RICHARD HEUBERGER
ERINNERUNGEN
AN JOHANNES BRAHMS
Tagebuchnotizen aus den Jahren 1875 bis 1897
erstmals vollständig herausgegeben
von
Kurt Hof mann
2. überarbeitete und vermehrte Auflage
VERLEGT BEI HANS SCHNEIDER TUTZING
1976
ISBN 3 7952 0181
© 1976 by Hans Schneider D 8132 Tutzing
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Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestatter, dieses urheberrechtlich geschützte Werk oder
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Herstellung: Ernst Vögel GmbH, 8491 Stamsried.
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort 7
Erinnerungen aus den Jahren
1867—1884 9
1885 26
1886 31
1887 32
1888 35
1889 41
1890 43
1891 47
1892 50
1893 58
1894 63
1895 74
1896 90
1897 119
Tagebuchnotizen nach dem 7. Mai 1897 128
Johannes Brahms als Pianist . . . 131
Johannes Brahms bei Landpartien 135
Johannes Brahms als Vereinsmitglied . 137
Anhang I: Zusätzliche Tagebuchnotizen 147
Anhang II: Biographische Skizze Richard Heubergers . . . . 173
Nachwort zur zweiten Auflage 183
Namensverzeichnis 185
5
VORWORT
Richard Heubergers „Erinnerungen an Johannes Brahms" sind die um-
fangreichsten, die in der Brahms-Literatur zu verzeichnen sind. Namentlich
in den Jahren von 1885 bis zum Tode des Komponisten am 3. April 1897
hat Heuberger seine Begegnungen und Gespräche mit dem Meister genau auf-
gezeichnet. Die Authentizität der Erinnerungen ist über jeden Zweifel er-
haben, was vor allem Vergleiche der geschilderten Ereignisse mit den bereits
bekannten Tatsachen ergeben.
Das Manuskript befand sich im Nachlaß Max Kalbecks, der einige Passa-
gen in seine Brahms-Biographie aufnahm. Heuberger selbst hat seine Erinne-
rungen mehrmals zitiert — so unter anderen in seinen „Musikalischen Skiz-
zen", Leipzig 1901; in der Zeitschrift „Die Musik" II. Jahr 1902 Heft 5; in
„Der Kunstwart" XX. Jahrgang 1907 Heft 13 — , auch schöpften andere
Biographen aus ihnen manche Erkenntnisse. Es ist jedoch nie zu einer Ver-
öffentlichung der vollständigen Erinnerungen gekommen, obwohl sich noch
1936 Robert Hernried mit den Heubergerschen Brahms-Erinnerungen be-
faßte. Hernried berichtete darüber in der Zeitschrift „Anbruch" und hat auch
ein Manuskript hinterlassen, das aber nicht Gegenstand dieser Herausgabe
ist. Die vorliegenden Aufzeichnungen, die Heuberger in Tagebuchform führte,
sind von Kalbeck nicht publiziert worden, vermutlich um Brahms wegen
mancher offenherzigen Äußerung über seine Zeitgenossen zu schützen. Dieser
Grund fällt heute freilich fort.
Schon Richard Specht hat 1928 in seiner Brahms-Biographie vornehmlich
menschliche Züge des Meisters durchleuchtet und dabei interessante Details
aufgezeigt; aber das Gespräch mit Brahms, das eigene Wort des Meisters
aufzuzeichnen, blieb Richard Heuberger vorbehalten, der viele persönliche
Äußerungen von Johannes Brahms, die von besonderem Wert sind, fast gänz-
lich und wortgetreu wiedergibt. Der Stil ist daher nicht immer geschliffen,
doch kann darauf verzichtet werden, denn gerade die häufig umgangssprach-
liche Ausdrucksweise läßt manche Stellen unmittelbar lebendig erscheinen.
Die Chronologie der Aufzeichnungen bringt es mit sich, daß einige The-
men immer erneut angesprochen werden, so vor allem Richard Wagner. Das
Gespräch hierüber erhellt, daß Johannes Brahms ein großer Kenner der Mei-
sterschaft Richard Wagners war und zwar in einem bislang nicht bekannten
Ausmaß.
Richard Heubergers Manuskript ist im wesentlichen unverändert geblie-
ben, das gilt auch für die beiden, den Erinnerungen folgenden kleinen Kapi-
tel „Johannes Brahms als Pianist" und „Johannes Brahms bei Landpartien".
Eine große Hilfe war mir die Inanspruchnahme einer größeren Anzahl von
Briefabschriften Max Kalbecks, die er sich von Brahms'schen Originalbriefen
an verschiedene Empfänger machte. Aus ihnen konnte ich 1 7 Briefe und Kor-
respondenzkarten von Brahms an Heuberger feststellen! Sie sind im vorlie-
genden Text chronologisch eingeschaltet worden und bieten damit auch eine
kleine Ergänzung zu den Tagebuchnotizen. Heuberger selbst erwähnte nur
2 Korrespondenzkarten vom 2. August und 10. September 1896 in seinem
Manuskript. Zusätzlich wurde von den Erben Richard Heubergers das Ori-
ginalmanuskript der Tagebuchnotizen zur Verfügung gestellt. Ihnen sei dafür
an dieser Stelle besonders gedankt. Beim Vergleich der Fassung aus dem Nach-
laß von Max Kalbeck mit dem Originalmanuskript stellte sich heraus, daß
Richard Heuberger selbst eine Anzahl von Notizen nicht zur Veröffentlichung
vorsah, um die Beteiligten vor Indiskretionen zu schützen. Schon längst sind
aber auch diese Persönlichkeiten Geschichte geworden. In einem Anhang wer-
den daher einige damals nicht zur Publizierung bestimmte Aufzeichnungen
mitgeteilt. Im vorliegenden Text wird auf diese Stellen hingewiesen, so daß
der Zusammenhang erkennbar bleibt. Die persönlichen Aussprüche von Johan-
nes Brahms sind in keiner Weise angetastet worden. Es wurden lediglich kleine
Verbesserungen, vornehmlich in der Chronologie vorgenommen. In runden
Klammern stehende Sätze sind von Heuberger so eingefügt worden. In ecki-
gen Klammern vorkommende Bemerkungen in den Briefen und Karten von
Johannes Brahms bezeichnen Stellen, die Brahms selbst so gekennzeichnet hat.
Die Anmerkungen sind auf Wesentliches beschränkt geblieben, um das Bild
der Erinnerungen nicht allzu sehr zu stören, öfter zitiert worden ist — als
größte Materialsammlung — nur Kalbecks Brahms-Biographie (Band I:
Zweite Auflage 1908. Band II, 1: dto. Bände II— IV: Erste Auflage 1909—
1914), weil sie ausführliche Vergleiche zuläßt und die Details vertieft. In
einem weiteren Anhang schließlich wird eine kurze biographische Skizze
Richard Heubergers beigefügt. In dem abschließenden Namensverzeichnis
sind vornehmlich diejenigen Persönlichkeiten erläutert worden, deren Wirken
im einzelnen nicht ohne weiteres allgemein geläufig ist.
Diese Veröffentlichung ermöglichte Herr Hans Schneider in Tutzing, der
das Manuskript und die Briefabschriften aus dem Nachlaß Max Kalbecks zur
Verfügung stellte. Ihm sei dafür sehr herzlich gedankt.
Hamburg, im Mai 1971 Kurt Hofmann
Meine Erinnerungen an Johannes Brahms sind aus Notizen entstanden, die
ich vom Jahre 1875 an, bis zum Tode Brahms machte. In der ersten Zeit
unseres Verkehrs schrieb ich bedauerlicherweise keine Aufzeichnungen über
Brahms. Bald aber erschien mir das Gespräch mit dem Meister so wertvoll,
daß ich mir vornahm, es für mich zu fixieren. Ich notierte mir den Inhalt der
vielen mit ihm geführten Gespräche durchaus am selben Tage, da ich die
Beobachtung gemacht hatte, daß sich nach etwas längerer Zeit Gedächtnis-
unsicherheiten einstellten. Brahms hatte keine Ahnung von diesen Aufzeich-
nungen. Als er nach langen Jahren durch einen Zufall Kenntnis davon be-
kam, war er sehr entrüstet. Er befürchtete Indiskretionen, worüber ich ihn
nach einem sehr heftigen Gespräch völlig beruhigte. Ich gebe diese Aufzeich-
nungen, namentlich aus späterer Zeit, fast ganz wortgetreu wieder, ein Vor-
gehen, worin mich verschiedene Freunde, unter anderen der Dichter J. V.
Widmann, dem ich manches davon mitteilte, sehr bestärkten.
1867—1884
Ich sah Brahms zum ersten Mal im November 1867*, als er am 11. und
14. November, gemeinsam mit Joseph Joachim in Graz konzertierte.
Ich erinnere mich genau des großen Eindrucks, den mir der Vortrag der
Beethovenschen Violin-Sonate c-Moll, op. 30,2 machte. Die beiden Brahms-
schen Kompositionen, die der Meister — damals ein blonder hagerer Mann
von ausgesprochenem Professorentypus — spielte, sind mir sicherlich nur als
konfuses Zeug erschienen . . . und doch waren es das es-Moll Scherzo op. 4
und die Händelvariationen! Das ist nicht merkwürdig! Man kannte Brahms
damals fast nur als Bearbeiter des Chorliedes „In stiller Nacht"; im übrigen
war nur einigen Wenigen einiges Wenige von seinen Werken bekannt. Das
B-Dur-Sextett, das H-Dur-Trio wurden mit scheuer Neugier hier und da
probiert. Engere Fühlung mit dem neuen Genius hatte nur ein kleiner Kreis.
Seine pastorenhafte Erscheinung hatte für uns etwas Zugeknöpftes. Wir
jungen Leute kamen über ein ansehnliches Maß von Respekt nicht hinaus.
In diesen Tagen war Brahms bei meinem Lehrer, dem Grazer Musikvereins-
direktor Dr. Wilhelm Mayer (W. A. Remy) eingeladen. Bei dieser Gelegen-
heit sah ich ihn die Stiege zu Mayer hinaufgehen! Als ich Mayer fragte, was
er von Brahms halte, meinte er: „Ein großer Künstler! Technik wie Seba-
stian Bach!" Das imponierte wieder. Doch die wahre Liebe klang auch da
nicht heraus.
Heuberger war damals 17 Jahre alt.
In den Grazer Konzerten dieser Zeit machte Brahms durch sein Klavier-
spiel, abgesehen von seinen Kompositionen, großen Eindruck.
Ende April 1873 kam Brahms wieder nach Graz. Er wollte sich in der
Umgebung — ich glaube in Gratwein — eine Sommerwohnung mieten und
war bei dieser Gelegenheit ein paar Tage in der freundlichen Murstadt. Auch
einem Kirchenkonzert des Grazer Singvereins, das am 27. April in der evan-
gelischen Kirche stattfand, und der letzten Probe am Tage vorher, wohnte
er bei. Befand er sich beim Konzert im Kirchenschiff, so hatte er bei der Probe
sozusagen mitgewirkt, wenn auch nicht in musikalischer Weise. Die Übung
fand ziemlich spät am Nachmittag auf dem Chor der Kirche statt. Der Diri-
gent Wegschaider hatte gerade Bachs „Trauerode" beginnen lassen, als Brahms
plötzlich unbemerkt von allen unter uns Sängern — ich gehörte dem Sing-
verein damals als Tenor an und begleitete bei den Klavierproben — auf-
tauchte und sich links dicht neben den Organisten stellte. Er las im Orgelpart
mit, wandte auch gelegentlich die Noten um. Nach und nach wurde es dun-
kel in der Kirche. Der Organist sah bald keine Note mehr. Ohne ein Wort
zu sagen zog Brahms aus der Tiefe seiner Uberziehertasche ein kurzes Stück-
chen einer Kerze, zündete es an und leuchtete nun bis zum Schluß der Probe
dem über die seltene Auszeichnung verblüfften Organisten. Ich hatte das aus
nächster Nähe beobachten können. Bei diesem Anlaß wurde ich, wie ich mich
zu erinnern glaube, Brahms vorgestellt. Meine Scheu vor berühmten Leuten
bewog mich aber, es jedenfalls bei möglichst wenig Worten bewenden zu las-
sen. Die Möglichkeit einer persönlichen Berührung im Sommer fiel dadurch
weg, daß Brahms die Wohnung in Gratwein nach ein paar Tagen plötzlich
verließ. Wie er mir nach etlichen Jahren erzählte, hatten ihn „ein paar ästhe-
tische Frauenzimmer" vertrieben. Er konnte einen seiner Person geltenden
Kultus absolut nicht vertragen.
1875 war ich mit meinem Freunde Dr. Wilhelm Kienzl zu einem Wagner-
konzert nach Wien gefahren. Der Bayreuther Meister dirigierte Bruchstücke
aus der Nibelungentetralogie. Bei einem am Vortag gemachten Rundgang in
Wien (28. Februar) las ich das Plakat eines am selben Tage stattfindenden
Gesellschaftskonzerts, auf welchem Brahms „Deutsches Requiem" als Mittel-
punkt stand. Ich eilte sofort in das Konzert. In dieser denkwürdigen Auf-
führung wurde ich ein feuriger Anhänger des bisher für einen gelehrten Künst-
ler gehaltenen Meisters. Er selbst, damals artistischer Direktor der Gesell-
schaft der Musikfreunde in Wien, dirigierte. Die Solisten, Frau Wilt und
Dr. Kraus, Chor, Orgel und Orchester waren von Brahms selbst aufs genaueste
mit seinen Intentionen vertraut gemacht worden. Die Aufführung war von
äußerster Vollendung und machte den mächtigsten Eindruck. Wie so viele
andere hatte Brahms an diesem Tage mich, dem damals außer Wagner gar
nichts als auch nur der Rede wert erschien, gründlich belehrt.
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Zur ersten persönlichen Berührung mit Brahms kam ich durch den damali-
gen Vorstand des „Wiener Akademischen Gesangvereins". Ich selbst war seit
1876, durch eine Reihe von Jahren, Chormeister dieses Vereins. Der Vorstand
bewog mich, mit ihm zu Brahms zu gehen und ihn zu einer Aufführung des
„Akademischen" einzuladen. Wir suchten Brahms, der schon damals bis zu
seinem Tode in Wien IV, Karlsgasse 4 wohnte, auf. Brahms war sehr höf-
lich, aber etwas steif. Der Besuch war kurz, Details sind mir nicht mehr er-
innerlich.
Kurz darauf wurde von Professor Billroth, dem berühmten Chirurgen, ein
Hauskonzert für den 5. Jänner 1877 vorbereitet, wobei Chöre von Brahms
und Goldmark gesungen werden sollten. Ich war anfangs als Tenor dabei.
Die Proben fanden in den Privatwohnungen der mit Brahms befreundeten
Familien statt. Die erste Probe zu den Chören — Marienlieder und manches
andere von Brahms — ging nicht recht, da kein Dirigent nominiert worden
war. Nach einiger Zeit kam Brahms zur Probe, die, wie ich mich zu erinnern
glaube, bei Professor Oser in der Kärntnerstraße stattfand. Er sagte, das Un-
vollkommene des Studiums erkennend: „Da muß ein Dirigent her, der das
ordentlich einübt" und schlug mich vor. Ich übernahm die Leitung der Übun-
gen. Am Fest selbst dirigierten Brahms und Goldmark ihre Stücke selbst,
wie es von Anfang an geplant gewesen war. Der als unwirsch verschrieene
Brahms dirigierte nun, ohne viel Umstände zu machen, meine Art des Vor-
studiums sofort akzeptierend seine „Marienlieder" op. 22; „Abendständchen"
op. 42 und „Von alten Liebesliedern" op. 62, Goldmark mit zahllosen be-
sonderen Nuancen, welche er nach endlosen Wiederholungen dem Chor bei-
brachte. Der „borstige" Brahms war eben ein großzügiger, meist liebenswür-
diger Dirigent, der freundliche Goldmark dagegen ein peinlicher, fast un-
angenehmer Einstudierer. Brahms und Billroth dankten mir herzlich für meine
Mühe, ein mächtiges Symposium beschloß den Abend.
Eine lustige Gelegenheit führte mich, wieder in Gesellschaft Billroths, mit
Brahms zusammen. Der „Akademische Gesangverein", dem Billroth als Ehren-
mitglied angehörte, veranstaltete am 13. Dezember 1877 eine Billroth-Feier. 1
Dabei durfte Brahms nicht fehlen! Wir sangen damals, außer Dr. Engels-
bergs „Dr. Heine" und anderem ulkigen Zeug, im ersten Teil ein paarBrahms-
sche Sachen, die ich für Männerchor gesetzt hatte: „Ich schell mein Hörn ins
Jammertal" und das prächtige „Lied vom Herrn von Falkenstein". Brahms
war so liebenswürdig, seine Kompositionen selbst zu dirigieren, nachdem er
sich in den Proben, an denen er sich eifrig beteiligte, vom günstigen Stand des
Vorstudiums überzeugt hatte. Brahms dirigierte am Billroth-Abend — als
1 Siehe hierzu den Anhang, das Verhältnis Heuberger — Brahms betreffend,
S. 177 ff.
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Ehrenmitglied des Vereins — mit dem farbigen Vereinsband an der Brust.
Ich hatte ihn abends zur Festivität zuhause abgeholt und ihm das Band, das
er falsch angelegt hatte, in Ordnung gebracht und so fuhren wir in den
Sophiensaal. Bald nach unserer Ankunft kam Billroth und das Fest nahm sei-
nen Anfang. Brahms sang die Studentenlieder, die er aus seiner Jugendzeit
aufs Genaueste kannte und liebte, so kräftig mit, als es ihm seine total ge-
brochene rauhe Stimme erlaubte. Wie er mir sagte, hatte er als Knabe eine
sehr schöne Sopranstimme, sang aber dann in der Mutationszeit zu viel, so
daß sein Organ später förmlich verkümmerte.
In einer der letzten Proben kam Brahms gerade dazu, wie wir „Dr. Heine"
übten. Ich wollte die Probe unterbrechen, Brahms hieß uns aber fortfahren,
setzte sich im Saal und ließ sich das ganze Stück vorsingen. Er genoß es
geradezu mit lustigem Behagen. Die Probe hatte denn auch etwas Originelles.
Kein einziges Notenblatt befand sich im Saal, auswendig sangen Solisten und
Chor, auswendig spielte die Begleiterin am Klavier, auswendig dirigierte ich.
Nach der zur allgemeinen Zufriedenheit verlaufenen Probe ging Brahms mit
allen Studenten in das damals in Wiener Studentenkreisen sehr beliebte
Gasthaus „Zur schönen Laterne", wo er eine Zeitlang — wohl durch meinen
Vorgänger in der Direktion des „Wiener Akademischen Gesangvereins" Dr.
Eyrich veranlaßt — als Stammgast verkehrte und wohlbekannt war. An die-
sem Abend kam es zum ersten längeren Gespräch zwischen Brahms und mir.
Wir saßen den ganzen Abend nebeneinander, und ich erinnere mich, daß
Brahms damals — ich weiß nicht mehr, wie wir darauf kamen — Mozarts
„Figaro" ausführlich besprach und hervorhob, wie Mozart den ungeheuren
Schwierigkeiten des Textbuches in geradezu beispielloser Weise gerecht wurde:
„Da hat Mozart kein landläufiges Textbuch, sondern ein ganzes wohlorgani-
siertes Lustspiel komponiert!" Er konnte nicht müde werden, die Genialität
und technische Meisterschaft zu verherrlichen. — Sehr spat ging die Gesell-
schaft an diesem Abend auseinander.
In den 70er Jahren war Brahms ein häufiger Gast der Matineen bei
Josef Gänsbacher. Ich war wiederholt anwesend, wie Brahms den Gesangs-
vorträgen der Schüler Gänsbachers zuhörte und durch seine geistreichen, da-
mals aber noch ziemlich scharfen Bemerkungen Bewegung unter die Anwesen-
den brachte. Brahms begleitete, wenn er gut aufgelegt war, eine oder die
andere Schülerin, würzte aber vor allem die Unterhaltung durch seinen kausti-
schen Witz. Empfindlich durften diejenigen nicht sein, denen er seine, in
Form von messerscharfen Scherzen gehüllten Ratschläge gab. Er wußte das
selbst sehr gut. Als eines Tages eine Anzahl von Schülern lauter Vorträge mit
voller Stimme absolviert hatte, sagte Brahms beim Fortgehen zu Gäns-
bacher: „Du, jetzt möchte ich aber jemand singen hören!"
Am 16. Februar 1878 war ich vormittags lange bei Brahms in seiner Woh-
12
nung. Er zeigte mir eine Menge höchst interessanter Manuskripte von Beet-
hoven, Mozart, Schubert, Weber, Spohr, Goethe, Schiller, Wagner, Gottfr.
Keller, Rückert, Schumann, Chopin, Liszt. Von Beethoven einen Brief, in
dem von den „Schottischen Liedern" die Rede ist. Handschriftliche Korrektu-
ren von der D-Dur-Messe, ein Skizzenblatt, wo auf einer Seite Beethoven
und auf der anderen Schubert geschrieben hatten. Eine Menge Handschriften
von Schubert, darunter eine Reihe von bis dahin noch ungedruckten Liedern;
Mozarts g-Moll-Symphonie; Lieder von Weber, in welche einige Köpfe von
Webers Hand mit Bleistift hineingezeichnet waren. Die von Richard Wag-
ner autographierte Partitur von „Tannhäuser", einige Briefe und ein Blatt
„Rheingold "-Partitur, von Wagner selbst geschrieben, sowie eine Dedikation
an Brahms auf der gedruckten Partitur von „Rheingold". 2
Im Mai traf ich Brahms bei einer Matinee von Professor Gänsbacher. Er
begleitete selbst etliche Duette aus seinem Opus 75, dann aus den neuen „Lie-
besliedern", op. 65. Ein paar hübsche Mädchen gaben ihm Gelegenheit, ein
wenig mit ihnen vierhändig zu spielen, was er mit viel Liebenswürdigkeit
tat. Ich hatte ihm ein paar Tage vorher eine Anzahl größerer und kleinerer
Kompositionen von mir zur Durchsicht gegeben. Er sagte: „Ich habe die
Sachen recht genau durchgesehen. Wenn Sie Aufrichtigkeit vertragen, so be-
suchen Sie mich wieder dieser Tage, da wollen wir's zusammen durchsehen!
Aber empfindlich dürfen Sie nicht sein!"
Ich hatte mich immer in dem Glauben befunden, ich sei nicht empfindlich,
vertrüge, ja liebte guten Rat ... als ich zwei Tage nach der Matinee den
Meister in seiner Wohnung aufsuchte und ihm eine Anzahl der neuesten
Arbeiten von mir vorspielte — als dann Brahms seine Meinung darüber ab-
gab — da merkte ich, daß ich eitel, kindisch und sehr empfindlich war. Ich
verließ den wohlmeinenden Meister fast mit Tränen in den Augen. Was er
mir sagte, mochte ich hier aufzeichnen.
Brahms hatte, das ist mir im Laufe der Jahre immer klarer geworden, ein
großes pädagogisches Talent. Gewiß nicht für Unterricht im landläufigen
Sinn. Er ähnelte in diesem Punkt seinem Freunde Billroth, der nur jenen
als herrlicher Lehrer voranleuchtete, die mit dem Handwerk bereits vertraut
waren. Brahms hätte mit begeisterten jungen Leuten, die bereits ihre Schule
absolvierten, Großes erreichen können. So viel ich weiß, wäre er sogar be-
reit gewesen — wenn auch in zwangloser Form — am Wiener Konservato-
rium zu wirken, in einer Art „Meisterschule", wie sie an der Akademie der
bildenden Künste längst existierte* »Auf die paar Noten, die ich im Winter
schreibe, kommt's mir absolut nicht an" — sagte er einmal, als ich ihn zu die-
2 Die Brahmssche Handschriftensammlung befindet sich heute, zusammen mit der
Bibliothek, im Archiv der „Gesellschaft der Musikfreunde" in Wien, wie es Brahms
testamentarisch bestimmt hatte.
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sem Punkt befragte und meinte, daß er seine Zeit wohl kaum derartiger
Tätigkeit opfern würde. Brahms liebte es, sich Nebengeschäfte zu suchen, die
ihn scheinbar von der Arbeit aufhielten. Er sagte immer zu mir: „Sie sollten
sich Arbeiten suchen, die Sie gleichsam genieren; das kommt der eigenen
Arbeit zu statten. Ich habe immer bemerkt, daß die, die bloß ,der Kunst
leben', wenig schaffen!" 3
Hellmesberger, der damalige Direktor am Wiener Konservatorium, hatte
wohl kein Verständnis dafür, welch Glück es für die Anstalt und für viele
angehende Künstler gewesen wäre, die Lehren eines Johannes Brahms zu
empfangen, aus seiner, von hoher Warte aus gewonnenen Erfahrung schöpfen
zu dürfen!
Als ich mich zu meinem Besuch bei Brahms rüstete, nahm ich eine Anzahl
im Manuskript fertiger Lieder und Chorsachen mit. Brahms begann, zuerst
am Klavier lehnend, in den Heftchen zu lesen; dann setzte er sich ans Klavier
und fing noch einmal von Anfang an. Um nicht gleich mit seiner sehr richti-
gen Ansicht, die Stücke seien noch keineswegs völlig reif, herauszuplatzen,
lobte er die Auswahl der Texte, indem er wiederholt sagte: „Gebildeter,
junger Mann — ", meinte jedoch, daß ich, so wie viele Jüngere, gerne so ab-
sonderliche Sachen suchte und dadurch in Schwierigkeiten geriete, deren Be-
wältigung ich nicht gewachsen sei. Er griff gleich aus einem Lied eine metrisch
sehr komplizierte Stelle heraus und zeigte mir, daß die Musik den Rhythmus
des Gedichtes in ihrem Material nicht richtig nachbilde. Er ging um so be-
stimmter auf die Konstruktion ein, als er anfangs mit ein paar freundlichen
Worten erwähnt hatte, daß die Stimmung nicht übel getroffen sei. Eine takt-
metrisch sehr schiefe Fügung nahm er besonders vor und bemerkte: „Solche
Unregelmäßigkeiten kann man ja machen, aber sie müssen doch in der Sache
begründet sein und sicher dastehen. Machen Sie einen Drei- oder Fünftakter,
so müssen Sie sehen, wie Sie dann wiederum an richtiger Stelle in den ge-
raden Rhythmus kommen! Auch muß sich eine derartige Konstruktion immer
durch den Baß völlig erklären. Der Baß muß eine Art Spiegelbild der Ober-
stimme sein." Dann nahm er ein leeres Blatt Notenpapier und begann den
von mir komponierten Text in die nur durch die Vertikalstriche bezeichne-
ten, leeren Takte derart hineinzuschreiben, daß jedes Wort rhythmisch
richtig dastand. Er meinte, das sei für den Anfänger ein ganz gutes System.
Man gebe sich da immer genaue Rechenschaft über die Koinzidenz von Wort-
und Musikrhythmus. Dann improvisierte er — zuweilen ganz herrlich —
das ganze Lied. Daß dies alles nur technische Dinge seien, die mit dem eigent-
lichen Dichterischen des musikalischen Schaffens nichts gemein haben, be-
3 So ist es -wohl auch zu verstehen, daß Brahms für Anton Dvorak, den er sehr
förderte, die Arbeit des Korrigierens der Stichvorlagen und Korrekturbögen seiner
Werke zuweilen gerne übernahm.
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tonte er wiederholt nebenher. Nochmal auf die Lieder zurückkommend, ging
er dem Aufbau meiner Melodie aufs genaueste nach, schliff und feilte daran
herum, bis sie ein anderes, wesentlich besseres Gesicht und eine merklich
gesündere, harmonische Unterlage bekamen. Als ich äußerte, das sei mir so
eingefallen, meinte er: „Das darf einem nicht so einfallen! . . . Glauben Sie,
eines von meinen ,paar ordentlichen' Liedern ist mir fix und fertig eingefal-
len? Da hab* ich mich kurios geplagt! . . . Wissen Sie, ein Lied muß man — das
ist ja nicht wörtlich zu nehmen — pfeifen können . . . dann ist es gut!"
Auch an den Begleitfiguren hatte Brahms manches zu bemängeln. Ich hatte
an einer rhythmisch unpassenden Stelle die Figuren gewechselt. Da hielt er
an und zeigte mir wie ich, ohne dem Charakteristischen zu schaden, ja das-
selbe sogar noch unterstützend, den Wechsel der Begleitfiguren an einen rhyth-
misch wichtigen Platz hätte verlegen können.
Ich schalte hier ein, daß ich meine Orchestervariationen über ein Schubert-
sches Thema, nachdem sie bereits in einem Wiener philharmonischen Konzert
aufgeführt worden waren, auf Brahms' Veranlassung einer gründlichen Um-
arbeitung unterzog, die sich keineswegs auf die Instrumentation — die Brahms
gelobt hatte — sondern auf die richtigere Einführungsart neuer Motive be-
zog. Er hatte mir von Variation zu Variation Winke über die Art und Weise
gegeben, in der ich ändern, bessern sollte.
An den Liedern weiterkorrigierend blieb Brahms nicht bei dem Künstleri-
schen stehen, sondern hielt sogar das Mechanische des Schreibens einer Be-
sprechung wert. Er fand, daß ich nicht Viertel unter Viertel geschrieben und
dadurch die Leichtleserlichkeit geschädigt habe, er empfahl mir, darauf zu
achten, die Bogen über Notengruppen ganz genau zu machen, Noten über
der Mittellinie eines Systems hinab und die darunter befindlichen hinaufzu-
streichen, die Schlüssel # und b genau auf die dafür bestimmten Linien oder
Zwischenräume zu setzen — kurz, dem anscheinend rein Äußerlichen der
Musiknotenschrift mehr Sorgfalt zuzuwenden. „Da sehen Sie her", sagte er,
brachte aus dem Nebenzimmer die von Wagner selbst autographierte Parti-
tur vom „Tannhäuser" und schlug den langen H-Dur-Satz im zweiten Akt
auf: „Wagner hat da auf jeder Linie, auf jeder Seite jedes der fünf t pein-
lich genau an seine Stelle gesetzt und das ist trotz aller Präzision flott und
flüssig geschrieben! Wenn so jemand so nett schreiben kann, müssen Sie's
auch lernen!" Er blätterte den ganzen Satz durch und deutete schier vor-
wurfsvoll fast auf jedes Kreuz ganz besonders hin. Ich wurde — je mehr
sich Brahms in eine Art didaktischen Zornes hineinredete — immer klein-
lauter. Ganz verstummte ich aber, als Brahms nach meiner Bemerkung „für
allerlei Konfusion, die in den Köpfen von uns jungen Leuten herrsche, sei in
erster Linie Wagner verantwortlich zu machen" . . . auffuhr, als hätte ihn
etwas gestochen . . . „Unsinn, — der mißverstandene Wagner hat es euch an-
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getan, vom wirklichen Wagner verstehen die nichts, die durch ihn irre wer-
den. Wagner ist einer der klarsten Köpfe, die je auf der Welt waren I"
Im Lauf der gewiß gegen zwei Stunden dauernden Unterhaltung war ich,
da schließlich an meinen armen Liedern kaum ein gutes Haar blieb, endlich
in eine korrekte Delinquentenstimmung geraten. Brahms schien das endlich
auch zu bemeiken und sprach ein paar nach seiner Art ermunternde Worte.
Vor allem riet er mir, viel zu schreiben, flüssig zu schreiben und nicht nach
geistreichen Wunderlichkeiten zu suchen. Die von ihm zerzausten Lieder habe
ich nie drucken lassen. Eine Umarbeitung hätte nach Brahms Ansicht keine
Aussicht auf Erfolg gehabt. Ich sah bald ein, daß er Recht hatte.
Im Oktober 1878 suchte ich den Meister auf, der kaum zu erkennen war.
Er hatte sich einen riesigen Bart wachsen lassen, der sehr struppig und grau
war. Unter allerlei Gesprächen kam die Rede auf den Einfluß des Erfolges
eines Werkes beim Publikum und auf den Komponisten. Da meinte Brahms:
„Es ist doch was Unangenehmes, wenn man so regelmäßig durchfällt. Es macht
einen trotz aller Grundsätze stutzig." So war seine erste Symphonie mit sehr
geteiltem Beifall aufgenommen worden. 4 Man hatte ihn, der selbst dirigierte,
mit einem wahren Beifallssturm empfangen, ihm einen ungeheuren Lorbeer-
kranz überreicht, ihn nach Schluß der Symphonie jedoch fast ohne ein Zeichen
des Beifalls abgehen lassen. Ich hatte damals jeder der Proben beigewohnt
und hatte dadurch etwas mehr Fühlung mit dem Werk bekommen als das
von einer in die andere Überraschung fallende Publikum. Ganz klar, an allen
Stellen klar, war mir die Symphonie auch nicht geworden. Ich hatte nur das
bestimmte Gefühl, einem großen Werk gegenüberzustehen. Namentlich die
Pizzicati im letzten Satz — die Brahms in einer geradezu aufregenden Weise
durch starke Tempoänderungen zu steigern wußte — wirkten mit elementarer
Gewalt. Ebenso der gewaltige Anfang des ersten Satzes, der süße Gesang des
Adagio. —
7. November. Ich war eben bei Brahms, die Rede kam auf Richard Wag-
ner, speziell auf die Nibelungen-Tetralogie. Nach ihrem Wert taxierte
Brahms die Stücke folgendermaßen: „Götterdämmerung", „Walküre", „Sieg-
fried" und „Rheingold" ; den letzten Titel sprach er so aus, als wenn es einem
kalt über den Rücken läuft. Gerade über die sogenannten berühmten Stücke
aus den Opern äußerte er sich etwa so: „Nun, der Trauermarsch aus der
,Götterdämmerung c wird doch weitaus überschätzt. Das ist solche Musik, wie
sie Liszt komponiert, so was neben Beethoven zu stellen, ist doch lächerlich.
Da wirken in erster Linie die Baßklarinetten, englische Hörner etc. Das ist
ein Stück, das viele andere auch schreiben könnten. Ebenso das ,Waldweben c .
* In einem Gesellsdiaftskonzert am 17. Dezember 1876 im großen Musikvereins-
saal in Wien.
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Es ist gewiß recht poetisch, aber von unbedeutendem musikalischem Gehalt.
Da wirkt, wie im Es-Dur-Dreiklang des ,Rheingold', doch nur das Element.
Die Musik als Element, die Instrumentation. Außer diesen Stücken hat Wag-
ner ja ganz prachtvolle Sachen." Dies sagte er mit ganz ehrlicher Betonung.
Am 13. Jänner 1879 war ich wieder einmal bei Brahms. Er hatte mich an
den Verlag Rieter-Biedermann empfohlen, ich wollte deshalb Rücksprache
nehmen. Unter anderem kam die Sprache auf die letzte, etwas lasche Auf-
führung seiner ersten Symphonie bei den Philharmonikern. Brahms war von
den Proben ganz entrüstet und ging nicht ins Konzert. (Anhang 1) Abends
war die erste Probe von Brahms' Violinkonzert. Joachim kam zu spät zur
Probe, da der Zug erst um 3 Uhr nachmittags ankam. 5
Im Kaffeehaus gegenüber der Oper traf ich Brahms am 5. April. Er er-
zählte von seinen Begegnungen mit Berlioz und Liszt in den fünfziger Jah-
ren in Leipzig und sprach sehr warm über beide Künstler als Menschen. Auch
Berlioz' Werke waren ihm nicht zuwider. 6
In der ersten Zeit des Jahres 1880 gab es zwischen mir und den maßgeben-
den Leuten des „Akademischen Gesangvereins" Verstimmungen, die schließ-
lich dazu führten, daß ich meine Stellung als Chormeister aufgab; dies war
der Anlaß, daß Brahms mich zum ersten Mal in meiner Wohnung in der
Igelgasse, jetzt Johann-Strauß-Gasse, aufsuchte, wo er mich allerdings ver-
fehlte. Da Brahms seine Karte an meiner Tür ließ, war ich am 23. Februar
vormittags bei ihm. Er erkundigte sich nach meinen Verhältnissen zum „Aka-
demischen Gesangverein" und sagte mir direkt, ich möge darüber mit Hanslick
sprechen, der sich sehr für diese Angelegenheit interessiere. Brahms war sehr
zuvorkommend und setzte voraus, daß die „Akademiker" wohl wieder kom-
men müßten. Er meinte, daß das Institut durch jeden anderen nur verlieren
könnte. Ich schrieb bald darauf an Hanslick, der mich sehr freundlich emp-
fing. Durch Hanslicks Vorgehen, der ein paar Tage später eine Deputation
des „Akademischen Gesangvereins" nicht vorließ und in einer Rezension den
Verein etwas hernahm, indem er auf mich verwies, wurde mir eine öffentliche
Genugtuung zuteil. Das Wohlwollen dieser beiden Männer war mir mehr
wert, als alles „Gekläff" aufzuwiegen vermochte.
Im Herbst 1880 sagte mir Brahms einmal, er habe bei einer Sängerin, einer
ausgezeichneten Dilettantin in Wien, eine Anzahl hübscher Manuskriptlieder
von mir gesehen und die Dame begleitet. „Sie verzeihen mir wohl nachträg-
lich, daß ich während des Spielens etliches geändert habe ..." Er meinte, mit
ein paar Strichen ließe sich da allerlei schärfer, prägnanter, witziger gestalten.
Nach ein paar Tagen rückte ich mit dem Liederheft in der Karlsgasse an.
5 Die Wiener Erstaufführung des Violinkonzertes, op. 77 fand am 14. Januar
1879 statt.
6 Siehe über diese Begegnungen Kalbeck I, S. 140 ff.
17
(Das Heft ist später als op. 13 bei Kistner in Leipzig erschienen.) Brahms
nahm zuerst das Lied „Bitt ihn, o Mutter" vor. Er fand es im Ton ganz
vortrefflich, beanstandete aber die Stelle: „Ich sah zwei Augen am letzten
Sonntag". Diese Gruppe war damals etwa noch einmal so lang gedehnt als
jetzt. „Müssen das aber Augen gewesen sein!" — sagte Brahms schmunzelnd,
„aber für alle anderen Leute sind sie vielleicht doch nicht interessant genug."
Er improvisierte die Stelle dann in knapperer Form, fast genau so, wie sie
jetzt in der gedruckten Ausgabe vorliegt. Ich schrieb sie mir aus dem Gedächt-
nis zu Hause nach und behielt sie bei. In dem Liede „Sagt, seid ihr es, feiner
Herr" bestand er darauf, daß einige pikante Intervalle in der Singstimme
das Launige der sprechenden Person schärfer hervorhöben. — Auf die Bal-
lade „Die Wolke" übergehend, fand Brahms den Schluß durchaus verfehlt.
Ich hatte das Stück damals schier rabiat abgeschlossen. Brahms war für einen
bei den Worten „da schlug der Donner" beginnenden, mild versöhnlichen
Schluß, den er sofort improvisierte, und den ich — mit ganz geringer Ab-
weichung — beibehielt. Für manches herbe Wort — für das ich übrigens
Brahms noch heute unendlich dankbar bin — hat er mich bei anderen An-
lässen reichlich entschädigt.
Es konnte kaum jemand scharfer tadeln, aber auch kaum jemand wärmer
loben als er. Das eine entsprang seinem gewaltigen Ernst, das andere seiner
gleich großen Güte. Die meisten Menschen haben mehr Ernst als Güte an
ihm wahrgenommen. Er war eine schamhafte Natur, die gerade jede weichere
Regung fast ängstlich vor der Welt verbarg. Diejenigen, die ihn aber von
seiner milden Seite kannten, mußten ihn um so inniger lieben.
In den nächsten Jahren kam ich, da ich oft von Wien abwesend und auf
Reisen war, seltener mit Brahms zusammen. Von 1882 an wieder sehr oft.
Unter anderem war er am 29. November 1882 bei mir. Ich zeigte ihm aller-
lei Photographien von meinen Reisen, wofür er sich lebhaft interessierte. Kurz
vorher hatte ich ihm den Klavierauszug meiner Oper „Die Abenteuer einer
Neujahrsnacht" übergeben. Er sprach sich über Buch und Musik gut aus und
fand, daß ich natürlicher geschrieben habe als in den vielen anderen Sachen.
Er meinte, ich würde die gute Wirkung dieser Arbeit und Arbeitsweise spä-
ter bei anderen Arbeiten wohltätig merken. „Es fällt mir auf", sagte er,
„daß mancher meiner Freunde, der sonst verzwickt schreibt, sogleich flüssiger
arbeitet, wenn er ein größeres Vokal werk vor sich hat, so auch bei Ihnen."
Es war einmal, um die Jahreswende 1882/83, als Brahms plötzlich, fast
heftig in mein Zimmer trat. Er war eben aus Leipzig heimgekommen, wo er
meine erste, bereits erwähnte Oper „Die Abenteuer einer Neujahrsnacht" ge-
hört hatte. Max Stägemann, der Direktor des Leipziger Stadttheaters, war
mit Brahms befreundet und hatte ihn aufgefordert, die Oper anzuhören. Als
Brahms bei mir erschien, kam er darauf sofort zu sprechen: „Es ist viel Schö-
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nes in der Oper und was mich namentlich erfreute, ist der Fluß, in dem die
Musik fortschreitet. Viel besser als andere Sachen von Ihnen!" Er lobte dann
ausdrücklich das Kräftig-Dramatische der Musik. Dann kam er zu Vorbehal-
ten. „Ich hörte so manches kontrapunktlich Unvollkommenes, Sie sollten sich
nochmals ernstlich darüber hermachen und Kontrapunkt arbeiten." Er nannte
mir zwei Werke, deren Studium er mir empfahl. Zuerst Bellermanns „Kontra-
punkt" , zweitens Nottebohms bei Rieter-Biedermann erschienene „Studien
Beethovens bei Haydn, Albrechtsberger und Salieri". Er sagte: „In diesen
beiden Werken haben Sie alles zusammen, was sie brauchen." Ich ließ mir's
nicht zweimal sagen, warf mich ernsthaft auf das Studium unter Zuhilfe-
nahme dieser beiden Bücher und habe daraus sehr viel profitiert. Ich war
Brahms innig dankbar für sein lebhaftes Interesse, das er in diesem und so
manchem anderen Gespräch an meiner Weiterbildung nahm.
Aus Gesprächen der Jahre 1882/83 stammen auch verschiedene Bemerkun-
gen von Brahms, die ich mir notierte. So äußerte sich Brahms gelegentlich über
Operntexte, daß er jährlich eine ganze Anzahl zugesandt bekäme, alle seien
aber unbrauchbar, größtenteils entsetzlich. Er sende alles zurück, sobald man
sich ein paarmal darum gemeldet habe. Bezüglich der Textbücher berühmter
Opern nannte er immer wieder vor allem den Text zum „Wasserträger" von
Cherubini und zum „Figaro" von Mozart. Den Text zu „Fidelio", den ich
hervorhob, taxierte er ziemlich niedrig. Er meinte, da habe die Musik fast
alles gemacht, man könne den erhabenen Eindruck, den man von dem Gan-
zen empfange, nicht teilen, der Text allein sei ziemlich ledern . . .
Häufig kam die Sprache auf Dirigenten, die Art Stücke einzustudieren und
Ähnliches, von dem Brahms ein Lied zu singen wußte. Daß Brahms, der
kein unangenehmer Dirigent war, im Notfall kräftig durchzugreifen ver-
stand, konnte ich selbst beobachten. Bei einer Quintettprobe (Brahms am
Klavier) mit dem Quartett Hellmesberger, sagte Sulzer, der Cellist, als Brahms
ihn etwas korrigierte: „Das muß man nicht so genau nehmen", worauf ihm
Brahms gehörig den Kopf wusch.
Über Hellmesberger beklagte er sich, daß dieser alle seine Sachen doch nur
einmal aufführe und dann bei Seite lege. Als Herbeck starb, kam Hellmes-
berger vorübergehend zur Leitung der Gesellschaftskonzerte. Aber es war nur
von kurzer Dauer. Hanslick empfahl Eduard Kremser, worüber Hellmesber-
ger wütend war. Er lief zu Brahms — wie mir der Meister erzählte — und
beschwor ihn, die Direktion wieder zu übernehmen, er wolle fleißig die erste
Geige spielen. Brahms wies das aber unbedingt zurück und Kremser wurde
Nachfolger Herbecks. (Anhang 2 — 4)
Auch den Dirigenten gegenüber wußte Brahms seinen Willen durchzuset-
zen. So erzählte er einmal von Hans Richter, den er übrigens, wenn auch mit
Vorbehalt, sehr hoch stellte, und von einer Probe bei den Wiener Philharmo-
19
nikern: „Als meine ,Tragische Ouvertüre' gemacht und sanft abgelehnt wurde 7 ,
kam einige Wochen später die ,Akademische Festouvertüre' dran. Ich kam zur
Probe. Hans Richter und alle anderen waren wenig freundlich und animiert,
es wurde liederlich geprobt. Da wurde ich wild, ging zu Richter und sagte
ihm vernehmlich: ,Sie sollten nichts spielen, was Ihnen unangenehm ist, oder
nicht gefällt. Leben Sie wohl!' Später erfuhr ich, daß Richter ganz ,begossen'
war, daß daraufhin fleißig studiert wurde und als die Ouvertüre gefiel, war
wieder heller Sonnenschein." Richter hatte übrigens gegen den Willen der mei-
sten Mitglieder der Wiener Philharmoniker eine Wiederholung der Auffüh-
rung der ersten Symphonie von Brahms in einem philharmonischen Konzert
durchgesetzt, damals eine Tat! (Anhang 5)
Als Joachim das Brahmssche Violinkonzert unter der Leitung des Kompo-
nisten zum zweiten Mal in Wien vortrug, war ich bei der Probe anwesend.
Die Orchestermitglieder, wohl durch ungünstigen Einfluß dazu angeregt,
parierten nicht recht. Brahms wollte ernstlich studieren, die schweren Bläser-
einsätze einüben, da wurde es unruhig. Joachim bemerkte dies und sprach
zum Orchester: „Meine Herren! Ich habe mich jetzt im Laufe eines Jahres
fleißig mit dem Werk beschäftigt und an dem Unterschied, wie ich es jetzt
gegen früher bewältige, sehe ich, wie nötig dies war. Geben Sie sich jetzt auch
nur eine Stunde recht sehr Mühe. Es wird sich lohnen!" Diese in liebenswür-
digstem Ton gesprochenen Worte wirkten auf die hochnäsigen jungen Herren
des Schülerorchesters des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde
sichtlich. (Anhang 6)
Daß über musikalische Werke, die von sich reden machten, gesprochen
wurde, versteht sich von selbst und manches schneidend scharfe Urteil wurde
da gefällt. Über „Simone Boccanegra" von Verdi sprach Brahms mit be-
sonders lebhafter Anerkennung. „Da ist doch überall was Talentiertes, Pak-
kendes drin!" Aber das Textbuch verdammte er geradezu. Er meinte: „Nach
einiger Zeit gibt man es ganz auf, zu erforschen, was das bedeuten soll."
Nach der Generalprobe zu Johann Strauß' Operette „Der lustige Krieg"
kam ich zu Brahms, und er erzählte, daß „allerlei feines Zeug" darin sei, aber
leider kein so massives Stück, wie etwa der „Fatinitza-Marsch". Überhaupt
kein „Schlager". Strauß als Dirigent lobte Brahms außerordentlich: „So ele-
gant, so temperamentvoll!"
Als die Oper „Muzzedin" von Bachrich 1883 in der Wiener Hofoper auf-
geführt wurde, sagte er: „Das ist der Festzug aller Komponisten von Gluck
bis Offenbach! Aber alle gehen durch die Seitens tettengasse." (In der Seiten-
stettengasse in Wien ist der große Judentempel des I. Bezirkes.)
7 Uraufführung der „Tragischen Ouvertüre" am 26. Dezember 1880 in Wien im
4. Philharmonischen Konzert.
20
Über Klavierspielerinnen sprechend, erzählte ich ihm, daß Marie Bau-
mayer am 5. November 1882 in Graz sein B-Dur-Konzert gespielt habe und
zwar recht gut. Da meinte er: „Die Baumayer ist viel zu musikalisch, um eine
gute Klavierspielerin zu sein. Da muß man so unmusikalisch sein, wie die
Menter, oder so jemand."
Im Gespräch über Operntexte erwähnte ich, daß ich mit Anzengruber in
Verbindung stehe, was Brahms begrüßte. Nebenbei erwähnte er, daß er ein-
mal in einer Kommission den Vorschlag gemacht habe, Anzengruber ein
größeres Stipendium zukommen zu lassen, was er auch durchsetzte. (An-
hang 7)
Als Brahms einmal mit Gänsbacher musizierte, Gänsbacher spielte Cello,
behauptete Gänsbacher, Brahms spiele so stark, daß er sein eigenes Cello-
spiel nicht höre. „Du Glücklicher", erwiderte Brahms. Ein anderes Mal, als
Gänsbacher in einer Gesellschaft Lieder vortrug, sagte Brahms: „Ja, singen
ist schwer, aber nicht singen ist noch schwerer!" Das sind trotz aller Schärfe
keine Zeichen, daß Brahms Gänsbacher etwa nicht schätzte. Im Gegenteil, er
hielt große Stücke auf den urmusikalischen Gänsbacher. Über Schwächen
konnte er aber nicht hinweg. Das mußte heraus! (Anhang 8 — 11)
Über Nottebohm schließlich sprach er voll Freundschaft und Verehrung.
Er bewunderte die große Schärfe seines Urteils und die knappe Darstellung,
welche er nur insoweit leise tadelte, als er meinte, Nottebohm hätte öfter an-
geben sollen, wie er zu einem Resultat seiner Forschung gelangte. Er erzählte,
er hätte ihn schon oft animiert: Man wolle doch gerne wissen, wie dies oder
das erwiesen wurde, und daß nicht nur lapidar dastehe: So ist es! (Anhang 12)
Einmal fand ich bei Brahms eine Zeichnung von Anselm Feuerbach (Auto-
graph) worauf Brahms, Speidel, Nottebohm und andere — die Tischgesell-
schaft von Gause, einem damals bekannten Restaurant in der Johannesgasse
in Wien — famos porträtiert waren. 8 Als nach einiger Zeit die Rede wieder
einmal auf den von ihm hochverehrten Feuerbach kam und Brahms mir eine
Anzahl herrlicher Photographien von Werken dieses Meisters gezeigt hatte,
sprachen wir auch darüber, daß manche zünftige, bildende Künstler allerlei
an Feuerbach auszusetzen hätten. Da sagte Brahms zu mir: „Das sind gerade
die richtigen Dilettanten!" Auf eine der Medeen deutend meinte er: „So ein
Adagio müssen Sie einmal schreiben! So traurig!"
Einschaltung des Herausgebers:
Vom 21. September 1883 (Datum des Poststempels) ist nachfolgender Brief
von Brahms aus Wiesbaden datiert, der sich auf Heubergers Kantate „Geht's
8 Vergleiche hierzu Kalbeck II, S. 182 und 427.
21
dir wohl, so denk an mich", für Tenorsolo, Männerchor und Orchester,
op. 19, bezieht, die im Verlag Kistner erschienen war:
„Geehrter Herr,
Ich denke bald nach Wien zu gehen und hoffe doch, Sie auch bald
wieder dort zu sehen. So danke ich denn nur einstweilen und kurz
für Ihre freundlichen Nachrichten und das liebenswürdige Werk-
chen.
In das Lob, das Sie sich erteilen [und seinen Fleiß darf man loben]
kann ich recht warm einstimmen. Das ist aufrichtig — ob ich gleich
hernach zu nörgeln fände.
Das fängt von der ersten Seite an, wo ich auf dem Titel statt
Cantate lieber ,Abschiedsständchen c , ,Nachtmusik f sähe und den
Worten ihren hübschen Rhythmus gegönnt hätte: ,so denke Du
an mich*.
In Wien, wenn Sie wollen, weiter!
Aber verzeihen Sie und seien Sie bestens bedankt und gegrüßt von
Ihrem ergebenen
J. Br."
21. November früh war ich bei Brahms. Als ich eintrat, fand ich Brahms
gerade damit beschäftigt, Hans Richter die neue Symphonie Nr. 3 aus dem
Manuskript vorzuspielen. Ich drang nach kurzer Begrüßung in Brahms, er
möge weiterspielen. Brahms erwiderte in lustigem Ton: „Aber Richter ist
ja nur froh, wenn ich aufhöre". Das galt aber nicht, und Brahms spielte
den dritten Satz weiter, während ich mich in eine Ecke zurückzog und
zuhörte. Dann schloß Brahms und sagte: „Jetzt kommt noch ein grauslicher
Schlußsatz." Nun wurde allerlei von Hörnern und deren Behandlung durch
Richard Wagner gesprochen. Richter verfocht Wagners Gewohnheit, Hörner
in den verschiedensten Stimmungen zu schreiben und dennoch nie in einer
Tonart zu bleiben. Brahms liebte auch nicht die sogenannten „gebrochenen"
Partituren Wagners ohne Pausenlinien. Er fand sie schlecht leserlich. Als
Richter fort war, blieb das Gespräch längere Zeit bei Wagner. Brahms
nannte ihn bei aller Verehrung einen Pedanten. Ich meinte, daß sogar Beet-
hoven, gegen Mozart und Haydn gehalten, etwas weniger kühn in der Form
sei. „Es ist ein Glück", sagte Brahms, „daß die Leute das nicht verstehen.
Kein Mensch würde unsere Sachen anschauen. Davon leben wir ja! Jetzt
leben die Leute nur in IX. Symphonie und in der Trilogie, alles andere ist
tot! Die ,besseren Liebhaber' sogar spielen sich kaum noch eine der ersten
Beethovenschen Sonaten aus Freude und zum Genuß. Was meine Sachen
betrifft, sehe ich auch stets, daß die Leute nie das eigentliche Wesen der
Sache erkennen — sogar die meisten meiner Herren Kollegen nicht, ge-
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schweige denn die Kritiker — sondern nur nach der Wirkung des poetischen
Gehaltes, nach dem Empfindungsgehalt, urteilen."
Wieder auf die Kühnheit älterer Meister zurückkommend, sagte Brahms:
„Sehen Sie sich einmal eine Sarabande von Bach an! Von Anfang bis zum
Ende eine herrliche Melodie, wundervoll gegliedert. Eine ähnliche Art der
Melodiebildung aus einem Guß, ohne frisch anzusetzen, findet man später
selten oder nie. Sehen Sie sich den Trauermarsch aus Händeis ,Saul c an.
Wie hoch steht er über dem Marsch aus der ,Götterdämmerung' ! Zum Wag-
nerschen Marsch gehört unbedingt die Szene, der andere hat seinen Wert
auch ohne diese!"
Über die Dauerhaftigkeit der Musik gibt sich Brahms keiner Täuschung
hin: „Während Michelangelos und Raffaels Werke frisches Leben atmen, ist
die Musik aus dieser Zeit längst tot."
Als ich ihm eine meiner Kompositionen mit dem Text aus „Des Knaben
Wunderhorn" zeigte, nahm er ein altes Notenheft aus dem Kasten neben
seinem Klavier. Die oberste Schublade des Kastens war bis oben voll mit
Manuskripten ungedruckter Werke, die er alle nach und nach verbrannte.
Er zeigte mir eine Komposition über den gleichen Text, den er mit allen
Lesarten sich zusammengestellt hatte und machte noch die Bemerkung, daß
ich nun den Beweis hätte, daß er sich schon früher mit dem gleichen Text
beschäftigt habe. „Ich habe es Ihnen nicht , abgespitzt', wenn ich's kom-
poniere!"
Über Weinwurm sprechend, meinte er, dieser habe ihn einmal gefragt, ob
er die Rhapsodie aus der Harzreise, wenn er sie noch einmal schriebe, auch
noch drucken ließe. Er habe das bejaht, worauf Weinwurm wörtlich sagte:
„Das kann nicht Ihr Ernst sein!" Weinwurm hielt die Rhapsodie für unbe-
deutend, wie er auch den „Rinaldo" für schlecht erklärte.
Als ich ihm von Manuskripten berichtete, die ich in letzter Zeit erworben
hatte, erwähnte ich, daß ein lustiger Brief von ihm bei einem Autographen-
händler angekündigt worden sei. „Ah, das ist impertinent", rief darauf
Brahms aus. „Sowas gehört doch nicht in den Handel! Es gibt sich doch
Niemand, und ich am allerletzten, in seinen Briefen so, wie er ist. Aus
meinen Briefen lernt man mich nicht kennen." Er erzählte hierauf: „In
Frankfurt am Main sah ich nach dieser Richtung hin das Merkwürdigste.
Die Frau eines in Musikkreisen lebenden Mannes hatte auch verschiedene
Briefe von Ferdinand Hiller, von mir, etc., die Besetzung der Musikdirektor-
stelle in Breslau durch Max Bruch betreffend, in Verwahrung. Und derlei,
auf kaum Geschehenes Bezug nehmend, wird dann jedem Beliebigen gezeigt!
Da wird man um ein Urteil angegangen, man schreibt seine Meinung und
dann wird's noch öffentlich gezeigt oder gar verkauft! Da muß man sich
hüten! Einem Verleger schreibt man doch auch keinen ehrlichen Brief, da
23
verbieten wieder andere Gründe die volle Aufrichtigkeit. Die Briefe Mozarts,
Raffaels, etc. sind so herrlich schön! Doch Schlüsse daraus zu ziehen, ist seitens
der Biographen ein Unsinn!"
Brahms erzählte mir bei dieser Gelegenheit mit geradezu freudestrahlen-
dem Gesicht, daß er seines Lehrers Eduard Marxsens „100 Variationen über
ein Volkslied für Klavier", die er im Manuskript seit Jahren im Besitz hatte,
zu Marxsens Jubiläum, das dieser Tage stattfand, auf seine eigenen Kosten
hatte stechen und drucken lassen. „Ich glaube, das wird ihn freuen", rief er. 9
22. November. Abends 7 Uhr war ich durch Brahms und Ehrbar in den
kleinen Klaviersalon Ehrbar geladen worden, wo Brahms einer Anzahl von
Freunden und Bekannten seine neue dritte Symphonie auf zwei Klavieren
mit Ignaz Brüll vorführte. Unter anderen waren Hans Richter und Frau;
Eduard Hanslick und Frau; Pohl, Gänsbacher, Robert Fuchs, Dr. Stand-
hartner und Kalbeck anwesend. Fast zuletzt kam Brahms und sagte: „Nun,
jetzt wollen wir einmal ein Richterkonzert veranstalten." Die kleine Auf-
führung war nämlich hauptsächlich deswegen veranstaltet worden, um Rich-
ter genauer mit dem Werk bekannt zu machen. 10 Ich blätterte Brahms beim
Spielen um, er spielte prachtvoll, kühn und brummte seiner Gewohnheit
gemäß immer dabei mit. Es war dies kein eigentliches Singen, eher ein Grun-
zen. Er spielte aus dem Manuskript, das auf bläulichem, dickem Papier ge-
schrieben war, die Noten ziemlich klein und schwer leserlich. Ich hatte mit
dem Umwenden meine liebe Not. Auf Verlangen wurde das Werk noch
einmal gespielt. In einer Pause sprach ich mit Hanslick. Aus seinen Äuße-
rungen war zu entnehmen, daß ihm die Novität nicht besonders gefiel, aber
schon gar nicht die erste Symphonie, die ich im Gespräch als meinen Liebling
bezeichnete. Das neue Werk hatte mich sogleich gefangen, vor allem der
gigantische Schlußsatz mit seinen gewaltigen ersten Partien und seinem wei-
chen Ausklingen.
Nachdem sich ein Teil der Zuhörer verlaufen hatte, fand im selben Haus,
in Ehrbars Wohnung ein Symposion statt. Es war ungemein lustig. Richter
stand beim Champagner auf und sprach: „Erlauben Sie, Meister Brahms,
daß ich Sie mit den Worten eines anderen Meisters begrüße: Eine Meister-
weise ist gelungen, von Meister Brahms gedichtet und gesungen. Meister
Brahms ,Eroica', sie lebe!" Nach einiger Zeit erhob sich Brahms und feierte
kreuzfidel die Zusammenstellung der Tafel.
9 Siehe hierzu Kalbeck I, S. 34.
10 Die Uraufführung der F-Dur-Symphonie erfolgte in einem philharmonischen
Konzert im großen Musikvereinssaal in Wien unter Hans Richters Leitung am
2. Dezember 1883.
(Anmerkung zum 22. 11., mit Bleistift von Heuberger am Rande des Original-
manuskriptes hinzugefügt:) Er (Hanslick) fragte mich: „Das gefällt Ihnen?" Er
schimpfte über die erste und (unleserlich) die dritte Symphonie.
24
Als Robert Fuchs einmal mit einer Komposition einen nur mäßigen Erfolg
hatte, so erzählte er mir bei der Tafel, tröstete ihn Brahms mit den Worten:
„Das darf einen nicht alles angreifen, sonst müßte man heute eitel werden
und sich morgen ins Wasser stürzen!" (Anhang 13)
7. Jänner 1884. Eben war Louis Ehlerts Tod durch die Zeitung bekannt
geworden. Ich fand Brahms mit der Abfassung eines Briefes an die Familie
des Verstorbenen beschäftigt. Besonders leid war es ihm, da er in ein paar
Wochen nach Wiesbaden will. 11 Er lobte ihn als sehr lieben Menschen, für
dessen Gutmütigkeit er eine kleine Geschichte anführte. —
Brahms bekam nach Wiesbaden, wo er im vergangenen Jahr im Sommer
weilte und Ehlert wohnte, öfter von einem Herrn Lieder eingeschickt mit
Briefen, die ihn uni ein Urteil baten. Brahms antwortete nicht. Als jedoch
die Briefe immer dringlicher wurden, schrieb er einen Brief etwa folgenden
Inhalts: Es soll mich freuen, wenn Ihre Lieder in Ihren Kreisen gefallen!
Wir machen uns unsere Lieder selbst! Ehlert traf Brahms gerade im Begriff
den Brief zu schließen. Er fand dessen Inhalt zu deutlich und sagte: „Sie
sind Brahms und können derlei tun, ich brächte es nie übers Herz, einen
solchen Brief abzusenden!"
Nichtsdestoweniger warf Brahms das Schreiben in den nächsten Post-
kasten. Nach etlicher Zeit erhielt er von dem Herrn einen dankbaren Brief.
Brahms meinte: „Jetzt sollte ich dieses lustige Faktum dem Ehlert erzäh-
len, er hätte es gewiß für ganz unglaublich gehalten." (Anhang 14)
14. November. Das Gespräch kam auf Hans von Bülow, dessen Wiener
Konzerte mit Brahms damals bevorstanden. 12 Brahms meinte, Bülow ändere
zu viel an den Programmen und habe dann im Konzert immer noch einen
Grund zur Aufregung gerne. So schlug Bülow Brahms einmal vor, sie mögen
vor dem Konzert nicht bestimmen, welcher von ihnen ein Klavierkonzert
von Brahms spielen und welcher es dirigieren werde. Erst auf -dem Podium
sollte dies ausgemacht werden. So sei auch seine Idee aufzufassen, das B-Dur-
Konzert ohne Dirigenten zu spielen. Aufregung vor dem Publikum ist
Bülow angenehm, ja fast ein Bedürfnis, während Brahms in solchen Fällen
Ruhe liebt und diese auch besitzt, wie er sagt.
Eine lustige Geschichte von Bülow erzählte Brahms dabei. Bülow hatte
11 Louis Ehlert starb am 4. Januar 1884 während eines Konzertes, als er einen
Schlaganfall erlitt. Brahms dirigierte an der gleichen Stelle am 22. Januar 1884 seine
F-Dur-Symphonie und spielte sein B-Dur-Konzert.
12 Hans von Bülow konzertierte am 20. und 25. November, sowie am*2. Dezem-
ber 1884 mit der Meininger Hofkapelle in Wien. Während der erste Abend ein
reines Beethoven-Programm beinhaltete, spielte Bülow am zweiten Abend das
d-Moll-Konzert, während Brahms dirigierte. Im dritten Konzert spielte Brahms sein
B-Dur-Konzert und Bülow dirigierte. Originalprogramm aus Brahms Nachlaß im
Besitz des Herausgebers.
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vor etwa zwei Jahren in Wien konzertiert. Am Tage nach dem Konzert
— in dem es sonderbarerweise üblich war, vom Podium ins Publikum zu
grüßen — kam Bülow mit Brahms in das Geschäft des Musikalienhändlers
Gutmann. Da trat salbungsvoll und dumm wie immer Herr Gutmann zu
Bülow und sagte: „Herr Baron, Sie haben gestern meine Frau recht ge-
kränkt." „Womit und wo", frug Bülow und Gutmann sagte: „Im Konzert
haben Sie sie nicht gegrüßt!" Da antwortete Bülow: „Wenn ich aufs Podium
trete, grüße ich das Publikum einmal. Das gilt für alle, auch für Ihre Frau.
Überhaupt — mit einem verrückten Menschen verkehre ich nicht!" Nahm
eiligst seinen Hut und verschwand.
Das Gespräch kam dann auf das von Brahms in neuerer Zeit gebrauchte
Vortragszeichen „m. p." (mezzopiano), gegen dessen Anwendung, als sei
das eine unerlaubte Neuerung, sich ein Kommentar in dem „Musikalischen
Wochenblatt" wandte.
Brahms hatte bei älteren Meistern nachgesehen und diese Bezeichnung
unter anderem in der Nachbildung der Händeischen „Messias"-Handschrift
gefunden, sowie bei einigen anderen älteren Meistern.
Daß die Philharmoniker Robert Fuchs' erste Symphonie aufführen, freute
ihn sehr, denn er liebt das Werk und hat es Simrock empfohlen, der das
Werk auch drucken will.
Über den eben verstorbenen Musiker Kässmayer äußerte sich Brahms sehr
sympathisch, nannte ihn einen prachtvollen Musiker, guten Menschen und
ausgezeichneten Kollegen.
Bei der kirchlichen Einsegnung Kässmayers in der Karlskirche war ich
mit Brahms. Ich bemerkte, daß der katholische Ritus bei Begräbnissen etwas
Schematisches habe. Brahms fand eben dies „Schematische" gar nicht übel
und bemerkte: „Ist es vielleicht angenehmer, wenn bei protestantischen oder
jüdischen Begräbnissen Pastor oder Rabbiner salbungsvolle Reden halten und
die Leidtragenden damit sekieren?" (Anhang 15 — 16)
Im Dezember kam ich hier und da mit Brahms zusammen. Unter anderem
trug er mir einmal die Musik Vereins direktion in Graz an, da Ferdinand
Thieriot dort unbeliebt sei. Brahms sprach sehr sypmpathisch über Thieriot
und bedauerte, daß er trotz allen Eifers in Graz nicht festen Fuß gefaßt habe.
1885
19. Jänner. Ich brachte Brahms einige Bücher von Joseph Viktor Widmann
zurück, die er mir geliehen hatte. Er erzählte, daß er gerade an Widmann
einen hübschen musikalischen Text (Caenis) zurückgesandt habe, der eine
26
lustige Stelle aus Ovid behandele. Er riet mir, Widmann darum anzugehen
und bemerkte — da er wußte, daß ich von Widmann gern ein Textbuch
hätte — daß Widmann überhaupt jetzt etwas mehr freie Zeit zu haben
schiene.
Brahms sagte, daß vor einiger Zeit Busoni an Widmann geschrieben habe,
er möge ihm Gottfried Kellers „Romeo und Julia auf dem Dorfe" als Oper
bearbeiten. „Das ist eine verzweifelt unglückliche Idee von Busoni. Ich
habe mich anfangs für Busoni interessiert und habe den jungen Mann zu
Nottebohm geschickt. Da er es jedoch dort nicht aushielt, zog ich mich von
ihm zurück. Ich kann das , Wunderkindspielen' nicht leiden", sagte der Mei-
ster.
Unser Gespräch kam dann auf Paul Heyses Stück „Don Juans Ende",
das Brahms wegen seiner poetischen Schönheit und seiner ausgesprochenen
theatralischen Mache lobte. Dagegen meinte er, daß alle Don- Juan-Fortset-
zungen, wie sie meist junge Dichter schreiben, ohne Interesse wären, wenn
Don Juan alt wird. Läßt man dies jedoch hingehen, so ist Heyses Stück voll
Poesie und besitzt eine herrliche Sprache. „Und über ein solches Stück schrei-
ben die Blätter schlecht! Wie einen dummen Jungen behandeln sie ihn", sagte
Brahms vorwurfsvoll und beklagte, daß solche Männer von der Presse kalt-
gestellt würden. „Das war in Deutschland immer so", war seine resignierende
Feststellung. Als ich hierauf ergänzte, es sei überhaupt schändlich, daß große
Wiener Blätter von Heyse, Keller etc. kaum Notiz nehmen, dafür aber jeden
französischen Roman lärmend besprechen, meinte Brahms, daß dies in der
„Kölnischen Zeitung" sowohl als in ganz Deutschland ebenso sei. Man spreche
zwar in einer kurzen Notiz von „unserem Heyse, unserem Keller", läßt
aber dennoch meist die neuen Werke dieser Meister unbeachtet, während man
sich gierig auf die nächstbeste Dirnengeschichte aus Frankreich stürze, sogleich
ein Probekapitel und eine großartige Besprechung darüber bringe. „Eine
neue Novelle von Heyse bereitet mir immer einen Festtag. Dergleichen lese
ich nicht bloß einmal, das liegt wochenlang bei mir und immer lese ich darin",
sagte der Meister. „Mit Beethoven haben es die damaligen Zeitungen ebenso
gemacht. Als er fünfzig Jahre alt war, hat man ihn als großen Meister an-
erkannt und . . . hat sich hübsch weit entfernt von ihm gehalten", stellte
Brahms fest und wunderte sich, daß z. B. Max Friedlaender aus Berichten über
Beethoven so sehr Verschiedenes herausgelesen habe: „Man hat ja das ganze
Geschmiere, nur freilich liest es niemand!"
Als die Rede von Friedlaender auf Schubert kam, dessen Lieder Max Fried-
laender soeben in einer kritischen Ausgabe bei Peters erscheinen lasse, gab mir
Brahms den ersten Band Symphonien der Breitkopf & Härteischen Schubert-
Gesamtausgabe, der gerade erschienen war. „Es tut mir ordentlich leid, daß
diese Jugendarbeiten gedruckt sind. Vor 20 Jahren habe ich mir all' dies
27
selbst abgeschrieben — es war meine erste Arbeit in Wien, midi mit all' dem
bekannt zu machen. Ich besitze ein paar Dutzend ungedruckte Lieder von
Schubert, davon einige, die man nur hier bei mir finden kann und bei wel-
chen ich selbst heute kaum mehr weiß, wo ich sie abgeschrieben habe. Ich
zeigte Friedlaender einen ganzen Stoß davon und war selbst erstaunt, daß es
so viel ist. Ich mag nur nicht alles gedruckt sehen!" war der Kommentar von
Brahms. (Anhang 17)
Schubert betreffend erwähnte Brahms noch, daß er lange bevor Herbeck
die Entdeckung des „Lazarus" gemacht hatte, er sich denselben „Lazarus"
abgeschrieben habe. Herbeck sei vor allem ein Faiseur gewesen. (Anhang
18—19)
27. Februar. Nach der gestrigen „Saul"-Aufführung trafen wir uns — wie
in letzter Zeit wiederholt — zusammen mit Kalbeck und Frau mit Brahms
im Gasthaus. Der Meister schimpfte über München, das eine richtige Frem-
denstadt geworden sei. Sogar ein in München geborener Maler gehöre seines
Metiers wegen zur Fremdenkolonie. Heyse, der sehr lange in München lebt,
habe wenig Bekanntschaften unter den Münchenern. Der Einheimische denke
nur an Bier und ans Essen, für Sonstiges habe er wenig Sinn. Im Gegen-
satz dazu lobte er Wien: „Da lebe ich mit den Bürgern zusammen. Ich inter-
essiere mich für Andere und Andere wieder interessieren sich für mich!"
Nachdem der Meister noch etliche lustige Geschichten erzählt hatte, trennten
wir uns nach Mitternacht. Brahms begleitete uns ein Stück des Weges und er-
zählte noch eine wahre Geschichte von Gustav Walter. Brahms hatte vor Jahren
Händeis „Saul" aufgeführt 13 und Gustav Walter für die Rolle des „Jona-
than" engagiert, ohne ihm jedoch zu sagen, welche Person er singen solle. Er
sagte zu Walter immer wieder: „Sie werden schon sehen, was zu singen sein
wird." Als Walter darauf meinte, er wüßte aber gerne, was und wen er
singen solle, er sei genauso „bibelfest" wie Brahms, eröffnete ihm Brahms
schließlich, daß er den „Jonathan" singen solle. Walter: „Ach, das ist wohl
der, der acht Tage im Bauch des Walfisches lag!" —
2. April. Voll Enthusiasmus sprach Brahms von einer Aufführung der
h-Moll-Messe von Bach, die am 30. März stattfand. Auch der kleine Zwi-
schenfall mit Rokitansky, der in einer Arie plötzlich zu singen aufhörte, habe
an dem großen Eindruck nichts ändern können. Er nannte Rokitansky einen
faulen, dummen Kerl, einen rechten „Sänger". Über die Arien der h-Moll-Messe
meinte Brahms, sie seien schwächer als fast alle übrigen Arien Bachscher Kan-
taten. Natürlich nur relativ genommen, wie er betonte: „Ich meine selbstver-
ständlich nicht, daß von Bach etwas nicht gut sei, relativ jedoch finde ich
18 Am 28. Februar 1873 als artistischer Direktor der Gesellschaft der Musikfreunde
in Wien.
28
diese Arien schwächer. Im Verhältnis zur heutigen Musik freilich sind sie un-
endlich höher stehend, denn unsere jetzige Kunst ist doch gar so ärmlich und
jämmerlich." (Anhang 20)
Sehr bedauerte er, daß Ferdinand Thieriot von Graz fortgehen müsse.
„Graz ist zwar nur ein Dorf, aber in Österreich sind ja keine eigentlichen
Musikstädte und man muß froh sein, wenn in der intelligentesten der klei-
nen Städte — in dem Grazer Dorf — ein braver, ausgezeichneter Mann sitzt,
der durch Lehren und Beispiel, auch als Mensch, zu wirken vermag. Jetzt
verderben sie das auch." (Anhang 21) Mit scharfem Blick hatte Brahms in
den wenigen Tagen, die er in Graz zubrachte, erkannt, daß dort ein etwas
übertriebener Jensen-Kultus herrsche. Ich konnte ihm dies bestätigen. Er
sprach dann von Jensen selbst, mit dem er persönlich verkehrt hatte. Er lobte
Jensens frühere Werke als „fein, talentiert und gut gemacht", findet sie bloß
„gar zu süß". Über Jensens letzte Balladen äußerte er sich nicht günstig. Bei
diesem Anlaß erzählte er wieder ein paar Anekdoten. Als ihm Jensen seine
Klaviersonate zeigte 14 , machte Brahms in seiner offenen, etwas schroffen Art
die Bemerkung: „Das sind vier hübsche Klavierstücke, aber keine Sonate."
Jensen wurde still und Brahms redete noch von allerlei Anderem. Plötzlich
bemerkte er, wie dem armen Jensen die Tränen massenhaft herunterliefen.
So sehr hatten ihn Brahms Worte gekränkt. „Er war damals wohl schon nicht
mehr gesund, sonst", meinte Brahms, „war Jensen ungemein von sich ein-
genommen und dachte sich etwa mit Richard Wagner, wenn auch in anderer
Art, auf derselben Stufe stehend. Jensens Briefe sind voller Eitelkeit, auch
hatte er die Manier, über seine eigenen Sachen brieflich zu philosophieren.
Das brächte ich nicht zustande!"
In der letzten Zeit hatte Brahms Jensen in Baden-Baden besucht. Jensen
war schon sehr leidend, wollte aber dennoch Brahms seine Ballade „Edward"
(op. 58, 3) vorsingen. Durch die schwere Krankheit behindert, konnte er aber
weder spielen noch singen und als Brahms gar dann noch mit Frau Jensen
einige Worte sprach, sprang Jensen vom Klavier auf und warf ihm Mangel
an Interesse, Pietät etc. vor. Es war sehr peinlich für Brahms.
Eine heitere Geschichte erzählte Brahms dann noch von einer Aufführung
der Brucknerschen dritten d-Moll-Symphonie, als er mit Gustav Schönaich in
einer Loge saß. Als während der Symphonie das Publikum die Flucht er-
, griff, begann Schönaich auf den „Plebs" zu schimpfen. Brahms besänftigte
ihn mit den Worten: „Bitte beschimpfen Sie Ihre eigene Mutter und Schwester
doch nicht." Die beiden Damen waren nämlich auch aufgestanden und fort-
gegangen. (Anhang 22)
17. April. In der neugegründeten Wiener Tonkünstlergesellschaft war ein
14 Lt. frdl. Auskunft von Dr. Robert Münster, München, sind es die »4 Impromp-
tus op. 20".
29
solenner Abend. Es kamen als Gäste Franz Liszt, Anton Rubinstein, Karl
Goldmark, von den Mitgliedern u. a. Brahms, Leschetitzky, Frau Essipoff-
Leschetitzky, Hermann Grädener und Brüll. Die Mitglieder waren versam-
melt, als zuerst Rubinstein und dann Liszt eintraten. Rubinstein bemerkte
gleich Brahms und ging auf ihn zu. Liszt ging, ohne Brahms zu sehen, in den
Saal. Spater führte Frau Essipoff Brahms zu Liszt, der sehr erfreut schien;
nachher kam Liszt zu Brahms und plauderte längere Zeit mit ihm. 15
Im Juni traf ich Brahms, der auf einen Tag von Mürzzuschlag kam, im
Cafe Pauer gegenüber der Oper. Wir kamen im Gespräch bald auf das so-
eben erschienene Buch „Johann Herbeck, ein Lebensbild von seinem Sohne
Ludwig". Als ich von dem in dem Buch abgedruckten Briefwechsel Herbecks
mit Götz sprach, erwähnte Brahms, daß sich Götz stets bei Brahms zuerst
erkundigt habe, wie er eigentlich mit Herbeck verkehren solle und wie alles
stehe. Brahms meinte, daß „sehr aufrichtige Briefe" von ihm an Götz vor-
handen sein müßten, die diese Angelegenheit behandeln. Er nannte Herbeck
aber einen hervorragenden Dirigenten, der alle Eigenschaften eines solchen in
höchstem Maß besaß, einen „begeisterten, enthusiastischen Kerl, guten Red-
ner, einen Hauptschwindler" (im besten Sinne). Er sagte, daß er früher mit
Herbeck sehr gut war, ihn aber oft wegen seiner Komponisten-Eitelkeit auf-
zog. Vor einer Aufführung eines Herbeckschen Quartettes bei Hellmesber-
ger traf Brahms mit Herbeck im Cafehaus zusammen und zog ihn mit den
Worten auf: „Nun, Sie kommen doch gewiß im Frack und in weißen Hand-
schuhen hinein, wenn das Quartett gemacht wird!" Herbeck war darauf an-
scheinend recht verstimmt. Bei der Aufführung trafen sich die Beiden wieder.
Herbeck richtig in obiger Toilette. Als ihm Brahms das vorhielt, war Herbeck
wirklich böse! (Anhang 23)
6. Oktober, Nach allerlei Themen sprachen wir von Orden und Auszeich-
nungen. Brahms sagte, daß er nie etwas dazu tue, um eine Auszeichnung zu
erlangen, ja, daß er eine solche von sich weise, wo er nur könne. Seinerzeit
wurde er öfters zu Hofkonzerten in Wien vorgeschlagen, er lehnte so etwas
aber stets ab und sagte: „Außer es würde befohlen!" Daß er damals weder
einen preussischen noch Österreichischen Orden besaß, motivierte er damit, daß
er meinte, diese Staaten fingen gern klein an. Da er aber bereits andere höhere
Orden habe, so wollten diese „nicht recht dran" und er sei der Letzte, der
sich um so etwas bewerbe! Er meinte wörtlich: „Falls man Orden ohne eige-
nes Streben danach empfängt, so muß man sie annehmen, denn Potentaten
15 Hier ereignete sich die von verschiedenen Biographen beschriebene Szene, als
Anette v. Essipoff von Liszt, Rubinstein und Brahms je eine Haarlocke „erobern"
wollte und Brahms, dabei in den Finger gestochen, außerordentlich entrüstet war.
Siehe auch Heubergers eigene Schilderung der Szene in dem neu aufgenommenen
Artikel „Brahms als Vereinsmitglied", Seite 138.
30
haben sonst keine Mittel, einem ihre Anerkennung auszudrücken!" (An-
hang 24)
Dann erzählte er, daß er schon drei Jahre vor der Breslauer Promotion
von der Universität in Cambridge zum Doktor honoris causa ernannt wor-
den sei, daß er es aber abgelehnt habe, dort persönlich zu erscheinen, was in
Cambridge unumgänglich sei. Daß ihn die Breslauer Ehrendoktorwürde leb-
haft freue, stellte er keineswegs in Abrede. 18
Als unser Gespräch auf Hiller kam, meinte Brahms: „Sehen sie, Hiller hat
meistens das ,Äußerliche' angestrebt, seine Werke sind Fürstlichkeiten gewid-
met, die ihm dafür ihre Orden zusandten. Er war bei den Großen wohlgelit-
ten. Dagegen mag heute kein Mensch mehr etwas von seiner Musik wissen
und Hiller ist infolgedessen verbittert und innerlich unglücklich. Man kann
nicht zugleich Gott und den Menschen dienen!" (Anhang 25)
1886
(Anhang 26)
Einschaltung des Herausgebers:
Vom 28. Juni 1886 datiert eine Korrespondenzkarte von Brahms aus Thun,
die sich offensichtlich auf verschiedene musikalische Pläne Heubergers be-
zieht:
„Ihr freundlicher Brief hat die bedenkliche Eigenschaft, meinerseits
3 zu verlangen ! Was gemacht werden kann, wird gemacht. Kalbecks
wegen mögen Sie indes ruhig sein. Er soll den Text 1Ca nur fertig
machen — nach alter Erfahrung werde ich sehr rasch damit fertig
und kann er dann ja zu Ihnen wandern! Ihren Katalog aber lassen
Sie nur recht anschwellen von vortrefflichsten Sachen, diese und
nicht der Verleger sind die Hauptsache.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr J. Br." (Anhang 27)
Als am 14. November Eugen d' Albert das Brahmssche B-Dur-Klavierkon-
zert in Wien spielte, bereitete er allen, die zuhören konnten, einen großen,
seltenen Genuß. Eine Leistung ersten Ranges. Brahms war geradezu ergrif-
fen von d'Alberts Spiel, überglücklich, wie ich ihn selten sah. Er lud d J Albert
und mich ein, den Abend mit ihm zu verbringen und wir trafen uns abends
18 Robert Freund hat in seinen „Memoiren eines Pianisten" 89. Neujahrsblatt der
Allgemeinen Musikgesellschaft Zürich, 1951, S. 16 f. klar ausgesprochen, daß nur
die Furcht vor der Seekrankheit Brahms von Seereisen abhielt. Dies ist der eigent-
liche Grund der Nichtannahme der Cambridger Ehrendoktorwürde.
18a Bezieht sich wohl auf ein Opernlibretto Kalbecks.
31
in einem eleganten Restaurant, das inzwischen längst verschwunden ist.
Brahms liebkoste förmlich Eugen d' Albert, streichelte wiederholt dessen Hand,
indem er immer wieder sagte: „Vortrefflicher junger Mann" — und derglei-
chen zärtliche Lobesworte mehr. Immer aufs Neue lobte er den jungen Künst-
ler aufs Wärmste. Detailliert sprachen dann beide über das Manuelle des
Klavierspiels und fanden viel Übereinstimmendes in ihren Ansichten. Es
kamen Fragen der „Fingergymnastik" — um es so zu nennen — an die Reihe
und Brahms meinte, nachdem sich d' Albert über dieses oder jenes Detail, über
diese oder jene Übung geäußert hatte: „Das mache ich ungefähr ebenso."
Er meinte, er mache zu Zeiten, da er sich für das Konzertspiel vorbereite,
Übungen dieser Art. Wie es mir scheint, war dieses Gespräch eine Anregung
zur Herausgabe jener „51 Übungen", welche Brahms später (1893) in zwei
Heften bei Simrock veröffentlichte. (Anhang 28 — 29)
24. November. Vormittags Probe zur zweiten Cello-Sonate von Brahms,
die der Meister mit Hausmann spielte. Abends Konzert mit Hausmann, in
welchem die Sonate — die als Uraufführung auf dem Programm stand —
gewaltig gefiel. (Anhang 30) Nachher traf man sich bei Sacher zu einer ani-
mierten Tischgesellschaft, die aus Brahms, Hausmann, Simrock, Billroth, Hans-
lick, Robert Fuchs und anderen bestand. Hanslick begann seinen Toast auf
Simrock — der eigens zur Aufführung der Cello-Sonate kam — mit den
Worten: „Simrock ist ein Schweinehund", ein zartes Wort, das einem Brief
Carl Maria von Webers entnommen ist und keineswegs auf den anwesenden
Simrock, sondern auf dessen Großvater gemünzt war. Hierauf hielt Brahms
einen feurigen Toast auf Hausmann. Er sprach frei, höchst unbefangen, wie
ein geübter Redner.
1887
(Anhang 31 — 32) 25, April. Brahms erzählte mir, daß nunmehr Wilhelm
Tappert ein eifriger „Brahmsianer" geworden sei. Schmunzelnd gebrauchte
er diesen Ausdruck und meinte sehr erfreut darüber: „Tappert ist ja doch noch
der Gescheiteste von der ganzen Bande!"
Sehr günstig äußerte sich Brahms über die in den letzten drei Heften der
„Deutschen Rundschau" erschienenen Wagnerbriefe, die Frau Wesendonck
veröffentlichte. Er sagte, daß er diese Briefe für das Netteste halte, was von
wagnerfreundlicher Seite bisher erschienen sei.
Als ich ihm mitteilte, daß ich den Sommer in Alt-Lengbach verbringen
werde, sagte er: „Oh, wie gern ging ich auch in die Wiener Gegend, wo es
keine Engländer und Norddeutschen gibt. In Ischl und überall bin ich gern.
32
Das sind doch Österreicher. Die werden mir sehr abgehen!" Er brachte den
Sommer in Thun in der Schweiz zu.
Gestern war Brahms in der Czarda im Prater: „Ich sage Ihnen, das Essen
anständig, Gollasch entzückend, Topfenpalatschinken herrlich, gutes Bier,
guter Wein und eine famose Zigeunerkapelle!" Ganz entzückt berichtete er,
daß er sich durch diese Kapelle gründlich aufspielen ließ.
Über ein kürzlich erschienenes Buch von Nietzsche sagte er: „Da lege ich
mir stets ein anderes gutes Buch darauf, damit ich nicht unversehens danach
greife."
Als die Rede darauf kam, daß man in dramatischen Dingen sehr schwer
und unsicher urteile, machte ich die Bemerkung, daß Richard Wagner in die-
sem Punkt eine unfehlbare Hand gehabt habe. „Ja, so ein Theatergenie ist
aber auch einzig", war der Kommentar Brahms'. Als wir darüber sprachen,
daß vor dreißig Jahren wohl niemand den Meistersingertext für komponier-
bar gehalten hätte, sagte Brahms: „Gewiß hatte das niemand auch nur für
denkbar gehalten. Da muß Einer aber auch Wagner sein! So etwas furchtbar
Originelles ist nicht im Vorhinein zu beurteilen."
Bei einem Gespräch über Rubinstein und Bülow wurde erwähnt, daß diese
Herren überall Klavierschüler und Schülerinnen anhören und wie wenig er-
sprießlich dies für beide Teile sei. Brahms erwähnte, daß er stets, wenn „so
jemand" zu ihm komme, sein „ungestimmtes Klavier" vorschütze. Als komi-
sches Beispiel eines solchen Vorspielens am völlig unpassenden Ort erzählte
Brahms, daß er es aus Max Bruchs eigener entzückter Erzählung wisse, daß
Bruch einmal in Paris dem alten Rossini, der ja kein deutsches Wort verstand,
seinen ganzen „Frithjof" vorgespielt habe.
Über die Schriftstellerin Emil Marriot (Mataja) 17 sagte Brahms, als Kalbeck
diese verteidigte: „Pfui Teufel! Das Frauenzimmer hat eine schmutzige Phan-
tasie. Mag nichts wissen von ihr! Alles ist ohne Komposition, voll unmög-
licher Situationen, voll Unnatur! Sie lebt in dummen Familienverhältnissen
und beurteilt alles Andere danach, auf ihre morastige Art!"
Über Karl Loewe erzählte Brahms, daß er ihn vor Jahren, als er mit Stock-
hausen nach Kiel kam, dort aufgesucht habe. Klaus Groth führte sie zu Loewe.
Loewe, der ganz abgeschieden lebte, wußte von allen dreien Besuchern kein
Sterbenswort. Als man von Felix Mendelssohn sprach, glaubte Loewe zu wis-
sen, daß dieser Oratorien geschrieben habe. Auch von Robert Schumanns
Existenz hatte er nur eine dunkle Ahnung. Brahms sagte: „Dennoch war
17 Über Brahms Zusammentreffen mit der Schriftstellerin Emilie Mataja — Pseudo-
nym: Emil Marriot — berichtet Richard Fellinger in seinem Buche: „Klänge um
Brahms", S. 34. Danach war Brahms bei der Begegnung in Neuberg bei Mürz-
zuschlag im Sommer 1885 sehr freundlich und machte seine Spaße mit der Schrift-
stellerin.
33
Löwe ein interessanter Kerl. Hatte seine eigene Welt, aus der er aber nie
herauskam." 18
Im Oktober kam während einer Landpartie die Sprache auf Geschichts-
unterricht. Als Kalbeck meinte, es sei gut, zugleich mit der Aufzählung der
Tatsachen das kulturhistorische Moment zu pflegen, erwiderte Brahms: „Das
muß alles ausprobiert sein. Man muß zuerst dem jungen Mann einen Faden
in die Hand geben, an den er sich halten kann. Dieser Faden ist die all-
gemeine Geschichte und an Hand desselben kann er dann detaillierte Studien
machen." Brahms lobte die Art und Weise, wie die jungen Protestanten die
Bibel lernen oder lernten. Er sagte: „Wir haben die Bibel auswendig gelernt,
ohne etwas davon zu verstehen. Geht einem dann später ein Licht auf, so
hat man bereits das ganze Material, das dann plötzlich lebendig wird. Ich
war als Bub auch stets schwärmerisch und duselig. Gott sei Dank hat sich aber
keiner meiner Lehrer darum geschert und ich mußte unbekümmert um meine
Schwärmerei lernen. Das Kind kann nicht alles verstehen, was es lernen muß."
Über Richard Wagners Jugendsymphonie, die eben die Runde durch die
Orchester machte, sagte Brahms: „Wagner hat sich stets darüber geärgert,
daß Mendelssohn ihm kein Wort sagte, als er die Symphonie durchgesehen
hatte. Ja, mein Gott, Mendelssohn hatte damals eine hohe Meisterschaft er-
reicht, hatte seine Hauptwerke geschrieben, da mußte ihm diese Arbeit recht
geringfügig erscheinen. Die Symphonie ist routiniert, fertig und flott drauf-
losgeschrieben, gut instrumentiert, in keinem Zuge aber Wagner verratend.
Etwa für Reissiger konnte man's halten. Aber jeder Reissiger ist besser. Ganz
ohne Selbständigkeit! Kein Mensch auf der Welt hätte nach dieser Sym-
phonie erwarten oder hoffen dürfen, daß da einmal ein Wagner daraus
werden könnte !" 19
Nun kam die Rede auf die letzten Opern Wagners. Kalbeck machte eine
schärfere Bemerkung, die Brahms ablehnte, indem er sagte: „Würden die
,Meistersinger' öfter als einige Male im Jahr gegeben werden (was der
Fall ist) so würden sie leer bleiben. Es ist ein zu intensiver, anstrengender
Genuß." Gegen die Freigabe des „Parsifal" ist Brahms ganz entschieden:
„Sowas muß ein Fest sein und bleiben. Eine Oper für den gewöhnlichen Be-
darf ist das nicht. Dazu gehört der Rahmen, den Richard Wagner dafür be-
stimmte."
Über die am Vortage stattgefundene „Don-Juan"-Aufführung anläßlich
des hundertjährigen Jubiläums der Hofoper sagte Brahms: „Es brannten
18 Löwe hat Schumann 1835 persönlich in Leipzig kennengelernt und ihn hoch-
geschätzt (vgl. Selbstbiographie S. 193 und 196). Außerdem war er zeitweiliger Mit-
arbeiter an Schumanns „Neue Zeitschrift für Musik".
19 In C-Dur. Die Symphonie wurde erst zwei Jahre nach Wagners Tode von
Cosima Wagner zur Aufführung freigegeben.
34
etliche Lampen mehr als sonst, alles war aber schlenderisch. Die Szenerie war
nicht ordentlich probiert und — o weh — die Sänger. Außer der Lehmann
kann keine singen. Die Materna war schrecklich! Wagner hat doch immer
recht mit seinem Wort: Soweit die vorhandenen Kräfte reichen — !* (An-
hang 33)
Am 5. Dezember traf ich Brahms. Er war den ganzen Tag mit Dvorak
beisammen, dessen „Symphonische Variationen für großes Orchester" am Tag
zuvor im philharmonischen Konzert gemacht wurden. Brahms schwärmte von
dem famosen Musikstück, das er gehört hatte: „Es ist wunderschön und doch
nie raffiniert, so natürlich!" 20 (Anhang 34)
Einschaltung des Herausgebers:
Heuberger hatte Brahms eine Partitur seiner Orchestersuite 201 geschenkt
und Brahms antwortete darauf mit Brief vom 16. Dezember 1887:
„Geehrter und lieber Herr.
Mein Weihnachtsfest fängt früh und lieblich an. Denn Lieberes und
Lieblicheres gibt es nicht viel als ein so freundlich kollegialer Gruß,
wie er mir von Ihnen kommt. Haben Sie also zunächst allerschönsten
Dank und glauben Sie mir, daß dieser immer der gleich herzliche
bleibt, wenn ich auch gegen alle Regel hernach dem geschenkten
Gaul ins Maul sehe* und nach alter Gewohnheit gern ein wenig
nörgele!
In herzlicher Dankbarkeit
und Ergebenheit
Ihr J. Br."
1888
(Anhang 35) Es kam die Rede auf das im Entstehen begriffene Wiener
Mozart-Denkmal. Brahms war entsetzt über den Gedanken, das Denkmal
vor die Oper zu stellen. Auch fand er es häßlich, daß die Errichtung des
Mozart-Denkmals gleichsam eine antiwagnerische Demonstration sein sollte.
Er sagte, daß er gegenüber Nicolaus Dumba folgendem Gedanken Ausdruck
gegeben habe, damit ihn dieser vorschlage: Man möge Mozart, der ein
20 Brahms' Interesse an der Dvorakschen Komposition war sehr groß. So schrieb
er am 29. 11. 1887 auf einer Korrespondenzkarte an Eduard Hanslick: „Du wirst
ohne Zweifel von Richter erfahren, zu welcher Zeit die Dvorakschen Variationen
in der Samstag-Probe daran kommen — möchtest Du es nun mir alsdann freund-
lichst mitteilen, ich hörte sie gerne in Ruhe und zweimal . . . a — Original im Besitz
des Herausgebers.
20a „Aus dem Morgenlande", op. 25, Johannes Brahms gewidmet.
35
unscheinbarer Mensch war, kein Standbild errichten — alle Leute schauten
nicht wie Goethe aus. Man solle doch im Stadtpark einen schönen Brunnen
mit einem Bronze-Porträtmedaillon, einen „Mozartbrunnen" erbauen. Dazu
noch eine Reihe von Bas-Reliefs, allerlei populäre Momente aus Mozarts
Leben darstellend. So: Mozart und Schwester mit dem Vater musizierend;
Mozart mit Frau im Augarten spazierend, dazu Kaiser Josef; Mozart im
Prater; Haydn und Leopold Mozart bei Wolf gang, Quartette spielend;
Mozart auf dem Sterbebett das Requiem schreibend und singend ... Da
hätte jeder „Bauer" Anlaß, seine Erinnerung an den Meister aufzufrischen
und dazu einen kühlen Trunk zu tun. So aber stellt man Haydn und Mozart
ins Gewühl der Menge, stellt das unscheinbare Männchen hinauf und hat
sich abgefunden. Solche Reliefs von Kundtmann, der Poesie hat, oder von
Weyr dargestellt — das wäre doch etwas.
Als ich ihm zuredete, daß er das doch selbst vertreten solle, meinte er:
„Ja, wie will man Leuten wie Jahn (damals Direktor der Hofoper), Jaques
(Abgeordneter) etc. ein Interesse, ein Eingehen auf so etwas zumuten? Da
sehen sich die Herren im Kreis herum an und staunen, es wird aber nie
etwas daraus." 21
5. März, wurde der eben erschienene Briefwechsel Wagner — Liszt be-
sprochen. Brahms meinte, daß man Wagner leicht Unrecht tun könne, da
Liszt so sehr erhaben scheint: „Wagner wußte ja doch immer schon lange,
wohin er wolle und zwar er allein und eben das konnte er allen andern auf
keinem Wege begreiflich machen und daher sieht oft bei Wagner etwas
anmaßend aus, was nur natürlicher Stimmung entsprach." Er äußerte, daß
Hanslick in einem Feuilleton Recht habe, wenn er sage, daß diese Ver-
öffentlichung das schönste Denkmal sei, das Liszt gesetzt werden konnte.
Er pries Liszts Charakter ungemein, was er übrigens stets tat.
Als er mir die von Wagner selbst autographierte Tannhäuser-Partitur
lieh — das Exemplar bekam Brahms von Cornelius, dieser von Liszt —
blätterte er mit großem Entzücken darin: „Ein Mensch von riesiger Arbeits-
kraft, von kolossalem Fleiß, horrender Energie etc.!" Über den gerade am
Klavier liegenden Auszug der „Lustigen Weiber von Windsor", von Otto
Nicolai, meinte er, daß es eine ganz gute praktische Oper sei, „aber doch
nur flach, routiniert, nirgends irgendwie in die Tiefe gehend". Brahms hat
für das Dramatisch-charakteristische, wie es scheint, wenig Sinn! — Daß
Brahms die „Weiße Dame" von Boieldieu hoch über die „Lustigen Weiber"
stellt, ist wohl nur das allgemeine Urteil.
21 Beides wurde gebaut. Das Mozartdenkmal am Albrechtsplatz hinter der Oper
durch Viktor Tilgner. Das Denkmal wurde am 21. April 1896 enthüllt. Der Mozart-
brunnen mit Motiven aus der Zauberflöte steht am Wiener Mozartplatz und wurde
am 8. Oktober 1905 eingeweiht.
36
Über die „3 Pintos", Gustav Mahlers Bearbeitung der Skizzen Carl Maria
von Webers, wurde auch gesprochen. Brahms verurteilte diese Arbeit: „Ich
habe, wie der junge Baron von Weber (der Sohn) noch in Wien wohnte,
lange die Skizzen bei mir liegen gehabt. Meist nur eine Melodie, oft kein
Baß, zum Schluß der Nummer die Zeitdauer in Minuten angegeben. Zudem
sind nur ein paar Nummern in dieser Form vorhanden. Jetzt, als ich
kürzlich in Leipzig war, bat ich Baron Weber wieder, mir die Skizzen noch-
mals zu zeigen. Ich dachte, vielleicht von der Erinnerung im Stich gelassen
worden zu sein. Aber es ist ganz genau so, wie ich sage. Denken Sie sich ein-
mal die Wolfsschlucht-Musik, oder irgendein anderes Stück aus Weberschen
Opern so notiert, wie diese ,Pinto-Skizzen', die kaum wie eine Flötenstimme
auf Freischütz-Skizzenblättern nebenbei notiert sind! Kein Mensch auf der
Welt könnte danach die Wolfsschlucht komponieren!" Ich fragte Brahms,
ob er sich für befähigt halte, sowas zu vervollständigen. „Nein, das kann
niemand und,wenn's jemand macht, so ist es nicht von Weber. Dazu kommt
noch, daß die Herren Mahler usw. verheimlichen müssen, wo die Flickerei
anfängt, denn wenn sie bezeichnen: Das ist von Weber, das nicht, so kann
jedermann gerade die besten Stücke, die echt Weberschen, nachdrucken!" 22
Der Tod von Hermann Grädeners Mutter, die in Hamburg starb, ging
Brahms sehr nahe. Er sagte: „So eine geistvolle, gut gebildete Frau ist
überaus selten. Ich habe nur zwei oder drei solcher Frauen gekannt!" (An-
hang 36)
Von einem Bankett, bei dem Hermann Grädener, der Komponist, mit
Bülow, Brahms und Billroth beisammen war, erzählte Brahms eine heitere
Episode. Bülow machte boshafte Witze über Brückner, und Grädener glaubte
sich verpflichtet, Brückner zu verteidigen und meinte, daß Brückner doch ein
genialer Musiker sei. Bülow sprang auf und sagte: „Wie sagen Sie?" Grä-
dener: „Nun, ich wollte mir doch erlauben . . ." Bülow: „Ach was, ich bin
zum Streiten gerade aufgelegt! Verteidigen Sie Ihren Brückner, aber fest
und steif, wie Ihr Vater! Mit dem habe ich viel gestritten, aber der war
nie sofort still nach meinem zweiten Wort! Also tun Sie sich keinen Zwang
an, reden Sie, streiten Sie!" Grädener konnte dem nicht Stand halten und
wurde schließlich gründlich ausgelacht. (Anhang 37)
6. April. Morgens bei Brahms, der mir eine Menge herrlicher Werke von
Feuerbach zeigte. Eine Mappe Nachbildungen von Studien war entzückend
schön. Auch Photographien nach fertigen Bildern und etliche Handzeich-
nungen. Brahms war ebenso wie ich Feuer und Flamme.
Von Klinger zeigte er mir die Werke „Intermezzi" und „Amor und
22 Die Oper „Die drei Pintos", in der Fassung von Gustav Mahler, wurde unter
Mahlers Leitung am 20. Januar 1888 im Leipziger Neuen Stadt-Theater urauf-
geführt.
37
Psyche". Großartige Sachen, die „Intermezzi" an Schwaiger erinnernd. „Amor
und Psyche" ist Brahms gewidmet: „Dem Musiker vom Künstler". Manches
bei Klinger ist unschön, fast kraß. Aber alles gewaltig und eigentümlich.
Über Feuerbach meinte Brahms: „Es gibt Bilder von Feuerbach, die ich nicht
im Ganzen genießen kann, ich bin aber so jemandem gegenüber sehr beschei-
den und sage mir: Ich verstehe es nicht."
In einem am 9. April mit Brahms im Tonkünstler- Verein 23 geführten Ge-
spräch bemerkte Brahms: „An dem jetzt Mode gewordenen Komponieren
schwieriger Texte bin ich wohl Schuld, aber ich habe mir trotz Schwierigkeit
nie unpraktische Texte gewählt. Ich will Ihnen bei jedem von mir kompo-
nierten Gedicht Rede stehen und verteidigen, warum ich das für komponier-
bar hielt." Stocker warf ein, daß er sich eben an „Ghaselen" von Rückert
versuche, was Brahms total verwarf. Dies beweise natürlich nicht, daß alle
Ghaselen unkomponierbar seien. Über Stockers Unternehmen, Anakreonische
Gedichte zu komponieren, sagte er: „Ich finde das äußerst unpraktisch! Ja,
erst müßte er sich einmal mit einer Reihe schöner Lieder bekannt gemacht
haben, dann könnte er ein solches Experiment versuchen. Ist einmal etwas
wie ,Von ewiger Liebe c da, dann kann man derlei versuchen. Und bei einer
,Sapphischen Ode' klettern die Leute wieder schön langsam nach!"
Die Übersetzung, die Stocker komponierte, fand Brahms schwächer als
verschiedene ältere. Er bewies mir das sogleich an dem Schubertlied „Die
Leyer", welches von Bruchmann weit besser übersetzt ist als von neueren
Übersetzern.
Als ich in der Frühe des 14. April bei Brahms eintrat, war er eben beim
Durchspielen einer Kammermusik-Komposition eines Italieners namens Mar-
tucci. „Und kein Mensch käme darauf, daß das von einem Italiener ist. So
bissig, bös, nebelig! Wie wenn unsereiner anfängt! Lauter Ausnahmen, kein
Fluß. Auch auf neueren italienischen Bildern sah ich sehr oft die Vorliebe
italienischer Maler für nebligen, verhangenen Himmel!" (Anhang 38)
25. November. Brahms erzählte mir, daß er und Joachim 1860 einen
Protest dagegen veröffentlichen wollten 24 , daß vornehmlich sie beide mit
Franz Liszt und den „Neudeutschen" in einen Topf geworfen würden und
sozusagen dort mitzählen sollten. Er sagte ausdrücklich, daß sie damals Briefe
von Berlioz, Wagner etc., offenbar zustimmend, erhalten hätten. Von einer
etwaigen Wagnerfeindschaft war nirgendwo die Rede. „Im Gegenteil", sagte
Brahms ausdrücklich, „Wagner wurde selbstverständlich dabei weder ge-
meint, noch genannt!" — Es ist sehr schön, wie Brahms immer warm und
23 Die Sitzungen des Tonkünstler-Vereins fanden gewöhnlich im Musikvereins-
gebäude statt.
24 Zu der ganzen Angelegenheit vergleiche Kalbeck I, S. 403 ff.
38
fast ehrfurchtsvoll von Wagner spricht und doch nichts unternimmt, damit
seine Ansicht öffentlich bekannt wird.
Brahms erwähnte ferner, daß er mit Hanslick in Lortzings „Wildschütz"
war. Er verehrt das Werk sehr und hält es für meisterhaft. Über Ignaz Brülls
neue Oper „Das kalte Herz" meint er: „Die Musik interessiert mich nicht bei
derlei Zeug! Ich sehe nirgends, wo ein Stück anfängt und wo es aufhört, es
geht immer so fort ohne rechten Gegensatz. Und da glauben die Leute, Wag-
ner habe es so gemacht. Sieht man bei diesem doch immer, auch in seinen
letzten Sachen, ganz genau die Einkerbungen, die jede Kunstform bedingt!
Wagner war viel zu sehr Musiker, um solche Fehler zu begehen, wie sie seine
Nachbeter machen!" (Anhang 39)
8. Dezember. Lustige Landpartie mit Brahms, Fuchs, Door, Jenner, Stok-
ker über Neuwaldegg nach Weidling am Bach und zurück auf der Straße nach
Ober-Sievering. 25 Brahms war am Vortage in den „Meistersingern". Er sprach
viel und begeistert davon. Oft sagte er: „Ich möchte kein Rezensent sein, ich
würde mir dann den Eindruck zerpflücken müssen, müßte mir manches, was
mir nicht recht ist, klarer machen! So kann ich schwärmen! Dieses Fortspin-
nen zu den kräftiger zusammengenommenen Stücken ist mir oft zuwider und
ich habe dann das Gefühl, als ob ich nicht mehr zuhören mag, es ist sekant!
Aber dann kommt wieder so viel Herrliches. Wagners dickköpfiger, streit-
süchtiger Charakter war nötig, um ein Werk wie die ,Meistersinger* zu schaf-
fen. Hätte er die Leute nicht durch Schrift, Wort und Tat zu seinen An-
sichten gezwungen, so hätten wir statt der ,Meistersinger' ein ,Zar und Zim-
mermännchen' bekommen!" (Eine Oper übrigens, die Brahms sehr hoch
schätzt.) Über den Beckmesser war er voll Lob. Er meinte, diesmal, zum ersten
Mal habe er gesehen, daß diese Figur „möglich" dargestellt werden könne. 26
Sogar seine Werbung um Eva erschien bei ihm plausibel.
Daß Brahms über manche Sachen Wagners verschieden urteilte, ist beinahe
selbstverständlich; so äußerte er sich über „Tristan und Isolde": „Da ginge ich
gern nur ein Stückchen hinein zum Duett im zweiten Akt." Im übrigen sei
ihm „Tristan" unausstehlich. „Nein, dazu habe ich mich noch nicht ge-
bracht ..." Es wird niemand wundern, der Brahms' Art und Weise kennt,
daß er gelegentlich abfällige Bemerkungen über Werke Wagners, die er sehr
hochhielt, machte. Von Hanslicks Abneigung gegen Wagner meinte er, daß
Hanslick für Wagnersche Werke gar kein Organ, gar keinen Sinn habe!
Hanslick sei alt und diese ganze Kunstweise sie ihm eine fremde Sprache.
(Anhang 40)
Von Johann Strauß hörte Brahms vor kurzem folgende lustige Geschichte:
25 Eine beachtliche Strecke von ca. 18 Kilometern. Solche Partien waren aber
nicht außergewöhnlich. Brahms ging stets mit schnellen Schritten voraus.
26 Den Beckmesser sang damals Fritz Friedrichs aus Braunschweig.
39
Strauß bekam aus Südtirol von einem Musikdilettanten das Angebot, einen
von jenem komponierten Marsch „herzurichten" und dieser erkundigte sich
gleichzeitig nach dem Honorar für eine solche Arbeit. Strauß, der gerade
seinen lustigen Tag hatte, schrieb zurück, daß er für diese Redaktion pro
Takt 5 Kreuzer und wenn eine größere Reminiszenz zu entfernen sei, außer-
dem 50 Kreuzer fordere. Er glaubte, die Sache damit abgetan zu haben. Bald
aber kam ein Brief mit dem Marsch und 5 Gulden, 50 Kreuzer; der Marsch
hatte 100 Takte = 5 Gulden und außerdem noch 50 Kreuzer. Dabei war
noch die Bemerkung, daß der Einsender hoffe, daß nun etwas Ordentliches
daraus werde! (Anhang 41)
Am 15, Dezember fand eine Aufführung des „Deutschen Requiems* statt.
Weinwurm erklärte nach der Probe des Vortages, daß ihn der erste, zweite
und letzte Satz interessiere, „alles übrige schenke ich Brahms". Das herrliche
Werk wurde zum größten Teil gut aufgeführt, vielleicht etwas nüchtern und
auf Effekt hin eingerichtet. Vor 12 Jahren unter Brahms war die Begeiste-
rung entschieden größer. Brahms saß in meiner Nähe auf der ersten Galerie
in der ersten Reihe.
18. Dezember. Generalversammlung im Tonkünstlerverein. Meine Frau
Johanna und ich blieben mit Brahms und anderen bis nach Mitternacht zu-
sammen. Von Frau Jaell war die Rede. Sie hatte am 17. Dezember ein Kon-
zert gegeben und zwar lauter eigene Sachen, nur als erste Nummer ein bis
jetzt unbekanntes Stück von Liszt. Brahms fragte sie ganz lustig, ob der erste
„Schmarrn", den sie gespielt habe, auch von ihr sei! Wörtlich sagte er über die
Jaell beim Nachhausegehen zu Gänsbacher und zu mir: „Es ist doch fad,
wenn die Klavierspielerinnen immer dieselben Lisztschen Stücke spielen! Da
lobe ich mir die Jaell! Ist eine intelligente, geistreiche Person und macht sich
die Klaviersachen, die doch ebenso schlecht sind wie die Lisztschen, selbst!"
(Anhang 42)
Von Frau Nicklass-Kempner, einer Sängerin, erzählte Brahms etwas sehr
Lustiges, das sich im November ereignete. Die gute Frau kam damals zu
Brahms und fragte ihn, was sie in ihrem nächsten Konzert singen solle. Er,
lustig wie oft, sagte ihr: „Singen Sie etwas von meinen nachgelassenen Lie-
dern." „Und welche", fragte Frau Nicklass. Brahms noch heiterer: „Fragen
Sie nur Kalbeck, der kennt alle!" Frau Nicklass ging wirklich zu Kalbeck
und fragte ihn nach den nachgelassenen Liedern. Kalbeck lachte fürchterlich
und die Geschichte machte die Runde. Schließlich kam auch Frau Nicklass dar-
auf, daß sie gefoppt worden war und beklagte sich darüber bei Brahms, der
ihr gutmütig erwiderte: „Ja, liebe Frau, fragen Sie mich nicht nach derlei!
Ich mache da meistens irgendeinen Witz. Wenn mir kein guter einfällt, einen
schlechten!"
Die Wiener Erstaufführung des Doppelkonzertes von Brahms, mit Joa-
40
dum und Hausmann, fand am 23. Dezember statt. Es war eine herrliche Auf-
führung. Das Werk ist ziemlich leicht verständlich, überaus phantastisch, ge-
mütsreich, wundervoll instrumentiert und sehr gut für die Solisten. Ein bei-
spielloser Erfolg. Brahms mußte selbst 7— 8mal erscheinen. Einige Lausbuben
zischten allerdings; um so lauter applaudierten sie als Demonstration bei
Mendelssohns nachfolgender A-Dur-Symphonie.
1889
28. März. Als wir Hugo Wolfs Lieder besprachen, sagte Brahms: „Ja,
wenn man sich um die Musik nicht kümmert, ist das Deklamieren eines Ge-
dichtes sehr leicht. Ansonsten sieht man, daß er ein gewandter, gebildeter,
gescheiter Mensch ist!"
Einschaltung des Herausgebers:
Visitenkarte von Brahms vom 23. Juni 1889 aus Ischl. Sie bezieht sich
sicherlich auf eine Gratulation Heubergers an Brahms anläßlich dessen Er-
nennung zum Ehrenbürger von Hamburg:
„Sie dürfen wohl lachen, wenn Sie andern gratulieren! Durch Rot-
tenberg erfuhr ich, wie viel schöner das bei Ihnen angebracht ist,
danke und gratuliere also hierdurch bestens. Hoffentlich kommen Sie
also den Sommer und benachrichtigen R. in Goisern vorher ! 26a
Mit herzlichem Gruß
Ihr J. Br."
Im September lieh ich Riemanns Lehrbuch des Kontrapunktes von Brahms.
Er nannte es ein unnützes Buch, aus dem niemand ordentlich Kontrapunkt
lernen wird. „Wenn ich einmal solche Geheimschriften und dergleichen sehe,
plage ich mich nicht mehr." Brahms hatte auch eine Reihe von Fragezeichen
in das Buch gesetzt.
Er erzählte, er sei aus allen Gegenden Deutschlands aufgefordert worden,
seine neuen „Sprüche" 27 zur Aufführung zu überlassen, nur aus Wien nicht
Als die Rede auf Yourrij von Arnolds gehässige Artikel gegen Anton
Rubinstein kam (Rubinstein hatte scharf über Liszts komödienhaftes Wesen
geurteilt), sagte Brahms: „Rubinstein war unpraktisch, derlei zu sagen. Es
26a Brahms' Glückwunsch bezieht sich wahrscheinlich auf die Uraufführung von
Heubergers Oper „Manuel Venegas" am Leipziger Stadttheater, die freilich schon
am 27. März stattgefunden hatte und nur ein halber Erfolg war.
27 Die „Fest- und Gedenksprüche* für achtstimmigen gemischten Chor a capella,
op. 109, die am 9. September 1889 in Hamburg durch den Cäcilienverein unter Julius
Spengel uraufgeführt wurden.
41
klingt alles so hart, wenn es auch wahr ist. Wir wissen ja alle sehr gut, daß
wir Liszt aus vielen Gründen verehren müssen, wenn wir auch überzeugt
sind, daß manches daran faul ist!" (Anhang 43)
10. Oktober. Wir besprachen die Konkurrenz um den Beethoven-Preis.
Der Meister erklärte, daß eine Arbeit Julius Zellners hoch über allen anderen
stünde, „sehr talentiert, schubertisch zugreifend". Außerdem erwähnte
Brahms eine Anzahl Tänze von einem Dr. Tjuka. Er sagte, daß er diese, der
Philisterhaftigkeit der Preisrichter wegen, trotz ihrer Vortrefflichkeit nicht
vorschlagen könne und klagte sehr über die Jury, in der nur Kapellmeister
Johann Nepomuk Fuchs (der Bruder von Robert), zähle. Die anderen seien
unnütz und verstünden nichts. Hellmesberger habe stets bereits etwas anderes
im Kopf, irgendeine bestimmte Persönlichkeit und sähe sich die Sachen sowenig
an wie alle anderen. „Hans Richter sieht garnichts an und ist immer mit
allem einverstanden. Was verstehen Kremser, Wein wurm etc.?" . . . Über
Guido Peters Symphonie befragt, zeigte Brahms mir die Partitur und sagte,
daß er sie als „zu elend" vollständig ausgeschieden habe.
31. Oktober. Brahms zeigte mir heute seinen Hamburger Ehrenbürger-
brief. Als ich die Bitte aussprach, ob er ihn mir zeigen würde, sagte er: „Sie
haben doch auch Ihren Heimatschein?" Diese kolossale Urkunde zeigte er
mir dann mit Stolz und Freude. Ganz besonders freuten ihn die Worte:
„Dem werten Sohne unserer Stadt!". Die schöne kleinere Adresse mit der
Ernennung zum Ehrenmitglied des Hamburger Tonkünstlervereins zeigte er
mir anschließend mit besonderer Genugtuung.
Brahms sprach dann mit Bewunderung über den Phonographen. „Ich seh*
mir's an, wie ein Märchen. Vom Technischen verstehe ich nichts. Vor Jahren
zeigte mir in Arnoldstein, ich war mit Herzogenbergs von Pörtschach aus dort,
ein jüdischer Hausierer den damals erst in den Anfängen befindlichen Phono-
graphen. Da dachte ich mir: Wie glücklich muß Edison sein, nachdem er die-
sen großartigen Keim gefunden hat. Daran kann er jetzt, wie ein Künstler,
still fortbilden, aber das Gewaltigste, der Keim, ist da!" 28
Bei einem Gespräch über Max Friedlaender (mit dem er sich wegen dessen
„gerügten Unwahrheiten" 281 zerstritt), kam er auf persönliche Eigenschaf-
ten zu sprechen. Er sagte: „Man kann ja nicht verlangen, daß alle Leute
gleich sind, oder gerade so wie ich; ganz rund ist kein Mensch, außer
28 Es dürfte ziemlich unbekannt sein, daß Brahms selbst in dieser Zeit eine Auf-
nahme mit dem Edisonschen Phonographen machte. Näheres siehe bei Fritz Böse:
Die einzige Schallaufnahme von Brahms, in Musica-Schallplatte 1958, Heft 3, S. 33
und R. Fellinger: Klänge um Brahms, Berlin 1933, S. 75.
28a Friedlaender wollte das Volkslied in seiner reinen Urgestalt erhalten wissen;
er billigte daher nicht Brahms* Verurteilung der Sammlung von Erk und Böhme
„Deutscher Liederhort".
42
da (damit klopfte er mächtig auf seinen Bauch). Audi ich habe meine Fehler,
ich weiß es! Mein böses Maul hat schon manchen verletzt. Ich nehme mich
auch in acht, aber wer diesen Fehler nicht zu übersehen vermag, der soll halt
nicht mit mir verkehren. Aber Wahrhaftigkeit kann man verlangen." Als
ich meinte: „Ja, Herr Doktor, es wird wohl kaum jemanden geben, den Sie
nicht schon im persönlichen Verkehr gekränkt oder verletzt hätten", meinte
er: „Oh, ich passe oft sehr auf, ich bin aber gegen Niemanden gerade sehr
höflich und am allerletzten gegen mich selbst!" (Anhang 44)
Im Gespräch über die „Walküre" äußerte sich Brahms folgendermaßen:
„Ich gehe in eine solche Oper am liebsten in eine Loge. Da trinke ich im
zweiten Akt ein Glas Bier, lege mich mit Absicht eine halbe Stunde hin und
bin dann wieder frisch. So ein Werk ist ein zu anstrengender Genuß. Man
darf aber deshalb nicht abfällig über das Werk selbst reden. Mir geschah
Ähnliches in meiner Jugend, sogar bei Figaro, Beethovenschen Sätzen etc.
Auch bei Hellmesbergerschen Quartettaufführungen, die die böse Manier
haben, zu wenig Haydn zu spielen, tritt oft Übermüdung des Zuhörers ein.
Zum Schluß soll immer Haydn kommen, da bleibt man frisch!"
Den neuen „Kaiserwalzer" von Johann Strauß findet Brahms besser als
manche der letzten Walzer von Strauß, in denen er die jugendlich frische
Erfindung vermißt. Eine Reihe von Wunderlichkeiten, die zweifache Harmo-
nisierung, der „leichtere Klaviersatz" (da doch der andere auch so entsetz-
lich leicht ist) gefallen ihm nicht. „Allerdings wird das wundervoll instru-
mentiert sein und herrlich klingen. Wenn man's aber so ansieht, kann man
sich nicht denken, wo eigentlich der Reiz stecken soll." Der Walzer wird bei
Simrock verlegt, was Brahms besonders freut. (Anhang 45)
1890
14. Februar. Neben vielem anderen äußerte sich Brahms über Cornelius,
daß er dessen schwärmerisches Wesen etwas für gemacht hielt. Er sagte, das
seien Leute, denen die Unnatur zur Natur geworden sei und erzählte auch,
daß die Idee des Anreißens der leeren Guitarresaiten durch Beckmesser, wie
es Richard Wagner in den Meistersingern verwendet, ursprünglich von Cor-
nelius herrühre. Dieser schrieb ein Lied (Cornelius, op. 5: „Ihr Freunde, wenn
ich gestorben bin", da wird das Anreißen der Guitarre e a d g h e nachge-
ahmt), worin gesagt wird, jemand nehme die Laute zur Hand, um wieder
darauf zu spielen und zu singen und da wolle er die leeren Saiten erklingen
lassen. Brahms findet das in den „Meistersingern" sehr lustig, aber kaum sehr
natürlich. Er meinte, jeder Mensch versuche einen Akkord zu greifen: „Nun,
43
das weiß ich nicht!" (Eine Redewendung von Brahms, die stets ein Gespräch
abschneiden sollte.)
Cornelius' erstes Auftreten im Hause Wesendonck in Zürich, zu Beginn der
sechziger Jahre, mag merkwürdig genug gewesen sein. Brahms sagte, daß Herr
Wesendonck ihm mitgeteilt habe, daß er das etwas effektvolle Auftreten von
Peter Cornelius in seinem Hause für Schwindel gehalten habe und dadurch
verstimmt wurde. Cornelius wurde bei Wesendonck erwartet und trat wie
zufällig in den Park, in dem abseits die Familie weilte. Er ging entblößten
Hauptes herum und sagte immer wieder zu sich selbst: Was müssen das für
herrliche Menschen sein, die so etwas bewohnen, so etwas anlegen konnten!
Da traf er auf die Familie, die ihn schon eine Zeitlang beobachtet hatte. Er
wiederholte seine ekstatischen Bemerkungen. Frau Wesendonck war davon
entzückt und nahm ihn danach in ihrem Hause auf. —
Von den Zusammenkünften mit Cornelius, Tausig, Brahms und auch
Richard Wagner im Hause von Dr. Standhardtner sagte der Meister: „Cor-
nelius hat nie ein ,Sperrsechserr 26 bei sich gehabt! Er war überhaupt stets in
tiefster Geldnot. Tausig dagegen verfügte stets über — gepumptes Geld!
Wenn mir auch nicht alles an Tausig und Cornelius recht war, die zwei
wären mir heute noch der liebste Verkehr. Jeder einzelne ist doch mehr
wert, als alle hiesigen Musiker zusammen." Er sprach dann noch über Cor-
nelius 5 Methode, immer mehr und mehr in die Partitur hineinzuschreiben, bis
alles schwarz war. Cornelius wurde oft deshalb von seinen Freunden ge-
neckt.
Als das Gespräch auf die Sängerin Alice Barbi kam, die eben wieder gro-
ßes Aufsehen in Wien erregt hatte, erzählte Brahms, daß Dr. Ludwig Rot-
tenberg, ihr Begleiter, darüber verstimmt sei, daß sie soviel studieren wolle.
„Ich habe ihm aber gesagt: Benutzen Sie diese Gelegenheit! Von so jeman-
dem wie der Barbi können wir alle lernen! Die Italienerin singt vor allem
ungemein sicher, streng im Takt und will vor allem den Organismus des
Stückes, das sie singt, sich zu Bewußtsein bringen. Wir dusseln ja alle am
Klavier! Ich spreche nicht von mir, der ich so wenig das Zeug in mir habe,
vor Leuten zu spielen, aber die meisten Deutschen musizieren im Schlaf-
rock! Wir kennen alle diese Melodien so genau und sicher, wir kennen die
Bässe, die Akkorde und dusseln das dann so herunter. Sie können bei der
Barbi viel, viel lernen!" 30
29 Das „Sperrsechserl" war ein Zehnkreuzerstück, eine Gebühr, die man in Wien
beim Hausmeister für das Türöffnen zwischen 22 Uhr und 6 Uhr früh entrichten
mußte. Ein Relikt aus alter Zeit, da der Hausmeister noch als Polizeispitzel diente
und kein Mieter einen eigenen Haustürschlüssel besaß.
30 Hiernach hatte Brahms mit Alice Barbi schon länger guten Kontakt und nicht
erst seit dem 5. April 1892, wie bei Kalbeck IV, S. 325 ff. angegeben.
44
Einschaltung des Herausgebers:
Bezüglich einer Vermittlung von Brahms bei einer Bewerbung Heubergers
um eine musikalische Stellung schreibt Brahms mit einer Korrespondenzkarte
aus Ischl vom 25. September 1890:
„Geehrter und lieber Herr. Die fragliche Stellung wird erst zum
Winter 91 — 92 frei! Alles Mögliche hat also Zeit bis Sie in Wien
hoffentlich recht frisch und fröhlich wiedersieht Ihr herzlich grüßen-
der
J. Br."
Am 23. Oktober war wieder viel von Cornelius die Rede. Brahms nannte
ihn einen lieben netten, gar nicht einseitigen Mann. So habe er in den sechziger
Jahren nach Anhören eines Quartettes von Goldmark sich das Stück aus den
Stimmen zusammengeschrieben. Im übrigen findet er den Lärm, der mit
dem „Barbier von Bagdad" gemacht wurde, weitaus zu groß. „Die ,KÖnigs-
braut* von Fuchs ist genau so gut und doch findet niemand etwas daran!"
Die neuen Kompositionen von Richard Strauß fand er schauderhaft.
Für den 4. November hatte mich Arnold Rose* (Konzertmeister der Hof-
oper) zur Probe des neuen Quintetts von Brahms gebeten. 31 Es waren da:
Brahms, Billroth, Mandyczewski, Gustav Walter, Hans Richter mit Frau und
Tochter, Max Kalbeck mit Frau, Brüll und Door. Das Quintett, das mir
gleich sehr gefiel, ist in G-Dur. Großartig frei aufgebaut, voll tiefster Emp-
findung, manches träumerisch, dann sich energisch aufraffend, das Menuett
fast volkstümlich; der Schlußsatz führte an einer ungarischen Schenke vor-
bei. Das Adagio voll schönen Gesanges, meist schmerzlich-gerührter Natur.
Nach der Aufführung mit Richter und Brahms über die Wagnerianer ge-
sprochen, besonders über Hugo Wolf debattiert, den die Wagnerianer jetzt
als großen Lyriker preisen, als Erfinder des „symphonischen Liedes", wah-
rend Schubert, Schumann und Brahms nur Lieder „wie mit Guitarrebeglei-
tung" geschrieben hätten. 32
Über die gegenwärtige Judenhetze in Wien sagte Brahms: „Darüber mag
ich gar nicht reden, so erbärmlich kommt mir das vor! Daß man den immer-
währenden Nachschub galizischer Juden nach Wien hindert, dafür wäre ich,
aber alles andere ist eine Gemeinheit!"
31 Quintett Nr. 2, G-Dur, op. 111. Kalbecks erhielten folgende lustige Einladung
durch Brahms auf einer Karte: „Vorläufig ist eine Probe angesetzt für Mittwoch
11 Uhr . . . [Auch Frauen und sonst minder Gebildeten ist der Zutritt gestattet!] . . ."
Der in Klammern stehende Satz — ein Beispiel für den Brahmsschen Humor! Er
soll eine spezielle Einladung für Frau Julie Kalbeck sein! Original im Besitz des
Herausgebers.
32 Vergleiche hierzu Kalbeck III, S. 404.
45
Sehr lustig ist es, wie Brahms Richard von Perger nach Rotterdam empfoh-
len haben soll, Mandyczewski erzählte es mir. Brahms soll gesagt haben:
„Ich habe Perger nie klavierspielen gehört, nie dirigieren gesehen — aber er
ist ein netter, geistreicher Kerl." — Echt Brahms!
12. November. Gestern bei Ros£ Premiere des G-Dur-Quintetts von Brahms.
Kolossaler Erfolg. Billroth saß hinter mir. Goldmark war auch da. Die Auf-
führung des Quintetts war nicht vollkommen. Hummer, der Cellist, wollte
nicht recht und verhunzte mancherlei. Das Publikum wollte unbedingt nach
stürmischem Applaus Brahms sehen, er hatte aber der Aufführung nicht bei-
gewohnt. Hummer hatte in die Cellostimme kindische Notizen geschrieben,
wie: Das klingt nicht gut auf dem Cello, oder: Die G-Saite spricht piano
nicht an, Reinhold Hummer! Es ist unglaublich!
13. November. Eben sagte mir Hanslick, daß Brahms nicht ins Ros6-Quar-
tett ging, weil er keine Karte erhalten hatte. Hummer hatte die Verteilung
der Karten zu besorgen und — hatte Brahms vergessen. Noch bei der letzten
Probe, am Vormittag des Konzertes, hatte Brahms, als Ros£: „Auf Wieder-
sehen, abends" sagte, erwidert: „Ja, wenn bei Bösendorf er noch eine Eintritts-
karte zu haben sein wird." Das verstand Rose" nicht — echt österreichische
Schlamperei!
26. November. Abends mit Brahms im Tonkünstlerverein zusammen. Auch
Gänsbacher, Epstein, Brüll, Grün, Kremser waren da. Brahms war sehr
lustig, fast übermütig. Es wurde ein schriftlicher Antrag besprochen, daß
die Mitglieder des Tonkünstlervereins noch mehr bei den Programmen berück-
sichtigt und gefragt werden sollten, wen sie als Interpreten zur Auffüh-
rung ihrer Werke wünschten. Brahms sagte: „Nun, da habt Ihr's. Ihr unter-
stützt mich nicht. Noch nie bin ich um so etwas gefragt worden! Niemand
hat mich aufgefordert zu singen, und ich singe doch so schön! (Anspielung auf
seine abscheuliche Singstimme) Da muß ja jedes Talent verkommen!" So
frozzelte er fort, beteiligte sich aber lebhaft an der Beratung. Wir blieben bis
Mitternacht zusammen.
Die Silvesterfeier des Tonkünstlervereins am 29. Dezember verbrachte ich
mit Brahms. Er erzählte, daß er in den sechziger Jahren (1869) stets mit Dr.
Eyrich, dem damaligen Chormeister des Wiener Akademischen Gesangvereins,
bei Christenheit im Gasthaus „Zur schönen Laterne" gekneipt habe. Einmal,
als die beiden dort waren, füllte sich das ganze Wirtshaus mit Verehrern der
Volkssängerin Mannsfeld und man respektierte nur den Tisch, wo die beiden
kneipten. Die Mannsfeld hatte Kavaliere und Volkssänger geladen und das
ganze Lokal war voll. Sie sollte singen, aber ihr Begleiter traf nicht ein. Da
kam sie zu Brahms, setzte sich ihm auf den Schoß und sagte: „Ich weiß, daß
Sie ein berühmter Mann sind und daß das nicht Ihre Musik ist, die ich singe,
46
aber — begleitend mir ein paar Liederln!" Brahms setzte sidi hin und be-
gleitete sie und andere Volkssänger längere Zeit. 33
1891
6. Jänner. Lustige Landpartie mit Brahms und anderen. Von Hietzing zu
Fuß über Speising, Mauer nach Rodaun, dort Mittag gegessen, danach wie-
der nach Liesing. Da noch Zeit zum Zug war, gingen Brahms, Robert Fuchs
und ich zu Fuß nach Hetzendorf, dann per Bahn nach Hause. Brahms war
die ganze Zeit übermütig, hüpfte im Schnee herum, fiel einmal fast hin, da
der Straßengraben verweht war.
Tags vorher waren meine Frau Johanna und ich im Tonkünstlerverein mit
Brahms zusammen, der sehr aufgeräumt war. Door hatte einen Vortrag an-
gekündigt und leider auch gehalten : Erinnerung an Niels W. Gade. Mit ganz
unbedeutenden Mitteilungen über Gade, dergestalt, daß Gade einmal, als
Door in Kopenhagen war, in dem Schumannschen Klavierquartett die Brat-
sche spielte und Door dies von Gade angetragen bekam. Alles andere war aus
Riemann, Breslaur und anderen Wort für Wort zusammengereimt. Brahms
meinte: „Das ist unsagbar läppisch, hätte er aber mehr gesagt, so hätte der
Vortrag heißen müssen: Freie Phantasie über Gade, gelogen von Door!" Wir
lachten ungemein. (Anhang 46)
Über die G-Dur-Symphonie von Anton Dvorak, die kürzlich in Wien
aufgeführt wurde, war Brahms meiner Meinung und sagte: „Zu viel Frag-
mentarisches, Nebensächliches treibt sich darin herum. Alles fein, musikalisch
fesselnd und schön — aber keine Hauptsachen! Besonders im ersten Satz
wird nicht Rechtes draus. Aber ein reizender Musiker'. Wenn man Dvorak
nachsagt, er komme vor lauter einzelnen Einfällen nicht dazu, etwas Großes,
Zusammenfassendes zu leisten, so trifft dies zu. Bei Brückner aber nicht, der
bietet ja ohnedies so wenig!"
Ich besuchte Brahms am 3. Juli in Ischl. Er war sehr nett, führte mich in
den kaiserlichen Gärten spazieren, wo ihn alle Bediensteten ehrfurchtsvoll
grüßten und war im ganzen überaus aufgeknöpft. Er lieh mir Hermann
Bahrs unmögliches Stück „Die Mutter", eine dramatische Zote ohnegleichen.
Als er es mir gab, meinte er: „Das ist doch das Allerschlechteste, was ich noch
in der Hand hatte von dem ,Quark* der Freien Bühne!"
Unter anderem erzählte er mir eine lustige Geschichte von der Pianistin
Essipoff, die öfters zu ihm kam, „um Kontrapunkt zu studieren", wie Brahms
33 Kalbeck änderte diese Begebenheit etwas freier ab. Siehe Band II, S. 9, An-
merkung 1.
47
sich schmunzelnd ausdrückte. In Wahrheit hatte er ihr ein paar Salonstücke
hergerichtet. Er lachte fürchterlich über ihre Äußerung, daß sie nie „weiter
käme*, wenn sie einmal einen oder ein paar Takte mühsam zusammengesucht
hatte. Tiefere musikalische Anlagen sprach er der Essipoff ab. Daß sie gut
vom Blatt spielt, sei nüchterne Übungssache. Empfindung für die Musik
habe sie keine. (Anhang 47)
Von Bülow erzählte er allerlei Lustiges und sogar menschlich Angeneh-
mes: „Einmal, in Graz glaube ich, klagte ich, als wir im Gasthaus saßen,
einen Augenblick über Kopfschmerzen, ein Gefühl, daß ich Gottseidank
kaum kenne. Plötzlich war Bülow fort und erschien kurz darauf ganz auf-
geregt mit Riechsalz und dergleichen. Ich lachte ihn tüchtig aus, der momentane
harmlose Schmerz war längst weg."
6. November. Vormittags bei Brahms gewesen, der mir Lieder von dem
alten italienischen Komponisten Bazzini lieh, mit Texten von Alice Barbi.
Die Barbi hatte Brahms die Lieder gegeben, damit er die Texte komponiere.
Brahms sagte: „Nicht wahr, was die Barbi alles kann! Und die Lieder finde
ich so famos, als wären sie nicht von einem alten Mann, sondern von dem
besten jungen deutschen Komponisten. Und Bazzini ist 74 Jahre alt! Da
schreiben wir keine Liebeslieder mehr. Sie vielleicht, ich nicht!"
Von Robert Fuchs' neuer Oper „Die Teufelsglocke", die ihm Fuchs gezeigt
hatte, sagte er: „Fuchs ist doch ein famoser Musiker, alles ist so fein, so ge-
wandt, so reizend erfunden! Man hat immer seine Freude daran! Das Buch
gefällt mir weniger. Es ist ein schwacher Abguß der , Weißen Dame* und doch
so viele Albernheiten darin. Fuchs schwärmt für das Buch, er möge Recht
behalten. Ich habe überhaupt für die moderne Art, Opern zu machen, wenig
Sinn. Ich sehe sogar bei Richard Wagner immer gewisse ausgeprägte Stücke
und alle anderen komponieren ohne solche Stücke! Das, was bei Wagner
zwischen diesen Stücken auftritt, ist alles so originell, so empfunden, daß
man immer hinhorchen muß und interessiert wird. Für das Theaterstück wäre
es aber wohl auch da besser und diese Zwischenpartien weniger umständlich.
Bei den »modernen, nachwagnerischen' Opern zottelt die Musik immer so
fort, ohne Anhalt, als wenn man sich etwas am Klavier vorphantasierte.
Hier und da müßte sich's aber ,auf steifen' und müßte zu was kommen! Man
will doch dazwischen einen Bissen. Auch bei Johann Strauß* Oper (Ritter
Pasman ist gemeint) bedauere ich diesen Stil. Es wurstelt und zottelt immer
fort und fort (dabei machte Brahms immer eine charakteristische Bewegung,
indem er einen Finger vor den andern setzte, als wenn es Füße wären) und
kommt zu nichts. Als mir Strauß das Textbuch zu lesen gab, sah ich ordent-
lich die Stücke vor mir und dachte: Wenn Strauß nur noch so im vollen Saft
wäre, könnte da etwas zustande kommen, wie das Kußfinale in der ,Fleder-
48
maus'. Als er mir dann die Musik vorspielte, sah ich, daß es auch da nur so
fortwurstelte. Ich fürchte sehr für den Erfolg und wünsche dem Strauß doch
so sehr, daß er Erfolg hätte! Er ist doch kein junger Mann und ihn würde
ein Mißerfolg sehr schmerzen. Dazu noch die Frau, die immer öl ins Feuer
gießt 34 , die für ihn Reklame macht, sich in die Korrespondenz eindrängt etc.
Simrock schreibt immer an Jierrn Johann Strauß', sie aber will immer, daß
er ihr antworte. Das Weibergequatsch geht aber Simrock nichts an!"
Es kam zur Sprache, daß Felix Mottl eben in Karlsruhe Mehuls Oper
„Uthal" aufgeführt habe und Brahms bemerkte dazu: „Das ist doch eigentlich
mein Werk. Vor Jahren habe ich das Material dem Devrient und Levi ge-
geben und die ordneten das Werk. Mottl fand da das ganze Material und
führte es danach auf."
Als die Rede auf d'Alberts Übersiedlung nach Karlsruhe kam, sagte
Brahms nicht ohne Heiterkeit: „In den d' Albert ist der Teufel der Unruhe
gefahren. Er kauft und verkauft Häuser, als machte ihm das Spaß! Nach
Karlsruhe geht er wohl, um dort in Ruhe seine Oper vorzubereiten. Er ist
da praktisch und künstlerisch zugleich. Die anderen, mich ausgenommen,
machen's alle nicht so gescheit, derlei Premieren in einer kleinen Stadt vor sich
gehen zu lassen."
Über Brückners Doktordiplom machte er sich sehr lustig: „Ob man jeman-
den als Künstler überschätzt, das ist eine Sache für sich. Aber daß man einen
total ungebildeten Menschen zum Doktor macht, das ist eigentlich ziemlich
stark. Schon vor Jahren war es geplant, da widerriet Hanslick. Nun wurde
es aber doch durchgesetzt. Ich war das Versuchskaninchen für den Musik-
doktor und jetzt wird das so allgemein! Hegar, Reinicke, Jadassohn, Mun-
zinger, etc. — lauter Doktoren!" 35
16. Dezember. Ich hatte im Auftrag des Komitees Brahms zu fragen, ob
er für die in Vorbereitung befindliche Wiener Musik- und Theaterausstellung
eine Festkantate komponieren wolle. Er lehnte gemütlich ab: „Sagen Sie recht
höflich, daß ich mich für die Ehre bedanken lasse. Aber auf Gelegenheits-
sachen lasse ich mich nicht ein. Sollen zu Brückner gehen!" (Brückner kam der
an ihn gerichteten Aufforderung nach und komponierte zu diesem Zweck den
ISOsten Psalm, dessen Text ich ihm vorgeschlagen hatte.)
Brahms erzählte mir von seiner eben absolvierten Berliner Reise, natürlich
sehr begeistert, da er dort sehr gefeiert wurde: „Da haben wir keinen so klei-
nen Dreck gemacht wie gestern. Keine Lieder und ungarische Tänze, sondern
lauter Bomben-Programme, schwere Kost." Er spielte auf das am Vortage
34 Fast wörtlich äußerte sich Brahms so auch brieflich. Siehe Kalbeck IV, S. 270.
35 Anton Brückner wurde 1891 Ehrendoktor der Wiener Universität.
49
stattgefundene Konzert des Pensionsvereins im Konservatorium an, wo er
und Joachim mitwirkten. 36
Über die Idee, hier im Sommer volkstümliche Konzerte zu veranstalten,
lachte er: „Hier ist kein Publikum dafür!" Überhaupt ist er entsetzt über
die ganze Musikausstellung, sagte, daß auch in Berlin die Leute entsetzt seien,
aber — „der Kaiser interessiert sich persönlich dafür und daher werden sie
wahre Schätze hersenden!" (Anhang 48)
Bezüglich der Festkantate schlug Brahms allen Ernstes vor, den Donau-
walzer für gemischten Chor zu setzen und einen schönen poetischen Text zu
unterlegen. Nicht übel. 37
Am 17. Dezember vormittags Probe von Brahms* neuem Klarinettentrio
im kleinen Musikvereinssaal. Brahms spielte Klavier, Adalbert Syrinek Kla-
rinette, Ferdinand Hellmesberger Cello. Ich blätterte Brahms um. Der Ada-
giosatz gefiel mir ungemein. Abends an demselben Tage das Konzert. Im
Ganzen gefiel das Trio nicht. Applaus natürlich bedeutend, da der Saal vol-
ler Brahmsverehrer war. Im Anschluß waren wir noch mit Brahms im Gast-
haus „Zum roten Igel". Brüll, Door und Kalbeck mit ihren Frauen warteten
schon auf Brahms. (Anhang 49)
28. Dezember. Wieder mit Brahms im Tonkünstlerverein recht lustig bei-
sammen. Er war übermütig; ich saß den ganzen Abend neben ihm. Er sagte
unter anderem, daß er aus Wagners eigenem Mund gehört habe, wie er Cor-
nelius und anderen riet: „Ihr müßt nach anderer Richtung hin arbeiten als
ich!"
1892
5. Jänner. Erste Aufführung des Brahmsschen Klarinettenquintetts in
Wien. Beispielloser Erfolg, die Leute jubelten minutenlang. Vor dem Kon-
zert begegnete ich Brahms. Ich fragte ihn, ob er nicht zu Rose gehe, wo heute
eine Novität von Brahms gemacht würde: „Ich weiß noch nicht, es ist wenig
36 Das Joachim-Quartett und der Klarinettist Mühlfeld brachten am 12. Dezem-
ber 1891 in der Berliner Singakademie das Klarinettentrio op. 114 und das Klari-
nettenquintett, op. 115 als Uraufführung mit überwältigendem Erfolg. Im Wiener
Konzert am 15. Dezember brachte Joachim Max Bruchs 3. Violinkonzert und mit
Brahms dessen ungarische Tänze. Brahms begleitete Gustav Walter zu Liedern von
Schubert und Rubinstein. Joachim wirkte auch bei den ersten Proben zur Aufführung
des Klarinettenquintetts in Wien mit, indem er die Solopartie auf der Bratsche
spielte.
37 Der Walzer „An der schönen blauen Donau" ist ursprünglich für Chor kom-
poniert worden und dem Wiener Männer-Gesang- Verein gewidmet. Vgl. Schenk,
S. 59.
50
Vergnügen dabei!" Er war sehr übermütig; idi begleitete ihn bis zum Künst-
lerzimmer. 38
Am nächsten Morgen früh um 10 Uhr fuhren Brahms, Mandyczewski, Con-
rat, Door, Lienau, Prohaska und ich per Tramway nach Hietzing, dort gin-
gen wir zu Fuß nach Rodaun. Mittags im Gasthaus Stelzer. Nach dem Essen
kam Johanna, meine Frau, nach. Alle zusammen gingen wir nach Kalten-
leutgeben und per Bahn nach Haus. Brahms war sehr nett. Wir redeten viel
zusammen. Auf der Tramwayfahrt stand ich mit Brahms und Mandyczewski
neben dem Kutscher auf dem Pf erdebahn wagen. Da bemerkte ein einen
Vordersitz innehabender einfacher Mann, daß Brahms alt sei und bot ihm
seinen Platz an. Brahms wollte ihn nicht annehmen und sagte lachend, seinen
weißen Bart streichelnd: „Sie halten mich wohl für einen sehr alten Mann!"
Er lachte sehr vergnügt. Tags vorher ein solches Quintett und am nächsten
Tage als alter Mann geehrt. (Anhang 50)
11. Jänner. Abends mit Brahms, Joachim, Kalbeck, Door und Conrat samt
Frauen und Cellist Morgan beim „Roten Igel" nach einem Konzert Joachims.
Ich saß den ganzen Abend neben Brahms, der eine Menge Witze erzählte.
Joachim machte auch einen guten Spaß. Er stritt über irgend etwas mit Kal-
beck, der dann sagte: „Sie werden mir doch zugeben ..." Da fiel Joachim ein:
„Heute gebe ich nichts mehr zu." (Er hatte in seinem Konzert drei Stücke von
Bach zugegeben.) — Brahms erzählte mir beiläufig, daß er außer seiner be-
kannten« Akademischen Festouvertüre" noch eine zweite zuhause liegen habe,
in F-Dur, mit dem Landesvater. — Ich fragte Brahms, wir kamen durch ein
Gespräch über Herzogenberg darauf, ob er irgend einen Schüler habe, der
von ihm Komposition gelernt habe: „Das hörte ich schon oft; aber ich habe
nie Kompositionsunterricht gegeben."
Einschaltung des Herausgebers:
Vom 12. Januar 1892 datiert eine Einladung per Korrespondenzkarte von
Brahms:
„Möchten Sie nicht morgen [Mittwoch] nach dem Concert mit uns
im Igel zur Nacht essen? Natürlich mit Frau — ohne diese gibts
kein Plaisier für Ihren herzlich grüßenden
J. Br."
Auf einer Landpartie am 17. Jänner nach Rodaun erzählte Brahms, daß
Bülow jetzt seine Berliner Stellung aufgegeben habe. Er hatte einen Skan-
dal mit Joachim, einen mit Wolff gehabt und vor allem ärgerte ihn Felix
38 Die Wiener Erstaufführung wurde von dem Klarinettisten Steiner und dem
Rose-Quartett besorgt. Mühlfeld und das Joadiim-Quartett führten die beiden Kla-
rinettenstücke bereits am 19. und 21. Januar in Wien wieder auf.
51
Weingartners Emporkommen. 39 Brahms machte bei dieser Gelegenheit eine
hübsche Bemerkung über Josef Hellmesberger sen., den berühmten Geiger,
dessen Spiel er leidenschaftlich liebte: „Er lügt immer, nur wenn er Musik
macht, kann er nicht lügen." (Anhang 51)
25, Jänner abends im Tonkünstlerverein. Brahms neue Vokalquartette,
darunter vier neue Zigeunerlieder, die bei Peters erschienen 40 , wurden von
Baronin Bach, Frau Körner, Gustav Walter und Herrn Weiss gesungen.
Brahms begleitete, ich blätterte ihm um. Danach blieb ich mit Brahms sitzen
und soupierte.
Als ich am 18. Februar im Archiv der „Gesellschaft der Musikfreunde"
bei Mandyczewski war, traf ich Brahms und ging mit ihm ein Stück auf der
Straße. Wir sprachen über „Werther" von Jules Massenet, der ein paar Tage
vorher in Wien aufgeführt wurde. Brahms lobte die Geschicklichkeit Masse-
nets, sagte aber: „Übrigens, mir ist doch gar zu wenig Musik drin. Acht
Takte ,Meistersinger c sind mir mehr wert, als die ganze Oper von Massenet." 41
Am 20. März führte Hans Richter im philharmonischen Konzert drei
schlechte Klavier-Orchesterstücke von Eugenio Pirani auf. Alles war entrüstet.
Ich griff die Philharmoniker heftig an, darauf erfolgte eine große Sitzung,
auf der Richter erklärte, mir öffentlich entgegentreten zu wollen. Es kam
allerdings nicht dazu. Aber Richter schrieb und veröffentlichte hierauf, um
seinen gegensätzlichen Standpunkt zu markieren, einen devoten Dankesbrief
an den Italiener, in welchem er ihm ausdrücklich dankte und um weitere
gütige Gesinnung bat. Darüber und über die ganze Geschichte ärgerte sich
Brahms wütend und machte sich baldigst Luft.
Ich stand mit zwei Herren des philharmonischen Orchesters bei der General-
probe zu Mascagnis „Freund Fritz" (28. März) im Parkett der Hofoper, als
Brahms daher kam und sichtlich empört zu einem der Herren sagte: „Nun,
man muß es wirklich dankbar mitquittieren, daß man hier Komponisten zu
ehren versteht. Richter hat dem Pirani einen so schönen Brief geschrieben,
daß wir alle, die wir noch nie solche Briefe bekommen haben, uns geehrt
fühlen müssen. Falls Sie wieder einmal in Enthusiasmus geraten wollen, emp-
fehle ich Ihnen den Grafen Zichy, der ist hierzu sehr geeignet." Zichy hatte
am Vortage seine Dilettantenarbeiten im „Akademischen Gesangverein" auf-
geführt und dirigiert. Brahms ging dann erregt weiter.
39 Etwas anders stellte Marie von Bülow den Rücktritt dar. Danach trat Hans
von Bülow vornehmlich aus Verärgerung über die Verabschiedung Bismarcks als
Reichskanzler von seinem Berliner Amt zurück. Vgl. „Hans von Bülow in Leben
und Wort", Stuttgart 1925, S. 180 ff.
40 Sechs Quartette, für S.A.T.B. mit Pianoforte, op. 112, die hier uraufgeführt
wurden.
* l Vgl. Kalbeck IV, S. 270 f.
52
31. März. Vormittag längere Zeit bei Brahms. Er zeigte mir ein neues
Buch von Spitta „Zur Musik" und sagte, daß er es wohl gewesen sei, der
Spitta diese Laufbahn aufgezeigt habe, auf der er jetzt so Schönes leiste. Es
war in Göttingen, als Brahms und Joachim den damals noch blutjungen Stu-
denten Spitta kennenlernten. Dieser zeigte Brahms allerlei Kompositionen
und Brahms sagte darauf: „Sehen Sie, komponieren, das kann ich auch, aber
wenn ich so gescheit wäre wie Sie und mehr gelernt hätte, wäre es meine
Passion, mich mit Musikforschung zu befassen." Spitta griff diesen Gedanken
auf. 42
Es kam die Rede auf Hans von Bülows vor ein paar Tagen in Berlin ge-
haltene häßliche Konzertrede, in welcher der Passus vorkam, daß er sich „den
märkischen Staub von den Pantoffeln schüttele". 43 Brahms gab mir einen ihm
zugesandten Abdruck der Rede und äußerte sich sehr zweideutig über Bülows
Krakehlertum. Er meinte, daß Bülow stets so gewesen sei und früher eine
Menge grober Broschüren geschrieben habe. Man bliebe doch nicht frei von
dem Nebengedanken, es sei, trotz Bülows unantastbarer, kavaliermäßiger
Gesinnung, doch nicht alles ohne gewiß harmlose Reklamesucht. Dieser Tage
gibt Bülow in Hamburg ein Volkskonzert zu Ehren Bismarcks. „Das wird
enorm voll sein", meinte Brahms.
Dann erzählte Brahms eine nette Geschichte von seiner ersten Konzertreise
mit dem Geiger Remenyi. „Ich habe mich verführen lassen, eine Konzert-
tournee mit ihm zu machen. Wir kamen auch nach Hildesheim, einer reizen-
den hannoverschen Stadt. Unser Konzert war elend leer, aber etliche vor-
nehme Leute waren nachher mit uns zu Tisch, der Gesangverein sang ein
Lied, das ich ihm geschrieben hatte, es war sehr lustig. Da erhob sich spät in
der Nacht Remenyi und erklärte, jetzt sogleich, in der schönen Mondnacht,
einer adeligen Dame, die in einer der ersten Reihen im Konzert gesessen hatte,
ein Ständchen bringen zu wollen. Alles zog hinaus vor das Haus jener Dame.
Es war herrlich, der reine Eichendorf f! Ich habe ungeheuer geschwelgt. Mond-
schein, der Gesangverein sang seine Lieder, Remenyi ,jaulte c dazu auf seiner
Geige! Als alles zu Ende war, sagte ich ganz begeistert zu Remenyi: Das war
42 Hiernach ist die Einleitung zum Briefwechsel Johannes Brahms — Philipp
Spitta, hsg. von Carl Krebs, Berlin 1920, S. 11 zu berichtigen, wie überhaupt die
Bekanntschaft zwischen Brahms und Spitta schon weitaus früher bestanden haben
muß, als dort, auch auf S. 13, angegeben.
43 Nach seiner letzten „Rede" zum Absdiluß seiner Berliner Konzerttätigkeit
am 28. März 1892, als Bülow Beethovens „Eroica" zu Ehren Bismarcks „um-
widmete", erfolgte die Gebärde, nicht die Aussprache des „Staub von den Stiefeln
Schütteins" durch Bülow. Ein Passus übrigens, den der damalige deutsche Kaiser
Wilhelm II. in einer Rede gegen die Kritik über die Entlassung Bismarcks gebrauchte,
um sie zum Schweigen zu bringen. Diese „Aufforderung" befolgte Bülow mit der
Gebärde.
53
herrlich! Und wie schön phantasieren Sie! Da meinte Remenyi: Ich habe aus
den ,Puritanern c gespielt! — Die halbe Stadt war am nächsten Morgen in
Aufruhr und Remenyi kündigte an diesem Tage gegen die Vereinbarung ein
Konzert an. Es war ,brechend' voll!"
Brahms meinte, Remenyi sei gewiß auch etwas begeistert gewesen, das Ge-
schäft sei ihm aber immer noch die Hauptsache gewesen.
23. April. Lustiger Abend bei Viktor von Miller zu Aichholz. Brahms
spielte sein Klarinettentrio, auch sein Klarinettenquintett wurde gespielt.
Goldmark, der auch da war, blätterte Brahms beim Trio um und als Gold-
marks Klarinettenquintett von Brüll am Klavier gespielt wurde, blätterte
Brahms um. Anwesend waren: Hanslick, Kalbeck, Frau Hornbostel, der Maler
Michalek, Mandyczewski, Gänsbacher, Door, Epstein und ich.
Einschaltung des Herausgebers:
Auf eine Angelegenheit im Wiener Tonkünstlerverein bezieht sich anschei-
nend die folgende Korrespondenzkarte von Brahms anHeuberger vom 23. Ok-
tober 1892:
„Lieber Freund. Sie brauchen sich nicht weiter zu bemühen wegen
eines schönen Briefes an J. Br. — höchstens um ihm zu danken, daß
er ohne Weiteres wieder eintritt. Mit bestem Gruß und anderem
J. Br.«
Als Brahms von der Verlobung des Kapellmeisters Gericke mit einer sehr
musikalischen Dame hörte, meinte er: „Nun, da kommt auch ein musikali-
scher Mensch in die Familie!"
Am 25. Oktober war Brahms wieder einmal bei mir. Ich war in dieser Zeit
viel mit ihm zusammen. Im Sommer, als ich ihn in Ischl besuchte, zeigte er
mir die sämtlichen Partituren von Bizet, die er in sehr ehrender Form von
dem Pariser Verleger erhalten hatte und jetzt mit Begierde verschlang. Er
strahlte vor Freude über diesen Besitz. Von „Djamileh" schwärmte er gerade-
zu. Er sagte, daß er überall sehe, daß der feine Bizet sichtlich schon da alles
das suchte, was er dann in „Carmen" mit voller Meisterschaft erreicht hatte.
„Ja, die Franzosen haben halt noch Schule! Bizet versucht zwar an mancher
Stelle die Regel zu verlassen oder auszuweiten, aber immer wie einer, der
weiß, was richtig ist."
Als Brahms im Oktober „Djamileh" in der Berliner Oper gehört hatte,
schwärmte er noch mehr. Er äußerte, daß es, ohne viel Theaterwirkung zu
haben, aber durchwegs wundervolle Musik sei. Weingartner habe das Werk
prachtvoll studiert und dirigiert. Der Meister erwähnte, daß er bei Peters
die Herausgabe der „Hans Heiling"-Partitur von Marschner propagiert habe
54
und „da fand ich sie auch schon neu gedruckt auf meinem Tisch liegen". Er
habe Marschner und auch Spohr noch gekannt. Spohr war viel würdiger.
Vom „Heiling" sagte er: „Es ist sehr viel Talent darin, aber doch in der
Mehrzahl viel kapellmeisterliche Routine. Auch die ehemals so vielgerühmte
Instrumentation ist meistens. Routinearbeit."
Die Rede kam dann wieder auf Richard Wagner und ich erzählte Brahms,
daß ich Wagner einmal öffentlich reden hörte. Brahms wurde ganz begeistert:
„Ja, geschwätzig war er kolossal. Er dozierte ununterbrochen, niemand kam
zu Wort. Aber es war alles hochinteressant. Ich war oft genug mit ihm bei-
sammen. Wenn wir nur vier bis fünf Personen waren, da sprach er herrlich.
Einmal war Hellmesberger nach irgendeiner Aufführung mit uns zusammen
und feierte gleich zu Beginn des Soupers Richard Wagner mit der ihm eige-
nen gemachten Rührung und mit Pathos. Wagner, der schon spöttisch lächelnd
zugehört hatte, antwortete dann scharf und alles Pathos glatt abwehrend. Er
schmiß die Rührung nur so weg!" Und Brahms machte die bezeichnende
Bewegung eines Menschen, der sich in die Hand schneuzt.
Im Tonkünstlerverein gab es dieser Tage eine Szene. Nachdem Ignaz Brüll
mit Familie den ganzen Abend anwesend war und sich gut unterhalten hatte,
kam der Kritiker Robert Hirschfeld plötzlich in den Saal. Er hatte vor kur-
zer Zeit Brülls neue Oper „Gringoire" verrissen. Brüll sprang auf und fragte
höchst aufgeregt, ob Hirschfeld Mitglied des Vereins sei, worauf er ostentativ
und sehr effektvoll samt Familie den Raum verließ. Brahms machte sich über
dieses kindische Benehmen sehr lustig und sagte: „Es sind ja lauter prächtige
Menschen, aber leider lauter alte Weiber!" Zu der Angelegenheit selbst meinte
er: „Nun, Hirschfeld war ja viel zu scharf. Der Komponist ist ja eigentlich
kein Raubmörder, daß er so behandelt wird. Und so harmlos schaffende
Leute soll man nicht gar so böse anfassen. Recht hat er freilich, wir haben
doch alle ebenso über , Gringoire' gesprochen! Aber gesprochen und gedruckt
ist eben zweierlei. Brüll hat gar nichts mehr zugelernt. Talentiert ist er, er
komponierte mit acht Jahren schon so wie jetzt. Freilich komponiert er auch
jetzt so, wie er mit acht Jahren komponierte." (Anhang 52) In der Sitzung
des Tonkünstlervereins-Ausschusses forderte mich Brahms auf, mit ihm zum
„Kneipabend" des „Akademischen Gesangvereins" zu gehen. Zwei Tage dar-
auf holte ich Brahms zu diesem Zweck von seiner Wohnung ab. Wir saßen
am Honoratiorentisch und langweilten uns sehr, es war fade. Lauter dumme
Witze wurden gemacht. Brahms sagte unter Bezugnahme auf die vielen ver-
gnüglichen Abende, die er in dieser Gesellschaft verlebt hatte: „Waren wir
damals um so vieles lustiger, oder ist das wirklich so hundeschlecht?" Zum
Ausgleich saßen wir dann noch bis 1 Uhr nachts zusammen im Kaffeehaus
an der Ecke der Beatrixgasse und Landstraßer Hauptstraße.
Eine sehr ausgedehnte und amüsante Landpartie machten wir am 30. Ok-
55
tober. Es ging von Weinhaus über Salmannsdorf und Weidling nach Klo-
sterneuburg und zurück nach Nußdorf. 44 Am nächsten Tag war ich wieder im
Tonkünstlerverein mit Brahms, Mandyczewski, Jenner usw. Bis nach Mitter-
nacht waren wir zusammen. Ein paar Tage vorher hatte mir Brahms die
Briefe des Malers Stauffer gegeben, über die er sich begeistert aussprach. Die
ganze Veröffentlichung von Otto Brahm gefiel ihm gerade nicht. Er gab mir
das Buch und sagte: „Behalten Sie es acht bis vierzehn Tage, aber nicht länger.
Ich will es doch da liegen haben und immer wieder darin blättern." Der
sittliche Haken, den die Geschichte mit Frau Escher hatte 45 , genierte ihn —
wie überall — sehr. Er meinte diesbezüglich: „Die Geschichte ist doch unauf-
geklärt und recht heikel, aber das Künstlerische daran ist entzückend."
In den letzten Tagen war allerlei von Tappert in der Berliner Musik-
zeitung erschienen. Unter anderem eine ekelhafte Anekdote, die Mendelssohns
Ehrlichkeit anzuzweifeln versuchte. Brahms sagte: „So ein Gesindel kann es
nicht begreifen, daß einem fertigen Meister allerlei nicht gefällt. Mendelssohn
hat an Berlioz nichts finden können und das tragen ihm diese Leute nach.
Mit Cherubini machen sie's ebenso. Dieser, einer der Größten, die je existier-
ten, hat doch so sehr (er machte dazu eine bezeichnende Geste, indem er unter
den Tisch schaute) hinabgesehen auf den Dilettanten Berlioz, der da unten
krabbelte, und dann nimmt man ihm's übel, daß er, der doch so hoch über
Berlioz stand, über diesen ein paar lustige Bemerkungen machte. Mir gefällt
auch so vieles nicht. Wenn das nun immer als Intrige ausgelegt würde!" Da-
bei bemerkte Brahms, daß er von Saint-Saens einen Brief bekommen habe,
worin dieser den Gerüchten, daß er Brahms nicht schätze, deutlich entgegen-
trat. „Ich erinnere mich doch eines vor Jahren in den Blättern veröffent-
lichten Ausspruches von Saint-Saens, daß er stets bereit sei, für Wagner gegen
Brahms Stellung zu nehmen. Sie erinnern sich doch auch daran?" befragte
mich Brahms. Er sagte ferner, daß er Saint-Saens höflich antworten werde,
ohne das jedoch zu übersehen.
Kürzlich auf der Landpartie hatte Brahms tüchtig gegessen, Jenner von
einem Schweinebraten ein gutes Stück übriggelassen. Brahms mit seinem ju-
gendlichen Appetit packte den Rest und verzehrte ihn mit sichtlicher Wonne.
Nachdem wir je ein Glas Bier getrunken hatten, lobte ich das Bier. Da meinte
er: „Nach dem ersten Glas habe ich nie ein Urteil über das Bier."
4. November. Abends mit Brahms im „Igel", wo wir über jüdische Origi-
nalgesänge sprachen. Jemand fragte Brahms: „Was halten Sie von Saint-
Saens, Herr Doktor?" „O, sehr viel", war die Antwort. Wir alle, die Brahms
44 Eine Strecke von ca. 15 Kilometern mit vielen Steigungen.
45 Der Maler Karl Stauffer-Bern hatte Beziehungen zu Lydia Escher, einer Toch-
ter des schweizerischen Staatsmannes Alfred Escher. Diese Beziehungen sind in dem
Buch geschildert.
56
besser kennen, mußten herzlich lachen über diese Naivität, Brahms so ge-
radezu zu fragen.
7. November. Im Tonkünstlerverein wurde Brahms' erste Serie Liebes-
lieder gemacht. (Anhang 53)
Am 8. November begegnete Brahms meiner Frau und mir in der Stadt, das
heißt, er kam hinter uns her und rempelte uns an. Er sagte mir über das
„Maifest"-Textbuch, daß er es für ein ganz gutes Schauspiel halte, aber für
keinen Operntext. „Da können Sie auch die ,Braut von Messina' komponie-
ren, wie sie liegt und steht. Das ist ja modern. Ich freue mich trotzdem auf
die Probe. Vom Theater herab mag es wirken." 46
15. November. Wir machten wieder eine Landpartie mit Brahms, Mandy-
czewski und Lienau nach Rodaun und zu Fuß nach Wien zurück, wo wir die
Jause im „Tivoli" bei Schönbrunn nahmen.
Bei einem Spaziergang am 27. November erzählte Lienau, einer der da-
maligen Chefs des Musikaliengeschäftes Haslinger, daß einer seiner Ahnen
auf der Elbe Seeräuber gewesen sei und erst knapp vor der Hinrichtung be-
gnadigt wurde. „Deshalb sind Sie beim Räuberhandwerk geblieben", erwi-
derte Brahms scherzend dem jungen Verleger. Im Laufe des Spazierganges
erzählte mir der Meister, daß er einst ein guter Cellist gewesen sei, auch Hörn
und andere Orchesterinstrumente gespielt habe. Das Cellospielen hörte auf,
als ihm sein Cellolehrer samt Cello durchging. Ein neues zu kaufen, verbot
ihm seine finanzielle Lage. Die Vorliebe von Brahms für das Cello ist daher
wohl erklärlich (Sonaten, die Soli von Cello und Hörn in den Symphonien
und Klavierkonzerten). (Anhang 54)
28. November. Heute spielte im Tonkünstlerverein der Pianist Diemer
aus Paris. Brahms fand, der elenden Stücke wegen, die dieser vortrug, wenig
Gefallen daran. Er brannte ordentlich darauf, Diemer eine Grobheit zu
sagen (natürlich nur über die schlechten Kompositionen), obwohl er sein Spiel
überaus günstig beurteilte. Auch sagte er später, daß er nicht gern vor
Leuten französisch spreche. Kurz, als Diemer sein Spiel beendete und stramm
auf die Ecke zuschritt, wo ich mit Brahms stand, war dieser plötzlich ver-
schwunden. Er war schnell ins Kaffee Kremser gegangen, wo wir ihn dann
aufsuchten.
Er sprach von der im Tonkünstlerverein geplanten Ausschreibung für Lie-
der und verwarf den Plan, einen Liederzyklus von den Konkurrenten zu
verlangen. „Sollen wir denn die jungen Leute ermuntern, schlechte Lieder zu
machen — es werden genug geschrieben — und der Erfolg? Es werden zwei
Lieder von Rubinstein, zwei von mir und eines von Jensen gesungen! Wenn
48 Heuberger komponierte das Ganghofersche Schauspiel. Die Oper „Mirjam"
(Das Maifest) wurde an der Wiener Hofoper 1894, allerdings ohne Erfolg, aufge-
führt.
57
es nadi mir ginge, sollte man jedes Jahr einen bestimmten Chorkompositions-
preis ausschreiben. Chorsachen soll man verlangen. Da sind die Leute doch
gezwungen, ordentlich vier Stimmen zu schreiben. Sie werden es kaum sehr
sauber machen, aber es doch wenigstens versuchen." Bei dieser Gelegenheit
erwähnte er, daß er auch einmal Chamissos „Tränen" komponiert, jedoch
nicht veröffentlicht habe: „Was habe ich von deutschen Gedichten denn nicht
komponiert?" Wir blieben wieder bis 1 Uhr nachts sitzen.
Brahms erwähnte noch, daß Bülow einmal die Bemerkung gemacht habe,
daß wenn Brückner seine 9. Symphonie komponiert habe, die „Ode an die
Schadenfreude" komponiert sein werde. 47
Als Brahms erfuhr, daß die Philharmoniker demnächst wieder eine seiner
Symphonien spielen werden, bemerkte er: „Ja, wie herrlich wäre das, wenn
man so ein Stück einmal ordentlich mit den Leuten einüben könnte. Freilich
müßte das ein Kapellmeister tun, der die Sachen kennt! — Der letzte Satz
der 4. Symphonie, wenn er ordentlich einstudiert ist — wie der kracht! So
aber wird es wieder lahm heruntergespielt, keiner weiß Bescheid, am aller-
wenigsten Richter. Und dann heißt es wieder: Es ist nicht gut instrumentiert,
etc. — kurz, Brahms ist Schuld! Wie studiert doch Bülow ein solches Stück!"
1893
Mitte Jänner saß ich nach einem Mittagessen bei Faber noch lange mit
Brahms allein zusammen, als die Sprache auf das Wiener Konservatorium
kam. Auf meine Frage, warum er sich so wenig um die Schule kümmere, er-
widerte er: „Glauben Sie mir, ich würde gern mein bißchen Notenschreiben
im Winter aufstecken, wenn ich einen entscheidenden Einfluß auf die Schule
gewinnen könnte. Aber Sie wissen ja, daß die Herren da drinnen ebenso wie
die jungen Leute alles verabscheuen, was Brahms heißt. Um dort Einfluß zu
bekommen, müßte aber Verehrung und Schwärmerei für mich vorhanden sein.
So ist nichts zu machen."
Einschaltung des Herausgebers:
Bezüglich einer Anfrage, die im Zusammenhang mit der Würdigung von
Brahms' 60. Geburtstag am 7. Mai 1893 durch Heuberger 48 gesehen werden
muß, schreibt Brahms am 15. März 1893:
47 Brückner arbeitete zu dieser Zeit, mit vielen Unterbrechungen durch Änderun-
gen an seinen vorhergehenden Symphonien, an seiner 9. Symphonie und hatte ge-
rade den ersten Satz beendet.
46 Wiederabdruck in: Musikalische Skizzen, Leipzig 1910, S. 56 — 65.
58
„Lieber Freund.
Weder Rinaldo noch Rhapsodie sind auf Veranlassung Eyrichs oder
Anregung der jgüldenen Latern c entstanden. Im Gegenteil verdanke
ich diese beiden angenehmen Bekanntschaften eben dem Rinaldo.
Schubertsche Duette habe ich vor langer Zeit für Stockhausen instru-
mentiert fes liefen auch einige für Chor unter]. Aufbewahrt habe
ich durchaus keine — absichtlich — da ich meine, so etwas schreibt
[oder tut] man wohl gelegentlich, möchte [oder sollte] es aber
eigentlich nicht getan haben.
Mit bestem Gruß
Ihr
J. Br." 40
Mit Brahms, Lienau, Hugo Conrat und einem jungen Holländer spazierte
ich am 26. März nach Hietzing und Rodaun. Zu Mittag speisten wir wie
gewöhnlich bei Stelzer und gingen dann über den Rosenhügel zum Tivoli
zur Jause. Brahms war ungemein gesprächig. Von der vor ein paar Tagen
stattgefundenen Aufführung der e-Moll-Symphonie durch die Philharmoni-
ker unter Richter meinte er, daß er gar nicht dabei gewesen sei, doch Hans
Richter seine Entrüstung darüber habe ausdrücken lassen, daß er die Sym-
phonie am Ende eines sehr langen Programms gespielt habe. „Für ,Mazeppa' 50
fand er schon den besten Platz! Freilich kennt er ,Mazeppa* auch! Nun, es
gehört schon sehr viel gutes Gemüt dazu, um da nicht an Übelwollen zu glau-
ben!" 51 . . . (Anhang 55)
Über Rose*, der vor kurzem sein B-Quartett gespielt hatte, meinte er:
„Wie elend müssen die das heruntergefiedelt haben, daß sie mir weder eine
Einladung zur Probe, noch ein Billett zum Konzert zugehen ließen!"
Über eines der nun bei Breitkopf & Härtel erscheinenden, bisher unbekann-
ten Lieder von Franz Schubert aus dem „Schwanengesang" erzählte der Mei-
ster: „Da kam eines Tages ein Amerikaner zu mir mit seinem Album und
49 Die Kantate „Rinaldo" für Tenor-Solo, Männer-Chor und Orchester, op. 50,
wurde von Gustav Walter und dem „Wiener Akademischen Gesangverein" unter
Brahms' Leitung am 28. Februar 1869 in Wien uraufgeführt. Der damalige Chor-
meister Eyrich hatte das Werk einstudiert. Im Gasthaus „Zur güldenen Latern"
traf man sich nach den Aufführungen und Proben des Akademischen Gesangvereins.
Die von Brahms instrumentierten Lieder sind die 1933 und 1937 in London er-
schienenen: „Memnon"; „An Schwager Kronos"; „Geheimes" und „Gruppe aus dem
Tartarus".
50 „Mazeppa". Symphonische Dichtung für großes Orchester von Franz Liszt.
51 Das 4. philharmonische Konzert brachte Mozarts g-Moll-Symphonie zum ersten
Mal. Auf Liszts „Mazeppa" und Saint-Sae'ns Violinkonzert in h-Moll folgte dann
Brahms e-Moll-Symphonie.
59
der Bitte, ich möge ihm etwas hineinschreiben. Gegen meine Gewohnheit warf
ich ihn nicht hinaus, sondern sah mir sein Album an, das ehemals im Besitz
des Geigers Panofka gewesen war. Wie ich so blättere, fällt mir ein Lied
von Schubert auf. Der Text ebenfalls von Rellstab und aus dem Jahre 1828
stammend. Es war das bei Nottebohm als verloren bezeichnete Stück, das ich
mir natürlich sofort abschrieb. 52 Nun gibt es Mandyczewski bei Breitkopf &
Härtel heraus." Die Schubert-Gesamtausgabe findet nicht seinen Beifall: „Lei-
der ist bei der Schubert-Ausgabe die Maxime, alles zu drucken, beibehalten
worden. Das ist schade! So viel schwaches Zeug würde durch Abschriften, die
von Hand zu Hand gehen, bekannt genug. Schade, daß die Meister nicht
mehr von ihren schwachen Sachen vertilgt haben! Freilich war seinerzeit die
erst in den fünfziger Jahren entstandene Editions- und Sammelwut nicht sehr
groß. Schumann hat da allerlei hinterlassen, was keineswegs herausgebenswert
war. Sachen aus der ersten und aus der letzten Zeit. Frau Schumann hat erst
vor ein paar Wochen ein Heft Cellostücke von Schumann verbrannt, da sie
fürchtete, sie würden nach ihrem Tode herausgegeben werden. Mir hat das
sehr imponiert. Auch mit unserem Briefwechsel (Brahms — Clara Schumann),
dem einzigen intimen Briefwechsel, den ich führte, machten wir's ähnlich.
Vor ein paar Jahren haben wir unsere Briefe ausgewechselt, ganze Stöße! Sie
verbrannte die ihrigen, während ich die meinigen von der Rheinbrücke in
Köln aus in den Fluß warf. Von Zeit zu Zeit wechseln wir wieder die Briefe
aus. 53 Als im vorigen Jahr in Hamburg meine Schwester starb 54 , fand ich alle
meine Jugendbriefe vor. Unter anderem allerlei Briefe aus Weimar, wo ich
bei Liszt wohnte, über Liszt und die ganze weimarische Wirtschaft. Ich hatte
gar nicht mehr gewußt, wie genau ich meinen Eltern über all dies geschrieben
hatte. Nun habe ich alles vertilgt. Von mir soll man nichts finden. Gottfried
Keller renommierte immer, daß er alles vernichten werde, was er nicht ver-
öffentlichenswert finde. Nun hat er es offenbar doch versäumt und in seinem
Nachlaß sind geradezu bedenkliche Sachen enthalten, die, wenn nicht ein
gescheiter Mann wie Bächthold darüber gekommen wäre, manchen Schaden
anrichten können." Ich fragte Brahms, ob Liszt ihn an Schumann empfohlen
habe oder ob dies umgekehrt der Fall gewesen sei. „Keines von beiden. Zuerst
war ich bei Liszt, fand jedoch bald, daß ich nicht dorthin tauge. Da war ge-
rade die schönste Zeit, da all das Zeug entstand, die symphonischen Dichtun-
52 „Herbst": Es rauschen die Winde so herbstlich und kalt.
53 Zum Glück geschah dies nur zum Teil, wie dieses der von Litzmann 1927 her-
ausgegebene Briefwechsel „Clara Schumann — Johannes Brahms, Briefe" ergibt.
Dennoch ist ein größerer Teil, wie Brahms Äußerung beweist, aus seiner „Werther-
zeit" von ihm vernichtet worden. Siehe auch Kalbeck IV, S. 51, Anmerkung 1.
54 Wilhelmine Louise Elisabeth (genannt Elise) Brahms, geb. 11. Februar 1831,
gestorben 11. Juni 1892 als Frau des Uhrmachers Johann Christian Georg Grund,
die ältere Schwester des Meisters.
60
gen* und dergleichen und das wurde mir bald entsetzlich. Ich war doch damals
schon ein energischer Kerl und wußte, was ich wollte. Nach ein paar Wochen
ging ich fort und seitdem, so oft ich auch mit Liszt noch äußerlich ganz freund-
schaftlich verkehre, war's wie abgeschnitten zwischen uns. Zu Schumann hatte
ich nicht gerade Empfehlungen, aber Joachim und alle andern hatten an ihn
meinetwegen geschrieben." 55
In der alten „Presse" vom 25. März war ein lustiges Gedicht von Julius
Bauer abgedruckt, das über das philharmonische Konzert berichtet, in welchem
Brahms' e-Moll-Symphonie aufgeführt worden war. Da erschien unter allerlei
anderen größeren und kleineren Hieben das köstliche Wort:
Vor meiner Seele wuchs das Werk
In seiner klassischen Großheit:
In jedem Satz der Geist von Brahms
Und keine einzige Bosheit!
Als mir Brahms das Zeitungsblatt mit dem Gedicht zeigte, sagte er: „Und
so reden meine Freunde von mir!" Er nahm es nicht übel auf, als ich ihm
unverblümt sagte: „Sie wissen gar nicht, wie gut das gesagt ist!"
Über den Verkehr mit den vielen Pianisten in Ischl, der ihm nachgesagt
wird, meinte er, daß sie alle untereinander wie Hund und Katze seien. Keiner
will von dem andern etwas wissen. Gehe er hier und da zur Eibenschütz
(Schülerin Clara Schumanns), so hieße es gleich, er sei dort „Stammgast beim
schwarzen Kaffee". „Nun, die wurde mir eben von Frau Schumann aufs
wärmste empfohlen! Aber auch dort bin ich nur äußerst selten. Nur mit Frau
Basch-Mahler verkehren alle, weil — dann ihr Mann Notizen fürs Extrablatt
schreibt!"
13. Mai. Mandyczewski, der gestern ex officio bei der Übergabe der gol-
denen Medaille an Brahms zugegen war, sagte, daß Brahms wirklich ergriffen
war und kaum reden konnte. Bald aber gewann er die Fassung wieder, wurde
lustig und sagte: „Ich fühle mich durch diese große Ehre eher beschämt als
erfreut. Vor 30 Jahren hätte ich Freude und die Verpflichtung empfunden,
mich solcher Auszeichnung wert zu machen. Aber jetzt — ist's zu spät."
Bezecny soll ganz vernünftig gesprochen haben . . , 56
55 Vgl. hierzu auch Kalbeck I, Kapitel III und IV.
56 Der Wiener Medailleur Anton Scharff schuf die Medaille nach dem Leben.
Neben dem Exemplar in Gold für Brahms, das im Auftrag der Gesellschaft der
Musikfreunde in Wien geprägt wurde, wurden 50 Exemplare in Bronze für die
Freunde und einige wenige Exemplare in Silber geschlagen. Die Verteilung an seine
Bekannten und Freunde nahm Brahms nach einem Vorschlag von Mandyczewski
vor. Siehe Briefwechsel Brahms — Mandyczewski, hsg. von Geiringer. Zeitschrift
für Musikwissenschaft Jg. XV, Heft 8, 1933, S. 354 f.
61
In meinem Urlaubsort Steeg bei Goisern besuchte mich Brahms am 19. Juni.
Vor etwa 14 Tagen war ich bei Brahms in Ischl.
Einschaltung des Herausgebers:
Mit einer Korrespondenzkarte vom 31. Juli 1893 antwortet Brahms aus
Ischl, offenbar auf eine Mitteilung Heubergers, die persönliche Dinge betraf:
„L. Fr. Besten Dank für Ihre vertrauliche und interessante schrift-
liche Aussprache. Herzlich aber bitte ich um Erlaubnis, meinerseits
gelegentlich mündlich und behaglich erwidern [oder erweitern?]
und weiter plaudern zu dürfen! Auf baldige Gelegenheit hoffend
Ihr herzlich grüßender
J. Br."
31. Oktober. Abends im Tonkünstlerverein. Brahms spielte fünf seiner
neuen (10) noch ungedruckten Klavierstücke, die er im Sommer in Ischl kom-
poniert hatte. Eins in A-Dur und eines in F-Dur, herrlich. Das erste, was er
spielte, spielte er schlecht, dann aber kam er hinein und spielte sehr schön. 57
Im November schenkte Brahms der Bibliothek der Gesellschaft der Musik-
freunde in Wien das Manuskript der Partitur des „Deutschen Requiems".
Dr. Billing, ein Mitglied des Vorstandes, hatte ihn in einer Sitzung aufgefor-
dert, auch einmal von seinen eigenen Sachen etwas dem Gesellschaftsarchiv
zu übergeben. Brahms hatte gerade ein paar interessante Manuskripte Schu-
berts, Beethovens, Beethovens Vater und andere dem Archiv geschenkt. 58
Mandyczewski und ich sahen das Manuskript des „Deutschen Requiems"
durch. Es ist auf sehr verschiedenem Notenpapier geschrieben. Brahms sagte
Mandyczewski einmal, das habe seinen Grund darin, daß er, als er daran
arbeitete, in solcher Bedrängnis war, daß er sich das Notenpapier von Freun-
den leihen mußte. 59
Am 21. November fragte ich Brahms, ob er am 19. November in der Pre-
miere von „Pagliacci" 60 in der Hofoper gewesen sei. „Nein, ich bin ins Wied-
ner Theater gegangen. Ich habe in der letzten Zeit schon so viele schlechte
Opern gehört, muß nicht überall dabei sein. Da war ich letzthin in Mascagnis
, Freund Fritz*. Schauderhaft elend!" (Anhang 56)
Kürzlich war Brahms mit Richard Voß und dem Intendanten des Raimund-
57 Klavierstücke, op. 118 und 119. In A-Dur: Intermezzo, op. 118,2. In F-Dur:
Romanze, op. 118,5.
58 Kostbarstes Stück der Schenkung war eine Sammlung von mehr als 300 hand-
schriftlichen Sonaten von Domenico Scarlatti.
59 In ähnlichem Sinne äußerte sich Brahms gegenüber Hugo Conrat. Siehe dessen
Artikel „Brahms, wie ich ihn kannte" in: Neue Musikzeitung, XXIV. Jahrgang,
Nummer 1 vom 27. November 1903, S. 5.
60 „Der Bajazzo" von Rugiero Leoncavallo.
62
Theaters Müller-Guttenbrunn beisammen. Es kam die Rede auf J. V. Wid-
manns Stück „Jenseits von Gut und Böse", worauf Müller-Guttenbrunn sagte,
er werde es baldigst im Raimund-Theater herausbringen. Brahms meinte, daß
das so schnell nicht sein werde, denn Widmanns Stück sei viel zu gut und
fein. Hierauf Voß: „Sie meinen, fürs Theater sind meine Stücke gerade gut
genug?" Brahms: „Wenn Sie wollen: ja!"
Brahms war am 25. November mit Goldmark — wie dieser mir erzählte —
bei Johann Strauß eingeladen, wo Brahms Goldmark unter Anspielung auf
dessen Ouvertüre „Sappho" stets „Sappherich" nannte und ihn so lange froz-
zelte, bis Goldmark mit komischem Ernst sagte: „Morgen falle ich ja ohne-
dies durch, aber heute lassen Sie mich meine Suppe in Ruhe essen!" (An-
hang 57)
Bei einer Landpartie mit Brahms, Door und Conrat am 8. Dezember er-
zählte uns der Meister, daß er nicht bestimmt sagen könne, ob Brahms auch
sein richtiger Name sei. Das Hausschild seines Vaters lautete auf Brahmst.
Er selbst kratzte oft das „t" am Ende weg, da ihm als Junge immer Brahms
im Kopf steckte. Auf dem Meisterbrief seines Vaters lautete der Name:
Brahms. „Ich gewöhnte meinem Vater das ,t e nach und nach ab." 61
1894
13. Februar. Am Vormittag zeigte mir Brahms die herrlichen Klingerschen
Radierungen zum „Schicksalslied", wobei Brahms selbst ganz entzückt war.
Unser Gespräch kam dann auf Hans Fuchs* Tätigkeit im Konservatorium. 02
Brahms hat nur Worte der Anerkennung für ihn: „Er experimentiert nicht.
Ich und Sie und Mandyczewski hätten experimentieren müssen. Fuchs macht
langsam und sicher Schritt für Schritt und tut stets das Richtige!"
4. März. Wir waren bei Brahms 3 Freund Artur Faber zum Mittagessen ge-
laden. Faber zeigte uns die Briefe Wagners an eine Putzmacherin und schenkte
sie anschließend Brahms, der staunend meinte: „Wir haben alle nicht geahnt,
daß er auch so war. Ich kannte ihn immer nur als flotten, feschen Kerl!"
Von Frau Schumann, die Wagner einmal besucht hatte, wußte Brahms da-
61 Noch auf dem Programm der „Soiree musicale" vom 14. April 1849 in Ham-
burg erscheint die Form Brahmst, vgl. Kalbeck I, S. 1 und 50. In einem im Besitz
des Herausgebers befindlichen Verzeichnis der natürlichen Erben nach Johannes
Brahms väterlicherseits findet sich nur die Bezeichnung: Brahmst. Das Verzeichnis
enthält vier Erben Brahmst und vierzehn weitere. Es wurde 1912 für den Rechts-
anwalt Reitzes in Wien angefertigt und enthält auch die Photographien der Erben.
Dr. Reitzes war der Vertreter der natürlichen Erben in dem jahrelangen Erbschafts-
prozeß.
62 Direktor des Wiener Konservatoriums von 1893 bis 1899.
63
bei zu erzählen: „Sie fand Wagner an einem geputzten Schreibtisch mit herr-
licher Mappe und sagte: Mein Mann hätte so nicht arbeiten können!"
Brahms erwähnte weiter, daß Wagner gerade an dem Tage, wo Brahms
das „Weihnachtsoratorium" im Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde
dirigierte 63 , mit seiner Luise von Wien abgefahren sei, was Cornelius und Tau-
sig ihm vor der Aufführung berichteten, die Wagner zu besuchen versprochen
hatte. Der Verkehr mit Richard Wagner, den Hanslick verschweigt, ist natür-
lich wahr. Brahms erwähnte, daß er noch allerlei Briefe von Wagner besitze.
Auch besaß er das Original der Pariser Beabeitung der Tannhäuserszenen,
die ihm Tausig geschenkt hatte, ohne das Recht zu dieser Schenkung zu haben.
Brahms gab sie nicht her, obwohl ihn Frau Cosima und andere darum baten.
Endlich schrieb ihm Richard Wagner selbst, daß er die Szenen seinem Sohne
hinterlassen wollte. Da verlangte Brahms eine andere Partitur dafür und
Wagner sandte ihm „Rheingold" mit eigenhändiger Widmung. Brahms schrieb
zurück: „Die , Walküre* wäre mir lieber gewesen, aber das ,Rheingold* ist auch
von Ihnen!* 64
Am 5. März abends mit Brahms über verschiedene Konfessionen gespro-
chen. Er mag gar keine, am wenigsten die katholische. „Papst und Zölibat
sind ein paar Sachen, über die ich nicht hinwegkommen kann."
In diesen Tagen wies mich Brahms auch auf seine Studien über deutsche
Volkslieder hin. Ganz großartig! Er schreibt so für sich seitenlange Rezen-
sionen über Neues, so zum Beispiel über die neue Erk-Böhme-Sammlung von
Volksliedern und sagte mir dazu wörtlich: „Ich schreibe jetzt auch Rezensio-
nen." 65 Anschließend zeigte er mir herrliche Sammlungen deutscher Volks-
lieder von Kretzschmer-Zuccalmaglio und verurteilte scharf die lediglich nach
— gleichviel ob guten oder schlechten — Antiquitäten jagende philologische
Art der Erk-Böhmeschen Sammlung. Der Meister hob hervor, daß die Her-
ren gerade das beste links liegenlassen, so die schönen rheinischen Lieder. Er
spielte und sang mir eine ganze Menge vor und war ganz begeistert davon.
Ich schämte mich ordentlich und sagte: „Sie halten mich wohl jetzt für einen
Esel?" „Aber nein, die Sachen kennt hier außer mir ja gar niemand", ant-
wortete Brahms. Da manche Texte, die solchen rheinischen Liedern zugrunde-
liegen, auch von Brahms komponiert sind, meinte er: „Ja, die Leute kennen
die viel besseren alten Melodien nicht. Da kann ich noch immerhin mit den
meinigen herausrücken." Er wies auf den schönen Bug der alten Melodien
83 Das Konzert der Wiener Singakademie — und nicht des Singvereins der Ge-
sellschaft der Musikfreunde — fand am 20. März 1864 unter Brahms' Leitung statt.
64 Über die ganze Angelegenheit siehe Kalbeck II, S. 121 ff.
85 Es ist also nicht ganz richtig, wenn Kalbeck IV, S. 356 behauptet, Brahms
hätte die geplante Streitschrift nicht geschrieben. Allerdings hat Brahms die Schrift
baldigst verworfen!
64
und sagte weiter: „Sie sind doch auch ein passabler Musiker und wissen, woran
es liegt, daß diese Melodie schön ist — sehen Sie nur, wie das alles flott und
frei gemacht ist." Dann wies er auf Böhme und zeigte mir gräßliche „Dumm-
heiten, Melodien, die nach dem Rezept gemacht sind, wie man aus einem
Motiv eine Melodie zusammenflickt". (Anhang 58)
Am IL März besuchte ich mit Brahms ein Konzert Anton Rubinsteins.
Brahms war überaus lebhaft und aufgeräumt: „Ich könnte Rubinstein die ganze
Nacht zuhören. Ein herrlicher Kerl!" Brahms lobte besonders, daß Rubinstein
diesmal ganz ruhig und rein gespielt habe. Als ich anspielend auf das nur
aus Kompositionen von Anton Rubinstein bestehende Programm bemerkte,
es sei fast gleichgültig, was Rubinstein spiele, sagte er nur: „Nun, ganz wurst
ist's mir gerade nicht! Das Zeug wird einem etwas viel. Aber es ist doch
herrlich, wenn er spielt!" Als wir im Gespräch bemerkten, daß noch eine län-
gere zweite Abteilung des Konzerts folge, zeigte Brahms auf das Programm
und sagte: „Jetzt heißt's halt noch eine Stunde in der Hitze aushalten. Fort-
gehen kann man doch nicht früher und mag auch nicht. Aber eine Stunde!"
Als wir über Forsters vor kurzem aufgeführte neue Oper „Die Rose von
Pontevedra" sprachen, meinte Brahms: „Es tut mir leid, daß man bei For-
sters Oper immer die schlechte Absicht sieht, alles dem Publikum zuliebe zu
machen. Und es sieht doch so viel Talent und großes Geschick aus dem Gan-
zen heraus. Auch er selbst macht einen so netten Eindruck!" (Anhang 59).
Dann sagte er: „Kommen Sie dieser Tage einmal zu mir und sehen Sie sich
meine neue Streitschrift an!" (Er meinte damit seine Volkslieder.) „Ich habe
da eine Menge Lieder anständig harmonisiert und will sie herausgeben. Ich
weiß es noch nicht bestimmt, aber ich glaube, daß ich sie herausgebe." Es war
das erste Mal, daß Brahms mir antrug, mir etwas noch Ungedrucktes vorzu-
spielen.
Am Vormittag des 13. März war ich bei Brahms. Er spielte mir seine Volks-
lieder vor, ganz herrliche Sachen. Er selbst schwelgte förmlich wieder einmal
und ich nicht minder. Darüber schien er hocherfreut. Er klopfte mir immer
wieder auf die Achsel und sagte: „Das freut mich!" Er und ich sangen aus
Leibeskräften, öfter sagte er: „Machen Sie nur Ausstellungen." Einmal machte
ich auch eine. Es betraf eine kleine A-Dur-Stelle (3/4 Takt), die mir als Nach-
spiel nicht recht gefiel. Er meinte, daß er gerade über die Behandlung dieser
Stelle noch nicht ganz sicher sei. Darauf fragte er mich, ob er die Ausgabe
„Deutsche Volkslieder" oder anders nennen solle. „Alles andere kommt so ge-
schwollen heraus! — Ich habe 49 Stück gemacht, 7 Hefte zu 7 Stück, da
ich immer gerne so eine heilige Zahl mache. Ich habe eben früher meine aller-
erste Volksliederausgabe für Chor angeschaut. Lumpige Arbeit ... Es sind
auch 49 !" 66 Als ich mich verabschiedete, sagte er, meine Begeisterung bemer-
88 Die der Wiener Singakademie gewidmeten 2 Hefte zu je sieben Lieder sind
65
kend: „Nun, ein Stück Publikum hätte ich! Fehlen nur noch die anderen . . ."
Als ich noch erwiderte, daß es doch merkwürdig sei, wie wenige unserer Lyri-
ker aus den herrlichen Volksliedern gelernt hätten, sagte er: „Und wir!
Machen wir's besser? Diese Lieder sind doch besser als alles was wir machen
können! Ich schneide mir mit der Herausgabe dieser Sachen ins eigene Fleisch,
da auch Texte darunter sind, die ich bereits komponiert und veröffentlicht
habe." Bei einigen sehr strophenreichen Balladen sagte er: „Das ist natürlich
nur fürs Haus. Da muß der Sänger alles machen. Ich schreibe daher nichts zu
seiner Stimme. Kein Zeichen! Nichts! Goethe hatte es so gerne, wenn seine
Schauspieler lange, balladenartige Volkslieder oder Balladen deklamierten,
damit sie sich im Ausdruck üben!" Brahms sagte die Volkslieder betreffend
noch: „Ja, was Böhme gesammelt hat, ist alles aus Brandenburg und derglei-
chen und da wachsen keine Lieder. Die meinigen sind vom Rhein, aus Gegen-
den, wohin bis vor ein paar Jahren keine Eisenbahn ging. Jetzt ist es ja über-
all aus damit. Nur hier und da noch ein altes Weiberl, das singt." (Anhang 60)
Im Gespräch kamen wir nochmal auf Rubinstein: „Er ist der Allererste!
Der Einzige! Bei allen anderen habe ich immer das Gefühl: Das kann ich
zuhause besser haben. Rubinstein spielt immer aus dem vollen, wie ein
Zigeuner, stets mit ganzer Seele! Ein kolossaler Kerl!" Auch über seine Kom-
positionen äußerte sich Brahms und sagte: „So schöne Anfänge, so gute Ein-
fälle — und aus all dem wird nichts! Und seine Fugen! — oder was er dafür
hält! — "
Als ich Hanslick erzählte, daß mir Brahms soeben Kompositionen aus dem
Manuskript vorgespielt habe, sagte er sichtlich ärgerlich: „Also Ihnen spielt
er was vor und mir nicht! Vor Jahren habe ich ihn einmal aufgefordert, mir
irgend etwas Ungedrucktes zu zeigen, worauf er mir erwiderte: Wird Dich
nicht interessieren! Ich habe nichts als eine Quadrille! Auf diese scharfe Ab-
lehnung hin habe ich Brahms gegenüber nie mehr von Manuskriptwerken
gesprochen."
19. März. Kalbeck erzählte mir heute, daß ihm Brahms kürzlich ein Manu-
skript von Mendelssohn schenkte und zwar auf sehr lustige Art. Er brachte
ihm ein gedrucktes Musikstück von Grünfeld. Als Kalbeck dies für eine Froz-
zelei hielt, sagte der Meister: „Sehen Sie nur genauer nach, der Inhalt ist
nicht so schlecht, als Sie glauben." Drinnen lag dann das Manuskript. Außen
„Kleine Serenade", innen „Mendelssohn".
Abends sprach ich mit Brahms unter anderem über Hegars „Manasse", von
dem er erzählte, daß das Werk ursprünglich für Männerchor geschrieben ge-
1864 erschienen. Offensichtlich hatte Brahms aber noch weitere Hefte fertig, die er
aber nicht herausgab. Vergleiche dazu auch Kalbeck II, S. 100 f. Aus Brahms Nadi-
laß sind 1926 28 Volkslieder und 1927 weitere 12 Volkslieder erschienen.
66
wesen sei: „Das sieht man ihm auch an. Ich witterte das immer. Ich habe
Hegar als Komponisten nie recht geschätzt!"
9. April. Kalbeck berichtete, daß Brahms anläßlich des Begräbnisses von
Hans von Bülow 67 einen Kranz widmen wollte und sich deshalb an die Toch-
ter des Hamburger Bürgermeisters Petersen wandte. Diese fragte bei Brahms
an, ob sie bis zu 100 Gulden gehen dürfe. Er telegraphierte sofort, daß er nur
einen bescheidenen Kranz spenden wolle, veranlaßte aber zu gleicher Zeit
telegraphisch Simrock, daß dieser je 1000. — Mark an zwei Pensions-Institute
für deutsche Musiker überweisen möge. Er sollte die Widmung ohne Namens-
nennung machen und in den betreffenden Jahresberichten sollte nur stehen:
„Am 29. März gewidmet von J.B." Simrock gab es jedoch gleich in die Zeitun-
gen und verdarb dadurch Brahms das ganze Vergnügen. Dieser sagte: „Nun
stehe ich da, wie ein ganz gemeiner Wohltäter!" 68
Abends mit Brahms im Tonkünstlerverein, wo Gustav Walter einige der
von Brahms bearbeiteten Volkslieder zum ersten Mal aus dem Manuskript
vortrug. Ich fragte den Meister lustig, ob das die Musikbeilagen zu seinen
Rezensionen über Erk-Bohme wären. Er erwiderte: „Ah, die werden nie
fertig, aber das ist etwas Bleibendes!"
13. April. Probe im Musikvereinssaal. Rubinstein dirigierte. Schlicht, nett,
anspruchslos und viel zu rücksichtsvoll. Er verlangt nur das Nötigste und
glaubt, die Leute würden das Übrige schon von selbst machen. Es wird unter
seiner Leitung massenhaft gefehlt. Freilich gibt er keinen einzigen Einsatz
und ruft nur, wenn er Irrtümer bemerkt, immer: Zählen, zählen, zählen! . . , 6e
Einer der „Trabanten" Rubinsteins sagte mir, daß Rubinstein daran gedacht
habe, ein Festspielhaus zu errichten, um seine Opern „Moses", „Das verlorene
Paradies" und „Der Turmbau zu Babel" darin aufzuführen.
Als ich am Vormittag des 23. April längere Zeit bei Brahms weilte, spielte
er mir wieder Volkslieder vor und berichtete über den tragischen Zufall, daß
er, der sich mit Spitta über die Sache brieflich auseinandergesetzt hatte, die
Lieder an Spitta so gesandt habe, daß Spitta sie gerade einen Tag vor sei-
nem Tode erhielt. In einem Brief Spittas an Brahms, den ich las, erklärte er
sich darin scharf gegen Böhme, den er einen eingebildeten Narren nannte und
Erk, den er als harmloses Gemüt schilderte. 70
67 Hans von Bülow starb am 12. Februar 1894 in Kairo, wohin er zur Kur ge-
fahren war. Die Trauerfeier fand am 29. März in Hamburg statt, wo sich auch sein
Grab auf dem Hauptfriedhof in Hamburg-Ohlsdorf befindet.
88 Vgl. Kalbeck IV, S. 311 f.
68 In einem Gesellschaftskonzert am 14. April dirigierte Anton Rubinstein eigene
Werke und spielte sein Klavierkonzert in G-Dur.
70 Es handelt sich um den bei Carl Krebs unter der Numer 46 abgedruckten
Brief. Brahms Briefwechsel Band XVI, S. 99. Philipp Spitta starb am 13. April 1894.
Vgl. auch Kalbeck IV, S. 355 f.
67
Über das letzte Rubinsteinkonzert sagte Brahms zu mir: „Wie elend klingt
doch das Orchester! Wie hohl ist das alles!" Der Meister sagte, daß ihm
Rubinstein einmal eine lange Rede über die Deklamation — einen der schwäch-
sten Punkte seiner Komposition — gehalten habe und ihm dies an seiner
Komposition der Heineschen „Lotosblume" erklärte.
Wieder über die Opern sprechend, sagte Brahms, daß er immer wieder
fände, daß von allen neueren Opernkomponisten Wagner noch der Konserva-
tivste sei. Er sei formell direkt der Nachfolger Mozarts. Brahms meinte wie-
derholt: „Wagner steht Mozart viel näher, als die meisten Leute glauben."
Über das Schlußduett von „Siegfried" schimpfte Brahms sehr. „Dies ist das
schwächste Stück der ganzen Oper. Diese gräulichen Bässe! Als die Oper neu
war, schimpfte auch Levi gräßlich darüber! An die Götteropern kann ich
mich nicht recht gewöhnen!" Brahms schenkte mir eine Oper von Hubay und
ein wunderschönes, altes Etui für zwei Bilder mit Goldborten.
Als am nächsten Tag abends das Konservatoriums-Orchester die „Jessonda-
Ouvertüre" von Spohr spielte, kritisierte Brahms: „Spohrs Geigensatz klingt
immer schlecht. Das Orchester hat einen prachtvollen Zusammenklang bei
Spohr, nie aber die Geigen. Gerade sein Instrument!"
8. Mau Als ich morgens Brahms begegnete, fragte er mich nach einem
Operntext, der ihm vor einiger Zeit übersandt wurde und den er mir geschenkt
hatte. „Gestern bekam ich plötzlich einen Brief, ich soll das dumme Zeug zu-
rückschicken" Ich sagte darauf, daß ich ihm das Büchlein ja wiedergeben
könne, doch meinte er: „Ist nicht nötig, ich antworte gar nicht! Die Frau ist
zwar eine Kriegsrätin, aber man soll in solchen Fällen zwischen Höheren
und Niedrigeren keinen Unterschied machen. Ein solches gedrucktes Zeug zu-
rückzuverlangen!"
Der Meister ist jetzt durch mehrere Tage als „Geburtstagsmann" eingela-
den, bei Wittgenstein, Franz, Miller und so fort. Er kann schrecklich viel
an Geburtstagsdiners und ähnlichem vertragen. Immer vertilgt er Massen von
Speisen — der Magen in dem Alter!
24. Juni. In Ischl mit Brahms zusammen. (Anhang 61). Über „Hansel und
Gretel" von Humperdinck sagte er: „Ich finde es sehr praktisch und es wird
gewiß über die Bühnen gehen. Aber diese raffinierte Volkstümlichkeit ist mir
zuwider. Der Satz ist geschickt, aber überladen und alles Naturnachahmende
so raffiniert, das Volkstümliche so absichtlich naivl Viel raffinierter als der
Waldvogel in ,Siegfried c !"
Er kam nun auf die neue Lasso- Ausgabe bei Breitkopf & Härtel und auf
Palestrina zu sprechen 71 : „Palestrina ist mir zeitlebens nicht so gut bekannt
71 Die ersten Bände der Gesamtausgabe Orlando di Lassos erschienen 1894. Die
Palestrina-Ausgabe erfolgte ab 1862 bei Breitkopf 6c Härtel. Brahms hätte sie da-
68
geworden als andere Meister, die ich genau kenne. Die Ausgabe kam doch
zu spät, als daß ich mich noch völlig damit hätte vertraut machen können.
Von Lasso liebe ich allerdings manches unendlich, das ich wohl besitzen
möchte. Aber mich auf etwas abonnieren, das etwa dreißig Jahre dauert?"
Er machte ein sehr wehmütiges Gesicht und hatte wohl zu seinen 61 Jahren
die dreißig addiert! Dann meinte er: „Man braucht ja auch nicht alles zu
kennen. Mozart und Beethoven kannten Bach so viel wie gar nicht. Nur das
Wohltemperierte Klavier' und die , Suiten'. Mozart überdies noch ein paar
Motetten, darunter vielleicht einige von den Bachschen Söhnen oder andere.
Man sieht, mit wie wenig man auskommen kann."
Wir besprachen nun eine abscheulich, prononciert christliche Broschüre
„Jenny Lind — ein Cäcilienbild aus der evangelischen Kirche" und der Mei-
ster erzählte über Jenny Lind, daß sie mit ihrem bigotten Wesen scheußlich
gewesen sei. Als Robert Schumann in Endenich 72 weilte, sagte die Lind ein-
mal zu Clara Schumann: „Wie bist Du zu beneiden, daß Du so vieler Leiden
für würdig befunden wurdest!"
Im Laufe des Sommers hatte ich wegen eines von mir geplanten Artikels
über die Brahmsschen Volkslieder eine Differenz mit Brahms, die fast eine
ernsthafte Wendung nahm. Nach allerlei Hin und Her schrieb ich ihm einen
ziemlich scharfen Brief, worauf alles geglättet war und er sich auf das Lie-
benswürdigste entschuldigte.
Einschaltung des Herausgebers:
Auf diese Angelegenheit beziehen sich die drei folgenden Schreiben von
Brahms aus Ischl, vom 3. August 1894; ohne Datum, und eine Korrespondenz-
karte vom 11. August 1894:
„L(ieber) F(reund)!
Es war Nicolais feiner kleiner Almanach, den Sie bei mir sahen.
Aus ihm und der Sammlung von Kretzschmer und Zuccalmaglio sind
die meisten meiner Melodien. Möchten Sie nicht aber diese Sache
einstweilen auf sich beruhen lassen? Ich meine, bis Sie in Wien die
Bücher von Böhme und namentlich seine Auslassungen gegen jene
Männer behaglich lesen und vergleichend betasten können. Da Sie
meine Melodien und Gedichte schön finden, ist das ein interessantes
Kapitel und Böhme wird es nicht an Anlaß fehlen lassen, sich drü-
ber zu äußern. Bis dahin aber, möchte ich glauben, bleibt meinen
mals — im Alter von 29 Jahren — kennen müssen. Seine Bemerkung bleibt unver-
ständlich.
72 Bonn-Endenich, Sebastianstraße 182. Die Stadt Bonn richtete in den Räumen
eine würdige Gedenkstätte ein.
69
Heften besser ihr einfaches freundliches Gesicht?! Über ,Lohengrin' 72a
haben wir Alle hier mit Freude gelesen. Nikisch, Koeßler und aller-
lei nette Leute machten das ,Alle* [Hanslick ist abgereist]. Da wir
aber doch bisweilen die Zeitungen beim Plaudern vergessen, so wäre
ein ,X-Band* nächstens nicht verschwendet. Hoffentlich nimmt Herr
Schwarz auch mich einmal mit spazieren!
Ihr herzlich grüßender
J. Brahms"
„Lieber und geehrter Herr Heuberger! (Poststempel: 8. 8. 94.)
Noch einmal bitte ich Sie, über meine Volkslieder nur zu schreiben,
soweit diese selbst Ihnen Stoff dazu geben, nach Ihrer früheren
und eigenen Anschauung, ohne meine vertraulichen Mitteilungen zu
benützen. Was ich Ihnen [leider] über Nicolai, Böhme u. A. vor-
plauderte, hoffte ich sonst und für Sie selbst von Interesse, es ist
auch möglich, daß Hanslick Böhme zu weiterem veranlaßt — einst-
weilen aber hat meine Arbeit nichts mit Zank und Streit zu tun
und wünschte ich, ein Werk gegeben zu haben, das ohne besondere
Pikanterie interessiert — , an sich zu leben verdient.
Ich habe Ihnen gegenüber schon einmal deutlich und nachdrücklich
ausgesprochen, daß der freundschaftliche Umgang mit einem Manne
von der Feder nicht möglich wäre, wenn dieser sein Geschäft nicht
von jenem trennen kann! Ich schließe jetzt lieber schnell, damit es
noch in dem piano geschieht, das ich mir vorgeschrieben und bisher
eingehalten habe!
Ihr herzlich ergebener
J. Brahms"
„L(ieber) Fr(eund)!
Ich beeile mich, Ihnen herzlich zu danken für Ihre Aufklärung —
doch bitte ich nun auch meine rasche Hitze erklärlich und verzeih-
lich zu finden. Sie schrieben nämlich, daß Sie in Wien den Böhme
suchen würden, die Annahme lag gar zu nahe, dies geschehe eben
für Ihren Aufsatz! ,Mann von der Feder c sage ich mit aller Hoch-
achtung und gar nicht ganz ohne Neid! Ich schicke eine Probe
,Böhmische c Volksliederarbeit, die ich aber nicht für einen Spaß zu
halten bitte. Grade so sieht der ganze Böhme aus.
Mit besten Grüßen
Ihr J. Br. a
72a Im Juli 1894 besuchte Heuberger eine Aufführung des „Lohengrin" in Bay-
reuth unter der Leitung von Felix Mottl. Sein sachlicher Essay im „Wiener Tag-
blatt" wurde wiederabgedruckt in der Sammlung „Im Foyer", Leipzig 1901, S. 141 ff.
70
Als ich wieder einmal nach Ischl kam und Brahms besuchte, war er herz-
licher denn je. Wir gingen ziemlich lange spazieren und soupierten mit Lipi-
ners und Geheimrat Wendt aus Karlsruhe. Am selben Abend erzählte mir
der Meister, daß er sich mit Johann Strauß habe photographieren lassen. Frau
Adele Strauß hatte das eingefädelt. „Da werden sie wieder alle über meine
defekte Kleidung schimpfen! Strauß ist trotz seines Alters ein , Gigerl' ge-
blieben. Und was für einer! Ich bin nie nachlässig gekleidet. Und daß ich im
Sommer Jägerwäsche trage — , nun, das darf ich mir erlauben."
In diesen Tagen besuchte Adolph von Menzel Brahms in Ischl. Brahms
wollte mich von dem Besuch verständigen, da er meine Leidenschaft für Men-
zels Werke kannte, hatte das aber doch in der Eile vergessen. Brahms erzählte
mir, daß Menzel eirimal ein Bild begutachtete, das ihm geschickt worden war
und dann zu Einzelheiten sagte: „Nun, das ist recht hübsch daran, dies auch,
aber das hier sollte heller, das dunkler gehalten sein, das da würde ich auch
anders machen. Das ist etwas zu lang, das zu kurz — wenn alles dieses anders
wäre, dann wär's recht nett. So wie es jetzt ist, ist es ein Dreck !"
Die Operette „Jabuka" von Johann Strauß hatte am 11. Oktober General-
probe. Brahms, Hanslick und ich hörten zu. Als ich Brahms am 13. Oktober
vormittags besuchte, schwärmte er von vielen Stellen in „Jabuka". Die
Operette hatte gestern Premiere. Er lobte die Pikanterie der Couplets, den
Reiz vieler Melodien und sagte ein ums andere Mal: „Das prachtvolle Orche-
ster! Nur an der Fortführung mancher Melodie merkt man das Alter. Vieles
kann als erster Teil eines sehr schönen Walzers gelten, der zweite Teil fällt
aber ab, anstatt aufzusteigen. So zum Beispiel beim Walzer im dritten Akt,
der doch gewiß reizend beginnt. Die gefühlvollen Sachen sind leider jämmer-
lich. Das ist so diese bierselige, falsche, gemachte Gemütlichkeit! Fad und senti-
mental!"
Er schenkte mir allerlei Noten von sich, unter anderem „Mageionenlieder",
Kanons und Klarinettenquintett, und zeigte mir eine famose Zeichnung, ein
vortreffliches Blatt, das der Herzog von Meiningen für Brahms gemacht hatte.
Ein Genius hält in der Linken eine Lyra, eine Inschrift lautete: Vivat Brahms!
Bei dieser Gelegenheit erwähnte er, daß er im Sommer zwei neue Sonaten für
Klarinette und Klavier geschrieben und zusammen mit Mühlfeld zum ersten
Mal in Berchtesgaden probiert habe.
Als wir wieder einmal Paul Heyse erwähnten, sagte Brahms, daß Wilbrandt
und Heyse einstmals intime Freunde waren, seit Wilbrandts Burgtheaterdirek-
tion jedoch gänzlich zerfallen seien. Heyse versuchte Wilbrandt zu veranlas-
sen, seine Stücke in Wien aufzuführen, was Wilbrandt ablehnte.
22. Oktober. Brahms erzählte mir, daß er die vom Tonkünstlerverein an
Brückner gerichtete Adresse nicht unterschreiben wollte, da sie ihm zu schlecht
verfaßt und zu schäbig ausgestattet erschien. „So was soll doch anständig und
71
ernsthaft gemacht sein!" Jenner, der Schriftführer des Vereins, tat sich scheinbar
etwas darauf zugute, daß er sie so schnodderig gemacht hatte. „Ich sagte ihm,
,sind Sie dazu da, solche Witze zu machen?' und machte selbst allerlei Kor-
rekturen im Text. Ich brachte die Studenten hinein, Brückners Beliebtheit usw.
Ich mag gewiß nicht durch dick und dünn mit Brückner gehen, aber er ist doch
ein Kerl, der's verflucht ernst meint, und da gebührt Achtung. Ich mag sicher-
lich nicht alles von Goldmark, aber den tiefsten Respekt wollte ich ihm den-
noch nicht versagen!" 73
Dann erzählte er mir von dem Straußbankett, bei dem sich alle drei Präsi-
denten der „Gesellschaft der Musikfreunde", Wilczek, Bezecny und Dumba,
entschuldigen ließen. 74 „Alle mit einem triftigen Grund!!!" Es geschah aber
der ungültigen Ehe Strauß* wegen. Wahrscheinlich bekam Strauß aus demsel-
ben Grund anläßlich seines Jubiläums keinen Orden. Beim Bankett war kein
Minister, kein höherer Beamter, kein Hofschauspieler, kein Hofopernsänger.
Vermutlich hatte man allen nahegelegt, an diesem Tage unwohl zu sein. Die
Gemeinde Wien schenkte ihm das gewöhnliche, nicht das Ehrenbürgerrecht.
„Nun da hat er wenigstens Anspruch aufs Pfründnerhaus! 75 Mit dem Ehren-
bürgerrecht hätte er diesen nicht! Auch was wert! Den Bürgermeister Grübl
fragte ich überrascht, ob Strauß die große goldene Salvator-Medaille diesmal
nur deswegen nicht erhalte, weil er sie bereits besitze."
Am 7. November berichtete Brahms eine lustige Geschichte, deren Mittel-
punkt der ehemals beliebte Wiener Salonkomponist Pacher und Selmar Bagge
waren. Der letztere besuchte einst den Verleger Cranz in Hamburg. Er nannte
seinen Namen undeutlich, so daß Cranz glaubte, den Modekomponisten
Pacher vor sich zu haben. Cranz war ganz Wonne und sagte, daß es herrlich
sei, daß er da sei. Kurz, er witterte schon wieder ein paar schäbige Mode-
stücklein. Dem Selmar Bagge kam das endlich merkwürdig vor, zumal Cranz
das Gespräch auch auf etliche dieser Salonstücke lenkte. Nun erst nannte er
sich deutlich: Bagge!
1. Dezember. Mit Brahms und d* Albert im Gasthaus „Zum roten Igel".
Der Meister erzählte aus Schumanns letzter Zeit in Endenich und wie das
alles zum Teil in der Literatur entstellt wurde. In der allerersten Zeit konnte
Schumann noch frei herumgehen, begleitete Brahms sogar zur Bahn, wobei
73 Anton Brückner wurde am 11. Oktober 1894 70 Jahre alt. Die Gesellschaft
der Musikfreunde und die Wiener Philharmoniker verliehen ihm die Ehrenmitglied-
Schaft. Außerdem wurde Brückner Ehrenbürger der Stadt Linz an der Donau.
74 Anläßlich des fünfzigjährigen Künstler- Jubiläums von Johann Strauß.
75 Das Pfründnerhaus war die Versorgungsanstalt für arme Bürger in Wien, eine
Art Altersheim. Johann Strauß trat anläßlich seiner Heirat mit seiner dritten Frau,
Adele, zum Protestantismus über. Strauß war von seiner zweiten Frau geschieden
und konnte nach katholischem Kirchenrecht nicht geschieden werden. Seine Ehe mit
Adele Strauß galt deshalb im strenggläubigen Österreich als nicht geschlossen.
72
lediglich ein Wärter unbemerkt folgte. Er spielte alle neuen Sachen von
Brahms eifrig, herrlich schön die Sonaten, auch Liszts h-Moll-Sonate sah er
an und freute sich sehr über die Widmung. Er schrieb an Brahms oft sehr
nette Briefe aus der Anstalt. Brahms sagte, Frau Schumann sei immer gegen
die Veröffentlichung dieser Tatsachen gewesen. 76 (Anhang 62)
Einen ganz neuen Zug entdeckte ich bei Brahms: Er fängt jetzt an, hier
und da so gemütlich zu werden wie alte Leute.
Wieder einmal machten wir am 8. Dezember mit Brahms, Mandyczewski
und Hugo Conrat einer Landpartie nach Rodaun. Brahms schwärmte von
der Biographie Anselm Feuerbachs, die Julius Allgeyer schrieb. Von seinem
eigenen Violinkonzert sagte er, daß Joachim fast gar nichts daran geändert
habe. 77 „Ich habe zwar selbst einmal gegeigt, aber mein Instrument war das
Cello. Auf dem habe ich Konzerte gespielt. Das Ausführbare habe ich immer
mehr durch das Ohr entschieden. („Ich hab's im Ohr", war auch einer sei-
ner Aussprüche.) Mit größter Heiterkeit erzählte er, wie er einmal dem Gei-
ger Lauterbach das Violinkonzert zeigte und meinte, dieser oder jener Ton
in einer Passage würde sich vielleicht im Interesse der Spielbarkeit anders
machen lassen. Da sei Lauterbach schnell bei der Hand gewesen und wollte
gleich acht Takte anders gestalten. „Ah, so war das nicht gemeint", sagte
Brahms darauf und klappte das Buch zu.
Über die ihm jetzt vorliegende Ausgabe der Schubert-Lieder, die Mandy-
czewski im Rahmen der Gesamtausgabe edierte, sprach er in begeisterten Wor-
ten. Er sagte wörtlich: „Ich war immer dagegen, aber ich wurde glänzend
widerlegt. Alles was ich dagegen hatte, hat sich als unrichtig erwiesen. Man
soll eigentlich nie über etwas reden, was man nicht fertig vor sich hat. Soll
vorerst das Maul halten!"
Als wir über den Brahmsschen Klaviersatz sprachen und ich bemerkte, daß
viele Leute merkwürdigerweise behaupteten, er sei nicht klaviermäßig, meinte
Brahms: „Nun, da weiß ich Bescheid! Das ist klaviermäßig! Und zwar bilde
ich mir gerade darauf etwas ein, daß namentlich in den neueren Sachen alles
genau so ausführbar ist, wie ich es schrieb. Das allein ist schon ein kleines
Verdienst, wenn schon sonst keines dabei ist." Er wiederholte dies einige Male
und fügte noch hinzu: „Bei Schumann sind oft die schönsten Sachen kaum so
ausführbar, wie sie geschrieben stehen. Das ist mehr phantastisch!"
Am 22. Dezember erzählte Brahms anläßlich einer Landpartie, daß die
Familie Brüll ganz außer sich gewesen sei über Hanslicks Feuilleton zu „Hän-
76 Die damaligen Verhältnisse sind bei Litzmann: Clara Schumann, ein Künstler-
leben, Band II und bei Kalbeck, Band I, ausführlich geschildert worden.
77 Vielmehr hat sich Brahms gerade den geigen technischen Ratschlägen Joachims
gegenüber ablehnend verhalten. Vgl. Briefwechsel Brahms — Joachim, II, S. 147 f.
auch Kalbeck III, S. 208 f.
73
sei und Gretel", das dieser Tage erschienen war. 78 Es käme darin ein Absatz
vor, daß Siegfried Wagner behaupte, diese Oper sei seit „Parsifal" die beste
deutsche Oper. Und das Ärgerlichste an diesem Ausspruch sei, daß Siegfried
Wagner damit recht habe. Die Brülls glaubten, diese Stelle sei auf Brüll ge-
münzt, an den doch niemand gedacht hatte. Über Humperdinck sprach
Brahms wieder sehr nett, lobte ihn als stillen, bescheidenen Menschen, schätzte
in seiner Musik die enorme Technik: „Für einen Erfinder halte ich ihn nicht.
Das Wahrscheinlichste ist, daß er nie mehr einen auch nur ähnlichen Erfolg
haben wird, da das Überraschende in seiner Oper doch die Verwendung der
Kindergeschichte ist."
In diesen Tagen sang im Tonkünstlerverein eine Dame recht schlecht. Sie
sang unter anderen Lieder von Brahms und da er selbst zugegen war, wollte
sie auch ein direktes Lob von ihm. Sie ging auf ihn zu mit den Worten:
„Herr Doktor, Sie sollten mich doch noch von Frankfurt kennen, als ich
Schülerin von Stockhausen war ! * „Von welchem Stockhausen? * fragte
Brahms. Die Dame war ganz vernichtet. Entsetzlicher kann man nicht ver-
urteilen!
In den Tagen der Jahreswende war ich viel mit Brahms zusammen. Ein-
mal gingen wir gemeinsam aus dem Konzert der Singakademie heim. Her-
mann Grädener dirigierte. Der „Orchesterverein für klassische Musik" wirkte
mit. Brahms war entsetzt über das Musizieren und sagte: „Die Leute müssen
recht viel Vergnügen an ihrem Spiel haben! Jede Note so dick wie ein Haus
und auch der Schwächste kann mittun. Warum aber solch ein Vergnügen vor
dem Publikum?" Über Grädeners Dirigieren schimpfte er fürchterlich.
Das Buch Allgeyers über Feuerbach kann er nicht genug loben. Brahms
erzählte allerlei über Schumann als Orchesterdirigent und meinte, daß die
vielfach verbreitete Meinung, Schumann sei ein schlechter Dirigent gewesen,
durchaus falsch sei. Er sei stets mit Begeisterung und mit sehr großen Kennt-
nissen leidenschaftlich dabei gewesen, solange er guten Willen sah. Er wurde
aber sofort still, fast teilnahmslos, wenn er Unwillen oder Bosheit bemerkte.
1895
Wir waren am 6. Jänner zusammen mit Goldmark, Gänsbacher und Brahms
zum Diner bei Viktor von Miller zu Aichholz geladen. Als Gänsbacher er-
zählte, der Geiger Fitzner sei auf Kosten des Prinzen zu Reuß ausgebildet
worden, lachte Brahms hell auf, hielt sich den Bauch und sagte: „Nein, Du,
ich vertrage schon was von Aufschneiden, aber das ist denn doch zu dicke!
78 Wieder abgedruckt in: Fünf Jahre Musik, Kritiken von Eduard Hanslick, Ber-
lin 1396, S. 132—139.
74
Wenn Du sagst, der Reuß habe ihn bei lebendigem Leib aufgefressen, um sich
ein Mittagsmahl zu ersparen, so glaube ich's. Aber so was! Nein, so arg darf
man nicht aufschneiden!" 79 (Anhang 63)
Nach dem Diner ging ich mit Brahms und Goldmark in ein Straußkonzert
in die Direktionsloge des Saales der „Gesellschaft der Musikfreunde". Strauß
dirigierte zum ersten Mal seinen „Gartenlaube"-'Walzer. Brahms machte die
Bemerkung, daß es merkwürdig sei, daß Walzer, also angeblich leicht ver-
ständliche Kompositionen, erst nach längerer Zeit gewürdigt werden. Bekannt-
lich ist der in Wien erstmalig aufgeführte Walzer „An der schönen blauen
Donau" kaum beachtet worden und hat seinen Weg um die Welt erst von
der Pariser Weltausstellung angetreten. An dem neuen „Gartenlaube"-Walzer
findet Brahms wenig. „Ja, es ist alles straussisch, aber es ist nichts mehr darin.
Mein Plaisir ist das Orchester, das ist herrlich behandelt!"
Einschaltung des Herausgebers:
Auf eine Anfrage Heubergers bezüglich der Proben zur Uraufführung der
Klarinetten-Sonaten op. 120 schrieb Brahms folgenden Brief:
„Geehrtes — aber unfleißiges Ausschußmitglied, — denn als solches
sollten Sie wissen, daß ich Montag abend beide Sonaten mit Herrn
Mühlfeld vorführe. Aus Rücksicht gegen diesen, der die Nacht durch-
fährt, muß um 8 Uhr angefangen, werden. Probe ist sonst keine,
aber möglicherweise irgend eine Privataufführung, zu der ich Sie
einladen kann. [Sie wissen, daß ich Dienstag die eine, Freitag die
andere Sonate spiele.] Der Beethoven-Aufsatz folgt und um eine
lange Beschreibung von Seiten Frimmels zu veranlassen, braucht
nicht viel auf Brunswicks Schloß zu liegen. 80 Montag werden Sie
wohl bei Bösendorfer schwelgen und erst zu unserem kargen Abend-
brot kommen?! 81
Besten Gruß
Ihr J. Br."
78 Heinrich Prinz zu Reuß, ein talentierter Dilettant, war offensichtlich wegen
seiner Sparsamkeit recht bekannt.
80 Bezieht sich vermutlich auf die, nach der Meinung von Brahms, etwas lang-
atmigen Ausführungen Frimmels in seinen verschiedenen Aufsätzen über Beethoven.
1894 war Frimmels „Beethovens Wohnungen in Wien" gerade erschienen.
81 Das „karge Abendbrot" war die Probe der Klarinettensonaten am 7. Januar
1895. Die Sonaten wurden bei der Uraufführung jeweils als letzte Stücke der Kon-
zerte aufgeführt: Am Dienstag, den 8. Januar, nach Mozarts Klarinettenquintett
und Brahms' Stieichquintett G-Dur die Es-Dur-Sonate mit Richard Mühlfeld und
Brahms; am Freitag, den 11. Januar, eröffnete Brahms' Klarinettenquintett das Pro-
gramm. Nach Beethovens Streichquartett G-Dur, op. 18, Nr. 2 erfolgte die Ur-
aufführung der f-Moll-Sonate. Originalprogramm im Besitz des Herausgebers.
75
8. Jänner. Brahms probte gestern im Tonkünstlerverein mit Mühlfeld seine
zwei Klarinettensonaten aus dem Manuskript. Ich blätterte Brahms um.
Goldmark, Johann Strauß, Brüll, Kalbeck und Simrock mit Frau hörten an-
dächtig zu.
24. Jänner. Ein lustiger Abend bei Hanslick. Brahms, der auch hätte da-
bei sein sollen, war nach Leipzig gereist, um die Klarinettensonaten dort zu
spielen. Hanslick erzählte, daß er vor Jahren Brahms dazu brachte, daß er
ein Testament verfaßte. Als er es fertiggestellt hatte, gab er es Hanslick zur
Aufbewahrung. Dann verlangte er es später wieder zurück, änderte allerlei
und brachte es Hanslick wieder, der jedoch meinte, daß er es lieber Simrock
geben möge, da er doch früher als Brahms sterben würde. Jetzt hat es Sim-
rock tatsächlich, der auch Brahms Vermögen verwaltet. Hanslick sagte, daß
Brahms gar nicht wisse, wie viel Vermögen er besäße. 82 Brauche er Geld, so
schreibe er bloß an Simrock. Im übrigen kümmere es ihn nicht.
Mit Brahms, Kalbeck, Hanslick und Mandyczewski war ich wieder am
9. Februar bei Miller zu Aichholz eingeladen. Das Gespräch kam auf den
Singverein der „Gesellschaft der Musikfreunde" und auf Haydns „Jahres-
zeiten". 83 Brahms sagte: „Das Schlimmste daran ist, daß Gericke die Tradi-
tion gegen sich hat. Was will er tun, wenn ihm die Damen des Vereins sagen:
Ja, das haben wir unter Haydn so und so gesungen!" — Das ging auf einige
recht bejahrte Mitglieder, in der Brahms so recht eigenen Art!
Über die Schriftstellerin Emil Marriot (Mataja) sprach Brahms wie ge-
wöhnlich schlecht. „Blaustrumpf ärgster Sorte! Ja, die Bettina von Arnim,
die ich noch kannte, das war eine, die man ernst nehmen mußte! Das war
Geist! Von den heutigen ist nur die Ebner-Eschenbach, die gilt und von der
ich gerne was lese." Von Sudermann meinte er: „Das ist doch der Einzige
von den Modernen, dessen Sachen literarische Bedeutung haben!" Ein Urteil,
das Brahms sofort nach Lektüre des Romans „Es war", der eben damals er-
schienen war, bedeutend einschränkte.
Brahms zeigte mir am Vormittag des 9. März das vom Herzog von Mei-
ningen erhaltene Metall-Basrelief Bismarcks, umwunden von einem Lorbeer-
kranz mit Goldschleifen, den Frau Truxa dem Relief umgehängt hatte. 84
Brahms erzählte, daß er kürzlich in Leipzig auch bei Julius Kiengel gewesen
sei und war voller Bewunderung über dessen beispielloses Cellospiel: „Aber
82 Dies ist ein Irrtum. Brahms wußte genau, wieviel Geld er besaß. Seine Kor-
respondenz mit Simrock gibt darüber Aufschluß. Siehe auch: Stephenson, Johannes
Brahms und Fritz Simrock, Weg einer Freundschaft, Hamburg 1961.
83 Das Werk wurde am 9. Januar 1895 in einem Gesellschaftskonzert unter Lei-
tung des artistischen Direktors Wilhelm Gericke aufgeführt.
84 Siehe: Ein Brahms Bilderbuch, hsg. von Viktor von Miller zu Aichholz, Wien
1905, S. 84, Anmerkung zu Tafel XXII.
76
so beim Zuhören ist mir jeder Gedanke an ein Cellokonzert vergangen. In
der höheren Lage können es die nebenstehenden Geiger besser. Die Tenorlage
ist das Gewöhnlichste und die Tiefe ist nicht mehr so, wie zu Rombergs Zei-
ten in der Mode. Das Orchester muß die Cellisten totschlagen." Dann zeigte
mir der Meister die famose, bei Kiengel aufgenommene Amateurphotographie:
Brahms, d' Albert, Klengel und Frau.
Nun sprachen wir über d'Alberts Kompositionen und Brahms bemerkte,
daß sie ihm immer unverständlicher würden. „Alles voll Fleiß, Verstand und
so weiter, aber ohne Persönlichkeit." Am besten findet er noch seine zwei
Quartette. 85 Er meinte, daß er es nicht verstehen könne, wie man „Ghis-
monda" von Immermann als Oper vertonen könne, „d* Albert scheint sich zur
Rettung verlorener Theaterstücke berufen zu fühlen. Zuerst den ,Rubin' 86 ,
jetzt jGhismonda'. Eine romantische Dummheit, die trotz Immermanns Ruhm
nie über die Bühne ging! d* Albert ist immer böse auf die Theaterdirektoren.
Sollte mal bescheiden bei sich Nachschau halten. Es hat immer seine Gründe,
wenn etwas nicht weiter geht. Freilich, ernste Sachen haben einen schweren
Stand, da heißt's eben abwarten und sich mit dem Beispiel erhabener Kollegen
trösten. Jedenfalls war es unkorrekt, daß d' Albert in seiner Selbstbiographie
die Theaterdirektoren etc. der Indolenz zieh. In eigener Sache muß man
schweigen können.
Brahms berichtete weiter, daß gerade dieser Tage zwischen ihm und Paul
Lindau Verhandlungen schwebten wegen einer von Lindau verlangten Musik
zu „Don Juan und Faust" von Grabbe, mit welchem Stück sich Lindau als
neuer Intendant in Meiningen einführen wollte. Er werde aber ablehnen,
da ihm das Stück nicht gefalle: „Es nimmt den Mund so voll und wenn es
dann dazu kommt, so ist es nichts. Wie bombastisch klingt schon die Regie-
bemerkung: Schloß auf dem Gipfel des Montblanc! Wie soll ein Dekorateur
das deutlich machen. Überdies soll man noch die Tallandschaft sehen und
dann noch der offene Balkon auf der Spitze des Montblanc! Lauter praktische
Unmöglichkeiten! Dann will Lindau lauter Musik, die man allenfalls zu-
letzt so macht: ,Leise Musik hinter der Szene* und dergleichen. Aber nicht so
wie in Egmont, wo die Musik fortdichtet, wo das Wort aufhört! Ich sehe
nicht die Stellen, wo Musik hingehört, und dort, wo sie Lindau haben will,
tut es jede andere Musik auch." 87 (Hier trat Marie Soldat in das Zimmer und
blieb etwa eine Viertelstunde.)
Der Meister erzählte anschließend, wie er Marie Soldat 1879 entdeckt habe.
85 Streichquartett Nr. 1, a-Moll, op. 7; Streichquartett Nr. 2, Es-Dur, op. 11.
86 Ein dreiaktiges Märchenlustspiel von Friedrich Hebbel, das im November 1849
seine erfolglose Uraufführung im Wiener Burgtheater fand. Die Oper erlebte 1893
in Karlsruhe ihre Uraufführung.
87 Siehe auch Brahms' Gespräch mit Kalbeck, IV, S. 403 f.
77
Es war in Pörtschach. Da gaben zwei junge Mädchen ein Konzert. 88 Eine
Geigerin und eine Klavierspielerin. Zuerst spielte die Pianistin, die er sehr
ungünstig beurteilte, dann kam die Soldat als Geigerin, die Brahms sehr gut
fand. Wieder folgte ein Klavierstück und Brahms äußerte sich zu seinen ihn
begleitenden Damen: „Ah, die spielt jetzt ganz famos, die hat anfangs nur
Angst gehabt. Ich habe ihr Unrecht getan." „Aber, das ist doch wieder die
Soldat", klärte ihn eine der Damen auf. 89 Die zweite Klaviernummer hatte
nämlich Marie Soldat gespielt. Brahms empfahl ihr, zu Joachim nach Salz-
burg zu gehen und ihm vorzuspielen. Später entstand zwischen Joachim und
Ernst Rudorff (Klavier) ein Streit, welcher von beiden sie als Schülerin be-
kommen sollte. Die Soldat entschied sich schließlich für Joachim.
18. März. Mit Brahms und Goldmark im Gasthaus diniert. Brahms hatte
vorher im Jubiläumskonzert des Konservatoriums der „Gesellschaft der
Musikfreunde" die „Akademische Festouvertüre" dirigiert. 90 Er war sehr über-
mütig und erzählte, daß er den jungen Orchesterzöglingen des Konservato-
riums nach den üblichen Ovationen noch eine große Rede gehalten habe und
zwar aus folgendem Anlaß: Der Klarinettist hatte in der Hauptprobe ge-
patzt. Er lachte aber darüber und einige seiner Kollegen taten dasselbe. Brahms
klopfte ab: „Ich war recht wild und wäre wohl sehr grob geworden, schluckte
es aber hinunter und ließ weiter spielen. Abends patzte der Unglücksmensch
— als der Einzige — an derselben Stelle wieder. Ich schaute ihn fürchterlich
an. So! (Und Brahms machte ein urkomisches, indianermäßiges Gesicht.) Und
jetzt, nachdem der Rummel aus war, sagte ich zu den jungen Leuten (der
Klarinettist war schon fortgeschlichen): Nun, da ihr noch beisammen seid,
will ich nur sagen, daß ich gewiß ein guter Kamerad bin und gerne lustig mit
jungen Leuten bin. Aber bei der Arbeit heißt's: Ernst, Ernst!" (Er machte
dabei wieder das Indianergesicht). Dann besprach Brahms noch ausführlich
den Fall des Klarinettisten.
Nach allerlei anderem sagte Brahms lustig zu mir: „Sie haben mir heute
eine Schreibarbeit erspart! Ich wollte an Dvorak schreiben. Da fällt mir
plötzlich ein: Heuberger schrieb ja erst ein Feuilleton, in welchem Dvorak
vorkommt. Packe das Feuilleton, schreibe iiazu: Herzlichen Gruß J. B. und
— fort damit! Der Brief war fertig. So mache ich's gern! Photographie ist
immer zur Hand, schreibe darauf: Herzlichen Gruß, in Eile J. B. Brief
folgt!" — Der Brief folgte allerdings nie!
88 Nach Kalbeck III, S. 158 spielte die „Entdeckung" bei der Probe zum Konzert,
an dem Brahms selbst teilnahm.
89 Ein Urteil, das nur mit der Kurzsichtigkeit von Brahms in Verbindung ge-
bracht werden kann.
90 Brahms dirigierte anläßlich des Jubiläums der fünfundzwanzigjährigen Wie-
derkehr der Einweihung des Musikvereinsgebäudes. Es war sein letztes Dirigieren
in Wien.
78
Vor einigen Jahren war ich auch einmal bei Brahms, als jemand hinaufkam,
den er gleich mit den Worten ansprach: „Nun, haben Sie meine paar Briefe
im Sommer nicht erhalten?" „Nein", war die Antwort. Brahms: „Merkwür-
dig, merkwürdig!" Der Andere: „Wirklich nicht!" Brahms: „Sonderbar, daß
gerade von mir so viele Briefe verloren gehen!" „Die Sie nicht schreiben"
warf ich ein und Brahms lachte herzlich.
Über die Sängerin Mark, die im Konservatoriumskonzert gesungen hatte,
meinte Brahms: „Die Mark wird nicht mehr lange singen. Diese Tongebung
muß das Organ ruinieren."
Goldmark ist neben Brahms fast uninteressant. Ein gemütlicher Philister.
Merkwürdigerweise doziertGoldmark bei wirklicher Bescheidenheit gerne über
seine Sachen, was Brahms nie tut. Ich sprach mit Goldmark von allen seinen
Kompositionen und dann von etwas anderem. Aber Goldmark fing selbst
wieder davon an. Freilich ist bei ihm alles nett und liebenswürdig. Immer
etwas feierlich im Ton. Von der „Sakuntala Ouvertüre" sagte Goldmark mir,
daß diese und das „Orchester-Scherzo" die einzigen Stücke seien, die gedruckt
wurden, ohne daß er sie vorher hörte. Über seine Oper „Das Heimchen am
Herd" meinte er: „Wenn ich nur nicht wieder in Gmunden alles umschmeiße
und von vorne anfange! So in einem Zuge arbeiten und dann stehen lassen,
das kann ich gar nicht verstehen."
21. März. Abends mit Brahms im Konzert des Tenors Raimund von Zur
Mühlen. Es war sein erstes Auftreten in Wien. Wir standen anfangs im Bösen-
dorf er Saal, da Brahms meinte: „Man bleibt frischer, wenn man steht." Nach
einer halben Stunde jedoch setzten wir uns. Von Zur Mühlen hält Brahms
sehr viel: „Das ist auch einer von denen, die dem Stockhausen allerlei ab-
geguckt haben. Ob er tatsächlich ein Schüler von ihm ist, weiß ich nicht. 01
Ich weiß nur, daß die eigentlichen Schüler Stockhausens weniger gut sind als
diejenigen, welche nur so allerlei von ihm abgespiekt haben. Zur Mühlen lebt
in Frankfurt und hats bequem!" Über den Begleiter Victor Beigel meinte der
Meister, „so gut hört man in Wien selten begleiten, da hört man doch auch
die Bässe!" Als Zur Mühlen ein Lied von Henschel sang, dessen Text von
Felix Dahn stammte, sagte Brahms heiter-ironisch zu mir: „Den Dahn wer-
den Sie wohl recht sehr lieben! Versifizierte Weltgeschichte und dann auch
noch Henschel dazu!" An dem Programm Zur Mühlens hatte er allerhand
auszusetzen. Es waren lauter schwächere Schumannlieder und dergleichen an-
gesetzt: „Zur Mühlen ist unpraktisch! Nicht ein Lied ist dabei das sicher
einschlägt. Ein unbekannter Sänger darf nicht protegieren, sondern muß
schauen, daß er selbst gefällt!"
Bei dieser Gelegenheit fällte der Meister ein Urteil über Moritz Rosenthal,
91 Zur Mühlen war tatsächlich Schüler Stockhausens in Frankfurt.
79
den er kürzlich spielen hörte: „Rosenthal wird so sehr überschätzt. Seine
Force ist keineswegs die große Kraft erfordernde Fingertechnik, sondern das
Oktavenklopfen mit zwei Händen, Triller mit zwei Händen und dergleichen.
Lauter leichte Sachen, die manches Mädel ganz gut machen kann. Nur macht
er es etwas stärker. Schade, daß er mit diesen geschickten Fingern nicht eine
Handweberei oder dergleichen betreibt, wo er mit 10 Fäden hantieren kann!
Silber- oder Eisenfäden! Muß es gerade Musik sein?"
Als im Konzert Frau Donimirska-Leschetitzky an uns vorüber ging, sagte
Brahms ganz unvermittelt zu ihr, indem er ihr die Hand reichte: „Ich war's
nicht!" Das bezog sich darauf, daß Frau Donimirska ein paar Tage vorher
von einem unbekannten Mann auf der Straße angefallen und auf einen
Schneehaufen geworfen worden war.
Über die Oper „Das Geheimnis" von Smetana, die am 22. März in der
Hofoper gegeben werden sollte, meinte Brahms: „Es ist gar so viel Text und
die Musik so sehr zerstückelt!" Als ich meinte, im dritten Akt seien recht
hübsche Sachen, stimmte er zu, auch daß die Musik schwächer sei als sonst
bei Smetana. „Übrigens gehört sowas absolut nicht in das große, feierliche
Opernhaus. Das ist für ein kleines, böhmisches Theater gedacht. Warum gibt
Jahn immer die kleinen Bauerngeschichten und nicht ein großes Werk. Das
paßte in die Oper! Freilich hat er keine Leute, die das singen können." (An-
hang 64)
Das Wort „all" in seinem Lied „In Waldeseinsamkeit" 92 erklärte mir Brahms
als plattdeutschen Dialektausdruck, der so viel wie „schon" bedeutet: „Das
Wort bezeichnet eigentlich ,gut f , aber als Dialektwort geniert's mich!"
Brahms lud mich am 7. April zu einem Besuch des Wurstelpraters ein.
Er amüsierte sich königlich bei den verschiedenen Buden und gab keine Ruhe,
bis ich mir im Spiegelkabinett — mit Hilfe einer täuschenden Spiegelung —
ein Fräulein auf den Schoß setzen ließ. (Anhang 65)
Am 20. April wieder mit Brahms, Hanslick und Frau bei Miller zu Aich-
holz. Brahms erläuterte, daß er die italienischen Opern in erster Linie daher
so gut kenne, weil er in jungen Jahren für die Verleger Potpourris daraus
arrangierte. Häufig ging ihm dabei die Geduld aus, so daß Joachim weiter-
schreiben mußte: „Ich kann von daher die Sachen noch ziemlich auswendig." 93
92 „In Waldeseinsamkeit", Nummer 6, aus op. 85 auf einen Text von Karl Lemcke.
Die zitierte Stelle steht in der dritten Strophe.
93 Daß die Arbeiten, die Brahms unter dem Pseudonym „G. W. Marks" für den
Verlag August Cranz in Hamburg vornahm, — vgl. Kalbeck I, S. 57 f. — sich bis
in die Zeit der Bekanntschaft mit Joseph Joachim, also bis 1853 und darüber hin-
aus erstreckten, dürfte genausowenig bekannt sein, wie die Äußerung von Brahms,
daß auch Joachim daran beteiligt gewesen sein sollte. Leider erhellen auch diese
Mitteilungen nicht den ganzen und genauen Umfang der Arbeiten.
80
Wie schon bei anderen Anlässen sprach er auch diesmal mit großem Respekt
von Verdi.
Im Tonkünstlerverein wurden im Rahmen eines Konzertes am 22. April
auch Schumanns „Phantasiestücke für Klavier, Violine und Cello* gespielt.
Brahms erwähnte, daß er Frau Sophie Petersen, geb. Petit in Altona bei
Hamburg, der die Stücke gewidmet waren, noch persönlich kannte. Brahms
sagte weiter: „Ich kann diese Stücke in die Haut hinein nicht leiden. So
schwach und trotzdem aus Schumanns bester Zeit. So ums zweite Trio herum,
glaube ich. Sie klingen wie aus der allerletzten Zeit und sind doch vom Jahre
1842."
Als die Sängerin Anna Prasch gesungen hatte, erzählte Brahms, daß in
seinem allerersten Konzert in Hamburg 94 , deren Großmutter, Frau Cornet
mitgewirkt hatte. Marxsen, Brahms' Lehrer in Hamburg, habe damals nach
dem Konzert bei einem Diner den Ulk gemacht und Brahms mit der Tochter
der Frau Cornet „getraut".
Ich besuchte mit Brahms am 29. April das Konservatorium. Von den Ge-
sangsschülern war er nicht entzückt. Als eine Szene aus „Mignon" von Thomas
gesungen wurde, erklärte der Meister: „Wie ich diese Musik nicht leiden kann,
kann ich gar nicht sagen! Goethe so zu verhunzen und noch dazu mit einer
solchen Musik!" Als ich ihm darauf erwiderte, daß ich aber diese Oper noch
lieber hätte, als irgend etwas von Gounod, sagte er: „Ja, den mag ich auch
nicht, kann alle beide nicht leiden!"
Am 2. Mai sagte mir Ress, der berühmte Gesangslehrer in Wien, ganz auf-
geregt, daß er Brahms nicht mehr grüße, da dieser so arrogant sei und nie
danke. Ich klärte ihn über die starke Kurzsichtigkeit von Brahms auf. Ress
war auch darüber erregt, daß er erfuhr, Brahms sei nach dem Konzert des
Sängers Raimund von Zur Mühlen im März zu diesem gegangen und habe,
anstatt sich für den Vortrag seiner Lieder zu bedanken, gesagt: „Singen Sie
doch lieber Schubert!" Ich sagte Ress, daß ich glaube, Brahms habe dies auch,
wie es ja meistens bei ihm der Fall war, in ulkigem Ton gesagt.
Gestern war ich mit Brahms und mit einigen Mitgliedern des Tonkünstler-
vereins in der Czarda im Prater. 94a Eine famose Zigeunerkapelle spielte.
Brahms hörte gespannt zu. Sie „strudelten" ihn auch tüchtig an. In solchen Fäl-
len benimmt sich Brahms wie ein Kollege. Er lobte ihr Spiel außerordentlich
und man sah, daß die Zigeuner wußten, wer er war. Sie feierten ihn, indem sie
den Kantus „Hoch soll er leben" intonierten. Nach dem Abendessen gingen
wir in den Wurstelprater, wo Brahms von dem lustigen Treiben angeregt
war. Gegen Mitternacht fuhr er auf der Rutschbahn und in der „verhexten
94 Das Konzert fand am 21. September 1848 statt. Das genaue Programm, in dem
Frau Cornet mit ihrer Tochter Duette sang, ist bei Kalbeck I, S. 44 wiedergegeben.
94 * Recte: 6. Mai. Vgl. „Brahms als Vereinsmitglied" S. 146 Fußnote.
81
Hinsehen" (wobei sich das ganze Zimmer dreht). Als wir aus dem Prater
heimwärts gingen und ich mit ihm etwas voraus ging, sagte er plötzlich:
„Gehen wir etwas schneller. Ich kann nicht so langsam trotten wie die Kom-
tessen!" (Den Abend machten auch ein paar Adelige mit.) (Anhang 66)
Während wir gingen, sprach er über die Bismarck-Reden, die gerade in einer
neuen Buch- Ausgabe erschienen waren. Er war sehr begeistert darüber: „Und
es ist doch wohl das meiste aus dem Stegreif! Vielleicht da und dort eine
Sentenz etwas zugefeilt, aber im Ganzen doch Improvisation. Ein ungeheurer
Geist! Und achtzig Jahre!"
16. Mai. Brahms fuhr heute nach Ischl. Gestern abend war ich, so wie
jeden Tag der letzten Zeit, mit ihm zusammen. Gestern vormittag bei ihm
in der Karlsgasse, wo er mir voller Freude die neue Sweelinck-Ausgabe von
Dr. Seiffert zeigte; abends beim „Igel" mit ihm zu Abend gegessen. Mandy-
czewski, Miller zu Aichholz, Door, Epstein und andere waren auch da. Der
Meister war ganz entsetzt über die Tatsache, daß bei den offiziellen Stellen
der Stadt Wien die Antisemiten die Oberhand bekommen hatten und Lueger
Vizebürgermeister geworden und wohl bald Bürgermeister sein wird 95 : „Habe
ich Ihnen nicht schon vor Jahren gesagt, daß es so kommen wird? Sie haben
mich damals ausgelacht und alle anderen auch. Jetzt ist es da und damit auch
die Pfaffenwirtschaft. Gäbe es eine ,Antipfaffenpartei' — das hätte noch Sinn!
Aber Antisemitismus ist Wahnsinn!" 96
Er erzählte dann noch amüsante Details von der Verwendung des Erlöses
des letzten Konzertes von Alice Barbi am 14. Mai. Der Ertrag sollte für die
durch ein Erdbeben verunglückten Einwohner von Laibach und für den
Kapellenbau am Semmering bestimmt sein. Die Barbi wollte ursprünglich nur
für die Armen von Wien singen und war schon böse, als man ihr mit der
Kapelle kam. Laibach war ihr recht. Nach dem Konzert kamen die Damen
des veranstaltenden Komitees zu ihr und sagten, daß die Hälfte des auf die
Laibacher entfallenden Teiles den Ursulinerinnen und den Karmeliterinnen
zugute kommen 1 sollte. Tableau! Ganz gemeine Lumperei! Für die Armen von
Wien zu singen, erlaubte die Fürstin Windischgratz nicht, weil es dann den
Liberalen zugute gekommen wäre.
11. Juni. Bei Brahms in Ischl. Er war besonders aufgeräumt und herzlich.
Mittags speiste ich mit ihm bei der „Post", wo er es sich nicht nehmen ließ,
mir das Mittagessen zu zahlen. Er erzählte von seiner Familie und daß ihm
alle Familienmitglieder nacheinander gestorben seien, sein Bruder und seine
Schwester. Nur seine Stiefmutter und deren Sohn aus erster Ehe lebten noch.
95 Dr. Karl Lueger wurde 1897 tatsächlich Bürgermeister der Gemeinde Wien.
96 Nahezu unheimlich wirkt die Prophetie, mit der Brahms den Antisemitismus
wiederholt verurteilt, der gerade damals sich verstärkt regte und in der ersten
Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts so verhängnisvoll wirkte.
82
„Mein Vater heiratete in seinen letzten Jahren noch einmal. Der alte Herr
wollte halt auch sein Zuhause haben. Oft denke ich mir, daß ich fast zu be-
neiden bin, weil mir niemand mehr sterben kann, den ich so ganz vom inner-
sten Herzen heraus liebe." 97 (Bei diesen Worten griff er sich fast ingrimmig
mit der rechten Faust ans Herz.) „Außer an Frau Schumann hänge ich an
Niemandem mit ganzer Seele. — Es ist doch eigentlich grauslich und man soll
so was weder denken noch sagen. Ist das denn ein Leben so allein! An die
Unsterblichkeit jenseits glauben wir ja doch nicht recht. Die einzig wahre
Unsterblichkeit liegt in den Kindern."
Als wir dann auf Schumann's zu sprechen kamen sagte er: „Es ist die
schönste Erinnerung meines Lebens, diesen beiden herrlichen Menschen nahe j
gestanden zu haben, sie so gut gekannt zu haben. Und Frau Schumann ist
heute noch so frisch, so jungfräulich wie nur je. Empfänglicher wie nur irgend-
jemand! Ich sende ihr immer meine Arbeiten im Manuskript ein, sie lernt
alles zuerst kennen, und da sehe ich dann wie sie alles enthusiastisch auf-
nimmt, bis auf's letzte Nötchen. Wie sie dann schwärmt und sich derlei dut-
zendmal auswendig vorspielt!"
Von Jean Paul schwärmte Brahms wieder feurig. Er sagte, daß wir Jun-
gen diesen Mann viel zu wenig kennen. Es wäre ganz unendlich Herrliches in
seinen Werken. Entzückende Gedanken, prachtvolle Anekdoten, unendlich
viel Lebensweisheit!
Über die Besetzung von Gerickes Stellung als Dirgent in der Geseilschaft
der Musikfreunde durch Richard von Perger erzählte er, daß er zuerst mich
und dann Mandyczewski vorgeschlagen habe, ohne jedoch damit Anklang
zu finden. Dann wurde Gustav Mahler genannt. Der war bereits so gut wie
angenommen, als der Präsident Koch von Langentreu betonte, daß Mahler
Jude sei. Damit war auch dieser abgetan. Perger wurde nun innerhalb eini-
ger Minuten zum artistischen Direktor ernannt.
Über d'Alberts neueste Eheschließung war er sehr ungehalten. „d'Albert
ist mir durch diese Geschichte sehr unsympathisch geworden. Bin recht froh,
daß nichts daraus wurde, daß d'Albert an Gerickes Stelle kam. Er war stark
in Vorschlag und besonders deshalb, da wir dann den größten Pianisten
unserer Zeit als Professor gewonnen hätten."
Ich sprach auch viel mit Brahms über Mandyczewski. Er schätzt ihn un-
97 Die Stiefmuter, Frau Caroline Brahms, verw. Schnack, geb. Paasch, überlebte
den ihr herzlich zugetan gewesenen Meister um 5 Jahre. Sie starb am 14. April 1902
in Pinneberg bei Hamburg. Der Stiefbruder, Fritz Schnack, ein Uhrmachermeister
in Pinneberg, vermachte der Stadt Hamburg nach seinem 1919 erfolgten Tode, die
von ihm gesammelten Andenken an Johannes Brahms und eine stattliche Summe als
„Brahms-Stiftung", die noch heute, wenn auch bescheiden, existiert.
83
gemein, findet ihn aber unsäglich eigensinnig und unduldsam. Anderer Leute
Verdienst schätze er nur, wenn er dem Autor desselben wohlgesonnen sei.
Über eine Episode aus seiner Jugendzeit erzählte Brahms: „Ich habe in
Hamburg als junger Mensch einen gemischten Chor dirigiert. 68 Es war mir
darum zu tun alles kennen zu lernen. Ein so geborener Dirigent war ich nicht,
um an der Ausführung an sich übermäßiges Interesse zu haben."
Die von Ivan Knorr verfaßten Programmbücher, die eben in Bechholds
Verlag in Frankfurt/Main erschienenen waren, fand er ausgezeichnet. —
Nachmittags begleitete mich Brahms in Ischl herum, wo ich allerlei Einkäufe
zu machen hatte. Von Geschäft zu Geschäft lief er mit mir und wollte die
Pakete tragen, was ich natürlich nicht zuließ.
Einschaltung des Herausgebers:
Die folgende Korrespondenzkarte vom 13. Juni 1895 aus Ischl bezieht sich
sicherlich auf Heubergers Frage nach einem guten Kopisten und Brahms emp-
fiehlt seinen Landsmann William Kupfer:
„W. Kupfer wohnt III. Hainburgerstraße 36 m . Ueber Br. 97a erfah-
ren Sie am Besten alles Genauere vom Concertwolff in Berlin (W.,
Carlsbad 19). So beiläufig plaudern könnte ich jedoch genug, um
Sie einigermaßen über die durchaus auch pekuniär anständige Stel-
lung zu orientieren. Vielleicht auf der Reise nach Wien?
Bestens grüßend
Ihr J. Br." (Anhang 67)
5. Juli, Mit Brahms, Mahler und Koeßler im Caf£ in Ischl. Als ich vor dem
Speisen bei Brahms war, sprachen wir über Allerlei. Er hatte Sudermanns
„Es war" gelesen, das er scheußlich fand. Er sagte, indem er mit der flachen
Hand auf den Boden hinwies: „Das ist so allerletzte Sorte, so schleuderisch,
so oberflächlich! ... Im Anfange hat man den Glauben, daß es gut kompo-
niert sei, dann gehts aber so salopp fort! Das Schwächste von Auerbach oder
Spielhagen, oder Willibald Alexis ist Gold dagegen. Da las ich eben PreVosts
„Demi vierge". Gewiß ein gemeines Buch, aber trotzdem tausendmal besser
als „Es war". Als ich Sudermann sehr verteidigte sagte er: „Ja, was sagen
Sie dann zu etwas von Heyse? Heyse brächte etwas derart Schwaches gar
nicht zusammen! Sudermann hat ja talentvoll angefangen, man durfte von
ihm etwas erwarten. Ich glaube nun nicht mehr, daß etwas aus ihm wird. Ich
lese nichts mehr von ihm!"
Dann kam die Sprache auf Richard Voss. „Nun, der hat ja auch besser
97a Br. bezieht sich wohl auf Breslau. Heuberger suchte eine Stellung.
98 Gemeint ist der Hamburger Frauenchor, vgl. Kalbeck I, S. 367 ff.
84
angefangen als er jetzt ist, aber doch nie als großes Talent begonnen. Jetzt
kümmert sich niemand mehr um ihn. Er ist eigentlich abgetan!"
Von Voss 5 Ehe wußte Brahms zu berichten, daß Voss einmal auf Besuch
bei seinem besten Freunde in dessen Villa am Königssee mit der Frau dieses
Freundes ein Verhältnis angefangen habe. Heyse, an den sich die drei Beteilig-
ten wandten, um dessen Rat einzuholen, sagte: „Dort, wo das Geschlecht mit-
spricht, müssen die zwei eben zusammenkommen!" Hierauf überließ der
Freund dem Voss die Frau und die Villa. Über Heyse äußerte sich Brahms,
daß er, so wie jeder, seine schwächsten Sachen für seine besten halte. „In eige-
ner Sache hat man wirklich gar kein Urteil. Ich erlaube mir auch keines!
Eigentlich hält man ja alles für gut und unterscheidet kaum!" — „Wenn mir
die Leute sagen, daß ihnen dies oder jenes von meinen Sachen gefällt, so muß
ich's glauben. Selbst habe ich keine Ansicht darüber."
Er sprach dann ausführlich über seine Kurzsichtigkeit: „Ich trage seit mei-
nen Knabenjahren Brillengläser Nr. 5 oder 6. — Eigentlich sehe ich auch da-
mit nicht scharf genug und lese nur mühsam vom Blatt, da ich nicht alles
genau sehe. Aber ein Ermüden der Augen kenne ich nicht. Auch sind sie im
Laufe der Jahre immer gleich geblieben; ich hatte nie eine andere Nummer
der Glaser. Nr. 6 ist so , Schlafrock'. Aber auch mit Nr. 5 geht's nicht ganz
gut. Berühmte Augenärzte rieten mir, immer Brillen zu tragen, das konser-
viere das Auge. Ich trage sie aber nur im Bedarfsfall und befinde mich sehr
wohl dabei. Ich erkenne Leute auf der Straße nach den allgemeinen Umris-
sen. Gesichter sehe ich nie und daher präge ich mir auch schlecht eines ein."
Im Laufe des Sommers war ich ziemlich oft bei Brahms in Ischl, er einige-
male bei mir in Steeg.
Am 11. September wurde bei Miller zu Aichholz in Gmunden Hanslicks
70. Geburtstag feierlich begangen. Brahms, Goldmark, Mandyczewski, Ep-
stein mit Frau, meine Frau Johanna und ich sowie die Familie Miller waren
bei Tisch. Nachmittags kam Joachim auf ein paar Stunden. Wir hätten ihn
alle am Gmundner Bahnhof abgeholt. Die Toaste beim Mittagsmahl begann
Dr. Viktor von Miller sehr hübsch mit einer Ansprache an Hanslick, der lustig
erwiderte. Dann sprach Brahms. Er blieb im Gegensatz zu den andern, die
beim Sprechen standen, sitzen und machte dadurch die Sache weniger feierlich.
Vom ersten Wort an konnte er aber vor Rührung kaum sprechen. Er sagte
folgendes: „Es kommt bei uns Männern sehr selten vor, daß wir in die Lage
kommen, uns Zärtlichkeiten zu sagen, daß sich wirklich dazu schon eine ab-
norme Veranlassung ergeben muß. Eine solche ist das heutige Fest. Ich kann
sagen, daß ich in meinem ziemlich langen Leben nur ganz wenige Menschen
kennengelernt habe, die ich im Laufe langer Jahre so immer gleich treu, ehr-
lich, gescheit und gut erkannt habe, wie unsern lieben Hanslick. Daß auch er
seine Schwächen hat, wissen wir alle. Seine größte ist die, die neben ihm
85
sitzt. (Es war seine Frau!) Aber abgesehen von solchen Mängeln ist er ein
ganzer Mann, ein prachtvoller Mensch und trotzdem unsere Richtungen so
sehr auseinandergehen, so wenig ihn manches interessiert, was mir gefällt und
umgekehrt, kann ich nur sagen, daß ich kaum einen Einsichtsvolleren, Brave-
ren kennengelernt habe. (Da konnte er kaum mehr weiterreden.) — Nun,
den wollte ich einmal leben lassen." Er erhob sich und ging zu Hanslick, der
ihm schon entgegenkam, und dann küßten sich die beiden weinenden Män-
ner. Im selben Moment erklang im Nebenzimmer Musik: Brahms' Walzer
op. 39; die er einst Hanslick gewidmet hatte. Später spielte die Gmundner
Kurkapelle vor den Fenstern ein paar „Ungarische" von Brahms. Mandy-
czewski, Brahms, meine Frau Johanna und ich fuhren um V2IO Uhr nach
Ischl und Steeg zurück. Beim Abschied umarmte Hanslick Brahms und sagte
voll inniger Zärtlichkeit: „Behüt' Dich Gott, Du altes Vieh!" War ergötzlich
.und doch herzlich. Wir fuhren III. Klasse, obwohl wir Karten für die
IL Klasse hatten. Brahms wollte unbedingt in der III. Klasse fahren.
7. Oktober. Brahms erzählte mir begeistert vom Meininger Musikfest, von
dem er erst vorgestern zurückgekommen war." Er traf dort auch Dr. Felix
Kraus und Prohaska. Er hat beide recht gern und schätzt sie als gescheite,
gebildete Leute und gute Musiker. Zum öffentlichen Spielen oder Singen fehlt
ihnen, nach Brahms Ansicht, die Fähigkeit, sich Vielen verständlich zu machen.
„Es ist zweierlei, ob ich zu 10 oder zu 300 Personen spreche."
Nachmittags war Brahms bei mir und nahm Weingartners philosophisches
Buch mit. 100 (Anhang 68) Brahms erzählte, daß er in Meiningen Ludwig
Wüllner, den Sohn Franz Wüllners (damals meiningenscher Hofschauspieler),
singen hörte. „Großartig! Er hat zwar keine rechte Stimme, aber einen herr-
lichen Vortrag. Er ist eigentlich Gelehrter, war Universitätsprofessor, Germa-
nist, dann ging er zum Schauspiel. Dieser Tage gibt er in Berlin zwei Kon-
zerte mit lauter schönen Sachen, nur zu lange Programme." Brahms sagte,
daß Wüllner die großen Gesänge Schuberts und ähnliches, sowie die Balladen
aus Brahmsschen Volksliedern sehr schön behandle. Er sei ein Schüler Stock-
hausens. Außerdem sei er ein sehr guter Geiger und könne sogar Brahms'
Violinkonzert öffentlich spielen.
Brahms zeigte mir ferner einige Programmbücher aus Südafrika, in wel-
chen auch Brahmssche Kompositionen angeführt waren. Die Halles und
99 Vom 27, bis 29'. September fand das „Sachsen-Meiningensche Landesmusikfest*
statt; die fünf Konzerte mit Werken von Bach, Beethoven und Brahms gestalteten
sich für Brahms zu einem Triumph, wie er ihn noch nicht erlebte. Anschließend be-
suchte Brahms Clara Schumann in Frankfurt am Main und kam am 5. Oktober
wieder in Wien an.
100 Weingartners 1895 erschienenes Werk „Die Lehre von der Wiedergeburt und
das musikalische Drama".
86
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Eintragung im Gästebuch der Familie Viktor von Miller zu Aichholz
Fräulein Fillunger konzertierten dort in Johannisburg und anderen Städten in
Transvaal.
Brahms erzählte, neulich sei er zu einem Abend eingeladen worden, wo
eine Japanerin, die eben wieder in ihre Heimat reiste, ihm allerlei von sei-
nen Liedern vorsingen wollte. Er ging gar nicht hin. In Ischl besuchte ihn,
wie er erwähnte, eine Dame aus Sumatra. „Famoses, interessantes Frauen-
zimmer, auch eine ausgezeichnete Musikerin. Es kommt einem ordentlich
merkwürdig vor, daß die Leute auf diesen fernen Inseln genauso musizieren
wie wir!" (Anhang 69)
11. November. Ich sprach mit Brahms viel über das Konzert von Mascagni
vom 8. November. Er hält Mascagni für einen famosen Dirigenten und rei-
zenden Klavierspieler: „. . . jedes Nötchen da und immer mit Leib und Seele
dabei, — wie ein Zigeuner!" —
Von dem Band Billroth-Briefe, die soeben erschienen waren 101 , sagte er,
die schönsten der Briefe an ihn (Brahms) habe er zurückgehalten.
18. November. Mit Brahms war ich wieder im Tonkünstlerverein beisam-
men. Er meinte von Sudermanns neuestem Stück: „Das Glück im Winkel",
daß er es brillant fände, mit raffiniertester Ausnützung der Bühnenwirkung.
„Aber wie alles von Sudermann: zweiten Ranges! Sudermann hat sich, mei-
nes Erachtens, sogleich auf den zweiten Platz begeben, dort aber ist er ein
famoser Kerl. Gespielt wird das Stück herrlich. Immerhin sehenswert!" Den
an diesem Abend stattfindenden Produktionen eines lustigen Gesangsquar-
tetts folgte Brahms mit großer Heiterkeit. Als die Herren fertig waren und
irgendjemand sich über den Vortrag feierlich mokierte, sagte er: „. . . ja, ist
der ernste Männergesang denn besser? Er ist doch gerade so!"
Am 20. November sprach ich mit dem Meister im Theater. Er saß mit
Frau Richter im Parkett und sagte zu mir: „Sehen Sie, auf einem so elenden
Platz muß ich sitzen; aber andererseits ..." — er deutet auf das „Vorge-
birge" der stark dekolletierten Frau Richter — „. . . wenn man's so gut
haben kann, ist's auch was wert! . . ."
1. Dezember. Mit Brahms bei Miller zu Aichholz eingeladen. Vorher war
philharmonisches Konzert, in dem Brahms' c-Moll-Symphonie recht schlecht,
unverstanden und poesielos heruntergespielt worden war. Brahms hatte dies
geahnt und erschien daher nicht, sondern ging während dieser Zeit spazieren.
Als er mit mir allein war, sagte er — nachdem ich ihm von der Aufführung
berichtete — „. . . na, wenn meine Symphonie wirklich ein so fades Zeug
wäre, so grau und mezzoforte, wie Richter sie heute den Leuten vorspielte,
dann hätten diese recht, wenn sie vom grüblerischen Brahms* sprechen. So
total unverstanden war alles!"
101 Briefe von Theodor Billroth, herausgegeben von Georg Fischer, Hannover,
Hahnsche Buchhandlung. Erste Auflage: 1. November 1895.
Dann sagte mir Brahms, daß zwei Mitglieder des österreichischen Kabinetts
den Maler Klinger an die Wiener Akademie für Musik und darstellende
Kunst als Professor bringen wollen: „. . . das war* was! Es ist aber dadurch
erschwert, daß sich Klinger in Leipzig ein Atelier gebaut, kurz, sich dort
ganz seßhaft gemacht hat ..." Einige Wochen später erfuhr ich von Brahms,
daß Klinger der Wiener Akademie abgeschrieben habe. Sein Vater sei ge-
storben und er wolle jetzt nichts davon wissen!
Anläßlich der Premiere von Johann Strauß' „Waldmeister" am 4. Dezem-
ber sprach ich wieder mit Brahms. Er erzählte, daß d'Albert samt seiner
neuesten — dritten — Frau auch da sei und ganz in dem Gedanken schwelge,
nun einmal eine bürgerliche Heirat gemacht zu haben. „Aber die Frau ist
eine stattliche Jüdin mit Schnurrbart und ganz nach dem Schlage der Carreno.
Nur viel jünger. Und beim Theater war sie auch schon. Die wird wohl bald
wieder singen wollen." 102
Über die Waldmeister- Aufführung war Brahms sehr erbaut. Namentlich
lobte er das famose Stück und die praktischen, knappen Verse: „. . . die
möchte ich gleich komponieren! — und das Orchester! Wie herrlich Strauß
orchestriert! Die Musik selbst hätte er ja früher besser gemacht, aber das
Ganze! Das Stück!"
Nachdem mich am 15. Dezember morgens Anton Dvorak besucht hatte,
war ich mittags mit Dvorak, Brahms und Mandyczewski beim „Igel" zum
Speisen. Dvorak erzählte allerlei aus Amerika. Als er sich zur sonderbaren
Bemerkung verstieg, Wotan sei ein slavischer Name, sagte Brahms: „Der Kerl
bringt noch heraus, daß die ganze Trilogie ^emmisch* (so sprach Brahms im-
mer das Wort ,böhmisch e aus) ist!" Dvorak meinte, als ihn Mandyczewski
aufforderte ins Burgtheater zu gehen: „Offen gesagt, ich gehe nicht gerne ins
Theater; interessiere mich nicht sehr dafür." 103
Ich sprach kürzlich einmal mit Brahms auch über das neue Telefon. Er
meinte, er verstände gar zu wenig davon und das Hauptmalheur sei, wie bei
so Vielem, so z. B. bei der Fotografie, daß einem niemand die letzten Gründe
aufklären könne. „. . . wenn ich da so einen Baum ansehe und sage ,er
102 Brahms sorgte sich sehr um den Aufenthalt des Ehepaares d'Albert. Eugen
d'Albert heiratete in dritter Ehe die Sängerin Hermine Finde. Den Wiener Aufent-
halt vgl. auch: Wilhelm Raupp, Eugen d'Albert, Leipzig 1930, S. 113 ff.
103 Dvoraks Othello-Ouvertüre wurde am 1. Dezember von Hans Richter und
den Wiener Philharmonikern aufgeführt. Dvorak blieb noch bis Mitte Dezember
in Wien, kam aber schon im Februar wieder aus Prag, um hier die Erstaufführung
seiner 9. Sinfonie „Aus der neuen Welt" am 16. Februar 1896 zu erleben. Sie hatte
enormen Erfolg. Siehe hierzu auch Dvoraks Brief an Simrock, abgedruckt in: Anto-
nin Dvorak in Briefen und Erinnerungen, herausgegeben von Otakar Sourek, Prag
1954, S. 206 sowie weiter unten am 16. Februar.
89
wächst', so spreche ich damit etwas aus, was ich nie fassen kann. Wie und
warum dieser Organismus das Bestreben hat sich fortzubilden, das weiß nie-
mand, wir wissen ja so wenig!" (Anhang 70)
1896
26, Jänner. Wieder mit Brahms, Mandyczewski, Door, Perger und ande-
ren zu Fuß nach Rodaun. Brahms erzählte wie er vor Jahren, als er mit Frau
Schumann in Baden-Baden weilte, der Pianistin Florence May eine Zeitlang
Klavierstunden gegeben habe. (Florence May bestätigte mir dies selbst vor
kurzem.) Frau Schumann mußte verreisen und da substituierte er. Florence
May fand den Unterricht bei Brahms interessanter als den bei Frau Schu-
mann. Sie bat Brahms, er möge sie weiter unterrichten, was er rundweg ab-
lehnte. Darauf ging sie zu Frau Schumann und schlug dieser vor, daß sie bei
ihr das „Technische", bei Brahms das „Geistige" lernen wolle. Da jagte sie
die Schumann fort und Brahms auch.
Über das Auswendig-Dirigieren Hans Richters denkt Brahms nicht zu
großartig. Es sind immer dieselben Beethoven- und Wagnersachen, die er lei-
tet. „Ja, Mendelssohn, der leistete etwas! Er studierte die ,Matthäus-Passion e
dem Chor auswendig ein, das heißt was! Aber die Beethoven-Sinfonien; das
können wir alle! Bei Haydn nimmt Richter immer die Partitur!" In diesem
Sinne sprach Brahms oft. Er dirigierte tatsächlich immer auswendig und legte
sich nur irgendeine Partitur hin, „ . . . damit es nicht kokett aussieht", wie er
sagte.
Als im Gespräch der Name Essers erwähnt wurde, lobte ihn Brahms als
hochgebildeten Musiker und Menschen. In diesem Zusammenhang kam die
Rede auf den Sänger Ander und Brahms erzählte, daß er vor Jahren in einem
Konzert im Streichersaal war, wo Ander singen sollte. Nun war ihm aber
das Klavier zu tief gestimmt, so daß er erklärte nicht zu singen, wenn der
Begleiter das Stück Essers „Des Sängers Fluch" nicht einen halben Ton auf-
wärts transponiere. Dies wagte aber der anwesende Begleiter nicht. Herr Strei-
cher erfuhr, daß sich Brahms unter den Anwesenden befinde, „der ja alles
könne". „Na, ich setzte mich vergnügt hin — ein echter Jugendstreich — und
spielte das Stück herunter, ohne es auch nur vorher durchgesehen zu haben.
Und ich habe es weder vorher, noch merkwürdigerweise nachher, wieder zu
Gesicht bekommen. 104 Einige Zeit später hörte Brahms in meiner Gegenwart
104 Das ist nicht der einzige Fall, in dem Brahms vom Blatt weg ein Stück trans-
ponierte; schon auf seiner Konzertreise mit Remenyi hatte er Ähnliches gemacht; vgl.
Kalbeck I, S. 72.
90
das Stück wieder und erheiterte sich an der Erinnerung an das damals Vor-
gefallene.
Am 2. Februar spazierten Mandyczewski, Perger, Conrat, Door und ich
mit Brahms nach Rodaun. Beim Speisen war Brahms übermäßig lustig. Eben,
als er sich die zweite Portion Mehlspeise bringen ließ, die er mit Heißhunger
verzehrte, sagte er lachend: „Ja, wenn man alt wird, freut einen das ganze
Leben nicht mehr!" Als Door von Resignation sprach, erwiderte er: „Nein,
dieses Gefühl kenne ich Gott sei Dank nicht! Ich habe keine einzige Minute
in meinem Leben resigniert!"
Am nächsten Abend berichtete Brahms im Tonkünstlerverein von dem Pia-
nisten Julius Röntgen, daß dieser mit der Familie des „X-Strahlen-Röntgen"
und mit der Musikerfamilie Kiengel verwandt sei. 105 „Die Röntgens haben
sich zu einer Zeit, da noch niemand an Zimmertelegrafen etc. dachte, zu Hause
Telegrafenleitungen angelegt. Der Pianist Röntgen war ein Wunderkind. Er
komponierte und phantasierte ganz großartig, machte Fugen ganz leicht und
spielend. Er ist der Sohn des Konzertmeisters Röntgen in Leipzig, von dem
auch Moritz Hauptmann viel hielt ..." Brahms sprach dann über Huber-
man 106 und sagte: „Es kommt nur darauf an, daß Huberman so fortfährt
wie Joachim seinerzeit, so daß er also ein großer, gebildeter Musiker wird.
Mir imponieren Wunderkinder gar nicht, ich hab's zu oft gesehen. Da er-
innere ich mich an einen kleinen Schweizer, den ich vor acht bis zehn Jahren
als Wunderkind kennenlernte. Er phantasierte und improvisierte auf dem
Klavier wie man wollte: religiös, lustig etc. Wie man's anschaffte. Jetzt ist
er Philologe und interessiert sich absolut nicht mehr für Musik; dichtet dafür
talentierte, konfuse Sachen!"
Als ich Brahms fragte, ob er kürzlich in Berlin auch Klavier gespielt habe
meinte er: „Ich spiele nicht mehr, ich habe ja doch meinen Hofpianisten!"
(d'Albert). 107
5. Februar. Sehr lustiger Abend mit Brahms, Julius Röntgen, Messchaert,
Mandyczewski, Prohaska und Felix von Kraus. Brahms war übermütig, ganz
„wie doli" — wie er sagte — . Röntgen mußte auf sein Geheiß alles mögliche
Zeug essen: Einen Braten, dann Champignon mit Ei (Brahms beschrieb dem
Kellner nach Art eines Gourmands, aber nur im Scherz, wie die Speisen zu-
bereitet werden müßten) dann garnierten Liptauer und endlich Wiener
105 Julius Röntgen war ein Vetter zweiten Grades des Erfinders der gleichnami-
gen Strahlen.
106 Bronislaw Huberman spielte am 29. Januar 1896 mit 13 Jahren das Violin-
konzert von Brahms im großen Musikvereinssaal. Richard von Perger dirigierte.
Bahms, der in der Direktionsloge saß, war gerührt über die Wiedergabe.
107 Am 10. Januar 1896 spielte Eugen d'Albert die beiden Brahmsschen Klavier-
konzerte unter der Leitung des Meisters mit den Berliner Philharmonikern.
91
Tascherln, eine Mehlspeise. Dazu empfahl er ihm zuerst Luttenberger Wein,
dann Muskateller Most, von dem wir bedenklich viel vertilgten. Inzwischen
erzählte Brahms allerhand Lustiges. So von der Probe zu seinem B-Dur-
Konzert: „. . .im Adagio kommt ein Cello-Solo vor. Der Cellist, ein junger
Mensch, war ein Esel, patzte immer! Aber da war ich diplomatisch. So was
mach* ich immer sehr fein. (Dabei machte er ein urkomisches Gesicht.) Ich
ging zu den ersten Geigern und sagte: , Bitte meine Herren, repetieren wir
die Stelle nochmals, aber Sie sind nicht schuld'. Als es dann wieder nicht gut
ging, sagte ich zu den zweiten Geigern: ,Bitte, meine Herren, repetieren wir
die Stelle nochmals, aber Sie sind nicht schuld!'; den dummen Kerl beim Cello
sah ich gar nicht an." Brahms war sehr komisch, als er diese bärenhafte Manier
für sehr fein ausgab.
Brahms sekierte Röntgen immer wegen der Variationen mit Fuge, die
Röntgen komponiert hatte. Zum Schluß, nachdem er ihn vielleicht zehnmal
aufgezogen hatte (sehr liebenswürdig und immer ulkig-respektvollsten Tones)
steckte er die Hand in die Weste, machte die Pose großer Herren und sagte
komisch-protzig: „Ich kann überhaupt nicht begreifen, wie jemand nach mei-
nen Händelschen Variationen noch Variationen schreiben kann, — Frech-
heit"! Dabei lachte er unbändig. (Anhang 71) Um V2I Uhr gingen wir aus
dem „Igel" fort.
6. Februar. Abends bei Hanslick eingeladen. Bra,hms war auch anwesend.
Er war eigentlich nicht gerne gekommen, da er ein paar ästhetische Damen
witterte, die gekommen waren um den „berühmten Meister" anzuschauen.
Es waren einige Gräfinnen anwesend, ganz gescheite, nette Damen. Ziemlich
spät erschien Brahms, gar nicht besonders fein gekleidet. Die linke Hand in
der Hosentasche (er hakte die Hand stets am Daumen an) trat er ein, ohne
Handschuhe. Er kam aus dem Prater, wo er mit Röntgen spazieren gegangen
war. Hanslick stellte ihm die Damen vor. Er machte seinen steifsten Bückling
und sagte dann, nachlässig gegen die Tür zeigend: „Ein paar . . . Baroninnen
sind auch noch draußen." Bald hernach kam Pauline Lucca mit einer Schüle-
rin herein. Auf diese hatten sich seine im Moment sehr grob klingenden Worte
bezogen. Den ganzen Abend hindurch war Brahms wortkarg und zugeknöpft.
Solche Gesellschaft vertrug er nicht.
Als wir (Brahms, Goldmark, Hanslick, Mandyczewski, Kalbeck) am 16. Fe-
bruar bei Miller zu Aichholz beisammen waren, sprach Brahms auch viel von
Dvorak. 108 Er erzählte, daß Dvorak, seit er Mitte Dezember in Wien war, zwei
Streichquartette geschrieben und nun den Plan habe fünf sinfonische Dich-
108 Dvctrlk nahm hiernach nicht an dem Beisammensein bei Viktor von Miller
zu Aichholz teil, zu dem Brahms ihn mit einer launigen Postkarte bei Miller zu
Aichholz ankündigte. Siehe Brahms Bilderbuch, Wien 1905, Tafel XV, S. 59.
92
tungen nach böhmischen Gedichten zu komponieren. 109 „Dvorak ist unend-
lich fleißig, daher kommt es auch, daß er nur wenig Literatur kennt. Er kennt
sogar nur ganz wenig von der Musikliteratur. Auch sonstige Bildung hat er
nur wenig, aber Talent und eminentes Können [" Brahms lobte die e-Moll-
Sinfonie und deren wunderbaren Klang. Als Kalbeck dagegen Einwendungen
erhob, sagte er: „Wissen Sie, ich kenne die Sinfonie auswendig und könnte
da oder dort etwas daran aussetzen. Hätte ich sie einmal nach dem Frühstück
hingeschrieben, so würde ich mir sie daraufhin ansehen, was sich eventuell
daraus machen läßt. Aber so wie sie dasteht, ist sie so unsagbar talentvoll,
so gesund, daß man seine Freude daran haben muß.*
23. Februar. Landpartie nach Rodaun mit Brahms, Mandyczewski, Door,
Prohaska. Als wir in Kaltenleutgeben auf den Zug nach Wien warteten, fing
Brahms an, herrlich über Musik zu sprechen und er wurde noch ausführlicher
als ich mit ihm allein im Abteil bis gegen Wien fuhr. Er begann anläßlich des
nächsten Besuches Carl Reineckes über das Mozartsche Krönungskonzert zu
sprechen: „Ich wundere mich, daß Reinecke gerade das spielt. Es ist keines
der Schönsten. Ich mach' mir nichts draus. Ja, das c-Moll-Konzert: ein Wun-
derwerk der Kunst und voll genialer Einfälle! Ich finde immer, daß z. B.
Beethovens c-Moll-Konzert viel kleiner, schwächer ist, als das Mozartsche.
Sie wissen ja, wie ich über Beethoven denke! Ich verstehe sehr gut, daß die
neue Persönlichkeit Beethovens, die neue Aussicht, die seine Arbeiten den
Leuten gewährte, ihnen denselben größer, bedeutender erschienen ließ. Aber
schon fünfzig Jahre nachher müßte man das Urteil richtigstellen können.
Man müßte den Reiz der Neuheit vom inneren Wert unterscheiden können.
Ich gebe zu, das Beethovensche Konzert ist moderner, aber nicht so bedeu-
tend! Ich sehe auch ein, daß Beethovens erste Sinfonie den Leuten so kolossal
imponierte. Das ist eben die neue Aussicht! Aber die drei letzten Mozart-
schen Sinfonien sind doch viel bedeutender! Dies spüren jetzt schon hier und
da die Leute!" Meiner Ansicht, daß die besten Mozartschen Quartette be-
deutender seien, als die Beethovensche Kammermusik bis etwa Opus 24, pflich-
tete er vollständig bei. „Ja, die Rasumowsky-Quartette, die späteren Sinfo-
nien, das ist eine neue bedeutende Welt. Sie meldete sich schon in der IL Sin-
fonie. Was aber bei Beethoven z. B. viel schwächer ist als bei Mozart und
namentlich als bei Sebastian Bach, das ist der Gebrauch der Dissonanzen. —
Dissonanzen, echte Dissonanzen finden Sie bei Beethoven lange nicht mehr
so benutzt wie bei Mozart. Sehen Sie sich nur ,Idomeneo c an! Überhaupt ein
Wunderwerk und voll Frische, da Mozart damals noch ganz jung und keck
war! Was für herrliche Dissonanzen, was für eine Harmonik! Bei Beethoven
109 Die fünf symphonischen Dichtungen sind: »Der Wassermann", „Die Mittags-
hexe", „Das goldene Spinnrad", „Die Waldtaube" und „Heldenlied", op. 107 bis 111.
93
konnte man keine Komposition bestellen, da machte er was Minderes, wie
seine Kongreßmusiken, seine Variationen und dgl. Wenn Haydn oder Mozart
was Bestelltes machten, so war das gleich das Allerbeste."
Dann kam er auf Haydns unerhörte Genialität zu sprechen. Er sagte: „Die
Leute verstehen heute von Haydn fast nichts mehr. Daß wir jetzt gerade in
einer Zeit leben, wo — gerade hundert Jahre früher — Haydn unsere ganze
Musik schuf, wo er eine Sinfonie um die andere in die Welt setzte, daran
denkt niemand. Ich feiere seit Jahren diese Ereignisse! In einigen Jahren,
wenn die ,Schöpfung c und die Jahreszeiten' hundert Jahre alt sein werden,
wird man des Geschäftes wegen einige Feste veranstalten — an die vielen
anderen Ereignisse wird niemand denken. Und Haydn — er war da gerade
in meinem Alter — entwickelte sich in dieser Zeit ein zweites Mal zu so un-
geheurer Größe, nachdem er früher die Welt gesehen und so viel geschaffen
hatte. Das war ein Kerl! Wie miserabel sind wir gegen sowas! Und fragt
man nach dem Grund warum heute alles zurückgeht — , so daß man meinen
könnte, die Musik höre überhaupt jetzt auf — , so sieht man, daß dies auf
dem ,Nichts-lernen' beruht. Ist dort oder da einer der ein bißchen Talent
hat, so lernt er sicher nichts. Sogar die Besseren sind so. Weder Schumann,
noch Wagner, noch ich haben was Ordentliches gelernt. Da war auch das
Talent entscheidend. Schumann ging den einen, Wagner den anderen, ich den
dritten Weg. Aber gelernt hat keiner was Rechtes. Keiner hat eine ordentliche
Schule durchgemacht. — Ja, nachgelernt haben wir. Na, das ist Fleiß; bei
einem mehr beim anderen weniger!"
Als ich einwarf, daß er doch in allem so gerieben sei, sagte er: „Ja, daß
das die Leute glauben, kommt daher, daß sie nichts verstehen. Schauen Sie
sich meine ersten Sachen an! — Man sieht ganz deutlich, wie ich nach und
nach zulernte. Nein, nein, das ist nichts! Und schauen Sie nach Frankreich,
wo doch noch bis in unsere Tage eine Schule existierte. Da hört das jetzt auch
auf. Jetzt dürfte Massenet Direktor des Konservatoriums werden. (Ambroise
Thomas war eben gestorben.) 110 Ein schwärmerischer Dilettant, der erst durch
seine Wiener Erfolge in Paris beachtet und berühmt wurde. Früher hatte
man ihn für einen unbedeutenden Unterhaltungskomponisten gehalten, was
er auch ist. Aber vor allem Deutschen haben die Franzosen einen Heiden-
respekt. Kommt ein deutscher Musiker hin, so gilt er sofort für einen Klassi-
ker. Sie haben auch Max Bruch und Gernsheim dafür gehalten. Jetzt wird
also auch diese Schule zugrunde gehen. Cherubini war der große Meister, von
dem alles ausgegangen war, daneben der famose Halevy, dann Auber, der
doch auch sein Handwerk kolossal loshatte — , endlich auch Thomas, der
110 Massenet lehnte den Direktorposten ab und legte gleichzeitig seine Professur
nieder. An seiner Stelle wurde 1896 Th. Dubois Direktor des Pariser Konservato-
94
noch gute Schule besaß. Und jetzt Massenet! Lebten Delibes oder Bizet dann
würde — ,"was man auch im einzelnen an einem oder beiden auszusetzen
hätte — , die Schule erhalten geblieben sein! Aber jetzt Massenett Ich weiß
wirklich nicht wohin noch die Musik kommt. Mir scheint sie hört ganz auf!"
Später kam er auf die Röntgensche Fuge zu sprechen, die dieser komponiert
hatte und sagte: „Das ist doch eine Fugel Was Famoses! Sehen Sie dagegen
die Fuge von d' Albert an! Der reine Schmutz! Der reine Unrat!" — Brahms
erzählte dann, daß der Singverein einen Goldmarkschen Psalm nur einmal
durchgesungen und dann ad acta gelegt habe. 111 Von Richard von Perger
sagte er, daß er ihm schon im Sommer abgeraten habe, die Massenetsche
„Eva" zu bringen: „. . . so tief muß man doch nicht gleich herabsteigen . . .,
schrieb ich ihm. 112 Er hat's schriftlich von mir! — Nein, Perger ist lax, küm-
mert sich um nichts! Der einzige, der jetzt in Betracht kommt, ist Dvorak.
Aber bei dem ist es ein eigenes Talent, das ihn wie von selbst das Richtige
machen läßt. Das gehört auf ein besonderes Blatt!"
24. Februar. Im Tonkünstlerverein wieder lange mit Brahms zusammen.
Er erzählte von neuen, lebensgroßen Photographien 113 , sowohl ihn wie Men-
zel darstellend, die Menzel nicht genug bewundern könne. Brahms erzählte,
daß Dvorak ein fanatischer Katholik sei. Er habe kürzlich bei Brahms in
dessen Bibliothek ein Buch von Dr. Thode — „Der hl. Franziskus" gesehen
und gleich mitgenommen. Brahms sagte, Dvorak sei ganz glücklich gewesen,
ganz weihevoll, als er das Buch hatte. Er erzählte damals Brahms, daß er
jeden Tag in der Bibel lese. „Ich finde das gar nicht komisch", sagte Brahms.
„Ein so fleißiger Mensch wie Dvorak hat gar keine Zeit, in Zweifel zu ge-
raten, sondern bleibt zeitlebens dabei, was ihm in den Knabenjahren gelehrt
wurde."
Im Laufe des Beisammenseins berichtete der Meister, daß er bei der in
diesen Tagen stattfindenden Hochzeit der angeblichen Stieftochter Joh.
Strauß' hätte Brautführer sein sollen. Er hatte es zugesagt, der Gedanke
daran wurde ihm aber immer schrecklicher. „Ich sehe mich schon in dem
scheußlichen Frack, mit weißen Handschuhen und Zylinder — nein, das ist
unmöglich! Der Gedanke daran verfolgt mich Tag und Nacht. So entschied
111 Julius Röntgens Klavierfugen, op. 28 erschienen bei Breitkopf & Hartel. Bei
der Fuge von Eugen d'Albert ist sicher der dritte Satz seiner Sonate in fis-Moll
op. 10 gemeint. Karl Goldmark vertonte Luthers „Wer sich die Musik erkiest" für
gemischten Chor. Siehe hierzu auch Karl Goldmarks „Erinerungen aus meinem
Leben", Wien 1922, S. 86 f.
112 Vgl. den Brief Brahms* an Perger vom Juni 1895 bei Kalbeck IV, S. 402. Per-
ger, damals als Direktor der Gesellschaftskonzerte von Rotterdam nach Wien be-
rufen, hatte daraufhin die Aufführung der „Eva" auf spater verschoben (9. 2. 1896).
113 Der Berliner Photograph C. Brasch fertigte anläßlich Brahms' Aufenthalt im
Januar zwei sehr scharfe Brustbilder in Lebensgröße an.
95
ich mich, der Sache ein Ende zu machen. Ich ging morgens zu Fräulein Strauß
und sagte ihr, daß ich nicht mittun könne, da ich verreisen müßte. Ich wäre
nämlich wirklich auf einige Tage weggefahren. Fräulein Strauß war äußerst
nett und bedauerte sehr, war aber gar nicht zudringlich. Da sagte ich ihr:
Nun, weil Sie so nett sind, will auch ich mit Ihnen aufrichtig sein. Ich ver-
reise nicht; aber ich kann nicht mittun, es ist mir zu schrecklich! Da war sie
wieder nett und ich ging riesig vergnügt nach Hause."
29. Februar. Mit Brahms, Messchaert, Röntgen, Kalbeck, Door und den zu-
gehörigen Frauen den Abend bis weit nach Mitternacht im „Igel" verbracht.
Brahms war riesig übermütig und von bärenhafter Lustigkeit. Ergötzliche
Sachen erzählte er von Streichen, die er mit Nottebohm und Ferdinand
Pohl ausgeführt hatte. So schrieb er unter anderem einmal dem überaus
diensteifrigen Pohl während der Anwesenheit Richard Wagners in Wien
im Jahre 1864, daß Wagner die Absicht habe, eines Morgens um 11 Uhr
das Museum der „Gesellschaft der Musikfreunde" zu besichtigen. Wagner
wußte natürlich nichts davon, das ganze war nur ein Ulk. Brahms ging zu
der von ihm angegebenen Stunde ins Archiv, um Pohl auszulachen, aber
Pohl war nicht da! Brahms war schon ärgerlich und glaubte Pohl habe den
Brief nicht erhalten und der ganze Spaß sei somit mißlungen. Nach einer
Weile kam Pohl jedoch im Frack! Er war, da Wagner natürlich nicht kam,
in des Meisters naheliegende Wohnung gerannt, um ihn abzuholen, aber
Wagner war ausgegangen. — Als Brahms darauf gewaltig lachte, wußte
Pohl plötzlich alles.
Pohl war sehr genau im Dienst. Brahms hatte sich, wie so oft, einige
Bände Musik bei ihm ausgeliehen. Als es Zeit war, die Bände zurückzugeben,
kaufte Brahms einige sehr große Striezeln (ein in Wien übliches Gebäck) und
machte ein Paket daraus, das wie eingeschlagene Partituren aussah. Nun ging
er zu Pohl ins Archiv. Er legte das Paket hin und sagte: „Da bringe ich
die Bücher zurück. Streichen Sie sie aus!" Pohl eilte zu seinem Pult und las:
„Palestrina?" Brahms: „Ja." Pohl: „Lotti?" „Ja." Pohl: „Stobäus?" „Ja."
etc. Pohl strich alles aus und plauderte noch eine kleine Weile mit Brahms,
der schließlich ging. Als Pohl dann das Paket öffnete — lauter Striezeln!
Tableau!
Da Brahms den guten Pohl alle Augenblicke aufsitzen ließ, war dieser
schon ganz ängstlich, ob er nicht in dem einen oder anderen Fall Brahms
auf den Leim ging. Als Pohls Haydn-Biographie herauskam 114 , las Billroth
das Buch mit größter Freude und schrieb Pohl einen liebenswürdigen Brief.
Brahms kam am anderen Tag ins Archiv und sagte schmunzelnd zu Pohl,
114 Der erste Band erschien 1875, der zweite Band 1882. Die Biographie blieb un-
vollendet. Hugo Botstiber vollendete 1?27 das Werk.
96
nachdem er den Inhalt des Billrothbriefes gelesen hatte: „Aber der ist nicht
von mir!" Jetzt glaubte sich Pohl erst recht wieder gefoppt, griff sich an den
Kopf und wimmerte: „O je! Und ich Esel war bereits bei Billroth, um mich
zu bedanken!"
Nottebohm war ein leidenschaftlicher Handschriftenfreund. Als Brahms
einmal mit ihm in den Prater ging, ließ sich Nottebohm vom Wurstmann
etwas Salami abschneiden. Brahms wußte es so einzurichten, daß der Wurst-
verkäufer zum Einwickeln der Salami ein von ihm vorbereitetes Papier
verwendete. Es war Notenpapier, auf dem Brahms ein Beethoven-Manuskript
nachgeahmt hatte. Nottebohm aß langsam und feierlich seine Salami, endlich
wurde er auf das Notenpapier aufmerksam. Er stand auf, hielt das Papier
näher an die Gaslaterne und steckte es, ohne ein Wort zu sagen, geräuschlos
ein. Er glaubte ein Manuskript Beethovens entdeckt zu haben. Brahms
klärte ihn dann unter großem Lachen auf.
1. März. Mit Brahms, Röntgen und anderen in Schönbrunn. Vorher aßen
wir im „Igel". Es war viel von Reinicke die Rede. Brahms lobte seine
„Betriebsamkeit" in allem und jedem. Reinecke liebte auch das Nachahmen.
So habe Robert Schumann ihm, Brahms, wiederholt gesagt, daß es ihn
ärgere, daß Reinecke sofort Fughetten herausgebe, wenn er welche mache,
und Variationen, wenn er welche veröffentliche.
Was die berühmte Mozartspielerei Reineckes betreffe, meinte der Meister:
„Er spielt halt immer wieder seine Mozartkonzerte und dann glauben die
Leute daran. Aber Reinecke ist ein feiner, gebildeter, gescheiter Mensch. Er
dichtet (unter dem Pseudonym Carsten), malt und hat Sinn für alles Mög-
liche!"
Am Abend des 5. März wurde ein Quintett von Alexander Zemlinsky im
Konzert von Hellmesberger gespielt, das Brahms gut gefiel. Er äußerte sich
ein ums andere Mal: „Sieht überall Talent heraus." Als ich meinte es sei
vieles Anderes auch sehr hübsch gemacht, sagte er halb traurig und halb
grantig: „Ach Gott, wer kann denn heute was Ordentliches schreiben?!"
7. März. Abends mit Brahms, Reinecke und vielen anderen Freunden des
Meisters zusammen. Reinecke war sehr aufgeräumt, er hatte im Gesellschafts-
konzert einen schönen Erfolg. Als es recht lustig zuging, sagte er: „Das ist
so nett, wenns so lustig zugeht. Wozu ist man denn auf der Welt? Arbeiten
und lustig sein, das ist das Beste!" (Anhang 72)
Dann erzählte Brahms, wie er vor einigen Jahren Schumanns Klavierquin-
tett-Manuskript, das ich vor Jahren bei ihm sah, der Frau Schumann zurück-
gegeben habe, da diese alle Manuskripte von Schumann der Berliner Hof-
bibliothek verkaufen wollte. „Da meinte ich, müsse auch das Quintett dabei
sein und schickte es Frau Schumann. Aber ein anderes, interessantes Manu-
skript habe ich dafür! Von dem Düsseldorfer Kopisten Fuchs, der für Schu-
97
mann, für mich und für uns alle kopierte, habe ich den ganzen Schumannschen
, Faust*. Die Singstimmen vom Kopisten, der Klavierauszug darunter, teils
von Frau Schumann, teils von Robert Schumann selbst geschrieben. Bei
schwierigen Stellen schrieb er."
Brahms zog Reinecke wegen seines Namens auf und sagte ihm, daß, als
Robert Fuchs in Leipzig war, um seine Oper „Die Teufelsglocke" aufzu-
führen, Reinecke auf die Bühne kam, um ihm zu gratulieren. Es folgte die
Vorstellung: Reinecke — Fuchs! Reinecke erzählte dabei, daß er einmal in
einem Konzert einen Sänger namens Beer begleitet habe, der unter anderem
auch „Heinrich der Vogler" sang. Da kursierte dann der Witz: Heinrich der
Vogler, Ballade von Vogl, Musik von Loewe, gesungen von Beer, begleitet
von Reinecke.
Im Verlaufe des Abends kam Brahms auf Goldmarks neue Oper „Das
Heimchen am Herd" zu sprechen. Er hörte gerne, daß die Oper gut sei.
„Goldmark braucht den Erfolg und es wäre doch herrlich, wenn er in diesem
Alter noch einmal einen großen Erfolg hätte!" 115
Auf einer Landpartie am 8. März nach Perchtoldsdorf erzählte Brahms,
daß er seinerzeit viel dazu beigetragen habe, daß Goldmarks Oper „Die
Königin von Saba" in der Hofoper zur Aufführung kam. Er plante damals
nämlich in einem Konzert der „Gesellschaft der Musikfreunde", zur Zeit als
er Direktor war, den Einzugsmarsch und noch ein anderes Stück aus dieser
Oper aufzuführen. Fürst Hohenlohe, damals Intendant der Hoftheater kam
darauf ganz aufgeregt zu Brahms und hielt sich darüber auf, daß Brahms
Partien aus der „Königin von Saba" spielen wolle. Die Oper käme ja ohne-
hin bald in der Hofoper heraus. So kam in diese etwas faule Angelegenheit
größere Eile. Goldmark und Herbeck saßen halbe Nächte lang im Cafe und
strichen an der Oper.
Wieder kam die Rede ausführlich auf Reinecke, den Brahms ja eigentlich
nicht leiden kann. Er sagte: „Ich hatte und habe immer das Gefühl, daß der
.schwache Kerl mit seinen vielen Ambitionen nicht ganz ehrlich sein kann.
Merkwürdig ist, daß Reinecke mein erster Rezensent war. Als meine erste
Sonate erschien, veröffentlichte Reinecke in einer in Mainz erscheinenden
Musikzeitung eine Rezension über das Stück und machte es recht schlecht. 116
Man hat ihm's damals sehr verübelt!" Wir sprachen auch über Reineckes neue
115 Goldmark schrieb seine Oper „Das Heimchen am Herd", 1896 im Alter von
66 Jahren. Sie wurde am 21. März 1896 an der Wiener Hofoper uraufgeführt.
116 Gemeint ist die Kritik der Süddeutschen Musikzeitung vom Mai 1854, als
deren ungenannter Verfasser von Zwischenträgern mit Unrecht Carl Reinecke bei
Brahms verleumdet wurde. Brahms' erster Kritiker war übrigens Louis Köhler, vgl.
Kalbeck I, S. 351.
98
Symphonie (der „Gesellschaft der Musikfreunde" gewidmet) 117 und ihren
schlechten Klang. „Sie ist so gar nicht meisterlich! Alles so grob, so ordinär!
Und die Posaunen! Es klingt so patzig! Reineckes Talent ist ein ganz, ganz
kleines!"
Über die gestern ebenfalls gehörte Faust-Musik von Schumann, meinte ich,
daß einiges wohl nie besonders gut klingen werde, während wieder vieles
geradezu wundervoll klinge. „Ja", pflichtete Brahms bei, „manches dürfte nie
gut zu machen sein. Es ist eben nicht durchwegs meisterlich gesetzt! Aber was
für eine herrliche Musik; und das ist doch die Hauptsache. Und auch im Klang
so viel Hochoriginelles, Eigenartiges!"
Nach dem Männergesangvereinskonzert am 22. März stellte mich Brahms
Edvard Grieg vor, der im Konzert war. Ich ging mit Grieg in sein Hotel.
Ein sehr lieber, bescheidener Mann. Er ist sehr klein, von seiner Krankheit
ganz schief; der Kopf trägt eine struppige Mähne, sie ist aber etwas licht. Er
erzählte mir, daß er vor ein paar Tagen eine herrliche Aufführung des „Deut-
schen Requiems" unter Nikisch in Leipzig gehört habe. Das sei ganz der
Brahms, den er liebe. Es sei ein kolossales Werk. (Anhang 73)
24. März. Im heutigen Konzert von Grieg waren Brahms und Dvorak in
der Direktionsloge des Musikvereinssaales, auch Röntgen, von dessen Klavier-
spiel Brahms so entzückt ist, und Messchaert hörten zu. Als ich Grieg sagte,
daß Brahms so sehr von seinem Klavierspiel schwärme, meinte er: „Ach, das
ist wieder einer von seinen dummen Witzen!" Aber es war gewiß kein Witz.
Brahms hatte das tatsächlich gesagt. Und Grieg spielte herrlich!
Mit Brahms und Koeßler am 28. März nachmittags im Stadtparkcafe*
abends wie gewöhnlich im „Igel". Der Meister war riesig lustig und gemüt-
lich. (Anhang 74) Von Anton Dvoräks Sextett, das kürzlich durch das „Böh-
mische Streichquartett" aufgeführt wurde, schwärmte Brahms wieder und
wieder: „Es ist unendlich schön. Ich habe immer das Gefühl, daß die Leute
dieses Stück nicht genug bewundern. Diese herrliche Erfindung, Frische und
Klangschönheit. Freilich im großen Musikvereinssaal heißt das nichts. Da
klang ja nicht einmal das Schubertsche C-Dur-Quintett."
Die Rede kam auch auf das Mozartdenkmal, das bald enthüllt werden
sollte. Brahms sagte: „Na, ich werde trachten, nicht dabei zu sein! Aber wenn
ich dabei sein sollte, dann komme ich zur Feier mit einem Trauerflor um den
Arm! So eine Dummheit! So ledern stellen sie ein einsames Standbild auf!
Ich mag auch sowas wie das Haydndenkmal nicht! Aber nun gar Mozart!
Wie schön wäre es gewesen, wenn man einen Brunnen und Reliefwände wie
117 Reineckes Symphonie Nr. 3 in g-Moll, op. 227 wurde in einem Gesellschaits-
konzert am 7. März unter Richard von Pergers Leitung uraufgeführt. Reinecke
spielte Mozarts D-Dur-Klavierkonzert. Außerdem wurden Schumanns Faust-Szenen,
3. Teil, aufgeführt.
99
bei Grillparzer gemacht hätte. Darauf Anekdoten aus seinem Leben, die ja
jedes Kind leicht versteht. Ich sagte dies vor Jahren schon privatim zu Dumba
und anderen, aber niemand wollte darauf hören!"
Von Nikisch war auch vielfach die Rede. Brahms lobte ihn sehr, erwähnte
jedoch, daß er mit dem Orchester sehr streng sei: „Einmal nach einer Probe,
die Nikisch dirigierte, machte er den Gewandhaus-Orchester-Mitgliedern einen
großen Skandal, es wurde recht ungemütlich 1 . Da stieg ich aufs Pult und sagte:
Da Ihr Herr Direktor jetzt so freundlich (!) mit ihnen gesprochen hat, sind
Sie gewiß in der Stimmung, mein Stück noch einmal zu spielen . . .! Hierauf
dirigierte ich das Stück noch einmal. Bei einem Bankett mußte ich Nikisch
leben lassen. Ich sagte, daß ich nur eine Hälfte leben lassen könne, nämlich
den Musiker Nikisch und während ich auf eine hübsche Frau neben mir wies,
meinte ich, die andere Hälfte, nämlich den interessanten Mann, die schönen
Haare, möge meine schöne Nachbarin leben lassen!"
Brahms erwähnte, daß es der Sängerin Luise Dustmann, die zweimal um
ihr Vermögen betrogen worden war, recht schlecht gehe. Sie lebe in Hamburg
bei einer verheirateten Tochter in den dürftigsten Verhältnissen. Er wolle
eine Sammlung für sie einleiten, aber ohne, daß sie die Namen der Sammler
erführe. Er möchte das Ganze durch den Vormund der Kinder einleiten las-
sen. Einer Sammlung für Stockhausen gegenüber, die von Frau von Horn-
bostel anläßlich Stockhausens siebzigstem Geburtstag propagiert wurde, ver-
hielt er sich kühler und meinte: „Stockhausen braucht nur nicht über seine
Verhältnisse zu leben und es ginge ihm sehr gut. Auch ist er nicht eigentlich
beliebt. Seine eigentlichen Freunde und Bewunderer sind längst tot. Wir
dachten auch, daß die Familie, besonders der an eine Millionärin verheiratete
Sohn gegen eine Sammlung sein würde. Gerade dieser Sohn aber soll sich
dahin geäußert haben, man möge nur für ein ^ationalgeschenk* sammeln, es
dürfe aber keine kleine Summe sein, eine solche würde nicht angenommen
werden." Einen Betrag für Stockhausen zusammenzubringen, dessen Summe
ihn ernähren könnte, findet Brahms ebenso unmöglich wie unnötig. „Ich
werde halt meinen Namen wie zu so vielem anderen auch dazu mißbrauchen
lassen!" (Er war unter den Proponenten der Sache genannt.)
Mandyczewski berichtete dieser Tage, daß Brahms im Sommer 1891 ein-
mal zu ihm gesagt habe: „Jetzt plage ich mich seit langem mit allerlei Sachen,
einer Symphonie, Kammermusik und anderem und es will nichts werden. Ich
war stets gewöhnt, mir über alles klar zu sein. Mir scheint, es geht nicht mehr
so wie bisher. Ich tue gar nichts mehr. Ich war mein Leben lang fleißig, nun
will ich einmal recht faul sein!" Wirklich komponierte er eine Zeitlang gar
nicht, bummelte nur. Aber plötzlich schuf er in dieser seelenvergnügten Stim-
mung das Klarinetten-Trio und -Quintett. Mandyczewski meinte, daß er jetzt
gar nichts arbeite. Sein ungeheuer behagliches Wesen deutet zuweilen darauf
100
hin. Manchmal ist er aber doch wieder so ganz versunken, daß man nicht gut
glauben kann, daß nichts in ihm vorgehe.
Brahms und ich stritten auch einmal über die Berliner Akademie der Künste
und er meinte, daß da wohl jeder Ausländer, Mascagni zum Beispiel, leicht
aufgenommen würde. Ich bestritt dies energisch. Am nächsten Tage gab mir
Brahms eine Visitenkarte mit den Namen derjenigen auswärtigen (nicht
preussischen) Musiker, die Mitglieder der Berliner Akademie sind und sagte
dabei zu Mandyczewski etwa Folgendes: „Gestern habe ich über die Berliner
Akademie gestritten. Ich sagte, da würde gar mancher aufgenommen, wäh-
rend Heuberger meinte, daß dies nicht der Fall sei. Er hat recht! Da sehen
Sie!" Und er wies die Karte vor. 118
Brahms wurde kürzlich in die französische Akademie aufgenommen und
er freute sich außerordentlich! Er meinte, mit der Aufnahme von Deutschen
sei man in dieser Akademie sehr sparsam. „Ich wollte einen französischen
Dankesbrief schreiben, aber mein Französisch ist nicht sehr musterhaft. Auch
Hanslick getraute sich nicht einen Brief an die Akademie zu schreiben. Nun
schrieb ich halt der Akademie einen deutschen Brief, wahrscheinlich den ersten
den sie jemals erhielten. Ich dankte sehr und entschuldigte mich, daß ich an die
Hüter und Meister der französischen Sprache nicht in schlechtem Französisch
schreiben wollte!" Er erzählte, daß auf dem Fragebogen, den er bei diesem
Anlaß vor der Ernennung bekam, eine Frage nach dem Grad der Ehren-
legion des zu Ernennenden gestellt würde: „Erst wollte ich ,pas encore' dazu-
schreiben, da ich diesen Orden überhaupt nicht besitze. Dann machte ich
jedoch eine Null. Jetzt werde ich die Ehrenlegion wohl bald kriegen !" 119
29, März. Mit Brahms eine Landpartie nach Perchtoldsdorf gemacht.
31. März vormittags bei Brahms. Er schwärmte von Dvorak, als ich bei ihm
war und bezeichnete ihn als „vollsaftigen Kerl". Als er mir die Partitur der
„Heiligen Ludmilla" von Dvorak lieh 120 äußerte er: „Der Text ist mir frei-
lich zu dumm! Wunder! Lauter Unsinn! Dvorak glaubt daran, der kann*s
ja machen!" (Anhang 75) Brahms erwähnte, daß er wahrscheinlich nach
Meran fahren werde. Dann raunzte er über das Wetter und meinte, daß ein
Weinland erst im Herbst eigentlich schön sei. Plötzlich lachte er laut auf:
„Das sind lauter Faxen, mit denen ich meiner Trägheit zu Hilfe kommen
will!" Da dieser Tage der Tod eines achtzigjährigen, vor etwa vierzig Jah-
ren berühmten, jetzt total vergessenen 'Dichters in der Zeitung gemeldet
119 Brahms lieferte mit der Aufzahlung der nicht preussischen Mitglieder natürlich
den Beweis für die Richtigkeit seiner Behauptung.
110 Brahms wurde zum Auswärtigen Mitglied der „Acad^mie francaise" ernannt.
120 Das Oratorium „Die heilige Ludmilla* wurde bereits im Jahre 1886 für die
englische Stadt Leeds geschrieben und dort unter Dvoraks Leitung am 15. Oktober
1886 uraufgeführt.
101
wurde, sagte Brahms: „Ja, mehr als sechzig Jahre alt werden, kann eine
Menge von ,Berühmtheiten e nicht riskieren."
Ich begegnete Brahms am 5. April auf der Straße. Er erwähnte, daß Frau
Schumann nicht, wie die Berichte behauptet hatten, der Schlag getroffen habe,
sondern daß sie an schwerem Herzkrampf und Herzschwäche leide.
Als Brahms am 6. April bei mir einen Besuch machte, sprachen wir wie-
der über Menzel. Der Meister meinte, man habe bei Menzel immer das Ge-
fühl, daß er bei jedem Blatt mit voller Begeisterung und Kraft an der Arbeit
gewesen sei. Schwaches gäbe es daher gar nichts von ihm. Wir sprachen unter
anderem auch wieder über Goldmarks Oper „Das Heimchen am Herd".
Brahms scheint zu zweifeln, daß diese Oper tatsächlich auf dem Repertoire
bleiben wird und meinte: „Es ist ungerecht zu behaupten, Goldmark habe
nachgemacht, was andere jetzt auch machen, nämlich: Einfachheit, Ländlich-
keit und dergleichen. Aber es hat eben Alles, sowohl Publikum als Komponi-
sten genug von dem ,großen Genre* und jeder für sich kommt zu der Erkennt-
nis, daß man nun wieder einfacher, menschlicher werden muß. Alles der Ein-
fluß Richard Wagners! Sicher ist auch, daß durch Wagner — wenn auch durch
den unverstandenen Wagner — all die neuen groben Effektopern vorbereitet
wurden. Auch die massiven Verdiopern können sich halten. Aber das ganz
Gute, wie Mozart, Weber, Marschner, ist so viel wie tot!"
9. April. Brahms sagte mir, daß Frau Schumann wenigstens für die nächste
Zeit außer Gefahr sei: „Aber ist nur aufgeschoben ... Sie ist aber jetzt so
weit, daß ich wenigstens mit ihr sprechen konnte. Weiß nicht, was ich tun
soll. Nach Meran möchte ich auch, um der Mozart-Denkmal-Enthüllung aus-
zuweichen." Der Meister bat mich, meine Aufsätze über Grieg an diesen zu
senden. Grieg hatte ihm seine Photographie gesandt.
Die Enthüllung des Mozartdenkmals fand am 21. April 120 * statt. Ich traf
Reinecke auf dem Festplatz, er trug einen Zylinder, der absolut nicht auf
seinen Kopf paßte. Er hatte keinen mitgebracht und war daher gezwungen,
den Hut vom Hausknecht seines Hotels zu leihen. Außer Reinecke waren
noch Goldmark, Brahms und andere da. Dem Meister war es nicht gelun-
gen, der Feier auszuweichen. Er war wortkarg und zugeknöpft. Es war eine
sehr hübsche Feierstunde.
Am 26. April machten wir wieder eine Landpartie mit Brahms, Mandy-
czewski, Door, Epstein und Brüll nach Rodaun. Brahms, der oft von literari-
schen Studien berichtete, die er in den Morgenstunden vor einer Landpartie
getrieben hatte, brachte den schönen Schüttelreim von Rückert mit: „Gebro-
chenes Versprechen — gesprochenes Verbrechen." Das Gespräch kam auf eine
12 °a Das Festkonzet fand am 19. 4. unter Hans Richter statt. Reinecke spielte
Mozarts c-Moll Klavierkonzert, Lewinsky sprach das Saar'sche Festgedicht, das
Brahms verurteilte (s. S. 103).
102
kürzlich von Ferdinand von Saar gelieferte schlechte Gelegenheitsdichtung
auf Mozarts 140. Geburtstag und Brahms meinte, so etwas werde halt immer
von jemandem gemacht der nichts von der Sache verstehe. Es war auch sei-
nerzeit beim Festmahl nach der Premiere der „Königin von Saba" von Gold-
mark ähnlich. Brahms forderte damals Laube auf die Festrede zu halten.
Laube erwiderte, daß er doch ganz unmusikalisch sei und sich daher nicht gut
aus der Affäre herausziehen werde. Außerdem sei an diesem Abend eine
Novität im Burgtheater, bei der er anwesend sein müsse. Brahms redete ihm
das aus. Laube sah auch tatsächlich zuerst das Stück in der Burg an, kam
dann nach und hielt die Rede. Es ging verhältnismäßig gut. Von einem vor
kurzem zu Ehren des nordischen Dichters Henrik Ibsen in Berlin abgehalte-
nen Bankett nach einer Ibsenpremiere erzählte Brahms: „Ich saß neben Ibsen,
es wurde eine nette, aber keineswegs feurige Rede von einem Verehrer gehal-
ten. Sie war ganz hübsch und nett, aber ganz klar und nüchtern. Ich bin bei
Gott nicht eitel, aber das wäre sogar mir zu wenig gewesen! Am selben Abend,
da etwas Neues von mir herauskommt, möchte ich doch sehen, daß die Leute
warm sind! Übrigens war Ibsen sehr nett, er antwortete nicht auf die Rede
und meinte: Ich spreche schlecht deutsch und möchte nicht, wie dies bereits
einmal geschah, ein Mißverständnis verursachen. Er nahm die verständige,
kühle Huldigung liebenswürdig und still auf. Eitel ist er entschieden nicht!"
6, Mai. Die Tonkünstlervereins-Feier für Brahms 63. Geburtstag fand am
Vorabend im Gasthaus „Hirschen" in der Paniglgasse statt. Nachdem Door
die Festrede auf Brahms gehalten hatte, sagte dieser übermütig und lustig:
„Na, die Rede des Herrn Präsidenten war sehr schön, sehr rührend, aber sie
betraf nicht den Richtigen. Ich möchte aller jener gedenken, die im Laufe des
Winters beigetragen haben uns so schöne Abende zu bereiten. Ich meine da
vor allem die schönen Pianistinnen die gespielt und nicht gespielt haben, die
Sänger, die gesungen und die jungen Komponisten, die ihre ersten Werke
zur Aufführung gebracht haben. Aber nicht nur dieser will ich gedenken,
denn dabei ist ja nicht so arg viel Verdienst. Jeder hat doch bloß sein Metier
ausgeübt, seine Pflicht getan — und ein jeder hört sich doch gern! Aber des
Vereinsausschusses, der da nicht sein Metier ausübte und nur eine bürgerliche
Pflicht erfüllte, soll gedacht werden, unseres Präsidenten und unseres Ord-
ners (bezog sich auf Mandyczewski, der seine Stelle abgeben will), die so viel
Mühe und Zeit an unser Vergnügen gewandt haben! Mögen wir mit diesem
Ausschuß eine Art Jubiläum feiern, möge er uns erhalten bleiben! Der Aus-
schuß er lebe!" An diesem Abend sprachen noch Goldmark, Brüll, Lesche-
titzky und Gänsbacher.
Am 8. Mai abends bei Hanslick, der erzählte, er habe nichts getan, um
Brahms das Ehrenzeichen 121 zu verschaffen, „den Leopoldsorden aber habe
121 Brahms erhielt das österreichische „Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft".
103
ich ihm verschafft. Ich begegnete nämlich einmal dem Minister Gautsch beim
österreichischen Museum und er sagte zu mir: Gut, daß ich Sie sehe, Sie
bekommen von mir einen Akt, Dvorak betreffend. Als ich fragte, ob das
für einen Orden geschehe, bejahte Gautsch. Da sagte ich ihm: Nun, ich will
in der Äußerung über Dvorak alle Verdienste dieses famosen Künstlers her-
vorheben, aber bemerken, daß es ein Skandal wäre, wenn Brahms bei diesem
Anlaß nicht auch einen und zwar hohen Orden bekomme. Darauf sagte
Gautsch, daß mir also auch ein Akt bezüglich Brahms zugehe. Nun, und
darauf erhielt Brahms eben den Leopoldsorden."
14. Mai. Letzte Landpartie nach Neuwaldegg, Weidlingbach und Kloster-
neuburg. In Weidlingbach schoben wir Kegel. Brahms hielt mit, traf aber
gar nichts. Er machte darauf allerlei Ulk.
15. Mai. Brahms reiste nach Ischl. Ich hatte ihm in Attnang durch einen
Brief an den Restaurateur ein Mittagessen nach seinem Geschmack bestellt:
Schweinebraten, sehr fett und Salzburger Nockerln. Er bekam auch das Be-
stellte, wie er mir nachher erzählte, konnte es sich aber gar nicht erklären,
als der Wirt ihm sagte: „Herr Doktor, wir haben schon Salzburger Nockerln
für Sie aufgehoben!"
Einschaltung des Herausgebers:
Clara Schumann starb am 20. Mai 1896. Heuberger, der Brahms aus diesem
Anlaß offenbar schrieb, erhielt am 1. Juni aus Ischl die folgende Korrespon-
denzkarte:
„Es ist eine Hebens- oder lobenswerte Gewohnheit, bei ernster und
freundlicher Gelegenheit ein Zeichen der Teilnahme zu geben —
und gar keine schöne, dafür kein Wort des Dankes zu haben!
Ich hoffe Sie allernächstens zu sehen, Sie ausführlicher zu loben
und weiter herunterzumachen
Ihren herzlich grüßenden
J. Brahms*
Am 5. Juni besuchte ich Brahms in Ischl. Er war sehr gemütlich und ließ
es sich nicht nehmen, mir das Mittagessen zu bezahlen, gab mir, wie gewöhn-
lich, feine Zigarren. Vor dem Essen sagte er zu mir: „Wollen Sie ein paar
neue Lieder hören?" Dann setzte er sich ans Klavier und spielte aus dem
ersten Manuskript die herrlichen „Vier ernsten Gesänge* nach Bibeltexten.
Ich sang sie, jedes Stück zweimal. Brahms selbst war sehr ergriffen davon
und freute sich sichtlich über meine Glückseligkeit. Ehe er anfing, sagte er:
„Na, Sie wissen, Prosa ist schwer zu komponieren* und verwies etliche Male
auf besonders schwierige Stellen, die der musikalischen Behandlung zu wider-
104
streben scheinen: „Na, es ist doch gut zu sprechen und zu singen? Doch
recht selbstverständlich? Man kann's ja nicht mehr einfacher komponieren!"
An der Stelle, wo es heißt, es sei das Beste, „daß jeder fröhlich sei bei seiner
Arbeit", sagte er, immer wieder auf die tieftragische Musik weisend: „Schöne
Fröhlichkeit das! Schöne Fröhlichkeit!" Das Manuskript zeigt, daß Brahms
zuerst die Singstimme hingeschrieben hatte und dann die Begleitung nach-
arbeitete. Im Kopf hatte er wohl schon vorher alles fix und fertig. An
Details, wie Pausenlängen, Notenlängen und dergleichen ist viel korrigiert.
Alles sehr praktisch. Der Meister sagte über die Lieder: „Sie hängen wohl
mit der Schumann zusammen. Nicht gerade aus Anlaß ihres Todes habe ich
sie komponiert, aber die ganze Zeit her hatte ich eben wieder recht viel
über den Tod nachgedacht, dessen ich ja oft und oft Gelegenheit habe zu
gedenken! Ich schrieb die Lieder im Mai. Ich wollte mir zu meinem Geburts-
tag etwas machen! Sagen Sie es aber niemandem und bringen Sie's nicht unter
die Leute, daß ich die Lieder aus dem Anlaß Schumann schrieb! Ich mag
es auch nicht hören, daß ich das ,Requiem' für meine Mutter geschrieben
habe!" Brahms war von der Musik selbst sehr erwärmt und gerührt. Als ich
jedes der Lieder zweimal zu hören und zu singen verlangte, meinte er jedes-
mal: „Na, wenn Sie's vertragen!" und fing ohne jede Ziererei gleich wieder
an. An der unendlich schönen Arbeit hatte er eine ersichtlich große Freude.
Brahms besprach bei jedem der biblischen Lieder auch den Text genau. Bei
den Stellen „hätte ich auch den Glauben, schenkte ich alle meine Habe den
Armen, ließ ich meinen Leib brennen", sagte er: „Das alles ist, wie vieles
in der Bibel, echt heidnisch, aber echt menschlich. Der Glaube allein ist nichts,
alles herschenken ist auch nichts, den Leib als Märtyrer verbrennen lassen
ist auch nichts, nur die Liebe!" — Als ich über andere Teile der Heiligen
Schrift sprach, sagte er mir, daß er das „hohe Lied" nicht leiden könne
und auch nie gemocht habe. Nur einzelne Teile finde er sehr schön. Als
Ganzes aber nicht!
Brahms sagte mir, daß er als Bub eine sehr schöne Sopranstimme gehabt
habe, aber dann zu lange in die Mutation hinein gesungen habe. Daher habe
er als Mann nie Stimme gehabt.
Von seiner Reise zum Begräbnis der Frau Schumann erzählte er allerlei.
Er bekam, da er seine Abreise nach Ischl nicht nach Frankfurt gemeldet
hatte, das nach Wien gerichtete Telegramm per Brief von Frau Truxa nach-
gesandt, eine halbe Stunde ehe er die Nachricht in der „Neuen freien Presse"
las. Er telegraphierte nach Frankfurt, daß er am nächsten Tag um 4 Uhr
dort sein werde, reiste ab, verschlief aber in Wels das Umsteigen; der Schaff-
ner hatte, trotz ausdrücklicher Vereinbarung, vergessen ihn zu wecken, so
daß er bis Linz fahren, dort bis 3 Uhr früh warten und dann mit einem
elenden Zug bis Frankfurt fahren mußte, wo er um 11 Uhr nachts ankam.
105
Glücklicherweise kaufte er sich eine Zeitung, aus der er erfuhr, daß Frau
Schumann bereits nach Bonn überführt worden sei und man ihn dort erwarte.
Er stieg also in Frankfurt gar nicht erst aus, sondern fuhr gleich bis Bonn
weiter, wo er um 5 Uhr morgens eintraf. „Mir macht derlei ja nichts! Ich
wusch mich und war wieder frisch und munter, obwohl ich keine Minute
geschlafen hatte, wozu die Aufregung beigetragen haben mag! Bei der Bei-
setzung sah ich erst, wie herrlich das Donndorfsche Denkmal am Grabe
Schumanns ist. Der trauernde Genius ist siel Nach der Feier brachte ich noch
einige Tage im Siebengebirge zu, dort machten wir herrliche Musik. Es war
ein kleines Privat-Musikfest." 122 Brahms sagte bei dieser Gelegenheit, daß
er mir nächstens noch andere, neue ungedruckte Sachen zeigen wolle.
Über ein neues Feuilleton Schönaichs, in dem über einen Besuch Beet-
hovens bei Schönaichs Großvater berichtet wurde, sagte der Meister: „So
ein grober Spaß schaut mir doch auch ähnlich und solche Dummheiten mache
ich auch hier und da. Wer kann aber so was ernst nehmen? Da hört sich
ja doch alles auf!" Schönaich hatte in dem Artikel erzählt, daß Beethoven,
als bei Schönaichs Großvater ein Quartett von Haydn gespielt wurde, die
Noten vom Pult geworfen und gesagt habe: Wozu spielt ihr denn noch so
altmodisches Zeug? Jeder vernünftige Leser hatte dies natürlich für einen
groben Scherz gehalten!
Brahms kam mir heute etwas anders, nämlich weit magerer vor. Er war
tatsächlich auffallend schlanker geworden. Als ich ihm gegenüber eine der-
artige Bemerkung machte, sagte er: „Das ist Unsinn! Ich bin immer gleich
dick, trage immer dieselben Kleider, Sie bilden sich das nur ein!"
Mandyczewski erwähnte, daß er dieser Tage eine Gelegenheits-Kompo-
sition von Brahms gesehen habe. Professor Exner besitze sie. (In Gottfried
Kellers Briefen ist sie erwähnt.) Brahms machte sie vor vielen Jahren für
Exner unter der Bedingung, daß er sie für sich behalte, aber nie veröffent-
lichen lasse. Exner zeigte sie Mandyczewski nur, nachdem ihm dieser ver-
sprochen hatte, sie nicht abzuschreiben. Exner sagte, daß er Brahms fünfund-
zwanzig Jahre lang das Wort gehalten habe und es auch in Zukunft halten
werde. Mandyczewski meinte, daß das Werk ganz hübsch aber nicht bedeu-
tend sei. 128
24. Juni. Wieder in Ischl bei Brahms. Er spielte mir aus dem Manuskript
seine Choralbearbeitungen vor. Herrliche Stücke. (Anhang 76) Bei aller Ge-
122 Brahms verbrachte Pfingsten 1896 im „Hager Hof" in Honnef bei Bonn,
wohin er und der rheinische Freundeskreis eingeladen wurde. Ausführlich beschrie-
ben wurden diese Tage von Gustav Ophüls in: „Erinnerungen an Johannes Brahms",
Berlin 1921, S. 11—50.
123 Über die Entstehung der sogenannten „kleinen Hochzeitskantate* siehe Kal-
beck III, S. 27 f. Ein Faksimile des Werkes erschien in: „Aus Gottfried Kellers
glücklicher Zeit", Wien 1927, zwischen Seite 60/61.
106
nauigkeit der Arbeit, -wärmste Musik, echt Brahmssches Gepräge. „Es ist
enorm schwer zu machen", sagte der Meister, „mich interessiert aber eine
solche Arbeit und besonders, außer dem Technischen, die Melodie so schön
zu steigern!" Als ich sagte, daß ich speziell den Kontrapunkt für Brahms
persönlich charakteristisch fände, meinte er: „Das hoffe ich eben auch!"
Brahms erzählte, daß sich kürzlich Hanslick, anläßlich einer extra aus
diesem Grund genommenen Audienz bei Minister Gautsch dafür verwendet
habe, daß Goldmark einen Orden bekomme. Aber Gautsch meinte, daß dieser
ein Ungar sei, daß er darüberhinaus durch seine im Jahre 1848 kompromit-
tierten Brüder im schlechten Ruf bei Hofe stehe.
Um 1 1 Uhr fuhren wir nach Gmunden zu Miller zu Aichholz. Nachmittags
machten wir dann mit Frau Faber eine Ausfahrt zum Traunfall und abends
fuhren der Meister und ich nach kurzem Souper bei Miller nach Hause. In
unserem Gespräch sagte Brahms, daß er 100 Gulden für den Wiener Volks-
bildungsverein spenden wolle, da der Gemeinderat eine Subvention abge-
lehnt hatte. Brahms schrieb auch in dieser Angelegenheit eine ulkige Karte
an Dr. Fellinger, der Brahms Vermögen in Wien aufbewahrte. Ich gab
Brahms den Rat, diese Karte nicht abzusenden, doch er wollte nichts davon
hören, offenbar weil er sich auf seine schlechten Witze auf besagter Karte
viel einbildete. Er hatte unter anderem geschrieben: „Da nun die Salvator-
medaille ohnedies in die ,Pfitze c gefallen sei . . .", was eine Anspielung auf
das damalige Wiener Gemeinderatsmitglied Pfister war. Es kam zu ernst-
haftem Streit, wobei Brahms immer sagte: „In Österreich gibt es keine
Männer!", was er auf die Standhaftigkeit einer zu vertretenden Meinung
bezog. Er zerriß schließlich wütend die Karte, als ich ihm sagte, daß mir
bei solchem Anlaß sein ulkiger Ton nicht behage. Die zerrissene Karte warf
er sodann ganz wütend zum Abteilfenster hinaus.
Als wir am nächsten Tag über blinde Musiker sprachen, erzählte Brahms,
daß er einmal in Hamburg einen Jugendfreund hatte, den er, wenn ich nicht
irre, Angelo Walter nannte. 124 Dieser war ein blinder, aber sehr fideler
Musiker. Er komponierte einmal einen hübschen, großen Walzer. Brahms
schrieb ihn heimlich ab, setzte ihn für ein Sextett, das in einem der Ham-
burger Gärten spielte und ließ ihn von diesem Sextett an einem bestimmten
Tag spielen. Brahms veranlaßte seinen blinden Freund, mit ihm in den
bewußten Garten zu gehen. Als nun der Walzer begann, stutzte der Blinde
immer mehr und mehr und sagte endlich: „Ja, das ist doch ganz mein Walzer!
Habe ich den vielleicht gar nicht komponiert, ist der etwa schon von jemand
anderem geschrieben worden?" Da löste Brahms lachend das Rätsel.
124 Es hat sich nichts über Angelo Walter feststellen lassen.
107
Als gestern in der Gesellschaft bei Miller zu Aichholz die Rede auf den
in einem Teil von Südtirol üblichen Brauch kam, die Toten zu schminken,
damit sie so aussähen wie lebende, aber schlafende Menschen, waren alle
entsetzt. Anfangs auch Brahms, dann sagte er jedoch rasch: „Eigentlich sind
wir alle gräßliche Philister. Es ist doch nur anders als wir es gewohnt sind!
Wir machen ja auch Totentoilette! Schöne Wäsche, Frack und schwarze Hose,
Rasieren und dergleichen! Es ist eigentlich lächerlich sich immer über alles
Ungewohnte so zu entsetzen! Leider ist's in allem so! Auch in unserer Musik
ist es nicht besser. Macht es einer einmal ein bißchen anders als es die Leute
gewohnt sind, gleich ist der Teufel los! Wir sind Philister!"
Als ich Brahms berichtete, daß Direktor Wild in Ischl Goldmarks „Heim-
chen am Herd" geben wolle, meinte der Meister: „Na, so gut wie sie in
Wien den ,Don Juan* geben, so gut gibt er's auch noch!"
Dann sprachen wir wieder viel über das Wiener Konservatorium. Er ist
ganz gegen diese Institution. „Ehemals hatte die Art der Lehre einen Sinn,
da gab es ,Stadtmusiker c und Musiklehrer, ernste Fachleute. Einen so gründ-
lichen Unterricht, wie ich ihn von meinem ersten Lehrer Cossel im Klavier
erhielt, den gibt es heute gar nicht mehr! Nein, nein! Uber's Konservatorium
will ich gar nichts reden! Ich verstehe nichts davon!"
Am 7. Juli war ich wieder bei Brahms in Ischl. Er hatte, wie schon kürzlich
bei Miller in Gmunden beobachtet, das Weiße im Auge stark gelb getrübt.
Ich fragte ihn beim Nachmittags-Spaziergang, es war knapp beim Bahnhof
Kaltenbach an der kleinen Salzkammergutlokalbahn, ob er nicht irgend-
welche Beschwerden habe, da er mir gelbsüchtig vorkomme. Er teilte mir
einige Unregelmäßigkeiten mit, charakteristische Symptome, worauf ich ihm
sagte, er sei krank und solle zum Arzt gehen. Da blieb er, den Hut in der
Hand und mich mit merkwürdigem Blick ansehend, wie angewurzelt stehen:
„Ich bin kein Hypochonder, beobachte mich gar nicht. Kein Mensch hat mir
gesagt, daß er mich verändert finde. Ich danke Ihnen herzlich. Sie wissen,
ich mag mit den Ärzten nichts zu tun haben, aber wenn es was Ernstliches
ist, so heißt's dazu schauen. Aber es ist ärgerlich . . . die paar Jahre, die
man noch zu leben hat . . . und zum Arzt (!) gehen!" Er beruhigte sich erst,
als ich ihm, der Wahrheit gemäß, sagte, daß ich selbst einmal die Gelbsucht
gehabt hätte und daß ich wieder ganz gesund geworden wäre. Doch solle er
lieber mit einem tüchtigen Arzt reden. Vielleicht könnte ihn eine kurze Kur
in Karlsbad wieder herstellen. Ich empfahl ihm Dr. Hertzka (den renom-
mierten Direktor einer Kaltwasserheilanstalt in Ischl), falls er nicht lieber
Professor Schrötter aus Wien konsultieren wollte, der in Rinnbach bei Eben-
see im Sommer wohnte.
108
Einschaltung des Herausgebers:
Am 10. Juli (Poststempel) schrieb Brahms auf einer Korrespondenzkarte
von Ischl nach Steeg an Heuberger:
„Bester! Der neue Pudor geht nicht Musik an — sondern ganz was
Anderes. Da ich nun allerlei Interessantes für Sie habe, so denke
ich, wir warten, bis Sie alles mit Salami und dergleichen zusammen-
tun und mitnehmen?! Hoffentlich kommt bei der Gelegenheit auch
einmal Ihre liebe Frau mit!
Bestens Ihr J. Br."
Ich verbrachte den ganzen 29, Juli mit Brahms und Geheimrat Wendt in
Ischl. Nachmittags machten wir einen kleinen Jausenausflug in die Redten-
bachmühle. Brahms ging doch zu Dr. Hertzka und der diagnostizierte natür-
lich Gelbsucht. Der Meister war ordentlich böse, daß ich ihn so spät erst
auf sein Leiden aufmerksam gemacht hatte. Ich war der erste und einzige,
der diesbezüglich mit ihm gesprochen hatte! Er ist übrigens sehr gelb, wie
das letzte Mal, ist sehr mager geworden und geht mühsam wie ein alter
Mann! Seine Haut ist faltig, die Fettschichten sind offenbar sehr zurück-
gegangen. Er war von großer Reizbarkeit.
Brahms erzählte, daß er eine größere Summe, 6000 Gulden, der „Gesell-
schaft der Musikfreunde" in Wien geschenkt habe mit der Bedingung, daß
1000 Gulden für das Archiv verwendet werden, dessen Übersiedelung aus
alten Räumen in neue soeben von Mandyczewski besorgt werde. 125
Brahms schenkte mir ein Exemplar seiner „Vier ernsten Gesänge", die
soeben erschienen waren. Über seine Erkrankung sprechend erzählte er, daß
er sich diese auf der Reise zum Begräbnis von Frau Schumann geholt habe:
„Der furchtbare Ärger über das Mißlungene der Fahrt, dazu nichts essen,
nichts schlafen und die Aufregung!" — Geheimrat Wendt machte an diesem
Tage, als wir von Brahms Krankheit sprachen, die hübsche Bemerkung: „So
viele Krankheiten und nur eine Gesundheit!"
Nach diesem Zusammensein schrieb ich ihm einen drei oder vier Bogen
langen Brief, in welchem ich ihn beschwor, bei Dr. Hertzka auf eine energi-
sche Kur oder auf Karlsbad zu dringen. Darauf erhielt ich am letzten Juli
folgende Karte:
„Lieber Freund, lassen Sie mich einstweilen nur sagen, daß ich über
die 4 Gesänge nicht mehr nachzudenken brauche und mich nur dank-
bar freue, wenn sie wen interessieren.
125 Ein englischer Musikfreund, Adolph Behrens, hatte Brahms testamentarisch
12 000 Gulden hinterlassen. Brahms verwendete den Betrag für Schenkungen und
Unterstützungen in der großzügigsten Weise.
109
Desto mehr geht mir sonst aber Ihr Brief im Kopf herum und ich
danke von Herzen, daß Sie so eingehend schreiben. Doch will ich
nicht unnötig weiter schwätzen, sondern mit Dr. Hertzka ernsthaft
reden — doch recht ärgerlich ist derweilen zumute
Ihrem herzlich grüßenden
J. Br."
Bald darauf, am 2. August, folgte eine andere Karte:
„Höchst vergnügt mache ich Ihnen die pflichtschuldige Mitteilung,
daß Dr. Schrötter eben da war, mich auf das Gründlichste unter-
suchte und den Aussprach getan hat: nach Karlsbad zu gehen oder
überhaupt eine stärkere Kur zu gebrauchen, läge nicht der geringste
Anlaß vor! Nun danke ich Ihnen aber nochmals für Ihre freundliche
Sorgfalt — dann rufen Sie aber doch ,Hurra* mit
Ihrem herzlich grüßenden
J. Br."
Diese Äußerung Pf. Schrötters war mir im Augenblick — da ich Brahms
doch schwer leidend hielt — ziemlich unverständlich.
Hofrat von Schrötter, den ich am 9. September in Wien traf, klärte mich
aber sofort auf, als er im hoffnungslosen Tone über Brahms sprach. Er sagte
immer wieder: „Armer Kerl, armer Kerl". Als ich meinte, Brahms hätte nach
Karlsbad müssen, sagte er: „Für Brahms' Krankheit gibt's kein Karlsbad! Es
ist ganz egal, wo er sein Geld ausgibt!"
Brahms wollte mir offenbar Neuigkeiten über seine Krankheit mitteilen,
und kam Mitte August zu Fuß von Ischl nach Steeg am Hallstättersee, um
mich zu besuchen. In seinem Zustand wahrlich eine Parforcetour. Leider ver-
fehlte er uns, denn ich war mit meiner Familie in Hallstatt. Als ich heimkam,
hörte ich, Brahms sei dagewesen und ließ mir sagen, ich solle zum Steegwirt
an der Traun kommen, wo wir einmal zusammen speisten; oder zum Bahn-
hof nachkommen. Ich eilte zum Wirt: Brahms weg; zur Station: Der Zug
war soeben abgefahren.
Der Meister sagte mir hinterher, daß er zuerst von Ischl bis Lauffen gehen
wollte, von dort mit der Bahn bis Steeg zu fahren gedachte. Da es „so famos
ging", sei er aber die ganze Strecke gegangen. — Es sind drei Stunden gut zu
gehen. 126 Er hatte sich warm gelaufen und sich dann beim Wirt oder auf dem
Bahnhof erkältet. Jedenfalls ist ihm in der Nacht furchtbar schlecht gewor-
den ...
126 Die Strecke beträgt ca. 13 Kilometer mit Steigungen, die für einen Gesunden
schon eine recht ansehnliche Leistung darstellt.
110
Ich fand ihn eines frühen Morgens in Ischl an seinem Eckfenster lehnen, die
Hand über dem Kopf, mit den Fingern auf dem Glas trommelnd, er litt an
Schlaflosigkeit.
28. August. Nachdem ich mit Brahms einige Male zusammen war, sah ich
ihn heute wieder längere Zeit. Ich war mit Epstein, Gänsbacher und Dr. Fel-
linger bei ihm. Er sah schrecklich elend aus. Der lange weiße Bart, das dürre
Gesicht, die gelben Augen, die schlotternde, magere Gestalt, auf der die Klei-
der hingen wie an einem Kleiderbügel, gaben ein klägliches Bild. Brahms
war im Verlauf der letzten Monate vom strotzenden Mann zum jämmerlichen
Greis zusammengeschrumpft. Professor SchrÖtter und Dr. Hertzka sollen
eifrig über Brahms Krankheit korrespondieren; auch Professor Schrötters an-
scheinend zufälliger Besuch war eine Folge dieser Korrespondenz. Brahms
hatte das wohl erfahren und sagte: „Ich muß eine sehr interessante Krankheit
haben, die Ärzte reißen sich um mich!" SchrÖtter sei, wie Brahms sagte, gegen
Karlsbad, da er vermutete, daß Brahms noch an etwas anderem leiden müsse
als nur an der Gelbsucht. Der Meister verbat sich aber das Konsilium der
beiden Ärzte und will am 31. August nach Wien fahren, wo er sich einem
Professor Toelg anvertrauen will, der ihn gut kennt und von dem er sehr viel
hält.
Als ich mit Gänsbacher und Epstein zu ihm kam, war er gerade auf dem
Weg von seinem Häuschen herab zur Straße, kehrte aber wieder mit uns um
und stieg in seine Wohnung hinauf, wo wir uns im Zimmer setzten. Er sagte:
„Ja, ihr könnt mich auslachen, ihr gesunden jungen Leute! Aber ich! . . ."
Im Kaffeehaus fragte ihn der Kellner bedauernd, ob er schon bald nach
Wien zurückgehe: „Ja, ich fahre! Aber nicht gleich auf den Zentralfriedhof!"
Dem Essen sprach Brahms genauso stark zu wie früher. Er meinte dies-
bezüglich: „Mein Appetit ist der gleiche wie immer! Fürchterlich!" Dann
klagte er über schlechten Schlaf. Er stehe oft nachts auf, verweile lange beim
Fenster und sehe hinaus. Sein Humor ist leidlich. Er sagte: „Wenn ich mich
gehen lasse, kann ich verstimmt sein, sonst aber bin ich froh und heiter, habe
keinerlei Beschwerden, keine Schmerzen, gar nichts!"
Als ich ihn zum letzten Mal in Ischl am 30. August besuchte, streckte er
mir, als er mich kommen sah, schon von weitem die Hände aus dem Fenster
entgegen. Es mußte also etwas Besonderes sein. Bei der Tür kam er mir ent-
gegen und rief: „Das ist mir recht, daß Sie der Erste sind, dem ich's sagen
kann: Ich bin gerettet! Ich bin gerettet!" Überglücklich teilte er mir einige
günstige Symptome mit. „Jetzt schlafe ich wieder wie ein Sack! Na, Gott
sei Dank, daß ich meinen Schlaf wieder habe! Wenn nur die Doktoren nicht
wieder intrigieren!" Rings umher standen Koffer, Brahms packte eben: „Mor-
gen fahre ich nach Wien, wir können dann beim ,Igel e Mittag essen!" Ich
versprach es ihm.
111
Mandyczewski und ich warteten am 31. August vergebens beim „Igel".
Dr. Fellinger hatte den Meister mit sich nach Hause genommen.
Brahms ließ mich aber am 1. September abends in die „Goldene Kugel"
bitten. Es waren dort anwesend: Brodsky, Mandyczewski, Faber, Dr. Fel-
linger, Dr. Fischer aus Hannover und andere Freunde. Brahms sah viel fri-
scher aus, war sehr aufgeräumt und lustig und machte reichlich viel Witze.
Morgen fährt er nach Karlsbad. „Na, da sind Sie mich los", sagte er zu mir.
(Anhang 77)
Dr. Fellinger teilte mir am 2. September mit, Professor Toelg habe erklärt,
er halte „den Zustand Brahms' für einen ernsten, jedoch für einen derartigen,
daß eine Heilung möglich ist."
Am 9. September machte mir Professor Schrötter die schon mitgeteilte, ver-
nichtende Diagnose. Wenn sich nur die Ärzte täuschten — aber fast fürchte
ich, sie haben Recht. Der Verfall ist zu groß.
Vom 10. September datiert eine Postkarte von Brahms aus Karlsbad:
„Machen Sie sich keine Sorgen! Voraussichtlich werde ich die an-
genehmsten Wochen hier zubringen. Schönes sommerliches Wetter,
überaus reizende Wohnung, vortreffliches Wirtshaus und über das
4te Weh brauch ich mir ja, wie es scheint, keine Sorgen zu machen.
Kurz, ich habe alle Ursache, höchst vergnügt zu sein und auf baldi-
ges Wiedersehen zu sagen. Grüßen Sie rundherum — denn schrei-
ben kann man nicht so!
Herzlich Ihr
J. Br."
Zur Feier von Hanslicks 71. Geburtstag waren Hanslick, Goldmark und
andere am 11. September bei Viktor von Miller zu Aichholz geladen. Epstein
erzählte, daß Brahms vor einigen Monaten durch einen Advokaten verstän-
digt wurde, daß ihm ein total unbekannter Musikfreund in England
1000 Pfund vermacht habe. Brahms habe zu ihm, Epstein geäußert: „Daß
mich dies nicht des Geldes wegen freut, das wissen Sie wohl, aber es ist doch
erfreulich zu sehen, daß man in der Ferne und überall Freude bereitet mit
seiner Arbeit!"
Die 6000 Gulden, die Brahms der „Gesellschaft der Musikfreunde* ge-
schenkt hatte, stammten von diesem Geld. Aber auch den Rest der Summe
hatte Brahms, wie er erzählte, verschenkt. 127
Am 9. Oktober war ich morgens zuerst bei Hanslick, dann bei Brahms.
127 Den genauen Sachverhalt siehe S. 109 und Kalbeck IV, S. 430 f. Vgl. dazu
auch Heubergers Mitteilung über Brahms* anonyme Spende für die Aufstockung des
Preisausschreibens des Wiener Tonkünstler Vereins im November 1896 auf Seite 145.
112
Hanslick zeigte mir einen Brief Dr. Grünbergers aus Karlsbad, worin dieser
am 24. September meldete, daß Brahms' Leber sehr geschwollen sei und in
ihr irgendetwas, was die Gallenwege ganz abdrückt. Trotz genauester Unter-
suchung sei jedoch keine Neubildung zu bemerken. Das Leiden sei sehr ernst,
das Kraftbewußtsein im Laufe der Kur herabgedrückt und keine Besserung
bemerkbar.
Als ich Brahms heute sah, fand ich ihn viel schlechter als vor vier Wochen,
wenn auch eine leichte Röte auf den Wangen wie Hoffnung aussehen konnte.
Brahms' Stimme war ganz gebrochen und er entschieden melancholisch. Auch
Mandyczewski und andere, die bei ihm waren, fanden ihn sehr elend. Er
hatte jedoch Appetit, Schlaf und fühlte gar kein Unwohlsein, bis auf das
heftige Jucken der Haut, weshalb er sich auch fortwährend kratzte. (An-
fang 78)
10. Oktober. Abends mit Brahms in einem Marionettenspiel in der Garten-
baugesellschaft. Er unterhielt sich in der Vorstellung sehr gut. Auf dem Wege
dahin jedoch sowie später, als wir ins Gasthaus „Igel" gingen, war er äußerst
einsilbig und tief verstimmt. Er ging, wie es schien, sehr schwer, die Beine
schlotterten, er war offenbar sehr schwach und hielt sich nur mühsam aufrecht.
Er erzählte, daß seine „Vier ernsten Gesänge" sehr stark eingeschlagen hät-
ten. 128 Von allen Seiten bekäme er Briefe die Gesänge betreffend. Als ich
meinte, sie seien bei aller Tiefe der Konzeption doch eigentlich einfach und
leicht, sagte er: „Ja, das ist eben das Schwierige dran!"
Ich traf am 16. Oktober Dr. Fellinger, der mir sagte, daß dieser Tage Blut-,
Harn- und andere Untersuchungen bei Brahms gemacht wurden, die nichts
Bedenkliches ergeben haben sollten; wohl keine Krebszellen. Fellinger er-
wähnte bei dieser Gelegenheit, daß Dr. Fröschl, sein Hausarzt, im Sommer
gefürchtet hatte, Brahms werde den März nicht mehr erleben. Jetzt massiere
ihn Dr. Fröschl und hege wieder Hoffnung. Ob nicht heimlich doch etwas
Bedrohliches hinter der Krankheit steckt, ist nicht ausgeschlossen, da die Ab-
magerung nicht weichen will. Fellinger meinte: „Nun, vielleicht täuschen sich
die Ärzte doch noch." Er weiß also wohl, daß Dr. Fröschls Hoffnung nicht
allzu groß ist.
Mit Brahms, Simrock und anderen Freunden war ich am 20. Oktober bei
Faber eingeladen. Über Brahms, der eigentlich recht lustig war, erfuhr ich
nicht viel Gutes. Dr. Fröschl will gerade den günstigen Resultaten der Unter-
suchung nicht trauen und soll Schlimmes befürchten. Professor Dr. Toelg ist
fürs Operieren, „wenn es noch Zeit ist". Kurz, es scheint nicht gut zu stehen.
128 Die Uraufführung der „Vier ernsten Gesänge" fand am 30. Oktober 1396
durch Felix von Kraus im Wiener Tonkünstlerverein statt. Brahms meinte also
nicht die Aufführung des op. 121, sondern die Zustimmung, die durch das Erscheinen
des Druckes erfolgte.
113
Brahms aß jedoch mit sehr gutem Appetit, war guter Dinge und machte aller-
lei Witze. Nach dem Speisen schlief er etliche Male sitzend ein. (Anhang 79)
Ich traf Brahms wieder am 22. Oktober in der Karlsgasse. Er war sehr auf-
geräumt und schien mir viel wohler. Ich bildete mir auch ein, daß er etwas bes-
ser aussieht. Als ich dies ihm gegenüber erwähnte, meinte er: „Ja, ich nehme
entschieden zu. 129 Ich merke es. Aber ich fresse ja auch! Habe riesigen Appetit,
kann essen, was ich will, nur leider kein Gullasch. Um besser schlafen zu
können, hat mir Dr. Fröschl Champagner verordnet. Da trinke ich jeden
Abend eine halbe Flasche. Simrock hat mich mit kleinen Flaschen versorgt,
und zwar reichlich! Ich befinde mich auch sehr wohl, ich bin kerngesund.
Ob ich etwas gelb bin, ist mir Wurst." Bei diesen Worten schlug er auf den
Tisch, daß Gläser und Geschirr wackelten. Dann zeigte mir Brahms ein Ver-
zeichnis mit der Anzahl der Aufführungen seiner Kompositionen in England,
in populären Konzerten. Er sprach darüber, wie lange es dauerte, bis seine
Musik dort populär wurde. Jedes Stück gelangte erst ca. acht bis zehn Jahre
nach seinem Erscheinen in ein Programm, dann freilich hielten sie sich und
kehrten auch immer wieder im Repertoire. „Joachim war ja ehemals auch so
vorsichtig! Er kannte die Sextette, Quartette und dergleichen, spielte sie
gerne, liebte sie sehr, meinte aber immer, er wolle es nicht riskieren sie in
England zu spielen." — Später zeigte mir Brahms ein bisher ganz unbekann-
tes Skizzenbuch Beethovens mit Skizzen zur IX. Symphonie, soviel ich sah,
meistens den ersten Satz betreffend, aber auch die Variationen und Stücke
des Scherzos. Beethoven scheint das Buch auch bei der Vollendung des Werkes
zur Hand gehabt zu haben, da manches ganz ins Detail geht und auch Instru-
mentations-Einzelheiten durchgearbeitet erscheinen. Der Besitzer des Skizzen-
buches ist Brahms' Freund Professor Engelmann in Utrecht, der bekannte
Physiologe.
Brahms kam dann auf mein Bruckner-Feuilleton zu sprechen und sagte:
„Was mich besonders freute, waren eine Menge neuer Gedanken, anscheinend
lauter Sachen, die auf der Straße liegen, und die ich doch auch hätte wissen
müssen, die mir aber nicht einfielen. Dabei wurde mir auch klar, warum mir
Brückners Kirchensachen keinen rechten Eindruck machen. Es ist so nichts
Menschliches darin! Lauter Äußerlichkeiten!"
30. Oktober. Gestern abend begegnete mir Brüll mit Frau und meinte,
daß er Brahms viel besser aussehend fände.
Am 31. Oktober war ich morgens bei Brahms. Er war sehr lustig, gab mir
Rheinwein zu trinken und war darüber vergnügt, daß der gestrige Abend
im Tonkünstlerverein — der erste, bei dem Brahms nicht anwesend war und
bei dem unter anderem seine „Vier ernsten Gesänge" von Dr. Felix von Kraus
129 Diese Täuschung wurde dadurch erzielt, daß Frau Truxa, Brahms' Hauswirtin,
ihm heimlich die Kleider enger machte, vgl. Kalbeck IV, S. 481.
114
zum ersten Male herrlich vorgetragen worden waren — so schön ausgefallen
wäre. Brahms' Aussehen fand ich, entgegen den guten Nachrichten nicht ver-
ändert, der Gang war allenfalls etwas fester und sicherer.
12. November. Bei Brahms und mit ihm dann von seiner Wohnung aus
ins Kaiserbad gegangen, wo er von Dr. Fröschl massiert wurde. Er war be-
reits wieder grob und bissig, was mir auch dieser Tage Röntgen, Door und
Kalbeck bestätigten. Ein gutes Zeichen. Vormittags behauptete er, daß es
eine Eselei vom Arzt sei, ihn besser zu finden. Er wüßte das selbst am besten.
Er sähe doch, daß die Sache seit vier Monaten nicht vorwärts gehe. Als ich
meinte, er sähe besser aus und alle Welt finde das, sagte er grob: „Na, wenn
Ihr alle es findet, dann weiß ich's eben nicht! Habe überhaupt nichts gesagt!
Rede nichts mehr darüber!" Erst nach einigen Minuten fing er wieder zu spre-
chen an. Darüber, daß er wieder essen könne, soviel und was er wolle, war
er sehr vergnügt. Er meinte: „Ich nähere mich jetzt wieder dem Rundbogen-
stil!" Dabei klopfte er auf seinen immer noch ansehnlichen Bauch.
Abends war Konzert von Messchaert und Röntgen; Kalbecks, wir, Door
und Mandyczewski waren nach dem Konzert mit den beiden Herren im
Gasthaus. Brahms fehlte sehr. Röntgen sprach ein paar Worte und ließ ihn
hoch leben. Dann erzählte Mandyczewski eine überaus lustige Geschichte von
ihm und den beiden Pianisten Thern. Brahms hatte mit ihnen stets freund-
schaftlich verkehrt, bis er einmal — das ganze spielte vor Jahren, als Brahms
noch fleißig Konzertreisen unternahm — bemerkte, daß die Brüder Thern
pikiert waren. Hinterher erfuhr er zu seinem größten Gaudium, daß es da-
mit folgende Bewandtnis hatte: Die Therns hatten in einer Stadt in der
Schweiz konzertiert und ein Chopinsches Stück — die f-Moll-Etüde in Ter-
zen und Sexten auf zwei Klaviere verteilt gespielt. Die Brüder fanden leb-
haften Beifall dafür. Am folgenden Tage konzertierten Brahms und Joachim
in derselben Stadt mit kolossalem Erfolg, so daß Brahms etwas zugeben
mußte. Da fiel ihm ein, daß er dieselbe Etüde — er hatte keine Ahnung,
daß die Therns dieses Stück tags zuvor gespielt hatten — allein, ebenfalls in
Terzen und Sexten spielen könne. Er tat es und ein Sturm von Beifall brach
los. Das nun trugen ihm die Therns nach. (Anhang 80)
Mit Röntgen war Brahms vormittags grob, weil er mit Messchaert eine An-
zahl Lieder aus dem Schubertschen „Schwanengesang" gesungen hatte. Er be-
hauptete, daß dies alles nicht zusammen gehöre und daß es Fexerei sei, es
zusammen aufzuführen. Als Röntgen meinte, Stockhausen habe das auch so
gemacht, sagte er: „Na, auf Stockhausen hatte ich wenig Einfluß und ich war
immer gegen derlei. Aber wenn Sie's besser wissen, dann ist's ja gut!" Mandy-
czewski behauptete übrigens, daß aus dem Manuskript hervorginge, Schu-
bert hätte die Lieder als zusammengehörig betrachtet.
20. November. Morgens war ich mit meiner Frau bei Brahms. Er war sehr
115
lustig. Zuerst war Hugo Conrat da, später kam Lipiner. Dieser klärte
Brahms darüber auf, warum er am Vortage von Lipiners Stubenmädchen ab-
gewiesen worden war. Es war nämlich kurz vorher ein zudringlicher, elegan-
ter Fechtbruder bei Frau Lipiner gewesen, der kaum wieder weiterzubringen
gewesen war. Lipiner hatte hierauf sein Stubenmädchen angewiesen, in Zu-
kunft strenger und vorsichtiger zu sein. Der Erste, der dann abgewiesen wurde,
war — Brahms. Wir alle lachten sehr und Brahms erzählte eine heitere Ge-
schichte aus der Schumanrischen Zeit. Frau Schumann kam einmal ganz ver-
ängstigt zu Schumann und sagte, draußen stünde ein riesengroßer Kerl mit
einem Knotenstock und wünschte mit ihm zu sprechen. Frau Clara bat ihren
Mann, den Fremden nicht zu empfangen. Schumann jedoch meinte, er sei
doch auch ein starker Mann und könnte sich eventuell wehren. Sie möge ihn
nur hereinlassen. Nachdem Schumann und der Fremde sich längere Zeit ganz
ausgezeichnet unterhalten hatten, kam Schumann und fragte seine Frau, ob
sie nicht auch den großen Mann kennenlernen wollte. Es war — Hoffmann
von Fallersleben!
4. Dezember. Abends mit Brahms, Joachim und anderen Freunden in der
„Goldenen Kugel" am Hof. Ein langweiliger Abend. Brahms hatte eine blu-
tige Nase, offenbar infolge eines Sturzes. Fragen konnte man ihn aber nicht,
da er alles krumm nahm. Schon seit einigen Tagen ist er überaus grantig. Er
soll Schmerzen im Kreuz und Rücken haben. (Anhang 81)
Auf das Programm des im Jänner stattfindenden Konzertes von Joachim
nahm Brahms starken Einfluß. Er fand, daß viel zu lange Stücke nachein-
ander angesetzt worden waren und verlangte, daß dies geändert würde. Es
wurde auch gemacht, wie er sagte.
Am 7. Dezember waren Brahms, Mandyczewski und wir bei Hugo Conrat
zu Tisch geladen. Brahms war sehr ernst. Es ging ihm seit einigen Tagen
sehr schlecht. Als er sich zu Tisch niedersetzte, sagte er zu meiner Frau: „Wenn
Sie wüßten, wie elend mir ist!" Dann wurde er aber wieder aufgeräumt,
machte Witze, war sozusagen heiter. Sein Aussehen ist eigentlich schrecklich,
er ist fast efeugrün im Gesicht. Einen guten Spaß erzählte er von Bernays.
Dieser ging mit einigen seiner Schüler in München auf der Straße, als ihnen
Paul Heyse entgegenkam. Bernays sagte: „Das ist Paul Heyse, den sie aus
meinen Vorträgen kennen!"
Brahms sandte heute an Klaus Groth nach Kiel ein Paket Schriften, ent-
haltend „ein großes Manuskript Lebenserinnerungen". Groth hatte sie ihm
im Original zur Durchsicht eingesandt. 130 An Simrock schickte er gleichzeitig
130 „Musikalische Erlebnisse" und „Erinnerungen an Brahms" erschienen in der
Zeitschrift Gegenwart Nr. 44 — 47/1897, wieder abgedruckt bei Miesner: Klaus Groth
und die Musik, Heide 1933. Hiernach ist auch der unter Nr. 83 aufgeführte Brief
116
die Korrektur der zweiten Ausgabe seiner „Vier ernsten Gesänge" für Alt-
stimme. 131 Von allerhand Komponisten war die Rede und von der sogenann-
ten „Unsterblichkeit". „Ja, die Unsterblichkeit ist bei den meisten ganz
kurz! Ein paar Jahre höchstens — !* Brahms erzählte von einer Dame, die
sich ihm einmal mit den Worten „Gestatten Sie einer Sterblichen, sich einem
Unsterblichen vorzustellen" vorstellte: „Na, ich habe ihr dann keine Gele-
genheit mehr gegeben, mit dem ,Unsterblichen e auch nur drei Worte zu
sprechen!"
Brahms' Nase sah noch immer sehr wüst aus. Er ist, wie er erzählte, über
die Schutzeisen bei den Rasenplätzen auf der Ringstraße gefallen. Er will
auf der Straße absolut kein Glas tragen und sieht eben sehr schlecht. Er
macht jetzt oft recht melancholische Bemerkungen. Heute sagte er, Pergers
Programme kritisierend, daß dieser halt immer eines der berühmten Oratorien
hernähme. „Die paar von Bach, Haydn etc., und nächstes Jahr wird er mein
Requiem machen — oder noch früher." 132 Als später von einer Angelegen-
heit die Rede war, die in einem Jahr stattfinden sollte, sagte er: „Wer weiß,
was jetzt über's Jahr sein wird!" und machte ein sehr , eigentümliches Gesicht
dazu.
Seit ein paar Tagen trinkt Brahms wieder Karlsbader Wasser, das ihm
Dr. Fröschl verordnete. „Ich halt's für Kinderei", sagte er nur.
Über das Duzen sprach Brahms längere Zeit: „Ich tu's nicht gern. In frü-
heren Jahren, wenn bei einer Kneiperei so etwas passierte, war's mir fatal
genug. Man sollte da immer sagen: Reden wir morgen darüber. Leider fallt
einem das aber nicht ein. Nottebohm hat dort oder da in der Besoffenheit
sich mit einem verbrüdert, am anderen Tage war er. sehr beleidigt, wenn
ihn der Betreffende mit ,Du c ansprach." —
Von einem neuen Buch über den Krieg schwärmte Brahms sehr. „Es ist
von ersten Leuten geschrieben, alles wird mit Schlagworten abgehandelt,
meist nach den Erfahrungen des 70er Krieges. Schlagworte wie: Batterie,
Frontoffizier etc. Und so geht es fort." Auch über die soziale Bedeutung
des Krieges ist dieses Buch voll interessanter Sachen. Brahms interessiert sich
für alles. — Dr. Münz von der „Neuen Freien Presse" war auch unter den
Gästen und beklagte sich Frau Conrat gegenüber, daß diese sein Buch über
von Brahms an Groth bei Pauls: Briefe der Freundschaft Brahms — Groth, Heide
1956, auf den 7. Dezember 1896 zu datieren.
131 Die erste Ausgabe der „Vier ernsten Gesänge" erschien im Juli 1896 noch
ohne englischen Text. Die zweite Auflage in der Originalausgabe folgte mit
englischem Text und erst danach erschienen Ende 1896 die Ausgaben für Alt oder
Bariton und für Sopran oder Tenor.
1W In einer Trauerfeier für Brahms wurde sein Requiem am 11. April 1897 in
einem Gesellschaftskonzert durch Richard v. Perger aufgeführt.
117
den Geschichtsschreiber Gregorovius, welches sie seit einem Monat besäße,
noch nicht einmal aufgeschnitten hätte. Da gab Brahms die Geschichte zum
besten, daß vor langen Jahren, als er in Göttingen weilte, Bettina v. Arnim
ihm und Joachim sämtliche Werke Achim von Arnims in der ersten Ausgabe
schenkte. Als Bettina ein paar Jahre später nach Göttingen kam, sah sie alle
Bände noch unaufgeschnitten am selben Platz stehen und machte Glossen
darüber. Brahms sagte: „Und wir hatten dabei nicht einmal die Ausrede,
daß wir schon früher alles von Arnim gekannt hätten!" 133
Am 15. Dezember war ich wieder bei Brahms. Er hatte auf dem Divan
ein wenig geruht, war unsäglich müde und ächzte fortwährend: „Na, ich
bin halt jetzt ein Mensch, den das Leben nicht mehr freut!" Als ich abwehrte,
meinte er: „Nun, wenn ich nicht grantig sein soll, dann weiß ich auch nicht
wer Grund dazu hat!" Er erzählte, daß er gut schlafe und das Essen das
einzige sei, was ihn noch freute. Beim Gehen war Brahms sehr matt. Jeder
Schritt schien ihm weh zu tun, er fühlte sich offenbar entsetzlich schlecht.
Brahms zeigte mir mit großem Entzücken den dicken Band herrlicher
Klingerscher Radierungen „Eine Brahms Phantasie" 134 , dann ein neues Buch
von J. V. Widmann und ein Buch über den Feldzug von 1870/71.
Als die Rede auf Richard Strauß' „Zarathustra" kam, sagte er: „Haben
Sie den Schluß gesehen? H-Dur und C-Dur zugleich! Ich hätte nichts dagegen,
wenn in jeder der Tonarten etwas vorgekommen wäre, was einen nicht mehr
ausläßt, wo diese Zusammenstellung sich einem wie von selbst aufdrängt. —
Aber so!?"
Über das Buch von Widmann sagte er: „,Maikäferkomödie' heißt es, behan-
delt aber die menschliche Komödie im heiteren Gewände, sehr ernst und
sehr bedeutend! . . . Wenn der Maikäfer zum ersten Male ans Tageslicht
kommt, glaubt er wohl auch, daß er plötzlich im Himmel ist."
Ich ging dann mit Brahms im Stadtpark spazieren. Er lobte das Zöglings-
Orchester der Berliner Hochschule für Musik, weil die Bläser um so vieles
besser seien als hier. „Man kann gar nicht besser musizieren, als das dort
die jungen Leute tun. Wie die phrasieren! Unsere haben keine Ahnung da-
von!" Er beklagte sich auch, daß unsere Hornisten nicht auf dem Naturhorn
133 Brahms besaß alle achtzehn Bände der Werke Ludwig Achim von Arnims in
den Ausgaben von 1846 und 1853. Laut eigenhändigem Vermerk in Band 6 hat er die
Bände im September 1854 von Frau von Arnim als Geschenk erhalten. Zu den Bän-
den hat sich Brahms eigene Register angelegt. Die Werke weisen starke Gebrauchs-
spuren auf. Sie befinden sich heute, als Teil der Brahmsschen Bibliothek in den Samm-
lungen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien.
134 Max Klinger widmete Brahms sein Opus XII, eine Folge von 41 Stichen und
Radierungen, Brahms revanchierte sich mit der Widmung der „Vier ernsten Ge-
sänge" op. 121 bei Klinger.
118
lernen. „Das ist das Fundament und sehr wichtig für den Bläser. Joachim
dringt immer darauf, daß zwei Naturhörner im Orchester sind." Als ich
erzählte, daß das Joachim-Quartett kürzlich so herrlich gespielt habe, meinte
er: „Ja, so vollkommen kann ein reisendes Quartett nie sein. Die ,Böhmen e
(das böhmische Streichquartett), wenn sie so gut spielten wie die Joachims,
müßten doch immer darauf bedacht sein, Effekt zu machen, gleich mit dem
ersten Stück die Leute zu gewinnen."
1897
9. Jänner. Morgens bei Brahms. Er war sehr lieb, aber offenbar körperlich
sehr elend. Er meinte, Essen und Schlafen ginge noch, aber er habe jetzt
Schmerzen im Kreuz, im Rücken und in den Kniegelenken. „Das verfluchte
Massieren hat mir offenbar geschadet. Aber jetzt, seitdem ich nicht mehr
massiert werde, ist's besser. Karlsbader Wasser trinke ich auch nicht mehr!"
(Anhang 82)
Am 21. Jänner waren Brahms und ich bei Faber eingeladen.. Als dieser
Brahms zutrank mit den Worten „Sollst lange leben!", zog Brahms halb
lustig und halb melancholisch sein Glas weg und sagte behaglich: „Darauf
trinke ich nicht. Da muß Dir schon was Gescheiteres einfallen! — Lange
leben! — "
Am 27. Jänner mit Dumba, Conrat und Brahms bei Dr. von Miller zu
Aichholz. Wir berieten die Mandyczewski-Feier, die anläßlich der Ernennung
Mandyczewskis zum Doktor der Universität Leipzig stattfinden sollte.
Brahms war sehr nett. Die Ärzte wollen ihn jetzt operieren, man vermutet,
daß er große Gallensteine in der Gallenblase habe, die nicht durch den
Gallengang abgehen können. Er wurde von einem Utrechter Arzt untersucht,
der sich sehr pessimistisch ausgesprochen haben soll.
In dieser Zeit war ich etwa jeden dritten Tag mit Brahms zusammen. Man
bildet sich offenbar ein, daß er manchmal besser aussieht. Dann aber bemerkt
man, daß er kaum gehen kann und daß ihm das Aufstehen unendlich schwer-
fällt. Wenn er mir jetzt etwas zeigen will, sagt er immer: „Gehen Sie, neh-
men Sie das Buch dort" oder „das Bild"!
Am 5. Februar holte ich Brahms zuhause ab und ging mit ihm zu Frau
Billroth, wo wir zum Speisen geladen waren. Er war sehr lustig, bewegte
sich aber schwer. Als er mir eine Zigarre gab, sagte er: „Dort in der metal-
lenen Kassette liegen die feinen Zigaretten, nehmen Sie! Oder nehmen Sie
Zigarren! Verzeihen Sie, daß ich so wenig gastfreundlich bin und nicht
selbst gehe, aber ich bewege mich so schwer!" Wir gingen langsam, sehr
119
langsam zu Frau Billroth. Von der Karlsgasse bis zur Reichsratstraße fast
V4 Stunden. Kalbeck, der auch anwesend war, sagte mir übrigens, daß Dr.
Breuer, der Brahms dieser Tage untersucht hatte, jede Auskunft über dessen
Befinden verweigere. „Fragen Sie mich nicht", sagte er. Es muß sehr schlecht
stehen. Brahms gegenüber hat sich Dr. Breuer, wie mir Hanslick sagte, sehr
hoffnungsvoll ausgesprochen, weshalb Brahms heiter und aufgeräumt ist.
Er war bei Billroths reizend und erzählte allerlei, unter anderem, daß er
vor Jahren, als er nach Wien kam, zum ersten Male Manuskripte großer
Meister gesehen hätte. „Ich hatte nie daran gedacht, daß die Leute das alles
geschrieben haben und als ich dann hier so viele Schubertsche und Beethoven-
sche Handschriften sah, wurde mir ganz unheimlich zumute." Es wurde
hierauf viel über Schubert gesprochen. Als ein Herr der Gesellschaft meinte,
die Technik bei Schubert sei nicht immer auf der Höhe, sagte Brahms:
„Sagen Sie das nicht! Er hat so viel unendlich Vollkommenes! Ich glaube,
die meisten Leute zweifeln an der Technik Schuberts, weil es bekannt ist,
daß er leicht schrieb. Na, der eine schreibt schwer, dem andern wird's leicht!
Und auch Schubert hat sich gehörig geplagt."
Bei Tisch bediente Brahms Frau Billroth. Er war auffallend nett zu ihr.
Ich glaube, er hat da manches gutzumachen. Der herrliche Rheinwein, Stein-
berger Kabinett, der noch aus Prof. Billroths Keller stammt, schmeckte ihm
famos. Er bemerkte nicht, daß ich mit dem größten Entzücken diesen Wein
trank. Als er mein momentan leeres Glas sah, meinte er: „Und der läßt sein
Glas leer, wenn ein solcher Wein neben ihm steht! Den müssen Sie doch
kosten!" Als Elsa Billroth ihm dann unter großer Heiterkeit mitteilte, daß ich
ja bei jedem Glase den Wein gelobt hätte, sagte er: „Na, das will ich mei-
nen."
Von Bachs Leichtigkeit bei der Arbeit sprach Brahms unter anderem. „Wir
haben doch den Band Autographen im Nachdruck bei Breitkopf erhalten!
Man sieht da, wie Bach arbeitete. Die kompliziertesten Sachen, bei denen
selbst Mozart (!) hätte gewaltig nachdenken müssen, schrieb er hin, wie einen
Brief, und änderte daran, wenn er sah: so geht's nicht fort!"
Meine Frau hörte am 8. Februar von Frau Conrat, daß Brahms Krebs in
der Darmspeicheldrüse habe. Sie wisse dies schon seit längerer Zeit von den
Ärzten. Brahms ist hier und da ernst, aber dann wieder zuversichtlich wie
ein Kind. Oft redet er von dem „bißchen Gelbsucht". Zuweilen allerdings
leidet er und sagt: „Na, wenn's nur schon aus wäre!" Dann aber spricht er
gleich wieder vom Sommer, von Ischl und dergleichen. Kürzlich sagte er:
„Nach Karlsbad gehe ich nicht wieder! Auch wenn die Doktoren es wollen.
Ich glaube, man schickt die Leute dorthin, weil man sich der Patienten nicht
sicher glaubt. Ich folge aber, ich bin ein guter Patient! Mir taugt die Karls-
bader Kur hier so gut wie in Karlsbad."
120
12. Februar. Mit Brahms, Mandyczewski, von Perger und anderen bei
Conrat. Brahms war sehr munter und aufgeräumt. Als von allerlei Komposi-
tionen, Oratorien und dergleichen die Rede war, in denen Christus vorkommt,
meinte Brahms: „In den schwächeren Kompositionen — Christus am ölberge
von Beethoven und anderen — ist Christus immer Tenor. In den Besseren
— Bachpassionen — überall Baß, ein Mann" Als das Gespräch auf Paul
Heyse kam und Dr. Münz meinte, Heyse schriebe viel und dementsprechend
seicht, sagte Brahms: „Ja, so redet Ihr Wiener Journalisten/
Dieser Tage sagte mir Brahms: „Ich merke, daß ich immer matter werde und
mein Zustand sich immer verschlechtert. Aber das Essen und Trinken schmeckt
mir und so lange das geht, esse und trinke ich fort! Sehe ich, daß es nicht
mehr geht, dann wandere ich ins Rudolfinerhaus." 135 Man hatte Brahms zu-
geredet, dies zu tun.
Vor einigen Tagen war Koeßler aus Budapest bei Brahms, der gerade von
unserem gemeinsamen Diner bei Conrat nach Hause gekommen und sehr
müde war. Er flehte Koeßler geradezu an, nicht böse zu sein und fortzu-
gehen, er könnte nicht mehr wach bleiben, müßte schlafen. Aber er möchte
bestimmt in einer Stunde wiederkommen. Als Koeßler dann kam war Brahms
aufgeräumt und lieb wie immer.
Am 14. Februar fand ein solennes Mittagessen bei Dumba zu Ehren Mandy-
czewskis statt. Brahms war auch anwesend. Dumba toastete auf Mandy-
czewski, Mandyczewski ließ Brahms leben, sprach sehr hübsch und dankte
Dumba dafür, daß er seiner, des „stillen, unermüdlichen Arbeiters" gedacht
habe und fügte hinzu, daß er und wir Jüngeren alle ein so herrliches Beispiel
stiller, treuer, künstlerischer Arbeit tagtäglich vor uns hätten: „Gott erhalte
noch lange Johannes Brahms!" Letzterer schaute Mandyczewski wehmütig
an, er war wieder sehr lieb und weich. Seit einigen Tagen trinkt er Jodwas-
ser. Er sagt, es greife ihn sehr an. Wo er nun einen Stuhl sieht, setzt er sich
nieder. Er muß unendlich matt sein. Ich war mit ihm zu dem Diner gegan-
gen und hatte ihn beobachtet. Brahms nahm es nicht übel auf, daß Dumba
ihm im Flur seines Hauses Sesselträger bestellt hatte; er ließ sich recht gern
in den ersten Stock tragen.
17. Februar. Mandyczewski, der mittags mit Brahms bei Viktor von Miller
zu Aichholz gewesen war, sagte mir, Brahms sei nach dem Essen sehr elend
gewesen, so daß er bat, man möge anspannen und ihn mit der Equipage nach
Hause bringen lassen.
Am 19. Februar war Mandyczewski bei Brahms. Als er ihn fragte: „Wie
geht es Ihnen?" erwiderte Brahms: „Na, jeden Tag immer ein bißchen schlech-
ter." — Wie ich hörte, hat der Chirurg Professor Gersuny Brahms den Ge-
135 Bedeutendes Krankenhaus in Wien, heute Rudolfs-Spital.
121
danken an das Rudolf inerhaus beigebracht. Er sagte, -es wäre gut, wenn er
sich eine Zeitlang niederlegen und seinen Zustand genau beobachten lassen
würde. Dies ginge eben am leichtesten, wenn er im Rudolfinerhause wäre.
Brahms ging darauf ein. (Anhang 83)
21. Februar. Vormittags bei Brahms. Ich hatte schon von Frau von Miller
gehört, daß Brahms seit einigen Tagen einen schiefen Mund habe — also auf
einer Seite gelähmt sei. So arg hatte ich es mir jedoch nicht vorgestellt. Sein
Mund hing schlaff weit nach rechts herab. Die ganze linke Gesichtshälfte ist .
starr, das Auge eigentümlich unbeweglich, das Sprechen ist ihm erschwert.
Er sagte, ohne daß ich auf seinen Zustand eine Anspielung gemacht hatte:
„Da sehen Sie! Da habe ich jetzt so einen Gesichtsrheumatismus bekommen!
Recht überflüssig! Mit dem habe ich wieder ein paar Wochen zu tun! Das
habe ich vom offenen Fenster!" Dabei zeigte er auf das Fenster in seinem
Schlafzimmer, das zum ersten Mal in den langen Jahren, die ich zu Brahms
komme, geschlossen war. Hierauf ging der Meister mit Hanslick und mir zu
Dr. Fellinger, um dort zu speisen. Wir gingen den weiten Weg zu Fuß.
22. Februar. Mittags mit Brahms bei Conrat. Er war munter, so weit es
sein elender Zustand erlaubte. Sein schiefes Gesicht ist schrecklich anzusehen
und diese Magerkeit! Dabei hatte er Appetit, alles schmeckt ihm. Austern,
feine Weine etc., genoß er mit höchstem Behagen, schier mit Heißhunger!
Brahms hat das gestrige philharmonische Konzert mit Berlioz „Sympho-
nie Phantastique" nicht besucht. Er sagte: „Ich höre von allen Seiten, daß es
gräßlich war. Und ich bin gewiß der Letzte, der die Leute auffordert auf
Berlioz zu schimpfen. Seine Instrumentationskunst ist doch etwas Merkwürdi-
ges! Und alles lange vor Wagner und Liszt! Trotzdem wird man seine Leich-
name nicht lebendig machen können."
Auf Richard von Perger ist Brahms böse. „Ich bin fertig mit Perger", sagte
er. Weil Perger nun Dvoraks Oratorium „Die heilige Ludmilla" doch nicht
vollständig aufführt, war Dvorak in Wien, um mit Perger zu sprechen.
Brahms erklärte: „Ludmilla würde ich lieber gar nicht machen! Es ist eine
Gelegenheitsarbeit für ein englisches Musikfest und schwach. Macht man schon
etwas von Dvorak, so eines seiner Werke, die ihm gehören. Sein ,Stabat
mater' oder dergleichen. Aber nichts von den englischen Gelegenheitsarbei-
ten!"
24. Februar. Gesellschaft bei Lobmayr, einem österreichischen Herren-
hausmitglied. Der Medailleur Scharff erzählte, daß der Radierer Unger aus
England den Auftrag erhalten habe, Brahms zu radieren. Er erbat sich von
Brahms Sitzungen, der ihm darauf ganz lustig antwortete, daß er ihm, sobald
sein „bißchen Gelbsucht" vorüber sein werde, gerne sitzen wolle. Unger kauft
nun alle möglichen Brahmsbilder zusammen, da er meint, daß Brahms jetzt
nach der Natur nicht zu porträtieren sei.
122
5. März. Ich war mit Brahms und Marie Schumann bei Faber zum Essen
geladen. Als ich Marie Schumann zum ersten Mal sah, glaubte ich Robert
Schumann vor mir zu haben, so ähnlich ist sie ihrem Vater. Sie muß in ihrer
Jugend sehr schön gewesen sein. Brahms war sehr schwach. Nach dem Essen
wurde ihm — wie seit einiger Zeit öfter — recht schlecht. „Die Verdauung
muß nicht in Ordnung sein", meinte er.
Brahms sprach ausführlich über Musikfeste. Er meinte, sie seien jetzt über-
flüssig, da man überall große Orchester und Chöre habe und man daher
alles und jedes in seiner eigenen Stadt genießen könne.
Nach der Gesellschaft fuhren wir drei (Brahms, Faber und ich) in die
Rohrerhütte, einem beliebten Wiener Ausflugsort, doch der Meister war recht
einsilbig.
Am 7. März ging Brahms mit Perger, zur Aufführung seiner vierten Sym-
phonie im philharmonischen Konzert, in die Loge der Gesellschaftsdirekto-
ren. Ich traf die beiden am Fuß der Treppe. Perger eilte etwas rascher vor-
aus, worauf Brahms sagte: „Hüpfen Sie nur voraus hinauf, Sie Jüngling! —
Ja, ja, mit mir gehts zu Ende!" Als Perger widersprechen wollte, sagte Brahms
heftig: „Schwätzen Sie nicht! Ich bin kein altes Weib!" Bei der Aufführung
seiner e-Moll-Symphonie hielt Brahms bis zum Ende aus und wurde vom
Publikum enthusiastisch gefeiert. Er dankte wehmütig aus der Loge herab.
Es war sein letztes Konzert! ...
Mit Brahms im Wagen, den Faber zur Verfügung gestellt hatte, machten
wir im Prater am 13, März eine Spazierfahrt, um dann zum Speisen wieder
bei Faber zu sein. Als ich Brahms zur Ausfahrt abholte, war Reinecke mit
Frau und Kalbeck bei ihm. Ich erwähnte später im Gespräch, Reinecke sei
noch sehr frisch, aber Brahms erwiderte: „So war er auch schon vor zwan-
zig Jahren! Um diese Frische beneide ich ihn nicht!" Im Prater stiegen wir für
kurze Zeit aus dem Wagen. Brahms konnte jedoch nur etwa hundert Schritte
weit gehen, dann flüchtete er auf eine Bank. „Genießen wir's lieber in Ruhe!"
meinte er.
20. März. Ich traf Simrock, als er mit Mühlfeld von einem Besuch bei
Brahms kam. Er sagte von Schmerz bewegt, daß es mit Brahms nicht mehr
lange dauern werde. Mühlfeld, der Brahms seit dem Mai vorigen Jahres nicht
gesehen hatte, war entsetzt über dessen Aussehen.
22. März. Bei Brahms. (Nachträglich eingefügt: „Zum letzten Male.") Ich
verabschiedete mich von ihm, ehe ich nach Leipzig fuhr, wo ich in Theater-
Angelegenheiten zu tun hatte. Brahms war sehr matt und miserabel, hatte
auch im Sprechen etwas Unsicheres, Verträumtes, fragte plötzlich: „Ist denn
jetzt Nachmittag?" — es war aber früher Vormittag. Dann aber raffte er
sich wieder auf und war ganz wie sonst. Als ich ihm erzählte, daß ich vor
123
kurzem ein paar Tage krank im Bett war, sagte er: „Ich war keinen einzigen
Tag meines Lebens im Bett!"
31. März. Als ich aus Leipzig zurückkam erfuhr ich, daß Brahms im
Bett liege. Mandyczewski sagte mir, daß er gestern mit Brahms gesprochen
habe und ihm bei der Abfassung eines Telegramms an den Herzog von
Meiningen, zu dessen Geburtstag am 2. April behilflich war. Brahms habe
bei dieser Beratung nur immer zwei, drei Worte gesprochen und sich dann
immer wieder längere Zeit ausgeruht. Er war am 25. März zum letzten Mal
auf, hatte Miller zu Aichholz besucht, wo er sich auch für die nächsten drei
Tage eingeladen hatte. Er sagte jedoch am 26. März ab, da er morgens nach
dem Aufstehen einen starken, blutigen Durchfall bekam. Seitdem leidet er
oft darunter. Seine Schwäche ist deshalb außerordentlich groß. Er erzählte
Mandyczewski, daß ihm Dr. Breuer, der ihn klugerweise darauf vorbereitet
hatte, schon vor einiger Zeit gesagt habe, daß diese Schwäche kommen müsse,
ja, vor ein paar Monaten schon hätte da sein müssen, wie eine Art Über-
gang zur Gesundheit. Dann erst könne die Gelbsucht geheilt werden. Er
glaubt alles!
Da dieser Tage der Besuch der Berliner Philharmoniker in Aussicht stand,
bat Brahms, man möge allenfalls Nikisch oder Weingartner auf ein paar
Minuten zu ihm lassen, aber ja keine Deputation, da er eine solche nicht
abweisen wolle, aber keinesfalls empfangen könne. 138
Als ich mit Hanslick und Kalbeck in Brahms Wohnung war, schlief er.
Wir betraten das Zimmer nicht. Frau Truxa, die ihn pflegt, sagte, daß
heute zum ersten Mal in der Nacht eine Wärterin da sein werde. Brahms
wollte anfangs nichts davon wissen, erst als Frau Truxa erklärte, daß sie
es dann gern selbst übernehmen wolle, auch nachts anwesend zu sein, willigte
er ein.
Er sieht noch jeden Tag die Liste der Besucher durch oder läßt sie sich
vorlesen, aber fast alles ohne Teilnahme. Zeitungen läßt er sich geben,
blättert darin, ohne allerdings richtig zu lesen. Eine, seine heftige, aber keines-
wegs bedeutende Erkrankung betreffende Notiz, die Faber in die Zeitschrift
„Reichswehr" gegeben hatte und dann Brahms in die Hände gespielt wurde,
nahm er freundlich auf. Heute soll er etwas frischer sein und auch einzelne
Worte reden. Dr. von Miller zu Aichholz ist täglich zwei- bis dreimal bei
ihm und sendet ihm von Hause aus sämtliche Speisen. 137
136 Das Gastspiel der Berliner Philharmoniker in Wien vom 5. bis 10. April 1897,
war die letzte Angelegenheit, mit der sich Brahms beschäftigte. Das erste Konzert
am 5. April begann mit der „Tragischen Ouvertüre" zum Gedenken an Brahms.
Nikisch und Weingartner sahen Brahms nicht mehr lebend. Siehe auch Gutmann:
Aus dem Wiener Musikleben, Wien 1914, S. 38 ff.
137 Als ein solches Zeichen der rührenden Besorgnis der Familie Miller hat sich eine
Visitenkarte von Frau Olga von Miller zu Aichholz vom 6. März 1897 erhalten:
124
1. April. Brahms ist sehr schwach, aber er ließ es sich nicht nehmen, bis
ins dritte Zimmer zu gehen, um sich zu waschen. Frau Truxa führte ihn
dabei. Er nennt dies „Waschen mit Polizei-Eskorte*. Wenn er wieder im
Bett liegt, läutet er alle Augenblicke, ohne eigentlichen Zweck.
2. April. Brahms sehr elend und gänzlich apathisch. Dr. Fellinger ging zu
ihm hinein, ich wartete im Vorzimmer. Fellinger merkte, daß Brahms ihn
nicht erkannte und nannte seinen Namen, worauf Brahms kaum verständ-
lich lispelte: „So, so! Fellinger!" und dessen Hand nahm und sie strei-
chelte . . . Brahms hat, seitdem er liegt, keine Schmerzen. Als er noch auf-
stand, hatte er allerdings heftige Schmerzen, was er jedoch nur ungern zugab.
Dr. Breuer sagte, daß Brahms noch acht bis vierzehn Tage leben könne,
wenn keine erneute Blutung eintrete. Heute früh nun trat eine solche wieder
ein! Dr. Breuer bat Fellinger, Professor Nothnagel zu einem heute statt-
findenden Konsilium zu rufen. Das Ganze ist jedoch nur wegen der Öffent-
lichkeit und im Wesentlichen ganz gleichgültig.
Gestern abend brachte Frau Truxa Brahms bei, daß er sich im Schlaf-
zimmer waschen solle. Da sagte er: „Da wollen Sie mich am Ende waschen?
Ich bin kein kleines Kind!", und war ordentlich böse. Als Frau Truxa
entgegnete: „Aber Herr Doktor, so erlauben Sie mir doch, den Waschtisch
herüberzustellen, damit Sie nicht so weit zu gehen brauchen", meinte Brahms
gemütlich: „Sie sind eine gescheite Frau, mit Ihnen kann man verhandeln!"
— Nach der Ansicht von Frau Truxa zählt Brahms Leben nur noch Stunden.
3. April. Um Vs 9 Uhr früh starb Johannes Brahms.
Frau Kalbeck, die gerade aus dem Trauerhaus kam, hatte mir die Nach-
richt gebracht.
Nachträglich erfuhr ich, daß Brahms in der letzten Nacht von Dr. Breuer jr.
eine Morphiumspritze bekam, weil er sehr unruhig war und sich fortwährend
im Bett herumwarf.
Am 1. April war Brahms noch verhältnismäßig aufgeräumt. Er berief
Frau Truxa durch Läuten oft zu sich, verlangte dieses und jenes. Als Frau
Truxa ihm einen Löffel voll alten Malaga geben wollte, den Dr. Fellinger
gebracht hatte, sagte Brahms, er wolle diesen erst in Ischl trinken. „Wenn
ich dann wieder zu Kräften kommen soll, wird er mir gut tun." Er hatte
keine Ahnung von seinem nahen Tod.
Das Testament, das erst Hanslick und dann Simrock hatte, fand sich vor,
aber ohne Unterschrift. (Anhang 84)
Bürgermeister Dr. Lueger hat sich anläßlich der Vorbereitung zur Trauer-
feier sehr nett benommen. Er hatte, als Fellinger und Faber bei ihm waren,
„Frau Olga von Miller erlaubt sich, Herrn Dr. Brahms etwas Suppe (Fleischpürree-
suppe) zu senden und bittet Frau Truxa, ihm dieselbe heute Abend zum Nachtmahl
aufwärmen zu wollen.** Original im Besitz des Herausgebers.
125
gleich das Ehrengrab im Tonkünstlerrund des Zentralfriedhofes zugesagt und
den Instanzenweg auf sich genommen. Er und Vizebürgermeisetr Dr. Neu-
mayer waren bei der Trauerfeier in der evangelischen Kirche anwesend. Dr.
v. Miller zu Aichholz und Faber bezahlten das Leichenbegängnis. 188 Bei die-
sem gingen wir vom Trauerhaus zum Musikverein und dann zu Fuß in die
evangelische Kirche. Ich ging abwechselnd mit Dvorak, Mühlfeld und ande-
ren. Brahms* Freund Herzogenberg hatte auch der Trauerfeier beigewohnt,
ebenso der Maler Klinger, was wir aber durch einen sonderbaren Zufall erst
einige Tage später erfuhren. Auf dem Weg von der Friedhofspforte zum
Grab trug ich eines der Windlichter, die den Sarg umgaben. Marie Schumann
war ebenfalls bei der traurigen Feier anwesend. (Anhang 85)
6. Mai. Kalbeck erzählte heute die Geschichte von Klingers Abenteuern
beim Leichenbegängnisse Brahms. Er hat es dieser Tage von ihm selbst ge-
hört. Wir hatten Klinger, den wir erwarteten und gesucht hatten, jedoch nicht
persönlich kannten, bei der Trauerfeier übersehen! Er war aber anwesend. Er
hatte im Hotel Höller in Wien ein Zimmer und einen Kranz bestellt, für den
er 100 Mark angewiesen hatte. Als er ins Hotel kam, war kein Zimmer
bestellt und kein Kranz vorhanden. Das Telegramm war ans Hotel Müller
gegangen. Klinger bestellte einen anderen Kranz und legte ihn auf den Sarg.
In die Kirche konnte Klinger auch nicht, da er keine Eintrittskarte besaß;
sie war nämlich auch ins Hotel Müller gesandt worden. Klinger war wütend
und machte sich wieder reisefertig. Indessen wurde ihm vom Hotel Müller
noch gerade rechtzeitig der Kranz und die Eintrittskarte nachgesandt.
Wieder zurück in Leipzig war Klingers erster Weg aufs Telegraphenamt.
Zufällig war derselbe Beamte wie damals am Schalter. Klinger verlangte
das Telegrammformular, das er damals ausgefüllt hatte, zu sehen. Der
Beamte wurde sehr kleinlaut, suchte und fand endlich das Formular, das er
aber nicht zeigen wollte. Klinger verlangte daraufhin, daß ihm der Beamte
wenigstens den Text vorlese. Nun las dieser: „Hotel Müller*. Klinger bean-
standete das, indem er erklärte, daß er ganz deutlich Hotel Höller geschrieben
habe. Er warf einen Blick auf das Formular und sah eine fremde Schrift:
„Das ist ja gar nicht meine Handschrift!" Darauf erwiderte der Beamte ganz
zaghaft: „Ich bitte mich zu entschuldigen, ich bin Autographensammler!*
Er hatte Klingers Original behalten, eine Abschrift gemacht und dabei das
entscheidende Wort falsch kopiert.
138 Die gesamten Kosten wurden durch die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien
getragen. Siehe Rechenschaftsbericht der Direktion der „Gesellschaft der Musik-
freunde in Wien" für das Verwaltungsjahr 1896/97, Wien 1898, S. 8 und 22. Miller
und Faber beteiligen sich an den Kosten in Form von Spenden. Über den Verlauf
des Begräbnisses berichtet Kalbeck, IV, S. 518 ff. ausführlich.
126
$
^v^g/viw^y
Eine Seite aus Richard Heubergers Tagebudi vom Februar 1898. Der Rätsel-
kanon ist zuerst faksimiliert abgedruckt in: Emil Naumann's „Illustrierte
Musikgeschichte", Band II, vor Seite 1089, erschienen im Verlag W. Spemann,
Stuttgart 1885
Klartext zu obigem Faksimile: Brähms wurde einmal ersucht, für Naumann's /
Musikgeschichte ein Autograph zu liefern; er sandte / einen Rätselkanon ein: (nach
der Notenzeile:) Naumann druckte ihn ab; wie der Text lautet, hat / Naumann
wohl nicht untersucht; Brahms schrieb nur / die (Worte) „Wann — Unland" dazu.
— Die vollständige I Losung des Canons lautet. / (Im Notentext:) Wann, wann
hört der Himmel auf zu strafen mit Albums / und mit Autographen? Wann? Wann?
127
7. Mai. Brahms Geburtstag. Der erste, den wir ohne ihn zubringen, seit
langer Zeit. Am gestrigen Abend waren wir bei Hanslick und sprachen viel
über Brahms. Hanslick sagte mir, Brahms habe wiederholt und erst in letzter
Zeit wieder zu ihm gesagt: „Am liebsten lese ich, was Heuberger über Musik
schreibt!" Hanslick sagte noch dazu: „Eigentlich hat es mich geärgert, daß er
mich bei der Gelegenheit gar nicht nannte!" (sagte das lustig — er weiß doch,
daß Brahms ihn so sehr schätzte.)
27. Okt. Seinerzeit, als ich zum erstenmale in Wien als Musikschriftsteller
auftrat, meinte Brahms: „Trauen Sie sich den eisernen Charakter zu? Es ist
unendlich schwierig, in diesem Fache nicht zu straucheln." Um so glücklicher
war ich nach Jahren, als B. mein Wirken so untadelhaft fand.
(30. 3. 1898) Im Konzerte Barbi (Brahms-Denkmal, 30. 3. 1898) 139 saß
Hanslick vor mir. Als Barbi das wundervolle „Wanderer" sang, drehte sich
H. um und meinte: „Das gefällt Ihnen wohl auch wieder — so eine synko-
pierte Lungensucht!"
Anfang Oktober 1898. Wenn Brahms irgend ein eben erschienenes Buch
in einer Auslage als antiquarisch sah, so sagte er: „Das hat gewiß Hanslidt
verkauft." (Er verkauft nämlich die Frei-Exemplare an Rose und andere.)
30. 1. 1901. Mandyczewski erzählte heute (bei Hammerschlag) ein paar
Brahms-Anekdoten (wahrhaftige!). Mandy war eines Morgens bei Brahms,
der ihm Skizzen von Beethoven zeigte; der große Mann war offenbar in
Zweifeln. Er hatte sich mit Worten über etwas klar zu werden versucht und
schrieb ganz unten dazu: „Es kann aber auch das Gegenteil wahr sein!"
Diese Zweifel eines so großen Künstlers hatten für Brahms etwas Erschüt-
terndes. Er kam immer wieder darauf zurück. — Abends kam Brahms mit
Mandy in den „Igel", und Kalbeck kam zufällig auch hin. Brahms erzählte
dem K. die Geschichte von Beethovens Zweifeln und sagte dann dazu: „Den
Schlußsatz könnten Sie unter jedes Ihrer Feuilletons schreiben!" — Nicht
höflich, aber sicher sehr richtig!
Einmal war Kalbeck mit Brahms im „Igel" und schimpfte über das ihm
nicht genügend gut erscheinende Essen, über die zu geringe Auswahl und
dergl. Brahms ging darauf ein, am anderen Tage in einem feinen Restaurant
zu essen. — Dort trafen sich die Herren andren Tages; Kalbeck nimmt die
vor ihm liegende Speiskarte und preist gleich die große Auswahl . . . Br.
139 Alice Barbi gab am 30. März und 1. April 1898 in Wien zwei Brahms-Lieder-
Abende als Wohltätigkeitskonzerte, von denen der erste zu Gunsten des geplanten
Brahms-Denkmal stattfand. Sie wurde begleitet von Anton Rückauf. „Ein Wan-
derer", op. 106, Nr. 5 wurde jeweils als erstes Lied gesungen und im Programm
noch als „Der Wanderer" angekündigt.
128
fängt gewaltig zu lachen an. Er hatte die Speiskarte vom „Igel" am Tage
vorher eingesteckt und — ohne daß es Kalbeck merkte — auf den Tisch
gelegt! Tableau!
18. Dez. 1901. Arthur Faber sagte mir eben, daß Klinger zugesagt habe,
bei der Konkurrenz um das Brahms-Denkmal mitzutun. Er sei zwar gegen
seine Beteiligung an derlei, aber seine grenzenlose Verehrung für Brahms
veranlasse ihn, eine Ausnahme zu machen. — Ich war es, der in der Sitzung
des Brahms-Comit.es durchsetzte, daß auswärtige Meister eingeladen werden;
ich nannte Klinger und Hildebrand. Beide wurden eingeladen, Hildebrand
lehnte ab. Wie herrlich, daß Klinger zusagte!
21. Mai 1902. Klinger kennen gelernt. Er kam eigens nach Wien, um an
der Beratung und Beschlußfassung über den Aufstellungsplatz für das
Brahms-Denkmal teilzunehmen. Er ist lange nicht so still, als er mir geschil-
dert wurde. Als er in der Sitzung — durch Weyr aufgefordert — seine Mei-
nung über die Tauglichkeit des Platzes abgeben sollte, sprach er allerdings
etwas stotternd und verlegen, aber sehr nett seine Meinung aus. Er meinte,
der Platz sei sehr wohl geeignet, etwas Hübsches zu machen.
Sehr erstaunt war ich, als er in einem Gespräche mit Medailleur Scharff
und mir die Klimt'schen Bilder durchaus verteidigte (die um seinen Beet-
hoven herum waren). „O, sie sind schön!" sagte er immer wieder. Beson-
ders den Ritter lobte er. Nun, der gefiel ja uns allen. Als Scharff, ganz zart,
die widerlichen alten Weiber tangierte, wurde er ganz still — gefallen ihm
also auch! — Sollten wir wirklich blind sein? 140 — Klinger sprach oft und
oft (als von der Stellung des Brahms-Denkmals in der Nähe der Carlskirche
die Rede war) mit Ausdrücken höchster Bewunderung von der Carlskirche.
„Wer könnte mit so was concurrieren!?"
11. 12. 05. Gestern nach dem Konzerte Max Regers mit ihm und einer
Anzahl Herren und Damen bei Klomser zu abend ... — Brahms redete nie
von seinen Sachen (oder doch nur höchst selten) — Reger spricht immer von
seinen Sachen.
12. Mai 1908. Frau Bertha Faber sagte mir heute, daß es unrichtig sei, daß
Brahms erst auf Berufung der Singakademie nach Wien gekommen sei. Er
hat schon in Wien gelebt, recht ärmlich, von Lektionen sich erhaltend. Ham-
burg hatte ihn ganz fallen gelassen. Er war daher froh, an die Singakademie
berufen zu werden, obwohl er just keinen Fanatismus fürs Dirigieren hatte.
140 Anläßlich der Ausstellung des Klingerschen Beethovens in der Wiener Seces-
sion schuf Gustav Klimt eigens dafür einen „Beethoven-Fries". Das Monumental-
werk Klimts in Secco-Technik zeigt auf 50 Quadratmetern eine figurenreiche Alle-
gorie auf Beethovens Neunte Symphonie.
129
— Die Herrn waren ihm in der Singakademie nicht grün. Seinen Austritt aus
der Gesellschaft d. M. (als Dirigent) hat ja auch der ordinäre und dumme,
einarmige Dr. Drächsler veranlaßt. Ein Komparse Herbecks. 141
11. Dez. 1908. Gestern bei Anna Prasch erzählte Fr(au) Radnitzky eine
lustige Geschichte von Brahms. — Eines Abends war sie die einzige Dame,
die im Tonkünstlerverein (nach den Vorträgen) zum Nachtmahl dablieb.
Epstein sagte: „Dafür sind Sie heute mein Gast." Brahms animierte nun
Fr. R. (damals noch Frl. Mandlich), nur immer das Teuerste, Seltenste zum
Essen zu bestellen. Epstein war — was den Preis des Abendessens anbelangt
— insoferne beruhigt, als er wußte, daß in dem höchst simplen Gasthause
doch nie etwas vorrätig sei. — Die Radnitzky bestellte — von Brahms ver-
anlaßt — zum Anfang Fischmayonnaise. Epstein wird etwas ängstlich, ist
aber wieder beruhigter, als der Kellner sagte: „Werde nachsehen, glaube
aber nicht, daß Mayonnaise da ist." Nach kurzem kommt er aber mit höchst
appetitlich hergerichteter Fischmayonnaise! Tableau! — Brahms animiert
wieder Frl. Mandlich; sie bestellt „Garbiertes Beafsteak". Der Kellner sagt
wieder dasselbe! Br. sagt ihm: „Sehen Sie nur nach; wird schon da sein."
Nach kurzem kommt das Gewünschte. Br. wird immer lustiger, Epstein
immer unruhiger. Die Zeche wächst unheimlich. — Nun muß das Frl. noch
feine Torten, Obst, Kaffee bestellen — lauter Dinge, die sonst niemals ge-
wünscht und geliefert wurden (in diesem Gasthause). — Schließlich — als
Epstein zahlen will und schon eine böse Rechnung fürchtet — ist alles be-
zahlt! — Br. hatte die feinen Sachen aus einem anderen Gasthaus (dem
gegenüber liegenden „Hotel Imperial") holen lassen und alles bezahlt!
23. 4. 1911. Heute — als Schluß des musikpädagogischen Kongresses —
ein von Schalk dirigiertes Konzert, in welchem der Singverein die „Fest- und
Gedenksprüche" von Brahms sang. Ich bekam einen überwältigenden Ein-
druck; noch viel mehr, als bei früheren Gelegenheiten, wo ich sie hörte. Ich
dankte Schalk nach dem Konzert. Er sagte: „In 1000 Jahren wird jeder
Ton dieses Werkes ebenso fest stehen, wie heute." Er freute sich der Tat,
dieses bei Brahms Lebzeiten in Wien fast übersehene Werk ins richtige Licht
gesetzt zu haben! Er hat wirklich dieses große Verdienst. Er hat ja auch den
Singverein unglaublich gehoben. 142
141 Dr. Josef Drexler gehörte als „Gründer" dem Direktorium der Gesellschaft
der Musikfreunde in Wien von 1854 bis 1860 an und war Mitglied des Singvereins
von 1875 bis zu seinem Tode 1888. Die Feststellung Heubergers ist ein Novum
für die Brahms-Forschung. Drexler war in den Verwaltungsjahren 1871 bis 1875
bei den Generalversammlungen aktiv und konnte dabei seinen Einfluß geltend
machen. Über Herbecks Stellung zu Brahms siehe Kalbeck II, Seite 35.
142 Franz Schalk war Dirigent des Singvereins der Gesellschaft der Musikfreunde
in Wien von 1904 bis 1921.
130
JOHANNES BRAHMS ALS PIANIST
Ich hörte Brahms sehr oft, auch im intimen Kreis Klavier spielen. Zum
ersten Mal, als der Meister auf einer gemeinsam mit Joseph Joachim durch-
geführten Konzertreise 1867 Graz berührte. Später in Wien, in den Kon-
zerten Hellmesb ergers, in Aufführungen des Rose-Quartetts und im Ton-
künstlerverein. Ganz besonders machte seine Wiedergabe des Klavierparts
seines B-Dur-Konzertes, das bei den Philharmonikern seine Wiener Erst-
aufführung am 26. Dezember 1881 erlebte, tiefen Eindruck. Brahms war in
besonders guter Stimmung, zu der das sichtliche, seit einiger Zeit deutlich
bemerkbare Entgegenkommen des Publikums ihm gegenüber viel beitrug.
Die Zeit, da er jedesmal „durchfiel* — was ihn gewiß nie in seiner Meinung
beinflußt, aber doch gekränkt und geärgert hatte — war gründlich vorüber.
Ein zweites Mal hörte ich das Konzert von Brahms selbst gespielt, in einem
Wiener Konzert der Meininger Hofkapelle unter Hans von Bülow am
3. Dezember 1884.
Als er in späteren Jahren seine Cellosonate spielte (ich blätterte ihm bei
der Probe um), als er die Neubearbeitung seines H-Dur-Trios zum ersten
Mal vorführte, als er mit Mühlfeld seine Klarinetten-Sonaten spielte, ging
das Publikum begeistert mit, was er behaglich genoß.
Brahms hatte vom Virtuosen nur die Virtuosität, gar nichts von dem
komödiantischen Zauber, den manche Künstler dieser Art nicht missen wollen
oder missen zu können glauben. Wenn er sich auf eine Aufführung ernstlich
vorbereitet hatte, war seine Technik allerersten Ranges, sein Anschlag herr-
lich. War er übel gelaunt, so spielte er stiller vor sich hin, doch war dies ein
seltener Fall. 143
Ganz mächtigen Genuß gewährte sein Spiel, wenn man es — wie ich
so oft — aus nächster Nähe, neben ihm beim Klavier sitzend, genießen
konnte. Man mußte ein klein wenig davon absehen, daß er mit rauher, fast
häßlicher Stimme, die er sich in seiner Jugend verdorben haue, mitsang,
mitgrunzte. Das hatte etwas Bärenhaftes. Alles andere war so innig, so rüh-
rend, dabei urkräftig, daß es tief ergreifen mußte.
Zum ersten Mal hörte ich ihn im intimen Kreis, als ich eines Nachmittags
zu ihm kam und er gerade vor dem Klavier saß und sich, glühend vor
Entzücken, die soeben erschienenen „Slavischen Tänze" von Dvorak vorspielte.
143 Ungünstiger lautete das Urteil Richard von Pergers in seiner Brahmsbiogra-
phie, Leipzig 1908, S. 38 f.
131
Er unterbrach kaum, begann sogleich -wieder von Neuem und spielte mir die
blühenden Stücke mit wahrem Glücksgefühl vor. Zuweilen fiel ein bewun-
derndes Wort von seinen Lippen.
Oft hörte ich ihn öffentlich oder im Tonkünstlerverein seine Lieder be-
gleiten, wozu er sich nie lange bitten ließ und namentlich seinem „Leibteno-
risten" Gustav Walter stets gern zur Verfügung stand. Dabei saß ich oft
neben ihm und blätterte ihm um. Einmal hatte ich ihm gegenüber — es war
nach dem Vortrag einiger neuer, noch ungedruckter Klavierstücke im Ton-
künstlerverein — geäußert, daß er etwas nachlässig gespielt habe. Er sagte
vorerst nichts darauf. Nach kurzer Zeit stand er auf und spielte dieselben
Stücke herrlich.
Sogar eine Schüleraufführung bei seinem Freunde Gänsbacher hob er durch
seine Begleitung einiger Programm-Nummern in eine hellere Sphäre.
Sehr interessant war eine Gelegenheit, als ich seine F-Dur-Symphonie zum
ersten Mal sah und hörte. Ich kam zu Brahms, der in ziemlich früher Vor-
mittagsstunde mit Hans Richter beim Klavier saß und ihm die zur Auf-
führung vorzubereitende Symphonie vorspielte. Dann spielte Brahms etlichen
Freunden, mit Ignaz Brüll auf zwei Klavieren im Saal Ehrbar, die Symphonie
vor, ich blätterte wieder um. Hanslick frug mich nach Schluß des Vorspielens,
wie mir die neue Symphonie gefalle und machte dann, so wie über frühere
Werke dieser Art, höchst abfällige Bemerkungen. Brahms wußte sehr genau,
daß Hanslick seine Sachen nicht sonderlich leiden konnte. Er wußte sich aber
dabei in der „sehr guten Gesellschaft Richard Wagners", wie er wörtlich
sagte.
An einen Fall, der besonders Brahms außergewöhnliches Gedächtnis zeigte,
erinnere ich mich. Ich machte mit Brahms einen Spaziergang. Als wir, die
innere Stadt durchstreifend, bei der Wohnung des Pianisten Epstein vorbei-
kamen, sagte Brahms: „Gehen wir hinauf zu ihm, besuchen wir ihn." Wir
taten dies sofort. Während des Gesprächs mit Epstein setzte sich Brahms
zum Klavier und begann eine Sonate von Field oder Dussek (ich erinnere
mich an diese Details nicht mehr genau) zu spielen. Epstein erkannte das
Stück sogleich, staunte aber einigermaßen darüber, daß Brahms dieses halb
vergessene Stück so genau auswendig kannte. Worauf Brahms lakonisch
antwortete: „Wollen Sie die ganze Sonate hören?" Beim Fortgehen sagte
mir Brahms, daß er eine Menge von Sonaten dieses Meisters, wie so viele
andere, von seiner Jugendzeit her im Gedächtnis behalten habe und sie
jederzeit vortragen könne*
Ein paar Gelegenheiten, da ich Brahms bei Billroth, Wittgenstein oder in
anderen musikalischen Häusern hörte, übergehe ich. Ein besonders eindrucks-
voller Vortrag war für mich jener, wo mir Brahms — zum ersten Mal —
aus dem Manuskript seine Bearbeitungen deutscher Volkslieder vorspielte.
132
Brahms sagte, daß er eine ganze germanistisch-musikalische Streitschrift gegen
Böhme, den Herausgeber alter deutscher Volkslieder verfaßt habe. Diese
Streitschrift — sie war auf Hochformat des gewöhnlichen Schreibpapiers
geschrieben — zeigte mir der Meister, als ich einer speziellen Einladung zu
einem Besuch bei ihm Folge leistete. Nachdem er mir die Schrift und etliche
Details davon gezeigt hatte, meinte er, auf die von ihm harmonisierten
Volkslieder zeigend: „Das ist die richtige Streitschrift!" Dann spielte er mir
eine Anzahl der Lieder aus dem Manuskript vor und verlangte, daß ich
angäbe, was mir nicht gefalle. Machte man dann eine Bemerkung dieser Art,
so verlangte er die genaueste Begründung eines eventuellen Einwands. Das
Vorspielen und Durchgehen der Volkslieder nahm ein paar „Sitzungen" in
Anspruch. Leider gab der Meister seine Streitschrift nicht heraus.
Ein anderes Mal — es war in Ischl — spielte er mir die eben fertig ge-
wordenen „Vier ernsten Gesänge* wieder aus der Handschrift vor. Ich war
jedenfalls einer der ersten, die diese gewaltigen Werke sahen und sangen.
Wie ich glaube, hat sie nur Max Kalbeck ein paar Tage vor mir gesehen.
Brahms war beim Spiel fast bis zu Tränen gerührt und auch ich konnte
meiner Stimme kaum Herr werden. Es war ein mächtiger Eindruck!
Das letzte Werk, das mir Brahms vorspielte, waren die erst nach seinem
Tod veröffentlichten „Choralvorspiele". Der Meister war wieder sehr ergrif-
fen und spielte innig und seelenvoll. Ich hörte ihn danach nie mehr.
133
ii ggjaii
PHILHARMONISCHE CONCERTE.
Sonntag den 19. Dezember 1886,
Mittags präcise balb 1 Uhr,
im grossen Saale der Gesellschaft der Musikfreunde
veranstaltet von den
Mitgliedern des k. k. Hofopern-Orchesters
unter der Leitung des Herrn
H^NS RICHTER,
k. k. Hofopem-Kapellme ister.
PRO G R A MM;
R. Heuberger Symphonie in F (NEU).
■ 1. Allegro molto.
2. Presto.
3. Andante.
4. Presto.
R. Fuchs . Serenade Nr. 3, E-moll.
1. Andante sostenuto.
2. Menuetto.
5. Allegretto graziös o.
4. Finale alla Ziagarese.
L. V. Beethoven Symphonie Nr. i, C-dur.
1. Adagio molto — Allegro con brio.
2. Andante cantabile con moto.
3. Allegro niolto e vivace.
4. Adagio — Alle pro molto e vivace.
Streichinstrumente: Lemböck.
Programme unentgeltlich.
Bas 5. Philharmonische Goncert findet am 2. Jänner statt.
i k. k.. KoliliHiitor-Urn
Programmzettel der Wiener Erstaufführung der Symphonie von Richard Heuberger.
(Aus der Sammlung des Herausgebers.)
JOHANNES BRAHMS BEI LANDPARTIEN
Ich habe mit Brahms und etlichen Freunden sehr viele Landpartien ge-
macht. Meistens über den ganzen Tag in der Zeit vom Spätherbst, als Brahms
von seinem Landaufenthalt nach Wien zurückgekehrt war, bis etwa Mai,
wenn der Meister seine Sommerwohnung wieder bezog. Die Zeit unserer
Verabredungen hielt Brahms aufs Genaueste ein, ja, er war immer schon
zur Stelle, wenn ein Pünktlicher zur vereinbarten Stunde am Treffpunkt
erschien. Für ihn war dies — obwohl wir uns oft schon um acht oder neun
Uhr morgens und zwar meistens vor dem Kaffeehaus gegenüber der Hofoper
trafen — nichts Besonderes. Hatte er doch jedesmal schon vor unserem
Zusammentreffen ein ganzes Drama, ein mächtiges Stück eines Geschichts-
werkes oder ähnliches gelesen, worüber er in fesselnder Weise zu sprechen
wußte.
Er hatte, auch im Winter, keine besonderen Vorkehrungen gegen Regen
und Kälte bei sich. Ein leichter Überrock genügte dem abgehärteten Mann
gegen die zuweilen recht rauhe Winterluft.
Das Freie erreichten wir entweder auf der Pferdebahn oder im Anschluß
daran mit der Eisenbahn, wo er unbedingt nur in der III. Klasse fuhr. Hatten
wir irgendeine hübsche Station im Wienerwald erreicht, so begann eine Fuß-
wanderung, wobei gefährliche oder unbequeme Pfade gern vermieden wur-
den. Brahms war ein sehr rüstiger, ausdauernder Fußgänger, liebte aber,
wohl seiner starken Kurzsichtigkeit wegen, keine schwierigen Wege. Ich sah
ihn einmal bei Glatteis auf einem sonst sehr harmlosen Bergweg fast unruhig
werden. Er mochte da wohl auch seine ansehnliche Leibesfülle bedacht haben.
Der Winter war ihm in jeder Form vertraut. Ob der Schnee nun scharf
über die Felder blies oder so hoch lag, daß das Vorwärtsgehen kaum mehr
möglich war — es kam kein unwilliges Wort über seine Lippen. Fast schien
es ihm Vergnügen zu machen! Mit völlig durchnäßten Beinkleidern und
Schuhen saß er dann höchst vergnügt beim Mittagsmahl, das wir in irgend-
einem Landgasthaus — besonders oft und gern im vortrefflichen Hotel Stel-
zer in Rodaun — einnahmen. Seine Vertrautheit mit der Natur zeigte er
uns oft, wenn er sich, vom Gehen arg erhitzt, an einem schattigen, fast kalten
Platz im Wald niederlegte oder — wie er es einmal tat — sich an einem
durch die Sonne angenehm erwärmten, aber dennoch kaltem Februartag,
nach eingenommenem Mittagessen in Hemdsärmeln ausstreckte.
Bei der Mahlzeit bevorzugte der Meister gewisse einfache Speisen. Aber
wie schmeckten ihm diese! Entzückt sagte er einmal nach dem Speisen: „Ja,
135
wenn man jetzt doch Wiederkäuer wäre!" Es war komisch, welches Behagen
Brahms beim Essen empfand und er war doch wahrlich kein Gourmand!
„Jede Essenszeit ist für mich täglich ein Fest", sagte er einmal „und mißlingt
mir einmal eine Mahlzeit, das heißt, wenn ich mir einmal etwas Dummes
bestelle, so bedaure ich das den ganzen Tag lang." Er schimpfte aber anderer-
seits darüber, daß ihn manchmal jemand „auf ein Gollasch" einlade: „Das
bekomme ich erstens nur im Gasthaus tadellos gut und dann will ich, wenn
ich schon eingeladen bin, was anderes, Feineres essen."
Er trank Mittags ein kleines Glas Bier, nachher ein Gläschen Wein. In den
letzten Jahren hatte er opulente Anwandlungen und ließ — zu unserer
gemeinsamen Benutzung — eine große Flasche guten Weines auffahren, deren
Vertilgung ihm offenbar Freude bereitete. Unentbehrlich war ihm, sofort
nach irgendeiner Mahlzeit, eine Tasse schwarzen Kaffees.
Langes Tafeln liebte er — bei Ausflügen wenigstens — nicht. Bald brachen
wir auf und wanderten noch ein paar Stunden. Wenn sich diese Wanderung
mit einer Jause, namentlich am „Tivoli" bei Schönbrunn, verbinden ließ,
so war er besonders zufrieden.
Während des Gehens war er ebensogut zum Schneeballwerfen wie zum
ernsten Gespräch aufgelegt. Ich erinnere mich, manche der interessantesten
Mitteilungen von Brahms während des Wanderns erhalten zu haben.
Ein Beispiel seiner Witze dagegen ist folgender: Auf einer Landpartie
(1889) hatte ich einen sehr alten Hut auf, der Brahms zu vielen Frozzeleien
veranlaßte. Abends kamen uns Kalbeck und Frau entgegen. Da sagte er
plötzlich: „Was doch der Heuberger für ein guter Mensch ist. Kommt ihm
da heute ein Bettler entgegen und da hat er schnell seinen guten schönen Hut
dem Bettler gegeben und den alten des Bettlers genommen."
Unter Benutzung der allgemeinen Verkehrsmittel, oder zu Fuß, kamen
wir meist erst bei einbrechender Dunkelheit wieder nach Hause.
136
JOHANNES BRAHMS ALS VEREINSMITGLIED
Ein Passus im X. Jahresbericht des „Wiener Tonkünstlervereines" (1. No-
vember 1894 bis 1. November 1895) sagt, die Zeit der ersten 10 Jahre des
Vereinsbestandes überblickend — u.a.: „Aus einer kleinen, aber gewählten
Gesellschaft hervorragender Musiker Wiens, die ihre regelmäßigen Zusam-
menkünfte eben so sehr der Geselligkeit wie der Betrachtung der bestehen-
den Kunstzustände widmeten, entstand über Anregung der Herren Profes-
soren Julius Epstein, Dr. Joseph Gänsbacher und Leschetitzky im Herbste
1885 der „Wiener Tonkünstler- Verein". Er hatte sich von Anfang an die
weitestgehende Förderung der Tonkunst sowie der geistigen und materiellen
Interessen der Tonkünstler zur Aufgabe gestellt und begann seine Tätig-
keit mit der ersten, am 23. November 1885 abgehaltenen Generalversamm-
lung ... In der Generalversammlung vom 14. Dezember 1886 wurde Herr
Dr. Johannes Brahms per acclamationem zum Ehrenpräsidenten des Ver-
eines gewählt."
Mit diesen dürren Worten sind die beiden Tatsachen der Gründung des
„Wiener Tonkünstler- Vereines" und der Wahl Brahms* zum Ehrenpräsiden-
ten im Stile statistischer Bücher notiert. Es ist nicht uninteressant, diese bei-
den Tatsachen und ihren Zusammenhang näher zu betrachten, namentlich
deshalb, weil man sich einerseits den eigenwilligen, aller Philisterei in tiefster
Seele abholden Brahms kaum als „Vereinsmitglied" — schon das Wort
riecht etwas nach Philisterei — denken kann, andererseits weil sich vielleicht
der Gedanke aufdrängt, Brahms sei halt ein Ehrenpräsident gewesen wie
andere, wie so viele, die kaum den Namen des Vereines kennen, dem sie
„ehrenpräsidieren". Das war aber alles ganz anders. Brahms war das lie-
benswürdigste, gütigste, fleißigste, pflichteifrigste Mitglied des Vereines, stets
bereit, zum gemeinsamen Besten beizusteuern, jede Zwietracht zu vermei-
den, oder, wenn solche dennoch aufgetaucht war, zum Schwinden zu brin-
gen; er förderte jedes künstlerische Streben, nahm aber auch teil an allen
geselligen Veranstaltungen, ließ im Kreise des Vereines niemals merken, daß
er so hoch über allen anderen stehe, nahm die Schwächen anderer stets mit
äußerster Toleranz hin und war — als Ehrenpräsident — der eigentliche
geistige Leiter des Vereines, der richtige Präsident, der auch den kleinen
Mechanismus der Vereins tätigkeit niemals aus dem Auge verlor.
Ja, er wurde nicht einmal unwillig, als einige übel beratene Mitglieder
an Brahms die — zu große Teilnahme an den Vereinsvorgängen rügten, als
137
sie ihn in die Rolle eines passiv Zuschauenden, eines jener Ehrenpräsidenten
drängen wollten, wie es so viele gibt. Ein Tatmensch wie Brahms konnte
das nicht sein; die ihm angetane Unbill hatte er in seiner Güte bald völlig
verwunden, vergessen und vergeben.
Anfangs, als sich die „kleine aber gewählte Gesellschaft" zusammengetan
hatte, war Brahms noch nicht in den Kreis getreten. Ich glaube, er war gar
nicht aufgefordert worden „mitzutun". Man dachte, er hätte kaum ein
Interesse an der Sache. So fanden sehr hübsche Abende im Hotel Royal
(Singerstraße) statt, aber ohne Brahms. Diese Gesellschaft brachte eine in-
teressante kleine Festivität zustande, die den Anfängen eines sich gleichsam
von selbst zusammenfügenden Vereines präludieren. Rubinsteins „Nero"
wurde am 20. April 1885 in der k. k. Hofoper in Wien zum ersten Male
gegeben. Der mit Rubinstein befreundete Prof. Leschetitzky lud für den
17. April 1885 den russischen Meister, den gerade in Wien anwesenden Liszt
und Brahms in den Parterrerestaurationssaal im Musikvereinsgebäude ein;
die noch namenlose Musikergesellschaft umgab die in der Mitte der Tafel
sitzenden Koriphäen, allerlei engere Kunstfreunde schlössen sich an. In feu-
riger Rede feierte Leschetitzky das schöne Beisammensein der drei Meister
und fand auch lebhafte Worte für den Umstand, daß von solchem Dreige-
stirn helles Licht auf den zu gründenden Verein falle. Ein heiter-ernster Zwi-
schenfall ist mir von diesem Abend her in guter Erinnerung. Eine Dame der
Gesellschaft, die berühmte Pianistin Annette Essipoff, kam auf den Einfall,
jeden der drei anwesenden Meister um eine Haarlocke ärmer zu machen.
Liszt, der neben Rubinstein in der Mitte der Festtafel Platz genommen,
neigte, an dergleichen gewöhnt, lächelnd das schneeweiße Haupt, Rubinstein
ließ sich die Amputation gerade gefallen. Als die Reihe an den etwas abseits
plaudernden Brahms kam, wollte dieser, indem er seine Hand in die Haare
hielt, der modernen Dalila wehren. Ein Schnitt — und die mühsam abge-
trennten Haare waren vom Blute aus Brahms* Fingern überrieselt. In aller
Eile wollte der entrüstete Brahms den Saal verlassen und wurde nur mit
Mühe an der sofortigen Ausführung dieses Entschlusses gehindert.
So vorbereitet entstand aus der gewählten Gesellschaft der „Wiener Ton-
künstler-Verein". Die gründende Generalversammlung fand am 23. Novem-
ber 1885 statt, die erste Ausschußsitzung am 6. Dezember 1885. Die Funk-
tionäre waren Direktor Wilhelm Jahn, Präsident, Th. Leschetitzky erster,
Professor Anton Door zweiter Vizepräsident, Professor Julius Epstein Ord-
ner, Dr. Robert Hirschfeld Schriftführer, Professor Dr. Gänsbacher Kassier,
Professor Hermann Grädener Archivar. Brahms trat dem Verein sofort als
Mitglied bei, ohne sich vorderhand persönlich zu beteiligen.
138
Inzwischen hatte der Verein den Versuch gemacht, sich in der Öffentlich-
keit bemerkbar zu machen. Er veranlaßte, auf R. Hirschfelds Vorschlag, den
berühmten Musikgelehrten Ph. Spitta, einen Vortrag über C. M. v. Weber zu
halten, welcher Vortrag nach Spittas rascher Zusage am 2. April 1886 im
Saale Bösendorfer stattfand und lebhaftes Interesse erregte.
Um dieselbe Zeit gab Prof. J. Epstein die wichtige Anregung, durch Preis-
ausschreibung für eine ernste Kompositionsgattung die Produktion zu för-
dern und zu beleben. Man einigte sich auf Ausschreibung des Preises für ein
Streichquartett. Der Preis wurde mit 20 Dukaten festgesetzt. Für das Preis-
richteramt wurden Brahms, Goldmark und Professor J. M. Grün vorge-
schlagen. Grün lehnte dankend ab; für ihn wurde der Theoretiker Dr. Naw-
ratil als dritter Preisrichter in Aussicht genommen.
Kurz darauf (28. März 1886) berichtet Prof. Anton Door, Brahms hätte
ihn beauftragt, dem Ausschusse zu melden, er sei zwar prinzipiell gegen jedes
Preisausschreiben, doch wollte er dem Vereine sein Interesse zeigen und das
Preisrichteramt übernehmen, wenn er es nur mit gutem Gewissen tun könnte.
Da er aber im Sommer verreise und daher an den notwendigen häufigen
Zusammenkünften mit den anderen Preisrichtern nicht teilnehmen könne, so
müsse er demnach auf das Amt verzichten. Bei den weiteren Verhandlungen
teilt Bösendorfer, vom ersten Tag der Gründung bis jetzt ein eifriger För-
derer des Vereines, mit, daß sich Brahms neuerdings über den Verein so gün-
stig und voll Interesse ausgesprochen habe, daß man annehmen könne, er
werde in Zukunft vollständig für den Verein eintreten. Man möge ihn daher
persönlich für das Preisausschreiben interessieren und seine Meinung darüber
hören. Leschetitzky erbot sich, mit Brahms zu sprechen.
Das lebhafte Interesse Brahms' für den Verein, das Bösendorfer erwähnt
hatte, war bei dem Meister auf dem Gedanken der geistigen künstlerischen
Förderung und Fortbildung der Mitglieder gegründet. Als späterhin eine
Zeitlang im Vereine die Idee auftauchte, wirtschaftlichen Dingen, Pensions-
angelegenheiten und dgl. ein erhöhtes Augenmerk zuzuwenden, erklärte er,
an derlei kein Interesse zu haben. „Davon versteh' ich nichts", sagte er. —
Dagegen erwartete Brahms manche gegenseitige Förderung vom bisher sehr
oberflächlichen persönlichen Verkehr der Künstler und er selbst gab durch
seine zwanglose, liebenswürdige Art des Umganges mit doch durchaus gerin-
geren Kunstgenossen in dieser Richtung das beste Beispiel.
Der Besuch, den Leschetitzky nun bald in Begleitung Prof. Doors und Prof.
Gänsbachers bei Brahms gemacht hatte, brachte insoferne volle Klarheit, als
dabei festgestellt wurde, daß Brahms der bisherigen Form der Preisausschrei-
bung durchaus abgeneigt sei und seinerseits folgenden Modus vorschlage:
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Die Werke werden nicht anonym eingereicht. Die drei Preisrichter bestimmen
gemeinsam mit dem Ausschuß, welche von den eingereichten Werken an den
Vereinsabenden aufzuführen seien. Nach diesen Aufführungen treten die Preis-
richter wieder zusammen und konstatieren, wieder mit dem Ausschuß, welche
Stücke dem Plenum am besten gefallen hätten. Diese zwei oder mehreren
Werke werden nun am Ende des Jahres nochmals gespielt und unter den
ordentlichen Mitgliedern wird dann abgestimmt, welchem Komponisten ein
Ehrengeschenk gebühre.
Im Laufe der Verhandlungen — so berichteten die drei Herren — habe
Brahms darauf verzichtet, daß die Werke mit Namen, also nicht anonym,
einzureichen seien; er gab aber zu bedenken, ob die Anonymität nicht beim
zweiten Vortrage der Stücke (vor dem Plenum) zu fallen habe. Auch habe
Brahms, so berichtet Leschetitzky nach einer Anfrage, niemals darauf be-
standen, daß der Ausschuß mitstimmen sollte — auch das wurde von ver-
schiedenen Seiten beanstandet — aber er habe es gewünscht.
Brahms' Idee der Verbreiterung der Beurteilungsbasis, des Versuches, alle,
dem Vereine angehörenden, ob schaffenden, ob ausübenden Kunstgenossen
an der Abstimmung teilnehmen lassen zu wollen, erregte manches Für und
Wider. Leschetitzky trat lebhaft für den Vorschlag Brahms' ein, und um so
mehr, als von anderen Herren des Ausschusses Bedenken geäußert wurden.
Ja, man dachte sogar daran, einen anderen Preisrichter an Brahms* Stelle —
zu wählen, bis endlich der Vorschlag durchdrang, Brahms zu fragen, ob er
sich nicht doch dem alten Modus (anonyme Einreichung der Werke und Be-
urteilung derselben lediglich durch die Preisrichter) anbequemen wolle. Eine
Mitteilung Bösendorf ers : Brahms* habe sich gegen den alten Modus ent-
schieden ausgesprochen, machte der Debatte ein Ende. Die folgende Abstim-
mung im Ausschuß brachte als Resultat — Stimmengleichheit. Die Stimme
des Vorsitzenden, Leschetitzky, entschied für Brahms Vorschlag.
Der Meister war bereits vor dieser Entscheidung zum Sommeraufenthalt
nach Ischl abgereist. Im Oktober wohnten er, Goldmark und Dr. Nawratil
einer Ausschußsitzung (15. Oktober 1886) bei. Bei diesem Anlasse kamen
Goldmark und Nawratil zum erstenmale in die Lage, sich offiziell mit
Brahms' Neuerung zu befassen. Die prinzipielle Einigung erfolgte sofort,
nachdem Brahms' Vorschlag Punkt für Punkt durchgesprochen war.
Bei dieser Debatte machte Brahms darauf aufmerksam, daß es heutzutage
wenige Komponisten gebe, welche Streichquartette schreiben, man möge da-
her die Ausschreibung auf Kammermusik im allgemeinen ausdehnen, jedoch
den Vorbehalt aussprechen, daß nur Mitglieder des Wiener Tonkünstlerver-
eines zur Einsendung von Werken berechtigt seien. Dadurch erhalte das
140
Ganze einen mehr intimen, kollegialen Charakter. Eine Einwendung Gold-
marks daß die Komponisten in der Provinz ohnehin schwerer in die Lage
kämen, ihre Werke aufgeführt zu hören, veranlaßte Brahms, in die Propo-
sition einzustimmen, daß der Preis für österreichische Staatsangehörige aus-
geschrieben werde. Nachdem die Debatte wieder auf die, einen Augenblick
fallen gelassene Gattung der Komposition zurückkam und in dieser Sache
verschiedene Ansichten auftauchten, festigte sich schließlich doch die Meinung
auf Ausschreibung für Quartette. Goldmark hatte dafür geltend gemacht,
daß Quartette die reinste Kunstrichtung bedeuten, Trios mit Klavier usw. nur
Ableger dieses edlen Kunstzweiges seien; Hirschfeld meinte, gerade weil heut-
zutage so wenige Quartette geschrieben würden, müsse man da unterstüt-
zend eingreifen.
Als Appendix zu dem Beschlüsse, daß die Preisausschreibung für Quar-
tette zu erfolgen habe, wird noch bestimmt, daß die eingereichten Werke
noch nirgends öffentlich aufgeführt sein dürfen.
Bei Besprechung der Anonymität der Einreichung weist Brahms wieder
auf den mehr intimen Charakter der Ausschreibung hin. Es wäre doch besser,
meint er, unter mehreren fast gleich tüchtigen Arbeiten diejenigen zu prä-
miieren, welche einem noch jungen, hoffnungsvollen Komponisten angehört,
wenn auch einige kleine Verstöße darin vorkämen als die korrekte, tech-
nisch fertige Arbeit eines etwa schon bejahrten Komponisten, von dem nicht
mehr viel zu erwarten sei.
Diese ideale Ansicht Brahms wurde mit den verschiedensten Argumenten
bekämpft. So meinte einer der Herren, durch diesen Modus würde nicht ein
Preis für das beste Quartett, sondern für die größte Begabung gestiftet, ein
anderer gab zu bedenken, ob nicht, wenn mit so offenen Karten gespielt
würde, der Kameraderie Tür und Tor geöffnet werde. Brahms, der mit seinem
Antrag nahezu allein steht, fügt sich der Majorität.
Das Wirken der drei Preisrichter wird nun noch genau besprochen. Man
einigt sich darauf, daß sie eigentlich nur eine Sichtungskommission bilden
sollten, welche das Unbrauchbare auszuscheiden hätte, eine Arbeit, welche
doch immer von Männern, deren Künstlerschaft und persönliche Integrität
allgemein anerkannt sei, erfolgreich geleistet werden könne.
In der Ausschußsitzung vom 18. November 1886 stellt Brahms, in Ge-
meinschaft mit Robert Fuchs u. a., den Antrag, daß die Beiträge der ordent-
lichen Mitglieder und ihrer Frauen von 12 fl. auf 6 fl. herabgesetzt werden
und daß Frauen als außerordentliche Mitglieder nicht wie bisher 24 fl., son-
dern nur 12 fl. zu zahlen hätten. Er, der die oft etwas gedrückte Lage der
Wiener Musiker genau kannte, wollte dadurch manchem, der bisher abseits
bleiben mußte, den Eintritt in den Verein ermöglichen.
141
Nun kam der Moment, welcher Brahms dem Vereine ganz nahe brachte.
In der Generalversammlung vom 14. Dezember 1886 brachten, durch
Leschitzkys Mund, mehrere Herren, darunter der bisherige, jedoch niemals
in Wirksamkeit getretene Präsident W. Jahn, die Bitte vor, man möge sie bei
einer Neuwahl nicht mehr in den Ausschuß entsenden. Da schlägt Lesche-
titzky Brahms als Ehrenpräsidenten vor, ein Antrag, der freudigst mit
Akklamation angenommen wird.
In der ersten Sitzung des neuen Jahres 1887 erschien Brahms zum ersten-
mal in seiner neuen Eigenschaft. Im Verlaufe der Sitzung, in welcher Gold-
mark zum Präsidenten gewählt wurde, kamen verschiedene administrative
Angelegenheiten zur Sprache. Brahms beteiligte sich lebhaft an der Debatte,
erbot sich sogar, in einer ein paar Mitglieder betreffenden Sache durch per-
sönliche Intervention Klarheit zu verschaffen, was auch geschah.
In der nächsten Zusammenkunft des Ausschusses (16. Jänner 1887) macht
Brahms den Vorschlag, daß, um bessere Programme zu erzielen, für jeden
Vereinsabend ein größeres Kammermusikwerk zur Aufführung vorbereitet
werde, um welches sich die anderen Stücke ad hoc gruppieren sollten. Man
solle sich, namentlich bei Stücken, bei welchen Bläser zur Verwendung kä-
men, auf materielle Entschädigung der mitwirkenden Künstler einlassen —
bisher erfolgte jede Mitwirkung gratis — da man denselben, meist vielbe-
schäftigten Musikern, doch den Entgang der durch Proben und Aufführung
versäumten Lektionen usw. vergüten müsse. Das hiezu notwendige Geld
möge vorläufig nicht der Vereinskassa entnommen, sondern durch freiwillige
Beiträge beschafft werden. Er selbst erbot sich, 100 bis 200 fl. dazu beizu-
steuern.
In der Vorführung selten gehörter Kammermusikwerke sah Brahms eine
den Vereinsmitgliedern gebotene günstige Gelegenheit zur künstlerischen
Weiterbildung. Er selbst war bei solchen Anlässen stets der aufmerksamste
Zuhörer.
In der Ausschußsitzung vom 23. Jänner 1887, welcher Brahms präsidierte,
regte Epstein an, man möge heuer — da der vorjährige Vortrag Spittas so
allgemein gefallen habe — den Versuch machen, entweder Chrysander oder
Helmholtz für einen Vortrag zu gewinnen. Brahms wendet ein, daß die
beiden Gelehrten keineswegs Zeit hätten und in der Verfassung wären, um
auf Reisen zu gehen. Man hätte Spittas rasche Zusage doch auch mit dem
Umstände zu danken gehabt, daß Spitta ohnehin schon eine Reise nach Ita-
lien vorgehabt hätte, die ihn, ohne wesentlichen Umweg, über Wien führte.
— Der Ausschuß machte dennoch den Versuch, zuerst, durch Herzogenbergs
Vermittlung, Helmholtz zu gewinnen. Der berühmte Gelehrte war über die
142
Anfrage sehr erfreut, mußte aber, wegen Verhinderung, ablehnen und emp-
fahl, sich an Chrysander oder W. H. Riehl zu wenden. — Der Versuch,
Chrysander zu einer Zusage zu veranlassen, scheiterte ebenfalls. Der Um-
stand, daß Hans v. Bülow sich zur Zeit dieser Verhandlungen, Anfang 1887,
in Wien aufhielt, gab Veranlassung, sich an den berühmten Pianisten zu
wenden, mit der Bitte, ein Konzert zugunsten des Wiener Tonkünstlerver-
eines zu veranstalten. In einer unverbindlichen Besprechung hatte Bülow die
Bemerkung gemacht, daß er diesem Plane gar nicht abgeneigt wäre, falls
man das von ihm geplante Programm: Trio in B-Dur von Molique und
Quintett in F-Moll von Brahms akzeptiere. Brahms meinte, da müsse ein
Mißverständnis obwalten, Bülow sei eine Reihe von Verpflichtungen einge-
gangen, denen er nachkommen müsse, er könne gewiß nicht noch ein Kon-
zert annehmen. Auf Bösendorfers Aufforderung erbietet sich Brahms übri-
gens mit Bülow über die Sache zu sprechen. Der Erfolg war Bülows Zusage.
Das Konzert fand am 2. Februar 1887 im Saale Bösendorfer statt. Der
2. Jahresbericht des Wiener Tonkünstlervereines berichtet darüber: „Die erste
dieser Produktionen wurde am 2. Februar gegeben. Kein Geringerer als
Herr Dr. Hans v. Bülow war es, welcher uns zu Gaste lud und (im Vereine
mit dem Quartette Winkler) nur für die Mitglieder des Vereines das selten
gehörte Trio in B von Molique und das F-Moll-Quintett von Johannes
Brahms in seiner bekannten vollendeten Weise vortrug. Für diese seltene
Liebenswürdigkeit und den außerordentlichen Genuß, welcher den Mitglie-
dern bereitet wurden, zollen wir dem freigebigen großen Künstler unseren
besonderen Dank, wie ihn schon am Abende des Vortrages Herr Dr. Johan-
nes Brahms vor dem Publikum dem fein empfindenden Interpreten seiner
genialen Werke in markanten Worten aussprach."
Die Angelegenheit der Quartett-Preisausschreibung war inzwischen einen
wesentlichen Schritt nach vorwärts gerückt. Nachdem 22 Quartette eingelau-
fen waren, hatten die drei Preisrichter, Brahms, Goldmark und Nawratil,
den Einlauf gesichtet und in der Sitzung vom 24. März 1887 berichtete
Brahms, daß 4 bis 5 Werke eine Aufführung zuließen. Ein sechstes Stück
wurde noch hiezu eingereiht. Am 10., 17., 24. und 31. Mai wurden die
Quartette durch das Vereinsstreichquartett Winkler im Verein aufgeführt.
Am 31. Mai wurde das vom Plenum mit dem Preise gekrönte Quartett mit
dem Motto „Vier Elemente innig gesellt" nochmals zum Vortrag gebracht;
als dessen Autor erschien, nach Eröffnung des den Namen des Komponisten
enthaltenden Couverts das Mitglied Julius Zellner.
Der zweite Jahresbericht des Vereines konstatiert mit Befriedigung die An-
regung, welche einem neuerer Zeit vernachlässigten herrlichen Zweige der
Tonkunst durch die Preisausschreibung erwachsen sei und sagt: „Auch die
143
populäre Art der Preiszuerkennung, von der gewöhnlichen ganz abweichend
— wir verdanken sie einer Idee von Herrn Dr. Johannes Brahms — wurde
von sehr vielen Mitgliedern sympathisch aufgenommen." Die Worte „von
sehr vielen Mitgliedern" zeigen wohl, daß noch nicht aller Widerstand gegen
Brahms' Neuerung aufgehört hatte. Aber sein populäres System hatte sich
doch bewährt.
Bei diesem Anlasse soll auch gesagt werden, daß Brahms sein Amt als
Mitglied der Sichtungskommission (als Preisrichter) sehr ernst nahm, jede der
durchzusehenden Kompositionen aufs genaueste prüfte und sich so einprägte,
daß er lange Zeit darnach noch Details derselben gegenwärtig hatte. Es kam
nie ein oberflächliches Wort über derlei Arbeiten über seine Lippen. Jede
Spur von Talent erregte seine lebhafteste Freude und Teilnahme. Zur Bera-
tung der Preisrichter kam Brahms völlig vorbereitet, wie der Kandidat zu
eine Prüfung. Oder besser!
Im Oktober brachte Brahms die praktische Anregung, für den ersten Abend
der neuen Saison kein bestimmtes Programm anzusetzen, sondern ad hoc sich
anbietende Vorträge zu akzeptieren. Es war das aus dem Grunde geboten,
weil zu Anfang der Saison ernste Vorbereitungen für ein schwerer wiegendes
Programm nicht zu treffen waren.
In der ersten Dezembersitzung kam ein Brief Goldmarks zur Verlesung,
worin dieser erklärte, eine Wiederwahl zum Präsidenten nicht mehr anneh-
men zu können. Es fehlte hiermit ein Vorsitzender. Das Präsidium in der
bevorstehenden Generalversammlung erklärte Brahms gern übernehmen zu
wollen.
Tatsächlich führte Brahms in der Generalversammlung am 5. Dezember
1887 den Vorsitz. Er eröffnete die Sitzung, begrüßte die Versammlung und
hielt ein knappes Resümee über die Wirksamkeit des Vereines im abgelau-
fenen Jahre.
Der sonst schweigsame Meister war bei diesem, wie bei manchem ähnlichen
Anlasse keineswegs karg mit Worten, eher ein flotter und lebendiger Spre-
cher. Er war — wenn gut bei Laune — ein sehr schlagfertiger, sprachge-
wandter, witziger Tischredner, nie verlegen um einen Ausdruck, sehr ge-
schickt im Stilisieren der ziemlich rasch hervorsprudelnden Sätze.
Nach der erwähnten Sitzung blieb Brahms mit der Vereinsgesellschaft bei-
sammen bei einem einfachen Souper, eine Gepflogenheit, der Brahms bis in
seine allerletzte Lebenszeit treu blieb.
Die bisher mitgeteilten Daten über Brahms Beteiligung am Vereinsleben
habe ich dem einzig erhaltenen Protokollbande der Ausschußsitzungen des
Wiener Tonkünstlervereins entnommen. Von hier an muß ich mich, da wei-
144
tere Bände Protokolle auf bisher unaufgeklärte Weise verschwanden, auf die
Benützung weniger vorhandener Jahresberichte und eigener Notizen be-
schränken.
Es folgten nun mehrere Preisausschreibungen. Bei der ersten derselben
(1889/90) für Chöre a cappella war Brahms nicht direkt beteiligt. Ich erin-
nere mich aber sehr gut daran, wie wütend er war, als er erfuhr, daß ein
ihm befreundeter namhafter Komponist für seine Arbeit — jedenfalls das
Beste alle eingesandten Werke — den Preis erhalten hatte. Er hätte auch
in diesem Falle gewünscht, daß ein jüngerer Künstler ausgezeichnet werde.
Die beiden nächsten Preissausschreibungen (1891 für ein Kammermusik-
werk mit Klavier und mit einem oder mehreren Instrumenten sowie 1893/94
- für Vokalkompositionen für zwei oder mehr gemischte Stimmen mit Kla-
vier) fanden Brahms in der Sichtungskommission, die außer ihm jedesmal
aus den Herren I. N. Fuchs, R. Heuberger, Ed. Kremser und E. Man-
dyczewski bestand. Im ersten Falle war wieder Jul. Zellner, im zweiten
waren Frau Kitty v. Escherich und V. v. Saar Preisgewinner.
Schon 1895/96 schrieb der Verein wieder zwei Preise aus für Kammer-
musikstücke, bei denen mindestens ein Bläser verwendet wird. Sichtungs-
komitee: Brahms, Mandyczewski, R. v. Perger. Es liefen 18 Werke ein, von
denen 12 zur Aufführung bestimmt wurden. Den ersten Preis bekam — nach
Brahms' Preiszuerkennungsmodus — Walter Rabl, den zweiten Miroslav
Weber, den dritten Alexander v. Zemlinsky.
Brahms verfolgte und förderte, bereits im letzten Stadium seines schweren
Leidens, mit regstem Interesse die Durchführung des Preisausschreibens. Im
November teilte der Ausschuß (laut gedruckter Nachricht) mit, daß er „von
einem Freunde des Vereines" (dieser anonym bleibende Freund war Brahms)
in den Stand gesetzt wurde, statt zwei, drei Preise zu vergeben, (400, 300
und 200 fl.). Die eingereichten 12 Kammermusikstücke (mit Bläsern) kamen
an den 5 Vereinsabenden zwischen 20. November 1896 und 15. Jänner 1897
zur Aufführung, wobei Brahms, stets gespannt, aufmerkend gegenwärtig war.
Er spendete auch die Honorare für die Bläser und sorgte für die Druck-
legung der preisgekrönten Werke.
Wenn es heißt, Brahms habe oft an leitender Stelle an den Ausschußsit-
zungen und Generalversammlungen teilgenommen, so ist dies nicht ganz
genau. Abgesehen davon, daß Brahms wiederholt seine Lieder begleitete,
wenn hervorragende Solisten dieselben vortrugen, war Brahms fast
in jeder der Sitzungen anwesend, nahm unermüdlich an oft stundenlangen
Debatten teil, sein Wort wohl bedacht verwendend, das Wort jedes anderen
aber ebenso achtend, wie sein eigenes. Zu den gewöhnlichen Vereinsabenden
145
traf er stets als einer der ersten ein, blieb nach Schluß der Vorträge meist
sehr aufgeräumt in der Gesellschaft beim Abendessen, nahm noch seinen
ihm unentbehrlichen Kaffee und ging dann gegen Mitternacht, begleitet von
einem Freunde oder Bekannten, heim.
Der letzte Abend, den Brahms bei voller Gesundheit im Vereine zubrachte,
war der Abend des 6. Mai 1896."* Der Verein veranstaltete da eine zwang-
lose Feier des Geburtstages des Meisters. Die Feier fand im Gartensalon des
Gasthauses zum „Hirschen" in der Paniglgasse statt und bewegte sich in
dem völlig pathosfreien, heiteren Tone, den Brahms ebenso liebte, wie er
jegliche Art von Feierlichkeit haßte. Nach allerlei, natürlich improvisierten
kleinen Reden, Toasten und dgl. erhob sich Brahms zu einer verhältnismäßig
langen, sehr witzigen Rede, die in einen Toast auf den Ausschuß des Vereins
ausklang.
Schwer leidend kehrte der Meister im Herbste aus Ischl und Karlsbad heim.
Nun kam das traurige Ende. Da war Brahms allen anderen Sterblichen gleich.
Aber wie ein Großer litt er ohne Murren. Stark und mutig bis zum Tode.
* Im Jahr vorher fand eine solche Feier, gleichfalls am 6. Mai, in der Czarda im
Prater statt, welche Brahms oft und gerne aufsuchte. Die Zigeuner „strudelten" ihren
berühmten Kollegen an, was dieser wohlgefälligst akzeptierte. Gegen 12 Uhr nachts
zog die Gesellschaft durch den Prater herauf, wo allerlei Ringelspiele u. dgl. durch-
probiert wurden und Brahms mit mir in der „verhexten Hutschen" fuhr. Plötzlich
wurde ihm die laute Gesellschaft unangenehm und er bewog mich zu gemeinsamer
Flucht, die auch sofort ausgeführt wurde.
146
ANHANG I
Tagebuchnotizen, die von Richard Heuberger in seinem Manuskript ursprüng-
lich nicht zur Veröffentlichung vorgesehen waren. Die stichwortartigen
Überschriften sind vom Herausgeber hinzugefügt. Die Abschnitte 3, 4, 6, 8
bis 16, 22, 23, 25—29, 31—33, 35, 45 (zweiter Absatz), 49—51, 58, 64, 65,
67, 69, 73, 11 \ 80, 82, 83, 85 stellen Texte dar, die nicht in unmittelbarem
Zusammenhang mit den Tagebuchnotizen stehen, sondern erweiterte Ausfüh-
rungen bringen.
(1) Zu Seite 17, nach dem 13. Jänner 1879.
Aufführung der c- Moll-Symphonie am 15. Dezember 1878
Das Werk wurde bloß zweimal durchgespielt, Richter hatte sich nicht son-
derlich vorbereitet, im ganzen gings recht bunt zu. Brahms sagte: „Schließlich
sagte ich gar nichts mehr, sondern lachte bloß, wenn's einmal recht durch-
einander ging. Wenn man nicht studieren will, so soll man derlei liegen
lassen. — Ich habe ja nicht ersucht um die Aufführung. Zum mindesten ist
das ganze Betragen inkollegial." So und ähnlich sprach Brahms über jene
Aufführung, wobei er bedauerte, „dies den Philharmonikern nicht ganz offen
sagen zu können".
(2) Zu Seite 19, 1882/1883.
Herbeck Messe, Gericke, Richter
Als ich ihm erzählte, daß ich eine Partitur der großen Messe von Herbeck
gekauft habe, freute er sich riesig: „Also doch noch ein zweiter hineinge-
fallen!" 144
(3) Zu Seite 19, 1882/1883.
Auf Gericke als Dirigenten der Gesellschaft ist Brahms keineswegs zu gut
zu sprechen. Er meinte, Gericke gingen die Kenntnisse ab, um ein bedeutendes
Programm zusammenzustellen; er sage ihm im Kaffeehaus oft allerlei, das
erscheine dann ganz pünktlich auf dem Programme, wenns auch gar nicht
paßt. Brahms ist da etwas boshaft. Auch beschwerte er sich, daß Gericke
keine Bach-Kantaten mache.
144 Johann Herbecks „Große Messe in E" ist erst nach dem Tod des Kompo-
nisten im Jahre 1877 erschienen.
147
(4) Zu Seite 19, 1882/1883.
Richter stellt Brahms recht hoch, wenn er ihn auch unter jene Dirigenten
(Jahn, Desoff, Frank, Reiß u. dergl.) einreiht, welche das eigentümliche
„Juden-Talent* haben, sich hinzustellen und eine Komposition, die sie fast
gar nicht kennen, famos und doch äußerlich anständig zu dirigieren.
(5) Zu Seite 20, 1882/1883.
Wiederholung der c- Moll-Symphonie bei den Wiener Philharmonikern
Als ich ihm vor der Aufführung dankte und sagte: „Das ist herrlich, daß
Sie uns das Werk wieder bringen", da sagte er: „Ja, wenn Sie wüßten, was
mich das gekostet hat; ich habe erklärt, daß ich die Stelle niederlege, wenn
sie's nicht spielen." 145
(6) Zu Seite 20, 1882/1883.
Novitätenproben der Wiener Philharmoniker
Über die Novitätenproben unter Jahn, wo Grädener, ich, Bibl und andere
abgeschlachtet wurden (Oktober 1882), äußerte er sich: „Das ist unanstän-
dig". Man hatte uns nicht geladen, Jahn kannte keines der Stücke auch nur
entfernt, er nahm unglaubliche Tempi, Ablehnung war selbstverständlich.
Grädeners Symphonie (ebenso Zellners) wurden nicht einmal zu Ende ge-
spielt. So unterstützen die Philharmoniker die anständige Produktion.
Brahms wünschte den Modus der Annahme bei den Philharmonikern so,
daß der Dirigent „gar zu dünne Suppe" zurückgebe und nur Besseres über-
haupt auflege, um nicht zu disgustieren.
(7) Zu Seite 21, 1882/1883.
Mandyczewski Stipendium an Brückner
Von einer anderen Stipendiumsgeschichte erzählte er, wo der Minister
(wahrscheinlich Baron Conrad, der Schulnovellist) auf seine eigene Gefahr hin
von jedem der drei durch die Kommission [Einfügung: Mandyczewski/
Perger] verliehenen Stipendien 100 Gulden abzwickte und sie plötzlich Herrn
Professor Brückner gab, der vor allem das Glück habe, dumm zu sein und
einem Pfaffen ähnlich zu sehen.
Von Chrysander spricht Brahms mit Vorliebe und sehr verehrend.
145 Das Wiener Philharmonische Orchester ist ein autonomer Verein. Die Annahme
eines Werkes wurde durch Abstimmung der Orchestermitglieder bestimmt. Der Diri-
gent besitzt Vorschlagsrecht.
148
(8) Zu Seite 21, 1882/1883.
Autographenjäger
Einmal (März 1883) kam ich zu ihm, da lagen zwei Briefe von Manu-
skriptenjägern, einer von einem Gymnasiasten, einer von einem angeblichen
Backfisch. Brahms las den zweiten in zimperlichem Tone sehr lustig vor. Er
ärgert sich über Manuskriptenjäger; täglich kommen ihm solche Briefe.
(9) Zu Seite 21, 1882/1883.
Brückner probe von Dessoff
Brahms erzählte einmal von einer Novitätenprobe, wo von Brückner was
probiert wurde; Brückner war anwesend. Dessoff nahm das Tempo fast
nochmal so schnell als es Brückner wünschte; er nahte sich demütig Dessoff
und machte ihn hierauf aufmerksam. Dessoff tat den herrlichen Ausspruch:
„Ah, das macht nicht mehr viel aus."
(10) Zu Seite 21, 1882/1883.
Anton Dvorak
Lebhafteste Sympathie hat Brahms für Dvorak. Er spielte mir einmal ein
Stück aus der D-Dur-Rhapsodie wahrhaft begeistert vor. Entzückt sagte er:
„Ah, das ist so musikalisch." — Als einmal über ein recht schwaches Werk
von Dvorak geredet wurde, sagte er: „Ja, es. ist schwächer, aber doch hundert-
mal musikalischer als der ganze Rubinstein."
(11) Zu Seite 21, 1882/1883.
Breitkopf & Härtet
Von Breitkopf & Härtel erzählte er mir, daß ihm die Firma einmal
angetragen habe, sie wolle ihm zu Anfang eines Verlagsgeschäftes die Hälfte
des Honorars im vorhinein zahlen, die zweite Hälfte unter gewissen Moda-
litäten: z. B. Absatz einer gewissen Zahl Exemplare und dergl. Da wollte er
nichts wissen.
(12) Zu Seite 21, 1882/1883.
Uraufführungen bei kleinen Bühnen
Als ich Brahms wegen der Vereitelung meiner Opernaufführung (Graz
15. Jänner 1883) sprach, besprach ich allerlei Städte, darunter auch Karlsruhe.
Da warnte er mich und verwies mich auf Freund R. v. Perger, der seine
Oper zwei Jahre bei Mottl hatte, ohne daß dieser dieselbe nur vorgeschlagen
hätte. Auch so ein Ehrenmann. — Mir riet er jedenfalls eine kleine Bühne
als Anfang zu wählen: „Da kann man so ruhig durchfallen", war seine stete
Phrase.
149
(13) Zu Seite 25, 1882/1883.
Rinaldo- Aufführung in Preßburg
Als bei der Vorbesprechung zur Schubert- Ausgabe Kremser ziemlich patzig
Brahms ansprach mit den Worten: „Wir machen jetzt im Männergesang-
verein Ihren Rinaldo", sagte Brahms: „Ah, da machen Sie ja den Preßburgern
Konkurrenz!" (In Preßburg wurde eben der Rinaldo studiert.) Brahms fuhr
sogar zur Rinaldo-Aufführung nach Preßburg.
(14) Zu Seite 25, nach dem 7. Jänner 1884.
Pianist Friedheim
„Dieser Tage", erzählte Brahms, „war ich in einer Gesellschaft, in welcher
Pianist Friedheim spielte." Mit wahrhaftigem Entsetzen erzählte er von
einem Stücke eines jungen Russen, von dem Friedheim meinte, „es werde
die Musiker sehr interessieren"; da habe Friedheim das Klavier geboxt (er
machte es lustig nach) und „das hat man schon nicht mehr für Musik halten
können". Nachträglich erfuhr ich, der Herr Friedheim habe Brahms ärgern
wollen!
(15) Zu Seite 26.
Generalprobe zum Gesellschaftskonzert am 22. Nov. 1884; die erste unter
Richter . . .
Cantate auf Josefs II. Tod ein herrliches Stück Beethovenscher Musik,
voll Empfindung, Klang, voll feinster Erfindung. Das ist einmal eine glück-
liche „Ausgrabung". Ein junger Wiener Kaufmann erstand erst heuer eine
Abschrift dieser Cantate (mit noch einer) bei einem Antiquar. 140
(16) Zu Seite 26.
30. November. Aufführung von Robert Fuchs* C-Dur-Symphonie (Nr. 1)
bei den Philharmonikern. Abends waren Stocker, Fischer, Johanna und ich
bei Robert und waren lustig und tranken Champagner, den Brahms an
Robert geschickt hatte, um ihm an diesem Tage eine Freude zu machen.
1. Dez. 1884. Bülows „Klaviervortrag" unter Mitwirkung des Meiningen-
schen Hoforchesters. Programm: Weber Oberon-Ouverture, Beethoven G-Dur
Konzert, Raff Suite (Klav. allein), Chopin Nocturno, Berceuse, Präludium,
Schubert Wandererfantasie (mit Orchester), Beethoven Egmont-Ouvertüre.
146 Zur Wiederauffindung und der Geschichte der Trauerkantate auf den Tod
Kaiser Josephs II. und der Kantate auf die Thronbesteigung Kaiser Leopolds IL,
siehe Eduard Hanslicks Artikel „Zwei neu aufgefundene Cantaten von Beethoven"
in seiner „Suite", Wien und Teschen, o. J., Seite 153 ff. Über Brahms* Urteil zu
den Werken und über seinen Einfluß auf die Aufführung, schreibt Hanslick in
seiner Würdigung „Johannes Brahms* Erinnerungen und Briefe", in: „Am Ende
des Jahrhunderts", Berlin 1899, Seite 379 ff.
150
Bei Gelegenheit der letzten Nummer kam es zu folgendem Zwischenfall.
Bülow kam mit dem Programm in der Hand in die Mitte des Podiums, stellte
sich in Positur und begann etwa folgende Rede: „Meine Damen und Her-
ren! Eine so rücksichtsvolle Aufnahme, eine so liebenswürdige Gastlichkeit,
wie ich sie von Ihnen, wie ich sie von Wien erfahren, verlangt wohl auch
einige Dankbarkeit von meiner Seite. Wie ich nun eben sehe, ist der bedauer-
liche Irrtum unterlaufen, daß die Egmont-Ouvertüre von Beethoven aufs
Programm gesetzt wurde, von deren Interpretation wir uns bisher in dem
Glauben befunden haben, daß dieselbe alle nur möglichen Nuancen im Sinne
oder gegen die Tradition zum Ausdruck bringe. Von einem „gewiegten Beet-
hovenkenner" eines Besseren belehrt, wollen wir — uns eben wieder zu einem
Attentat auf Beethoven anschickend — dies vor Augen halten, besonders
da wir als Fremde doch die Ansicht des „Fremdenblattes" respektieren zu
sollen glauben. — Ich erlaube mir den Vorschlag zu machen, daß wir die
Egmont-Ouvertüre fallen lassen und wir dagegen die „akad. Festouvertüre"
ihres Meisters Brahms zum Vortrag bringen."
NB (Alles dies geht auf einen infamen Artikel Speidels im „Fremdenblatt"
wo er so weit ging, Bülow gegenüber die „Gastfreundschaft" zu kün-
digen und alles dies wegen Brahms; da sich Speidel mit Brahms vor
ein paar Jahren im Gasthaus bei „Gause" in der Johannesgasse wegen
dem seither verstorbenen Klavierlehrer Eder zerzankt hat, ist nun alles
bei Speidel schlecht, was mit Brahms gut ist. — )
Auf diese Bemerkung entstand im ganzen Saale ein vielstimmiges Lärmen
„Brahms" — „Egmont", endlich schien sich die Majorität für „Egmont"
herauszustellen, da unterbrach Bülow indem er sagte: „Verzeihen Sie, wenn
ich doch für Brahms bin — zu Beethovens Zeiten hätte man vielleicht Weigl
gerufen." (Das war nun freilich etwas verschnappt und unrichtig!) Da rief
nun wohl so ziemlich alles „Egmont". Da Bülow dieses hörte, sagte er: „Ich
werde Egmont spielen und wälze aber die Schuld für dieses neuerliche Beet-
hovenattentat von mir ab." — Dann spielten sie die Egmontouvertüre mit
dem überflüssigen ritardando, aber sonst voll Feinheiten, voll tiefer Kenntnis.
NB (Die Rede Bülows wurde von den jüdischen Journalen total entstellt
wiedergegeben, und alle fielen zu Schutz, Trutz und Frommen des Herrn
Kollegen Speidel über den gescheiten Bülow her! Grob sein ist also
Monopol der Rezensenten.)
(17) Zu Seite 28, nach dem 19. Jänner 1885.
Anton Brückner
Auf Brückner kam die Sprache, und er äußerte sich wieder so wie einst:
Er begreife nicht, was die Leute da finden wollen. Da sei ja Dräseke (ich
hatte ihm eben Einiges von diesem geliehen) ein wahrer Klassiker, und der
151
sei doch auch ziemlich konfus. „Gemeinsam ist den zwei Herren, daß beide
wenig gelernt haben."
(18) Zu Seite 28, vor dem 27. Februar 1885.
Hans von Bülow
An der Nachricht, daß Bülow nach Wien an die „Gesellschaft* komme,
fand Brahms keinen vernünftigen Hintergrund. Er meinte, es könne doch
jetzt, da Richter in voller Tätigkeit sei, nicht von jemand anderem geredet
werden. Für das Orchester, meinte Brahms, sei es gut, wenn ein Opern-
kapellmeister dastehe, es sei sein Orchester, mit dem er umspringen könne
als Herr. „Wenn ich dirigiere, so muß ich höflich sein und schön danken —
und dann wollen die Leute ja doch nicht; Richter kann als Herr auftreten."
(19) Zu Seite 28, vor dem 27. Februar 1885.
Gründung des „Wiener Tonkünstler-Vereins"
Nun kam er auf den eben in Gründung befindlichen „Wiener Tonkünstler-
Verein" zu sprechen. Er hatte die Statuten des Kölner und Dresdner Vereins
da, welche eben nur geistige Interessen fördern und zwar durch Verkehr
untereinander und Aufführungen seltenerer, alter und neuer Werke. Über all
die finanziellen Hirngespinste des Dr. Nawratil, des Gotthard und Fischer
äußerte er sich höchst abfällig. Er meinte: „Wenn ich einen armen Musiker
weiß, so werde ich ihm gewiß gerne Gutes tun, eine Kollekte veranstalten,
aber dazu brauchen wir keine Statuten und kein Vereinshaus. Bösendorfer
schwärmt so sehr von dem eigenen Hause, das ist kindisch."
(20) Zu Seite 29, nach dem 2. April 1885.
Aufführung der Heuberger sehen Symphonie in Graz
Nebenbei berichtete mir Brahms, daß er am selben Abend, als meine
Symphonie in Graz gemacht wurde, in Mürzzuschlag war; er habe von
meiner Symphonie in Mürzzuschlag erst gelesen, sonst wäre er hinabge-
kommen, um sie auch zu hören.
(21) Zu Seite 29, im zweiten Absatz.
Neudeutsche Musikschule
Ich erzählte ihm dann über die famosen Pläne, eine „neudeutsche Musik-
schule* betreffend, die er ziemlich gründlich belachte. — Er sagte, daß er
nun glaubt, daß Dr. Muck (derzeit in Graz Theaterkapellmeister) an Thieriots
Stelle komme. Dann, meinte er, wird wohl Kienzl kommen. „Das wäre nun
allerdings ein Unglück, dieser eitle, universelle Schwätzer."
(22) Zu Seite 29.
3. April. Charfreitag. Heute war Brahms längere Zeit bei mir, brachte mir
die Symphonie zurück, an der ihm allerlei nicht recht war und ermunterte
152
mich zu einer — zwar ohnehin geplanten — teilweisen Umarbeitung. Trotz-
dem gefiel ihm eine Menge drin. Johanna und icii begleiteten ihn dann nach
Hause.
11. April. Abends mit Brahms, Thieriot, Labor, Bildhauer Werner David,
s. Frau, Labors Schwester, Lotte von Eisl im Gasthaus und dann bis 12 Uhr
im Catehaus.
(23) Zu Seite 30.
4. Oktober. Heute war ich bei Brahms, der eben vor ein paar Tagen wie-
der nach Wien zurückkam. Er erzählte, daß er in 14 Tagen nach Meiningen
gehe, eine neue Symphonie, die eben kopiert wird, zu probieren. — Manches
oft Beklagte in unseren traurigen Musikzuständen wurde wieder besprochen.
Auch der Brief, den wir an die Philharmoniker richten wollen, um zu
erwirken, daß man bei den Novitätenproben dabei sein kann. — Plötzlich
kam er auf die neuen 6 Lieder zu reden, die eben bei Rebay & Robitschek
erschienen sind und sagte etwa folgendes: „Sie, von Ihnen habe ich kürzlich
schöne Lieder gesehen; die möchte ich mir genauer ansehen können, da ich
sie nur flüchtig anschauen konnte und sie mir auf den ersten Blick schon so
fertig und gut vorkamen." Das war heute das erste Mal, daß Brahms etwas
von mir entschieden gut fand. Das ist mir aber der höchste Lohn der strengen
Arbeit, vor so Jemandem bestehen zu können oder gar sein Wohlgefallen
zu erregen. —
Nach einiger Zeit kam Gutmann, k. L Hofmusikverleger und fader
Mensch daher und kam über ganz schäbige Themen nicht hinaus, da muß
Klatsch und dergleichen herhalten! 147
(24) Zu Seite 31, nach dem 6. Oktober 1885.
Novitätenproben bei den Wiener Philharmonikern
Wegen der philharmonischen Angelegenheit sagte er, er sei gestern mit
Richter zusammengetroffen und habe ihm tüchtig zugeredet und ihm gesagt,
daß „der mindeste Grad von Anstand* es erfordere, daß man in Wien
weilende Komponisten zur Probe ihrer Sachen auffordere. Er meinte: „Ich
selbst ginge gerne in die Probe, aber man weiß ja, daß sie's nicht gerne sehen;
und sie sehen's deshalb nicht gerne, weil sie nicht wollen, daß man ihre
saloppe und malitiöse Art, derlei Angelegenheiten zu erledigen, durchschaue.
Daher das Geheimnistun!*
147 Brahms fuhr am 17. Oktober nach Meiningen und dirigierte dort am 25. Ok-
tober die Meininger Hofkapelle. Neben dem von Adolf Brodsky gespielten Violin-
konzert kam seine 4. Symphonie e-Moll zur Uraufführung.
153
(25) Zu Seite 31, zwischen 18. 10. und 16. 11. 1885.
Symphonie von Richard Strauss op. 12, auf die mich Brahms aufmerk-
sam machte (I. f-Moll, II. As-Dur Scherzo, III. Andante C-Dur, IV. All(egr)o
assai f-Moll C). Strauss ist sehr geschickt in jeder Richtung; er schreibt einen
reichlich ausgebildeten guten Satz, instrumentiert prachtvoll; und dennoch
ist seine Arbeit versehen mit dem modernen blassen Universalgesicht, das
jetzt fast alle jungen Leute aufweisen. Es ist eine schier unzerreißbare Uni-
form über den Geist gezogen, die alles Persönliche verdeckt und nur die
schematische Gliederung durchsehen läßt.
(26) Zu Seite 31, 1886.
Die Ursache, warum Brahms und Bülow auseinander kamen, erfuhr ich
am 17. 2. durch Max Kalbeck. Brahms hatte Bülow ausschließlich für diesen
Winter das Aufführungsrecht der vierten Symphonie versprochen. Das ging
auf die Länge nicht gut. Er (B.) mußte Bülow nach Krefeld laden und schrieb:
„Da ich nun schon die Dummheit gemacht habe, Dir das Aufführungsrecht
der 4. Symphonie allein zu überlassen . . . etc. . . ." Am Bahnhof in Krefeld
ist Brahms mit dessen Gastfreund. Bülow kommt an. Gastfreund wird vor-
gestellt und B. sagt, daß Bülow auch dort wohnen wird. Bülow sagt: „Da
Du schon die Dummheit gemacht hast, dort abzusteigen, steige ich nicht dort
ab. Adieu." 148
22. , 24., 26. Februar mit Brahms zusammen. Am 24. war er so übermütig
lustig. Zeigte mir allerlei Bücher, lieh mir Gozzi „König Hirsch*. Zeigt mir
sein neuestes Autograph: Sechs Quartette von Haydn aus dem Jahre 1772.
21. März. Nach dem Speisen Brahms im Kaffeehaus getroffen und ein
paar Stunden mit ihm gewesen (mit Ludwig Rottenberg zusammen). Er
erzählte, daß in Berlin das Original eines Schriftstückes von Wagner (aus
dem Jahre 1842) existiere, das er kennt, worin Wagner über die „Huge-
notten" einen begeisterten Bericht niederlegt; er sagt: „man müsse dem
Manne endlich seinen Platz neben Mozart, Weber u. dgl. anweisen." 149
Wie Brahms erzählt, hat Frau Schumann einen Brief Wagners an Schu-
mann im Besitz, worin Wagner dem Schumann eine Art geistiger Brüder-
schaft anträgt, ihm sagt: „Wir müssen zusammenhalten, gemeinsam arbeiten
gegen die Philisterei u. dgl. — Schade, daß dies alles nicht veröffentlicht
148 Den Sachverhalt der Auseinandersetzung haben Kalbeck, III, S. 498 ff. und
auch Marie von Bülow, Hans v. Bülow Briefe, Band 6, S. 396 f., gänzlich ent-
gegengesetzt geschildert. Heubergers Bericht wird deshalb zur Information mitge-
teilt. Seine Notiz kann nur als seinerzeitige Erklärung des Streites gewertet werden.
Mit dem Gastgeber ist Rudolf von der Leyen gemeint.
149 Siehe Wagners Briefe an Meyerbeer bei Chamberlain: Richard Wagner,
München, 1901, S. 53.
154
wird oder doch erst später. Wie würde derartiges die Meinungen klären
helfen! Über Kienzls Buch skandalisierte sich Brahms ausführlich und be-
dauerte immer, daß der liebe talentierte Mensch nichts lernt und in seiner
Eitelkeit sich so bedauerlich wohlfühlt. Professor Dr. H. M. Schuster kam
auch ins Kaffeehaus. Er redete allerlei aufgeregtes Zeug. Beim Spazieren-
gehen sagte dann Brahms von Schuster, der für die von Robert Franz her-
gerichteten Bachkantaten schwärmt : „ Schuster wird für die Robert
Franz'schen Lieder erst recht stark schwärmen, wenn einmal eine von Robert
Franz revidierte Ausgabe erschienen sein wird."
(27) Zu Seite 31, vor dem 14. November 1886.
Mitte Oktober mehrmals mit Brahms zusammen. Es war die Rede von
Leuten, die im Wohlleben krank werden. Er sagte: „Oh, ich weiß schon,
warum ich abends lange aufbleibe. Ich schlafe nicht lange, aber gut. Spät
zu Bett, früh auf. Da sehen Sie . . .", er wies auf ein paar Kerzen, „. . . um
sieben Uhr früh sitze ich da und bin fleißig. Und den ganzen Tag habe
ich keine müde Minute." Als er auf den Genuß geistiger Getränke bei be-
rühmten Leuten kam, sagte er: „Nun, von Schumann weiß ich's doch; ich
ging oft genug mit ihm ,aufs Bier', wie Schumann sagte, und dann gings
zum Konditor, wo er eine Flasche trank. Hatte er ein großes Werk fertig
gemacht, so tranken er und die Frau zusammen eine Flasche Champagner,
auch wohl nur eine halbe. Als Student hat Schumann wohl wie jeder seine
durstige Zeit gehabt."
Über Goldmarks eben erschienenen „Merlin" war Brahms sehr entzückt,
lobte das Werk als eine „rechte Tat", sagte immer: „Vor so einem fixen
Kerl wie Goldmark muß man Respekt haben; es ist eine Freude, beim Durch-
lesen zu sehen, wie das alles wirken wird, wie alles an seinem Platze steht.
Und dabei jüdelt es gar nicht, gar keine „Triole". Es ist sowohl seitens Gold-
marks als Lipiners das Beste, was die Beiden gemacht haben." Daß der Text
soviel mit Zaubereien zu tun hat, geniert Brahms nicht, er meint: „Man ist
dem Kunstwerk gegenüber verpflichtet, sich auf den naiven, kindlichen Stand-
punkt zu stellen und das zu glauben, was der Dichter zu glauben vorstellt.
Mich haben in Raimund'schen Stücken die Zaubereien nie geniert; ebenso-
wenig als im Freischütz oder dgl. Da müßte man die halbe Poesie wegwerfen."
Letzthin erzählte Brahms, daß Bülow {angeblich) bei einer Aufführung
der 9. Symphonie beim langsamen Satze Weihrauchdüfte in den Konzertsaal
leitete, um die Stimmung zu erhöhen. Er sagte, er möchte gerne wissen, ob
das wahr ist. — Von Widmann erzählte Brahms viel Freundliches. Er sei
ein reizender Mensch. —
26. Oktober. Im Tonkünstlerverein spielte Brahms mit Hellmesberger seine
erste Violinsonate. Mir gefällt das Stück überaus und zwar nicht nur der
155
letzte Satz. Das Ganze ist wundervolle, verklärte Musik. — Brahms spielte
auch sehr schön und war in glücklicher Stimmung.
(28) Zu Seite 32.
19. November. „Merlin" von Goldmark. Nach der Oper mit d' Albert,
mit Busoni und etlichen anderen im Gasthaus, d' Albert ist über „Merlin"
total meiner Meinung und keineswegs derjenigen, die Brahms proklamierte.
— d' Albert noch lieber gewonnen.
(29) Zu Seite 32.
20. Nov. 1886. Bei Kretschmann gehört: . . . Eine Serenade für Streich-
instrumente von einem abscheulichen Zucker: Jul. Mannheimer war geradezu
jämmerlich. Brahms soll sich für den Burschen interessieren. Hanslick sagte
beim Herausgehen: „Das kann wohl nur aus allergrößter Gutherzigkeit
geschehen."
Dabei fällt mir ein, wie gut die Bezeichnung „Orchesterabende" von
Kretschmann gewählt wurde; noch ein paar solcher Konzerte und das Orche-
ster ist ganz ungestört und unter sich.
(30) Zu Seite 32 zum 24. November 1886.
Brahms stürmisch empfangen und stets wieder gerufen. Das Stück gefällt
mir noch besser als Vormittag. Die Behandlung des Cello's ist neu und eigen-
tümlich; mir wesentlich lieber als die Art, wie Beethoven derlei einzelne
Streichinstrumente neben dem Klavier benützt. Im letzten Satz eine höchst
originelle Klangmischung.
(31) Zu Seite 32.
2. Jänner 1887. Brahms e-Moll Symphonie im philharmonischen Konzert
gehört. Großartiger erster Satz voll Zug und eigentümlichen Reizes. Eigent-
lich nicht lockig und hinreißend wie der erste Satz der F-Dur Symphonie,
aber voll männlicher Würde, voll Ernst; nie trübsinnig, stets den Kopf
oben. Keine Spur von Reflexion. 2. Satz ergreifend schön. 3. Satz für mich
derzeit gleichgültig. 4. Satz gewaltige Passacaglia. — Das ganze Werk unge-
mein schön instrumentiert, was bei so (folgt ein unleserliches Wort) strengem
Satz etwas heißen will. — Äußerer Erfolg gleich Null. Das Publikum ist
elend!
3. Jänner. Mit Max Kalbeck merkwürdig über Brahms gesprochen. K.
sagte endlich einmal, daß B. trotz seiner Bedeutung kein Meister allerersten
Ranges sei, da die Mache doch die Gewalt der Einfälle überwiege. Es man-
gele die große, edle Popularität, das Demagogische, welches z. B. Beethoven
auszeichnet. „Symphonien müssen doch eigentlich dem Volke verständlich
sein. Das werden Brahms' Symphonien nie . . ." Über das Scherzo schimpfte
156
er; nennt es einen „sitzen gebliebenen Haferlbrei". Die Passacaglia über-
schätzt er etwas, er stellt sie der Bachschen gleich. Das ist unmöglich! Bachs
Passacaglia ist trotz der Kunst, die drin aufgestapelt ist, ein tief empfun-
denes, im Anfang zu Tränen rührendes Stück Poesie. Brahmssche ist voll
Kunst und stellenweise poetisch (der herrliche Posaunenein tritt), aber von
dieser triefenden Empfindung ist doch keine Rede. Für mich ist eine Ver-
gleichung dieser beiden Satze ausgeschlossen. 150
(32) Zu Seite 32, 1887.
Dieser Tage war ich oft mit Brahms zusammen.
25. April. Vormittag bei Brahms, wo auch Kalbeck und Robert Fuchs vor-
sprachen, um sich zu verabschieden. (Er reist am 26. früh nach Italien und
dann in die Schweiz.)
(33) Zu Seite 35.
28. November. Brahms war Nachmittag lange bei mir. Viel über Musik und
Literatur geredet. — Er schätzt Lanner sehr hoch, weit höher als den „alten"
Johann Strauß (Vater), was mir sehr wohl tat endlich von so jemandem
zu hören. Er hob Lanners Schubert'sche Züge hervor. — Über Johann Strauß
und seine „Fledermaus* gesprochen. Brahms liebt das Werk sehr; über
Strauß's Instrumentationskunst sagt er: „. . . es ist jetzt niemand da, der
ähnlich sicher wie er in derlei ist. — "
Auch Zöllners „Faust" wurde wieder gestreift. Brahms sagte: „Mir ist's
noch lieb, daß die Musik so schlecht ist, denn wenn diese Barbarei noch mit
guter Musik vollführt worden wäre, hätte es mehr Aussicht, sich zu halten." 151
Riedelscher Gesangverein in Leipzig
Über C. Riedel (Leipzig) sagte er, daß er aus ganz einfachen Anfängen
— er war Buchbindergeselle — emporgekommen sei. Ein fleißiger, aber
wenig rasch denkender Mann, der in der ersten Zeit seiner Wirksamkeit
mehr vonArrey vonDommer geleitet wurde. Dommer machte die Programme,
Riedel war der Chormeister. Erst später wurde Riedel selbständiger und
machte musikalische Studien. (Brahms hat dies von Dommer, der es ihm
selbst gesagt hat.) Über den Gesang des Riedeischen Vereines sagt Brahms,
daß der Verein „ebenso singt, wie man in Leipzig und Berlin singt: accurat,
aber schwunglos. Der Verein kann sich mit keinem der größeren rheinischen
Vereine, oder gar nicht dem Singverein in Wien messen. Gar nicht zu denken!
Jetzt wird der Schwindel mit dem Verein etwas gar bunt getrieben."
150 Nachträglich hat Heuberger mit Bleistift am Rande der ersten Zeile dieses
Abschnittes angemerkt: „Was für Esel waren wir beide, Kalbeck und ich". Die
Revision seines Urteils über die e-Moll-Symphonie ist durchaus kein Einzelfall.
151 Heinrich Zöllners Musikdrama „Faust" wurde 1887 in München uraufgeführt.
157
(34) Zu Seite 35, nach dem 5. Dezember 1887.
Als wir von der Wirkung aufs Publikum sprachen, stand eben der Kellner
neben ihm und wartete auf seine Befehle. Da sagte Brahms: „Sehen Sie,
derlei beurteile ich doch am besten nach den mir nächstsitzenden Herren
(die Direktoren der Gesellschaft der Musikfreunde). Ich sitze doch da mit
den ausgebildetsten Rhinoz. . . pardon Rind. . . pardon (zum Kellner ge-
wandt:) Rindsgollasch bringen Sie mir — (fortfahrend) die sind doch gewiß
das schlechteste, was man an Publikum finden kann, und die waren ganz
elektrisiert. Paßten gespannt auf. Das Stück ist überhaupt so, daß man keinen
Augenblick wegdenken kann. Dasselbe empfand ich auch. Es hat etwas so
eindringlich in Anspruch nehmendes, daß man mitdenken muß. Am liebsten
wäre mir's gewesen, wenn Richter gleich von vorne wieder angefangen hätte.*
(35) Zu Seite 35, 1888.
16. Jänner bei Brahms. (Wiederholt vorher getroffen.) Er ging mit mir
die „Suite" (ihm gewidmet) durch, die er meist nicht gut instrumentiert fand.
Er sagte immer: „Ja, da kann keiner behaglich spielen und blasen; Sie geben
den Leuten immer einzelne kleine Phrasen, einzelne Noten, wie dem Stift
auf der Walze einer Spieluhr; aber der Musiker ist kein Stift, der ist ein
Mensch; er muß immer etwas zu sagen haben. Wer die dissonierende Note
hat, muß auch die Auflösung haben, sonst weiß keiner, wie er dran ist."
Er sagte viel Gutes auch, war überhaupt sehr lieb. Er sagte noch: „Schauen
Sie Partituren von Wagner, Strauß oder von wem Sie wollen, an: alle
pinseln nicht so wie Sie; alles ist zu pinselig. Sie müssen ordinärer* arbeiten;
nicht lauter Ausnahmen in Anwendung bringen. Es wird alles so wunderlich,
stachlig; verliert die Grazie. Harmonische Wendungen sind zuweilen über-
stürzt, um ein paar Takte verlängert ist es deutlich, so ist's unklar." Das
Andante (F-Dur) lobte er durchaus. —
(36) Zu Seite 37, nach dem 5. März 1888.
Hermann Gr'ddener
„Und musikalisch über die Puppen!" Über den jungen Herrn Grädener
ist er etwas ärgerlich, daß er so neidig und verbittert ist: „Er will immer
große Anerkennung und macht so wenig. Leisten muß man was, dann kommt
schon die Anerkennung. Ja, wenn er wieder eine ,Lustspielouvertüre c machte,
das wäre was. Die ist ein feines Stück und hatte auch Erfolg." Brahms
erzählte dann über Herrn Grädeners steife Manier, wie er sich B. gegenüber
nach dem Konzert, wo die Ouvertüre zuerst gemacht wurde, benahm: „Das
soll alles witzig, geistreich und dergleichen sein und ist nur ledern, bissig,
fad." —
158
(37) Zu Seite 37, vor dem 6. April 1888.
Über den Plan von Robert Fuchs (die Oper betreffend) sagte er: „Nun,
ich erwarte von ihm eine hübsche, tugendhafte Oper, etwa wie das ,Goldene
Kreuz' — fein, vornehm, nicht aufregend. Tief geht Fuchs ja nirgends; in
den Symphonien streift er hie und da das Tiefere. Aber er ist so anmutig,
in seinen Grenzen, die er doch nur in dem mir gewidmeten Trio ernstlich
überschritten hat. Was mir besonders gefällt, ist, daß er (Fuchs) von der
Oper sich nur die Musiktexte geben läßt und sich um Handlung, Dialog usw.
nicht kümmert. Darin hat er Sie übertroffen." — So sagte Brahms zu mir.
Diese Ansicht über Opern finde ich geradezu fürchterlich. Es ist jedenfalls
nur Oppositionsgeist, der da spricht.
(38) Zu Seite 38, nach dem 14. April 1888.
Auf Hanslicks letztes schönes Feuilleton kam die Rede, wo er über Berlioz
(Cellini) und Wagner (Karfreitagszauber) sprach. Er sagt: „Hanslick ist ein
überaus feiner Kenner, der nach dem ersten Drittel eines Werkes richtiger
auf das Ganze schließt, wie alle anderen miteinander. Er hat ein gutes,
empfängliches Herz, feine Ohren. Wie richtig sprach er doch über Berlioz,
dem man ja gewiß eine gewisse Verehrung entgegenbringen muß, die der
geniale Mann verdient. Aber in der Musik war er schlecht beschlagen; das
Zeug ist wirklich ungeschickt gemacht, trocken, ledern. Was gut ist, sind ein
paar geistreiche Einfälle: ,Fee Mab', ,Harald c usw. Darüber streite ich auch
oft mit Bülow. Ich sage dann immer: Wenn derlei Meisterwerke sind, dann
sind alle Bach, Mozart, Beethovenschen usw. Werke keine Meisterwerke."
(39) Zu Seite 39, nach dem 25. November 1888.
Ich fragte Brahms, ob er Mendelssohn einmal gesehen habe. Er verneinte.
Spohr hat er gesehen.
Brahms sagte mir wieder, daß er schöne Lieder von mir gesehen habe
(die der Spies und Robert Franz gewidmeten). Wir redeten viel über Robert
Franz, den er auch vor Jahren besuchte, den er aber bei aller scheinbaren
Bescheidenheit für innerlich eitel hält. Daß Franz viel spricht und schreibt
(Briefe), ist ihm, dem schweigsamen Manne, ziemlich fremdartig. Ich erzählte
ihm von meinem Gespräche mit Franz, wo es über Wagner (besonders die
Trilogie) sehr bös' herging und wie andere Leute (Pfohl und dergleichen) be-
geisterte Urteile des Robert Franz über Wagner gehört haben wollen.
(40) Zu Seite 39, nach dem 8. Dezember 1888.
Im Gasthaus reichte Brahms einen an Gustav Walter gerichteten Brief
der „komponierenden" Baronin Baudoin herum, der an Fehlerhaftigkeit,
Frechheit und dergleichen das Unglaublichste bietet. Fast jedes Wort war
falsch geschrieben — und diese Schrift. Wenige Dienstboten werden so elend
schreiben.
159
(41) Zu Seite 40, vor dem 15. Dezember 1888.
Von Frau Sucher in Berlin, die eine ziemlich ordinäre Person ist, erzählte
er das lustige Wortspiel, daß Enthusiasten, die sie nach hochidealen Leistun-
gen, Isolde usw. einluden und von ihr durch Ausrufe wie: „Gebts mer a
Bier, i hab' an damischen Durscht . . ." oder dergl. ernüchtert wurden, von
ihr sagten: „Der Mensch vergött're die Sucher nicht."
(42) Zu Seite 40, nach dem 18. Dezember 1888.
Von Liszt's Jugendzeit erzählte er was Nettes. Liszt war von den Weibern
schrecklich verzogen worden und daher sehr gleichgültig in mancher Bezie-
hung. Brahms erzählte eine etwas entgegengesetzte Erfahrung, die Liszt
machte. Eine vornehme Dame hatte ihn eingeladen, bei ihr zu Abend zu
sein. Liszt zu Ehren war große Gesellschaft geladen. — Liszt kam nicht;
die Dame blamiert, die Gesellschaft ärgerlich. Andern Tags kommt Liszt
ganz siegesgewiß zu der Dame und meint: „Sie sind wohl glücklich, gestern
von mir ein Autograph bekommen zu haben?" — „Wieso?" — „Ich habe
Ihnen ja doch abgeschrieben." — „O, solcher Mist wandert bei mir in den
Papierkorb" und zeigte dem erstaunten Liszt das bereits diesem Einrichtungs-
stück anvertraute zerknitterte Billet.
(43) Zu Seite 42, vor dem 10. Oktober 1889.
Liszt — Schumann — Richard Pohl
„Als Komponist — wie hat Schumann mitleidig über die (ihm gewidmete)
h-Moll-Sonate (er bekam die Sonate erst im Krankenhaus) gelächelt. Die
Artikel Arnolds sind ekelhaft geschrieben und widerlich."
Auch über Richard Pohl wurde viel geredet. — Er mag ihn nicht beson-
ders, nennt ihn „arme elende Kreatur", meinte, daß er in Baden-Baden
seinerzeit beim Spielpächter angestellt war, um alles im schönsten Lichte zu
zeigen. „Seine Gesellschaft war die Bank und Hurengesellschaft." 152
(44) Zu Seite 43, zum 31. Oktober 1889.
W agner-Opern zu anstrengend
Über die „Walküre" kam er zu sprechen. Ich sagte, daß ich am Sonntag
vorher in dieser Oper wieder ordentlich gelitten habe und eingeschlafen sei.
Da sagte er: „Ja, wissen Sie, wir sind alle keine Vollblutwagnerianer; und
auch diese schlafen. Frau Richter (Hofkapellmeistersgattin) schlief einmal
neben mir im 2. Akt der ,Meistersinger' ein. Endlich fiel das Opernglas hinab;
da hob sie's auf, als wäre gar nichts geschehen. — "
152 Brahms Abneigung gegen Pohl war begreiflich. Siehe Pohls Artikel in der
„Neuen Zeitschrift für Musik" 1855, Nr. 2, 24, 25 unter dem Pseudonym Hoplit,
in denen Brahms* erste Kompositionen verurteilt wurden. Pohl siedelte von Weimar
nach Baden-Baden über, wo er zeitweilig das „Badeblatt" redigierte.
160
(45) Zu Seite 43, nach dem 31. Oktober 1889.
„Jetzt erscheint eben alles, was halbwegs überhaupt ,geht', bei Simrock:
Brahms, Bruch, Strauß — da wird sich Cranz ärgern." 153
Preis des Tonkünstlervereins für Koeßler
Bei der Konkurrenz um den Preis für gemischte Chöre, die im November
des Jahres im Tonkünstlerverein stattfand, wurde eine 16stimmige Kom-
position von Koeßler in Pest prämiiert; Brahms sprach vor der Entscheidung
oft davon, daß das Werk von einem alten Praktikus sei und daß ihm das
nicht recht wäre, wenn ein solcher prämiiert werde. Er war hocherfreut, als
er erfuhr, daß Koeßler den Preis bekommen habe. Heute (31. Dezember 1889)
sagte mir Herzfeld aus Pest, daß Brahms längst gewußt habe, daß der
Psalm von Koeßler sei, da K. dem Brahms das Werk vor etwa einem Jahr
gezeigt habe — und Brahms vergißt gar nichts. Er ist immer gleichmäßig-
verschlagen. Gegen Herzfeld gebrauchte er wieder das Wort, das ich oft von
ihm hörte: „Talent zur Musik hat jeder Österreicher." — Herzfeld sagte,
daß man in Pest womöglich noch mehr schöne Stimmen von Natur aus finde,
wie hier, lernen tun sie aber womöglich noch weniger. Allerdings ein Kunst-
stück.
(46) Zu Seite 47, zum 6. Jänner 1891.
Brahms 9 sarkastischer Humor
Frau Kalbeck und Frau Epstein haben kürzlich bei Door sehr gestritten.
Brahms, der davon erfuhr, fragte die Epstein tags darauf: „Ich höre, Sie
haben gestern Bruderschaft mit Frau Kalbeck getrunken." —
(47) Zu Seite 48, zum 3. Juli 1891.
Theodor Leschetitzky
Leschetitzky, den er nicht ungern hat und als geistreichen Kerl lobt, mag
er als Musiker gar nicht: „Blasierter Routinier".
(48) Zu Seite 50, zum 16. Dezember 1891.
Teresa Carreno — Eugen d* Albert
Übrigens sagte mir Brahms, daß d'Albert seit September 1891 mit — der
Carreno verheiratet sei. Er nannte das eine große Dummheit. Sauret, der
diesen Wandelstern einmal eine Zeit' lang besessen und als Frau sein eigen
nannte, sagte Brahms einmal, daß er das nicht „leisten" konnte, was die
Carreno brauche. „Und d' Albert traut sich's zu!"
153 j) er Verlag Cranz in Leipzig war kurze Zeit der Hauptverleger Strauß'scher
Werke.
161
(49) Zu Seite 50.
Wilhelm Gericke
21. Dezember. Abends mit Brahms, der sich über Gerickes Dirigieren sehr
lustig machte. Er hatte tags zuvor den ersten Satz aus der „Morgenstern-
kantate" von Bach so fad piano aufgeführt.
(50) Zu Seite 51.
Heubergers Feuilletons — Brahms Urteil über Kalbeck
9. Jänner 1892. Heute abend sagte mir Hanslick, daß er Brahms eine
Anzahl meiner Feuilletons gegeben habe und dieser in Ausdrücken unbe-
dingter Anerkennung davon gesprochen habe. Er sagte, er habe das fast
noch gar nie von Brahms gehört. Nachmittags war Brahms zu mir gekom-
men, ich aber nicht zu Hause. Letzthin redete Brahms von Kalbeck und
meinte, daß er (Kalbeck) jene innere Bescheidenheit nicht besitze, ohne welche
kein Mensch etwas Hervorragendes leisten könne.
(51) Zu Seite 52.
18. Jänner. Mit Brahms, Joachim und seinem Quartett und Klarinettist.
Mühlfeld bei Dr. Fellinger, Apostelgasse 12. Um 4 Uhr Probe des Trios und
des Klarinetten-Quintetts. — Billroth, Mandyczewski, Hirschfeld, Kalbeck,
Kundtmann, Jauner und allerlei Damen hörten zu.
19. Jänner. Brahms' Quintett in Joachims Quartettabend gehört. Wieder
ungeheurer Erfolg.
(52) Zu Seite 55.
Brülls Austritt aus dem Wiener Tonkünstlerverein
27. Oktober. Abends mit Brahms in einer Sitzung des Wiener Tonkünstler-
vereins-Ausschusses. Brahms verurteilte Brülls Austritt und erzählte, daß
Hirschfeld vor Jahren auch über ihn geschimpft habe, indem er bei Gelegen-
heit der „Akademischen Festouvertüre" gesagt habe, „und für so einen
Schmarrn gibt die Breslauer Universität den Doktortitel her!" Es wurde
beschlossen, an Brüll einen Brief zu schreiben und ihm vorzustellen, daß er
Unrecht habe. Ich wurde aufgefordert, den Entwurf zu machen, da ich, wie
Brahms sagte, „ein gescheiter Mann" sei!
(53) Zu Seite 57, zum 7. November 1892.
Streit Mandyczewski — Brahms wegen der Liebeslieder-Walzer op. 52
Zwischen ihm und Mandyczewski, der den Abend inszeniert hatte, kam
es zu einem förmlichen Streit. Brahms verlangte, daß nicht das ganze Heft
in einem herabgesungen werde und sagte, daß er sonst fortgehe. Darauf sagte
Mandy: „Nun, dann gehen Sie fort!" — Brahms: „Wissen Sie, wenn der-
gleichen ein Esel tut, so begreif ich es, aber Sie, den ich bisher für gescheit
162
gehalten habe, sollten so was nicht tun." Mandyczewski: „Nun, dann teilen
wir's." Epstein vermittelte. Brahms war über Mandyczewskis heftige Rede
entschieden verschnupft. Er äußerte sich, wenn auch recht ruhig, nochmals dar-
über. „Ich habe die Lieder doch zu sechs und sechs gruppiert. Man solle
derlei nach Gusto repetieren können."
(54) Zu Seite 57, zum 27. November 1892.
Heubergers Operntechnik und Kandidatur als Konservatoriumsdirektor
Über meine Oper sprach er auch. Er hatte den Klavierauszug zu Hause
und meinte: „es ist ja alles so fleißig gemacht, aber ist denn der , Freischütz'
nie geschrieben worden? Ich sehe immer keine Musik! Nein — von der
modernen Oper verstehe ich nichts! Im Theater seh ich mir's gerne an. a
Von meinem Plane, Konservatoriumsdirektor zu werden, sagte er, daß
er einen anderen Kandidaten habe, daß er aber, falls dieser nicht akzeptiert
werde, nichts gegen mich habe. — Immer dasselbe! Es gibt keine hilfreiche
Hand! — Brahms war sehr lustig! 154
(55) Zu Seite 59, zum 26. März 1893.
E- Moll-Symphonie- Aufführung
„Auch hörte ich, daß sich bei der Probe eine sehr lustige Diskussion zwi-
schen Richter und ein paar Bläsern entwickelt haben soll, da sie über eine
komplizierte Stelle im letzten Satze (e — dis Differenz) nicht ins Klare kom-
men konnten. Richter kennt dergleichen doch nicht."
(56) Zu Seite 62, zum 21. November 1893.
Ella Panceras Wiedergabe des B-Dur-Konzertes
Von dem kürzlichen Vortrage des B-Dur-Klavierkonzertes von Brahms
durch die Pancera sagte er mir: „Ich war überrascht, daß sie es so zusammen-
brachte. Wenn man hört, daß jemand wie die Pancera sowas spielt, so
erwartet man immer das Allerschlechteste und ist dann noch immer ange-
nehm enttäuscht." — Übrigens erzählte er mir, daß Richter wollte, daß
Brahms das Konzert vorher anhöre und daß die Pancera erklärte, es nur
unter dieser Bedingung, d. h. ausdrücklicher Zustimmung von Brahms, spielen
zu wollen. Brahms lehnte das kurz ab, worauf Richter — unglaublich aber
wahr! — sich mit der Pancera zusammensetzte und ihr allerlei sagte, auch
zwei Proben mit Orchester mit ihr machte. Brahms sagte übrigens: „Mir ist
diese Pancera persönlich so ekelhaft, daß ich gar nichts von ihr hören mag." 155
154 Im Jahre 1893 wurde Johann Nepomuk Fuchs, ein Bruder von Robert Fuchs,
Direktor des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien.
155 Ella Pancera spielte das B-Dur-Klavierkonzert am 12. November 1893 im
7. philharmonischen Konzert unter der Leitung von Hans Richter.
163
(57) Zu Seite 63.
Karl Goldmark, Hermann Riedel
28. 11. 93. Goldmark meinte, die Ouvertüre müsse sehr gut sein, da
Brahms so darüber schimpfe. — Goldmark ist wütend über Brahms und
sagte: „Ja, das ist eine Kalamität in Wien für uns alle, daß kein Konzert-
programm ohne Rücksicht auf Brahms und Hanslick gemacht wird und
Brahms die Kritik Hanslicks so beeinflußt. Brahms ist mein Laubfrosch.
Wenn ich ihn sehe und spreche, so weiß ich, wie Hanslick schreiben wird. —
Er war's, der die elende Kritik über die Königin von Saba inspiriert hat.
Es ist ein Jammer!" — Goldmark erzählte auch noch eine lustige Geschichte,
die sich vor Jahren zwischen Brahms und Riedel in Wien ereignete. Riedel
hatte in einer Gesellschaft seine „Trompetenlieder" vorgeführt und Brahms
mäkelte daran, indem er zu Riedel sagte: „Nun, Sie haben stark den Schu-
mann vorgeahnt . . .", worauf Riedel: „So wie Sie den — Beethoven!" —
Hätte dem mundfaulen Riedel das nicht zugetraut. 156
(58) Zu Seite 65, nach dem 5. März 1894.
8. 3. Brahms erzählte mir einmal, daß er sehr gerne mit Metall-Soldaten
spielte und — mit recht großen Mengen — Schlachten aufführte. 157
(59) Zu Seite 65, zum 11. März 1894.
Heubergers Kritiken
Er meinte, ich habe mit meinem Feuilleton so haarscharf das Richtige
getroffen. Es sei alles gesagt und doch fein gesagt . . . Dann sagte er: „Sie
haben wieder sehr schön darüber geschrieben, lese Ihre Sachen überhaupt
sehr gern. Das letzte Feuilleton über den Liederkomponisten (Hugo Wolf
war gemeint) war so außerordentlich gut und auch die Französin (Roger
Miklos) haben Sie so prächtig behandelt." 158
(60) Zu Seite 66, zum 13. März 1894.
Beim Fortgehen schenkte mir Brahms zwei Bände ForkeL™
158 Es handelt sich um Hermann Riedels Lieder aus Scheffels „Der Trompeter
von Säckingen".
157 Brahms besaß eine größere Menge von Zinnsoldaten, die er manchmal seinen
Besuchern zeigte. Die Sammlung befindet sich im Besitz des Museums der Stadt
Gmunden in Oberösterreich, wohin sie aus dem ehemaligen Brahms-Museum von
Viktor von Miller zu Aichholz in Gmunden gelangte.
158 Heubergers erwähntes Feuilleton ist nicht in die Sammlung „Im Foyer",
Leipzig 1901, aufgenommen worden.
159 Es handelt sich um Forkels Musikgeschichte.
164
(61) Zu Seite 68, zum 24. Juni 1894
Ungarisches Ehegesetz; Moritz Rosenthal
Wir sprachen über das neue ungarische Ehegesetz. Brahms meinte: „Ja,
Gesetze hätten wir ganz gute. Aber alles bleibt auf dem Papier. Es wird
mit diesem wieder so sein!" — Er ist unverbesserlich, was seine Ansichten
über Österreich betrifft. Er ließ dann allerdings gelten, in Ungarn sei es
besser. — Brahms gab mir einen schönen Aufsatz J. V. Widmanns in der
Münchener Allgemeinen über Nisseis Selbstbiographie. — Von Rosenthal
(sagte mir Brahms) habe er dieser Tage einen ernstgemeinten, aber fürchter-
lich komischen Brief gesehen, worin Rosenthal einem Konzertagenten (wohl
J. Kugel) mitteilt, er könne ihm für eine Tour (ich glaube nach Rußland)
pro Konzert schon so und soviel zahlen, da er (Rosenthal) doch der Pianist
sei, „der Deutschland durch vier Jahre in Atem gehalten" habe — unglaub-
lich!
(62) Zu Seite 73, zum 1. Dezember 1894.
Der „Sang an Aegir" , eine Komposition des Kaisers Wilhelm IL
Über den „Sang an Aegir" machte er sich sehr lustig. Griff immer nach
der Speisekarte und sagte: „Lassen Sie sich Sang an Aegir (,Kaiserschmarrn*)
machen."
(63) Zu Seite 75, zum 6. Jänner 1895.
Brahms erzählte die neuesten „Aegir-Witze a : „Aegieren ist leichter als
regieren." — „Deutschland ist der musikalischste Staat: der Kaiser kompo-
niert, die Minister gehen flöten."
Dr. Miller zeigte uns dann ein vermeintliches Autograph von Richard
Wagner, das ich als Falsifikat erkannte. Es war als „Jagdspaß" an Miller
verübt worden. Eigentlich ein sehr schlechter Witz gegenüber einem lieben
Menschen.
(64) Zu Seite 80, nach dem 21. März 1895.
Teresa Carreno
22. 3. 95. Brahms erzählte mir letzthin den Witz: „Die Carreno spielte
den 1. Satz des 2. Konzertes ihres 3. Mannes am 4. April zum 5, Mal und
wurde 6 Mal herausgerufen." —
(65) Zu Seite 80, nach dem 7. April 1895.
Gericke-N ach folge als künstlerischer Direktor der Gesellschaft der Musik-
freunde in Wien
Als Gericke (April 1895) seine Demission als Direktor der „Gesellschaft"
gab, glaubte ich, mich um die Stelle bewerben zu sollen. Brahms ließ mich
durch Mandyczewski und Hanslick auffordern, einzureichen, wenn ich auf
165
die Stelle reflektiere. Habe heute mit Hanslick darüber gesprochen, er sagte,
daß Brahms gesagt habe, daß Bezecny und — Koch den Schalk wollen und
daß, um diesen ohne Brahms'sche Opposition durchzubringen, mit der ent-
scheidenden Sitzung gewartet wird, bis Brahms auf dem Lande ist. — Ich
werde also nicht kandidieren. — Man will — wie Brahms kürzlich zu mir
sagte — jedenfalls nur vorderhand „das Wasser trüben", um dann den
Günstling durchzubringen. — Brahms sagte zu Hanslick, daß die Direktoren
und Koch in dieser Sache kein wahres Wort reden und alles abgekartet ist.
— Alle, die sich melden, sind „Würzen". So ist es jedesmal in Wien! — 160
(66) Zu Seite 82, zum 2. Mai 1895.
Mandyczewskis Schubert-Ausgabe
Als ich über die famose Mandyczewskische Schubertausgabe sprach und
meinte, da müßten am Konservatorium Vorträge darüber gehalten werden,
sagte er: „Die sehen sich lieber den Hugo Wolf an". — Brahms hat Conrat
das Manuskript der „Zigeunerlieder" geschenkt. Ob ich auch einmal ein
Manuskript bekomme? 161
(67) Zu Seite 84, nach der Korrespondenzkarte vom 13. Juni 1895.
22. Juni. Bei Brahms in Ischl mit Rottenberg und Frau. Brahms zeigte
mir die offizielle Broschüre über die Ausgrabung der Gebeine Johann Seba-
stian Bachs. Im Querschnitt (mitten durch die Nase) hat das Profil des Kno-
chenmassivs Ähnlichkeit mit Brückners Kopf. Ich machte Brahms darauf auf-
merksam. Er sagte: „Leider!" 162
(68) Zu Seite 86, zum 7. Oktober 1895.
Eugen d y Albert — Hermine Finde
Über d'Albert gesprochen, der — wieder einmal — verlobt ist mit einer
Theatersängerin Fräulein Fink. Es geht der Witz: „Zum d'Albert sprach die
Finck . . ." (Brahms sagte mir's). 163
180 Mit „Würzen" bezeichnet man in Österreich Menschen, die sich ausnutzen
lassen. Nachfolger Wilhelm Gerickes wurde Richard von Perger als künstlerischer
Direktor.
161 Heuberger besaß kein Manuskript von Brahms.
162 Wilhelm His: Anatomische Forschungen über Johann Sebastian Bachs Gebeine
und Antlitz nebst Bemerkungen über dessen Bilder. Leipzig, 1895.
163 Die Anekdote ist eine Persiflage auf ein von Eugen d'Albert komponiertes
Lied aus seinem op. 9, Nr. 4: „Zur Drossel sprach der Finck", erschienen 1889 bei
Bote & Bock.
166
(69) Zu Seite 88, nach dem 7. Oktober 1895.
Mandyczewski Nachfolger von Hanslick als Ordinarius der Universität Wien
Brahms sagte, daß Mandyczewski bei Besetzung der Hanslickschen Pro-
fessur sehr in Frage komme und man „oben" ihn wünsche. Brahms habe
ihm schon mündlich und schriftlich zugeredet, da sonst jemand viel Minderer
kommen müsse, z. B. Friedlaender oder gar — Hermann! „Aber dieser
slavische Dickschädel behauptet, er sei nicht der Mann und da kann ihn
kein Mensch davon abbringen."
22. Oktober. Lustiger Abend bei Hanslick. Hanslick erzählte mir, daß
Brahms kürzlich an den Senat der Wiener Universität geschrieben habe, daß
er Mandyczewski als Professor für Hanslicks Stelle vorschlage. Man habe
im Senat das Schreiben Brahms achtungsvollst ad acta gelegt. Ein origineller
Einfall von Brahms. Hanslick erfuhr es durch Prof. Zimmermann. 164
(70) Zu Seite 90, nach dem 15. Dezember 1895.
Anton Dvorak — Richard Wagners „Götterdämmerung"
Als ich Brahms sagte, daß Dvorak in der „Götterdämmerung* um
V2IO Uhr weggegangen sei, sagte er: „Hab' ich mir gedacht. Es ist schade,
daß die Sachen so schrecklich ermüden, es sind so herrliche Sachen drin, aber
dazwischen wieder schreckliche. Und den Text darf man absolut nicht an-
sehen, der ist zu scheußlich." —
(71) Zu Seite 92, zum 5. Februar 1896.
Hermann Bahr
Über Hermann Bahr wurde ein guter Witz kolportiert: Was ist der Unter-
schied zwischen Hermann Bahr und einem guten Dichter? — Ein guter
Dichter vertreibt den Lesern die Zeit und Hermann Bahr der „Zeit" (Wochen-
schrift) die Leser. —
(72) Zu Seite 97, zum 7. März 1896.
Das Manuskript der „Feldeinsamkeit" und der F -Dur-Symphonie von
Brahms
Als die Rede auf seine Manuskripte kam, sagte Frau Conrat mit Bezug
auf mich: „Da ist einer, der lange was haben wollte und sich nicht traut!" Da
sagte er: „Na, das dürfen Sie nur einmal sagen, wenn Sie bei mir sind.
Wenn ich nur was habe. Letzthin war Allmers' Geburtstag und da wollte
man ein Manuskript von mir für ihn. Zufällig war die , Feldeinsamkeit'
da. Ich habe aber sonst, ich glaube, gar keins von meinen Liedern mehr."
— Da sagte ich: „Na, ich nehm' auch eine Symphonie." — Da meinte er:
164 Nachfolger Hanslicks wurde erst 1898 Guido Adler.
167
„Schauen Sie, daß Frau Bülow Ihnen die F-Dur-Symphonie gibt. Die gab
ich einmal Bülow und sie gibt mir's nicht zurück. Ihr gehört's ja gar nicht." 105
(73) Zu Seite 99 nach dem 22. März 1896.
23. März, Vormittags war ich bei der von Grieg dirigierten Probe. Mes-
schaert und Röntgen auch dabei. Abends kamen die beiden mit Brahms in
den Tonkünstlerverein.
24. März. Vormittag Messchaert und Röntgen bei mir. Hanslick, dem
ich gestern abend begegnete, sagte mir, daß er die Sonate op. 111 noch nie
so schön gehört habe wie von Röntgen. Brahms meinte gestern abend, daß
bei Röntgen die Inbrunst, mit er spiele, so entzückend sei. — Als ich heute
früh Röntgen wegen seines Spieles lobte, sagte er: „Oh, darauf halte ich
nicht viel; ich will ja gar nicht als Pianist gelten. Ich komme wegen Messchaert
her, ihm zuliebe." — Röntgen erzählte mir, daß Messchaert früher als Lehrer
am Konservatorium in Amsterdam segensreich wirkte und es jetzt wegen
vielen Reisens aufgegeben habe. Wenn er einmal keine Stimme mehr haben
wird, wird er als Lehrer Großes leisten. Der ganze, sogenannte de Langesche
Niederländische Sängerchor, der auf der Musikausstellung Furore machte,
waren seine Schüler, alles von ihm angeregt und studiert. De Lange lieferte
den Spitzbart dazu, „die Interessantigkeit*, wie Röntgen sagte.
(74) Zu Seite 99, zum 28. März 1896.
Frau Dvorak — Anton Door
Mittags erzählte er mir, dsß letzthin bei der nach Griegs Konzert im Hotel
Elisabeth stattgefundenen Kneiperei (Kalbeck und ich waren absichtlich nicht
hingegangen) auch Dvorak samt Frau da waren. Door sagte nun zu Brahms
über die Dvorak: „Na, schön ist sie nicht." Brahms: „Na, da bin ich aufge-
gangen. Der Door (!) findet an so einem Muster von Frau wie die Dvorak
ist, was auszusetzen. Eine Stunde lang habe ich ihn sekiert, habe ihm gesagt,
wie die Dvorak so alles tut, um ihrem Manne jedes Ungemach des Lebens
auf die Seite zu räumen, wie sie die Studien der Kinder überwacht und
für alles sorgt. Ich sagte ihm: Ja, abends ist sie nicht (er spielte auf Door's
Frau an) die umschwärmte Dame, aber bei der Nacht kann er noch heute
seine helle Freude an ihr haben. Und morgens beim Kaffee macht sie nicht
165 Das Originalmanuskript der „Feldeinsamkeit" befindet sich heute im Besitz
des Hermann AI Im ers -Museums in Rechtenfleth bei Bremerhaven. Allmers, dem
die Komposition nicht gefiel, verschenkte das Manuskript bei Lebzeiten. Es wurde
für 300. — DM nach dem 2. Weltkrieg für das Museum zurückgekauft. — Die
Handschrift der F-Dur-Symphonie gelangte in den Besitz Jerome Stonboraughs,
der sie nebst vielen anderen Brahms-Manuskripten der Library of Congress,
Washington, vermachte.
168
ein so fatales Gesicht wie andere Damen (!) (wieder auf Frau Door). Na,
den hab* ich mir hergenommen." — Brahms sagte zu Door: „Ich wüßte
keinen von meinen Freunden, der eine solche Frau hat!" — „Nun — Ihnen
kann ich das sagen . . .", sagte Brahms zu mir gewandt, was ich nicht recht
verstand.
(75) Zu Seite 101, zum 31. März 1896.
31. 3. Mit Bezug auf das Gespräch, wo Brahms Dvoräk's Frau so sehr
lobte, sagte ich abends (28. 3.) beim „Igel": „Ich war heute ganz böse auf Sie,
daß Sie sagten, Dvorak's Frau sei besser als alle anderen Frauen Ihrer
Freunde; meine Frau ist doch auch ganz famos . . ." Da lachte er listig und
sagte: „Hab 5 ich Ihnen nicht gesagt, daß ich das Ihnen sagen könnte?!" Das
hieß also, daß ihm Johanna auch so brav vorkommt.
(76) Zu Seite 106, zum 24. Juni 1896.
Choralvorspiele op. 122
Eines, eine fugenartige Arbeit („ganz streng", sagte er immer wieder),
Strophe für Strophe fugenmäßig bearbeitet; bei einem wird, ehe der Choral
eintritt, ein aus der bezüglichen Choralstrophe entwickeltes Thema in der
Oberquint durchgeführt.
(77) Zu Seite 112, zum 1. September 1896.
Brief Dr. Fellingers an Heuherger
Dem Manuskript liegt folgender Brief von Dr. Fellinger vom 2. September
1896 an dieser Stelle bei:
„Hochgeehrter Herr Heuberger! Professor Toelg findet den Zustand unse-
res Brahms für einen ernsten, jedoch für einen derartigen, daß eine Heilung
möglich ist. Es handelt sich offenbar nur um Leiden der Gallenwege, respek-
tive des Ausführungsganges der Leber in den Darm! Toelg hält einen Erfolg
der Kur in Karlsbad für wahrscheinlich!
Sehr in Eile bitte ich, meine Kürze zu verzeihen. Ich werde nicht eher
ruhig und ohne bange Sorge um unseren Allerbesten denken können, als ich
mich nicht davon überzeugt haben werde, daß der sichtliche Verfall zum
Stillstand gekomen ist. In aufrichtiger Hochschätzung ergebenst Dr. R. Fel-
linger."
(78) Zu Seite 113, nach dem 9. Oktober 1896.
Billroths Ansichten über die Ehe
Hanslick erzählte mir einen hübschen Einfall Billroths. Billroth redete
Öfter davon, daß das Heiraten bei den meisten Männern der Karriere hinder-
lich sei und die Sorgen allem Streben ein Ende machen. Als man einwandte,
wie sich nun nach seiner Idee alles gestalten solle, so meinte Billroth: „Na,
es sollen halt die Mädchen heiraten!" —
169
(79) Zu Seite 114, nach dem 20. Oktober 1896.
Heubergers Nachruf auf Anton Brückner
Über mein Brückner- Feuilleton sprach er sehr lieb. „Sie glauben gar nicht,
wieviel in Wien darüber geredet wurde." 166
(80) Zu Seite 115, zum 12. November 1896.
Cafe Hutter in Wien
Gestern, als ich mit Brahms spazierte, gingen wir bei dem ehemaligen Cafe*
Hutter vorüber, in dessen ehemaligem Lokale jetzt Handel mit Terrakotten
und dergleichen getrieben wird. Es standen eine Anzahl lebensgroßer Figu-
ren, meist nackte Frauengestalten, im Schaufenster. Da meinte Brahms: „Ist
dasselbe Geschäft geblieben wie ehemals, nur war's damals weicher!" —
(Im Cafe Hutter verkehrten nämlich nachts lauter „Wunschmädchen".)
(81) Zu Seite 116, zum 4. Dezember 1896.
Konzerte von Joseph Joachims Quartett in Wien
Joachim ist sehr alt geworden. Sein Gang hat die Elastizität eingebüßt,
sein Spiel ist unruhiger geworden. Er überstürzt einzelne Takte, so daß sie
um ein Achtel oder dergleichen kürzer erscheinen. Er ist offenbar innerlich
nicht mehr so sicher wie früher, Intonation hier und da recht unrein. Der
Ton aber hat am meisten gelitten. Er ist bedeutend kleiner als noch vor drei
166 Nach Anton Brückners Tod am 11. Oktober 1896 erhielt Richard Heuberger
den Auftrag, den Nachruf für die „Neue Freie Presse" zu verfassen. In diesem
Zusammenhang schrieb Eduard Hanslick eine Korrespondenzkarte an Richard Heu-
berger : (Poststempel : Wien, 12. 10. 96.) „Lieber Freund ! ,Montag* Geben Sie
den Bruckner-Aufsatz, wann Sie wollen, vor oder nach dem Begräbnis! Bitte mich
überhaupt nicht zu fragen, sondern überzeugt zu sein, daß mir alles recht ist, was
Sie tun. Der Aufsatz füllt wohl ein Feuilleton oder den Raum eines solchen? Dann
sollten Sie, wie ich glaube, Ihren Namen unterzeichnen. Ihrem Wunsche gemäß
avisiere ich gleichzeitig die Redaktion. Ihr ergebenster EdH." (Eduard Hanslick)
Der Artikel, der in den Tagebuchnotizen mehrfach Erwähnung findet, spricht für
die noble menschliche Haltung des Verfassers gegenüber Anton Brückner, wenn er
auch gegen die Werke Stellung nimmt. Er ist als ein Beitrag zur sachlichen Klärung
der damaligen Fronten zu werten, die, wie es hier zum Ausdruck kommt, durchaus
akzentuiert waren. Nach dem Erscheinen des Artikels folgte eine zweite Korrespon-
denzkarte von Hanslick: (Poststempel: Wien, 13. 10. 96.) „Dienstag 13. Okt. 96
Vor allem, lieber Freund, meinen Dank und aufrichtige Bewunderung für Ihren
Bruckner-Artikel ! Bravissimo! Wir sprechen nächstens mehr davon, und ich möchte
Sie bitten, mit uns Freitag d. 16. Okt, um 8 Uhr in bescheidenem Stil zu nacht-
mahlen. Da haben Sie in der Oper nichts zu tun, wie ich glaube. Doch bitte ich mir
jedenfalls eine Zeile Antwort aus. Also auf baldiges Wiedersehen! Ihr ergebener
EdH." (Eduard Hanslick) Wie bereits auf Seite 114 berichtet, war auch Brahms
von der Lauterkeit des Artikels beeindruckt. Der Aufsatz erschien als Wieder-
abdruck in Buchform in der Sammlung „Musikalische Skizzen" von Richard Heu-
berger, Leipzig, 1901.
170
oder vier Jahren. Erst als er langer spielte, war er wieder fast ganz der Alte,
d. h. der junge Joachim. Die Technik ist ausgezeichnet, über das Musikalische
darf man nicht reden, wenn einer Joachim heißt. 167
(82) Zu Seite 119, nach dem 9. Jänner 1897.
Hanslicks Meinung über das H-Dur-Trio
16. 1. Dieser Tage (am 15.) ging ich mit Hanslick aus dem Böhmischen
Quartett. Zuerst wurde Dvoraks As-Dur-Quartett, dann Brahms H-Dur-Trio
gespielt. Hanslick meinte, daß er nach dem sinnlich blühenden Dvofäk das
Brahms'sche Stück nicht hören könne. So trocken sei es, das Adagio schreck-
lich!
(83) Zu Seite 122, zum 19. Februar 1897.
Else Billroth über Hanslich
Else Billroth sagte mir heute, daß die ersten, so fatales Aufsehen machen-
den Feuilletons Hanslicks über Billroth ohne Wissen der Familie erschienen.
„Wir erfuhren davon, wie andere Leute aus der Zeitung!" Else haßt Hans-
lick seithin. Sie sagte: „Ich verachte den Menschen aufs Tiefste. Er hat sich
unzählige Indiskretionen zuschulden kommen lassen. Den visionären Schluß
in dem Buche ,Wer ist musikalisch?' wollten wir absolut nicht veröffentlicht
wissen, er tat's doch! Schändlich! Wenn Brahms heute oder morgen stirbt,
wäre ich sehr besorgt, daß Hanslick die Briefe Papa's in die Hände
bekommt."
(84) Zu Seite 125, nach dem 3. April 1897.
Das Testament
Fellinger hatte mit ihm darüber beraten, Brahms allerlei ausgestrichen
u. mit Bleistift Notizen gemacht. So hatte er die Namen Mandy, Fuchs
(Rob.) und Kupfer (Br.s Kopist) notiert. Offenbar wollte er ihnen etwas
vermachen. Summen sind nicht ausgesetzt. Jedenfalls hat er aber seine ur-
sprüngliche Verfügung, die Hälfte seines Vermögens dem Verein „Czerny*,
die andere der Liszt (oder Bülow) Stiftung in Hamburg zuzuwenden, ge-
strichen und die Gesellschaft dafür eingesetzt. Der Betrag für Frau Truxa
ist geändert. Ein paar Legate sind bestimmt. Darunter etwas für den Uhr-
macher — seinen Stiefbruder. Auch dieser Betrag ist erst gestrichen, dann
wieder eingesetzt. 168
167 Das Joachim-Quartett gastierte 1896 an den Abenden des 5., 11. und 16. De-
zember in Wien und gab am 2. Januar 1897 noch ein viertes Konzert.
168 Brahms war Taufpate des Sohnes von William Kupfer. Der Uhrmacher und
Stiefbruder ist Fritz Schnack.
171
(85)2u Seite 126, nach dem 3. April und vor dem 6. Mai.
Brahms* Opernpläne
Da jetzt nach Brahms Tode wieder die Opernpläne Brahms zur Sprache
kommen, muß ich mir doch notieren, daß Brahms seinerzeit ernstlich vom
„Lauten Geheimnis" 169 sprach, aber mit besonderer Vorliebe immer wieder
auf Gozzis „König Hirsch" zurückkam, das er als das beste und ihm liebste
Buch bezeichnete. In den letzten Jahren animierte er mich Öfter zur letzten
ersten Geschichte im Gil Blas. 170 Er halt das — mit Recht — für einen
famosen Opernstoff.
Als ich am 22. März zum letzten Male bei Brahms war, sagte er mir,
daß er tags vorher, am 21. bei Wittgenstein Rabls Quartett angehört habe.
„Wie schwer es mir wurde, kann ich Ihnen gar nicht sagen. Aber ich hatte
unter der Hand erfahren, daß ich, wenn ich nicht hinkäme, mir das ganze
Quartett Soldat auf die Bude heraufrückte und mir hier vorspielte. Brr . . .
Na, da ging ich hin!" Er sprach das keineswegs unwillig — aber eben wie
ein zum Tode Erschöpfter. 171
169 Julius Allgeyer richtete Calderons „Lautes Geheimnis" in Gozzis Fassung für
Brahms als Libretto in drei Akten ein. Brahms hatte es sich abgeschrieben, womit
bei ihm der erste Schritt zur Komposition bereits getan war. Allgeyers Manuskript
aus dem Nachlaß Brahms' wurde im Mai 1930 in der Liste 46 des Antiquariates
Heck in Wien für sfr. 75. — angeboten.
170 Den humoristischen Roman „Gil Blas von Santillana" von Alain Rene Lesage
besaß Brahms in der sechsbändigen Ausgabe, Berlin 1776. Siehe Kurt Hofmann:
„Die Bibliothek von Johannes Brahms", Hamburg 1974, Nr. 421.
171 Über den Verlauf des Nachmittags, bei dem Walter RabPs Quartett für Kla-
vier, Klarinette, Violine und Violoncell, Es-Dur, op. 1, durch das Quartett Marie
Soldat-Röger geprobt wurde, hat Max Kalbeck a.a.O., Band IV, S. 508 ff. aus-
führlich berichtet.
172
ANHANG II
Richard Franz Joseph Heuberger wurde am 18. Juni 1850 in Graz ge-
boren. Sein Vater Josef Heuberger war Bandagist in Graz und nebenbei
ein geschätzter Sänger und Gitarren-Spieler. Auch Flöte war ein von ihm
bevorzugtes Instrument. Richard Heubergers Bruder Ludwig entwickelte sich
zu einem tüchtigen Geiger.
In der Familie Heuberger waren Beziehungen zu berühmten Musikern zu
finden. Ein Vorfahr, der Medailleur Leopold Heuberger, porträtierte Beet-
hoven, die Kusine des Vaters heiratete Andreas Schubert, den Stiefbruder
Franz Schuberts.
Richard Heuberger erlernte den Ingenieurberuf; seine große Neigung war
allerdings die Musik, die er zunächst autodidaktisch studierte. Später nahm
er Klavier- und Theorieunterricht bei dem berühmten Grazer Musikvereins-
direktor Dr. Wilhelm Mayer (W. A. Remy).
1875 bestand Heuberger die große Staatsprüfung in drei Baufächern und
praktischer Geometrie. Als Praktikant in Straßen- und Wasserbau war er
u. a. auch als Bahn-Ingenieur tätig. Schon im darauffolgenden Jahr wandte
sich Heuberger endgültig der Musik zu, als er zum Chormeister des Wiener
Akademischen Gesangvereins berufen wurde.
1878 wurde Heuberger Dirigent der Wiener Singakademie und somit ein
späterer Nachfolger von Johannes Brahms auf diesem Platz. Mit der Be-
stellung zum Musikkritiker am „Wiener Tagblatt" (1881 — 1898) beendete
er 1881 seine Tätigkeit beim Wiener Akademischen Gesängverein. Für das
„Wiener Tagblatt" war Heuberger ab Jahreswende 1889/90 erster Musik-
berichterstatter. 1890 übernahm er die Redaktion der „Deutschen Kunst-
und Musikzeitung" in Wien. Für die „Münchner Fremdenzeitung" schrieb
Heuberger seit 1881. Bei der „Neuen Freien Presse" in Wien wirkte Heu-
berger von 1896 bis 1902 neben Hanslick. Die Nachfolgefrage Hanslicks
führte 1901/02 zum Bruch zwischen Hanslick und Heuberger und mittelbar
zum Rücktritt Heubergers aus der Redaktion der „Neuen Freien Presse". 1902
wurde er Professor am Konservatorium in Wien und Chormeister des Wie-
ner Männergesangvereins (bis 1909). Im Jahre 1904 schließlich hatte er für
kurze Zeit die Chefredaktion der „Neuen Musikalischen Presse". Richard
Heuberger starb am 28. Oktober 1914 in Wien. Sein Grab befindet sich auf
dem Friedhof in der Hinterbrühl bei Wien.
Heubergers kompositorisches Schaffen umfaßt neben vielen ansprechenden
Liedern — besonders hervorzuheben sind die exotisch wirkenden türkischen
173
Lieder — vornehmlich Männerchöre, die auch heute noch Gültigkeit haben
und zum Repertoire vieler Männerchorvereinigungen gehören. Heuberger
schrieb ferner unter anderem ein Orchesterstück „Nachtmusik" für Streicher
Orchestervariationen über ein Thema von Schubert, die Johannes Brahms
gewidmete Orchestersuite „Aus dem Morgenlande", eine Ouvertüre zu Byrons
„Kain", eine Sinfonie, eine Rhapsodie aus Rückerts „Liebesfrühling" für
gem. Chor und Orchester, die Kantate „Geht es dir wohl, so denk an mich"
für Soli, Männerchor und Orchester.
Seine vier Opern „Abenteuer einer Neujahrsnacht" 1886, „Manuel Vene-
gas" 1889, „Mirjam oder das Maifest" 1894 (eine Umarbeitung der Oper
„Manuel Venegas") und „Barfüssele" 1905 haben sich ebensowenig halten
können wie seine zwei Ballette „Die Lautenschlägerin" 1896 und „Struw-
welpeter" 1897. Unauf geführt blieb die Oper „Die letzte Nacht". Bereits
an der Dresdner Oper angenommen, scheiterte sie an der Zensur, da in dem
Werk eine Äbtissin es vorzieht, statt ihres Lebens, lieber ihre Keuschheit zu
opfern. Ebenso griffen in den folgenden Jahren auch die Zensurstellen ande-
rer Bühnen ein, 1913 die in Wien, wo bereits ein Aufführungsvertrag mit
der Volksoper bestand.
Zur Charakteristik des Heubergerschen Opernschaffens möge Hanslicks
Kritik 1 anläßlich der Wiener Uraufführung von „Mirjam" hier Platz finden.
Hanslick schreibt u. a.:
„Bei einem so gewandten und geistreichen Musiker wie Heuberger
versteht es sich von selbst, daß er die Technik des Orchesters wie
des Gesanges vollständig beherrscht, die wechselnden Stimmun-
gen zu malen, die Personen zu charakterisieren versteht. Es fehlt
in ,Mirjam* auch nicht an unmittelbar gefälligen oder ergreifenden
Stellen; diejenigen, wo Heuberger zeitweilig die usurpierte Herr-
schaft des Orchesters unterbricht und sie der Singstimme über-
trägt."
Von Heubergers sechs Operetten: „Der Opernball" 1898, „Ihre Exzel-
lenz" 1899, „Der Sechsuhrzug" 1900, „Das Baby" 1902, „Der Fürst von
Düsterstein" 1909 und „Don Quixotte" 1910 hat sich bekanntlich nur „Der
Opernball" und namentlich die Ouvertüre sowie die berühmte Arie: „Komm
mit mir ins Chambre separee" bis auf den heutigen Tag erhalten. — Von
diesem Werk rührt Heubergers Nachruhm. Wilhelm Kienzl, der mit Heu-
berger in Graz aufwuchs, mit ihm musizierte und eine schwärmerische Vor-
liebe für seine „eine ganz eigenpersönliche Note" aufweisenden Werke hegte,
erinnert sich noch 1926 2 :
1 Fünf Jahre Musik 1891—1895, Berlin 1896, S. 112—118.
2 Meine Lebenswanderung, Erlebtes und Erschautes, Stuttgart 1896, S. 108.
174
„Seinen weitaus größten Erfolg errang Heuberger mit der pikanten
Operette ,Der Opernball', was bei beschränkten Leuten, die leider
überall die Mehrheit bilden, ein Vorurteil gegen des Komponisten
ernste Werke auf dem Gebiet des Symphonischen, der Chormusik
und des Liedes hervorrief, so daß diese bedauerlicherweise unver-
dient in den Hintergrund gedrängt wurden (zum Beispiel die
Orchestervariationen über ein Thema von Schubert op. 11)."
Aus der Zeit seiner musikkritischen Aufsätze erschienen die Sammlungen
„Musikalische Skizzen" und „Im Foyer" im Jahre 1901. Ein Höhepunkt
der Heubergerschen literarischen Arbeiten war die Schubert-Biographie in
der Sammlung Reimanns: „Berühmte Musiker" (1902). Darüber urteilte
Hermann Kretschmar in den Grenzboten 3 :
„Heubergers Schubert ist für die Schubertliteratur dadurch zur Be-
reicherung geworden, daß zum erstenmal die künstlerische Persön-
lichkeit des Komponisten auf Grund der Gesamtausgabe aufgebaut
wird."
Schließlich übernahm Heuberger die Redaktion des „Musikbuch aus Öster-
reich" in den Jahren 1904 bis 1906 und besorgte eine Neubearbeitung von
Cherubinis „Kontrapunkt", die 1911 bei Leuckart in Leipzig erschien, unter
Zugrundelegung der Ausgabe von Gustav Jensen. Richard Heuberger schrieb
außerdem das erste grundlegende Lehrbuch der Modulation, die „Anleitung
zum Modulieren", das 1910 die Universal-Edition in Wien herausbrachte.
Heubergers Analysen für den „Musikführer" — u. a. gab er Analysen
Brahmsscher Werke in der Sammlung von Morin heraus — fanden weiteste
Verbreitung.
Es darf wohl angemerkt werden, daß Richard Heubergers musikalische
Kritiken und Schilderungen zu den profiliertesten gehörten, die in der Zeit
um die Jahrhundertwende erschienen. Heuberger war in Wien bekannt und
gefürchtet als sehr temperamentvoller Kritiker.
Es erscheint notwendig, an dieser Stelle auch einige Worte über das Ver-
hältnis Richard Heubergers zu Johannes Brahms zu sagen. Heuberger ge-
hörte — das erhellen seine Erinnerungen — zum engsten Wiener Freundes-
kreis um Brahms. Seine Stellung ist unbedingt mit der von Kalbeck, Fellin-
ger, Miller, Faber u. a. gleichzusetzen. Daß Heubergers Erinnerungen an
Brahms erst heute — 57 Jahre nach dem Tode des Verfassers — vollständig
erscheinen, macht die Tatsache deutlich, daß dieses bislang nicht genügend
gewürdigt wurde.
Heubergers Stellung zu Brahms beruhte in erster Linie auf künstlerischer
3 Gesammelte Aufsätze über Musik und Anderes aus den Grenzboten, Leipzig
1910, S. 442.
175
Basis. Man findet vielfach die Bezeichnung „Kompositionsschüler", der Heu-
berger, zusammen mit Gustav Jenner und Robert Kahn 4 , gewesen sein
sollte. Doch ist bekannt, was man sich unter einem „Schüler von Brahms"
vorzustellen hat. Der „Unterricht" bestand in dem gelegentlichen Durch-
sehen der Kompositionen durch den Hamburger Meister.
Brahms selbst hatte eine hohe Meinung von der Tätigkeit Heubergers.
Die Stellungnahme Heubergers zur Brahmsschen Kunst und zu Richard
Wagner ließen sein Urteil wertvoller erscheinen als das Hanslicks von dessen
allzu „parteilichem" Standpunkt aus — was Brahms zumindest in der letzten
Zeit zum Ausdruck bringt. Hanslicks Abneigung einiger Werke von Brahms
zu seinen Lebzeiten trifft, wie wir sehen, sowohl auf die erste und dritte
Symphonie (vgl. Seite 24) zu, als auch auf das H-Dur-Trio (vgl. Anhang
Nr. 82, Seite 171. Aber auch noch am 30. März 1898 apostrophierte Hans-
lick das Lied „Ein Wanderer" als „synkopierte Lungensucht". Brahms muß
diese Stellungnahme von Hanslick gespürt haben und so ist es wohl zu
verstehen, daß er Hanslick neue Werke nicht mitteilte, sondern ihn auf
dessen diesbezügliche Bitte scharf abfahren ließ, wie wir es am 13. März 1894
erfahren (Seite 66). Bei Kenntnis der Eigenart von Johannes Brahms in
diesen Dingen läßt diese Reaktion den zwingenden Schluß zu, daß das Urteil
von Hanslick Brahms nicht sonderlich interessierte — ganz im Gegensatz
zu anderen Freunden, denen er neue Werke vor der Drucklegung mitteilte
und um ihre Stellungnahme bat.
Es mag noch erwähnenswert sein, daß Brahms selbst betont, er befände
sich, was die Ablehnung einiger seiner Werke durch Hanslick betrifft, in
der „sehr guten Gesellschaft Richard Wagners" (siehe Seite 132).
Daß Hanslick in späteren Jahren über ein anderes Werk von Brahms
nicht anders dachte, geht aus folgender Korrespondenzkarte hervor, die
Hanslick an Richard Heuberger am 18. Januar 1900 richtete; dieser klebte
sie in das Tagebuch ein und vermerkte dazu handschriftlich: „Hanslicks An-
sicht über das F-moll Quintett v. Brahms und über — Seb. Bach!"
4 Gustav Ernest: Johannes Brahms, 1930, Dt. Brahms-Gesellschaft, Berlin, S. 293.
176
„Lieber Freund! Donnerstag früh 18. 1.
Es tut mir schmerzlich leid, daß ich Sie nicht zu sehen bekomme!
Ich hätte manches mit Ihnen zu besprechen. Soviel darf ich wohl
als ausgemacht annehmen, daß Sie alle Abendkonzerte übernehmen
u. davon besprechen, was Ihnen notwendig erscheint. — Heute
habe ich der Probe des Soldat-Quartettes beigewohnt. Das Mozart-
sche Quartett (keins von den Hervorragendsten) haben sie herrlich
gespielt und ich gestehe (mit einigem Kummer), daß es mir nach
dem melodie-armen Brahms-Quintett, das vor lauter Synkopen,
Rhythmus-Verschiebungen und Künsteleien zu keiner gesunden
klaren Wirkung kommt, wohlgetan hat. In der Suite v. I. Brüll
hat der 1. Satz wirklich etwas von dem Nachglanz des Seb. Bach;
der 3. langsame Satz ist auch gelungen; das Finale überladen und
virtuosenhaft. Die Afirtagskonzerte bespreche ich alle. Wollen Sie
das 2. Melba-Konzert (Montag) besprechen? Mit tausend Freuden
erwartet Ihre Antwort
Ihr ergebenster EdH"
Und wenn Brahms noch in der letzten Zeit sogar zu Hanslick äußerte:
„Am liebsten lese ich, was Heuberger über Musik schreibt", wie es von ihm
am 7. Mai 1897 notiert worden ist, so läßt dieser Brahmssche Affront gegen-
über Hanslick den Schluß zu, daß Richard Heuberger Brahms als Musik-
kritiker näher stand als Hanslick.
Es ist auch dadurch nur natürlich, daß Brahms seinen Verleger Simrock
bittet, Heuberger ebenfalls mit Freiexemplaren seiner erschienenen Werke
zu versorgen, ein Privileg, dessen sich nur Wenige rühmen durften. 5
Im Heubergerschen Schaffen ist das Brahmssche Vorbild häufig, zu fin-
den: Die Orchester- Variationen über ein Thema von Schubert op. 11 fußen
auf den Haydn- Variationen von Brahms, sein „Liebesliedspiel in Walzer-
form f. gem. Chor und Klavier op. 6" oder der „Liederreigen für vier Solo-
stimmen und Klavier op. 17" tragen den Stempel der Brahmsschen Liebes-
liederwalzer, ohne sie allerdings zu erreichen. Schließlich hat sich Heuberger
mit der Instrumentierung des Brahmsschen „Lied vom Herrn von Falken-
stein, op. 43,4" für Männerchor und Orchester hervorgetan. Zur Feier von
Theodor Billroths zehnjährigem Wirken in Wien wurde das Werk vom
5 Brahms-B rief Wechsel, Band XII, Nr. 845. Heuberger hat auch früher schon von
Brahms Exemplare seiner Werke bekommen.
177
„Wiener Akademischen Gesangverein" am 13. Dezember 1877 aufgeführt.
Im ersten Teil des Festprogramms erklangen Chor- und Solowerke von
Brahms, der selbst an dem Abend teilnahm. Er schreibt darüber in aufge-
räumtester Stimmung an Simrock u. a. 6 :
„. . . Vom lustigen Abend gestern schicke ich Ihnen den lustigen
Text . . . Gestern abend hätten Sie sich unterhalten. Im großen
Sophiensaal unten Kommers (wo die Feier stattfand. Anm. d.
Hrsg.), aber in den Logen oben alles voller hübscher Damen [die
man dann zur Erholung besuchte] ..."
Es muß eine vorzügliche Aufführung unter Heubergers Leitung gewesen
sein, und die Freude über die Feier wirkt bei Brahms nach. — Er veranlaßt
denn auch den Druck der Bearbeitung durch den Verlag Rieter-Biedermann.
Anläßlich der Herausgabe neuer Heubergerscher Lieder erscheint eine Re-
zension darüber in Wien 7 , in der es u. a. heißt:
„. . . In die geheimsten Falten der Seele steigt das erste Lied ,Fasse
Mut' hinab. Dies Lied könnte Brahms ohne weiteres geschrieben
haben und müßte darauf stolz sein. Wer Heubergers Sachen genau
kennt, wird aber dessen Eigenart dabei sogleich erkennen ..."
Brahms ist hiervon begeistert und sendet Simrock diesen Artikel. 8 Er ver-
merkt dazu in seiner launigen Art, daß er „etwas, worauf ich stolz sein
könnte" von Simrock nicht bekäme. Allerdings meint Brahms damit nichts
Bestimmtes, es ist als lustige Bemerkung aufzufassen.
Heuberger ist sehr rege in seinem unablässigen Eintreten für Brahms. In
seinem Bemühen, den Gegensatz Wagner — Brahms zu mildern, vermittelt
Heuberger auch die persönliche Bekanntschaft mit Felix Weingartner, der
anläßlich eines Gastspiels der Berliner Philharmoniker in Wien weilt und
zu Brahms' großer Befriedigung dessen D-Dur-Sinfonie aufführt. 9 Wein-
gartners Bedenken, ob er von Brahms als „Wagnerianer" überhaupt empfan-
gen werden würde, kann Heuberger mit dem Flinweis zerstreuen, daß
Brahms gänzlich „parteilos" sei. 10
Der Besuch bei Brahms verläuft denn auch positiv, und Brahms kommt in
der Folge des öfteren mit Weingartner zusammen.
Nach dem Tode von Johannes Brahms am 3. April 1897 ist Richard Heu-
berger einer der Mitbegründer der von Viktor von Miller zu Aichholz ge-
leiteten Wiener Brahms-Gesellschaft. Bis zu seinem Tode ist er im Vorstand
tätig.
6 Brahms-Brief Wechsel, Band X, Nr. 250, Brief vom 14. Dezember 1877
7 Musikalische Rundschau Wien, 1. November 1888.
8 Brahms-Briefwechsel, Band XI, Nr. 658 vom 6. November 1888.
9 Brahms-Briefwechsel, Band XII, Nr. 879 vom 5. April 1895.
10 Felix Weingartner: Lebenserinnerungen, Zürich und Leipzig 1929, 2. Band, S. 62.
178
Sein schöner Artikel, den Richard Heuberger anläßlich der zehnjährigen
Wiederkehr des Todes von Johannes Brahms am 3. April 1907 veröffent-
lichte 11 , soll hier noch einmal mit geringen Kürzungen erscheinen.
„Hervorragende Menschen, insoweit sie reinen Herzens sind und
ihnen nicht ihre eigene, stark nach einer bestimmten Richtung stre-
bende Eigenart hinderlich im Wege steht, sehen Welt und Men-
schen, Schaffen und Werden ihrer Vorgänger sowie ihrer Zeitge-
nossen von einem höheren, freieren Standpunkte aus an, als Durch-
schnittsleute. Daher sind sie auch duldsamer als solche. Mancher un-
bedeutende Kopf vermag sich vor Kunstdünkel in einem derben
Lustspiel nicht zu unterhalten oder nennt einen noch so schönen
Walzer einer noch so verpatzten Symphonie gegenüber ohne weite-
res minderwertig. Goethe dagegen konnte zu Eckermann sagen:
,Mir ist jedes Genre recht.' Und ähnlich wie Goethe haben zu allen
Zeiten die Großen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, stets bes-
ser von den Kleinen gesprochen, als das — umgekehrt geschah. Zu
diesen Großen, die mit Wohlwollen über andere, sogar Mindere,
urteilten, die sich ein offenes Auge, ein offenes Herz für Mitstre-
bende bewahrten, gehörte, so wenig das bisher bekannt ist, auch er,
der am 3. April 1897 von uns ging, auch Johannes Brahms.
Immer wieder hörte und las man von diesem Meister diesen oder
jenen messerscharfen Ausspruch, den oder jenen kaustischen Witz;
von seiner Duldsamkeit aber, von seiner Herzensgüte, von Dingen
also, die den meisten Menschen weniger ,amüsant' erscheinen, —
hat man bisher nicht allzuviel vernommen. Brahms war daran
wohl nicht ganz unschuldig: scharf, fast hart vor vielen, hat er seine
große Güte in tiefster Stille geübt. Er tat's nicht nur mit Worten.
Er griff, wenn es galt, eine gute Sache zu fördern, gern in seine
Tasche, und hatte dann nur die eine Sorge, wie er es anstellen müsse,
um nicht ,als ganz gemeiner Wohltäter' (sein eigenes Wort), ent-
larvt zu werden.
Doch nicht von guten Werken, die ja jeder vermögende Mann üben
könnte, wollte ich reden, sondern davon, wie Brahms über Künst-
ler, über Musiker dachte, wie er ermunternd, fördernd so manchem
seiner jüngeren Kollegen zur Seite stand — ,Kollegen c — Brahms
verstand darunter keineswegs nur Meister von hohem Range, son-
dern jeden tüchtigen, ,honetten* Musiker, etwa brave Mitglieder
einer kleinen Kurkapelle oder auch — Notenschreiber. Er nannte
11 Zum Gedächtnis an Brahms bei der zehnten Wiederkehr seines Todestages, Der
Kunstwart, XX. Jahrgang, Heft 13, S. 6 — 10.
179
diese bescheidenen Handwerker ganz ehrlich ,Kollegen c , er behan-
delte sie mit ausgesuchter Höflichkeit und bemühte sich, ihnen, so-
weit er das nur vermochte, zu nützen . . .
Freilich, innerhalb des Kreises des einzelnen verlangte er vollstes
ernstes Können von jedermann, sei es in Handwerk, Kunst oder
Wissenschaft. So sehr er Dilettanten schätzte und den hohen Wert
des Dilettantismus erkannte, die Pfuscher unter den Künstlern
konnte er nicht leiden . . .
Der Name Wagner bringt mich auf den wichtigsten und, wenn man
will, den heikelsten Punkt dieser Betrachtung. Es ist in dieser Sache
schon recht viel — Unrichtiges verbreitet worden, und nur wenige,
ich darf mich als einer der ersten darunter selbst nennen, trugen dazu
bei, der Wahrheit die arg verrammelte Gasse zu öffnen. Es gab
eine Zeit, da zwischen Brahms und Wagner, die früher zu Wien in
angenehmer Form, wenn auch nicht intim verkehrt hatten, eine Ver-
stimmung eintrat. Wagner sandte, wohl durch Zwischenträger ge-
reizt, in seiner Broschüre über das Dirigieren überflüssigerweise einen
recht scharfen Pfeil gegen Brahms. Dieser, der nie an Wagner,
sondern stets nur an lärmenden Wagnerianern Anstoß genommen
hatte, und der wohl ahnte oder gar wußte, aus wessen Küche das
Gift stammte, war dadurch eine Zeitlang verletzt, was um so be-
greiflicher erscheint, als er selbst sich damals noch nicht zu jener all-
gemeinen Anerkennung durchgerungen hatte, die ihm ein volles
Gegengewicht gegen derartige Angriffe geboten hätte. Er hat in die-
ser Zeit sicherlich dies oder das Wort gesagt oder wohl auch geschrie-
ben, in dem er seiner Bitterkeit Luft machte. Bald jedoch war er mit
sich im reinen und trennte den großen Meister von dem Schreiber
jener Zeilen. Oft und oft hörte ich ihn die mächtige Ursprünglich-
keit Richard Wagners rühmen, seine Genialität als Bühnenkünstler
und als Musiker, die bewunderungswürdige Klarheit seiner Gedan-
ken . . .
Daß Brahms nicht wahllos alles, was Wagner schrieb, für Offen-
barung hielt, daß er, trotzdem er sich selbst des öfteren einen Wag-
nerianer' nannte, nicht nach Art eines balzenden Parteihahnes für
jede Note durch Feuer und Wasser ging, das darf man ihm nicht
verübeln. Er kannte schwache Sachen von Mozart und Beethoven,
er wollte, als die Gesamtausgabe des von ihm vergötterten Schubert
vorbereitet wurde, nichts wissen von der Veröffentlichung unreifer
Jugendwerke, er war gegen sich selbst strenger als irgend einer —
er hatte also wohl auch ein Recht, an seinem großen Zeitgenossen
dies oder jenes ,minder c zu finden . . .
180
Von den neueren Meistern liebte Brahms vor allem Bizet, Dvorak,
Smetana, Verdi und — Johann Strauß. Er hatte auch stets eine
besondere Vorliebe für den feinen, geistreichen Robert Fuchs. Bizets
,Carmen' das ihn, den strengen Protestanten, und in sittlichen Din-
gen auf einem unverrückbaren Standpunkt Fußenden, anfangs des
lockeren Sujets wegen abstieß, interessierte ihn immer mehr und
mehr, so daß er später den lebhaften Wunsch hegte, die Partitur zu
besitzen. Bekanntlich hat der französische Verleger die im allgemei-
nen Musikhandel nicht erschienene Partitur dem Meister in huldi-
gender Form zur Verfügung gestellt.
Smetana hat Brahms zu einer Zeit geschätzt, als dieser geniale Mann
außer Prag kaum dem Namen nach bekannt war . . .
Die Aufführungen und Generalproben der Smetanaschen Opern
waren für ihn stets ein Fest. Freilich verschloß er sich nicht der Ein-
sicht, daß diese drallen Bauernstücke nicht in den goldstarrenden
Riesenrahmen der Wiener Hofoper gehören, und dadurch in eine der
Beurteilung abträgliche Distanz gerückt werden. ,So was möchte ich
einmal in einer Holzbude hören', meinte er.
Dvorak wurde sozusagen durch Brahms der Welt gewonnen. Er er-
kannte aus dessen beim österreichischen Unterrichtsministerium ein-
gereichten Werken die große Begabung des böhmischen Meisters,
machte den Berliner Verleger Simrock auf ihn aufmerksam und
interessierte Hanslick lebhaft für den neuen Mann. Brahms war also
derjenige, der den Lebensweg des bis dahin zwar unablässig schaf-
fenden, aber von gemeinen Sorgen arg bedrängten Künstler auf die
Sonnenseite zu lenken verstand . . .
Auch Verdi verehrte Brahms, seine Vollblutnatur imponierte ihm
gewaltig. Er konnte sogar an Mascagni, den man ja eigentlich nur
in großer Entfernung von diesem Meister nennen sollte, das Tempe-
rament, die Dirigentengabe, das ,reizende Klavierspiel' rühmen!
Der Vielseitigkeit von Brahmsens Wesen, seinem ehrlichen Bedürf-
nis, auch das ihm Wesensfremde nach seinem Werte einzuschätzen,
entspricht auch die Würdigung von Johann Straußens urwüchsigem
Talent. Brahms kannte zahllose Walzer und Stücke von Strauß
auswendig, nannte den ,Donau- Walzer' stets ,die lustige Volks-
hymne' der Österreicher, versäumte niemals die Erstaufführung einer
Straußschen Novität, sei es einer Operette oder nur einer pikanten
Polka, und konnte nicht genug den Geist und den Wohlklang der
Straußschen Orchestrierung rühmen. Von den Ungarn verehrte er
die Zigeunermusik, die er immer wieder hören konnte . . .
181
Viel ließe sich noch sagen über Brahmsens Verhältnis zu anderen
schaffenden und ausübenden Künstlern älterer und neuerer Zeit. Das
aber wird schon aus diesen Zeilen erkannt werden: Brahms war
kein einseitiger, ablehnender, borstiger Mann, sondern einer, der
stets bereit war, das Gute nicht nur zu erkennen, sondern auch zu
fördern. Er war von jener echten inneren Bescheidenheit und tiefen
Seelengüte, die er hinter einer künstlich gemachten, rauhen Außen-
seite sorgfältig, fast schamhaft verbarg. Seine Worte wollen mit
dem Herzen und nicht nur mit den Ohren aufgenommen sein!"
182
NACHWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE
Richard Heubergers „Erinnerungen an Johannes Brahms" haben eine er-
freuliche und positive Resonanz in der Öffentlichkeit gefunden. Sie sind
inzwischen zu einem Standardwerk der Brahms-Literatur avanciert.
Die erste Auflage des Buches wurde nunmehr überarbeitet und mit zu-
sätzlichen Tagebuchnotizen ausgestattet, die Richard Heuberger nach dem
Tode von Johannes Brahms notierte. Sie beinhalten sowohl den Bereich der
Brahms-Pflege, als auch weitere Erinnerungen aus dem Freundeskreis. Er-
gänzt werden Heubergers Erinnerungen durch den Wiederabdruck seines Arti-
kels „Brahms als Vereinsmitglied" aus der österreichischen Zeitschrift „Der
Merker", 3. Jahrgang, Heft Nr. 2 (1912). Der Artikel zeigt Johannes
Brahms von einer bei ihm etwas ungewohnten Seite, die aber ein aktives
Vereinsleben an verantwortlicher Stelle nun einmal mit sich bringt. Zwei
kleine Wiederholungen des Textes stören hierbei nicht. Es ist zu vermuten,
daß Heuberger diesen Aspekt der Tätigkeit von Johannes Brahms nicht in
sein Manuskript einarbeitete, weil er von vornherein eine separate Ver-
öffentlichung plante. Der Wiederabdruck erfolgt auch deshalb, um diese Er-
innerungen Heubergers der Forschung wieder zugänglich zu machen, die
angesichts der schwierigen Auffindbarkeit des Artikels geboten schien.
Brahms Verhältnis zu Eduard Hanslick ist ausgiebiger erläutert und be-
legt worden, als es in der ersten Auflage der Fall sein konnte. Nunmehr
gelang es, auch die Legende des Manuskriptes aus dem Nachlaß von Max
Kalbeck zu klären. Kalbeck muß Heuberger in der Zeit vor 1909
und bei Abfassung seiner Brahms-Biographie, wiederholt um Einsicht in das
Tagebuch gebeten haben. Richard Heuberger hat vermutlich daraufhin das
vorliegende Manuskript nach dem Tagebuch gefertigt; vielleicht wollte er
es selbst publizieren, jedenfalls überließ er es Max Kalbeck, der sich dar-
aufhin mit einer datierten Briefkarte bedankte: „Wien, 27. Dcbr. 1909.
Lieber Freund! Dank für Ihre Mühe; ... Ich hatte schon früher immer
den Eindruck, als würde es Ihnen schwer, sich von Ihren »Erinnerungen' zu
trennen. Deshalb nahm ich Sie neulich auch beim Wort und danke Ihnen
nun recht sehr, daß Sie es gehalten haben. Ein vergnügtes Neujahr wünscht
Ihnen und den lieben Ihrigen Ihr alter Max Kalbeck".
Für die Mitteilung der Ergänzungen ist der Herausgeber den Besitzern
des Original-Tagebuches, Herrn Prof. Dr. Helmut Heuberger und Frau Dr.
Adelheid Heuberger in München, zu Dank verpflichtet, wie es überhaupt
183
ein Anliegen des Herausgebers ist, ihnen für viele Ratschläge und Anregun-
gen, die in der zweiten Auflage Verwendung fanden, herzlich Dank zu sagen.
Hamburg, im Dezember 1975 Kurt Hof mann
184
NAMENSVERZEICHNIS
Adler, Guido; 1855 — 1941, österreichischer Musikwissenschaftler; 167.
d'Albert, Eugen; 1864 — 1932, Komponist und berühmter Pianist, Schüler Liszts;
31 f., 49, 72, 77, 83, 89, 91, 95, 156, 161, 166.
Albrechtsberger, Johann Georg; 1736 — 1809, Komponist, Freund Mozarts und Lehrer
Beethovens; 19.
Alexis, Willibald; 1798—1871, Romanschriftsteller; 84.
Allgeyer, Julius; 1828—1900, Kupferstecher und Photograph, Erfinder des Licht-
druckverfahrens, Biograph Anselm Feuerbachs, langjähriger Freund Brahms*; 73 f.,
172.
Allmers, Hermann; 1821 — 1902, norddeutscher Marschendichter, Brahms vertonte
zwei Gedichte von ihm; 152.
Ander, Alois; 1817 — 1864, berühmter Tenor der Wiener Hofoper, 1864 nach Stimm-
verlust geisteskrank; 90.
Anzengruber, Ludwig; 1839 — 1899, österreichischer Dramatiker und Heimatdichter;
21.
Arnim, Bettina v.; 1785 — 1859, Dichterin, sie komponierte auch Lieder und war mit
Goethe und Beethoven bekannt; 76, 118.
Arnim, Ludwig Joachim, (genannt Achim); 1781 — 1831, Dichter, gab mit Clemens
von Brentano die Sammlung „Des Knaben Wunderhorn" heraus; 118.
Arnold, Yourrij v.; 1811 — 1898, russischer Musikschriftsteller und Komponist, zeit-
weilig Mitarbeiter der „Neuen Zeitschrift für'Musik"; 41, 160.
Auber, Daniel Francois Esprit; 1782 — 1871, französischer Opernkomponist, Direk-
tor des Pariser Konservatoriums von 1842 bis zu seinem Tode; 94.
Auerbach, Berthold; 1812 — 1882, Schriftsteller, setzte sich für die Gleichberechtigung
der Juden ein; 84.
Bach, Baronin; Gattin des Anwaltes und Komponisten Heinrich Freiherr von B.
1835 — 1915, der unter dem Pseudonym H. Molbe vornehmlich Kammermusik-
werke und Lieder veröffentlichte; 52.
Bach, Johann Sebastian; 1685—1750; 10, 23, 28, 51, 69, 86, 90, 93, 116, 120 f., 147,
155, 157, 159, 162, 166, 176 f.
Bachrich, Sigismund; 1841 — 1913, Professor am Wiener Konservatorium, Solo-
bratschist der Philharmoniker und Mitglied des Hellmesberger-Quartetts, später
des Rose-Quartetts; 20.
Bächthold, Jakob; 1848 — 1897, Literaturhistoriker, Professor an der Universität
Zürich; 60.
Bagge, Selmar; 1823—1896, Musikpädagoge und Kritiker, Redakteur (1863—1868)
der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung", von 1868 — 1896 Direktor der All-
gemeinen Musikschule in Basel; 72.
Bahr, Hermann; 1863 — 1934, österreichischer Schriftsteller und Kritiker; 47, 167.
Barbi, Alice; 1862 — 1948, hervorragende Konzertsängerin, Mezzosopran; 44, 48, 82,
128.
Basch-Mahler, Frau; 61.
185
Baudoin, Baronin; 159.
Bauer, Julius; Österreichischer Theaterkritiker und Librettist. Brahms war besonders
im Sommer in Ischl oft mit ihm zusammen; 61.
Baumayer, Marie; Pianistin, Schülerin von Epstein und Clara Schumann. Sie spielte
als erste öffentlich das B-Dur-Konzert; 21.
Bazzini, Antonio; 1818 — 1897, berühmter Violinist, Komponist, Direktor des Mai-
länder Konservatoriums; 48.
Bechhold, H.; Verlag in Frankfurt am Main; 84.
Beethoven, Ludwig van; 1770— 1827; 13, 16, 19, 22, 25, 27, 42 f., 53, 62, 69, 75,
86, 90, 93, 97, 106, 114, 120 f., 128 f., 134, 150 f., 156, 159, 164, 173, 180.
Behrens, Adolph; englischer Musikliebhaber; 109.
Beigel, Victor; Pianist und geschätzter Begleiter; 79.
Bellermann, Johann Gottfried Heinrich; 1832 — 1903, Musikforscher und Kompo-
nist, Gesanglehrer und Professor für Musik in Berlin; 19.
Bellini, Vincenzo; 1801 — 1835, italienischer Opernkomponist; 54.
Berlioz, Hector; 1803 — 1869, bedeutender französischer Komponist; 17, 38, 56, 112,
159.
Bernays, Michael; Professor für deutsche Literaturgeschichte in München, gehörte
zum Münchener Brahms-Kreis; 116.
Bezecny Dr. Josef Freiherr von; 61, 72, 166.
Bibl, Rudolf; 1832 — 1902, österreichischer Hoforganist, Hofkapellmeister in Wien;
134.
Billing, Dr. Heinrich v.; Vorstandsmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde zu
Wien; 62.
Billroth, Theodor; 1829 — 1894, berühmter Chirurg, Billroths Haus war eine der
bedeutendsten Wiener Pflegestätten Brahmsscher Musik; 11 ff., 32, 37, 45 f., 88,
96 f., 120, 132, 162, 169, 171, 177.
Billroth, Frau; 119 f.
Billroth, Elsa; Tochter des großen Chirurgen; 120, 155.
Bismarck, Otto Fürst v.; 1815 — 1898, deutscher Reichskanzler und Ministerpräsident
Preussens von 1862 bis 1890; 52 f., 76, 82.
Bizet, Georges; 1838—1875; 54, 95, 181.
Böhme, Franz Magnus; 1827 — 1898, Musikforscher speziell im Volkslied, Schüler
von Hauptmann und Rietz, Lehrtätigkeit in Dresden und Frankfurt am Main;
64 ff., 69 f., 133.
Bösendorfer, Ludwig; 1835 — 1919, bedeutender Pianofortefabrikant in Wien, Sohn
des Firmengründers Ignaz B.; 46, 75, 139 f., 143, 152.
Boieldieu, Francois Adrien; 1775 — 1834, französischer Komponist; 36.
Brahm, Otto; 1856 — 1912, Schriftsteller und Leiter der „Freien Bühne", vielbeach-
teter Bühnenkritiker; 56.
Böse, Fritz; Musikwissenschaftler; 42.
Bote & Bock; Musikverlag in Berlin; 166.
Botstiber, Hugo; Musikwissenschaftler, vollendete 1927 C. F. Pohls Haydn-Biogra-
phie; 96.
Brahms, Johann Jacob; 1806—1872; 82.
Brahms, Johanna Henrika Christiane, geb. Nissen; 1789 — 1865; 105.
Brahms, Friedrich; 1835—1886; 82.
Brahms, Caroline, verw. Schnack; 1824 — 1902, die Stiefmutter des Meisters; 83.
Brasch, C; Photograph in Berlin; 95.
186
Breitkopf & Härtet; hochbedeutender Musikalien-Verlag in Leipzig, dessen Anfänge
bis 1719 zurückgehen. Die ersten Verlagswerke des jungen Brahms erschienen
auf Empfehlung Schumanns bei Breitkopf & Härtel; 27, 59 f., 68, 95, 120, 149.
Breslaur, Emil; 1836 — 1899, Musiklehrer und Musikschriftsteller. Er redigierte 1892
die 11. Auflage des „Musikalischen Konversationslexikons von Schuberth; 47.
Breuer, Dr. Josef; Brülls Hausarzt, behandelte Brahms in der letzten Zeit vor seinem
Tode; 120, 124 f.
Brodsky, Adolf; 1851 — 1929, russischer Geiger, Schüler Hellmesbergers, Professor am
Leipziger Konservatorium und 1895 Nachfolger von Charles Halle in Manchester
als Direktor des College of Music; 112, 153.
Bruch, Max; 1838 — 1920, Komponist, durch seine großen Chorwerke hatte er sei-
nerzeit eine hervorragende Stellung im Musikleben; 23, 33, 50, 94, 161.
Bruchmann, "Franz Seraph von; 1798 — 1867, Freund von Franz Schubert; 38.
Brückner, Anton; 1824—1896; 29, 37, 47, 49, 58, 71 f., 114, 148 f., 151 f., 166, 170.
Brüll, Ignaz; 1846—1907, Komponist und Pianist in Wien; 24, 30, 39, 45 f., 50,
54 f., 73 f., 76, 102 f., 114, 132, 162, 177.
Brüll, Frau; 50.
Bülow, Hans Guido Freiherr v.; 1830 — 1894, hervorragender Pianist und Dirigent.
Er war der erste, der eine Brahmssche Komposition öffentlich spielte. Bülow
prägte durch seine Tätigkeit in Meiningen, Berlin und Hamburg den Typ des
modernen Dirigenten; 25 f., 33, 37, 48, 51 ff., 58, 67, 131, 143, 150 ff., 154 f.,
159.
Bülow, Marie von, geb. Schanzer; zweite Ehefrau von Hans v. Bülow, ehem. Hof-
schauspielerin Meiningen; 52, 154, 168.
Busoni, Ferruccio Benvenuto; 1866 — 1924, italienischer Komponist und hervorra-
gender Pianist; 27, 156.
Byron, George Gordon Noel; 1788 — 1824, englischer Dichter der Romantik; 174.
Calderon de la Barca, Pedro; 1600 — 1681, spanischer Dramatiker; 172.
Carreno, Teresa; 1853 — 1917, bedeutende Pianistin; von 1892 bis 1895 mit Eugen
d' Albert verheiratet; 89, 161, 165.
Chamberlain, Houston Stewart; 1855 — 1927, Kunstschriftsteller; 154.
Chamisso, Adalbert; 1781—1838, deutscher Dichter; 58.
Cherubini, Luigi; 1760 — 1842, italienisch-französischer Komponist, von Brahms be-
sonders geschätzt; 19, 56, 94, 175.
Chopin, Frederic; 1810—1849; 13, 115, 150.
Chrysander, Friedrich; 1826 — 1901, bedeutender Musikwissenschaftler, Händelfor-
scher, gab gemeinsam mit Brahms Couperins „Pieces de Clavecin" heraus; 142 f.,
148.
Conrad, Baron; Sdiulnovellist; 148.
Conrat, Hugo; Wiener Kaufmann, betätigte sich auch als Korrespondent für die
„Neue Musikzeitung". Er übersetzte ungarische Volkslieder ins Deutsche, die
Brahms zur Komposition seiner Zigeunerlieder verwandte. Conrats Tochter Ilse
schuf Brahms* Grabdenkmal; 51, 59, 62 f., 73, 91, 116 f., 119 ff., 166.
Conrat, Frau; 116, 120, 167.
Cornelius Peter; 1824 — 1874, Komponist, Schüler von Dehn und Liszt; 36, 43 ff.,
50, 64.
Cornet, Adele Passy; Konzertsängerin, Gattin des Theaterdirektors und Tenors
Julius Cornet in Hamburg; 81.
187
Cossel, Otto Friedrich Willibald; 1813—1865, Klavierlehrer in Hamburg, Schüler
Eduard Marxsens und Brahms' erster Lehrer; 108.
Cranz, August; 1789 — 1870, Begründer des gleichnamigen, 1813 in Hamburg gegrün-
deten Musikverlages; 72, 80, 161.
Dahn, Felix; 1834 — 1912, zur damaligen Zeit vielgelesener Schriftsteller; 79.
David, Werner; Bildhauer; 153.
Delibes, Leo; 1836 — 1891, französischer Komponist (besonders Oper und Ballet),
Kompositionslehrer am Pariser Konservatorium; 95.
Dessoff, Otto; 1835—1892, Dirigent, Schüler von Moscheies. Er brachte Brahms*
c-Moll-Symphonie in Karlsruhe zur Uraufführung; 148 f.
Devrient, Eduard; 1801 — 1877, Direktor des Karlsruher Hoftheaters und Verfasser
einer Geschichte der deutschen Schauspielkunst, Freund Mendelssohns; 49.
Diemer, Louis; 1843 — 1919, französischer Pianist, Professor am Pariser Konservato-
rium; 57.
Dommer, Ärrey v.; 1828—1905, Musiklehrer und Kritiker; 157.
Donimirska-Leschetitzky, Frau; 80.
Donndorf, Adolf; Bildhauer; 106.
Door, Anton; 1833 — 1919, Pianist, Schüler Czernys, Lehrer am Wiener Konserva-
torium, Präsident des Wiener Tonkünstlervereins; 39, 45, 47, 50 f., 54, 63, 82,
90 f., 93, 96, 102, 115, 138 f., 161, 168 f.
Door, Frau; 50 f., 168 f.
Draeseke, Felix; 1835 — 1913, Komponist, Kompositionslehrer am Dresdner Konser-
vatorium, Liszt-Schüler; 136.
Drexler, Dr. Josef; Mitglied als „Gründer" in der Gesellschaft der Musikfreunde
in Wien. Direktionsmitglied von 1854 — 1860, Mitglied des Singvereins von 1875
bis 1888, aktive Teilnahme an den Generalversammlungen über die Verwal-
tungsjahre 1871—1875 der Gesellschaft; 130.
Dubois, Theodor; 1837 — 1924, Komponist, Professor und Direktor des Pariser Kon-
servatoriums; 94.
Dumba, Nicolaus; österreichischer Industrieller, Vorstandsmitglied der Gesellschaft
der Musikfreunde in Wien; 35, 72, 100, 119, 121.
Dussek, Johann Ladislaus; 1761 — 1812, tschechischer Komponist und Pianist; 132.
Dustmann, Marie Luise; 1831 — 1899, hervorragende dramatische Sopranistin, 1857 —
1875 an der Wiener Oper engagiert, Gesanglehrerin am Wiener Konservatorium;
100.
Dvorak, Anton; 1841—1904; 14, 35, 47, 78, 89, 92 f., 95, 99, 101, 104, 122, 126,
131 f., 149, 167, 171, 181.
Dvorak, Anna; Gattin des Komponisten; 168 f.
Ebner-Eschenbach, Marie v.; 1830 — 1916, österreichische Erzählerin; 76.
Eckermann, Johann Peter; 1792 — 1854, Goethes freiwilliger Sekretär seit 1823; 179.
Eder, Leopold; 1823—1902, Kirchenkapellmeister in Wien; 151.
Edison, Thomas Alva; 1847 — 1931, amerikanischer Erfinder und Industrieller; 42.
Ehlert, Louis; 1825 — 1884, Musiklehrer und Kritiker, Schüler des Leipziger Konser-
vatoriums unter Mendelssohn und Schumann; schrieb viele Beiträge für die „Neue
Berliner Musikzeitung", auch über Brahms; 25.
188
Ehrbar, Friedrich; 1827 — 1905, lernte in seiner Vaterstadt Hildesheim den Orgel-
bau, ging 1848 als Arbeiter nach Wien, wo er zum Geschäftsführer einer Klavier-
fabrik aufrückte, die er 1857 übernahm. 1877 erbaute er seinen eigenen großen
Konzertsaal; 24, 132.
EibenschütZy Ilona; 1873 — 1953, Pianistin, Schülerin von Clara Schumann, konzer-
tierte von 1890 bis zu ihrer Heirat 1902 mit großem Erfolg als Brahmsinterpre-
tin; 61.
Eichendorff, Joseph Freiherr v.; 1788 — 1857, Dichter der Spätromantik; 53.
Eisl, Lotte von; 153.
Engelmann, Theodor Wilhelm, Prof. Dr.; Mediziner, seine physiologischen Unter-
suchungen und Arbeiten weisen ihm einen hervorragenden Platz als Wissen-
schaftler zu. Er gehörte mit seiner Frau Emma, geb. Brandes, zum Freundeskreis
um Brahms; 114.
Engelsberg, E. S., Pseudonym für Dr. Eduard Schön; 1825 — 1879, er machte sich
durch viele beliebte Männerchöre einen Namen; 11.
Epstein, Julius; 1832 — 1926, Pianist und Lehrer am Wiener Konservatorium, gab
ältere Klaviermusik neu heraus, arbeitete mit Brahms an der Leipziger Schubert-
Gesamtausgabe; 46, 54, 82, 85, 102, 111 f., 130, 132, 137 ff., 142, 163.
Epstein, Amelie; 85, 161.
Erk, Ludwig; 1807—1883, Volksliedforscher in Berlin; 64, 67.
Ernest, Gustav; 1858 geboren, Sterbejahr unbekannt, Musikwissenschaftler; 176.
Escher, Lydia; Tochter des schweizerischen Staatsmannes Alfred Escher; 56.
Escherich, Kitty von; 145.
Esser, Heinrich; 1818 — 1872, Komponist und Dirigent, zeitweilig Wiener Hofopern-
Kapellmeister und Dirigent der philharmonischen Konzerte. Seine Männerquar-
tette und Lieder erfreuten sich großer Beliebtheit; 90.
Essipoff, Annette v.; 1851 — 1914, glänzende Pianistin, Schülerin und Gattin Theo-
dor Leschetitzkys; 30, 47 f., 138.
Exner, Adolf; 1841 — 1894, Professor der Rechtswissenschaft in Wien, mit Gottfried
Keller und Brahms befreundet, nahm an Brahms* Italienreise 1881 teil; 106.
Eyrich, Dr. Franz; langjähriger Chormeister und Leiter des „Wiener Akademischen
Gesangvereins" bis 1875; 12, 46, 59.
Faber, Artur; österreichischer Industrieller. Sein Haus gehörte zu den von Brahms
bevorzugten. Für Bertha Faber schrieb Brahms sein Wiegenlied; 58, 63, 107,
112 f., 119, 123 ff., 129, 175.
Fellinger, Dr. Richard; Generaldirektor von Siemens in Österreich, einer der eng-
sten Vertrauten des Meisters; 42, 107, 111 ff., 122, 125, 162, 169, 171, 175.
Fellinger, Richard; Sohn von Dr. Richard und Maria Fellinger. Er gab 1933 unter
dem Titel „Klänge um Brahms" aufschlußreiche Erinnerungen heraus; 33, 42.
Feuerbach, Anselm; 1829 — 1880, Maler. Brahms wurde durch Allgeyer mit Feuer-
bach bekannt und schätzte dessen Kunst zeitlebens sehr hoch; 21, 37 f., 73 f.
Field, John; 1782 — 1837, berühmter Pianist, Schüler Clementis; 132.
Fillunger, Marie; berühmte Sängerin von internationalem Ruf; 1904 Gesanglehre-
rin in Manchester; 88.
Finck, Hermine; Sängerin in Berlin, 1895 bis 1910 mit Eugen d'Albert verheira-
tet; 89, 166.
Fischer, Dr. Georg; Arzt in Hannover, gab eine Geschichte der Musik in Hannover
und Billroths Briefe heraus; 88, 112.
Fischer, Jakob; Theorie- und Klavierlehrer am Wiener Konservatorium; 150, 152.
189
Fitzner, Rudolf; Violinist in Wien, Schüler Brückners. Er gründete 1894 ein eigenes
Streichquartett; 74.
Forkel, Johann Nikolaus; 1749—1818; 164.
Forster, Josef; 1838 — 1917, Komponist in Wien. Nach der Komposition einer Sym-
phonie wurde er von der Zeitkritik als Rivale Brahms' eingestuft; 65.
Frank, Ernst; 1847 — 1889, Theaterkapellmeister und Komponist; 148.
Franz, Otto, Dr. jur.; Landgerichts rat und Frau Anna. Zu den Wiener Familien
Wittgenstein und Oser gehörig; 68.
Franz, Robert; 1815 — 1892, Komponist und Universitäts-Musikdirektor in Halle a. d.
Saale; 155, 159.
Freund, Robert; 1852 — 1936, Pianist, Schüler von Tausig und Liszt; 31.
Friedheim, Arthur; 1859—1932, Pianist, Liszt-Schüler; 150.
Friedlaender, Max; 1852 — 1934, Musikwissenschaftler, nach dem Tode Joseph Joa-
chims Präsident der Deutschen Brahms-Gesellschaft; 27 f., 42, 151.
Friedrichs, Fritz; 1849 — 1918. Seinen Ruf verdankt er der meisterhaften Ausarbei-
tung und Darstellung des Beckmesser und Alberich; 39.
Frimmel, Theodor v.; 1853 — 1928, Dr. med., berühmter Beethovenforscher; 75.
FrÖschl, Dr. K.; Fellingers Hausarzt, der die Behandlung Brahms' um die Jahres-
wende 1896/97 übernahm; 113 ff., 117.
Fuchs, Johann Nepomuk (Hans); 1842 — 1899, Hofkapellmeister in Wien, Direktor
des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde; 42, 63, 147.
Fuchs, Robert; 1847 — 1927, Bruder des Vorigen. Komponist und Professor am Wie-
ner Konservatorium. Besonders bekannt wurden seine Serenaden für Streich-
orchester; 24 ff., 32, 39, 42, 45, 47 f., 98, 134, 141, 150, 157, 159, 163, 171, 181.
Fuchs; Notenkopist in Düsseldorf; 97.
Gade, Niels W.; 1817 — 1890, dänischer Komponist, als solcher fast ausschließlich
Autodidakt, in Leipzig zeitweilig Dirigent des Gewandhausorchesters, dann in
Kopenhagen; 47.
Gänsbacher, Joseph, Dr. jur.; 1829 — 1911, von 1874 bis 1904 Gesanglehrer am Kon-
servatorium der Gesellschaft der Musikfreunde. Brahms' Cello-Sonate op. 38 ist
ihm gewidmet; 12 f., 21, 24, 40, 46, 54, 74, 103, 111, 132, 137 f.
Ganghofer, Ludwig; 1855 — 1920, Schriftsteller, zeitweilig Dramaturg am Wiener
Ringtheater; 57.
Gautsch; österreichischer Minister; 104, 107.
Geiringer, Karl; Musikwissenschaftler; 61.
Gericke, Wilhelm; 1845—1925, 1874 Hofkapellmeister in Wien, 1880 bis 1884 Diri-
gent der Gesellschaftskonzerte der Gesellschaft der Musikfreunde; 54, 76, 83,
147, 162, 165 f.
Gernsheim, Friedrich; 1839 — 1916, Komponist, 1890 bis 1897 Lehrer am Sternschen
Konservatorium in Berlin. Er war vor allem auf dem Gebiet der Kammermusik
produktiv; 94.
Gersuny, Prof. Dr.; Chirurg in Wien; 121.
Gluck, Christoph Willibald v.; 1714— 1787; 20.
Goethe, Johann Wolfgang v.; 1749—1832; 13, 36, 66, 81, 179.
Götz, Hermann Gustav; 1840 — 1876, Komponist. Sein bekanntestes Werk war die
Oper „Der Widerspenstigen Zähmung". An der Vollendung seiner zweiten Oper
„Francesca da Rimini", die Ernst Frank besorgte, wirkte Brahms beratend mit.
Götz widmete Brahms sein E-Dur-Klavierquartett; 30.
190
Goldmark, Karl; 1830 — 1915, Österreichischer Komponist, Geiger und Klavierlehrer.
Er errang mit seiner Oper „Die Königin von Saba" seinen größten Erfolg. In
seinen „Erinnerungen aus meinem Leben", Wien 1922, schildert er auch seine vie-
len Begegnungen mit Brahms; 11, 30, 45 f., 54, 63, 72, 74 ff., 78 f., 85, 92, 95,
98, 102 f., 107 f., 112, 129 ff., 144, 155 f, 164.
Gotthard, Job. Peter; 1839—1919, Musikverleger in Wien von 1868 bis 1879; 136.
Gounod, Charles; 1818 — 1893, bedeutender Opernkomponist; 81.
Gozzi, Carlo; 1720—1806, italienischer Dichter; 154, 172.
Grabbe, Christian Dietrich; 1801 — 1836, dramatischer Schriftsteller; 77.
Grädener, Hermann; 1844 — 1929, Komponist, Sohn und Schüler von Carl G. P.
Grädener, Theorielehrer am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde
und Dirigent der Wiener Singakademie; 30, 37, 74, 138, 148, 158, 167.
Gregorovius, Ferdinand; 1821 — 1891, Geschichtsschreiber; 118.
Grieg, Edvard; 1843—1907, bedeutendster skandinavischer Komponist; 99, 102, 168.
Grillparzer, Franz; 1791—1872; 100.
Groth, Klaus; 1819 — 1899, norddeutscher Heimatdichter, mit Brahms eng befreun-
det. Brahms vertonte 14 Gedichte von Klaus Groth, die zu seinen schönsten
Liedern zählen; 33, 116 f.
Grübl; Bürgermeister in Wien; 72.
Grün, Jacob M.; 1837 — 1916, Geiger und Pädagoge, Professor am Wiener Konser-
vatorium; 46, 139.
Grünberger, Dr.; Brahms* behandelnder Arzt während seines Aufenthaltes in Karls-
bad im September 1896; 113.
Grünfeld, Alfred; 1852 — 1924, Pianist, Schüler Kullaks. Seine Konzertparaphrasen
Johann Straußscher Walzer waren berühmt; 66.
Grund, Johann Christian Georg; 1817 — 1888, Uhrmacher in Hamburg, Schwager
von Johannes Brahms; 60.
Grund, Wilhelmine Louise Elisabeth (genannt Elise), geb. Brahms; 1831 — 1892,
Schwester von Johannes Brahms; 60, 83.
Gutmann, Albert; bedeutender Wiener Konzertagent. Er vermittelte die Gastspiele
der Meininger Hofkapelle unter Bülow und der Berliner Philharmoniker sowie
des Joachim-Quartetts und anderer Künstler nach Wien und hatte ständig Kon-
takt mit Brahms; 26, 124, 138.
Händel, Georg Friedrich; 1685—1759; 23, 26, 28.
Halevy, Jacques; 1799 — 1862, französischer Komponist, Professor am Pariser Kon-
servatorium; 94.
Halle, Charles; 1819 — 1895, Gründer des nach ihm benannten Orchesters in Man-
chester; 86.
Hanslick, Eduard, Dr. jur.; 1825 — 1904. Der bedeutende Wiener Musikkritiker lei-
tete von 1864 bis 1895 das Feuilleton der Wiener „Neuen Freien Presse". Er ge-
hörte zum engsten Wiener Freundeskreis um Brahms; 17, 19, 24, 32, 35 f., 39,
46, 49, 54, 64, 66, 70 f., 73 f., 76, 80, 85 f., 92, 101, 103 f., 107, 112 f., 120, 122,
124 ff., 128, 132, 150, 156, 154, 162, 164 ff., 170 f., 173 f., 181, 183.
Hanslick, Sophie; 24, 80, 86.
Hauptmann, Moritz; 1792 — 1868, Komponist, Thomaskantor in Leipzig. Seine musik-
theoretischen Werke haben noch heute Wert; 91.
Hausmann, Robert; 1852 — 1909, Cellist, Mitglied des Joachim-Quartetts seit 1879.
Brahms' zweite Cellosonate wurde durch ihn und Brahms am 24. November 1886
in Wien uraufgeführt; 32, 41.
191
Haydn, Franz Joseph; 1732—1809; 19, 22, 36, 43, 76, 90, 94, 96, 99, 106, 117, 154, 177.
Hebbel, Friedrich; 1813 — 1863, Dichter. Brahms konnte ihn, seinen norddeutschen
Landsmann, in Wien noch aufsuchen; 77.
He gar, Friedrich; 1841 — 1927, Schweizer Komponist und Dirigent, von 1868 bis
1906 Dirigent des Zürcher-Tonhalle-Orchesters. In der Zeit des romantischen
Klassizismus war er der führende Schweizer Musiker; 49, 66 f.
Heine, Heinrich; 1797—1856, deutscher Dichter; 68.
Hellmesberger, Joseph, d. Ä.; 1828 — 1893, Dirigent und artistischer Direktor der
Gesellschaft der Musikfreunde, Violinprofessor am Wiener Konservatorium. Sein
Streichquartett erlangte Weltberühmtheit; 14, 19, 30, 42 f., 52, 55. 131, 155.
Hellmesberger, Joseph, d. Jüngere; sein Sohn, 1855 — 1907, 1. Hofkapellmeister in
Wien seit 1890, war Mitglied im Streichquartett seines Vaters; 97.
Hellmesberger, Ferdinand; Bruder von Joseph H. — Solocellist der Wiener Hof-
oper und im Quarett seines Vaters, Lehrer am Konservatorium in Wien; 50.
Helmholtz, Hermann Ludwig Ferdinand von; 1821 — 1894, bedeutender Physiker,
seine „Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die
Theorie der Musik" hat ihm bleibenden Wert in der Musikgeschichte gebracht;
142 f.
Henschel, Georg; 1850—1934, Bariton und Komponist, lebte seit 1885 in England.
In London Dirigent und Gesanglehrer. Mit Brahms befreundet, war er einer
der frühen Interpreten des Meisters. Seine Erinnerungen an Brahms (englisch)
zählen zu den eindrucksvollsten; 79.
Herbeck, Johann Ritter v.; 1831—1877, Hofkapellmeister und Dirigent der Gesell-
schaft der Musikfreunde in Wien. Um Schuberts Werk sehr verdient; 19, 28, 30,
98, 130, 147.
Hernried, Robert; 1883—1951, Musikschriftsteller, Theorielehrer und Theaterkapell-
meister; 7.
Hertzka, Dr.; Direktor einer Kaltwasserheilanstalt in Ischl; 108 ff.
Herzfeld, Viktor v.; Komponist und Professor der Musiktheorie in Budapest; 161.
Herzogenberg, Heinrich v.; 1843 — 1900, Komponist; 42, 51, 126, 142.
— Elisabet v.; 1847 — 1892, seine Gattin, Musikerehepaar, zum engsten Freundes-
kreis um Brahms gehörig. H. war zunächst in Leipzig, dann in Berlin als Pro-
fessor für Komposition an der Hochschule für Musik tätig; 42.
Heuberger, Adelheid; 183 f.
Heuberger, Helmut; 183 f.
Heuberger, Johanna; Gattin Richard Heubergers; 40, 47, 51, 57, 85 f., 109, 115 f.,
120, 150, 153, 169.
Heuberger, Josef; 173.
Heuberger, Ludwig; \73.
Heyse, Paul Johann Ludwig; 1830 — 1914, Dichter und Schriftsteller. Brahms ver-
tonte von ihm 10 Gedichte. Heyse bekam 1910 als erster deutscher Dichter den
Nobelpreis; 27, 71, 84 f., 116, 121.
Hildebrand, Adolf von; 1847 — 1921, deutscher Bildhauer und Kunsttheoretiker,
schuf u. a. das Meininger Brahms-Denkmal und Elisabet von Herzogenbergs
Grabmal in San Remo;
Hiller, Ferdinand; 1811 — 1885, Dirigent und Komponist, wirkte vor allem in Köln,
dort Konservatoriumsdirektor und Dirigent des Kölner Gürzenichorchesters. Er
stand stets in Kontakt zu Brahms; 23, 31.
Hirschfeld, Robert; 1858 — 1914, österreichischer Musikforscher, Professor für Musik-
ästhetik am Wiener Konservatorium; 55, 146.
192
His, Wilhelm; 1831—1904, Anatom; 150.
Hoffmann von Fallersieben (August Heinrich Hoffmann); 1798 — 1874, Dichter, Ver-
fasser zahlreicher Kinderlieder; 116.
Hof mann, Kurt; 172-
Hohenlohe, Fürst von; Intendant der kaiserlichen Hoftheater in Wien; 98.
Hornbostel, Helene v.; Sopranistin und Kammersängerin, Schülerin Stockhausens,
Gattin Erich von Hornbostels und Mutter des Musikwissenschaftlers Erich von H,
gehörte zum Brahmsschen Freundeskreis; 54, 100.
Hubay, Jenö; 1858 — 1937, ungarischer Violinist, studierte bei Joachim in Berlin, war
Professor der Landesmusikakademie in Budapest. Sein von ihm gegründetes
Streichquartett erntete Brahms' begeistertes Lob; 68.
Huberman, Bronislaw; 1882 — 1947, berühmter Violinist und Kammermusiker, Schü-
ler Joachims. Brahms versprach ihm eine Fantasie zu komponieren, doch kam
es nicht mehr dazu. Huberman war Vorkämpfer der Idee eines Vereinigten
Europas und Gründer des „Israel Philharmonie Orchestra"; 91.
Hummer, Reinhold; Cellist, zeitweilig im Ros£-Quartett; 46.
Humperdinck, Engelbert; 1854 — 1921, Komponist, Schüler Hillers, Jensens und
Gernsheims, war zeitweilig Richard Wagners Assistent und Lehrer am Hochschen
Konservatorium in Frankfurt am Main; 68, 74.
Ibsen, Henrik; 1828 — 1906, norwegischer Dramatiker. Seine Werke wurden in Nor-
wegen hart angegriffen, so daß er 23 Jahre in Italien und Deutschland lebte; 103.
Immermann, Karl Lebrecht; 1796 — 1840, Dichter und Theaterkritiker; 77.
Jadassohn, Salomon; 1831 — 1902, Komponist und Dirigent, Schüler Liszts, 1887
Ehrendoktor der Universität Leipzig, am dortigen Konservatorium Professor für
Theorie, Komposition und Instrumentation; 49.
Jaell, Marie; 1846 — 1925, Pianistin, Gattin des Klaviervirtuosen Alfred Jaell, der
auch Salonstücke schrieb; 40.
Jahn, Wilhelm; 1834—1900, Dirigent, von 1881 bis 1897 Direktor der Wiener Hof-
oper; 36, 80, 138, 142, 148.
Jaques, Dr. Heinrich; Reichsrat- Abgeordneter; 36.
Jauner, Franz; 1832—1900, Direktor des Hofoperntheaters in Wien 1877/1880; 162.
Jenner, Gustav; 1865 — 1920, Komponist und Musikdirektor, Schüler von Brahms in
der Zeit seines Wiener Aufenthaltes von 1889 bis 1895; 39, 56, 72, 176.
Jensen, Adolf; 1837 — 1879, Komponist. Er war hauptsächlich Autodidakt. Als Lie-
derkomponist trat er die Nachfolge Schumanns an; 29, 57.
Jensen, Gustav; 1843 — 1895, Violinlehrer am Kölner Konservatorium; 175.
Joachim, Joseph; 1831 — 1907, einer der berühmtesten Violinisten, Schüler Böhms
und Mendelssohns. Unter seiner Leitung entwickelte sich die Königliche Hoch-
schule für Musik in Berlin zu einem führenden Institut. Joachim war mit Brahms
von Jugend an befreundet, er lernte ihn 1853 anläßlich dessen erster Konzert-
tournee mit dem ungarischen Geiger Remenyi kennen und führte ihn im selben
Jahr bei Robert Schumann ein; 9, 17, 20, 38, 41, 50 f., 53, 61, 73, 78, 80, 85,
91, 114 ff, 118 f., 131, 162, 170 f.
Kassmeyer, Moritz; 1831 — 1884, Violinist, seine Volkslieder-Bearbeitungen für
Streichquartett wurden von Brahms sehr geschätzt; 26.
Kahn, Robert; 1865 — 1951, Pianist und Kompositionslehrer an der Berliner Hoch-
schule für Musik; 176.
193
Kalbeck, Max; 1850 — 1921, Musikschriftsteller, der Biograph des Meisters. Kalbecks
Brahms-Biographie bietet auch heute noch den -wertvollsten Fundus über Einzel-
heiten aus Brahma Leben; 7 f., 17, 21, 24, 28, 31, 34, 38, 40, 44 f., 47, 49, 50 ff.,
54, 60, 64, 66 f., 73, 76 ff., 80 f., 84, 90, 92 f., 95 f., 98, 106, 112, 114 f.,
123 f., 126, 128 ff., 133, 136, 154, 156 f. f 162, 168, 172, 175, 183.
Kalbeck, Julie; Gattin von Max Kalbeck; 28, 45, 50 f., 115, 125, 136, 161.
Keller, Gottfried; 1819 — 1890, berühmter Schweizer Dichter, mit Brahms persönlich
bekannt gewesen; 13, 27, 60, 106.
Kienzl, Wilhelm; 1857 — 1941, Komponist und Dirigent. Von seinen Werken hielt sich
die Oper „Der Evangelimann" bis in unsere Zeit; 10, 155, 174.
Kistner, Friedrich; 1797 — 1844, Musikverleger in Leipzig; 18, 22.
Klengel, Julius; 1859—1933, berühmter Cellist in Leipzig; 76 f., 91.
Klengel, Frau; 77.
Klimt, Gustav; 1862 — 1918, österreichischer Maler des Jugendstils; 129.
Klinger, Max; 1857 — 1920, Bildhauer, Maler und Radierer. Brahms war von Klin-
gers Werken sehr angetan und widmete ihm die „Vier ernsten Gesänge" op. 121
als Dank für die „Brahmsphantasie", eine Folge von 41 Stichen und Radierun-
gen; 37 f., 63, 89, 118, 126, 129.
Knorr, Iwan; 1853 — 1916, Musiklehrer und Komponist, seit 1883 Lehrer für Theo-
rie und Komposition am Hochschen Konservatorium in Frankfurt am Main; 84.
Koch, Ludwig; Generalsekretär der Gesellsdiaft der Musikfreunde in Wien; 166.
Koch von Langentreu, Adolf; 1833 — 1905, einer der Vizepräsidenten der Gesell-
schaft der Musikfreunde; 83.
Köhler, Louis; 1820 — 1886, Musikschriftsteller, Kritiker und Klavierlehrer; 98.
Körner, Frau; 52.
Koeßler, Hans; 1853 — 1926, Musiklehrer und Komponist, Professor an der Landes-
musikakademie in Budapest; 70, 84, 99, 121, 161.
Kraus, Dr. Emil; Hof Opernsänger in Wien um 1875; 10.
Kraus, Felix v.; 1870 — 1937, ausgezeichneter Bassist, studierte auch Musikwissen-
schaft und wirkte als Gesanglehrer in München. Er sang als erster die „Vier
ernsten Gesänge"; 86, 91, 113 f.
Krebs, Carl; 1857—1973, Musikschriftsteller und Kritiker; 53, 67.
Kremser, Eduard; 1838 — 1914, Komponist und Dirigent des Wiener Männer-Ge-
sangvereins und der Gesellschaft der Musikfreunde von 1878 bis 1880. Er gehörte
zum Freundeskreis von Brahms; 19, 42, 46, 145, 150.
Kretschmann, Theobald; 1850—1929, Violoncellist, Kapellmeister in Wien seit 1889,
Leiter eines Streichquartetts und der Orchesterabende an der Votivkirche; 156.
Kretschmar, Hermann; 1848 — 1924, Musikwissenschaftler; 175.
Kretschmer, Andreas; gestorben 1839, gab „Deutsche Volkslieder mit ihren Original-
weisen" heraus, eine Sammlung, die Zuccamaglio fortsetzte und 1840 erschienen
ist; 64, 69.
Kugel, Ignaz; Konzertagentur in Wien; arrangierte Brahms' und Joachims Tournee
nadi Ungarn und Siebenbürgen 1879; 165.
Kundtmann, Karl; berühmter Bildhauer in Wien; er schuf eine Statuette und nahm
Brahms die Totenmaske ab. Er gehörte zum weiteren Freundeskreis; 36, 162.
Kupfer, William; Brahms 3 Kopist in Wien. Mit ihm war Brahms auch durch die ge-
meinsame Vaterstadt verbunden; 84, 171.
Labor, Josef; 1842 — 1924, Pianist und Organist, früh erblindet. Lehrer von Julius
Bittner und Arnold Schönberg; 153.
194
Lange, Samuel de; 1840 — 1911, Organist und Dirigent der Oratorienvereinigung in
Den Haag; 168.
Lanner, Joseph Franz Karl; 1801 — 1843, Komponist, Schöpfer des Wiener Wal-
zers; 157.
Lasso, Orlando di; 1530 — 1594, Komponist des 16. Jahrhunderts, der größte nieder-
ländische Meister; 68 f.
Laube, Heinrich; 1806—1884, Schriftsteller und Theaterleiter, von 1849 bis 1867
Direktor des Wiener Hofburgtheaters; 103.
Lauterbach, Johann Christoph; 1832 — 1918, Violinist, Lehrer am Dresdner Konser-
vatorium; 73.
Lehmann, Lilli; 1842 — 1929, berühmte dramatische Sopranistin. Brahms lernte sie
1873 in Köln kennen; 35.
Lemcke, Karl; geboren 1831, Dichter; 80.
Leoncavallo, Ruggiero; 1858 — 1919, italienischer Komponist und Pianist; 62.
Lesage, Alain Rene; 1668 — 1747, französischer Dichter; 172.
Leschetitzky, Theodor; 1831 — 1915, Pianist, berühmter Klavierlehrer in Wien; 30,
103, 137 ff., 142, 161.
Leuckart, Musikverlag in Leipzig; 159.
Levi, Hermann; 1839 — 1900, hervorragender Dirigent. Er war bis 1872 sehr eng mit
Brahms befreundet; nach Annahme der Berufung nach München als Hofkapell-
meister erkaltete die Freundschaft; 49.
Lewinsky, Josef; 1835 — 1907, Burgschauspieler. Auf seine Anregung vertonte Brahms
für dessen Braut, Olga Precheisen, die Ophelia-Lieder; 102.
Leyen, Rudolf von der; Krefelder Industrieller, gehörte zum dortigen engeren Freun-
deskreis um Branms; 154.
Lienau, Robert; 1838 — 1920, Musikverleger und Inhaber der Verlage Schlesinger
und Haslinger; Brahms schätzte ihn sehr; 51, 57, 59.
Lind, Jenny; 1820 — 1887, als „schwedische Nachtigall" berühmte Koloratursopra-
nistin; 69.
Lindau, Paul; 1839 — 1919, Schauspieler, Schriftsteller, Intendant des Meininger Hof-
theaters, Dramaturg des Königlichen Schauspielhauses in Berlin; 77.
Lipiner, Siegfried; 1856 — 1911, Schriftsteller, sein „Merlin" wurde von Goldmark zu
dessen gleichnamiger Oper vertont; 71, 116, 155.
Lisztj Franz; 1811 — 1886, Brahms schätzte ihn als Menschen und Pianisten außer-
ordentlich, während er seine Werke scharf ablehnte; 13, 16 f., 30, 36, 38, 40 ff.,
59 ff., 73, 122, 138, 160.
Litzmann, Berthold; 1857 — 1926, Literaturprofessor; 60, 73.
Lobmeyr, Ludwig; österreichisches Herrenhausmitglied; 122.
Loewe, Johann Karl Gottfried; 1796 — 1869, wirkte in Stettin, zuletzt in Kiel. Er
schuf die musikalische Form der Ballade; 33 f., 98.
Lortzing, Gustav Albert; 1801—1851; 39.
Lotti, Antonio; Komponist, um 1667 in Venedig geboren, dort 1740 gestorben; 96.
Lucca, Pauline; 1841 — 1908, Sopranistin, Mitglied der Wiener Hofoper von 1874
bis 1889; 92.
Lueger, Karl; 1844 — 1910, österreichischer Politiker, Gründer der Christlich-Sozialen
Partei, Bürgermeister von Wien von 1897 bis zu seinem Tode; er machte sich
verdient um moderne soziale Einrichtungen in Wien; 82, 125 f.
Mahler, Gustav; 1860 — 1911, Komponist und Dirigent. Brahms schätzte ihn als
Dirigenten sehr, apostrophierte aber den Komponisten nach Kenntnis seiner
195
2. Sinfonie als „König der Umstürzler"/ Er veranlaßte Mahlers Berufung auf
den Posten des Hofopernkapellmeisters in Wien; 37, 83 f.
Mandyczewski, Eusebius; 1857 — 1929, Archivar der Gesellschaft der Musikfreunde
in Wien. Er gab die Gesamtausgaben von Haydn, Schubert und Brahms mit
heraus; 45 f., 51 f., 54, 56 f., 60 ff., 73, 76, 82 f., 85 f., 89 ff., 100 ff., 106, 109,
112 f., 115 f., 119, 121, 124, 128, 145, 148, 162 f., 165 ff., 171.
Mannheimer , Julius; 156.
Mannsfeld, Antonie; Wiener Volkssängerin, die für ihre freizügigen Chansons be-
kannt war; 46.
Mark, Paula; 1869 geboren, war seit September 1893 Mitglied der Wiener Hofoper
und zog sich nach ihrer Heirat von der Bühne zurück; 79.
Marks, G. W.; Pseudonym von Johannes Brahms; 80.
Marschner, Heinrich August; 1795 — 1861, Komponist; sein bedeutendstes Werk, die
Oper „Hans Heiling" entstand in Hannover, wo Marschner hauptsächlich wirkte;
54 f., 102.
Martucci, Giuseppe; 1856 — 1909, italienischer Komponist, Pianist und Dirigent,
Direktor des Konservatoriums in Neapel; 38.
Marxsen, Eduard; 1806 — 1887, Komponist und Musiklehrer in Hamburg. Brahms
wurde durch Cossel sein Schüler; 24, 81.
Mascagni, Pietro; 1863 — 1945, italienischer Komponist, durch seine Oper „Caval-
leria rusticana" berühmt geworden; 52, 62, 88, 101, 181.
Massenet, Jules Emile Frederic; 1842 — 1912, französischer Komponist, Schüler von
Thomas, Professor für Komposition am Pariser Konservatorium; 52, 94 f.
Mataja, Emilie; pseudonym: Emil Marriot; Schriftstellerin; 33, 76.
Materna, Amalie; 1845 — 1918, dramatische Sopranistin, Primadonna der Wiener
Hofoper und Gesanglehrerin in Wien; 35.
May, Florence; Englische Pianistin, Schülerin Clara Schumanns und Brahms 1 , Ver-
fasserin der ersten Brahms-Biographie; 90.
Mayer, Wilhelm Dr. jur.; 1831 — 1898, Pseudonym: W. A. Remy, Komponist und
Dirigent in Graz, gesuchter Musiklehrer; 9, 173.
Mehul, Etienne-Nicolas; 1763 — 1817, Opernkomponist und Professor am Pariser
Konservatorium; 49.
Meiningen, Georg IL, Herzog von; 1826 — 1914. Brahms fand durch Bülow, der als
Dirigent der Meininger Hofkapelle wirkte, dort eine Pflegestätte seiner Kunst.
Die e-Moll-Symphonie wurde in Meiningen uraufgeführt; 71, 76, 124.
Melba, Nellie, pseudonym für Mitchell; 1861 — 1931, bedeutende Koloratursängerin;
177.
Mendelssohn-Bartholdy, Felix; 1809—1847; 33 f., 41, 56, 66, 90, 159.
Menter, Sophie; 1846 — 1918, hervorragende Pianistin, Schülerin Tausigs, Liszts und
Bülows; 21.
Menzel, Adolph v.; 1815—1905, Maler und Graphiker, besonders im Bann der
preußischen Geschichte stehend; 71, 95, 102.
Messchaert, Johannes; 1857—1922, berühmter Bariton, der sich sehr für Bach und
Brahms einsetzte; 91, 96, 99, 115, 168.
Meyerbeer, Giacomo; 1791 — 1864, Komponist; 154.
Michalek, Ludwig; Maler und Radierer in Wien. Ihm saß Brahms für ein Aquarell
— dem einzigen nach dem Leben geschaffenen — das als Vorlage für eine Ra-
dierung diente. Ein Probedruck mit Remarque-Skizzen und Brahms* eigenhän-
diger Unterschrift befindet sich im Besitz des Herausgebers; 53.
196
Michelangelo, Buonarroti; 1475—1564, italienischer Bildhauer, Maler, Dichter und
Architekt; 23.
Miklos, Roger; 164.
Miller zu Aichholz, Viktor v.; österreichischer Großindustrieller; er war mit Brahms
befreundet und schuf das erste Brahms-Museum in Gmunden. Erster Präsident
der Wiener Brahms-Gesellschaft; 53, 68, 74, 76, 80, 82, 85, 87 f., 91, 107 f.,
112, 119, 121, 124, 126, 164 f., 175, 178.
Miller zu Aichholz, Olga v.; Gattin von Viktor v. Miller; 87, 122, 124 t.
Miesner, Heinrich; 116.
Molique, Wilhelm Bernhard; 1802—1809, Komponist und Violinist; 143.
Morgan, Robert; englischer Cellist, Klavier- und Theorielehrer in London um 1890;
51.
Morin, August; 1849—1929, Musikschriftsteller; 175.
Mottl, Felix; 1856 — 1911, bedeutender Dirigent in Karlsruhe, München und Bay-
reuth; 49, 70, 149.
Mozart, Wolf gang Amadeus; 1756—1791; 12 f., 19, 22, 24, 35 f., 59, 68 f., 75, 93 f.,
97, 99, 102 f., 120, 154, 159, 176, 180.
Muck, Karl; 1859—1940, bedeutender Dirigent, auch Pianist; 152.
Mühlfeld, Richard; 1856 — 1907, hervorragender Klarinettist der Meininger Hof-
kapelle, Autodidakt. Seine Kunst regte Brahms zur Komposition seiner Werke
für Klarinette an; 50 f., 71, 75 f., 123 ,126, 131, 162.
Müller-Guttenbrunn; Intendant des Wiener Raimund-Theaters; 63.
Münz, Dr.; Journalist der „Neuen Freien Presse" in Wien; 117, 121.
Munzinger, Edgar; 1847 — 1905, Komponist und Musikdirektor in Winterthur und
Berlin, Ehrendoktor der Universität Basel, wo er zuletzt lebte; 49.
Naumann, Emil; 1827 — 1888, Komponist und Musikschriftsteller; 127.
Nawratil, Karl, Dr. jur.; 1836 — 1914, nahm auf Veranlassung von Brahms bei
Nottebohm Unterricht im Kontrapunkt, er komponierte vornehmlich Kammer-
musik; 139 f., 142, 152.
Neumayer, Dr.; Vizebürgermeister von Wien während der Amtszeit von Dr. Karl
Lueger; 126.
Nicklass-Kempner, Selma; 1849 — 1928, Opern- und Konzertsängerin in Wien, dort
auch Gesanglehrerin; 40.
Nicolai, Friedrich; 1733 — 1811, Berliner Buchhändler und Schriftsteller. Nicolais
„Eyn feyner kleyner Almanach" erschien 1777 — 1778; 69 f.
Nicolai, Otto; 1810—1849, Komponist; 36.
Nietzsche, Friedrich; 1844—1900; 33.
Nikisch, Arthur; 1855 — 1922, berühmter Dirigent. Er setzte sich besonders für
Brückner ein und wirkte in Boston, Budapest, Berlin und Leipzig; 70, 99 f., 124.
Nissel, Franz; 1831—1893, Schriftsteller; 165.
Nothnagel, Professor Dr.; Internist in Wien. Er wurde noch in Brahms* letzten Tagen
konsultiert; 125.
Nottebohm, Martin Gustav; 1817 — 1882, Musikforscher und Lehrer, Schüler von
Mendelssohn und Schumann, Beethoven-Forscher; 19, 21, 27, 60, 96 f., 117 .
Offenbach, Jacques; 1822—1880, deutsch-französischer Komponist; 20.
Ophüls, Gustav; rheinischer Jurist, aus dem Krefelder Freundeskreis um Brahms.
Er konnte Brahms noch zum Ende des Jahres 1896 mit seiner Sammlung „Brahms-
Texte" eine große Freude bereiten; 106.
197
Oser; Professor und Rektor am Polytechnikum in Wien. Mit der Familie Oser wurde
Brahms durch Joachim bekannt, dessen weitläufige Verwandte Frau Betty Oser
war; 11.
Packer, Joseph Adalbert; 1818 — 1871, Komponist und Pianist, gesuchter Klavier-
lehrer; 72.
Palestrina, Giovanni Perluigi da; 1525 — 1594, größter katholischer Kirchenmusiker;
69, 96.
Pancera, Ella; 1876—1932, Pianistin, Schülerin Epsteins; 163.
Panofka; (?) Violinist; 60.
Paul, Jean; 1736 — 1825, romantischer Erzähler und Dichter; 83.
Pauls, Volquarts; 117.
Perger, Richard v.; 1854—1911, Dirigent in Rotterdam von 1890 bis 1895, ab 1895
Dirigent der Gesellschaftskonzerte der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien;
83, 90 f., 95, 99, 116, 121 ff., 131, 145, 148 f., 166.
Peters, Guido; 1866 — 1937, Pianist und Komponist in Wien; 42, 46.
Peters; Musikverlag in Leipzig, bereits 180O gegründet, entwickelte sich die Firma
durch die Gründung der „Edition Peters" 1867 zu einem der führendsten Unter-
nehmen; 27, 52 f.
Petersen, Sophie, geb. Petit; 81.
Petersen, Toni; musikliebende Tochter des Hamburger Bürgermeisters Dr. Carl
Petersen, der auf Bülows und ihrem Drängen die Ehrenbürgerschaft für Brahms
in Hamburg durchsetzte; 67.
P fister; Wiener Gemeinderatsmitglied; 107.
Pfohl, Ferdinand; 1863—1949, Musikschriftsteller, Theorielehrer; 159.
Pirani, Eugenio; 1852 — 1939, italienischer Pianist und Komponist, Schüler Kullaks
und Kiels; 52.
Pohl, Carl Ferdinand; 1819 — 1887, Archivar und Bibliothekar der Gesellschaft der
Musikfreunde, besonders verdient um die Haydn- und Mozart-Forschung; 24,
96 f.
Pohl, Richard; 1826 — 1896, Musikkritiker unter dem Pseudonym Hoplit, Redak-
teur an der „Neuen Zeitschrift für Musik", vertrat die neudeutsche Richtung,
erst später bekannte er sich zu Brahms; 160.
Prasch, Anna; Enkelin der Sängerin Adele Passy-Cornet; 81, 130.
Prevost, Marcell; 1862—1941, Schriftsteller; 84.
Prohaska, Karl; 1869 — 1927, Pianist, Musiklehrer, Schüler d'Alberts, Mandyczewskis
und Herzogenbergs. Er gehörte zum Kreis der jüngeren Komponisten um Brahms
wie Heuberger und Jenner; 51, 86, 91, 93.
Pudor, Heinrich; Schriftsteller und Cellist um 1890. Verfaßte u. a. die Schrift „Krieg
und Frieden in der Musik"; 109.
Rabl, Walter; 1873—1940, von Brahms sehr geförderter Komponist; 145, 172.
Radnitzky, Frau (Frl. Mandlich); 130.
Raff, Joseph Joachim; 1822 — 1882, Komponist, Direktor des Hochschen Konser-
vatoriums in Frankfurt am Main seit 1877; 150.
Raffael; eigentlich Raffaello Santi, 1483 — 1520, italienischer Maler und Architekt;
23 f.
Raimund, Ferdinand; 1790 — 1836, österreichischer Schauspieler und Dramatiker;
155.
Raupp, Wilhelm; Musikschriftsteller; 89.
198
Rebay & Robitschek; Musikverlag in Wien, seit 1899 Adolf Robitschek; 137.
Reger, Max; 1873—1916; 129.
Reinecke, Carl Heinrich Carsten; 1824 — 1910, Komponist, berühmter Pianist, be-
sonders als Mozart-Interpret sehr geschätzt, Dirigent des Gewandhaus-Orchesters
von 1860 bis 1895; 49, 93, 97 ff., 102, 123.
Reinecke, Frau; 123.
Reiß; Dirigent in Wien; 148.
Reissiger, Karl Gottlieb; 1798 — 1859, Komponist und Musiklehrer; 34.
Reitzes, Dr. Josef; Rechtsanwalt in Wien. Vorstandsmitglied der Deutschen Brahms-
Gesellschaft; 63.
Rellstab, Ludwig; 1799—1860, Musikschriftsteller; 60.
Remenyi, Eduard (Hoffmann, genannt Remenyi); 1830 — 1898, Violinist, kam nach
dem Ungarn-Aufstand nach Hamburg, traf dort 1853 Brahms; 53 f., 90.
Ress; Gesanglehrer am Wiener Konservatorium; 81.
Reuß, Heinrich XXIV. Prinz zu; 1855 — 1910, Komponist, Schüler seines Vaters
Heinrich IV. (1821—1893) und Herzogenbergs; 74 f.
Richter, Hans; 1843 — 1916, bedeutender Dirigent, 1879 — 1900 Hofkapellmeister in
Wien, seit 1876 einer der Hauptdirigenten in Bayreuth; 19 f., 22, 24, 35, 42, 45,
52, 58 f., 88 ff., 132, 134, 147 f., 150, 152 f., 158, 163.
Richter, Frau; 24, 45, 88, 160.
Riedel, Hermann; 1847 — 1913, Hofkapellmeister in Braunschweig, Komponist; 147 f.
Riedel, Karl; 1827 — 1888, Autodidakt, Komponist und Musiklehrer, Gründer und
langjähriger Leiter des sogenannten „Riedelschen Vereins" in Leipzig, eines be-
deutenden Gesangvereins; 157.
Riehl, Wilhelm Heinrich; 1823 — 1897, Direktor des Münchener Nationalmuseums,
Verfasser kulturhistorischer Werke und des .dreibändigen Werkes „Musikalische
Charakterköpfe"; 143.
Riemann, Hugo; 1849 — 1919, berühmter Musikwissenschaftler, reformierte durch
seine zahlreichen Schriften die Methodik des Musikunterrichts. Sein Musiklexikon
wird bis in die Gegenwart fortgeführt; 41, 47.
Rieter-Biedermann, Jakob Melchior; 1811 — 1876, gründete 1849 den gleichnamigen
Musikverlag in Winterthur, der 1917 von Peters übernommen wurde; 17, 19,
178.
Röntgen, Julius; 1855 — 1932, Pianist und Komponist, Lehrer und Direktor des Kon-
servatoriums in Amsterdam; 91 f., 95 ff., 99, 115, 168.
Rokitansky, Viktor Freiherr v.; 1836 — 1896, Sänger und Liederkomponist, Gesang-
lehrer am Wiener Konservatorium; 28.
Romberg, Bernhard; 1767—1841; 77.
Rose, Arnold; 1863 — 1946, hervorragender Violinist und 1. Geiger seines gleichna-
migen berühmten Streichquartetts in Wien, das mehrere Brahmssche Kammer-
musikwerke uraufführte; 45 f., 50 f., 59, 131.
Rosenthal, Moritz; 1862 — 1946, Pianist, bedeutender Interpret der Wiener Klassik;
79 f., 165.
Rossini, Gioacchino; 1792 — 1868, italienischer Opernkomponist; 33.
Rottenberg, Ludwig; 1864 — 1932, Pianist und Dirigent, Schüler Mandyczewskis,
hervorragender Begleiter, wurde auf Brahms* Empfehlung Opernkapellmeister in
Frankfurt am Main; 41, 44, 154, 166.
Rubinstein, Anton; 1829 — 1894, berühmter Pianist, 1871/72 Dirigent der Wiener
Gesellschaftskonzerte, sein Nachfolger war Brahms. Auch als Komponist war
199
Rubinstein zu seiner Zeit sehr bekannt, seine etwas salonmäßigen Werke haben
ihn jedoch nicht überdauert; 30, 33, 41, 50, 57, 65 ff., 135.
Rudorff, Ernst; 1840 — 1916, Klavierlehrer und Komponist, er leitete von 1869 bis
1910 die Klavierabteilung der Königlichen Hochschule für Musik in Berlin und
den Sternschen Gesangverein in Berlin von 1880 bis 1890; 78.
Rückauf, Anton; 1855—1903, Wiener Pianist und Komponist; 128.
Rücken, Friedrich; 1788—1866, Dichter und Schriftsteller; 13, 38, 102, 158.
Saar, Ferdinand v.; Musikschriftsteller; 102.
Saar, Louis Viktor Franz; 1868 — 1937, Pianist und Komponist, ging nach Amerika
und lebte in Chicago; 145.
Saint-Sa'ens, Camille; 1835 — 1921, französischer Komponist, Dirigent und Pianist,
Schüler von Halevy und Gounod; 56, 59.
Salieri, Antonio; 1750 — 1825, Komponist, Lehrer Beethovens und Schuberts; 19.
Sauret, Emile; 1852—1920, Violinist, Schüler Beriots; 161.
Scarlatti, Domenico; 1685 — 1757; 62.
Schalk, Franz; 1863 — 1931, bedeutender Dirigent, Schüler Brückners, für dessen
Werke er besonders eintrat; 130, 166.
Scharff, Anton; 1845 — 1903, Medailleur und Leiter der Graveurakademie in Wien.
Zum 60. Geburtstag von Brahms schuf er eine Medaille, zu der ihm Brahms saß;
61, 122, 129.
Scheffel, Josef Victor v.; 1826—1886, deutscher Schriftsteller; 148.
Schenk, Erich; 50.
Schiller, Friedrich v.; 1759—1805; 13, 57.
Schnack, Friedrich Wilhelm, genannt: Fritz; gestorben 1919, der Stiefbruder des
Meisters; 83, 171.
Schönaich, Gustav; Stiefsohn des Wiener Oberarztes Standhartner. Er lernte Brahms
kennen, als dieser 1863 mit Wagner zusammentraf und berichtete hierüber recht
anschaulich bei Kalbeck II, S. 116 f.; 29, 106.
Schrötter, Leopold v., Professor Dr.; Internist in Wien; 108, 110 ff.
Schubert, Franz Peter; 1797—1828; 13, 15, 27 f., 38, 45, 50, 59 f., 62, 73, 81, 86,
99, 115, 150, 157, 166, 173 f., 175, 176, 180.
Schumann, Robert; 1810—1856; 13, 33 f., 45, 47, 60 f., 64, 69, 72 ff., 79, 81, 94,
97 ff., 106, 116, 123, 154 f., 160, 164.
Schumann, Clara; 1819—1896; 60 f., 63 f., 69, 73, 83, 86, 90, 97 f., 102, 104 ff., 109,
116, 154 f.
Schumann, Marie; 1841 — 1929, älteste Tochter von Robert und Clara Schumann;
123, 126.
Schuster, Heinrich Maria; 1847 — 1906, Professor der Rechtswissenschaft und Musik-
kritiker in Prag; 155.
Schwaiger, Hans; 1854 — 1912, österreichischer Maler; 38.
Schwarz, Julius; der Schwager von Ignaz Brüll; in seinem Hause verkehrte Brahms
häufig; 70.
Seiffert, Max; 1868 — 1948, Musikwissenschaftler, studierte bei Spitta; 82.
Simrock, Fritz; 1838 — 1901, Inhaber des von Nikolaus Simrock 1790 in Bonn ge-
gründeten Musikverlages; 1870 wurde der Sitz nach Berlin verlegt. Simrock war
der Hauptverleger von Brahms; 26, 32, 43, 49, 67, 76, 89, 113f., 116, 123, 125,
161, 178, 181.
200
Simrock, Clara; 1839—1928; 76.
Smetana, Friedrich; 1824 — 1884, tschechischer Nationalkomponist, schrieb u. a. acht
Opern, deren bekannteste, „Die verkaufte Braut", ihm Weltruhm brachte; 80,
181.
Soldat, Marie; 1864 — 1955, Violinistin, Schülerin Joachims, leitete ein von ihr ge-
gründetes Streichquartett. Sie heiratete den Wiener Juristen Roger und war eine
der ersten, die Brahms' Violinkonzert spielte; 77 f., 172, 176.
Sourek, Otakar; 89.
Specht, Richard; 1870—1932, Musikschriftsteller und Kritiker; 7.
Speidel, Ludwig; 1830 — 1906, langjähriger Leiter des Feuilletons der „Neue Freie
Presse" in Wien; 151.
Speidel, Wilhelm; 1826—1899, Musiklehrer, Direktor des Stuttgarter Konservato-
riums und Dirigent. Sein Bruder war Ludwig Speidel; 21.
Spengel, Julius; 1853 — 1936, Komponist, Dirigent und langjähriger Leiter des Ham-
burger Cäcilien-Vereins. Ihm und seinem Wirken vor allem hat Hamburg die
künstlerische Bindung Brahms* zu seiner Vaterstadt in den letzten 14 Jahren sei-
nes Lebens zu danken; 41.
Spielhagen, Friedrich; 1829 — 1911, Schriftsteller, Herausgeber der „Westermanns
Monatshefte"; 84.
Spies, Hermine; 1857 — 1893, Altistin, Schülerin Stockhausens, von Brahms sehr ge-
schätzt; 159.
Spitta, Philipp; 1841—1894, Musikwissenschaftler und Bach-Biograph; 53, 67, 139,
142.
Spohr, Louis; 1784— 1S59, Komponist und Violinist; 13, 55, 68, 159.
Stägemann, Max; 1843 — 1905, Bariton und Schauspieler, Direktor des Königsberger
und Leipziger Stadttheaters; 18.
Standhartner, Josef; Oberarzt in Wien, gleichzeitiger Freund von Richard Wagner,
Cornelius und Brahms. Er vermittelte 1863 das einzige Zusammentreffen von
Brahms und Wagner; 24, 44.
Stauffer-Bern, Karl; 1857—1891, Maler und Radierer; 56.
Steiner, F.; Klarinettist; 51.
Stephenson, Kurt; 76.
Stobäus, Johann; 1580 — 1646, Komponist und Kantor in Königsberg, Schüler Ec-
cards; 96.
Stocker, Stefan; 1845 — 1910, Klavierkomponist im Stile Brahms*; 38 f., 150.
Stockhausen, Julius; 1826 — 1906, berühmter Bariton und Gesangpädagoge. Er trat
als einer der ersten für die Lieder von Brahms ein; 33, 59, 74, 79, 86, 100, 115.
Stonboraughs, Jerome; 168.
Strauß, Johann (Vater); 1804—1849; 157.
Strauß, Johann (Sohn); 1825—1899, der Walzerkönig; 20, 39 f., 42 f., 48 f., 63,
71 f., 75 f., 89, 95, 157 f., 161, 182.
Strauß, Adele; dessen dritte Ehefrau; 49, 71 f.
Strauß, Fräulein, Stieftochter von Johann Strauß; 96.
Strauss, Richard; 1864—1949; 45, 118, 154.
Streicher, Emil; Inhaber der Wiener Klavierbaufirma gleichen Namens, für deren
Instrumente schon Beethoven eine Vorliebe hatte. Er stellte Brahms einen Kon-
zertflügel zur dauernden Verfügung; 90.
Sucher, Rosa; 1849 — 1927, berühmte Wagner-Sängerin, Gesanglehrerin; 160.
201
Sudermann, Hermann; 1857 — 1928, ostpreußisdier Heimat sdiriftstel ler und Autor
gesellschaftskritischer Bühnenstücke; 76, 84, 88.
Sulzer, Josef; 1850—1926, Cellist, langjähriger Solist der Wiener Hofoper; 19.
Sweelinck, Jan Pieters; 1562—1621; 82.
Syrinek, Adalbert; Klarinettist in Wien. Von ihm, Ferdinand Hellmesberger und
Brahms wurde das Klarinettentrio op. 114 am 17. Dezember 1891 in Wien erst-
aufgeführt; 50.
Tappen, Wilhelm; 1830—1907, Musikforscher und Schriftsteller, einer der ersten
Wagner-Biographen; 32, 56.
lausig, Karl; 1841—1871, brillanter Pianist. Er führte 1864 gemeinsam mit Brahms
dessen Sonate op. 34bis in Wien auf; 44, 64.
Thern, Willi und Louis; Pianisten in Wien; 115.
Thieriot, Ferdinand; 1838—1919, Musikdirektor und Komponist, Schüler Eduard
Marxsens, von der Jugend in Hamburg her mit Brahms bekannt; 26, 29, 152 f.
Thode, Dr. Henry; Kunsthistoriker, Gatte von Daniela v. Bülow; 95.
Thomas, Charles Amhroise; 1811—1896, französischer Komponist, Direktor des
Konservatoriums in Paris; 81, 94.
Tilgner, Viktor; dem Rokoko verhafteter Bildhauer in Wien, zum Brahms-Kreis ge-
hörig; 36.
Tjuka, Emanuel; Wiener Komponist; 42.
Toelg, Professor Dr.; Internist in Wien, wurde auf Veranlassung von Dr. Fröschl,
der Brahms bis zum Januar 1896 bekandelte, konsultiert; 111 ff., 169.
Truxa, Celestine; Brahms* Hausdame, die ihn von 1887 bis zu seinem Tode betreute:
76, 105, 114, 124 f.", 171.
Uhland, Ludwig; 1787 — 1862, deutscher Dichter der Spätromantik; 127.
Unger, William; 1837 — 1929, Kupferstecher. Er lernte Brahms schon 1853 in Göt-
tingen kennen und schuf 1897 im Auftrage der Philharmonischen Gesellschaft
in London eine Radierung von Brahms; 122.
Verdi, Giuseppe; 1813—1901; 20, 81, 102, 181.
Voß, Richard; 1851—1918, Dichter und Schriftsteller; 62 f., 84 f.
Wagner, Cosima; 1837 — 1930, zweite Gattin des Komponisten; 34, 64.
Wagner, Richard; 1813—1883; 7, 10, 13, 15 ff., 22 f., 29, 32 ff., 38 f., 43 f., 48, 50,
55 f., 63 f., 68, 94, 96, 102, 122, 132, 154, 158 ff., 165, 166, 176, 178, 180.
Wagner, Siegfried; 1869 — 1930, Architekt und Komponist, Sohn Richard Wagners;
74.
Walter, Angelo; Hamburger Musiker, erblindet; 107.
Walter, Gustav; 1834—1910, lyrischer Tenor, 1856 bis 1887 an der Wiener Hof-
oper. Er sang eine große Anzahl von Brahms-Liedern in Uraufführung, auch
1869 den Rinaldo in Brahms 1 gleichnamiger Kantate und gehörte zu dem engeren
Freundeskreis um Brahms; 28, 45, 50, 52, 59, 67, 132, 159.
Weher, Carl Maria v.; 1786—1826; 13, 32, 37, 102, 150, 154.
Weber, Josef (genannt Miroslaw); 1854 — 1906, Komponist und Violinist, Konzert-
meister in München. Sein Septett für Violine, Viola, Cello, Klarinette, Fagott
und zwei Hörner wurde 1896 durch den Wiener Tonkünstlerverein mit dem
zweiten Preis ausgezeichnet; 145.
202
Weber, Max Maria v.; 1822—1881, Sohn Carl Maria v. Webers; 37.
Wegschaider, Leopold; 1838—1916. Er war über 38 Jahre lang Direktor des Grazer
Männer-Gesangvereins; 10.
Weigl t Joseph; 1766 — 1864, österr. Komponist und Dirigent; 151.
Weingartner, Felix Paul v.; 1863 — 1942, Dirigent und Komponist, zunächst Wag-
ner nahestehend, 1891 bis 1898 Dirigent der Königlichen Oper und der Sym-
phoniekonzerte der Königlichen Kapelle in Berlin; 52, 54, 86, 124, 178.
Weinwurm, Rudolf; 1835 — 1911, Gründer des Wiener Akademischen Gesangvereins,
ab 1880 Musikdirektor der Universität Wien; 23, 40, 42.
Weiss, Herr; Bassist; 52.
Wendt t Gustav; Philologe in Karlsruhe. Er begegnete Brahms bereits 1866 in Karls-
ruhe, als Brahms am Requiem arbeitete und widmete ihm seine Übersetzung der
Dramen von Sophokles; 71, 109.
Wesendonck, Mathilde; 1828 — 1902. Brahms lernte sie und ihren Gatten Otto, die
Wagner freundschaftlich verbunden waren, 1865 in Zürich kennen; 32, 44.
Wesendonck, Otto; 1815—1896, Großkaufmann, Gatte von Mathilde W.; 44.
Weyr, Rudolf; Bildhauer in Wien. Er schuf das Wiener Brahms-Denkmal im Ressel-
park nahe der Karlskirche, das 1908 zum 75. Geburtstag von Brahms enthüllt
wurde; 36, 129.
Widmann, Josef Viktor; 1848—1911, Dichter, Schriftsteller und Librettist, Redak-
teur am Berner „Bund", mit Brahms befreundet. Diese Freundschaft fand ihren
Niederschlag in erster Linie in seinem sehr anschaulich geschriebenen Buch „Jo-
hannes Brahms in Erinnerungen"; 9, 26 f., 63, 118, 155, 165.
Wilbrandt, Adolf v.; 1837 — 1911, Schauspieler, Nachfolger Dingelstedts in der Burg-
theaterdirektion von 1881 bis 1887; 71.
Wilczek, Johann Graf; Kunstmäzen in Wien; 72.
Wild; Direktor des Kurtheaters in Bad Ischl; 108.
Wilhelm IL; deutscher Kaiser von 1888— 1918; 50, 53, 165.
Wilt, Marie; 1833 — 1891, dramatische Sopranistin. Sie wirkte in Brahms* erstem Kon-
zert in Wien am 6. Januar 1863 mit und gehörte zu den von Brahms bevorzugten
Interpreten. Sie hat bei vielen Uraufführungen der mehrstimmigen Gesänge mit-
gewirkt. Besonders schön sang sie das Sopransolo im Requiem; 10.
W indisch gratz, Fürstin von; 82.
Winkler-Quartett; durch Julius Winkler gegründet, der 1876 das Konservatorium
der Gesellschaft der Musikfreunde absolvierte und sich mit dem Quartett auf die
Tätigkeit in Wien beschränkte; 143.
Wittgenstein; Wiener Familie, die zum Freundeskreis um Brahms gehörte. Der Sohn
Paul war der später berühmte einarmige Pianist, für den Ravel sein Klavier-
konzert für die linke Hand schrieb; die Bekanntschaft von Brahms vermittelte
Joseph Joachim; 68, 132.
Wolff, Hermann; 1845 — 1902, Musikschriftsteller und Konzertagent in Berlin, Grün-
der der für das Berliner Musikleben bedeutenden Agentur, die auch die neuen
Abonnementskonzerte in Hamburg unter Bülows Leitung veranstaltete; 51, 84.
Wolf, Hugo; 1860—1903; 41, 45, 164, 166.
Wüllner, Ludwig; 1858 — 1938, Dr. phil., Schauspieler und Sänger (Bariton), Rezi-
tator, Violinist und Dirigent; durch seine Vielseitigkeit eine faszinierende Erschei-
nung im Kunstleben, Sohn von Franz Wüllner; 86.
203
Zellner, Julius; 1832—1900, Komponist und Musiklehrer in Wien; 42, 143, 145, 148.
Zemlinsky, Alexander v.; 1872 — 1942, Komponist und Dirigent, Lehrer von Arnold
Schönberg; 97, 145.
Zichy, Geza Graf; 1849 — 1924, Pianist, Opernkomponist. Er verlor als Kind den
rechten Arm, bildete sich trotzdem zum Virtuosen aus und studierte u. a. bei
Liszt; 52.
Zimmermann, Prof.; Dekan der philosophischen Fakultät der Wiener Universität;
167.
Zöllner, Heinrich; 1854 — 1941, Komponist, Dirigent und Musiklehrer; 157.
Zuccalmaglio, Anton Wilhelm v.; 1803 — 1869, Musikwissenschaftler, Mitarbeiter der
„Neuen Zeitschrift für Musik" unter Schumann. Er gab 1840 zusammen mit
A. Kretschmer „Deutsche Volkslieder mit ihren Originalweisen" heraus; 64, 69.
Zur Mühlen, Raimund v.; 1854 — 1931, hervorragender Tenor, Konzertsänger und
Gesanglehrer, Schüler der Berliner Hochschule und Stockhausens; 79, 81.
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