XII. BAND
1926
HEFT 2
Internationale Zeitschrift
für Psychoanalyse
Paul Federn
Wie n
Offizielles Organ der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung
Herausgegeben von
Sigm. Freud
Girindrashekhar Bose
Kalkutta
Ernest Jones
London
Unter Mitwirkung von
A. A. Brill Jan van Emden
New York Haag
Emil Oberholzer Ernst Simmel
Zürich Berlin
redigiert von
M. Eitingon, S. Ferenczi, Sändor Radö
Budapest
Berlin
IN MEMORIAM
KARL ABRAHAM
Karl Abraham: Psychoanalytische Bemerkungen zu
Coues V erfahren der Selbstbemeisterung / Jones:
Karl Abraham J Abraham-Bibliographie / Eitingon,
Sachs, Rad6, Reik, Wulff: Gedenkreden über
Karl Abraham / Korrespondenzblatt der Internationalen
Psychoanalytischen Vereinigung
Internationaler Psychoanalytischer Verlag
Wien, VII. Andreasgasse 3
Dr. KARL ABRAHAM
Segantini. Ein psychoanalytischer Versuch (Schriften
tjro vanni
z. angewandten Seelenkunde, XL Heft). Zweite, revidierte u. ergänzte
Aufl. Geheftet M. 2.<;o
Klinische Bei träge zur Psychoanalyse aus den Jahren 1907
bis 1920 (Internationale Psychoanalytische Bibliothek, Bd. X). Geheftet
M. 8.
Halbleinen 10.—
Aus dem Inhalt: Über die Bedeutung sexueller Jugendtraumen für die Sympto¬
matologie der Dementia praecox — Die psychosexuellen Differenzen der Hysterie u.
der Dementia praecox — Die psycholog. Beziehungen zwischen Sexualität u. Alkoholis¬
mus — Die Stellung der Verwandtenehe in der Psychologie der Neurosen —- Über
hysterische Traumzustände — Bemerkungen zur Psychoanalyse eines Falles von Fuß-
und Korsettfetischismus — Ansätze zur psychoanalyt. Erforschung und Behandlung
des manisch-depressiven Irreseins u. verwandter Zustände — Über die determinierende
Kraft des Namens — Über ein kompliziertes Zeremoniell neurotischer Frauen —
Ohrmuschel u. Gehörgang als erogene Zone — Zur Psychogenese der Straßenangst
im Kindesalter — Sollen wir die Patienten ihre Träume aufschreiben lassen? —■
Einige Bemerkungen über die Rolle der Großeltern in der Psychologie der Neurosen
— Psychische Nachwirkungen der Beobachtung des elterlichen Geschlechtsverkehrs
bei einem neunjährigen Kinde — Kritik zu C. G. Jung: Versuch einer Darstellung
der psychoanalyt. Theorie — Über Einschränkungen und Umwandlungen der Schau¬
lust bei den Psychoneurotikern — Über neurotische Exogamie — Über ejaculatio
praecox — Das Geldausgeben im Angstzustand — Über eine besondere Form des
neurotischen Widerstandes gegen die psychoanalyt. Methodik — Bemerkungen zu
Ferenczis Mitteilungen über Sonntagsneurosen — Zur Prognose psychoanalytischer
Behandlung im vorgeschrittenen Lebensalter — usw.
Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Libido
auf Grund der Psychoanalyse seelischer Störungen (Neue Arbeiten
z. ärztl. Psychoanalyse, Nr. II). Geheftet M. 3.so, Pappbd. 4 .—
Inhalt: I. Die manisch-depressiven Zustände und die prägenitalen Organisations-
holie und Zwangsneurose. Zwei Stufen der sadistisch-
Objektverlust und Introjektion in der normalen Trauer
analen Entwicklungsphas«
und in abnormen psychischen Zuständen. Zwei Stufen der oralen Phase. Das infantile
Vorbild der melancholischen Depression. Die Manie. Die psychoanalytische Therapie).
— II. Anfänge und Entwicklung der Objektliebe.
Psychoanalytische Studien zur Charakterbildung
(Internationale Psychoanalytische Bibliothek, Bd. XVI). Geheftet M. 2.;o,
Pappbd. 3.20, Halbleinen 4 .—
Inhalt: Ergänzungen zur Lehre vom Analcharakter. Beiträge der Oralerotik zur
Charakterbildung. Die Charakterbildung auf der „genitalen“ Entwicklungsstufe.
Internationale Zeitschrift
für Psychoanalyse
Herausgegeben von Sigm. Freud
XII. Band
1926
Heft 2
IN
MEMORIAM
KARL
ABRAHAM
t
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XII/ 2 .
9
INTERNATIONAL
PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
Psychoanalytische Bemerkungen zu Coues Verfahren
der Selbstbemeisterung 1
Von
Karl Abrah am f
Wir sind in den letzten Jahren Zeugen der enthusiastischen Aufnahme
eines neuen Verfahrens gewesen,' mit dessen Hilfe jeder beliebige Mensch
in den Stand gesetzt werden sollte, gesundheitliche Störungen oder ethische
Mängel ebenso wie die Auswirkungen eines widrigen Schicksals aus seinem
Leben durch eigene Kraft zu beseitigen. Eine solche Verheißung hätte
wohl zu jeder Zeit eine große Schar von begeisterten Anhängern gefunden.
Nach den verheerenden Einwirkungen des großen Krieges auf das Seelen¬
leben der Menschen steigerte sich aber die Neigung, eine neue Heilsbot¬
schaft gläubig und dankbar aufzunehmen. Die ungeheure Zahl derer, die
in irgend einem Sinne zu leiden hatten, half die Versammlungsräume
füllen, in welchen man Aufschluß über die „Selbstbemeisterung“ erhielt.
Das Verfahren war so einfach, daß alle Menschen, ohne Unterschied des
geistigen Niveaus, es sogleich nach der ersten Unterweisung anwenden
konnten. Man las und hörte von erstaunlichen Erfolgen. Aufsehen erregten
besonders die Berichte über Heilung organischer Krankheiten durch die
neue Form der Autosuggestion.
Andererseits wurden auch kritische und ablehnende Stimmen laut, ohne
aber die Anhänger Couös in ihrer Überzeugung zu beeinflussen. Der
Widerspruch kam, wie nicht anders zu erwarten, zum größten Teil aus
dem Lager der medizinischen Schulwissenschaft. Drei Einwände waren es,
die man Coue und seinen Anhängern hauptsächlich entgegenhielt.
In erster Linie wurde betont, eine Heilung organischer Krankheiten auf
i) Die Veröffentlichung dieser Arbeit erfolgt auf Grund eines Manuskriptes, das im
Nachlaß von Dr. Karl Abraham vorgefunden wurde. Die Arbeit ist nicht vollständig
abgeschlossen, der Autor plante an verschiedenen Stellen — insbesondere im Schlu߬
teil — Erweiterungen und Zusätze, die er jedoch nicht mehr ausführen konnte.
Die Redaktion.
9'
132
Karl Abraham j“
dem Wege der Selbstbemeisterung sei unmöglich. Die Berichte über Erfolge
seien das Ergebnis mangelhafter Beobachtung und Kritik. Sodann verwarf
man die Massenbehandlung, die ohne jede individualisierende Sorgfalt,
ja, ohne voraufgegangene Untersuchung geschehe; auch sei es ein gröb¬
licher Mißbrauch, beispielsweise eine psychische Erkrankung, eine Lungen¬
tuberkulose, ein Augenleiden und eine Krebskrankheit unterschiedslos neben¬
einander zu behandeln. Menschen, in denen man die Hoffnung erwecke,
sie würden auf diesem Wege geheilt, kämen geradezu in Gefahr, etwa den
Zeitpunkt einer lebensrettenden Operation zu versäumen. Endlich erregte
das hauptsächliche Mittel der Selbstbeeinflussung, die in bestimmter Weise
auszusprechende und zu wiederholende Formel, heftigen Widerspruch.
Es war nicht schwer, sie durch Gleichsetzung mit Zaubersprüchen und
anderen Erzeugnissen eines überlebten Aberglaubens lächerlich zu machen.
Wir Psychoanalytiker werden kaum in Versuchung geraten, uns einer
der beiden Parteien rückhaltlos anzuschließen.
Auf die Seite der C o u e enthusiasten können wir nicht wohl treten.
Aus unserer täglichen Beschäftigung mit den Neurotikern — und diese
stellen doch ein großes Kontingent zu C o u 6 s Anhängerschaft — haben
wir stets den Eindruck empfangen, daß das Heilen der nervösen Krank¬
heitszustände eine überaus schwierige Aufgabe sei. Ihr Erfolg ist abhängig
von der Größe der psychischen Widerstände, und wir vermögen uns schwer
vorzustellen, daß die nämlichen Widerstände, die uns so viel zu schaffen
machen, vor der suggestiven Formel dahinschmelzen sollten. Wenn die
Formel besagt, es werde dem Patienten täglich in jeder Hinsicht besser
gehen, so unterscheidet sie sich inhaltlich nicht von der üblichen Fremd-
suggestion, die dem Neurotiker die Überwindung seiner Beschwerden ver¬
spricht. Wir wissen aber, daß dem Kranken damit nichts anderes geleistet
wird als eine Verdrängungshilfe. Und so neigen wir zu der Meinung,
auch durch eine Autosuggestion im gleichen Sinne werde nur Stückwerk
geleistet, mit dessen Bestand man nicht rechnen könne. Immerhin werden
wir zugehen, daß auch eine vorübergehende Befreiung von lästigen Be¬
schwerden dem Patienten willkommen und wertvoll sein kann. Und wenn
sie sich ihm auf so überaus einfachem und schnellem Wege darbietet, so
wird er kaum anders können als bereitwillig zugreifen. Was weiter vom
Standpunkt der Psychoanalyse einem solchen Verfahren kritisch entgegen¬
gestellt werden kann, wird aus dieser analytischen Untersuchung selbst
hervorgehen.
Den Rufern im Streit gegen Coud, besonders den ärztlichen Kritikern
zuzujubeln, haben wir aber gewiß keinen Anlaß. Ihre überlegen-kritische
Geste, ihre Einwände a priori haben sie oft genug auch gegen uns gekehrt.
Psydioanalytisdie Bemerkungen zu Coues Verfahren der Selbstbemeisterung . 133
Wir haben aus unserer Arbeit an den Neurosen eine Überzeugung ge¬
wonnen, die ihnen fremd geblieben ist; ich meine die Überzeugung von
dem großen Einfluß des Unbewußt-Psychischen auf Entstehung, Verlauf
und Heilung organischer Krankheiten. Wir müssen solcher Einflüsse stets
eingedenk bleiben, auch wenn wir unsere Anschauungen nicht ganz so
zuspitzen wie Groddeck. Ein bestimmter Fall ist in diesem Zusammen¬
hang besonders instruktiv. Man hat die Besserung eines tuberkulösen
Leidens durch Coues Verfahren als „undenkbar“ hingestellt, und dies
war wohl ein Euphemismus der Kritiker, die derartige Berichte sicherlich
lieber als Schwindel bezeichnet hätten. Nehmen wir einmal den Fall, ein
Kranker mit einem solchen Leiden habe starke seelische Anlässe, der Ge¬
sundung zu widerstreben; sein Unbewußtes benutze die organische Krank¬
heit, um das Individuum dem Leben zu entfremden und allmählich dem
Tode zuzuführen. Wird nun — auf dem Wege der Selbstbemeisterung
oder sonstwie — diesem Treiben Einhalt getan, dann kann ermöglicht
werden, was vorher ausbleiben mußte: eine Zusammenfassung aller körper¬
lichen und psychischen Kräfte mit dem Ziel der Besserung. Brächte also
Couös Verfahren in einem solchen Falle das bisherige Wirken der Todes¬
triebe zum Stillstand, so könnte die Heilung eines organischen Leidens
sehr wohl zustande kommen. Wir werden also den Einwänden der Schul¬
medizin mit der gehörigen Skepsis begegnen.
Der erste der drei von der medizinischen Kritik erhobenen Einwände
wird uns im weiteren nicht mehr zu beschäftigen brauchen. Uns Analytiker
interessieren weit mehr die beiden anderen Einwände. Richtiger gesprochen,
sind es die Fragen der Dynamik des Coue sehen Verfahrens, die uns
beschäftigen müssen. Wir werden aber die besondere Richtung unseres
Interesses am besten präzisieren können, wenn wir jene zwei anderen kri¬
tischen Einwände zum Ausgangspunkt nehmen.
Der zweite der erwähnten Einsprüche von medizinischer Seite wendet
sich gegen die Behandlung Leidender ln Versammlungen ohne Rücksicht
auf ihre Zahl, ohne Ansehung der Verschiedenheit ihrer Gebrechen und
Nöte. Inwieweit dieser Ein wand im Interesse der Hilfesuchenden berechtigt
ist, braucht hier nicht erörtert zu werden; denn es handelt sich da nicht
um eine psychoanalytische Frage, sondern um eine sozial-medizinische
Angelegenheit. Die Psychoanalyse darf sich berufen fühlen, Coues System
der Massenbehandlung von einem ganz anderen Gesichtspunkt aus zu unter¬
suchen. Ohne Zweifel sind die Erfolge der Methode oder — wenn man
solche nicht gelten lassen will — die von ihr ausgehenden faszinierenden
Wirkungen ein Phänomen der Massenpsychologie. Die Ein¬
sichten, welche uns Freud in seiner Schrift „Massenpsychologie und Ich-
134 Karl Abraham f
Analyse“ 1 gegeben hat, berechtigen uns zu der Erwartung, die Psychoanalyse
könne aufklären, auf welchen Wegen die Coue-Methode eine unbestimmt
große Menschenzahl zu beeinflussen vermag. Fassen wir im besonderen die
Heilwirkungen ins Auge, so läge es der Psychoanalyse ob, die Pharmako¬
dynamik des so sehr gerühmten Heilmittels zu erforschen. Tun wir sogleich
einen ersten Schritt auf diesem Wege, der keiner besonderen Vorbereitung
bedarf, weil er unsere Untersuchung unmittelbar an Freuds Fest¬
stellungen anknüpfen läßt! Coue (oder Baudouin oder wer sonst ihn
vertritt) ist ein Führer, um den sich eine Masse schart. Demnach ist
es unsere Aufgabe, die Wirkungen der besonderen Beziehung zwischen
diesem Führer und der ihm ergebenen Masse psychologisch zu ergründen.
Der dritte Einwand bezog sich auf die Einkleidung der Suggestion oder
Autosuggestion in eine Art von magischer Formel, die für alle gleich ist.
Wir werden uns nicht des wissenschaftlichen Hochmuts schuldig machen,
darin eine Lächerlichkeit zu sehen, sondern wir werden prüfen, ob unsere
psychologischen Einsichten die Wirksamkeit eines solchen uniformen Mittels
begreiflich machen können.
Mit anderen Worten: Wir versuchen die Dynamik des Co ud sehen
Verfahrens zu analysieren und machen es somit zum Gegenstand unserer
Forschung. Unser Recht zu diesem Vorgehen steht außer Zweifel; sind
wir doch nicht minder bereit, unser eigenes Arbeitsverfahren analytisch
zu betrachten. Vor längerer Zeit hat beispielsweise in der „Berliner Psycho¬
analytischen Vereinigung“ Frau Dr. Horney über die Analyse des
Analytikers gesprochen, und dieser Vortrag sowohl als die ihm folgende
Diskussion waren bemüht, neben den bewußten rationellen Begründungen
unseres Vorgehens die verborgenen Motive nachzuweisen.
Das Fundament zu einer solchen Untersuchung des C o u e-Verfahrens
ist in der psychoanalytischen Literatur hauptsächlich von drei Autoren
gelegt worden. Es war Ferenczi 2 , der einen ersten psychoanalytischen
Vorstoß in das dunkle Gebiet der Hypnose und Suggestion unternahm.
Er legte besonderes Gewicht auf die affektive Bindung des Hypnotisierten
an den Hypnotiseur und erkannte in ihr eine Ausdrucksform des Ödipus-
Komplexes. Eines näheren Eingehens auf Ferenczis Ergebnisse bedarf
es nicht, weil uns die Einzelhypnose und ihre Wirkung in diesem Zu¬
sammenhang nur indirekt interessieren; auch kann der Inhalt der zitierten
Schrift als Gemeingut der psychoanalytischen Forschung und damit als
jedem Analytiker bekannt betrachtet werden.
1) Ges. Schriften, Bd. VI.
2) ,,Introjektion und Übertragung“, Jahrbuch f. Psychoanalyse Bd. I. (190S.)
Psychoanalytische Bemerkungen zu Coues Verfahren der Selbstbemeisterung 135
Eine bedeutende Erweiterung unserer Einsichten brachte Freuds
„Massenpsychologie“. Sie durchleuchtete die Beziehungen zwischen Führer
und Geführten nicht nur innerhalb der Masse, wie wir sie im allgemeinen
verstehen, sondern auch innerhalb der „Masse zu zweit 4 , d. h. das
affektive (libidinöse) Verhältnis zwischen Hypnotiseur und Hypnotisiertem.
Sie gab uns ferner grundlegende Aufklärungen über die Vorgänge im Ich
des Hypnotisierten. Die Aufstellung des „Ich-ldeals“ (Über-Ich) ist uns
zur vollständigen Erklärung vieler psychologischer Vorgänge unentbehrlich
geworden. Auf diejenigen Resultate der Freud sehen Untersuchung, die
für unseren Zweck von spezieller Bedeutung sind, wird sogleich zurück¬
zukommen sein.
An dritter Stelle ist eine Arbeit zu erwähnen, die unser Thema un¬
mittelbar berührt. Auf den erwähnten Vorarbeiten fußend, hat Jones die
wichtigsten Probleme der Autosuggestion 1 untersucht. Da er an
mehreren Stellen auf die Veröffentlichungen von Coue und Baudouin
eingeht, so werden wir zu wiederholten Malen auf seine Ausführungen
zurückgreifen müssen.
Erinnern wir uns nun zunächst an ein paar grundlegende Sätze aus
Freuds „Massenpsychologie“. Die Suggestibilität ist ein Ausdruck libidi-
nöser Bindung an eine Person, die dem Unbewußten Vater oder Mutter
bedeutet. Die Einzelwesen einer Masse folgen und gehorchen dem Führer
infolge einer derartigen Bindung an ihn. Jedes Individuum läßt den Führer
die Stelle seines IchTdeals einnehmen. In gewissem Sinne haben die Mit¬
glieder einer Masse ein uniformes Über-Ich. Untereinander sind sie durch
gegenseitige Identifizierung verbunden. Die vom Führer ausgehende Suggestion
wird durch diese gegenseitige Identifikation der Individuen verstärkt. Als
Angehöriger einer Masse ist jeder Mensch der Suggestion stärker zugänglich.
Seine Affektivität ist gesteigert und von gewissen Fesseln befreit, seine
intellektuellen Leistungen, namentlich aber seine Kritik sind herabgesetzt.
Er fühlt in sich selbst die Stärke der gesamten Masse und neigt zur Über¬
schätzung der eigenen Kraft in der Form von Allmachtsphantasien.
Wir gehen nun davon aus, daß die Anhänger eines Heilsbringers eine
Masse bilden, ob sie nun — einander unbekannt — bloß gemeinsam einer
Versammlung beiwohnen, oder ob sie eine organisierte Gefolgschaft bilden.
Der uns beschäftigende Fall bietet aber in gewisser Hinsicht besondere
Verhältnisse dar. In anderen Massen ist das Verhältnis des einzelnen zum
Führer durch feste Bestimmungen geregelt. Dergleichen gibt es in unserem
1) „The Nature of Auto-Suggestion“. The British Journal of Medical Psychology.
Vol. III. Part. 5, 1923.
136
Karl Abraham f
Falle nicht. Da sind Anhänger, die nur etwa eine Schrift des Führers
gelesen haben und dennoch in dem gleichen Verhältnis der Bindung zu
ihm und seiner Lehre stehen wie andere, die etwa regelmäßige Besucher
der Versammlungen sind. Wie vermag ein so indirekter Kontakt mit dem
Führer eine so mächtige Bindung herzustellen? Oder mit anderen Worten:
Wie kann unter so verschiedenen Umständen das gleiche Verhältnis aller
Anhänger zum Führer Zustandekommen, das wir mit Freud für ein wich¬
tiges Kriterium der Massenbildung halten?
Ich glaube, wir können über die Antwort auf diese Frage nicht lange
im Zweifel sein. Innerhalb der Massen besteht die Fiktion, daß dem Führer
alle Individuen gleich lieb seien, so daß er also als ein gerechter Vater
erscheint. Im Falle Coue trifft dies tatsächlich in einem besonderen Sinne
zu. Er gibt allen — ohne Ansehung ihrer Person und ihrer besonderen
Leiden — die unwandelbar gleiche Formel: „Mit jedem Tage geht es
mir immer besser und besserl“ Er gibt wirklich allen gleich viel oder
wenn man so will — gleich wenig. Aber er ist nicht nur allen seinen
„Kindern ein gerechter Vater, sondern im Sinne der Primitiven auch
ein Vater mit einem gewaltigen „Mana“, der mit einer Formel alle Übel
zu bannen vermag, ein typischer Träger der „Allmacht der Gedanken“,
ein Meister der Magie des Wortes. Und der Inhaber dieses Mana tut nun
etwas völlig Unerwartetes, das ihn von anderen „Vätern“ unterscheidet.
Der Heerführer, der Führer einer religiösen Gemeinschaft oder einer
politischen Gruppe muß seine Autorität wahren. Zwischen ihm und der
Masse stehen gewisse Bevorzugte, denen er einen Teil seiner Gewalt über¬
gibt ; sie sind aber nicht weniger zum Gehorsam verpflichtet als der letzte
Mann. Der Hypnotiseur in der „Masse zu zweit“ muß nicht minder auf
die Erhaltung seiner Autorität bedacht sein. Überall bleibt das Verhältnis
irgendwie dasjenige eines Befehlenden zum Gehorchenden, eines Starken
zum Schwachen. Anders in unserem Fall! Couö läßt jedermann ohne
nterschied gleichen Anteil an seinem „Mana“ nehmen. Er gibt seine
magische Formel jedem in die Hand und unterweist ihn in ihrer An¬
wendung. Drücken wir das in der Sprache der Psychoanalyse aus, so werden
wir sagen: er gestattet jedem, so zu tun, als wäre er Couö selbst. Er ist
ein Vater, der allen seinen Söhnen gestattet, sich restlos mit ihm zu identi¬
fizieren, u. zw. nicht etwa bloß in der Phantasie, sondern in praxi, in¬
dem er sie geradezu auffordert, sein Mana zu übernehmen und von ihm
Gebrauch zu machen.
VS er also zum ersten Male in eine Coud-Versammlung geht und die
Bereitschaft in sich trägt, in der Masse der Anhänger aufzugehen und den
Führer an die Stelle seines Über-Ich zu setzen, der empfängt eine Gabe,
Psydioanalytisdie Bemerkungen zu Coues Verfahren der Selbstbemeisterung 137
die besonders sein Unbewußtes befriedigen wird; denn sie ist im letzten
Grunde eine Erfüllung infantiler Wünsche, die dem Ödipus-Komplex an¬
gehören. Er wird autorisiert, sich mit dem Vater gleichzusetzen.
Was das bedeutet, wird uns am besten klar werden, wenn wir uns an
Freuds Anschauung vom Verhältnis des Urvaters zu den Söhnen erinnern.
Seine Ausführungen zur Massenpsychologie lehnen sich ja eng an die Ur-
hordentheorie an. Was Couö tut, läßt sich auf die Verhältnisse der
Urhorde etwa folgendermaßen übertragen. Der Urvater gestattet eines Tages
seinen Söhnen, schon bei seinen Lebzeiten an seiner Macht und seinen
Befugnissen teilzunehmen. Es handelt sich dabei nicht nur um seine Ge¬
walt über Leben und Tod oder um materiellen Besitz, sondern nach Freuds
überzeugender Darstellung auch um seine sexuellen Vorrechte. Die Teil¬
nahme der Söhne an Macht und Rechten des Vaters bedeutet auch die
Aufhebung der ihnen bis dahin gesetzten sexuellen Schranken, d. h. des
Inzestverbots.
Was Coue seinen Anhängern einräumt, ist praktisch, d. h. im Sinne
seines Bewußtseins und des Bewußtseins seiner Anhänger, selbstverständlich
von derartiger Freiheit weit entfernt. Wir aber, denen gerade die Berück¬
sichtigung des Unbewußten obliegt, werden wachsam bleiben müssen Der
Augenschein verführt zu der Auffassung, als sei die Anhängerschaft an
Coud und seine Lehre in keiner Weise libidinös bedingt. Nun werden
wir zwar erwarten, daß die Bindung hier die gleiche sein werde, wie sie
von Freud für die Massenbildung überhaupt verantwortlich gemacht wird.
Aber wir müssen zugeben, daß der manifeste Eindruck ganz anders ist.
Die Berührung zwischen Coue und dem einzelnen Anhänger ist völlig
unpersönlich, ganz im Gegensatz zu jener zwischen dem Hypnotiseur und
seinem Patienten. Und eben an dieser Stelle scheint sich uns die faszinierende
Wirkung der Methode weiter aufklären zu lassen. Wir taten einen ersten
Schritt, indem wir feststellten, daß jeder Anhänger beglückt werde durch
den Anteil am Mana des Führers, der ihm zufällt. Alle Söhne preisen den
guten und gerechten Vater. Aber — müssen wir nun hinzufügen — sie
kämen nicht zum Genuß der Gabe, wenn ihnen der libidinöse Charakter
der Bindung bewußt würde. Und nun dürfen wir feststellen, daß das Ver¬
fahren Coues die Unbewußtheit dieser Tatsachen in einer besonders voll¬
kommenen Weise schützt; weit vollkommener als es etwa in der Hypnose
der Fall ist. Ich folge hier der gedankenreichen Arbeit von Jones. Das
autosuggestive Verfahren läßt die Übertragung dem Patienten weit
weniger zum Bewußtsein kommen, als dies bei der Fremdsuggestion der
ball ist. In der Hypnose braucht freilich dem Patienten der erotische
Charakter der Übertragung auf den Hypnotiseur durchaus nicht bewußt
138
Karl Abraham f
zu werden, aber oft genug tritt dieser Fall dennoch ein. Auch wenn alle
körperlichen Berührungen vermieden werden, stellt sich überaus leicht ein
erotisches Fluidum her. Es äußert sich in körperlichen Sensationen ebenso
wie in den Tagträumereien und in den nächtlichen Träumen. Wir wissen,
daß die Situation der Hypnose auf die Phantasie des Patienten wie ein
„Schlafen beim Hypnotiseur“, also unmittelbar als ein erotischer Akt wirkt.
Wer sich hingegen Vorschriften zur suggestiven Selbstbehandlung
geben läßt, entgeht dem Bewußtwerden derartiger seelischer Vorgänge
vollkommen. Es kommt noch hinzu, daß mit ihm Hunderte die gleiche
Unterweisung empfangen. Wie sollte da irgend eine Vorstellung von einer
persönlich-erotischen Beziehung in ihm aufkommen? Jones fügt mit Recht
hinzu, daß der Arzt in solchem Falle den gleichen Vorteil der Unlust-
Ersparnis genieße wie seine Patienten. Er macht darauf aufmerksam, wie viele
unter den namhaften Vertretern der Hypnose zur Wachsuggestion über¬
gegangen seien, weil sie sich durch die Phänomene der Übertragung in
der Hypnose beunruhigt fühlten.
Es wurde bereits erwähnt, daß jeder einzelne Leidende von Coue sozu¬
sagen eine Portion Allmacht geschenkt erhält. Sein Ich fühlt sich gehoben,
denn es vermag ja allen bisherigen Übeln Einhalt zu tun. Im besonderen
Falle des neurotischen Kranken ist die starke Lenkung der Aufmerk¬
samkeit auf die Macht des Ich gleichbedeutend mit einer Ablenkung von den
sexuellen Kräften, die in der Neurose verborgen sind. Man kann sagen,
daß das Coue sehe Verfahren in diesem Sinne eine Flucht vor dem schwerer
verkennbaren erotischen Charakter der Hypnose darstellt, ähnlich dem Ver¬
such Adlers, die Libidotheorie Freuds im ichgerechten Sinn umzu¬
modeln, indem er die Machtgelüste des Ich in einseitiger Weise betont.
Noch frappanter wird dieser psychologische Hergang, wenn wir Jones
um einen weiteren Schritt folgen. Der Arzt, der den Massen den Weg zur
Autosuggestion weist, genießt das Allmachtsgefühl des Hypnotiseurs
in besonders ausgeprägter Form. Er nimmt seinen Einfluß auf eine un¬
begrenzte Zahl von Menschen wahr, während der Hypnotiseur seine Macht
an einer relativ kleinen Zahl erprobt. Wir dürfen hinzufügen, dieses Macht¬
gefühl komme beim Hypnotiseur im Einzelfall mehr intensiv, bei Couö
in der Massenbeeinflussung mehr extensiv zur Geltung.
Noch einmal müssen wir auf das Machtgefühl zurückkommen, das dem
Leidenden durch Coue verliehen wird; erst dann werden wir ganz ver¬
stehen, wie diese narzißtische Befriedigung ihm dazu verhilft, die verpönten
Objektbeziehungen aus seinem Bewußtsein zu verbannen, die sich in seinen
neurotischen Störungen hatten Ausdruck verschaffen wollen. Es sind zwei
Gesichtspunkte, die mir dabei beachtenswert erscheinen.
Psy dioanal y tisdie Bemerkungen zu Coues Verfahren der Selbstbemeisterung 139
Wir wissen, wie sehr der Zustand des Krankseins geeignet ist, die Libido
des Menschen zu narzißtischer Regression zu veranlassen. Überschätzung
des eigenen Leidens ist eine unvermeidliche Folge dieses Vorganges. Der
Leidende nun, der in Coues Methode sein Heil erblickt, gewinnt den
Eindruck, daß sein Unglück nicht größer sei als das anderer Menschen;
ist es doch auf gleichem Wege durch ein und dieselbe Autosuggestion zu
beseitigen. Der Akzent wird also von der exzeptionellen Schwere des
Leidens auf die Wunderkraft der Selbstbeeinflussung verschoben, was ja
auch in der Bezeichnung der Methode als „Selbstbemeisterung“ zum Aus¬
druck kommt. Hiermit soll natürlich nichts über die tatsächliche Wirk¬
samkeit der Methode ausgesagt werden; hier, wie an anderen Stellen dieser
Untersuchung, ist von manifesten und latenten Tendenzen die Rede,
welche dem Verfahren innewohnen. Seinen tatsächlichen Erfolgen gegen¬
über wollen wir bis zum Schluß unserer Erörterung die bisherige Skepsis
bewahren. Die soeben geschilderte Wirkung ist nichts anderes als eine
Tröstung. Sie mag in einem Falle eintreten, im anderen ausbleiben, im
einen dauerhaft, im anderen kurzlebig sein.
Der zweite Punkt, der in diesem Zusammenhang der Erörterung wert
ist, geht wiederum das Sondergebiet des neurotischen Krankseins an. Uns
ist bekannt, daß viele unserer Patienten mit besonderem Nachdruck über
ihre Minderwertigkeitsgefühle klagen, diese zum Fassadenschmuck des neu¬
rotischen Bauwerks machend. In Übereinstimmung mit J a n e t hat Adler
den Minderwertigkeitsgefühlen die höchste Bedeutung für die Neurosen¬
psychologie beigelegt. Ihr Gegenspiel ist der von ihm sogenannte „männ¬
liche Protest“ ; die gesamten Triebkräfte der Neurose finden in ihm ihren
ichgerechten Exponenten. Coues Methode wohnt die unverkennbare Ten¬
denz inne, jede Art der Minderwertigkeit, mag sie real oder nur in der
Vorstellung des Individuums bestehen, durch eine optimistische Wegleugnung
zu beseitigen. Und so ist Adlers „männlicher Protest“ in Coues auto-
suggestiver Formel gewissermaßen zu einer stereotypen Wortfolge erstarrt.
Jetzt ist es Zeit, daß wir uns des Ausgangspunktes erinnern, an welchen
unsere Untersuchung anknüpfte. Es war der Einwand der medizinischen
Kritik, die da kopfschüttelnd fragte: wie kann man eine Heilwirkung bei
vollsinnigen, zur Kritik befähigten Menschen erzielen wollen, indem man
ihnen, ohne jede Rücksicht auf die Art ihres Leidens, zugleich mit einer
unbestimmten Anzahl anderer Hilfsbedürftiger eine so stereotype Form der
Autosuggestion in die Hand gibt und sie dann sich selbst überläßt? Wir
vermögen jetzt leicht zu erkennen, daß diese ganze Fragestellung falsch
ist, weil sie unpsychologisch ist.
Die Wirkung der Coue sehen Methode beruht eben darauf, daß der
140
Karl Abraham f
Hilfsbedürftige aus einem Individuum in einen Massenbestandteil verwandelt
wird. Er wird dadurch gläubig, suggestibel, d. h. er geht seiner Kritik
verlustig, und er wird geneigt, sich psychisch uniformieren zu lassen. An
dieser Stelle wird uns auch begreiflich, warum nicht etwa bloß die Armen
im Geiste, sondern gerade die Intellektuellen in hellen Haufen den Ver¬
anstaltungen der Co u d-Schule zulaufen. Unter ihnen sind so viele, die ein
gut Teil ihrer Libido in intellektuelle oder künstlerische Arbeit umsetzen
müssen, wobei sie gegen schwere Widerstände anzukämpfen haben. Von
diesem Frondienst finden sie zeitweise Befreiung, indem sie einmal Massen¬
bestandteil spielen. Mit anderen Worten können wir der medizinischen Kritik
erwidern: Die Coud-Methode erzielt ihre Wirkungen nicht, „obgleich“
sie mit solch simpeln Mitteln arbeitet, sondern die Voraussetzung
ihrer faszinierenden Wirkung und ihrer praktischen Erfolge, wofern sie
solche erzielt, liegt eben darin, daß sie das Individuum zum Glied einer
Masse macht, womit eine Herabsetzung des geistigen Niveaus ohneweiters
verbunden ist. Ihre Wirkung erklärt sich aus der besonderen Art, in der
sie dem Ödipus-Komplex begegnet. Sie gibt dem Individuum geradezu auf,
sich mit dem „Vater“ zu identifizieren und sich sein Mana anzueignen,
ohne daß ihm der libidinöse Charakter dieses Vorganges bewußt wird.
Wenn wir die Umwandlung des Individuums in ein Massenteilchen als
Voraussetzung für die Wirkung des Coue sehen Verfahrens bezeichnen,
so bleiben wir in engster Fühlung mit Freuds Ausführungen, der in
klarster Formulierung sagt: Die Massenbildung hebt zeitweise die Neurose
auf („Massenpsychologie“). Wir können als beweiskräftige Erfahrungen
beispielsweise diejenigen der Kriegszeit heranziehen. Im Gegensatz zu der
vielfach gehegten Erwartung wurden nicht wenige Neurotiker durch den
Eintritt ins Heer und besonders in die kämpfende Truppe symptom¬
frei. Die sonderbarste, ja groteske Erfahrung, die ich in dieser Hinsicht
gemacht habe, möge hier mitgeteilt sein. Ein junger Mann litt an den
schwersten Erscheinungen der Zweifelsucht und des Grübelzwangs. In
seinem Beruf als Kaufmann wurden ihm die einfachsten Transaktionen,
wie etwa der Kauf oder Verkauf einer Ware, zur Quelle endloser Zweifel
und Selbstquälereien. Diese knüpften sich an jede notwendig werdende
Entscheidung an. Mit dem Eintritt ins Heer fand all dieser Jammer ein
Ende. Zu einem Rädchen in der riesigen Maschine des Heereskörpers
geworden, hatte er keine Entscheidungen mehr zu treffen, sondern gehörte
zur Masse derer, die nur zu gehorchen hatten. Jahrelang nahm er an den
schwersten Kämpfen der französischen Front teil, dem heftigsten Feuer
ausgesetzt, oftmals in einem Erdloch ganze Tage hindurch eingeschlossen.
Während der letzten Kriegsmonate war er englischer Gefangener. Allen
Psychoanalytische Bemerkungen zu Coues Verfahren der Selbstbemeisterung 141
diesen Situationen war er psychisch gewachsen. Nach Kriegsschluß kam er
heim und nahm seine berufliche Tätigkeit wieder auf. Sofort setzten die
alten Symptome wieder ein. Als der Patient mich deshalb wieder auf¬
suchte, äußerte er: „Herr Doktor, Sie werden sehen, in kurzer Zeit ist
die ganze Erholung von viereinhalb Jahren dahin . 11 Er hatte aufgehört, nur ein
Massenteilchen zu sein und scheiterte daran, daß er wieder ein Einzelwesen
mit eigener Verantwortlichkeit sein sollte. Ganz im Sinne der zitierten
Formulierung F reuds hatte er ein zeitweises Zurücktreten seiner
Neurose erlebt; als er auf hörte, nur ein Atom der Masse zu sein, unterlag
er wieder den alten neurotischen Störungen.
Wir haben bisher die Einwirkung Coues auf seine Klientel zu ver¬
stehen versucht, müssen nun aber an ein zweites Problem herantreten. Es
ist die Frage nach dem Zustandekommen der autosuggestiven Wir¬
kungen. Wohl haben wir bereits eingesehen, daß jeder Leidende ausdrücklich
autorisiert wird, sich mit dem Meister zu identifizieren, und daß in jedem
eine Bereitschaft wohnt, dies zu tun, weil starke unbewußte Gründe eine
solche Reaktion begünstigen. Aber damit ist gewiß nicht alles erklärt. Es
bleibt doch auffällig, warum eine große Anzahl von Menschen so bereit¬
willig auf das verzichtet, was sonst dem Kranken unter rationellen Gesichts¬
punkten wichtig erscheint und überdies einen leicht erkennbaren Lustgewinn
in sich schließt. Der Verzicht bezieht sich auf das individuelle Verhältnis
zum Behandelnden, dessen ärzlliche Fürsorge und persönliche Anteilnahme
dem Leidenden im allgemeinen unentbehrlich erscheint. Wir begegnen
hier dem merkwürdigen Phänomen, daß ungezählte Menschen auf alles
dies verzichten und sich statt dessen in ihr Kämmerlein zurückziehen, um
die autosuggestive Formel aufzusagen, so oft wie es ihnen vorgeschrieben
ist. Hier muß es uns deutlich werden, daß wir die Einstellung des Leidenden
in einer Massenbehandlung noch nicht von allen Seiten erfaßt haben.
Unsere Aufmerksamkeit wird jetzt naturgemäß in eine bestimmte Richtung
gelenkt. Wenn dasÜber-Ich jedes Patienten sich mit dem Meister identifiziert,
so muß ihm offenbar jener Anteil der Libido zufließen, der eigentlich
jenem sich zugewandt hatte. Mit anderen Worten: wir haben es mit einem
narzißtischen Vorgang zu tun. Hier nehmen wir wiederum den Kontakt
mit Jones’ Ausführungen zur Frage der Autosuggestion auf.
Fassen wir das Verhalten der Neurotiker ins Auge, das uns ja besonders
angeht, so lehrt uns die Erfahrung, daß in jedem Falle Störungen der
libidinösen Beziehungen zur Außenwelt — der Objektliebe — vor¬
liegen. Die Psychoanalyse weist bei diesen Personen Bindungen an Objekte
der Kindheit nach, die aber durch das Inzestverbot von der realen Objekt¬
wahl ausgeschlossen sind. Den erlaubten Objekten gegenüber ist die Libido
142 Karl Abraham f
gehemmt. Die Sexualität der Neurotiker findet daher ihren Ausdruck
großenteils in Phantasien (Tagträumen usw.) und in den Krankheitssymptomen,
in welchen wir Abkömmlinge solcher Phantasien erkannt haben. Die Ent¬
fremdung von der Objektwelt ist in verschiedenen neurotischen Zuständen
dem Grad nach sehr verschieden, stets aber können wir eine rückläufige
Tendenz feststellen, welche die Libido von den Objekten entfernen und
sie der infantilen, narzißtischen Bindung an das Ich wieder zuführen
möchte. Eben dieser regressiven Tendenz leistet das autosuggestive Verfahren
Vorschub. In der Hypnose greift eine infantile Bindung an den Hypnotiseur
Platz, der die Rolle des Vaters (oder der Mutter) übernimmt. Die Coudsche
autosuggestive Methode gestattet dem Patienten eine weitergehende Regression
ins Infantile, indem sie —* wie bereits ausgeführt — die einem frühen
Kindheitsstadium entsprechende Gleichsetzung des Ich mit dem Vater be-
fördert. An die Stelle einer infantilen Form der Objektliebe tritt hier also
eine narzißtische Einstellung zum Ich.
Eine solche Einstellung der Libido läßt primitive Vorstellungen wie
diejenige von der Allmacht der Gedanken wieder auf leben. In der Hypnose
wird diese Allmacht dem Vater-Vertreter zugeschrieben, ganz so, wie in
einer gewissen Periode der Kindheit. Wenn das Kind durch die Entwick¬
lung seiner Libido, durch die Zunahme seiner intellektuellen Kraft und
durch die Erfahrung kritischer gegen sich selbst geworden ist, gibt es die
Vorstellung der eigenen Allmacht auf, verschiebt sie aber auf die Eltern.
Dies bedeutet natürlich einen noch unvollkommenen Verzicht, da die im
Besitz der Eltern befindliche Allmacht dem Kinde die Hoffnung läßt, später
einmal zu gewinnen, was ihm jetzt noch fehlt. In der Hypnose verhält
sich das Individuum wie ein Kind in dem soeben geschilderten Stadium.
Die anbefohlene Autosuggestion bringt dagegen einen Rückschlag zur Vor¬
stellung von der eigenen Allmacht mit sich. Wir vermögen sogar noch
Bestimmteres auszusagen, wenn wir uns der Untersuchung Ferenczis
über die ^Entwicklungsstufen des Wirklichkeitssinnes u 1 erinnern. Wie
der Autor nachweist, finden die narzißtische Einstellung des Kindes zur
Außenwelt und seine Vorstellung von der Allmacht seiner Wünsche typi¬
schen Ausdruck im Verhalten und Benehmen des Kindes. Durch alle ihm
verfügbaren Mittel des Ausdrucks versucht es, der Objektwelt seine Weisungen
zu erteilen; es bedient sich der Worte, der Gebärden und der besonders
primitiven „Organsprachedie alle in seinen Augen mit magischen Kräften
ausgestattet sind. Coud gestattet, ja befiehlt seinen Anhängern, ihr Macht¬
gefühl in einer Formel von unzweifelhaft magischem Charakter kundzu-
1) Int. Ztschr. f. PsA. Bd, I. (1915.)
Psychoanalytische Bemerkungen zu Coues Verfahren der Selbstbemeisterung 143
geben. Der Einwand, das Kind wende sich doch mit solchen magischen
Mitteln an die Objekte, Couös Anhänger mit ihrer Formel dagegen an
die eigene Person, läßt sich leicht zurück weisen. Denn das Über-Ich, mit
C o u 6 identifiziert, wendet sich gegen das übrige Ich ganz wie gegen eine
andere Person. Und weiter handelt es sich, wie bei allen Akten der Be¬
schwörung, so auch hier um das Bannen oder Überwinden von Kräften,
die als dem Ich fremd, von außen eingedrungen empfunden werden.
Wie die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, greifen zahllose Menschen
gierig zu, wenn ihnen solche Regression zu niederer Entwicklungsstufe in
autoritativer Weise angeraten wird. Auch hier gibt es ein schuldfreies
Genießen einer Freiheit im infantilen Sinne. Hinzu kommt, daß die
anderen Anhänger, denen sich der einzelne zur Massenbildung angeschlossen
hat, ein Gleiches tun. Was aber die Gesamtheit in übereinstimmender
Weise tut, das geschieht unter gemeinsamer Verantwortung und entlastet
das Individuum wenigstens teilweise von einem Schuldgefühl, das es allein
nicht hätte tragen können. Freud zeigte uns dies zuerst am Beispiel der
Totemmahlzeit, bezw. der gemeinsamen Tötung und Verspeisung des Urvaters
durch die aufrührerischen Söhne. Vollends aber muß das Schuldgefühl
des einzelnen schwinden, wenn das gleiche Handeln aller Individuen
geradezu unter der Autorität eines Idealvaters geschieht, dem die ganze
Verantwortung zufällt, und wenn das Ziel der Handlung — Gesundwerden
und Ähnliches — der Seelenpolizei, d. h. der kritischen Instanz des Ge¬
wissens, keinen Grund zum Einschreiten gibt.
An dieser Stelle sei eingeschaltet, daß es einer recht erheblichen Zahl
von JMenschen nicht verstattet ist, sich der C o ue-Bewegung anzuschließen,
und dies aus Gewissensbedenken. Dem Religiös-Gläubigen erscheint das
C ouö-Verfahren wie ein revolutionäres Abschütteln der demütigen Ein¬
stellung zu Gott. Vom religiösen Standpunkt betrachtet, ist die Aneignung
der Allmacht in dem vorhin besprochenen Sinne ein blasphemisches Vor¬
gehen. Es ist nur konsequent, wenn die Christian Science, die sich zu Heil¬
zwecken des Gebetes bedient, den „Couöismus“ als unchristlich verwirft.
Ohne uns länger bei dieser Betrachtungsweise aufzuhalten, wenden wir
uns lieber den psychologischen Problemen wieder zu. Wir haben erfahren,
daß jeder Angehörige einer Masse den Führer an die Stelle seines Über-
Ichs treten läßt. Wir sehen aber auch, wie in unserem besonderen Falle
das Individuum sich fernerhin — auf Grund einer besonderen Befugnis
— mit dem Führer identifiziert. Der Erfolg dieses gesamten Vorganges
läßt sich psychologisch einfach erfassen; wir lehnen uns wieder an die
Ausführungen von Freud und Jones an. Die Spannung zwischen dem
Über-Ich mit seinen Forderungen und dem Ich, das zu gehorchen hatte,
144
Karl Abraham f
wird in einem gewissen Umfange aufgehoben. Indem das Individuum ein
gewisses Maß seinei infantilen „Allmacht“ zurückerhält, kommt es zu
einer partiellen, in ihrem Umfang noch zu erfassenden „Einziehung des
Ich-Ideals“, wie Fr eud sie uns in der „Massenpsychologie“ beschrieben
hat. Seine Ausführungen beziehen sich insbesondere auf die Psychologie
der Manie. In der Melancholie findet im Anschluß an einen Objekt¬
verlust die Introjektion des verlorenen Objekts ins Ich statt. Die richtende
Funktion des Über-Ichs wendet sich nun scheinbar gegen das Ich, während
in Wirklichkeit alle Härte dem verlorenen und introjizierten Objekt gilt.
In der Manie hingegen wird das Über-Ich für eine Zeit suspendiert, das
Ich erfreut sich einer ersehnten Freiheit und wird in seinem Selbstgefühl
gehoben. Dieser Vorgang spielt sich nun in einem beschränkten Umfang
auch unter der Einwirkung des Coue-Verfahrens ab, und eine Hebung
des Selbstgefühls im Sinne von Gesundheit, Leistungs- und Genußfähigkeit
geht mit ihm Hand in Hand. Doch lassen sich natürlich auch wesentliche
Unterschiede gegenüber dem manischen Befreiungsrausch feststellen, u. zw.
keineswegs nur solche im Grad der Erscheinungen. Es fehlt in unserem
Falle das revolutionäre Element, geschieht doch alles unter väterlichem
Protektorat. Und was geschieht, ist ja nur das Aufsagen einer unschuldigen
Formel, also weit entfernt von den vielfältigen Ausschreitungen der Manie,
und ihre Wirkungen erstrecken sich auch im günstigsten Falle nur auf
ein beschränktes Lebensgebiet. Sie benimmt sich, wie wir sahen, so. als
ob das Sexuelle gar nicht ins menschliche Wunschbereich gehöre. So
feiert denn der Anhänger der „Selbstbemeisterung“ auch ein Fest der Be¬
freiung; wir werden aber noch sehen, daß die Befreiung in beiden Fällen
nicht ganz den gleichen Sinn hat.
Diese Ausführungen gehen um Einiges über Jones’ Anschauungen
hinaus. Halten wir aber mit ihm fest an seiner Auffassung, daß die
Autosuggestion auf einer Aussöhnung zwischen Ich und Über-Ich beruht.
Der in der Autosuggestion gelegene Verzicht auf Lust aus den Quellen
der Objektliebe wird wettgemacht durch eine narzißtisch-autoerotische Lust¬
prämie. Diesen Vorgang haben wir soeben psychologisch greifbarer zu
machen gesucht.
Wir glauben nun, einen gewissen Einblick in das Wesen und die W irkungs weise
der Autosuggestion erhalten zu haben, stehen aber noch einem ungelösten
Problem gegenüber, und diesesmal sind w r ir nicht in der glücklichen Lage,
uns auf ähnlich bewährte Vorarbeiten stützen zu können. Wir erwähnten
eingangs, daß der dritte Punkt der üblichen Kritik sich auf die unter¬
schiedslose Verwendung einer einheitlichen Formel beziehe, und daß gerade
in dieser Hinsicht die Kritiker zu billigen Spöttereien geneigt seien. Konnten
Psydioanalytisdie Bemerkungen zu Coues Verfahren der Selbstbemeisterung 145
wir uns schon zu Anfang nicht auf solch bequemen Standpunkt stellen,
so werden wir dazu jetzt noch weniger bereit sein. Denn inzwischen haben
wir uns davon überzeugt, daß der Erfinder der Methode mit sicherem
psychologischen Blick erkannt hat, was die Schar der Leidenden von einer
seelischen Einwirkung im letzten, unbewußten Grunde erwartet. Ein jeder
verzichtet auf bestimmte Lustquellen, deren Benutzung allzusehr mit
Schuldgefühlen beschwert ist, läßt sich die Erlaubnis gewisser infantiler
Wunscherfüllungen gern gefallen, zumal, da ihm eine Hebung seines
Selbstgefühls gewährt wird, und zahlt dafür den Preis, daß er sich vom
Führer aus einem relativ selbständigen Einzelwesen zum bloßen Bestand¬
teil einer Masse umformen läßt. Wenn aber Coue dieses relativ so un¬
lustarme und lustreiche Verfahren auf Grund seiner Intuition erfinden
konnte, so wird das autosuggestive Instrument, das er jedermann in die
Hand gibt, wohl auch nicht gar so schlecht beschaffen, nicht gar so dumm
gewählt sein. Ich meine, es spräche wiederum für ein richtiges intuitives
Erfassen, wenn Coue, der sich an die Massen wendet, einen Weg geht,
der beispielsweise dem von Dubois eingeschlagenen der „Persuasion“
entgegengesetzt ist. Mit Logik und Vernunft gegen die Masse oder gegen
das Unbewußte, was ja dasselbe bedeutet, vorzugehen, würde eine arge
Verkennung der seelischen Konstitution des Menschen bedeuten. Die
Methode von Dubois, von der es übrigens recht still geworden ist, beruht
im Grunde auf einer ähnlichen narzißtischen Einstellung des Therapeuten.
In einem Falle wird die Macht der bewußten Funktionen der Vernunft
und Logik überschätzt, im anderen die infantile „Allmacht der Gedanken“
wieder aufgerichtet. Wenn Coud seinen Weg zum Unbewußten abseits
von Logik und Vernunft sucht, indem er ein Vehikel wählt, das den
Bahnen des Unbewußten besser entspricht, so liegt darin eine Stärke seiner
Methode. Wir werden noch erfahren, woher ihm vermutlich solche Ein¬
sicht zuteil geworden ist. Das soeben Gesagte schließt natürlich nicht aus,
daß die von Coue gegebene psychologische Begründung seiner Methode
lückenhaft und anfechtbar ist. Wir werden noch weiter Gelegenheit haben,
uns zu überzeugen, daß er ein intuitiver Heilkünstler ist, aber kein psy-
chologischer Forscher.
Die Formel lautet in deutscher Fassung bekanntlich: „Jeden Tag geht
es mir in jeder Beziehung immer besser und besser.“ Sie ist so allgemein
gehalten, daß jeder einzelne Mensch ihr den s e i n e n Leiden entsprechenden
Sinn ohneweiteres unterlegen kann. Die Worte „in jeder Beziehung“
entbinden den Leidenden davon, beim Aussprechen der Formel an seine
verschiedenen Klagen zu denken. Die Formel ist dreimal am Tage je
zwanzigmal aufzusagen. C o u ö rät, daß der Kranke sich zuvor gedanklich
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XII/2.
10
146
Karl Abraham f
in die Nähe des Meisters versetzen und dann die Formel sprechen soll;
daß der Leidende sich mit ihm identifiziert, wird hier noch einmal be¬
sonders deutlich» Die Sprechweise und besonders das Tempo sollen nicht
etwa feierlich, getragen, sondern rasch sein. Es kommt nicht auf ein¬
dringliche, sinnvolle Betonung an, sondern es handelt sich um ein gleich¬
förmiges Herunterbeten des einfachen Textes. Unerläßlich ist ein Stück
Bindfaden mit zwanzig Knoten darin; während der autosuggestiven Ver¬
richtung greift die Hand von einem Knoten zum anderen, bis die vorge¬
schriebene Zahl abgebetet ist.
Wir werden uns allein an diese Formel halten, obwohl sie nicht die
einzige ist. Eine zweite, kurze, existiert für besondere Vorkommnisse, wie
z. B. anfallsweise auftretende Beschwerden aller Art, besonders auch für
Schmerzen. Hier lautet die Vorschrift, der Leidende solle im schnellsten
ihm möglichen Tempo und ohne zu zählen die Worte sprechen: „Es geht
vorüber, es geht vorüber“ usw. Er hat dies fortzusetzen, bis — angeblich
nach ein bis zwei Minuten — die Wirkung eintritt.
Die Hauptformel ähnelt vollkommen den magischen Wortfolgen, wie
wir sie bei primitiven wie bei zivilisierten Völkern in Anwendung finden.
Auch bei uns gehört das „Besprechen“ von Wunden und Krankheiten noch
keineswegs ganz der Vergangenheit an. Die dreimal tägliche Ausübung der
Autosuggestion erinnert uns an die kultischen Einrichtungen vieler Völker,
daneben auch an den Gebrauch von Medikamenten. Daß in dem Bind¬
faden der Rosenkranz der katholischen Kirche eine moderne Neuauflage
gefunden hat, ist leicht zu ersehen. Wir wissen, wie sehr derartige Vor¬
richtungen dazu führen, daß das Gebet nur noch einer automatisch ge¬
wordenen Formel gleicht. Einrichtungen ähnlicher Art sind bei den ver¬
schiedensten Völkern zu finden; es sei nur an die „Gebetsmühlen“ der
Tibetaner erinnert. Warum Couö gerade die Zahl 20 gewählt hat, vermag
ich nicht zu erklären. Ich vermute, daß er den Grund auch selbst nicht
würde angeben können. Derartige zahlenmäßige Festsetzungen finden wir
häufig bei Zwangsneurotikern, die aber in der Regel die Motive zur Wahl
einer Zwangszahl nicht spontan angeben können; es bedarf hier der psycho-
analytischen Untersuchung. Die Vermutung aber, daß die ganze Methode
das Werk eines Mannes mit einer latent gewordenen Zwangsneurose sei*
wird uns hernach noch beschäftigen. Hier sei erwähnt, daß Zwangskranke
nicht nur dazu neigen, vielerlei Dinge gemäß einer obsedierenden Zahl
zu wiederholen, sondern daß sie auch häufig Formeln bilden, die oft den
Charakter der Selbsthilfe gegenüber einer Obsession tragen. Die von Coud
vorgeschriebene Art, in welcher die Formel in rascher Wiederholung auszu¬
sprechen ist, muß uns an die „Verbigeration“ der Geisteskranken erinnern.
Psydioanalytisdie Bemerkungen zu Coues Verfallen der Selbstbemeisterung 147
Die übliche Kritik bemängelt dieses automatisierte Plappern einer ein¬
gelernten Formel und findet es unbegreiflich, daß heutzutage jemand ein
Heilverfahren auf ein so kümmerliches geistiges Niveau stellen kann. Unsere
Vermutung bewegt sich in gerade entgegengesetzter Richtung.
Die allgemeine Wirkung des CouAschen Verfahrens war uns daraus
verständlich geworden, daß das Individuum zum Massenbestandteil wird.
Es geht seiner Kritik verlustig, der psychische Überbau löst sich mehr
oder weniger auf, und die unbewußten seelischen Prozesse von impulsivem
Charakter gewinnen die Oberhand. Auch die Neigung, sich die autosug¬
gestive Formel zu eigen zu machen, setzt eine Herabminderung der Kritik
und eine entsprechende Steigerung der Gläubigkeit voraus. Das Schwinden
der Kritik aber ist es, das den Zugang zum Unbewußten eröffnet. Ich
brauche nur daran zu erinnern, daß wir in der Psychoanalyse dem
Patienten zu Anfang erklären, er möge beim freien Assoziieren, das uns
doch den Zugang zu seinem Unbewußten erschließen soll, die Kritik aus-
schalten.
Die Formel ist ohne Zweifel dazu bestimmt, auf das Unbewußte des
Kranken zu wirken; Couö selbst sagt wörtlich so, wenngleich seine
Vorstellungen vom Unbewußten zu manchem Bedenken Anlaß geben.
Nach unserer Anschauung hat sich das Unbewußte in der Krankheit _
ich habe hier speziell die Neurosen im Auge — ein Ausdrucksmittel für
bestimmte verdrängte Tendenzen gebildet. Es ist also am Fortbestand der
Krankheit interessiert; ihre Auflösung würde für das Unbewußte einen
Verlust bedeuten, und wir Analytiker kennen das Sträuben gegen eine
solche Veränderung gut genug. Soll nun auf suggestivem Wege erreicht
werden, daß das Unbewußte — sagen wir — sich bereden läßt, so wird
der Erfolg von der zweckmäßigen Wahl der Mittel abhängen. Im Falle
der Fremdsuggestion ist das wichtigste Agens eine libidinöse Bindung, die
Übertragung auf den Hypnotiseur. Dazu kommen die besonderen Mittel,
welche einen bestimmten suggestiven Effekt erzielen sollen. Im Falle der
Autosuggestion bedarf es, wie wir sahen, eines guten Einvernehmens
zwischen Über-Ich und Ich, und daneben eines bestimmten Vehikels der
Suggestion.
Wollen wir verstehen, warum Couös Formel, bezw. überhaupt eine
magische Formel, in dieser Hinsicht anwendbar und in gewissen Grenzen
erfolgreich ist, so werden wir am besten wieder an eine Feststellung
F r e u ds anknüpfen und weiterhin gewisse Parallelerscheinungen aus
benachbarten Gebieten ins Auge fassen.
In seiner kritischen Übersicht über Le Bons „Psychologie der Massen“
sagt F reud: „Wer auf sie (die Masse) wirken will, bedarf keiner logischen
148 Karl Abraham f
Abmessung seiner Argumente» er muß in den kräftigsten Bildern malen»
übertreiben und immer das Gleiche wiederholen.“ 1 Die Wieder¬
holung des Gleichen, zumal in formelhaftem Ausdruck — so dürfen wir
ergänzen — bahnt sich offenbar in besonderer Weise den Weg ins Un¬
bewußte. Es muß sozusagen eine Sprache sein, auf die das Unbewußte
reagiert. Nun versteht man doch am besten die Sprache, welche man
selber spricht. Und da dürfen wir sogleich hinzufügen: Die Wiederholung
ist eine häufige und uns bekannte Ausdrucksform unbewußter Impulse.
Auf das, was Freud unter dem Namen des „Wiederholungszwanges“
beschrieben hat, soll hier nicht eingegangen werden. Von diesem mächtigen
Zwang, der das Individuum nötigt, in gewissen Zeitabständen die gleiche
Handlung wiederum zu begehen, führen fliessende Übergänge zu den
Erscheinungen, welche uns hier interessieren.
Die Völkerpsychologie bietet uns bemerkenswerte Erscheinungen, die wir
zum Vergleich heranziehen dürfen. Ich las vor langer Zeit eine Schilderung
des Afrikaforschers Stanley, wie er mit seiner Expedition einen Kampf
gegen feindselige Eingeborene aufnehmen mußte. Er teilte nun seine Leute
in ein paar Trupps und gab jedem einen Anführer. Als es zum Kampfe
ging, produzierte jeder Trupp eine Art von Schlachtgesang oder Feld¬
geschrei. Der Trupp, beispielsweise, welcher einem Manne namens Uledi
unterstellt war, sang in endloser Wiederholung: Uledi-ledi-ledi . . . Der
Sinn dieses Gebrauches ist klar. Er betont die Bindung jedes Mannes
an den Führer, die zugleich die Kampfgenossen auch untereinander ver¬
bindet.
Bei einer Gruppe von Geistesstörungen, die mit tiefreichender Regression
der Libido zu ihren frühesten Entwicklungsstufen einhergehen, den
katatonischen Zuständen, gelegentlich aber auch bei anderen Psychosen,
finden wir das Symptom der Verbigeration. Ein oder mehrere Worte
werden in triebhafter Weise viele Male nacheinander hervorgestoßen. Die
Psychoanalyse erkennt in diesen Wortfolgen den oft nur wenig entstellten
Ersatz bestimmter, vom Unbewußten angestrebter Handlungen. Frühere Mord¬
impulse sind etwa zu einem stereotypen Abbeten einer Formel geworden, in
der Hinweise auf den Tod enthalten sind. Sexuelle Antriebe fanden ihren ab¬
geschwächten Ausdruck in stereotyp wiederholten obszönen Reden. Die gleichen
Personen pflegen übrigens auch „Bewegungs-Stereotypien“ darzubieten, in
welchen eine Intention von ursprünglich hohem Affektwert zu einer bizarren
Ausdrucksbewegung erstarrt ist. Unter den chronisch Geisteskranken kann
1) „Massenpsychologie^ Ges. Schriften Bd, VL S. 271* Die letzten Worte sind im
Druck von mir hervorgehoben.
Psychoanalytische Bemerkungen zu Coues Verfahren der Selbstbemeisterung 149
man derartiges vielfach beobachten. Für diejenigen Leser, denen es an
eigener psychiatrischer Erfahrung fehlt, will ich ein paar Beispiele an¬
fügen.
Zu meiner Schulzeit begegnete man in den Straßen meiner Heimatstadt
einem Manne mit närrischem Benehmen, in welchem jeder Irrenarzt ohne-
weiters die Residuen einer kataton-hebephrenischen Geistesstörung zu
erkennen vermochte. Wenn er durch die Straßen hinkte, war stets ein
Schwarm von Schuljugend hinter ihm. Er lief dann weiter, so schnell er
konnte. In dieser Situation, aber auch sonst, sprach er laut vor sich hin,
immer die gleichen Worte im gleichen Tonfall wiederholend. Eine dieser
Formeln lautete: „Zehntausend Sarge, zehntausend Särge* 6 usw. Eine andere:
„Der Tod ist nah, die Zeit ist um, die Zeit ist um, der Tod ist nah“ usw.
in infinitum. Die feindseligen Impulse fanden in diesen Worten des hilf¬
losen Narren einen letzten erstarrten Ausdruck. Wir erkennen in ihnen
eine Art von Bannformeln gegen die Verfolger. Zu erwähnen ist, daß
nach dem Ergebnis der Psychoanalysen derartige Formeln, auch unter der
Decke aggressiver Regungen, stets sexuelle Impulse zum Ausdruck bringen,
und daß dies nicht bloß durch ihren Wortlaut und Inhalt, sondern wesentlich
auch durch ihren Rhythmus geschieht. Besonders leicht überzeugt man
sich davon bei den Bewegungsstereotypien, deren erotische Bedeutung oft¬
mals ganz unverkennbar ist.
Zur Bildung von Wortformeln kommt es sodann sehr oft in der Zwangs¬
neurose. Freilich sind sie von den Formeln der Katatoniker schon äußerlich
recht verschieden. Sie dienen ganz bewußt zur Bannung eigener Antriebe
des Kranken; ihre Form ist zwar oft verschroben, jedoch immer leicht als
sinnvoll zu erkennen. Einer meiner Patienten bannte bestimmte Impulse
mit der Formel: „Das geht mich nichts an, Fußtritt, weg!“ Bemerkt sei,
daß diese gegen einen gefürchteten Zwang angewandten Formeln stets bald
selbst obsedierend werden. Was uns aber besonders interessieren muß, ist
die Ambivalenz der Triebregungen, die selbst in diesen kleinsten psychischen
Produktionen der Zwangskranken zu Tage tritt. In dem, was ein Zwangs¬
kranker tut oder spricht, äußern sich zugleich Trieb und Verbot, eine
Lusttendenz und eine Straftendenz. Ein sehr instruktives Beispiel gab mir
ein Patient aus seiner Kindheit. Sein Verhalten war schon damals durch¬
setzt von feindlich-quälerischen Antrieben, selbst da, wo er von Schuld¬
gefühl und Reue erfüllt zu sein schien. Diese Gefühle bezogen sich ins¬
geheim besonders auf die Masturbation, während sie sich äußerlich meist
an die sonstigen kleinen Untaten der Kinderstube anschlossen. War der¬
artiges geschehen, so trug sich hernach jedesmal das Gleiche zu. Der
Knabe klammerte sich an seine Mutter und sagte in unendlicher Wieder-
150
Karl Abraham f
holung: »forgive me , mother, forgive me, mother! u Dieses Verfahren
brachte zwar reuige Zerknirschung, weit stärker aber zwei andere Tendenzen
zum Ausdruck, Einmal setzte er in ihm die Quälerei gegenüber seiner Mutter
fort, während er Abbitte tat. Sodann aber erwies sich bei ihm damals, wie
in reiferen Jahren, daß er, anstatt sich zu bessern, es stets vorzog, sich
seine Verfehlungen verzeihen zu lassen, was sich auch während seiner
psychoanalytischen Behandlung störend äußerte. Wir ermittelten aber noch
weiter, daß das schnelle Herunterhaspeln jener Bußformel dem Rhythmus
der Onanie nachgebildet war. Also wußte sich die verbotene sexuelle
Tendenz auch in dieser Form heimlich durchzusetzen. Ich berichte hiervon
so ausführlich, weil dieser Patient später — einige Zeit, bevor er in die
Ps}^choanalyse trat — es mit der Coue-Formel versucht hatte. Da konnte
man mit dreimal zwanzig gemurmelten Sätzen alles wieder gut machen
und brauchte sich keiner sonstigen Willensanstrengung zu unterziehen 1
Wir beginnen zu verstehen, daß es für manche Personen eine bequeme
und billige Art der Selbstbestrafung bedeutet, der sie sich unterziehen,
wenn sie das C oue-Verfahren einschlagen, weit bequemer, als wenn sie
ihre bisherigen Fehler vermeiden würden. Ja, das Verfahren kommt ihnen
darin noch entgegen! Für alle Menschen ist die Vorstellung der Strafe
eng verknüpft mit Zahlenvorstellungen. Man erhält 25 Stockschläge, 6 Monate
Gefängnis, 100 Mark Geldstrafe. Und erinnern wir uns nun wieder der
Verwandtschaft der Methode mit dem Abbeten des Rosenkranzes, so können
wir hervorheben, daß dem gläubigen Katholiken oftmals vom Geistlichen
befohlen wird, eine bestimmte Zahl von Rosenkränzen abzubeten, als
Sühne für seine Verfehlungen. Und gleich wie der Rosenkranz, so eignet
sich auch Coues Methode dazu, dem allgemein menschlichen Schuld¬
gefühl und Strafbedürfnis Ausdruck zu verleihen. Zwischen Sünde und
Krankheit bestehen uralte, feste Assoziationen. Die verbreitetste mensch¬
liche „Verfehlung“, die Onanie, zieht Schuldgefühle nach sich, zugleich
aber mit großer Häufigkeit die Furcht vor Erkrankungen. In dieser Furcht
prägt sich die Erwartung der Strafe aus, und diese bezieht sich auf alle
„bösen“, unerlaubten Wünsche der Kindheit, die in der Onanie ihren
kollektiven, handelnden Ausdruck finden.
Wir vermögen nun zu präzisieren, in welcher Weise die Methode Couös
auf das Individuum wirkt, wenn sie erfolgreich ist. Indem der Patient ein
Gehaben annimmt, das uns an jenes der Zwangskranken erinnert, vertauscht
er seine bisherige Krankheit gegen eine milde Form von Zwangsneurose,
ohne sich dessen bewußt zu werden. Das Gefühl der Allmacht, das mit
der „Seibstbemeisterung“ verbunden ist, ist lustvoll genug, um seinen
Blick für etwaige Nachteile der Methode zu trüben. Man hat früher
Psydioanalytisdie Bemerkungen zu Coues Verfahren der Selbstbemeisterung 151
gesagt, die Hypnose rufe eine künstliche Hysterie hervor. Neuerdings ist
von Radö 1 eine ähnliche Anschauung bezüglich des kathartischen Ver¬
fahrens geäußert worden. Die therapeutische Wirkung des C o u d-Verfahrens
wäre demnach an eine stärkere Regression gebunden. Diese Annahme steht
in bester Übereinstimmung mit dem, was wir über Regressionserscheinungen
in der Richtung zum Narzißmus bereits festgestellt haben. Wir dürfen
hinzufügen, daß die Vorstellungen von der eigenen „Allmacht“ am stärksten
in der Zwangsneurose hervortreten; der erste Krankheitsfall, an welchem
Freud diese Erscheinung beschrieb, war eine Zwangsneurose. Wir kennen
auch gut den Kampf des Zwangskranken gegen sein Leiden, den er zu
einem Teil, wie erwähnt, mit Hilfe von Formeln führt.
Da sich nun ganz Entsprechendes in dem Vorgang der „Selbstbemeisterung“
abspielt, so spricht Vieles für die Vermutung, daß ihr Erfinder mit einer
Zwangsneurose behaftet sei, die sich vielleicht nicht mehr im Stadium der
Symptombildung befindet, ihn aber offenbar nötigt, an der Menge der Hilfe¬
suchenden immer wieder die Allmacht der Gedanken zu erproben. Ganz
auffällig ist die Scheu vor jedem Wissen um den Ursprung einer Krankheit;
wir werden hier unmittelbar an die Verbote des Fragens und Wissens
erinnert, denen wir in den Analysen Zwangskranker begegnen.
Die ökonomische Bedeutung der Coue-Formel im Bewußtsein und im
Unbewußten des Patienten erweist sich uns somit als ebenso vielfältig wie
die Bedeutung eines Zwangssymptoms für den Neurotiker. Da ist zunächst
die manifeste Bedeutung der Formel als Trost und Selbstaufmunterung, die
in der Wiederholung noch besonders bekräftigt wird. Das Nachsprechen der
vom Meister empfangenen Formel ermöglicht es dem Jünger, sich in be¬
sonders betonter Weise mit jenem gleichzusetzen. Des weiteren dient die
Formel der Selbstbestrafung: Litt das Individuum an einer Krankheit,
die seinem Unbewußten Strafe bedeutete, so würde hier eine Sühne
durch eine andere, dem Ich weit genehmere, ersetzt. Endlich kehrt in der
Formel das Verdrängte wieder, das Verbotene, dessen Genuß die Strafe
galt; Rhythmus und Tempo sind an dieser unbewußten Darstellung des
Verbotenen besonders beteiligt, die mit Zustimmung des „Vaters“ geschieht.
In tiefster unbewußter Schicht bedeutet der Gebrauch der Formel also
einen larvierten, vom Vater approbierten Onanie-Ersatz. Die vorgeschriebene
Schnur gibt uns auch zu denken. Man könnte ja auch an den Fingern
abzählen, aber Coue macht den Gebrauch der Schnur obligatorisch. Das
Hantieren mit ihr ist wie das Wiedererscheinen der verpönten Manipulation
l) Radö, Das ökonomische Prinzip der Technik I. Hypnose und Katharsis. (Heft 1
dieses Jahrganges.)
152 Karl Abraham f
in Gestalt einer Handlung, die dem Augenschein nach der Verdrängung
dient. Und so vereinigen sich unerlaubte sexuelle Tendenz, Strafe, Besserungs¬
streben und Trost in dieser einen Formel.
Im Laufe unserer Untersuchung ist uns verständlich geworden, aus welchen
psychologischen Ursachen sich ungezählte Menschen in allen Ländern so
bereitwillig dem Couö’schen Verfahren in die Arme geworfen haben, und
wie alle diese Menschen willig und ohne Kritik zu Sprechmaschinen wurden,
welche die Heilsformel in der vorgeschriebenen Weise reproduzieren. Neben¬
bei gelang es uns, das psychologische Verhältnis der „Selbstbemeisterung^
zu anderen Wegen der Psychotherapie zu erfassen. Wir dürfen eine
Stufung der therapeutischen Verfahren annehmen, ähnlich wie sie sich
uns für die hauptsächlichsten Objekte dieser Heilmethoden, die Neurosen,
ergeben hat.
Bezeichnen wir Cou^s Methode als ein Heilverfahren auf der zwangs¬
neurotischen Stufe, so bedeutet das nicht nur, daß es sich der nämlichen
archaischen Denkakte bedient, wie wir sie aus der Psychologie der Zwangs¬
neurose kennen. Es bedeutet auch, daß Couds Methode im psychologischen
Sinne die Antipodin der Psychoanalyse darstellt. Zwar findet in Couös
Schriften das Unbewußte Berücksichtigung, aber das psychologische
Fundament ist überaus schwach und an inneren Widersprüchen reich. Der
volle Gegensatz der beiden Richtungen wird deutlich, wenn wir vergleichen,
wie sie sich zu einer entscheidenden Frage stellen, nämlich zum Wissen des
Kranken um Herkunft und Aufbau des Leidens. Für den Psychoanalytiker
ist die Bewußtmachung des Verdrängten, welche den eben erwähnten
Vorgang zum guten Teile in sich begreift, ein unentbehrliches Mittel
zur Erreichung des Heilzwecks, Anders Coud! Hören wir, wie er sich
äußert:
„Es ist besser, nicht zu wissen, von wannen ein Übel kommt, es aber
dennoch zu vertreiben, als es zu wissen und es dabei nicht los zu werden. <c 1
Die Psychoanalyse ist, mit diesem Verfahren verglichen, die Methode,
welche den Menschen am stärksten zur Anerkennung des Realitätsprinzips
nötigt und zugleich, der aufsteigenden Entwicklung gemäß, dem Bewußt¬
sein eine wachsende Bedeutung einräumt. Sie verlangt vom Individuum die
Bewältigung psychischer Widerstände und soll, nach Freuds Wort, in der
„Abstinenz durchgeführt werden. Couös Lehre, die zwar die unbewußte
Herkunft der Symptome betont, aber jedes nähere Wissen um diese Her¬
kunft abweist und in weitem Umfang dem Lustprinzip nachgibt, kommt
somit ein ebenso regressiver Charakter zu, wie derjenige der Psycho-
1) Coue, Die Selbstbemeisterung durch bewußte Autosuggestion, Basel 1925. S. 102*
Psychoanalytische Bemerkungen zu Coues Verfahren der Selbstbemeisterung 153
analyse als progressiv zu bezeichnen ist. Die Annäherung der Methode
C o u d s an die Heilverfahren primitiver V ölker ist unverkennbar; die
magische Gedankenrichtung ist hier wie dort vorherrschend und erspart
dem Patienten jede mühevolle Anpassung an die Realität.
Jones weist, wie schon geschildert, mit Schärfe darauf hin, daß ein
solches Verfahren scheinbar billige Erfolge erziele, die aber erkauft seien
durch eine Hemmung der Entwicklung an irgend einer wichtigen Stelle.
Das sagt ungefähr das Gleiche wie unsere Schlußfolgerung, daß der Kranke
im Falle der gelungenen „Selbstbemeisterung“ sein bisheriges Leiden gegen
einen psychischen Zwangszustand eintausche.
Einer der Kritiker Coues, Decsi, wendet gegen das Verfahren ein, daß,
wenn der Kranke vor der Behandlung an einer „autosuggerierten Krank*
heit“ gelitten habe, er sich nunmehr einer suggerierten Gesundheit
erfreue. Offenbar meint der Autor damit den gleichen psychischen Vorgang,
den wir als zwangsneurotisches Gefühl der Allmacht gedeutet haben.
Die Erfolge also, welche auf solchem Wege erzielt werden, sind trügerisch.
Ihre Dauerhaftigkeit zu prüfen, ist nicht leicht, weil die rückfälligen
Kranken, ebenso wie die von vornherein mißglückten, nicht von sich reden
machen. Nach der begrenzten Zahl der mir begegneten, nach C o u 6 be¬
handelten Patienten drängt sich mir der Eindruck auf, daß die suggestive
Wirkung höchst oberflächlich und vergänglich sei. Und das wäre leicht
genug verständlich. Die Heilerfolge der Hypnose sind in ihrer Dauer davon
abhängig, ob die „Übertragung“ der Libido auf den Hypnotiseur anhält,
und auch hier zeigt die Erfahrung, daß wir mit labilen seelischen Zu¬
ständen zu tun haben. Um wieviel labiler muß der autosuggestive Erfolg
sein! Der Patient ist doch der Wirklichkeit nicht gänzlich entrückt. Die
Tatsachen des Lebens vermögen die Richtigkeit der Formel von der immer
fortschreitenden Besserung gar so leicht zu erschüttern und zu widerlegen!
Und dann fehlt es an der stark gefühlsmäßigen, individuellen Bindung,
wie das Individuum sie dem Hypnotiseur gegenüber entwickelt. Dann muß
es sich zeigen, ob etwas mehr vorliegt, als eine flüchtige Faszination des
zum Massenbestandteil herabgesunkenen Individuums, ob die Gefahr der
Desertion auf genügend starke Hemmungen stößt.
Die Zukunft wird überhaupt zeigen müssen, ob die um C o u 6 gebildeten
Massen eine genügende innere Bindung aufweisen, um die erzielten Erfolge
beim einzelnen längere Zeit fortdauern zu lassen. Die Faszination der
Massen, wie sie am ausgeprägtesten in Amerika zu beobachten war, hat dem
„Coudismus“ in hohem Maße den Charakter einer Mode verliehen, und
mit einer solchen dürfte sie auch die Lebensdauer mehr oder weniger teilen.
Eben hier aber ist der Unterschied gegenüber der Psychoanalyse am äugen-
154 Karl Abraham f
fälligsten. Als Heilmethode auf streng individuelle Gestaltung, auf gründliche
Arbeitsleistung und erheblichen Zeitaufwand eingestellt, vermag sie allerdings
nicht in die Breite der Massen zu wirken, wie es die Verbreitung der Neurosen
erwünschen ließe. Sie bleibt anderseits vor einem geschäftig-modemaßigen Be¬
trieb bewahrt und bringt die Menschen nicht in die Gefahr, nach einer kurzen
Zeit der Faszination ihren früheren Leiden wieder ausgeliefert zu werden*
Karl Abraham
1877—1925
Es kann kein Zweifel sein, daß der Tod Karl Abrahams der härteste
Schlag ist, der bisher die Psychoanalyse getroffen hat. Wir haben eine
ganze Anzahl anderer wertvoller Mitarbeiter verloren, auch einen Gruppen¬
präsidenten, deren Namen unsere Erinnerung immer festhalten wird. Die
psychoanalytische Bewegung hat Schicksalsschläge von anderer Art erfahren,
bei einem derselben auch einen Präsidenten eingebüßt. Aber bei aller Ein¬
schätzung dieser Verluste dürfen wir doch sagen, keiner von ihnen bedeutete
für die Psychoanalyse dasselbe wie der jetzt von uns Betrauerte. Denn
Karl Abraham war zugleich ein Meister der Theorie und der Praxis
unserer Wissenschaft, einer der ersten Eroberer auf unserem Forschungs¬
gebiet, ein Führer und Organisator höchster Ordnung, ein treuer Freund,
Mitarbeiter und Helfer für alle. Die nachfolgende Darstellung seines Lebens
und seiner Tätigkeit soll zeigen, welche Gründe wir haben, seinen Verlust
so schwer zu empfinden.
*
Sein Lebenslauf gestaltete sich in folgender Weise: Er wurde am 5. Mai
1877 in Bremen geboren, war also erst 48 Jahre alt, als er starb. Er
stammte aus einer alten jüdischen Familie, die durch lange Zeiten in ver¬
schiedenen Städten Norddeutschlands geblüht hatte. Er hatte einen älteren
Bruder, aber keine Schwester. Den Schulunterricht genoß er in seiner
Heimatstadt bis zum Jahre 1896 und wandte sich dann der Medizin zu.
In seinen späteren Schuljahren entwickelte Abraham eine besondere
Neigung zur Philologie und vergleichenden Sprachkunde. Wenn es die
Umstände gestattet hätten, hätte er sich wahrscheinlich diesen Studien
ausschließlich gewidmet, sein Interesse für sie hielt durch sein ganzes
Leben an, und sicherlich verfügte er über eine ungewöhnliche Begabung
in dieser Richtung. Er beherrschte außer seiner Muttersprache Englisch,
156
Emest Jones
Spanisch, Italienisch und Raeto-Romanisch, er führte Analysen in den
ersten beiden dieser Sprachen durch und konnte seinen Vortrag auf dem
Internationalen Psychologischen Kongreß zu Oxford frei in Englisch halten»
Er besaß aber auch eine ziemliche Kenntnis des Dänischen, Holländischen
und Französischen, die er in seiner Kindheit sprechen gehört hatte. Er
war durchaus vertraut mit der altklassischen Literatur und während der
Gymnasialstudien seiner Kinder benützte er die Gelegenheit, seine Bezie¬
hungen zu ihr wieder zu beleben. Jeder, der den Kongreß im Haag, 1920,
mitgemacht hat, wird sich der Überraschung erinnern, als Abraham die
Gäste in einer wohlgesetzten lateinischen Rede begrüßte.
Er verfolgte seine medizinischen Studien an den Universitäten Würzburg,
Berlin und Freiburg i. Br. Die erste dieser Städte scheint er sehr lieb¬
gewonnen zu haben, wählte sie vielleicht darum zum Versammlungsort
des ersten rein deutschen psychoanalytischen Kongresses. Sein Doktordiplom
erhielt er 1901 an der letztgenannten Universität. Während der Studienzeit
fesselte die Biologie sein Interesse, was für seine spätere Arbeit und für
seine ganze wissenschaftliche Einstellung entscheidend wurde. Von Freiburg
aus machte er seine erste Bekanntschaft mit der Schweiz, welches Land er
später vor allen anderen lieben lernte. Die Leute in der Schweiz und ihre
Lebensweise erregten sein Wohlgefallen, aber wahrscheinlich zogen ihn
in erster Linie die hohen Berge an als ausgesprochener Gegensatz zu den
Niederungen seiner Heimat. Er wurde, sobald sich ihm die Gelegenheit
dazu bot, ein leidenschaftlicher Alpinist und unternahm eine ganze Anzahl
von erstklassigen Bergbesteigungen. Ganz wie Segantini, der kurz vor
Abrahams erster Reise nach der Schweiz gestorben war, und dessen
Persönlichkeit ihn so mächtig gefesselt hat, zog er das Oberengadin allen
anderen Örtlichkeiten vor, und er kehrte immer wieder und wieder dorthin
zurück. Noch seine letzten Ferien im Sommer 1925, von denen wir alle so
viel Erholung für ihn erhofften, verbrachte er dort und konnte um diese
Zeit noch mehrere ziemlich anstrengende Touren durchführen. Es war ein
langgehegter Wunsch von ihm, sich dort oben — in der Nähe von Sils
Maria — ein Häuschen zu bauen, und der letzte Brief, den er geschrieben,
beschäftigte sich noch mit dieser Absicht.
Noch während er in Freiburg war, bemühte er sich um eine Anstellung
im Burghölzli bei Zürich, einerseits um so in die von ihm geliebte Schweiz
zu kommen, anderseits aber weil er mit Bleulers psychiatrischen Arbeiten
bekanntgeworden war und sie besonders hoch einschätzte. Er mußte indes
einige Jahre warten, bevor dieser Wunsch in Erfüllung gehen konnte und
nahm zunächst im April 1901 den Posten eines Assistenzarztes in der Ber¬
liner Irrenanstalt Dalldorf an. Er arbeitete dort durch nahezu vier Jahre und
Karl Abraham
157
erwarb sich ein gründliches Wissen in der klinischen Psychiatrie. Seinem
dortigen Chef, Prof. Liepmann, bewahrte er auch später große Achtung.
Zwei wissenschaftliche Arbeiten aus jener Zeit beziehen sich auf Liep-
manns eigenstes Gebiet, das der Aphasie und Apraxie. Im Dezember 1904
erhielt er zu seiner großen Befriedigung eine Stellung am Burghölzli mit
dem Titel eines Assistenten der Züricher Psychiatrischen Klinik. Dort erfuhr
sein Interesse die endgültige Richtung auf die Psychologie und dort wurde
er durch Bleuler und Jung mit den Veröffentlichungen von Freud
bekannt. Aus dieser Zeit rührt auch sein erster Beitrag zur Psychoanalyse,
ein Vortrag auf der Jahresversammlung der Deutschen Psychiatrischen
Gesellschaft in Frankfurt [9]. Der Zufall wollte, daß er achtzehn Jahre
später in der nächsten Nähe derselben Stadt zum letztenmal vor der
Öffentlichkeit erscheinen sollte, als Präsident des IX. Internationalen Psy¬
choanalytischen Kongresses.
In die gleiche Zeit fällt auch ein anderes Ereignis, welches zur Haupt¬
quelle seiner für ihn so charakteristischen Lebensbejahung wurde und dem
er zum großen Teile die Energie und ungeteilte Freudigkeit zu danken
hatte, mit der er sich seiner Arbeit widmen konnte. Seine Anstellung in
Zürich traf mit seiner Verlobung zusammen; nachdem seine Stellung dort
sich immer mehr gefestigt hatte, konnte er im Januar 1906 an Heirat
denken. Die Wahl seiner Lebensgefährtin erwies sich als eine außer¬
ordentlich glückliche; er fand in ihr eine Kameradin, die sein Leben bis
ins Letzte mit ihm teilte und ihm an Frohsinn nicht nachstand. Ende
des Jahres 1906 wurde ihnen in Zürich eine Tochter, wenige Jahre später
in Berlin ein Sohn geboren.
Abraham hatte gehofft» sich für ständig in der Schweiz niederlassen zu
können, mußte aber bald einsehen, daß ein Ausländer dort wenig Aussicht
auf eine regelrechte psychiatrische Karriere hatte. Er mußte sich also um
eine andere Niederlassung umsehen. Sein Entschluß fortzugehen wurde
sicher noch durch die unbehagliche Atmosphäre beschleunigt, die sich aus
der Spannung zwischen Bleuler und Jung ergab. Er gab also im Novem¬
ber 1907 seine Stellung auf. In den gleichen Monat fiel auch sein erstes
Zusammentreffen mit Professor Freud, den er in Wien aufsuchte; das
letzte Zusammentreffen beider fand im August 1924 auf dem Semmering
statt. Die Unterredungen, die damals zwischen ihnen stattfanden, zeitigten
eine wichtige Arbeit [1 l7, auf die wir noch später zurückzukommen haben
werden. Die damals angebahnten persönlichen Beziehungen entwickelten
sich zu einer bis zum Ende ungetrübten Freundschaft. Abraham gehörte
dem kleinen Kreise derjenigen an, die Professor Freud regelmäßig während
seiner Sommerferien aufzusuchen pflegten. Bei einer dieser Gelegenheiten
158
Ernest Jones
organisierte er eine gemeinsame Reise in den Harz, eine ihm wohl vertraute
Gegend.
Im Dezember 1907 ließ Abraham sich in Berlin nieder und eröffnete
seine psychoanalytische Privatpraxis. In der ersten Zeit fand er einige Unter¬
stützung durch Professor Oppenheim, dessen Frau mit ihm verwandt
war, und arbeitete auch eine Weile an Oppenheims neurologischer Poli-
klinik; ihre verschiedene Einstellung zu der Freud sehen Lehre brachte
aber in wissenschaftlicher Hinsicht bald eine Entfremdung der beiden Männer
zustande. Eine dauerndere Unterstützung gewährte ihm dann Dr. Wilhelm
Fließ, den Abraham einige Jahre später kennenlernte und sehr hoch
einschätzte; Fließ hat sich auch in Abrahams letzter Krankheit an seiner
Behandlung beteiligt.
At>rah am war also der erste wirkliche Psychoanalytiker in Deutschland
geworden; die wenigen, die, wie Muthmann, Warda u. a., nur ein kleines
Stück Weges mit der Freudschen Lehre gegangen waren, haben ja auf
diesen Namen kaum ein Anrecht. Er begann sofort in privaten Zusammen¬
künften und Vorträgen im eigenen Hause andere Ärzte für seine Arbeit
zu interessieren. Von allen jenen, die er zu dieser Zeit an sich zog, blieb
aber nur ein einziger, Koerber, der Psychoanalyse bis zum heutigen
Tage erhalten. Er versuchte auch einige Jahre hindurch, den Gegenstand
in den Sitzungen der verschiedenen medizinischen Vereinigungen zu ver¬
treten, wobei er als Einzelner einer starken und feindseligen Opposition
mit großem Mute und besonderer Standhaftigkeit Trotz bot. Trotz dieser
Eigenschaften aber und trotz seines charakteristischen Optimismus mußte
schließlich sogar Abraham die Aussichtslosigkeit eines solchen Unternehmens
einsehen. Schon aber begannen bessere Zeiten anzubrechen. Im Herbst des
Jahres 1909 stieß Eitingon, der ebenfalls im ßurghölzli gearbeitet hatte,
in Berlin zu ihm; von da an hatte Abraham einen Mitarbeiter nach
seinem eigenen Herzen.
Im März des Jahres 1910 wurde die „Internationale Psychoanalytische
Vereinigung“ formell gegründet und im gleichen Monat die „Berliner
Psychoanalytische Vereinigung“ gebildet. Sie war die erste der Zweig¬
vereinigungen, der dann im April und Juni die Wiener und Züricher
Gruppe folgten; allerdings hatten in den beiden letztgenannten Orten
zwanglose Gruppen schon lange vor der Berliner bestanden. Von den neun
ursprünglichen Mitgliedern (unter ihnen Warda, der erste Arzt, der selb¬
ständig für die Freud sehe Lehre eingetreten war) gehören heute nur
mehr zwei, Eitingon und Koerber, der Gesellschaft an. Wir werden
später noch Gelegenheit haben, auf die Bedeutung Abrahams für die
Berliner Gruppe einzugehen, hier sollen nur einige einfache Tatsachen
Karl Abraham
159
erwähnt werden. Er führte den Vorsitz in dieser Gesellschaft von ihrer
Gründung an bis zu seinem Tode. Er widmete ihr seine beste Arbeitskraft
und ihre Interessen standen jederzeit bei ihm obenan. Er war unermüdlich
in seinem Zeitaufwand für sie, in seiner Tätigkeit als Führer und Kritiker.
Fast alle seine wichtigen Arbeiten legte er zuerst der Vereinigung vor.
Alles in allem hielt er in den 15 Jahren seiner Präsidentschaft, von denen
er einige infolge des Krieges und seiner Krankheit ferngehalten war, nicht
weniger als 46 Vorträge; in einem Jahr allein (1923) zwölf. Seine Fähig¬
keiten als Lehrer und Heranbilder von Analytikern konnten sich auch
außerhalb der Gesellschaft betätigen. Er führte eine ganze Reihe Lehr¬
analysen durch; zu seinen hervorragendsten Schülern zählen, außer einigen
ältern Mitgliedern der Berliner Gruppe, Helene Deutsch, Edward Glover,
James Glover, Melanie Klein, Sändor Radö und Theodor Reik. Als sich
später zeigte, daß es gewisse Nachteile mit sich brachte, wenn die Mitglieder
der Gruppe von ihrem Vorsitzenden analysiert werden, wurde diese Schwierig¬
keit in glänzender Weise dadurch gelöst, daß im Jahre 1920 Hanns
Sachs nach Berlin übersiedelte und zum offiziellen Lehranalytiker bestimmt
wurde, was für Abraham eine große Erleichterung bedeutete. Überdies
pflegte Abraham in hingebender Weise die Vortragstätigkeit und erwarb
sich auch in dieser Hinsicht große Verdienste in Berlin. Sein erster vier¬
wöchiger, im Rahmen der Vereinigung gehaltener Kurs wurde im März 1911
abgehalten; von da an hatte er einen hervorragenden Anteil an allen von
der Vereinigung, später vom Lehrinstitut veranstalteten Unterrichtskursen.
Abraham beteiligte sich auch, wenn auch bei weitem nicht in dem
Maße wie Eitingon, an der Gründung und Erhaltung der Berliner
Poliklinik. Er beteiligte sich eifrig an der Auswahl der geeigneten Kandi¬
daten, der Ausbildung der Zugelassenen, insbesondere der Ausländer, und
war in organisatorischen Angelegenheiten immer zur Hilfe bereit. Seine
Zeit war natürlich zu sehr in Anspruch genommen, als daß er auch eine
tägliche Arbeitsleistung am poliklinischen Institut hätte auf sich nehmen
können.
Ebenso intim waren auch Abrahams Beziehungen zur „Internationalen
Vereinigung“. Er war einer von den fünf oder sechs Personen, die an
allen bisher abgehaltenen Kongressen teilgenommen haben. Der erste
Kongreß, im April 1908, wurde zwar von Jung einberufen, umfaßte aber
vorwiegend österreichisch-ungarische Mitglieder. Abraham war einer der
drei „Ausländer“, die dort das Wort ergriffen (die anderen waren Jung
und der Schreiber dieser Zeilen). Auf jedem Kongreß hielt er einen Vortrag,
mit Ausnahme des letzten, auf dem er durch seine Krankheit behindert
und die Pflichten seiner Präsidentschaft zu sehr in Anspruch genommen
Ernest Jones
l6o
war. Dies ist eine Höchstleistung, in der ihm nur Professor Freud und
Ferenczi gleichkamen. Diese acht Kongreß vorträge gehören zu seinen
wertvollsten Beiträgen zur Psychoanalyse, wir werden sie bald alle zu be¬
sprechen haben, wenn wir an die Würdigung seiner wissenschaftlichen
Arbeit gehen. Auf und nach dem Münchner Kongreß, 1913, führte er
die Opposition gegen Jung und wurde nach dessen Rücktritt von den
Beiräten der Internationalen Vereinigung bis zur Abhaltung des nächsten
Kongresses zum provisorischen Präsidenten ernannt. Er hatte bereits alle
Vorbereitungen zu einem Kongreß getroffen, der im September 1914 in
Dresden stattfinden sollte; dann aber kam die große Störung durch den
Krieg und er blieb interimistischer Präsident, bis der nächste Kongreß 1918
in Budapest abgehalten werden konnte. Auf dem VII. Kongreß, 1922,
wurde Abraham Sekretär der Internationalen Vereinigung, und 1924 auf
dem VIII. Kongreß wählte man ihn unter allgemeiner Zustimmung zum
Präsidenten, in welcher Würde er ein Jahr später auf dem IX. Kongreß
einstimmig bestätigt wurde.
Abraham gehörte auch zu den ständigen Mitarbeitern des „Zentral¬
blattes“ und der „Zeitschrift“ und von 1919 an auch zur Redaktion der
letzteren. Seine Tätigkeit beschränkte sich aber auf eine allgemeine Anteil¬
nahme an der Leitung und auf die Beistellung von Kritiken und Original-
arbeiten. Nachdem Jung die Redaktion des Jahrbuches niedergelegt hatte,
wurden Abraham und Hitschmann seine Nachfolger, die im Jahre 1914
den VI. Band des Jahrbuches herausbrachten. Die Einstellung des Jahr¬
buches mit Kriegsausbruch machte dieser Tätigkeit ein Ende.
Fast durch die ganze Dauer des Krieges diente Abraham in Allenstein
in Ostpreußen als Chefarzt der Psychiatrischen Station des XX. Armeekorps.
Die Erfahrungen, die er dort sammelte, verwertete er für seinen Beitrag
zur Psychologie der Kriegsneurosen [jj] und auch zwei andere sehr wichtige
Arbeiten [j 2, J4] stammen aus dieser Zeit. Der Krieg brachte ihm eine
Schädigung seiner Gesundheit, die möglicherweise die letzte Ursache seines
Todes wurde. Zu Ende seiner Dienstzeit zog er sich eine schwere Dysenterie
zu, von der er sich nur langsam wieder erholte. Es stellten sich später immer
noch Rezidive ein, das letzte im Frühling 1924. Aber dann schien seine
Gesundheit endlich wieder hergestellt. Im Mai des letzten Jahres aspirierte
er zufällig einen kleinen Fremdkörper, der vielleicht infiziert war. Denn
etwa zwei Wochen später bekam er einen Anfall von septischer Broncho¬
pneumonie, der beinahe zum tödlichen Ausgang geführt hätte. Davon blieb
ihm eine begrenzte Bronchiektasie, die sich nicht mehr zurückbildete.
Nach einer mehrwöchentlichen Erholung im Engadin nahm er die Aufgabe
auf sich, den Kongreß in Homburg zu leiten, aber dies ging offenbar über
Karl Abraham
l6l
seine Kräfte. Er schien sich zwar im Herbst besser zu befinden, machte
sogar Versuche, seine Berufsarbeit wieder aufzunehmen. Aber sein Zustand
verschlechterte sich, es traten Komplikationen hinzu, die sich nicht auf¬
klären ließen, im November mußte er eine Klinik aufsuchen. Vierzehn
Tage später wurde eine schwere Operation bei ihm unternommen, die nicht
den gehofften Erfolg brachte. Seine Kräfte ließen allmählich nach, bis er
am Weihnachtstag 1925 seinem Leiden erlag. Während seiner langen und
schmerzlichen Krankheit scheint er niemals am günstigen Ausgang gezweifelt
zu haben und machte optimistische Pläne bis zu seinem Ende. Seine Lebens¬
zähigkeit, die Stärke seines Willens und seine körperliche Elastizität waren
ganz außerordentlich und setzten seine Ärzte in Erstaunen. Mehr als einmal
schien es im Verlaufe seiner Krankheit unmöglich, daß eine menschliche
Konstitution dem Ansturm des Leidens standhalten könnte. Aber sein Mut
und sein Lebenswille hielten aus, bis er seinen letzten Atemzug getan hatte.
*
Um mir einen frischen und einheitlichen Eindruck von Abrahams
wissenschaftlicher Leistung zu verschaffen, habe ich alle seine Arbeiten
von neuem durchgelesen und versuche nun, Rechenschaft über sie zu geben.
Bei einer solchen Überschau kommt es natürlich nicht darauf an, die ein¬
zelnen Aufsätze im Detail zu referieren. Meine Bemerkungen sollen sich
sowohl auf die Quantität als auf die Qualität und den Inhalt derselben
beziehen.
Abraham war kein Vielschreiber und der Gesamtumfang seiner Ver¬
öffentlichungen ist weit geringer als man, wenn man ihre Bedeutsamkeit
kennt, erwarten sollte. Seine gedruckten Publikationen (wobei seine nur
mündlichen Mitteilungen außer acht gelassen werden) bestehen in vier
kleinen Büchern mit zusammen weniger als 500 Seiten und 49 anderen
Aufsätzen, die ungefähr 400 Seiten füllen. Hiezu kommt noch wenigstens
eine nachgelassene Arbeit. Mehrere dieser Aufsätze sind nur ein oder zwei
Seiten lang, nur fünf überschreiten die Anzahl von 20 Seiten. Diese Tat¬
sache hängt offenbar mit dem Charakter von Abrahams Schriften zusammen,
der uns vielleicht am auffälligsten entgegentritt, mit der bemerkenswerten
Knappheit und Präzision seines Stils. Abraham gebrauchte nie ein Wort
zu viel, wenn er etwas zu sagen hatte, jeder Satz war voll von Sinn und
dieser Sinn hatte seinen Ausdruck mit unzweideutiger Klarheit gefunden.
Er hatte ein starkes Gefühl für das Greifbare, hielt sich strenge an die
klinischen Tatsachen und ließ sich niemals in vage Spekulationen ein.
Diese Eigenschaften im Verein mit einem ungewöhnlichen Maß von Ob¬
jektivität dienten ihm auch, wenn er die Arbeiten anderer kritisierte. Die
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XII/2.
li
1Ö2
Ernest Jones
Sammelreferate, die von ihm herrühren [if, 16, fl, 73], waren direkt
Vorbilder ihrer Gattung und sind unschätzbar für den, der eine rasche
Orientierung in der Psychoanalyse sucht. Dieselben Eigenschaften zeigte
er auch in den Referaten für das Zentralblatt und für die Zeitschrift,
welche keine Aufnahme in der Bibliographie gefunden haben. Abraham
war ein Meister der Darstellung und ragte besonders hervor in der schwie¬
rigen Leistung der Mitteilung von Krankengeschichten. Wir wissen alle,
wie mühselig es ist, sich in einen Fall hineinzufinden, über den ein
anderer berichtet. Ein solcher Bericht fällt leicht so unvollständig aus,
daß man nichts von ihm hat oder er ist so ausführlich und verwirrend,
daß unsere Aufmerksamkeit erlahmt. Abrahams klarer und glatter Stil und
sein Gefühl für das Wesentliche machten es ihm möglich, den Leser auf
ein oder zwei Seiten in das Wesen eines Falles einzuführen und die
klinischen Tatsachen, auf welche er seine Schlüsse stützte, waren immer
ebenso interessant wie lehrreich. In der Gabe, etwas klar und anziehend
darzustellen, fand er nur wenige unter den psychoanalytischen Autoren,
die sich mit ihm messen konnten. Diese Vorzüge sind natürlich um so
wertvoller, wo es sich um so verwickelte Sachverhalte handelt.
Wenn wir uns nun zum Inhalt seiner Arbeiten wenden, so müssen wir
bei der Schätzung ihrer Bedeutsamkeit immer den Zeitpunkt ihrer Ent¬
stehung in Betracht ziehen. Sehr vieles von dem, was er gelehrt hat, ist
heute so sehr Gemeingut geworden, daß es uns schwer fällt, seine Origi¬
nalität zu erkennen. Aber das ist nur ein neuer Beweis für die durch -
gängige Richtigkeit seiner Befunde. Man kann seine Schriften im allge¬
meinen in vier Gruppen teilen. Da sind zuerst jene bahnbrechenden
Arbeiten, die ich eben angedeutet habe, z. B. „Die psychosexueilen
Differenzen der Hysterie und der Dementia praecox“ [llj, „Die psycho¬
logischen Beziehungen zwischen Sexualität und Alkoholismus“ [12], „Die
Stellung der Verwandtenehen in der Psychologie der Neurosen“ [13] und
sein Buch „Traum und Mythus“ [14], Daran reihen sich eine Anzahl von
schönen und formvollendeten Studien, klassische Arbeiten, die man immer
wieder mit Vergnügen und Gewinn lesen wird, wie der Aufsatz „Über
hysterische Traumzustände“ [ij], „Giovanni Segantini“ [}0], „AmenhotepIV.“
[ 34 h „Über Einschränkungen und Umwandlungen der Schaulust“ [43h
„Über Ejaculatio praecox“ [$4 ], „Zur Psychoanalyse der Kriegsneurosen“
// 7 -A „Äußerungsformen des weiblichen Kastrationskomplexes“ [67]. An
dritter Stelle seien angeführt jene seine originellsten Arbeiten, die wert¬
volle und dauernde Bereicherungen unseres Wissens bedeuten, wie die
„Untersuchungen über die früheste praegenitale Entwicklungsstufe der Libido“
[j2] und seine zwei Bücher „Versuch einer Entwicklungsgeschichte der
Karl Abraham
163
Libido auf Grund der Psychoanalyse seelischer Störungen“ [lOjJ und
„Psjxhoanalytische Studien zur Charakterbildung“ [106]. Als vierte und
letzte Gruppe fasse ich eine große Anzahl von kürzeren Artikeln zusammen,
die alle unsere Kenntnis der psychoanalytischen Theorie und Praxis er-
läutern, bestätigen oder erweitern.
Wenn wir Abrahams Schriften als Ganzes überschauen, fällt uns vor
allem deren außerordentliche Vielseitigkeit auf. Sie erstrecken sich über
das ganze Gebiet der Psychoanalyse und lassen nur wenige Stellen des¬
selben unbeleuchtet. Selbst solche Themen, die er am seltensten behandelt
hat, wie Homosexualität, Traumdeutung, Erziehung, werden in seinen
Schriften über andere Dinge so häufig gestreift, daß man die Überzeugung
gewinnen kann, auch hierin sei keines der in Betracht kommenden Probleme
seinem Interesse entgangen.
Die Reichhaltigkeit seiner Schriften läßt es zweckmäßig erscheinen, sie
in verschiedene Gruppen einzuteilen. Unserer Absicht wird es genügen,
fünf solcher Gruppen aufzustellen.
I) Zur Psychologie der Kindheit mit Einschluß der kindlichen Sexua¬
lität. Die ersten zwei psychoanalytischen Arbeiten [9, 10] Abrahams
beschäftigten sich mit den infantilen Traumen. Er bemühte sich von allem
Anfang an zu zeigen, daß nicht das Trauma an sich, sondern die Reaktion
des Kindes gegen dasselbe das Entscheidende sei. Er wies nach, daß das
wiederholte Erleben sexueller Traumen für manche Kinder geradezu eine
Art ihrer Sexualbetätigung darstelle, eine Einsicht, die bis dahin den Psy¬
chologen ebenso wie den Kriminalisten entgangen war. In demselben
Zusammenhang behandelte er unter besonderem Bezug auf die traumatischen
Neurosen die unbewußten zur Selbstbeschädigung oder zur Tötung führenden
Impulse gegen die eigene Person, ein Gegenstand, auf den er in der Folge
wiederholt zurückkam. Diese Impulse würden wir heute vielleicht eher
einer Feindseligkeit gegen das eigene Ich oder gegen ein aufgegebenes
Objekt, das dem Ich einverleibt wurde, zuschreiben. Er führte sie auf
unbewußten Masochismus zurück.
Von diesen seinen ersten Schriften gehen wir direkt zu einigen seiner letzten
und vielleicht bedeutsamsten analytischen Beiträgen über. Ich meine seine Ar¬
beiten über die praegenitalen Phasen der Libido. Schon im Jahre 1915 verrät
uns der Titel einer Mitteilung an die Berliner PsA. Vereinigung [41], daß die
Beziehungen zwischen Nahrungstrieb und Sexualtrieb seine Aufmerksamkeit
erweckt hatten; im Jahre 1916 folgte dann in derselben Richtung die
Arbeit, die als eine seiner beiden glänzendsten Leistungen bezeichnet
werden kann [42]. Auf Grund eines erstaunlich reichen Beobachtungs-
11'
164
Ernest Jones
materials, an dem er zeigen konnte, wie infantile orale Gewohnheiten
sich bis in das späte Alter erhalten, in dem ihre erotische Natur durch
direkte Selbstwahrnehmung bestätigt werden kann, gelang es ihm, Freuds
Annahme einer oralen Phase der Libido vollauf zu bestätigen. Er ging
von den Freudschen Begriffen „praegenital “und „kannibalistisch“ aus und
bereicherte unsere Kenntnis dieser Entwicklungsphasen außerordentlich,
insbesondere in Bezug auf die Erscheinungen, die sich im späteren Leben
davon ableiten. Die wichtigen Beziehungen, die er zwischen Oralerotik
einerseits und Schlaf und Sprache anderseits aufzeigte, sind in dieser Ver¬
bindung bemerkenswert. Viele Eßstörungen werden auf eine ähnliche
Quelle zurückgeführt. Er unterschied zwischen den Fällen, in denen eine
Trennung der zwei Formen der Mundbetätigung (Nahrungsaufnahme und
Sexualität), die zuerst so eng verbunden sind, zustande gekommen war und
jenen, in denen diese Verbindung bestehen blieb; er zeigte, daß die er¬
wachsenen Lutscher usw. zu der ersteren Gruppe gehören, d. h. sich in
einem vorgeschritteneren Entwicklungsstadium befinden als die Personen,
welche an neurotischen Störungen der Eßfunktion erkrankt sind, Die
klinischen Teile dieser Abhandlung über manisch-depressives Irresein werden
in einem anderen Zusammenhang später behandelt werden.
Die Fortsetzung dieser Arbeit, welche, erst vor einem Jahre erschienen,
die Form eines Buches [lOj] annahm, bietet einen solchen Reichtum
an Gedanken und Forschungsresultaten, daß ihr eine Inhaltsangabe nicht
gerecht werden kann. Sie ist Abrahams bedeutungsvollster Beitrag zur
Psychoanalyse. Er teilt darin die drei Hauptstadien der Libidoentwicklung in
je zwei Unterstufen: oral (1. Saugen, 2. Beißen); anal-sadistisch (1. Zerstören
und Ausstößen, 2. Beherrschen und Zurückhalten); genital (1. Partialbesetzung
oder phallisch, 2. Objektbesetzung). Keine dieser Unterabteilungen ist ganz
von Abraham gefunden worden; aber die eingehende, ausführliche Art, in
der er sie analysierte und ihre genauen Verbindungen untereinander zeigte,
bildet ein Meisterstück, für immer von hohem Rang in der psychoanalyti¬
schen Literatur. Mit van Ophuijsen gemeinsam klärte er die Probleme
der Objektbeziehungen des Kindes auf der Saugstufe (Einverleibung, Aus¬
stoßung usw.) auf und warf überhaupt ein helles Licht auf die dunkeln
Probleme des praegenitalen Sexuallebens.
Unter den anderen Beiträgen zum Studium der Kindheit mögen erwähnt
werden: sein Artikel „Einige Bemerkungen über die Rolle der Großeltern
in der Psychologie der Neurosen“ [40], „Psychische Nachwirkungen der
Beobachtung des elterlichen Geschlechtsverkehrs bei einem neunjährigen
Kinde“ [.'42 , vgl. auch 43, II, Teil/, „Zur narzißtischen Bewertung der
ExkretionsVorgänge in Traum und Neurose“ [6]], und eine Reihe hübscher
Karl Abraham
165
Beobachtungen über infantile Sexualtheorien [83, 94, 110, auch 38, 83
und 93] gehören zu dieser Gruppe.
II) Zur Sexualität. Abrahams Interesse für die praegenitale Entwick¬
lung umfaßte auch das Studium der Partialtriebe, aus denen sich die Sexu¬
alität des Erwachsenen entwickelt. In einem frühen Artikel „Bemerkungen
zur Analyse eines Falles von Fuß- und Korsettfetischismus“ [18] zeigte er,
wie die Riech- und Schaulust, sowie sadistische Tendenzen einen komplizierten
Verschränkungs- und Verschiebungsprozeß durchlaufen, bis sie zur Produk¬
tion einer manifesten Perversion führen.
Sein längster Einzelaufsatz handelte „Über Einschränkungen und Um¬
wandlungen der Schaulust bei den Psychoneurotikern nebst Bemerkungen
über analoge Erscheinungen in der Völkerpsychologie“ [43]. Auf Grund
eines reichen Beobachtungsmaterials, auf welches er seine Folgerungen
aufbaute, behandelt er hier die verschiedenen Formen der Angst und andere
Störungen in Bezug auf die Sehfunktion, sowie die neurotischen Erkran¬
kungen des Sehorgans selbst. Er führte die neurotische Lichtscheu auf
Verschiebungsvorgänge zurück, die von einer ambivalenten Einstellung zu
den elterlichen Genitalien, besonders denen des Vaters, ausgehen; ein Fall
von Hysterie und zwei Fälle von Dementia praecox werden in Verbindung
damit beschrieben und die therapeutischen Resultate dargestellt. Weitere
Themen in demselben Artikel sind: Augenschmerzen und andere neurotische
Symptome, die symbolische Bedeutung der Dunkelheit, Geister- und Sonnen¬
phobie und eine Anzahl von Problemen, die der angewandten Psycho¬
analyse angehören und die an geeigneter Stelle in diesem Zusammenhang
Erwähnung finden werden.
Ein Aufsatz, der mitten im Kriege geschrieben wurde, „Über Ejacu-
latio praecox“ [34] löste viele Probleme, die sich auf diesen Gegen¬
stand beziehen. Er zeigte hier, indem er seine Ansichten wieder durch
Beispiele aus seiner reichen klinischen Erfahrung illustrierte, wie dieses
Symptom von einer Fehlentwicklung der Urethralerotik ausgeht. Keinesfalls
stellt es aber einfach eine Fixierung an diese Form der Sexualität dar, da
es in der Onanie nicht vorkommt, sondern hängt mit einigen Zügen der
Objektbeziehung zusammen. Die Feigheit, welche für dieses Zustandsbild
charakteristisch ist, und die Angst, das Weib zu schädigen, weisen auf
verdrängten Sadismus hin. Diese Patienten haben eine narzißtische Über¬
schätzung des Penis als Harnorgan, wünschen in Gegenwart der Frauen
zu urinieren und reagieren auf die Geringschätzung, welche diese dem
Vorgang gegenüber zu zeigen scheinen, in feindlicher Art mit dem Impuls,
auf sie zu urinieren. Enttäuschte Liebe zur Mutter und infolgedessen
166
Ernest Jones
Feindseligkeit ihr gegenüber liefern den Schlüssel zum Verständnis der
Situation, wie so oft bei den Problemen, die Abraham studierte.
Ein anderer außerordentlich wertvoller Aufsatz beschäftigt sich mit der
entgegengesetzten Seite dieser Einstellung, d. h, mit der Feindseligkeit der
Frau dem Manne gegenüber, wie sie im weiblichen Kastrationskomplex,
nach Abrahams Bezeichnung, zum Ausdruck kommt [67]. Dieser Beitrag,
der besonders reichhaltig und gedankenvoll ist, ist die Grundlage unseres
Wissens von diesem dunkeln Gegenstand und hat bereits den Weg zu
späteren wichtigen Untersuchungen eröffnet. Abraham diskutiert zuerst
die verschiedenen Arten, wie das Mädchen auf die Anschauung, daß es
kastriert worden ist, reagiert, den Ersatz des Peniswunsches durch den
Wunsch nach einem Kinde (Freuds letzter Beitrag auf dem Homburger
Kongreß liefert hier die Bestätigung) usw.; dann unterscheidet er zwei
neurotische Typen, die sich indessen nicht scharf trennen lassen. Sie ent¬
stammen einerseits der Verdrängung des Wunsches, in positivem Sinne die
Rolle des Mannes zu übernehmen, anderseits der Verdrängung des Wunsches,
sich durch die Kastration des Mannes zu rächen; er nannte sie die Wunsch-
erfüllungs- und die Rachetypen. Diese Neurosenformen stellte er den mehr
positiven Erscheinungen in der Charakterbildung gegenüber, wobei die
erstere der weiblichen Homosexualität entspricht, die zweite einer archai¬
schen sadistischen Reaktion. Der Triebimpuls beim zweiten Typus ist der,
den Penis des Mannes abzubeißen oder zumindestens seine Potenz zu ver¬
ringern, indem er den Mann durch Frigidität und in anderer komplizierter
feindseliger Art enttäuscht, was ihn in eine verächtliche Situation bringen
soll. Diese Einstellung gipfelt logischer weise in einer starken Gering¬
schätzung des Penis und des Mannes überhaupt. Abraham zeigte die Ver¬
bindung dieses Komplexes mit verschiedenen neurotischen Symptomen, wie
Vaginismus, Enuresis, neurotische Konjunktivitis usw. und wies auch auf
die mannigfachen Wege hin, wie er die Objektwahl der Frauen beein¬
flussen kann. Schließlich stellte er dar, wie solche Frauen ihre komplex¬
bedingten Reaktionen auf ihre Kinder übertragen.
Abrah ams Beiträge zur analytischen Aufklärung der Liebesbeziehungen im
gewöhnlichen Sinne des Wortes sind weniger eingehend. In einer seiner ersten
Arbeiten [iß] zeigt er, wie Verwandtenehen oft Ausdruck einer Inzestfixie¬
rung sind, eine Tatsache, die für die erbliche Übertragung neurotischer
Dispositionen von Bedeutung ist. In Verbindung damit wies er auch (zu
gleicher Zeit wie Ferenczi) auf die Rolle hin, die solche Fixierungen in
der Ätiologie der psychischen Impotenz und Frigidität spielen. Einen anderen
Ausdruck der Fixierung glaubte er in der übertriebenen Tendenz zur Mono¬
gamie zu sehen. Einige Jahre später publizierte er ein Gegenstück zu dieser
Karl Abraham
167
Studie, in welchem er die entgegengesetzte Erscheinung der neurotischen
Exogamie behandelte [45]. Verschiedene andere Artikel [20> 22 > 2 ^, /jj,
97 9 98, IO 1 /, II2] beschäftigen sich auch mit dem Thema der Inzestfixie-
rung, das natürlich in allen seinen analytischen Arbeiten ausführlich be¬
rücksichtigt wurde. Andere Arbeiten über rein sexuelle Gegenstände sind:
„Über sadistische Phantasien im Kindes alter“ [21 „Eine besondere Form-
sadistischer Träume“ [)]], „Über Ohrmuschel und Gehörgang als erogene
Zone [46]\ »Zur Bedeutung der Analerotik“ [48]\ „Ergänzung zur Lehre
vom Analcharakter“ [jo] die später erwähnt werden und eine Anzahl
kürzerer Arbeiten [66, 86, 88, 8p, lOj].
III) Klinische Themen. Wie bei einem Kliniker vom Range
Abrahams zu erwarten, waren seine Beiträge auf diesem Gebiete von
besonderer Wichtigkeit. Der erste kennzeichnet einen Wendepunkt in un¬
serer Erkenntnis der Psychologie der Dementia praecox [ilj und die Diffe¬
renzierung zwischen Neurosen und Psychosen im allgemeinen. Man muß
sich darüber wundern, daß ein Psychiater von Beruf, wie er es war,
später niemals wieder zu diesem Gegenstände zurückkehrte; wahrscheinlich
war es deshalb, weil sein Interesse auf diesem Gebiete auf den Versuch
konzentriert war, eine andere Psychose zu enträtseln. Eifersüchtige Züricher
Kollegen beschuldigten ihn zu Unrecht, in dieser Abhandlung seine Dankes¬
schuld Jung gegenüber nicht genügend anerkannt zu haben, aber die
Ereignisse haben klar gezeigt, daß Jung die Hauptidee des Aufsatzes, die
nach Abrahams eigener Erklärung aus einem Gespräche mit Freud (seinem
ersten) stammte, niemals annahm. Diese Idee war, daß Störungen der
Ichfunktionen rein sekundär gegenüber Störungen auf libidinösem Gebiete
sein können. Eine Einsicht, die es ermöglicht hat, Freuds Libidotheorie
zur Erklärung der Dementia praecox heranzuziehen. Nachdem er die Beziehung
zwischen Sublimierung und Übertragung erörtert hatte, wies er darauf hin,
daß die Dementia praecox die Fähigkeit für beide verringert und daß die
sogenannte Demenz einfach das Resultat dieser Umstände ist. Die Libido ist
dabei von den Objekten abgezogen — im Gegensatz zur Hysterie, wo eine
übertriebene Objektbesetzung stattfindet — und auf das Ich übertragen.
Er führte auch den Verfolgungs- und Größenwahn darauf zurück; letzterer
sei der Ausdruck der autoerotischen Selbstüberschätzung (später Narzißmus
genannt). Im Gegensatz zur Hysterie ist die psychosexueile Eigentümlich¬
keit der Dementia praecox eine Entwicklungshemmung in der Phase des
Autoerotismus und eine daraus folgende Tendenz zur Regression auf dieselbe.
Abrahams wichtigster Beitrag zur Psychopathologie sind vielleicht
seine drei systematischen Arbeiten über manisch-depressives Irresein. Der
168
Ernest Jones
glänzende Artikel Freuds auf demselben Gebiete und die überraschende Art,
in der er den Schlüssel zum ganzen Problem fand, haben zweifellos die
Anerkennung, die Abraham verdiente, etwas geschmälert, wie immer,
wenn ein Genie neben ein Talent gestellt wird. Ein rein zufälliger Um¬
stand kam hinzu: „Trauer und Melancholie^ wurde nämlich zu einer Zeit
geschrieben, da Freud sich darin noch nicht auf einige wertvolle Funde
berufen konnte, die Abraham kurz vorher gemacht hatte, obwohl Freuds
Arbeit infolge der Kriegsverhältnisse tatsächlich erst ein Jahr später als
diese veröffentlicht wurde. Keine Arbeit Abrahams spiegelte seine wissen¬
schaftlichen Charakterzüge, sowohl seine Fähigkeiten als auch seine Be¬
grenzungen besser als diese über das manisch-depressive Irresein. Es war auch
dieses Studium, das ihn offenbar stärker anzog als irgend ein anderes,
obwohl es wahrscheinlich ist, wie der Titel von zweien (dieser drei Ar¬
beiten andeutet, daß er sich mehr für die Aufklärung interessierte, welche
man aus dieser Krankheit für gewisse frühe Stadien der Libidoentwicklung
gewinnen kann, als für die klinischen Fragen selbst.
In seiner ersten Arbeit (Ansätze etc., 26), die am Weimarer Kongreß
im Jahre 1911 vorgetragen wurde, ging Abraham von der Annahme aus,
daß Depression in einer ähnlichen Beziehung zur Trauer stehe wie die
Angst zur Furcht, und kommt zum Schlüsse, daß die Lebens Verneinung
das Resultat eines Verzichtes auf das sexuelle Ziel darstellt. Er berichtet
sechs Fälle, in welchen er immer klinische und psychologische Züge fand,
welche denen der Zwangsneurose sehr verwandt sind. So zeigten die
Patienten viele charakteristische Symptome dieses Zustandes im sogenannten
freien Intervall und in beiden Krankheiten besteht eine gegenseitige
Lähmung von Liebes- und Haßtendenzen. Im manisch-depressiven Irresein
zeigt die Libido eine überwiegende Haßeinstellung. Es ist, wie wenn der
Patient sagte: „Ich kann die Menschen wegen meines Hasses nicht lieben;
das Ergebnis ist, daß ich gehaßt werde ; deshalb bin ich deprimiert und
hasse wieder . u (Wiederkehr des verdrängten Sadismus.) Das Schuldgefühl
sowie das Gefühl der Versündigung entsprechen verdrängtem Hasse. Die
Verarmungsidee ist ein Ausdruck derselben Tatsache. (Geld-Liebe.) In der
Manie bewältigen die Komplexe die Hemmungen und der Patient kehrt
zu dem unbekümmerten Zustand der Kinderzeit zurück. Abraham
berichtet über die guten Wirkungen seiner therapeutischen Bemühungen
und meint, sie ließen die Hoffnung rechtfertigen, daß es der Psychoanalyse
Vorbehalten sein werde, die Psychiatrie von dem Alp des therapeutischen
Nihilismus zu befreien.
Seine Behandlung dieser klinischen Fragen ist in dem zweiten Beitrag
(„Untersuchungen über die früheste praegenitale Entwicklungsstufe der
Karl Abraham
169
Libido“ 52), mehr beiläufig, aber um nichts weniger wichtig. Er erkannte
hier die orale Fixierung in der Melancholie klar und konnte eine Anzahl
klinischer Züge auf dieser Grundlage aufklären. Die Nahrungsverweigerung
ist z. B. durch die Regression zu der alten Verbindung von Essen und
Oralerotik verursacht; ebenso die Angst zu verhungern. Ebenso konnte er
die Unterschiede zwischen manisch-depressivem Irresein und der nahe
verwandten Zwangsneurose in den Ausdrücken der praegenitalen Libido¬
organisation formulieren. In diesem Zustand mit seiner anal-sadistischen
Fixierung ist die Einstellung gegenüber dem Objekt die des Beherrschern,
dagegen in jenem die der Vernichtung durch Verschlingen (spätes orales
Stadium). Der überraschendste Zug der Melancholie, die starken Selbst¬
vorwürfe und Selbstherabsetzungen betrachtet Abraham als Selbstbestrafung,
verursacht durch die Zurückweisung der verdrängten kannibalistischen
Strebungen. Er hatte darin teilweise recht, denn eine bestimmte Anzahl
dieser Symptome entstammt einem solchen Schuldbewußtsein, aber es
gelang ihm nicht, eine weit wichtigere Beobachtung zu machen, die nach
Freud „nicht einmal schwer anzustellen ist“ : diese Anklagen sind haupt¬
sächlich gegen das Urbild des verlorenen Liebesobjekts gerichtet, das im
Ich aufgerichtet worden war. In einem späteren Aufsatze schildert er, wie
schwierig es ihm fiel, diesen Punkt zu verstehen, als er ihn zuerst in
Freuds Artikel las, und gab eine persönliche Erklärung für seine
Hemmung; es ist kaum anzunehmen, daß die Erklärung eine vollständige
war. Für einen Mann von einem starren ethischen Maßstab wie dem
seinem war es sicherlich leichter, die Tatsache zu erfassen, daß eine Per¬
son sich selbst schweres Leid als Bestrafung für feindliche Wünsche gegen
ein Liebesobjekt zufügt, als zu glauben, daß sie eigentlich das Abbild dieses
Liebesobjektes weiter quält.
Seine dritte und vollständigste Studie über das Problem [löj] trug Freuds
epochemachendem Artikel voll Rechnung und Abraham konnte alle Resul¬
tate Freuds in den Einzelheiten bestätigen und sogar einige davon ergänzen.
Er stellte die Objekteinverleibung, auf die Freud aufmerksam gemacht
hatte, mit dem Impuls zu verschlingen, der aus dem Oralstadium stammt,
zusammen, und entwickelte in Verbindung damit einige interessante An¬
sichten über den Introjektionsprozeß überhaupt. Die Tatsachen, daß der
Melancholische im freien Intervall zum Niveau der Zwangsneurose (d. h.
zum anal-sadististischen Stadium) vorrücken kann, ferner daß —- ein wesent¬
licher Unterschied zwischen den beiden Erkrankungen — der Melancho¬
liker seine Objektbesetzung aufgibt, während der Zwangskranke sie bei¬
behält (Freud), brachte ihn zu der Folgerung, daß die anal-sadistische
Phase zwei Phasen umfassen muß (vgl. oben). Er meinte, daß die Unter-
170
Ernest Jones
scheidungslinie zwischen diesen beiden Phasen von großer praktischer Be-
deutung für die Psychiatrie sein könnte, da sie den Punkt angibt, wo die
wirkliche Objektbeziehung einsetzt und so auf eine der hauptsächlichsten
Unterschiede zwischen Neurose und Psychose hinweist. Er suchte die Ätio¬
logie des manisch-depressiven Irreseins in einer starken konstitutionellen
Oralerotik, mit einer speziellen Fixierung an diese Phase, durch schwere
Enttäuschungen in der Beziehung zur Mutter verursacht; er unterschied
zwischen Täuschungen dieser Art, soweit sie sich vor, während und nach
der Ödipusphase ereignen. Der Haß des Melancholikers ist hauptsächlich
gegen die Mutter gerichtet, aber an einer späteren Stelle bemerkt Abra¬
ham, daß ein Stück davon sich ursprünglich auf den Vater bezog,
da in dieser Störung eine ungewöhnliche Tendenz zur Inversion des
Ödipuskomplexes vorhanden ist. Dieser Zug und die Ambivalenz in Bezug
auf beide Eltern führt zu komplizierten Introjektionsformen; er konnte
zwischen Anklagen, die von einem dieser Liebesobjekte gegen das Ich aus¬
gehen und solchen, welche vom Ich gegen das Objekt gerichtet werden,
unterscheiden; die letzteren sind natürlich die wichtigen und charak¬
teristischeren.
Abraham zog eine interessante Parallele zwischen Melancholie und
den Vorgängen der archaischen Trauer, wie sie von Röheim beleuchtet
wurden. Er warf ferner ein klares Licht auf den dunkeln Gegenstand des
merkwürdigen Ablaufes im manisch-depressiven Irresein.
Er betrachtete die Objekteinverleibung in der oralen Phase als teilweise
bestimmt durch die Bemühung, es vor Vernichtung zu bewahren und
meinte, daß dann, wenn sich die sadistische Rachsucht ausgetobt hat, das
Liebesobjekt auf analem Wege wieder ausgestoßen wird. Er zeichnete ein
Bild dessen, was er die „Urverstimmung“ der Kinderzeit, den Vorläufer
der späteren Melancholie, nannte, und meinte, daß Kranke, die eine Manie
ohne vorangehende Melancholie zeigen, noch damit beschäftigt sind, die
Urverstimmung und das gesteigerte sexuelles Begehren, das — wie es besonders
die primitiven Trauerriten zeigen — der Trauerarbeit folgen kann, abzu¬
schütteln.
In einer frühen Arbeit „Über hysterische Traumzustände“ [ij] brachte
Abraham dieses von Löwenfeld beschriebene Syndrom mit Freuds
Arbeit über hysterische Anfälle in Beziehung und führte seinen Ursprung
auf verdrängte Onaniephantasien zurück. Solche Patienten verweilen im
Stadium der Vorlust, weil die Endlust mit Angst verbunden ist. Er be¬
richtet sechs Fälle dieser Art. In einem von diesen konnte er das Symptom
der Makropsie auf eine Regression zur Kindheit zurückführen. Sein Stu¬
dium dieser Zustände zeigte eine Verbindung zwischen Auto- und Hetero-
Karl Abraham
171
Suggestion auf, da er nachweisen konnte, daß die Anfälle entweder ganz
spontan oder in Gegenwart von Personen, von denen sich die Patienten
hypnotisch beeinflußt fühlen, auftreten. Mehrere von Abrahams kurzen
Artikeln galten dem Thema des Phantasielebens und seine hübsche Analyse
»Vaterrettung und Vatermord in den neurotischen Phantasiegebilden“ [~]6]
ist hier besonders erinnernswert.
Abraham publizierte zwei Artikel über lokomotorische Angst [)9 und 44 ];
er hatte selbst in seiner Jugend unter leichten Symptomen dieses Zustandes
gelitten. Er zeigte, daß der sexuelle Ursprung der Angst dadurch bewiesen
werden kann, daß man sie therapeutisch zurückverwandelt, wo dann dieselben
Patienten einen ungewöhnlichen Genuß in der (aktiven und passiven) Be¬
wegung finden. In demselben Artikel beleuchtete er das bekannte Symptom
der „Angst vor der Angst“, indem er es mit der Verdrängung der Vorlust
in Zusammenhang brachte.
Seine Kriegserfahrungen ermöglichten es ihm, die Anschauung vom
narzißtischen Ursprung der Kriegsneurosen, wie sie der Autor dieses Artikels
ausgesprochen hatte, unabhängig zu bestätigen // 77 , wie dies Ferenczi
kurze Zeit nachher gleichfalls tat. Man hat der psychoanalytischen Arbeit oft
den Vorwurf der Subjektivität gemacht; deshalb möge dieser Fall als Be¬
weis des Gegenteils angeführt werden. Beobachter, die sich völlig neuen
Problemen gegenübersahen, in verschiedenen Ländern, durch die Kriegs¬
verhältnisse voneinander abgeschnitten, untersuchten dieselben Fragen und
kamen zu denselben wesentlichen Ergebnissen. In einer Diskussion über
Ferenczis Arbeit über den Tic sprach Abraham die interessante An¬
sicht aus, daß diese Krankheitsform ein Konversionssymptom auf der anal¬
sadistischen Phase darstellt, das den Symptomen der Konversionshysterie
auf phallischer Phase entgegengestellt werden kann.
Abrahams Beiträge zu therapeutischen Themen waren wenige, aber
wichtige. Der hauptsächlichste war sicher seine Studie „Über eine besondere
Form des neurotischen Widerstandes gegen die psychoanalytische Methode“
[j8J. Es sind meistens Zwangsneurotiker, die einen hohen Grad narzi߬
tischen Trotzes zeigen; sie versuchen, der Übertragung dadurch auszuweichen,
daß sie sich mit dem Analytiker identifizieren. Sie bestehen darauf, ihre Analyse
selbst zu leiten, welche Tendenz Abraham mit anal-sadistischen Reaktionen
in Zusammenhang bringt. Das Onanieverbot spielt in der Ätiologie solcher Fälle
eine wichtige Rolle. Abraham erörtert in lehrreicher Art die spezielle thera¬
peutische Technik, die bei diesem schwierigen Typus angebracht erscheint.
Sein Artikel „Zur Prognose psychoanalytischer Behandlungen in vorge¬
schrittenem Lebensalter“ [62] darf in dem Satze zusammengefaßt werden,
daß die Prognose mehr vom Alter der Neurose (d. h. dem Alter des
172
Emest Jones
Patienten, in dem die Neurose schwer wurde), als vom aktuellen Alter des
Patienten abhängt. Immerhin sind spezielle Maßregeln in diesen Fällen in
vorgeschrittenem Lebensalter notwendig; so z. B. ein aktiveres Verhalten
und Nachhilfe von seiten des Analytikers. In diesem Zusammenhänge mag
auch die klare Art erwähnt werden, mit der er den Wert von Freuds Rat,
die Patienten nicht zu ermuntern, ihre Träume vor der Analyse aufzu¬
schreiben, dargetan hat [)j]* Abrahams Arbeit über die Behandlung
psychotisch Erkrankter ist die beste, die wir bisher besitzen und er muß
sicherlich als ein Pionier auf diesem schwierigen Gebiete betrachtet werden.
Er zeigte einen seltenen Skeptizismus und kritische Ehrlichkeit im Bericht
seiner Resultate [26, I0$], und wies auf aufschlußreiche Kriterien (z. B.passa-
gere Symptome) hin, die bestimmen ließen, im welchem Ausmaß eine wirk¬
liche Veränderung im geistigen Zustande der aktuellen, therapeutischen
Bemühung des Arztes zuzuschreiben ist. Er zeigte, daß manisch-depressives
Irresein in günstigen Fällen durch Analyse entscheidend beeinflußt werden
kann und erwartete weitere Fortschritte in dieser Richtung.
Für die Probleme des Alkoholismus und der Süchtigkeiten hatte Abraham
ein besonderes Interesse. Die Arbeiten, die er in seiner präanalytischen Zeit,
abgesehen von denen, die ihm offenbar durch die Interessen seines Lehrers
nahegelegt wurden, schrieb, handelten fast nur über Giftwirkungen [) und 4],
Sein früher Artikel über „Die psychologischen Beziehungen zwischen Se¬
xualität und Alkoholismus“ [12] 'zeigte die wesentliche Natur der Verbindung
zwischen den beiden und begründete unser ganzes späteres Wissen über
diesen Gegenstand. Der einzige wirklich wichtige spätere Beitrag, der zu
dem Thema geliefert wurde, betraf die innere Beziehung zwischen Alko¬
holismus und Homosexualität, auf welche Beziehung Abraham — seltsam
genug — nur mit Bezug auf die Frauen verwiesen hatte. Er erkannte
auch die homosexuelle Basis des alkoholischen Eifersuchtswahnes nicht,
den er nur als Verschiebung der Schuld auf den Partner auffaßte. Er
zeigte aber, daß es das Motiv zum Trinken war, durch Aufhebung der
Verdrängungen und Sublimierungen zeitweilig die Potenz zu erhöhen und
daß der Alkohol ferner den Trinker durch Verringerung seiner Potenz
betrügt. Er enthüllte auch die unbewußte Gleichsetzung des Alkohols mit
dem Samen und der Spritze mit dem Penis. Die Verbindung zwischen
Morphinismus und verdrängter Sexualität wurde in demselben Beitrage
ebenso betont wie an späteren Stellen [ 17, S. 14; J2, S. 847, wo die orale
Grundlage des Rauchens und des Morphinismus dargestellt wurde.
Die zahlreichen Mitteilungen über klinische Themen [24, }I, }2, }6,
49 > Jf> 68, 71, 90, 91, 104, 111] enthalten meistens wichtige Beobach¬
tungen und Anregungen. Man kann bemerken, daß Abrahams Interesse
Karl Abraham
173
für Zwangsneurosen größer gewesen zu sein scheint, als das für Hysterie.
Ein klinischer Artikel über die Lehren Coues [l Ij], der mir gegenwärtig
nicht vorliegt, soll aus dem Nachlaß Abrahams zu gleicher Zeit wie
dieser Artikel veröffentlicht werden.
IV. Allgemeine Themen. — Seine Charakterforschung war weitaus die
wichtigste Arbeit allgemeiner Natur, die Abraham zur Psychoanalyse
beitrug. Zwei von den drei Studien wurden einzeln veröffentlicht und
dann alle drei in einem Band publiziert [106]. In seinem Artikel über den
Analcharakter förderte Abraham die ausgiebige Arbeit, die bereits über
diesen Gegenstand geleistet wurde, weiter und fügte eine Reihe frischer
Beobachtungen von beträchtlichem klinischen und charakterologisehen Werte
bei. Wir wollen besonders auf die zwei Typen von außerordentlicher Ge¬
fügigkeit und ebensolchem Trotz, die beide in derselben Person vorhanden
sein können, hinweisen, die er unterschied. Er zeigte auch, wie die beiden
Typen auf die analytische Situation reagieren: der zweite produziert einen
Widerstand, der jenem in anderer Verbindung beschriebenen [j8, siehe
oben7, charakteristischen sehr ähnlich ist, während der erste darauf besteht,
daß der Analytiker die ganze Arbeit selbst leiste; in beiden Fällen ist das
Resultat der Versuch der Ablehnung, auf freie Assoziationen einzugehen.
Auch die Einzelheiten der Regression von der genitalen zur Analstufe
werden in klarer Art behandelt.
Die zweite Arbeit „Beiträge der Oralerotik zur Charakterbildung“ war
eine der originellsten Beiträge Abrahams zur Psychoanalyse. Die indirekten
Wirkungen der Oralerotik im späteren Leben werden zum großen Teil
durch ihre Verbindung mit der Analerotik hervorgerufen und Abraham
zeigte hier, wie ursprünglich die dreifache Beziehung zwischen den Tätig¬
keiten des Erlangens, Behaltens und Ausgebens ist, deren Ökonomie bei
verschiedenen Personen variiert. Direkte Befriedigung der Oralerotik ist
natürlich dem Erwachsenen in einem beträchtlichen Ausmaße erlaubt, so
daß die Sublimierung geringer ist als bei anderen erogenen Zonen.
Die typischeste Form der Sublimierung scheint der Charakterzug des
Optimismus zu sein, den Abraham selbst in einem hohen Grade besaß;
diesem steht die Ernsthaftigkeit und der Pessimismus gewisser analer
Typen, besonders derjenigen, die mit einer frühen Enttäuschung der Oral¬
erotik verknüpft sind, gegenüber. Wenn diese Enttäuschung während der
zweiten Beißphase des Oralstadiums vorfällt, wird das spätere Liebesieben
durch starke Ambivalenz infolge der hartnäckigen kannibalistischen und
feindlichen Haltung gegenüber der Mutter charakterisiert sein. Abraham
warf auch ein helles Licht auf die Genese und gegenseitige Beziehung
174
lirnest Jones
anderer Züge der oralerotischen Verschiebungsprozesse, besonders Habsucht,
Neid, Sparsamkeit, Geiz und Ungeduld.
Der dritte Aufsatz dieser Reihe behandelte die Charakterentwicklung
auf der genitalen Stufe und beschäftigt sich so mit den Problemen der
Normalität. Abraham entsagt jedem Versuch, absolute Normen in dieser
Richtung aufzustellen und setzt die Unmöglichkeit eines solchen Versuches
ausführlich auseinander: nichtsdestoweniger gab er uns einen sehr wich¬
tigen Gesichtspunkt durch die Untersuchung, welche von den praegenitalen
Zügen am spätesten aufgegeben werden. Er fand, daß der strengste Weg,
die genitale Normalität festzustellen, der sei, das Ausmaß genau zu be¬
stimmen, in dem der einzelne seinen Narzißmus und seine Ambivalenz-
emstellung, die sich durch die meisten früheren Stadien erhält, überwunden
hat. In der Erörterung der Wichtigkeit der zielgehemmten Gefühle von
genitaler Abkunft für eine befriedigende soziale Beziehung zur Außenwelt
verweilt Abraham mit Nachdruck auf der Notwendigkeit der Liebe in
der Kindheit und den schädlichen Wirkungen, die entstehen können, wenn
das Kind zu wenig von dieser wichtigen Nahrung erhält.
In Verbindung damit mag vielleicht Abrahams Versuch, das Problem
der Trauer zu lösen, erwähnt werden [l0$]. Auch diese hat seiner Meinung
nach eine wichtige Beziehung zu oralen Einstellungen. Während Freud
die allmähliche, schmerzvolle Zurückziehung des Ichs vom Liebesobjekt
unter den Anforderungen der Realität betont, schenkte Abraham der
Einverleibung dieses Objektes mehr Aufmerksamkeit und meinte, diese
gehe durch orale Mechanismen vor sich. (Es ist aber jedenfalls zweifel¬
haft, ob dies ein regelmäßiger Prozeß innerhalb der Trauerarbeit ist.)
Als allgemeiner Beitrag zur Psychoanalyse müssen auch die zahlreichen sozia¬
len Beziehungen, die zu Abrahams Arbeit über den weiblichen Kastrations¬
komplex gehören, erwähnt werden [6j siehe oben/. Diese werden in Zu¬
kunft soziologisch von großer Wichtigkeit sein und in ihrer Weiterent¬
wicklung wird der Anteil Abrahams an ihrer Aufspürung nicht ver¬
gessen werden.
Abrahams Beiträge zu unserer Kenntnis der individuellen Symbolik
sind ziemlich zahlreich und sind größtenteils bereits in den allgemeinen
gesicherten Besitz der Wissenschaft übergegangen. Es seien von ihnen
hervorgehoben: Haus und Garten als Symbole der Mutter, neues Haus
als das für eine fremde Frau oder für kleines Kind [25 und 96], Schlange
als Symbol des Penis des Vaters, mit Todesangst als Ausdruck der väter¬
lichen Drohung [)2j ; Spinne als Symbol der gefürchteten Mutter [80J;
seine schöne Analyse des „Dreiweges“ in Verbindung mit der ödipussage
ebenso wie die der Nummer drei [j6 und 82]; Dunkelheit (oder alle
Karl Abraham
175
Mysteriöse und Dunkle) als ein Symbol für den Mutterleib (mit Einschluß
der Eingeweide) [47]. Abraham bestätigte Stekels Beobachtungen über
die determinierende Kraft des Namens [28], ohne hier viel Neues hinzu¬
zufügen. Er brachte auch mehrere Beiträge zur Psychopathologie des All-
tagslebens, sowohl in seinen klinischen Arbeiten zerstreut, als auch in
besonderen kleinen Veröffentlichungen (z. B. 78 und 7^).
V. Angewandte Psychoanalyse. — Abrahams erste Arbeit auf
diesem Gebiete war von historischer Bedeutung [14], denn sie erÖffnete den
Weg für viele spätere Forschungen, die in Anwendung der Psychoanalyse
auf die Mythologie von Otto Rank, Theodor Reik und anderen aus¬
geführt wurden. Sie war natürlich hauptsächlich durch die Ödipusanalyse
in der „Traumdeutung“ angeregt worden. Indem er den Versuch, Träume
und Mythen, die ja beide Produkte der menschlichen Phantasie sind, zu
vergleichen, rechtfertigte, zeigte er die weitgehenden Verbindungen zwischen
den beiden. Bei beiden ist das Wesentliche der Phantasie eine Wunsch¬
erfüllung und die Wünsche in beiden sind unbewußt und infantil. Die
Egozentrizität des Einzelnen in dem einen entspricht der Egozentrizität
des Volkes im anderen Phänomen. Die Erscheinungen der Zensur, Ver¬
drängung und der Wortneubildungen sind beiden gemeinsam, ebenso die
Mechanismen der Verdichtung, Verschiebung und sekundären Bearbeitung.
Er erläuterte diese Ergebnisse durch eine Nebeneinanderstellung einiger
Traumanalysen mit einer sehr interessanten Studie über Prometheus und
den Mythus vom Göttergetränk; dabei wurde die sexuelle Natur dieses,
Nektar, Soma und Ambrosia, klar dargestellt. Abraham, der seine
philologischen Kenntnisse gut zu verwerten wußte, wies auf die Ähnlich¬
keit zwischen den ethymologischen und psychoanalytischen Gesichtspunkten
hin und zeigte, wie unsere Kenntnis der Symbolik von der Forschung
auf dem einen ebensowohl als von der auf dem anderen Gebiete abgeleitet
werden könnte. Seine Schlußfolgerung war: „Mythen sind Überbleibsel aus
dem infantilen Seelenleben des Volkes und Träume stellen die Mythen
des Einzelnen dar.“ Die allgemeine Gültigkeit des Determinismus im
Seelenleben wurde mit Nachdruck behauptet. Das Buch ist mit außerordent¬
licher Geschicklichkeit geschrieben und zeigt Abrahams Klarheit und Ein¬
fachheit im besten Lichte; obwohl sein Inhalt jetzt in psychoanalytischen
Kreisen zur Gänze bekannt ist, ist es doch noch ein Vergnügen, es wieder
zu lesen und die Fähigkeit Probleme klarzustellen, die Abraham in hohem
Maße besaß, zu genießen.
Abrahams nächste Arbeit auf diesem Felde, ebenfalls in Buchform,
war seine interessante Studie über Segantini fßOj.
176
Ernest Jones
Es war das erstemal, (nach Freuds „Leonardo“)* daß ein Versuch
gemacht wurde, die Persönlichkeit eines Malers zu analysieren und in den
Einzelheiten die unbewußten Neigungen des Malers mit seiner Themen¬
wahl, Komposition und Darstellungsart zu verknüpfen. Er zeigte den
enormen Einfluß, den die Mutter des Malers auf dessen Leben und Werk
ausübte, und konnte in den Einzelheiten die ambivalente Einstellung
von Haß und Liebe, die der Maler ihr gegenüber hatte, nachweisen. Wir
haben hier wiederum eine Studie der „bösen Mutter“. Die Schlußseiten
dieses Buches enthalten eine bemerkenswerte Vorahnung der Freud sehen
Konzeption des Todestriebes in seiner Erforschung der unbewußten Motive,
die zur Selbstzerstörung führen. Abrahams Interesse in dieser Studie
galt offenbar eher der Psychologie des Künstlers als der Psychologie der
Kunst selbst, aber in einer späteren Arbeit [lOO], die leider nie publiziert
wurde, behandelte er die Frage der Tendenzen in der modernen Kunst
vom psychoanalytischen Gesichtspunkte aus.
Abrahams Analyse Amenhoteps IV. (Echnaton) [)4] ist nicht nur an
sich interessant, sondern als die erste Gelegenheit bemerkenswert, bei der
gezeigt wurde, wie eine Kenntnis der Psychoanalyse zur Klärung rein
historischer Probleme beitragen konnte. Es mag als verzweifeltes Unter¬
nehmen erschienen sein, die Psychoanalyse von jemanden unternehmen zu
wollen, der vor etwa dreiundzwanzig Jahrhunderten starb, aber Abrahams
sorgfältige Studie hatte nichts Hypothetisches an sich und die Ergebnisse,
die er fand, werden kaum anfechtbar sein. Echnaton, „der erste Große
im Reiche des Geistes, von dem die Geschichte der Menschheit meldet“,
war ein Vorläufer der christlichen Verkünder der Lehre der Liebe und
ein Revolutionär der Moral, der seinen Haß nur für seinen Vater reser¬
vierte. Abraham konnte zeigen, wie alle Neueinführungen, Bilderstürme
und Reformen Echnatons direkt auf die Wirkungen des Ödipuskomplexes
zurückgeführt werden konnten,
Abrahams umfassende Erziehung und allgemeine Bildung werden in
vielen seiner psychoanalytischen Studien gut verwertet. In seiner bis in
Einzelheiten gehenden Erforschung der Schaulust [43, siehe oben 7 erläuterte
er seine allgemeinen Ergebnisse mit Hilfe einer Menge von mythologischem
und folkloristischem Material. Sein Vergleich von Glaubens- und Furcht-
erscheinungen in Bezug auf die Sonne und die Geister in diesem Aufsatz
war geradezu vollendet und darin war auch klar die Ambivalenz der Motive
nachgewiesen, welche die Menschheit dazu führte, den Vater auf den
Himmel zu verpflanzen. (Erhöhung und Verbannung in eine Entfernung.)
In demselben Artikel lieferte er einen lehrreichen Beitrag zu unserer
Kenntnis der Sublimierung in Wissenschaft, Philosophie und Religion,
Karl Abraham
177
indem er zeigte, wie die beständige Beschäftigung mit Lösungsversuchen
von Fragen, die nicht beantwortet werden können, wie die, welche mit
dem Ziel des Lebens, der Länge des Lebens und des Zustandes nach dem
Tode zu tun haben, größtenteils das Ergebnis unbewußter Verschiebung
von Fragen sind, die nicht beantwortet werden dürfen oder die man zu
beantworten nicht wagt.
Derselbe weite Umfang seiner Bildung kam in einer Anzahl kurzer
Artikel auf dem Gebiete angewandter Psychoanalyse zum Ausdruck, wie
etwa in dem Aufsatze über die Bedeutung der „Versöhnungstag“riten [64],
den Bemerkungen über die russische Sekte der Joniverehrer [24], der klugen
Analyse der Einzelheiten in der Ödipusmythe [76 und 82] und vielen
anderen [29, 56, 4% 64, 69, 84]. Die letzte von Abraham publizierte
Arbeit [95], eine sehr interessante Studie über einen Hochstapler, dem er
begegnet war, war ein gedankenreicher Beitrag zu einem der Hauptprobleme
der Kriminologie.
Zusammenfassung. — Versucht man in einigen Worten die wesent¬
lichen Charakteristika in Abrahams Schriften zusammenzufassen, wird
man von dem Merkmal der Vielseitigkeit, das in der vorliegenden Über¬
sicht für sich selbst spricht und der allgemeinen Vorzüglichkeit, die in
seinen Schriften im Durchschnitt hervortritt, ausgehen; kaum etwas von
dem, was er schrieb, war von nur ephemerem Werte und seine Arbeit
war durchaus gekennzeichnet durch die wertvollen Eigenschaften der
Nüchternheit, des vorsichtigen Skeptizismus und des klaren Urteils.
Diese Gleichmäßigkeit in der Art darf vielleicht mit einem wichtigen
Zug in Abrahams Denkweise, nämlich seiner beständigen biologischen
Orientierung in Beziehung gebracht werden. Diese gab ihm einen gefestig¬
ten Hintergrund für seine ganze Arbeit und lieferte ein Kriterium, an
dem die innere Wahrscheinlichkeit oder Gültigkeit jedes allgemeinen Er¬
gebnisses gemessen werden konnte. Man darf den Gedanken aussprechen:
in mannigfacher Art wird Abraham in der Psychoanalyse vermißt
werden; die aber, welche die schwerwiegendsten Konsequenzen für die
Zukunft haben mag, wird mit diesem Zuge in Verbindung stehen. Die
Psychoanalyse ist noch nicht zu dem entscheidendsten Wendepunkt ihrer
Entwicklung gelangt, obwohl sie andere, vorläufige, glücklich hinter sich
hat. Doch der wird kommen; wahrscheinlich innerhalb der nächsten
zwanzig Jahre, wenn sich die Frage der Eingliederung der Psychoanalyse
in das allgemeine Gefüge der Wissenschaft ernsthaft erheben wird. Da
wird die schwerste Probe an die junge Wissenschaft herantreten, denn
viel wird von der Entscheidung abhängen, ob sie durch einen Prozeß
partieller Annahme und beständiger Verdünnung absorbiert werden wird
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XII/2.
12
178
Ernest Jones
oder ob sie genügende Lebenskraft zeigen wird, ihre wesentlichen Eigen¬
schaften beizubehalten und sie den anderen Wissenszweigen zu verleihen,
mit denen sie in Berührung kommt. Gerade in dieser Aufgabe, die vor
uns liegt, wären Abrahams charakteristische Eigenschaften unzweifelhaft
von besonderem Werte gewesen, denn er besaß einen weiten und gesunden
Überblick über Wissenschaft und Leben als ein Ganzes, der in einem
seltenen Grade mit einer besonderen Erkenntnis gerade der Tiefen der
psychoanalytischen Wahrheiten verbunden war.
Wenn man seine originellen Beiträge studiert, wird man überrascht das
Übergewicht von Themen konstatieren, die sich auf die praegenitalen Ent¬
wicklungsstufen, mit Einschluß der Autoerotik und der Partialtriebe und
auf das Element des verdrängten Hasses, besonders der Mutter gegenüber,
beziehen. Das letztere erscheint immer wieder in seinen Arbeiten und
überwiegt bei weitem seine Beiträge auf dem Gebiete der Liebe, der Über¬
tragung und verwandter Probleme. Es ist in gleicher Art bemerkenswert,
daß ein Kliniker von erstem Rang wie er, ein Mann, dem der klinische
Gesichtspunkt immer als der vorherrschende galt, weniger zu unserer
Kenntnis rein klinischer Probleme, wie etwa der Fragen der Übertragungs¬
neurosen oder selbst der Psychosen (trotz seiner Arbeit über das manisch-
depressive Irresein, welche die hervorragendste auf diesem Gebiete war),
beitrug, als zu den genetischen Problemen der Libidoentwicklung. Es ist
wahrscheinlich, daß man ihn länger wegen seiner genetischen Arbeiten, als
wegen seiner Schriften auf klinischem Gebiete, in Erinnerung behalten wird.
Wollte man Abrahams wichtigstes Einzelwerk auswählen, trotzdem
man nie die Mannigfaltigkeit seiner Beiträge zu allen Richtungen der
Psychoanalyse vergessen wird, so wäre es wahrscheinlich das über Oralerotik.
Hier sind ihre mannigfaltigen Äußerungsformen vollständig beschrieben,
ihre innere Entwicklung ebenso wie ihre Auswirkung bis in die folgenden
libidinösen Phasen dargestellt, ihre Verbindung sowohl zur Liebe als auch
zum Haß gezeigt; ihre klinische Bedeutsamkeit mit Bezug auf Alkoholis¬
mus, Gifte und besonders auf das manisch-depressive Irresein wird uns
vor Augen geführt; schließlich wird vor uns ein aufschlußreiches Bild der
wesentlichen Rolle, welche sie in der Charakterbildung spielt, aufgerollt.
Vielleicht die hervorragendste Lehre, die wir Abraham verdanken, ist die
der großen Wichtigkeit der Saugperiode und der schwerwiegenden Folgen,
die Haß gegenüber der Mutter während dieser Phase für das spätere Leben
haben kann.
*
Es erübrigt uns, etwas über Karl Abrahams Persönlichkeit, über seine
persönliche Bedeutung für die Psychoanalyse zu sagen. Wir haben versucht,
Karl Abraham
179
eine objektive Schätzung dafür zu gewinnen, was Abrahams wissenschaft¬
liche Arbeit für die Entwicklung unserer Kenntnis geleistet habe. Aber
Abrahams Wert geht noch weit darüber hinaus. Eine einzige Erwägung
mag uns hier den Weg zur richtigen Einsicht führen. Nicht nur daß seine
Tätigkeit für den Fortschritt der Psychoanalyse in Berlin und in Deutsch¬
land überhaupt verantwortlich war, sondern ihr Einfluß brachte es auch
allmählich dahin, daß Berlin in vielen Hinsichten der Mittelpunkt der
ganzen internationalen psychoanalytischen Bewegung wurde. Das Geheimnis
dieses Ergebnisses zu kennen, heißt Abraham verstehen. Denn die über¬
ragende Stellung, die er in der Psychoanalyse gewann, war nicht zum
allergeringsten Teil das Ergebnis seines persönlichen ehrgeizigen Strebens,
sie stellte sich vielmehr automatisch als die Folge seines inneren Wertes
her und darin lag die Größe des Mannes.
Es gibt Menschen, die zur Führerschaft geboren sind. Es liegt in ihrer
Natur, andere zu beherrschen und zu leiten. Abraham zählte nicht zu diesen.
Noch ganz zuletzt erschien es ihm, wie ich aus einer Bemerkung auf dem
Homburger Kongreß schließen muß, befremdend, daß er eine so hervor¬
ragende Stellung einnehmen sollte; er meinte, das liege nicht in seiner
Natur und es wurde ihm nicht leicht, diese unleugbare Tatsache gelten zu
lassen und sich mit ihr zu befreunden. Sein großer Einfluß über seine
Arbeitsgenossen und die Rolle, die er unter ihnen spielte, stammten nicht
von seinem eigenen Bestreben, sich vor anderen auszuzeichnen, sondern
ruhten auf einem weit festeren Grunde: sie waren die Folge einer Über¬
legenheit, die sich Anerkennung erzwingen mußte. Auf welchen Eigen¬
schaften beruhte diese Überlegenheit?
Die Antwort auf diese Frage läßt sich nur durch die Lösung einer Anti¬
nomie geben. Die auffälligsten von Abrahams Charakterzügen waren eine
erfrischende Jugendlichkeit und ein unverwüstlicher Optimismus. Nun sind
das nicht gerade die Eigenschaften, die geeignet sind, anderen unbedingtes
Zutrauen einzuflößen; auch ist es nicht gewöhnlich, daß sie mit skeptischer
Vorsicht und ruhiger, nüchterner Urteilskraft gepaart sind, gerade jenen
Charakteren, die uns an Abrahams wissenschaftlicher Arbeit in die
Augen springen mußten. Und doch treffen beide Beschreibungen auf
Abrahams Persönlichkeit zu. Wenn man dieses Paradoxon verstehen kann,
hat man sich den Weg zum Verständnis von Abrahams Wesen erschlossen.
Selbst hinter den Zügen, die den großen persönlichen und sozialen Reiz
Abrahams ausmachten, verbargen sich andere, ernstere, die den wirk¬
lichen Kern seines Charakters bildeten. Er war ungewöhnlich jugendlich
in seinem Wesen und konnte sich unter Umständen sogar knabenhaft ge¬
bärden; unzweifelhaft witzig zu Zeiten, war doch ein gewisser ruhiger, trok-
12*
l8o
Ernest Jones
kener, oft sehr überlegener Humor eher charakteristisch für ihn. Seine
Persönlichkeit wirkte gleichmäßig anziehend auf Frauen, wie einnehmend
auf Männer, ein Ausdruck von Frische und Kraft machte ihn zum liebens¬
würdigsten Kameraden und Gesellschafter. Sein Benehmen war immer
gleichmäßig heiter, höflich und freundlich. Aber diese Eigenschaften durfte
man nicht mißbrauchen. Hinter ihnen verbarg sich eine Festigkeit, die ge-
gen die Verlockungen von Mann und Weib gleich undurchdringlich war.
Er konnte es sich leisten, freundlich und gefügig im Umgang mit anderen
zu sein, gerade weil er sich völlig in der Hand hatte; da er sicher war,
daß er keinem Einfluß von innen oder außen in ungebührlicher Weise
verfallen würde, blieb er zuversichtlich in jeder Lage. Die letzte Wurzel
dieser Zuversicht war seine vollendete Selbstbeherrschung.
Dasselbe gilt auch für seinen auffälligsten Charakterzug, für das, was
seine Freunde seinen unheilbaren Optimismus zu nennen pflegten. Er
blieb immer voll guter Hoffnung, so düster und unheilvoll die Lage auch
zu sein schien und diese gute Stimmung brachte es im Verein mit der
Zuversichtlichkeit, die sie beförderte, wirklich oft dahin, daß ein besserer
Ausgang erreicht wurde, als man zunächst für möglich gehalten hätte.
Ein starker Wirklichkeitssinn hielt in der Regel seinem Optimismus die
Wage, so daß dieser nur seine auffrischenden Wirkungen äußern konnte.
Doch ereignete es sich ein- oder zweimal in seinem Leben, daß ihm sein
Optimismus einen Streich spielte und seine sonst vollkommene Stabilität
beeinflußte.
Hinter Abrahams kühler und höflicher Korrektheit ließ sich bald eine
ungewöhnlich große Reserve entdecken. Aber vielleicht wußten selbst von
seinen Freunden nur wenige, wie stark diese war. Sie fühlten nur, daß
es bei ihm irgendwo eine Schranke gab, über die man nicht hinausgelangte.
Für alle praktischen Zwecke des Lebens hatte sich Abraham eine besonders
feste und widerstandsfähige seelische Verfassung geschaffen, deren Tiefen
aber nicht zu ergründen waren, vielleicht nicht einmal für ihn selbst.
Niemand, der ihn kannte, entging dem Eindruck, daß er zu den Menschen
gehörte, denen eine ganz außergewöhnliche Fähigkeit zur Sublimierung
eigen ist und daß sein Trieb- und Gefühlsleben eine ungewöhnlich hohe
Entwicklungsstufe erreicht hatte. Es ist kein Zufall, daß wir gerade ihm
die Lehre verdanken, das beste Merkmal für die Höhe der seelischen
Entwicklung sei die Überwindung des Narzißmus und der Ambivalenz.
Wenige Menschen würden die Probe so bestanden haben wie er, wenn
man diesen hohen Maßstab an sie anlegte.
Es war Abraham gelungen, seine egozentrischen Regungen in ganz
ungewöhnlichem Ausmaße zu beherrschen und zu verarbeiten, so daß er sich
Karl Abraham
l8l
dem einen Ziel seines Lebens, der Förderung der Psychoanalyse, ganz
ungeteilt widmen konnte. Es war unmöglich, bei ihm die Spur irgend
eines persönlichen Ehrgeizes zu finden, von einer Ausnahme abgesehen,
die gerade geeignet ist, die Regel zu bestätigen. Denn diese etwas befremdende
Ausnahme war der Wunsch, eine Dozentur an der Berliner Universität
zu erwerben, der ja offenbar wiederum der Psychoanalyse zugute kommen
sollte. Seine Berliner Kollegen wissen am besten, wie vollkommen er sich
mit den Interessen der Berliner Psychoanalytischen Vereinigung identifizierte,
von dem Augenblick an, da er sie gründete, im März 1910, bis zum
Zeitpunkt seines letzten Erscheinens daselbst, am g. Mai des vorigen
Jahres. Wie seine seltenen Gaben als Lehrer, Forscher und Vortragender
sich als unentbehrlich für die Entwicklung der Gesellschaft erwiesen, so
fiel noch eine größere Bedeutung auf seine Befähigung zum Führer, von
der wir noch zu sprechen haben.
Die Ausschaltung seiner rein persönlichen Interessen im Verein mit der
ihm natürlichen Klugheit verlieh ihm eine ungewöhnliche Fähigkeit,
Probleme, Personen und Ereignisse in objektiver und überlegener Weise
zu betrachten. Daher stammte die bemerkenswerte Nüchternheit seines
Urteils, aber auch noch ein anderer Vorteil. Er gewann auf diese Weise
eine Leichtigkeit und Sicherheit des Umganges, die es ihm möglich
machten, mit seinen Nebenmenschen in ungewöhnlicher Offenheit zu ver¬
kehren, so daß ihm niemand übel nehmen konnte, was er von ihm zu
hören hatte. Alle Zurechtweisungen und Einwendungen, die von ihm aus¬
gingen, erschienen so von einer rein persönlichen Grundlage auf den
Boden der Objektivität gehoben, und diese seine Einstellung verfehlte
selten ihre Wirkung, Erregungen zu unterdrücken und eine vernünftige
Auffassung der Sachlage herbeizuführen. Er war bei aller Höflichkeit fest,
und wenn er einmal seinen Entschluß gefaßt hatte, unbeugsam, aber
dabei nie im geringsten anmaßend; seine ruhige Entschiedenheit wirkte
an und für sich als Autorität. Er war der angenehmste Mitarbeiter, wie ich
reichlich zu erfahren Gelegenheit hatte, wenn wir in der Leitung der Inter¬
nationalen Vereinigung oder in anderen Beziehungen gemeinsam zu wirken
hatten; wenn man ihm einen Vorschlag machte, zeigte er sich immer zugäng¬
lich und man durfte sicher sein, nicht auf subjektive Widerstände bei ihm
zu stoßen. Jede seiner Erwiderungen oder Einwendungen war klar, knapp
und bestimmt. Diese Eigenschaften machten ihn natürlich auch zu einem
bewundernswerten Schiedsrichter in allen Gegenständen persönlicher oder
wissenschaftlicher Meinungsverschiedenheit. Mit einem Wort, seine Fähig¬
keit zu voller Objektivität war die Begründung für die Tüchtigkeit seines
Urteils wie auch für die Klugheit in allen seinen menschlichen Beziehungen.
182
Ernest Jones
Ambivalenz war seiner Natur in jedem Sinne fremd. “Es schien, daß
er nicht hassen konnte. Es kam vor, daß er gewisse Personen nicht
mochte, zumeist mit der unpersönlichen Begründung, daß er ihre Tätigkeit
als schädlich für die Analyse ansah. Aber auch in solchen Fällen war von
Haß keine Rede. Er schien sich sogar zuzeiten in merkwürdiger Weise
über die Stärke feindseliger Regungen bei anderen Personen hinwegzu¬
setzen. Ich erinnere mich, wie er manchmal eine friedliche Diskussion mit
einem anderen führte, der vor Wut und Rachsucht vergehen wollte, offenbar
völlig unbekümmert um dessen Aufregung und von der Hoffnung erfüllt,
daß ein besonnener Gedankenaustausch die Lage verändern würde. Selbst
in ernsthaften Streitigkeiten blieb er zwar unerschüttert, verlor aber nie
seine Selbstbeherrschung. Er konnte in liebenswürdigster Weise gefällig
sein, bereitwillig Hilfe leisten, aufopfernd Liebe schenken; er konnte auch
hartnäckigen Widerstand bieten, sich energisch zur Wehre setzen; aber er
konnte nicht hassen. Demzufolge konnte er auch keinen Haß bei anderen
hervorrufen, obwohl er gelegentlich Kritik und Widerstand erregte. Er
hatte seine Gegner, es fehlte ihm nicht an eifersüchtigen Rivalen, aber
er hatte eigentlich keine Feinde.
Abrahams tiefes Selbstvertrauen war so auf der Solidität seines eigenen
Seelenlebens begründet. Bei der vollen Ausgeglichenheit seines Trieblebens
und der Sicherheit seiner Selbstbeherrschung — bei leichter Neigung zur
Strenge — konnte er ohne weiteres seinen angeborenen Neigungen freien
Lauf lassen, denn er wußte, sie würden ihn nicht auf Wege führen, mit
denen er nicht voll einverstanden war. Wenn wir von ihm sagen, daß er
ein normaler Mensch war, so gebrauchen wir Worte, die dem Uneinge¬
weihten kühl klingen mögen, aber für den Psychoanalytiker umso viel
mehr bedeuten.
Wir können nun verstehen, wie es unausweichlich wurde, daß Abraham
zur Rolle eines Führers in der Psychoanalyse gelangte, und warum ihm in
dieser Stellung so großer Erfolg beschieden war. Seine unermüdliche
Energie, seine Unerschrockenheit, sein tapferes und unerschütterliches
Selbstvertrauen spornten alle anderen an und schenkten ihnen das Zutrauen,
das für die Durchführung schwerer Aufgaben unerläßlich ist. Sein unge¬
wöhnlicher Scharfsinn befähigte ihn, Inkorrektheiten oder Übergriffe in
einer eindrucksvollen, kühlen Weise bloßzustellen und phantastische Aus¬
schreitungen bei anderen niederzuhalten. Die gleichmäßig wohlwollende
und dabei unpersönliche Einstellung, die ihm eigen war, machte es ihm
möglich, solche Kritik zu üben, ohne die betreffende Person zu verletzen
oder zu entmutigen. Wenn er zu der Leistung eines Kollegen Stellung
nahm, so hatten seine gütige und heitere Auffassung im Verein mit seiner
Kaii Abraham
183
optimistischen Stimmung immer die Folge, die beste Seite der Leistung
zu betonen. Während er die Arbeit kritisierte, pflegte er ihre Schwächen
unmerklich zu modifizieren und das Ganze in das günstigste Licht zu
stellen. Die Folge war, daß er imstande war, aus seinen Kollegen und
Schülern immer das Beste herauszuholen. Und für diese wurde es immer
klar, daß sie an Abraham eine Stütze hatten, an die sie sich lehnen
konnten, eine objektive Instanz, an die sie sich fast niemals vergebens zu
wenden brauchten.
Wir kommen so zu den beiden so wertvollen Eigenschaften in Abrahams
Charakter, die nach meinem Urteil am bezeichnendsten für ihn waren, seine
Furchtlosigkeit und seine Ehrlichkeit. Es ist ja allgemein bekannt, wie viel
Mut und Zähigkeit er entfaltete, als er, ein einsamer Pionier sich überall
von Feindseligkeit umringt fand; nur der, der sich in einer ähnlichen Lage
befunden hat, kann die richtige Schätzung dafür haben. Aber wenige
wissen, daß er in die Lage gekommen ist, noch weit entscheidendere
Beweise für seine Unerschrockenheit angesichts unliebsamer Folgen seiner
Handlungsweise abzugeben. Ich weiß, daß er mehr als einmal in seinem
Leben sich der Gefahr aussetzte, die Freundschaft ihm nahestehender
Personen zu verscherzen, dadurch, daß er unerschüttert bei seinen Ent¬
schließungen blieb, auch wenn er sich dadurch Mißverständnissen aussetzte.
Die Rechtlichkeit ging Abraham über alles. Wahrhaftigkeit und Recht¬
schaffenheit waren so eng mit seiner Natur verwachsen, daß er ohne
Zaudern und Bedenken immer nur tat, was er als das Richtige empfand
und sich durch nichts von seinem Wege abbringen ließ. Diese seine außer¬
ordentliche Korrektheit rief bei allen, die ihn kannten, ein solches Gefühl
von Zutrauen hervor, daß sie wie auf einen Fels auf ihn zu bauen
pflegten. Im Gewirre menschlicher Leidenschaften und dem Getümmel
aufeinanderprallender Gegensätze rings um ihn, bewahrte er immer un¬
erschüttert seine Festigkeit. Und das war vielleicht sein größter Wert für
die Psychoanalyse. Karl Abraham war in Wahrheit ein Held in der
Wissenschaft, ein Ritter ohne Furcht und Tadel.
Ernest Jones
Verzeichnis
der wissenschaftlichen Veröffentlichungen
von Dr. Karl Abraham 1
CblNP
ZblPsA
IZPsA
JbPsA
UPsA
BPsAV
= Cmtralblait für Nervenheilkunde und Psychiatrie.
= Zentralblatt für Psychoanalyse.
= Internationale Zeitschrift für (ärztliche) Psychoanalyse.
— Jahrbuch der Psychoanalyse (Jahrbuch für psychoanalytische und psychopatholo gische
Forschungen).
= International Journal of Psycho-Analysis.
= Berliner Psychoanalytische Vereinigung.
1900
l) Normentafel zur Entwicklungsgeschichte des Huhnes (mit Prof. Keibel).
Normentafeln zur Entwicklungsgeschichte der Wirbeltiere , H. 2, Jena.
ipoi
2 ) Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Wellensittichs (Inauguraldisser¬
tation). Anatomische Blätter (des Anatomischen Instituts Freiburg), H. LVI/LVIL (Wies¬
baden, I. F. Bergmann.)
1902
3) Beiträge zur Kenntnis des Delirium tremens der Morphinisten.
CblNP, Jg. XXV. Juni-Heft, S. 569—380.
1904
4 ) Über Versuche mit „Veronal u bei Erregungszuständen der Paralytiker.
CblNP , Jg. XXVII, März, S. 176-180.
5) Cytodiagnostische Untersuchungen bei Dementia paralytica (mit
Dr. Ziegenhagen). Psychiatrischer Verein zu Berlin, 10. März. Autoreferat im CblNP ,
Jg. XXVII, Mai, S. 323—324.
1) Die wichtigsten Arbeiten sind mit einem Stern (*) bezeichnet. (E. J.)
Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen von Dr. Karl Ahraham 185
6) Über einige seltene Zustandsbilder bei progressiver Paralyse: Apraxie,
transkortikale sensorische Aphasie, subkortikale sensorische Aphasie, sen-
sorisch-motorisehe Asymbolie. Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie, Bd. LXI, H. 4, Juni,
S. 502—523.
j) Vorstellung eines Kranken mit Hemianopsie und Rotgrünblindheit
im erhaltenen Gesichtsfeld. Psychiatrischer Verein zu Berlin, 18. Juni. Auto¬
referat im CblNP, Jg. XXVII, Sept., S. 578—579.
1907
8) Beiträge zur Kenntnis der motorischen Apraxie auf Grund eines
Falles von einseitiger Apraxie. CblNP, N. F., Bd. XVIII, März, S. 161—176.
9 -) Über die Bedeutung sexueller Jugendtraumen für die Symptomatologie
der Dementia praecox. Jahresversammlung des deutschen Vereins für Psychiatrie
in Frankfurt, 27. April. CblNP, N. F„ Bd. XVIII, Juni, S. 409—415.
*I0) Das Erleiden sexueller Traumen als Form infantiler Sexualbetätigung
CblNP, N. F., Bd. XVIII, Nov., S. 854—865.
1908
*Il) Die psychosexueilen Differenzen der Hysterie und der Dementia
praecox. Erster internationaler Psychoanalytischer Kongreß, Salzburg, 26 April. CblNP
N. F., Bd. XIX, Juli. S. 521—533. ’
*12) Die psychologischen Beziehungen zwischen Sexualität und Alkoho¬
lismus. Zeitschrift f. Sexualwissenschaft, Nr. 8, August, S. 449—458. ( IJPsA, Vol. VII,
pp. 2—IO.)
13) D ie Stellung der Verwandtenehen in der Psychologie der Neurosen.
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie mul Nervenkrankheiten, 9. Nov. (Autoreferat
und Diskussion, Neurolog. Centralbl., Jg. XXVII, S. 1150—1152). JbPsA, Bd. 1, 1909,
S. 110—118.
1909
*14) Traum und Mythus. Eine Studie zur Völkerpsychologie. Schriften zur
angewandten Seelenkunde, H. 4, pp. 73 (Wien, Deuticke). — Englische Übersetzung, 1913
(New York, Nervous & Mental Disease Monograph Series, No. 15). — Holländische Über-
Setzung, 1914 (Leiden, S. C. van Doesburgh).
Ij) Freuds Schriften aus den Jahren 1895—1909 (Sammelreferat). JbPsA ,
Bd. I, S. 546—574.
16) Bericht über die österreichische und deutsche psychoanalytische
Literatur bis zum Jahre 1909 (Sammelreferat). JbPsA, Bd. I, S. 575—594.
IpIO
*17) Über hysterische Traumzustände. JbPsA , Bd, II, S. 1—52.
18) Bemerkungen zur Analyse eines Falles von Fuß- und Korsettfeti¬
schismus- Zweiter Internationaler Psychoanalytischer Kongreß, Nürnberg, 50. März
(Referat, ZblPsA, Jg. I, H. 2, Nov., S. 129). JbPsA, Bd. II I, 1912, S. 557—567.
186
Verzeichnis der wissenschaftlichen
iy) Historisches Referat über die Psychoanalyse. BPsAV , 29. April.
20) Psychoanalyse eines Falles von Hysterie mit ungewöhnlichem Her¬
vortreten der Inzestfixierung. BPsAV, j. Juni.
21) Über sadistische Phantasien im Kindesalter. (Kasuistische Beiträge.)
BPsAV, 51. August.
22) Inzest und Inzestphantasien in neurotischen Familien. Kasuistische
Mitteilungen über wirkliche Sexualbeziehungen innerhalb neurotischer Familien und
über Krankheitssymptome auf der Basis der Inzestphantasien. BPsAV , 12. Nov.
23) Mitteilung zweier Ödipus-Träume. BPsAV, 8. Dez.
1911
24) Psychoanalyse einer Zwangsneurose. BPsAV, 9. Febr.
2f) Einige Bemerkungen über den Mutterkultus und seine Symbolik in
der Individual- und Völkerpsychologie. Z blPsA, Jg. I, H. 12, Sept. S. 549 — 550.
*26) Die psychosexuelle Grundlage der Depressions- und Exaltationszu¬
stände. Dritter Internationaler Psychoanalytischer Kongreß, Weimar, 21. Sept. (Referat,
ZblPsA, Jg. II, H. 2, Nov., S. 101 —102). Veröffentlicht in extenso unter dem Titel:
Ansätze zur psychoanalytischen Erforschung und Behandlung des manisch-
depressiven Irreseins und verwandter Zustände. ZblPsA, Jg. II, H. 6 , März 1912,
5 02 — 5 l 5'
2j) Über die Beziehungen zwischen Perversion und Neurose. (Referat über
die erste von Freuds „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie.“) BPsAV , 50. Okt.
28) Über die determinierende Kraft des Namens. ZblPsA , Jg. II, H. 5, Dez.,
s - 2 55 x 34 *
2y) Eine Traumanalyse bei Ovid. ZblPsA , Jg. II, H. 5, Dez., S. 159—160.
*J 0 ) Giovanni Segantini. Ein psychoanalytischer Versuch. Schriften zur ange¬
wandten Seelenkunde . H. 11, pp. 65. (Wien, Deuticke.) — Neue erweiterte Auflage, 1925.
Russische Übersetzung, 1913 (Odessa). — Italienische Übersetzung, 1926.
I$I 2
31) Aus der Analyse eines Falles von Grübelzwang. BPsAV, 14. März.
32) Über ein kompliziertes Zeremoniell neurotischer Frauen. ZblPsA, Jg.
II, H. 8, Mai. S. 421—425.
$3) Eine besondere Form sadistischer Träume. (Massenmord-Träume). BPsAV,
18. Mai.
*34) Amenhotep IV. (Echnaton). Psychoanalytische Beiträge zum Verständnis
seiner Persönlichkeit und des monotheistischen Aton-Kultes. BPsAV, Juli. — ltnago
Bd. I, H. 4, S. 334— 5 6 °-
3j) Über neurotische Lichtscheu. BPsAV, Oktober,
Veröffentlichungen von Dr. Karl Abraham
187
* 9*3
36) Psychosexuelle Wurzeln des neurotischen Kopfschmerzes. BPsAV, Februar
und März.
}j) Sollen wir die Patienten ihre Träume aufschreiben lassen? IZPsA,
Bd. I, H. 2, März. S. 194—196.
38) Eine Deckerinnerung, betreffend ein Kindheitserlebnis von scheinbar
ätiologischer Bedeutung. IZPsA , Bd. I, H. 5, Mai. S. 247—251.
j <?) Zur Psychogenese der Straßenangst im Kindesalter. IZPsA , Bd. I, H. 5
Mai. S. 256—257.
40) Einige Bemerkungen über die Rolle der Großeltern in der Psycho**
logie der Neurosen. IZPsA, Bd. I, H. 5, Mai. S. 224—227.
41) Beobachtungen über die Beziehungen zwischen Nahrungstrieb und
Sexualtrieb. BPsAV , Juni.
42) Psychische Nachwirkungen der Beobachtung des elterlichen Ge¬
schlechtsverkehrs bei einem neunjährigen Kinde. IZPsA , Bd. I, H. 4., Juli.
S. 364—366.
*43) Über Einschränkungen und Umwandlungen der Schaulust bei den
Psychoneurotikem nebst Bemerkungen über analoge Erscheinungen in der
Völkerpsychologie. IV. Internationaler Psychoanalytischer Kongreß, München, 7. Sept.
— JbPsA, Bd. VI, 1914. S. 25 — 88.
44) Über eine konstitutionelle Grundlage der lokomotorischen Angst.
BPsAV, Oktober. — IZPsA, Bd. II, H. 2, März 1914. S. 143—150.
4 $) Über neurotische Exogamie. Ein Beitrag zu den Übereinstimmungen im
Seelenleben der Neurotiker und der Wilden. BPsAV, 8. Nov. Imago, Bd. III, H. 6.
s. 499—501.
46) Ohrmuschel und Gehörgang als erogene Zone. BPsAV,, Dez. — IZPsA,
Bd. II, H. x, März 1914. S. 27 —29.
* 9*4
47) Kritik zu C. G. Jung, Versuch einer Darstellung der psychoanaly¬
tischen Theorie. BPsAV, Januar. — IZPsA, Bd. II, H. 1, Januar. S. 72—82.
48) Zur Bedeutung der Analerotik. BPsAV, Februar.
49) Zum Verständnis „suggestiver“ Arzneiwirkungen bei neurotischen
Zuständen. IZPsA, Bd. II, H. 4, Juli. $. 377—378.
30) Eigentümliche Formen der Gattenwahl, besonders Inzucht und
Exogamie. Ärztl. Ges. f. Sexualwissenschaft, Berlin, 3. Juli.
31 ) Spezielle Pathologie und Therapie der nervösen Zustände und der
Geistesstörungen. (Sammelreferat). JbPsA , Bd. VI, 1914. S. 343—363.
1916
* 3 2 ) Untersuchungen über die früheste prägenitale Entwicklungsstufe der
Libido. IZPsA, Bd. IV, H. 2. S- 71—97.
188
Verzeichnis der wissenschaftlichen
* 9*7
Einige Belege zur Gefühlseinstellung weiblicher Kinder gegenüber
den Eltern. IZPsA, Bd. IV, H. 5. S. 154—155. ,
Über Ejaculatio praecox. IZPsA, Bd. IV, H. 4. S. 171 — 186.
jf) Das Geldausgeben im Angstzustand. IZPsA, Bd. IV, H. 5. S. 252—255.
1918
j6) „Dreikäsehoch . u Zur Psychoanalyse des Wortwitzes. Imago. Bd. V, H. 4.
S. 294—295.
57) Zur Psychoanalyse der Kriegsneurosen. Korreferat zur Diskussion der
Kriegsneurosen auf dem V. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß, Budapest,
28, Sept. Veröffentlicht mit Beiträgen von Prof. Dr. Sigm. Freud, Dr. S. Ferenczi,
Dr. Ernst Simmel und Dr. Emest Jones als Nr. I der Internationalen Psychoanalytischen
Bibliothek, S. 51—41 (Internationaler Psychoanalytischer Verlag, 1919* — Englische
Übersetzung, International Psycho-Analytical Press, 1921).
* 9*9
8 ) Über eine besondere Form des neurotischen Widerstandes gegen die
psychoanalytische Methodik. BPsAF, 6. Februar. IZPsA, Bd. V, H. 5, Okt. S. 175—180.
79 ) Tiertotemismus. BPsAF, 16. März.
60) Über den weiblichen Kastrationskomplex. BPsAF, 17. April.
61) Bemerkungen zu Ferenczis Mitteilung über „Sonntagsneurosen“.
IZPsA , Bd. V, H, 5, Okt., S* 205—204.
62) Zur Prognose psychoanalytischer Behandlungen in vorgeschrittenem
Lebensalter. BPsAF, 6. Nov., IZPsA, Bd. VI, H. 2, Juni 1920, S. 115—117.
6 )) Zur narzißtischen Bewertung der Exkretionsvorgänge in Traum und
Neurose. BPsA t 18. Dez„ IZPsA, Bd, VI, H. I, März 1920, S. 64—67.
1920
64 ) Der Versöhnungstag. Bemerkungen zu Reiks „Probleme der Religions¬
psychologie“. Imago, Bd. VI, H. 1, S. 80—90.
6 j) Vortrag. Gehalten vor der Inneren Klinik (Prof. Grote), Halle, 10. Juli.
66 ) Über die Sexualität des Kindes. Ärztliche Gesellschaft für Sexualwissenschaft,
Berlin, 21. Mai. Archiv für Frauenkunde (Sexualwissenschaftliches Beiheft), Bd. VI,
H. 5/4, S. 278 ff.
*67) Äußerungsformen des weiblichen Kastrationskomplexes. Sechster Inter¬
nationaler Psychoanalytischer Kongreß, Haag, 8. Sept. (Referat IZjPsA, Bd, VI, S.591—592).
Veröffentlicht in extenso: IZPsA,. Bd. VII, H. 4, Dez. 1921, S. 422—452. {IJPsA, Vol. III.
pp. 1—29). *
68 ) Technisches zur Traumdeutung. BPsAF, 24. Sept.
69) Die Psychoanalyse als Erkenntnisquelle für die Geistes Wissenschaften.
Die neue Rundschau, Jahrg. 51 der Freien Bühne, Okt., H. 10, S. 1154— 11 74 *
Veröffentlichungen von Dr. Karl Abraham
189
1921
70) Ergänzung zur Lehre vom Analcharakter. BPsAV, 20. Jan., IZPsA, B&.IX,
H. 1, März 1925, S. 27—-47 ( IJPsA , Vol. IV, pp. 400—418).
71) Zwei Fehlhandlungen einer Hebephrenen. IZPsA , Bd. VII, H. 2, Juni,
S. 208.
72) Beitrag zur „Tic-Diskussion“. BPsA, 2. Juni, IZPsA, Bd. VII, H. 3, Okt.,
S. 393 — 595 -
13 ) Spezielle Pathologie und Therapie der Neurosen und Psychosen
(Sammelreferat mit Dr. J. Hdrnik). „Bericht über die Fortschritte der Psychoanalyse
in den Jahren 1914—1919“, S. 141 —165. (Internationaler Psychoanalytischer Verlag,
1921.) ( IJPsA, Vol. I, pp. 280—285.)
74 ) Literatur in spanischer Sprache. „Bericht über die Fortschritte der Psycho¬
analyse in den Jahren 1914—1919“* S. 366—567. (Internationaler Psychoanalytischer
Verlag, 1921.) (IJPsA, VoL I, pp. 457—458.)
77) Klinische Beiträge zur Psychoanalyse aus den Jahren 1907-—1920,
(Enthält die oben angeführten Nummern 9, 10, 11, 12, 14, 17, 18, 26, 28, 52, 57, 58,
59» 4°» 4 2 » 43» 44» 45 » 4 6 » 47 » 5 2 » 55 » 54 » 55 » 5 $» 61, 62, 65.) Internationale Psychoana¬
lytische Bibliothek , No. 10. (Internationaler Psychoanalytischer Verlag, 1921.) Englische
Übersetzung in Vorbereitung.
1922
*76) Vaterrettung und Vatermord in den neurotischen Phantasiengebilden.
IZPsA, Bd. VIII, H. 1, März, S. 71—77. (IJPsA, Vol. III, p. 467—474.)
77) Vortrag. Gehalten vor einem psychoanalytischen Kreise in Leipzig, 27. Mai.
78) Über Fehlleistung mit überkompensierender Tendenz. IZPsA, Bd. VIII,
H. 5, Okt., S. 345—348. ( IJPsA , Vol. V, pp. 197—200.)
79) Fehlleistung eines Achtzigjährigen. IZPsA, Bd. VIII, H. 3, Okt., S. 350.
(IJPsA, Vol, IV, pp. 479.)
So) Die Spinne als Traumsymbol. IZPsA, Bd. VIII, H. 4, Dez., S. 470—475.
(IJPsA, Vol. IV, pp. 313—317.)
81) Neue Untersuchungen zur Psychologie der manisch-depressiven Zu¬
stände. Siebenter Internationaler Psychoanalytischer Kongreß, Berlin, 27. Sept. (Re-
ferat: IZPsA , Bd. VIII, S. 492—493 )
192 )
82) Zwei Beiträge zur Symbolforschung: Zur symbolischen Bedeutung der
Dreizahl; Der „Dreiweg“ in der Ödipussage. Imago, Bd. IX, H. x, S. 122—126.
83) Eine infantile Theorie von der Entstehung des weiblichen Geschlechtes.
IZPsA , Bd. IX, H. 1, März, S. 75—76.
84) Die Wiederkehr primitiver religiöser Vorstellungen im Phantasie¬
lehen des Kindes. Orientalisches Seminar der Universität, Hamburg, 3. März.
8 j) Kastrationsphantasien hei zwei kleinen Knaben. BPsAV , 15. März.
86 ) Der Kastrationskomplex in der Analyse eines Bisexuellen. BPsAV , 15. März.
190
Verzeichnis der wissenschaftlichen
8y) Anfänge und Entwicklung der Objektliebe. BPsA , 27. März.
88) Zum Introjektionsvorgang bei Homosexualität. BPsA , 8. Mai.
8p) Über Phantasien der Kastration durch Beißen. (Mit Frau Dr. Deutsch),
BPsAV, 5. Juni.
pö) Aus der Analyse eines Asthmatikers. BPsAV, 50. Juni.
pl) Ein Beitrag zur Psychologie der Melancholie. 'BPsAV, 50. Juni.
p2) Ein Beitrag zur Prüfungssituation im Traume. BPsAV , 30. Juni.
pf) Psycho-Analytic Views on some Gharacteristics of Early Infantile
Thinking. Siebenter Internationaler Kongreß für Psychologie, Oxford, 51. Juli.
Proceedings and Papers of the Congress , pp. 263 — 267 (deutsche, (Cambridge University
Press, 1924). British Journal of Medical Psychologe, VoL III, Part. 4, 1923, pp. 283 — 287
(englisch).
p4) Zwei neue kindliche Sexualtheorien. BPsAV , 6. Nov.
pf) Die Geschichte eines Hochstaplers im Lichte psychoanalytischer Er¬
kenntnis. BPsAV , 13. Nov. Imago , Bd. XI, 1925, H. 4, S. 555 — 370.
p6) Zur Symbolik des Hauses, besonders des Neubaues. BPsAV , 4. Dez.
(Referat: IZPsA , Bd. X, H. 1, März 1924, S. 107.)
ip2 4
py) Über unbewußte Strömungen im Verhältnis der Eltern zum Kinde.
Vortrag in Hamburg, 5, Januar.
p8) UmwandlungsVorgänge am Ödipuskomplex im Laufe einer Psycho¬
analyse. BPsAV , 29. März.
pp) Beiträge der Oralerotik zur Charakterbildung. Achter Internationaler
Psychoanalytischer Kongreß, Salzburg, 21. April, (Referat: IZPsA , Bd. X, S. 214.)
(. UPsAy Vol. VI, pp. 247—258.)
100) Über die Psychologie der modernen Kunstrichtungen. Vortrag, ge¬
halten vor einem Künstlerkreise, Berlin.
101) Zur Charakterbildung auf der „genitalen“ Entwicklungsstufe. BPsAV,
23. Sept.
102 ) Analyse einer Zwangsneurose. Erste Deutsche Zusammenkunft für Psycho¬
analyse, Würzburg. 12. Okt.
IOf) Über eine weitere Determinante der Vorstellung des zu kleinen
Penis. BPsAV, 21. Okt,
104) Phantasien der Patienten über den Abschluß der Analyse. BPsAV,
11. Nov.
ip2f
*10 j) Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Libido auf Grund der
Psychoanalyse seelischer Störungen. (L Teil: Die manisch-depressiven Zustände
und die prägenitale Organisationsstufe der Libido. Einleitung. 1. Melancholie imd
Zwangsneurose. Zwei Stufen der sadistisch-analen Entwicklungsphase der Libido.
2. Objektverlust und Introjektion in der normalen Trauer und in abnormen psychischen
Veröffentlidiungen von Dr. Karl Abraham
191
Zuständen, g. Der IntrojektionsVorgang- in der Melancholie. Zwei Stufen der oralen
Entwicklungsphase der Libido. 4. Beiträge zur Psychogenese der Melancholie. 5. Das
infantile Vorbild der melancholischen Depression. 5. Die Manie. 6* Die psychoana¬
lytische Therapie der manisch-melancholischen Zustände. [Schließt No. 81 und 91
ein.] — IL Teil: Anfänge und Entwicklung der Objektliebe [entspricht No. 87]).
Neue Arbeiten zur ärztlichen Psychoanalyse . H. II, pp. 96. (Internationaler Psychoana¬
lytischer Verlag.)
* 106) Psychoanalytische Studien zur Charakterbildung. (Enthält die oben an¬
geführten Nm. 70 und 99; ferner: Zur Charakterbildung auf der „genitalen“ Ent¬
wicklungsstufe [IJPsA, Vol. VII, Part. 2]). Internationale Psychoanalytische Bibliothek,
No. XVI, pp. 64. (Internationaler Psychoanalytischer Verlag.)
IOj) Zur Verdräjigung des Ödipuskomplexes. BPsAV 20. Jan.
Iö 8 ) Vortrag. Gehalten vor einem psychoanalytischen Kreise in Leipzig. 21. Febr,
109) Die Bedeutung von Wortbrücken für die neurotische Symptombildung.
BPsAV, 26. Febr.
IXO) Eine unbeachtete kindliche Sexualtheorie. IZPsA, Bd. XI, H. 1, März,
S, 85—87. ( IJPsA , Vol. VI, pp. 444—446.)
111) Psychoanalyse und Gynäkologie. Berliner Gesellschaft für Gynäkologie
und Geburtshilfe, 15. März. (Referat: IZPsA , Bd. XI, S. 126.) Z eitschr. f. Geburtshilfe
u. Gynäkologie , Bd. LXXXIX, S. 451—458.
112) Koinzidierende Phantasien bei Mutter und Sohn. IZPsA, Bd. XI, H. 2,
Juni, S. 222. (IJPsA, Vol. VII, p. 79).
113) Die Psychoanalyse schizophrener Zustände. Leidsche Vereeniging voor
Psychopathologie en Psychoanalyse, Leiden, 27. und 29. Mai.
114) Das hysterische Symptom. Nederlandsche Maatschappy ter Bevordering
der Geneeskunst, Haag, 28. Mai.
1426
II4) Psychoanalytische Bemerkungen zu Coues Verfahren der Selbst-
meisterung. IZPsA , Bd. XII, H. 2. (IJPsA, Vol. VII, Part. 2.)
GEDENKREDEN ÜBER
KARL ABRAHAM
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XII/ 2 .
13
.
*• • ■
Gedenkreden über Karl Abraham
195
Max Eitingon:
(ln der Trauerfeier der „Berliner Psychoanalytischen Vereinigungam 12. Januar 1926)
Als die Nachricht vom Ableben Karl Abrahams mich erreichte, trennte
mich räumlich eine große Entfernung von Berlin, nachdem aus der Ferne
meine Gedanken wochenlang zusammen mit Ihrer aller bang um sein
Krankenlager gekreist hatten; und in den Nachmittagsstunden jenes unver¬
geßlichen Montags, den 28. Dezember, fuhr der Zug wie schmerzlich
stöhnend über den tief beschneiten Alpenpaß.
Der brennende Blick suchte in der Ferne den eben von uns gehenden
Freund und Gefährten zwanzigjähriger Waffengenossenschaft, ich dachte an
ihn. Aber an Karl Abraham denken, heißt an die bewegten letzten
zwei Jahrzehnte der Psychoanalyse denken, in denen sie zur Bewegung
geworden ist, und mit deren Entwicklung sein Name an so vielen und so
wesentlichen Stellen so bleibend verknüpft ist, wie kaum eines anderen
Name. Er ist nicht nur einer der namhaftesten, grundlegendsten Autoren
unserer Literatur, sondern auch, ich möchte sagen, ich finde keinen besseren
Ausdruck, ihr glücklichster Autor. Von den Anhängern der Psychoanalyse
geliebt, geschätzt und sehr früh schon als Klassiker verehrt, ist auch der
Gegner Spott vor ihm verstummt. Das früher besonders beliebte Spiel
unserer Gegner, statt sachlicher Kritik und vorurteilsloser Überprüfung des
von der Psychoanalyse in bis dahin neuer Weise gesehenen und bloßge¬
legten Materials, einzelne aus dem Zusammenhänge gerissene Sätze aus
den Arbeiten unserer Autoren der allzu billigen Lächerlichkeit preiszugeben,
versagte vor dem festen Gefüge Abraham scher Gedankengänge. Ein
einziges Mal nur, soweit mir erinnerlich ist, erlebte er etwas Ähnliches.
Das war am Anfang seines hiesigen Wirkens, bei seinem ersten Auftreten
in einer medizinischen Gesellschaft in Berlin, in jener denkwürdigen Sitzung
der Berliner neurologisch-psychiatrischen Gesellschaft, in welcher der Ge¬
heimrat Ziehen mit einer drastischen Bemerkung die Diskussion über
Abrahams Vortrag hintertrieb. Vergleichen Sie damit den großen, wirklich
glänzenden Erfolg, den er bei seinem letzten Auftreten in der Berliner
ärztlichen Öffentlichkeit, in der Gynäkologischen Gesellschaft im Früh-
13*
igö
Max Eitiiigon
jahr 1924 hatte. Diesen Umschwung herbeigeführt zu haben, war, besonders
in Deutschland, zum allerwesentlichsten Teil sein eigenes Verdienst.
Der methodische Gang der Entwicklung der Psychoanalyse zur Wissen¬
schaft verkörperte sich nach Freud selbst in keinem psychoanalytischen
Autor so repräsentativ wie in Abraham.
Als die alte wissenschaftliche Welt des ärztlichen Denkens durch das
heroische Werk Freuds in ihren Grundfesten erschüttert und zur Revi¬
sion und zum Neubau ihrer Fundamente herausgefordert worden war,
ging Abraham, ein guter Sproß der deutschen wissenschaftlichen Kultur,
nicht ohne Respekt vor dieser bedrohten wissenschaftlichen Welt, aber ganz
ohne Furcht vor ihrem Tadel, ruhig und unerschrocken seinen Weg. An
den aufklaffenden Abgründen vorbei und über sie hinweg baute er Brücken,
kritisch, vorsichtig, Zoll für Zoll, das feste und fruchtbare Erdreich der
Erfahrung nie aus dem Auge lassend; überall war es sicherer Boden, auf
den er getreten hatte, die ihm Nachfolgenden vor der „Reiter über den
Bodensee-Stimmung“ schützend, die ja den Psychoanalytiker nur zu leicht
befallt. So wurde Abraham zum unvergleichlich guten Lehrer so vieler,
fast aller, von allen gekannt, wie außer Freud nicht viele.
Der vierte Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung,
— vor ihm Jung, Ferenczi und Jones — schien er der berufenste,
und nur ein unbegreifliches Geschick hat dieses Berufensein zeitlich so
tragisch verkürzen können.
Unser Berliner Verein ist im wesentlichen fast sein Werk. Als er im
Herbst 1907 aus Zürich nach Berlin zurückkehrte, war er der erste Psy¬
choanalytiker auf deutschem Boden. Vereinzelte für die Psychoanalyse
Interessierte sammelten sich lose um ihn, es waren keine ganz auf ihrem
Boden Stehende oder sie gar Ausübende, bis Sprecher dieses im Herbst 1909
zu ihm stieß. Bald aber wurden aus Rat und Hilfe bei ihm Suchenden
Schüler und Mitarbeiter, es erweiterte sich und vertiefte sich unser Kreis,
sich fester um Abraham kristallisierend; die loser Interessierten verloren
sich, je dichter unsere Arbeitsgemeinschaft wurde.
Uns Älteren werden sie unvergeßlich bleiben, jene ersten Zeiten der
Berliner Vereinigung, ohne Statuten, ohne Funktionäre und ohne festes
Heim wie jetzt, aber mit dem Magnet Abraham in der Mitte. Die
Sitzungen fanden abwechselnd in den Wohnungen einer Reihe von Mit¬
gliedern unseres Kreises statt; schon im Jahre 1911 war es, wo Frau Lou
Andreas- Salome in unserer Mitte auftanchte, um seither der Analyse
immer fester anzuhängen, und eines Abends bald darauf war auch, damals
ein Unikum, ein junger Professor der Charite mit zwei Assistenten bei
uns erschienen, von Bergmann, der seither und besonders ganz vor
Gedenkreden über Karl Abraham
197
kurzem durch seine tapfere Betonung des Psychischen bei der Entstehung
der organischen Magendarmkrankheiten das Problem der Psychogenese der
organischen Krankheiten im Lager der Organiker selbst in entscheidendster
Weise gefördert hat.
Und als der Krieg kam, sprengte er schon einen ansehnlichen Kreis,
eine der drei Gruppen der auf dem Nürnberger Kongreß 1910 gegründeten
Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
Während unserer Abwesenheit durch all die schweren Kriegs] ahre hin¬
durch waren aus den fruchtbaren Spuren unserer, besonders Abrahams
Wirksamkeit, weitere Saaten aufgegangen; als wir zurückkamen, waren
wir mehr geworden, da anderswo aufgegangene verheißungsvolle Keime
sich zu uns gesellten; Kollegen aus anderen Ländern, besonders aus dem
an Begabungen so reichen Ungarn, zogen hierher und mehrten der Ver¬
einigung Gewicht und Relief. Eine große Anzahl jüngerer Assistenten
psychiatrischer Kliniken, deren Chefs uns noch immer mehr oder weniger
total ablehnten, kamen zu uns, um zu lernen, unser Institut entstand, der
Kreis und Grund um Abraham wuchs und festigte sich, er aber ward
und wurde immer mehr unser hochragender Leuchtturm, der dem all¬
mählich zum psychoanalytischen Vorort gewordenen Berlin auch die inter¬
nationale Bedeutung gab. Von weither kamen die Patienten zu ihm und
sein Wirken zog immer weitere Kreise.
Auch für die Kollegen, die sich in Berlin und außerhalb Berlins in
steigendem Maße um Rat und Auskunft und Hilfe an ihn wandten, hatte
er ein stets freundlich offenes Ohr, nahm sie hilfreich auf. Und sie
konnten auf seine treue Zuverlässigkeit rechnen. Darum fühlen sich so
viele verwaist.
Lassen Sie mich mit den letzten Worten einer nicht gehaltenen Grabrede
schließen, die sich mir leise auf die Lippen drängten, als der Zug an
jenem Nachmittage, die Paßhöhe überschritten habend, sich rascher hinunter
bewegte:
Karl Abraham, manche wandeln noch, die unseren Reihen längst
verloren gegangen, unserer Bewegung gestorben sind. Mit Dir aber sank
einer ihrer allerlebendigsten ins Grab, der über den Tod hinaus noch für
sie wirken wird. Wir alle, die wir Dich als alten, unerschütterlich treuen
Gefährten, als persönlichen Lehrer, als väterlich helfenden Freund gekannt,
tief geschätzt und hoch verehrt haben, werden Dich nie vergessen. Aber
auch den Späteren wirst Du nicht fremd sein.
198
Hanns Sachs
Hanns Sachs:
(In der Trauerfeier der „Berliner Psychoanalytischen Vereinigung“, am 12. Januar 1926)
Auch die Erfüllung der traurigen Pflicht, für den P'ührer und Freund,
der von uns geschieden ist, einige Worte der Trauer und des Gedenkens
zu sprechen, kann ich nur im Sinne unserer Wissenschaft vollziehen, das
heißt als Psychologe; statt der inhaltsleeren Lobsprüche, die sonst in
Nekrologen Sitte sind, will ich mich bemühen, das geistige Antlitz des
Dahingeschiedenen, wie es mir deutlich vor Augen steht, so gut ich eben
kann, nachzuzeichnen; handelt es sich doch um einen Menschen, dessen
Bild nur gewinnen kann, je vollständiger und getreuer es ausgeführt wird.
Ich kann meine Charakteristik nicht besser einleiten als mit dem Bericht
einer Episode, die, so unbedeutend sie ist, mir den wesentlichsten Zug
Abrahams wiederzugeben scheint. — Vor einigen Jahren sprach ich mit
einem philologisch streng geschulten Freund, der, dem psychoanalytischen
Verlage nahestehend, die Stileigentümlichkeiten der psychoanalytischen
Autoren genau verfolgt hatte. Dieser Freund sagte mir: „Unter allen psycho¬
analytischen^ Schriftstellern ist Abraham der einzige, dessen Stil absolut
tadellos ist.“ Dieses Urteil erinnerte mich damals sogleich an ein Ge¬
spräch, bei dem mir breud viele Jahre früher, als die Anzahl der aus¬
übenden Analytiker noch leicht übersehbar war, gesagt hatte: „Unter
meinen Schülern sind nur zwei, bei denen ich mich auf die Korrektheit
ihrer iechnik voll verlassen kann , und von den beiden Namen, die er
nannte, war der eine der Abrahams. Wir alle wissen, in welchem Maße
Abrahams Stil seine Persönlichkeit widerspiegelte. Nur einem Menschen
von vollkommener Wahrhaftigkeit und rücksichtsloser Ehrlichkeit gegen sich
gelbst, der gewohnt war, seine Gedanken alle folgerichtig zu Ende zu denken
und weder vor sich, noch vor seinen Lesern etwas zu verheimlichen suchte,
konnte ein Stil von so durchsichtiger und gleichmäßiger Klarheit gelingen,
wie es der seinige war. Und diese Eigenschaft seines Stils, die nichts
anderes ist wie vollkommenste Vorbildlichkeit, strengste Sachlichkeit und
Gedenkreden über Karl Abraham
199
schlackenlose Reinheit der Absicht* kehrte nicht nur in seiner wissen¬
schaftlichen und therapeutischen Arbeitsweise, sondern überall wieder; wo
sein Wesen zur Geltung kam. Er war vorbildlich als Forscher in der Ver¬
läßlichkeit und Exaktheit, mit der die Tatsachen von ihm aufgenommen
und wiedergegeben wurden» Er war vorbildlich als Begründer und Vor¬
sitzender unseres Vereins durch den Takt und die Unparteilichkeit, mit
denen er sein schwieriges Amt verwaltete und die rücksichtsvolle Güte,
die er bei jedem Anlaß bewies. Ich kann mir nicht denken, daß es irgend
eine Lebensaufgabe gab, mochte sie nun groß oder klein sein, die er nicht
still und ohne Aufsehen zu erregen, aber gleichzeitig in vollkommener
und vorbildlicher Weise gelöst hätte. Ich bin ganz überzeugt, in das Lob
seines Lehrers Freud hätten ärztliche Kollegen — Patienten, Geschäfts¬
leute — Hausangestellte, kurz jedermann, der mit ihm in Berührung kam,
rückhaltlos eingestimmt.
In einer Eigenschaft haben die meisten unter den hier Anwesenden ihn
ganz besonders würdigen gelernt, nämlich als Lehrer. Die Gründlichkeit
seiner Kenntnisse, der logische Aufbau seines Vortrages und die Fähigkeit,
sich auf das Verständnis seiner Hörer einstellen zu können, haben ihn zu
einem musterhaften wissenschaftlichen Lehrer gemacht, der jeder akade¬
mischen Lehrkanzel zur Zierde gereicht hätte. Ich möchte ihn aber hier lieber
von einer Seite schildern, von der Sie weniger Gelegenheit hatten, ihn
kennenzulernen, die aber mir, als seinem Mitarbeiter, der fast so lange
wie er selbst der psychoanalytischen Bewegung angehört, besonders deutlich
geworden ist.
Die Jüngeren unter Ihnen haben unsere Generation gewiß um die
Möglichkeit beneidet, mit dem Schöpfer der Psychoanalyse unmittelbar
zusammenzuwirken und die ersten Schritte auf dem damals noch nach
allen Richtungen unermessenen Felde unserer Wissenschaft tun zu dürfen.
Daß darin ein beneidenswertes Glück liegt, ist nicht zu leugnen, doch
dürfen Sie nicht vergessen, welche besondere Schwierigkeiten diese Situation
enthielt.
Vor allem war die Stellung der Öffentlichkeit zu dem Psychoanalytiker
damals eine ganz andere wie jetzt. Auch heute noch können wir ja
keineswegs überall auf freundliche Aufnahme und Verständnis rechnen,
aber wir haben einerseits gelernt, diese Reaktion als Widerstand voraus¬
zusehen und uns darauf vorzubereiten, anderseits hat sich die Heftigkeit
der feindseligen Affekte inzwischen doch im ganzen gemildert, besonders
seitdem die Bedeutung der Psychoanalyse für das gesamte Geistesleben von
einer Reihe führender und anerkannter Männer betont wurde. Damals
aber war ein Psychoanalytiker für das Publikum noch identisch mit einem
200
Hanns Sachs
Menschen, bei dem sich intellektuelle Kritiklosigkeit mit der Lust, unauf¬
hörlich in den schmutzigsten Stellen der Sexualität herumzuwühlen, ver¬
bindet.
Für einige von uns hat diese Situation, so peinlich sie im ganzen war,
doch auch ihre Reize gehabt. Man hatte das Gefühl, als ein Bekenner
einer neuen Wahrheit der Menge gegenüberzustehen, und konnte sich der
eigenen Originalität und der Möglichkeit, ringsherum Affekte auszulösen,
gehaßt, angefeindet, verfolgt, auch gelegentlich bewundert zu werden, jeden¬
falls aber eine Ausnahme-Existenz zu führen, erfreuen. Bei Abraham
hat dieses Gegengewicht vollkommen gefehlt. In ihm war keine Spur von
Abenteurerlust oder Originalitätssucht vorhanden. Was ihn zur Psycho -
analyse geführt hat, war nichts anderes als die sachliche Erkenntnis ihrer
Wahrheit. Um dieser Erkenntnis willen wurde er ihr Anhänger, opferte
für sie die Aussicht auf die akademische Karriere, die dem gewissenhaften
und begabten Forscher offengestanden hätte und nahm die ganze Ablehnung
und Verurteilung durch seine Zeitgenossen willig auf sich. Es wird nur
Wenige geben, die ein so großes Opfer so ruhig und selbstverständlich ihrer
Wissenschaft dargebracht haben wie er.
Dabei muß ich auch der persönlichen Stellungnahme Abrahams zu
seinem Lehrer gedenken, in welche kaum ein anderer einen Einblick tun
durfte. So vorbildlich wie als Lehrer war Abraham auch als Schüler.
Immer bereit, sein Wissen zu bereichern, an seinen Auffassungen zu korri¬
gieren, ohne jemals der Suggestion der Autorität zu verfallen, oder gar aus
Liebedienerei seine Ansicht zu wechseln. Der absoluten Verläßlichkeit und
Treue, mit der er an der Person Freuds und an der psychoanalytischen
Bewegung hing, entsprach auf der anderen Seite die Wahrung der Selb¬
ständigkeit, die sich niemals scheute, Zweifeln und Bedenken Ausdruck
zu geben, wenn sachliche Gründe vorzuliegen schienen. Auch dort, wo
sich den wissenschaftlichen Fragen persönliche beimengten, wie das bei
der Organisierung einer Bewegung unvermeidlich ist, war Abraham in
seiner Einstellung konsequent. Er ist öfter, als Sie es vermuten konnten,
als Warner vor Freud hingetreten und hat, ohne ihn zu verletzen oder
herauszufordern, den Kampf für seine Meinung mit Festigkeit durch-
gefochten. Dort, wo die Ereignisse ihm später recht gegeben haben, hat
er nie daran gedacht, darauf irgend welche Ansprüche zu gründen. Er war
immer derjenige, der sich, nach Goethes Worte, „auf eine würdige Weise
zu subordinieren “ wußte.
Ich habe so viel von der Tadellosigkeit und Vorbildlichkeit in Abrahams
Wesen gesprochen und könnte noch zahlreiche Punkte heranziehen, aber ich
fürchte fast, daß das den Eindruck machen würde, als wäre er das trockene
Gedenkreden über Karl Abraham
201
Exemplar eines Pflichtmenschen, eine Art von herangewachsenem Muster¬
knaben gewesen. Daß dies nicht im entferntesten der Fall war, wurde
durch eine Dreiheit von Eigenschaften bewirkt, ohne deren Erwähnung
sein geistiges Porträt unvollständig wäre. Ich meine die Vielgestaltigkeit
seiner geistigen Interessen, seinen Humor und seine Güte.
In seinem Fach gründlichst geschult, alle Voraussetzungen, die sich an
strengste Fachwissenschaftlichkeit knüpfen, erfüllend, war Abraham doch
alles eher als der Typus des Fachgelehrten. Dazu war sein Blick zu weit
und seine Anteilnahme an allem Geistigen zu stark. Die ausgezeichneten
Arbeiten, die er außerhalb seines eigentlichen Fachgebietes geleistet hat,
legen davon Zeugnis ab, aber noch stärker der Eindruck, den seine Per¬
sönlichkeit machte. Hierin ganz seinem Lehrer Freud ähnlich, ver¬
schmolz er sein Spezialwissen immer aufs neue mit den verschiedensten
großen Menschheitsproblemen und nahm an fremden Wissensgebieten, aber
auch an künstlerischen Bestrebungen einen Anteil, der weitab von allem
Dilettantismus lag. Seine älteste Liebe galt der Sprachforschung und er
ist ihr trotz seines außerordentlich anstrengenden Lebenswerkes immer
treu geblieben. So kam es, daß er Patienten der verschiedensten Länder
in ihrer Muttersprache analysieren konnte, aber auch, daß der viel¬
beschäftigte Arzt und Gelehrte in seinen Freistunden und zu seiner Er¬
holung den Aristophanes in der Ursprache las.
Ein besonders reizvoller Zug seines Wesens war sein stiller Humor, der
sein Wesen durchleuchtete und an die Oberfläche trat, sowie er sich im
Kreise der Seinigen oder vertrauter Freunde befand. Von den kleinen
Schwächen und Mängeln seiner Mitmenschen, mit denen das Leben ihn
in nähere Berührung brachte, war er nahezu vollständig frei, aber anstatt
sich dadurch über sie erhaben zu fühlen oder sie bissig zu bespötteln,
liebte er es, diese Schwächen mit den Strahlen seines Humors zu be¬
leuchten.
Wenn ich von seiner Güte spreche, so meine ich damit nicht die auf¬
opfernde Hilfsbereitschaft, die er als Arzt unermüdlich für alle seine
Patienten, ob alt oder jung, arm oder reich, gezeigt hat, auch nicht den
immer tätigen guten Willen, seinen Kollegen und Freunden behilflich zu
sein, dem mancher unter uns nichts weniger als die Gründung seiner Existenz
verdankte; was ich meine, ist vielmehr ein Grundzug seines Wesens, von
dem alles das nur ein schwacher Abglanz war, eine Güte des tiefsten Wesens,
die er beinahe schamhaft in sich verschlossen trug und nur denjenigen
verriet, die das Glück hatten, ihm besonders nahezustehen, seiner Frau,
seinen Kindern und seinen nächsten Freunden, zu denen ich gehören
durfte. Es war ihm ein unmittelbares und inniges Bedürfnis, sich für
202
Hanns Sachs
diese Menschen einzusetzen, an ihrem Lebensglück zu arbeiten und für
sie zu wirken. Diese Grundlage seines Wesens war es, die sein Familien¬
leben so außerordentlich harmonisch gestaltet hat, die ihn mit seiner
Gattin verband und ihm die Liebe und das Vertrauen seiner Kinder in
vollem und uneingeschränktem Maße besitzen ließ. Ich glaube, ich kann
sein Wesen am besten durch einen Vergleich charakterisieren: er war wie
das Wasser, dessen Eigenschaften und Tugenden uns selbstverständlicher
Besitz zu sein scheinen, ohne daß wir daran denken, daß wir seinem Vor¬
handensein alles verdanken. Und klar und durchsichtig, rein und erquickend,
wie das Wasser der Engadiner Berge, die er so sehr liebte, so ist er für
uns gewesen.
Gedenkreden über Karl Abraham
203
Sändor Radö:
(In der Trauerfeier der „Berliner Psychoanalytischen Vereinigungam 12. Januar 1926)
Der Versuch, heute in diesem Kreise von der wissenschaftlichen Lebens¬
arbeit Karl Abrahams ein Bild zu geben, kann seiner Aufgabe nur
sehr unvollkommen gerecht werden. Es fehlt uns die Distanz, die Kühle
des Urteils und die Unparteilichkeit der Einstellung, die zur objektiven
Würdigung seiner Leistungen erforderlich wären. Es ist also wohl nur ein
Stück unserer Trauerarbeit, wenn wir uns jetzt ins Gedächtnis rufen, was
wir und die Psychoanalyse Karl Abraham verdanken, was unser Kreis
und unsere Wissenschaft an ihm verloren hat.
Abrahams Liebe zur Forschung, die seine Stellung in der Welt be¬
stimmen sollte, hat früh ihre Erstlingsfrüchte gebracht. Er veröffentlicht
schon als Student eine embryologische Untersuchung, die er unter Leitung
seines Lehrers Keibel ausgeführt hatte. Ein.Jahr später (1901) erlangt er
mit einer Dissertation aus demselben Gebiet — den „Beiträgen zur Ent¬
wicklungsgeschichte des Wellensittichs“ — die medizinische Doktorwürde.
Diese Zeit mit ihrer Vertiefung in die Probleme der Morphogenese, mit
ihren Arbeiten am Präpariertisch und am Mikroskop, hat im wissen¬
schaftlichen Charakter des jungen Forschers unzerstörbare Spuren hinter¬
lassen. Doch nötigt ihn sein Beruf, nach dem Examen die Laboratoriums¬
tätigkeit aufzugeben. Er tritt in den Spitaldienst ein und arbeitet zunächst
drei Jahre unter der Leitung Liepmanns an der Irrenanstalt zu Dalldorf
bei Berlin, dann weitere drei Jahre als Assistent Bleulers an der Psychia¬
trischen Universitätsklinik in Zürich. Während dieser Jahre anstaltsärzt¬
licher Praxis publiziert er eine Anzahl kleinerer und größerer Beiträge zur
klinischen Psychiatrie und Neurologie. Aber Burghölzli gab Abraham
weit mehr als solide klinische Schulung und ein ansehnliches akademisches
Wissen. Bleulers reges Interesse hatte damals — unter der Mitwirkung
Jungs — die Züricher Klinik zur Pflegestätte psychoanalytischer Forschung
erhoben. So lernt Abraham in Burghölzli die Lehren Freuds kennen
204
Sdndor Radö
und wird dort, was vielleicht nicht ganz ohne Bedeutung ist, von seinem
Universitätslehrer in die Methoden der Psychoanalyse eingeführt. Ihm selbst
ist dann einige Jahre später von einer anderen Universität der Wunsch
versagt worden, sich für Psychoanalyse zu habilitieren.
Abraham tritt 1907 mit seiner ersten psychoanalytischen Arbeit vor
die Öffentlichkeit und läßt sich noch im selben Jahre als erster Psycho¬
analytiker Deutschlands in Berlin nieder. Seine ärztliche Tätigkeit führt
ihm reichlich das Material zum analytischen Studium der Neurosen zu
und er läßt in rascher Folge die Arbeiten erscheinen, die über die wissen¬
schaftlichen Ergebnisse seiner fortschreitenden Erfahrung berichten* Schon
diese ersten psychoanalytischen Beiträge Abrahams fallen durch eine
Reihe von Zügen auf, die, einer fest umrissenen Persönlichkeit entsprungen,
seine ganze psychologische Einstellung und seine stets gleichbleibende
Arbeitsweise kennzeichnen. Er wendet sich an die Probleme, die ihm die
tägliche Beobachtung entgegenbringt, und sieht sich, ganz nach dem
Winke des großen Klinikers Charcot, die Dinge immer wieder von neuem
an, bis es ihm gelingt, in die scheinbar unentwirrbaren psychologischen
Sachverhalte Klarheit und Ordnung zu bringen. Er deckt mit feinem psycho¬
logischen Verständnis fürs erste die nächsten Zusammenhänge auf, dann
die ferneren, verborgenen, über die entlegensten Details der Einzelfälle
hindurch, erhärtet so die Richtigkeit der grundlegenden psychoanalytischen
Gesichtspunkte, erweitert ihren Inhalt und erhöht ihren Wert. Seine Dar¬
stellung ist anziehend einfach und — trotz aller Zurückhaltung — von
einer geradezu bestechenden Sicherheit durchdrungen, deren Stärke auf
dem unbedingten Zutrauen zum eigenen, mit aller kritischen Vorsicht ge¬
wonnenen Urteil beruht.
Was sich ihm so an neuen Funden und Einsichten ergeben hatte, ist
auch im Lichte späterer Erkenntnis im Grunde bedeutsam geblieben und
gehört zum gesicherten Bestand unseres Wissens. Denken Sie an seinen
ersten, grundlegenden Ansatz zum Verständnis der Dementia praecox, an
die uns heute so geläufige Vorstellung von der Rückwendung der Libido
von den Objekten auf das eigene Ich. Oder an seine frühe und für die
damalige Traumatheorie der Neurosen wie für unsere heutigen Auf¬
fassungen gleich wichtige Einsicht, daß das Kind dem Erleiden sexueller
Traumata durch seine konstitutionelle Eigenart entgegenkommt. Oder an
seinen frühen Nachweis der Beziehungen zwischen Trauer und Melancholie
als an den ersten Einblick in ein dunkles Gebiet, das er dann später so
eingehend erforscht. Selbst wo sich Abraham, wie zur Erholung nach
den Bemühungen um die Nervösen, auf das sublimere Arbeitsfeld der
Geisteswissenschaften begibt, verläßt er niemals den empirischen Boden.
Gedenkreden über Karl Abraham
205
Seine für die Anwendungen der Psychoanalyse wegweisende Abhandlung
„Traum und Mythos“, seine einzig schöne Echnaton-Studie und sein
„Segantini“ sind durchaus von klinischem Geiste erfüllt.
Ich möchte hier, so lückenhaft auch eine solche Aufzählung ausfallen
muß, wenigstens noch einige seiner wichtigeren Arbeiten aus diesen Jahren
anführen. Ich erinnere Sie an seine Untersuchung der hysterischen Däm¬
merzustände, an die Arbeit über Fuß- und Korsettfetischismus, an die
umfassende Abhandlung über die Schaulust und ihre Umwandlungen, an
die Studie über die lokomotorische Angst, an seine erste eingehende ana¬
lytische Darstellung der Ejaculatio praecox und schließlich an seine „Unter¬
suchungen über die früheste prägenitale Entwicklungsstufe der Libido“,
an dieses mit Recht berühmt gewordene Kabinettstück, das dann die Haupt¬
richtung seines analytischen Forschungsinteresses für die ganze spätere Zeit
festlegt.
Nach der Unterbrechung der Kriegszeit, die Abraham in anstrengender
militärischer Dienstleistung verbringt, setzt er mit unverminderter Arbeits¬
freude und ungebrochener Kraft seine analytische Tätigkeit fort. Gleich
zu Beginn dieser zweiten Arbeitsperiode gibt er die Sammlung seiner klini¬
schen Arbeiten zur Psychoanalyse heraus, die ihn als klassischen Vertreter
unserer Wissenschaft auch in der weiteren ärztlichen Mitwelt bekannt
machen, ihm überall, selbst bei den Gegnern, Achtung und Anerkennung
verschaffen. Dieser Publikation folgen in kontinuierlichem Strom kleinere
und umfassendere Untersuchungen aus fast allen Gebieten der Psychoana¬
lyse und mit ihnen erweitert sich immer mehr Abrahams wissenschaft¬
licher Einfluß auf die analytischen Mitarbeiter, bis er, von allen geehrt
und geschätzt, auf dem Salzburger Kongreß (1924) die Führung unserer
internationalen Organisation übernimmt.
Lassen Sie mich aus dem reichen Ertrag dieser Jahre die Arbeiten her¬
vorheben, die er den Vorzugsobjekten seiner Forschung, der Förderung der
Libidolehre und dem Studium der Melancholie gewidmet hat. Sie wissen,
es war ihm eine Erfüllung seiner eigensten wissenschaftlichen Bestre¬
bungen, als er die Resultate langjähriger Untersuchungen in seiner „Ent¬
wicklungsgeschichte der Libido auf Grund der Psychoanalyse seelischer
Störungen niederlegen konnte. Sie wissen auch, in welchem Ausmaße er
unsere positiven Kenntnisse auf diesem Gebiete erweitert hat. Mit einzig¬
artigem Verständnis für das Archaische spürte er die frühesten Äußerungen
und Schicksale der einzelnen Triebkomponenten auf, löste sie aus ihren
Verwicklungen in der Reifung und erkannte ihre späten und entstellten
Abkömmlinge als Umbildungsprodukte der primären Regungen. Wir ver¬
danken ihm die ersten sicheren Umrisse einer auf die Libidotheorie ge-
206
Sdndor RadcS
gründeten Charakterlehre und ebenso die tiefsten Einblicke in die primitiv
libidinösen Vorgänge bei der Melancholie. Es war ein Triumph seiner
exakten klinischen Arbeitsweise, als am Berliner Kongreß (1922) der
Ethnologe R 6 h eim aus dem psychoanalytischen Studium primitivster Völker
Ergebnisse dargestellt hat, die mit seinen gleichzeitig bekanntgegebenen
Erhebungen an pathologischem Material bis ins Einzelne übereinstimmen.
Während seiner mehrjährigen Beschäftigung mit diesem Problemkreis
setzt Abraham zugleich seine Untersuchungen auf allen anderen Ge¬
bieten unserer Wissenschaft fort. Er veröffentlicht Beiträge zur Diskussion
der Kriegsneurosen, zur Tic-Diskussion, zur Technik der analytischen The¬
rapie, eine aufsehenerregende Monographie über den weiblichen Kastrations¬
komplex, eine religionspsychologische Studie über den Versöhnungstag und
viele kleinere Beobachtungen und klinische Funde. In seiner eben er¬
schienenen „Geschichte eines Hochstaplers im Lichte psychoanalytischer
Erkenntnis macht er einen glücklichen Versuch, die Psychoanalyse auf
praktische Probleme der Kriminalpsychologie anzuwenden. Seine letzte,
noch unveröffentlichte Arbeit gibt die analytische Untersuchung des Heil¬
verfahrens von Coud. Aus seinen Kursvorträgen und Mitteilungen in
unserer Vereinigung ist es uns allen bekannt, wie viele andere Fragen ihn
darüber hinaus andauernd beschäftigt haben. Ich erinnere Sie nur an seine
fortgesetzten Bemühungen um die Klärung der Nosologie der Neurosen
oder z. B. an seinen uns hier mitgeteilten ersten Versuch, die frühkind¬
lichen Bedingungen für das spätere asoziale Verhalten eines Individuums
zu ermitteln. Während seiner langwierigen Krankheit faßte er noch neue
Arbeitspläne und Vorsätze. Sie konnten nicht mehr zur Ausführung
gelangen.
Abraham glänzt in all seinen Arbeiten als Meister der feinen Beobach¬
tung und der klinischen Darstellungskunst. Er beschreibt das Psychische
so anschaulich, als wäre es etwas Somatisches, ein sichtbares und greifbares
Präparat. Er hat für die analytische Deskription bleibende Vorbilder geliefert
und in unserer Literatur den Typus der knappen, in ihrer Sachlichkeit voll¬
endeten und doch so lebendigen Krankenberichte geschaffen. Es ist für ihn
bezeichnend, daß er, trotz des ungewöhnlichen Reichtums der von ihm bekannt¬
gegebenen und theoretisch verarbeiteten Funde kaum einen abstrakten Ter¬
minus geprägt hat. Sein Denken wandelt niemals den Begriffen entlang ; seine
Theorienbildung hebt immer bei den Tatsachen an und kehrt — auf dem
Wege der genetischen Zusammenhänge — stets zu den Tatsachen zurück.
Man hat die Empfindung, als hätte der Embryologe in ihm seine Arbeit
an psychischem Material fortgesetzt.
Bedenken wir, wie viel Spielraum die wissenschaftliche Forschung dem
' * • ' * '
Gedenkreden über Karl Abraham
207
von ihr beiseite geschobenen Lustprinzip immer noch übrig läßt und
lassen muß, dann ist in der wissenschaftlichen Eigenart Abrahams ein
asketischer Zug nicht zu verkennen, seine entschiedene Absage an die
narzißtisch so beglückende Spekulation. Was ihm so gelegentlich als
Mangel nachgesagt wurde, scheint uns, als Produkt der absichtlichen Selbst¬
beschränkung, vielmehr der treueste Wächter seiner Stärke gewesen zu sein.
Abraham, dieser große Realist, war in seiner Forschungsarbeit restlos
durch die Eindrücke des Ichs, durch die Wahrnehmung beherrscht. Un-
unerbittlich in der Stellungnahme nach Innen, stand er als Forscher zu
den Dingen der Welt in einer eindeutig fröhlichen, man möchte fast sagen,
zärtlichen Beziehung. Vielleicht ist dies die Quelle des eigenartigen Zaubers,
den seine dem Streben nach ästhetischer Wirkung stets entsagenden Schriften
auf den Leser ausüben. Man spürt die „postambivalente“ Einstellung heraus
und wird dadurch in die gleiche Gefühlslage versetzt.
Wenn wir die Bedeutung Abrahams für die Entwicklung der Psycho¬
analyse richtig erfassen wollen, so müssen wir uns in die Zeit zurückver¬
setzen, in der er sich als einer der ersten Schüler Freuds ihm ange¬
schlossen hatte. Sein Blick wurde weniger durch die großen und allgemeinen
Fragen gefesselt, die sich aus den Forschungen Freuds ergeben haben;
ihn verlockte mehr die Aussicht, eine Fülle neuer klinischer Tatsachen
und Zusammenhänge kennenzulernen und dann ihre weitere Bedeutung für
unser Geistesleben zu verfolgen. Er wandte sich mit seinem vielseitigen
wissenschaftlichen Interesse ganz der Empirie zu und erachtete es als seine
vornehmste Aufgabe, das Instrument, das ihm die Psychoanalyse in die Hand
gab, vollends in den Dienst der mühsamen, aber um so verläßlicheren
klinischen Detailforschung zu stellen. Den Umfang unseres tatsächlichen
Wissens zu erweitern, die Sicherheit unserer Funde zu erhöhen, dies waren
die Ziele, die ihn geleitet haben.
Abrahams Wirken hat daran keinen geringen Anteil, daß uns diese
Orientierung heute so selbstverständlich erscheint. Freud hat eine neue
Wissenschaft ins Leben gerufen und die seit jeher spekulativ betriebene
und in allem Wesentlichen notgedrungen auf die bloße Spekulation an¬
gewiesene Psychologie für die empirische Forschung erobert. Seine Ent¬
deckungen sind ein Wendepunkt in den geistigen Bestrebungen des Menschen¬
geschlechts, und unübersehbar vielgestaltig sind die Impulse, die ihnen der Ein¬
zelne entnimmt. Abraham hat es mit dem sicheren Urteil des nüchternen
Naturwissenschaftlers erkannt, daß dieses großartige Gebäude auf dem
hundament des methodischen Fortschritts ruht, durch den es Freud
überhaupt erst ermöglicht hat, die Phänomene des Seelenlebens in aus¬
gedehntem Umfange in Erfahrung zu bringen. Er wußte nur zu gut, wie
208
Sändor Rad6
sehr die philosophische Spekulation stets geneigt sein wird, sich der empi¬
rischen Funde und theoretischen Einsichten der Psychoanalyse zu be¬
mächtigen und wie sehr es in dieser jungen Erfahrungswissenschaft darauf
ankommt, daß die neuen Kräfte, die sie an sich zieht, vor allem den
fortgesetzten Ausbau der empirischen Grundlagen in Angriff nehmen.
Er hat seinen ganzen erzieherischen Einfluß in dieser Richtung geltend
gemacht und übte auf die analytische Schule eine nachhaltige Wirkung
aus. Bei den anleitungsbedürftigen Jüngern stärkte er das für die eigene
Leistung unerläßliche Selbstgefühl durch die Mahnung, daß in einer
empirischen Disziplin der Tätigkeit und den Resultaten jedes Einzelnen
Bedeutung zukommt und daß die vielfach verschmähte „Kleinarbeit“ der
Weg ist, den jeder ehrlich Strebende mit Erfolg gehen kann. Allen aber
zeigte er durch sein eigenes Beispiel, was die empirisch orientierte For¬
schung zur Förderung der Psychoanalyse beitragen kann. Wir sind geneigt,
die Bedeutung der klinischen Arbeitsrichtung in unserer das ganze
Geistesleben umfassenden Wissenschaft, die so vielen andersartigen und
schätzenswerten Bestrebungen zugänglich ist, hoch anzuschlagen, und
glauben, daß die zielbewußte Hervorhebung und Stärkung der Empirie
das große Verdienst ist, das Abrahams Stellung in der Geschichte der
Psychoanalyse bestimmt. So wird denn die klinische Forschung in der
Psychoanalyse mit dem Geiste Karl Abrahams eng verknüpft bleiben
und seinem Namen auch bei späteren Generationen ein ehrenvolles An¬
denken bewahren.
Gedenkreden über Karl Abraham
209
Theodor Reik:
(In der Trauerfeier der „Wiener Psychoanalytischen Vereinigungam 6. Januar 1926)
Es sind kaum einige Tage, seit uns die Nachricht vom Tode Karl
Abrahams erreichte, und es erscheint verfrüht, eine eingehende Würdigung
seiner einzelnen wissenschaftlichen Arbeiten und seines Wirkens geben zu
wollen. Wir begnügen uns vielmehr damit, den Weg unseres Freundes in
großen Zügen zu verfolgen, und müssen es einer späteren Zeit Vorbehalten,
auf die Bedeutung seiner einzelnen Leistungen einzugehen.
Abraham hatte als Assistent Bleulers bereits wissenschaftliche Bei¬
träge zur klinischen Deskription der Geistes- und Gehirnkrankheiten ver¬
öffentlicht, als er mit den Freudschen Lehren bekannt wurde. Damals,
1904, waren erst einige der grundlegenden Werke Freuds erschienen. Es
galt, größtenteils durch eigene Forschung, vieles, was im Dunkel geblieben
war, aufzuhellen, sich befremdende Widersprüche zu erklären, Verbindungen
zwischen einzelnen Tatsachengruppen herzustellen, ein großes Stück des
abnormen Seelenlebens unter den Gesichtspunkten der Psychoanalyse ver¬
ständlich zu machen. Das lebendige Interesse, die Arbeitslust und der
Forschungsdrang des 27jährigen Arztes wandten sich der neuen Wissen¬
schaft zu. Die noch wenig untersuchte Psychologie geistiger Störungen zog
ihn am stärksten an; mit ihr beschäftigten sich seine ersten analytischen
Arbeiten. Nachdem er die Anstaltstätigkeit mit der freien psychothera¬
peutischen Praxis vertauscht hatte, erweiterte sich der Umkreis seiner Auf¬
gaben und mit ihm der der Probleme, die seine wissenschaftliche Neugierde
erregten. Schon die ersten Beiträge, die Abraham lieferte, zeigten, daß
es ihm nicht genug war, die analytischen Theorien zu überprüfen, sondern,
daß er die neuen Einsichten selbständig verarbeitete und durch sorgfältige
und modifizierende Beobachtungen bereicherte. Bereits 1907 hatte er eine
wichtige Ergänzung der Neurosentheorie geliefert, indem er das Erleiden
sexueller Traumen als Form infantiler Sexual betätigung erkannte und die
Richtigkeit dieser Anschauung durch gute Beispiele nachwies. Jeder seiner
folgenden kleinen Beiträge bedeutete einen Zuwachs neuer Einsichten; schon
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XII/2.
14
210
Theodor Reik
in diesen frühen Arbeiten trat einer seiner Vorzüge entschieden ans Licht,
die Gabe der Differenzierung, welche die eigentlich wichtigste Fähigkeit
des Forschers, der klinisch arbeitet, ausmacht. Der größte Teil seiner
Schriften ist klinischen Untersuchungen ■ gewidmet. Vertiefte Studien, die
sich auf reiche Erfahrungen gründeten, ließen ihn den geglückten Versuch
machen, eine Entwicklungsgeschichte der Libido auf Grund der Analyse
seelischer Störungen zu geben. Ich brauche Ihnen nicht in Erinnerung zu
rufen, welche Bedeutung dieser Arbeit zukommt. Sie knüpft an einen zehn
Jahre zurückliegenden Versuch an, die manisch-depressiven Krankheitszustände
auf psychoanalytischem Wege zu erklären, und stellt das Verhältnis der ver¬
schiedenen Formen psychoneurotischer Erkrankung zu den Stufen der Libido¬
entwicklung dar. Hier werden, den Spuren Freuds folgend, die Krank¬
heitszustände der Melancholie und der manisch-depressiven Erscheinungen
auf ihre tiefliegende psychosexuelle Wurzel zurückgeführt, ihre Entwicklung
aus analytischen Voraussetzungen verständlich gemacht. Die künftige psychia¬
trische und neurologische Forschung wird an diese Arbeiten Abrahams,
welche uns die bisher besten analytischen Einsichten in die Genese und
Struktur dieser Krankheiten geben, anknüpfen müssen. Immer auf den
Boden der induktiven Forschung beharrend, hat er seine Studien den
primitivsten Phasen der Libidoentwicklung zugewendet und liier die beste
Fortführung und Ergänzung der Freudschen „Drei Abhandlungen zur
Sexualtheorie“ gegeben. Erst die Zukunft wird lehren, von welcher Be¬
deutung seine Untersuchungen der prägenitalen Libidoentwicklung und deren
Auswirkungen auf den Charakter sind. Daneben floß ununterbrochen in
bedächtiger Schnelle jener Strom kleinerer Arbeiten, deren jede, ein Muster
analytischer Beobachtungsgabe und analytischen Scharfsinns, Erweiterungen
unseres Wissens um Genese und Sinn der Neurosensymptomatologie brachte,
komplizierte Erscheinungen aufklärte, auf bisher Unbeachtetes hinwies, auf
neue Quellen der Charakter- und Symptombildung aus Partialtrieben und
erogenen Zonen aufmerksam machte, die ersten Einsichten in analytisch
so schwer zu erfassende psychosexuelle Phänomene, wie es die Ejaculatio
praecox ist, lieferte und entscheidende technische Fragen aufwarf und der
Lösung näher führte. Berücksichtigt man, daß er daneben wertvolle Arbeiten
zur Kunstgeschichte, Religionswissenschaft und Mythologie veröffentlicht hat,
daß er sich — wovon seine vorletzte schöne Arbeit zeugt — anschickte,
die analytischen Gesichtspunkte auch auf dem Gebiete der Kriminalistik zu
verwerten, so wird man eine Ahnung — und kaum mehr als eine Ahnung —
bekommen, wie weit er den Umkreis seiner Forschungsinteressen ausdehnte,
ohne der Schärfe des Blickes und der Eindringlichkeit des Erkennens ver¬
lustig zu gehen.
Gedenkreden über Karl Abraham
211
Will man die Arbeitsweise Abrahams charakterisieren, so muß man
davon ausgehen, daß er in erster Linie Kliniker war und blieb; ja, man
muß sagen, daß mit ihm der beste klinische Beobachter aus der Schüler¬
gruppe Freuds ausgeschieden ist. Als er später seine Aufsätze sammelte,
konnte er auch seine früheren Arbeiten unverändert publizieren, obwohl
in der Zwischenzeit manche Korrekturen und Ergänzungen hinzuzufügen
waren, wie er selbst hervorhob. Die wesentlichen Ergebnisse seiner Unter¬
suchungen konnten bestehen bleiben; keine war als prinzipiell irrig zu
verwerfen, weil sie sich auf lange dauernde, sorgfältige Beobachtungen
gründeten. Die rein empirische Gewinnung der Resultate seiner Unter¬
suchungen muß besonders betont werden; es handelte sich immer um
konsequente und geduldige analytische Arbeit, die dazu geführt hatte.
„Ich glaube,“ schreibt er einmal, „jeder spekulativen Überschreitung des
empirischen Bodens entsagt zu haben.“ Niemals hat er versucht, eine
abgerundete Theorie zu geben, er hat im Gegenteil immer wieder auf
Lücken und Mängel des Gebotenen selbst aufmerksam gemacht. Mit seiner
Beobachtungsgabe aber verband sich Scharfsinn und eine seltene Fähigkeit
zur Einfühlung. Man sah seinen Arbeiten an, wie sorgfältig sie vorbereitet
waren, wie sich ihre Resultate langsam aus der Erfahrung destilliert hatten.
Fast alle gehen auf eine größere Anzahl durchgeführter Analysen zurück.
Was er dort gefunden hatte, brachte er in eine knappe, durchsichtige
Form, die fast zu nüchtern, fast zu wortarm anmutete. Man wird ver¬
gebens überraschende Schönheiten der Diktion, vergebens tiefsinnig Klingendes
in seinen Schriften suchen, aber es findet sich auch nichts Verwirrendes
und Verworrenes. Hier herrscht eine Klarheit, die gerade den vielfältigen
und komplizierten Sachverhalten des Seelischen, der Mannigfaltigkeit und
Sprödigkeit des beobachteten Materials gegenüber in hohem Maße erstaunlich
ist. Es werden Verbindungsfäden durch den vielgestaltigsten Stoff verfolgt bis
in die feinsten Auswirkungen, bis in die verborgensten Falten. Die Art der
Problemdarstellung, die Auseinandersetzung der Schwierigkeiten, die ersten
Ansätze zur Lösung, die Berücksichtigung der Vielartigkeit der Erscheinungen,
das Fortschreiten von ersten Eindrücken zu erneuter Erfahrung und schließlich
zu Theorien, die dem Beobachtungsmaterial immer nahe bleiben und an ihm
verifiziert werden — wir haben diese Züge oft bei Abraham bewundert.
Gewiß, seine analytische Begabung hatte bestimmte Grenzen, aber er kannte
sie, hat sie gelegentlich in privatem Gespräch selbst hervorgehoben und ist
nie über sie hinausgegangen. Er hat es nie vermocht, in einem gewaltigen
Al-Fresco-Entwurf, unbekümmert um einzelne Widersprüche der Wirklich¬
keit, ein großes Problem zu umfassen. Er ging immer von einem eng¬
begrenzten, speziellen Thema aus, aber es bleibt unvergessen und unver-
14*
212
Theodor Rcik
geßbar, wie er dies ausführte und wie sich der enge Rahmen erweiterte
und den Ausblick in die Weite gestattete. Niemals hat er dem Leser oder
Hörer durch die Größe der Konzeption imponieren können, aber er hat,
von einer Partialfrage ausgehend, immer gezeigt, zu wie wichtigen Fol¬
gerungen man von dort aus gelangen kann. Es war am Ende immer, wie
wenn die Wände eines engen Raumes allmählich zurücktreten. Immer hat
er uns den Eindruck hinterlassen, daß unser Verständnis und unser Wissen
durch das Gebotene vertieft wurden und daß, was er sagte, nur ein Bruch¬
teil dessen war, was er hätte sagen können und was auszusprechen Vor¬
sicht und wissenschaftliche Zurückhaltung ihm noch verwehrten. Eine
Vorsicht, die nicht der Tapferkeit besseres Teil war, sondern ihre not¬
wendigste Ergänzung im Dienste der Forschung. Er war — als wissen¬
schaftlicher Arbeiter — nie verwegen, aber immer tapfer, nie bestrebt,
die großen Fragen des Seelenlebens aus leichtem Handgelenk zu lösen,
aber ernsthaft, mit unermüdlicher Geduld und Zähigkeit bemüht, Licht
in einzelne verborgene Zusammenhänge zu bringen, nicht genial, aber
vortrefflich, nie hinreißend, aber immer überzeugend.
Seine Tapferkeit hatte den Charakter des Unbeirrbaren, die sich auf das
Ganze des eigenen wissenschaftlichen Strebens bezog und doch bescheiden
die Möglichkeit des einzelnen Irrtums einräumte. Er hörte aufmerksam,
was ihm andere zu sagen hatten, immer willig, fremdes Verdienst anzu¬
erkennen; aber er fand die strengsten Maße für die eigene Leistung in
sich selbst.
Abraham war auch als Arzt von ungewöhnlicher Gleichmäßigkeit. Er
gehörte nicht zu jenen Ärzten, welche über die Unzulänglichkeit ihrer
Wissenschaft durch allzu selbstsicheres Auftreten hinwegtäuschen; zu sehr
hatte er erkannt, wie weit die Medizin noch von einer idealen Therapie
entfernt ist. Aber das Gefühl ruhiger Sicherheit, das er zeigte, teilte sich
allmählich seinen Kranken mit. Gleich weit* von Überschätzung wie Unter¬
schätzung der Wirksamkeit der analytischen Therapie entfernt, konnte er in
ihnen die Überzeugung erwecken, daß sie in bester Obhut seien und daß
sie seiner unbedingten Ehrlichkeit vertrauen durften. Er sprach selten, aber
sein Schweigen war beredt und in besonderer Art drängend und auf¬
munternd; seine Stimme klang in ihrem dunklen Timbre ruhig und be¬
ruhigend. Kühl und auf Distanz bedacht; wenn es galt, doch menschlich
nahe, war er des Vertrauens seiner Schüler und Patienten sicher. Es war
nicht Zufall, daß er den Begriff der Postambivalenz geprägt hat; er schien
in der Analyse selbst wie eine Verkörperung postambivalenten Interesses.
Ein Patient, der bis spät in die Krankheitszeit Abrahams in seiner Ana¬
lyse blieb und ein oder das andere Mal Zeuge der Hustenanfälle und der
Gedenkreden über Karl Abraham
213
Atemnot seines Arztes war, gab unlängst die treffendste Charakteristik:
Dr. Abraham sei ihm wie Horatio erschienen, als „ein Mann, der Stoß’
und Gaben vom Geschick mit gleichem Dank genommen*.
In der Analyse sowie im privaten Gespräch brach bei ihm gelegentlich
ein Stück eigenartig trockenen Humors durch, das seinen Schriften fern¬
geblieben war. Ein einziges Mal konnte ich darin eine pessimistische Note
hören: als ich ihn in diesem Sommer nach der ersten schweren Erkrankung
in der von ihm so geliebten Schweiz besuchte, bemerkte er, daß er am
Gehen bergauf noch durch Atemnot gehindert sei. Lächelnd und mit selt¬
samer Selbstironie fügte er hinzu: „Aber bergab geht’s gut mit mir.“
Beruf wie Neigung drängte ihn gleichermaßen dazu, auch Lehrer der
jungen Generation der Analytiker zu werden: auch in dieser Eigenschaft
war er ruhig, geduldig und gleichmäßig. Seine Erklärungen, sparsam und
sachlich gegeben, klärten den Schüler wirklich auf; sie waren von grauer
Theorie möglichst entfernt und suchten das Erklärungsbedürftige möglichst
aus dem Leben des Schülers selbst, aus gesammelten Beobachtungen von
dessen Charakterzügen, Gewohnheiten und Eigenschaften verständlich zu
machen.
Warum es leugnen? Manche Analytiker meinten, ihre frühe Unab¬
hängigkeit von ihrem Lehrer sowie ihre Selbständigkeit zu beweisen, in¬
dem sie sich rasch von seinen Einwirkungen emanzipierten und in be¬
tontem Gegensatz zu ihm traten. Man hat sich gelegentlich auf das
Wort Nietzsches berufen: „Man vergilt einem Lehrer schlecht, wenn man
immer nur sein Schüler bleibt.“ Allein, was in jenem Auspruch berechtigt
ist, hat nichts mit der — wir können es nicht anders nennen — unan¬
ständigen Eile zu tun, mit der heute die sogenannte „Überwindung“ des
Lehrers vor sich geht. Wir hoffen, daß die Schüler Abrahams gerade
durch die analytische Einsicht, die sie durch ihn gewonnen haben, davor
geschützt sind, die seelischen Relationen zwischen Lehrer und Schüler in
ihrer tiefen und dauernden Wirksamkeit zu unterschätzen, daß sie, auch
wenn sie längst eigene Wege zu gehen gewohnt sind, sich dessen bewußt
sind: was ihnen ihr Lehrer war, bleibt er ihnen doch.
Unbeirrbarkeit und Verläßlichkeit, denen sich Züge norddeutscher Reserve
und Nüchternheit beimengten, bewies er auch in der Gründung und
Führung der Berliner Psychoanalytischen Vereinigung, sowie in der Arbeit
für die Poliklinik, die er in Gemeinschaft mit Dr. Eitingon leistete.
Man muß sich gegenwärtig halten, was es einmal bedeutete, auf dem spröden
Boden Berlin, im Deutschen Reiche Wilhelms II., für die Psychoanalyse
um die ernste Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Kreise zu werben,
was es in einer Zeit des flachsten gesunden Menschenverstandes, in dessen
214
Theodor Reik
Namen die größten Dummheiten behauptet wurden, bedeutete, für die
Theorien des Unbewußten als geachteter Arzt einzutreten und die
analytische Bewegung trotz dem dumpfen Widerstand der Umwelt zu jener
Bedeutung zu führen, die sie heute auf deutschem Boden besitzt. Als
Führer einer sich steigernden Anzahl mutiger Pioniere, nicht durch äußere
Zeichen, aber durch alle inneren, eroberte er mühsam jeden Fußbreit
Boden, blieb gefestigt und gefaßt allen Wechselfällen draußen und im
eigenen Lager gegenüber, blieb bedachtsam, ohne im kleinlichen Sinne
Bedenken zu haben. Hilfsbereit jedem gegenüber, der es ehrlich meinte,
war er bei aller Liebenswürdigkeit doch meistens zurückhaltend und beob¬
achtend, als bliebe er des Rates des Polonius „Give every man thy ear y
hut few thy voice“ eingedenk.
Es kann schwer vermieden werden, daß uns jedes ernste und wichtige
Ereignis, das in unser Leben tritt, nach einiger Zeit langsam wieder zu
analytischen Gedankenzügen zurückführt. Die Psychoanalyse hat uns gezeigt,
daß alle Trauer mit unbewußten Selbstvorwürfen verbunden ist, die sich
auf bestimmte Gefühlseinstellungen dem Verstorbenen gegenüber zurück-
führen lassen. Diese Selbstvorwürfe, so typisch sie auch sind, erscheinen
doch je nach den Beziehungen des Einzelnen zu dem Verstorbenen indi¬
viduell verschieden; einer ist indessen, wie ich glaube, allgemeiner Natur,
Er wurde mir unlängst durch den Ausspruch eines kleinen Jungen, den
ich hörte, wieder zum Bewußtsein gebracht. Der vierjährige Sohn einer
Patientin sah auf der Straße einen Leichenzug und fragte, was das sei.
Die Mutter erklärte ihm, was der Tod und das Begräbnis bedeuten; das
Kind horte aufmerksam zu und fragte dann mit großen Augen: „Aber
wozu ist denn die Musik? Er ist ja tot und hört es nicht mehr.“ Es liegt
ein ernster und tiefer Sinn in der Einfalt dieses kindlichen Ausspruches,
Er läßt uns beschämt die Unzulänglichkeit, ja Ohnmacht unserer Worte
gegenüber dem großen Schweigen erkennen; er führt uns aber auch zu
der beschämenderen Frage: Müssen solche Ereignisse eintreten, daß wir
sagen, ausdrücken können, wie wir unsere Freunde schätzen und lieben?
Dennoch heißt uns, bevor wir die uns allen vorgezeichnete Straße weiter¬
ziehen, inneres Bedürfnis gebieterischer als Ziemlichkeit, Karl Abraham
zum letzten Male grüßen als einen der wertvollsten und erfolgreichsten
Pioniere unserer jungen Wissenschaft. Seine Lebensarbeit, unvollkommen
wie jede wissenschaftliche Bemühung, war doch vollkommen in ihrer Art;
Stückwerk wie jede Forschung, war sie doch ein Ganzes. In der Frucht¬
barkeit seiner wissenschaftlichen Leistung sowie in der Nachwirkung im
Leben und in der Arbeit seiner Schüler wird das Werk den Meister loben,
der allzufrüh unsere Reihen verlassen hat.
Gedenkreden über Karl Abraham
215
M. W. Wulff:
(In der Trauerfeier der „Russischen Psychoanalytischen Vereinigung u in Moskau, am IJ . Februar 1926)
Am 25. Dezember 1925 starb in Berlin nach langer, schwerer Krankheit
Dr. Karl Abraham, der Vorsitzende der Internationalen Psychoanalyti¬
schen Vereinigung. Der vorzeitige Tod dieses hochbegabten Forschers und
tiefen Denkers auf der Höhe seiner wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit
ist ein unersetzlicher Verlust für die Psychoanalyse.
Abraham trat wissenschaftlich zuerst im Jahre 1907 hervor. Er war
damals Assistent an der Züricher Klinik und seine erste psychoanalytische
Arbeit „Über die Bedeutung sexueller Jugendtraumen für die Symptomato¬
logie der Dementia praecox“ ging aus dieser Klinik hervor. Im gleichen
Jahr übersiedelte er nach Berlin, wo er von da ab seine fruchtbare wissen¬
schaftliche und ärztliche Tätigkeit entfaltete. Die gründliche klinische
Schulung prägte ihren unauslöschlichen Stempel seiner ganzen späteren
wissenschaftlichen Tätigkeit auf. Abraham blieb während seines ganzen
Lebens in erster Linie Kliniker.
Im Jahre 1921 gab er eine fast vollständige Sammlung seiner bis dahin
erschienenen Arbeiten unter dem Titel „Klinische Beiträge zur Psycho¬
analyse“ heraus. Als fein beobachtender Empiriker, vorsichtiger und tief¬
schürfender Forscher wurde er zu einem der ersten Kliniker auf dem
Gebiete der Psychopathologie.
Es würde zu weit führen, die Arbeiten Abrahams im einzelnen aus¬
führlich zu besprechen. Ich werde mir erlauben, mich auf die wichtigsten
zu beschränken, die eine besondere Rolle in der Entwicklung der psycho¬
analytischen Wissenschaft gespielt haben. Manche seiner Arbeiten haben
auch auf die Entwicklung der modernen Psychiatrie einen gewissen Einfluß
ausgeübt. Ich erwähne zunächst seinen im Jahre 1908 erschienenen Aufsatz
„Die psychosexuellen Differenzen der Hysterie und der Dementia praecox .
Erwägen wir, daß diese Arbeit vor 18 Jahren erschienen ist, so genügt
es, einige grundlegende Ideengänge aus ihr anzuführen, um zu zeigen.
216
M. W. Wulff
daß diese zuerst von Abraham geäußerten Gedanken, die damals außer¬
ordentlich neu und kühn erschienen, heute zu den allgemein anerkannten
Wahrheiten der Psychoanalyse gehören. So z. B. die Ansicht, daß die
grundlegende Störung beim Jugendirresein auf affektivem Gebiet liege,
daß die Dementia praecox die „Übertragungsfähigkeit“, „die Fähigkeit
zur Objektliebe“ vernichte. Nach Beobachtung einer weiteren Zahl klinischer
Fälle kommt Abraham zum Schluß, daß das Jugendirresein sowohl die
Objektliebe, als auch die „Sublimierungsfähigkeit“ zerstöre; er betrachtet
diesen Zustand als eine Regression der Libido auf die kindliche Stufe der
„Autoerotik“ und erklärt von diesem Standpunkt aus auch die übrigen
Grundsymptome der Dementia praecox. Dabei äußert er eine Reihe von
Hypothesen, die durch spätere Forschungen vollinhaltlich bestätigt wurden.
So z. B., wenn er vom Verfolgungswahnsinn des an Dementia praecox
Leidenden sagt: „Es scheint, als ob die Verfolgungsideen sich besonders
gegen diejenigen Personen richten, auf welche der Patient einstmals seine
Libido in besonderem Grade übertragen hatte, ln vielen Fällen wäre also
der Verfolger ursprünglich Sexualobjekt gewesen,“ In Bezug auf den Größen¬
wahn Schizophrener schreibt Abraham: „Die auf das Ich zurückgewandte
reflexive oder autoerotische Sexualüberschätzung ist die Quelle des Größen¬
wahnes bei der Dementia praecox.“ Indem er den Vergleich zwischen
Dementia praecox und Hysterie weiterführt, sagt er: „Im Autoerotismus
liegt der Gegensatz der Dementia praecox auch gegenüber der Hysterie.
Hier Abkehr der Libido, dort übermäßige Objektbesetzung, hier Verlust
der Sublimierungsfähigkeit, dort gesteigerte Sublimierung.“
Wenn man bedenkt, daß diese Arbeit einige Jahre vor dem bekannten
Werk Bleulers über die Schizophrenie erschienen ist, in dem Bleuler
feststellt, daß das Haupt- und Grundsymptom dieser Krankheit, das er
Autismus nennt, in einer Zurückziehung der Affekte des Kranken von der
umgebenden Realität und ihren Objekten besteht, und daß nicht nur dieser
Begriff, sondern der Terminus „Autismus“ selbst dem Begriff und dem
Terminus des „Autoerotismus“ in etwas veränderter Form entnommen ist,
so wird man wohl kaum mehr daran zweifeln, daß die anfangs geäußerte
Ansicht über die Wirkung mancher Gedankengänge Abrahams auf die
Entwicklung der modernen Psychiatrie zu Recht besteht. Aus dieser Zeit
stammt sein eingehender kritischer Aufsatz, in dem er Jungs „Versuch
einer Darstellung der psychoanalytischen Theorie“ entgegentrat.
Es ist bekannt, daß die psychoanalytische Lehre von Anfang an ihr
Forschungsbereich erweiterte und die verschiedenartigsten Äußerungen der
menschlichen Psyche in ihrer phylo- und ontogenetischen Entwicklung
erfaßte. Sie machte in weitgehendem Maße Gebrauch von den Methoden
Gedenkreden über Karl Abraham
217
der vergleichenden Psychologie, indem sie die Erfahrungen der individuellen
Psychologie mit den auf dem Boden der Psychopathologie gewonnenen
verglich, die Beobachtungen aus dem Reich des Unbewußten mit den
Ergebnissen der Mythologie, der Folklore, der Philologie und der Beobach¬
tung der kindlichen Psyche in Beziehung setzte. Die Trieblehre der Psycho¬
analyse versuchte das Verständnis der psychischen Tatsachen zu vertiefen
und sie mit den biologischen Tatsachen in Einklang zu bringen u. v. m.
An keinem dieser Wissenszweige und Grenzgebiete ging Abraham vor¬
über. Schon im Beginn seiner wissenschaftlichen Tätigkeit publizierte er
eine Arbeit über die Übereinstimmung psychischer Vorgänge in Traum
und Mythos. Bald darauf gab er eine glänzende Schilderung der Persön¬
lichkeit und des künstlerischen Schaffens von Segantini und bewies
damit, wie die psychoanalytische Forschung unser Verständnis für Künstler
und Kunst bereichert und vertieft.
Eine vollständige Sammlung der wissenschaftlichen Arbeiten Abrahams
zeigt, wie umfassend und vielseitig seine wissenschaftlichen Bestrebungen
waren. Von besonderem Interesse für den Sexualforscher sind seine Schriften
über „Die psychologischen Beziehungen zwischen Sexualität und Alkoholis-
xnus“, „Bemerkungen zur Psychoanalyse eines Falles von Fuß- und Korsett¬
fetischismus“, „Ohrmuschel und Gehörgang als erogene Zone“ u. a. m.
Dem Eugeniker werden die Arbeiten: „Die Stellung der Verwandtenehe
in der Psychologie der Neurosen“ und „Über neurotische Exogamie“ Wissens¬
wertes bieten. Den Psychologen werden die Aufsätze „Über die determinierende
Kraft des Namens“, „Zur narzißtischen Bewertung der Exkretionsvorgänge
in Traum und Neurose“ und manche andere interessieren. Aber das
Hauptinteresse Abrahams galt der Psychologie der Neurosen und Psychosen.
Diesen Problemen ist der Hauptanteil seiner wissenschaftlichen Tätig¬
keit gewidmet. Ich erinnere an seine, man darf wohl sagen, klassische
Arbeit „Über hysterische Traumzustände“. Sehr interessant für das Ver¬
ständnis der schwierigen und komplizierten Struktur der Zwangsneurose
ist sein Aufsatz „Über ein kompliziertes Zeremoniell neurotischer Frauen“.
Diese Arbeit gewinnt an Interesse und Bedeutung noch dadurch, daß
manche Einzelheiten des darin behandelten Zeremoniells weit verbreitet
sind und auch bei solchen Personen vorzukommen pflegen, die von sich
und anderen als völlig gesund angesehen werden. Ein kleiner Beitrag
Abrahams „Zur Psychogenese der Straßenangst im Kindesalter“ wirft
Licht auf diese Erscheinung, die durch ihr häufiges Vorkommen bei Kindern
kaum als pathologisch angesprochen werden darf. Die Frage der patho¬
logischen Angst beschäftigt Abraham des öfteren und hier verdient sein
kleiner Aufsatz „Über eine konstitutionelle Grundlage der lokomotorischen
218
M. W. Wulff
Angst“ besondere Beachtung. Hier weist Abraham auf ein angeborenes,
konstitutionelles Moment hin, das einen Faktor für die Entstehung der
pathologischen Bewegungsangst abgibt.
Abraham, der eine ausgedehnte Praxis zu bewältigen hatte, hatte großes
Interesse auch für die therapeutische Technik der Psychoanalyse und wid¬
mete diesem Thema mehrere Schriften, so z. B. „Über eine besondere
Form des neurotischen Widerstandes gegen die psychoanalytische Methodik“
und „Zur Prognose psychoanalytischer Behandlungen- in vorgeschrittenem
Lebensalter“. Seine größten Arbeiten widmete Abraham der Förderung der
Libidotheorie, zu ihr kehrt er immer wieder zurück, auch bei Bearbeitung
spezieller Fragen der Psychopathologie. Hier muß man in erster Linie
seine wichtige Arbeit „Untersuchungen über die früheste prägenitale Ent¬
wicklungsstufe der Libido“ und sein Buch: „Versuch einer Entwicklungs¬
geschichte der Libido auf Grund der Psychoanalyse seelischer Störungen“
nennen.
Ich möchte nur noch an die’ Arbeiten Abrahams erinnern, die cha-
rakterologische Fragen und die Bedeutung des weiblichen Kastrationskom¬
plexes behandeln: „Psychoanalytische Studien zur Charakterbildung“ und
„Äußerungsformen des weiblichen Kastrationskomplexes“.
In all diesen Arbeiten bleibt Abraham Empiriker, der von klinischen
Beobachtungen und Tatsachen ausgeht, und sein Gedankengang ist immer
streng induktiv und analytisch.
Dieser kurze Überblick über die fast zwanzigjährige wissenschaftliche
Wirksamkeit Abrahams konnte dem Reichtum seiner Leistungen lange
nicht gerecht werden. Seine Tätigkeit wurde allzufrüh und grausam von
einem unerwarteten Tode unterbrochen. Mit ihm starb ein feiner und tiefer
Forscher, ein vorsichtiger Beobachter und ein Gelehrter, der die Wissenschaft
leidenschaftlich geliebt hat. Als einer der ersten und bedeutendsten Schüler
Freuds hat er, seinem Meister gleich, seine wissenschaftlichen Ansichten
offen verkündet, unbekümmert um die herrschenden Meinungen und das
Verhalten der Schulwissenschaft.
KORRESPONDENZBLATT
DER
INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN
VEREINIGUNG
Redigiert von Dr. M. Eitingon, Zentralsekretär
. '•
Korrespondenzblatt
221
Berichte der Zweigvereinigungen
Berliner Psydioanalytisdie Vereinigung
I. Quartal 1926
12. Januar. Trauerfeier für Karl Abraham (kurzer Bericht darüber
bereits im vorigen Heft erschienen; die dort gehaltenen Gedenkreden sind in
diesem Heft veröffentlicht).
23. Januar. Generalversammlung. Die Berichte des Vorstandes, des
Direktors der Poliklinik, des Unterrichtsausschusses, des Kassenwartes und des
Kuratoriums zur Verwaltung des Stipendienfonds “ werden genehmigt. — Der
Mitgliedsbeitrag wird unter Einbeziehung des Abonnements für „Zeitschrift“
und „Imago“ auf M. 60.— pro Jahr festgesetzt.
Die außerordentlichen Mitglieder Dr. med. Hans Lampl, Dr. med. Heinrich
Meng (Stuttgart) und Frau Ada Müller-Braunschweig werden zu
ordentlichen Mitgliedern gewählt. — Dr. med, Otto Fenichel wird aus der
Wiener Gruppe als ordentliches Mitglied übernommen. — Dr. med. Alfred
Groß (Rerlin-Halensee, Küstrinerstr. 4) wird zum außerordentlichen Mitglied
gewählt. — Frau Alice Bai int scheidet durch Übertritt in die Budapester
Gruppe aus der Vereinigung aus.
Das Dahinscheiden ihres Gründers und bisherigen Oberhauptes Dr. Karl
Abraham hat die Vereinigung vor die Aufgabe gestellt, einen neuen Präsi¬
denten zu wählen. In den Vorberatungen wurde der verdienstvolle Direktor
der Poliklinik und bisherige Schriftführer der Vereinigung Dr. Max Eitingon
allgemein zum Vorsitzenden vorgeschlagen. Nachdem es nicht gelungen ist,
ihn für diese Funktion zu gewinnen, wird einstimmig folgender Vorstand
gewählt: Dr. Simmel (Vorsitzender ), Dr. Radd (Schriftführer ), Frau
Dr. Horney (Kassenwart). — In den Unterrichtsausschuß werden gewählt:
Drs. Eitingon (Vorsitzender), Karen Horney, Carl Müller-Braunschweig
(Schriftführer) y Radö, Sachs und Simmel. — In das „Kuratorium zur
Verwaltung des Stipendienfonds“ werden gewählt: Drs. Boehm, Härnik
und Liebermann.
26. Januar. Rechtsanwalt Dr. Hugo Staub (a. G.): Psychoanalyse und
Strafrecht.
222
Korrespondenzblatt
9. Februar. Fortsetzung der Diskussion über „Psychoanalyse und Strafrecht“.
— In der Geschäftssitzung wird Frau Dr. ined. Elisabeth Naef (Berlin W 62,
Lutherstr. 6) zum außerordentlichen Mitglied gewählt.
20. Februar. Dr. Erwin Cohn (a, G.): Lass alle als Führer.
2, März. Kleine Mitteilungen. Dr. Walter Cohn (a. G,): Referat über
Freuds neue Ergänzungen zur Traumdeutung. — Frau Klein: a) Zwei
korrespondierende Fehler in einer Schularbeit; h) Welche Vorstellungen ein
fünfjähriger Knabe mit Erziehungsmaßnahmen verband. — Dr. C. Müller-
Braunschweig: a) Vom frühen Sexualwissen der Kinder; b) Negative
Halluzination und Kastrationskomplex. — Dr. F e n i c h e 1 : Einige noch nicht
beschriebene infantile Sexualphantasien.
13. März. Dr. Simmel: Doktorspiel, Wiederholungszwang und Arztberuf.
Dr. Walter Cohn (a. G.): Referat über Freuds „Nachträge zum Ganzen
der Traumdeutung“. — In der Geschäftssitzung wird Dr. phil. Erwin Cohn
(Berlin W 50, Pragerstr. 35) zum außerordentlichen Mitglied gewählt.
27. März. Diskussionsabend über „Psychoanalyse und Öffentlichkeit“. Ein¬
leitende Referate: Dr. Alexander und Dr. Bernfeld. Diskussion: Drs.
Simmel, Härnik, Liebermann, Sachs, Radd, Korber, Eitingon, Horney, C. Müller-
Braunschweig.
*
Die Vereinigung veranstaltete in ihrem Institut (Berlin W 35, Pots-
damerstr. 29) im 1. Quartal 1926 folgende Fach- und Ausbildungskurse:
1) Dr. Sändor Radd: Einführung in die Psychoanalyse. II. Teil (Klinik
und Theorie der Neurosen), 6 ständig. (Hörerzahl: 32.)
2) Dr. Carl M üller-Braunschweig: System der Psychoanalyse. I. Teil
(Begriff der Libido, Trieblehre, Struktur des seelischen Organismus, Verdrängung,
das Unbewußte). 2. Hälfte. 5stündig. (Hörerzahl: 11.)
3 ) Dr. Siegfried Bernfeld (Wien, a. G.): Pädagogische Psychologie auf
psychoanalytischer Grundlage. 5ständig. (Hörerzahl 75.)
4) Dr. Franz Alexander: Neurose und Gesamtpersönlichkeit. (Die neuere
Entwicklung der psychoanalytischen Theorie in ihrer Verwendung auf die
Praxis.) 4stündig. (Hörerzahl: 20.)
j) Dr. Hanns Sachs: Die psychoanalytische Technik, II. (besonderer) Teil:
Die Anwendung. (Nur für Fortgeschrittene.) 7stündig. (Hörerzahl: 17.)
6) Dr. Felix Boehm: Seminaristische Übungen über ausgewählte Kapitel
aus Freuds Schriften. (Für Fortgeschrittene.) Sstündig. (Hörerzahl: 20.)
7 ) Dr. Sändor Radd: Technisch-therapeutisches Kolloquium. (Nur für aus¬
übende Analytiker, insbesondere Ausbildungskandidaten, Persönliche Anmeldung.)
3stündig. (Hörerzahl: 14.)
8) Dr. Eitingon, Dr. Simmel, Dr. Radd: Praktische Übungen zur
Einführung in die psychoanalytische Therapie. (Nur für Ausbildungskandidaten.)
(11 Kandidaten.) ■*
Dr. Sändor Radd
SckrctÄr
Korrespondenzblatt
223
British Psycho-Analytical Society
I. Quartal 1926
6. Januar. Trauerfeier für Karl Abraham. Dr. Ernest Jones wies in
seinem Nachruf besonders auf Dr. Abrahams Bedeutung als Pionier der
Forschung hin, auf die hohe Wertschätzung, derer er sich bei allen erfreute
und auf das Ansehen, das er als Führer genoß. Er erinnerte die Mitglieder
auch daran, daß Dr. Abraham Ehrenmitglied der britischen Vereinigung ge¬
wesen sei.
Im Anschluß an diese Sitzung fand eine Diskussion über eine vor kurzem
erfolgte Preßkampagne gegen die Psychoanalyse statt.
20. Januar. Dr. James Glover hielt einen kurzen Vortrag zur Eröffnung
einer Diskussion über das „Ich“,
5. Februar. Mr. L. S. Penrose : Psychoanalytische Bemerkungen über die
Verneinung. — Freud hat festgestellt, daß Verneinung eines Gedankens sein
Vorhandensein im Ubiu beweist. Daraus ergibt sich, daß überbetonte Be¬
jahung einer Ubw -Verneinung äquivalent ist. Es gibt drei Arten von über¬
betonter Bejahung: 1. Emphase, 2. Wiederholung, 3. Tautologie oder verhüllte
Wiederholung. Vorschläge, wie man den Kritiken von Psychoanalytikern, die
das Gesetz der Kritik nicht beachten, begegnen soll. Analyse des Symbols für
Verneinung und Bejahung. Die intellektuelle Akzeptierung des Ubiu. Das Ver¬
hältnis dieser Tatsache zur mathematischen Beweisführung, die ausschließlich
deduktiv ist. Induktive Schlußfolgerung ist das Charakteristikum der Genital¬
libido. Sie ist nicht streng logisch und bringt Gefahren mit sich, die bei der
strengen Logik nicht vorhanden sind.
Die Gesetze der Logik sind nicht (wie Alexander behauptet) introjizierte
Realität, sondern projizierte fundamentale psychologische Mechanismen. Die Reali¬
tät gibt uns den Glauben an die Induktion, das, was war, wird wieder sein, aber
wir müssen das Risiko in Kauf nehmen, daß es auch nicht so sein wird. Im nor¬
malen Denken ist das Schlußfolgern ein Diener aber kein Herr und dient zur
raschen und wirksamen Handhabung von Schlußfolgerungen, wenn zum Bei¬
spiel ein Reiz wahrgenommen wird, um zu wissen, wie man früher darauf
reagierte und was der Effekt war.
17. Februar. Das Thema der Diskussion war „Besetzung“. Die Mitglieder
waren schon früher gebeten worden, eine präzise Definition des Begriffes zu
bringen, oder in Ermangelung einer solchen eine Darlegung, für was für ein
Phänomen die Besetzung gehalten werde, und ihre Ansichten über die Be¬
deutung dieses Begriffes für die Psa-Theorie mitzuteilen.
Mr. L. S. Penrose, 7 Caroline Place, Mecklenburg!! Square, London WC 1,
wurde zum Associate member gewählt.
g. März. Mr. A. G. Tansley hielt einen kurzen Vortrag über einen be¬
stimmten Typus einer Masturbationsphantasie. Er schildert den Inhalt dieser
Phantasie, der darin besteht, daß dem Masturbanten auf verschiedene Art und
Weise ein virginales Sexualobjekt durch eine ältere Frau beschafft wird. Er
meinte, daß diese Phantasie durch die frühe Spaltung der Subjektlibido zwischen
Mutter und Schwester determiniert wurde. — Dr. James Glover und Dr. Ernest
224
Korrespondenzblatt
Jones waren vielmehr der Ansicht, daß es sicli bei den zwei weiblichen
Personen der Phantasie um eine Spaltung der Mutterimago handle.
Dr. Douglas Bryan gab einen Bericht über einen schweren Anfall von
Schlucken bei einem Patienten, der während der Behandlungsstunde als vor*
übergehendes Symptom auftrat. Das Symptom verschwand sofort, als sich der
Patient erinnerte, daß ihn ein Dienstmädchen, als er drei Jahre alt war, dazu
gebracht hatte, sein Gesicht ganz nahe an ihren Geschlechtsteil zu pressen
und daß er dabei sowohl Anziehung als Abstoßung empfunden hatte.
Dr. Ernest Jones berichtete über ein Kastrationssymbol bei einem kleinen
Kind. — Dr. John Ri ckm an gab einen kurzen Bericht über „E.R.A.“.
Der elektrische Apparat, der bei der „elektroionischen Reaktion“ verwendet
wird, ist bekanntermaßen lächerlich, es sind bis jetzt auch noch keine Unter¬
suchungen der psychischen Reaktionen derjenigen, die die Methode ange¬
wendet haben, publiziert worden. Es wurde über eine diesbezügliche Unter¬
suchung berichtet und daraus Folgerungen gezogen. — Dr. Edward Glover
berichtete über eine „technische“ Form eines Widerstandes. Die Verwendung
technischer Ausdrücke während des Assoziierens, um das Unbewußte auszu¬
drücken. Ein Patient sieht das Über-Ich als ein phallisches Symbol an und sieht
voll Angst jede analytische Modifizierung oder jede Einmischung in diese Ieh-
Institution. Analyse dieser Einstellung zeigt starken Widerstand. Ähnliche
Mechanismen bei anderen Fällen werden beschrieben.
17. März. Kurze Mitteilungen, hauptsächlich im Zusammenhang mit Geburts¬
träumen.
Dr. Douglas Bryan
Sekretär
Indian Psyclio-Analytical Society
I.—IV. Quartal 1Q25
25. Januar. Jahresversammlung, bei der der Jahresbericht der Vereinigung
für 1924 angenommen und der Vorstand für 1925 gewählt wurde. In den
Vorstand wurden gewählt: Dr. Girindrashekhar Bose D. Sc., M. B. (Präsi¬
dent) \ Mr. Manmath Nath Banerjee M. Sc. (Sekretär ); Dr. Narendra Nath
Sen Gupta M. A., Ph. D.; Mr. Gobin Chand Bora B. A.
29. März, Dr. G. Bose: Über die Natur des Wunsches. — Dr. Sarasilal
Sarkar: Mitteilung über die Psychologie eines „Sakhivabini“.
20. August. Dr. Sarasilal Sarkar: Psychologie eines Mörders,
5. September. Dr. G. Bose: Die homosexuellen Strebungen der Psycho-
neurotiker.
7. September. Fortsetzung des Vortrages von Dr. Bose.
13, September. Fortsetzung des Vortrages von Dr. Bose.
Informative Zusammenkünfte über verschiedene psychoanalytische Themen
wurden wie in den vorhergehenden Jahren fast jeden Samstag im Hause des
Präsidenten abgehalten, an denen auch Gäste und Freunde von Mitgliedern
teilnahmen.
M, N. Banerjee M. Sc.
Sekretär
Korrespondenzblatt
225
Magyarorszägi Pszidioanalitikai Egyesület
I. Quartal 1926
Die erste Sitzung des Jahres, am g. Januar, begann mit einer Trauerkund'
gebung für den dahingeschiedenen Zentralpräsidenten Dr. Karl Abraham.
Der Präsident der ungarischen Vereinigung, Dr. S. Ferenczi, würdigte die
wissenschaftlichen Verdienste und die hervorragenden persönlichen Eigen*
schäften des Verstorbenen, der die Internationale Vereinigung mit so viel Takt
und Festigkeit leitete. Er teilte mit, daß er an den Trauerfeierlichkeiten in
Berlin teilnahm und auch im Aufträge Prof. Freuds einige Worte des Ab¬
schieds sagte. Die ungarische Vereinigung drückte ihr Beileid der Familie
A b r a h a m aus und legte einen Kranz auf die Bahre des allgeehrten Führers
nieder.
Dr. W. Reich (Wien): Die psychischen Störungen des Orgasmus.
23, Januar, Geschäftliche Sitzung. Die von der Regierung geforderte
Revision der Geschäftsordnung wird durchgeführt, Dr. S. Pfeifer als drittes
Vorstandsmitglied zum Kassenwart gewählt. Die Studienkommission nahm ihre
Tätigkeit auf.
6. Februar. Dr. jur. G. Dukes (als Gast): Eine neue Strafrechtstheorie.
(Referat und Kritik der Theorie von Th. Reik.)
20. Februar. Kasuistische Mitteilungen: Dr. Michael Bälint: a) Eine
agoraphobische Kranke mit Extrasystole, b) Analytische Deutung von Magen-
symptomen. c) Baldigste Identifizierung mit dem Verstorbenen nach dem
Todesfall. — Dr. S. Pfeifer: Anal-orale Zusammenhänge in einem Falle
von Sprachstörung. Dr. I. Hermann: Aus der Analyse eines Stotterers.
13. März. Dr. S. Ferenczi: Über das Problem der Unlustbejahung.
27. März. Dr. M. J. Eisler: Der biologische Sinn der Reflexe und ihre
Störung bei Tabes dorsalis.
*
Geschäftliches: Frau Alice Bälint, bisher außerordentliches Mitglied
in Berlin, wird als ordentliches Mitglied in die Budapester Gruppe übernommen.
— Dr. Michael Bälint wurde zum ordentlichen, Dr. Geza Dukes zum
außerordentlichen Mitglied gewählt.
Dr. Imre Hermann
Sekretär
Nederlandsdie Vereeniging voor Psychoanalyse
I. Quartal 1926
Am go. Januar wurde in Amsterdam die Jahresversammlung abge¬
halten.
Der erste Teil der Sitzung war dem Gedenken an den dahingeschiedenen
Präsidenten der J. P. V., Dr. Karl Abraham, gewidmet. Der Vorsitzende,
Int, Zeitschr. f. Psychoanalyse, XII/2.
15
226
Korrespondenzblatt
Dr. van Emden, würdigte die außerordentlichen Verdienste, die sich Dr. Abraham
um die Psychoanalyse erworben hat und gab einen kurzen Überblick über sein
Leben und Wirken als Arzt, Forscher und Organisator. Den Redner und einige
andere Mitglieder der Gruppe verknüpfte eine langjährige und warme Freund¬
schaft mit Dr. Abraham. Anläßlich seines Besuches in Holland lernte ihn vor
kurzem die ganze Vereinigung kennen und alle Mitglieder trugen von seiner
anziehenden Persönlichkeit einen tiefen und nachhaltigen Eindruck davon,
Dr. F. P. Müller erstattete den Bericht des Unterrichtsausschusses. — Der
Vorstand wurde wiedergewählt.
Dr. Westerman-Holstijn hielt einen Vortrag über einen Fall von
Pseudoparanoia. Patient begann iin Militärdienst zu simulieren und konnte
später das Simulierte und die sich ihm ungewollt aufdrängenden homosexuellen
Verfolgungsideen nicht auseinanderhalten. Er wurde von seiner Krankheit, welche
Vortragender als eine hysterische Reaktion aufgefaßt hat, geheilt.
Dr. A. Endtz
Sekretär
New York Psycho-Analytic Society
II.—IV. Quartal 1925
28. April. Dr. Jelliffe: Die Psychopathologie der epidemischen Enze-
phalitis. — Der Vortrag befaßte sich mit einer Annäherung der Psychoanalyse an
die Psychopathologie der epidemischen Enzephalitis unter spezieller Bezugnahme
auf die Relation von Soma und Psyche. Der Autor hat schon seit langem für
dieses Gebiet besonderes Interesse bekundet und auch seit vielen Jahren auf
demselben gearbeitet.
26. Mai. Dr. Lehr man: Klinische Mitteilung über eine Phantasie „Ein
Kind wird geschlagen“. Diese Mitteilung brachte das Material eines neunzehn¬
jährigen schizophrenen Mädchens, das infolge ihres psychopathischen Zustandes
bereitwillig Elemente und Taten dieser Phantasie in äußerst durchsichtiger
Form mitteilte. — Dr. Feigenbaum: Klinische Mitteilung: „Bemerkungen
über eine Angsthysterie.“ Es handelte sich um die Phobie einer dreiund-
dreißigjährigen verheirateten Frau, die sich nicht traute, die Wohnung ihrer
Mutter zu verlassen. Die bloße Erwähnung der Übersiedlung in ihre eigenes
Heim löste sofort Weinkrämpfe, Ohnmachtsgefühle, Zittern usw. aus. Auf die
normale Entwicklung des Ödipuskomplexes hatte ein psychopathischer Vater
in früher Kindheit störend eingewirkt. Identifizierung mit dem Vater und
Todeswünsche gegen die Mutter fanden sich im Zentrum der Neurose.
Dr. Max D. Mayer wurde zum Associate member gewählt.
27. Oktober. Dr. Oberndorf: — Neueste Eindrücke über den Stand der
Psychoanalyse in Europa. Der Vortrag behandelte im wesentlichen die Fort¬
schritte der Berliner und Wiener Poliklinik und enthielt eine Schilderung
ihrer Organisation, Finanzierung, Verwaltung und ihres Wirkens. Der enge
Kontakt der Berliner Poliklinik mit dein Lehrinstitut, das der Ausbildung in
der Psychoanalyse dient, wurde besonders hervorgehoben.
Korrespondenzblatt
227
24. November. Dr. Feigenbaum: Analyse eines Falles von hysterischer
Depression. — Vortragender behandelte in deutlicher und verständlicher Form
das Material aus der Analyse eines Mädchens, das in die Behandlung kam,
nachdem es fast achtzehn Monate an einer schweren Depression gelitten hatte.
Das ungeheure Material, das sich überhaupt nur schwer und unter Einbuße
seines Wertes zu einer gekürzten Wiedergabe eignet, wurde in einer syste¬
matischen Form gebracht, die für alle Anwesenden instruktiv und befriedigend
war, und rief eine lebhafte Diskussion hervor, speziell bei der Erörterung von
praktischen klinischen Aussichten.
Dr. Oswald Bolte wurde zum Associate member gewählt.
Dezember. Die Sitzung entfiel, weil die American Psycho-Analytic Associa¬
tion am 27. Dezember 1925 in New York City zusammenkam.
Dr. Monroe A. Meyer
Sekretär
Russische Psychoanalytische Vereinigung
IV. Quartal 1925
7. Oktober. Geschäftliche Sitzung.
14. Oktober. Dr. M. W. Wulff: Bericht über den IX. Internationalen
Kongreß in Homburg. — Geschäftliche Sitzung mit den Vertretern der rus¬
sischen Ortsverbände (Odessa, Kiew u. a.).
Dr. Kogan sprach über die analytische Arbeit in Odessa. Die Gruppe in
Odessa hat zwei Mitglieder: Dr. Kogan und Dr. C h a 1 e t z k i, die beide an der
Psychiatrischen Klinik arbeiten. Es wurden in Odessa einige öffentliche Vor¬
träge gehalten und auch einige Bücher in russischer Sprache herausgegeben.
(U. A. Ferenczi: Introjektion und Übertragung.)
Dr. Winogradow sprach über die analytische Arbeit in Kiew. Die
Gruppe besteht aus einigen Ärzten, darunter Dr. Winogradow, Dr. Sal¬
kin d und Dr. Goldowsky. Im I. Semester 1925/26 wurden analytische
Vorlesungen an dem staatlichen klinischen Institut gehalten und außerdem
fanden zwei Seminare für Studierende statt.
Die Sitzung bestätigte die psychoanalytischen Gruppen in Odessa und Kiew
unter der Leitung der Russischen Psychoanalytischen Vereinigung in Moskau.
In derselben Sitzung faßte die Vereinigung ferner den Beschluß, dem
Internationalen Psychoanalytischen Verlag die Einrichtung einer russischen
Abteilung vorzuschlagen. Die Vereinigung selber hofft in Kürze mit der
Herausgabe einer russischen Psychoanalytischen Zeitschrift beginnen zu können.
22. Oktober. Geschäftliche Sitzung.
28. Oktober, Vera Schmidt: Über die praktische Anwendung der
Psychoanalyse in der Pädagogik. (Wird in Hoffers Sammelbuch veröffentlicht).
12. November. Al. Luria: Über die Möglichkeit der Anwendung des
Experiments für psychoanalytische Ziele. — Dr. R. Averbuch: Über einen
Fall von Homosexualität.
18. November. Kleine Mitteilungen: Dr. M, W. Wulff, Dr. B. Fried¬
mann, J. Schaffir.
15"
228
Korrespondenzblatt
26. November. Dr. M. W. Wulff: Referat über Freuds „Jenseits des
Lustprinzips w .
5. Dezember. Dr. M. W. Wulff: Über die kulturelle Bedeutung der
Psychoanalyse.
12. Dezember. Dr. M. W. Wulff: Referat über Freuds „Jenseits des
Lustprinzips u . (Fortsetzung.)
19. Dezember. Prof. M. Reissner: Parasitismus und Sexualität. — Dr.
M. W. Wulff: Über die Genese der psychischen Impotenz.
I. Quartal 1926
16. Januar. Dr. M. Wulff: Über einen Fall von Zwangsneurose. — Dis¬
kussion: Dr. B. Friedmann, Dr. Liosner.
25. Januar Dr. N. Bernstein: Schizoidie und Syntonie in der Musik. —
Sämtliche Tonkünstler können in Bezug auf ihre affektive Leiter in zwei
selbständige Gruppen geteilt werden. Für die erste sind erotische und heroi¬
sche Affektäußerungen besonders typisch, für die zweite Äußerungen von
Lust und Unlust. Die erste Gruppe darf man als psychasthetische oder schizo-
thyrne, die zweite als diasthetische oder syntone bezeichnen. Zur schizothymen
Gruppe scheinen z. B. R. Schumann, R. Wagner, A. Skrjabin, H. Berlioz,
Händel, Chopin, F. Debussy — zur syntonen J. S. Bach, der frühe Beethoven,
P. Tschaikowsky, G. Rossini, Saint-Saens, S. Rachmaninow u. a. zu gehören.
Da das musikalische Schaffen jedenfalls auf den archaischen (schizo-) Mecha¬
nismen der Psyche beruht, so müssen die psychischen Organisationen in den
beiden Gruppen als ähnlich (und zwar als schizothym) betrachtet werden.
Der Unterschied beider Gruppen scheint folglich nicht in dem Aufbau des
Bewußten oder Unbewußten, sondern in der Art des Abreagierens zu bestehen.
Die Schizo-Gruppe reagiert die Triebe intraversiv ab, indem sie sie in die
Schizo-Schicht der Psyche projiziert; die Synton-Gruppe reagiert sie extraversir
ab. Die Affekte der ersten Gruppe hängen also von den Inhaltskonflikten ab,
die zwischen den unbewußten Seeleninhalten und den primitiven Trieben
entstehen können. Die Plus-Minus-Affekte der zweiten Gruppe verdanken ihr
Dasein den rein quantitativen Disproportionen zwischen Trieben und den Ab-
reagierüngsmöglichkeiten. (Autoreferat.)
6. Februar. Geschäftliche Sitzung.
13. Februar. Trauerfeier für Dr. Karl Abrahain.
W. Rohr schilderte auf Grund seiner persönlichen Erinnerungen die Per¬
sönlichkeit Karl Abrahams und würdigte die hervorragenden Verdienste,
die sich Abraham um die Psychoanalyse erworben hat. Der Vorsitzende
Dr. M. Wulff gab einen Überblick über die wissenschaftlichen Forschungen
von Abraham. Prof. J. Kan nab ich hielt im Anschluß an das Buch
Abrahams „Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Libido auf Grund
der Psychoanalyse seelischer Störungen“ einen Vortrag über „Das manisch-
depressive Irresein im Lichte der Psychoanalyse“.
24. Februar. A. Rohr: Über eine Hysterieanalyse. —Diskussion: Dr. Wulff,
Frau Dr. Kann ab ich,' W. Rohr.
4. März. Dr. M. W. Wulff: Erwiderung auf Prof. Hackebuschs Kritik
der Psychoanalyse (publiziert in Kiew. Zeitschr. f. Psychoanalyse).
Korrespondenzblatt
229
25. März, Kleine Mitteilungen; W. Rohr: Zur Symbolik der Negation
in der chinesischen Sprache. —M. Wulff: Mitteilungen aus der Praxis. —
M. Wulff: Über die Phobie eines 1 jäiirigen Kindes*
Al. Luria
Sekretär
Schweizerische Gesellschaft für Psychoanalyse
IV. Quartal 1925
51. Oktober 1925. A. Furrer: Analyse eines 12jährigen Knaben mit
hysterischen Anfällen.
14. November. A. Kielholz: Analyseversuch bei Delirium tremens.
28. November. M. Müller: Die Bedeutung der Persönlichkeit des Arztes
in der psychoanalytischen Behandlung (Diskussionsthema).
12. Dezember. H. Zull ige r: Aus der Volksschulpraxis für die Praxis.
I. Quartal 1926
16. Januar 1926. M. Müller: Indikationen und Kontraindikationen zur
Analyse (Diskussionsthema).
30. Januar. H. Pfenninger: Aus der seelsorgerliehen Praxis.
ig, Februar. Ph. Sara sin: Aus der Analyse einer Impotentia ejaculan di.
ig. März. R. Brun: Biologische Beiträge zur psychoanalytischen Trieb¬
lehre.
Dr. E. Oberholzer
Vorsitzender
Wiener Psychoanalytische Vereinigung
I. Quartal 1926
6. Januar. Trauerfeier für Karl Abraham. (Kurzer Bericht
darüber bereits im vorigen Heft erschienen; Prof. Freuds Nachruf ist an der
Spitze des vorigen Heftes veröffentlicht worden, die Gedenkrede Dr. Reiks
erscheint in diesem Heft.)
15. Januar, 1. Diskussionsabend: Analyse der Epilepsie. — Einleitendes Referat:
Dr. Wittels (a. G.). Diskussion: Deutsch, Federn, Hitschmann, Jokl, Nunberg,
Reich, Reik, Sadger.
27. Januar. Vortrag Dr. Reich: Über psychische Störungen des Orgasmus.
10. Februar. Kleine Mitteilungen: I. Dr. Jokl: Eine symbolische Bild¬
darstellung. — Ein symptomatisches Vergessen des Vaternamens. — 2. Dr. Reich:
Über Onanieangst. — J. Dr. Nunberg; Ein Traumthema. — Bewußte Symbolik
einer Schizophrenen. — 4. Doz. Dr. Deutsch: Eine Krankheit zu zweit. —
/. Dr. Hoffer: Ein Fall von Operationssucht. — 6 . Prof. Dr. Schilder:
Über optische Anschauungsbilder.
24. Februar. 2. Diskussionsabend: Zur Epilepsiefrage. Einleitendes Referat:
Dr. Wittels (a. G.). Diskussion: Federn, Jokl, Reich, Reik, Sadger, Wälder.
10. Marz. Dr. Hitschmann: Bericht über das Referat von Doz,
Dr. Kogerer über das psychotherapeutische Ambulatorium der Klinik Prof.
230
Korrespondenzblatt
Wagner-Jauregg in der „Gesellschaft der Ärzte“. — Prof. Dr. Schilder:
Bericht über die Verhandlungen mit der Wirtschaftlichen Organisation der
Ärzte Wiens bezüglich einer Psychoanalytischen Fachgruppe. — Vortrag
Dr. Nunberg: Die Ätiologie des Schuldgefühls.
24. März. Geschäftssitzung.
Geschäftliches: Während der Abwesenheit von Dr. Bernfeld hat
Dr. N u n b e r g die Agenden des Bibliothekars übernommen; er wurde auch
zum Vorsitzenden-Stellvcrtreter des Lehrinstitutes bestimmt.
Adreßänderung. Die neue Adresse von Dr. Theodor Reik: Wien,
XVIII., Sternwartestraße 35.
Dr. R. H. Jokl
Schriftführer
Schriften von Karl Abraham
Zu beziehen durch den
Internationalen Psychoanalytischen Verlag
Wien, VII., Andreasgasse 5
Giovanni Segantini. Ein psychoanalytischer Versuch
(Schriften zur angewandten Seelenkunde, XI. Heft).
2. revid. u. ergänzte Auflage. Geheftet M. 2'jo.
Klinische Beiträge zur Psychoanalyse aus den
Jahren 1907—1920 (Internationale Psychoanalytische
Bibliothek, Bd. X). Geheftet M8 r — ? Halbleinen M, 10 *—.
Versuch einer Entwicklungsgeschichte der
Libido auf Grund der Psychoanalyse seelischer
Störungen (Neue Arbeiten zur ärztlichen Psychoana¬
lyse, Nr. II). Geheftet M, 5*50, Pappbd. M. 4 *—.
Psychoanalytische Studien zur Charakterbil¬
dung (Internationale Psychoanalytische Bibliothek,
Bd. XVI). Geheftet M, 2yo, Pappbd , M. yio 7 Halb¬
leinen M . 4 *—.
Druck der Waldheim-Ebcrle A. G., Wien VII
HANDWÖRTERBUCH DER
SEXUALWISSENSCHAFT
Enzyklopädie der natur- und kulturwissen«-
schaftlichen Sexualkunde des Menschen
herausgegeben von
MAX MARCUSE / BERLIN
Zweite, stark vermehrte Auflage mit 140 Abbildungen
1926. XII und 822 Seiten. 4°.
RM 42 .— ? gebunden in lichtechtes , blaugrünes Ganzleinen
RM 45 .—, sonst auch in IO Lief erungen zu je RM 4*20 in
wöchentlichen bis monatlichen Abständen bei Verpflichtung
zur Gesamtabnahme erhältlich .
.. . Die gesamte natur- und kulturwissenschaftliche Sexualkunde wird in einzelnen,
teils vorzüglichen Aufsätzen in Arbeitsgemeinschaft mit unseren größten
deutschen Forschern dargestellt. Die Enzyklopädie ist für jeden auch nicht
medizinischen Forscher auf diesem Gebiete unentbehrlich und orientiert
rasch und gründlich über das gegenwärtige Wissen in allen Sexualfragen.
Münch. Med. Wochenschrift.
Eine neue Auflage nach Jahresfrist trotz denkbarster Ungunst der Zeitverhältnisse
ist ein ungewöhnlicher Erfolg und der beste Beweis, daß hier ein treffliches Werk
geschaffen ist. Wenn trotz alledem der Herausgeber an der Ausgestaltung und Um¬
gestaltung des Werkes sorgsam weiter arbeitet, / durch Mehrung des Stoffes, durch
Erweiterung des Mitarbeiterstabes und durch Beigabe von Illustrationen eine höchst¬
mögliche Vollendung anstrebt, so ist das mit Freude zu begrüßen. Schon die Auswahl
der Schlagworte ist wesentlich verändert . . . Deutsche Med. Wochenschrift.
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MARCUS & WEBER’S VERLAG / BONN
Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Band XII, Heft i
(Ausgegeben im April 1926) Seite
In memoriam Karl Abraham
Karl Abraham : Psychoanalytische Bemerkungen zu Coues Verfahren der Selbst-
bemeisterung.. ^ 1
Ernest Jones: Karl Abraham. 155
Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten von Karl Abraham.184
GEDENKREDEN ÜBER KARL ABRAHAM. 193
Max Eitingon (in der Berliner Psychoanalytischen Vereinigung).ig^
Hanns Sachs („ „ „ „ „ ).198
Sändor Radö ( „ „ „ „ ).203
Theodor Reih („ „ Wiener „ „ ).209
M. W. Wulff („ „ Russischen „ Gesellschaft).215
KORRESPONDENZBLATT DER INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN VER¬
EINIGUNG . 21g
Berliner Psychoanalytische Vereinigung. .221
British Psycho-Analytical Society. 22 ^
Indian Psycho-Analytical Society. 22 ^
Magyarorszdgi Pszichoanalitikai Egyesület. 22 ^
Nederlandsche Vereeniging voor Psychoanalyse. 22 g
New York Psycho-Analytic Society. 22 g
Russische Psychoanalytische Gesellschaft . 22 ^
Schweizerische Gesellschaft für Psychoanalyse. 22 g
Wiener Psychoanalytische Vereinigung. 2 ^ Q
Abraham-Bildnis. am Anfang des Heftes
Diesem Heft ist ein Vorlesungsverzeichnis der Berliner Psychoanalytischen
Vereinigung beigelegt.
Preis dieses Heftes NI. j.jo
Abonnement 1926 (Bd. XII, ungefähr 600 Seiten) M. 24.
Das nächste Heft erscheint am 6. Mai.
Alle diese Zeitschrift betreffenden redaktionellen Zuschriften und Sendungen bitte zu richten an:
Dr. Sandor Bado, Berlin-Schöneberg, Hauptstraße 41,
alle geschäftlichen Zuschriften und Sendungen an:
Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien, VII. Andreasgasse 3.
Copyright 1926 by „Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Ges. m. b. H.”, Wien.
Eigentümer und Verleger: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Ges', m. b. H., Wien, VII., Andreasgasse 3 . - Herausgeb,
Prof. Dr. Sigm. Freud, Wien. — Verantwortlich für die Redaktion: Dr. Paul Federn, Wien, I., Riemergasse 1. — Druck:
Waldheim-Eberle-A.-G.