf Seite 16, 4, Zeile von oben soll es statt „10—12 % Wasser“ heissen: 
„10—12 % Wasser über dem ursprünglichen Feuchtigkeitsgehalte.* 


Erstes Capitel. 


Einleitendes; Begriffsbestimmung, der Keimpflanze. — Bedeutung der Samen- 
hülle für den ruhenden Embryo und seine Reservestoffbehälter. — Verschieden- 
heit der Ansichten über ihre Bedeutung für das keimende Pflänzchen. — Die 
Samenhülle als Schutzmittel desselben. — Ihr Einfluss auf das An- 
quellen der Samen; Function des Hilums; Aufgabe der Spaltöffnungen an der 
Samenschale von Canna. — Die Quellschicht der Samenhülle. — Ueber 
„Quellungsunfähigkeit“ und ihre Folgen; die „Asymblastie“. — Einfluss der Sa- 
menhülle auf das Austrocknen gequollener oder keimender Samen; auf den os- 
motischen Austritt von Nährstoffen aus denselben. — Eigenthümliche Function 
der Testa bei den Samen von Soja hispida. — Keimungsversuche mit geschäl- 
ten und ungeschälten Erbsen; wiederholt unterbrochene Keimung der Garten- 
bohne. — Einfluss der Samenhülle auf die geotropischen Krümmungen der 
austretenden Radicula. 


Wohl niemals ist die Pflanze so vielen Gefahren ausgesetzt, 
als zur Zeit der Keimung. Sie hat die Samenhülle kaum ver- 
lassen und soll nun auf der Stelle mit den erwachsenen Pflanzen 
ihrer Umgebung in einen Wettbewerb um die äusseren Bedin- 
gungen des Daseins treten. So gering ihr anfängliches Raum- 
bedürfniss auch sein mag, sie bleibt doch in den meisten Fällen 


ein „Eindringling“, dem die Behauptung des Daseins nicht leicht ` 


gemacht wird. Doch ganz abgesehen von diesem unmittelbaren 
Kampfe mit’den Nachbarpflanzen, der am Ende manchem Keim- 
ling erspart bleibt, ist doch dieser letztere durch all’ diejenigen Ein- 
flüsse des Klimas und anderer Verhältnisse, welche bei der er- 
Starkten und erwachsenen Pflanze blos eine theilweise Schädigung 
des Organismus, oder einen zeitweiligen Stillstand der Lebens- 
funetionen herbeiführen, in seiner ganzen Existenz bedroht. 
Hier durfte die Natur mit Schutzmitteln und Schutzeinrichtungen 
wahrlich nicht sparsam umgehen, wenn sich alljährlich auch nur 


ein niedriger Percentsatz der produeirten Samenindividuen zu 
G. Haberlandt, Schutzeinrichtungen der Keimpflanze, 1 


i 


P ST ee are 


2 


jebensfähigen und, was noch wichtiger, zu lebenskräftigen Pflanzen 
entwickeln sollte. 

Bevor wir nun daran gehen, diese Schutzeinrichtungen im 
Einzelnen zu betrachten, muss noch kurz auseinandergesetzt 
werden, wie weit im Nachfolgenden der Begriff der Keimpflanze 
gefasst wird. — Vom physiologischen Standpunkte aus betrachtet 
man ein junges Pflänzchen häufig so lange als Keimpflanze, bis 
es die ihm mitgegebene Reservenahrung vollkommen aufgezehrt 
hat. Eine zweijährige Eiche, welche schon mehrere echte Laub- 
blätter und einen verholzten Stengel besitzt, deren unterirdische 
Keimblätter aber noch unverbrauchte Reservestoffe enthalten, 
wäre demnach noch als Keimpflanze anzusehen, während ein 
winziges, blos mit zwei grünen Kotyledonen und einer kleinen 
Hauptwurzel versehenes Tabakpflänzchen, das seine Reserve- 
stoffe zur Ausbildung und Entfaltung der genannten Organe schon 
vollständig verbraucht hat, nur mit Unrecht als Keimpflanze be- 
trachtet würde. Da nun aber den Reservestoffen gerade in den 
späteren Stadien der Keimung nur mehr eine biologische Bedeu- 
tung als Schutzmittel des jungen Pflänzchens zufällt, so ist es 
mehr als zweifelhaft, ob man es hier wirklich mit einer vom 
streng physiologischen Gesichtspunkte ausgehenden Definition zu 
thun habe. Dieselbe dürfte jedenfalls vorwurfsfreier sein, wenn 
man die jugendliche Pflanze nur so lange als Keimpflanze be- 
trachten würde, als jene anatomisch-physiologischen, auf Grund 
der vorhandenen Reservestoffe sich vollziehenden Processe, welche 
die selbständige Ernährung des Pflänzchens ermöglichen sollen, 
noch nicht beendet sind. Kann sich dasselbe einmal selbständig 
ernähren, so ist es im physiologischen Sinne keine Keimpflanze 


mehr, ob ihm nun Reservestoffe noch zur Verfügung stehen oder 
nicht. !) 
Es leuchtet ein, dass diese Definition für unsere Zwecke 
zu eng ist. Wir werden hier im Anschlusse an jene Auffassung, 
welche in den meisten Abhandlungen pflanzenbiologischen Inhaltes, 
u. A. auch in den meisterhaften Untersuchungen von Irmisch, 
zur Geltung gelangt, das junge Pflänzchen so lange als Keim- 


1) Vergl. hiermit die inNobbe’s Samenkunde p. 97 gegebene Definition 
der Keimung, welche sich mit der hier aufgestellten nur theilweise deckt. 


t 
$ 
| 
i 


. diese Hüllen nun echte Samenschalen sein, 


sie zu passiren haben, ganz. unmöglich oder d 


3 r 


pflanze und demnach als in den Bereich unseres Themas gehörig | 


ansehen, als es sich in den habituellen Merkmalen seiner 
Vegetationsorgane noch auffällig von der entwickelten Pflanze 
unterscheidet. — Dass wir andererseits auch den keimenden Sa- 
men zu berücksichtigen haben, ist wohl selbstverständlich. 
Wenn ich mich bei den nachstehenden 


Erörterungen wie- 
derholt des Ausdruekes „Anpassung“ 


bediene ‚ 50 meine ich da- 
mit stets jene im Laufe zahlreicher Generationen durch die natür- 


liche Zuchtwahl vollzogene Auslese des Zweckmässigeren, welche 
eines der Grundprineipien des Darwinismus bildet. — Schliesslich 
sei noch erwähnt, dass die in der vorliegenden Arbeit mitgetheil- 
ten Untersuchungen sich blos auf die Keimpflanzen phanerogamer 
Gewächse ausdehnen. Durchgeführt wurden dieselben im land- 


wirthschaftlichen Laboratorium der k. k. Hochschule für Boden- 
eultur zu Wien. 


Die Bedeutung der Samenhüllen für den ruhenden 


Embryo und seine Reservestoffbehälter ist längst bekannt. Mögen 


oder Pericarpien, oder 
wie bei den bespelzten Grasfrüchten Glieder der ganzen Inflores- 
cenz, in allen Fällen ist ihre Aufgabe eine 


dreifache. Sie schützen 
den Samen!) erstens vor me chanisc 


hen Verletzungen, 
welche ihm bei etwaiger Wanderschaft seitens der Rauhigkeiten 
des Bodens und in dem oft sehr langen Zeitrau 
mung von Seite zahlreicher Ins 
sicht stehen. 


me bis zur Kei- 
ecten und anderer Feinde in Aus- 
So erweisen sich beispielshalber die harten und 
zähen Schalen, von welchen die Samen der Be 
geben sind, als sehr nothwendige Schutzmitte]; 
die Verbreitung der Samen durch die Vögel, 


erenfrüchte um- 
ohne sie wäre 
deren Darmceanal 


kauft. — Die Samenhüllen haben dann ferner 
keit der Samen zu bewahren. Zahllose Schim 
Wechsel von Durchfeuchtung und Austrocknu 


die Keimfähig- 
melpilze, häufiger 
ng, ja selbst der 


`. `) Es bedarf wohl keiner weiteren Motivirung, wenn ich hier und im Fol- 
genden den Begriff des „Samens“ etwas weiter fasse, 
erlaubt ist, und mich hierbei me 
schliesse. 


als es streng genommen 
hr an den gewöhnlichen Sprachgebrauch an- 


i*F 


och zu theuer er- 


i 
i Í 
į 
i 
i 
i 
= 
= 
3 
E 
A 
i 
| E 
= 
pi 
po 
A 
q 
i 
= 
1 
{ 
g 
A 
ie 
s 
a | 
} 
tE 
y 
si| 
ei 
|E 
k 
Si 
vig 
} 
il 
H 
i 
3 
3 


t 


BE A 
— 


4 


blosse Einfluss schwankender Luftfeuchtigkeit würden die Keim- 
kraft des schutzlosen Embryos in kürzester Zeit erlöschen machen 


_ und seine Reservestoffe verderben. Wie sehr selbst der ungehin- . 


derte Zutritt der atmosphärischen Luft, verbunden mit einem 
wechselnden Feuchtigkeitsgehalte derselben, die Keimfähigkeit der 
Samen schädigt, mag aus nachstehendem Versuche entnommen 
werden. Derselbe wurde mit Hanfsamen durchgeführt, welcher 
zu 16—78 % keimfähig war. Ich legte von demselben 100 ganz 
unversehrte und ebenso viele seitlich etwas aufgesprungene Nüss- 
chen unter sonst vollkommen gleichen Verhältnissen zum Keimen 
aus. Beide Partien waren fast gleich schwer — die erstere wog 
1:894 Gr., die letztere 1'833 Gr. — und auch das Reifestadium 
war in beiden Fällen vollkommen das gleiche. Von den unver- 
sehrten Körnern keimten 80, von der zweiten Partie blos 54 %, 
worunter überdies noch 12 Keimlinge schon am zweiten Tage 
zu Grunde gingen; die kaum ausgetretene Radicula bräunte sich 
und fing an zu faulen. Es stellte sich demnach das Verhältniss 
eigentlich wie 80 : 42, was wohl deutlich genug auf die Wichtig- 
keit der Samenhüllen für die Erhaltung der Keimfähigkeit des 
Embryos hinweist. — Ihre dritte Aufgabe endlich besteht darin, 
dass sie als Verbreitungsmittel der Samen zu dienen haben, 
und desshalb je nach den einzelnen Verbreitungsagentien, bald 
als mannigfach ausgebildete Flugorgane erscheinen, bald wieder 
die verschiedensten hakigen, stacheligen und fleischigen Aus- 
rüstungen an Frucht und Samen darstellen. 

Ueber die soeben aufgezählten Functionen der Samenhülle 
herrscht gegenwärtig wohl keine Meinungsverschiedenheit. Wohl 


‚aber sind die Ansichten getheilt, wenn es sich um die Bedeutung 


der Samenhülle für den keimenden Samen und den sich 
weiter entwickelnden Embryo handelt. So begegnet man häufig 
der Anschauung, dass von dem Augenblicke an, in dem der Same: 
in das Stadium der Keimung tritt, die Samenhülle überflüssig 
wird, oder geradezu ein Hinderniss des Keimungsprocesses bildet. 
Auch Sachs vertritt in seiner bekannten Abhandlung über die 
Keimung der Schminkbohne!) diese Ansicht. Er betont ausdrück- 


1) Sachs, Physiologische Untersuchungen über die Keimung der Schmink- 
bohne, Sitzungsbericht der kais. Akad. d. Wissenschaften, XXX VII Bd. (1859), 
pag. 58 ff. 


5 


lich, dass sehr viele Keimwurzeln von Phaseolus multiflorus ver- 
krüppeln, weil sie sich bei der Durchbohrung der Samenschale 
beschädigen, und zieht daraus die eben erwähnte Schlussfolgerung. 


Wenngleich bei der überwiegenden Mehrzahl ‘anderer Samen 
eine derartige Verletzung der hervorbrechenden Keimtheile nicht 
beobachtet werden kann, und überdies durch das häufige Vor- 
kommen von Dehiscenzlinien oder das Auftreten eines Samen- 
deckels der ganze Vorgang oft wesentlich erleichtert wird, so 
lässt sich doch andererseits nicht leugnen, dass Schwächlinge 
diese erste Probe einer lebenskräftigen Organisation nur schwer 


überdauern. Schon hier macht sich die natürliche Zuchtwahl 


geltend und verwehrt denselben die Betheiligung an dem nun- 


mehr beginnenden Kampfe um’s Dasein. Damit ist aber noch 
nicht gesagt, dass auch die kräftigeren Keimpflänzchen keinen 


fördernden Einfluss der Samenschale erfahren, ja vielleicht schon 
erfahren haben, bevor noch die Hülle durchbrochen ist. Auch in 
dieser Hinsicht gibt Sachs eine Andeutung. Er findet, dass weisse 


Samen von Ph. multiflorus schwerer keimen als gefärbte und führt 
‚als mögliche Ursache dieser Erscheinung den Gerbstoff an, wel- 


cher in den Samenschalen gefärbter Varietäten stets auftritt. Der- 
selbe dürfte den Sauerstoff der atmosphärischen Luft ozonisiren 
und für die Keimung activer machen. — Einen viel allgemeiner 
fördernden Einfluss schreibt N o bbe?) den Samenschalen zu, wenn 
er denselben auch nur rücksichtlich der Quellungserscheinungen 
eingehender bespricht. 

Es lässt sich in der That eine beträchtliche Anzahl von 
Thatsachen und Erscheinungen namhaft machen, welche unzwei- 
felhaft darthun, dass die Samenhülle als ein sehr wichtiges 
Schutzmittel des keimenden Samens zu betrachten ist. Es gilt 


eben auch hier der Ausspruch Nägeli’s*): „Viele Organisations- ~> 


- verhältnisse stellen sich zwar in gewissen Beziehungen als unvor- 


theilhaft dar; sie sind aber unentbehrlich, weil sie sich in an- 
derer Beziehung als nothwendige Bedingung der Existenz er- 
weisen.“ 


1) Handbuch der Samenkunde, 1876, p. 69 ff. j 
2) Entstehung und Begriff der naturhistorischen Art, 1865, p. 18. 


Die Organe, um welche es sich hier handelt, können, wie 


schon oben erwähnt wurde, in morphologischer Beziehung ganz 
verschiedenartig sein. So wünschenswerth es nun wäre, eine von 
gemeinsamen, anatomisch-physiologischen Gesichtspunkten aus- 
gehende Erörterung ihres so verschiedenartigen Baues den nach- 
folgenden Auseinandersetzungen vorauszuschicken, so sind doch 
die hierzu unumgänglich nothwendigen Vorarbeiten noch lange 
nicht so weit gediehen, um eine solche Absicht mit Erfolg durch- 
führen zu können. Was die echten Samenschalen anlangt, so 
hat allerdings Nobbe!) die einzelnen Zellschichten derselben 
unter den physiologischen Gesichtspunkt zu bringen gesucht und 
darnach auch eingetheilt; er unterscheidet nämlich folgende Zonen: 
1. die Hartschicht, 2. die Quellschicht, 3. die Pigmentschicht, 
4. die Stickstoffschicht und 5. anderweitige Elemente der Samen- 
haut. Allein schon Lohde?) hat auf das Unthunliche einer sol- 
chen Terminologie hingewiesen, da sie ja nur für die complieir- 
ter gebauten Samenschalen Geltung hätte, und die einfacher ge- 
bauten ganz unberücksichtigt liesse. Man darf noch hinzufügen, 
dass eine solche Eintheilungsweise die genauere Kenntniss der 
physiologischen Function jeder einzelnen Schichte zur Voraus- 
setzung hat, woran es eben bis jetzt noch mangelt. — Hinsicht- 
lich des Baues der als Samenhüllen fungirenden Pericarpien 
ist eine derartige Eintheilung noch nicht versucht worden. Q. 
Kraus, dem wir bekanntlich eine ausführliche Arbeit „über den 
Bau trockener Pericarpien“ ê) verdanken, unterscheidet an den- 
selben die äussere und innere Epidermis, das Parenchym und die 
Hartschicht , welch’ letztere vorzugsweise dazu bestimmt sein 
dürfte, „dem Pericarp die für den Samenschutz nöthige Festig- 
keit und Steifheit zu verleihen.“ — Ueber die Gramineenspelzen 
endlich, welche hier ebenfalls in Betracht kommen, hat v. Höh- 
nel?) vergleichende Untersuchungen angestellt. Eine Hartschicht 


PERL I: 18, 

?) Ueber die Entwickelungsgeschichte und den Bau einiger Samenschalen, 
1874, p. 11. 

3) In Pringsheim’s Jahrbuch f. wissensch. Botanik. V. Bd. p. 83 ff. 

4) Vergleichende Untersuchungen der Epidermis der Gramineenspelzen und 
deren Beziehung zum Hypoderma, Wissensch.-prakt. Untersuchungen auf dem 
Gebiete des Pflanzenbaues, herausgegeben von Friedrich Haberlandt, I. Bd. 
1875, p. 162 ff. 


7 


fehlt hier, doch ist für die Festigkeit der Spelzen durch andere 
Einrichtungen gesorgt. 

Im Uebrigen muss ich mich mit dem blossen Hinweise auf 
die den anatomischen Bau der Samenhüllen betreffenden Einzel- 
arbeiten von Schleiden und Vogel, Hofmeister, Cramer, 


Lohde, Sempolowski, G. Kraus, Magnus, RPEN | 


Kudelka, Fickel, v. Höhnel, mir selbst u. v. A. begnügen. 


Das Erste, was nun’ erörtert werden soll, ist der Einfluss 
der Samenhülle auf das Anquellen der Samen. Wie 
immer auch dieselbe gebaut sein mag, in allen Fällen ver- 
zögert sie die Wasseraufnahme seitens des Embryo und seiner 
Reservestoffbehälter und in Folge dessen auch den Keimungs- 
process. Der ganze Same kann dabei immerhin, namentlich 
wenn Quellschichten vorhanden sind, oder die von Kledi durch- 
tränkte Testa sich faltet, das Wasser rascher aufnehmen, als der 
entschälte Same; das Anquellen des Embryo und seiner Reserve- 
stoffbehälter, worauf es bei der Einleitung des Keimungsactes 
allein ankommt, wird aber dadurch nicht wesentlich beschleu- 
nigt, sondern blos sichergestellt und vor Unterbrechungen 
möglichst bewahrt. A 


Ich unterlasse es, das Gesagte mit längeren Zahlenreihen 


zu belegen. Nur ein Beispiel sei hier mitgetheilt. Je drei Samen 


von Vicia faba, die einen mit, die anderen ohne Samenschale, 


wurden in destillirtes Wasser von 18°C. gebracht und quellen 


gelassen. Das Anfangsgewicht der ersteren war — 4410 Gr., das 


der letzteren = 4'293 Gr. 


Die Gewichtszunahme beuse bei 
den ungeschälten S. den geschälten S. 
nach 12 St. 2'460 Gr. d. s. 557%  3'577.Gr. d. s. 884% 
24. 372 „u, 9m.8345% 3 677 85:6 % 


7 N 


un: 30.8. 8951 y „. 891% Keine ER A mehr. 


Die von der Samenschale befreiten Bohnen hatten also 
schon nach zwölf Stunden beinahe das Maximum der Gewichts- 
zunahme erreicht, die unverletzten dagegen in derselben Zeit erst 
etwas über 3/ der Gesammtaufnahme. Diese letztere beträgt bei 
den nicht geschälten Samen um 45% mehr 'als bei den geschäl- 


8 


ten, was wohl hauptsächlich auf Rechnung der mit einer wohl 


ausgebildeten Quellschicht versehenen Testa zu setzen ist. 

An dieser Verzögerung des Quellungsprocesses betheiligt 
sich in erster Linie die Hartschicht der Samenhülle. Auch ge- 
wisse, Farbstoff führende oder korkähnliche Schichten sind oft 
schwer imbibitionsfähig. An der Oberfläche des Samens verhin- 
dert häufig eine stark ausgebildete Cutieula, wie z. B. bei vielen 
Leguminosen, oder ein feiner Haarüberzug, wie bei den Früch- 
ten der Sonnenblume, die sofortige Benetzung. 

Der Vortheil, weicher dem Samen aus diesem verlangsamten 
und erschwerten Anquellen erwächst, ist nicht gering anzuschlagen. 
Es kann derart nicht jeder unbedeutende Regenfall das Keimen 
des Samens herbeiführen, dem dann in kürzester Zeit das Aus- 
trocknen folgen würde. Die Keimpflanze ist ohnedies in den 
meisten Fällen der Gefahr wiederholter Austrocknung zu sehr 
ausgesetzt, als dass nicht jede Einrichtung, welche mit dem 
raschen und leichten Anquellen der Samen zugleich das oftmalige 
Austrocknen hintanhält, zum Schutze des Keimlings diente. 

Andererseits wirken aber gewisse Eigenthümlichkeiten des 
Baues der Samenhüllen auch dahin, dass das Anquellen der Samen 
nicht gar zu lange auf sich warten lässt. Fast immer macht 
sich an jener Stelle, wo der Same mit der Mutterpflanze orga- 
nisch verbunden war, ein mehr lockerer Bau der Testa oder der 
Fruchtschale geltend. Die Continuität der einzelnen Schichten 
wird unterbrochen, und häufig ist es ein mit weiten Intercellular- 
räumen versehenes Sternparenchymgewebe, welches den Eintritt 
des Wassers auf capillarem Wege vermittelt. Man findet das- 
selbe sowohl bei Monokotylen als bei Dikotylen und in den ver- 
schiedensten Familien vor. Besonders schön entwickelt ist es 
bei Zea Mais, Cucurbita und den Leguminosen: Die Samen der 
letzteren weisen zwar auch am Hilum die charakteristische Pal- 
lisadenschichte auf, sogar in doppelter Lage, doch lassen 
die in der Mittellinie des Hilums sich verkürzenden Zellen eine 
schmale Längsspalte frei, unter welcher das von reichlichem Stern- 
parenchym umgebene Gefässbündel des Hilums verläuft. Auch 
durch die Mikropyle findet das Wasser leicht Zutritt. 

Ich will nun einige Versuche mittheilen, welche den Ein- 


9 


fluss des Hilums auf die Schnelligkeit der Wasseraufnahme beim 
Quellen zu bestimmen hatten. 


Eine Schminkbohne (Ph. multiflorus) wurde in destillir- 
tem Wasser von 16° C. so aufgehängt, dass der Nabel nicht be- 
netzt wurde (4). Eine zweite Bohne tauchte man dagegen ganz 
unter (B). Erstere wog 1'942 Gr., letztere 2:112 Gr. Die Ge- 
wichtszunahme betrug in Procenten des Anfangsgewichtes þei 

; A B 
nach 1 St. 03% 5:09 % 
4.2.0909 7128 
Bl 0 2, 24014 

Die Mengen des aufgenommenen Wassers (A: = verhalten 
sich also nach 1 St. wie 1: 16°) 

Be e 
ee OE a 

Der Unterschied ist hier demnach ein sehr auffälliger. Er 

kommt hauptsächlich durch die schwere Benetzbarkeit der Samen 


7 


zu Stande. 

Ein gleicher Versuch wurde mit den leicht und rasch an- 
quellenden Samen von Cucurbita Pepo durchgeführt. Drei der- 
selben hing man mittelst Drahtes vertikal so auf, dass blos das 
Nabelende in Wasser tauchte (B). Drei andere wurden in umge- 
kehrter Lage ebenso tief in das Wasser gesenkt (A). Das An- 
fangsgewicht von A betrug 0'853 Gr., von B 0'855 Gr. Aus 
Nachstehendem ersieht man die Gewichtszunahmen in Procenten 
des Anfangsgewichtes: 
A B ' Differenz 


Nach EEE EIERN 7200920702 
F e en E 53-8 Ton t 9-3 h 
5 SN e a rad nern 516 De 9'0 a 
FR S a u a a ee 
a ee a, I u 2.96 
BB St a IST ER. BOT. MNS 


Der Unterschied ist hier viel weniger auffallend. Er er- 


reicht sein Maximum mit 9'3% nach der 2. Stunde und wird 
dann allmälig kleiner, bis er nach 48 Stunden kaum mehr 2 % 
beträgt. 


Eng 


ans ugs ärgern og. ren ame nun oh eisen nme gene 


di 1 
Br 
2 
f 


10 


Einen dritten Versuch endlich nahm ich in der Weise vor, 
dass ich hundert Samen von Phaseolus vulgaris, und zwar einer 
kleinen, weisssamigen Varietät, am Hilum und an der Mikropyle 
mit Asphaltlack verschloss (A) und an weiteren hundert Samen 
die Asphaltfleckchen seitlich anbrachte (B). Beide Partien wur- 
den nun quellen gelassen und die vollständig angequollenen Samen 
‚nach -6, 12 und später nach je 24 Stunden abgezählt und ent- 
fernt; ihre Anzahl betrug: 

Nach 66 12 St ELSEITEAE EP BIEFTIT AT 10 T. 11T. 12 F 
bei, 39 BT Maod Arab 2 er: 1 1 
„BB (o AS, WETA O0 0 ee MI 


Die durchschnittliche Quellungsdauer belief sich demnach 
bei der ersteren Partie auf ungefähr 42 Stunden, bei der letzteren 
dagegen auf blos 12 Stunden. ' 


In einer sehr merkwürdigen Weise wird das Hilum in seiner 


soeben geschilderten physiologischen Function bei der Gattung 
Canna ersetzt. Die Samen dieses Genus sind ungefähr erbsen- 
gross und besitzen eine dunkelrothbraune, bisweilen fast schwarze 
Samenschale. Dieselbe ist von einer ausserordentlichen Härte und 
Festigkeit. Nach aussen begrenzt sie eine mächtig entwickelte 
Pallisadenschicht, deren Zelllumina sich nicht wie bei der Testa 
der Leguminosen in der unteren Hälfte schlauchförmig erweitern, 
sondern, abgesehen von einer kleinen knopfartigen Anschwellung 
am unteren Ende, durchaus spaltenförmig sind. Nach dieser folgt 
eine aus 5—6 Zelllagen bestehende Sklerenchymschichte, welche 
gleichfalls ein sehr dichtes Gefüge zeigt, und darunter vermitteln 


einige tangential gestreckte Zellreihen den Uebergang zur Farb- 
stoffschichte. Am Hilum, welches etwas lichter gefärbt ist, zeigt 
die Samenschale genau denselben Bau. Dicht daneben ist 
ein ganz kleiner, halbmondförmiger Spalt bemerkbar, die frühere 
Mikropyle. wer 


Schon mit freiem Auge nimmt man an der Oberfläche der 
Testa eine ganz feine Punktirung wahr. Es hat fast den An- 
schein, als wenn sie von einer Unzahl der feinsten Nadelstiche 
übersäet wäre. Unter dem Mikroskope bemerkt man nun, dass 


i 


11 


jedes dieser winzigen Grübchen einer Spaltöffnung entspricht '). 
An Querschnitten der Samenschale lässt sich darunter eine die 
ganze Pallisadenschichte durchsetzende verkehrt trichterförmige 
‚„Athemhöhle‘“ wahrnehmen, die nach unten bis in die Skleren- 
chymschicht reicht und sich hier ansehnlich erweitert. Am Hilum 
fehlen die Spaltöffnungen selbstverständlich. Sonst sind sie ganz 
gleichmässig über die Oberfläche des Samens vertheilt. Bei Canna 
maculata Lk. kommen ihrer 6 auf einen Quadratmillimeter, wor- 
aus sich die Gesammtanzahl der Spaltöffnungen eines Samens 
(wenn man letzteren als Kugel mit dem Radius = 3 Mm. ansieht) 
auf ungefähr 650—700 berechnet. | 

Dies sind nun die Canäle, durch welche der langsam quel- 
lende Cannasame das Wasser aufnimmt. Wir sehen hier die Spalt- 
öffnungen eine Rolle spielen , welche von ihren gewöhnlichen Auf- 
gaben ganz abweicht: sie treten in eine unmittelbare NE 
zum Quellprocess der Samen. 

Ein Analogon zu Canna bilden nach Schleiden die Früchte 
von Nelumbium speciosum. i 

Nachdem wir nun einige, das Anquellen des Samens be- 
schleunigende oder überhaupt erst ermöglichende Einrichtungen 
kennen gelernt, bleibt uns noch der Einfluss der sogenannten 


Quellsehichten mancher Samenhüllen zu besprechen übrig. 


Dieselben können bekanntlich aus der Epidermis der Samen- 
schale oder des Pericarps hervorgehen, sie können aber auch an 
‘ihrer Innenfläche auftreten. So ist bei vielen Leguminosen das 
rudimentäre Endosperm zu einer Quellschicht umgewandelt. Es 
lässt sich physiologisch überhaupt kein strenger Unterschied 
ziehen zwischen den auch anatomisch ausgezeichneten „Quell- 
schichten“ der Samenhüllen und den gewöhnlich gleichfalls stark 
quellungsfähigen Zellmembranen der eigentlichen Reservestoffbe- 
älter. — Ihre Hauptaufgabe besteht, wie schon oben betont 
wurde, nicht so sehr in einer Beschleunigung des Quellungspro- 


cesses, als vielmehr in der Sicherstellung desselben. Sie bewirken, 


dass das Anquellen des Embryo und das Durchtränktwerden der 


1) Es ist dies eine Entdeckung Schleiden’s; vergl, M, J. Schleiden 
und Th. Vogel „Ueber das Albumen, insbesondere der Leguminosen“, in den 
N. A. der Leop.-Car. Academie, 1838, Taf. XI, Fig, 9, 


12 


Reservestoffbehälter möglichst gleichmässig und ununterbrochen 
verläuft, sie schützen vor Austrocknung und verlangsamen die- 
selbe. Wie ansehnlich die Wassermengen sind, welche die Quell- 
schichten in sich aufzuspeichern vermögen, lehrt folgender Ver- 
such. Je hundert lufttrockene Samen von Linum usitatissimum, 
Salvia pratensis und Plantago Cynops wurden, nachdem sie genau 
abgewogen waren, zwischen nasses Filterpapier gebracht und 
nach einer Stunde wieder gewogen. Die Gewichtszunahme er- 


sieht man aus folgender Tabelle: 
Linum usitat. Salvia prat. Plantago Cynops 


Anfangsgewicht 1'048 Gr. Orl Gr. . 0'145 Gr. 
Gewicht d. angequollenen 

Samen nach 1 Stunde 2:070 0:370 0:730 
Die Gewichte verhalten 

sich daher wie: 132 1:3°2 1.9 


Ich muss hierzu noch bemerken, dass diese Zahlen jeden- 
falls etwas geringer ausfielen, als der thatsächlichen Gewichts- 
zunahme entspricht. Es liess sich nämlich bei der Entfernung 
der angequollenen Samen vom Fliesspapier nicht vermeiden, dass 
ein kleiner Theil der Gallerte an demselben haften blieb. 

In ähnlicher Weise wie die Quellschicht der Samenhüllen 
fungirt wohl unter Umständen auch das Fruchtfleisch der Beeren 
und anderer Früchte. Die Vögel machen wohl niemals reinen 
Tisch, auch gibt es Pflanzen, deren wenngleich saftige Früchte 
ihnen sicherlich nicht zusagen. In solchen Fällen dient das Frucht- 
fleisch als Wasserreservoir, welches bisweilen selbst das Keimen 
der Samen herbeiführen kann. Bei Viscum album ist dies sehr 
häufig zu beobachten. 

Bei der Besprechung des Einflusses der Samenhülle auf den 
Quellungsprocess darf auch die „Quellungsunfähigkeit“ 
mancher Samen nicht übergangen werden. Es ist eine den Land- 
wirthen schon längst bekannte Thatsache, dass der Kleesame 
häufig zu ganz beträchtlichen, Procentantheilen quellungsunfähig 
ist. Auch bei anderen Leguminosen, bei Melilotus, Medicago, Lu- 
pinus perennis und luteus, Vicia cracca, Ceratonia siliqua etc., fer- 
ner bei den gleichfalls mit einer mächtigen Pallisadenschichte ver- 
sehenen Samen der Cannaceen und Malvaceen tritt diese Erschei- 


13 


nung häufig auf. Ihre Ursache liegt meistentheils in der Be- 
schaffenheit der Testa, speciell der Pallisadenschichte. Verletzt 
man diese, so erfolgt in kürzester Zeit das Anquellen des Samens. 
Höhnel!) nimmt an, dass die Wandungen der Pallisadenzellen 
bei den quellungsunfähigen Samen der Leguminosen „eine eigen- 
thümliche Modification eingegangen sind, die sich chemisch durch 
die Gelbfärbung mit Schwefelsäure und Jod, und physikalisch 
durch grosse Härte und Festigkeit, sowie den Widerstand kenn- 
zeichnet, den sie dem Eindringen von Wasser entgegensetzt‘. 
Derselbe Experimentator fand ferner, dass die quellungsunfä- 


higen Samen von Lupinus perennis, Hedi sativa und Trifolium 


pratense absolut leichter, specifisch schwerer und daher kleiner 
sind, als die leicht quellungsfähigen. Für Lupinus perennis con- 
statirte er auch einen etwas grösseren Aschen- und Kieselsäure- 
gehalt der Testa. 

Man darf sich nicht vorstellen, dass der Gegensatz, um 
welchen es sich hier handelt, ein ganz unvermittelter sei; viel- 
mehr hat man es hier nur mit den beiden Extremen der Zeit- 
dauer zu thun, welche die Samen zu ihrem Anquellen erfordern. 
Zwischen diesen Extremen gibt es zahlreiche Mitteistufen, und 
von absolut quellungsunfähigen Samen kann überhaupt nicht 
die Rede. sein. Es erhellt dies sehr schön aus zahlreichen von 
Nobbe°) angestellten Keimungsversuchen, dem wir auch noch 
manche andere interessante Beobachtung über diesen Gegenstand 

verdanken. Einen dieser Versuche, welcher mit Samen von ko- 
Te pseudo-acacia durch 2 Jahre 8 Monate fortgesetzt wurde, 


und auch jetzt noch nicht abgeschlossen ist, will ich an dieser 


Stelle mittheilen. 

Am 13. April wurden je 400 Körner eines aus Darmstadt (4) 
"und eines aus Miltenberg (B) bezogenen Robiniensamens in Wasser 
gelegt, und am 15. April je 200 in den Keimapparat, 200 in 


Fliesspapier übertragen. Es keimten: 


1) „Ueber die Ursache der Quellungsunfähigkeit von Leguminosensamen 
ete.“, Wissenschaftl.-prakt. Untersuchungen auf dem Gebiete des Pflanzenbaues, 
RR REN von Friedr. Haberlandt, I. Bd. p. 80 ff. 

2) F, Nobbe und H. Hänlein, Ueber die Resistenz von Samen gegen 
die äusseren Factoren der Keimung, Landw. Versuchsstat,, 1877, H. 1, p. 71 ff. 


- 


14 


1874 1875 1876 
bis zum 10. 29. 152. 260. 341. 462. 605. 769. 853. 1012. Tage. Zus. Proc. 
4A EEZ Gu 20 rra 8 5 3 1.2.08 2 150 -37-5 
B 117 26 24 8 2 4 Dre 3 201 50 


Verfault waren bis zum 1012. Tage von A 33, von B 35 Proc. 
Aehnliche Resultate erhielt Nobbe für eine grosse Anzahl ver- 
schiedener Unkrautsamen, woraus er folgert, dass die hier zu er: 
örternde Eigenthümlichkeit eine viel allgemeiner verbreitete Er- 


scheinung ist, als man anfänglich vermuthete. 

Die Vortheile, welche eine solche Einrichtung — wir 
= wollen sie mit dem Ausdrucke Asymblastie!) bezeichnen — für 
das Pflanzenleben mit sich bringt, treffen zwar nur theilweise den 
Keimling, doch sollen sie hier des Zusammenhanges wegen voll- 
ständig geschildert werden. 

‚Schon Höhnel?) hat in Kürze auf die Beziehungen des 
rascheren oder langsameren Anquellens zur Keimfähiskeit 
der Samen hingewiesen. Ueber die Art derselben herrscht kein 
Zweifel. Die äusseren Einflüsse, welche für die Dauer der Keim- 
fähigkeit entscheidend sind, bestehen, wie schon früher hervorge- 
hoben und durch den Keimungsversuch mit Hanfsamen gezeigt 
wurde, hauptsächlich in dem mehr oder minder vollständigen 
Zutritt der atmosphärischen Luft, in ihrem wechselnden Feuchtig- 
keitsgehalte. Dass nun eine Samenschale, welche sich einer an- 
` deren gegenüber durch ihre ausserordentliche Resistenz beim 
Quellungsprocesse auszeichnet, schon früher die beiden vorhin 
genannten äusseren Factoren in einem höheren Masse unwirk- 
sam gemacht haben dürfte, als die Testa eines leicht quellungs- 
fähigen Samens derselben Art, dies kann wohl nicht bestritten 
werden. Mit anderen Worten: Je schwerer quellbar ein Same 
ist, desto länger behält er unter sonst gleichen Umständen seine 
 Keimfähigkeit; vorausgesetzt, dass die Ursache der schweren 
Quellbarkeit in der Samenschale liegt. Höhnel hat die Rich- 
tigkeit dieses Satzes für die Samen von Lupinus luteus und Vicia 
cracca auch experimentell dargethan. Auch die Thatsache, dass 
Samen, welche Jahrhunderte hindurch geschlummert, ihre Keim- 


1) PAusravsıy (Stamm: Blæst) keimen. 
Bk e E i 


15 


kraft dabei doch nicht einbüssten, wird derart dem Verständ- 


‚niss um Vieles näher gerückt. =- 


Derjenige Same, dessen einzelne Individuen nach verschie- 
denen Zeiträumen anquellen und keimen, wird bis zu einer be- 
stimmten Grenze in einem jeden der aufeinander folgenden Jahr- 
gänge eine bestimmte Anzahl von Keimpflanzen liefern, oder, 
was iiswelbe ist, durch die Keimpflanzen jeder einzelnen Vege- 
tationsperiode werden Samenkörner verschiedener Jahrgänge ver- 
treten sein. Wie vortheilhaft eine solche Einrichtung mit Rücksicht 
auf die natürliche Zuchtwahl sein muss, liegt auf der Hand: 
Das ihr zu Gebote stehende Material ist ein viel mannigfaltigeres, 


und der Erfolg demnach gesicherter. Dazu kommt der unschätz- 


bare Vortheil der Kreuzung von Pflanzen, deren Elterngenera- 
tionen verschiedenen Jahrgängen angehörten. Gerade mit Rück- 
sicht auf die vorletzte Publication Darwin’s ') gewinnt die Er- 


scheinung der Asymblastie ein erhöhtes Interesse. Ich muss mir 
das Eingehen auf diesen Gegenstand versagen, da derselbe bereits 


ausserhalb des Bereiches unseres Themas liegt. Nur das Eine 
will ich noch betonen, dass die Quellungsunfähigkeit der Samen 
so manchen Keimling oft durch lange Zeiten, Jahrzehnte, viel- 
leicht Jahrhunderte hindurch, dem Kampfe um’s Dasein entrückt, 
und ihm so über Zeiträume hinweghilft, die möglicherweise der 
Erhaltung der betreffenden Species sehr ungünstig waren. Gewiss 


sorgt die Natur auch auf die Weise für die Erhaltung der 


Pflanzenarten. 

Hinsichtlich des Einflusses der Samenhüllen auf das Aus- 
trocknen gequollener oder keimender Samen darf ich 
mich ganz kurz fassen. Die Verzögerung, welche dasselbe durch 
die Samenhülle erleidet, hängt natürlich ganz von dem anato- 
mischen Bau der letzteren ab und ist der Erhaltung der Keim- 
fähigkeit des Samens offenbar günstig. Lässt man beispielsweise 
gequollene Samen von Phaseolus vulgaris mit und ohne Samen- 


z 


. schale bei 20° C. austrocknen, so findet man, dass der Gewichts- J 


verlust in den ersten 12—15 Stunden für beide Fälle so. ziem- | 


i 1) Die Wirkungen der Kreuz- und Selbstbefruchtung im Pflanzenreich. 
Aus dem Engl. übersetzt von V. Carus, Stuttgart 1877, Vgl. hierzu p. 430 
dieses Werkes. - 


s en IT, an a ae — 


BERE 


16 


lich derselbe ist; erst wenn der Wassergehalt auf 80—40 % 
herabgesunken, macht sich Einfluss der Samenschale deutlich. 
bemerkbar, so dass nach 3mal 12 Stunden der entschälte Same 
nur noch ca. 2%, der ungeschälte noch 10—12 % Wasser ent- 
hält. Luftrockenheit tritt in ersterem Falle schon nach drei Tagen, 
in letzterem aber erst nach einer Woche ein. 

Als ein indirectes Schutzmittel der Keimpflanze erweist sich 
die Samenhülle dadurch, dass sie den osmotischen Austritt 
von Nährstoffen aus quellenden und keimenden Sa- 
men in mehr oder minder ausgiebiger Weise verhindert. Auch 
hier wird es von dem morphologischen Bau der Samenhüllen, 
der Natur und den Löslichkeitsverhältnissen der Reservestoffe 
und schliesslich von der Grösse des Samens abhängen, ob der 
gedachte Einfluss der Samenhülle thatsächlich von Bodeuse ist 
oder nicht. 

Es sei mir gestattet, zwei diesbezügliche Beispiele mitzu- 
theilen. 

Der Versuch wurde mit den Samen von Pisum sativum und 
den bespelzten Früchten von Avena sativa in der Weise durchge- 
führt, dass ich zunächst von jeder Samenart zwei Partien (A und 
B) genau abwog, sodann die Samenschalen und Spelzen der 
einen Partie (B) mit dem Skalpelle vorsichtig abschälte, Das 
Gewicht dieser letzteren wurde nun ebenfalls bestimmt. Die un- 
verletzten sowohl wie die geschälten Samen wurden dann mittelst 
einer Injections-Luftpumpe mit Wasser injieirt, damit einerseits 
die Lösung und das Austreten von Nährstoffen gleichzeitig be- 
ginnen und andererseits durch Entfernung der in den Samen vor- 
handenen atmosphärischen Luft kein das Versuchsergebniss be- 
einflussender Substanzverlust in Folge eintretender Keimung statt-_ 
finden könne. Beide Partien liess ich nun sammt den abgelösten 
Samenschalen und Spelzen anquellen und zwar in vier mit destil- 
lirtem und vorher ausgekochtem Wasser gefüllten Gläsern, welche 
je 35 Cub. Cm. fassten und mit Glasstöpseln wohl verschliessbar 
waren. Die Temperatur des Versuchsraumes schwankte zwischen 
16—18° C. Nach Ablauf von 24 Stunden wurde der Versuch 
unterbrochen und die Samen bei 100° C; getrocknet. Nachste- 
hende Tabelle enthält die Anfangs- und Endgewichte derselben. 


+ 


A (5 Samen) B (15 Körner) 
~ Anfg. Endg. Anfg. Endg. 
Pisum sativum 1'084 0:952 1:078 0:928 
Avena sativa 0-586- 0:515 0:530 0'459. 


Der Feuchtigkeitsgehalt der lufttrockenen Samen und Früchte 


betrug zu Anfang des Versuches für Pisum sat. 8:37 %, für Av. 


sativa 9'43 %. Der eigentliche Substanzverlust berechnet sich 


daher, ausgedrückt in Procenten des Trockengewichtes, bei 
A B 


Pisum sativum auf 341% 641% 
Avena sativa iea -2°68 lana 5 
Die entschälten Erbsen verloren also fast um das Doppelte, 
die entspelzten Haferkörner um ein Drittel mehr an Trocken- 
substanz, als die unversehrten Partien. 
Für die Samen und Früchte der Sumpf- und EUR AOEN 


ferner jene Samenindividuen der Landpflanzen, welche durch 
` strömendes Wasser verbreitet werden, fällt die biologische Be- 


deutung der soeben geschilderten Function der Samenhülle sehr 
in’s Gewicht. Fast scheint es, als ob Treviranus hieran ge- 
dacht habe, als er es in seiner „Physiologie der Gewächse“ (IL. B. 
p. 592) für bemerkenswerth fand, dass unter den Dikotyledonen 
namentlich die Wasserpflanzen, Nymphaea, Euryale, Trapa etc., 
ihre „Häute“ beim Keimungsvorgange intact erhalten, „indem sie 
dem Embryo durch die Nabelöffnung einen Ausgang gewähren.“ 
Die besprochene Leistung der Samenschale wird endlich auch all’ 
denjenigen Keimpflänzchen zu gute kommen, deren Reservestoff- 


© behälter im feuchten Erdreich ganz allmälig entleert werden. 


Bei den Samen von Soja hispida Mönch, einer in Ost- 
asien vielgebauten Leguminose, hält die Testa die Nährstoffe 
auch noch in einem anderen, buchstäblichen Sinne zusammen. 
Lässt man nämlich entschälte Sojabohnen anquellen, so zeigt 
sich, dass anfänglich am Rande der aleuronhältigen Kotylen ein- 
zelne Gewebsstreifen sich loslösen und losblättern, bald aber 
auch an vielen anderen Stellen der Keimblattoberfläche eine förm- 
liche Zerbröckelung des Gewebes eintritt. Bei einzelnen Varietäten 
sind es vornehmlich die der Insertionsstelle des Keimblattes be- 


nachbarten Partien desselben, in welchen Querspaltungen auf- 
G. Haberlandt, Schutzeinrichtungen der Keimpflanze. 2 


18 


treten; die Kotylen erscheinen wie abgebrochen. Gleichzeitig trübt 
sich Air Quellungswasser und wird in Folge der Emulsion des 
aus den zerrissenen Zellen austretenden fetten Oeles fast milchig. 
Eine Isolirung der Keimblattpar enchymzellen, hervorgerufen durch 
die etwaige Löslichkeit, der primären Zellmembranen in Wasser, 
findet ‚nicht statt. Untersucht man die Bruchflächen an darauf 
senkrecht geführten Schnitten unter dem Mikroskope, so findet 
man am Rande abwechsend bald unyerletzte, bald zerrissene 
Zellen vor, und gleichzeitig fällt Einem die grosse Zartheit der 
fast unverdickten Zellmembranen auf. Die ganze Er- 
scheinung ist demnach hauptsächlich auf Spannungsdifferenzen 
zurückzuführen, welche sich im Gewebe der anquellenden Keim- 
blätter einstellen, und denen die ausnehmend zarten Zellwan- 
dungen nicht widerstehen können. Sie’ unterbleibt aber, wenn 
man die Sojabohnen vorher in heissem Wasser gekocht kat die 
Zellwände sind resistenter geworden. Lässt man ungeschälte 
Bohnen in feuchter Erde keimen, so treten die Kotyledonen ganz 
intact aus der Samenschale hervor, ergrünen sehr lebhaft und 
werden zu den ersten Laubblättern des Pflänzchens. Es ist mir 
nicht zweifelhaft, dass es lediglich dem durch die Samenschale 
verursachten langsameren Anquellen der Keimblätter verbunden 
mit dem Gegendrucke, welchen die Testa auf die sich sonst los- 
blätternden Gewebspartien des Samens ausübt, zuzuschreiben ist, 
wenn die Keimblätter das Erdreich unversehrt verlassen. 
Versuche über das Keimen entschälter Samen hat man be- 
reits im vorigen Jahrhundert angestellt. Dieselben sind seit Du 
Hamel oftmals wiederholt worden, doch gelangte man zu nicht 
sehr übereinstimmenden Resultaten. Du Hamel selbst gibt an, 
dass die ihrer Schale beraubten Samenkörner sich nur selten ent- 
wickeln und meistens elende, krüppelhafte Pflanzen bilden. An- 
dere wieder constatirten blos eine Verlangsamung der Keimung, 
wie Lefebure bei Rettigsamen, oder selbst gar keine Benach- 
fheiligung der keimenden Pfänzchen, wie beispielshalber Glei- 


chen bei Pisum sativum. 3 


Er Ich habe mit der gem. Erbse zwei Versuche durchgeführt. 


‘) Ich citire hier nach den Angaben von Treviranus, l. c. p. 587. 


19 


Den ersten im März bei 12—18°C. in Gartentöpfen, den zweiten 
im Juni auf freiem, besonntem Lande. Jedesmal gelangten 10 
unverletzte und ebenso viele entschälte Samen zur Aussaat. Das 
erstemal wurde die Erde ziemlich stark feucht gehalten, beim 
zweiten Versuche wurde das betreffende Beet tagtäglich in der 
Frühe mässig begossen. Der Unterschied in den Versuchsergeb- 
nissen war höchst auffällig. Während die unentschälten Erbsen 


in beiden Fällen schön keimten, lieferten die geschälten Samen 


blos das zweitemal durchaus normal entwickelte, gesunde Pfänz- 
chen. Beim ersten Versuche aber durchbrach nicht ein einziges 
den Boden. Als ich dieselben nach drei Wochen ausgrub, waren 
die Kotyledonen fast vollständig verfault, ebenso das sonst ziem- 
lich kräftig entwickelte Wurzelsystem; die Plumula aber war 
ganz verkrüppelt. 

Man sieht aus dem Gesagten, dass nur bei sehr günstigen 
Keimungsbedingungen der Verlust der Samenschale keine üblen 
Folgen nach sich zieht. Wenn aber die Temperatur unter das 


Optimum sinkt, und auch die Feuchtigkeitsverhältnisse sich un- 


günstiger gestalten, so liegt die Gefahr des Zugrundegehens der 
entschälten Samen sehr nahe. | 

Ein Versuch, welchen ich mit den Samen von Phaseolus vul- 
garis anstellte, überzeugte mich, dass jener reichliche, ungehin- 
derte Luftzutritt, wie er bei entschälten und in lockerer, feuchter 
Erde oder zwischen nassem Filterpapier liegenden Samen sich 
einstellt, den Keimungsprocess namentlich dann in hohem Grade 
beeinträchtigt, wenn derselbe durch das Austrocknen der Samen 
wiederholt unterbrochen wird. — Eine grössere Anzahl geschäl- 
ter und ungeschälter Bohnen wurde zwischen nassem Filterpapier 
durch 24 Stunden quellen gelassen, dann auf trockenes Papier 
übertragen und so lange gewartet, bis die Samen vollständig luft- 
trocken waren, d. h. keinen Gewichtsverlust mehr zeigten. Dann 
wurden sie wieder zwischen nasses Fliesspapier gebracht, nach 
24 Stunden abermals dem Austrocknen preisgegeben und dieses 
Verfahren noch einigemale wiederholt. Nach jedesmaliger Aus- 
trocknung liess ich 10 geschälte und ebenso viele ungeschälte 
Samen zwischen feuchten Tuchlappen keimen. Es ergab sich 


dabei, dass die ersteren schon nach zweimaligem Austrocknen 


DR, 
a 


= EEE nn 


20 


ihre Keimfähigkeit gänzlich verloren hatten. Die Radieula wuchs 
nicht mehr normal weiter, sondern zeigte krankhafte Nutationen, 
indem sie sich entweder an der Spitze einrollte; oder nach rück- 
wärts einen Bogen von 180° beschrieb, so dass ihre Axe nun- 
mehr in der geraden Verlängerung der Keimblätter zu liegen kam. 
Diese letzteren waren bräunlich und brüchig geworden und zeigten 
unverkennbar die Spuren beginnender Zersetzung. Die Missfär- 
bung machte sich nicht nur an der Oberfläche der Kotylen gel- 
tend, sondern auch im Innern derselben. Bei den nicht geschälten 
Bohnen konnte der Keimungsprocess 3—4mal unterbrochen wer- 
den, ohne dass ihre Keimfähigkeit dabei Schaden litt. Die Haupt- 
wurzel starb zwar nach zweimaligem Austrocknen ab, doch bil- 
deten sich später aus dem hypokotylen Stengelgliede reichlich 
Adventivwurzeln. Sehr auffällig war der Unterschied in der Be- 
schaffenheit der Keimblätter. Gegenüber jener bräunlichen Fär- 
bung trat hier in Folge normaler Etiolinbildung ein gelblicher 
Farbenton auf. Auch waren die Kotylen im trockenen Zustande 
nicht brüchig, sondern ziemlich zähe und mit dem Messer gut 
schneidbar. 

Es ist nicht anzunehmen, dass solche Unterschiede blos 
durch das ungleich rasche Anquellen oder Austrocknen der Samen 
zu Stande kommen. Unzweifelhaft ist es der zu reichliche Luft- 
zutritt, durch welchen bei den geschälten Bohnen der Keimungs- 
process schliesslich zu einem Zersetzungsprocesse wird. Wenn 
sich die von Deherain und Landrin') ausgesprochene Vermu- 


thung, dass die Testa der Samen mehr Stickstoff als Sauerstoff 


durchlasse, bestätigen sollte, so würde dies mit den hier mitge- 
theilten Versuchsresultaten sehr gut stimmen. 

Zum Schlusse will ich noch einige Beobachtungen über 
den Einfluss der Samenschale auf die geotropischen 
Krümmungen der austretenden Radieula mittheilen. 

Die Versuche wurden hauptsächlich mit den Samen ver- 
schiedener Varietäten von Phaseolus vulgaris?) und zum Theile 


1) Recherches sur la germination, Annales des sciences naturelles Bot. 
E. XI Ba. > 

?) Es eignen sich hiezu nicht alle Varietäten gleich gut; von vorneherein 
lässt sich darübeı nichts Bestimmtes sagen, und darf man anfänglich Versuche 
mit unbestimmten Ergebnissen nicht scheuen, 


21 


auch mit Pferdebohnen angestellt. Zu den Wachsthumsversuchen 
in feuchter Luft diente mir ein Glascylinder von 8 Cm. Höhe und 
15 Cm. Breite. An seiner Innenfläche waren in einer Höhe von 
5 Cm. kleine Korkstückchen mit Siegellack festgeklebt. Die 
Samen selbst spiesste man auf 4 Cm. lange Messingnadeln und 


steckte dann die letzteren in den Kork. Es konnten derart die 


einzelnen Samen mit Leichtigkeit in die gewünschte Lage ge- 
bracht werden. Das vorhergängige Einweichen der Samen nahm 
bei Ph. vulgaris 12, bei Vicia faba 24 Stunden in Anspruch; es 
wurde dazu Hochquellwasser verwendet. Die Temperatur, bei 
welcher das Anquellen erfolgt, ist für das Gelingen des Versuches 
durchaus nicht gleichgiltig; wenn dieselbe 18—24° C. beträgt, 
wie dies zur Sommerszeit in den Laboratorien gewöhnlich der 
Fall ist, so erfahren die Samen schon eine Schädigung; die aus- 
tretende Radicula führt, wenn auch nicht immer sehr auffällige, 
krankhafte Nutationsbewegungen aus, welche den Einfluss der 
Samenschale auf ihre geotropischen Krümmungen meist voll- 
ständig verdecken. Die Temperatur des Quellwassers darf des- 
halb nicht höher steigen, als bis auf 10—15° C. Da dies die ge- 
wöhnliche Kellertemperatur ist, so kann diese Bedingung auch 
im Sommer leicht erfüllt werden. Die günstigsten Resultate er- 
zielte ich, wenn die Samen von einem continuirlichen Strahle unse- 
res Hochquellwassers (Temp. 8-9° ©.) überrieselt wurden. — Das 
Loslösen der Samenhülle geschah mit grösster Vorsicht und stets 


erst nach erfolgtem Anquellen des Samens. Es wurde dabei der 


letztere nicht ganz entblösst, sondern nur die Region der Radi- 
cula blossgelegt. Nachdem das Gefäss, dessen Boden mehrere 
Millim. hoch mit Wasser bedeckt war, die zum Versuche bestimm- 
ten Samen aufgenommen hatte, wurde es erst mit einigen Lagen 
durchnässten Filterpapieres und dieses mit einer durchlöcherten, 
runden Glasplatte bedeckt. Mehrere bis auf den Boden des Ge- 
fässes reichende Papierstreifen erhielten jene Lagen stets gleich- 
' mässig feucht. Der ganze Apparat wurde schliesslich in den ver- 
dunkelten Raum eines Warmkastens gebracht, dessen Temperatur 
auf jeder beliebigen Höhe constant erhalten werden konnte. 

Zu den Wachsthumsversuchen in lockerer Erde benützte ich 
ein kleines Holzkästchen, dessen eine Seitenwand aus Glas war 


m e i ean ions 


22 


und sich etwas überneigte. In einer Höhe von 3—4 Cm. wur- 
den die Samen horizontal dicht an die Wand gelegt; so dass die 
wachsende Wurzel sich an dieselbe anschmiegte und leicht zu 
beobachten war. | 

Die Längenmessungen des jungen hypokotylen Stengelgliedes 
und der Wurzel wurden mittelst eines schmalen Millimeterpapier- 
streifens vorgenommen. Bei den ungeschälten Bohnen liess sich 
das obere Ende des Stengels selbstverständlich nur annäherungs- 
weise bestimmen. Nach einiger Uebung geschah dies mit einer 
für derlei Zwecke hinreichenden Genauigkeit. Zur Bestimmung 
der Krümmungsradien und der dazu gehörigen Bogengrade, als 
Mass für die Intensität der Krümmung, benützte ich ein dünnes 
Glimmerblättchen, in welches je 1 Mm. von einander entfernte 
concentrische Halbkreise und in Abständen von je 10° auch die 
Radien eingeritzt waren. Ihre Länge betrug 2—15 Mm. Die in 
den nachfolgenden kleinen Tabellen angegebenen Krümmungs- 
radıen beziehen sich auf Bögen, welche von der Axe des betref- 
fenden Organs gebildet werden. Z bedeutet überall die Länge 
dieses letzteren in Millim., R den annähernd kleinsten Krüm- 
munssradius, B die ungefähre Anzahl der Bogengrade. +) 

Unter den zahlreichen Versuchen, welche ich anstellte, und 
deren Ergebniss der Hauptsache nach stets dasselbe war, seien 
hier blos einige angeführt: i 

f 

Ph. vulgaris, kleine weisse Varietät. Lage des Samens: 

Mediane vertical’), Radieula horizontal, unten. Temp. 18° C. 


Medium: feuchte Luft. 
Geschält Ungeschält 
ar L R B 
Nach 3 Tagen 9 5 
Ari 12 7 40 


1) Wie aus dem Vorstehenden ersichtlich ist, befolgte ich im Wesentlichen 
dieselben Untersuchungsmethoden, welche Sachs in seiner bekannten Abhand- 
lung „Ueber das Wachsthum der Haupt- und Nebenwurzeln* (Arbeiten des Bot. 
Instit, in Würzburg, I. Bd. p. 385 ff.) angegeben. 

2) Unter der Mediane des Samens oder Keimlings verstehe ich mit Sachs 
jene mit der Berührungsfläche der Kotylen zusammenfallende Ebene, durch 
welche der Embryo in zwei, wie Bild und Spiegelbild sich verhaltende Hälften 
getheilt wird. 


ey SS 


93 


2. 
Ph. vulg., mittelgrosse, schwarze Varietät. Lage des Samens 
und Medium wie vorhin. Temp. 26° C. 
Geschält | Ungeschält 
L R B L R B 
Nach 24 Stunden 10 TATAE AEO] Khan A 70 
Seen 18 9 40 17 5 60 


3. | 
Ph. vulg., grosse, weisse Varietät. Lage des Samens: Me- 


diane horizontal, Radieula seitlich. Temp. 18° C. Medium: 
feuchte Luft. 


2 


Geschält Ungeschält 
L R B L IEN 
Nach 48 Stunden 16 5:5 90 EO 
a T ka 27 6'0 70 24 45 90 
a | | 
Ph. vulg., mittelgrosse, lichtbraune Varietät. Lage des Sa- 
mens und Medium wie vorhin. Temp. 25° C. 


:Geschält Ungeschält 

L R B L R B 

Nach 24 Stunden 10 5 0° ` — — — 

M SEa C oh Ritou C plagg siegt sp 
D; 


Ph. vulg., mittelgrosse, weisse Varietät. Lage des Samens 
wie vorhin. Medium: Lockere Erde. Temp. 20" C. 


Geschält Ungeschält 
L R BER L R B 
Nach 2 Tagen 9 7 50 "8 4 70 


rg: me 0 HB Burg 


Aus all’ diesen Angaben erhellt auf das deutlichste dass 
die Intensität der geotropischen Krümmung des hypo- 
kotylen Stengelgliedes'), sowie der Hauptwurzel — 


Wurzel: sie ist positiv geotropisch. Erst später, wenn die Kotylen aus der Erde 
gehoben werden, zeigt sie negativen Geotropismus. Es ist dies eine interes- 
sante Anpassungserscheinung, welche offenbar dem Bedürfniss der Keimpflanze, 
sich so rasch als möglich im Boden zu befestigen, entsprungen ist. Ausführ- 
licheres hierüber werde ich an einem anderen Orte mittheilen. 


1) Die hypokotyle Axe verhält sich in der ersten Zeit genau so wie eine | 


— 


\ 


Be 


2 ` 


in den ersten Tagen der Keimung wenigstens — bei unge- 
schälten Bohnen eine viel stärkere ist, als bei ge- 
schälten. Die auffallenden Unterschiede in der Länge der 
Krümmungsradien und der Grösse der dazu gehörigen Bogen- 
grade schliessen jeden Zweifel hierüber aus. Wenn man die be- 
treffenden Keimlinge vor sich hat, so genügt übrigens schon ein 
einziger Blick, um diese Unterschiede sofort wahrzunehmen. 

Es frägt sich jetzt nur: auf welche Weise ist dieser die In- 
tensität der geotropischen Krümmung verstärkende Einfluss der 
Samenschale zu erklären? Nachfolgende Sätze , welche ich der 
vorhin eitirten Abhandlung von Sachs entnehme ‚ sind zur Er- 
klärung der geschilderten Thatsache vollkommen ausreichend. 


Der eine ') lautet: „Querzonen von gleicher Entwickelungs- 
phase erfahren verschiedene Krümmungen während derselben Zeit, 
‚wenn sie mit der Verticalen verschiedene Winkel bilden, und 
zwar so, dass die Krümmung um so stärker ausfällt, je mehr 
sich dieser Winkel, den ich allgemein den Ablenkungswinkel 
nennen will, einem Rechten nähert; ist also der Ablenkungs- 
winkel ein Rechter, so tritt das Maximum der Wachsthumsdif- 
ferenz der Ober- und Unterseite, also die stärkste Krümmung ein.“ 

Die zweite Stelle °?) betrifft die Wirkung seitlichen Druckes 
auf die wachsende Region der Wurzel: „Werden Keimpflanzen 
von Pisum, Phaseolus, Faba, Zea in feuchter Luft so befestigt, 
dass die 10—30 Mm. lange Wurzel horizontal schwebt und wird 
dann neben jeder Wurzelspitze eine Stecknadel oder ein Holz- , 
stäbchen so befestigt, dass die Wurzel einen merklichen Druck | 


f 


erleidet, so erfolgt gewöhnlich binnen 8—10 Stunden oder- später | 


eine Krümmung innerhalb der wachsenden Region, so. dass die) 
der Nadel anliegende Stelle concav erscheint... .“ ; 


Was nun die Anwendung des ersten Satzes anlangt, so ist 
folgendes zu berücksichtigen: Bei den Papilionaceen durchzieht 
der Riss der gesprengten Samenschale die Mikropyle, und das 
ganze Stück der austretenden Radieula von der Insertionsstelle 
der Kotylen bis zu diesem Risse — ein Stück also, welches in 


IY I.ue. ‚P dad, 
1 ce p. 437, 


25 


seiner Länge der Anfangslänge der Radieula gleichkommt — 


wird bei horizontaler Lage des Samens an der Abwärtskrüm- 


mung verhindert. Die Testa hält es wenigstens einige Zeit hin- 
durch in horizontaler Lage fest. Bei entschälten Samen dagegen 
senkt sich vermöge der eigenen Schwere schon dieses Stück in 
einem sehr flachen Bogen gegen die Verticale, und beim Zustande- 
kommen der eigentlichen Krümmung sind also die Ablenkungs- 
winkel verschieden gross. Dort ist es ein rechter, hier ein mehr 
oder weniger spitzer Winkel, welcher die geotropische Krüm- 
mung der wachsenden Radicula in der oben angegebenen Weise 
beeinflusst. 


Das Gesagte gilt natürlich nur für die horizontale Lage des 


amens. Von grösserem Belange ist aber der mechanische 


Reiz, welchen die Samenhülle auf die wachsende Region der 
Radicula ausübt, und welcher die Intensität ihrer geotropischen 
Krümmung bei jeder beliebigen Lage des Samens verstärken 
muss. Mag die ursprüngliche Richtung ihres Austrittes was immer 
für eine und der Reiz auch anfänglich und an und für sich am 
ganzen Umfange der wachsenden Region der Wurzel derselbe 
sein, so wird doch letztere mit der ersten Regung des positiven 
Geotropismus an ihrer Unterseite stärker an den Rand der Sa- 
menschale gepresst als mit der Oberseite, der Reiz also einseitig 
verstärkt. Es trifft eben schon hier dasjenige zu, was Sachs 
erst für die Reizungserscheinungen der im Erdreich wachsenden 
Wurzeln betont hat.!) — Wie energisch nun dieser Reiz wirken 
kann, sieht man besonders deutlich an keimenden Pferdebohnen. 
Bringt man die angequollenen Samen in feuchte Luft und zwar 
derart, dass die Mediane des Samens vertical steht, das Hilum 
seitlich und die horizontale Radicula nach unten zu liegen kommt, 
so bildet der untere Theil der Samenschale nach ihrer Sprengung 
eine kleine horizontale Rinne, in welcher die junge Wurzel vor- 


1) 1. ce. p. 456. „Die in der Erde wachsende Wurzel kann ihre anfangs 
entstandene Krümmung später nicht abflachen, weil die Erde die entsprechende 
Bewegung des vorderen Stückes hemmt; es kommt aber, wie es scheint, noch 
eine andere Krümmungsursache in’s Spiel, welche die geotropische Krümmung 
unterstützt, nämlich die stärkere Reibung, welche die concave Seite der Wurzel 
an den Erdtheilen erfährt.“ 


26 


geschoben wird; 2—3 Mm. hinter dem Wurzelende erfolgt dann 
eine so lebhafte Krümmung derselben, dass sich binnen kurzer 
Zeit um den Vorderrand jener Rinne nicht selten eine vollkom- 
a mene Schlinge bildet. Fig. 1 bringt 

diese Verhältnisse zur Anschauung. 4 

stellt einen ungeschälten, B einen der 

| Testa theilweise beraubten Keimling 

von Vicia faba vor. Die Zeichnung 

ana fabas EA een t N wurde nach dreitägiger Keimungsdauer 
and C E i angefertigt. 
Offenbar genau denselben Krümmungsvorgang hat Sachs 

an keimenden Eicheln beobachtet. Er sagt darüber 1. c. p. 404 
folgendes: „Eine (der Nutation) ähnliche Erscheinung glaubte 
ich anfangs bei den keimenden Eicheln zu bemerken ‚ die hori- 
zontal auf Sand, Erde oder Sägespänen liegend, ibre austrei- 
bende Wurzel nicht sofort senkrecht hinabsenden; vielmehr 
schmiegt sich dieselbe gewöhnlich der Rundung der Fruchtschale 
dicht an, um erst später abwärts zu wachsen.“ Sachs lässt 
. jedoch die Frage nach der Ursache dieser Erscheinung uner- 
ledigt. 
Der Einfachheit wegen habe ich bei der vorstehenden Aus- 
einandersetzung angenommen, dass die Radicula weder hinsicht- 
lich ihrer Empfindlichkeit gegenüber dem Einflusse der Schwer- 
kraft, noch mit Rücksicht auf ihre Reizbarkeit durch seitlichen 
Druck, ein bilaterales oder dem bilateralen ähnliches Verhalten 
zeige. Diese Annahme war um so mehr gestattet , als es sich, falls 
eine solche Bilateralität wirklich vorhanden sein sollte, doch nur 
um graduelle Unterschiede in der Empfindlichkeit handeln 
könnte. — Bei all’ denjenigen Samen, deren Gestalt kein Hin- 
derniss bildet, dass dieselben in den verschiedensten Lagen keimen, 
und deren Samenhülle an und für sich einen allseits ziemlich gleich- 
mässigen Reiz auf die sich krimmende Waurzelregion ausübt, ist 
eine derartige Bilateralität in hohem Grade unwahrscheinlich, denn 
hier fehlt eben jede Veranlassung dazu. Mit jenen Samen hin- 
gegen, welche plattgedrückt sind, und bei welchen die Durch- 
 bruchsstelle der Testa einen durch Dehiscenz gebildeten Spalt 
vorstellt, liessen sich möglicherweise Versuche anstellen , welche 


27 N 


hinsichtlich der Auffindung des vorhin angedeuteten Verhaltens 
von Erfolg begleitet wären. So wird z. B. die Radieula des kei- 
menden Kürbissamens immer nur rechts und links von der Median- 
ebene des Keimlings durch Druck gereizt und ist demnach a i 
eine erhöhte Empfindlichkeit dieser Seiten nicht unwahrschein- | 
lich. Ebenso wären es bei der natürlichen Aussaat plattgedrück- I 
ter Samen fast immer nur zwei bestimmte Seiten der Radicula, N | 
durch deren beschleunigtes und resp. verzögertes Wachsthum die 
geotropische Krümmung zu Stande käme. Diese stete Bevorzugung Se IE 
müsste dann zu einer erblichen Steigerung der geotropischen Em- | 
pfindlichkeit führen. — Man sieht aber auch sofort, dass es sich 
hier nicht um gewöhnliche Bilateralität handeln würde, 
sondern dass man es mit kreuzweise orientirten und verschie- 
den empfindlichen Partien der Wurzel oder des hypokotylen Sten- 
gelgliedes zu thun hätte. — 

Die Riehtung der aus einem Be kenn Radicula 
wird demnach — wenn ich das Hauptergebniss nochmals kurz zu-’ 
sammenfasse — nicht nur durch das von der Lage des Samens CH 
abhängige Mass der geotropischen Ablenkung und durch die 
Natur des den Keimling umgebenden Mediums) (Luft, Wasser, 
Erde) bestimmt, sondern ausserdem noch durch die. 
Grösse des mechanischen Reizes, welchen die Samen- 
hülle auf die wachsende Region der Wurzel ausübt. 
Da aber die Reizbewegung stets im Sinne der geotropischen 
Krümmung erfolgen muss, so verstärkt sie diese letztere. °) 

Bei den Vortheilen, welche dem Keimpflänzchen aus einer 
möglichst raschen Befestigung im Boden erwachsen, ist dem im ’ 
Vorstehenden erörterten Einfluss der Samenhülle auch eine bio- 

‘logische Bedeutung nicht abzusprechen. 


a Dunn 


1) Vgl. Sachs, l e. p. 444 ff. 
2) Auf die oben zuerst geschilderte Ursache dieser Verstärkung kann hier, 
da sie blos für eine gewisse Lage des Samens gilt, nicht Rücksicht genommen 


werden, 


ir 


Zweites Capitel. 


Doppelte Bedeutung der Reservestoffe für die Keimpflanze. — Bisherige Unter- 
suchungen. — Die Reservestoffe als Schutzmittel. — Beschreibung 
eines Anbauversuches mit ganzen und halbirten Weizenkörnern; Unterschiede 
in der Ausbildung und im relativen Chlorophyligehalte der Pfänzchen. — 
Sicherste Ausnützung und Unterbringung der Reservestoffe; Beispiele. — An- 
gabe der Ursachen, weshalb die Samen vieler Pflanzen nur wenig Reservestoffe 
enthalten; die phanerogamen Schmarotzer und Humusbewohner. 


Als das wichtigste Schutzmittel des jungen Pflänzchens sind 
die im Samen aufgespeicherten Reservestoffe anzusehen. Doch 
hiesse es die biologische Bedeutung derselben einseitig auffassen, 
wenn man sich nicht vorerst die Frage vorlegte, ob die von der 
Mutterpflanze dem Keimling mitgegebenen Nähr- und Baustoffe 
in seiner Entwicklung nicht auch noch eine andere Rolle spielen, 
als die eines blossen Schutzmittels. 

Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese Frage bejaht werden 
müsse. Selbst der weitest entwickelte Embryo ist noch lange nicht 
so vollkommen ausgerüstet, dass er unter die Bedingungen der 
Nährstoffaufnahme und der Assimilation gebracht, sich ohne 
weiteres selbständig zu ernähren vermöchte. Die hiezu nothwen- 
digen Organe sind sowohl aus anatomischen als auch aus physio- 
logischen Gründen noch nicht functionsfähig und der Keimling 
müsste unfehlbar zu Grunde gehen, wenn ihm nicht die zur Aus- 
bildung derselben nöthigen Baustoffe in unmittelbar verwendbarer 
Form zu Gebote stünden. Es kommt hier nicht darauf an, wo 
diese Baustoffe abgelagert sind. Möglicherweise kann eine ganz 
ausreichende Menge derselben im Zellgewebe der einzelnen noch 
unentwickelten Organe des Keimlings selbst dann vorhanden 
sein, wenn diese Organe sonst nicht als eigentliche „Reservestoff- 
behälter“ gelten. Aus der Möglichkeit, den vom Endosperm los- 


x 29 


. getrennten Embryo eines Roggenkornes zu einem bewurzelten und 


ergrünten Pflänzchen heranzuziehen, darf selbstverständlich durch- 
aus nicht gefolgert werden, dass hier die Entwickelung unabhängig 
von den im Samen aufgespeicherten Nähr- und Baustoffen vor 
sich ging. Jede Zelle des Embryo enthält eben solche Stoffe in 
reichlicher Menge. 


Bis zur Ausbildung functionsfähiger Wurzeln und Blatt- 
organe und eben behufs dieser Ausbildung sind also die „Reserve- 
stoffe“ für das keimende Pflänzchen unumgänglich noth- 
wendig. Der Rest wird Schutzmittel. 


Auf diese doppelte Bedeutung der Reservestoffe hat Sachs 


schon in seiner mehrfach eitirten Abhandlung über die Keimung 
der Schminkbohne hingewiesen '), Er fand, dass, wenn man einem 
trockenen Keime von Phaseolus multiflorus beide Kotyledonen ab- 
bricht und ihn dann in feuchte Erde steckt, das Wachsthum des- 
selben nur kurze Zeit hindurch andauert — er erreicht eine Länge 
von blos 2 Centimeter — und dass sich dabei nicht einmal die 
Primordialblätter entfalten; wenn man blos einen Kotyledon ab- 
bricht oder die Bohne in der Mitte quer durchschneidet, ohne die 
Keimwurzel zu beschädigen, so bleibt die Pflanze zwar klein, doch 
gesund und wachsthumsfähig. Wird eine derartige Operation an 
bereits keimenden Bohnen durchgeführt, so macht sich der Effect 
in sehr verschiedenem Grade geltend, je nach dem Entwickelungs- 
zustande, in dem sich der Keimling zur Zeit der Operation be- 


findet; je jünger der Keim, desto störender wirkt sie. Sachs fol- > 


gert hieraus, dass der Uebertritt der Nahrungsstoffe aus den Koty- 


ledonen in die Pflanze eine verschiedene Bedeutung hat in den. 


ersten und in den letzten Stadien der Keimung; „in den ersten 


Stadien ist die Pflanze von diesen Assimilationsprodueten der | 
Mutterpflanze ganz und gar abhängig; in den letzten Stadien hin-, 


gegen dienen dieselben nur dazu, ihr mehr Kraft zu geben“. 


Allerdings ist hiemit der Zeitpunkt dieses Wechsels der 


Function nicht näher präeisirt, auch nicht hervorgehoben, dass die 
der Ausbildung functionsfähiger Nährorgane dienenden Stoffe nicht 


gerade aus den eigentlichen Reservestoffbehältern zu stammen 


repusi, 


EEE GETTTRENE eich 


30 


brauchen; nichtsdestoweniger ist es schwer begreiflich, wie der 
jüngste Experimentator über diesen Gegenstand, Th.Bloeiszewski, 
in seiner diesbezüglichen Abhandlung ') den letzteren Punkt voll- 
ständig übersehen und die doppelte Bedeutung der Reservestoffe 
leugnen konnte. Weil es ihm, wie er behauptete, gelungen ist, aus 
Mais-, Häfer- und Roggenkeimlingen, welche er vom Endosperm 
loslöste, ja selbst aus keimblattlosen Embryonen der Erbse und 
Lupine vollständig sich entwickelnde Pflanzen heranzuziehen, 
welche selbst blühten und reife Früchte und Samen wagen, glaubt 
p 


er sich zur Annahme berechtigt, dass die Reservestoffe des Sa- 
mens einzig und allein zur Kräftigung der Keimpflanze dienten. 


Die Resultate seiner Anbauversuche führen zu etwas An- 
derem als zu dieser irrthümlichen Schlussfolgerung. Sie geben 
annähernd Aufschluss über das Mengenverhältniss, in dem der 
eine Theil der Reservestoffe, welcher die Bedeutung unumgäng- 
lich nothwendiger Baustoffe hat, zu dem anderen Theile derselben 
steht, welchem die Aufgabe eines Schutzmittels zukommt. Vorher 
aber mögen jene Versuchsresultate selbst, und hieran anschliessend 
auch die von anderen Autoren erzielten Ergebnisse, etwas einge- 
hender mitgetheilt werden. 

‚Blociszewski führte seine Versuche theils im Labora- 
torium, theils in einem Versuchsgarten durch. Diese zweite Reihe 
interessirt uns namentlich. Vom Mais und Roggen gelangten 
Embryonen zur Aussaat, die mit dem Ganzen, dem Halben, dem 
Viertel des Endosperms versehen und schliesslich solche, die ganz 
endospermlos waren; vom Hafer ganze Körner und nackte Em- 
bryonen. Die Keimlinge der Lupinen, Erbsen und des Wiesen- 
 klees (Tr. pratense) wurden in verschiedenster Weise verstümmelt; 
man raubte ihnen beide Kotyledonen oder nur einen, oder hal- 
birte sie durch Quer- und Medianschnitte. Aehnlich verfuhr Blo- 
ciszewski mit dem Samen von „Brassica rapus. Der Verstüm- / 
melung ging stets ein 16—20stündiges Einweichen in Flusswasser| 
von circa 18° C. voraus. : 


1) Physiologische Untersuchungen über die Keimung und weitere Ent- 
wickelung einiger Samentheile bedecktsamiger Pflanzen. Landw. Jahrbücher, 
herausg. von Nathusius und Thiel, V. Bd. 1876, pag. 145 ff. 


A 


öl 


Der Anbau wurde fast gleichzeitig auf je 1 [Meter grossen 
Beeten vorgenommen — eine nähere Zeitangabe fehlt — und jede 
Parcelle täglich zweimal begossen. Die ihrer Kotyledonen be- 
raubten Lupinenkeime wurden anfänglich in Sägespänen gezogen 
und erst später auf's freie Land verpflanzt. Die grossen Unter- 
schiede, welche sich in den ersten Entwickelungsstadien der 
jungen Pflanzen zeigten, verschwanden in den folgenden Perio- 
den allmälig. Einige der ihrer Reservestoffe zum Theil beraubten 
Pflanzen unterschieden sich in der Periode des Reifens gar nicht 
von den normalen, andere bedeutend. Die Blüthenperiode trat 
bei jenen um 2—3 Tage später ein, als bei den normalen Pflanzen. 
Doch vermisst man auch hier nähere Zeitangaben. — In einer 
Tabelle werden nun die Versuchsergebnisse übersichtlich zusam- 
mengestellt, von welchen ich hier die für den Roggen und die 
Erbse angegebenen folgen lasse: 


Aehnliche Resultate will der Verfasser mit Mais und Hafer 
erzielt haben. 


Die vorstehenden Zahlen sind nun ebenso überraschend, als 


es, wenn man ganz objectiv sein will, schwer ist, an ihnen eine 


Kritik zu üben. Denn wenn es auch weder mir noch Anderen 
‚bis jetzt gelungen ist, die vom Endosperm losgetrennten Keim- 
linge unserer Getreidearten. zu lebenskräftigen Pflanzen aufzu- 
ziehen, so lässt sich dagegen immerhin einwenden, dass bei der 
ausserordentlichen Empfindlichkeit solcher Keimpflänzchen der 
geringste Mangel an Vorsicht oder ein an sich unbedeutender 


a y %.. der sich x Gewicht d. Pfl I 
Angabe der einge- | % der auf- a aaen Höhe der auf 100 Gewichts-, 
pflanzten Samen- gegangenen | sckelnden | Pflanzen jtheile der eg 
> 3 aus 
theile. Pflanzen Pfianen in Cm. "Rees 
Roggen | 
N. Embryonen . . 58 42 106 - 56°41 
Halbirte Körner. . 90 303 142 (?) 83:20 
Ganze Körner . . 92 90 145 100 
Erbse 
Beider Kotylen be- < 
raubte Keimlinge . 38 32 120 (?) 36:61 
|Quer halbirte Samen 90 86 TERRAE) 11:86 
Ganze Samen . . 94 92 . 124 | 100 


zen a 


32 


Zufall den günstigen Ausgang der Cultur vollkommen vereiteln 
kann. Man mag übrigens von den En dresultaten Blocisz ewski’s 
wie immer denken, uns handelt es sich hier blos um das Eine, 
ob nämlich aus seinen Versuchen mit Sicherheit hervorgeht, dass 
die ihrer Reservestoffe zum grössten Theile beraubten Samen- 
körner nichtsdestoweniger Keimpflanzen liefern, welche sich selbst- 
ständig zu erhalten im Stande sind. Und dies darf unbedenklich 
zugegeben werden. 

Der Versuch mit den ihrer Kotylen beraubten Erbsenkeim- 
lingen findet sein Seitenstück in einem von Bonnet!) ausgeführ- 
ten Experimente, welches derselbe mit den Samen der Schmink- 
bohne angestellt hat. Er beraubte die angequollenen Keimlinge 
ihrer Kotylen und pflanzte am 10. August eine Anzahl davon in 
ein Gefäss mit Gartenerde. Die kleinen Primordialblättchen wur- 
den unbedeckt gelassen. Der Versuch fiel günstig aus. Die Keim- 
linge schlugen Wurzeln und entfalteten nach 12 Tagen auch ihre 
Blätter. Nach einiger Zeit verpflanzte Bonnet die allerdings 
zwerghaft gebliebenen Pflänzchen in’s Freie, wo sie am 19. Octo- 
ber zu blühen anfingen. Ihre Höhe betrug in diesem Entwicke- 
lungsstadium 2 Zoll, die Länge des grössten Blättchens mass 
17 Linien, die Breite 7 Linien. Die Blüthen waren verhältniss- 
mässig gross, doch kam es wegen der eintretenden Kälte nicht 
zur Samenbildung. 

Ich selbst benützte die Früchte der Sonnenblume zu dem 
gleichen Versuche. Dass sich dieselben hierzu besonders eignen 
dürften, ergab sich aus den Beobachtungen van Tieghems?), 
welcher die Radieula (Länge 0°5 Mm.), das kurze hypokotyle 
Stengelglied (tigelle, L. 1 Mm.) und die Kotylen von Helianthus- 
keimlingen getrennt auf feuchter Watte bei 22—25° keimen liess. 
Die Würzelchen verlängerten sich innerhalb 24 Stunden auf 8— 
11 Mm. und bildeten lange Wurzelhaare, doch keine Nebenwurzeln. 
Das hypokotyle Stengelglied erreichte nach 3 Tagen eine Länge 
von 15—20 Mm., ohne weiterzuwachsen. Bei einem anderen 
Versuche wurde nach Entfernung der Keimblätter das Würzelchen 

1) Recherches sur l’ usage des feuilles, 1754, p. 239. - 


?) Recherches physiologiques sur la germination, Ann. des Se. nat. 5. S. 
EXV ESS p. 206 1. 


33 


von dem hypokotylen Gliede nicht getrennt. Nach 6 Tagen er- 
reichte letzteres eine Länge von 20 Mm., ersteres eine solche von 


20—25 Mm. Eine weitere Entwickelung fand nicht statt. Das 


Pflänzchen ging zu Grunde, ohne seine Terminalknospe (gemmule) ` 


entfaltet zu haben. 

Am 22. März steckte ich 30 ihrer Keimblätter beraubte 
Helianthuskeime vertical in einen mit feingesiebter lockerer Gar- 
tenerde ‘gefüllten Topf und bedeckte sie mit einer ungefähr 
3 Mm. dicken Erdschichte. Schon nach wenigen Tagen hatten 
sich die hypokotylen Keimaxen so weit verlängert, dass sie über 


die Erde hervorragten und alsbald, wie die unversehrten Keim- 


linge zu nutiren begannen. ') Von nun an ging das Wachsthum 
— die Temperatur im Gewächshause betrug 16—22°C. — sehr 
langsam von statten, doch entwickelte die Mehrzahl der Pfänz- 
chen ihre Knospenanlagen weiter und bildeten ein erstes Laub- 


blattpaar. Am 10. Mai waren noch 5 Pflanzen am Leben. Sie be- 


sassen 6-8 Laubblätter und erreichten eine Höhe von 2°5-3-5 Om. 
Die an dem kräftigst entwickelten Pfänzchen vorgenommenen 
Messungen ergaben Folgendes: 


Länge der Hauptwurzel............2.... - 38 Mm. 
»i des hypokotylen Gliedes iati ror. a: KON ir 
m ‚der. epikotylen Ax emaan oana: rae lob Pe 
Durchschnittl. Länge der ersten Ti iter 24 „ 
3 ` grösste Breite derselben et 
Danst des 6..Blabies -  .. 0.0 e 
Besiie desselben. . 2... nn. Ren 5 


Das durchschnittliche Trockengewicht eines Pflänzchens betrug 
0:019 Gr. Zu Beginn des Versuches wog ein keimblattloser Em- 
bryo durchschnittlich 0'008 Gr., so dass eine Vermehrung des 
Trockengewichtes um das 2° a erfolgt war. Das Ergebniss 
wäre jedenfalls ein noch günstigeres gewesen, wenn nicht im 
April meist trübes Wetter geherrscht hätte. 

Eine gleich alte, normal entwickelte Vergleichspflanze war 
in derselben Zeit 30 Cm. hoch geworden, hatte über 20 Blätter 
entfaltet, von welchen die Lamina des grössten 70 Mm. lang und 


' 1) Vgl. das 4. Capitel dieser Schrift p. 72 ff, 
G. Haberlandt, Schutzeinrichtungen der Keimpflanze. j B> 


# 


ne u ann a __ ne ie 


34 


42 Mm. breit war, und hatte dabei ihr Trockengewicht um das 
17:1fache vermehrt. 

Diejenigen Keimlinge oder Theile von Keimlingen, welchen 
nach den vorstehenden Versuchen die Fähigkeit selbständiger Ent- 
wickelung zukommt, stehen nun zu ihren eigentlichen Reserve- 
stoffbehältern in folgendem Gewichtsverhältnisse : 

Für Roggen stellt es sich wie.. 1:17°25 
„ Hafer wie 
„ Mais 


N 
-» Helianthuskeimlinge wie. 


Das Gewicht der Grasembryonen ist mit dem des Endo- 
sperms hinsichtlich der in ihnen aufgespeicherten Menge von Re- 


servestoffen nicht vergleichbar. Die ersteren sind relativ viel 
reicher an Eiweisssubstanzen und enthalten fettes Oel statt Stärke. 
Immerhin bestätigen aber auch die für sie mitgetheilten Verhältniss- 
zahlen dasjenige, was aus den die übrigen drei Pflanzen betref- 
fenden Angaben folgt, dass nämlich die für die Entwicke- 
lung des Keimlings ganz unumgänglich nothwendige 
Nährstoffmenge nur einen geringen Bruchtheil der- 
jenigen Menge von Reservestoffen bildet, welche als 
Schutzmittel fungirt. 

Diese Function aber ist eine doppelte. ' Sie besteht erstens 
in der unmittelbaren Kräftigung des jungen Pflänzchens, 
die demselben im Kampfe um’s Dasein vor Allem Noth thut. Sie 
bewirkt dann zweitens, dass die Keimpflanze von den gewöhn- 
lichen Witterungsschwankungen viel weniger be- 
rührt wird, als es sonst der Fall wäre und nur ihre Extreme 
zu fürchten hat. Eine Pflanze, welche in ihrem Wachsthume von 
unmittelbaren Assimilationsproducten zehrt, ist ebenso sehr vom 
Lichte wie von der Wärme abhängig. Die mit Reservestoffen ver- 
sorgte Keimpflanze dagegen wächst bei genügender Wärme kräftig - 
weiter, auch wenn bei andauernd umwölktem Himmel ein aus- 
giebiges Assimiliren unmöglich wird. i : 

Es soll nun an einem Beispiele gezeigt werden, in welcher 
Weise sich der fördernde Einfluss der Reservestoffe im Einzelnen 


geltend macht. 


39 


Am 23. März l. J. wurden 25 ganze (4) und 25 querhal- 
birte Weizenkörner (B) in mit humusreicher Ackererde gefüllte 
Töpfe gesäet. Die Schnittflächen der halbirten Körner waren vor- 
erst durch Bestreichen mit geschmolzenem Bienenwachs verklebt 
worden. Das absolute Gewicht von A betrug 1'004 Gr., von B 
0:535 Gr. Die Temperatur im Gewächshause schwankte zwischen 
15--23° ©: | Br 

Die Keimpflänzchen beider Partien wurden am 29. März 
sichtbar und am 6. April zum ersten Male gemessen. Die Reserve- 
stoffe der halbirten Körner waren eben aufgezehrt, in den ganzen 
Körnern war noch eine ziemlich beträchtliche Menge derselben 


vorhanden. 
Durchschnittliche Höhe der Pflänzchen vom 

Boden bis zur Spitze des ersten Laubblattes A B 

in Maar ia E a "Se 100 
Länge der ersten Blattspreite .............. 82 78 
Rieste ee AnS IRIK SOLI GE 4:5 3-8 
Dicke des Blattes an einem der mittleren Nerven 0:38 0:30 


Mittlere Dicke des Blattes zwischen den Nerven OLSEN 

Im anatomischen Bau zeigte sich kein auffälliger Unterschied. 
Bemerkenswerth ist, dass die Aussenwandungen der Epidermis- 
zellen des Blattes bei A fast um das Doppelte dicker waren als 
bei B. Es ist hiernach sehr wahrscheinlich, dass auch im Meso- 
phyll des Blattes ein ähnlicher, wenn auch nicht constatirbarer 
Unterschied in der Dicke der Zellwandungen auftrat. Der grös- 
sere Reichthum an Chlorophylikörnern war bei den Pflänzchen 
aus ganzen Körnern nicht zu übersehen. Der anatomische Bau 
und die Zahl der Gefässbündel waren in beiden Fällen dieselben. 


Am 11. April wurde die zweite Messung vorgenommen. Auch. 


die Keimpflanzen von A hatten nunmehr ihre Reservestoffe voll- 
ständig verbraucht. 


Durechschnittliche Höhe der Pflänzchen vom A Be, 
Boden bis zur Spitze des zweiten Blattes 200 Mm. 150 Mm. 
Länge der zweiten Blattspreite..... er Be era. 


Breite REN SER e Bi, 33, 
Länge des sichtbaren Theiles des dritten 


Ra a a a I, ET Oigh 


36 


Á B 
4—5 3, selten 4 
170 Mm. 102 Mm. 

Man sieht hieraus, dass die Unterschiede in der Entwicke- 
lung um so auffälliger sind, je später das betreffende Organ zur 
Ausbildung gelangte. Die Längen der ersten Blattspreiten differiren 
untereinander um 4:9 %, die der zweiten um 17:1 %. Ebenso 
die Breiten der ersten um 15:5%, der zweiten um 25%. Bei 
dem sichtbaren Theile des dritten Blattes beträgt der Längen- 
unterschied gar 64°9 %. — Die mit-dem Alter der Pflänzchen 
stets zunehmenden Differenzen in den Blattdimensionen, wie 
solche zwischen den einzelnen Individuen aus ganzen, Körnern 
auftreten, haben ausser in der Individualität der Pflanzen gewiss 
auch darin ihren Grund, dass die einzelnen Weizenkörner nicht 
gleich schwer sind und eines etwas mehr, das andere weniger 
Reservestoffe besitzt. Bei verschiedener Menge der Reservestoffe 
findet eben keine proportionale Verwendung derselben statt 
und wie wir gleich sehen werden, gilt dies nicht nur für die Aus- 
bildung der einzelnen Organe. 

Da es sich mir blos um den Einfluss der Reservestoffe. auf 
die Entwickelung der Keimpflanzen handelte, so unterbrach ich 
nunmehr den Versuch und nahm sofort die Trockengewichtsbe- 
stimmungen vor. | 
Das Trockengewicht der Stengel und A B 

Blätter betrug 0:759 Gr. 0:390 Gr. 
Das Trockengewicht der Wurzeln 0216. 2.10.2008 
5 a „ Frucht- und Sa- 
menschale . icik peiie 0:08.07 KAS 
Ea Zusammen 1'048 Gr. 0:541 Gr. 


In Procenten des Gesammtgewichtes ausgedrückt, beträgt 
das Gewicht 
der Stengel und Blätter 


» Wurzeln 
„ Frucht und Samenschale 

In den Schalen der halbirten Körner waren demnach fast 
2% der Reservestoffe zurückgeblieben; der Verschluss der Schnitt- 


flächen war eben kein so vollständiger, dass nicht ein kleiner 


37 


Bruchtheil derselben verdorben und unbrauchbar geworden wäre. 
Diesen Verlust haben aber die Wurzeln fast allein zu tragen, 


während die Procentantheile der Stengel und Blätter nur um ein | 


Unbedeutendes differiren. 

Die Trockengewichtszunahme') beträgt, abgesehen natürlich 
von dem Ersatze des durch die Athmung des keimenden Samens 
bedingten Substanzverlustes für A 12:75 %, für B blos 9-49 9%. 
Es hängt diese Differenz zusammen mit dem verschieden grossen 
Chlorophyligehalte der Blätter. 

Gelegentlich eines ganz gleichen Culturversuches, welchen 
ich schon früher durchführte, fiel mir Folgendes auf: Während 
die jungen Pflänzchen beider Partien anfänglich genau dieselbe 
sattgrüne Färbung zeigten, stellte sich nach 15—20 Tagen, vom 
Beginne der Aussaat an gerechnet, insoferne ein sehr bemerk- 
barer Unterschied ein, als diejenigen Weizenpflänzchen, welche 
sich mit der Hälfte der Reservestoffe begnügen mussten, um vieles 
lichter gefärbt waren, als die schön dunkelgrünen Keimlinge der 


anderen Partie. Dieser Unterschied machte sich, wie gesagt, 


erst dann geltend, als die Reservestoffe einerseits schon fast voll- 
ständig aufgezehrt, andererseits aber noch in nicht unbeträchtlicher 
Menge vorhanden waren. Seine Ursache ist erstens in der ge- 
ringeren Dicke und grösseren Zartheit der Blätter jener Weizen- 
pfänzchen zu suchen, die von halbirten Körnern herstammten ; 
doch war auch ihr Chlorophyllgehalt, auf gleiche 
Mengenvon Trockensubstanz bezogen, ein auffallend 
geringeren 

Bei Constatirung dieser letzteren Thatsache wurde dasselbe 
Verfahren beobachtet, welches Wiesner”) bei der Bestimmung 
des relativen Etiolingehaltes der Keimpflanzen einschlug. Von 
jeder der beiden miteinander zu vergleichenden Partien wurde 
eine bestimmte Anzahl von Keimlingen abgewogen und dann mit 
45% gem Alkohol zerdrückt, bis alles Chlorophyll vollständig gelöst 
war. Dann brachte man die beiden Chlorophyllextracte auf gleiche 
Concentration, verglich ihre Volumina und bezog schliesslich die- 


1) Der Feuchtigkeitsgehalt der Weizenkörner betrug 8:37 % des Gewichtes 
im lufttrockenen Zustande. 
?) Die Entstehung des Chlorophylis in der Pflanze. Wien 1877, p. 30. 


æ 


~ nn eea A nn 


Pae ea n in aa R a, 


Banana nme o name F 


38 


selben auf gleiche Mengen der Trockensubstanz. Ich lasse nun 
eine solche Bestimmung folgen und bemerke nur, dass die Buch- 
staben A und B dieselbe Bedeutung haben, wie oben. 

Der Anbau erfolgte am 26. Februar unter den oben geschil- 
derten Verhältnissen. Die Pflänzchen gingen am 6. und 7. März 
auf und am 14. bestimmte man ihren Chlorophyllgehalt. Das di- 
reete Sonnenlicht wurde von den Keimpflanzen stets abgehalten, 
damit nicht die bei ungleicher Blattdicke auch ungleich lebhafte 
Zerstörung der Chlorophylis das Versuchsergebniss beeinträchtige. 
Die Temperatur im Gewächshause betrug 9—12° C, 

20 knapp über der Erde abgeschnittene Pflanzen von A wogen 
genau 1 Gr.; 25 Pflanzen von B dasselbe. Die Trockensubstanz 
von A betrug 10:82 %, die von B 10:34% des Lebendgewichtes. 
Bei gleicher mittlerer Concentration war das Volumen der Lösung 
A= 136 Cub.-Cm., das Volumen der Lösung B = 103 Cub.-Cm. 
Für gleiche ee alkar stellt sich das Volumsverhält- 
niss der Lösung A zur Lösung B wie 34 : 27. Es entspricht dies 


_ einer Differenz des Chlorophyligehaltes von ungefähr 20 %. 


Die Erklärung der Thatsache, dass die Keimpflänzchen hal- 
birter Körner in einem gewissen Stadium der Entwickelung chloro- 
phyllärmer sind, als solche aus ganzen Körnern, ist bald gegeben, 
wenn man bedenkt, dass das Chlorophyll ergrünender Keim- 
pflanzen ebenso in den Reservestoffen des Samens seinen Ur- 
sprung hat, wie die Zellwandungen und das Protoplasma des 
jungen Pflänzchens. Durch die Untersuchungen und die daran 
sich knüpfenden Discussionen von Baeyer!), Sachsse?) und 
Wiesner) ist, man darf wohl sagen, sichergestellt worden, dass 
es in erster Linie die Stärke und im Allgemeinen die Kohle- 
hydrate sind, aus welchen indirect wenigstens das Chlorophyll 
hervorgeht. So lange nun im Endosperm der ganzen und hal- 
birten Weizenkörner noch eine hinreichende Menge von Reserve- 
Stoffen und speciell von Stärke vorhanden ist, zeigt sich kein auf- 
fallender Unterschied in der Farbennuance der Blätter. Sobald 


1) Berichte der Deutschen chem. Gesellsch. V, Bd., p. 26. 

°) Sitzungsberichte der naturforsch. Gesellsch. zu Big, 17. Dec. 1875, 
p- 117, Chemie und Physiologie der Pflanzenfarbstoffe, 1877, p. 56 ff. 

°) Die Entstehung der Chlorophylis in der Pflanze, 1877, p. HES, 


39 


aber dieselben dem Keimlinge spärlicher zufliessen, wird davon 
eine relativ grössere Menge zum Weiterbau der Zell- 
wandungen und des Protoplasmaleibes der Zellen ver- 
wendet; die Chlorophylibildung dagegen wird einge 
schränkt. Bei Pflänzehen aus ganzen Samenkörnern unterbleibt 
diese Einschränkung deshalb, weil zur Zeit, als die Reservestoffe 
vollständig verbraucht werden, die junge Pflanze bereits so kräftig 
zu assimiliren vermag, dass die Neubildung von Chlorophyll nicht 


mehr in’s Stocken geräth. Man hat sich nämlich nach Wiesner) 


den Process der Chlorophyllbildung (in Keimlingen oder sich entfal- 
tenden Laubknospen) so vorzustellen, dass derselbe von den Reserve- 
stoffen und speciell den Kohlehydraten zunächst seinen Ausgang 
nimmt, worauf dann die in dem ergrünten Chlorophylikorne neu 
entstehende Stärke zum Theil wieder Bildungsmateriale für die 
Entstehung von Chlorophyll und zwar entweder desselben Korns 
oder eines anderen liefert. Damit die Chlorophylibildung unge- 
stört und ununterbrochen von statten gehe, muss deshalb ein recht- 
zeitiger und ausreichender Ersatz der Reservestoffe ‚durch neu 
gebildete Producte der Assimilation erfolgen. 


Je geringer die Temperatur, desto auffälliger wird natürlich 


der besprochene Unterschied im Chlorophyligehalte der Blätter. 


Je mehr aber eine Erhöhung der Temperatur die Assimilation be- 
günstigt, um so rascher muss sich auch jener Unterschied aus- 
gleichen. Ein mit dem oben erörterten Hauptversuche (Temperatur 
15—22° C.) gleichzeitig durchgeführter Parallelversuch ergab einen 
Unterschied im Chlorophyligehalte von kaum 4%. 

Auf die biologische Seite der im Vorstehenden besprochenen 
Thatsache brauche ich wohl nicht näher einzugehen. 

Nachdem wir nun die Bedeutung der Reservestoffe für das 
junge Pflänzchen ausführlich erörtert, handelt es sich jetzt um 
jene Einrichtungen, welche die sicherste und vollständigste 
Ausnützung der Reservestoffe ermöglichen. Es kann nicht 


gleichgiltig sein, wo die Keimpflanze ihre Reservestoffe unterbringt. 


Auf drei Dinge hat man hiebei Rücksicht zu nehmen. Er- 
stens auf die Verschiedenheiten hinsichtlich der primären Re- 


Je. p. 115. 


e i i 


— 


m ——— 


40 


servestoffbehälter, dann zweitens darauf , ob die Keimblätter zu 
den ersten Assimilationsorganen der Pflanze werden oder nicht. 
Auch muss man sich stets vor Augen halten, dass der Verbrauch 
der Reservestoffe und die Entleerung ihrer ursprünglichen 
Behälter zwei ganz verschiedene physiologische Vorgänge sind, 
die auch nicht immer zeitlich zusammenzufallen brauchen. 


Der einfachste Fall tritt dann ein ‚ wenn die später ergrü- 
nenden Kotylen vorerst als Reservestoffbehälter functioniren. Hier 
wandern die Baustoffe in dem Masse, als eine Neubildung von 
Organen stattfindet, allmälig aus; Verbrauch und Entleerung fallen 
in Eins zusammen. Anders verhält sich die Sache, wenn die flei- 
schigen Keimblätter zwar über die Erde gehoben werden, ohne 
sich aber nunmehr zu eigentlichen Laubblättern umzugestalten. 
Phaseolus vulgaris ist ein hiehergehöriges Beispiel. Die Verhält- 
nisse sind hier nicht eben die günstigsten. Die Kotylen trocknen 
verhältnissmässig leicht aus; sie können unter Umständen auch 
abfallen, bevor sie noch vollständig entleert sind. Es erfolgt des- 
halb, namentlich bei niederen Temperaturen, eine dem Verbrauche 
vorauseilende Translocation der im Momente nicht zur Ver- 
wendung gelangenden Reservestoffe; sie wandern in das hypo- 
kotyle Stengelglied über, welches derart zum secundären Reserve- 
stoffbehälter wird. Hier‘ lässt sich vor ihrem gänzlichen Ver- 
brauche im Grundgewebe, namentlich in der Umgebung der Ge- 
fässbündel stets Stärke nachweisen und zwar in ziemlich beträcht- 
licher Menge. Es wird lediglich von den Witterungsverhältnissen 
' und der durch sie bedingten Schnelligkeit und Energie des Wachs- 
thums abhängen, ob das hypokotyle Glied einen grösseren oder 
geringeren Bruchtheil der Reservestoffe in sich aufspeichert. 


Wenn die Reservenahrung der Hauptmasse nach im Endo- 
sperm enthalten ist und die Keimblätter sich "nachträglich ent- 
falten, so fungiren letztere in der ersten Periode der Keimung 
als Aufsaugeorgane. Das Endosperm wird rasch entleert, die 
Keimblätter füllen sich mit den Reservestoffen. Ihre zweite Func- 
tion fällt also mit der des hypokotylen Stengelgliedes im vorher- 
gehenden Falle zusammen. Sie bilden secundäre Reserrye- 
stoffbehälter. Von nun an sind die Verhältnisse dieselben, wie 


41 


im ersten Falle; die Kotylen werden schliesslich zu den ersten 
Laubblättern. 

Im vierten und fünften Falle endlich verbleiben die Reserve- 
stoffe bis zu ihrem allmäligen Verbrauche in den primären Be- 
hältern und mit diesen unter der Erddecke. Den vierten Fall re- 
präsentiren die Samen vieler Monokotylen, bei welchen das Endo- 


sperm als Reservestoffbehälter, das Keimblatt blos als Aufsauge- 


organ dient; den fünften Fall die Samen mancher Papilionaceen, 
von ee und Aesculus, die Früchte von Juglans, Quercus und 
von Anderen, deren meist grosse fleischige Keimblätter das Erd- 
reich nicht verlassen. Für die Erhaltung und möglichst gesicherte 
gleichmässige Ausnützung der Reservenahrung sind dies offenbar 


die günstigsten Verhältnisse. Sie bleibt hier besser vor den Nach- 


stellungen seitens zahlreicher Feinde bewahrt und was für die 


Keimpflanze namentlich von Wichtigkeit ist, sie löst sich in dem. 


häufig durchfeuchteten Boden gleichmässiger und leichter als über 
der Erde, so dass Unterbrechungen in der Zufuhr zu den Ver- 
brauchsorten nur dann statthaben, wenn die Ursachen hievon in 
dem Ernährungsmodus der Keimpflanze selbst gelegen. sind. Je 
grösser der Same, desto mehr fallen diese Umstände in’s Gewicht. 
Sie machen es möglich, dass sich die Keimpflanze mit dem Auf- 
zehren der geschützten Nähr- und Baustoffe nicht zu beeilen 
braucht und sich dieselben für besondere Phasen der Entwicke- 
lung oder für Zeiträume aufspart, welche der selbständigen Assi- 
tmilation ungünstig sind. Hier hat man es mit „Reservestoffen“ 
in des Wortes buchstäblicher Bedeutung zu thun. Dagegen ist der 


Verbrauch der Reservestoffe aus später ergrünenden Kotylen gleich 


in den ersten Entwiekelungsperioden ein vollständiger, mögen 
sich nun die äusseren Assimilationsbedingungen günstig gestalten 
oder nicht., 

Wenn nun die Reservestoffe ein so ungemein wichtiges 


_ Schutzmittel der Keimpflanze bilden, wie kommt es dann, dass 


‚ nichtsdestoweniger die Mehrzahl der Pflanzen so kleine Samen 
liefert, und die Natur sich häufig bei der Betheiligung der ein- 
zelnen Keimlinge mit Nähr- und Baustoffen die srösstmög- 
lichen Beschränkungen auferlegt? Es müssen hier schwerwie- 


_ gende Momente in’s Spiel treten, welche ein Zuviel von Reserve- 


nn nn et ne ne 


42 


stoffen in den meisten Fällen nicht nur als unvortheilhaft, son- 
dern den Bestand der Arten geradezu als gefährdend erscheinen 
lassen. 

Gegen die vermehrten Nachstellungen, welche grosse Samen 
seitens der Thierwelt erfahren, gäbe es -allenfalls noch Schutz- 
mittel. Doch sind es hanpteäehlich zwei andere Umstände, welche 
die Menge der Reservenahrung eines Samens beeinflussen; erstens 
nämlich, dass jede Pflanze die Gesammtmenge von LTE 
welche sie producirt, auf möglichst viele Samen zu verthei- 
len trachtet, und zweitens die Verbreitungsfähigkeit der 
Samen, deren Zustandekommen oft in so auffallender Weise 
begünstigt wird. Jedes dieser Momente arbeitet einer Cumulirung 
der Reservestoffe entgegen. Der Pflanze kommt es in erster Linie 
- nicht darauf an, dass ein hoher Procentantheil der Samen sich 
weiter entwickle, sondern. dass eine möglichst grosse absolute 
Anzahl von keimfähigen Samen erreicht werde; die Keimpflanzen 
sollen unter den verschiedensten äusseren Leben bae 
den Kampf um’s Dasein mit ihren Mitconcurrenten aufnehmen. 
Man kann daher die Menge von Nährstoffen, welche den ein- 
zelnen Samen einer bestimmten ap en mit auf den Weg 
gegeben wird, als diejenige mittlere Menge ansehen, bei welcher 
sich die hierbei massgebenden Factoren — P der Keim- 
pflanzen einerseits, grösstmögliche Samenzahl und Verbreitungs- 
fähigkeit derselben andererseits — das Gleichgewicht halten. 
Wesshalb nun, je nach den verschiedenen Arten, die eine oder 
die andere Wagschale sinkt und das Verhältniss des Gewichtes 
des einzelnen Samenkorns zu jenem der producirten Gesammt- 
menge ein so variables ist, darüber könnte blos die Summe all’ 
derjenigen Verhältnisse Aufschluss geben, in welchen die betref- 
fende Species zum Klima, Boden und den übrigen Bewohnern 
ihres Verbreitungsbezirkes steht und während ihrer historischen 
Entwickelung. gestanden hat. 

‘So lässt sich z. B. die meist ausserordentliche Kleinheit der 


Samen bei vielen phanerogamen Schmarotzern und Humusbe- 
wohnern aus den biologischen Eigenthümlichkeiten dieser Pflanzen 
unschwer erklären. Vor Allem muss betont werden, dass, obgleich 
dieselben häufig eine besonders ausgiebige vegetative Vermehrung 


43 


zeigen, doch auch ihre Fortpflanzung durch Samen nicht unterschätzt 
werden darf. Denn ihre Verbreitung auf weitere Strecken ist doch 
nur auf diese Weise möglich. Und wozu wäre denn die Orchideen- 
blüthe durch oft so wunderbare Einrichtungen dem Insectenbe- 
suche angepasst, wenn die Samenbildung — wie dies mitunter 
behauptet wird — für diese Pflanzen nur von untergeordneter 
biologischer Bedeutung wäre, und eben desshalb die Kleinheit 
der Samen nur als eine Folge des „Nichtgebrauchs“ sich heraus- 
stellte? Man wird sich diese Kleinheit vielmehr dadurch er- 
klären müssen, dass es für das Aufkommen der Keimpflanzen 
nicht genügt, wenn die auf den Erdboden verstreuten Samen 
blos unter günstige Keimungsbedingungen gelangen. Hier tritt 
noch eine weitere Bedingung hinzu: für die Schmarotzerpflanzen 
die unmittelbare Nähe eines geeigneten Wirthes; für die Humus- 
bewohner die Aussäeung auf ein geeignetes Substrat; Bedingungen, 
die um so schwerer erfüllt werden, je mehr der Same seinen Auf- 
gaben nachkommt und sich vom Standorte der Mutterpflanze so 
weit als möglich entfernt. Wenn nun diese Bedingungen nicht 
erfüllt sind, dann wird selbst der grösste Reichthum an Reserve- 
stoffen nutzlos. Sind sie es aber, dann wäre er bald überflüssig. 
Und weil nun derart die Chancen einer gedeihlichen Fortent- 
wickelung um ein Bedeutendes verringert werden, muss die 
Pflanze bei fast vollständiger Ausserachtlassung des Schutzes der 
Keimpflänzchen eine ausnehmend hohe Anzahl von Samen produ- 


ciren.) Selbst die geringe Dauer der Keimfähigkeit solcher Sa- _ 


men kommt dabei nicht in Betracht. Ihre Verbreitungsfähigkeit 
lässt aber nichts zu wünschen übrig. i 

| Den auffälligsten, auch unserer heimischen Flora eigenthüm- 
lichen Ausnahmsfall hiervon bildet die Beere der Loranthaceen. 
- Allein auch sie repräsentirt eine Anpassungserscheinung und be- 
weist dadurch blos, dass die Natur oft auf den verschiedensten 
Wegen demselben Ziele zustrebt. 


1) Zwei dem landwirthsch. Laboratorium übersandte besonders kräftig ent- 
wickelte Exemplare von Orobanche ramosa mit zusammen 24 Verzweigungen 
trugen 191 Kapseln, wovon jede durchschnittlich 691 Samen enthielt. Es ent- 
fallen daher auf eine Pflanze 65.990 Samen. Das Gewicht von einem Tausend 
- derselben betrug nahezu 0:004 Gr. Auf 1 Gramm kommen also ihrer 250.000, 


nn Seen ce 


Drittes Capitel. 


Die Schutzeinrichtungen der Keimpflanzen gegenüber den schäd- 
lichen Einflüssen des Klimas. — Das Keimen der Samen in der ge- 
eignetsten Jahreszeit. — Die Keimpflanze und der Frost; Einrichtungen bezüg- 
lich des Ueberwinterns der Keimlinge. — Die I RE aturen als An- 
passungserscheinungen an die Bodentemperaturen. — Das Keimen der Samen 
bei den an eine trockene Jahreszeit gewöhnten Pflanzen; Eigenthümlichkeiten 
der Gräser; die Jerichorose. — Widerstandsfähigkeit der Keimpflanzen gegen- 
über den Folgen der Austrocknung und des Ueberschwemmtwerdens; die Rhizo- 
phoren. — Die Biologie der Keimlinge in ihren Beziehungen zur Pflanzen- 
, geographie, 


Einrichtungen, welche die Keimpflanzen vor den schädlichen 
Einflüssen, wie sie das Klima mit sich bringt, schützen sollen, 
müssen vor Allem darauf zielen, dass die Samen zur geeignet- 
sten Zeit keimen. Wenn dies erreicht ist, so wird von vorne- 
herein manch’ andere Schutzeinrichtung überflüssig, welche die 
den Einflüssen einer ungünstigen Jahreszeit ausgesetzte Keim- 
pflanze vielleicht nur schwer zu retten vermöchte. 


Wo immer das Klima eine Periodiecität des Pfanzenlebens 
hervorruft und der Zeit der vegetativen Thätigkeit, der Blüthen- 
und Samenbildung eine Zeit der Vegetationsruhe folgen lässt, 
wird dieser für das Gedeihen der Keimpflanzen günstigste Zeit- 
abschnitt im Allgemeinen erst nach dem Ablaufe der die Vege- 
tationsruhe bedingenden Jahreszeit eintreten. Mit dem Wieder- 
erwachen der gesammten Vegetation bleibt dann auch die Keim- 
pflanze nicht zurück. Näher präcisirt lautet also die oben an- 
gedeutete Frage folgendermassen: Was für natürliche Einrich- 
tungen gibt es, damit der Same erst nach der Vegetationsruhe‘ 
zur Keimung gelange? 


Wenn der Wachsthumsstillstand auf Wärmemangel beruht, 
so richtet sich die soeben gestellte Frage nach dem Ueberwin- 


45 


tern des in den verschiedenen Stadien der Keimung befindlichen 
Samens. Damit nun dieselbe exact beantwortet werden könne, 
muss vorerst experimentell festgestellt sein, wie sich der ruhende, 
angequollene und keimende Same, sowie das junge Keimpflänz- 
chen der Frostwirkung gegenüber verhalten. ieie 

Am besten sind jedenfalls die noch ganz Rn N Sa- 
menkörner daran. So wie dieselben ganz ausnehmend hohe Tem- 
peratursgrade ertragen können, ohne dass ihre Keimfähiekeit 
darunter leidet, überstehen sie auch jede beliebige Temperaturs- 
erniedrigung. Göppert!) brachte eine grosse Anzahl der ver- 
schiedensten Samen in einen Kältemischungs-Apparat, in welchem 
die Temperatur bis auf den Gefrierpunkt des Quecksilbers herab- 
sank; er setzte sie, geschützt vor Durchfeuchtung, der Kälte 


eines strengen Winters (Minimum: 23° R.) aus, doch litt kein 


‚einziger Same dabei Schaden. 
Göppert hat auch über den Einfluss des Frostes auf 


quellende und keimende Samen Versuche angestellt), da- 


bei aber entweder so tiefe Temperaturen (11—32°R.) in Anwen- 
dung gebracht, dass die Versuchsobjecte sammt und sonders er- 
froren und zu Grunde gingen, oder auf das Alter der Keimlinge 
zu wenig Rücksicht genommen. So viel geht aber aus seinen 
Versuchen, welche die ersten waren, die über diesen Gegenstand 
bekannt wurden, mit Sicherheit hervor, dass die Samen erst im 
imbibirten Zustande gegen den Einfluss des Frostes empfindlich 
werden. | 
Eine ausführlichere Untersuchung über die Einwirkung nie- 
driger Temperatursgrade auf die Keimkraft angequollener Samen 
ist in neuerer Zeit von meinem Vater, Prof. Friedrich Haber- 
landt°), veröffentlicht worden. Derselbe legte je 100 Samen- 
 körner verschiedener Pflanzen, theils ohne vorausgegangener 
Frostwirkung, theils nach solcher zum Keimen aus, nachdem sie 
vorher durch 24 Stunden in destillirtem Wasser eingeweicht wor- 
(den waren. Das Gefrieren der Samen erfolgte in einem Kälte- 


1) Ueber die Wärmeentwickelung in den Gewächsen, deren Gefrieren und , 


die Schutzmittel gegen dasselbe. Breslau 1830, p. 48 ff. 
2) Dieselben gelangten in dem eben genannten Werke zur Mittheilung. 
°») Fühling’s landwirthsch. Zeitung, XXIII. Bd. 1874, p. 514 ff. 


E | 
4 
| i 
| 
j 
7 i 
| 


46 


mischungs-Apparate, einmal bei — 10° ©., das anderemal bei 
— 24°C. Aus den in einer Tabelle zusammengestellten Versuchs- 
ergebnissen ergibt sich zunächst, dass, wie vorauszusehen war, 
die stärkere Frostwirkung die Keimfähigkeit der angequollenen 
Samen weitaus stärker schädigt, als die schwächere. Von den 
27 Samenarten, die zum Versuche verwendet wurden , büssten 
beim Gefrieren bei — 10°C. blos 5") ihre Keimfähigkeit gänz- 
lich ein, bei — 24°C. aber deren 10°). Auch ging der Keimungs- 
process nach der Einwirkung des strengeren Frostes viel lang- 
samer von statten. — Von den Getreidearten sind jene ange- 
quollenen Samenkörner am meisten dem Erfrieren ausgesetzt, 
welche beim Einweichen innerhalb 24 Stunden mehr Wasser auf- 
zunehmen vermögen. Ordnet man dieselben absteigend, so geht 


Roggen allen übrigen voran, dann folgt nackte Gerste, Hafer, 


Weizen, bespelzte Gerste, Mais, Mohrhirse, Rispenhirse; fast in 
gleicher Reihenfolge würde man sie aber auch nach ihrer Wider- 
standsfähigkeit gegenüber der Frostwirkung anzuordnen haben. 
Aehnliches gilt von den Samen der Hülsenfrüchtler. Was die 
durch einen reichlichen Oelgehalt sich auszeichnenden Samen an- 
langt, so scheint es, als ob dieselben durch das Gefrieren einen 
geringeren Schaden nehmen würden. 

Die Versuche wurden ausschliesslich mit den Samen von 
Culturpflanzen angestellt. Gewiss sind diejenigen der wildwach- 
senden Pflanzen noch weit widerstandsfähiger. „Die meisten 
unserer einjährigen Gewächse müssten sonst bei öfterer Wieder- 
kehr strenger Winter nach und nach verschwinden, namentlich 
in Gegenden, wo der Boden ohne Schneedecke schutzlos dem 
strengsten Froste preisgegeben ist.“ 


Es blieb jetzt noch zu untersuchen übrig, wie denn in ver- 


o? 
schiedenen Keimungsstadien befindliche. Samen von der 
Wirkung des Frostes affieirt werden. Ich führte zu diesem Be- 
hufe mit den Früchten und Samen von Triticum vulgare, Secale 
cereale, Hordeum vulgare, Zea-Mais, Cannabis sativa, Trifolium pra- 


tense, Agrostemma Githago und Sinapis arvensis eine Anzahl von 
1) Nackte Gerste, Ackerbohne, Erbse, Linse, Luzerne, 
?) Ausser den genannten noch: Hafer, Leindotter, Pferdebohne, Platt- 
erbse, Kichererbse. 


47 


Versuchen durch, welche von nicht uninteressanten Resultaten 
begleitet waren. Einer dieser Versuche sei hier zur Mittheilung 
gebracht. 


Von jeder zu demselben verwendeten Samenspecies liess ich 
_ drei Partien, und zwar zu je 100 Körnern, keimen; jede Partie 


wurde um einen Tag später zwischen feuchte Flanellfleckchen 


gebracht, so dass mir am 4. Tage, an welchem die keimenden 
Samen in den Kältemischungs-Apparat versetzt wurden, Keim- 
pflänzchen im Alter von 3 und 2 Tagen, sowie imbibirte Samen, 
deren Quellzeit blos durch 24 Stunden währte, zu Gebote stan- 
den. Die Temperatur des Versuchsraumes betrug in dieser Zeit 
18—20° C. Eine vierte Partie, welche gleichzeitig mit der ersten 
zum Keimen ausgelegt wurde, befand sich bis zum vierten Tage 
in einem Keller, worin eine u von blos 8° C. herrschte. 
Ich bear nämlich zu ermitteln, ob nicht, abgesehen vom 
Entwickelungszustande, die Höhe der Temperatur, bei welcher 
das Keimen erfolgt ist, an und für sich einen Einfluss auf die 
‚Widerstandsfähigkeit der Keimpflanzen ausübe. — Am Morgen 
des vierten Tages begann nun, wie gesagt, der eigentliche Ge- 
frierversuch. Die Temperatur sank im Innenraume des Kälte- 
mischungs-Apparates bis gegen Abend allmälig auf — 1'5° C. 
und betrug am folgenden Morgen noch — 1°C. Die Kältemischung 
wurde nun erneuert und im Laufe des Vormittags erniedrigte sich 
die Temperatur auf — 5°C. Nachdem sie durch einige Stunden 
stationär geblieben, stieg sie wieder und am Morgen des dritten 
Tages begann nach Entfernung eines Theiles der Kältemischung 
das allmälige Aufthauen. Am vierten Tage nach Beginn der Frost- 
wirkung konnte bei 18—21° C. die Fortsetzung des Keimungs- 
actes erfolgen. In der nachstehenden Tabelle findet man die je- 
 weilige Anzahl der keimenden Samen und weiterwachsenden Keim- 
linge verzeichnet. | 


Alter der keimenden ‚Samen 


Samenart. 3 Tage | 2 Tage 1 Tag 


3 Tage 


I 
|K. temp. 8° C. 


f 
H 


|Triticum vulg, 92 | 96 
Secale cereale 
|Zea-Mais 

Cannabis sat. 
Agrostemma @ith. ı.. ö 
Trifolium prat. 78 


Keimungstemperatur 18—20° C. 


| 
i 
| 
I} 
| 
| 
| 


Hordeum vulgare, welches- bei dem hier mitgetheilten Ver- 
suche nicht zur Verwendung gelangte, ergab bei anderen Ver- 
suchen ganz ähnliche Verhältnisszahlen wie Weizen und Roggen. 
Sinapis arvensis schloss sich den übrigen an. 

Man sieht aus dem Vorstehenden, dass mit Ausnahme des 
Weizens, Roggens und der Gerste die Frostwirkung einen um 
so schädlicheren Einfluss auf den keimenden Samen ausübt, je 
weiter das Keimungsstadium vorgeschritten ist, in dem er sich 
eben befindet. Es war dies übrigens fast schon von vorneherein 
zu erwarten. Die früher erwähnten drei Getreidearten und wahr- 
scheinlich auch noch andere Gräser zeigen aber gerade das Um- 
gekehrte: Je älter die Keimpflanze, desto leichter übersteht sie 
die Wirkung des Frostes. Ich muss aber dazu bemerken, dass 
letzteres nur dann zutrifft, wenn das Aufthauen der gefrorenen 
Keimlinge und imbibirten Samen sehr langsam von statten geht. 
Bei raschem Aufthauen kehrt sich das Verhältniss leicht um. 

Sehr auffällig ist die ausserordentliche Widerstandsfähigkeit, 
welche die bei niederer Temperatur sich entwickelnden Keimlinge 
der Wirkung des Frostes gegenüber erkennen lassen. Obwohl 
ihre Entwickelung in dem hier mitgetheilten Versuche fast ebenso 
weit vorgeschritten war, wie die der 2 Tage alten Keimlinge, 
welche bei 18—20° C. wuchsen, so übertrafen sie in obiger Hin- 
sicht doch selbst die blos einen Tag alten Keimpflänzchen 
(Roggen und Hanf) und angequollenen Samen. Bei anderen Ver- 
‚ suchen legte ich diese Partie um 2—3 Tage früher zum Keimen 
aus, als die erste bei 18—22° C, keimende, so dass sich zu Be- 
ginn des eigentlichen Gefrierversuches die bei 8°C, keimenden 


49 


Pflänzchen noch weiter entwickelt und die schon 2 Tage alten 
Keimlinge der anderen Gruppe bereits vollständig erreicht oder 
selbst überholt hatten. Nichtsdestoweniger war ihre Resistenz 
noch weitaus die grösste. Dieselbe zeigte sich aber nicht blos 
. in dem höheren Procentsatze der sich weiter entwickelnden 
Pflänzchen, sondern auch in dem frischen, vollkommen gesunden 
Aussehen derselben; dagegen‘ verkrüppelte eine grosse Anzahl 
der übrigen Keimpflanzen, auch im Falle ihres Weiterwachsens. 
` — Die Frage, welche wir uns oben stellten, ob nämlich die 
Keimungstemperatur an und für sich einen Einfluss auf die Wider- 
‚standsfähigkeit der Keimpflanzen gegenüber der Wirkung „des 
'Frostes ausübe, ist also zu bejahen, und zwar in dem Sinne, 
dass mit der sinkenden Keimungstemperatur eine Zu- 
nahme der Widerstandsfähigkeit des keimenden Sa- 
‚mens oder des Keimpflänzchens verbunden ist.') 

Aus der Thatsache, dass Samen, welche sich in einem jün- 
geren Keimungsstadium befinden, resistenter sind als ältere Keim- 
pflänzchen, — von den Getreidearten und den Gräsern überhaupt 

sehen wir vorläufig ab — ergiebt sich nun ohne weiters, welcher 
Art die Schutzeinrichtungen sein müssen, die das Ueberwintern 
des keimenden Samens so gefahrlos als möglich gestalten sollen. 
Es handelt sich hier lediglich um ein möglichst langes Hinaus- 
schieben des Keimens der im Herbste reif gewordenen Samen. 
Oder, was vielleicht richtiger ist, um ein möglichst langes Z u- 
rückhalten des Keimlings im Inneren der Samenhülle. 

Nicht selten mag dieses Ziel schon durch den Einfluss der 


1) Zu einem ähnlichem Resultate gelangte auch mein Vater, Fr. Hab er- 


landt, welcher in verschiedenen Töpfen die Samen mehrerer “landw. Cultur- / 


pflanzen anbaute, dieselben theils im Warmkasten bei 20—24° C., theils im Ge- 


wächshause bei 10—12° C. keimen und sich entwickeln liess, und nachdem die | 


Pßänzchen Ende December ungefähr jene Grösse erreicht hatten, in der sie ge- 
wöhnlich zu überwintern pflegen, die Töpfe Nachts in’s Freie stellte oder in 


einen Kältemischungs-Apparat brachte, Dabei ergab sich, dass der Weizen und, 


‚Roggen des Warmkastens schon bei min. 10— 12°C. erfror, dagegen jener des 


Gewächshauses erst bei — 20 und 24°C. Die Raps- und Erbsenpflanzen, welche‘ 
im Warmkasten aufwuchsen, gingen schon bei einer Temperatur von — 6°C. | 
vollständig zu Grunde, diejenigen, welche im Gewächshause gezogen wurden, 
bei — 10 5° C. nur theilweise. (Wissenschaftl. praktische Untersuchungen auf 


dem Gebiete des Pflanzenbaues, I. Bd., p. 246.) 


G. Haberlandt, Schutzeinrichtungen der Keimpflanze. : 4 


50 


Testa oder der Fruchtschale erreicht werden, die ja den Quell- 
process stets mehr oder minder verlangsamt. Der Same kann 
derart, wenn auch die sonstigen Umstände günstig sind, den 
Winter selbst in noch ungequollenem Zustande überdauern. Ge- 
wöhnlich ist aber der Einfluss der Samenhille blos ein unterge- 
ordneter Factor jener Verzögerung. 


Eine andere Einrichtung, welche das Austreten der Keim- 
theile aus den keimenden Samen hintanhält, besteht darin, dass 
der Embryo in dem zwar reifen, aber noch ruhenden Samen- 
korne sehr unvollständig entwickelt ist. Während der ersten 
Keimungsstadien, die aber oft viele Wochen in Anspruch nehmen 
können, ist dann der Keimling mit der weiteren Ausbildung sei- 
ner noch unentwickelten Organe auf Kosten der im Endosperm 
vorhandenen Reservestoffe beschäftigt. — Aeusserlich erleidet 
das imbibirte Samenkorn dabei gar keine Veränderungen und 
scheinen es die Keimungsagentien gar nicht zu berühren. Wenn 
dann endlich der Keimling im Stillen so weit herangewachsen ist, 
dass die Sprengung der Samenhülle schon nahe bevorsteht, so 
ist doch auch die Temperatur des Herbstes schon so sehr herab- 
gesunken, dass der völlige Stillstand des Wachsthums tagtäglich 
eintreten kann. Der Winter unterbricht dann den Keimungs-. 
process in einem für den Keimling noch sehr günstigen Stadium. 


Als schönstes Beispiel einer solchen Einrichtung lässt sich 
der Same von Eranthis hiemalis anführen. Derselbe ist etwa von 
‚der Grösse eines Hirsekorns, enthält aber für den oberflächlichen 
Beobachter blos Endospermgewebe. Thatsächlich ist er bisweilen 
als im ruhenden Zustande noch völlig keimlos angesprochen wor- 
den ') — So klein ist der Embryo, dass man sich vorerst genau 
über seine muthmassliche Lage orientiren muss, bevor es nach 
einem glücklichen Schnitte gelingt, denselben als ein kleines 
lichtes Pünktchen im dunkeln Endospermgewebe wahrzunehmen. 
Eine Gliederung ist aber selbst mittelst einer starken Loupe 
nicht bemerkbar. Unter dem Mikroskope erscheint er schwach 
herzförmig ausgerandet, eben erst die Anlage der beiden Keim- 


’) Vgl. Baillon, Sur l’embryon et la germination des graines de l’Eran- 
this hiemalis, Bull. de la Soc. Linndenne de Paris, 1874, p. 14 ff. 


51 


blätter zeigend, mit vollständig intactem Embryoträger. Sein 
Entwickelungszustand ist ungefähr derselbe, wie ihn Hanstein 
auf Taf. II Fig. 33 seiner bekannten Abhandlung über „die Ent- 
wickelung des Keimes der Monokotylen und Dikotylen“ für Cap- 
sella bursa pastor is zur Darstellung bringt. — Von diesen Samen 
weiss man nun schon seit längerer Zeit, dos sie unter allen 
Umständen erst im Frühjahre „keimen“, aa sich in dieser Ge- 
wohnheit selbst durch die schönsten Herbsttage und den mil- 
desten Winter nicht beirren lassen. Die Erklärung hiefür ist nach 
dem Vorausgegangenen selbstverständlich. — Nach Irmisch 5 
gehört auch Ranunculus Ficaria zu jenen Pflanzen, „deren Em- 
bryo sich unter angemessenen Aussenverhältnissen erst nach Los- 
trennung der Früchte oder auch der Samen von der Mutter- 
pflanze im Laufe des Sommers und Herbstes vollständig ausbildet.“ 
— Hieher gehören überhaupt all’ diejenigen, an einen regelmässig: 
wiederkehrenden Winter gewöhnten Pflanzenarten ‚ deren Samen 
ein reichlich entwickeltes Endosperm besitzen und dabei erst 
ziemlich spät reifen. Sie alle erfahren "hinsichtlich des soeben 
auseinandergesetzten Verhältnisses eine für das Schicksal der 
Keimpflanze nicht’selten entscheidende Begünstigung. 

Die dritte, ein vorzeitiges Keimen der Samen hintanhaltende 
Einrichtung bestünde endlich in der schon oftmals behaupteten, 
bislang aber immer nur sehr wahrscheinlichen Ruheperiode, 
welche die Samen gewisser Pflanzen nach ihrer Reife aus rein 
inneren Ursachen durchmachen müssen, bevor sie von den äus- 
seren Keimungsbedingungen überhaupt beeinflusst werden. Gewiss 
ist in diesem Falle der Vergleich des im Samen schlummernden 
Keimlings mit der überwinternden Laubknospe zulässig. So wie 
selbst warme, sonnige Tage des Spätherbstes das Austreiben der 
Knospen nicht zur Folge haben, weil eine durch Anpassung er- 
worbene und durch Erblichkeit längst gefestigte Periodieität des 


Wachsthums den Einfluss anormaler Wär 'meverhältnisse vollständig 


überwiegt, ebenso können die Keimlinge in den vom mütterlichen 

Spross sich lostrennenden Samen, da für sie ia ähnliche biolo- 
p Lí ja äh 

gische Momente massgebend sind, wie für die Laubknospen, einer 


- 


1) Beiträge zur vergl. Morphologie der Pflanzen, Halle 1854, I. Heft, p, 10. 


\ 


52 


‚solchen höchst vortheilhaften biologischen Eigenthümlichkeit gleich- 
falls theilhaftig geworden sein. Denn dass in dieser Hinsicht der 
Keimling zum mindesten ebenso adaptionsfähig ist, wie die Laub- 
knospe, kann ohneweiters bejaht werden. — Auch der Vergleich 
mit den noch in der warmen Jahreszeit gelegten Eiern vieler 
Schmetterlinge und anderer Insecten, deren Ausbrütung aber den- 
noch erst in’s nächste Frühjahr fällt, ist hier ganz zutreffend. Und 
haben wir nicht in den Dauersporen mancher Pilze eigentlich genau 
dieselbe Erscheinung vor uns? 

‚Dank der soeben besprochenen Einriehtungen keimt also 
die Mehrzahl der Samen unserer einheimischen Gewächse erst 
nach den glücklich überstandenen Gefahren des Winters. Eine 
immerhin beträchtliche Zahl von Pflanzenarten lässt aber ihre 
Keimlinge trotzdem in einem schon ziemlich weit vorgeschrittenen 
Entwicklungsstadium überwintern. Es gilt dies namentlich für 
diejenigen Pflanzen, deren Samenreife noch. in die Zeit des Som- 
mers fällt. Schon-im Juli und August kann man auf Waldeslich- 
tungen und an den Rainen der Felder zahlreiche Keimpflänzchen 
aufspriessen sehen; dieselben sind aber, nachdem sie in ihren unter- 
irdischen Theilen eine genügende Menge von Reservestoffen auf- 
gespeichert haben, bei Wintersanbruch schon so weit erstarkt, 
dass sie den Verlust ihrer oberirdischen Organe gefahrlos er- 
tragen können. Allein auch die spät keimenden Pflänzchen sind 
den Einflüssen der Winterkälte nicht schutzlos preisgegeben. Wir 
haben oben gesehen, dass Keimpflanzen, welche bei niedrigen 
Temperaturen aufwachsen, der Frostwirkung gegenüber sich als 
sehr widerstandsfähig erweisen, und für die zarte Keimpflanze 
des Spätherbstes wird diese Bedingung ja meistens erfüllt sein. 

Eine sehr merkwürdige, an dieser Stelle anzuführende Schutz- 
einrichtung finde ich in einer Abhandlung A. Winkler’s‘) be- 
sprochen. Es wird dort nämlich die auch von Irmisch u. A. 
beobachtete Erscheinung des „Zurückgehens der hypokotylen 
Achse in den Erdboden“ mitgetheilt. ‚Bei Ranunculus repens, 
Delphinium Consolida, Trifolium pratense, Potentilla mixta u. verna, 
Oenothera biennis, Prunella vulgaris u. A., deren Keimblätter ur- 


1) Ueber die Keimblätter der deutschen Dikotylen, in den Verhandl. des 
bot. Vereines der Provinz Brandenburg, Jahrg. XVI, II. H., p. 16. 


2 PUN á i ` 53 


a 


ii sprünglich 1 Cm. und höher über dem Erdboden stehen, ver- 
kürzt sich die Achse im Laufe des Wachthums so, dass die Keim- 
blätter schliesslich in den Erdboden hineingezogen werden und 
dabei zu Grunde gehen. Es zeigt sich’dieses bei Pflanzen, welche 
ihren Vegetationsprocess nicht in einem Sommer vollenden, sei es 
nun, dass es Exemplare betrifft, welche im Herbste gekeimt haben, 
(Delphinium, Ranunculus) oder dass es überhaupt zwei- und mehr- 
jährige Pflanzen sind.“ Die Frage nach der physiologischen Ur- 
sache dieser gewiss auffallenden Erscheinung lässt Winkler un- 
entschieden. Wenn es mit letzterer überhaupt seine Richtigkeit 
hat, so sind es unzweifelhaft im Erdboden vor sich gehende 
Nutationen des hypokotylen Stengelgliedes und vielleicht auch der 
Hauptwurzel , welche die unmittelbare Veranlassung dazu bilden. 


nn 


verständlich nicht zu denken. 

Wir haben bei den bisherigen Erörterungen blos das eine 
klimatische Temperaturextrem, die Winterkälte, berücksichtigt. 
Wenn wir nun auch das andere Extrem, die hohen Tempe- 
raturen, in’s Auge fassen, so kommen wir auf eine zwar schon 
längst zum Gegenstande ausführlicher Untersuchungen gewordene 
Eigenthümlichkeit der keimenden Samen zu sprechen, die aber 
von dem hier vertretenen Standpunkte aus noch nicht eingehender 


erörtert wurde. 

Man hat nämlich bisher die beiden äussersten Temperaturs- 
grenzen, innerhalb welcher das Keimen einer bestimmten Samen- 
art stattfinden kann, ferner jene Temperatur, bei welcher es am 
sichersten und schnellsten stattfindet, die sogenannten Maxima, 
Minima und Optima der Keimungstemperaturen einfach 
als physiologische Thatsachen hingenommen, ohne sich weiter mit 
der Frage zu beschäftigen, von was für Factoren dieselben eigent- 
lich abhängig sind. Es ist bislang noch nicht versucht worden, 
sie auch mit den biologischen Verhältnissen, in denen sich der 
keimende Same befindet, in einen näheren Zusammenhang zu 
bringen. Diesen letzteren, insoweit ein solcher thatsächlich exi- 
stirt, klar zu legen, ist die Aufgabe der nachfolgenden Ausein- 


andersetzung. 


F' 


An eine buchstäbliche „Verkürzung der Keimachse“ ist selbst- 
er E E 


eg en 


nn 


ai meinen 


54 


Wenn man, von reim physiologischen Gesichtspunkten aus- 
gehend, den Keimungsprocess, wie jeden anderen Lebensvorgang, 
als die Gesammtheit zahlreicher ineinandergreifender physika- 
‚lischer und chemischer Einzelvorgänge auffasst, so haben die vor- 
hin erwähnten Keimungstemperaturen ihre ganz bestimmte, wohl 
umgrenzte Bedeutung. Dieselbe drückt zugleich den physiolo- 
gischen Hauptfactor aus, von welchem die Keimungstemperaturen 
abhängen. Weil aber der keimende Same, wie jedes andere or- 
ganisirte Wesen, auch etwas durch Anpassung an die äusseren 
Verhältnisse allmälig Gewordenes darstellt, so ist wohl von 
vorneherein anzunehmen, dass beim Zustandekommen der Maxima, 
Minima und Optima der Keimungstemperaturen auch ein zweiter, 
biologischer Factor mit in’s Spiel getreten sei. | | 

Dieser Factor ist in der Anpassung des keimenden Samens 
an die wechselnden Bodentemperaturen zu suchen. 

So lange die Temperatur der Erdoberfläche oder der obersten 
Schichten des Bodens, in welchen die keimenden Pflanzensamen 
ruhen, das betreffende Optimum der Keimungstemperatur nicht 
überschreitet, sind ihre Schwankungen dem Wachsthum der Keim- 
linge förderlich‘). Sobald aber die Bodentemperatur über dieses 
Optimum oder gar über das Maximum hinausgeht — und man muss 
annehmen, dass auf besonnten Böden dies häufig genug der Fall 
ist — macht sich eine Verzögerung, ja eine directe Schädigung des 
Wachsthums geltend. Je mehr nun ein bestimmtes Samenindividuum 
durch das nie fehlende Excessiv-werden der Bodentemperaturen im 
Wachsthume beeinträchtigt wird , je niedriger also das Maximum 
liegt, welches es vermöge seiner individuellen Organisation noch zu 
ertragen im Stande ist, desto grösser wird für dasselbe die Gefahr 
des früheren oder späteren Zugrundegehens. Derjenige Keimling 
aber, welcher durch solche Ueberschreitungen weniger leidet, hat 
mehr Aussicht auf gedeihliche Fortentwickelung. Aehnlich verhält 
es sich mit dem Minimum der Keimungstemperatur. Wenn die 
Temperaturen des Bodens unter dasselbe sinken, so wirken sie 


auf den keimenden Samen zwar noch nicht unmittelbar schädi- 


1) Vgl. Pedersen, „Haben die Temperaturschwankungen als solche einer 
ungünstigen Einfluss auf das Wachsthum ?= in den Arbeiten des bot, Institutes in 
Würzburg, I. Bd. (1874), p. 563 ff. 


99 


gend ein, sondern sistiren zunächst blos den Keimungsvorgang; 
allein der daraus entspringende Zeitverlust ist-für den Keim- 
ling in dem Falle, als dessen weiteres Wachsthum unmittelbar 
bevorsteht, jedenfalls nachtheilig. Er bleibt zurück und geht 
wahrscheinlich im Kampfe um’s Dasein zu Grunde. Je weniger oft 
also die Bodentemperatur unter das Minimum der Keimungstem- 


peratur hinabgeht oder mit anderen Worten, je niedriger dieses 


Minimum rücksichtlich gewisser Bodentemperatursgrenzen gelegen 
ist, desto besser für den keimenden Samen. Wir können dem- 
nach die Maxima und Minima der Keimungstempera- 
turen als durch die natürliche Zuchtwahl vermittelte 
 Anpassungserscheinungen an die Maxima und Minima 
der Bodentemperaturen ansehen und zwar jener Boden- 
temperaturen, welche sich eben zur Zeit einstellen, in welcher 
der betreffende Same gewöhnlich keimt. In dem einen Jahre ge- 
stalten sich die Witterungsverhältnisse derart, dass die Tempe- 


ratur des Bodens zu wiederholtenmalen ausnehmend hoch steigt; 


in einem solchen Jahre werden die Samen hinsichtlich des Maxi- 
mums ihrer Keimungstemperatur auf die Probe gestellt. In einem 
anderen Jahre wieder sind die Bodentemperaturen fortwährend 
sehr niedrig und nun zeigt es sich, welche Samenindividuen sich 
an dieses Extrem am besten anschmiegen. So accomodirt sich 
der Keimling in der langen Reihe auf einanderfolgender Gene- 
rationen an beide Extreme. 

Wie steht es nun mit dem Optimum der Keimungstem- 
peraturen? Wenn der keimende Same durch die in entgegenge- 
setzter Richtung erfolgenden Abweichungen vom Optimum in ganz 
gleicher Weise affieirt würde, so müsste sich eine durch Anpas- 
sung vermittelte Coincidenz der Optimaltemperatur mit der in der 
Keimungszeit herrschenden mittleren Bodentemperatur heraus- 
stellen. In diesem Falle wären nämlich die täglichen Zeitab- 
schnitte, in welchen der Keimling blos günstigen, das Wachs- 
thum möglichst beschleunigenden Temperaturen ausgesetzt wäre, 
am längsten. Nun ist aber jene Voraussetzung unrichtig. In der 
Natur des Keimungsprocesses, als eines physiologischen und 


speciell eines Wachsthumsvorganges, liegt es, dass Ueberschrei- _ 


tungen des Optimums viel rascher eine Beeinträchtigung desselben 


u. 


R-E — ee 
ne aÅ- 


"56 


herbeiführen und dem Keimlinge einen unreparirbaren Scha- 
den zufügen, als die den Keimungsvorgang einfach verlangsa- 
menden Temperaturen unter dem Optimum. Nach -den Untersu- 
chungen meines Vaters!) keimen Maiskörner bei: 
20° R. innerhalb 56 Stunden 
250, 
er 
a 
Das Optimum liegt hier zwischen 25° und 30° R. Eine um 
5° niedrigere Temperatur verzögert das Keimen um blos 8 Stunden, 
eine um 5° höhere aber um 32 Stunden. Kürbissame, dessen 
` Keimungstemperatur-Maximum zwischen 35° bis 40° R. liegt, 
keimt bei: 
25° R. zu 100% in 48 Stunden 
30° DE 100% „ 32 ” 
OT, 


Das Optimum beträgt. hier also circa 30° R. Ein Minus von 
5° ändert nichts im Procentsatze der keimenden Körner und ver- 
zögert die Keimung um 16 Stunden. Ein Plus von 5° aber lässt 
50% der Samen ganz zu Grunde gehen und verzögert das Keimen 
um 40 Stunden. — Derartige Beispiele liessen sich noch zu meh- 
reren anführen. Und weil nun der unmittelbarste Ausdruck für 
diese Thatsache darin gipfelt, dass das Optimum der Keimungs- 
temperatur dem Maximum näher liegt als dem Minimum, so ist 
dieses soeben angeführte Verhältniss in erster Linie eine physio- 
logische Forderung. Was aber die grössere oder geringere 
Annäherung des Optimums an das Maximum anlangt, so 
entscheidet darüber derselbe biologische Factor, wie vorhin. Je sel- 
tener die Bodentemperaturen nach oben zu excessiv werden, desto 
mehr darf sich das Optimum vom Maximum entfernen. Je häufiger 
aber das Erstere eintritt, desto näher rückt, damit Ueberschrei- 
tungen ‘des Optimums möglichst vermieden werden, dasselbe dem 


Maximum. Bei den Samen von Culturpflanzen wärmerer Klimate 


1) Fr. Haberlandt, Die oberen und unteren Temperaturgrenzen für die 
Keimung der wichtigeren landw. Sämereien. Landw. Versuchsstationen, B. XVII, 
1874, p. 111. 


57 


ist nach der Angabe meines Vaters') diese Annäherung eine sehr 
auffällige. So liegt z. B. das Optimum der Keimungstemperatur 
von Sesamum orientale bei circa 35° C., das Maximum bei circa 
42°; der Unterschied beträgt also 7° C; — Bei der Gerste liegt 
dagegen das Optimum bei circa 20° C., das Maximum bei 349, 
was eine Differenz von 14° C. ergibt. 

Insoferne also die Schwankungen der Bodentemperaturen 
auf die Lage des Optimums gleichfalls von Einfluss sind, darf 
auch hinsichtlich dieser Keimungstemperaturen von einer Anpas- 
sungserscheinung die Rede sein. 

Das bisher Gesagte gilt aber, ich wiederhole es nochmals, 
nur in einem beschränkten Sinne. Denn erstens wird dadurch 
blos ein secundärer, bis jetzt allerdings übergangener Factor be- 
leuchtet und zweitens kann derselbe nur dort eine wirksame Rolle 


spielen, wo ein entschieden auftretendes Excessiv-werden der 


Bodentemperaturen eine derar tige Anpassung überhaupt erst noth- 
wendig macht. 

Pflanzen, welche auf freiem, besonnten Lande wachsen, auf 
dem sich vielleicht überdies der Boden in Folge seiner Zusammen- 
‘setzung leicht und stark erwärmt, werden jedenfalls in die Lage 
kommen, sich den Bodentemperaturen in der besprochenen Weise 
accomodiren zu müssen. Damit ist aber noch immer nicht gesagt, 
‚dass die Maxima und Minima der Keimungs- und en 
raturen auch thatsächlich zusammenfallen müssen. Wenn z. 
das Maximum der Keimungstemperatur des Weizens bei circa 35° > 
liegt, so wird durch diese Angabe nicht etwa zugleich ausge- 
drückt, dass sich die oberste Schicht des Erdbodens in jenen 
Ländern, wo man Weizen baut, zur Saatzeit auf höchstens 35° C. 
erwärme. Man muss sich eben vergegenwärtigen,. was die soge- 
‚nannten Maxima und Minima der Keimungstemperaturen eigent- 
lich bedeuten und wie sie ermittelt wurden. Sie stellen 
bekanntlich die höchsten und beziehungsweise niedrigsten con- 
stanten Temperaturen vor, bei welchen das Keimen der Samen 
überhaupt noch stattfindet. In der Natur aber gibt es nur schwan- 


1) Fr. Haberlandt, Die untere und obere Temperatursgrenze für die 
Keimung der Samen einiger Culturpflanzen wärmerer Klimate. Wissensch.-prakt. 
Untersuchungen auf dem Gebiete des Pflanzenbaues, I. Bd., p. 129, 121.- 


TEE OPEN ON 


nn Mn nein en 


nn ent enni 


ni 


58 

kende Temperaturen und nie kann ein Same länger als durch 
einige Stunden einer besonders hohen Temperatur ausgesetzt sein. 
Es darf uns daher nicht Wunder nehmen, wenn die Maxima der 
Bodentemparaturen die damit nicht direct vergleichbaren 
Maxima der Keimungstemperaturen oft überschreiten, die Minima 
aber niedriger ausfallen. 

Uebrigens ist die Uebereinstimmung doch eine verhältniss- 
mässig befriedigende. Das Maximum der Keimungstemperatür 
liegt bei unseren vier Getreidearten zwischen 31°—37° Č. Das 
Maximum der Bodentemperatur beträgt zur Saatzeit (im September) 
je nach dem Feuchtigkeitsgehalte 35°—40° C. Die Differenz ist also 
nur unbedeutend. — Hinsichtlich der unteren Temperatursgrenze 
ist zu bemerken, dass nach den neueren Untersuchungen von 
Kerner), Uloth?) und Fr. Haberlandt) das Keimen der 
Samen von zahlreichen unserer einheimischen Gewächse schon 
bei 0°—3° C. über dem Eispunkte stattfindet. Namentlich gilt 
dies, wie von Kerner gezeigt wurde, für die Samen der Alpen- 
pflanzen, bei welchen das Vortheilhafte einer solehen Einrichtung 
allsogleich auffällt. Für einige Culturpflanzen, welche wärmeren 
Klimaten angehören und eine so ausnehmend tiefe Lage des Mini- 
mums nicht nöthig haben, wurde dasselbe von meinem Vater bei 
12°—15° ©. liegend gefunden. 

Bei allen Schatten-, Sumpf- und Wasserpflanzen fehlt hin- 
sichtlich der oberen Temperatursgrenze die Nöthigung zu einer 


derartigen Accomodation. Die Temperaturen des beschatteten 
Bodens und des Wassers sind so gemässigt, dass sie von den 
rein physiologischen Maximis der Keimungstemperaturen, welche 
hier unbeeinflusst von dem genannten biologischen 
Factor zur Geltung gelangen, weit überholt werden. Diese 
Maxima betragen z. B. nach Tietz*) für Acer platanoides 26° 
(Celsius?), für Alnus glutinosa 33°, für Pinus Larix 34°. 


1) ‘Sitzungsberichte des naturwissenschaftl.-medicinischen Vereines zu Inns- 
bruck, 15. Mai 1873; -Bot. Zeitung 1873, p. 437. 

2) Flora 1871, Nr. 121, und 1875 p. 266. 

3) Ueber die untere Grenze der Keimungstemperatur der Samen unserer 
Culturpflanzen, 1, ce, p. 109 ff. 

1) Ueber die Keimung einiger Coniferen und Laubhölzer bei verschie- 
‘ denen aber constanten Temperaturen. Inaugural-Dissertation 1874, p. 29. : 


59 


Wir haben bis jetzt, von dem Ueberwintern des keimenden 


Samens und der Keimpflanzen ausgehend, das Verhältniss der- 
selben zu den Extremen der Temperatur beobachtet. Es wird 
nun in ähnlicher Weise zuerst die Beziehung der durch Feuchtig- 
- keitsmangel hervorgerufenen Vegetationsruhe zum Keimen der 


Samen und hieran anschliessend das Verhalten der Keimpflanzen’ 


gegenüber vollständiger Dürre einer- und EEA Da 
Feuchtigkeit andererseits zu besprechen sein. 
‘Was den ersten Punkt anlangt, so erledigt sich derselbe 


durch den Umstand, dass, wenn nach der Samenreife die trockene 


Jahreszeit eintritt, der Same unter allen Verhältnissen im ruhen- 
den Zustande verharren muss. Hier sind in Folge des Mangels 
einer wesentlichen Keimungsbedingung keine besonderen Einrich- 
tungen nöthig, welche das Keimen der Samen möglichst lange 
hinausschieben. Dass dasselbe zur geeignetsten Zeit von statten 
- geht, ergibt sich hier meist von selbst. Dem ruhenden Samen 
bleibt dann zur möglichst vollständigen Ausnützung der gegebenen 
Vegetationsperiöde nur übrig, auf das Einwirken der Keimungs- 
bedingungen so rasch als möglich zu reagiren. Nicht umsonst 
liegt bei den echten Gräsern, dieser an das Steppenklima so vor- 
züglich angepassten Vegetationsform, der Embryo dem Endo- 


sperm blos seitlich an, zugänglich dem leisesten Anstosse seitens _ 


der äusseren Keimungsbedingungen. — Wenn aber bestimmte 


62 


Gräser, ihre Verbreitungsgrenzen erweiternd, eine durch Wärme- 


und nicht durch Feuchtigkeitsmangel hervorgerufene Vegetations- 
ruhe zu überdauern haben, wie dann? Geben sie die vorhin er- 
wähnte Eigenthümlichkeit des raschen Affieirtwerdens der Samen 
auf? Oder wissen sie dieselbe mit dem „Ueberwintern“ zu ver- 
einigen? Der am Anfange dieses Capitels mitgetheilte Gefrier- 
versuch scheint hierauf eine ziemlich bestimmie Antwort zu geben. 
Sie lautet dahin, dass, wenigstens bei den dort erwähnten drei 
Getreidearten, an der Eigenschaft schnell zu keimen nicht ge- 
rüttelt wird, dafür aber, eben weil diese Eigenschaft ein bereits 
i vorgeschrittenes Entwickelungsstadium der überwinternden Keim- 
pflanzen wahrscheinlich macht, im Gegensatze zu anderen Pflanzen 
gerade die schon weiter entwickelten Keimlinge der Winterkälte 


besser widerstehen. 


A ee een 


60 


Wir sagten vorhin, dass. sich das rechtzeitige Keimen der 
Samen jener Pflanzen, welche an eine durch Feuchtigkeitsmangel 
verursachte Periodieität des Wachsthums gewöhnt sind, in den 
meisten Fällen von selbst ergibt. Bisweilen scheint aber doch 
auch die Mutterpflanze dasselbe durch gewisse biologische oder 
anatomische Eigenthümlichkeiten zu unterstützen. So spricht 
Grisebach ') von einer Beobachtung Schweinfurth’s, nach 
welcher in Nubien viele Holzgewächse noch vor dem Beginn der- 
Regenzeit „von den letzten Säften des Stammes zehrend“, ihre 
Blüthen entfalten, während die Blattknospen noch gegen die 
Sonnengluth fest verschlossen sind. Es ist gleichsam, fügt Grise- 
bach hinzu, „als ob die Pflanze ein Trieb beseele, der voraus- 
sieht, dass die schwellende Frucht mehr Feuchtigkeit bedarf, als 
die Blume, oder damit der gereifte Samen noch zu günstiger Zeit 
keimen könne.“ — Auch auf die Jerichorose, Anastatica hierochuntica, 
macht der letztgenannte Forscher aufmerksam, bei welcher die 
dürre Mutterpflanze erst dann die Samen ausstreut, wenn die 
im trockenen Zustande geschlossenen Schötchen durchfeuchtet 
werden. 

Allein trotz aller Mittel, welche die Natur aufwendet, um 
die Samen zur günstigsten Zeit keimen zu lassen — in unseren 
Breiten nach dem Schmelzen des Schnees im Frühjahr, unter den 
Tropen mit Eintritt der Regenzeit — und trotz des oft sehr auf- 
fälligen Strebens der Keimlinge, ihre Wurzeln so rasch als mög- 
lich in tieferes Erdreich zu senken, ist doch ein vollständiges 
Austrocknen der Keimpflanzen eine so naheliegende und oft ein- 
tretende Eventualität, dass der Bestand gar mancher Pflanzen- 
species in Frage gestellt wäre, wenn sich die Keimpflanzen hin- 
sichtlich ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber den Folgen der 
Dürre nicht zäher erwiesen, als die erwachsene Pflanze. Nicht 
dass die Keimpflanzen über besondere morphologische Schutz- 
einrichtungen, wie Haarüberzüge, stark euticularisirte Oberhäute 
u. dgl. verfügten, welche in so ausgezeichneter Weise an vielen 
Steppen- und Wüstenpflanzen gefunden werden. °) Solche Schutz- 


1) Die Vegetation der Erde nach ihrer klimatischen Anordnung, Leipzig 
1872, II. Bd., p. 119, 120, 
?) Vgl. Grisebach, ].c. II, Bd., p.91 und an anderen Stellen des Werkes. 


61 


mittel sind nur wirksam, wenn die Pflanze nebenbei noch eine 
ansehnliche Menge von Reservefeuchtigkeit besitzt. Der Keimling 
gleicht aber jenen Gewächsen in einer anderen Hinsicht: Er er- 
trägt eine wiederholte Austrocknung, ohne dass seine Lebens- 
fähigkeit dabei verloren geht. 


Schon Th. de Saussure') hat dies durch eine Reihe von‘ 


Versuchen sichergestellt. Er experimentirte mit den Samen ver- 


schiedener Futterpflanzen und fand, dass die meisten von ihnen ` 


eine durch Austrocknung verursachte Unterbrechung ihres Wachs- 
thums ganz gut vertragen. Die Samen konnten dabei selbst auf 
35—70° C. erwärmt werden. Eine Ausnahme bildeten blos die 
Garten- und Feldbohne, der Mohn, die Rapunzel und der Mais. 
— Bestätigt und erweitert wurden diese Versuche in neuerer Zeit 
durch C. Nowoczek?), welche hierzu die Keimlinge des Weizens, 
der Gerste, des Hafers, Mais, Rapses, der Erbse und des Roth- 
klees verwendete. Die Samen wurden nach einer Quellungsdauer 
von 48 und 24 Stunden getrocknet?) und dann zwischen be- 
feuchteten Flanelllappen zum Keimen ausgelegt. Die keimenden 
Samen trocknete man hierauf bei einer Temperatur von 15 — 
20° C. neuerdings und legte sie dann wieder zum Keimen aus. 
Die Unterbrechung des Wachsthums erfolgte immer erst, wenn 
die nachwachsenden Wurzeln und Stengeln eine Länge von 1 Um. 
erreicht hatten. Das Verfahren wurde so lange fortgesetzt, bis bei 
sämmtlichen Keimlingen die Keimungs- und weitere Entwicke- 
lungsfähigkeit erloschen war. In einer Tabelle werden neben den 
diesbezüglichen Zeitangaben die Resultate übersichtlich zusammen- 
gestellt, aus welcher ich einige der interessanteren heraushebe. 
Von je 100 Körnern keimten | 
nach 1- 2 3 4 5- 6- Tmal. Austrocknen 
som: Weizei:. 2:48: On Si BE 26.40 - A l 


po Hafer... 831307: BAART 8 
ARAS nS 85 2 ee 
un. si BI. er 


von der Erbse. 87 Bi eu Dag poria al 


') Annales des sciences nat., Borta Janv. 1827, p. 86. 
?) Ueber die "Widerstandsfähigkeit junger Keimlinge, Wissensch. - a 
Untersuchungen etc., herausg. von F. Haberlandt, I. Bd. p. 122 ff. 


3) Der einzige Vorwurf, welcher den Versuchen Nowoczek’s zu machen 


Er 


er x 
Ze 


ee 


e a Rene nn ea, 
a 


ug en 
RE a EEE a 


Een 


62 


Weizen, ‚Gerste und Hafer überstanden in einzelnen Individuen 
ein Tmaliges, Mais und Raps ein Ömaliges, Lein und Rothklee 
ein 4maliges und die Erbse endlich ein 3maliges Austrocknen. 
Die Resistenz der Keimlinge ist daher, namentlich bei den Ge- 
treidearten, sehr gross. Sie leistet als indirecte Schutzeinrich- 
tung gegenüber den Folgen anhaltender Trockenheit mehr, als dies 
die auffälligsten morphologischen Schutzmittel im.Stande wären. 

Auch in diesem Falle wird es ganz von der mehr oder 
weniger exponirten Lage der Keimpflanzen und ihren: sonstigen 
biologischen Verhältnissen abhängen, ob sich die besprochene 
Eigenthümlichkeit überhaupt als nothwendig herausstellt oder 
nicht. Es ist einleuchtend, dass die Keimlinge der Sumpf- wie 
Wasserpflanzen und der im Schatten dichter Laubkronen vege- 
tirenden Gewächse nur in den seltensten Fällen hinsichtlich ihrer 
Widerstandsfähigkeit gegenüber den Folgen der Austrocknung in 
Anspruch genommen werden. So kommt es z. B. dass die Samen 
mancher unserer Waldbäume, namentlich der Cupuliferen und 
der in den feuchten Auen unserer Flüsse und Ströme grünenden 
Weidenarten und Pappeln, nicht nur im Zustande der Keimung 
das Austrocknen nicht vertragen , sondern selbst vor demselben 
schon sehr empfindlich sind. Am bekanntesten. ist in dieser Hin- 
sicht der Weidersame, welcher seine Keimfähigkeit nach 10 — 
12tägigem Verweilen an einem trockenen Orte vollständig ver- 
liert‘). Auch die Früchte der Cupuliferen lassen sich nur wenige 
Monate hindurch keimfähig aufbewahren. — Die Schutzeinrich- 
tung fehlt eben, wo sie überflüssig wäre. 

Das zweite Extrem, ein zu grosser Ueberfluss oder ein 
gänzliches Ueberschwemmtwerden des keimenden Samens und 
der Keimpflanzen vom Wasser, begegnet nur in ganz vereinzelten 
Fällen einer directen Abwehr. Das merkwürdigste, allerdings nicht 


sicher beglaubigte Beispiel liefern die bekannten Rhizophoren oder 


ist, besteht darin, dass das Eintreten der Lufttroekenheit nicht durch die Wage 
eonstatirt wurde. Für seine und unsere Zwecke genügt übrigens jenes Trocken- 
heitsausmass, welches sich durch Gefühl und Auge bestimmen lässt, 

1) Vgl. Wichura, Bemerkungen über das Blühen, Keimen und Frucht- 
tragen der einheimischen Bäume und Sträucher; in dem XXXIV, Jahresberichte 
der schlesischen Gesellsch. für vaterländische Cultur, 1856, p. 56 ff, 


3 


Mangrovebäume. Alle tropischen Küsten umsäumend, deren ebener 
Boden aus thonreichem Schlamme besteht und vor übermässiger 
Brandung geschützt ist, erheben sie ihre kurzen Stämme 10-25 Fuss 
hoch über den Spiegel der Fluth. Die Mutterpflanze wird hier zum 
Träger des Keimlings. Seine Wurzeln entspringen aus den noch am 
Baume hangenden Früchten und wachsen dann abwärts dem Was- 
serspiegel zu. „In einem weichen Boden, der täglich zweimal vom 
Meere hoch überfluthet wird, würde eine Keimung des Samens 
und Befestigung der Keimpflanze unmöglich sein; deshalb trennen 
sich die schotenförmig ausgestreckten und abwärts hängenden 
Früchte erst dann von ihrem Mutterstamm, wenn ein neuer Baum 
aus ihnen entstanden ist.“ 1) — Bei allen Sumpf- und Wasser- 
pflanzen ist überhaupt die Gefahr der Lostrennung des Keim- 
lings von seiner Unterlage viel grösser als bei den Landpflanzen. 
Wenn ‘nun schon ‘bei diesen letzteren durch das anfänglich so 
überwiegende Wachsthum der Wurzeln und durch den positiven 
Geotropismus des hypokotylen Stengelgliedes °) für die möglichst 
rasche Befestigung der Keimpflanzen im Boden unverkennbar ge- 
sorgt wird, so dürften sich umsomehr bei den Sumpf- und Wasser- 
gewächsen derlei das Festhaften der Keimlinge fördernde Ein- 
richtungen auffinden lassen. Ein genaues Studium der Keimungs- 
geschichte solcher Pflanzen würde in dieser Hinsicht gbwies sehr 
lohnend sein. 

Die Keimlinge der Landpflanzen koii hauptsächlich bei 


"lang andauernden Ueberschwemmungen und wohl auch gelegent- 


lich der Samenverbreitung durch strömendes Wasser in die Lage, 
ihre Widerstandsfähigkeit an den Tag zu legen. Dass dieselbe 
keine geringe ist, kann man schon aus den Erfahrungen der 
Landwirthe entnehmen: Weizensaat, welche durch 6 Wochen 
unter 5°C. kaltem Wasser gestanden war, ging nicht zu Grunde. 
Roggen vertrug 4—5 Wochen lang Wasser von 3° C., zeigte sich 


aber schon etwas mehr angegriffen, als Weizen. Luzerne und 


Klee hielten in Wasser gleichfalls besser aus, als Roggensaat. °) 


') Grisebach, l. c. II. Bd., p. 21, 22. Nach anderen Autoren hat man 
es hier mit blossen Luftwurzeln der Mutterpflanze zu thun. 

?) Vgl. die Anmerkung auf p. 23 dieser Schrift. 

3) Ueber die Ausdauer überschwemmter Saaten von Th, Feige, im 


dian a ne. ee 


RE 


` 


Bei dèr Feststellung der klimatologischen Ursachen, welche 
die Grenzen des Verbreitungsbezirkes einer bestimmten Pflanzen- 
species mitbeeinflussen, hat man bisher fast ausschliesslich nur 
auf die klimatischen Ansprüche der erwachsenen, vollkommen 
ausgebildeten Pflanze Rücksicht genommen; man beschränkte 
sich zum mindesten auf Entwickelungszustände, welche mit dem 
Keimlingsstadium nichts mehr zu thun haben. Wenn man von den 
Hindernissen des Keimens der Samen sprach, so meinte man 
damit stets solche. von mehr zufälliger Natur, ungünstige Aus- 
saatverhältnisse. *) Man war und ist der Ansicht, dass rücksicht- 
"lich der klimatischen Existenzbedingungen des jungen Pflänzehens 
Alles gewonnen sei, wenn nur einmal der Same zu keimen be- 
gonnen habe und geht so von der stillschweigenden Voraus- 
setzung aus, dass jenes Klima, welches der erwachsenen Pflanze 


zusage, unter allen Umständen auch der Keimpflanze zuträglich 


sein müsse. 

Nun kann aber der allmälige Uebergang, welcher in der Ge- 
sammtentwickelung des einzelnen Individuums vom Keimling bis 
zur vollständig ausgebildeten Pflanze statt hat, nicht hindern, dass 
die biologischen Eigenthümlichkeiten beider Stadien von einander 
sehr abweichend sind. Ich halte es für überflüssig, auf diese tief 
eingreifenden Unterschiede erst näher aufmerksam zu machen. — 
Wenn wir demnach bedenken, dass die Extreme der Boden- und 
Lufttemperaturen, der Feuchtigkeits- und Trockenheitsverhältnisse, 
Lieht und Schatten und überhaupt alle vom Klima abhängigen 
Einflüsse die Keimpflanze wenigstens theilweise anders influiren, 
als diejenige Pflanze, welche ihre vegetativen Organe schon nahe- 
zu oder bereits vollständig entwickelt hat, so muss die früher 
erwähnte Voraussetzung einstweilen noch als unerwiesen betrachtet 
werden. Der Schluss ist allerdings zwingend, dass wo die aus- 
gebildete, blühende und Samen reifende Pflanze gedeiht, auch der 
betreffende Keimling die Bedingungen seines Fortkommens finden 


Öesterr landw. Wochenblatt, 1876, Nr. 22, p. 257. Ber. hierüber in Bieder- 
mann’s Wissenschaftlich-prakt. Forschungen auf dem Gebiete der Landwirth- 
schaft, XI, Bd., p. 76. 

1) Vgl. A. de Candolle, Géographie botanique raisonnée, 1855, II. B., 
p. 633. : i 


65 


müsse. Vorausgesetzt, dass wir es mit einer wildwachsenden 
Pflanze zu thun haben. Biologisch und überhaupt logisch uner- 
laubt wäre es aber, wenn man hieran den weitern Schluss knüpfen 
wollte, dass wo die Keimpflanze nicht gedeiht, auch die 
entwickelte Pflanze nicht fortkommen könne. | 
Es ist also — und ich glaube, dass die pflanzengeogra- 
phische Forschung dies ohneweiters zugeben darf — von vorne- 
herein nicht unmöglich, dass es in gewissen, vielleicht in gar 
nicht wenigen Fällen die in mancher Beziehung empfindlicheren 
Keimpflanzen sind, welche die Verbreitungsgrenzen der betref- 
fenden Pflanzenspecies bestimmen. Wenn nun aber gezeigt wird, 
dass den Keimpflanzen ein ganz ausserordentliches Accomodations- 
vermögen an die äusseren klimatischen Bedingungen des Wachs- 


thums eigen ist, und dass man in demselben mit Recht eine Reihe, 


indirecter Schutzeinrichtungen gegen die Ungunst des 
Klimas erblicken darf, so ist damit zwar die Zulässigkeit jener 
Voraussetzung noch nicht bewiesen, allein dieselbe hat doch je- 
denfalls mehr Berechtigung, als vordem. In diesem Sinne, und 
weil die Untersuchung der Beziehungen, in welchen die Keim- 
pflanzen zum Klima stehen, eigentlich mit zu den Vorarbeiten der 
Pflanzengeographie gehören sollte, glaube ich für das vorstehende 
Capitel auch die Aufmerksamkeit der Vertreter dieses Zweiges der 
Botanik in Anspruch nehmen zu dürfen. 

~ Hiermit schliesse ich. Denn schon der letzte, freilich nur 
kurz skizzirte Abschnitt dieses Capitels würde sich wohl besser 
in eine andere Abhandlung einfügen, deren Titel zu lauten hätte: 
„Die Biologie der Keimlinge in ihren Beziehungen zur Wande- 
rung und Verbreitung der Pflanzen“. 


pa 


en E 


aaen E waa 


Viertes ne 


Die Schutzeinrichtungen der Keimpflanzen beim Durchbrechen 

des Bodens. — Die Kotyledonarscheide der Gräser. — Aufgabe der Neben- 

blätter, — Biologische Bedeutung der Nutationserscheinungen an Keimpflanzen ; 

sonstige Ursachen derselben. — Physiologisches über die spontanen Nutationen. 

— Ursache der Nutation bei Helianthuskeimlingen; Versuche. — Die Wider- 

standsfähigkeit der Keimpflanzen gegenüber den Folgen zu- 
fälliger Verletzungen; Beispiele und Versuche. 


Die junge Keimpflanze hat kaum die Samenhülle gesprengt 
und sich im Boden festgewurzelt, so stösst ihr Wachsthum auch 
schon auf mechanische Hindernisse. Es muss die sie bedeckende 
Bodenschichte durchbrochen, dürres Laubwerk emporgehoben, 
oder doch wenigstens der Weg gesucht werden, welcher aus den 
bergenden Ritzen und Spalten. des Erdreichs an das Licht des 
Tages führt: Die ersten "Wachsthumsvorgänge der „Plumula“ voll- 
ziehen sich in einem der Natur und den späteren Aufgaben des 
Jungen Sprosses durchaus fremden Medium. Es frägt sich nun, 
inwieweit sich die Keimpflanze demselben dennoch angepasst habe 
und anpassen musste. 

Unter den verschiedenen Factoren, welche die Art und 
Weise, wie der Keimspross aus dem Boden tritt, beeinflussen, 
st u. A. auch der Schutz der Knospe massgebend. So wie 
die zarte und leicht verletzbare Vegetationsspitze der Wurzel 
durch ein älteres und resistenteres Gewebe wohl verwahrt wird 
erfolgt auch der Schutz der jugendlichen Knospentheile durch 
die kräftigeren Partien des Stengels oder durch ältere Blattge- 
bilde. Indem dieselben vorgeschoben werden, entfällt für erstere 
die Gefahr einer Beschädigung. / 

Bei den Gramineen und anderen Monokotylen ist es die so- 
genannte Keimblattscheide, welche das Schutzorgan der 


67 


ersten Laubblätter vorstellt. Die einen engen Spalt bildende 
Scheidenmündung ist bei den Gräsern, auf welche ich mich 
hier ausschliesslich beziehe, vorn unter der Spitze des Organes 
gelegen. Durch diese Oeffnung tritt dann später das erste Blatt 
hervor, wobei die Scheide in der Verlängerung jenes vorgebil- 
deten Spaltes zerschlitzt wird. — Der anatomische Bau der voll- 
ständig entwickelten Keimblattscheide ist — wenigstens bei den 
Getreidearten — ein sehr einfacher. Ihr Querschnitt, welcher 
mehr oder weniger elliptisch ist, zeigt rechts und links von der 
Medianebene des Keimlings zwei stärker ausgebildete Gewebs- 
massen, welche in ihrer Mitte je ein Gefässbündel führen. Vorne 


und hinten besteht das Scheidengewebe, einschliesslich der bei- 


derseitigen Epidermis, blos aus 3—4 Zellagen. Die Spaltöffnungen 
treten seitlich in zwei von der Spitze abwärts verlaufenden Streifen 
auf, die aber nicht weit bis unter die Mitte reichen. An schiefen 
Schnitten tritt eine sehr deutliche Wellung der Parenchymzell- 
wandungen hervor. Weder in den Gefässbündeln noch unterhalb 
der Epidermis können Bast- oder Collenehymzellen beobachtet 
werden. Wenn nun gleich die Aufgabe der Keimblattscheide 
hauptsächlich in ihren mechanischen Leistungen zu suchen 
ist und man desshalb gerade im vorliegenden Falle das Vorhan- 
densein von Einrichtungen erwarten möchte, welche die Festig. 
keit des Organs erhöhen, so wird uns doch, bei Berücksichtigung 
der sonstigen biologischen Eigenthümlichkeiten der Keimpflanzen, 
dieser gänzliche Mangel mechanisch wirksamer Zellen nicht Wun- 
der nehmen. Eine die Festigkeit der Keimblattscheide erhöhende 
Einriehtung macht sich übrigens thatsächlich geltend, wenn die- 
selbe auch nicht anatomischer Natur ist. Sie besteht nämlich 
in der ausserordentlichen Turgescenz der Keimblattscheide und 
der hiervon abhängigen Gewebespannung.‘) Daħk dieser Einrich- 
tung erspart die Keimpflanze an Baustoffen , welehe sie zur Aus- 
bildung ihrer eigentlichen Assimilationsorgane weit vortheilhafter 


verwerthen kann. 


1) Vgl. Schwendener, Das mechanische Prineip im anatomischen Bau 
der Monokotylen „ woselbst dem Einflusse der Gewebespannung auf die Festig- 


keit der Pflanzenteile ein eigener Absatz, pag. 101 ff., gewidmet ist. 
HF 


Ener ann 


a un 


68 


Die erste Aufgabe der Keimblattscheide besteht also im 
Durchbrechen des Bodens; nicht wenig kommt ihr dabei ihre 
keil- oder spatelförmige Gestalt zu Gute. — Hat sie dann diese 
Aufgabe erfüllt, so übernimmt sie die Herstellung der Biegungs- 
festigkeit der jungen Pflanze. Ein einfacher Versuch beweist die , 
Wichtigkeit auch dieser zweiten Leistung. Entfernt man nämlich 
an im Freien wachsenden Getreidekeimlingen die Scheide, so 
werden sie von jedem stärkeren Winde umgeknickt. Hiermit ist 
aber ihre biologische Bedeutung noch nicht endgiltig erledigt. 
Sie ist zugleich das richtung-gebende Organ des aufwärts 
wachsenden Keimsprosses. Lässt man Roggen- oder Weizen- 
körner zwischen feuchten Tuchfleckchen keimen, und schneidet 
man. die Knospentheile bei einer Länge von 1—1:5 Cm. knapp 
über ihrer Austrittsstelle ab, um die auf diese Weise verstümmel- 
ten Keimlinge in feuchte Erde zu verpflanzen, so treten die nach- 
wachsenden, einer Scheide entbehrenden Knospentheile sehr häufig 
in schiefer Richtung aus dem Boden. Die Grösse dieses spitzen 
Winkels hängt natürlich von der Lage des Samens ab, und kann 
dieselbe unter Umständen selbst weniger betragen als 30 Bogen- 
grade. Die Energie der geotropischen Aufwärtskrümmung, welcher 
der junge Stengel fähig ist, reicht eben zur Ueberwindung der 
mechanischen Hindernisse, welche einem verticalen Hervorwach- 
sen entgegenstehen, lang nicht aus, und bleibt dasselbe ganz und 
gar der Keimblattscheide überlassen. 

Gehen wir nun zu anderen Einrichtungen über. 

Bei einzelnen dikotylen Keimpflanzen wachsen die Koty- 
ledonarstiele zu einer im Boden verbleibenden Scheide zu- 
sammen '), durch welche die Plumula emporwächst. Bernhardi’) 
führt die Gattungen Ferulago und Prangos als diesbezügliche 
Beispiele an. Viel häufiger aber sind die Nebenblätter, welche 
ja auch an oberirdischen Organen so oftmals als schützende 
Knospenhüllen dienen, die Schutzmittel des noch im Boden ver- 
weilenden Keimlings. 


1) Das „Zusammenwachsen“ ist hier natürlich ebenso wenig wie bei den 
„zusammengewachsenen Blumenblättern‘“ buchstäblich zu nehmen, 

?) Ueber die merkwürdigsten Verschiedenheiten des entwickelten Pflanzen- 
embryos und ihren Werth für die Systematik, Linnaea, 1832, p. 561 ff. 


; f 3,5 
ba, Be 69 
ga Alt \ ` T 3: 2 ; 


Eine sehr einfache und doch wirksame Schutzeinrichtung | E 
gibt sich beim Durchbrechen des Bodens in den so ausserordent- | 1 f 
lich häufigen Nutationserscheinungen der Keimpflanzen zu | 
erkennen '). Ihre biologische Bedeutung ist gleichfalls darin zu 
suchen, dass in. Folge der durch Nutation hervorgerufenen Krüm- 
mung des Stengels ein mehr nach rückwärts gelegener, älterer | 
Theil desselben vorgeschoben wird, die leicht verletzbare Knospe | | 
aber” in geschützter Lage nachfolgt. Besonders deutlich, weil nicht | 
durch andere Einflüsse mit verursacht, spricht sich diese Aufgabe l 
der Nutation an jenen Keimpflanzen aus, welche ane Kotyledonen 39 A : | 
im Boden lassen. ee 


ans name 


ee 


Das Zustandekommen einer Krümmung des hypokotylen 
x Stengelgliedes ist aber in dem Falle, als die Keimblätter ans < | 
Licht treten, auch eine unmittelbar mechanische Nothwendigkeit. 
< Das Samenkorn nimmt im Boden eine nicht leicht verrückbare N 
Lage ein; doch auch die Wurzel des Keimlings befestigt sich | 
x) rasch in demselben und das fortwachsende hypokotyle Stengel- - 
NÑ ©“ glied muss deshalb nothwendigerweise eine Krümmung annehmen. | | 
i / Dass sich ihre convexe Seite nach oben kehrt, ist eine Folge des j road i 
nunmehr zur Geltung gelangenden negativen Geotropismus des | 
Stengels. Der untere, an die Wurzel angrenzende Theil desselben | 
| ` zeigt eben das grösste Wachsthum, er sucht sich aufzurichten und | 
gibt dadureh der Nutationsebene die verticale Lage. — So werden | 
‘dann auch die Keimblätter in hängender und deshalb geschützter 
Stellung emporgehoben.‘ 

Neben diesen in äusseren Einflüssen SE Ursachen der 
Nutation gibt es noch eine dritte, welche durch die beschränkten | 
Raumverhältnisse des Samens erklärt wird. Der Embryo, dessen _ 
einzelne Theile sich möglichst enge aneinander schmiegen müssen, Bi 
ist, bekanntlich sehr häufig „gekrümmt oder gebogen“, er nutirt | l 
— um einen anderen Ausdruck zu gebrauchen — bereits im Samen- 
korne. Fast immer ist dann die eigentliche Nutationskrümmung 

des keimenden Pflänzchens nur die Fortsetzung der schon im 
Samen vorhanden gewesenen Krümmung. Jede keimende Bohne ER, i 
ist uns ein Beispiel hiefür. j 


nn nn 


e g 


x 
AU 


P 


1) Da unsere Kenntnisse über dieselben noch sehr lückenhaft sind, so sollen 


sie hier, auf die Gefahr hin, dass dadurch die Grenzen unseres Themas überschrit- 
ten werden, eine etwas ausführlichere Besprechung erfahren. Bi 


rn ee E TNT 


70 


Bei den meisten Pflanzen haben sich nun die vorhin ge- 
schilderten, durch die Natur des Mediums verursachten Krümmungs- 
erscheinungen erblich festgesetzt; sie sind mit den inneren - 
Organisationsverhältnissen der Keimaxe in Correlation getreten 
— ein Ausdruck dafür ist die geänderte Querschnittsform der 
Axe — und stellen sich nun von selbst auch dann ein, wenn die 
Keimpflanzen ausnahmsweise nicht in Erde wachsen, sondern in 
feuchter Luft oder in Wasser. Sie sind an und für sich ganz un- 
abhängig vom Einflusse des Lichts und der Schwerkraft, combiniren 
sich aber unter den in der Natur auftretenden Verhältnissen mit 
heliotropischen und geotropischen Bewegungserscheinungen. Wir 
bezeichnen solche erblich gewordene Krümmungsvorgänge mit 
Sachs als spontane Nutationen '). 

Ich will nun einige die Physiologie dieser Nutationser- 
scheinungen betreffenden Thatsachen mittheilen. Die Beobach- 
tungen, auf welche ich mich hierbei stütze, wurden grösstentheils 
an Keimlingen von Phaseolus vulgaris angestellt. 

Fast immer findet die Nutation genau in der Medianebene 
des Keimlings statt. Wenn die Nutationsebene während des Ver- 
laufes der Krümmung ihre Richtung ändert, so ist dies dem Ein- 
flusse des Lichts und der Schwerkraft zuzuschreiben. Lassen 
wir beispielshalber vollkommen verticalstehende Keimpflanzen von 
Ph. vulgaris im Dunkeln nutiren*), so ändert die Nutationsebene 
ihre anfängliche Richtung fast gar nicht, und da sie, wie schon 
erwähnt wurde, mit der Medianebene des Keimlings zusammen- 
fällt, so wird sehr bald der unterhalb der Krümmung gelegene 
Stengeltheil zwischen die klaffenden Keimblätter eingezwängt. 
Weil aber an der convexen Seite der sich krümmenden Region 
das die Nutation hervorrufende raschere Wachsthum noch fort- 
dauert, so wird auf die eingeklemmte Stengelpartie ein sich stets 
verstärkender Druck ausgeübt, der häufig so gross ist, dass erst 
ein Querriss erfolgt, worauf dann eine ziemlich weit nach ab- 
wärts weichende Längsspaltung des hypokotylen Gliedes eintritt. 


+) Vgl. Sachs, Lehrbuch der Botanik. 4. Aufl. p. 827. 

°?) Ein um eine horizontale Axe langsam rotirender Cylinder zur Aufnahme 
der Keimpflanzen stand mir bei meinen Versuchen leider nicht zu Gebote. Uebri- 
gens ist ein solcher, wenn es sich bei Untersuchung der Nutationsvorgänge blos 
um die Hauptfragen handelt, nicht unumgänglich nothwendig. 


w 


Die Spaltungsebene steht senkrecht auf der Nutationsebene. DE 
Wenn aber die Keimpflanzen an’s Licht gestellt werden, und zwar 
so, dass die einfallenden Strahlen nur eine Seite der sich krümmen- 
den Stelle treffen, die andere Seite aber beschattet bleibt, so 
verursacht der positive Heliotropismus des betreffenden Stengel- 
theiles eine Richtungsänderung der Nutationsebene. Die Axe des. 
sich krümmenden Stengeltheiles bewegt sich nunmehr im Sinne 
einer Schraubenlinie, welche der Lichtquelle zustrebt, und nun 
können auch die Kotylen bei fortdauernder Krümmung bequem 
seitlich vorbeipassiren. — Derselbe Effect wird erzielt, wenn man 
die ursprüngliche Nutationsebene mit der Lothrechten einen nicht 
zu kleinen Winkel einschliessen lässt. Der negative Geotropismus 
ermöglicht hier gleichfalls ein seitliches Ausweichen der Keim- 
blätter ). ; ax; 
Bei vollkommen nickender oder hängender Stellung der Knospe 
beträgt die Ablenkung von der Verticalen annähernd 180 Bogen- 
grade. Doch kann dieser Ablenkungswinkel unter Umständen auch 
360° erreichen, d. h. es wird durch den nutirenden Stengeltheil 
eine vollkommene Schlinge gebildet. Im Dunkeln, wo das Wachs- 
thum des Keimstengels keine durch den Einfluss des Lichtes be- 
wirkte Verlangsamung erfährt, ist dies, wenn nicht die vorhin 
erwähnte Spreizung eintritt, sehr häufig zw beobachten. Man 
könnte nun meinen, dass diese Schlinge, welche die Endknospe wie- 
der in die vertical aufrechte Stellung bringt, keinen anderen Zweck 


habe, als eben dadurch die Nutationskrümmung auszugleichen. 


‘) Unter den in der Natur auftretenden Verhältnissen kann selbstverständ- 
lich von der oben geschilderten Selbstverletzung der nutirenden Keimpflanzen 
nicht die Rede sein. Es müsste nur der höchst unwahrscheinliche Fall ein- 
treten, dass einseitige Beleuchtung die Keimblätter sagen wir rechts vom 
Stengel vorbeiführen würde, während eine Neigung der ursprünglichen Nutations- 
also der Medianebene gegen die Richtung des einfallenden Lichtes die Keim- 
blätter an der der Neigungsrichtung entgegengesetzten, also linken Seite des 
Stengels vorübergleiten liesse. In diesem allerdings denkbaren Falle würden sich 
Helio- und Geotropismus in ihren Wirkungen aufheben und die Spreizung könnte 
leicht eintreten. 

Es sei mir hier übrigens die Bemerkung gestattet, dass die bei Phaseolus \ 
unter dem Einfluss des Lichtes oder der Schwerkraft zu Stande gekommene \ 
Schraubenlinie an anderen Keimpflanzen möglicherweise durch eine ganz spon- | 
tane Drehung der Nutationsebene bedingt wird. Man hätte es in diesem Falle | 
mit einer Art „revolutiver Nutation“ zu thun, Vgl. Sachs, l. e. p. 827. | 


Pi D p, 
| af . f, Ta A 
$ F y n £ © A h a ADIY 
1 y N F h f 


en A En ga 


j 
ahnen eian ni e aiai ch 


12 


In der That spricht Nobbe') ihr diese Bedeutung zu. Allein 
eine solche Ansicht hat nicht nur von vorneherein wenig Wahr: 
scheinlichkeit für sich, sie kann auch durch die directe Beobach- 
tung leicht widerlegt werden. Niemals gestaltet sich die Schlinge 
zu einer dauernden Eigenthümlichkeit der Keimpflanze; sie wird 
im Gegentheile immer wieder aufgerollt und der betreffende Stengel 
streckt sich schliesslich ganz gerade. Die Aufrollung geht im 
Lichte gewöhnlich rasch von statten; im Dunkeln erfolgt sie erst 
sehr spät und langsam. Unzweifelhaft trägt im ersteren Falle der 
positive Heliotropismus des nutirenden Stengeltheiles sehr viel 
zum raschen Aufrollen der Schlinge bei. Die convexe Seite der 
Krümmung, durch deren schnelleres Wachsthum die Nutation zu 
Stande kam, ist unter gewöhnlichen Verhältnissen auch die be- 
leuchtete Seite. Das Licht, wirkt auf ihr Wachsthum retar- 
dirend ein, und verringerte also während der vorhergängigen, 
eigentlichen Nutationsbewegung die Differenz in der Wachsthums- 
geschwindigkeit beider Seiten. Die Folge davon war eine Ver- 
zögerung der Nutationsbewegung. Jetzt, wo durch das raschere 
Wachsthum der concaven und beschatteten Seite eine der 
vorigen entgegengesetzte Bewegung eingeleitet wird, muss der 
Einfluss des Lichtes durch die Erhöhung jener Differenz selbst- 
verständlich eine Beschleunigung hervorrufen. 

Nicht alle an Keimpflanzen zu beobachtenden Nutations- 
erscheinungen gehören in die besprochene Kategorie der spon- 
tanen Nutationen. Bei Helianthus annuus ist es, wie ich mich 


durch zahlreiche Versuche überzeugt habe, die Last der Kotylen 


und des Pericarps, welche an vertical aus der Erde hervortre- 
tenden Keimpflänzchen eine Abwärtskrümmung des Stengels her- 
beiführt. Es ist das, in ihren Anfangsstadien wenigstens, dieselbe 
; Erscheinung, wie sie bei den nickenden Stielen vieler Blüthen- 
knospen und Blüthen (Clematis integrifolia, Papaver pilosum und 
dubium, Geum rivale, Anemone pratensis ete,) auftritt und in der 
unzureichenden Gewebespannung der Stiele ihre Erklärung finde t.2) 


1) Handbuch der Samenkunde, p. 220. 

°) Vgl. Sachs, Experimentalphysiologie, p. 99; Frank, Beiträge zur 
Pflanzenphysiologie, 1868, p.53 und de Vries, Ueber einige Ursachen der Rich- 
tung bilateralsymmetrischer Pfanzentheile, 1871, in den Arbeiten des bot. Instituts 
in Würzburg, I. B., p. 228 ff. 


13 


Steckt man die Früchte von Helianthus annuus derart in 
feuchte lockere Erde oder in Sägespäne, dass die Keimaxe ver- 
tical steht, so werden, falls die Belastung von oben nur eine ge- 
ringe ist, die von der Fruchtschale bedeckten Keimblätter gerade 
emporgehoben, und auch das sich streckende hypokotyle Stengel- 
glied bleibt vorläufig gerade. Die Kotyledonen haben aber das 
Erdreich kaum verlassen, so neigen sie sich auch schon nach 
dieser oder jener Richtung und in kürzester Zeit beträgt die Ab- 
lenkung von der Verticalen 90° und darüber. Man findet dabei, 
dass die Nutationsebene von der Mediane des Keimlings ganz 
unabhängig ist, und mit ihr alle möglichen Winkel einschliessen 
kann. Zuweilen will es der Zufall, dass die beiden Ebenen, wie 
bei der spontanen Nutation wirklich zusammenfallen , in einem 
anderen Falle stehen sie senkrecht aufeinander. Schon dieser 
eine Umstand macht es im hohen Grade wahrscheinlich, dass 
hier beim Zustandekommen der Nutation blos äussere UisaicheR 
massgebend sind. Die weiteren Versuche, welche ich mit in feuch- 
ten Sägespänen bei 23—26° C. gezogenen Keimpflänzchen durch- 
führte, liessen mich auch über die Natur jener äusseren Ursache 
nicht im Zweifel. Sie wurden grösstentheils in feuchter Luft an- 
gestellt und gelangte dabei‘der schon im ersten Capitel beschrie- 
bene Apparat zur Verwendung. Auch die Messungen wurden in 
derselben Weise vorgenommen, wie ich es dort angab. 

l. Versuch. Zwei vollkommen gerade Keimlinge — ihr 
Alter betrug 3 Tage — wurden in horizontaler Stellung derart 
befestigt, dass man mit einer dünnen Messingnadel die Grenze 
zeitnah hypokotylem Stengelgliede und Wurzel durchstach, und 
dann die Nadel in eines der an der Seitenwandung des  Apparates 
befindlichen Korkstückchen steckte. Mittelst einer zweiten Nadel 
konnte die Wurzel leicht in fixer Lage erhalten werden, wogegen 


das hypokotyle Stengelglied sammt den Keimblättern nach allen 


Seiten treien Spielraum hatte. Um die Wurzel war vorerst feuch- 
tes Filterpapier gewickelt worden. An die hypokotylen Axen der 
Keimlinge brachte ich ober- und unterseits in Abständen von je 
2 Mill. feine Tuschmarken an, so dass die horizontal liegenden 
Stengel, von welchen der eine (A) 12, der andere (B) 10 Mill. 
lang war, in 6 resp. 5 Zonen getheilt wurden. Die Medianebene 


SE 
AE 


en 


a me. ar 


En 


a near a un are ~ 


e ai 


T4 


des Keimlings A hatte eine verticale, die von B eine’ hori- 
zontale Lage. Nach 24stündigem Wachsthum im Dunkeln und 
bei 25°C. ergab die Messung folgende Partialzuwachse: 

A B 


Obers. Unters. Obers. Unters. 
I. Zone (hinter den 


Keimblättern) 0'6 Mm. 0:1 Mm. 0'4 Mm. 0'1 Mm. 
IE RO. a 
u en 
IV. . T 1:5 . 2-2 
TAA wen. Zu 
IV. 5 2 0'8 f 5 5 : 
Gesammtzuwachs 3°0 Mm. 4'4 Mm. 2-4 Mm. 3-4 Mm. 
Man sieht hieraus, dass die Maxima der Partialzuwachse 
auf Ober- und Unterseite des horizontal gelegten Stengels in ver- 
schiedene Zonen fallen. Dem entsprechend zeigen sich natürlich 
auch zwei Krümmungen, von welchen die eine (K,) oberseits 


convex ist und hinter den 
Keimblättern auftritt, die 
andere (K,) dagegen nach 
oben concav erscheint und 
vor der Wurzel sich einstellt 


Keimling von Helianthus annuus. Die Krümmung bei x < ss 

Kı TT hervorgerufen durch die Last der Kotylen u. (Fig. 2). Beide Krümmungen, 

der Fruchtschale; bei A» durch den negativen Geotro- r 7 
pismus des hypokotylen Stengelgliedes. welche zusammen em lie- 

gendes œ bilden, erfolgen in ein- und derselben Vertical- 

ebene; die beiden Keimlinge verhielten sich in dieser Beziehung 


durchaus gleich. Nachstehend führe ich die betreffenden 


Krümmungsradien (R) und Bogengrade (B) an: 
A B 


Are Mn; Ri = 1 Mm. Rg 5 Mm. 
B = 60° Ao =A Bares B, 70° 
Dem grösseren Maximalzuwachs auf der Unterseite entspricht, 
wie vorauszusehen, auch eine stärkere Krümmung. Auf diesen 
Unterschied beider Krümmungen ist auch die Verschiedenheit in 
der Grösse des Gesammtzuwachses auf der Ober- und Unterseite 
des horizontalen Stengels zurückzuführen. Jene Seite, durch deren 


75 


Wachsthum die Oonvexität der stärkeren Krümmung verur- 
sacht wird, muss nothwendigerweise auch einen grösseren Ge- 
sammtzuwachs zeigen. 

Die vor der Wurzel auftretende Krümmung K, kommt un- 
mittelbar durch den negativen Geotropismus des hypokotylen 
Stengelgliedes zu Stande. Die andere Krümmung (K) dagegen, 
welche eine mehr oder weniger nickende Stellung der Keimblätter 
zur Folge hat, lässt sich nicht anders erklären, als durch den 
nach abwärts gerichteten Zug der Keimblätter und der Frucht- 
schale. Beide Krümmungen, obwohl sie in entgegengesetztem Sinne 
erfolgen, werden demnach durch die Schwerkraft hervorgerufen. 

2. Versuch. Ein drei Tage alter, vollkommen gerader 
Keimling wurde wie oben derart befestigt, dass die Keimaxe 
vertical nach abwärts gerichtet war. Die Länge des hypokotylen 
Stengelgliedes betrug 12 Mm. und war in 6 Zonen zu je 2 Mm. 
eingetheilt. Nach 24 Stunden (Temp. 25°C.) zeigte sich noch kei- 
nerlei Krümmung, woraus auf das deutlichste hervorgeht, dass 
die Nutationen der Helianthuskeimlinge nicht spontan. sein kön- 
nen. Der Zuwachs war auf allen Seiten des Stengels ein ganz 


gleichmässiger und setzte sich aus folgenden Partialzuwachsen 


zusammen. 
ETE E PANNE PEE TEN 0:1 Mm 
en ETE 03 „ 
EEE N TREE T 030; 
ee in he ae E 0 BERN 
M oe: e i Osilia 
e e E ET O Drea 


Gesammtzuwachs 2:9 Mm. 

3. Versuch. Wenn es richtig ist, dass die Last der Ko- 
tylen und der Pericarpes zur Nutation der Keimaxe führt, so 
muss, wenn diese natürliche Last künstlich erhöht wird, auch 
die Intensität der Nutationskrümmung zunehmen. Das Experiment 
bestätigte diese Folgerung und somit auch die Voraussetzung. 
Unter einer grösseren Anzahl gleich alter, in kleinen mit Säge- 
spänen erfüllten Glascylindern gezogenen Keimlinger wählte ich 
mir zwei aus, die einander am ähnlichsten waren. Beide erhoben 
sich gleich hoch über das Keimbett, aus dem sie in vollkommen 


u EEE, n 


ia nn u 


anti ne 


aan 5 gen Pan Gen m BIT S wen 


76 


verticaler Richtung hervorwuchsen; jeder zeigte bereits eine Nu- 
tationskrümmung von 90 Graden, so dass die Keimblätter sich 
in vollkommen horizontaler Stellung befanden. — Die Stellung 
der Keimlinge wurde in nichts verändert. Die Last des einen 
jedoch (A) erleichterte man durch Entfernung des Pericarps, die 
des andern aber (B) erhöhte ich in der Weise, dass ich eine 
kurze, mit einem Siegellackköpfehen versehene Messingnadel ho- 
rizontal in die Fruchtschale steckte, so dass sie in die Verlän- 
gerung der Keimblattrichtung zu liegen kam. Die Länge der 
Nadel betrug 23 Millim., ihr Gewicht 0'052 Gr. und das des 
Siegellackköpfchens 0:248 Gr. Alter der Keimlinge 5 Tage. — 
Das Wachsthum ging im Dunkeln bei 23°C. vor sich. Schon 
nach 3 Stunden zeigte sich ein sehr merkbarer Unterschied. Der 
Nutationswinkel — womit ich die Ablenkung von der Verticalen 
kurz bezeichne — hatte beim Keimling A noch keine messbare 
Vergrösserung erfahren, bei dem mit vermehrter Belastung ver- 
sehenen dagegen war er um 30° gewachsen, betrug also nun- 
mehr 120°, 

H. de Vries hat in seiner oben citirten Abhandlung ?) ge- 
zeigt, dass wenn man an nutirenden Blüthenstielen von Clematis 
integrifolia, Papaver pilosum und dubium die Blüthenknospen ent- 
fernt, die Krümmungen der senkrecht gestellten Stiele sich aus- 
gleichen; letztere sind eben negativ geotropisch. An Helianthus- 
keimlingen gelingt aber dieses Experiment nicht. Die Nutations- 
krümmung wird an keimblattlosen Axen nicht nur nicht ausge- 
glichen, sondern im Gegentheile verstärkt, so dass der Nutations- 
winkel selbst grösser wird, als 180°. Auch an unverletzten Keim- 
lingen ist im Dunkeln eine derartige Zunahme des Nutationswin- 
kels, d. h. ein Gehobenwerden der Keimblätter zu be- 
obachten. Doch geht hier dieser Vorgang langsamer vor sich, 
weil eben das Gewicht der Kotyledonen den EEE auf 
180° zu erhalten bestrebt ist. 

Ich kann mir die soeben geschilderte Thatsache nicht anders 
erklären, als indem ich sie auf die Nachwirkung des Krüm- 
mungsreizes zurückführe. Wir haben hier den Uebergang zu 


1) p, 229. 


TI 


einer eigenthümlichen spontanen Nutation vor uns. Das Zustande- 
kommen und die ersten Stadien der Nutationserscheinung sind 
unmittelbar von einem äusseren Einflusse, der Schwerkraft, 
abhängig; das letzte Stadium dagegen blos mittelbar durch 
die eben erwähnte Nachwirkung. Je früher sich diese letztere 
geltend macht, desto mehr wird die Nutation einer spontanen 
ähnlich werden. Durch Vererbung könnte es dann schliesslich zu 
einer vollkommen spontanen Nutation kommen. Charakteristisch 


wäre für dieselbe im Gegensatze zu den oben beschriebenen spon- 


tanen Nutationen die vollständige Unabhängigkeit der Nutations- 
von der Medianebene, Weitere Untersuchungen müssen lehren, ob 
an Keimpflanzen wirklich derartige Nutationserscheinungen auf- 
treten. | 
Es wurde schon früher angedeutet, dass die erblich gewor- 
denen, auf Bilateralität im Wachsthume beruhenden Nutationen 
der Keimpflänzen den anatomischen Bau des nutirenden Gliedes 
hauptsächlich durch Aenderung der Querschnittsform beeinflussen. 
Ein interessantes Beispiel liefert uns in dieser Hinsicht die Keim- 
pflanze einiger Alliumarten, z.B. von Allium C epa. Im ruhenden Sa- 


men ist das Keimblatt bekanntlich spiralig eingerollt; beim Keimen \ 


tritt es aus demselben hervor und wird zum ersten Laubblatte. 
Etwas oberhalb der Mitte scheint es geknickt zu sein, und über 


dieser geknickten Stelle erhebt sich ein abgestumpfter Parenchym- 
ı kegel. Er ist es, mittelst dessen die Keimpflanze den Boden 


durchbricht. Von einer eigentlichen Nutationsbewegung ist hier 


` freilich nicht mehr die Rede; ebensowenig als ein Ausgleich der 


Nutationskrümmung erfolgen kann. Nichtsdestoweniger darf wohl: 
als sicher angenommen werden, dass es die Nutation des Keim- 
blattes war, welche schliesslich zu dieser auffallenden anato- 
misch-morphologischen Eigenthümlichkeit desselben führte"). 


+ 


Wir haben in diesem Capitel bisher jene Schutzeinrichtun- 
gen gegen die mechanische Verletzung der jungen Knospentheile 


t) Gute Abbildungen von Allium-Keimlingen. findet man in Tittmann’s 


1830 erschienenen Buche über das Keimen der Pflanzen, und in Sachs’ Experi- | | 


ee i P 93. — 


rt ] 
i 
j 


a, 


a oia a a o oa 


a Ta 


78 


besprochen, welche von den biologischen Verhältnissen der Keim- 
pflanze nicht zu trennen sind, da sie mit der Natur des Wachsthums- 
mediums zusammenhängen. Den Keimlingen drohen aber auch noch 
andere, mehr zufällige Verletzungen und Verstümmelungen aller 
Art; dieselben werden hauptsächlich durch Insecten und anders 
Feinde verursacht. Ein sehr auffälliges Beispiel hierzu hat Darwin 
in seinem Werke über „die Entstehung der Arten“ mitgetheilt +). 
In jenem Abschnitte des dritten Capitels, wo er von den Hin- 
dernissen der Vermehrung organischer Wesen spricht, macht er 
unter Anderem auch darauf aufmerksam, dass die Pflanzensäm- 


linge in grosser Menge durch verschiedene Feinde vernichtet wer- 
den, und fährt dann in folgender Weise fort: „So notirte ich 
mir z. B. auf einer umgegrabenen und rein gemachten Fläche 
Landes von 3° Länge und 2‘ Breite, wo keine Erstickung durch 
andere Pflanzen drohte, alle Sämlinge unserer einheimischen Kräu- 
ter, wie sie aufgingen, und von den 357 wurden nicht weniger 
als 295 hauptsächlich durch Schnecken und Insecten zerstört.“ 
Es liegt in der Natur der Sache, dass bei den Keimpflanzen 
directe Schutzmittel gegen derlei Angriffe, ähnlich wie sie 
von Kerner an den gegen unberufene Gäste verwahrten Blü- 
then nachgewiesen wurden”), unmöglich auftreten können. Der 
Keimling besässe zu ihrer Ausbildung weder das erforderliche 
Baumaterial, noch wäre er damit so rasch fertig, dass sie ihm 
überhaupt nützen könnten. Nur indirecte Schutzeinrichtungen 
sind hier zu erwarten, darin bestehend, dass die Keimpflanzen 
selbst durch tiefeingreifende Verletzungen nicht getödtet werden, 
sondern vielmehr eine grosse Lebenszähigkeit und seitens ihrer 
einzelnen Organe eine ausserordentliche Regenerationskraft an 


den Tag legen. | 

Die Culturversuche mit verstümmelten Embryonen, von wel- 
chen im zweiten Capitel dieser Schrift gehandelt wurde, zielten 
auf etwas Anderes, als auf den Einfluss, welchen Verletzungen 
als solche auf das weitere Gedeihen des Keimlings ausüben. Es 
war dort, wie sich der Leser erinnern dürfte, die Abhängigkeit 


1) Aus dem ‚Engl. übersetzt von V. Carus, 6. Aufl., p. 89. 
°) Ueber die Schutzmittel der Blüthen gegen unberufene Gäste; Festschrift 
der k.k. zoolog.-bot. Gesellschaft in Wien, 1876. 


79 


der Keimpflanzen von den Reservestoffen zu illustriren. Verletzun- 
gen, welche einen Verlust an Reservenahrung mit sich bringen, 
wird der Keimling jedenfalls am schwersten verwinden. Bleibt 
ihm dieselbe aber unangetastet, so gibt es kein Organ, dessen 
Verlust der Keimling nicht überdauerte. 

Von den älteren Versuchen !) über diesen Gegenstand sind 
hier namentlich die von Henry und Richard angestellten zu 
erwähnen. Der erstere ?2) zog zwei kräftige Maispflanzen aus 
einem Korne, das er vor der Keimung der Länge nach halbirt 
hatte, so dass jedem Theile die eine Hälfte des Embryo zufiel. 
Nach A. Richard sollen sich auch aus der Länge nach gespal- 
tenen dikotylen Keimlingen, z. B. der Gartenbohne zwei voll- 
kommen lebenskräftige Pflanzen erzielen lassen. 

Zu ähnlichen Resultaten gelangte Blociszewski, und auch 
ich habe aus längshalbirten Weizenkörnern ganz kräftige Keim- 
pflänzchen erzogen. Doch kommt es in der Natur wohl nur 
selten zu derartigen Verletzungen. Gewöhnlich werden die Jungen 
Stengeltheile und Wurzeln des Keimlings in mehr oder minder 
vollständiger Weise „abgeweidet“, wie dies z. B. an Getreide- 
saaten durch Drahtwürmer (Elater segetum) so häufig geschieht. 


Um zu erfahren, wie oft sich dies an ein und demselben Keim- u 
linge wiederholen könne, bevor er endlich zu Grunde geht, liess || 


ich mehrere hundert Roggenkörner zwischen feuchten Tuchlappen 
keimen und schnitt dann an jedem zweiten Tage die nachge- 
wachsenen Knospentheile und Adventivwurzeln gänzlich weg. 
Nach Jjedesmaliger Verstümmelung wurden 25 Körner auf 
freiem Lande angebaut (Saattiefe 1 Cm., Begiessung einmal täg- 
lich), um neben dem Procentsatze der zwischen den Tuchlappen 
sich fortentwickelnden Keimlinge auch‘ jenen der unter den natür- 
lichen Verhältnissen weiterwachsenden Pfänzchen zu bestimmen. 
Der Versuch wurde im Juli durchgeführt. Die Temperatur 
des Versuchsraumes betrug 18--21° ©, Nachstehende kleine Ta- 
belle enthält die in Procentzahlen umgerechneten Ergebnisse des 


1) Es kann hier natürlich nicht meine Absicht sein, das gesammte reiche 


Versuchsmateriale, welches über diesen Gegenstand vorliegt, dem Leser vorzu- 
führen. 
?) Bot. Zeitung, 1836, Nr. 6: 


a cran 


ne 


EEE PER, 


nimm nn nern - 


TEN EN, 


en aa 


=> 5 EEE > = 
EEE ee ar a S Mes 


— 


Pi 
| f 
| | 
| $] 
| N 
4 
j H 
1 
i . 
| i 
hi {N 
FA 
N u 
NI Fi 
DIE FE 
i 
: i 
i i 
| 
It 
$ ķi 
| 
{ 
ng. 
| 
y 
M ~ 


nn ne, 


en 


80 


Versuches. Dieselben beziehen sich in beiden Colonnen jedesmal 
auf das anfängliche Hundert unverletzter Keimlinge. 


u 


Mittlere Zeitdauer 
Im Erdreich bis zum Auflaufen der 
Keimlinge in Tagen. 


Zwischen den 


Es wuchsen weiter | Tuchlappem | 
| 


Nach 1maliger Verst. 100 
96 , 
90 
81 
63 


Die Fortsetzung des Versuches musste unterbleiben, da die 
unvermeidliche Bacterienbildung schon zu sehr überhand nahm 
und in den Gang des Versuches störend einzugreifen drohte. 
Jedenfalls ist das Regenerationsvermögen der Keimlinge ein ganz 


‚ erstaunliches, wenn im Erdboden nach viermaligerVerstimmlung 


noch die halbe Anzahl, nach fünfmaliger noch ein Drittel der 


' Keimpflanzen weiterwächst. So lange das Insekt nicht über die 


Reservestoffbehälter selbst kommt, ist demnach kaum grosse Ge- 
fahr im Anzuge. | 
Auch die Leguminosenkeimlinge sind nicht so empfindlich, 
als man bisweilen glaubt. Sie vertragen ganz leicht Beschädi- 
gungen der Wurzelspitze und des hypokotylen Gliedes. So schnitt 
ich z. B. an 10 Samen von Phaseolus vulgaris nach zwölfstündiger 


_ Quellung je ein 1'5 Mm. langes Stück der Wurzelspitze ab, ohne 


dass das Wachsthum der Keimlinge im mindesten beeinträchtigt 
worden wäre. Zehn andere Keimpflanzen, deren hypokotyle Keim- 
axen je 10— 12 Mm. lang waren, verletzte ich in der Weise, 
dass ich die Stengel quer halbirte, und bei einer dritten Partie 
liess ich blos 1 Mm. lange Stummel an den Keimblättern zurück. 
Die Keimpflanzen wurden dann in feuchte Sägespäne gebracht 
und die Temperatur des Versuchsraumes auf 22°C. erhalten. Nach 
fünf Tagen hatten die hypokotylen Stengelglieder der einen Partie 
eine Länge von 5—6 Cm., die der anderen eine solche von 1"4— 
1:7 Cm. erreicht. Letztere waren an ihrer Basis in Folge der 


1) Diese Ausnahme in der sonst allmälig ansteigenden Zahlenreihe wurde 
durch besonders warme Witterung verursacht. 


81 


Callusbildung sehr stark verbreitert und wiesen 1—8 kräftig ent- 
wickelte Adventivwurzeln auf. Bei ersteren war keine Anschwel- 
lung bemerkbar; die Zahl der neugebildeten Wurzeln a 6— 
7 für jeden Keimling. 

Bekannt ist ‘es, dass auch die be und isolirten 
Keimblätter sehr häufig an ihren früheren Insertionsstellen Ad- 
ventivwurzeln und wohl auch Knospen bilden. Ein bekanntes Bei- 
spiel bietet Ph. multiflorus. Dasselbe zeigt sich nach van Tieg- 
hem auch an den Kotylen der Sonnenblume. Selbst Fragmente 
von Keimblättern leisten Aehnliches. — So lange eben noch Reste 
von fortbildungsfähigem Gewebe und eine hinreichende Menge von 
Reservestoffen vorhanden sind, ist immer noch die Möglichkeit 
gegeben, dass sich schliesslich doch eine EURER Pflanze 
daraus entwickele. 

Ich kann diesen Abschnitt nicht besser schliessen, als in- 

dem ich die nachfolgende Stelle aus Treviranus „Physiologie 
der Gewächse“ (II. B., p. 579) hier wörtlich wiedergebe: 

„Burgsdorf erzählt, wie man ihn hatte bereden wollen, 
dass Eicheln erst im fünften Jahre, nachdem sie gesteckt wor- 
den, aufgegangen seien; der Irrthum lag aber darin, dass, wie- 
wohl das Keimen schon im ersten Jahre vor sich ging, doch in 
diesem und den drei folgenden das Stämmchen durch Frost zer- 
stört ‘oder von Thieren abgefressen war, im fünften Jahre 
aber erst sich entwickelte und dem oberflächlichen Beobachter 
sichtbar wurde.“ 


G. Haberlandt, Schutzeinrichtungen der Keimpflanze, 6 


EEE nut 


een... 


Fünftes Capitel. 


Die Keimblätter alserste Assimilationsorgane. — Beispiele von lang- 
lebigen und sich kräftig entwickelnden Kotylen. — Lage und Gestaltung der- 
selben im Samen. — Ihr anatomischer Bau; Vertheilung der Spaltöffnungen. — 
Transpirationsversuche, — Die Bilateralität der Keimblätter und das Licht. — 
Umwandlung der laubblattartigen Kotylen zu hypogäischen bei den Papilionaceen. 
— Ergrünen der Keimblätter; Entstehung der Chlorophylikörner. — Die Arbeits- 
theilung bei den echten Laubblättern und den ergrünten Kotylen. — Schluss. 


Wir haben in einem früheren Capitel gesehen, dass die 
Menge der Reservestoffe in den Samen verschiedener Ursachen 
halber oft nicht so gross ist, als es für die gedeihliche und 
rasche Entwickelung der einzelnen Keimpflanzen erwünscht wäre. 
Sie reicht in den meisten Fällen nicht hin, um Einrichtungen 
überflüssig erscheinen zu lassen, welche den Keimling so bald 
als möglich auf eigene Füsse stellen, d. h. in den Stand setzen, 
selbständig zu assimiliren. 

Wenn der Embryo im Samen schon so weit ausgebildete 
Assimilationsorgane besitzt, dass die ersten, rasch verlaufenden 
Wachsthumsvorgänge im Boden auch schon ihre Functionsfähig- 
keit — insoferne dieselbe vom “anatomischen Bau abhängt — 
herbeiführen, so liegt das Vortheilhafte einer solchen Einrichung 
‚auf der Hand. An’s Licht getreten beginnen sie dann sofort 
nach dem Ergrünen ihre assimilirende Thätigkeit. Die erste Ent- 
wickelung der Keimpflanze erinnert derart an das alljährliche 
Wiedererwachen der Vegetation des Hochgebirges.. Auch hier, 
wo die Vegetationszeit nur 2—3 Monate dauert, muss die Pflanze 


womöglich jeden die Assimilation erst vorbereitenden Wachsthums- 
vorgang auf die kürzeste Zeit einschränken, und wird am Besten 
daran sein, wenn der erste Sonnenstrahl des Frühlings schon auf 
ein vollkommen assimilationsfähiges Organ trifft: desshalb die 


83 


immergrüne Natur der Blätter. Bei den Keimpflanzen ist es aber 
der ganz unmittelbare Kampf um’s Dasein, welcher ein möglichst 
baldiges Assimiliren und eine rasche Erstarkung so nothwendig 
macht. 

Mit der Anpassung der Kotyledonen an die Laub- 
blattfuncetion wird jenes Erforderniss am einfachsten erfüllt. 
Da dieselben in früheren Keimungsstadien stets auch noch ein 
oder zwei andere physiologische Aufgaben zu erfüllen hatten, sei 
es als Behälter der Reservestoffe, oder als Aufsaugeorgane, so 
fällt natürlich ihre spätere Laubblattnatur als Schutzein- 
richtung der Keimpflanze um so mehr in’s Auge. Aller- 
dings lässt sich hierbei keine zeitliche Grenze ziehen zwischen 
dem Aufhören der einen und dem Beginne der anderen Function: 
während eines gewissen Zeitraumes müssen den’ wachsenden 
Theilen gleichzeitig Reservestoffe und neue Assimilationsproducte 
zugeführt werden. Doch macht dieser allmälige Uebergang ein 
scharfes Auseinanderhalten beider Functionen nur» um so noth- 
wendiger, Eu i Er i 
Wenn man von der Laubblattnatur der Kotyledonen spricht, 
so. kann man wohl kaum anders, als von erster Stelle auf jene 
wunderbaren Pflanzengestalten hinzuweisen, bei welchen die Keim- 
blätter nicht nur die ersten, sondern auch einzigen Assimilations- 
organe vorstellen. Die beiden kolossalen Kotylen der Welwitschia 
mirabilis sind bekanntlich so langlebig, als wie die Pflanze selbst. 
An ihren Spitzen allmälig absterbend und in unregelmässige 
Fetzen zerreissend, wachsen sie an ihrer Basalregion unausgesetzt 
durch Jahrzehnte weiter, ein immergrünes Zeugenpaar des fast 
phantastischen Gestaltungstriebes, welcher in der Natur bisweilen, 
unbeschadet ihrer Anpassungsbestrebungen, mit unwiderstehlicher 
Macht hervorbricht. — Bej einer anderen Pflanze, der einjährigen 
-Gesneracee Streptocarpus polyanthus kommt gar nur ein Keimblatt 
zur Ausbildung, welches dem Boden dicht aufliegend, etwa hand- 
gross wird und von fester, fleischiger Textur ist. Echte Laub- 
blätter werden nicht gebildet. 

An diese vereinzelten Fälle schliessen sich diejenigen an, 
in welchen die Keimblätter wenigstens während des ganzen 
ersten Vegetationsjahres die einzigen Assimilationsorgane 

6* 


er 


EIER EEE 


nn 


84 


der Pflanzen darstellen. Hierher gehören mehrere Corydalis-arten 
(©. tuberosa und Halleri)'), Bunium Bulbocastanum und petraeum, 
Smyrnium perfoliatum, Leontice altaica und vesicaria?) Chaerophyllum 
bulbosum, Eranthis hiemalis, Aconitum Anthora?) u. A. — Bei 
Adoxa moschatellina und Anemone Hepatica bildet die Laubblatt- 
thätigkeit der Kotyledonen auch deshalb einen eigenen Abschnitt 
in der Entwickelung der jungen Pflanze, weil auf die Keim- 
blätter erst Niederblätter folgen, welche die assimilirende Thätig- 
keit der ersteren nicht unmittelbar fortsetzen ?); Ranunculus Ficaria 
endlich repräsentirt eine gewisse Uebergangsstellung, weil hier 
die Keimpflanze im ersten Vegetationsjahr zuweilen blos das 
Keimblatt, zuweilen auch noch ein Laubblatt bildet?). 

Nun folgen diejenigen Fälle, in welchen die ausgewachsenen 
Keimblätter eine sehr beträchtliche Grösse erlangen, und die 
sich später ausbildenden Laubblätter noch längere Zeit hindurch 
kräftig unterstützen. 


Bekannte Beispiele sind in dieser Hinsicht die Keimblätter 


von Cucurbita Pepo und Kieinus communis, welche häufig die 
Grösse einer Kinderhand erreichen. Auch der Fall kommt vor, 
dass die ersten Laubblätter von den Kotyledonen an Grösse über- 
troffen werden. Rhamnus cathartica hat nach Irmisch‘°) Kotylen, 
die fast 15 Mm. breit und ungefähr 8 Mm. lang sind, während 
die darauf folgenden ersten Laubblätter bei ungefähr gleicher 
Länge blos 4—5 Mm. breit werden. An einem 7 Cm. hohen und 
mehrere Wochen alten Pflänzchen von Galium tricorne, welches 
gar nicht mehr recht als Keimpflanze anzusehen war, berechnete 
ich mittelst eines Polarplanimeters die Gesammtoberfläche der noch 
lebhaft grünen Kotyledonen auf 3°6|_] Cm., jene der in 7 Wirteln 
stehenden 29 Laubblätter auf. zusammen 4'2[_] Cm., so dass selbst 


1) Bischoff, in der Zeitschr. für Phys. IV. Bd. p. 10, 11. 

2) Bernhardi, in der Linnaea, 1832, p. 575. EG 

3 Winkler, in den Verh. des bot. Vereines der Provinz Brandenburg, 
Jahrg. XVI, IL H., p. 15. BSR 

P A. Braun, Betrachtungen über die Verjüngung in der Natur, p, 32. 
Vgl. hiezu auch „Das Individuum der Pflanze“, p. 93, 96 und Taf. II, Fig. 3, 

?) Irmisch, Beiträge zur vergl. Morphol. der Pflanzen, 1854, I. H., p. 9. 

6) Bemerkungen über einige Pflanzen der deutschen Flora, in der Flora, 
1855, p. 625. 


85 


in diesem verhältnissmässig schon weit vorgeschrittenen Ent- 
_ wickelungsstadium den Keimblättern noch eine sehr ausgiebige 
Rolle bei der Ernährung der Pflanze zufiel. Es wäre interessant, 
derlei Messungen an einjährigen Alpenpflanzen, wie Ranunculus 
pygmaeus, Gentiana nana, tenella und prostrata, Gnaphalium supi- 
num, Euphrasia minima etc. anzustellen, welche, wie Kerner‘) 
sich ausdrückt, mit ihren zwerghaften Stengeln und den knapp 
über den Kotyledonen und ein oder zwei Paar Laubblättern folgen- 
den Blüthen den Eindruck von eben erst aus den Samen auf- 
gekeimten Gewächsen machen. Wahrscheinlich greifen hier die 
Keimblätter in den ganzen Entwickelungsgang der Pflanzen 
fördernd ein. 27 
Die Lage und Gestaltung der Keimblätter im Samen ist fast 
immer eine derartige, dass dieselben nach ihrem Heraustreten so- 
fort die grösstmögliche Oberfläche besitzen. So ist z. B. die 
morphologische Oberseite der ergrünenden Kotylen von Lupinus, 
d. h. ihre Innenfläche im ruhenden Samen mit zahlreichen kleinen 
Höckern versehen, die sich bei der Entfaltung vollständig aus- 
gleichen. Bei Helianthus annuus reichen auf der Oberseite der 
Kotylen häufig Längsfaltungen der Epidermis tief in das Blatt- 


gewebe, während auf der Unter- resp. Aussenseite derselben die 


nach Innen vorspringenden zahlreichen Längsriefen des Pericarps 


ihre Eindrücke zurücklassen. So kommt es, dass die Breiten- 


zunahme der sich entfaltenden Kotylen besonders rasch von statten 
geht. — Faltenbildungen der verschiedensten Art sind überhaupt 
etwas ziemlich gewöhnliches. Bald sind die Keimblätter blos dachig 
gefaltet, wie bei den Brassiceen, Raphaneen ete., bald zeigen 
sie ein eigenthümlich zerknittertes Aussehen, wie bei mehreren 
Acer-arten, oder Schlängelungen am Querschnitte, wie bei den 
Convolvulaceen. Auch kommen bekanntlich spiralig eingerollte 
Kotyledonen vor, wie bei der Gruppe der Spirolobeen unter den 
Kreuzblüthlern, bei Chimonanthus u. A. — Auf all diese Verhält- 
nisse, welche mit der biologischen Bedeutung der Kotylen im 
engsten Zusammenhange stehen, sei hier, da sie grösstentheils 
schon bekannt sind, nur der Vollständigkeit halber hingewiesen. 


EN 


‘) Die Abhängigkeit der Pflanzengestalt von Klima und Boden, Innsbruck, 
1869, p. 36. 


Die Verschiedenheiten in der Gestalt der Keimblätter kön- 
nen hier füglich übergangen werden '). Eingehender jedoch ist 
ihr anatomischer Bau zu besprechen; es sind die Veränderungen 
anzugeben, welche derselbe bei der Umwandlung der Reserve- 
stoffbehälter in Laubblätter erleidet. 

Ich beschränke mich hierbei ausschliesslich auf die Dikotylen. 

Die ergrünten Keimblätter sind fast immer in ähnlicher 
Weise bilateral gebaut, wie das echte Laubblatt. Nicht immer 
ist aber diese Bilateralität bereits im Samen ausgesprochen. 
Wenn letzterer ein grosses Endosperm enthält und der Embryo 
klein ist, so zeigt das Mesophyli der Kotyledonen häufig eine ganz 
gleichmässig parenchymatische Entwickelung, wie bei den Um- 
belliferen und den Rubiaceen, oder die Pallisadenschichte ist blos 
durch die prismatische Form der obersten, in eine Reihe ange- 
ordneten Zellen des jugendlichen Parenchyms angedeutet, wie bei 
den Euphorbiaceen. Viel weiter geht in endospermreichen Samen 
die Ausbildung der Bilateralität der Keimblätter bei der Familie 
der Polygoneen, wo bereits eine deutliche Pallisadenzelllage vor- 
handen ist; überdies treten in derselben schon häufige Querwände 
auf, welche auf die beginnende Verdoppelung der Zelllage hin- 
weisen. Am vollständigsten ist aber die Pallisadenschicht bei den 
Caesalpineen ausgebildet, wo sie schon aus 2—3 Lagen besteht. 

Fehlt das Endosperm gänzlich, oder nimmt es doch nur 
einen geringen Raum ein, so tritt die Bilateralität der Keimblätter 
schon im ruhenden Samen stets deutlich hervor. Die Pallisaden- 
schichte setzt sich aus 2—3 Zelllagen zusammen, welche oft bis 
über die Mitte des Blattdurchmessers reichen. Bisweilen kommt 
es selbst vor, dass das gesammte Mesophyll aus pallisadenartigen 
Zellen besteht, welche allerdings an der Oberseite des Keimblat- 
tes auffallend länger sind, als an der Unterseite. Erst durch nach- 
trägliche Theilungen geht dann hier diese Zellform verloren. Die 
Pallisadenzellen selbst sind bald kaum doppelt so lang als breit, 


bald übertrifft der Längsdurchmesser um das 8— 10fache die Breite: 
Helianthus annuus. 


‘) Ausführlicheres hierüber findet man in der eitirten Abhandlung Win k- 
ler’s „Ueber die Keimblätter der deutschen Dikotylen,“ 


37 


. Unterhalb der Pallisadenschicht folgen entweder unmittelbar 
die rundlichen oder polyedrischen Zellen des Parenchyms wie bei 
"vielen Papilionaceengattungen, oder der Uebergang beider Schich- 
ten ist ein ganz allmäliger. Zahlreiche Quertheilungen der Zellen 
lassen erkennen, dass der Embryo nur des Zeitpunktes harrt, in 
dem er, seine anscheinend plötzlich unterbrochene Entwickelung 
weiter fortsetzen kann. | 

Mit der Form der Zellen beider Gewebsschichten steht im 


Zusammenhange, dass die Stärke- oder Aleuronkörner der Palli-_ 


sadenschichte gewöhnlich etwas kleiner sind, als die des darunter- 
liegenden Gewebes. 

Die junge Epidermis, oder richtiger gesagt, das Dermatogen 
der Kotylen, besteht vor der Keimung durchwegs aus zartwan- 
digen Zellen. Dieselben sind entweder auf beiden Seiten des 
Blattes polygonal tafelförmig, oder zeigen blos auf einer Seite 
diese Ausbildung, auf der anderen dagegen eine langgestreckte 


Form. Bei Cucurbita ist es die Unter- resp. Aussenseite, deren. 


Dermatogen aus langgestreckten Zellen besteht; bei Phaseolus ist 
es die Oberseite. Die Längsdurchmesser der Zellen sind im 
letzteren Falle in Radien angeordnet, welche sich aber nicht etwa 
auf die Insertionsstelle des Keimblattes als Mittelpunkt beziehen, 
wie man vielleicht erwarten möchte, sondern auf das Hilum des 
Samens, d. i. auf jene Stelle, durch welche die Einwanderung 
-der Hesse in den sirien erfolgt ist. Es steht hier demnach 
der Embryo zur Mutterpflanze in einem ganz charakteristischen 
Abhängigkeitsverhältnisse. — Das Dermatogen der Keimblätter 
zeigt nicht selten schon die Anlagen der Spaltöffnungen; zur Bil- 
dung von Schliesszellen kommt es zwar nirgends, doch sind die 
vorbereitenden Theilungen der Urmutterzelle und die Ausbildung 
der Mutterzellen bereits vor sich gegangen. 

Die das Keimblatt durchziehenden Press bie der 
Gefässbündel liegen im eigentlichen Parenchym desselben, der Un- 
terseite genähert. 

Wir gehen nun zum anatomischen Bau der ergrünten und 
 entfalteten Kotylen über. 


Nur selten kommt es vor, dass auch im vollständig ent- 


wickelten Zustande das Keimblatt nicht bilateral gebaut ist. 


. 


- ` a ai d a a a a aoni en 
x Pi 4, 


88 


Hierher gehören die Keimblätter mit rundlichem Querschnitt. Bei 
Scorzonera zeigt sich zwar eine äusserliche Bilateralität, indem 
die Oberseite der Kotylen flach, die Unterseite convex ist, jene 
Zweitheilung des Mesophylls kann aber noch nicht beobachtet wer- 
den. Die unterhalb der oberen Epidermis befindlichen 3—4 Zell- 
lagen sind etwas dichter mit Chlorophylikörnern gefüllt, als die 
nach innen gelegenen, mehr lichten Zellen. Sonst zeigt sich kein 
wesentlicher Unterschied. g; 

Derlei Ausnahmsfällen gegenüber besitzen die ergrünten 
Keimblätter der Dikotylen ganz regelmässig eine Pallisaden- 
schichte. Auffallend ist ihr grosser Reichthum an Intercellular- 
räumen, was ein entsprechend häufiges Auftreten von Spaltöffnun- 
gen auf der Blattoberseite zur Folge hat. Wir werden übrigens 
auf letzteres noch einmal zurückkommen. 

Die untere Schicht des Mesophylis ist gewöhnlich einfach 
parenchymatisch und nur selten sind die Zellen sternförmig aus- 
gebildet (Agr ostemma, Papaver). Im letzteren Falle wird auch so- 
fort die Zahl der Spaltöffnungen auf der Blattoberseite bedeutend 
kleiner; bei Papaver somniferum fehlen sie hier sogar vollständig. 
— Diese zweite Schicht des Blattparenchyms ist nun bei den 
Kotylen in weit höherem Masse der Assimilationsthätigkeit dienst- 
bar gemacht, als bei den echten Laubblättern. Sie steht hinsicht- 
lich ihres Chlorophylireichthums der Pallisadenschicht nur wenig 
nach und nähert sich derselben manchmal auch in ihrer anatomi- 
schen Ausbildung. So nimmt beispielshalber die unmittelbar an 
die untere Epidermis grenzende Zelllage bei Galeopsis versicolor 
ganz deutlich die Form der Pallisadenzellen an. 

Ueber die Vertheilung der Spaltöffnungen auf Ober- 
und Unterseite der Keimblätter hat bereits Schacht!) sich aus- 
gesprochen. Er unterscheidet zweierlei Fälle. Wenn die Kotylen 
mit ihrer Unter- resp. Aussenseite dem Endosperm anliegen, und 
diese Seite zur aufsaugenden Fläche wird, so treten die Spalt- 
öffnungen auf-der Blattoberseite auf. Wenn aber die Keim- 
blätter sofort an’s Licht treten, verhalten sie sich wie echte Laub- 


1) Lehrbuch der Anatomie und Physiologie der Gewächse, 2. Aufl., I. B., 
pag.- 452. 


blätter; die Epidermis der Unterseite ist dann stis mit Spalt- 
öffnungen versehen. 

Allgemein giltig nl diese beiden Sätze nicht. Der erstere 
Fall wäre nur dann vollständig begreiflich, wenn das aufsaugende 
Gewebe nach Beendigung dieser Function nicht mehr fortbildungs- 
und seine Zellen nicht mehr theilungsfähig wären; dies ist nun 
niemals der Fall und so kommt es denn zu ika Ausnahmen. 
. Es sei mir gestattet, ein Beispiel anzuführen. Bei Agrostemma 
Githago liegt der ling dem Endosperm seitlich so an, dass 
nur die Unterseite eines Keimblattes zur aufsaugenden Fläche 
‘ wird, während die des anderen unmittelbar an die Samenschale 
grenzt. Die Anzahl der Spaltöffnungen ist auf 17] Mm. und für 
die verschiedenen Blattseiten berechnet, die folgende: 


-~ Aeusseres Blatt Inneres Blatt 
Oberseite: Unterseite: Oberseite: Unterseite: 
26 39 21 44 


Auf den Oberseiten beider Blätter ist sie demnach nahezu 
gleich. Die Unterseite des inneren Blattes dagegen, welche dem 


Endosperm anliegt, zeigt nicht nur mehr Spaltöffnungen als die 


entsprechende Oberseite, sondern selbst mehr, als die ganz freie 
Unterseite des äusseren Keimblattes. 

Auch der zweite von Schacht aufgestellte Satz erleidet Aus- 
nahmen. Bei zahlreichen Kotylen, welche anfänglich blos als 
Reservestoffbehälter dienten, ist die Anzahl der Spaltöffnungen 
beiderseits ziemlich dieselbe, bei anderen wieder überwiegt sie 
auf der Oberseite. Nachstehend folgen einige Beispiele. 

Anzahl der Spaltöffnungen per []Mm. auf der Blatt- 


Oberseite Unterseite 
bei Helianthus annuus.. - - 2. .. .. 128 PES 
a T OUIS SU EA ur eng 62 127 
n Trigonella Foenum Graecum .. .. 172 129 
ar bupinus:. (uieus ee ae 2 71 


Man kann wohl sagen, dass sich beiden Keimblättern 
überhaupt dieTendenz zum reichlicheren Auftreten der 


Spaltöffnungen auf der Blattoberseite geltend macht. | 


Die Pallisadenschichte legt demselben keine Hindernisse in den Weg. 
Die Athemhöhlen sind bald enge Spalten, durch das Auseinander- 


\ 


89: 


en ne 


er 


o 


PERE E 


90 


weichen zweier Pallisadenzellen gebildet, bald sind es trichterför- 


. mige Erweiterungen oder Canäle. Dass diese Eigenthümlichkeit des 


anatomischen Baues der Kotylen die Transpiration der Keimpflanzen 
in hohem Grade begünstigen müsse, ist eine naheliegende Folgerung. 

Ich will hier einige Transpirationsversuche mittheilen, 
welche die erwähnte Folgerung bestätigt haben. Es wurden zu dem 
ersten derselben junge Pflänzchen von Polygonum fagopyrum ver- 
wendet, und das Verhältniss, in welchem die Transpirationsgrösse 
der Keimblätter zu jener der ersten Laubblätter steht, in folgender 
Weise ermittelt. Ich wählte mir zu dem Versuche drei (4, B, ©) 
möglichst gleich grosse und gleich aussehende Pflanzen aus, welche 
ausser den Kotyledonen noch zwei Laubblätter entfaltet hatten. 
Nachdem ich sie vorsichtig aus.dem Boden gehoben, die Wurzeln 


‚thunlichst rein gespült und ihr Lebendgewicht bestimmt, versenkte 


ich sie 5—4 Um. tief in mit Hochquellwasser zur Hälfte angefüllte 
Eprouvetten und sperrte die Wasseroberfläche mittelst einer 1 Cm. 
dicken Oelschichte ab. Alle drei Pflänzchen liess ich nun von 
9 Uhr Früh bis 3 Uhr Nachm. im Hintergrunde eines mässig er- 


leuchteten Zimmers transpiriren. Die Temperatur im Versuchs- 


raume betrug 17° C. 
A B C 

Lebendgewicht: ODA Gr. 0'399 Gr. 0:590 Gr. 
Anfangsgew. der Pflanzen 

und: Apparate... 015.707. . 15:060°-, 15'288 „ 
Gewichte nach 6 St. 14 905 „ 15111» 5 
Gewichtsverluste . . . .- 0'155 Gr... 0:177 Gr. 

Ich hatte nun in letzteren Zahlen einen Ausdruck gewonnen 

für die jeder einzelnen Pflanze eigenthümliche Transpirationsgrösse 
und zugleich einen Massstab für die Beurtheilung des weiteren 
Verlaufes der Transpiration. Die Pflanze C diente als Vergleichs- 
pflanze; die Pflanze A wurde der Spreiten ihrer Keim- und Laub- 
blätter beraubt, um die später in Abzug zu bringende Tran- 
spirationsgrösse des Stengels, der Terminalknospe und der Blatt- 
stiele zu ermitteln. Die Pflanze B endlich, als eigentliche Ver- 
suchspflanze, verlor blos die Spreiten ihrer Keimblätter, deren 
Oberflächen sofort mittelst eines sehr exact arbeitenden Polarplani- 
meters bestimmt wurden. Die Schnittflächen verklebte ich sorg- 


91 


fältig mit weichem Bienenwachs. Die Pflanzen transpirirten nun 
von 4 Uhr Nachm. bis 10 Uhr Vorm. bei einer Temperatur von 
16—18° C. 
A B C 

Anfangsgewicht der 
Pflanzen und Apparate 13:356 Gr. 14:817 Gr. 15:095 Gr. 
Gewicht nach 18 St. 13:293 „ 14:666 „ ERCON 
Gewichtsverluste . . . 0-068 Gr. 0-151 @r. 0.338 Gr. 

= Die normale Transspirationsgrösse für B ergibt sich aus der 
Proportion 177 : 155 = 335 : œ, wobei æ — 293 Mgr. Dies wäre, 
unter der, Voraussetzung eines proportinalen Ganges der Tran- 


spiration der Gewichtsverlust von B gewesen, wenn die Keim- 


blätter nicht entfernt worden wären. 


Die Differenz 293—151 = 142 repräsentirt daher die Tran- 
spirationsgrösse der Kotylen. Aus einer zweiten Proportion 


188 : 155 = 63 : y ergibt sich der durch die Transpiration des. 


Stengels, der Knospe und der Blattstiele bedingte Verlust von 
SMER E 
Es entfallen daher für die Laubblätter 99 Mer. 
; » » Keimblätter 142 
„ den Stengel ete. 52 , 
Zusammen 293 Mer. 
Die Gesammtoberfläche der Kotylen war = 5'8 Cm. 
die der beiden Laubblätter war — 7:8 A 
Für 1[_]Cm. berechnet sich daher der Transpirationsverlust 
der Keimblätter auf ungefähr 24 Mer. 
„ Laubblätter , 5 13 
Die Transpirationsgrösse der Kotylen übertrifft 
also die der Laubblätter fast um das Doppelte. 


N 


7 


Es ist selbstverständlich, dass es sich bei diesem Versuche 
nur um annähernd richtige Zahlen handeln konnte. Dass 
solche erreicht wurden, bestätigte ein Controlversuch, bei welchem 
nicht ganze Pflänzchen zur Verwendung gelangten, sondern 


die einzelnen vom Stengel losgetrennten Laubblätter und Kotylen. 


Der Versuch wurde dadurch um Vieles vereinfacht, und konnten 
die beiderseitigen Transpirationsgrössen direct bestimmt werden; 


EEE 


T E aa n AR Bia aa S, a e a a 


92 


er dauerte von 11 Uhr Vorm. bis 2 Uhr Nachm.; Temperatur 
19° C. Es transpirirten je zwei 

Keimblätter Laubblätter 
Gesammtoberfläche: 8:70 [JCm. 10:64 [_]Cm. 
Anfangsgewicht der Blätter 
sammt dem Apparate 8'381 Gr Ta e 
Gewicht nach 3 Stunden 8:249 „ 
Gewichtsverlust . . . .. 0:082 Gr. 

3 berechnet 


dif T ren IE ME 


Auch bei diesem Versuche gaben also die Keimblätter relativ 
fast. doppelt so viel Wasser ab als die Laubblätter. 


Die Vertheilung und Anzahl der Spaltöffnungen war bei 


diesen Pflänzchen folgende: 
Keimblätter Laubblätter 
Oberseite (pr. [1Mm.) 76 © 4i 
Unterseite a ADINE 
Zusammen 155 


Man sieht hieraus recht deutlich, wie wenig man aus der 
Anzahl der Spaltöffnungen eines Organs auf seine Transpira- 
tionsgrösse schliessen darf. Eine grössere Beachtung verdient 
dagegen die Art ihrer Vertheilung. Aus dem Umstande, dass 
die Oberseite der Keimblätter fast gleichviel Spaltöffnungen auf- 
weist, wie die Unterseite, ist man zu folgern berechtigt, dass auch 
das System der Intercellularräume eine beiderseits ziemlich gleiche 

Ausbildung erfahren habe. Und dieser letztere Umstand ist es 
hauptsächlich, welcher die Transpiration der Keimblätter so sehr 
begünstigt. 


Zu einem dritten Transpirationsversuche, welcher genau in 
derselben Weise durchgeführt wurde, wie der vorige, verwendete 
ich ein 18°8 [] Cm. Gesammtoberfläche besitzendes Keimblatt 
von Ricinus communis, so wie das erste Laubblatt derselben Pflanze, 
welches eine Gesammtoberfläche von 19:9 T]Cm. besass. Der 
Versuch dauerte bei 20° C. von 12 Uhr Mittags bis 2 Uhr 

| Nachmittags. | l 


93 


Keimblatt Laubblatt 
Anfangsgewicht des Apparates 


sammi dem Platte... -a 19:137 Gr. 18:176 Gr. 
Gewicht nach 3 Stunden ...:. IS al T7943. 5, 
Gewichtsverlust 0334 Gr. U Gr. 
A berechnet i 
auf 1 []Cm. | 17:7 Mgr. 11'7 Mgr. 


Der Transpirationsverlust des Laubblattes betrug also um 
ein Drittel weniger als der des Keimblattes. 


Ueber die Anzahl und Vertheilung der Spaltöffnungen geben 


folgende Zahlen Aufschluss : 
Keimblatt Laubblatt 


Oberseite (pr. Mm.) ...... 106 70 
Unterseite N 146 LEN 
Zusammen 252 247 


Auch diese Zahlen bestätigen das oben Gesagte. Interessant 


ist hier, dass die Summen der beiderseitigen Spaltöffnungen fast | 


gleich sind, und sich nur in ihrer Vertheilungsweise ein auffälliger 
Ma zeigt. : 

‚ Die gesteigerte Transpiration der ergrünten Kotyledonen rückt 
zwar einerseits die Gefahr des Austrocknens näher, doch fördert sie 
andererseits die Aufnahme von Nährsalzen aus dem Boden, die 
Assimilation und hiermit die Erstarkung der Keimpflanze. 

' Bezüglich des anatomischen Baues der Kotylen muss hier 
noch auf Eines aufmerksam gemacht werden. Diejenigen Keim- 
blätter, welche im ruhenden Samen noch nicht bilateral gebaut 


_ sind, erlangen diese Eigenthtmlichkeit ganz unabhängig vom Ein- . 


fluss des Lichtes. So weisen die Kotylen der Umbelliferen zur 
Zeit, wo sie den Boden durchbrechen und ihre beschatteten Ober- 


seiten sich noch berühren, schon eine vollständig ausgebildete- 


Pallisadenschichte auf. Ich Be wiederholt derartig gebaute Keim- 


blätter mittelst Drahthäkchen, welche ich neben der Pflanze- 


in den Boden steckte ‚ in eine solche Lage gebracht, dass die 
morphologische Unterseite belichtet wurde; nichtsdestoweniger 


blieb sie Unterseite auch hinsichtlich ihres anatomischen Baues. Es 


scheint mir deshalb im hohen Grade unwahrscheinlich, dass bei den 


‚Dikotylen überhaupt jemals ein ebenso unmittelbarer Einfluss des. 


a 
x 


a TE ne 


Saiten nenn nn a a en 


Melting gp aa —— 


in 


> 
Ri, 


94 


Lichtes auf den bilateralen Bau von Blatt und Stengel wird con- 
statirt werden können, wie ein solcher für Thuja orientalis von 
Frank ') nachgewiesen wurde. 


Wie verhält es sich nun mit jenen Kotyledonen, welche als 
ausschliessliche Reservestoffbehälter stets im Boden bleiben, oder 
wenn sie sich auch über denselben erheben, doch niemals zu rech- 
ten Assimilationsorganen werden? Hier geht mit der Laubblatt- 
function auch die anatomische Bilateralität verloren. Der Quer- 
schnitt des „Blattes“ zeigt ein ganz gleichartig ausgebildetes Pa- 
renchymgewebe. Zur Illustration dieses Verhältnisses eignen sich 
namentlich die Keimblätter der Papilionaceen, deren Eintheilung 
in die Gruppen der „Phyllolobae“ und „Sarcolobae“ bekanntlich auf 
dem Unterschiede in der anatomisch-physiologischen Ausbildung ° 
dieser Organe fusst. Eine eigenthümliche Stellung nimmt hierbei 

| die Gattung Lupinus ein, welche ihrer zwar grünen, vergrösserten 
| und andererseits doch wieder fleischigen Keimblätter halber von 
den einen zu dieser, von den anderen zu jener Gruppe gerechnet 
wird. Untersucht man den anatomischen Bau ihrer Kotylen, so 
findet man allerdings eine Pallisadenschichte vor, allein dieselbe 


ist im Vergleich zu den übrigen Fällen so ungleichmässig ausge- 
bildet, die einzelnen Pallisadenzellen ordnen sich so wenig in wohl 
begrenzte Reihen an, dass man sofort den zwar längst eingetre- 
tenen, aber noch nicht vollendeten Process der Rückbildung, 
welcher hier statt hat, zu erkennen im Stande ist. 


Fasst man ausser dem anotomischen Bau der Keimblätter 
auch noch ihre Fähigkeit zu ergrünen ins Auge, so stellt 
sich heraus, dass sich unter den Papilionaceen überhaupt alle 
Uebergänge von der laubblattartigen Ausbildung der Kotylen bis 
zur fleischigen Textur der unter dem Boden verbleibenden Keim- 
„ blätter nachweisen lassen. Mit anderen Worten: Wir haben hier 

jedes einzelne Stadium der Umwandlung von laubblattähnlichen 
 Kotyledonen in hypogäische Keimblätter vor uns. Ich will nun 
ohne weiters diese verschiedenen Stadien der Reihe nach anführen. 


‘) Ueber den Einfluss des Lichtes auf den bilateralen Bau der symmetri- 
schen Zweige der Thuja occidentalis, Pringsheim’s Jahrbücher für wissenschaftl, 
Bot., IX. Bd., p. 147. 


95 


N 


I. Keimblätter im entwickelten Zustande laubblattartie, Palli- 
sadenschichte sehr regelmässig ausgebildet: Genisteae, Anthyllideae, 
Trifolieae etc. 

II. Keimblätter zwar vergrössert, doch Hleischig; Pallisaden- 
schicht unregelmässig; Oberseite weniger lebhaft grün als die 
Unterseite: Lupinus. 


HI. Die fleischigen Keimblätter zeigen kein weiteres Wachs- 


thum, treten aber an’s Licht und ergrünen, namentlich an der . 


Unterseite, ziemlich lebhaft. Die Pallisadenschichte fehlt, sowie 
in allen folgenden Stadien: Phaseolus vulgaris. 


IV. Keimblätter hypogäisch; an’s Licht gebracht ergrünen 
sie wie vorhin und bilden an ihrer Unterseite einige Spaltöffnungen: 
Phaseolus multiflorus. 


V. Keimblätter hypogäisch; am Lichte ergrünen sie nur 
sehr schwach und sind spaltöffnungslos: Pisum. 


VI Die hypogäischen Keimblätter ergrinen auch im Lichte 


N 


‚nicht mehr: Vicia. begr 


Wenn wir diese einzelnen, kurz charakterisirten Stadien 
untereinander vergleichen, so finden wir, dass die anatomischen 
Merkmale früher verloren gehen, als die Fähigkeit der Keim- 
blätter zu ergrünen und mithin zu assimiliren. Die minder ge- 
festigten, weit später erworbenen Eigenschaften werden auch am 
frühesten eingebüsst. Zuerst die anatomische Bilateralität, die 
Pallisadenschichte (Stadium II—III.) Viel später die Spaltöffnun- 
gen (IV—V.) und zuletzt die Fähigkeit zur Chlorophyll- und 


Chlorophyll-K ornbildung (VI.). — Man muss wohl annehmen, 


dass die Vertreter jedes einzelnen Stadiums auch alle vorher- 
gehenden Stadien durchgemacht haben, wenn auch möglicher- 
weise von einer Art dieses von der anderen jenes Stadium rascher 
durchschritten wurde. Ebenso hindert uns nichts an der An- 
nahme, dass sich die Vertreter von II—V. thatsächlich in Ueber- 
gangsstadien befinden und nach kürzeren oder längeren Zeit- 
räumen auch alle folgenden durchschreiten, beziehungsweise zum 
VI. Stadium gelangen werden. Vorausgesetzt, dass die biologische Ur- 
sache dieser Erscheinung nicht einstweilen durch andere Einflüsse 
aufgehoben wird oder bereits aufgehoben ist. 


nen 


ER 


96 


Es gelingt wohl nur selten, eine so lückenlose Reihe von 
Transmutationserscheinungen aufzustellen, welche die mit dem 
Verluste einer bestimmten Function verbundene allmälige An- 
passung an ein für die betreffende Pflanze vortheilhafteres Verhält- 
niss in gleich deutlicher Weise zur Anschauung bringen !). — 

Im Vorhergehenden wurde bereits des Ergrünens der 
Keimblätter Erwähnung. gethan. Zahlreiche, von interessanten 
Resultaten begleitete Detailbeobachtungen hierüber hat Wiesner 
in seiner Schrift über „die Entstehung des Chlorophylis in der 
Pflanze“ veröffentlicht. Auf Grund physiologischer Untersuchungen 
gelangt er daselbst u. A. auch zu dem Ergebniss, dass der 
Chlorophylifarbstoff der Pflanze vorwiegend aus Stärke, und zwar 
durch das Zwischenglied des Etiolins oder des Xanthophylis, 
hervorgeht. Auch Sachsse vertritt in seinem Buche über „die Farb- 
stoffe, Kohlehydrate und Proteinsubstanzen“ die gleiche Ansicht, 
wenn er sie auch nur in gewissen Fällen, speciell bei Keimpflanzen, 
zur Erklärung der Chlorophylibildung für ausreichend hält. Als 
eine anatomische Ergänzung der eben erwähnten Beobachtungen 
Wiesner’s ist es nun jedenfalls anzusehen, wenn der Nachweis 
erbracht wird, dass echte Chlorophylikörner auch durch nach- 
trägliche Umhüllung bereits vorhandener Stärkekörner mit er- 
srünendem Plasma entstehen können. 


Ich habe an einem anderen Orte 2) die Entstehung der 
Chlorophylikörner in den Keimblättern von Phaseolus vulgaris 
ausführlich besprochen. Ich zeigte, dass in den Kotylen keimen- 
der Bohnen und zwar vornehmlich in der unterhalb der Epidermis 
der Aussenseite gelegenen Parenchymschicht erst secundäre, zu- 
sammengesetzte Stärkekörnchen sich bilden, deren Entstehungs- 


weise, anatomisch betrachtet, dieselbe oder doch eine ähnliche 
ist, wie die der Stärkeeinschlüsse in assimilirenden Chorophyll- 
körnern. Diese kleinen Stärkekörner umhüllen sich dann mit 
einem anfänglich gelben, doch bald darauf auch ergrünendem | 
Plasmaüberzuge, und die derart entstandenen „falschen“ Chlo- 
rophylikörner verhalten sich nun genau so wie echte Körner, 


1) Vgl. das zweite Capitel, p. 41. 
?) Botanische Zeitung, 1877, Nr. 23 u. 24. 


97 


welche mit Stärkeeinschlüssen versehen sind: die Stärke wird 
zum grossen Theile aufgelöst, und man hat jetzt nur mehr kernig 
erscheinende, theilungsfähige Chlorophylikörner vor sich. Im 
Dunkeln kommt es selbstverständlich nur zur Bildung von stärke- 


hältigen Etiolinkörnern. Man ersieht aus dem Gesagten, dass 


hier die Entstehung des Ftiolins und dann des Chlorophylis auch 
räumlich und anatomisch an das Vorhandensein von Stärke 
gebunden ist. 

Dieselbe Entstehungsweise der u. gilt auch 


für zahlreiche andere stärkeführende Keimblätter. Unter den 


aleuronhältigen habe ich sie blos für Lupinus sichergestellt, wäh- 
rend hier sonst die von Sachs beschriebene Zerklüftung des 
protoplasmatischen Wandbelegs Platz greift. — Jedenfalls lassen 
sich die mancherlei Verschiedenheiten in der Chlorophylikornbil- 
dung nirgends leichter nachweisen, als an ergrünenden Keim- 


blättern, wo auch das Bildungsmaterial hierfür, sowohl hinsicht- 


lich seiner chemischen Beschaffenheit, als auch mit Rücksicht auf 
seine anatomischen Verhältnisse, ein so variables und mannigfal- 
tiges ist. 

Das Auftreten von Chlorophyll in ruhenden Samen (Acer, 
Viscum, Loranthus ete.), ferner die schon im Dunkeln vor sich 
gehende Chlorophylibildung. im den Kotylen der Coniferenkeim- 
linge gewährt ausschliesslich ein physiologisches Interesse und 
ist für den „Haushalt“ der Keimpflanze wohl belanglos. 


, 


Wenn es sieh zum Schlusse um eine allgemeine anatomisch- 
physiologische Charakteristik der als Laubblätter fungirenden 
Kotyledonen gegenüber den echten Laubblättern handelt, so wird 
dieselbe durch die nachstehenden Erwägungen gegeben sein. 

Bei fast allen Phanerogamen und am ausgesprochensten bei 
' den Dikotylen ') kommt im anatomischen Bau der echten Laub- 
blätter entschieden das Prineip der Arbeitstheilung zur 
Geltung. Es findet seinen unverkennbaren Ausdruck in der Bi- 
a m Blattes. Dieselbe ist eben nicht blos rein morpho- 


1) Von den fleischigen Blättern der Crassulaceen sehe ich hier ab. 
G. Haberlandt, Schutzeinrichtungen der Keimpflanze, 7 


98 


logischer, sondern auch physiologischer Natur. Die Pallisaden- 
schicht an der der Insolation ausgesetzten Oberseite des Blattes 
ist mit ihren diehtgedrängten Chlorophylikörnern das vorzugs- 
weise assimilirende Gewebe. Hier findet die Neubildung von Stärke 
am lebhaftesten statt; doch auch die Entstärkung der Chlorphyll- 
körner, die Auswanderung der Assimilationsproducte verläuft hier 
in den verhältnismässig kürzesten Zeiträumen. — Dagegen ist 
das Schwammparenchym gewöhnlich um so ärmer an Chlo- 
-rophyll,: je entschiedener sich die Bilateralität ausspricht. Die 
Chlorophylikörner sind hier fast immer mit reichlichen Stärke- 
einschlüssen versehen, die Auswanderung der Assimilationspro- 
ducte geht viel langsamer vor sich, ja es scheint, als ob die 
Zellen dieses Gewebes wirklich als zeitweilige „Stärkedepöts“ 
dienten, wie Mer') es angibt. Was aber weit wichtiger ist, das 
Schwammparenchym mit seinem mächtig ausgebildeten Systeme von 
Interzellularräumen ist das vorzugsweise Wasser abgebende und 
desshalb auch Wasser emporziehende Gewebe. Ihm fällt der 
Hauptantheil bei der Transpiration des Blattes zu. 


Hiermit wäre also die physiologische Bilateralität 
der echten Laubblätter kurz gekennzeichnet. 

Wenn man nun den anatomischen Bau der als Assimilations- 
organe fungirenden Keimblätter in’s Auge fasst, so erkennt 
man sofort, dass jene Bilateralität hier lange nicht so scharf aus- 
gesprochen an den Tag tritt, wie vorhin: Das „Schwammparen- 
chym“ ist fast ebenso reich an Chlorophylikörnern, wie die Palli- 
sadenschichte, an den Interzellularräumen partieipirt die eine Ge- 
webshälfte so gut wie die andere, und bei der Vertheilung der 
Spaltöffnungen wird im Mittel keine von den beiden Blattseiten 
+ entschieden bevorzugt. Man sieht, dass die Durchführung 
| des Prineips der Arbeitstheilung hier eine viel weni- 


\ | ger strenge ist. 


Für die Keimpflanze erwächst aber aus dieser Forderung 
des ontogenetischen Entwickelungsgesetzes kein Nachtheil. Ohne 
die Consequenzen dieser Forderung zu beeinträch- 


1) De la constitution et des fonetions des feuilles hivernales, Bulletin de 
la société bot. de France, 1876. 


Eee 


TENS È ee 
N ger 


u. 


mr 


 nachstehen, und sie hinsichtlich ihrer 


39 


tigen, weiss die Natur doch auch den biologischen 
Bedürfnissen der Keimpflanze gerecht zu werden. 
Sie erfüllt eben beide Gewebsschichten reichlich mit Chloro- 
phylikörnern, und spart mit den Interzellularräumen in keiner. 
So kommt es, dass die ergrünten Kotyledonen den echten Laub- 
blättern in der Energie ihrer Assimilationsthätigkeit gewiss nicht 


Transpirationsgrösse sogar 
übertreffen. — : 

Und weil zwar manche von den Schutzeinrichtungen in der 
Entwickelung der Keimpflanze wichtiger , 
Wesen der rein biologischen Anpassung 
als diese, 


keine aber für das 


so sehr bezeichnend ist, 
so schliesse ich mit der vorliegenden Auseinander- 


setzung diese Studie. 


—_____ 


Cambridge Univers 
On permanent 


pe 


FRE: TE 


AEEA TE E 


arpan en a a 


Er 


N 
Sr ha Dedin eae a ee ee 


2 


Te enih 


BNP SS Bart en > SE