XIII. BAND_ 1927 _HEFT 3
Internationale Zeitschrift
für Psychoanalyse
Offizielles Organ der Internationalen Psydioanalytisdien Vereinigung
Herausgegeben von
Sigm. Freud
Unter Mitwirkung von
Girindrashekhar Bose
A. A. Brill
Jan van Emden
Paul Federn
Kalkutta
New York
Haag
Wien
Emest Jones
Emil Oberholzer
Ernst Simmel
M. Wulff
London
Z ö rich
Berlin
Moskau
redigiert von
M. Eitingon, S. Ferenczi, Sandor Radö
Berlin Budapest Berlin
Lampl-de Groot: Zur Entwicklungsgeschichte
des Ödipuskomplexes der Frau / Radö: Eine
ängstliche Mutter / Wulff: Phobie bei einem
anderthalbjährigen Kinde / Searl: Ein Fall von
Stottern bei einem Kinde / Diskussion der
„Laienanalyse“ (Wälder, Glover, Nunberg, Hitsch-
mann, Sadger, Härnik, Ophuijsen, Rickman, Brill,
Jelliffe, New York PsA. Soc., Ung. PsA. Ver.,
Eitingon, Sigm. Freud) / Bewegung / Referate /
Korrespondenzblatt der I. PsA. Vereinigung
Internationaler Psychoanalytischer Verlag
Wien, VII. Andreasgasse 3
Internationaler Psychoanalytischer Verlag
Wien, VII. Andreasgasse 3
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bis 8 Seiten für 25 Exemplare Mark 15.—, für 50 Exemplare Mark 20.—
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Mehr als 50 Separata werden nicht angefertigt.
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Alle diese Zeitschrift betreffenden redaktionellen Zuschriften und Sendungen bitte zu richten an
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alle geschäftlichen Zuschriften und Sendungen an:
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Heft 4 (Schlußheft) dieses Jahrganges der „Internationalen Zeit¬
schrift für Psychoanalyse“ erscheint voraussichtlich im November
Heft 2/3/4 des Jahrganges 1927 (Band XIII) der
IMAGO
Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse
auf die Natur- und Geisteswissenschaften
Herausgegeben von Sigm. Freud
Redigiert von Sändor Rad6, Hanns Sachs, A. J. Storfer
erschien soeben als Sonderheft
„Glaube und Brauch " 1
und enthält u . a. folgende Arbeiten:
Daly: Hindu-Mythologie und Kastrationskomplex. — Jones: Das Mutterrecht und die
sexuelle Unwissenheit der Wilden. —Fromm: Der Sabbath. — Fromm-Reich mann:
Das jüdische Speiseritual. — Reik: Dogma und Zwangsidee. — Rorschachf: Zwei schwei¬
zerische Sektenstifter (Binggeli, Unternährer) — R 6 h e i m: Mondmythologie und Mondreligion
— Chadwick: Die Gottphantasie bei Kindern. — Zulliger: Totenmahl eines fünf¬
einhalb jährigen Knaben. — Referate — Sigm. Freud: Nachtrag zur Arbeit über den
Moses des Michelangelo.
Preis dieses dreifachen Heftes M . 16 .—; Preis des ganzen Jahrganges M, 20. —
Internationaler Psychoanalytischer Verlag
Wien, VII., Andreasgasse 3
Internationale Zeitschrift
für Psychoanalyse
Herausgegeben von Sigm. Freud
XIII. Band 1927 Heft 3
Zur Entwicklungsgeschichte des Ödipuskomplexes
der Frau
Von
A. Lampl - de Groot
Berlin
Eine der frühesten Entdeckungen der Psychoanalyse war die der Existenz
des Ödipu|komplexes. Freud stellte die libidinösen Beziehungen zu den
Eltern in den Mittelpunkt der Blütezeit des kindlichen Sexuallebens und
erkannte schon bald in denselben den Kernpunkt der Neurosen. Im Laufe
von vielen Jahren psychoanalytischer Arbeit bereicherte sich sein Wissen
um die Entwicklungsvorgänge dieser Kindheitsperiode in hohem Maße; es
wurde ihm allmählich klar, daß es bei Individuen beiderlei Geschlechts
sowohl einen positiven wie einen negativen Ödipuskomplex gibt, daß die
Libido sich zu dieser Zeit eine körperliche Abfuhr in die Onanie schafft,
der Ödipuskomplex also erst in der phallischen Phase der Libidoent¬
wicklung einsetzt, während er mit Abklingen der infantilen Sexual¬
blütezeit untergehen muß, um der Latenzzeit mit ihren zielgehemmten
Strebungen Platz zu machen. Auffallend war es jedoch, wie viele dunkle
und ungeklärte Probleme durch viele Jahre hindurch bestehen blieben,
trotz der zahlreichen Beobachtungen und Studien von Freud und
verschiedenen anderen Autoren. 1
Ein besonders wichtiger Faktor schien der Zusammenhang von Ödipus¬
komplex mit Kastrationskomplex zu sein, welcher viele Unklarheiten mit
1) Abraham: Äußerungsformen des weiblichen Kastrationskomplexes. Int.
Ztschr. f. PsA., VIII (1922). — Alexander: Kastrationskomplex und Charakter.
Int. Ztschr. f. PsA., VIII (1922). — Helene Deutsch: Psychoanalyse der weiblichen
Sexualfunktionen. Neue Arbeiten zur ärztl. PsA., Nr. V. — Horney: Zur Genese
des weiblichen Kastrationskomplexes. Int. Ztschr. f. PsA., IX (1923). Flucht aus der
Weiblichkeit. Int. Ztschr. f. PsA., XII (1926). — Van Ophuysen: Beiträge zum
Männlichkeitskomplex der Frau. Int. Ztschr. f. PsA., IV (1916/17).
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIII/3.
™ V INTERNATIONAL
Efl PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
270
A. Lampl - de Groot
sich brachte. Auch war das Verständnis für die Vorgänge beim männlichen
Kinde immer etwas weitgehender gediehen als für die analogen beim weib¬
lichen Individuum. Für die Schwierigkeiten bei der Aufklärung der
frühinfantilen Liebesbeziehungen macht Freud die schwere Zugänglich¬
keit des diesbezüglichen Materiales verantwortlich; diese sei eine Folge der
intensiven Verdrängung, welcher diese Regungen unterliegen. Das geringere
Verständnis für die Vorgänge beim kleinen Mädchen mag einerseits daran
liegen, daß dieselben an und für sich komplizierter sind als die analogen
beim Knaben, andererseits daran, daß die Verdrängung der libidinösen
Wünsche sich bei der Frau als eine intensivere manifestiert. Horney
ist der Meinung, es spiele dabei auch die Tatsache eine Rolle, daß die
analytischen Beobachtungen bisher hauptsächlich von Männern gemacht
worden sind.
In den Jahren 1924 und 1925 brachten zwei Arbeiten von Freud
weitgehende Aufklärungen über das Entstehen des Ödipuskomplexes sowie
über dessen Zusammenhang mit dem Kastrationskomplex. Die erste dieser
beiden Arbeiten, „Der Untergang des Ödipuskomplexes“, zeigt uns das
Schicksal desselben beim kleinen Knaben; allerdings war dieses Schicksal
schon mehrere Jahre vorher in der „Geschichte einer infantilen Neurose“
und im Jahre 1923 neuerdings in „Eine Teufelsneurose aus dem
XVII. Jahrhundert“ für einzelne Fälle beschrieben worden. „Der Unter¬
gang des Ödipuskomplexes“ jedoch bringt die Verallgemeinerung, die
theoretische Würdigung und die weiteren Folgerungen dieser Entdeckung.
Das Ergebnis dieser Arbeit ist folgendes: Der Ödipuskomplex des männ¬
lichen Kindes geht an dem Kastrationskomplex zugrunde, d. h. sowohl bei
der positiven wie bei der negativen Ödipuseinstellung muß der Knabe die
Kastration vom mächtigeren Vater» befürchten, im ersten Falle als Strafe
für den unerlaubten Inzestwunsch, im zweiten Falle als Voraussetzung,
um dem Vater gegenüber die weibliche Rolle einnehmen zu können. Um
der Kastration zu entgehen, das Glied behalten zu können, muß der Knabe
also auf die Liebesbeziehungen zu beiden Eltern teilen verzichten. Wir
sehen, welche besonders wichtige Rolle diesem Körperteil des Knaben
zukommt und welche immense psychische Bedeutung er in dessen Seelen¬
leben einnimmt. Die analytische Erfahrung hat außerdem gezeigt, wie
außerordentlich schwer es dem Kinde fällt, auf den Besitz der Mutter zu
verzichten, die sein Liebesobjekt darstellte, seitdem das Kind zur Objekt¬
liebe fähig war. Diese Überlegung legt uns den Gedanken nahe, ob der
Sieg des Kastrationskomplexes über den Ödipuskomplex neben dem narzi߬
tischen Interesse an dem hoch eingeschätzten Körperteil nicht auch noch
einem anderen Faktor zu verdanken wäre, und zwar der Zähigkeit dieser
Zur Entwiddungsgesdiichte des Ödipuskomplexes der Frau
271
ersten Liebesbeziehung. Vielleicht ist auch folgender Gedankengang nicht
ganz ohne Bedeutung. Verzichtet der Knabe auf den Besitz seines Gliedes,
so wird ihm ein für allemal der Besitz der Mutter (oder deren Ersatz¬
person) unmöglich gemacht; verzichtet er jedoch, gezwungen durch die
Übermacht der viel stärkeren väterlichen Konkurrenz, auf die Erfüllung
seines Liebeswunsches, so bleibt ihm der Weg offen, einmal später erfolg¬
reicher mit dem Vater kämpfen zu können und zu dem ersten Liebes-
objekt, besser gesagt, zu seiner Ersatzperson zurückzukehren. Nicht unmög¬
lich erscheint es, daß dieses wahrscheinlich phylogenetisch erworbene,
natürlich unbewußte Wissen um die zukünftige Möglichkeit dieser Wunsch-
erfullung seinen Teil dazu beiträgt, den Knaben vorläufig zum Verzicht
auf das verbotene Liebesverlangen zu veranlassen. Dies würde uns auch
erklären, warum der kleine Mann vor oder im Anfang der Latenzzeit so
sehnsüchtig wünscht, „groß“, „erwachsen“ zu sein.
In der oben genannten Arbeit Freuds erklärt dieser uns also weit¬
gehend die Zusammenhänge von Ödipus- und Kastrationskomplex beim
kleinen Knaben; über die nämlichen Vorgänge beim kleinen Mädchen
bringt diese Arbeit nur wenig Neues. Um so mehr erklärt uns die 1925
erschienene Arbeit „Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechts¬
unterschiedes“ von dem Schicksal der früh infantilen Liebesregungen des
weiblichen Kindes. Bei diesem, meint Freud, sei der Ödipuskomplex
(gemeint ist der für das Mädchen positive, also die Liebeseinstellung zum
Vater, die Konkurrenzeinstellung zur Mutter) eine sekundäre Bildung; er
sei erst eingeleitet worden vom Kastrationskomplex, also entstanden, nach¬
dem das kleine Mädchen den Geschlechtsunterschied wahrgenommen und
die Tatsache seiner eigenen Kastration akzeptiert habe. Dieser Gedanken¬
gang stellt viele bisher dunkle Fragen in ein neues Licht. Freud erklärt
mit dieser Annahme auch viele spätere Entwicklungszüge, manche
Unterschiede in den weiteren Schicksalen des Ödipuskomplexes beim
Knaben und beim Mädchen, Differenzen in der Über-Ich-Bildung beider
Geschechter usw.
Trotzdem bleiben auch nach der Aufdeckung dieses Zusammenhanges
verschiedene Probleme ungeklärt. Freud erwähnt, daß, nachdem der
Kastrationskomplex beim Mädchen wirksam wird, letzteres also den Penis¬
mangel akzeptiert hat und somit dem Penisneid verfallen ist, „eine
Lockerung des zärtlichen Verhältnisses zum Mutterobjekt“ einsetzt. Freud
fuhrt als mögliche Ursache dafür die Tatsache an, daß das Mädchen zuletzt
die Mutter für den Penismangel verantwortlich macht, und außerdem als
historischen Faktor den, daß oft in der Zeit Eifersucht gegen ein anderes,
von der Mutter mehr geliebtes Kind auftritt. Aber „man versteht den
272
A. Lampl - de Groot
Zusammenhang nicht sehr gut“, sagt Freud. Eine andere auffallende
Wirkung des Penisneides sei nach Freud der beim Mädchen viel
intensivere Abwehrkampf gegen die Onanie, der sich auch im späteren
Alter im allgemeinen noch geltend macht. Das Moment, das diese intensive
Auflehnung gegen die phallische Onanie beim kleinen Mädchen erklären
soll, sei die mit dem Penisneid verknüpfte narzißtische Kränkung, die
Ahnung, daß man es in diesem Punkte doch nicht mit dem Knaben auf¬
nehmen kann und darum die Konkurrenz mit ihm am besten unterläßt.
Bei diesem Satz kommt einem unwillkürlich der Gedanke, wieso schätzt
das kleine Mädchen diesen Körperteil, den es nie besaß, dessen Wert es
also nie aus eigener Erfahrung kannte, so hoch ein? Warum hat die Ent¬
deckung dieses Mangels für dasselbe so weitgehende psychische Folgen,
vor allem: warum tritt an einem bestimmten Moment die psychische
Wirkung dieser Entdeckung ein, nachdem es wahrscheinlich schon unge
zählte Male den körperlichen Unterschied zwischen sich und einem kleinen
Knaben ohne psychische Reaktion darauf wahrgenommen hat? Die körper¬
lichen Lustsensationen verschafft sich das Mädchen wahrscheinlich an der
Klitoris in ähnlicher Weise und vermutlich auch in ähnlicher Intensität
wie der Knabe am Penis, vielleicht außerdem noch in der Vagina, worauf
Mitteilungen von Josine Müller in der Deutschen Psychoanalytischen
Gesellschaft und private von einer mir bekannten Mutter zweier Töchterchen
hinweisen würden. Also woher diese psychische Reaktion bei der Ent¬
deckung, das eigene Glied sei kleiner als das des Knaben oder es fehle
überhaupt? Ich möchte versuchen, ob nachfolgende Überlegungen, zu
welchen ich durch Erfahrungen der analytischen Praxis, die ich nachher
mitteilen möchte, angeregt wurde, einige dieser Fragen ihrer Beantwortung
um einen Schritt näher bringen könnten.
Ich glaube, manches wird uns verständlicher werden, wenn wir uns
der Vorgeschichte des Kastrationskomplexes, beziehungsweise Penisneides
des kleinen Mädchens zuwenden. Bevor wir das machen, wird es aber
zweckmäßig sein, erst noch einmal den analogen Vorgang beim männ¬
lichen Kinde zu betrachten. Der kleine Knabe nimmt als erstes Liebes-
objekt, sobald er zu einer Objektbeziehung fähig wird, die ihn nährende
und pflegende Mutter. Beim Durchschreiten der prägenitalen Entwicklungs¬
stufen der Libido behält das männliche Kind ein und dasselbe Objekt;
auf der phallischen Phase angelangt, tritt der Knabe in die typische
Ödipuseinstellung ein, d. h. er liebt die Mutter, will sie besitzen und den
konkurrierenden Vater beseitigen. Das Liebesobjekt ist dabei das gleiche
geblieben. Eine Änderung in dieser Liebeseinstellung, und zwar eine für
das Geschlecht charakteristische, tritt in dem Moment ein, in welchem der
Zur Entwiddungsgesdiichte des Ödipuskomplexes der Frau
273
Knabe die Möglichkeit der Kastration als vom mächtigen Vater her
drohende Strafe für diese seine libidinösen Wünsche akzeptiert hat. Es ist
nicht unmöglich, ja, sogar sehr wahrscheinlich, daß der Knabe auch vor
Erreichung der phallischen Phase und der damit zusammenfallenden
Ödipuseinstellung den Geschlechtsunterschied bei der Schwester oder bei
einer Gespielin einmal gesehen hat; wir nehmen jedoch an, daß diese
Wahrnehmung für ihn keine weitere Bedeutung hat. Erfolgt eine solche,
wenn das Kind sich schon in der Ödipuseinstellung befindet und die
Möglichkeit der Kastration als drohende Strafe anerkannt hat, dann wissen
wir, wie groß die psychische Bedeutung dieser Wahrnehmung sein kann.
Die erste Reaktion ist die, daß das Kind sich bemüht, die Tatsache der
Kastration zu verleugnen und mit großer Zähigkeit sein erstes Liebes
objekt festzuhalten. Nach heftigen inneren Kämpfen jedoch macht sich
schließlich der kleine Mann aus der Not eine Tugend, er verzichtet auf
sein Liebesobjekt, um das Glied behalten zu können. Vielleicht sichert er
sich dadurch außerdem noch die Möglichkeit eines erneuten, erfolgreicheren
Kampfes mit dem Vater für eine spätere Zeit, auf welche Möglichkeit
ich obeQ schon hingewiesen habe. In der Reifezeit des jungen
Mannes gelingt es doch demselben, normalerweise bei einer Ersatzperson
der Mutter den Sieg über den Vater davonzutragen.
Wie geht es nun beim kleinen Mädchen? Auch dieses nimmt sich als
erstes Liebesobjekt die nährende und pflegende Mutter. Auch das Mädchen
behält dieses gleiche Objekt beim Durchschreiten der prägenitalen Ent¬
wicklungsstufen bei. Dann tritt auch das weibliche Kind in die phallische
Phase der Libidoentwicklung ein. Es hat auch einen dem Penis des
Knaben analogen Körperteil, die Klitoris, die ihm bei der Onanie Lust
spendet; es benimmt sich in körperlicher Hinsicht genau so wie der kleine
Knabe. Wir möchten nun vermuten, daß auch im Psychischen die Linder
beiderlei Geschlechtes sich bis dahin vollkommen gleich entwickeln, d. h.,
daß auch das Mädchen beim Erreichen der phallischen Phase in die
Ödipuseinstellung eintritt, und zwar in die für das weibliche Kind negative.
Dasselbe will sich die Mutter erobern und den Vater beseitigen. Bis dahin
mag auch eine zufällige Beobachtung des Geschlechtsunterschiedes ohne
Bedeutung gewesen sein, jetzt aber muß eine solche für das kleine
Mädchen folgenschwer werden. Es fällt dem Kinde dabei auf, daß der
Geschlechtsteil des Knaben größer, mächtiger, sichtbarer ist als der eigene,
daß der Knabe mit demselben zur aktiven Leistung des Urinierens, welches
für das Kind eine sexuelle Bedeutung hat, imstande ist. Bei diesem Ver¬
gleich muß dem Mädchen das eigene Organ minderwertig Vorkommen. Es
bildet sich die Vorstellung, sein Organ [sei einmal wie das des Knaben
274
A. Lampl
de Groot
gewesen, es sei ihm jedoch genommen worden als Strafe für das verbotene
Liebesverlangen zur Mutter. Zunächst versucht es dann, die Kastration zu
verleugnen, wie es der Knabe tut, oder aber sich mit der Vorstellung zu
trösten, das Glied werde ihm noch nachwachsen. Die Akzeptierung der
Kastration hätte doch für das Mädchen dieselben Folgen wie für den
Knaben, nämlich neben der narzißtischen Kränkung der körperlichen
Minderwertigkeit auch noch den Verzicht auf die Erfüllung der ersten
Liebessehnsucht. Und hier muß nun der Unterschied in dem psychischen
Entwicklungsgang bei beiden Geschlechtern einsetzen, anknüpfend also an
die Wahrnehmung des anatomischen Geschlechtsunterschiedes. Für den
Knaben war die Kastration nur eine Drohung, der man bei entsprechendem
Verhalten entgehen kann; für das Mädchen ist die Kastration eine voll¬
zogene Tatsache, an der nichts zu ändern ist, deren Anerkennung aber das
Kind dazu zwingt, endgültig auf sein erstes Liebesobjekt zu verzichten und
den Schmerz des Objektverlustes voll auszukosten. Normalerweise muß das
weibliche Kind einmal zu dieser Anerkennung gelangen; es wird damit
gezwungen, seine negative Ödipuseinstellung völlig aufzugeben und mit
dieser auch die sie begleitende Onanie. Die objektlibidinöse Beziehung zur
Mutter wird in eine Identifizierung mit derselben umgewandelt, der Vater
wird zum Liebesobjekt gewählt, der Feind zum Geliebten gemacht. Jetzt
tritt auch der Wunsch nach dem Kinde an Stelle des Peniswunsches, das
eigene Kind erhält für das Mädchen eine ähnliche narzißtische Bewertung
wie der Penis für den Knaben, denn nur die Frau kann ein Kind
bekommen, niemals der Mann.
Das weibliche Kind ist also jetzt in die positive Ödipuseinstellung ein¬
getreten, dieselbe, von der wir die weitgehendsten Nachwirkungen so gut
kennen. Freud hat wiederholt ausgeführt, daß ein Motiv für die Zer¬
trümmerung des weiblichen positiven Ödipuskomplexes, wie es dem männ¬
lichen Kinde in der Kastrationsdrohung gegeben ist, nicht besteht. Daher
verschwindet dieser erst allmählich, wird auch weit in die normale Ent¬
wicklung des Weibes mit hinein genommen und ist imstande, ein gutes
Stück von den Verschiedenheiten im weiblichen und männlichen Seelen-
leben zu erklären.
Zusammenfassend können wir nun die Meinung äußern: Der Kastrations¬
komplex des kleinen Mädchens, resp. seine Entdeckung des anatomischen
Geschlechtsunterschiedes, welcher nach Freud dessen normale positive
Ödipuseinstellung einleitet und ermöglicht, hat ebenso wie der des Knaben
sein psychisches Korrelat und bekommt erst dadurch die großartige
Bedeutung für die seelische Entwicklung des weiblichen Kindes. Letzteres
benimmt sich in den ersten Jahren seiner individuellen Entwicklung (von
Zur Entwicklungsgeschichte des Ödipuskomplexes der Frau
275
phylogenetischen Einflüssen, die gewiß nicht zu leugnen sind, wird hier
abgesehen) nicht nur hinsichtlich der Onanie, sondern auch in seinem
Seelenleben genau so wie der Knabe, es ist in seinem Liebesstreben und
seiner Objektwahl wirklich ein kleiner Mann. Nach Entdeckung und
völliger Akzeptierung der vollzogenen Kastration muß das Mädchen not¬
gedrungen ein für allemal auf die Mutter als Liebesobjekt verzichten und
somit die aktive erobernde Tendenz des Liebesstrebens sowie die Onanie
an der Klitoris aufgeben. Vielleicht liegt auch hier die Erklärung für die
seit langem bekannte Tatsache, daß die voll weibliche Frau keine Objekt¬
liebe im wahren Sinne des Wortes kennt, sich nur „lieben lassen kann .
Den seelischen Begleiterscheinungen der phallischen Onanie ist es also
zuzuschreiben, daß das kleine Mädchen dieselbe normalerweise viel intensiver
verdrängt und einen viel stärkeren Abwehrkampf gegen sie führen muß
als der Knabe; muß es doch mit derselben die erste Liebesenttäuschung,
den Schmerz des ersten Objektverlustes vergessen.
Bekannt ist, wie oft diese Verdrängung der negativen Ödipuseinstellung
des kleinen Mädchens gänzlich oder teilweise mißlingt. Der Verzicht auf
das erste ^Liebesobjekt fällt dem weiblichen wie dem männlichen Kinde
sehr schwer; in vielen Fällen hält das kleine Mädchen abnormal lange
daran fest. Es versucht die Strafe, die Kastration, die es von dem Verboten¬
sein seiner Wünsche überzeugen müßte, zu verleugnen, will seine männ¬
liche Position durchaus nicht aufgeben. Erleidet nun später die Liebes-
sehnsucht eine zweite Enttäuschung am Vater, der der passiven Liebes-
werbung nicht nachgibt, dann versucht das kleine Mädchen oftmals wieder,
zu seiner früheren Einstellung zurückzukehren, die männliche Haltung
wieder anzunehmen. In extremen Fällen führt das zur manifesten Homo¬
sexualität, von welcher Freud in „Ein Fall von weiblicher Homo¬
sexualität“ eine so schone und klare Darstellung gibt. Die Patientin, von
der Freud in dieser Arbeit berichtet, benimmt sich, nachdem sie im
Anfang ihrer Pubertätszeit den schwachen Versuch gemacht hat, eine weib¬
liche Liebeseinstellung einzunehmen, in der späteren Pubertätszeit der
geliebten älteren Frau gegenüber vollkommen wie ein verliebter junger
Mann. Sie ist dabei ausgesprochene Frauenrechtlerin, verleugnet den Unter¬
schied zwischen Mann und Frau, ist also vollkommen zur ersten negativen
Phase des Ödipuskomplexes zurückgekehrt. "-f*
Ein vielleicht häufiger Vorgang ist der, daß das Mädchen die Kastration
nicht vollkommen verleugnet, ihre körperliche Minderwertigkeit jedoch auf
nicht sexuellem Gebiet (Arbeit, Beruf) zu überkompensieren versucht,
dabei aber das sexuelle Verlangen überhaupt verdrängt, also sexuell unbe¬
rührt bleibt. Es wäre, als wollte es sagen: Ich darf und kann die Mutter
276
A. Lampl - de Groot
nicht lieben» muß daher überhaupt auf jeden weiteren Versuch zu lieben
verzichten. Der Glaube an den Besitz des Penis ist dann also auf intellek¬
tuelles Gebiet verschoben worden, dort kann die Frau männlich sein und
mit dem Manne konkurrieren.
Als dritten Ausgang kann man beobachten, daß die Frau zwar Beziehungen
zu einem Mann eingeht, innerlich jedoch bei der ersten Geliebten, der
Mutter, verbleibt. Sie muß beim Verkehr frigid sein, weil sie eigentlich
nicht den Vater oder seinen Ersatz, sondern die Mutter für sich begehrt.
Auch die so häufigen Prostitutionsphantasien der Frau rücken vielleicht
durch unsere Betrachtungen in ein etwas anderes Licht, sie wären nach
unserer Auffassung nicht so sehr ein Racheakt an dem Vater wie einer
an der Mutter. Die Tatsache, daß Prostituierte so häufig manifeste oder
larvierte Homosexuelle sind, könnte man in analoger Weise erklären: Aus
Rache an der Mutter wendet sich die Prostituierte zum Manne hin, jedoch
nicht in passiver weiblicher Hingabe, sondern mit männlicher Aktivität;
sie erobert sich den Mann auf der Straße, kastriert ihn, indem sie ihm
Geld abnimmt, und macht sich so selbst zum männlichen, den Mann zum
weiblichen Partner des Geschlechtsaktes.
Ich meine, bei diesen Störungen in der Entwicklung zur vollen Weib¬
lichkeit muß man zwei Möglichkeiten in Betracht ziehen: Entweder das
kleine Mädchen hat das sehnsüchtige Verlangen nach dem Besitz der
Mutter nie völlig aufgeben können, also nur eine schwache Bindung an den
Vater zustande gebracht, oder es hat einen energischen Versuch gemacht,
den Vater an Stelle der Mutter zum Liebesobjekt zu nehmen, ist jedoch
nach einer neuerlichen Enttäuschung am Vater zur ersten Liebesposition
zurückgekehrt.
Freud macht in der Arbeit „Einige psychische Folgen des anatomischen
Geschlechtsunterschieds“ auf die Tatsache aufmerksam, daß die Eifersucht
im Seelenleben der Frau eine weitaus größere Rolle spielt als in dem des
Mannes. Er erklärt dieses Phänomen aus einer Verstärkung, welche die
Eifersucht aus der Quelle des abgelenkten Penisneides bezieht. Vielleicht
darf man hier hinzufügen: Die Eifersucht der Frau ist deshalb stärker als
die des Mannes, weil es ersterer nie gelingen kann, das erste Liebesobjekt
zu erobern, während dem Manne im erwachsenen Alter diese Möglichkeit
geboten ist.
In einem weiteren Abschnitt führt Freud die Phantasie „Ein Kind
wird geschlagen“ zu tiefst auf die Masturbation des sich in der phallischen
Phase befindenden kleinen Mädchens zurück. Das Kind, das geschlagen,
geliebkost wird, sei im Grunde die Klitoris (also der Penis); das Geschlagen¬
werden sei einerseits die Strafe für die verpönte genitale Beziehung,
Zur Entwicklungsgeschichte des Ödipuskomplexes der Frau * 277
andererseits der regressive Ersatz für sie. Nun ist aber in dieser Phase die
Strafe für die verbotenen libidinösen Beziehungen gerade die Kastration.
Die Formel: Ein Kind wird geschlagen, heißt also: Ein Kind wird
kastriert. Bei den Phantasien, in denen das geschlagene Kind ein fremdes
ist, ist die Vorstellung, es werde kastriert, ohne weiteres verständlich:
79Was ich nicht habe, soll auch ein anderer nicht besitzen.^ Nun wissen
wir, daß in den oft sehr verwandelten und umdichteten Pubertätsphantasien
das vom Vater geschlagene Kind auch immer das Mädchen selbst darstellt.
Dieses unterwirft sich also immer wieder der Kastration, die ja die Voraus¬
setzung zum Vom-Vater-geliebt-Werden ist, versucht also neuerdings von
seiner alten Liebesbeziehung loszukommen und sich mit der Weiblichkeit
auszusöhnen. Da die Phantasien trotz der vielen Strafen, Schmerzen und
Qualen, die der Held ertragen muß, immer gut ausgehen, 1 siegt also die
passive weibliche Liebe nach gebrachtem Opfer. Letzteres erlaubt auch
manchmal die Rückkehr zur Masturbation, nachdem das erste verbotene
Liebesstreben gesühnt worden ist. Öfters jedoch bleibt die Onanie trotzdem
verpönt oder wird unbewußt, larviert betrieben, manchmal begleitet von
starkem Schuldgefühl. Es scheint, als ob das wiederholte Über-sich-ergehen-
lassen der Kastrationsstrafe außer dem Sühnen der Schuldgefühle auch
eine Liebeswerbung dem Vater gegenüber bedeutet, wobei außerdem ein
masochistischer Lustgewinn stattfindet.
Das Obige zusammenfassend, möchte ich also sagen: Beim kleinen
Knaben, der sich im normalen Entwicklungsgänge befindet, ist die positive
Ödipuseinstellung weitaus bevorzugt, denn in dieser kann das Kind durch
momentanen Verzicht auf das Mutterobjekt sein Glied behalten und viel¬
leicht sich damit die Möglichkeit einer späteren Erwerbung der mütter¬
lichen Ersatzperson sichern, während es in der negativen Ödipuseinstellung
von vornherein auf beides verzichten muß. Das kleine Mädchen jedoch
macht normalerweise beide Einstellungen des Ödipuskomplexes durch,
zuerst die negative, die unter genau denselben Vorbedingungen einsetzt
wie beim Knaben, jedoch notgedrungen und endgültig verlassen werden
muß, wenn das weibliche Kind zur Entdeckung und Akzeptierung der bei
ihm vollzogenen Kastration gelangt. Jetzt ändert sich das Verhalten des
Mädchens, es identifiziert sich mit dem verlorenen Objekt, ersetzt dieses
durch den früheren Rivalen, den Vater, und gleitet somit in die positive
Ödipuseinstellung hinüber. Die negative Ödipuseinstellung des weiblichen
Kindes geht also an dem Kastrationskomplex zugrunde, während letzterer
seinerseits den positiven Ödipuskomplex einleitet.
Diese Auffassung bestätigt die Annahme Freuds: Der weibliche
1) Vergl. Anna Freud: „Schlagephantasie und Tagtraum.“ Imago VIII, 1922.
A. Lampl - de Groot
278 *
(positive) Ödipuskomplex werde durch den Kastrationskomplex ermöglicht
und eingeleitet. Sie nimmt aber im Gegensatz zu Freud an, daß der
Kastrationskomplex des weiblichen Kindes schon eine sekundäre Bildung
sei und einen Vorläufer finde in der negativen Ödipuseinstellung. Diese
letztere verleihe dem Kastrationskomplex erst die große seelische Bedeutung
und sei vielleicht imstande, manche späteren Eigentümlichkeiten im Seelen¬
leben des weiblichen Individuums näher zu erklären.
Ich fürchte, man wird gegen die obigen Ausführungen den Einwand
erheben, das schaue alles nach Spekulation aus und sei weit entfernt von
jeder empirischen Basis. Dazu muß ich bemerken, daß dieser Einwand für
einen Teil des Gesagten zutreffen mag, daß jedoch der ganze Gedanken¬
gang auf einige, allerdings leider noch recht spärliche praktische Erfahrungen
aufgebaut worden ist. Von diesen möchte ich jetzt noch kurz berichten.
Vor einiger Zeit hatte ich ein junges Mädchen in Behandlung, das ich
von einem männlichen Kollegen, bei dem es schon einige Jahre in Analyse
gewesen war, übernommen hatte, weil sich gewisse Übertragungsschwierig¬
keiten nicht lösen wollten. Die Analyse des jungen Mädchens, das an einer
ziemlich schweren hysterischen Neurose gelitten hatte, war ziemlich weit
vorgeschritten. Der normale positive Ödipuskomplex, die Konkurrenz¬
einstellung zur Schwester und der Neid auf den jüngeren Bruder waren
eingehend behandelt und von der Patientin verstanden und akzeptiert
worden. Manche Symptome waren verschwunden, aber trotzdem blieb sie
zu ihrem großen Bedauern arbeitsunfähig. Als die Patientin zu mir kam,
spielte die ungelöste, ambivalente Übertragung auf den männlichen Ana¬
lytiker eine überragende Rolle. Was jedoch stärker war, die leidenschaft¬
liche Liebe oder der ebenso leidenschaftliche Haß, war schwer zu ent¬
scheiden. Die Patientin, mit der ich vor der Behandlung persönlich bekannt
war, trat in die Kur mit starker positiver Übertragung auf mich ein. Ihre
Einstellung war ungefähr die eines Kindes, das bei der Mutter Schutz
sucht. Nach kurzer Zeit jedoch begann sich diese Einstellung wesentlich
zu ändern. Das Benehmen der Patientin wurde zunächst ein trotzig ab¬
weisendes, hinter welchem sich schon bald eine sehr intensive, durchaus
aktive Liebeswerbung auf decken ließ. Die Patientin benahm sich genau so
wie ein verliebter Jüngling, zeigte z. B. eine heftige Eifersucht auf einen
jungen Mann, in dem sie im realen Leben ihren Rivalen vermutete. Eines
Tages kam die Patientin mit dem Gedanken, sie wolle sämtliche Bücher
Freuds lesen und auch Analytiker werden. Die erst versuchte nächst-
liegende Deutung, sie wolle sich mit mir identifizieren, erwies sich als
unzureichend. Eine Reihe von Träumen zeigte die unverkennbare Tendenz,
meinen Analytiker zu beseitigen, „zu kastrieren“, sich an seine Stelle zu
Zur Entwicklungsgeschichte des Ödipuskomplexes der Frau
279
setzen, um mich analysieren besitzen zu können. Patientin erinnerte
sich dabei an verschiedene Situationen aus ihrer Kindheit, in denen sie
bei Streitigkeiten zwischen ihren Eltern immer eine die Mutter ver¬
teidigende und beschützende Rolle ergriffen hatte, an Zärtlichkeitsaustausch
der Eltern, wobei sie den Vater verabscheute und die Mutter für sich zu
haben wünschte. Die Analyse hatte eine starke positive Bindung an den
Vater längst aufgedeckt, auch das Erlebnis, mit welchem diese endete. Die
Patientin schlief als Kind neben dem elterlichen Schlafzimmer und hatte
die Gewohnheit, nachts die Eltern zu rufen, wenn sie urinieren mußte,
selbstverständlich mit der Tendenz, die Eltern zu stören. Zuerst verlangte
sie meistens die Mutter, in späterer Zeit den Vater. Im Alter von fünf
Jahren sei das wieder einmal geschehen, der Vater sei zu ihr gekommen
und habe ihr ganz unerwartet eine Ohrfeige gegeben. Von diesem Moment
an habe das Kind beschlossen, den Vater zu hassen. Die Patientin brachte
jedoch noch eine andere Erinnerung. Mit vier Jahren hatte sie folgenden
Traum: Sie liegt im Bett , ihre Mutter ist neben ihr , Patientin hat ein
Gefühl von großer Glückseligkeit . Die Mutter sagt: Das sei richtig so, das
dürfe so+sein. Die Patientin erwacht und bemerkt, daß sie ins Bett uriniert
hat, ist dabei sehr enttäuscht und fühlt sich sehr unglücklich.
Patientin hatte verschiedene Erinnerungen aus der Zeit, in der sie noch
im Schlafzimmer der Eltern schlief. Sie sei damals öfters in der Nacht
erwacht und habe sich im Bett aufrecht hingesetzt. Diese Erinnerungen
weisen ziemlich überzeugend auf Beobachtungen des elterlichen Geschlechts¬
verkehres hin. Der Kindheitstraum mag wohl im Anschluß an eine solche
geträumt worden sein und stellt deutlich den Koitus mit der Mutter dar,
der mit dem Glückseligkeitsgefühl einhergeht. Die Harnerotik spielt auch
im späteren Leben der Patientin eine besonders große Rolle. Die Ent¬
täuschung beim Erwachen zeigt, daß unsere Patientin sich ihrer eigenen
Unfähigkeit, die Mutter zu besitzen, damals schon bewußt war; die Ent¬
deckung des männlichen Genitales hatte sie bei dem jüngeren Bruder
schon längst gemacht. Das Bettnässen kann als Ersatz oder als Fortsetzung
der Masturbation aufgefaßt werden, der Traum zeigt uns, wie intensiv die
Gefühlsbeziehung zur Mutter damals gewesen sein muß. Es wird also klar,
daß unsere Patientin nach der Enttäuschung am Vater (der Ohrfeige) zu
dem früheren Objekt, das sie zur Zeit des Traumes geliebt hatte, also zur
Mutter zurückzukehren versuchte. Im erwachsenen Alter machte sie einen
ähnlichen Versuch. Nach einer mißlungenen Verliebtheit in einen jüngeren
Bruder des Vaters ging sie eine kurzdauernde homosexuelle Beziehung ein.
Eine weitere Wiederholung dieser Situation fand dann in ihrer Analyse
statt, indem sie sich vom männlichen Analytiker zu mir begab.
280
A. Lampl - de Groot
Eine besondere Form von Schlagephantasie hatte unsere Patientin zu
berichten, und zwar aus der Zeit ihres 8. bis 10. Lebensjahres. Sie be-
zeichnete dieselbe als „Die Krankenhausphantasie 4 *. Der wesentliche Inhalt
der Phantasie war folgender: Sehr viele Kranke begeben sich ins Kranken¬
haus, um gesund zu werden. Sie müssen aber die schrecklichsten Schmerzen
und Folterqualen erdulden. Eine der meistgeübten Prozeduren ist die, daß
einem Kranken die Haut abgezogen wird. Unsere Patientin hatte ein
schauriges Wollustgefühl bei der Vorstellung der schmerzenden blutenden
Wunden. Die Assoziationen brachten ihr ihren jüngeren Bruder in Er¬
innerung, wie er manchmal die Vorhaut seines Gliedes zurückschob, wo¬
durch Patientin etwas Rotes, wie eine Wunde ihr Imponierendes zu sehen
bekam. Die Heilungsmethode in ihrer Phantasie war also deutlich eine
Darstellung der Kastration. Sie identifizierte sich einmal mit den Kranken,
die zum Schluß immer gesund wurden und in großer Dankbarkeit das
Krankenhaus verließen, meistens jedoch spielte sie eine andere Rolle. Sie
war der schützende, mitleidige Christus, der im Krankensaal über den
Betten herumflog, um den Kranken Erleichterung und Trost zu bringen.
In dieser Phantasie, die im Herumfliegen ihren sexualsymbolischen Charakter
zeigt, ist Patientin also der Mann, der seine Mutter allein besitzt (ist doch
Christus ohne Vater gezeugt worden), der aber schließlich, um die Schuld
zu sühnen und um zum Gottvater kommen zu können, das Opfer der
Kreuzigung — Kastration bringt. Die Patientin hat diese Phantasie, nach¬
dem wir die Analyse abbrachen, welche sie aus Reaktion auf die Liebes-
enttäuschung in einer negativen Übertragung verließ, in die Realität um¬
zusetzen versucht, indem sie sich entschloß, Krankenpflegerin zu werden.
Nach einem Jahr jedoch tauschte sie diesen neuen Beruf wieder gegen
ihren früheren, männlicheren und ihrem Wesen viel adäquateren ein.
Allmählich verschwanden auch ihre gegen mich gerichteten Haßgefühle.
Bei einer zweiten Patientin konnte ich hinsichtlich der Übertragung
ähnliche Vorgänge aufdecken. Diese Patientin produzierte in den ersten zwei
Monaten der Behandlung sehr intensive Widerstände. Sie spielte das
schlimme, trotzige Kind, äußerte nur monotone Klagen über ihre Ver¬
lassenheit und die schlechte Behandlung von seiten ihres Mannes. Nachdem
wir als Ursache ihres Widerstandes auf mich gerichtete Haßgefühle in
Folge von Neid und Eifersucht auf decken konnten, entwickelte sich all¬
mählich ihre ganze positive weibliche Ödipuseinstellung, sowohl die Liebe
zum Vater wie auch der Wunsch nach dem Kinde. Bald zeigte sich auch
der Penisneid. Patientin brachte eine Erinnerung aus dem 5. oder 6. Lebens¬
jahr. Sie habe sich einmal die Kleider des älteren Bruders angezogen und
habe sich stolz überall damit gezeigt. Außerdem hatte Patientin wiederholt
Zur Entwiddungsgesdiidite des Ödipuskomplexes der Frau
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versucht, wie ein Knabe zu urinieren. In späterer Zeit fühlte sie sich
immer sehr dumm und minderwertig, glaubte sich auch von den anderen
Familienmitgliedern in diesem Sinne behandelt. In der Pubertät trat eine
auffallend starke Ablehnung gegen alles sexuelle Interesse auf. Von allem
Geheimnisvollen, das ihre Kameradinnen miteinander zu besprechen hatten,
wollte Patientin nichts hören. Sie zeigte nur Interesse für Geistiges, für
Literatur usw. In der Ehe war sie frigid. In der Analyse kam ihr der
Wunsch, einen Beruf zu haben, was für sie bedeutete, männlich zu sein.
Ihre Minderwertigkeitsgefühle verboten jedoch jeden realen Versuch, zu
einem solchen zu gelangen. Die Analyse war bis dahin glänzend vorwärts
gegangen. Patientin hatte eine Eigentümlichkeit, sie erinnerte wenig,
agierte dafür um so mehr. Neid und Eifersucht, der Wunsch, die Mutter
zu beseitigen, wiederholten sich in der Übertragung auf die mannigfaltigste
Weise. Nachdem diese Position durchgearbeitet war, trat ein neuer Wider¬
stand auf; hinter diesem ließen sich intensive homosexuelle Liebeswünsche
aufdecken, die sich auf meine Person bezogen. Jetzt fing auch diese
Patientin an, auf recht männliche Weise um meine Liebe zu werben. Die
Perioden* dieser Liebeserklärungen, in denen sie sich in Träumen und
Tagesphantasien immer mit einem männlichen Gliede ausstattete, fielen
immer zusammen mit einer aktiven Haltung im realen Leben. Sie wech¬
selten aber ab mit Perioden eines völlig passiven Benehmens. Dann konnte
Patientin wieder gar nichts, alles mißlang ihr, sie litt unter ihrer Minder¬
wertigkeit und wurde von Schuldgefühlen gequält. Sie mußte sich also
jedesmal, nachdem sie sich die Mutter erobert hatte, selbst kastrieren, um
ihre Schuldgefühle los zu werden. Bemerkenswert war auch das Verhalten
der Patientin in bezug auf die Masturbation. Vor der Analyse hatte sie
bewußt nie onaniert, während derselben fing sie an, an der Klitoris zu
masturbieren; anfänglich war diese Onanie von starken Schuldgefühlen
begleitet. In späteren Zeiten, in welchen ihre auf den Vater gerichteten
Liebeswünsche am intensivsten geäußert wurden, ließen die Schuldgefühle
nach; dafür trat dann die Befürchtung auf, die Onanie könnte sie körperlich
schädigen, dieselbe „schwäche ihre Genitalien“. In dem Stadium ihrer
Verliebtheit in mich trat das Schuldgefühl von neuem auf, die Mastur¬
bation wurde unterlassen, denn die obengenannte Befürchtung wurde ihr
zur Gewißheit. Diese Schwächung des Geschlechtsorganes war ja eben die
Kastration. Die Patientin schwankte also wiederholt zwischen einem hetero-
und homosexuellen Verliebtsein hin und her, tendierte zur ersten Liebes¬
beziehung, zur Mutter, zurück und versuchte in diesem Stadium die
Kastration zu verleugnen; dafür mußte sie aber auf die Onanie und auf
sexuelle Befriedigung überhaupt verzichten. Beim Manne war sie unbe-
282
A. Lampl - de Groot
friedigt, weil sie eigentlich Mann sein wollte, um die Mutter besitzen
zu können.
In den beiden angeführten Fällen war es also klar, daß hinter der
positiven Ödipuseinstellung der Frau eine in der Analyse später sich
zeigende, also in der Entwicklung früher erlebte negative Ödipuseinstellung
mit der IVfutter als Liebesobjekt aufzudecken war. Ob dieser Entwicklungs-
gang ein typischer ist, läßt sich aus der Beobachtung zweier Fälle
natürlich nicht mit Sicherheit behaupten. Ich wäre geneigt, auch hei
anderen Patientinnen eine ähnliche Vorgeschichte des positiven Ödipus¬
komplexes anzunehmen, habe jedoch aus deren Analysen noch nicht genug
Material sammeln können, um das einwandfrei feststellen zu können. Das
weit zurückliegende Stadium der negativen Ödipuseinstellung wird natürlich
erst nach weit vorgeschrittener Analyse erreicht. Bei einem männlichen
Analytiker mag sich vielleicht diese Periode sehr schwer aufdecken lassen.
Die weibliche Patientin kann doch die Konkurrenz mit dem Vater-Analytiker
sehr schwer aufnehmen, so daß möglicherweise eine Behandlung unter
diesen Bedingungen nicht über die Analyse der positiven Ödipuseinstellung
hinausgehen kann. Die homosexuelle Tendenz, die wohl in keiner Analyse
vermißt wird, mag dann bloß als eine spätere Reaktion auf die am Vater
erlebte Enttäuschung imponieren. In unseren Fällen jedoch war dieselbe
deutlich eine Regression auf eine frühere Phase, welch letztere uns die
großartige psychische Bedeutung des Penismangels für das Liebesieben der
Frau verständlicher machen konnte.
Ich weiß nicht, ob sich in Zukunft herausstellen wird, daß meine
obigen Ausführungen bloß die Erklärung für den Entwicklungsgang des
Liebeslebens meiner beiden Patientinnen geben. Unmöglich erscheint es
mir nicht, daß ihnen eine allgemeinere Bedeutung zugeschrieben werden
könnte. Nur die Sammlung weiteren Materiales wird in dieser Frage eine
Entscheidung bringen können.
Eine ängstliche Mutter
Beitrag zur Analyse des Ichs
Von
Sandor Radö
Berlin
Es war auf dem Strand eines kleinen und stillen Seebades. Eines Tages
tauchte in der Nähe meines Liegeplatzes eine junge Mutter mit ihrem
etwa fünfjährigen Knaben auf. Sie waren Fremde, ich habe auch später
nicht ihre persönliche Bekanntschaft gemacht, blieb aber Wochen hindurch
unfreiwilliger Augen- und Ohrenzeuge ihres Verhaltens. Der Kleine benahm
sich nicht anders als die anderen Kinder, die den Strand bevölkerten. Er
spielte iih Sand, lief herum, holte aus dem Meer in kleinen Gefäßen
Wasser zu seinen Burgbauten usw. Die Mutter ruhte auf einem Liegestuhl,
las dann und wann ein Buch oder eine Zeitung, sonst verbrachte sie die
Zeit mit Handarbeiten. Sie war dabei meistens in ihre Phantasien versunken
und plauderte nur gelegentlich ein bißchen mit den anderen Frauen. Aber
was immer sie auch tat, sie merkte alle paar Minuten ängstlich auf,
suchte mit ihrem besorgten Blick den Knaben, und wenn sie ihn nicht
sofort erhaschen konnte, begann sie verzweifelt nach ihm zu rufen: „Ma-a-a-
ssimo, Ma-a-a-ssimo.“ Hatte sich der Knabe gerade einige Schritte weit
von ihr entfernt oder hielt er sich gar am Rande des Wassers auf, —
weiter ging er nie, denn er war offensichtlich wasserscheu, — dann sprang
sie auf, rannte nach ihm, packte seinen Arm und schleppte ihn wieder
zu sich zurück. Wenn der Knabe mit anderen Jungen in Streit geriet
oder sich der Mutter zu widersetzen versuchte, so schalt sie ihn meist,
gab ihm einen tüchtigen Klaps, um ihn, wenn er dann zu weinen anfing,
mit stürmischen Umarmungen und Küssen zu überschütten. So ging das
den ganzen Tag, man hörte immer wieder mit der Pünktlichkeit eines
Uhrwerkes den Ruf ertönen: „Ma-a-a-ssimo, Ma-a-a-ssimo. w
Der Psychoanalytiker kann in einer solchen Situation wirklich nicht
umhin, sich über diese Mutter einige Gedanken zu machen. Die Unbe-
friedigtheit glaubt man ihr am Gesicht ablesen zu können, ihre Gefühls¬
interessen sind offensichtlich auf den Knaben konzentriert. Die Auffassung
284
Sandor Radö
ihrer Überzärtlichkeit kann keinem Zweifel unterliegen. Sie liebt und haßt
den Jungen zugleich, hat aber ihre gehässigen Impulse durch extreme
Steigerung ihrer zärtlichen Hingabe aus ihrem Bewußtsein verdrängt und so
ihrem inneren Zwiespalt ein Ende gemacht. Ein Schulbeispiel für den
Mechanismus der „Verdrängung durch Reaktionsbildung“. Auch die dem
Analytiker so geläufige Fortsetzung des Vorganges, die „Wiederkehr des
Verdrängten“ tritt bei ihr mit voller Deutlichkeit zutage. Die Frau quält
ja das Kind trotz oder vielmehr gerade durch ihre Affenliebe; je hingebungs¬
voller sie in ihren Überwachungs- und Erziehungsmaßnahmen ist, um so
ergiebiger — aber auch um so unbemerkter — kann sie dabei ihre versteckte
Aggressionslust befriedigen.
Soweit wäre der psychologische Sachverhalt klar, aber man fühlt durch
diese Einsicht sein Interesse an der kleinen Begebenheit nicht erschöpft
und neigt dazu, sich weiter mit ihr zu beschäftigen. Es erscheint nahe¬
liegend, den neuerdings von Freud so eingehend gewürdigten Gesichts¬
punkt der „Gefahr“ heranzuziehen. Dann wird es augenfällig, daß die
Mutter sich so benimmt, als wäre ihr Kind beim Spielen auf dem Strand von
irgendwelchen unbekannten Gefahren bedroht und müßte es vor dem Unheil
durch äußerste Vorsicht behütet werden. Ihre ganze Haltung zum Kinde
zeigt, wie tief sie von dieser Überzeugung durchdrungen sein muß.
Der objektive Beobachter urteilt dann, daß die Besorgnis der Mutter „ma߬
los übertrieben“ ist, denn von Gefahren, wie sie sie befürchtet, kann in
Wirklichkeit nicht die Rede sein. Diese Feststellung braucht auch der
Analytiker nicht anzutasten, aber er kann ihr eine wichtige Korrektur
hinzufügen. Wenn die Befürchtungen der Mutter real nicht begründet
sind, dann haben sie eben eine andere, eine rein psychische Herkunft. So
verstanden hat sie mit ihren Befürchtungen recht. Das Kind ist wirklich
gefährdet, nur liegen die Drohungen nicht, wie die Mutter meint, draußen,
sondern in ihrem eigenen Innern. Sie reagiert mit ihrer Ängstlich¬
keit auf ihre eigene unbewußte Feindseligkeit gegen ihr Kind. Sie müßte
eigentlich das Kind gegen sich selbst in Schutz nehmen, ihre Vorkehrungen
gegen ihre eigene Person wenden. Aber sie weiß nichts von dieser Feind¬
seligkeit, ihr Ich hat sich der aggressiven Impulse mittels Verdrängung
erwehrt und setzt den .Kampf gegen die Übermacht der durch Ver¬
drängung beeinträchtigten Triebregung mit anderen Mitteln fort. Sie verlegt
die bösen Geister, die sie verspürt, aus ihrem Innern in die Außenwelt,
wittert überall Drohungen und Gefahren und bekämpft sie mit Maßnahmen,
deren aggressive Wucht nach außen, vor allem gerade gegen das zu
beschützende Kind gerichtet ist.
Der Gesichtspunkt der „Gefahr“ erweist sich also als fruchtbar, denn
Eine ängstliche Mutter
285
er enthüllt im Seelenleben der Mutter einen Projektionsakt und gibt
dadurch Anregung und Stoff zu weiterer Überlegung. Die Projektion hat
an der Wiederkehr des Verdrängten Anteil, steht also im Dienste der
„Ersatzbildung“. Man möchte wissen, was die weiteren Faktoren dieses
komplizierten Vorganges sind. Das wäre leicht zu sagen, wenn es sich um
eine Person handeln würde, die sich in analytischer Behandlung befindet,
dem Analytiker Rede steht und ihm über ihr Seelenleben erschöpfende
Mitteilungen macht. Aber im vorliegenden Falle steht nur das spärliche
Material zur Verfügung, das der Beobachter par distance, ohne Wissen
und Zutun der beobachteten Person erheben konnte. Trotzdem braucht
man vor einem Rekonstruktionsversuch nicht zurückzuschrecken ; als Aus¬
gangspunkt soll ein Eindruck der Beobachtung dienen. Die Frau verriet
durch ihr ganzes Gehaben einen starken mütterlichen Ehrgeiz. Das Gebot
der mütterlichen Pflichterfüllung schien geradezu mit einer jedes andere
Interesse aufzehrenden Macht über ihr Ich zu herrschen. Die sich so auf¬
dringlich gebärdende Gewissensforderung: „Du sollst deinem Kind eine treue
und aufopferungsvolle Mutter sein“, läßt sich nun, ungeachtet der .tieferen
genetischem Voraussetzungen einer solchen Bildung, mit den aggressiven
Triebimpulsen der Mutter in Verbindung bringen.
Man kann annehmen, daß die Abwehr des Ichs sich nur zum Teil als
Verdrängung der Aggressionslust ausgewirkt hat. Ein anderes Stück der
aggressiven Triebkomponente mag das Schicksal der „Wendung gegen die
eigene Person“ erfahren haben. Die nach innen gewendete Aggression steigert
die Strenge des Gewissens gegen das eigene Ich und unterhält die Moral¬
forderung, deren beschützende (altruistische) Tendenz eben jenem Objekt
(dem Kind) zugekehrt ist, gegen das die ursprüngliche Aggression gerichtet
war. Bei dieser Abkunft der mütterlichen „Tugend“ ist es begreiflich, wenn
die in der Verdrängung unverändert erhaltene Aggression so leicht den
Anschluß an den aus ihr hervorgegangenen Gewissensanspruch findet und
sich mit seiner Hilfe durchsetzt.
Es gelingt also tatsächlich, mit der von Freud geschaffenen Theorie
ein ganzes Stück weit in das seelische Getriebe eines gleichsam nur von
außen studierten Objektes einzudringen. Jetzt sieht man sich aber vor eine
neue Frage gestellt. Es ist klar geworden, daß für den Durchbruch der
verdrängten Feindseligkeit die Projektion eine rationalistische Motivierung
schafft. Die Projektion verwandelt eine von der verdrängten Triebregung
im Ich erzeugte Wahrnehmung aus einer inneren in eine äußere, sie ist
also eine Art Fehlwahrnehmung und deren sekundäre Bearbeitung. Wie
kommt es, daß das Ich das realitätswidrige Ergebnis dieses pathologischen
Denkprozesses nicht korrigiert? Warum merkt es die Mutter nicht, daß auf
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIII/3 20
286 Sandor Radö
dem Strand Hunderte von Kindern friedlich herumspielen, daß die anderen
Mütter nicht die Spur von Besorgtheit zeigen und daß nur sie allein nicht
zur Ruhe kommen kann? Ja, würde es jemand versuchen, sich über
diesen einfachen Sachverhalt mit ihr auseinanderzusetzen, so müßte
er sich wahrscheinlich von ihrer Unbelehrbarkeit überzeugen. Sie würde
es vorziehen, zu glauben, daß unter den vielen hundert leichtsinnigen
sie die einzige wirklich gewissenhafte Mutter auf dem ganzen Strande ist.
Es liegt hier offenbar eine Beeinträchtigung wichtiger Ichfunktionen
— der Realitätsprüfung und der kritischen Urteilsfunktion — vor, ohne
daß aus den bisher gewürdigten Triebumsetzungen auf die Entstehung
dieser Störung ein Licht fallen würde. Als notwendige Begleiterscheinung
des Projektionsvorganges darf man sie gewiß nicht auffassen. Projektions¬
tendenzen treten gelegentlich auch im normalen Seelenleben auf,
doch bleibt dabei die kritische Funktion des Ichs vollkommen intakt
und besorgt rasch die Verwerfung des falschen Denkresultates. Man muß
also nach einer besonderen Veranlassung der Störung suchen, und dann
fällt es auch nicht schwer, sie zu finden. Hat jede Idealerfüllung eine
Erhöhung des Selbstgefühls zur Folge, so muß die Erfüllung einer zwang¬
haft gesteigerten Gewissensforderung (des mütterlichen Ehrgeizes) dem Ich
einen besonders hohen narzißtischen Genuß bieten. Der Befriedigungswert
der Idealerfüllung beruht ja auf einer Erneuerung des infantilen Selbst¬
gefühls und wird vom Ich offenbar um so stärker empfunden werden, je
schmerzlicher in der Bildungs- und Entfaltungsphase des Über-Ichs die
Reduktion der ursprünglichen Ichgröße vor sich ging. Wer den selbst¬
gefälligen Gesichtsausdruck gesehen hat, mit dem diese Frau nach
getanem Erziehungswerk jedesmal ihren Platz wieder einnahm, braucht
für die Richtigkeit dieser theoretischen Folgerung keine weiteren Beweise.
Einem in narzißtischer Befriedigung verweilenden Ich wird man aber ohno
weitere s Zutrauen, daß es seine kritische Realitätsfunktion erlahmen läßt.
Das Ich benimmt sich ja genau so, wenn ihm die narzißtische Befriedigung
durch Liebesbeteuerung, Lob, Schmeichelei u. dgl. von außen zugeführt wird.
Die aus der Idealerfüllung gezogene narzißtische Befriedigung ist es
also, die das kritische Urteil des Ichs narkotisiert und die Befriedigung
der verpönten Aggression gewährleistet. Man kann diesen ökonomischen
Mechanismus als narzißtische Sicherung bezeichnen. Durch die
Idealbildung wird nach Freud das „Niedrigste“ zum „Höchsten“ erhoben;
die aus der Idealerfüllung gewonnene Befriedigung gibt dann als „narzi߬
tische Sicherung den Weg frei, auf dem das schlecht gebändigte Niedrige
inmitten des Höchsten sich wieder durchsetzt.
Es ist leicht einzusehen, daß das Moment der „narzißtischen Sicherung“*
Eine ängstlidie Mutter 287
auch in allen anderen analogen Fällen, wo eine verdrängte Triebregung
unter Mitwirkung des Über-Ichs zur Befriedigung gelangt, eine ökonomisch
wichtige Rolle spielt. Insbesondere in den von Freud so eingehend
gewürdigten späten Symptomen der Zwangsneurose findet dieser Mecha¬
nismus vielfach einen prägnanten Ausdruck: Das Ich schwelgt in seiner
Übermoral und befriedigt unter ihrem Deckmantel die verwerflichsten
Strebungen. Es ist hier jedoch nicht der Ort, diesem Mechanismus auf
den verschiedenen Erscheinungsgebieten des Seelenlebens nachzuspüren.
Aus der Fülle des sich aufdrängenden Materials sei nur noch auf das
kulturhistorische Beispiel der Kreuzfahrer hingewiesen. Diese Helden
der Idealerfüllung waren sicherlich durch ein extremes Selbstgefühl daran
gehindert, in die wahre Natur der Taten Einsicht zu nehmen, die sie im
Zeichen der Religion der Liebe vollführt haben. 1
*
Als Vorzug dieser theoretischen Auffassung ist hervorzuheben, daß es
ihr gelingt, eine unter Beteiligung des Über-Ichs zustande kommende
Ersatzbildung allein aus dem Zusammenwirken von Vorgängen verständ¬
lich zu machen, die sich im oder am Ich abspielen. Sie rückt — der
im „Ich und Es“ niedergelegten Konzeption Freuds folgend —vollends
das Ich in den Mittelpunkt der metapsychologischen Darstellung, indem
sie die Triebkräfte, welche vom Es und vom Über-Ich her auf das Ich
einwirken, mit ihrem im Ich erzielten Effekt in die Betrachtung einsetzt.
Es dürfte sich lohnen, die vorgebrachten Überlegungen unter diesem
Gesichtspunkt noch einmal zusammenzufassen:
Das Ich begreift die Strenge der Gewissensforderung, fühlt sich beengt
und verspürt die Sehnsucht, sein Selbstgefühl auf die beglückende Höhe
der Kindheit zu bringen. Andererseits unterhält es einen hohen Ver¬
drängungsaufwand gegen die verpönte Aggression. Dies ist die Anfangs¬
situation, hier setzt der Prozeß 'der Ersatzbildung ein. Das Ich steigert
1) Eine von mir analysierte junge Frau hatte während des Krieges als freiwillige
Krankenpflegerin Dienst getan und wurde dabei wegen ihrer Güte und liebevollen
Hingabe als „wahre Madonna“ gepriesen. Die Analyse konnte ihr zeigen, wie sie in
der Rolle patriotischer Pflichterfüllung bei ihrer „aufopferungsvollen“ Tätigkeit ihre
aggressiven Gelüste an den Hunderten von Verwundeten ahnungslos befriedigen
konnte. Als dann ihr eigener Bruder — gegen den sich in ihrer Kindheit ihre
stärksten Kastrationswünsche gerichtet hatten — eine schwere Kopfverletzung erlitt,
hat sie ihn als Helden gefeiert und nahm in ihrer kriegerischen Begeisterung die
Nachricht von seiner Lebensgefahr ohne eine Spur von Schmerzempfindung auf. Ihren
„zärtlich geliebten“ Vater hatte sie aber beinahe selbst ums Leben gebracht. Sie
fanatisierte den alten Mann, der mit einer exponierten Funktion betraut war, beim
Einbruch des Feindes in einer völlig widersinnigen Weise aus „Pflichtgefühl“ auf
seinem Posten zu verharren. Es gelang ihm tatsächlich nur im letzten Augenblick,
dem sichern Tod zu entfliehen.
20 51
I
288 Sandor Radö
durch fortgesetzte Idealerfüllung sein Selbstgefühl. Angesichts der Situation
des Ichs (narzißtische Bedürftigkeit, große Gewissensspannung) hat diese
Befriedigung einen Seltenheitswert; das Ich will an ihr krampfhaft fest-
halten und wird durch diese Bemühung von seinen anderen Strebungen,
dem Dienste der Realforderung, abgelenkt. Die Lockerung seiner Trieb¬
kontrolle muß bei erhaltener Aktivität der verdrängten Aggression den
Durchbruch dieser Regung herbeiführen. Auch dies vollzieht sich unter
aktiver Mitwirkung des Ichs. Das ganz im Banne seines Gewissens (d. h.
seiner narzißtischen Bedürftigkeit) stehende Ich erwehrt sich der bedrohlichen
Wahrnehmung der Aggression durch zwei Maßnahmen. Ihre gemäßigtere
Strömung (Feindseligkeit) wird gleichsam unter dem Aspekt der Gewissens¬
forderung betrachtet, als Mittel zur Idealerfüllung aufgefaßt und so in
ihrem Charakter gründlich verkannt. Ihr befremdlichstes Stück (Todeswunsch)
wird vom Ich — noch immer unter dem Druck des Gewissens — als in
der Außenwelt befindlich „erkannt“ (Projektion). Aus dem gefälschten
Realitätsbild wird dann eine rationalistische Motivierung abgeleitet, welche
die Betätigung „erzieherischer“ Aggressionen erleichtert. Dies alles, weil das
von zwei Seiten her bedrängte Ich, durch Befriedigungslust verführt, seine
Realitatsfunktionen (Zensur, Realitätsprüfung, kritische Urteilsfunktion)
inkorrekt ausführt. Das Resultat ist eine Kompromißleistung, in der das
Ich — ganz auf Kosten der Realitätseinsicht — sich von der Gewissens¬
spannung und dem Aggressionsdrang unter Lustentbindung befreit. Ein
einziger Vorgang — der jedoch nicht zur Ersatzbildung, sondern zu ihren
entfernteren genetischen Voraussetzungen gehört — wird von dieser Kon¬
struktion nicht erfaßt: die Rückwendung der von der Realität abgehaltenen
Aggression gegen das Ich, ihre Unterbringung im Gewissenstrieb. Es müßte
der Ich-Analyse gelingen, selbst für diese, sich in den Tiefen des Seelen¬
apparates abspielende Triebumsetzung einen vom Ich ausgehenden Anstoß
aufzuzeigen.
In einer Richtung ergibt diese Betrachtungsweise schon jetzt ein klares
Resultat: Man erkennt, wie energisch das Selbstgefühl seine Ansprüche in
den Entscheidungen zur Geltung bringt, die das Ich bei seiner triebbewälti¬
genden Tätigkeit vornimmt, und wie weitgehend es in die Einzel Verrich¬
tungen des Ichs eingreift. Was aber ist das Selbstgefühl? Einerseits Aus¬
druck des narzißtischen Befriedigungsniveaus, also ein ökonomischer
Index; andererseits dynamische Resultante aus den im Ich wirkenden
narzißtischen Triebkräften, oder genauer: ihr Bedürfnissignal. Diese
Eigenschaften machen seine enorme Bedeutung für das Verhalten des Ichs
verständlich. Nimmt man hinzu, daß nach psychoanalytischer Auffassung
den ganzen Bau des Ichs narzißtische Libido zusammenhält, dann ist die
Eine ängstliche Mutter
Annahme nicht von der Hand zu weisen, daß die „synthetische
Funktion“ im Ich auf das Selbstgefühl spezifisch abge¬
stimmt ist, und ihre Aufgabe — die Herstellung eines
kohärenten Ichs — nach den Weisungen des Selbst¬
gefühls verrichtet. Die real gerichtete Denktätigkeit und die
kritische Urteilsfunktion nehmen an der Synthese im Ich gewiß einen
vornehmen Anteil; aber die Erstarkung der intellektuellen Funktionen fällt
in eine späte Entwicklungsphase des Ichs, sie bleiben vom Selbstgefühl
zeitlebens abhängig und bereit, sich im Konfliktfalle vor seiner Übermacht
zu beugen. Auf dieser Voraussetzung beruhen insbesondere die Synthesen
des neurotischen Ichs bei der Symptomgestaltung. Vielleicht werden sich
die individuellen Züge in der noch zu erforschenden Arbeitsweise der
„synthetischen Funktion“ einmal noch als Kern dessen heraus stellen, was
man psychoanalytisch als den „Charakter“ des Ichs bezeichnen kann.
Es stimmt gut zu dieser Auffassung, daß bei extremen Graden des
Selbstgefühls die „synthetische Funktion“ ein Ich zusammenbraut, das
seinen drei „ Abhängigkeiten“ nicht mehr gerecht werden kann, und
wie Freud gezeigt hat — sich von der einen oder der anderen lossagt.
Auf den Höhen eines übersteigerten Selbstgefühls gibt das Ich die Realität
auf (Psychose), oder es schmilzt mit dem Über-Ich zusammen (Manie).
Anders, wenn das Selbstgefühl auf einen Tiefpunkt herabstürzt im
klinischen Bild der Melancholie. In diesem Leiden — das man nur als
einen großen Verzweiflungsschrei nach Liebe bezeichnen kann wird das
Bedürfnis nach Selbstgefühl selbst übermächtig: Das Ich ist bereit, der
vegetativen Selbstfürsorge zu entsagen (sich selbst aufzugeben), unterwirft
sich den grausamsten Peinigungen bis zur Selbstvernichtung, um auf diesem
Wege die beglückende Situation des Geliebtwerdens und mit ihr jenes
Maß von Selbstgefühl wiederzuerlangen, an das nun einmal die normale
Existenz eines menschlichen Individuums geknüpft ist. Der Hergang aber
hat wenig Rätselhaftes in sich. Einst war das Ich in analoger Situation
— von der Mutter verlassen und durch ohnmächtige Wut erschöpft
den Qualen des Hungers unterworfen, aber dann folgte mit nie
versagender Sicherheit das Wiedererscheinen der Mutter und die oral¬
narzißtische Glückseligkeit im Trinken an ihrer Brust. In dieser urzeit
liehen Erlebnisreihe, die später in den folgenschweren Sinnzusammen¬
hang von Schuld — Sühne—Verzeihung eingeordnet wird, wurzelt die
imaginäre Sehnsucht des Melancholikers und mit ihr der Mechanismus
seiner Erkrankung. 1 __
i) S. dazu die Bemerkungen über Melancholie in meiner Arbeit: „Die psychischen
Wirkungen der Rauschgifte.“ Diese Zeitschrift, Bd. XII (1926).
KASUISTISCHE BEITRÄGE
Phobie bei einem anderthalbjährigen Kinde
Von
M. W. Wulff
Dozent an der Universität Moskau
Die vor kurzem erschienene Arbeit Freuds „Hemmung, Symptom und
Angst weist uns wieder auf die große Bedeutung der Angst in der Psycho¬
logie der Neurosen hin und rückt das Angstproblem in den Vordergrund
unseres Interesses. Das soll die Publikation der nachfolgenden kleinen Beobachtung
rechtfertigen, die die ersten Ansätze einer Phobiebildung bei einem anderthalb¬
jährigen Mädchen zum Inhalt hat.
Die kleine Lina ist geistig und körperlich vollkommen normal entwickelt,
erfreut sich einer guten Gesundheit, spricht ziemlich verständlich und verfügt
über einen Wortschatz, der für ihr Alter sogar etwas über das Gewöhnliche
hinausgeht.
Zum erstenmal zeigte die Kleine Anzeichen von Angst, als sie eines Tages
um 6 bis 7 Uhr abends sich in einem Winkel des großen Diwans in ihrem
Zimmer versteckte, die Mutter zu sich rief und ihr mit gedrückter leiser
Stimme sagte: „Mama, gib Linchen nicht weg, gib Linchen nicht weg!“
Das wiederholte sie viele Male hintereinander, indem sie sich an die Mutter
klammerte, und zeigte dabei deutliche Zeichen von Unruhe und Angst.
Durch eine Weile half weder Zureden noch Beruhigung; dann schlief sie
endlich ein.
Die Angstanfälle wiederholten sich nun mehrere Tage hintereinander
ungefähr zur selben Tageszeit, dann traten sie nicht nur abends, sondern auch
am Tage auf, wobei das Kind unter Zeichen großer An gst mehrmals
wiederholte: „Gib nicht Linchen weg, gib nicht Linchen weg!“ Die Ang st
steigerte sich, sobald jemand an die Tür klopfte. Dann ließ sich die Kleine
von der Mutter oder dem Kindermädchen sofort auf den Schoß nehmen und
äußerte: „Niemand da! Niemand da!“ Zugleich zeigte sie Angst vor dem
dunklen Fenster abends, vor Kirchenglocken und vor den Automobil-
gerauschen. Vor fremden Leuten hatte sie mit wenigen Ausnahmen keine
Angst.
Phobie bei einem anderthalbjährigen Kinde
291
Im allgemeinen könnte man vielleicht behaupten, daß in diesem Verhalten
des kleinen Kindes wohl kaum etwas Ungewöhnliches zu sehen ist, daß viele
Kinder, vielleicht die überwiegende Mehrheit, in diesem Alter oder etwas
später ähnliche Angsterscheinungen zeigen. Aber deshalb handelt es sich
doch bei diesen Erscheinungen um Angstsymptome, genauer, um Ansätze von
Phobien.
Es war verhältnismäßig nicht schwer, dem Sinn dieser phobischen Symptome
auf die Spur zu kommen. Die Kleine ließ sich sehr gern Märchen erzählen
und hatte zwei Lieblingsmärchen. Jeden Morgen beim Auf stehen forderte sie
den Vater auf, diese zwei Märchen unzählige Male zu wiederholen. In einem
der Märchen handelte es sich um ein Kind namens L i p c h e n (die Kleine
hieß Linchen), das die Großmutter zum Großvater ins Feld schickte,
und dieser verkaufte das Kind einem Kaufmann. Lipchen aber gelang
es, dem Kaufmann zu entrinnen, und sie kam wieder zur Großmutter nach
Hause. Das zweite Märchen erzählte von einem Großvater, der der Gro߬
mutter sagte: „Kaufe mir einen Topf.“ Die Großmutter kaufte den Topf und
brachte ihn nach Hause. Nun kommt Linchen, schlägt auf den Topf und
zerbricht ihn. Großmutter weint, Großvater weint: „Wo ist Linchen, ich
werde sie schlagen! “ — Und Linchen ist nicht da! Und Linchen ist nicht
da! (An dieser Stelle deckte sich die Kleine immer die Augen mit den
Händchen zu). Dann kam plötzlich: „Da ist Linchen, da ist sie!“ Dabei
brach sie'in lautes, fröhliches Lachen aus.
Nach dem Auftreten der Angsterscheinungen ließ sich das Kind diese
Märchen nicht mehr erzählen, sie mied sie offenbar, wollte von ihnen nichts
hören. Es war auch klar, daß ihr ängstlich wiederholter Satz: „ Gib Linchen
nicht weg! “ — aus dem ersten Märchen stammt und daß diese Angst mit
einem Schuldgefühl verbunden ist, das mit dem zweiten Märchen (das
Zerschlagen des Topfes und die drohende Strafe) verbunden sein mag.
Eine Bestätigung brachte die Beobachtung der Spiele des Kindes. Sie hatte
ein Spielzeug, einen kleinen Bären aus Samt, den sie sehr liebte. Während
der Angstperiode bestand ihr Spiel darin, daß sie auf den Bären schimpfte,
ihn strafte und schlug, weil er so unanständig und unsauber sei: „Mischenka
(der Name des Bären) a...a... a... ekelhaft, Mischenka lep . . . lep“
(Kindersprache = schlagen). Dieses Spiel wiederholte sie viele Male hinter¬
einander.
Bezüglich der Stubenreinlichkeit erfuhr ich folgendes: Die Erziehung des
Kindes zur Reinlichkeit ist schon seit langem im Gang und stieß anfangs auf
keine besonderen Schwierigkeiten. Nur wenn man es nachts, meist schlaf¬
trunken, zur Harnentleerung auf das Töpfchen setzte, wurde es gereizt und fing
an zu weinen. Zugleich zeigte das kleine Mädchen schon seit längerer Zeit
ein besonderes Interesse für diese Funktion und fragte z. B. wiederholt die
Mutter und das Kindermädchen, ob die Erwachsenen auch ihre Bedürfnisse
verrichten. Wenn das Kindermädchen aus dem Zimmer ging, pflegte die
Kleine öfters zu sagen: „Njanja gegangen a... a... a... machen.
Öfters kam es vor, daß sie aufs Töpfchen gesetzt zu werden verlangte,
ohne dann irgend ein Bedürfnis zu verrichten, — offenbar aus Angst oder
um einer Unannehmlichkeit dieser Art vorzubeugen. Andererseits machte sie
manchmal Bewegungen oder hielt eine Körperstellung an, als ob sie sich
292
M. W. Wulff
anstrengt, den Urinabgang anzuhalten. Dabei wiederholt sie die Frage:
„Linchen gut? Linchen nicht weggeben?“
Zugleich produzierte das Kind so etwas wie einen Reinlichkeitszwang.
Beim Spielen räumte sie immer das Zimmer auf, säuberte den Fußboden usw.
Merkte sie z. B. auf dem Fußboden im Zimmer ein Stückchen Papier, einen
kleinen Fetzen, einen Brocken oder einen Faden, so mußte sie es sofort auf-
heben und in den Papierkorb werfen und ähnliches mehr.
Außerdem erfuhr ich durch den Vater von einem kleinen Vorfall, der kurz vor
dem Ausbruch der Angstanfälle stattgefunden hat. Ich gebe hier die Erzählung
des Vaters wörtlich wieder: „Es hat sich bei uns die schlechte Gewohnheit
eingebürgert, daß das Kind, um einzuschlafen, stundenlang auf dem Arm im
Zimmer herumgetragen werden muß. Das geschah nicht nur abends, sondern
auch bei Nacht, wenn die Kleine aus irgend einer Ursache wach geworden
war. So kam es einige Male vor, daß ich beinahe die ganze Nacht hindurch
mit ihr im Zimmer herumspazieren mußte; endlich war meine Geduld zu
Ende und einmal während so eines nächtlichen Spazierganges legte ich die
Kleine ins Bettchen und schrie sie an: ,Bleib ruhig, schlafe, ich will dich
nicht mehr auf dem Arm tragen. Sie fing an laut zu schreien, aber ich
legte mich hin, ohne darauf zu achten. Sie stand aber in ihrem Bettchen
auf, streckte ihre Händchen mir entgegen und rief flehend: ,Papa, Papa . . .‘
Sie beugte sich so aus dem Bettchen vor, daß sie herauszufallen drohte; ich
mußte nachgeben und nahm sie auf den Arm, um sie zu beruhigen. Sie
schluchzte, zitterte am ganzen Körper und fragte, als sie überhaupt erst
imstande war, ein Wort hervorzubringen: ,Ist Linchen gut, brav?’“
Im weiteren will ich ein paar Aufzeichnungen des Vaters bringen, die,
wie mir scheint, zum Verständnis des Falles beitragen können:
„Heute früh nahm ich Linchen aus ihrem Bettchen — sie war naß. Sie
schaute mich wie fragend an und sagte schüchtern: ,Linchen gut ?‘
Am Tage wurde Linchen wieder naß und das Kindermädchen mußte sie
umkleiden. Die Kleine wiederholte dabei: ,Linchen gut, Linchen gut, nicht
weggeben ? 1 Ein anderes Mal hörte ich, wie das Kindermädchen bei einer
ähnlichen Gelegenheit ihr sagte: ,Linchen ist nicht gut, nicht brav, Linchen
macht naß . 1 Die Kleine wurde dann ängstlich und ließ sich nicht umkleiden
(Das Kindermädchen wurde nachher vom Vater instruiert.)
Sie hörte das Geräusch eines vorbeifahrenden Automobils, lief zur Mutter
und sagte: ,Mama, Linchen nehmen, halten ! 1 Sie blieb dann auf Mutters
Schoß, klammerte sich an ihren Hals und fragte unruhig: ,Linchen, unser
Linchen nicht weggeben ? 1 Dieselben Fragen wiederholt sie mehrmals am
Tag, fast immer, wenn sie naß wird oder wenn sie merkt, daß man ihr
etwas übel nimmt. Einmal hörte ich, wie sie sich selbst beruhigte: ,Mama
sagte Linchen gut, Linchen nicht weggeben. . .
. . Heute war das Kind den ganzen Abend unruhig, ängstlich,
wischte sich sorgfältig die Nase mit dem Taschen¬
tuch und einige Male sogar die Zunge.“ (Verlegung von
unten nach oben).
„Heute nahm das Kind ihren Liebling, den Bären, und sagte: ,Mischenka
nicht gut, Mischenka dem Herrn weggeben .’ u . . .
Es war mir klar, daß die kleine infantile Neurose als Folge der etwas
Phobie bei einem anderthalbjährigen Kinde
293
vielleicht zu intensiven Erziehung zur Reinlichkeit zu betrachten ist, der die
Kräfte des Kindes noch nicht gewachsen sind. Der Konflikt zwischen dem
inneren Antrieb, der Forderung nach Beherrschung der exkrementeilen
Funktionen nachzugeben, und dem primären Partialtrieb war so anschaulich,
daß ich darauf meine therapeutischen Maßnahmen zu gründen versuchte : Ich
ließ jede Forderung in bezug auf Reinlichkeit beim Kinde aufgeben. Der
Vater hat der Kleinen erklärt, daß es gar nicht so schrecklich ekelhaft und
schlimm wäre, wenn sie einmal naß würde, daß sie trotzdem brav und gut
wäre, auch wenn ihr ein Malheur passierte, weil sie noch klein wäre usw.
Man vermied dann jede Bemerkung in dieser Hinsicht und ignorierte die
Unsauberkeit des Kindes. Der Erfolg war schnell und frappant: Nach einigen
Tagen wurde das Kind ruhig und angstfrei.
Einige Tage nach der Erklärung des Vaters wachte das Kind nach dem
Mittagsschlaf naß auf. Die Mutter sah es zwar, verhielt sich aber so, als ob
sie nichts gemerkt hätte. Aber die Kleine äußerte: „Linchen nicht gut,
Linchen naß“ — worauf die Mutter: „Nein, Linchen ist gut und brav,
Linchen ist noch klein.“ Darauf erwiderte die Kleine: „Nicht Linchen naß
gemacht, Papa naß gemacht. “ — So verschob sie die Schuld auf den
erlaubenden Vater und deckte sich durch seine Autorität.
Es muß noch erwähnt werden, daß alle die Schwierigkeiten sich nur auf
die Beherrschung der Harnentleerung, nicht auf die Darmfunktion bezogen,
wobei sicher ein konstitutionelles Moment mitgewirkt hat.
Diese erste Lebenstragödie des anderthalbjährigen Kindes ist so einfach,
klar und durchsichtig, daß darüber kaum noch viel zu sagen ist. Zu betonen
ist nur folgendes:
1. Das Auftreten der Angst fällt hier zeitlich nicht mit der verpönten Handlung
zusammen, sondern mit dem Moment des Entdecktseins durch die Eltern
oder ihrer Stellvertreterin, der Njanja. Es ist deutlich Angst vor Strafe
oder vor Verlust der Liebe seitens der verbietenden und zugleich
geliebten Person. Dies ist die Gefahr, die die Entwicklung der Angst bewirkt.
2. Bemerkenswert ist weiter das so frühe Auftreten des so starken
Schuldgefühles.
3. Ebenso befremdend ist meiner Meinung nach das so frühe Auftreten
von Reaktionsbildungen zwanghaften Charakters, wie sie sich in den Ansätzen
zur zwanghaften Reinlichkeit und Ordnungsliebe äußern.
4. Interessant ist weiter das Spielen mit dem Bären. Wir können hier
sehr deutlich die ökonomische Bedeutung des Spieles als Mittel zur Bewältigung
überstarker Reize sehen, wie Freud es im „Jenseits des Lustprinzips“
beschrieben hat. Das Kind straft im Spiele den Bären für Vergehen, die es
selbst begangen hat. Man könnte vielleicht den Vorgang noch als eine Art
Projektion des eigenen Strafbedürfnisses auf ein äußeres Objekt betrachten.
Eine genauere Analyse könnte vielleicht noch mehr Interessantes in dem
Fall aufdecken, aber bei den gegebenen Verhältnissen war mir ein tieferes
Eindringen nicht möglich.
294
N. Searl
Ein Fall von Stottern bei einem Kind
Mit geteilt in der Deutschen PsA. Gesellschaft , Oktober 1926
Von
N. Searl
London
Am Schluß eines Artikels von Fröschels „Über die Behandlung des
Stotterns (Zentralblatt für Psychoanalyse, Bd. III) steht eine Anmerkung von
St ekel. Sie betont die Tatsache, daß die Psychoanalyse die einzige kausale
Therapie des Stotterns sei, fügt aber hinzu: „Doch bedenkt man die
ungeheuren Schwierigkeiten einer Psychoanalyse mit Kindern, die verant¬
wortungsvolle Aufgabe, die Unmöglichkeit, über alles zu sprechen, die Gefahr
einer Schädigung dieser Kinder, so wird man Fröschels gerne zustimmen,
wenn er für die leichten Falle die gebräuchlichen Methoden als psychische
Beeinflussung und pädagogische Erziehung in Anspruch nimmt.“ Diesen
Zweifel Stekels teilen wir nicht; und in dem besonderen Fall einer Kinder¬
analyse, über den ich jetzt berichten will, wäre es schwer, sich den Vorteil
irgendeiner anderen Behandlungsart vorzustellen.
Flügel sagt in seiner „Note on the Phallic Significance of the Tongue”
(International Journal of PsA. 1925): „Obwohl man den psychischen Mechanis¬
mus, der mit dem Stammeln in Verbindung steht, noch nicht ganz aufgedeckt
hat, ist es klar, daß er mit Minderwertigkeitsgefühlen eng verknüpft ist,
vielleicht auch mit Kastrations Vorstellungen.“ Wir können Flügel hinsichtlich
der Ungewißheit über den genauen Mechanismus des Stotterns völlig bei¬
stimmen, obwohl Dynamik und Sinn dieser Neurose von anderen Autoren
mit einiger Ausführlichkeit behandelt worden sind, zum Beispiel von C o r i a t,
Stekel, Appelt. „Die Verdrängung gewisser Gedanken und Gefühls¬
tendenzen, gewöhnlich sexueller Art 4 ; 1 „Böses Gewissen“ wegen onanistischer
Handlungen, homosexueller Triebe, analer Phantasien und so weiter (Stekel,
„Nervöse Angstzustände ) spielen da eine Rolle; dies alles mag richtig sein,
geht aber nicht tief genug. Ap p el t („The Real Cause of Stammering”) glaubt,
daß eine physiologische Prädisposition, schwache Sprachnerven das Bestimmende
für die Neurosenwahl des Stotterers sei. Eder in „Stuttering a Psy'choneurosis
and Its Treatment by Psychoanalysis ” gibt wichtige Faktoren des Stotterns
in zwei von ihm analysierten Fällen, interessiert sich aber mehr dafür, die
Verknüpfung mit Verdrängung und geschlechtlichen Störungen aufzuzeigen
als den genauen Mechanismus wiederzugeben. Ernst Schneider untersucht
in seinem Buch „Über das Stottern“ dieses Symptom mit großer Ausführlich¬
keit. Im allgemeinen führt er die Sprachhemmung zurück auf „den Kampf
zwischen zwei Willen, die sich gegeneinander richten und sich so gegenseitig
aufheben, den Willen zum Sprechen und den Willen zum Schweigen. Im
Symptom sehen wir sie ein Kompromiß eingehen: Der Stotterer macht
große Anstrengungen zum Sprechen, er schweigt aber“. Diese Darstellung
werden wir in unserem Falle klar bestätigt finden.
Ich hatte 1925 die Gelegenheit, von unserem verehrten Dr. Abraham
einen Vortrag über einen Fall von Stottern zu hören, der eine neue Auf-
1) Coriat, „Stammering as a Psychoneurosis“, Journal of Abnormal Psychology IX, 6.
Ein Fall von Stottern bei einem Kind
295
fassung über den dabei wirksamen Mechanismus gab. Mit seiner gewöhnlichen
Bereitwilligkeit gab mir Dr. Abraham später einen Auszug davon, den ich
zitieren will. „Der Patient war als kleiner Knabe (mit drei bis vier Jahren)
ein Sprachkünstler und ließ sich gern bewundern, wenn er Gedichte vortrug
usw. Nach Aussage seiner Mutter war er ausgesprochen humoristisch.
(Prof. Freud sagte mir einmal, nach seiner Erfahrung seien die Stotterer
in der Regel als Kinder Spaßmacher gewesen.) Dieser orale Exhibitionis¬
mus hörte auf und machte einem analen Exhibitionismus Platz. Der Knabe
liebte es, sein Gesäß zu zeigen. Die spätere Unfähigkeit, die Anfangsbuchstaben
vieler Wörter auszusprechen, hatte ebenfalls analerotische Bedeutung, doch
war Rer Vorgang nach dem Munde verlegt, wo nun Kontraktionsvorgänge
wie am Anus stattfanden. Die Mundgeräusche beim Stottern hatten Flatus -
bedeutung. Das Stottern war ein neurotisches Symptom, das eine in Angst
verwandelte Exhibitionslust darstellte. Interessant ist, daß der Patient in seiner
Kleidung äußerst exhibitionistisch war; sein ganzes Interesse bezog sich auf
die Mode. Seine außerordentliche Kastrationsangst hatte den männlichen
Narzißmus aus der genitalen Position vertrieben, so daß der Narzißmus die
weibliche Form annahm, d. h. sich auf die ganze Körperoberfläche mit Aus¬
schluß der Genitalzone verschob. Die Libido des Patienten war ganz anal¬
sadistisch gerichtet. Das Sprechen gelang ihm am besten, wenn er anderen
Menschen Bosheiten sagen konnte.“
Die Art und Weise, in welcher mein kleiner vierjähriger Patient Christopher
sein Stottern verlor, läßt — wenn man den Erfolg seiner weiteren Behandlung
dazurechnet — den Mechanismus dieses Falles ziemlich klar erkennen. Das
Stottern war ein tonisches. Wenn es schwer auftrat, beobachtete man zuerst
ein langes Stocken bei geöffnetem Munde und angespannter Anstrengung. Dann
kamen grunzende Laute, welche die unfreiwillige Pause ausfüllten, bis zuletzt
der gewünschte Buchstabe knallartig herausgestoßen wurde. Das Stottern war
immer am ausgesprochensten, wenn der Patient Widerstand erwartete. Wichtig
war auch in diesem Zusammenhang, daß er sich einige Wörter durch die
Art der Aussprache erschwerte, während die meisten Kinder sie sich zu erleichtern
pflegen. Sehr auffallend war das bei dem Worte „you”, besonders natürlich
dann, wenn er es stark betonte. Statt „you do it” sagte Christopher „Dtchoo
do it”.
In den ersten Sitzungen zeigte sich hauptsächlich sein urethrales Interesse
im Spielen mit Wasser, ebenso seine Neugierde, das „Innere“ betreffend; er
warf ein Spielzeug, einen grünen Frosch, aus dem Fenster, nachdem er ihn
ins Wasser gesteckt hatte. „Böser Frosch.“ „Warum?“ „Wollte Pferd beißen.
Wollte Baby beißen“ — was auf sadistische Wünsche gegen Eltern und kleine
Schwester schließen läßt; diese Schwester war beinahe drei Jahre jünger
und er hatte tatsächlich einmal versucht, sie zu erdrosseln. Er zeichnete auch
zwei Tiger ohne Beine, deren Mäuler sich berührten. In der nächsten Sitzung
spielte er nicht nur mit Wasser, sondern malte auch: drei blinde Mäuse und
ein sehendes Mäuslein; Mäuse ohne Schwänze, Maus mit Schwanz; Tiger im
Käfig, Bär im Käfig mit Stangen; Baum und Mäuslein im Baum, alles in rosa
Farbe. Dann schnitt er den Kopf eines Zelluloidsoldaten ab und nahm das
darin befindliche Blei heraus. Auf eine Frage antwortete er, „Ich würde
Kügelchen in mir haben, aber schneiden Sie mir nicht den Kopf ab.“ Der
294
N. Searl
Ein Fall von Stottern bei einem Kind
Mit geteilt in der Deutschen PsA. Gesellschaft , Oktober 1926
Von
N. Searl
London
Am Schluß eines Artikels von Frösch eis „Über die Behandlung des
Stotterns“ (Zentralblatt für Psychoanalyse, Bd. III) steht eine Anmerkung von
St ekel. Sie betont die Tatsache, daß die Psychoanalyse die einzige kausale
Therapie des Stotterns sei, fügt aber hinzu: „Doch bedenkt man die
ungeheuren Schwierigkeiten einer Psychoanalyse mit Kindern, die verant¬
wortungsvolle Aufgabe, die Unmöglichkeit, über alles zu sprechen, die Gefahr
einer Schädigung dieser Kinder, so wird man Fröschels gerne zustimmen,
wenn er für die leichten Fälle die gebräuchlichen Methoden als psychische
Beeinflussung und pädagogische Erziehung in Anspruch nimmt.“ Diesen
Zweifel Stekels teilen wir nicht; und in dem besonderen Fall einer Kinder-
analyse, über den ich jetzt berichten will, wäre es schwer, sich den Vorteil
irgendeiner anderen Behandlungsart vorzustellen.
Flügel sagt in seiner „Note on the Phallic Significance of the Tongue”
(International Journal of PsA. 1925): „Obwohl man den psychischen Mechanis¬
mus, der mit dem Stammeln in Verbindung steht, noch nicht ganz aufgedeckt
hat, ist es klar, daß er mit Minderwertigkeitsgefühlen eng verknüpft ist,
vielleicht auch mit Kastrations Vorstellungen.“ Wir können Flügel hinsichtlich
der Ungewißheit über den genauen Mechanismus des Stotterns völlig bei¬
stimmen, obwohl Dynamik und Sinn dieser Neurose von anderen Autoren
mit einiger Ausführlichkeit behandelt worden sind, zum Beispiel von C o r i a t,
Stekel, Appel t. „Die Verdrängung gewisser Gedanken und Gefühls¬
tendenzen, gewöhnlich sexueller Art“ ; 1 „Böses Gewissen“ wegen onanistischer
Handlungen, homosexueller Triebe, analer Phantasien und so weiter (Stekel,
„Nervöse Angstzustände ) spielen da eine Rolle; dies alles mag richtig sein,
geht aber nicht tief genug. App eit („Tine Real Cause of Stammering”) glaubt,
daß eine physiologische Prädisposition, schwache Sprachnerven das Bestimmende
für die Neurosenwahl des Stotterers sei. Eder in „ Stuttering a Psychoneurosis
and Its Treatment by Psychoanalysis” gibt wichtige Faktoren des Stotterns
in zwei von ihm analysierten Fällen, interessiert sich aber mehr dafür, die
Verknüpfung mit Verdrängung und geschlechtlichen Störungen aufzuzeigen
als den genauen Mechanismus wiederzugeben. Ernst Schneider untersucht
in seinem Buch „Über das Stottern“ dieses Symptom mit großer Ausführlich¬
keit. Im allgemeinen führt er die Sprachhemmung zurück auf „den Kampf
zwischen zwei Willen, die sich gegeneinander richten und sich so gegenseitig
aufheben, den Willen zum Sprechen und den Willen zum Schweigen. Im
Symptom sehen wir sie ein Kompromiß eingehen: Der Stotterer macht
große Anstrengungen zum Sprechen, er schweigt aber“. Diese Darstellung
werden wir in unserem Falle klar bestätigt finden.
Ich hatte 1923 die Gelegenheit, von unserem verehrten Dr. Abraham
einen Vortrag über einen Fall von Stottern zu hören, der eine neue Auf-
1 ) Coriat, „Stammering as a Psychoneurosis“, Journal of Abnormal Psychology IX, 6.
Ein Fall von Stottern bei einem Kind
295
fassung über den dabei wirksamen Mechanismus gab. Mit seiner gewöhnlichen
Bereitwilligkeit gab mir Dr. Abraham später einen Auszug davon, den ich
zitieren will. „Der Patient war als kleiner Knabe (mit drei bis vier Jahren)
ein Sprachkünstler und ließ sich gern bewundern, wenn er Gedichte vortrug
usw. Nach Aussage seiner Mutter war er ausgesprochen humoristisch.
(Prof. Freud sagte mir einmal, nach seiner Erfahrung seien die Stotterer
in der Regel als Kinder Spaßmacher gewesen.) Dieser orale Exhibitionis¬
mus hörte auf und machte einem analen Exhibitionismus Platz. Der Knabe
liebte es, sein Gesäß zu zeigen. Die spätere Unfähigkeit, die Anfangsbuchstaben
vieler Wörter auszusprechen, hatte ebenfalls analerotische Bedeutung, doch
war Rer Vorgang nach dem Munde verlegt, wo nun Kontraktions Vorgänge
wie am Anus stattfanden. Die Mundgeräusche beim Stottern hatten Flatus-
bedeutung. Das Stottern war ein neurotisches Symptom, das eine in Angst
verwandelte Exhibitionslust darstellte. Interessant ist, daß der Patient in seiner
Kleidung äußerst exhibitionistisch war; sein ganzes Interesse bezog sich auf
die Mode. Seine außerordentliche Kastrationsangst hatte den männlichen
Narzißmus aus der genitalen Position vertrieben, so daß der Narzißmus die
weibliche Form annahm, d. h. sich auf die ganze Körperoberfläche mit Aus¬
schluß der Genitalzone “verschob. Die Libido des Patienten war ganz anal¬
sadistisch gerichtet. Das Sprechen gelang ihm am besten, wenn er anderen
Menschen Bosheiten sagen konnte.“
Die Art und Weise, in welcher mein kleiner vierjähriger Patient Christopher
sein Stottern verlor, läßt — wenn man den Erfolg seiner weiteren Behandlung
dazurechnet — den Mechanismus dieses Falles ziemlich klar erkennen. Das
Stottern war ein tonisches. Wenn es schwer auftrat, beobachtete man zuerst
ein langes Stocken bei geöffnetem Munde und angespannter Anstrengung. Dann
kamen grunzende Laute, welche die unfreiwillige Pause ausfüllten, bis zuletzt
der gewünschte Buchstabe knallartig herausgestoßen wurde. Das Stottern war
immer am ausgesprochensten, wenn der Patient Widerstand erwartete. Wichtig
war auch in diesem Zusammenhang, daß er sich einige Wörter durch die
Art der Aussprache erschwerte, während die meisten Kinder sie sich zu erleichtern
pflegen. Sehr auffallend war das bei dem Worte „you’\ besonders natürlich
dann, wenn er es stark betonte. Statt „you do it” sagte Christopher „Dtchoo
do if\
In den ersten Sitzungen zeigte sich hauptsächlich sein urethrales Interesse
im Spielen mit Wasser, ebenso seine Neugierde, das „Innere“ betreffend; er
warf ein Spielzeug, einen grünen Frosch, aus dem Fenster, nachdem er ihn
ins Wasser gesteckt hatte. „Böser Frosch.“ „Warum?“ „Wollte Pferd beißen.
Wollte Baby beißen“ — was auf sadistische Wünsche gegen Eltern und kleine
Schwester schließen läßt; diese Schwester war beinahe drei Jahre jünger
und er hatte tatsächlich einmal versucht, sie zu erdrosseln. Er zeichnete auch
zwei Tiger ohne Beine, deren Mäuler sich berührten. In der nächsten Sitzung
spielte er nicht nur mit Wasser, sondern malte auch : drei blinde Mäuse und
ein sehendes Mäuslein; Mäuse ohne Schwänze, Maus mit Schwanz; Tiger im
Käfig, Bär im Käfig mit Stangen; Baum und Mäuslein im Baum, alles in rosa
Farbe. Dann schnitt er den Kopf eines Zelluloidsoldaten ab und nahm das
darin befindliche Blei heraus. Auf eine Frage antwortete er, „Ich würde
Kügelchen in mir haben, aber schneiden Sie mir nicht den Kopf ab.“ Der
296
N. Searl
Soldat wurde so von ihm behandelt, weil „er Baby geklapst hat“. Er schnitt
ihn in den Arm; „er wird nicht wieder Baby klapsen“. Dann verbrannte er
ihn. Er versuchte auch einen Puppenschnuller zu verbrennen, in den er
sont gern hineinbiß, und ebenso eine Beere, die er spater mit einer
langen Schnur an einen Stuhl band. Als er mit Wasser und
einer Blechbüchse mit Deckel spielte, sagte er, es mache ein Geräusch wie
kJ einer Wunsch; gleich darauf schlug er hart auf die Büchse und fragte mich
mit schelmischem Lächeln: „Was ist das?“ „Ist’s wie großer Wunsch ?“ „Ja,
das ist es.“ Jetzt wurde sein Stottern so schlimm, daß ich zu ihm sagte: „Du
gibst dir große Mühe ; du mußt dir wohl große Mühe geben, wenn du einen
großen Wunsch machst?“ „Ich will nicht, ich will nicht“. „Natürlich“, sagte
ich, „Du fürchtest, daß man dir etwas fortnehmen wird.“ Als er einen
Schmutzflecken an meinem Balkon sah, den er schon sehr oft vorher gesehen
hatte, ohne darüber eine Bemerkung zu machen, sagte er, daß jemand dort
einen großen Wunsch gemacht hätte; „die Pferde machen so auf der Straße“.
Als er diesmal auf die Toilette ging, besorgte er alles allein, anstatt einfach
meine Hilfe abzuwarten, wie er es sonst immer getan hatte. Obwohl er, wie
auch sonst, davonrannte, nachdem er an der Kette gezogen hatte, wobei er
Laute ausstieß, die aus Freude und Furcht gemischt waren, kam er diesmal
zurückgelaufen, spuckte in das Klosett und schrie: „Ich habe ihn gebissen,
ich habe ihn gebissen.“ Nach der Freimachung seines analen Trotzes ver¬
schwand sein Stottern fast ganz.
Die Vorgänge bei dieser Sitzung bringen mich zu dem Schluß, daß die
Haupttriebkraft von Christophers Stottern eine Verdichtung von verschobenem
analen Gehorsam und Trotz war. Wirklich „gab er sich große Mühe , wie
man es ihm immer wieder befohlen hatte; aber trotzdem hielt er zurück,
obwohl es ihm verboten war. Sein übermäßiger analer Sadismus war auf der
einen Seite auf oralem Sadismus aufgebaut, auf der anderen Seite entsprach
er einer Regression von der phallischen Stufe, die auf seine Kastrationsangst
zurückzuführen war. Das soll nur eine allgemeine Skizzierung von Vorgängen
sein, die sehr kompliziert sind. Indessen bekommen wir in einer Hinsicht
wenigstens ein klareres Bild. Die Wichtigkeit der Mundzone ist schon
betont worden — das Beißen des Schnullers, das Spucken und so weiter;
Christophers weitere Behandlung zeigt ihre enge Verknüpfung mit seinen
analen Trieben.
Einige Wochen später hob er einmal den Kopf des Soldaten vom Boden
auf. „Böser Mann, gucken Sie mal auf den dummen bösen Mann.“ „Warum
ist er denn böse?“ „Will mich beißen.“ „Nein, so ist es nicht. Der Papa
will dich nicht beißen.“ Als dann noch weiteres Material zum Vorschein
kam, das mit seiner Kastrationsangst verknüpft war: „Du möchtest nicht, daß
der Papa einen Wiwimacher hat, aber trotzdem will der Papa dich nicht
beißen.“ „Ich beiße Papas Wiwimacher.“ Später wälzte er sich im Lehn¬
sessel herum, steckte ein Zündholz in sein Ohr, und dann versuchte er, es
tief hineinzutreiben, indem er sich darauflegte. „Baba gehen“, sagte er.
„Ja, du willst etwas in ein Loch stecken, nicht wahr ? Und du hast etwas
im Bett bemerkt.“ Er rollte sich auf dem Boden und versuchte, ein Zündholz
in eines der beiden Löcher einer Steckdose zu stecken. „Muß es vorsichtig
machen“, sagte er. „Kleine Samenkörner werden aus dem anderen Loch heraus-
Ein Fall von Stottern bei einem Kind
297
kommen.“ Dann sah er sich um, „Warum weinte ich, weil ich die Dame
nicht sehen konnte?“ („Die Dame“ war sein Name für mich, und er hatte
geweint, als er nicht zu mir kommen konnte; aber es ließ sich leicht
erkennen, daß dahinter sich seine wiederkehrende Angst versteckte, die ihn
zuweilen ergriff, wenn er ein weißes Pferd auf der Straße nicht finden —
d. h., nicht „sehen“ konnte. Eine vorhergehende Sitzung hatte klar erwiesen,
daß hiermit das Verschwinden der weißen Mutti unter dem Papa, dem Reiter,
gemeint war.) Die nächste Frage kam bald danach: „Was machte der Papa,
als ich ihn im Bette hörte?“ „Was hörtest du?“ „Ich wachte auf und
hörte einen komischen Laut“. „Was für einen Laut?“ „So“ und er
kauerte auf dem Boden und gab eine Folge von grunzenden Lauten
von sich.
In der nächsten Sitzung war er sehr laut und machte viel „Musik“, wie er
das Singen nannte.
Der Mechanismus des Verschiebens vom Anus zum Mund beim Stottern
ist jetzt klar: Die Identifizierung mit dem Vater beim Koitus wird dadurch
dargestellt. Und in Übereinstimmung mit der normalen Ödipussituation, aber
auf einer prägenitalen Stufe, konnte er zu gleicher Zeit seine Liebe zur
Mutter (Gehorsam) und die Rivalität mit dem Vater (gewaltsame Emissionen)
beweisen, und weiter seinen Trotz gegen die Autorität beider (Zurückhalten).
Da das Stottern so leicht verschwand, als seine anale Bedeutung klar wurde,
darf man sagen, daß diese den wichtigsten determinierenden Faktor bildete;
er war an einem empfindlichen Punkt, der Identifizierung mit dem Vater,
getroffen worden; diese Identifizierung selbst wurde auf der analen Stufe zum
Mund verschoben (Flatus und Grunzen). Die orale und anale Exhibitionslust,
die im Falle von Abraham so stark war, ist hier weniger betont, aber
sicherlich vorhanden: er liebte es, Wörter zu bilden und damit zu spielen;
auch die weibliche Form narzißtischer Exhibitionslust, die Freude an Kleidern,
konnte man beobachten.
Dieser Fall von Stottern zeigt keine neuen Züge; seine Dynamik ist aber
hinlänglich klar, um — wie ich glaube — unser Interesse zu beanspruchen.
DISKUSSIONEN
Diskussion der „Laienanalyse“
(S. dazu die Vorbemerkung der Redaktion und die Beiträge I—XII in den beiden vorigen Heften)
XIII
Robert Wälder (Wien):
Die PsA. ist aus ursprünglich ärztlicher Fragestellung erwachsen; durch
die Arbeit eines Arztes freilich, der sich in ihr von jeder Analogie zu ärzt¬
lichen Methoden entfernt hat. Von diesem Gebiet ihrer Entstehung aus hat
sich die PsA. jedoch sehr bald entscheidend expandiert; sie erhob den
Anspruch, über eine Normalpsychologie zu verfügen und Techniken zu ent¬
wickeln, deren Anwendung am Gesunden nicht anders als am Kranken erfolgt.
Zudem hat sie den psychischen Krankheitsbegriff über seinen ursprünglich
recht engen klinischen Umfang hinaus so sehr erweitert, daß er so gut wie
alles Lebende erfaßt: wir sprechen von jemandes Neurose mit dem gleichen
Tone der Selbstverständlichkeit wie etwa von jemandes Charakter, Persön¬
lichkeit oder Fähigkeiten. Mit dieser Erweiterung ihres Gegenstandes und
ihrer Probleme hat PsA. aufgehört, ein Teil der medizinischen Wissenschaft
zu sein — wenn sie es überhaupt je gewesen ist — und kann es jedenfalls
insolange nicht werden, als sie ihren umfassenden Anspruch behauptet. Damit
muß auch auf eine Einreihung der PsA. in überkommene und der Bequem¬
lichkeit lieb gewordenen Kategorien verzichtet werden.
Mit dieser Zeit beginnt die legitime Mitarbeit von Nichtärzten, den soge¬
nannten Laien, deren Interesse für PsA. auf dem Boden anderer Wissenschafts¬
gebiete als der Medizin entstanden ist. Diese Mitarbeit ist einer psycho¬
analytischen Bewegung, die ihren kulturhistorischen Aufgaben gerecht werden
soll, nicht entbehrlich; ganz abgesehen von dem fruchtbaren Zusammenhang
mit anderen Problemstellungen, den sie auch dem ärztlichen Analytiker ständig
erhalten hilft, ist ihre Funktion die Arbeit an der schließlichen Synthese der
psychoanalytischen Seelenlehre mit allen wertvollen Ergebnissen anderer
psychologischer Methoden. Von der heute noch kaum begonnenen Durch¬
setzung der akademischen Psychologie mit Analyse darf im übrigen auch auf
dem Umwege über die Lehrerschaft aller Stufen, die dort ihre Ausbildung
erfährt, eine extensivere Durchdringung des Publikums erwartet werden, die
für die Ausdehnung der analytischen Praxis so wünschenswert ist.
Wenn aber die Beschäftigung nichtärztlicher Arbeiter mit Analyse über-
Diskussionen
299
haupt anerkannt wird, kann ihnen der Natur unserer Wissenschaft zufolge
die Ausübung am lebendigen Objekt nicht mehr versagt werden.
Es sei schlank wegs anerkannt, daß medizinisches und im besonderen
psychiatrisch-neurologisches Wissen für die Ausübung der Analyse stets förder¬
lich und manchmal unentbehrlich ist; im Ideal des Analytikers wird
medizinische Bildung nicht fehlen dürfen. Aber zu diesem Ideal gehören mit
gleicher Bedeutung auch andere Voraussetzungen, die im individuellen Fall
ein Arzt wohl erfüllen kann, — wie ja schließlich auch ein Laie über
medizinisches Wissen verfügen mag, — die aber keineswegs durch die
medizinische Ausbildung an sich erworben werden. So etwa jene methodische
Denkschulung, die nur am Studium der exakten Wissenschaften erworben
werden kann; oder Psychologie oder Biologie. Insolange man gegenüber dem
Mangel dieser Kenntnisse oder Fertigkeiten beim ärztlichen Anwärter Toleranz
übt, muß diese Toleranz gleicherweise für die medizinische Unbildung desjenigen
gelten, der andere für die Analyse wertvolle Vorbedingungen erfüllt; und dies um
so eher, als gerade medizinische Unbildung, die weniger Methodisches als Tat¬
sächliches betrifft, durch ärztliche Indikationsstellung und ständige Beratung durch
einen analysekundigen Arzt verhältnismäßig weitgehend kompensiert werden kann.
So viel zur Wunschbarkeit der Laienanalyse von unserem, dem analytischen
Standpunkt aus. Für ihre Zulässigkeit würden diese Ausführungen auch dann
eintreten, wenn alle diese Argumente unzutreffend wären; hiebei bestimmt
von einem den Gegenwartsströmungen allerdings nicht entsprechenden
Liberalismus, der in dem täglich sich verdichtenden System der Berufs¬
beschränkungen und Befähigungsnachweise einen Ausdruck kleinbürgerlicher
Gesinnung und eine der ökonomisch und kulturell verderblichsten Erscheinungen
unserer Zeit erblickt. Es ist gewiß nicht aufrichtig, die Gefährdung von
Interessen Dritter ins Treffen zu führen; die Gemeinschaft schützt ihre Mit¬
glieder nicht vor den mannigfachen gesundheitlichen und materiellen, sozialen
und psychischen Gefahren des Lebens, und es ist nicht verständlich, warum
es ihre Aufgabe sein sollte, sie gerade vor der Möglichkeit selbst wirklicher
Kurpfuscherei zu behüten.
Diese Bemerkungen versuchen einen prinzipiell - sachlichen Standpunkt zu
umschreiben, der sich mit einem taktisch-politischen nicht notwendig decken
muß. Vom taktischen Standpunkt aus wird man billig bedacht sein, die
Stellung der psychoanalytischen Ärzte gegenüber der übrigen Ärzteschaft nicht
zu erschweren; wir glauben, daß die ärztliche IndikationsStellung vor der
Laienanalyse, die Ausscheidung der in im überkommen klinischen Sinne
Kranken und die ärztliche Beratung diesen Bedenken hinlänglich Rechnung
tragen. Damit dürfte zugleich auch eine Formel gefunden sein, die gegen
behördlich-juristische Angriffe gut zu verteidigen ist.
XIV
Edward Glover (London):
Bei der nachstehenden Erörterung über die Frage der Laienanalyse gehe
ich davon aus, daß es jedem Diskussionsredner gestattet ist, seine persönliche
Meinung vorzubringen und sie, so gut er es vermag, durch Vernunftgründe zu
verteidigen; denn da wir endlich über unsere unmittelbar einzuschlagende
Haltung gegenüber dieser Frage zu einer Einigung kommen müssen, sollen
300
Diskussionen
sich etwaige Zweifel nicht hinter einem angeblich wissenschaftlichen
Desinteressement oder laissez-faire verstecken dürfen.
Um also gleich mit einer dogmatischen Behauptung anzufangen, so meine
ich, daß es zwei Seiten gibt, von denen aus man den Gegenstand in Angriff
nehmen kann. Erstens von der vorwiegend praktischen Seite, nämlich von der
Frage, welche Haltung oder welche Politik wir unter den bestehenden Ver¬
hältnissen einschlagen sollen, zweitens von der mehr utopischen Seite, der Frage,
wie weit wir uns bei unserer gegenwärtigen Stellungnahme von der Aussicht auf
spätere Möglichkeiten beeinflussen lassen sollen. Gegen die erste Methode läßt
sich der landläufige Einwand anführen, daß sie allzu kurzsichtig sei und letzten
Endes verdumme; gegen die utopische Methode könnte man den Einwand
geltend machen, daß sie der unbewußten Wunscherfüllung zu viel Spielraum
lasse. Den früheren Utopisten fiel es nicht schwer, das hinter ihren
vorgefaßten Meinungen verborgene Phantasieelement zu verheimlichen; in
den literarischen Produktionen der heutigen Autoren hingegen, obgleich sie
ihre Allmachtswünsche in einer Form Vorbringen, als ob sie bloß Versuche
wissenschaftlicher Voraussagen wären, läßt sich ohne weiteres der Stempel
des Triebzwanges erkennen. Auf jeden Fall wird die utopische Methode
noch durch eine andere Sache kompliziert. Denn selbst wenn wir die
zukünftige therapeutische Organisation und Lehre mit Sicherheit Voraussagen
könnten, bliebe immer noch zu überlegen, wie weit wir durch propagandistische
Methoden diesen in der Phantasie antizipierten Zustand beschleunigen sollen.
Man könnte beispielsweise der Meinung sein, daß die ganz besondere Art
der analytischen Behandlung und ihre unmittelbaren und mittelbaren Einflüsse
auf die Erziehungs- und Anpassungsprozesse es letzten Endes doch notwendig
machen werden, die gesamte Organisation der analytischen Ausbildung und
analytischen Therapie von dem Fach loszulösen, das den rein medizinischen
Standesorganisationen untersteht. Dann würde die Psychoanalyse nicht ein
Spezialfach der Medizin sein, sondern ein ungeheuer großer, selbständiger
Berufsstand, der für die seelische Anpassung etwa das gleiche leistet, wie die
Naturwissenschaften für die physischen Vorgänge. Zugunsten dieser Ansicht
ließe sich das praktische Argument anführen, daß die Behandlung anormal
entwickelter Kinder heute bereits einen derartigen Umfang anzunehmen
beginne, daß selbst der gesamte Ärztestand, wenn er dazu aufgeboten und
analytisch vorgebildet würde, kaum den kleinsten Teil dieser Fälle bewältigen
könnte. Man müsse also schon aus diesem Grunde an der Einrichtung einer
leistungsfähigen Laienorganisation für pädagogische Zwecke mithelfen und dann
von diesem Hebelende aus die psychoanalytische Wissenschaft von der Kon¬
trolle der Standesorganisationen mit beschränktem Gesichtskreis, wie dem
Allgemeinen Ärzteverband (General Medical Council) und ähnlichen, abspalten.
Packt man jedoch die Frage von diesem Ende aus an, so ist kein Unterschied
ersichtlich zwischen diesem Vorgehen und der herrschenden medizinischen
Gepflogenheit, gewisse Spezialbehandlungen, wie Hebammendienst, Massage,
Elektrotherapie usw., die nicht anregend oder nicht einträglich genug sind,
um sie dem Ärztestand vorzubehalten, approbierten Heilgehilfenorganisationen
zu überlassen. Das Endziel wäre freilich ein ganz anderes und man könnte
der Tätigkeit einer Laienanalytikerorganisation keinesfalls so enge Grenzen
stecken wie der von Hebammen oder Masseusen.
Diskussionen
301
Wenn wir also die Methode erörtern, die wir kurz als utopische bezeichnet
haben, so müssen wir uns zunächst die Frage vorlegen, ob überhaupt eine
Wahrscheinlichkeit besteht, daß die Praxis der Psychoanalyse jemals eine
selbständige große Organisation sein wird, und weiter, ob es erwünscht ist,
auf dieses Ziel hinzuarbeiten.
Ob die psychoanalytischen Ideen jemals so starken Einfluß auf die Gesell¬
schaft gewinnen werden, daß eine selbständige, von den offiziellen Ärzte¬
organisationen unabhängige Kontrollorganisation notwendig werden wird, ist
eine höchst theoretische Frage, Dieser Möglichkeit steht die andere gegenüber,
daß das analytische Wissen auch künftig eine unsichere Erbschaft bleiben
könnte, die man eifersüchtig vor den Übergriffen individueller und kollektiver
Vorurteile schützen muß. Es ist allerdings richtig, daß der Schock, den die
Darwin sehe Theorie dem Narzißmus des Menschengeschlechts versetzt
hat, bei einigen aufgeklärteren Gemeinwesen einer mehr oder minder wider¬
willigen Anerkennung gewichen ist, aber diese Anerkennung erfolgte mehr
aus Gründen der Selbstverteidigung. Denn erstens ist die Theorie in Wirk¬
lichkeit nicht über die Epidermis der Gesellschaft hindurchgedrungen, und
wenn sie wirklich irgendwelche oberflächlichen Abschürfungen verursacht hat,
so ließen sich diese durch Rationalisierungen schnell heilen. Die Gesellschaft
benimmt sich wie der Patient, der in der Analyse allen Deutungen begeistert
zustimmt, solange sie seine Gemütslage nicht berühren. » Aber die Psycho¬
analyse geht durch die Epidermis hindurch und legt gerade die zur Ver¬
teidigung bestimmten Rationalisierungen bloß und schont auch jene nicht, die
sich vor dem Problem dadurch drücken wollen, daß sie selber Pseudo¬
analytiker werden. Die Tatsache, daß sich die konservativen wissenschaft¬
lichen Organisationen feindselig, wenn auch mit schlechtem Gewissen, von
den Freud sehen Lehren abgewendet haben, war an sich nichts Außerf
gewöhnliches: Viele andere neuerstandene Wissenschaften mußten sich die
gleiche konservative Ablehnung gefallen lassen. Dafür haben es die anderen
Wissenschaften jedoch erlebt, daß sie kanonisiert wurden, während bei der
Psychoanalyse immer noch die Möglichkeit besteht, daß sie auch fernerhin
ein Dorn im narzißtischen Fleisch der Gesellschaft bleibt. Hält man dies für
wahrscheinlich, so müßte man auf alle Fälle dafür eintreten, daß die Psycho¬
analyse nicht nach Autonomie streben, sondern ein besonderes Reservat inner¬
halb der Medizin bleiben solle. Damit ist noch nicht gesagt, daß die Gegner¬
schaft der Ärzte nicht fortdauern würde oder daß der Ärztestand aufgeklärter
sei als irgend ein anderer Teil der Gesellschaft, was er bestimmt nicht ist; es
würde nur eine Schutzmaßnahme bedeuten, die sich gewisse ärztliche Sonderrechte
zugute macht, um ein bedrohtes wissenschaftliches Besitztum zu schützen. Diese
Sonderrechte sind in erster Linie Freiheit der Forschung und Immunität vor
Verfolgung in solchen Fällen, wo die Behandlung nach bestem Können des
Analytikers durchgeführt worden ist. Von diesem Standpunkt aus erschiene
es richtig, nicht bloß die Analytiker lediglich aus den Reihen der Ärzte zu
rekrutieren, sondern auch die Laienanalytiker zu veranlassen, die ärztliche
Approbation zu erwerben, um auf diese Weise dem ganzen Ärztestand mit
richtigen, verantwortungsbewußten analytischen Ideen zu durchdringen.
Für die andere Möglichkeit, nämlich daß die Psychoanalyse ein selbständiger
Berufszweig werden könnte, spricht der Umstand, daß die medizinische Praxis
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIII/5. 21
302
Diskussionen
eine immer gewaltigere Organisation erfordert und sich immer mehr mit den
Einzelheiten des sozialen Lebens zu beschäftigen beginnt, die sie bisher für
rein persönlich und privat gehalten hatte. Als die Chirurgen sich von den
Feldscheren abtrennten, haben sie sozusagen einen sehr wichtigen Präzedenz¬
fall geschaffen. Trotzdem haben sie seither immer die Tendenz gezeigt, auch
über jene Spezialgebiete eine gewisse Kontrolle zu behalten, die sie persönlich
nicht ausüben konnten oder mochten. Die Folge davon ist, daß nach manchen
ehrgeizigeren Kreissanitätsvorschriften die verschiedenen Organisationen von
geprüften Pflegerinnen und Sanitätsinspektoren, die unter ärztlicher Kontrolle
arbeiten, sich — gestützt auf die zahlreichen Gesetze über öffentliches
Gesundheitswesen — sehr weitgehend in das soziale Leben der Gemeinden
„ einmisch en“.
Aber während sich der Ärzteberuf nach einer Richtung ausdehnt und von
gelernten Laienorganisationen Gebrauch macht, zeigt er nach anderen Rich¬
tungen stets die Neigung, sich zu verengen, und erweist sich dadurch als
unzulänglich. Die bloße Existenz der „Kurpfuscher“, die nach Geschicklichkeit
und Ehrenhaftigkeit von reinen Charlatanen bis zu maßgebenden Spezialisten
rangieren, ist in gewissem Sinne eine Reaktion der Gesellschaft auf die
Mängel oder therapeutischen Unzulänglichkeiten der Ärztestandes. Die
Kurpfuscherei ist die unvermeidliche Folge der groben Vernachlässigung des
„Übertragungsmomentes“ in der Therapie und der rohen physiologischen
Selbstgenügsamkeit der Ärzte. Sie hat aber noch andere Ursachen: Gewisse
Zweige der Medizin bleiben aus Borniertheit, Vorurteil oder Trägheit der
offiziellen Stellen einfach Kurpfuschern oder mit anderen Worten Laienheil¬
kundigen überlassen. Darin ist eine gewisse Sicherheit für das Publikum
gegeben, das, wenn der Ärztestand sich nicht besser reorganisiert, gute Laien-
•organisationen immer unterstützen wird. Der überwiegende Teil der ana¬
lytischen Laienpraxis beruht heutzutage auf dieser wohlwollenden Einstellung
der aufgeklärteren Mitglieder der Gesellschaft. Die analytische Praxis ist
überaus persönlich und hat ärztlichen Empfehlungen wenig oder nichts zu
danken. Aus diesen Gründen scheint es wahrscheinlich, daß bei Erweiterung
des Tätigkeitsfeldes der von ärztlichen Organisationen protegierten Laien-
Organisationen auch die Existenz einer Körperschaft von Laienanalytikern
anerkannt werden muß. Bleibt hingegen die ärztliche Kontrolle ebenso starr
wie heute, und erweist sie sich auch weiterhin für eine Erweiterung ihres
Gesichtskreises unzugänglich, so wird die Gesellschaft selbst die Anerkennung
der Laienanalyse erzwingen, nicht weil sie sich die analytischen Theorien
durchgängig zu eigen machte, sondern aus purer Notwendigkeit.
Aber selbst angenommen, daß sich eine derartige Laienorganisation
entwickeln und die Psychoanalyse einen großen Teil der heute auf Kurpfuscherei
verschwendeten Arbeit übernehmen und damit das gesellschaftliche Ansehen
gewinnen würde, das sich zwangsläufig aus der Notwendigkeit der inoffiziellen
Laienbehandlung ergibt, so bedeutet das noch keineswegs, daß sie über die
Grenzen einer rein therapeutischen Organisation hinausgehen würde. Dem
würden wahrscheinlich innere Gefahren entgegenstehen, die wir am besten
an der analytischen Tätigkeit der sozial wissenschaftlichen Arbeiter (Social
Science Worlzers) illustrieren können. Die Organisation der Laienanalytiker
hätte auch einen schweren Stand zu behaupten, sobald sie sich auf das Gebiet
Diskussionen
3o3
der religiösen Behandlungsmethoden wagte, von der Lösung emotioneller
Konflikte durch Andachtsübungen gar nicht erst zu reden. Man kann sich
schwer vorstellen, daß eine große psychoanalytische Organisation von dem
menschlichen Streben nach Rationalisierung der Triebe nicht an den
verschiedensten Stellen unterhöhlt werden würde.
Aber über bloße Möglichkeiten zu reden ist ebenso leicht wie zwecklos.
Ich glaube nicht, daß wir zu einer Propaganda berechtigt sind, die sich
lediglich auf Prophezeiungen über künftige Heilkundigenorganisationen stützt.
Wir müssen also zu der ersten Methode zurückkehren und uns fragen, welche
Politik wir unter den bestehenden Verhältnissen einschlagen sollen. Ehe wir
jedoch an dieses Problem herangehen, können wir der utopischen Methode
noch einige Vorzüge entnehmen. Sie ermöglicht uns eine ganz klare Frage¬
stellung: Angenommen, daß die Anerkennung der Laienanalyse als offizieller
Beruf auf keine Schwierigkeiten stieße, sollen wir diesen Zustand herbei¬
wünschen? Oder sollen die Psychoanalytiker auf alle Fälle ärztlich
vorgebildet sein?
Nun besteht hier zunächst eine gewisse Gefahr, daß die allgemeine Frage
nach dem, was wünschenswert ist, durch spezielle Argumente verdunkelt wird:
So könnte man beispielsweise anführen, da auch Fälle von Bekehrungshysterie
und Grenzpsychosen in den Bereich der analytischen Behandlung fallen, sei für
alle Analytiker eine medizinische Vorbildung notwendig, sonst könnten sie
nicht zwischen funktionellen und organischen Störungen unterscheiden. Diese
Schwierigkeit ließe sich vermeiden, wenn die Vorschrift bestünde, daß jeder
Patient vorher von einem Analytiker und einem praktischen Arzt gemeinsam
untersucht würde, wobei die Diagnose gestellt und organische Veränderungen
im Gehirn oder in anderen Organen entweder ausgeschlossen oder festgestellt
würden. Dagegen ließe sich wieder einwenden: Wie soll der Laienanalytiker
zwischen neu hinzutretenden organischen Störungen und vorübergehenden
Symptombildungen, wie sie zuweilen im Verlauf der Analyse auftreten, unter¬
scheiden? Auch diese Schwierigkeit ist in der Praxis nicht so groß, wie sie
auf den ersten Blick erscheint, denn man hat immer die Möglichkeit, den
betreffenden Fall einem Arzt zur Nachuntersuchung zu überweisen. Durch
systematische Voruntersuchung ließen sich ferner alle psychotischen oder
psychosenverdächtigen Fälle aus dem Material, das dem Laienanalytiker über¬
lassen wird, ausscheiden. Es würde also tatsächlich keine Schwierigkeiten
machen, bei einer richtig aufgezogenen Laienorganisation alle Vorsichts¬
maßregeln durchzuführen, die den Patienten wie den Laienanalytiker vor den
Gefahren schützen, denen der Nichtarzt ausgesetzt ist. Um das riesige Material,
das sich nicht für Laienbehandlung eignet, zu bewältigen, müßte man eben
die Zahl der analytisch ausgebildeten Psychiater und anderen Ärzte entsprechend
vermehren. Gegen die Behandlung der großen Masse der Neurotiker durch
Laienanalytiker bestünde jedoch kein vernünftiger Einwand.
Wir können also nunmehr auf die allgemeine Frage zurückkommen: Können
wir uns einen Vorteil davon versprechen, wenn wir die ärztliche Approbation
zur Vorbedingung für die analytische Qualifikation machen? Da müssen
wir zunächst zugeben, daß der medizinische Unterricht keineswegs vollkommen,
sondern grob und dilettantisch ist, und daß auf die Lehrbegabung bei der
Auswahl der medizinischen Professoren die geringste Rücksicht genommen
21*
304
Diskussionen
wird; daß die gleichen Mängel auch für das ärztliche Prüfungssystem gelten,
kurz, daß ein Mediziner von opportunistischer Einstellung sich genug theoretisches
und klinisches Wissen „erochsen“ kann, um die Examina zu bestehen und
dabei das Wichtigste der medizinischen Ausbildung nicht aufgenommen hat,
nämlich die Entwicklung eines „klinischen Sinnes“. Aber so mangelhaft der
Studiengang auch organisiert sein mag, so läßt sich doch nicht leugnen, daß
dem Studenten in den drei letzten Jahren einzigartige Möglichkeiten geboten
sind, diesen geschärften klinischen Sinn zu erlangen, der das ganze Geheimnis
einer erfolgreichen Praxis ist. Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, daß
die theoretischen Finessen bei der Differentialdiagnose zumeist auf die Hörsäle
beschränkt sind; ebenso weiß man, daß die medizinische Ausbildung sich
hauptsächlich auf zwei Dinge zurückführen läßt: der Student muß lernen,
sorgfältig zu untersuchen und zu erkennen, wann eine Person „krank“ ist!
Beides ist wichtig, das zweite aber ist noch wichtiger. Die Laienanalytiker
müssen sich heute mit den verhältnismäßig beschränkten Möglichkeiten zur
Gewinnung dieses sogenannten klinischen Sinnes begnügen, doch erfassen sie
die bestehenden Möglichkeiten ziemlich schnell und ergänzen sie durch sorgfältige
Beobachtung ihrer menschlichen Umgebung unter den verschiedensten Ver¬
hältnissen. Wir können im Rahmen dieses Aufsatzes unmöglich ein genaues
Bild dieses klinischen Sinnes entwerfen, doch soviel kann man sagen: Die
dauernde Berührung mit Krankheit und Tod, die Beobachtung von somatischen
Attacken und der verschiedenartigen Verteidigung, Erholung oder Niederlage,
zusammen mit der genauen Bloßlegung psychologischer Reaktionen, d. h. dem
Vei halten bei plötzlich eintretenden sozialen Situationen, gibt eine ausgezeichnete
Grundlage für alle, die sich künftig mit rein psychischen Krankheiten oder
Störungen beschäftigen wollen. Selbst der an sich sehr einfache und unzulängliche
biologische Unterricht trägt sehr viel zu der Entwicklung jener biologischen
Einstellung bei, die für alle jene, die psychische Vorgänge studieren wollen,
ganz unschätzbar ist. Das ist meines Erachtens ein gewichtiges Argument
zugunsten der medizinischen Vorbildung, das sich durch Hinweise auf
Unbequemlichkeit oder Kosten nicht entkräften läßt. Als einziges wirkliches
Gegenargument könnte man höchstens anführen, daß der medizinische Studien¬
gang in gewissem Sinne ein positives Hindernis für eine wirklich psychologische
Ausbildung ist. Dieser Ein wand jedoch fußt nur auf der Unzulänglichkeit und
Einseitigkeit der medizinischen Ausbildung. Heute ist es allerdings so, daß der
moderne medizinische Unterricht selbst die augenfälligsten Äußerungen der
psychologischen Faktoren stark unterschätzt und das ganze Gewicht auf die
somatische Teleologie legt, also gewissermaßen darauf angelegt scheint, den
psychologischen Tastsinn des künftigen Analytikers in Grund und Boden zu
ruinieren. Aber auch dies ist natürlich Ansichtssache, und ich persönlich lege
diesem Argument kein übermäßiges Gewicht bei. Schließlich könnte man ja
auch durchaus mit Recht meinen, daß ein Mediziner, der sich durch eine
derartige Einstellung seiner Lehrer irreführen läßt, besser auf der anderen
Seite der pons asinorum bleibt; aus ihm würde doch nie ein guter
Psychologe werden. Hingegen wird der Laienanalytiker, der Zeit und Geld
zur Erlangung der ärztlichen Approbation aufwendet, gerade der Student sein,
der am allergierigsten die Sahne der klinischen Erfahrung abschöpft. Der
zynische Durchschnittstudent, der die meiste Zeit im Rauchzimmer verbringt,
Diskussionen
305
beweist meiner Ansicht nach gerade dadurch, daß er bloß seinen Unglauben
an die Allheilmittel der klinischen Medizin verdrängt. Es gibt wenig denkende
Studenten, die nicht erkennen, daß die klinische Behandlung in der Hauptsache
nur in der groß aufgemachten Aufstellung und Erörterung von Diagnosen
besteht, während man es dem Patienten überläßt, selbst an seiner Wieder¬
herstellung zu arbeiten. Das bringt mich auf einen weiteren Vorteil der
medizinischen Ausbildung — auf die Entwicklung eines Gefahrsinnes, einer
Wachsamkeit gegenüber oft winzigen Gefahrsignalen. Wenn ich von der ver¬
hältnismäßigen Dürftigkeit der heutigen Therapie spreche, so will ich durchaus
nicht spotten. Es ist ganz gut, wenn sich der Arzt so viel und so eifrig
mit der Diagnostik beschäftigt, solange er nichts Nützlicheres unternehmen
kann. Er wird dadurch Fehler vermeiden und die Möglichkeit behalten,
Diagnose und Therapie zu wechseln, vor allem wird er jeden Augenblick auf
Gefahrsignale achten. Dazu gehört vor allem, daß er den Zeitpunkt erkennt,
an dem er dem Patienten keine weiteren Schmerzen mehr zumuten kann oder
an dem er die stimulierenden Mittel neu und besser dosieren muß. Dies alles
hat seine genaue Parallele auch in der analytischen Behandlung.
Die eben genannten Vorteile könnten manchem lächerlich gering erscheinen
im Vergleich zu dem Aufwand an Zeit und Geld, der mit der Erlangung
des Doktorgrades verbunden ist. Ich persönlich freilich halte'diesen Ein wand
nicht für sehr gewichtig. Gewiß wird eine oder zwei Generationen lang der
Zeitfaktor vielfach entscheidend bleiben, — beispielsweise wenn sich eine
Person mittleren Alters plötzlich entschließt, berufsmäßig Analyse zu treiben,
— aber wenn die Psychoanalyse einmal wirklich ein wichtiger und allgemein
anerkannter selbständiger Beruf werden sollte, so müßte ihr Studiengang
mindestens ebensolange, wenn nicht noch länger dauern, wie heute das
Medizinstudium. Es läge dann durchaus im Bereich der Möglichkeit, daß man
einen kombinierten Studiengang aufstellt, genau so wie man heute Natur¬
wissenschaften und Medizin zusammen studieren kann.
Ich darf wohl an diesem Punkte einige persönliche Vorurteile äußern.
Ganz abgesehen davon, daß die unbewußten Strömungen in sämtlichen thera¬
peutischen Fächern heute sehr ähnlich verlaufen, glaube ich nicht, daß über¬
haupt je eine Zeit kommen wird, in der es erwünscht sein würde, die
analytische Ausbildung von der medizinischen zu trennen. Mindestens wird
man immer eine große Zahl ärztlich vorgebildeter Analytiker brauchen, die
als Verbindungsoffiziere zwischen dem Ärztestand und den Laienanalytikem
fungieren. Während ich nicht einen Moment glaube, daß man die ärztliche
Vorbildung für alle Analytiker oder auch nur die Mehrzahl der Analytiker
obligatorisch machen solle, so halte ich doch die Vorteile der
medizinischen Ausbildung für überaus groß, und möchte allen, die Zeit und
Geld aufwenden können, dringend ans Herz legen, das medizinische Studium
in ihre Vorbildung aufzunehmen. Ja, ich gehe noch weiter und rate ihnen,
eine sechsmonatige Assistentenstellung bei einem erfahrenen Kliniker durch¬
zumachen, ehe sie eine psychiatrische Anstellung übernehmen. Ich hätte viel¬
leicht besser sagen sollen, daß die medizinische Ausbildung gegenwärtig
nicht obligatorisch gemacht werden solle, weil man sich vorstellen könnte,
daß bei entsprechender Organisation des ärztlichen Studienganges und freund¬
schaftlicher Zusammenarbeit zwischen Ärzte- und Analytikerorganisationen in
306
Diskussionen
Zukunft für Analytiker, die „Allgemeinpraxis“ treiben wollen, ein
modifizierter Studiengang obligatorisch gemacht werden würde. Es
stünde denen, die Heilanalysen machen wollen, auch weiterhin frei, sich wie
heute einer speziell analytischen Ausbildung zu unterziehen. Natürlich wäre
es sehr verhängnisvoll, wenn durch diese Maßnahmen die Fortschritte der
Heilanalyse oder die Anwendung der Psychoanalyse in Pädagogik, Soziologie
usw. gehemmt würde, aber ich glaube nicht, daß dies eintreten müßte, wenn
in Zukunft (sobald ein abgeänderter Studiengang möglich ist) für die
Personen, die bei gemischten Typen von Erwachsenen Heil¬
analysen machen wollen, eine bestimmte Qualifikation obligatorisch
gemacht würde. Solche, die nur auf engerem Gebiete praktizieren wollen,
könnten künftig ebenso wie heute unter der Kontrolle eines Arztes, der die
Diagnose stellt, Analysen vornehmen.
Ich will keineswegs vorschlagen, daß man die ganze Ausbildungsfrage durch
eine einfache Arbeitsgemeinschaft zwischen medizinischen und analytischen
Organisationen lösen soll. Der neue abgeänderte Studiengang würde zwangs¬
läufig auch einen Unterricht in gewissen verwandten Fächern bedingen. Die
heutige „Immatrikulation“ ist ja schließlich nur das Überbleibsel einer ähn¬
lichen Absicht der ärztlichen Standesorganisationen, während die tatsächliche
Verwirklichung dieser Absicht durch die verschiedenen Spezialqualifikationen
erfolgt.
Um nun auf unsere unmittelbar einzunehmende Stellung zurückzukommen,
so halte ich die Laienanalyse unter den gegenwärtigen Verhältnissen für eine
berechtigte und notwendige Form der analytischen Betätigung. Die ärztlichen
Standesbehörden haben unter den bestehenden Verhältnissen keinen triftigen
Einwand gegen die Laienanalyse anzuführen, vorausgesetzt, daß die Analytiker¬
organisationen die Ausbildung der Laienanalytiker für ausreichend erachten
und eine genügende Anzahl ärztlich vorgebildeter Analytiker als diagnostische
Schiedsrichter stellen können. Aber die ärztlichen Standesorganisationen teilen
mit den Leitern aller geschlossenen Korporationen die Eigenschaft, daß sie
sich Vernunftgründen gegenüber von einer aggressiven Unzugänglichkeit
erweisen, und da sie nach unseren Landesgesetzen die Disziplinargewalt
besitzen, muß man ihnen gegenüber die Interessen jener Praktiker wahr¬
nehmen, die die häufig lästigen Pflichten des Verbindungsoffiziers auf sich
nehmen. Die Wahrnehmung dieser Interessen erfolgt am besten l) durch eine
strenge Auslese und einen hohen Ausbildungsstandard für alle Analytiker,
2) durch die selbstverleugnende Verpflichtung der Laienanalytiker, sich der
Forderung nach ärztlicher diagnostischer Kontrolle zu unterwerfen, 3) durch
Bemühungen, die medizinischen Standesorganisationen von der Logik der Tat¬
sachen zu überzeugen, im Gegensatz zu ihren Kathedermeinungen und Vor¬
urteilen. Die letzte Form der Propaganda ist die einzige, die ich für unmittelbar
gerechtfertigt halte.
XV
H. Nunberg (Wien):
Die Psychoanalyse ist keine ärztliche Tätigkeit im Sinne der medizinischen
Technik. Der moderne Arzt, durch die Unzahl der technischen Hilfsmittel
am Krankenbette befangen, steht verständnislos dem Seelenleben seines
Diskussionen
307
Patienten gegenüber. Der ärztliche Psychoanalytiker hingegen weiß nicht
viel mit den organischen Leiden seines Patienten anzufangen. Verirrt sich
ein organisch Kranker zufällig in meine Sprechstunde, so gerate ich in die
größte Verlegenheit und trachte ihn so rasch als möglich abzuschieben.
Soweit mir bekannt, ergeht es vielen meiner Kollegen ähnlich. Wenn aber
eingewendet wird, daß zur psychoanalytischen Tätigkeit Übung im Umgang
mit kranken Menschen und das ärztliche Pflichtgefühl notwendig sind, so
könnte man vielleicht mit mehr Recht behaupten, daß eine geistliche Kranken-
Schwester in diesen Dingen mehr bewandert ist.
Die Medizin lag früher in Händen von Zauberern und Priestern. Sie war
eine magische Kunst, die auf psychischem Wege die Krankheiten zu
beeinflussen trachtete. Mit der Entwicklung der Naturwissenschaften hat sich von
ihr die moderne Medizin als besondere Technik abgespalten. Es gibt aber Fälle,
wo diese neue Technik, die auf naturwissenschaftlichen Grundlagen aufgebaute
Medizin, versagt und an ihre Stelle nicht selten die alte Magie ganz unbewußt
eingreifen muß. Diese Kunst kann weder an der Leiche noch im Labora¬
torium erlernt werden. Die Fähigkeit, psychisch zu beeinflussen, steckt in
vielen angehenden jungen Ärzten, sie wird nur meistens im Laufe des Medizin¬
studiums sehr abgeschwächt. Der psychoanalytisch ausgebilde^e Arzt hingegen
lernt die in ihm (wie übrigens in jedem Menschen) verborgenen „magischen
Kräfte“ zweckmäßig verwenden. Deshalb wäre es notwendiger, daß alle
Ärzte, bevor sie überhaupt an den Kranken herantreten, psychoanalytisch
durchgebüdet werden, als daß die nichtärztlichen Psychoanalytiker zuerst
Medizin studieren. Es ist selbstverständlich, daß es nicht auf die medizinische
Vorbildung ankommt, wenn jemand Psychoanalyse ausüben will, denn jeder¬
mann, Arzt oder Nichtarzt, ist — um die Worte Prof. Freuds zu wiederholen
— in der Analyse Laie, solange er in ihr nicht gründlich ausgebildet ist.
Ich habe den Eindruck, daß der Widerstand gegen das Ausüben der Psycho¬
analyse durch Nichtärzte nicht immer durch rein theoretische Erwägungen
getragen wird. Es scheint mir, daß noch andere Momente mitspielen, wie
der Kastengeist der Ärzte und Motive wirtschaftlicher Natur. Und wie
überall, so findet der wirtschaftliche Kampf auch in unseren Reihen seine Ideo¬
logie. Es kann niemandem das Recht abgesprochen werden, für seine wirt¬
schaftliche Existenz zu kämpfen, ich möchte jedoch der Meinung Ausdruck
verleihen, daß wir — da wir eine psychologische Richtung vertreten, die
bestrebt ist, die objektiven von den subjektiven Triebkräften des mensch¬
lichen Handelns scharf zu unterscheiden ebenfalls nicht der Selbsttäuschung
verfallen, und uns einzig und allein durch sachliche Motive leiten lassen.
XVI
Wilhelm Reich (Wien):
Bisher hat es sich immer nur um die Frage gehandelt, ob auch Nicht¬
mediziner medizinische PsA. (Analyse zu HeÜungszwecken) am Kranken
ausüben sollen. Die Frage hat sich nun insofern verschoben, als Prof. Freud
in seinem Buche über die Laienanalyse einen Schritt weiter ging und den
Vorschlag machte, die PsA. auch in ihrem medizinischen Gebiete von der
Medizin zu trennen, d. h. „eine eigene Klasse von Therapeuten heranzubilden;
308
Diskussionen
mit den wichtigsten Argumenten — es sind drei — wollen wir uns nun
auseinandersetzen.
Die Laienanalyse, Ausübung der therapeutischen Analyse durch Nichtärzte
sei notwendig:
1) aus Rücksicht auf die geisteswissenschaftliche Anwendung der PsA.,
2) weü zu befürchten ist, daß die PsA. irgend einmal im Kapitel
„Therapie irgend eines Lehrbuches für Psychiatrie verschwinden könnte,
wenn man ihre praktische Ausübung auf Ärzte beschränkte;
3) weil die somatische Vorbildung der Ärzte dem psychologischen Denken
nachträglich sei.
Ad 1) Es heißt, die nichtärztlichen Analytiker bedürften der praktischen
Erfahrung, um geisteswissenschaftliche Arbeit zu leisten. Nun lehren aber die
Tatsachen, daß die Anwendung der PsA. auf die Geisteswissenschaften nicht
gefördert wird, sondern im Gegenteil leidet, wenn ihre Vertreter auch
Kliniker werden. Das erwachende klinische Interesse verdrängt jedes andere.
Die Entwicklung der geisteswissenschaftlichen PsA. stockt, seitdem auch Laien
analysieren. Dieses Argument ist also durch die Erfahrung widerlegt.
Ad 2) Das zweite Argument enthält das große Mißtrauen gegen die
psychoanalytischen Ärzte, daß bei ihnen das theoretische Interesse und damit
auch die PsA. als Wissenschaft nicht so gut aufgehoben wäre wie bei den
Nichtarzten, angeblich, weil sie mehr- therapeutisch interessiert sind. Die
Vergangenheit rechtfertigt dieses Mißtrauen nicht, über die Zukunft wollen
wir nicht entscheiden. Jedenfalls scheinen uns die psychoanalytischen Ärzte
ein solches Mißtrauen nicht zu verdienen. Jones hat in seiner Besprechung
das Pendant hierzu, die allzu schmeichelhafte Beurteilung der Laienanalytiker
durch Prof. Freud hervorgehoben. Da die psychoanalytische Psychologie so
innig mit den praktischen Fragestellungen des Alltags verknüpft ist, daß kein
Schritt auf therapeutischem Gebiet ohne Theorie möglich ist, und umgekehrt,
dürfte die Theorie bei den Ärzten ebenso so gut aufgehoben sein wie bei
den Laien.
Ad 3) Das dritte Argument, daß die Ausbildung des Arztes „ungefähr das
Gegenteil von dem ist, was er als Vorbereitung zur PsA. brauchen würde“,
daß also die somatische Ausbildung der PsA. unzuträglich sei, drückt das
Mißtrauen gegen die Ärzte auch in qualitativer Hinsicht aus, und wir sehen
plötzlich, daß die Frage, ob auch Laien neben Ärzten analysieren sollen,
durch die andere verdrängt wird, ob Ärzte analysieren sollen. Hätte
Prof. Freud diese Kritik auf die neurologische Auffassung der Neurosen
beschränkt, wir hätten ihm rückhaltlos zugestimmt. Wenn wir aber seiner
gewichtigen Ansicht hier entgegentreten, so tun wir es in der tiefen Über¬
zeugung, damit der Sache der PsA. zu dienen. Wäre die PsA. der organischen
Medizin wesensgemäß konträr, dann wären die folgenden Tatsachen nicht zu
verstehen.
Ein Arzt hat die PsA. entdeckt; nicht nur die meisten Analytiker, auch
nicht die schlechtesten sind Mediziner. Prof Freud sagte einst, die PsA.
werde einmal auf ihr organisches Fundament gestellt werden; er hat ferner
_ ^ as in der Fra S e der Laienanalyse bisher viel zu wenig beachtet wurde
als den Kern der Neurosen und als das Wesen des Affektes etwas
somatisches hingestellt; sein Begriff der Libido meint Körperliches (Bio-
Diskussionen
309
logisches) ebenso wie Seelisches. Es gibt fast keine Kranken ohne körperliche
Symptome oder Sexualstörungen (Störungen der Menstruation, Potenz usw.);
auch dem aktualneurotischen Kern der Neurosen, mag es sich nun um eine
Vasoneurose, Neurasthenie oder Hypochondrie handeln, steht der organisch
nicht geschulte Analytiker ratlos gegenüber.
Hingegen möchte man mit Jones annehmen, daß Prof. Freud nur im
Interesse der Laienanalyse die Notwendigkeit „gründlicher“ Kenntnisse der
Religionswissenschaften und Ethnologie so sehr hervorgehoben hat.
Wir sind selbstverständlich der Ansicht Prof. Freuds, daß das Interesse
der Wissenschaft in dieser Frage ausschlaggebend sein muß; aber gerade von
diesem Gesichtspunkt aus kann die PsA. nicht eng genug mit der Medizin
verknüpft werden.
Man denke bloß an das große Gebiet der Organneurosen, der Hypochondrie,
Neurasthenie, der Psychosen; und haben wir nicht viel von einer Psychologie
der organischen Krankheiten zu erwarten? Oder soll es, nachdem man die
PsA. von ihrem Fundament getrennt hat, überdies Analytiker geben, die sich
als Ärzte nur mit diesem ans Organische grenzenden Gebiet befassen? Wir
meinen, daß weder der Wissenschaft noch dem Kranken mit einer solchen
Teilung gedient wäre; es gäbe dann noch immer Mediziner, die von der
Seele, Psychoanalytiker, die vom Körper nichts wüßten, und 1 überdies käme
eine Gruppe von Ärzten zustande, die sich für die Psychologie des Körpers
interessierten. % Der Mediziner verstünde den Analytiker noch weniger als jetzt,
der Analytiker wieder vergäße völlig, daß die „Libido“ eine körperliche
Wurzel (Endokrinologie!) und eine biologische Funktion hat. Die Forderung
ist gewiß nicht übertrieben, daß jeder, der Neurosen behandeln will, dem
Begriffsinhalte der Libido („Grenzbegriff zwischen Seelischem und Somatischem“)
entsprechend vorgebildet sei.
Die Frage der Laienanalyse spitzt sich also sachlich auf die außeranalytische
Vorbildung zu. Gegenwärtig bieten aber die Mediziner die beste Gewähr
einer adäquaten Vorbildung. Daß sich die Ärzte so unwürdig und verständnislos
der PsA. gegenüber gezeigt haben, ist nicht auf ihre somatische Ausbildung,
sondern auf ihre Komplexe zurückzuführen. Aber haben etwa Philosophen
oder Biologen oder Schulpsychologen, die mit der Analyse in Berührung
kamen, sich anders benommen? Warum wiegt das „somatische Vorurteil“
schwerer als das philosophische? Hat nicht der Philosoph immer die kompli¬
ziertesten Einwände gegen die Analyse parat? Beim analytisch geschulten
Mediziner wird wenigstens aus dem Fluch des somatischen Vorurteils der
Segen naturwissenschaftlichen und klinischen Denkens. Wenn die Medizin in
mechanisch-chemischem Denken befangen ist, so ist die PsA. berufen, sie von
ihren Irrtümern zu befreien. Man kann die komplexbedingte Einsichts¬
losigkeit der Mediziner verurteilen, braucht aber deshalb der Medizin
nicht den Rücken zu kehren. Am meisten spricht für den Mediziner als
Therapeuten, auch als Psychotherapeuten, daß er am Krankenbett gelernt hat,
mit Kranken umzugehen, und jenes Mindestmaß an therapeutischem Interesse
mitbringt, das die Forschung am Kranken rechtfertigt. Ich habe Laien¬
analytiker öffentlich sich rühmen gehört, daß sie gar kein therapeutisches
Interesse hätten. Warum wollen sie dann Therapie betreiben?
Gelänge es, die Gewähr für eine geeignete akademische Vorbildung
3io
Diskussionen
aller Kandidaten zu schaffen, kein Einsichtiger hatte etwas gegen die Aus¬
übung der Analyse an Kranken auch durch Nichtmediziner einzuwenden.
Wie immer der Kongreß entscheiden wird: Man sollte die Vorstellung
einer Psychoanalytischen Fakultät nicht in das Reich der Utopie
verbannen, wenn man will, daß sie Wirklichkeit wird. Die Festsetzung einer
bestimmten, der ärztlichen adäquaten, akademischen Vorbildung für Nicht¬
ärzte, die PsA. ausüben wollen, könnte der erste Schritt dazu sein. Nur so
dürfte sich die kaum wünschenswerte völlige Beschränkung der therapeutischen
PsA. auf Mediziner vermeiden lassen.
XVII
E. Hitschmann (Wien):
Eine ausführliche Stellungnahme zur Frage der Laienanalyse behalte ich
mir vor. Als Leiter des Psychoanalytischen Ambulatoriums jedoch halte ich
mich streng an die gesetzliche Norm, entsprechend dem Beschluß des obersten
Sanitätsrates, daß die Psychoanalyse eine ärztliche Tätigkeit sei.
XVIII
I. Sa dg er (Wien):
Ich stehe grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß Kranke ausschließlich
von Ärzten zu behandeln sind und jede Laienanalyse bei ihnen vermieden
werden soll. Die einzige Ausnahme, die ich gelten lasse, ist die Heilpädagogik
bei Kindern und Adoleszenten. Hier handelt es sich nämlich um erzieherische
Einfühlung, die den Ärzten, auch den Pädiatern, nur in den seltensten Fällen
eignet, und erst in zweiter Linie um medizinisches Wissen. Außerdem läuft
jeder männliche Arzt von vornherein Gefahr, für einen Vater genommen zu
werden, von dem der Jugendliche Kastration befürchtet, was für eine Mutter
oder Mutter-Imago viel minder oder gar nicht gilt. Der erwachsene Neurotiker
jedoch gehört unbedingt zum Arzt. Es mag von großem Nutzen sein, wenn
Doktoren der Philosophie und andere Laien sich mit den psychoanalytischen
Ergebnissen möglichst vertraut machen, um mit Hilfe derselben die ver¬
schiedensten Geisteswissenschaften besser verstehen und durchdringen zu
können als reine Fachleute ohne diese Vorbildung. Hier können jene Laien
außerordentlich segensreich wirken, ein jeder auf seinem Spezialgebiet. Ja,
die PsA. kann in ihren Händen noch befruchtender wirken, als vor Jahr¬
zehnten die Entwicklungslehre, der Darwinismus. Doch von der Behandlung
erwachsener Neurotiker, die auch vom reinen Psychoanalytiker allgemein¬
medizinisches Wissen heischt nebst einer speziellen neurologisch-psychiatrischen
Schulung, sind Laien unbedingt femzuhalten — auch wenn sie Doktoren der
Philosophie sind.
XIX
J. Harnik (Berlin):
Zwei Momente ergeben für den Psychoanalytiker einen innigen Zusammen¬
hang mit dem Arztberuf. I ) Die Tatsache, daß der Analytiker eine Unmenge
von „medizinischen“ Kenntnissen besitzen muß, wenn er die richtigen Einblicke
in die Lebensgeschichte seines Patienten gewinnen will. Um diese Behauptung
nur an einem einzigen, sehr banalen Beispiel zu illustrieren, so glaube ich
Diskussionen
311
nicht, daß er das Wissen um die verschiedenen Formen der Eingeweidewürmer
und um die von denselben verursachten Symptomen und Erscheinungen in
seinen Analysen entbehren kann. Ganz allgemein gehören eben die Krank¬
heiten, die ein Mensch mitgemacht hat, zu seiner Entwicklung; sie haben
manchmal — auch abgesehen von der möglichen Psychogeneität, organischer
Erkrankungen — einen entscheidenden Einfluß bei psychischen Verände¬
rungen, deshalb müssen wir sie auch über das durchschnittlich Laienhafte hinaus
kennen. Wo und auf welche Weise der analytische Therapeut sich diesen
Wissensstoff aneignet, erscheint mir allerdings vollkommen belanglos. 2) Was
sicherlich noch viel wesentlicher ist, der im Unbewußten verankerte Antrieb,
dem Leidenden zu helfen, den er ja mit dem „Arzt“ gemeinsam hat, den er
andererseits muß freihalten können von den störenden Einflüssen, insbesondere
des schulmäßig Erworbenen und des therapeutischen Fanatismus. Dazu verhilft
ihm einzig und allein das konsequente Festhalten an dem spezifisch ana¬
lytischen, auf das Unbewußte gerichteten Tun. Daher kann für die Qualifikation
oder die Leistung eines Analytikers niemals die Frage entscheidend sein, ob er
das medizinische Diplom erlangt hat oder nicht.
XX
Therese Benedek (Leipzig): %
Die Frage der „Laienanalyse K ist hauptsächlich ein taktisches Problem,
weshalb ich hier ein paar taktische Gesichtspunkte in Erwägung ziehen
möchte. In der Diskussion muß man sich klar vor Augen halten, was der
Grundzweck der I. P. V. ist, da sie durch die Lösung dieses Problems ihre
Rolle in der Zukunft der psychoanalytischen Bewegung bestimmt; ob sie in
der Zukunft eine Vereinigung von Fachärzten oder ob sie eine wissenschaftliche
Vereinigung sein will. In seiner Homburger Aussprache hatte Ei t in g o n den
Zweck der I. P. V. so formuliert: „Unsere Vereinigung soll an der Erhaltung
und Weiterentwicklung des von unserem Meister Geschaffenen aufmerksam
und rastlos arbeiten, es von zu frühen Vermengungen und sogenannten Syn¬
thesen mit anderen Gebieten und anders gearteten Forschungs- und Arbeits¬
methoden behüten, unser spezifisch-Eigenes immer klar unterstreichend und
herausarbeitend“, und damit gesagt, daß die I. P. V. sich als Hauptaufgabe
die Pflege der Psychoanalyse als Wissenschaft * stellt. Zur richtigen Förderung
der Psychoanalyse ist die Wechselbeziehung aller Disziplinen notwendig. Es ist
wohl keinem Analytiker fraglich, daß auch die nichtmedizinisch vorgebildeten
Wissenschaftler zum Studium der Psychoanalyse zugelassen werden müssen.
Das vollwertige Studium allein gibt aber auch nicht die beste Möglichkeit
zur wissenschaftlichen Forschung. Diese erfordert den ständigen lebendigen
Kontakt mit dem analytischen Material, ohne welchen die bestmöglichste
Bereicherung der Wissenschaft unmöglich ist.
Die Frage lautet also: Wie weit darf man aus dem Standpunkt der
Psychoanalyse als Wissenschaft die Ausübung der analytischen Kur für Nicht¬
ärzte erlauben?
In Ländern, wo es keine Kurierfreiheit gibt, wird eine Schranke durch die
Gesetzgebung errichtet, die diese Schranke um so eifriger hüten wird, je
größer das Verlangen nach analytischer Behandlung sein wird. Wie soll es
aber in den Ländern werden, wo es eine „Kurierfreiheit“ gibt? Soll sich die
Diskussionen
312
psychoanalytische Vereinigung auf den prohibitorischen Standpunkt der anderen
Länder stellen ? Hier können rein therapeutische Gesichtspunkte pro und kontra
diskutiert werden, aber demgegenüber muß man auch die rein taktische
Frage stellen: Welchen Nutzen würde die psychoanalytische Bewegung daraus
haben, wenn sie sich gegen die Laienanalyse wehrte?! Wahrscheinlich keinen!
Diejenigen, die Therapie ausüben wollen und weder analytisch noch medi¬
zinisch ausgebildet sind, könnten es unter dem Schutze der Kurierfreiheit
unbehindert tun und die I. P. V. würde keine Möglichkeit haben, sich dagegen
zu wehren. Es könnte auch Vorkommen, daß eine Reihe ernster Wissen¬
schaftler, die durch persönliche Eignung zur Ausübung der Psychoanalyse
kommen, abgestoßen davon, daß sie innerhalb der Bewegung nicht „vollwertig“
sein können, sich außerhalb der I. P. V. stellten und dadurch der Bewegung
schaden würden: 1. durch Verlust ihrer Mitarbeit und 2. weil dadurch die
Zentralisierung der Bewegung noch schwieriger sein würde. Der Verlust
dürfte auf diese Weise größer ausfallen als der Nutzen, der durch die
„Anerkennung“ der Ärzte der Bewegung zugute käme. Die Ärzte im
allgemeinen werden und vielleicht müssen „das reine Gold der Analyse
reichlich mit dem Kupfer der direkten Suggestion legieren“. Um so wichtiger
ist es, daß die I. P. V. ihre oben formulierte Aufgabe (Eitingon) erfüllt, und
zwar mit der Hilfe von allen, die dazu bereit und befähigt sind.
Man könnte das Problem in den Ländern mit Kurierfreiheit auch von dem
Standpunkt des Laienanalytikers ansehen. Als juristische Persönlichkeit ist der
Laienanalytiker denjenigen medizinisch ausgebildeten Personen gleichgestellt,
die ein in dem Lande nicht vollwertiges (ausländisches) Diplom besitzen. Es
können verschiedene Schwierigkeiten für sie erwachsen: Sie können z. B.
Fälle vor Behörden nicht vollwertig vertreten (Zeugnis, Rezept usw.) Es ist
anzunehmen, daß die Konflikte und Schwierigkeiten in der Praxis für den
medizinisch nicht ausgebildeten Analytiker noch häufiger Vorkommen und noch
peinlicher werden können, z. B. wenn er von Ärzten, mit den er zusammen
arbeiten will (Internisten, sonstige Spezialisten) als nicht vollwertiger Therapeut
angesehen sein würde. Das ist eine Schwierigkeit für den Laienanalytiker, die
zu korrigieren eine Aufgabe der psychoanalytischen Vereinigung ist. Je größer
die Autorität der I. P. V., je tiefgehender die durch sie gebotene Ausbildung
ist, desto größer ist der Schutz der Laienanalytiker. Die notwendige Ver¬
tiefung der Ausbildung ist nur durch eine immer mehr intensivierte Zusammen¬
arbeit von ärztlichen und Laienanalytikern zu erreichen. Sie einzuleiten ist die
Aufgabe der Ausbildung, sie zu pflegen, die Aufgabe der Ortsvereinigungen.
Gegen sie zu wirken, wäre ein unheilbarer Schlag für die organisierte Arbeit
an der psychoanalytischen Wissenschaft.
XXI
J. H. W. van Ophuijsen (Haag ): 1
Man darf annehmen, daß der Arzt sich in der Ausübung seines Berufes
schon immer im Interesse der Kranken der Hilfe nichtärztlicher
Helfer hat bedienen müssen. Nachdem im Laufe der Zeiten das Institut der
1) Autoreferat eines in der Ned. Ver. v. PsA. gehaltenen Vortrages.
Diskussionen
313
berufsmäßigen Helfer entstanden war, sind diesen Helfern immer höhere
Anforderungen in bezug auf Bildung und Ausbildung gestellt worden; mehr
oder weniger oberflächliche medizinische Kenntnisse und relativ große Erfahrung
über Kranke gehören jetzt überall zu den gestellten Anforderungen.
Es kommt vor, daß solche Helfer auf einem speziellen Gebiet der Therapie
über mehr Einsicht und Geschick verfügen wie viele Ärzte.
Bei der Beurteilung der Frage, ob auch die (therapeutische und ausbildende)
Psychoanalyse ein Beruf für Nichtärzte werden darf, haben wir mit der Tat¬
sache zu rechnen, daß es schon eine Anzahl Laienanalytiker gibt, und müssen
wir ausgehen von der Voraussetzung, daß auch in diesem Fall das Inter¬
esse der Kranken die Hilfeleistung nichtärztlicher Helfer notwendig
erscheinen ließ.
Man bekommt den Eindruck, daß diese Hilfe momentan und in der
nächsten Zukunft, außer auf dem Gebiet der Kinderanalyse, wenigstens nicht
dringend notwendig ist und sein wird.
Es steht über jedem Zweifel fest, daß es unter den Laienanalytikern eine
relativ große Anzahl gibt, welche die Analyse besser versteht und mit größerem
Geschick änzuwenden weiß, wie sehr viele ärztliche Analytiker.
Dies beweist jedoch, wenn man die besonderen Verhältnisse in Betracht
zieht, durchaus nicht, daß auch in der Folge die Anwendung der (thera¬
peutischen und ausbildenden) Analyse solchen Laien gestattet sein darf, welche
sich nicht zuerst ein gewisses Maß medizinischer Kenntnisse und Erfahrung
über Kranke zu eigen gemacht haben.
Die Bedingung, daß stets ein Arzt Diagnose und Indikation stellen und
Kontrolle über die Behandlung ausüben soll, beschützt das Interesse
der Kranken nicht genügend; die Kontrolle kann außerdem nur eine
indirekte sein.
Während jeder psychoanalytischen Behandlung können sich Symptome
zeigen, welche den Laienanalytiker veranlassen müßten, sich an den Arzt zu
wenden; dies wird er immer nur dann rechtzeitig tun können, falls er
über genügende medizinische Kenntnisse und Erfahrung verfügt. Auch die
Beurteilung der Resultate der Behandlung ist ihm nur in dem Fall möglich.
Daß die medizinischen Erfahrungen und Kenntnisse, welche man sich beim
Erlernen der Psychoanalyse erwirbt, allein (mit Recht) als ungenügend betrachtet
werden, geht hervor aus der dem ärztlichen Analytiker gestellten Bedingung, daß
er. nach seinem medizinischen Studium noch mindestens während eines Jahres
klinische neurologisch-psychiatrische Erfahrung suchen soll.
Das Erwerben der für die Ausübung der Psychoanalyse notwendigen
medizinischen Kenntnisse und Erfahrung ist ohne medizinisches Studium ebenso
möglich und kann in derselben Weise geregelt werden, wie dies in der Aus¬
bildung der anderen Helfer des Arztes geschieht; allerdings muß ein ziemlich
hohes Bildungsniveau vorausgesetzt werden.
Es ist jedoch die Gefahr nicht ausgeschlossen, daß auch, falls man eine
solche Vorbereitung als Bedingung stellt, ein größeres Wachstum des Institutes
der Laienanalyse dazu beitragen wird, daß der Psychoanalyse in der Medizin,
anstatt der ihr passenden Stelle, nur die einer der vielen psychotherapeutischen
Methoden eingeräumt werden wird.
Diskussionen
314
XXII
John Rickman (London):
§ 1. Zulassungsbedingungen — § 2. Voraussetzungen der analytischen Arbeit
— § 5. Allgemeine Ausbildungsgrundsätze — § 4. Juristische Gesichtspunkte-
— § 5. Verwaltungsmaßnahmen — § 6. Allgemeine Betrachtungen
§ 1. Zu 1 a s s ung s b e din gung en
1) Es muß untersucht werden, welcher Standard der vor analytischen Aus¬
bildung verlangt werden soll und
2) welche Verwaltungsmaßnahmen nötig werden, sobald die Laienanalyse
als Berufstätigkeit anerkannt sein wird.
§ 2. Die Voraussetzungen der analytischen Arbeit
Analyse ist im Grunde eine Technik, die den Analytiker instand setzt,
die Seele einer zweiten Person (mittels einer modifizierten Introspektion)
zu erforschen und dem Analysanden die in ihm wirksamen, seinem
Bewußtsein bis dahin nicht zugänglichen Kräfte aufzeigt, so daß er sie
beherrschen kann. Der Unterschied zwischen den beiden Personen liegt darin,
daß die erste Art von Personen eine überlegene Fähigkeit zur Forträumung
von Widerständen hat und mit weniger Besetzungen arbeitet; 1 das Ziel der
Analyse geht dahin, den Analysanden in dieser Hinsicht in den Besitz der
Fähigkeiten des Analytikers zu setzen.
Das Ziel der analytischen Ausbildung ist ein doppeltes; erstens muß der
Analytiker seine eigenen Widerstände überwinden lernen (dazu muß er vorher
selbst eine Analyse durchgemacht haben) und zweitens muß er die Fähigkeit
erlangen, die zwischen Innen- und Außenwelt bestehenden Beziehungen zu
erkennen, d. h. er muß zuerst die libidinösen Hemmungen überwinden und
dann einen Ich- (intellektuellen) Instinkt entwickeln. Nach Ferenczis
Terminologie besagt das, daß beide Pole der psychischen Funktionen behandelt
werden müssen, der genitale und der intellektuelle. Es genügt nicht, daß sich
der Analytiker nur um den einen kümmert; die Liebe schmiedet Bande mit
der Außenwelt und regt zu Handlungen an, während das Denken keine
Bande knüpft und nicht zu Handlungen reizt, sondern nur zahllose neue
Beziehungskombinationen bildet, ohne mit ihnen etwas anzufangen. (Ferenczis
„unbewußte Urteilsbildungen“ — „ein Hilfsorgan des Wirklichkeitssinnes“.)
Eine normale Psyche oszilliert hin und her zwischen Libidobesetzung und
Ichbesetzung, zwischen einer durch Liebe veranlaßten Introjektion und einem
darauffolgenden unbewußten Aufspaltungsprozeß des introjizierten Materials in
seine Elemente; diese Elemente werden durch andere Erinnerungsbilder
aneinandergereiht und neu kombiniert, die neuen Kombinationen werden
geordnet und endlich dem Vorbewußten oder Bewußten zur Prüfung auf
ihre Richtigkeit überantwortet. Von besonderer Wichtigkeit ist die Tatsache,
daß hier zwei gänzlich verschiedene seelische Funktionen mitspielen. Die
1) D. h. der Analytiker erkennt bereits die Anfänge einer Triebregung und wartet
nicht ab, bis diese so stark geworden ist, daß sie die Widerstände überwindet.
Diskussionen
315
Analyse des Kandidaten bewirkt die Forträumung von Affekthemmungen,
seiner Denktätigkeit jedoch kann sie nichts hinzufügen . 1
Man könnte nun fragen, ob es auf intellektuellem Gebiet überhaupt etwas
gibt, was sich an Wirksamkeit mit der analytischen Auflösung von neurotischen
und charakterologischen Konflikten und Mängeln vergleichen läßt, und ob
man nach, sagen wir, dem Eintritt der Latenzperiode noch etwas Wertvolles
erreichen kann. Falls wir zu dem Schluß kommen, daß es auf diesem Gebiete
wirklich nichts gibt, was sich den analytischen Erfolgen bei der Libido
vergleichen ließe, müssen wir uns die Frage vorlegen, ob es überhaupt einen
Sinn hat, eine bestimmte Art der Vorbildung zu verlangen, oder ob der
gesunde Mutterwitz, wenn er analytisch „befreit“ wird, den Anforderungen
der Praxis nicht durchaus genügen würde. Die letzte Frage wirft einen neuen
Gesichtspunkt auf, nämlich daß wir den voranalytischen Bildungsgang nicht
so sehr aus dem Grunde wünschen, damit der Kandidat mit Kenntnissen
vollgespickt ankomme, sondern damit er in der Bewertung und Prüfung von
Tatsachen bereits einige Erfahrung besitze. Wir wollen aber wieder zu der
früheren Frage zurückkommen, nämlich ob irgendeine Ausbildung für die
intellektuelle Funktion dasselbe leisten kann, was die Analyse für die libidinöse
leistet. Da hierauf eine negative Antwort erfolgt, drängt sich die neue Frage
auf, ob die Bichtung des voranalytischen Bildungsganges eine Bedeutung
besitzt. Die Antwort darauf schließt naturgemäß sowohl die libidinöse wie die
intellektuelle Vergangenheit ein (z. B. Theologie und Ödipuskomplex, Medizin
und Sadismus, Chemie und Analstufe, Mathematik und narzißtische Allmacht).
Bei solcher Fragestellung wird es deutlich, daß, was die libidinösen Momente
angeht, keine logischen Kegeln aufgestellt werden können, da Theologie das
im geringsten und Mathematik das im höchsten Grade Wissenschaftliche der
genannten Fächer ist.
Wir wenden uns nun zu der rein intellektuellen Seite des vor analytischen
Bildungsganges und fragen uns — immer vorausgesetzt, daß ein bestimmter
Bildungsgrad überhaupt notwendig ist — nach welchen Kriterien eine natur¬
wissenschaftliche, klassische, linguistische, literarische oder historische Vor¬
bildung einer anderen vorzuziehen sei. Das Kriterium ist gegeben durch das
Streben der einzelnen Geisteswissenschaften nach Überwindung der
Allmachtsstufe der Ichentwicklung. Nur in den Naturwissenschaften dominiert
dieses Streben wirklich, allerdings begleitet von der Neigung zu einer Über¬
projektion des „psychischen Urteilsmechanismus“, wie sie sich in der Psycho-
phobie der Neurologen äußert. Klassische Bildung und Literatur machen
keinen systematischen Versuch zur Überwindung dieses Fehlers. Da alle
naturwissenschaftlichen Resultate nach der gleichen
Methode gewonnen werden, müssen sie sich naturgemäß
zu einem homogenen Wissenssystem integrieren. Es ist
von höchstem Belang, daß der Kandidat in denlntegrations-
methoden der Naturwissenschaften erfahren ist, ehe er
sich an das kompliziertere Studium der Geis teswissen-
1) Man könnte vielleicht anführen, daß der Kandidat die geistige Arbeit seines
Analytikers beobachtet und man dies auch als Teil der geistigen Ausbildung rechnen
kann, dem steht aber bis zum Schluß der Analyse die Übertragung entgegen, so daß
dieses Moment als Ausbildungsfaktor nicht in Betracht kommt.
Diskussionen
316
schäften heranmacht. Die Psychoanalyse steht der
Physiologie, physiologischen Chemie und Morphologie
näher als den loseren Fächern, wie Literatur, Kunst und
Geschichte. Der Kandidat muß also in wissenschaft¬
lichen Methoden bereits bewandert sein, ehe man ihn in
die Reihen derberufstätigenPsychoanalytiker aufnehmen
kann. Was den Standard der geforderten wissenschaftlichen Ausbildung
anbelangt, so wird man nach der auf allen Gebieten geltenden Übung
einen bestimmten Grad verlangen müssen.
§ 3. Allgemeine Ausbildungsgrundsätze
Die medizinische Ausbildung hat nicht so sehr den Zweck, den
Kandidaten auf die gerade zur Zeit seiner Immatrikulation vorhandenen Fach¬
kenntnisse vorzubereiten, als ihn mit dem geistigen Rüstzeug zu versehen,
das es ihm ermöglicht, die Arbeiten auf den übrigen „Spezialgebieten“ nicht
nur in der Gegenwart, sondern in gewissem Ausmaß auch in der Zukunft
verständnisvoll zu verfolgen. Dieser Grundsatz muß auch für die Psycho¬
analyse gelten. Da die Triebe Grenzphänomene zwischen dem Physischen und
dem Psychischen sind, muß der Psychoanalytiker sowohl die physische wie
die psychische Welt systematisch studieren. Da Mythen und Träume
möglicherweise mit der Rassengeschichte Zusammenhängen, welche Trieb- und
Vorstellungsgruppen in Krankheiten und Symptome verkehren kann, sind
einige Kenntnisse in Urgeschichte notwendig, wie man ja auch dem medi¬
zinischen Studiengang einen zoologischen oder embryologischen Kurs angliedert,
um Verständnis für die Wachstumsanomalien zu erwecken. Die Berufs¬
ausbildung muß stets in einem Maßstab angelegt sein, der
auf den ersten Blick übertrieben weit erscheint, soll die
Ausübung des Berufs auf die Dauer nicht leiden. 1
§ 4. Juristische Gesichtspunkte
Die Gesetze in England (d. h. die Entscheidungen der Gerichte bei
Prozessen) verleihen dem Ärztestand auffallend wenig Vorrechte, aber diese
wenigen sind sehr wertvoll. Die beiden wichtigsten darunter sind: a) die
Zuerkennung angemessener Honoraransprüche und b) die Annahme, daß
alle beruflich vorgenommenen Handlungen in gutem Glauben, d. h. ohne
Bolus , erfolgen. Ein Vorrecht wird aber nie ohne Gegenverpflichtung
verliehen; bei der Medizin ist diese allerdings weniger deutlich. Sie besteht
wohl in erster Linie darin, daß sich der praktische Arzt zur Absolvierung
eines vorgeschriebenen langen Studienganges verpflichtet und sich den von
einer besonders zu diesem Zwecke ernannten Standes Vertretung aufgestellten
ethischen und beruflichen Normen unterwirft. Die (nicht medizinisch vor¬
gebildete) Psychoanalytikerschaft kann also erst dann Anspruch auf den Stand
eines Berufs erheben, wenn sie klar bewiesen hat, daß sie bereits eine Ver-
1) Analytische Überlegungen geben uns den Schlüssel dazu: Wo die Befriedigung
dem Impuls unmittelbar auf den Fersen folgen darf, besteht wenig Aussicht darauf,
daß die Gegenbesetzung Gelegenheit zur Entfaltung ihrer kulturell wohltätigen
Wirkung findet.
Diskussionen
317
pflichtung übernommen und dadurch einen Anspruch auf dieses Vorrecht
erworben hat.
Wenn diese Verpflichtung anerkannt wird, ist es an der Zeit, ein Standes-
register anzulegen, eher nicht.
§ 5. Verwaltungsmaßnahmen
a) Die inneren für den psychoanalytischen Berufsstand erforderten Organi¬
sationsmaßnahmen müssen den von der British Psychoanalytical Society und
dem Institute of Psycho-Analysis aufgestellten Richtlinien entsprechen.
h) Die Maßnahmen für Angehörige anderer Berufe würden vermutlich nur
drei Grundsätze umschließen:
1. Eine Überweisung von Patienten kann nur mit Zustimmung des
bisherigen behandelnden Arztes erfolgen.
2. Kein Patient darf von einer nicht medizinisch qualifizierten Person in
Behandlung genommen werden, ehe sie nicht zuvor von einem Arzt untersucht
worden ist.
3. Konsultationen mit Personen, die keiner anerkannten Verpflichtung
genügt haben, werden von den Ärzten abgelehnt.
c) Die Öffentlichkeit muß vor Quacksalbern in der Psychoanalyse geschützt
werden; dies kann nur geschehen, wenn die Praxis der Psychoanalyse ebenso
offiziell abgestempelt ist, wie die Praxis von Medizin, Chirurgie, Zahnheih
künde, Krankenpflege, Massage, Jurisprudenz, Architektur, Landvermessung,
Buchhaltung usw.; also indem man eine Standesvertretung gründet, eine
Verpflichtung aufstellt und Listen führt.
§ 6. Allgemeine Betrachtungen
In der Psychoanalyse muß scharf unterschieden werden
zwischen Therapie und Diagnose; die letztere sollte
ausschließlich medizinisch-qualifizierten Personen
zustehen.
Es fragt sich, ob man den Laienanalytiker in die Rubrik etwa einer
Krankenschwester, einer Masseuse oder eines Laboratoriumsgehilfen einreihen
soll. In Wirklichkeit paßt er in keine dieser Kategorien, das macht seine
Stellung Leuten von professioneller Anschauungsweise so schwer verständlich.
Wäre die Psychoanalyse bloß eine vorgeschriebene Behandlungsmethode wie
Massage, dann bestünde natürlich keine Schwierigkeit; der Arzt kennt die
Anatomie und Pathologie des zu behandelnden Körperteiles zur Genüge und
kann daher die therapeutische Prozedur, mit der er andere betraut, genau
vorschreiben. Die Psychoanalyse jedoch läßt sich eher mit einer hochkomplizierten
Laboratoriumstechnik vergleichen, bei der die Auffindung neuer Störungsfaktoren
einen sehr großen Teil der Arbeit selbst ausmacht. Dazu kommt noch, daß die
Psychoanalyse besonders nahe menschliche Beziehungen erzeugt (in dieser Hinsicht
gleicht sie um den früheren Vergleich weiter zu führen — der Kranken¬
pflege). Die Standesorganisationen und Verwaltungsbehörden werden also diese
Eigenarten berücksichtigen müssen und nicht erwarten dürfen, daß der Arzt
der einem Laienanalytiker einen Fall überweist, den Gang der Behandlung bis
ins einzelne vorschreibt; es wäre jedoch unberechtigt und durchaus gegen das
Interesse des Publikums, wollte man dem Arzt verbieten, seine Patienten einer
entsprechend vorgebildeten Person zu übergeben.
Int, Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIII/3. 22
318
Diskussionen
Wir kommen damit wieder auf die Frage der Ausbildung zurück: Der
Analytiker (ob Laie oder Arzt) muß den gesellschaftlichen Takt einer Kranken¬
schwester mit der geistigen Exaktheit eines geschulten Laboratoriumstechnikers
vereinen. Die Ausbildung wird also diesen Anforderungen entsprechen und
damit, wie wir gleich hinzufügen wollen, dem Laienanalytiker das Recht auf
abgemessene Honorare zuerkennen müssen. Er darf nicht auf einen niedrigeren
Lebensstandard herabgedrückt werden als einer Person von seiner geistigen
Bildung und gesellschaftlichen Stellung entspricht. Auch bei der Krankenpflege
macht sich jetzt die Tendenz geltend, die Gehälter zu erhöhen und die
Qualität der Kandidaten zu heben. Bei den Laienanalytikern sollte der
Standard von vornherein ein hoher sein und ein hoher bleiben, und die
Einstellung der verschiedenen Berufsorganisationen sollte keine Maßnahme
unterstützen, die den Stand oder das Ansehen der Psychoanalyse herabsetzen
könnte.
XXIII
A. A. Brill (New York):
Anmerkung der Redaktion: Dr. Brill hat seinen Beitrag
in Form einer langen Besprechung des Freud sehen Buches
„Die Frage der Laienanalyse u eingesandt und uns gebeten , einen
Auszug daraus zu machen. Ein großer Teil seiner Besprechung
besteht in einer ausführlichen Inhaltsangabe des Buches , das
jedoch unseren Lesern so bekannt ist , daß wir ihre Wiedergabe
für überßüssig halten . Dr. Brill meint , daß der Dialog des
Buches die beiden Seiten der Persönlichkeit des Verfassers dar -
stelle , der seiner Meinung nach eine ambivalente Einstellung
zu dieser Frage besitze. Er fahrt dann fort:
Die Beweisführung des Verfassers wäre ebenso sehr oder ebenso wenig
einleuchtend, wenn man sie auf eine andere Wissenschaft, beispielsweise
Technik oder Jurisprudenz, übertragen wollte. Es mag sicherlich gute Ingenieure
und gute Juristen gegeben haben, die sich nicht dem ganzen vorgeschriebenen
Studiengang unterzogen, aber es bleibt nichtsdestoweniger höchst unwahr¬
scheinlich, daß der Durchschnittsstudent ein tüchtiger Ingenieur, Rechts¬
anwalt oder Arzt werden kann, ohne die Einzelheiten seines Faches einiger¬
maßen zu kennen. Ich wenigstens habe noch keinen Mediziner gesehen, der
sich für sämtliche Fächer begeistert hätte, die er zur Erlangung seines
medizinischen Doktorgrades studieren mußte. Auf allen wissenschaftlichen
Gebieten pflegt der Anfänger eine Abneigung gegen die Vorbereitungsstudien
zu haben, der Mediziner seufzt oft unter dem Studium von Anatomie, Physio¬
logie, Bakteriologie oder Chemie, aber sein Verlangen, den ersehnten Wunsch
zu erreichen und Arzt zu werden, ist eben stark genug, um ihn auch diese
Gegenstände als Notwendigkeiten seines Studienganges hinnehmen zu lassen.
Diese Grundlagen der Medizin sind es sogar gerade, die den Studenten
zwingen, sich die Tragweite seines Unterfangens ganz klar zu machen. Denn
alle, die Arzte oder Laientherapeuten werden möchten, sind von einer
infantilen Gedankenallmacht durchdrungen, die ganz erheblich gedämpft
werden muß. Viele halten dem Druck der Wirklichkeit nicht stand und
fallen vom Studium ab; andere erkennen gar bald, daß die Medizin ein
Diskussionen
319
schwieriges Studium sei, und wenn sie erst an die „interessanten“ Fächer
kommen, so haben sie nicht bloß bereits Kenntnisse erworben, sondern auch
wirkliche Disziplin und tiefes Verantwortlichkeitsbewußtsein — Eigenschaften,
die für das Studium und die Behandlung von Krankheiten absolut unerläßlich
sind und die man bei den sogenannten „Laienanalytikern“ selten oder niemals
findet. Ich zweifle keinen Augenblick, daß es in Europa einige Laienanalytiker,
Männer wie Frauen, von ausgezeichnetem Charakter und tiefer Bildung gibt,
aber die meisten von denen, die als Laienanalytiker von Europa zurück¬
kehren, wo sie einige Zeit und ziemlich viel Geld durchgebracht haben, sind
meiner Erfahrung nach entweder für die Beurteilung von Krankheiten unge¬
eignet oder bloße Charlatane. Ich kann nicht einsehen, wie ein Laienanalytiker
der Freud sehen Forderung, daß er in jedem zweifelhaften Falle einen Arzt
zu Rate ziehen soll, genügen und sich dabei psychologisch behaupten kann.
Einem unparteiischen Beobachter müßte er zum mindesten als „ zweitklassig k
erscheinen, was dem eigentlichen Geist der Psychoanalyse doch sicher nicht
entspricht.
Seit langer, langer Zeit habe ich gelernt, alles als richtig hinzunehmen,
was der Meister uns sagt, sogar noch bevor ich mich aus eigener Anschauung
überzeugt habe, denn die Erfahrung lehrte mich einsehen, daß ich jedesmal im
Unrecht war, wenn mir eines seiner Argumente zu weit hergeholt oder unrichtig
schien; meine Zweifel kamen immer nur aus Mangel an Erfahrung. Aber so
viele Jahre ich mich auch ehrlich bemüht habe, mich mit dem Meister in
der Frage der Laienanalyse zu einigen, ist es mir doch nicht gelungen, mir
seinen Standpunkt zu eigen zu machen; je länger ich seine Wirkungen in der
Praxis beobachte, um so weniger bin ich von seiner Nützlichkeit und Durch¬
führbarkeit überzeugt. Freuds glänzende Darlegung des Problems hat mich
ebensowenig überzeugt wie anscheinend seinen „unparteiischen Zuhörer“, dem
er als letztes Argument entgegenhält: „Unsere Kultur übt einen fast unerträg¬
lichen Druck auf uns aus, sie verlangt nach einem Korrektiv“, und ihn fragt,
ob es phantastisch sei, zu erwarten, daß die Psychoanalyse zu dieser Leistung
berufen sein könnte. Er hofft auf einen Amerikaner, der eines Tages auf den
Einfall kommen könnte, es sich ein Stück Geld kosten zu lassen, um die
„social workers" seines Landes psychoanalytisch zu schulen und eine Hilfs¬
truppe zur Bekämpfung der kulturellen Neurosen aus ihnen zu machen, —
Bemerkungen, die dem Hörer den Ausruf entlocken: „Aha, eine neue Art von
Heilsarmee.“ Darauf antwortet der Verfasser: „Warum nicht, unsere Phantasie
arbeitet ja immer nach Mustern“ (S. 123). Ein Strom von Lernbegierigen
werde nach Europa fluten, meint er, und an Wien Vorbeigehen, weil in
Österreich ein Verbot gegen die Behandlung von Kranken durch Nichtärzte
besteht. Offenbar nimmt der Hörer diese Ausführungen mehr humoristisch,
denn der Verfasser fragt ihn: „Sie lächeln? Ich sage das nicht, um Ihr
Urteil zu bestechen, gewiß nicht. Ich weiß ja, Sie schenken mir keinen
Glauben, kann Ihnen auch nicht dafür einstehen, daß es so kommen wird.
Aber eines weiß ich. Es ist gar nicht so wichtig, welche Entscheidung Sie
in der Frage der Laienanalyse fällen. Es kann nur eine lokale Wirkung
haben. Aber das, worauf es ankommt, die inneren Entwicklungsmöglichkeiten
der Psychoanalyse sind doch durch Verordnungen und Verbote nicht zu treffen“
(S. 125).
22*
320
Diskussionen
Mit anderen Worten: Trotz der ganzen genialen und glänzenden Beweis¬
führung und meisterhaften Darstellung des Gegenstandes fühlt der Autor, daß
er seinen Hörer nicht überzeugt hat.
Ich stimme mit Prof. Freud ganz darin überein, daß sich die ange¬
wandte Psychoanalyse ungeachtet aller Gegenmaßnahmen und Gegen¬
verordnungen durchsetzen wird, aber meines Wissens bestehen keinerlei
solche Beschränkungen für die Psychoanalyse als Wissenschaft. Wenigstens
sicher nicht bei uns. Beweis: Der Verfasser setzt seine Hoffnung auf unser
Land und viele seiner früheren und jetzigen Schüler scheinen gern zu uns
zu kommen; trotzdem bin ich mit vielen, vielen anderen der Meinung, daß
die therapeutische Anwendung der Psychoanalyse jenen Personen Vorbehalten
bleiben sollte, die gleich Freud selbst den ganzen Menschen kennen, Körper
und Seele, also auf neurologisch, psychiatrisch und psychoanalytisch aus¬
gebildete Ärzte.
XXIV
S. E. Jelliffe (New-York):
Anmerkung der Redaktion: Dr. J eil i ff e hat seinen
Beitrag in Form eines langen , persönlichen und auto¬
biographischen Briefes an die Redaktion eingesandt. Mit
seiner Erlaubnis hat Dr. Jones einen Auszug daraus
gemacht , so daß also nur die Stellen in Anführungs¬
zeichen von Dr. Jelliffe selbst stammen.
Mein Interesse für Psychoanalyse hing seit jeher mit meiner Vorliebe für die
dynamische Auffassung der Krankheiten zusammen, die im Gegensatz zu der sonst
in neurologischen Kreisen herrschenden morphologischen Auffassung stand, ferner
damit, daß ich von der hervorragenden Wichtigkeit der psychischen Ätiologie
überzeugt bin. Es war daher nur natürlich, daß ich aus dieser Einstellung
heraus, die man gewissermaßen als Revolte gegen die Schulmedizin bezeichnen
könnte, von Anfang an psychoanalytisch ausgebildete Laienassistenten ver¬
wendet habe. Ich tat das etwa fünfzehn Jahre hindurch zur großen Mißbilligung
vieler New Yorker Kollegen, und auf Grund dieser ausgedehnten Erfahrung
konnte ich mir eine sichere Meinung bilden.
Vorausschicken möchte ich, daß ich meinen Assistenten sowohl rein psychische
wie auch mehr somatische Fälle — Epilepsie, Diabetes, Basedowsche Krank¬
heit usw. — überlassen habe.
Ich bin auch heute noch der Ansicht, daß bei allgemeiner Anerkennung
der überragenden Bedeutung der psychischen Faktoren die Möglichkeit
bestünde, gewisse Fälle solchen Personen zur Analyse zu überlassen, die lediglich
die psychische Komponente behandeln wollen. Diese Ansicht gründe ich auf
die Überzeugung, daß in jedem Anpassungsmangel, den man in unserer heutigen
Terminologie als „Krankheit“ bezeichnet, eine psychogene Komponente steckt,
Unfälle und manche Infektionskrankheiten natürlich ausgenommen.
„Ohne die Probleme im einzelnen rekapitulieren zu wollen, muß ich also
sagen, daß ich enttäuscht wurde. Und warum? Weil die Probleme, die ich
kraft meiner biologischen und medizinischen Bildung übersehen konnte, von
meinen Assistenten nicht in dem großen Zusammenhang gesehen wurden,
ohne den sie nicht zu lösen sind.“
Diskussionen
321
„So bin ich denn nach fünfzehnjähriger praktischer Erfahrung zu der
Überzeugung gelangt, daß nur Personen mit gründlicher biogenetischer Aus¬
bildung den ,Proteus* der ,Medizin richtig erfassen können.“
„So lange die Idee mens sana in corpore sano herrschend bleibt, muß ich
mich geschlagen bekennen. Aber ich glaube nicht an ihre Richtigkeit. Ich bin
vielmehr der Meinung, daß ein Körper — ein individueller oder ein sozialer
Körper — nur dann gesund sein kann, wenn man die Maxime umkehrt,
nämlich daß der gesunde Körper von der gesunden Seele abhängt. Aber —
und das muß besonders betont werden — nur eine Person, die mit der
Masch ine gerade so vertraut ist wie mit ihren Funktionen, kann
einen Zustand richtig behandeln. Solange man die Maschine per se für am
wichtigsten hält, ist kein Fortschritt möglich. Hier liegt der Gegensatz zwischen
Morphologen und Funktionalisten.“
. .Wenn die ,medizinischen* Probleme nun wirklich so subtil und
tiefliegend sind, wie meine Ausführungen angedeutet haben, wie sollte da ein
Laienanalytiker mit ihnen fertig werden können? Wenn die seelischen Zustände
unendlich komplizierter und wichtiger sind als die körperlichen und trotzdem
selbst ihre primitiveren Manifestationen sogar von den Ärzten so unvoll¬
kommen begriffen werden, wie sollte da jemand, der die anatomischen und
physiologischen Verhältnisse des Körpers nicht genau kennt, fene komplizierten
Zustände behandeln können, die wir heute als seelische bezeichnen? Ließe
sich hier nicht mit Recht sagen: ,Narren stürzen herein, wo Engel zu treten sich
scheu’n*?“
„Dies ist also der Niederschlag meiner Erfahrungen. Die Laienanalytiker
haben keine Berechtigung zu der praktischen Ausübung des Berufes; selbst
die Ärzteanalytiker entsprechen heute den Anforderungen noch sehr unvoll¬
kommen. Unsere Maxime sollte also sein, den Arzt gründlich auszubilden,
anzuregen und zu zwingen, daß er sein eigenes Königreich bewahrt, selbst
wenn er das ,Land des Jordan* noch nicht richtig würdigen gelernt hat. So
lautet die ideale Forderung.“
xxv
New-York Psydio-Analytic Society:
Die New York Psycho-Analytic Society hat bezüglich der Ausübung der
Psychoanalyse folgende Entschließungen angenommen:
I. Die Ausübung der Psychoanalyse zu therapeutischen Zwecken soll auf
Ärzte (Doktoren der Medizin) beschränkt werden, die ihren Grad von einer
anerkannten medizinischen Fakultät erhalten, eine spezielle Ausbildung in
Psychiatrie und Psychoanalyse genossen und allen Anforderungen der für die
Ausübung der medizinischen Praxis geltenden Landesgesetze entsprochen haben.
Unter Ausübung der Psychoanalyse ist dabei die Behandlung von Personen
zu verstehen, die an Nerven- oder Gemütskrankheiten leiden, deren Symptome
sie in ihren Alltagsleistungen behindern.
II. Der psychoanalytische Unterricht von Interessenten der Anthropologie,
Kriminologie, Theologie, Jurisprudenz, Pädagogik, Sozialarbeit sowie von Ärzten
anderer Spezialfächer usw. ist nur unter der Voraussetzung gestattet, daß die
psychoanalytische Schulung nur zum besseren Verständnis und zur gründlicheren
322
Diskussionen
Erkenntnis der Probleme ihrer eigenen Arbeitsgebiete und nicht zu Heil¬
zwecken, wie sie unter 1. aufgeführt sind, dienen soll.
III. Als Vorbedingung für die Zulassung zum psychoanalytischen Unterricht
für die unter 2. aufgeführten nichtärztlichen Wissenschaftler sollen folgende
Mindestanforderungen gelten:
a) Der Grad eines Bachelor of Arts von einer anerkannten Universität,
einem anerkannten College oder einem gleichwertigen Institut.
b) Nachweise für den einwandfreien Charakter und die allgemeine
Befähigung, und zwar:
1. Drei Briefe, davon einer von dem Vorstand der Abteilung, an der der
Bewerber graduiert worden ist, und ein zweiter von einer wissenschaftlichen
Spezialgruppe, welcher der Bewerber angehört.
2. Ein ausführlicher Bericht über alle bisher geleisteten praktischen
Arbeiten.
ß. Nachweis des guten Glaubens, einschließlich der Absicht, sich den in
1. aufgeführten Beschränkungen zu unterwerfen, die vom Unterrichtsausschuß
aufgestellt und von der Psycho-Analytic Society angenommen worden sind.
Der Unterrichtsausschuß:
T. E. Ames, M. D.
L. Blumgart, M. D.
A. Kardiner, M. D.
M. A. Meyer, M. D.
% C. P. Oberndorf (Vorsitzender)
A. A. Brill
XXVI
Ungarische Psychoanalytische Vereinigung:
Die Ungarische* Psychoanalytische Vereinigung hat sich anläßlich ihrer
Generalversammlung mit der Frage „Laienanalyse" beschäftigt und ihre Meinung
darüber wie folgt zusammengefaßt:
Da einerseits theoretisch durch das Buch von Freud die thera¬
peutische Analyse durch Nichtärzte (die „Laienanalyse“) nicht nur als
berechtigt, sondern im Interesse des Fortschrittes unserer Wissenschaft geradezu
als erwünscht erwiesen wurde,
und anderseits praktisch die bisherige Zulassung der „Laienanalysen"
erfahrungsgemäß in Ungarn keine die Patienten irgendwie schädigende Folgen
mit sich gebracht hat,
ist die Aufwerfung dieser prinzipiellen Frage nach Ansicht der Ungarischen
Psychoanalytischen Vereinigung überflüssig, weil bereits erledigt.
Es bleibt aber das praktische Problem, wie die Zulassung von Nichtärzten
unter der Ägide der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung zu erfolgen
hat, auch weiterhin bestehen. In dieser Hinsicht meinen wir, daß die psycho¬
analytische Therapie eine ganz eigenartige Heilmethode ist, die bei dem heutigen
Stande der ärztlichen Ausbildung unmöglich in die Universitätslehrpläne eingereiht
werden kann. Der Schwerpunkt der ärztlichen Studien liegt im Anatomisch-
Physiologischen, hingegen der der Psychoanalyse im Psychologischen; dem-
D iskussionen
323
zufolge ist ein diplomierter Arzt für die Psychoanalyse kaum besser vorbereitet
als ein gebildeter Nichtarzt. Also erscheint uns die Frage verschoben: vom
Wesentlichen auf das Unwesentliche. Um diese unwesentliche Frage beantworten
zu können, ist es uns unvermeidlich, ganz kurz auf die wesentliche, aber nicht
aufgestellte einzugehen.
Der Kern dieser Frage ist, wie überhaupt Analytiker (Ärzte oder Nicht¬
ärzte) ausgebildet werden müssen. Obgleich wir wohl wissen, daß, um aus¬
übende Analytiker zu werden, einerseits die Ärzte vieles umlernen und zulemen,
anderseits die Nichtärzte viel Ärztlich - Naturwissenschaftliches erst erlernen
müssen, sind wir doch fest überzeugt, daß im Zentrum der Ausbildung
die eigene Analyse zu stehen hat; diese soll auch der erste Schritt
sein, wodurch auch das Wichtigste gleich erledigt wird, nämlich die Selektion
auf Grund persönlicher Eignung.
Zurückkehrend zur Diskussionsfrage, meinen wir, daß es nicht unmöglich
ist, daß die Frage der „Laienanalyse“ nicht zuletzt auch dadurch zugespitzt
wurde, daß in der letzten Zeit die nicht analysierten Ärzteanalytiker einer
allmählich anwachsenden Anzahl von „Laien" gegenüb erstanden, die durch
hervorragende Analytiker ausgebildet worden sind. Deshalb dürfen wir jene
Argumente, die gegen die „Laienanalyse" allgemein hervorgebracht wurden,
wie: Schutz der Patienten, Schutz der psychoanalytisch-wissenschaftlichen
Bewegung, Rechtsbestimmungen usw. — auch als AusdrucE innerer Wider¬
stände betrachten, die, analytisch gesehen, vielleicht manche hinter ihnen ver¬
steckten Motive erkennen lassen würden, u. a.: Schutz des ärztlichen Mono¬
pols, Widerstand gegen die eigene Analyse, narzißtische Eifersucht gegen die
bereits Analysierten usw. Demgegenüber vertritt die Ungarische Psychoana¬
lytische Vereinigung den Standpunkt, daß das Interesse der Patienten sowie der
Fortschritt unserer Wissenschaft nicht durch ärztliche Diplome, wohl aber allein
durch richtig ausgewählte, gründlich ausgebildete und vor allem analysierte
Analytiker geschützt werden kann. Solche Analytiker, die, durch
unsere Lehrinstitutionen ausgebildet, unter der Ägide der
Vereinigung ihre Tätigkeit ausüben, haben nach unserer
Meinung ein Anrecht darauf, sollten sie durch — noch
vorderPsychoanalyse entstandene — Rechtsbestimmungen
irgendwie in ihrer Arbeit gefährdet werden, von der Inter¬
nationalen Psychoanalytischen Vereinigung mit ihrem
ganzen moralischen undwissenschaftlichenPrestige unter¬
stützt zu werden.
Falls in diesen prinzipiellen Fragen internationale Einigung erzielt worden
ist, soll es den einzelnen Zweigvereinigungen überlassen werden, wie die
administrative Zulassung zur psychoanalytischen Praxis in den einzelnen Ländern
mit Rücksicht auf die gesetzlichen Bestimmungen und den herrschenden
Rechtsgebrauch zu geschehen habe. Dagegen wäre das eigentliche Problem:
das der Ausbildung — wenigstens in den Hauptpunkten — international zu
regeln. Denn was bisher an Lehrplänen ausgearbeitet und empfohlen wurde,
war ausschließlich für Ärzte (Studenten der Medizin) berechnet. Es muß also
bei dieser Regelung unbedingt berücksichtigt werden, daß der Lehrplan für
Ärzte und der für Nichtärzte zwar größtenteils identisch sein können, jedoch
in manchen Punkten voneinander abweichen müssen.
1
-
324
Diskussionen
Zusammengefaßt:
lassen werden" ZUr ^rapeutischen Analyse zuge-
2. Die Ausbildungsfrage soll möglichst bald durch internationale Übereinkunft
geregelt werden, wobei zum Teil verschiedene Lehrpläne für Ärzte und für
Nichtarzte zu entwerfen sind.
CÄr. 3 t Dle ,i I ”! e ™ atl0na ; Ie Psychoanalytische Vereinigung soll alle Analytiker
( rzte und Nichtarzte) die unter ihrer Ägide arbeiten, bei Gefährdungen,
nehmMi dUrCh Unverstandnls S e g en über der Psychoanalyse entstehen, in Schutz
Für die Ungarische Psychoanalytische Vereinigung:
Istvan Hollös,
stellvertretender Vorsitzender
XXVII
Max E i t i n g o n (Berlin):
Hat man die Diskussion über die Laienanalyse, die von manchen Seiten (besonders
von unseren englischen Kollegen) eine sehr gründliche und eingehende Würdigung
der meisten in Betracht kommenden Faktoren gebracht hat, andererseits wieder
rau H o r ney) eine einfache und plastische Herausarbeitung des Problems
um das es sich m erster Linie handelt, aufmerksam verfolgt, so sind zwei
Hinge zu unterstreichen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß es sich hier um
die therapeutische Anwendung der Analyse handelt und um die unterrichts¬
technische Frage, welche Vorbedingungen an die Kandidaten zu stellen sind
die d!e Ausbildung zum psychoanalytischen Therapeuten anstreben. Da ist nun
in der bisherigen Diskussion die Erwünschbarkeit einer möglichst guten ärzt¬
lichen Vorbildung nirgends ernstlich in Frage gestellt, meist aber mehr oder
weniger ausdrücklich betont worden. Auf der anderen Seite mußte von allen
Seiten zugegeben werden, daß eine ganze Reihe von Psychoneurosen, und
gerade solchen, die zum wesentlichsten Anwendungsgebiet der Psychoanalyse
als Therapie gehören, auch von nichtärztlich ausgebildeten Therapeuten
erfolgreich behandelt werden können, sofern sie nur analytisch gut geschult
sind. Von der Ermöglichung einer solchen Schulung hängt nun nicht allein die
Zukunft der Psychoanalyse als Therapie, sondern auch als Wissenschaft mit
all ihren schon angebahnten und zukünftig noch zu entwickelnden Anwendungs-
moglichkeiten ab. Diese Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen, ist deshalb in
den letzten Jahren auch die vornehmste Aufgabe und die dringendste Sorge
unserer Organisation und besonders auch des Institutes, das sie zu diesem Zwecke
geschaffen hat, der Internationalen Psychoanalytischen Unterrichtskommission,
holl aber gut unterrichtet werden, so müssen neben dem Ausbau des Unter¬
richtes unserer eigenen so prinzipiell neuen und umwälzenden Disziplin auch
die Eigenbedingungen der besonderen Gebiete, auf die wir die Analyse anzu¬
wenden lehren wollen, im vollsten Maße berücksichtigt werden, weil es sich
a um Wissensgebiete und Tatsachenkreise handelt, die sozusagen vor- und
außeranalytisch sind und es auch sein und meist auch bleiben müssen.
We nn, wie gesagt, von kaum einer Seite es in Zweifel gezogen werden
kann, daß es nicht wenige und sehr wichtige Psychoneurosen gibt, die auch
vom mchtarztlich vorgebildeten, aber analytisch gut geschulten Therapeuten mit
Diskussionen
325
Erfolg behandelt werden können, so ist es doch ebensowenig von irgend
einer Seite in Zweifel gelassen worden, daß selbst auch in solchen Fällen
dem nichtärztlichen Analytiker vor Beginn der Analyse und während derselben
ein Arzt, und wir meinen natürlich, ein analytisch geschulter Arzt, zur Seite
stehen muß, zum Zwecke der Diagnosen- und Indikationsstellung zur Analyse,
wie auch zur Beurteilung interkurrenter somatischer Komplikationen während
des Verlaufes einer Analyse. Mit anderen Worten, der nichtärztliche Ana¬
lytiker ist also nur in der Symbiose mit ärztlichen Kollegen denkbar, und nur
in der Kooperation mit solchen. Ist es nun gar so utopisch, wenn Referent
als Richtschnur für eine idealere Zukunftsgestaltung des analytischen Thera-
peuten Wege und Vorbildung so gestaltet sehen möchte, daß an Stelle
der Kooperation von nichtärztlichem Analytiker und Arzt eine Personalunion
m einer ebenso gut analytisch geschulten wie ärztlich vorgebildeten Person tritt?
abei ist Referent sich stets bewußt, daß dieses aktivistische Vorweg¬
nehmenwollen einer besseren Zukunft von zwei Momenten in besonnener Weise
kontrolliert werden muß, damit die Entwicklung der Psychoanalyse nicht
schweren Schaden erleide. Erstens dürfen wir keinen Augenblick die Dank-
barkeit gegen die Tatsache und die Gründe der Tatsache aus den Augen lassen,
dali sehr bald nach Beginn dessen, was wir unsere psychoanalytische Bewegung
nennen, wie auch in der allerletzten Zeit noch, eine Reihe von „Laien“ sich
die größten Verdienste um den weiteren Ausbau der Psychoanalyse als Theorie
wie als Praxis erworben haben.
Auf der anderen Seite dürfen wir keinen Augenblick die Unzufriedenheit
mit dem gegenwärtigen Wissenschafts- und Lehrbetrieb in der Medizin ver¬
gessen und müssen diese Unzufriedenheit stets wachhalten und nähren die
Unzufriedenheit mit dem System, das psychologische Begabungen von der
Medizin fernhält oder forttreibt, wenn es sie nicht vorher erstickt.
Mit Berücksichtigung der besonderen Forderungen unserer hier diskutierten
Spezialaufgabe, der gegenwärtigen Notstände in der Ausbildung des Mediziners
und der hoffentlich in nicht allzu ferner Zeit zu erwartenden Bessergestaltung
dieser Ausbildung werden wir uns erlauben, der Internationalen Unterrichts¬
kommission der I. P. V. und dem bevorstehenden Kongreß folgenden Resolutions¬
antrag vorzulegen:
I) Der Kongreß beauftragt die Unterrichtsausschüsse der Zweig¬
vereinigungen, bei den Ausbildungkandidaten zu psychoanalytischen
Therapeuten auf das Vorhandensein, beziehungsweise auf die Erwerbung
der vollen ärztlichen Ausbildung Nachdruck zu legen, jedoch keinen
Kandidaten einzig aus dem Grunde der fehlenden ärztlichen Qualifikation
zurückzu weisen, wenn derselbe eine besondere persönliche Eignung und
eine entsprechende wissenschaftliche Vorbildung besitzt.
II) Innerhalb dieser grundsätzlichen Stellungnahme kann jede Zweig¬
vereinigung die Zulassungsbedingungen selbständig festsetzen. Bei der
Zulassung landesfremder Kandidaten haben die Unterrichtsausschüsse außer
ihren eigenen Bestimmungen jene Bestimmungen zu berücksichtigen, die
im Heimatlande des betreffenden Kandidaten in Geltung sind. Über die
erfolgte Zulassung eines landesfremden Kandidaten ist der Unterrichtsausschuß
seines Heimatlandes zu verständigen. Etwaige Einsprüche sind an die
Internationale Unterrichtskommission zu richten.
326
Diskussionen
XXVIII
Sigm. Freud: Nachwort zur „Frage der Laienanalyse”
Der unmittelbare Anlaß zur Abfassung meiner kleinen Schrift, an
welche die hier vorstehenden Diskussionen anknüpfen, war die Anklage
unseres nichtärztlichen Kollegen Dr. Th. Reik wegen Kurpfuscherei bei
der Wiener Behörde. Es dürfte allgemein bekannt geworden sein, daß
diese Klage fallen gelassen wurde, nachdem alle Vorerhebungen durch¬
geführt und verschiedene Gutachten eingeholt worden waren. Ich glaube
nicht, daß dies ein Erfolg meines Buches war; der Fall lag wohl zu
ungünstig für die Klageführung und die Person, die sich als geschädigt
beschwert hatte, erwies sich als wenig vertrauenswürdig. Die Einstellung
des Verfahrens gegen Dr. Reik hat wahrscheinlich nicht die Bedeutung
einer prinzipiellen Entscheidung des Wiener Gerichts in der Frage der
Laienanalyse. Als ich die Figur des „unparteiischen“ Partners in meiner
Tendenzschrift schuf, schwebte mir die Person eines unserer hohen Funk¬
tionäre vor, eines Mannes von wohlwollender Gesinnung und nicht
gewöhnlicher Integrität, mit dem ich selbst ein Gespräch über die Causa
Reik geführt und dem ich dann, wie er gewünscht, ein privates Gut¬
achten darüber überreicht hatte. Ich wußte, daß es mir nicht gelungen
war, ihn zu meiner Ansicht zu bekehren, und darum ließ ich auch meinen
Dialog mit dem Unparteiischen nicht in eine Einigung ausgehen.
Ich habe auch nicht erwartet, daß es mir gelingen werde, eine
einheitliche Stellungnahme zum Problem der Laienanalyse bei den Ana¬
lytikern selbst herbeizuführen. Wer in dieser Sammlung die Äußerung
der Ungarischen Gesellschaft mit der der New Yorker Gruppe zusammen¬
hält, wird vielleicht annehmen, meine Schrift habe gar nichts ausgerichtet,
jedermann halte den Standpunkt fest, den er auch vorher vertreten. Allein
auch dies glaube ich nicht. Ich meine, viele Kollegen werden ihre extreme
Parteinahme ermäßigt haben, die meisten haben meine Auffassung
angenommen, daß das Problem der Laienanalyse nicht nach hergebrachten
Gepflogenheiten entschieden werden darf, sondern einer neuartigen Situation
entspringt und darum eine neue Urteilsfällung fordert.
Auch die Wendung, die ich der ganzen Frage gegeben, scheint Beifall
gefunden zu haben. Ich hatte ja den Satz in den Vordergrund gerückt,
es käme nicht darauf an, ob der Analytiker ein ärztliches Diplom besitzt,
sondern ob er die besondere Ausbildung erworben hat, deren es zur Aus¬
übung der Analyse bedarf. Daran konnte die Frage anknüpfen, über die
die Kollegen so eifrig diskutiert haben, welche die für den Analytiker
geeignetste Ausbildung sei. Ich meinte und vertrete es auch jetzt, es sei
nicht die, welche die Universität dem künftigen Arzt vorschreibt. Die
sogenannte ärztliche Ausbildung erscheint mir als ein beschwerlicher
Umweg zum analytischen Beruf, sie gibt dem Analytiker zwar vieles, was
ihm unentbehrlich ist, lädt ihm aber außerdem zuviel auf, was er nie
Diskussionen
327
verwerten kann, und bringt die Gefahr mit sich, daß sein Interesse wie
seine Denkweise von der Erfassung der psychischen Phänomene abgelenkt
wird. Der Unterrichtsplan für den Analytiker ist erst zu schaffen, er muß
geisteswissenschaftlichen Stoff, psychologischen, kulturhistorischen, sozio¬
logischen ebenso umfassen wie anatomischen, biologischen und entwicklungs¬
geschichtlichen. Es gibt dabei soviel zu lehren, daß man gerechtfertigt ist,
aus dem Unterricht wegzulassen, was keine direkte Beziehung zur ana¬
lytischen Tätigkeit hat und nur indirekt wie jedes andere Studium zur
Schulung des Intellekts und der sinnlichen Beobachtung beitragen kann.
Es ist bequem, gegen diesen Vorschlag einzuwenden, solche analytische
Hochschulen gebe es nicht, das sei eine Idealforderung. Jawohl, ein
Ideal, aber eines, das realisiert werden kann und realisiert werden muß.
Unsere Lehrinstitute sind bei all ihrer jugendlichen Unzulänglichkeit doch
bereits der Beginn einer solchen Realisierung.
Es wird meinen Lesern nicht entgangen sein, daß ich im vorstehenden
etwas wie selbstverständlich vorausgesetzt habe, was in den Diskussionen
noch heftig umstritten wird. Nämlich, daß die Psychoanalyse kein
Spezialfach der Medizin ist. Ich sehe nicht, wie man sich sträuben kann,
das zu erkennen. Die Psychoanalyse ist ein Stück Psychologie, auch nicht
medizinische Psychologie im alten Sinne oder Psychologie der krankhaften
Vorgänge, sondern Psychologie schlechtweg, gewiß nicht das Ganze der
Psychologie, sondern ihr Unterbau, vielleicht überhaupt ihr Fundament.
Man lasse sich durch die Möglichkeit ihrer Anwendung zu medizinischen
Zwecken nicht irreführen, auch die Elektrizität und die Röntgenstrahlen
haben Verwendung in der Medizin gefunden, aber die Wissenschaft von
beiden ist doch die Physik. Auch historische Argumente können an dieser
Zugehörigkeit nichts ändern. Die ganze Lehre von der Elektrizität hat
ihren Ausgang von einer Beobachtung am Nervmuskelpräparat genommen,
darum fällt es heute doch niemand ein zu behaupten, sie sei ein Stück
der Physiologie. Für die Psychoanalyse bringt man vor, sie sei doch von
einem Arzt erfunden worden bei seinen Bemühungen Kranken zu helfen.
Aber das ist für ihre Beurteilung offenbar gleichgültig. Auch ist dies
historische Argument recht gefährlich. In seiner Fortsetzung könnte man
daran erinnern, wie unfreundlich, ja, wie gehässig abweisend sich die
Ärzteschaft von Anfang an gegen die Analyse benommen hat; daraus
würde folgern, daß sie auch heute kein Anrecht auf die Analyse hat. Und
wirklich obwohl ich eine solche Folgerung zurückweise — ich bin
noch heute mißtrauisch, ob die Werbung der Ärzte um die Psychoanalyse
vom Standpunkt der Libidotheorie auf die erste oder die zweite der
Abraham sehen Unterstufen zurückzu führen ist, ob es sich dabei um
eine Besitzergreifung mit der Absicht der Zerstörung oder der Erhaltung
des Objekts handelt.
Um beim historischen Argument noch einen Augenblick zu verweilen:
328
Diskussionen
da es sich um meine Person handelt, kann ich dem, der sich dafür
interessiert, einigen Einblick in meine eigenen Motive geben. Nach
41 jähriger ärztlicher Tätigkeit sagt mir meine Selbsterkenntnis, ich sei
eigentlich kein richtiger Arzt gewesen. Ich bin Arzt geworden durch eine
mir aufgedrängte Ablenkung meiner ursprünglichen Absicht und mein
Lebenstriumph liegt darin, daß ich nach großem Umweg die anfängliche
Richtung wieder gefunden habe. Aus frühen Jahren ist mir nichts von
einem Bedürfnis, leidenden Menschen zu helfen, bekannt, meine sadistische
Veranlagung war nicht sehr groß, so brauchte sich dieser ihrer Abkömm¬
linge nicht zu entwickeln. Ich habe auch niemals „Doktor“ gespielt, meine
infantile Neugierde ging offenbar andere Wege. In den Jugendjahren
wurde das Bedürfnis, etwas von den Rätseln dieser Welt zu verstehen und
vielleicht selbst etwas zu ihrer Lösung beizutragen, übermächtig. Die
Inskription an der medizinischen Fakultät schien der beste Weg dazu,
aber dann versuchte ich’s — erfolglos — mit der Zoologie und der
Chemie, bis ich unter dem Einfluß v. B r ü c k e s, der größten Autorität,
die je auf mich gewirkt hat, an der Physiologie haften blieb, die sich
damals freilich zu sehr auf Histologie einschränkte. Ich hatte dann bereits
alle medizinischen Prüfungen abgelegt, ohne mich für etwas Ärztliches zu
interessieren, bis ein Mahnwort des verehrten Lehrers mir sagte, daß ich
in meiner armseligen materiellen Situation eine theoretische Laufbahn
vermeiden müßte. So kam ich von der Histologie des Nervensystems zur
Neuropathologie und auf Grund neuer Anregungen zur Bemühung um
die Neurosen. Ich meine aber, mein Mangel an der richtigen ärztlichen
Disposition hat meinen Patienten nicht sehr geschadet. Denn der Kranke
hat nicht viel davon, wenn das therapeutische Interesse beim Arzt affektiv
überbetont ist. Für ihn ist es am besten, wenn der Arzt kühl und
möglichst korrekt arbeitet.
Der vorstehende Bericht hat gewiß wenig zur Klärung des Problems
der Laienanalyse beigetragen. Er sollte bloß meine persönliche Legitimation
bekräftigen, wenn gerade ich für den Eigenwert der Psychoanalyse und
ihre Unabhängigkeit von ihrer medizinischen Anwendung eintrete. Man
wird mir aber hier entgegenhalten, ob die Psychoanalyse als Wissenschaft
ein Teilgebiet der Medizin oder der Psychologie ist, sei eine Doktorfrage,
praktisch ganz uninteressant. Was in Rede stehe, sei etwas anderes, eben
die Verwendung der Analyse zur Behandlung von Kranken, und insofern
sie dies beanspruche, müsse sie sich’s gefallen lassen, als Spezialfach in
die Medizin aufgenommen zu werden, wie z. B. die Röntgenologie, und
sich den für alle therapeutischen Methoden geltenden Vorschriften unter¬
werfen. Ich anerkenne das, gestehe es zu, ich will nur verhütet wissen,
daß die Therapie die Wissenschaft erschlägt. Leider reichen alle Vergleiche
nur ein Stück weit, es kommt dann ein Punkt, von dem an die beiden
Verglichenen auseinandergehen. Der Fall der Analyse liegt anders als der
Diskussionen
329
der Röntgenologie; die Physiker brauchen den kranken Menschen nicht,
um die Gesetze der Röntgenstrahlen zu studieren. Die Analyse aber hat
kein anderes Material als die seelischen Vorgänge des Menschen, kann nur
am Menschen studiert werden; infolge besonderer leicht begreiflicher
Verhältnisse ist der neurotische Mensch weit lehrreicheres und zugäng¬
licheres Material als der Normale, und wenn man einem, der die Analyse
erlernen und anwenden will, dies Material entzieht, hat man ihn um die
gute Hälfte seiner Bildungsmöglichkeiten verkürzt. Es liegt mir natürlich
ferne, zu fordern, daß das Interesse des neurotisch Kranken dem des
Unterrichts und der wissenschaftlichen Forschung zum Opfer gebracht
werde. Meine kleine Schrift zur Frage der Laienanalyse bemüht sich eben
zu zeigen, daß unter Beobachtung gewisser Kautelen beiderlei Interessen sehr
wohl in Einklang gebracht werden können, und daß eine solche Lösung
nicht zuletzt auch dem richtig verstandenen ärztlichen Interesse dient.
Diese Kautelen habe ich alle selbst angeführt; ich darf sagen, die
Diskussion hat hier nichts Neues hinzugefügt; ich möchte noch aufmerksam
machen, sie hat oft die Akzente in einer Weise verteilt, die der Wirk¬
lichkeit nicht gerecht wird. Es ist alles richtig, was über die Schwierigkeit
der Differential-Diagnose, die Unsicherheit in der Beurteilung körperlicher
Symptome in vielen Fällen gesagt wurde, was also ärztliches Wissen oder
ärztliche Einmengung notwendig macht, aber die Anzahl der Fälle, in
denen solche Zweifel überhaupt nicht auftauchen, der Arzt nicht gebraucht
wird, ist doch noch ungleich größer. Diese Fälle mögen wissenschaftlich
recht uninteressant sein, im Leben spielen sie eine genug wichtige Rolle,
um die Tätigkeit des Laienanalytikers, der ihnen vollauf gewachsen ist,
zu rechtfertigen. Ich habe vor einiger Zeit einen Kollegen analysiert, der
eine besonders scharfe Ablehnung dagegen entwickelte, daß jemand sich
eine ärztliche Tätigkeit gestatte, der nicht selbst Arzt ist. Ich konnte ihm
sagen: Wir arbeiten jetzt länger als drei Monate. An welcher Stelle unserer
Analyse war ich veranlaßt, mein ärztliches Wissen in Anspruch zu nehmen?
Er gestand zu, daß sich kein Anlaß dafür gefunden hatte.
Auch das Argument, daß der Laienanalytiker, weil er bereit sein muß,
den Arzt zu konsultieren, beim Kranken keine Autorität erwerben und
kein höheres Ansehen als das eines Heilgehilfen, Masseurs u. dgl. erreichen
kann, schätze ich nicht hoch ein. Die Analogie dürfte wiederum nicht
zutreffen, abgesehen davon, daß der Kranke die Autorität nach seiner
Gefühlsübertragung zu verleihen pflegt, und daß der Besitz eines ärztlichen
Diploms ihm lange nicht so imponiert, wie der Arzt glaubt. Der berufs¬
mäßige Laienanalytiker wird es nicht schwer haben, sich das Ansehen zu
verschaffen, das ihm als einem weltlichen Seelsorger gebührt. Mit der
Formel „Weltliche Seelsorge“ könnte man überhaupt die Funktion
beschreiben, die der Analytiker, sei er nun Arzt oder Laie, dem Publikum
gegenüber zu erfüllen hat. Unsere Freunde unter den protestantischen und
330
Diskussionen
neuerlich auch katholischen Geistlichen befreien oft ihre Pfarrkinder
von ihren Lebenshemmungen, indem sie ihre Gläubigkeit hersteilen,
nachdem sie ihnen ein Stück analytischer Aufklärung über ihre Konflikte
geboten haben. Unsere Gegner, die Adler sehen Individualpsychologen,
erstreben dieselbe Änderung bei den haltlos und untüchtig Gewordenen,
indem sie ihr Interesse für soziale Gemeinschaft wecken, nachdem sie
ihnen einen einzigen Winkel ihres Seelenlebens beleuchtet und ihnen gezeigt
haben, welchen Anteil ihre egoistischen und mißtrauischen Regungen an
ihrem Kranksein haben. Beide Verfahren, die ihre Kraft der Anlehnung
an die Analyse verdanken, haben ihren Platz in der Psychotherapie. Wir
Analytiker setzen uns eine möglichst vollständige und tiefreichende Analyse des
Patienten zum Ziel, wir wollen ihn nicht durch die Aufnahme in die
katholische, protestantische oder sozialistische Gemeinschaft entlasten, sondern
ihn aus seinem eigenen Inneren bereichern, indem wir seinem Ich die
Energien zuführen, die durch Verdrängung unzugänglich in seinem
Unbewußten gebunden sind, und jene anderen, die das Ich in unfrucht¬
barer Weise zur Aufrechterhaltung der Verdrängungen verschwenden muß.
Was wir so treiben, ist Seelsorge im besten Sinne. Ob wir uns damit ein
zu hohes Ziel gesteckt haben ? Ob auch nur die Mehrzahl unserer Patienten
der Mühe wert ist, die wir für diese Arbeit verbrauchen ? Ob es nicht
ökonomischer ist, das Defekte von außen zu stützen als von innen zu
reformieren? Ich kann es nicht sagen, aber etwas anderes weiß ich. In
der Psychoanalyse bestand von Anfang ein Junktim zwischen Heilen und
Forschen, die Erkenntnis brachte den Erfolg, man konnte nicht behandeln,
ohne etwas Neues zu erfahren, man gewann keine Aufklärung, ohne ihre
wohltätige Wirkung zu erleben. Unser analytisches Verfahren ist das einzige,
bei dem dies kostbare Zusammentreffen gewahrt bleibt. Nur wenn wir
analytische Seelsorge treiben, vertiefen wir unsere eben aufdämmernde
Einsicht in das menschliche Seelenleben. Diese Aussicht auf wissenschaft¬
lichen Gewinn war der vornehmste, erfreulichste Zug der analytischen
Arbeit; dürfen wir sie irgendwelchen praktischen Erwägungen zum Opfer
bringen ?
Einige Äußerungen in dieser Diskussion erwecken in mir den Verdacht,
als wäre meine Schrift zur Laienfrage doch in einem Punkte mißverstanden
worden. Die Ärzte werden gegen mich in Schutz genommen, wie wenn
ich sie allgemein als untauglich für die Ausübung der Analyse erklärt
und die Parole ausgegeben hätte, ärztlicher Zuzug sei fernzuhalten. Nun,
das liegt nicht in meiner Absicht. Der Anschein entstand wahrscheinlich
daraus, daß ich in meiner polemisch angelegten Darstellung die unaus-
gebildeten ärztlichen Analytiker für noch gefährlicher erklären mußte als
die Laien. Meine wirkliche Meinung in dieser Frage könnte ich klar
machen, indem ich einen Zynismus kopiere, der einst im Simplicissimus
über die Frauen vorgebracht wurde. Dort beklagte sich einer der Partner
Diskussionen
331
über die Schwächen und Schwierigkeiten des schöneren Geschlechts,
worauf der andere bemerkte: Die Frau ist aber doch das Beste, was wir
in der Art haben. Ich gestehe es zu, solange die Schulen nicht bestehen,
die wir uns für die Heranbildung von Analytikern wünschen, sind die
ärztlich vorgebildeten Personen das beste Material für den künftigen Ana¬
lytiker. Nur darf man fordern, daß sie ihre Vorbildung nicht an Stelle
der Ausbildung setzen, daß sie die Einseitigkeit überwinden, die durch den
Unterricht an der medizinischen Schule begünstigt wird, und daß sie der
Versuchung widerstehen, mit der Endokrinologie und dem autonomen
Nervensystem zu liebäugeln, wo es darauf ankommt, psychologische Tat¬
sachen durch psychologische Hilfsvorstellungen zu erfassen. Ebenso teile
ich die Erwartung, daß alle die Probleme, die sich auf die Zusammen¬
hänge zwischen psychischen Phänomenen und ihren organischen, anato¬
mischen und chemischen Grundlagen beziehen, nur von Personen, die
beides studiert haben, also von ärztlichen Analytikern, in Angriff genommen
werden können. Doch sollte man nicht vergessen, daß dies nicht alles an
der Psychoanalyse ist, und daß wir für deren andere Seite die Mitarbeit
von Personen, die in den Geisteswissenschaften vorgefcildet sind, nie
entbehren können. Aus praktischen Gründen haben wir, auch für unsere
Publikationen, die Gewohnheit angenommen, eine ärztliche Analyse von
den Anwendungen der Analyse zu scheiden. Das ist nicht korrekt. In
Wirklichkeit verläuft die Scheidungsgrenze zwischen der wissenschaftlichen
Psychoanalyse und ihren Anwendungen auf medizinischem und nicht¬
medizinischem Gebiet.
Die schroffste Ablehnung der Laienanalyse wird in diesen Diskussionen
von unseren amerikanischen Kollegen vertreten. Ich halte es nicht für
überflüssig, ihnen durch einige Bemerkungen zu erwidern. Es ist kaum
ein Mißbrauch der Analyse zu polemischen Zwecken, wenn ich die
Meinung ausdrücke, daß ihr Widerstand sich ausschließlich auf praktische
Momente zurückführt. Sie sehen in ihrem Lande, daß die Laienanalytiker
viel Unfug und Mißbrauch mit der Analyse treiben und infolgedessen die
Patienten, wie den Ruf der Analyse schädigen. Es ist dann begreiflich,
daß sie in ihrer Empörung weit von diesen gewissenlosen Schädlingen
abrücken und die Laien von jedem Anteil an der Analyse ausschließen
wollen. Aber dieser Sachverhalt reicht bereits aus, um die Bedeutung ihrer
Stellungnahme herabzudrücken. Denn die Frage der Laienanalyse darf
nicht allein nach praktischen Erwägungen entschieden werden und die
lokalen Verhältnisse Amerikas können für uns nicht allein maßgebend sein.
Die wesentlich von praktischen Motiven geleitete Resolution unserer
amerikanischen Kollegen gegen die Laienanalytiker erscheint mir
unpraktisch, denn sie kann nicht eines der Momente verändern, welche
die Sachlage beherrschen. Sie hat etwa den Wert eines Versuches zur
Verdrängung. Wenn man die Laienanalytiker in ihrer Tätigkeit nicht
332 Diskussionen
behindern kann, im Kampf gegen sie nicht vom Publikum unterstützt
wird, wäre es dann nicht zweckmäßiger, der Tatsache ihrer Existenz
Rechnung zu tragen, indem man ihnen Gelegenheiten zur Ausbildung
bietet, Einfluß auf sie gewinnt und ihnen die Möglichkeit der Approbation
durch den Ärztestand und der Heranziehung zur Mitarbeiterschaft als
Ansporn vorhält, so daß sie ein Interesse daran finden, ihr sittliches und
intellektuelles Niveau zu erhöhen?
Wien , im Juni Ip2y.
ZUSCHRIFTEN
Aus der Kindheit eines Philosophen
Plotin (etwa 204 — 270 n. Chr.) ist der Begründer der griechischen
und damit der abendländischen Mystik überhaupt. Sein Schüler Porphyrios
hat seine Lebensbeschreibung verfaßt. In deren ersten Kapiteln nun stehen
die folgenden verblüffenden Sätze, die hier nach der Übersetzung von
Herrn. Friedr. Müller (Berlin 1878) wiedergegeben sind: (c. 1 Anfang) „Der
Philosoph P 1 o t i n, unser Zeitgenosse, schien sich zu schämen, daß er in
einem Körper wohne. Diese Anschauungsweise war der Grund, weshalb er
es nicht über sich vermochte, von seiner Herkunft oder seinen Eltern oder
seinem Vaterlande etwas zu berichten . . (c. 2 Ende und 3 Anfang) „Was
er indessen uns selbst von sich in der Unterredungen oftmals erzählt hat, ist
folgendes. Bis in sein achtes Lebensjahr, da er schon die
Schule besuchte, sei er zu seiner Amme gegangen und habe
ihre Brüste, um an ihnen zu saugen, entblößt. Da er aber
einmal gehört, er sei ein böser Knabe, habe er sich
geschämt und aufgehört zu saugen. Im 28. Jahre habe ihn ein
heftiger Drang nach der Philosophie ergriffen. Da habe man ihn denn an
die Philosophen gewiesen, die um diese Zeit in Alexandria den größten Ruf
hatten; er aber . . . Einer seiner Freunde . . . habe . . . ihn zum Ammonius
geführt . . . Als er zu diesem hereingekommen und ihn gehört, habe er zu
seinem Freunde gesagt: ,Diesen suchte ich‘“ usw.
{Mitgeteilt von Prof. H. G.)
Eine Vorwegnahme der psydioanalytisdien Sublimierungstheorie
Prof G. schreibt uns:
„Zufällig stoße ich bei einem halb vergessenen Autor auf eine Stelle, die
Sie vielleicht interessiert, da sie die psychoanalytische Sublimierungstheorie
auf eine höchst drastische Art vorwegzunehmen scheint. Auch neben der
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIII/3.
23
334
Zuschriften
]
soviel großzügigeren Vorwegnahme derselben Ansicht in der Rede der Diotima
in Platons Gastmahl (der Eros erhebt sich von den Leibern zu den Seelen,
von diesen zu den Sitten, dann zu den Wissenschaften, endlich zu den Ideen)
behält sie vielleicht ihren Wert.
Francois Hemsterhuys starb 1790. In seiner „Lettre sur les desirs“
nun liest man das folgende (Oeuvres Completes, Tome premier, Paris 1809,
p. 75 f.): „II n’y a personne parmi ceux qui se melent de reflechir et de
penser, qui ne soit convaincu, par sa propre experience, de la correspondance
singuliere quHl y a entre les parties de la generation et de nos idees, combien
de certaines idees causent de changements dans ces parties, et combien
promptement un changement contraire dans ces parties fait evanouir ces
idees.
Je ne conclurai rien de cette singuliere defaillance, qui fixe le moment de
l union du mäle et de la femelle. Je dirai seulement que de tous les moyens
physiques dont Vdme se sert dans sa tendance vers une union d’essence, c’est
celui-la qui non-seulement la mene beaucoup plus loin que tout autre qu'elle
voudroit tenter, mais encore (ce qui est bien remarquable) c’est celui qui se
manifeste le plus dans tous ces desirs. J’en appelle a ceux jeunes et vigoureux
fanatiques, dont les passions en religion, en amour, en amitie y ou dans ce
desir pour des choses purement materielles, sont extremes; et je gage que,
tous , sijamais il s o nt r ef l e chi dans l eur s m o m ent s d e f e r-
v eur, quelle q u ’ ait et e l * 1 e s p e c e de l eur s desirs, ils s’ en sont
ressentis plus ou moins dans ces parties, oü Platon de ja
av ait place l e siege de l a c o n cup i s cenc ef
PSYCHOANALYTISCHE BEWEGUNG
Dr. Ferenczis Lehrtätigkeit im Ausland
Dr. S. Ferenczi, Präsident der Ungarischen Psychoanalytischen Vereini¬
gung, beendigte am 2. Juni 1927 seine achtmonatige Lehrtätigkeit in den
Vereinigten Staaten von Amerika. Die Einladung an ihn erging von der
New School for Social Research, einer unter Dr. Alwin J ohnson’s
Rektorat tätigen Schule. In dieser gab er in 18 Vorträgen eine zusammen¬
fassende Darstellung der Entwicklung und des heutigen Standes der Psycho¬
analyse. In 25 Seminarabenden lehrte er in der unlängst gegründeten Gruppe
amerikanischer Laienanalytiker. Zehn Seminarabende gab er einer aus etwa
20 Mitgliedern bestehenden Gruppe ärztlicher Psychoanalytiker. Die „New York
Society for Clinical Psychiatry“ lud ihn zum Halten der Eröffnungsrede der Jahres¬
sitzung ein. Der Vortrag („Gulliver Phantasies“) wird in dieser Zeitschrift
erscheinen. Dr. S a 1 m o n, Professor der Psychiatrie an der Columbia-Universität,
sowie Professoren der psychologischen Fakultät daselbst veranlaßten ihn, den
Universitätshörern Vorträge über die Analyse zu halten. Weitere Einzelvorträge
hielt er in der New York Psychiatric Society, in der Child Study Association,
sieben Vorträge in Washington den Mitgliedern der dortigen psychoanalytischen
Gruppe, einen in der Gesellschaft der Ärzte in Philadelphia, zwei dem Professoren¬
kollegium der Columbia-Universität, je einen in der Ungarischen Ärztevereinigung
von New York und in der Vereinigung für Soziale Arbeit. Dabei übte er
individuelle Lehrtätigkeit aus. Auf der Rückreise wurde er in London von
der British Psycho-Analytical Society empfangen; er hielt daselbst einen freien
Vortrag wie auch einen zweiten in der British Psychological Society über
Erziehungsfr^gen. Ein kurzer Besuch bei den führenden Mitgliedern der
Pariser und der Berliner Gruppe bildete den Abschluß seiner Auslandsreise.
2 3 <
336
Psydioanalytisdie Bewegung
Deutschland
Frau Dr. F. Lowtzky hielt auf Einladung der russischen Sektion des
„Internationalen Verbandes akademisch gebildeter Frauen“ in Berlin am
24. Juni 1927 einen Vortrag über die Psychoanalyse.
*
Zum ersten Vorsitzenden einer Berliner Gruppe der deutschen „Arbeits¬
gemeinschaft von Medizinern und Theologen“, die sich am 31. März d. J.
konstituierte und die sich zum Ziele setzt, die aus der Zusammenarbeit von
Psychotherapeuten und Seelsorgern sich ergebenden theoretischen Probleme und
praktischen Aufgaben zu bearbeiten, wurde ein Psychoanalytiker, Dr. M ü 11 e r-
Braunschweig, gewählt.
England
Frau Melanie Klein hielt am 23. März 1927 in der „British Psycho-
logical Society“ in London einen Vortrag über „Criminal tendencies in normal
children “.
Österreich
Im „Akademischen Verein für medizinische Psychologie" hielten über
Aufforderung vor einer zahlreichen studentischen Hörerschaft Dr. Paul
Federn einen zehnstündigen Kurs „Einführung in die Psychoanalyse" und
Dr. Wilhelm Reich einen zwanzigstündigen Kurs „Psychoanalytische Theorie
und Neurosenlehre". — Dr. Paul Federn sprach im Rahmen des Vereines
„Die Bereitschaft" über „Soziologie des Zölibats".
*
Anläßlich der 250. Wiederkehr des Todestages Spinozas hielt Dr. Karl
Gebhardt (Frankfurt a. M.) im Wiener jüdisch-akademischen Philosophen¬
verein einen Vortrag, in dem er auch der Beziehungen der Psychoanalyse
zu den Lehren Spinozas in ausgezeichneter Weise gedachte.
REFERATE
Aus den Grenzgebieten
Kern, Benno, und Schöne, Fritz: Sonderstellung gewisser
Farbtöne und Heilbehandlung von F ar bensch wache.
(Abhandl. a. d. Gebiete d. Psychotherapie u. med. Psychol., 2. Heft.)
Enke, Stuttgart, IQ25-
Diese fleißige und umsichtige Arbeit interessiert den Psychoanalytiker
insofern, als aus ihr ersichtlich wird, welche Schwierigkeiten einer physio¬
logischen Interpretation psychischer Phänomene auch in einem scheinbar so
durchsichtigen Gebiete wie das Farbensehen gegenüberstehen. Es müsse einer
entwicklungspsychologischen Interpretation nach dem Vorbilde
der Wun dt sehen Farbentheorie der Vorzug gegeben werden. Im Traume
eines gründlich untersuchten Farbenschwachen sollen die Farben eine ganz
geringe Rolle spielen; während zwei Jahren sollen nur drei Traumerlebnisse
mit deutlichen Farben erlebt worden sein. Leider werden die Trauminhalte
nicht mitgeteilt. Hermann (Budapest)
Henning, Hans: Psychologische Studien am Geruchs¬
sinn. (Handbudi d. biol. Arbeitsmethoden, Abt. VI, Teil A, Heft 50
Urban und Sdiwarzenberg, 1926.
Die Darstellung des Gegenstandes findet man hier, dem knapperen Umfange
entsprechend, geschlossener als im Handbuch des Verfassers (Besprechung
s. „Imago“, XI, S. 191). Die Methodik der Untersuchungen wird auch hier
anschaulich vorgeführt, ebenso werden viele psychische Eigentümlichkeiten des
Geruchssinnes lehrreich besprochen. So sollen hier negative Nachbilder noch
gänzlich fehlen, die Metamorphose vom eidetischen in den erwachsenen
Habitus, welche beim Gesichtssinn vor der Pubertät eintritt, wird also hier
nicht durchgemacht. Auch die Geruchsnamen verraten eine primitivere
Stufe, indem sie unübertragbar an ihren individuellen Geruchsobjekten haften.
338
Referate
Der Geruchssinn wird unbestreitbar als unser empfindlichster Sinn anerkannt
Erwähnenswert wäre, daß Fäkaliengerüche Mischungen die Qualität
des Schweren und Lastenden verleihen.
Durch ein möglichstes Meiden der Besprechung der sexuellen Bedeutung des
Geruchssinnes wird kein ganz korrektes Bild des Geruchslebens entworfen.
Die Ausarbeitung der riechanalogen Denk schritte, der Denkmethoden
des Riechens, wird nicht einmal versucht, die Unterscheidung von Gegeben-
heits- und Gegenstandsgerüchen ist nur ein allererster Anfang dazu. In der
Gefühlswirkung des Geruches wird das H i s t o r i s c h e, das ursprünglich
magische Verbot richtig hervorgehoben und auf die späteren Rationalisierungen
verwiesen. Ein psychoanalytisches Verständnis fehlt aber auch hier, z. B. bei
er Erklärung der ambivalenten Geruchswirkung der Bananen bei manchen
ern - Hermann (Budapest)
^ r j aUS t>^ r °^ ^ r "i .Allf e ™ eine und spezielle Pathologie
der Person, klinische Syzygiologie, besonderer Teil I: Tiefen¬
person. (253 S., Verlag Thieme, Leipzig, IQ2Ö.)
Das vorliegende Werk, das den zweiten Band einer „allgemeinen und
speziellen Pathologie der Person darstellt, verdient große Beachtung nicht
nur vom Somatologen, sondern auch vom Psychoanalytiker. Besonders wer
sich für die somatische Seite des Libidobegriffes und die organischen Grund¬
lagen des Affektlebens, die vegetativen Funktionen, interessiert, wird dieses
leider nicht leicht lesbare — Buch mit viel Gewinn studieren, obgleich
der Autor nur an einer einzigen Stelle auf die Freud sehe Trieblehre
zuruckkommt: „Der heute erfolgreichste medizinische Triebpsychologe
i>. Freud kommt übrigens am Ende selbst zum Schluß, daß die Triebe
und ihre Umwandlungen das letzte seien, was seine Psychoanalyse erkennen
kann. Ehe ,höheren Strebungen sollen auf die o r g an i s ch e Grundlage des
Charakters zurückgeführt werden und ihre Untersuchung der Biologie anheim-
fa len. Ich möchte aber glauben, daß das noch viel mehr für die ,Triebe“
gilt. (S. 4.)
Der neue, und wie dem Referenten scheinen will, höchst fruchtbare Kem-
gedanke des Werkes ist die Idee einer die „Tiefenperson“, den Kern des
Biosystems, ausmachenden „vegetativen Strömung“, als einer „schlecht-
™ V _ lta en ’ das tlefste Wesen des Menschen bildenden, spontan dranghaft
schöpferischen, primär angelegten, nicht erst reaktiv entstandenen innerlichen
Instanz. . (S. 5.) Hat man sich als Analytiker einmal mit dem Begriff einer
vegetativen Strömung befreundet, so erkennt man in ihr an den Funktionen
die der Autor ihr zuschreibt, unschwer einen Ausdruck dessen, was man in
der Psychoanalyse „somatische Libido“ nennt: „Hauptsache scheint mir die
orientiert angepaßte Fortführung des Lebens, die vegetative Strömung als
wahrer Hintergrund aller Reaktion und Entwicklung ... Im Biosystem der
Person selbst sehe ich ein Erregungssystem, eine relaisartige Auslöse¬
vorrichtung, einen auf Ladung (Arbeitsspeicherung) und Entladung
eingerichteten Apparat ... 8
Die „Nässetheorie des Lebens“, die der Autor mit einer Fülle von Belegen
aus den verschiedensten naturwissenschaftlichen Gebieten entwickelt, gehört
Referate
339
zu den interessantesten und einleuchtendsten Erörterungen auf biologischem
Gebiete. Die vegetative Strömung stellt eine Flüssigkeitsbewegung im Gewebe,
eine Wasserbewegung im Körper dar und ist abhängig teils von mecha¬
nischen, teils elektrolytischen Vorgängen im Protoplasma. Die Erörterung der
Elektronik im Biosystem nimmt den breitesten Raum ein. Durch die neu¬
artige Erörterung der antagonistischen Wirkungen, welche die K- und Ca-
Ionen haben, erscheint auch die Funktionsweise des vegetativen Systems in
neuem Lichte. Die vegetative Strömung enthüllt ihr Wesen am deutlichsten etwa
in der Protoplasmaströmung der Amöbe. Die Lokomotion der Amöbe hängt
mit dieser Protoplasmabewegung unmittelbar zusammen. Im Protoplasma sieht
man zwei Strömungen, eine innere und eine dieser entgegengesetzte äußere.
„Wird das bewegte Tier mit einem festen Gegenstand berührt, wenden sich
die inneren Strömungen davon ab. Manchmal kehrt eine Amöbe, wenn sie
mit einem festen Körper in Berührung tritt, nachher um und bewegt sich
gegen ihn.“ Wenn mehrere Pseudopodien ausgestreckt sind und ein Pseudo¬
podium mit etwas Festem in Berührung kommt, so stellt sich eine Proto¬
plasmaströmung in der Richtung des einen Pseudopodiums ein, während ie
anderen infolge abströmenden Plasmas eingezogen werden. Im menschlichen
Organismus zeigen am besten zwei Organe, die Lungen und das Herz, das
Verhalten des vegetativen Erregungsausgleichs. Das Vegetative arbeitet im
höheren Organismus im Gegensätze zu den animalischen Systemen durch
Erregungsausgleich; als Beispiel dafür führt der Autor die Funktionsweise
des sexuellen (genitalen) Systems an. Wir können leider in diesem Rahmen
eines kurzen Referats nicht auf Einzelheiten des Werkes eingehen. Es sollte
nur angedeutet werden, mit welchen Problemen es sich beschäftigt.
Mit den Ansichten des Autors über das Neurosenproblem sich auseinander¬
zusetzen, halten wir noch nicht für angebracht, weil uns der Kontakt seiner
physiologisch-biologischen Entdeckungen mit unserer psychologischen Forschung
noch nicht hergestellt scheint; wir vermeiden diese Auseinandersetzung sogar,
obgleich der Autor an einigen Stellen psychologische Probleme streift und,
wie uns scheint, sie in voreingenommen physiologischer Art betrachtet. Eine
genauere Bekanntschaft mit dem psychoanalytischen Libidobegriff hatte den
Autor gewiß vor einigen unrichtigen Behauptungen geschützt, ja, im Gegen¬
teil, sie hätte seine Entdeckung nur bereichert. W. Reich (Wien)
Hoffmann, Hermann: Das Problem des Charakter¬
aufbaues, seine Gestaltung durch die erbbiologische Personhch-
keitsanalyse. Berlin, Jul. Springer Verl., IQ2Ö.
Da alles Erworbene, also auch der Charakter, nur eine neue Ausprägung
der Konstitution ist, handelt es sich darum, in der Hülle des charakterologischen
Phänomens jeweils den vererbten Kern, das radikale Gen zu entdecken das
nun dadurch seine biologische Qualität zu erweisen hat, daß es im Charakter¬
ausdruck der Vorfahren gefunden wird. Es ist nicht anzunehmen, daß eine
charakterologische Einheit jeweils einem bestimmten Gen entspricht, sie
kann auch Ausdruck einer gelungenen Synthese aus verschiedenen Erbwurzeln
sein Andererseits wird eine Anzahl von einander unterscheidbarer Charakter¬
eigenschaften eine bestimmte Qualität dem gleichen Gen zu verdanken haben.
340
Referate
Die Erbeinheit selbst zu erfassen, kann natürlich auf dem Wege der Empirie
Ät 1 " “ ch ,h - häd ““-
Hoff mann schickt seiner eigentlichen Arbeit zwei Kapitel voraus in
denen er einen Überblick über die bisherigen Leistungen auf dem Gebiet’der
scEt P ihm°di Sle l der PSyCh °! 0gie d6S Charakteraufbaues gibt. Einmal
Es handelt^ T ’ TT daS ^Sprechendste Ausdruckmittel zu sein.
E handeh sich nicht darum, das beste System überhaupt herauszufinden, sondern
alle zu kennen, um gegebenenfalls das richtige oder die richtigen zu wählen: denn
DafSf T? dem Erbbiolo g en Ausdrucks- mittel bleiben.
durch p T Sr A ? aM umsichti S mit kritischer Zurückhaltung
ffit Smmt k? T f T* f ° lgendeS: ” Die individuelle Person
zustande “ Ne in k n eSW F f TT , S™ 6 der S e S ebenen Einzelanlagen
tande. „Nein! Die Einzelanlagen, die biologischen Anlageelemente stehen
jeweils in ganz bestimmten strukturellen Beziehungen zu einander “ Ja jede
einzelne Charakteranlage repräsentiert eine gewisfe ,Kraft“, “e ist ein <W
mischer Art“ (Die ^ *** Ankgen ZU einander sind d yna-
mischer Art („Die ganze Betrachtungsweise läuft auf eine psychodynamische
Vererbungslehre heraus.“) Es handelt sich also nicht um ein Nebene”er
öknu 6 ™- r n, ” Mehrdimen si°nalität“ des Charakters, bei der die
Ökonomischen Verhältnisse ausschlaggebend sind.
Dort z - B., wo starke Charakterantinomien vorhanden sind, kann bei Ver-
an erung er Lebensumstände ganz unerwartet eine vorher nicht zu
stimmende Charakterveränderung reaktiv eintreten, andere Eigenschaften
übernehmen die Führung, es findet eine „Strukturverschiebung“ S statt, eine
Ökonomische Verlagerung. „Je widerspruchsvoller ein Charakter aufgebaut ist
desto enger sind seine Beziehungen zur Psychopathologie. Darin stimmen z ß’
auch die Psychopathen und die genialen Persönlichkeiten überein, daß ihre
Äf !romlt e Tr P stehen. So müssen wir denn
em Moment der Psychopathogenese in der sogenannten ,Keimfeindschaft‘
der AnWen^bJ 1 ht”“ I T T ^ SOndern aucb auf die Intensität
u f b ® zleht Auch endogene Strukturverschiebungen, wie sie in jeder
menschlichen Entwicklung zu beobachten sind, lassen einmal diese einmal
jene Charaktereigentumlichkeiten hervortreten.
Von psychoanalytischer Seite darf vielleicht betont werden, daß die
kranken daß süTni h^ T^ V T •S e2WUn S en ist > Gesamt daran
ranken, daß sie nicht berücksichtigen, was am charakterologischen Phänomen
Anlage, was erworbene Modifikation derselben ist. Die Erblichkeitsforschung
wird einen nicht unbedeutenden Schritt vorwärts tun können, wenn erst die
Möglichkeit besteht, die psychoanalytischen Erfahrungen mitzuverwerten Das
psychoanalytische Arbeüsprinzip, charakterologische Eigenschaften soweit wie
wird dieT V T C T , ( “ fantilen) Erfahrungen und Eindrücken zu erklären,
her förd TT bl ° l0glSchen Charakterkerns von einer neuen Seite
her fordern. Andererseits mag uns Hoffmanns Arbeit anregen unser
ugenmerk mehr als bisher der Erbanlage zuzuwenden. Der phylogenetische
immerhin^ au T “f ~ ÄS
ExStu W*““ 1 )'“«''“ S«>>« !■« nri, wissenschaftlicher
Bally (Berlin)
Referate
341
Mette, Alexander: Dionysische Perspektive. Dion.-Verl,
Dessau, 1926 .
Auf 15 Seiten wird nicht wenig geistreich versucht, die kulturellen
Strömungen, aus denen die geistige Gegenwart entstand, in ihrem sinnvollen
Zusammenspiel zu sehen. Das geschieht auch hier, wie in all diesen mehr
anregenden als belehrenden Versuchen, nicht ohne der einen oder anderen
Erscheinung Gewalt anzutun. B a 11 y (Berlin)
Aschner: Gynäkologie und innere Sekretion. Rudolf
Novak & Co., Budapest-Leipzig, 1927 .
Der Autor weist darauf hin, daß die Lehre von der inneren Sekretion in
den letzten Jahren insofern eine Wandlung erfahren hat, als man die letzten
Ursachen für innersekretorische Störungen nicht mehr einseitig in Ver¬
änderungen der betreffenden Drüsen selbst sucht, sondern immer mehr die
Abhängigkeit erkennt, in der die Drüsentätigkeit von Konstitution, Stoff¬
wechsel und Zentralnervensystem steht. Diese Korrelation und ihre Bedeutung
für die Therapie führt der Autor dann speziell für das Gebiet der Gynäkologie
aus. Er zeigt also etwa, wie menstruelle Störungen zwar abhängig sind von
der Funktion des Ovariums, wie aber die ovarielle Tätigkeit ihrerseits in
engster Wechselbeziehung steht zu anderen Organfunktionen und zu nervösen
Einflüssen.
Diese Zusammenhänge sind auch für den Analytiker von Interesse. Wenn
auch in der vorliegenden Arbeit seelische Einflüsse hur an vierter oder fünfter
Stelle, etwa neben Obstipation und sitzender Lebensweise, erwähnt sind, so
ermöglicht uns, die wir die Bedeutung seelischer Faktoren kennen, die Dar¬
stellung dieser Zusammenhänge ein besseres Verständnis für die Wege, auf
denen seelische Störungen zu funktionellen Organstörungen führen können.
Das ist zunächst nur ein theoretischer Gewinn, aber es bleibt ja abzuwarten,
wie weit derartige Kenntnisse sich nicht auch einmal in einer kombinierten
Therapie der Organneurosen auswirken könnten. H o r n e y (Berlin)
Die Medizin der Gegenwart in Selbstdarstellungen.
Herausgegeben von Prof. Dr. L. R. Grothe, 5« Rand, Verlag
von Felix Meiner, Leipzig, IQ25-
Der fünfte Band enthält die Selbstdarstellungen des Chirurgen Braun
(Zwickau), des Neurologen Henschen (Stockholm), des Ophthalmologen
Peters (Rostock), des Neurohistologen Ramon y Cajal, des Internisten
Sahli (Bern). Reizvoll ist auch wieder in diesem Band das Zusammenspiel
des Persönlichen und des Werkes. Den Leser wird es interessieren, wenn er
von dem Chirurgen Braun vernimmt, wie dieser frühzeitig die Eltern ver¬
liert, von zwei Verwandten mehr verzogen als erzogen wird, sich bald als
Alleinherrscher im Hause fühlt, einen unbezähmbaren Freiheitsdrang zeigt, ein
schlechter Schüler ist, die Musik liebt und nur auf Anraten von Verwandten
Medizin studiert. Der Psychologe mag fragen: Besteht zwischen dieser Kindheits¬
geschichte und dem Umstand, daß Braun sich der Chirurgie zuwandte und
sich in der überwiegenden Zahl seiner Untersuchungen mit den Methoden
der Narkotisierung und Anästhisierung beschäftigte, ein Zusammenhang?
342
Referate
Der Schwede Henschen verweigert die Konfirmation, den Studenten-
und Ärzteeid, und wird dadurch indirekt der Anreger einer liberalen Reform,
durch die der Studenten- und Ärzteeid abgeschafft und die Konfirmation nicht
mehr als Bedingung für eine spätere Trauung verlangt wird. Interessant ist
es, von ihm zu hören, daß ihn „das Studium über die Sehbahn und das
Sehzentrum während etwa dreißig Jahren interessiert und einen wesentlichen
Teil seines Lebens in Anspruch genommen hat“.
Ramon y Cajal kämpft von früher Kindheit an einen hartnäckigen
Kampf mit seinem Vater, der, selber Arzt, ihn durchaus auch zum Arzt
machen will, während der Sohn von einer leidenschaftlichen Liebe zum
Zeichnen und Malen beherrscht ist. Er muß seinem Vater schließlich nach¬
geben, studiert Medizin, aber seine zeichnerische Begabung kehrt auch hier,
aus der Verdrängung sozusagen, wieder: er wird der Begründer der spanischen
Histologie, speziell der des Nervensystems.
Die oft beobachtete Erscheinung, daß gerade unter den Medizinern sehr
viele eine besondere Neigung und Begabung für die Musik besitzen, läßt sich
auch wieder durch diesen Band bestätigen. Braun komponiert, Henschen
singt (er ist vor seiner Studienzeit verschiedene Male als Konzertsänger auf¬
getreten), Peters und Sahli haben eine besondere Liebe zur Musik.
Müller-Braunschweig (Berlin)
Pear 1, Raymond: The Biology of Death. Lippincott, London.
Dieses Buch, von einem der führenden Männer der Wissenschaft in Amerika
geschrieben, ist von großer Bedeutung und sehr interessant. Wir erwähnen es
hier, weil sehr viel darin Zusammenhänge mit Freuds späteren Arbeiten,
besonders mit seinem „Jenseits des Lustprinzips“, aufweist. Wer sich an die
Stellen erinnert, wo von der potentiellen Unsterblichkeit die Rede ist, wird mit
Interesse hören, daß Professor Pearl nach sorgfältiger Würdigung aller
Argumente im Gegensatz zu Freud zu dem endgültigen Schluß gelangt, daß
alle einzelligen Organismen unsterblich sind. Dasselbe gilt natürlich für die
Keimzellen vielzelliger Lebewesen, und die letzte Arbeit von Carrel will
offenbar beweisen, daß auch die somatischen Zellen vielzelliger Organismen
an sich unsterblich sind und diese Eigenschaft nur durch die Einfügung in
den Verband des vielzelligen Organismus verlieren. Das Todesphänomen ist
daher in keinem Sinn Grundbedingung für vitale Organismen, sondern ist erst
in einer verhältnismäßig späten Entwicklungsstufe aufgetreten.
Aus der Reihe der anderen interessanten Ergebnisse Professor Pearls
wählen wir die folgenden aus: Die Sterbeziffer der Säuglinge hat stark
selektiven Charakter, so daß die unterschiedslose Lebenserhaltung in diesem
Alter geringere Durchschnittslebensdauer der späteren erwachsenen Bevölkerung
bewirkt. Die aus früheren Geschichtsperioden, selbst einschließlich der der
alten Ägypter, gesammelten Beispiele zeigen eindeutig, daß die Lebensaussichten
im mittleren Alter heute bedeutend geringer sind als früher, wohingegen
die Lebensaussichten bei der Geburt in sehr hohem Maße zugenommen haben.
An Hand eines ungeheuren Tatsachenmaterials zeigt Professor Pearl, daß
die wirklichen Todesursachen nicht vom bloßen Zufall diktiert sind, sondern
im großen und ganzen bestimmten Gesetzen unterliegen. So sterben bis zum
Referate
343
Alter von fünfzig Jahren mehr Leute infolge von Erkrankungen des Respirations¬
traktes als irgendeines anderen Systems. Nach diesem Alter spielt das Herz
die Rolle, die früher von den Lungen eingenommen wurde. Die Nieren
stehen in dieser Hinsicht an dritter. Stelle. Bei einer Einteilung des
Materials mit Rücksicht auf die affizierbarste Schichte des Embryos kommt
er zu dem Ergebnis, daß das Endoderm die verletzlichste, das Ektoderm die
relativ unempfindlichste Schichte darstellt. Dies hängt mit dem Umstand
zusammen, daß das Endoderm die geringsten Anpassungsumwandlungen im
Laufe der Entwicklung durchgemacht hat. Professor Pearl bestätigt die
Resultate, zu denen die früheren Autoren gekommen waren, daß die
Heredität den wichtigsten Faktor zur Determinierung der Lebensdauer dar¬
stelle. Er stellt die Hypothese auf, daß durch die Erbfaktoren das Ausmaß
an Lebensenergie bestimmt sei, mit dem das Individuum seine Existenz
beginnt, während die Umgebung die Lebensdauer hauptsächlich beeinträchtigt,
indem sie das Maß der Energieausgabe bestimmt; grob ausgedrückt also: Je
tätiger die Umwandlungen, desto kürzer das Leben.
Das letzte Kapitel des Buches behandelt den Malthusianismus und das
Bevölkerungsproblem. Diese sind in sehr neuartiger und systematischer Form
dargestellt. Jones (London)
Aus der p s y ch ia tr is ch-n eu ro 1 o gis chen Literatur
Lange, Doz. Dr., L: Die Paranoiafrage (Handbuch für
Psychiatrie, Deuticke, 1927)-
Der Autor bemüht sich in dieser 50 Seiten starken Broschüre redlich,
Ordnung in das verworrene Problem der Paranoia vom psychiatrisch-
klassifikatorischen Standpunkt aus zu bringen, was ihm aber — ohne seine
Schuld — nicht recht gelingen will. Man beendet die Lektüre verwirrter,
als man sie begann. Die Ansichten von nicht weniger als 117 Autoren
werden hier einander gegenübergestellt und kaum zwei Autoren sind sich
über Grundsätzliches einig. Ein Referat ist einfach technisch unmöglich. Es
wimmelt von weltfremdem psychiatrischem Jargon (S. 6): „Die Paranoia
erscheint so als eine Ausdrucksform der Entartung, wobei nur oder doch
ganz vorwiegend innere Ursachen maßgebend sind“; . .. „folgerichtige Ent¬
wicklung einer abnorm veranlagten Persönlichkeit“ . . . „Verirrung der Ent¬
wicklung bestimmter Degenerationsformen“ . . . „Mißentwicklung einer
krankhaften Anlage“ . . . „natürliche Umwandlungen, denen eine psychische
Mißbildung unter dem Einfluß der Lebensreize unterliegt“ ... u. s. f.
Nicht daß diese 117 Forscher über die Paranoia so wenig Wesentliches
sagen konnten, sondern daß man glaubt, mit Begriffen wie „Verschiebung
der seelischen Gleichgewichtsverhältnisse“, „Mißbildung“, „innere Ursachen“,
„psychogen“ usw. reale Tatbestände zu treffen, ist das Tragische an der
offiziellen Psychiatrie. Freilich bewundern wir das Kunststück — wenn wir
es auch begreifen —, für die Annahme Freuds von verdrängter Homo¬
sexualität bei der Paranoia „keinen Anhaltspunkt“ (S. 42) zu finden.
W. Reich (Wien)
344
Referate
Schneider, Prof. Dr., Kurt: Die abnormen seelischen
Reaktionen (Handbudi der Psychiatrie, Deutidke, 1927 ).
Bei aller Anerkennung der Verdienste, die sich die klassifizierende
Psychiatrie bei der Abgrenzung von Zustandsbildern erworben hat, muß
man staunen, wie wenig den Autoren, die die ursprünglich wertvolle Arbeit
Kraepelins fortsetzen, die Fruchtlosigkeit ihrer endlosen Klassifikationen
bewußt wird. Die Oberflächlichkeit dieser Arbeit, die vorwiegend darin
besteht, daß Klassifizierungsergebnisse anderer Autoren wieder klassifiziert werden,
daß man endlos Meinungen und Ansichten wiedergibt, eine vager und der
Wirklichkeit fremder als die andere, kann man sehen, wenn die Autoren
sich mit Problemen befassen, die dem Psychoanalytiker geläufig sind, also
etwa mit der Angst (S. 15): „Daß manche Formen des Pavor nocturnus,
dessen Literatur man bei Epstein findet, auf . . . Reaktionen auf nicht
bewußte Traumerlebnisse . . . zurückgehen, dürfte am wenigsten Widerspruch
finden, wenn man auch die mitwirkende Rolle von adenoiden Vegetationen,
^199°^ ^ e ^ n ^ erun £ der Atmung zu einer Kohlensäureintoxikation führen
(Rey ), für das Da-sein mancher Fälle, namentlich kindlichen Pavors,
nicht leugnen wird. Die Angstneurose gehe namentlich auf schuldhafte
Erlebnisse zurück. Dann heißt es wieder: „Bekanntlich hat dann Freud...
die sexuelle Ätiologie der Angstneurose vertreten. Im einzelnen war seine
Deutung eine schwankende: teils hat er den Ursprung der Angst im
Geburtsakt, teils in Sexualscheu und unbefriedigter Sexualität gesehen . . .
Ganz neuerdings hat Freud seine Anschauungen über die Angst wieder
gewandelt und in seine Metapsychologie vom ,Ich und Es' eingebaut.“
Auf 34 Seiten werden in dieser Art die Ergebnisse von 271 (!) zum
Teil sehr umfangreichen Arbeiten und Büchern kritisch zusammengestellt.
Der Nutzen ist fraglich und wiegt keineswegs die Verwirrung auf, die
gestiftet wurde. W. Reich (Wien)
Blühe r, Hans: Traktat über die Heilkunde, ins¬
besondere die Neurosenlehre (Diederidis, IQ2Ö).
Man braucht, ja man kann mit diesem Buche vielleicht nicht einverstanden
sein, und muß doch einräumen, daß Blüh er an viele wunde Stellen der heutigen
Medizin gerührt hat. Er kritisiert die Verquickung der Heilwissenschaft mit
d em »großen Hexensabbat der Heilmittelindustrie“, die Massenproduktion von
Ärzten, unter denen die wenigsten „berufen“ sind, er zeigt, daß der Fortschritt,
der durch wunderbare Apparate erzielt wurde, wettgemacht wurde durch den
Verlust des »Fingerspitzengefühls , das den alten berufenen Arzt auszeichnete.
Diese Kritik der amerikanisierten Medizin wäre vielleicht noch weit
fruchtbarer ausgefallen, hätte B 1 ü h e r nicht recht merkwürdige Konsequenzen
aus den schwachen Seiten der Heilkunde gezogen. Er verherrlicht nämlich
die Alchimie gegenüber der Chemie, die Astrologie gegenüber der Astronomie,
die Priestermedizin gegenüber der naturwissenschaftlichen Medizin. Hier ist
Blüh er schwer anzugreifen, denn er verurteilt auf den anderen Seiten
wieder die Alchimisten und Astrologen, ohne aber je seinen Standpunkt
gegenüber den Geheimwissenschaften klar zu präzisieren.
Man muß an dem Buche aussetzen, daß dort, wo der Autor den Boden
Referate
345
sachlicher Kritik verläßt, und insbesondere dort, wo er schöpferisch Neues
geben will, sich die Diktion in unklare, teilweise mysteriöse Undeutlichkeiten
verliert; an manchen Stellen scheint der Autor selbst das Unzulängliche
seiner Beweisführung zu spüren und flüchtet dann zu der Auskunft aller
derjenigen, die für die allein seligmachende Intuition eintreten. So ungefähr:
„Wer das nicht von selbst versteht, dem ist nicht zu helfen.“
Aber trotz der sehr dunklen und sehr bedenklichen Mystizismen, denen
der Autor unterliegt, strahlt aus dem Buche doch ein ehrliches, wahres
Wollen. Deshalb, und weil das Buch in der Hauptsache der Psychoanalyse
gilt, wollen wir uns ausführlicher mit einzelnen Punkten seiner Polemik
befassen.
Nachdem der Autor ausgeführt hat, wie und warum sich die Medizin in
einer schweren Krise befindet, und daß nur mehr die Naturärzte die verloren
gehende Kraft der Medizin restituieren könnten, versucht er zu zeigen, daß
der uralte Kampf zwischen Priestermedizin und hippokratischer Heilkunde
noch heute andauere als Kampf zwischen Schäferärzten, Wunderdoktoren
und der „geschlossenen Kaste der Ärzte“. Der wahre Arzt sei eben nur der
„homo religiosus“; das sei nicht derjenige, „der edle Gefühle über Gott
hat . . sondern jemand, der dem Wissen und der Kraft nach über
Verbindungen verfügt, die anderen Menschen fehlen. Daher sind ihm
bestimmte Aufgaben von der Natur zugeteilt, die er erfüllt, ohne das
geringste davon verlauten zu lassen, die aber ganz gewiß kein anderer erfüllen, ja
auch nur begreifen kann“. (S. 23.) So sei die Homöopathie „eine reine und
hochstrebende Medizin, die im Vergleich zu der meist völlig ratlosen
allopathisch-toxischen die erstaunlichsten Erfolge zeitigt. Aber diese Erfolge
sind nur gesichert in der Hand von Ärzten, die zugleich hochgebildet sind
und jenen ureigenen Anschluß an die Natur besitzen, der es ihnen erlaubt,
den ganzen Menschen zu überblicken. Das ,Dirigieren 4 der Salze wird eben
vom Himmel geschenkt und läßt sich nicht in feste Dosierungen pro
Krankheit niederlegen“. Was in jedem einzelnen Falle zu geschehen hat,
kann nur ein Arzt „von Gottes Gnaden“ entscheiden. (S. 21.)
Die Kritik der Psychoanalyse beginnt mit der Feststellung, daß die
Neurosen eigentlich „heilige Krankheiten“ seien; schon Hippokrates habe
die Heilung der Neurosen außerhalb der Medizin gestellt und sie den
Priestern überlassen.
Dann folgt der Vorwurf, daß sich diese Psychologie, die „wirklich als
Wissenschaft auftreten kann, vom Beginn ihres Siegeszuges an mit Einsichten
gebrüstet (hat), die, wäre auch nur eine Spur von Wahrheit daran, allerdings
die sofortige Gründung einer neuen Religion zum Gefolge gehabt hätte.
Die Psychologie behauptet nämlich, sie hätte die ,Tiefen der Seele 4 erforscht.
Wir werden bald erfahren, was es mit dieser ,Tiefe’ auf sich hat“. (S. 31.)
Dann erfahren wir, daß die Psychoanalyse irregeführt habe — wen
und worin, ist schwer, aber doch zu erraten — und daß sie ihre „riesen¬
hafte Popularität" ihren Denkfehlern verdanke. Es könne — meint der
Autor — nicht erörtert werden, inwieweit Freud selbst an diesen
Irreführungen beteiligt sei. „Bei einem bedeutenden Manne kann man nie
feststellen, wie weit er sich und sein Werk ernst nimmt.“ Die Denkfehler
der PsA. seien so verborgen gelagert, „daß zu ihrer Entlarvung höchste
346
Referate
philosophische Kritik erforderlich ist“. (S. 32.) Das kommt davon, wenn
man von einer Wissenschaft etwas erwartet hat, was sie nie geben konnte
noch zu geben beabsichtigte, nämlich eine neue Religion. Die Enttäuschung
an dieser Wissenschaft — der Autor nennt sie „Irreführung“ durch die
Wissenschaft — ist unausbleiblich, und da man — wie sein Buch über
„die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft“ zeigt — einmal
an diese Wissenschaft geglaubt hat, muß man jetzt „höchste philosophische
Kritik aufwenden, um sich von ihren „Denkfehlern“ zu befreien. Aber
nicht nur von ihren Denkfehlern, auch von ihr selbst wird die Befreiung
angestrebt. Sehen wir zu, wie das geschieht.
Der Autor macht der Wissenschaft im allgemeinen und der Psychoanalyse
im besonderen den Vorwurf, daß man geteilt werde in Psychisches und
Physisches, beide gleich weit entfernt „von Mir“, daß keines vor dem
anderen einen Vorzug hat, daß es innerhalb der Gebiete dieser beiden nichts
Heiliges, nichts Verruchtes, nichts Hohes und Niederes und „nur“ in
bestimmtem Sinne # Tiefenschichten gibt. (S. 33/34.) Im Physischen und
Psychischen „zeige sich nur die Krankheit, „krank ist immer Man selbst“.
Wir beginnen zu verstehen, daß der Autor nicht einverstanden ist damit,
daß die Wissenschaft nur Erscheinungen beschreibt und erklärt, ohne sich
darum zu kümmern, ob etwas hoch oder niedrig, verrückt oder heilig ist. Er
beansprucht den homo religiosus in der res religiosa, das Vordringen zu
jenem Kern der Persönlichkeit, der ein Teil des Kosmos ist. Und „der Kranke
weiß, daß seine Krankheit eine fürstliche Majestät ist, die nichts mit den
Dingen zu tun hat, die der Psychologe da aus ihm herausholt“. Wir können
uns nicht ein Urteil darüber anmaßen, ob die Krankheit fürstlich ist,
erinnern uns aber an manche Analysanden, die ähnlich sprechen, wenn die
ganze Wucht der analytischen Erkenntnis um die Alltäglichkeit ihrer Wünsche
auf sie eindringt und sie ihren Narzißmus zusammenbrechen sehen.
Bald merken wir auch, warum der Autor so sehr kritisierend betont, daß
die wissenschaftlich-klassifizierenden Begriffe „nur“ Produkte der Wissenschaft
sind: „Sexualität“ (d. h. der Begriff) sei etwas Künstliches und „soll (!) auch
so sein“, „denn die ganze Wissenschaft ist künstlich“. „Ein der ,Sexualität'
entsprechender Vorgang kommt in der Natur nicht vor, ebensowenig wie die
Lichtstrahlen.“
Wenn es also der „Sexualität“ Entsprechendes nicht gibt: Was denn sonst?
Dazu meint der Autor, wieder unklar und ironisch werdend: „Das Ereignis,
das hier angeredet ist, hat stets Hintergründe (?), von denen es begleitet
wird, so notwendig, wie der Schatten den Körper begleitet, und diese geben
ihm erst die eigentliche Wucht, durch die er berühmt geworden ist. Da
mit diesen Hintergründen (dem Regierenden) die moderne Wissenschaft nichts
anzufangen weiß (denn sie ist eine Wissenschaft für Alle), so entzieht sie
dem Phänomen ein bestimmtes Eliminat . . . und arbeitet nur mit ihm.
Das ist folgerichtig, exakt und bewundernswert. Freud hat hier das
unzweifelhafte volle Primat über alle anderen Psychologen. Es gibt niemand
der ihm gleicht“ (S. 34).
In der folgenden knappen Darstellung der F r e u d sehen grundsätzlichen
Theorien zeigt der Autor wieder, wie glänzend er Freud verstanden hat;
da aber der Autor der Wissenschaft jeden Erkenntniswert abspricht, wundert
Referate
347
es uns nicht, bald darauf wieder zu hören, daß der Freud sehe Begriff der
Sexualität das „Ereignis“ Geschlechtlichkeit oder Liebe nicht trifft. Dieser
Begriff sei ein „Eliminat“. Wir verstehen Blüh er wohl richtig, wenn wir
annehmen, daß er den Begriff Sexualität etwa dem Digitalispulver gleichsetzt,
das das Phänomen „Fingerhut“ „nicht trifft“. Gewiß, das ist richtig. Unsere
wissenschaftlichen Begriffe (Energie, Elektron, Libido, Verdrängung, Un¬
bewußtes usw.) entfernen sich von der wirklichen Erscheinung und bringen
das lebendig Fließende zum Erstarren, aber nur um sie desto besser über¬
blicken, desto sicherer fassen zu können. Würden wir nicht die „Libido“ aus
dem gewissen „Ereignis“ mit den „Hintergründen“, das Digitalispräparat
aus dem „Ereignis Fingerhut“ eliminieren, es bliebe beim Schattenhaften,
wir könnten weder Neurosen noch eine Herzdekompensation beherrschen. Das
ist ja der Vorteil der wirklichkeitsfernen Distanzierung durch wissenschaftliche
Begriffe gegenüber dem „Nur-Versinken im Kosmos“. Wir müssen feststellen,
daß uns Blüh er alle diese Vorteile — seiner Ansicht nach die Nachteile
— nehmen will, ohne uns geeigneten Ersatz zu geben. Und wir begreifen
völlig, wo die ganze Polemik hinaus will, wenn Blüh er auf S. 39 schreibt:
„Wie, wenn das ganze, von der Wissenschaft als ,Sexualität angeredete
Phänomen arrangiert wäre, d. h. geleitet von Mächten des Hintergrundes
und der Tiefe, eben jenen Mächten, die allein dem menschlichen Dasein
einen Sinn verleihen, die aber niemals Gegenstand irgendeiner Wissenschaft
zweiten Ranges, wie der Psychologie, sein können . . .?“
Wir gehen ohne weiteres zu, ja wir „fühlen“ mit Blüh er die „Hinter¬
gründe und Tiefen“ — aber wie zu ihnen gelangen? Wir hätten Blüh er
die volle Berechtigung zugeschrieben, sich in so erhabener Weise über die
„Wissenschaften zweiten Grades“ hinwegzusetzen, weil sie zu den „Hinter¬
gründen“ nicht gelangen könnten, wenn er uns einen solchen Weg gezeigt
hätte. Wir besorgen, es wird dabei bleiben, daß die Geologen das Erdinnere
wohl beschreiben können, ohne je hingelangen zu können, wie die Psycho¬
analytiker die Vorgänge im Unbewußten genau beschreiben, ohne es je zu
sehen. Freilich, das Leben in uns fühlen wir genau so wie B 1 ü h e r. Ob er
mehr darüber auszusagen weiß als der Biologe und der Psychoanalytiker . . .?
In diesem Buche verspricht er es nur immer wieder.
Er mahnt uns, nicht zu vergessen, daß die Psychoanalyse keine Theorie
der Neurosen gibt, sondern nur eine Theorie über ihr „psychisches Terrain 1 .
Dieser Mahnung bedurfte es gar nicht, denn das, was Blüh er unter Neurosen¬
theorie versteht, zu geben, hat sich die Psychoanalyse nie angemaßt.
Und wieder läßt Blüh er die Neurose in jenes mystische Dunkel ver¬
sinken, aus dem sie Freud zum Teil herausgerissen hat: „Die Neurose
spielt sich auf einer so (oder anders) verwandelten psychischen Schicht ab (?).
Darum ist es auch verfänglich, vom ,Ursprung der Neurose* zu reden und
ihn in die Kindheit zu verlegen. Die infantilen Komplexe können die Neurose
auffangen und festhalten, aber sie brauchen es nicht. Wenn sie sich aber
festgefangen haben, so findet man ihre erste Spur in der Kindheit. Also nicht
die infantile Sexualität, schlecht verdrängt, produziert die Neurose, sie
bereitet das psychische Terrain für sie, so daß sie sich darauf niederlassen
kann — wenn sie will. Es kann sich aber auch etwas ganz anderes nieder¬
lassen — wenn es will“. Naturwissenschaftlich gesprochen, meint der Autor,
348
Referate
daß noch ein Drittes mitspielen müsse, ob sich aus den infantilen Komplexen
eine Neurose oder etwa ein dichterisches Talent entwickelt, und tut so, als ob
er bereits dieses unbekannte Dritte entdeckt hätte, auf dessen Suche sich die
verlästerte Wissenschaft ehrlich abquält.
Nachdem uns der Autor neuerdings verspricht, bald zu zeigen, was „dieses
Andere ist und was es mit der „heiligen Krankheit“ auf sich hat, weist er
nach, was eigentlich nach dem Vorangegangenen selbstverständlich ist, daß
die Psychoanalyse nicht das den Neurosen adäquate Heilmittel sei. Dann
aber folgt der Vorwurf, daß die Psychoanalyse in der breitesten Öffent¬
lichkeit arbeite, im Gegensätze etwa zur Serotherapie, und dauernd einen
„seltsamen Stab von halbstudierten Schöngeistern aufrufe“, was nicht für die
Vervollkommnung der Methode spreche. Der Autor weiß anscheinend nicht,
daß die Freudsche Schule nichts mit der breiten Öffentlichkeit zu tun hat
und leider gegen den Mißbrauch des Namens ihrer Methode kein Mittel zur
Verfügung hat.
Aber nun folgt der eigentliche Schlag gegen die Psychoanalyse. Sie maße
sich zu Unrecht an, eine „Tiefenpsychologie“ zu sein. Und dies, obgleich der
Autor richtig erfaßt, daß der Begriff Tiefenpsychologie aus der Vorstellung
einer seelischen Topik stammt; er vergleicht ja auch die Psychoanalyse mit
der Geologie. „Die Tiefenschichten der Erde und die Tiefenschichten des
Psychischen (der vorgeblichen Seele) haben dieselbe Art von historischer
Abgeschlossenheit voneinander, Durchdringung und Lagerung; auch die
Beziehung zur Oberfläche, also zum Bewußtsein, ist eine weitgehend ähnliche.
Der Baum ist verwurzelt in der historisch gewordenen Ackerkrume und das
menschliche Tun (und Leiden) ist verwurzelt in den verdrängten Trieb¬
regungen des Unbewußten. Will man also das alles als ,tief‘ bezeichnen so
ist die Psychoanalyse tief, so und nicht anders.“ (S. 42/43.) Ja, wann
hat jemand behauptet, daß die Psychoanalyse nicht so, sondern „anders tief“
sei ? Wogegen polemisiert B1 ü h e r? Hätte er nicht seinerzeit geglaubt, daß
die PsA. „anders tief sei, dieser Konflikt wäre ihm erspart geblieben.
Trotz aller Unklarheiten und Verschwommenheiten in der Darstellung ver¬
stehen wir doch schließlich, was „anders tief“ bedeutet. Er sagt, die Erde
z. B sei trotz aller Messungen ein Geheimnis geblieben, bis sie sich Lionardo
da Vinci „in anschaulicher Weise aussprach und ihn langsam in ihr durchaus
unergründliches Geheimnis einlud. Lionardo war den Erdkräften ausgesetzt“,
und das Geheimnis ? Lionardo spricht — meint der Autor — nicht in
Bildern, sondern meint die Sache selbst, wenn er über die Erde sagt (S. 44):
„Wenn der Mensch in sich Knochen hat, Stützen und Armatur des Fleisches
die Welt hat das Gestein, Stützen der Erde; wenn der Mensch in sich
den See des Blutes hat, wo die Lunge im Atmen wächst und abnimmt, der
Körper der Erde hat sein ozeanisches Meer, das . . . wächst und abnimmt
alle sechs Stunden, beim Atmen der Welt.“ Den Beweis, daß Lionardo hier
„die Sache selbst und nicht nur ein Gleichnis meint, bleibt uns Blüh er
schuldig. Bluher scheint die „Evidenz des intuitiven Erlebens“ zu genügen,
wie es etwa von B e r g s o n verstanden wurde (den er übrigens nicht erwähnt).
Ob das intuitive Erlebnis aber die Sache trifft oder einer symbolischen
jrojektion entstammt, wie das im Beispiel des Lionardo (Erde = Mutter
— atmendes Wesen) vorzuliegen scheint, bleibt unentschieden.
Referate
349
Die Neurose kommt also aus den „ Tiefen “ im Sinne Blühers und sei
deshalb als heilig zu bezeichnen. Sie habe nämlich mit menschlichem Handeln
zu tun, wobei Tun = Leiden sei, und „das menschliche Handeln ist tief
und nicht psychologisch. Das menschliche Handeln hat eine Dimension mehr
als die Psychologie, will sagen, an ihm ist der Kosmos beteiligt" (S. 47).
Und schließlich läuft alles darauf hinaus, daß es doch Freiheit gäbe,
trotz der Determiniertheit des seelischen Geschehens. B 1 ü h e r hat sich also
aus der Zwangsjacke „Determinierung“ befreit — und wir zweifeln nicht
mehr daran, daß dieses Buch, das eigentlich „Traktat über die Psychoanalyse
heißen sollte, eine Tat der Befreiung war — aus den beengenden Fesseln
der „Wissenschaften II. Grades“ im allgemeinen, der Psychoanalyse im
besonderen.
Wir waren es dem Autor der „Rolle der Erotik“ schuldig, uns mit seiner
Kritik der Psychoanalyse ausführlich zu befassen, müssen es uns aber ver¬
sagen, auch noch auf das näher einzugehen, was er über Neurose und
Schuld und über Ethik und Metaphysik als Wissenschaften sagt. Vieles daraus
klingt uns bekannt, anderes ist zu problematisch, als daß ihm eine kritische
Buchbesprechung gerecht würde. — Wir empfehlen das interessante Buch
dringend zur Lektüre. Vielleicht daß es den allzusehr an die Intuition Glaubenden
bescheidener, vielleicht auch, daß es den die Intuition völlig Verachtenden ein
wenig aufhorchen macht. Das große Rätsel hat es nicht zu lösen vermocht,
trotz aller Bemühungen. W. Reich (Wien)
Birnbaum, Doz. Dr. Karl: Die psychopathischen Ver¬
brecher. Die Grenzzustände zwischen geistiger Gesundheit und
Krankheit in ihren Beziehungen zu Verbrechen und Strafwesen,
für Ärzte und Juristen (2. Aufl., Thieme, 1Q2Ö, 280 Seiten).
Dieses Buch hat viel Mühe und Fleiß gekostet und zeugt von einer
ungeheuren psychiatrisch-forensischen Erfahrung auf dem Gebiete des
Verbrechertums. Allerdings, der Analytiker kann sich weder mit der Art und
Weise der Betrachtung noch mit den inhaltlichen Ergebnissen einverstanden
erklären. Die Untersuchung läßt alle neuen Gesichtspunkte vermissen, die die
Psychoanalyse zum Thema „Psychopathie eröffnet hat, die analytische Situation
ist gar nicht berücksichtigt. Das wäre ja noch nicht arg, wenn die psychia¬
trische Methode auch nur einiges zum Problem beitragen könnte. Aber auch
dieses Buch steckt in der Sackgasse des Aberglaubens von der „Entartung ,
es ruht auf diesem Fundament, von dem der Autor selbst sagt, daß es noch
unentschieden sei, was der Begriff wissenschaftlich bedeute.
Man darf nach 30 Jahren psychoanalytischer Forschung fordern, daß, wer
mit Menschen zu tun hat, auch ihre Kinderstube betrachte und nicht, ohne
sich vorerst umgesehen zu haben, einfach behaupte, daß die „genetische
Zurückverfolgung“ der Psychopathien „sogleich aus dem rein psychopatho-
logischen Gebiet hinaus zu biologischen Zusammenhängen hin führt.
Hat der Autor auch nur einen Psychopathen nach seinen frühen Erleb¬
nissen im Eltemhause gefragt? Und wenn, welche Bedeutung mißt er den
Traumen zu, die jeder Psychopath erlebt hat? Um diese festzustellen, bedarf
es nicht einmal einer Analyse,
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIII/3.
24
350
Referate
Was ist wahrscheinlicher? Daß der Alkoholiker den „Keim schädigt“
(wer hat das übrigens nachgewiesen?) und daher Psychopathen zu Kindern
hat, oder daß er nachts betrunken heimkommt, Frau und Kinder prügelt,
jahraus, jahrein, und auf diese Weise „Grenzzustände“ bei den Kindern
erzeugt ?
Nichts scheint stärker, unausrottbarer als Schlagworte, besonders dann,
wenn diese die Illusion erhalten helfen, daß die Psychopathien nur auf bio¬
logischer Entartung beruhen und nicht schuld der Zustände in der Gesellschaft
und ihrer Erziehungsmethoden sind. W. Reich (Wien)
Taylor, Prof. Edward Wyllys: Psychotherapy, Mental Ele¬
ments in the treatment of Disease. Cambridge U. S. A. 1926.
In kfzem klarem Abriß wird die Entwicklung der Psychotherapie nach
ßirem Charakter in Etappen geschildert: 1. Vor dem XVIII, Jahrhundert;
Wunder, Mystik, Herrschaft der Kirche. 2. XVIII. Jahrhundert; Mesmer
tierischer Magnetismus. 3. Anfänge der wissenschaftlichen Methode; Braid
Ta t Hyp " otlsmus , 4- Klinische Periode; C har cot (1878), Hysterielehre,
siebt ü 5 \ f ytl$Ch f S t U ! 6; Kreud, Jung. In der Freudschen Lehre
Mystik ü v w^ t PUnkt d6r Befreiun S der Psychotherapie von
Mystik, der Verwissenschaftlichung des therapeutischen Verfahrens.
Bernfeld (Berlin)
Wh j e, AT WiIIi f 1 ?, A - : E * s * ys in Psychopathology. (Nervous
and Mental JJesease Publishing Company, New York, IQ 25 .)
Die Aufzählung der Kapitelüberschriften soll eine Vorstellung vom Inhalt des
Buches geben: i. Selbsterhaltungstriebe, neue Richtungen und Zusammenhänge auf
dem Gebiet der Psychopathologie. 2. Die vergleichende Methode in der
Psychiatrie (Psychopathologie). 3. Der menschliche Organismus als Energie-
XlTl' 4 r Individualität und Introversion. 5 . Das primitive Seelenleben
und das Rassenunbewußte. 6. Zwei abweichende Überlieferungen. 7. Die
Bedeutung der Psychopathologie für die allgemeine somatische Pathologie.
. sychoanalytische Parallelen. 9. Primitives Seelenleben. 10. Die A d 1 e r sehe
Neurosentheorie. 11. Somatische Biologie.
Mi ST BU S I 5 ? Si S S S W f als Ganzes referieren, denn es enthält in bunter
Mischung Aufsatze, Zuschriften und Buchbesprechungen, die während der
z en 13 ahre zu verschiedenen Zeiten geschrieben wurden. Durchgehend
charakteristisch für das Ganze ist jedoch die Betonung der funktionale! Auf¬
fassung der Seele und der Notwendigkeit, Leib und Seele als biologische
Einheit anzusehen. Der Autor erklärt mit Recht, daß ein Verständnis mensch¬
licher vor allem psychischer Probleme unmöglich ist, so lange der Mensch
in althergebrachter Weise als Einzelwesen ohne irgendwelche Beziehung zur
B™fl b t Ung K betl ' acht ® t Wlrd - Da® Buch ist zum größten Teil ein flüssiger
klaget r f 1 I 0rtS c Ch i mt l e der Ps y cho P a *ologie in dem wohlbekannten
irnR TT f esselnde " Stü des Verfassers. An einer Stelle erwähnt er den
£ d!r P T Ung i d6r ,t h während der dreiunddreißig Jahre seiner Arbeit
n der Psychiatrie bemerkbar gemacht hat, und sagt: „Für diese Wandlung
Referate
351
der Dinge sind wir einem Manne mehr als allen anderen zu Dank verpflichtet,
und das ist Professor Freud und seine psychoanalytische Methode.“ (S. 66.)
Das Buch wird für alle Psychopathologen in gleicher Weise interessant
und lehrreich sein. Jones (London)
Aus der psychoanalytischen Literatur
Wittels, Fritz: Die Technik der Psychoanalyse. (Mün¬
chen, I. F. Bergmann, 1 Q 2 Ö.)
Das Bedürfnis nach zusammenfassenden Darstellungen der Psychoanalyse,
insbesonders ihrer Technik, scheint recht groß zu sein, denn die Zahl der
Bücher, die in der letzten Zeit solche versuchten, ist nicht gering. Manche
von ihnen sind allerdings von dem, was wir unter „Psychoanalyse begreifen,
recht weit entfernt. Von diesen unterscheidet sich das Witt eis sehe Buch
vorteilhaft; die in ihm geschilderte Arbeitsweise ist zweifellos Freud schem
Denken entwachsen. Und dennoch sind seine Worte in der Einleitung: „Man
findet im Folgenden ausführlich dargestellt, wie ich Psychoanalyse betreibe.
Weder übernehme ich die Verantwortung für irgend einen anderen Analytiker
noch erwarte ich von allen Analytikern die Zustimmung, daß sie es ebenso
machen“, sehr nötig. Denn man merkt bei der Lektüre bald, daß auch
Wittels in zahlreichen und nicht unerheblichen Momenten von der von
Freud angegebenen und in unseren Lehrinstituten vertretenen Technik
ab weicht, zum Teil weil er auch theoretisch mit den Freud sehen Ansichten
nicht übereinstimmt.
Das Buch teilt sich inhaltlich in zwei ungleiche Teile. Die ersten vier
Kapitel bringen einleitend die allgemeinen Grundlagen der Technik, die rest¬
lichen fünfzehn Kapiteln Krankengeschichten. Diese nehmen also den meisten
Raum für sich in Anspruch. In ihnen sind wieder Traumdeutungen und Dar¬
legungen über unbewußten Inhalt und Mechanismus der Neurose breit aus¬
geführt, so daß man, besonders da es sich ausnahmslos um unvollendete
Analysen handelt und Endphasen gar nicht beschrieben werden, über die
Technik relativ wenig erfährt; keinesfalls könnte, wer die Analyse nicht schon
kennt, sie aus diesen Ausführungen erlernen.
Der allgemeine Teil beginnt mit einer Darstellung der „Psychotherapie vor
Freud“, die zum größten Teile mit dem Büchlein des Autors „Wunderbare
Heilungen“ (Referat: Diese Zeitschrift Bd. XI. S. 494) wörtlich übereinstimmt.
Sodann wird die Indikationsstellung besprochen, Psychosen als im all¬
gemeinen für Analyse ungeeignet bezeichnet, psychogener Überbau bei
organischen Krankheiten dagegen berechtige zu analytischem Eingreifen. Ob
schwer Zweifelsüchtige analytisch geheilt werden können, wird offen gelassen.
Wittels läßt alle Fälle vor der Behandlung endokrinologisch untersuchen —
er erklärt nicht genau, was er sich eigentlich davon verspricht bei Homo¬
sexuellen auch die Beckenmaße bestimmen. Gelegentlich verwendet er auch
kombinierte Behandlung von Analyse und Hormonpräparaten; da er diese von
einem anderen Kollegen injizieren läßt, ist auch bei solcher Kombination die
Analyse sicher durchführbar. — Im Kapitel „Das Unbewußte und seine Auf¬
deckung“ stellt Wittels drei Wege der Analyse koordiniert nebeneinander: „Den
freien Einfall, die Traumdeutung, die Beobachtung der Fehlhandlungen“ (S. 31).
24 *
352
Referate
Es wäre wohl geschickter gewesen, zu sagen, es gäbe nur einen Weg: den
des freien Einfalls; allerdings seien Träume und Fehlhandlungen auch als
anzusehen; - Schon eine deutlichere Abweichung von Freud ist es
daß Wittels bei der Behandlung seinen Patienten Auge in Auge gegenüber-
— Z - v,t 34 ' 1 Fu i'-. d n le . V ° n Freud vorgeschlagene Lage spricht doch so viel,
nicht nur die Rücksicht auf den Arzt, sondern auch die auf Patient und Analyse
daß die Witt eis sehe Begründung, er vermeide so, daß die Patienten
sagen: „Ich muß auf einem Sofa liegen und Sie setzen sich dahinter. Kenne
schon den - entschuldigen Sie schon - Schwindel“ (S. 54), nicht als
ausreichend erscheint. Die Grundregel wird diskutiert, vor zu früher Deutung
mit Recht gewarnt; aber die Formulierung, die Frage, wann man mit Den
ungen emzugreifen habe, sei zu beantworten: „So spät als möglich“ (S. 20)
erscheint uns falsch; es gibt nicht nur zu frühe, es gibt auch zu späte Deu-
ungen, man denke nur an die Gefahren einer nicht rechtzeitig aufeedeckten
Übertragung! Wittels selbst scheint ja im Allgemeinen, besonders bfi Traum-
eu ungen nicht allzu zurückhaltend mit Deutungen zu sein, wenn auch der
ms and daß so oft Patienten die Behandlung abbrachen, auf den Verdacht
ringen konnte^ daß die Ubertragungsdeutung nicht immer richtig gehandhabt
wor en sei. enn für die Technik der Traumdeutung auseinandergesetzt wird
im Traurn gäbe es prospektive, retrospektive und funktionale Elemente so ist
das ja richtig, denn alles, was sich im Wachdenken findet, findet sich auch
in den latenten Traumgedanken, doch meinen wir, daß, auch wenn wir zuge-
exakte H t I f ^ Minimum beschränkt werden sollte, mit einer
exakten Unterscheidung zwischen diesen und dem manifesten Trauminhalt
zwischen Tagesresten und Traumwunsch und einer Skizzierung der Traum-
ar eit auch dem praktischen Traumdeuter für seine Praxis mehr geboten
wor en wäre. Die ausführliche Besprechung des Grundsatzes „Alles, was
der Patient in der Analyse vorbringt, ist analytisches Material“ ist aus¬
gezeichnet gelungen. - Das Kapitel „Übertragung“ begnügt sich leider mit
efner Tech “k 1 7 Sachverhalte, während dieses Gebiet in
Übertraj ^ . doch wirklich eingehende Detailbehandlung verdiente! An
Ubertragungsschwmr^keiten werden nur die allergröbsten besprochen, etwa, daß
Jner Tot£ er T ’’S eme in verführerischen Boudoirs und in
r Toilette empfangen wird, „die in Gesellschaft unmöglich wäre“ (S «z)
der man doch einfach aus dem Wege gehen kann, indem man die Patienten
in die eigene Ordination kommen läßt, wozu auch Wittels rät und was
wohi alle Analytiker tun, wenn nicht besondere Gründe (Angsthysterie
chronische Bettlagrigkeit) anderes nötig machen; oder daß ein illegftimls Ver¬
hältnis zwischen Arzt und Patientin schon deshalb unmöglich sei, weil die
Bezahlung doch wohl in dem Momente aufhört, in welchem sich aus dem
ärztlichen Verhältnisse ein intimeres entwickelt“ (S. 55). Durchaus zu wider¬
sprechen ist dem Rat, „wenn die Übertragung bis zu Gefühlsausbrüchen ange¬
stiegen ist, wird man manchmal genötigt, die Analyse für einige Zeit zu unter-
mchT 1 ’ -tTr d T S - r ° m i . deS Affektes Zeit Abfluß zu lassen“ (S. 55)
Nicht mit Unrecht ist die Handhabung der Übertragung der Tätigkeit des
Chirurgen zu vergleichen. Wenn bei einer Operation mehr Blut fließ! als der
Blut abfließlnT l^’ ^ nkht die °P eration abbrechen, um das
zu lassen, sondern er wird versuchen, mit chirurgischen Mitteln
Referate
353
der neuen Situation gerecht zu werden, gleichgültig, ob er durch einen Kunst¬
fehler die Komplikation selbst verschuldet hat, oder ob sie sich aus der Kon¬
stitution des Kranken oder aus anderen nicht vorherzusehenden Umständen ergab.
Wie Freud ausgeführt hat, mag es auch seltene Fälle geben, in denen die
vom Widerstand ausgenützte Übertragung gleich so stürmisch einsetzt, daß jede
analytische Bemühung scheitert; dann wird sich aber die gleiche Situation
ergeben, wenn man nach „einiger Zeit“ seine Bemühungen wieder aufnimmt;
diesen seltenen Fällen ist dann analytisch wirklich nicht zu helfen.
An einigen anderen Stellen scheint Wittels falsch informiert zu sein.
Wenn es heißt, daß Freuds Traumdeutung dem Verdrängten nachspüre,
Jung dagegen anagog deute, „heute“ aber „ist Frieden geschlossen und das
Vorhandensein einer anagogen Tendenz im Traum von allen Parteien
zugegeben“ (S. 44), so ist das dahin richtigzustellen, daß, wo falsche Auf¬
fassungen vorgebracht worden sind, keinerlei Frieden geschlossen ist. Freud
hat immer gelehrt, daß die latenten Traumgedanken Gedanken jeder Art (nicht
nur verdrängte) sein können, die aber allerdings sich mit einem unbewußten
Traumwunsch in Verbindung gesetzt haben müssen. Diese Auffassung gilt auch
heute vollinhaltlich. Die Einführung des „Über-Ichs“ hat ander Traumtheorie
nichts geändert.
In anderen Punkten weicht Wittels von der Freud sehen Technik ab.
Er macht sich während der Stunde Notizen (S. 37) und meint, „Träume
lassen wohl alle Analytiker von Patienten aufschreiben" (S. 37). Abraham hat
aber ausdrücklich vor dieser Technik gewarnt. Die Theorie, daß in jedem
Schlaf geträumt werde (S. 40), ist, weil unbeweisbar und unwiderlegbar, sinn¬
los. Der Rat, daß man unter gewissen Umständen den Traum beiseite legen
und sagen solle, „daß man für heute vorziehe, den freien Einfall zu beachten
(S. 40), zeigt, daß Wittels nicht unter allen Umständen den freien Einfall
zuerst beachtet, sondern für gewöhnlich „Traumdeutung um jeden Preis“
betreibt. u
Merkwürdig stellt sich Wittels das Verhalten des „orthodoxen Freud-
Anhängers vor: „Nach der Regel Freuds wäre überhaupt gar nichts von
dem, was der Analytiker errät, mitzuteilen, man hätte rein passiv zu bleiben
und die Deutung des Traumes ausschließlich den Einfällen des Patienten zu
überlassen“ (S. 41). Eine solche Regel Freuds existiert nicht; dagegen hat
er wiederholt das Gegenteil geschrieben. Diese Analytiker „sitzen hinter ihrem
Patienten, sprechen nichts, deuten auch nicht die Träume, die er bringt,
sondern hören nur zu und sagen am Ende der Stunde, daß es für heute
genug sei und morgen wieder“ (S. 73). Gewiß kommen auch solche Stunden vor,
aber wenn Wittels behauptet, daß das „monatelang“ (S. 73) sogehe, so ist
doch zu sagen, daß kein Freud-Anhänger, der sich mit Recht so nennt, so vorgeht!
Ebenso gibt es keine Regel, daß dem Schweigen des Patienten prinzipiell
Schweigen des Arztes entgegenzusetzen sei — die zitierte Redensart, „dem
Widerstand des Patienten den Widerstand des Arztes entgegensetzen (S. 36),
kann nur jemand erfunden haben, der Freud nicht ^ verstanden hat
W i 11 e 1 s kämpft also gegen Windmühlen. Daß es „falsch ist, dem Patienten
zu sagen, was er gestern erlebt habe, interessiere nicht, es gelte, die Kindheit
zu durchforschen, ist allerdings richtig; wenn aber Wittels auf S. 42 erklärt,
„einmal“ sei das bei einem „Analytiker“ geschehen, auf S. 79 aber dieselbe
354
Referate
Erzählung mit den Worten einleitet „Es soll Analytiker geben, die
S °, h f e " dle Geschichte wohl noch ein drittes Mal erzählen Sollen ' etwa
könnJ 11 W0rt6 o : . ” Wenn ich mir ausdenke, daß ein Analytiker so handeln
KunstfehlTr“ ^ Freud und seinen Anhängern sagen, es wäre ein
Fre n ud der J rag A ^ Laienan " lySe ist Mittels entschiedener Gegner von
e u d. Seme Argumente erscheinen nicht stichhältig. Daß eine Skabies als
psychogen angesehen wurde (S. 19), spricht nicht generell gegen die Berechti-
„gung der Laienanalyse. Daß aber die nichtärztlichen Analytiker „unaufrichtig
sind. Sie ers reben ein Doktorat, aber nicht das medizinische, und benützen
ann den Doktortitel zu einer Täuschung“ (S. 19) und die Behauptung, „Laien-
hehen 1 könne 3 “ ^ T* ^ inneren Rankheiten psychoanalytisch
bisher die Ärzte C i A ^ Ps y choanal y se organischer Leiden haben
t ’ und Simmel
Als mißglückt muß man auch die Versuche ansehen, Freud mit Adler
Und J "“ « Zu ve ^ohnen; die Gegensätze, meint Wittels, seien „nur scheinbar“
de” p wi arer Zeit T erden Si<3h ” alle SchÜler wieder finden “ (S- 60), weil
Methode tC A T mer Und finale Gesichts Punkte, aktive und passive
Methoden Analyse und Synthese abwechselnd verwendet. Nicht einmal die
verpönte Suggestion kann gänzlich vermieden werden“ (S. 1); aber der finale
Gesichtspunkt ist nicht von Adler erfunden, sondern, daß man bei ”„atur-
” nS 'oh" !r Cl r S tl" ”2 ZW6ckm0tiven ar beitenden menschlichen
Seele nicht ohne den Zweckbegriff arbeiten kann, geht aus den ersten
Stehf ö 0n K I 6U / S ^ rV ° r; daß der -Passive“ Analytiker an gewissen
P W t * der ^ h °u h -V aktlV S6m müsse ’ er S ibt sich aus den vor St ekel s
Publikationen geschriebenen ersten Krankengeschichten Freuds. Welche
R ° U ® der »Option“ in der Analyse zukommt, steht in den
ihr nhir t j,Vorlesungen (und eine andere als die dort beschriebene darf
ihr nicht zukommen). Nur wie man „Analyse“ und „Synthese“ abwechselnd
verwendet darunter kann s 1C h Referent nichts vorstellen; er meint vielmehr
dem V ° rIfeS ‘ ,l! ““ Sinnl °'” W ° rttP “ 1
j:r”rr d " Buci ”” ne ?” e ” die d„ Mm .„„o
leider ganz allgemein sagen, daß sie nicht befriedigen. Sie sind flüssig
Wi ch t geSC J rleben ; aber vielleicht eben deshalb wissenschaftlich unzu¬
länglich. Es werden viele Träume - oft in St ekel scher Manier - nicht
immer überzeugend gedeutet, Erlebnisse aus dem infantilen Sexualleben
perverse und kriminelle Antriebe aufgedeckt, doch erfährt man nichts Genügen
übe/dfe d ^ Spezlflsche Libidoentwicklungsgeschichte und nichts Genügendes
über die Ubertragungsgeschichte; das unangenehme Gefühl, die unbewußten
vSn D e e n taSs S m e h neS 7 "Z recht »»vollständig zu Überblicken und aus
bl? a u Ü , hr ° der mlnder willkürlich einen bestimmten „Komplex“
behandelt zu sehen, verstärkt sich noch, wenn man erfährt, daß alle Analysen
technisch!^ jf kg ? brocben =• ™g sein, daß sich ZC
Wen Zmam ^ “ 7 ****** besonders gut demonstrieren lassen; den
Dr ” raik “ nd Ök °"° mik d “
Referate
355
Um z. B. gleich eines herauszugreifen: Das Problem der Neurosenwah
wird kaum angedeutet, eine spezifische Regression kennt Wittels nicht, die
Organisationsstufen der Libido werden nicht besprochen, die sexuellen Partia -
triebe werden als einander koordiniert behandelt. In der „psychogenen Melan¬
cholie“ z. B. fehlt das prägenitale Moment völlig, und man fragt sich ver¬
gebens, warum der Fall gerade eine Melancholie hat werden müssen. Die
„Entgenitalisierung“, die ein Vater im Sexualleben des Sohnes durch Pruge n
hervorruft (S. 106), ist wohl nur ein neuer Terminus für die an anderen
Stellen übersehene Regression der Libido auf prägenitale Organisationsstufen.
Daß die zahlreichen Traumdeutungen in Inhalt und Art nicht immer
überzeugen, wurde erwähnt. Man erfährt nicht, wie weit die meist
Klammem in den Traumtext eingeschalteten — Deutungen Ergebnisse der
mit Hilfe der Einfälle vorgenommenen Analyse sind, wie weit sie willkürlich
von Wittels zugesetzt werden. Kein einziges Mal ist eine restlose, jedes
Traumdetail erklärende Erfassung der latenten Traumgedanken gelungen.
Wittels scheint es auch darum nicht zu tun zu sein; er schätzt offenbar
die Symbolik recht hoch, überschätzt auch — die Rolle der „sekundären
Bearbeitung“ übersehend — den manifesten Trauminhalt, indem er ihn ganz
kommentarlos mitteilt, in der Erwartung, jeder müßte nun den Sinn verstehen,
während Ref. gestehen muß, daß er das bei dem Mangel an Assoziations¬
material meist nicht konnte. Eine besonders große Rolle nimmt die „funktionale
Deutung ein, die gelegentlich an die Deutungen der J u n g-Schule erinnern. Ein
paar Beispiele für Träume, bei denen W i 11 e ls’ Deutung besonders frappiert.
„In einem Alpenhotel. Ich eile, durch Hilferufe erschreckt, ans Fenster Vor
dem Hotel steht der ,Ober‘ und schreit vor Schmerzen. Seme Handgelenke
sind seltsam verbogen, als ob die Knochen fehlten. Die Haut vom Arme zur
Hand merkwürdig gespannt. Kein Mensch im ganzen Hotel. (Kein Spermatozoon.)
Ich laufe in den hinteren Trakt (homosexuell), wo das Personal ist: ,Ja, warum
hilft denn niemand?' . . .“ Außer den beiden Klammerbemerkungen sagt
Wittels über diesen Traum nur, daß er „ein larmoyantes Bild vom Zustand
seines Genitales gibt“ (S. 126). Das ist zwar sicher richtig; ob es die
Klammerbemerkungen auch sind, ist schon zweifelhafter. Was aber der Traum
wirklich enthält, erfährt man nicht.
„Funktionale“ Deutungen:
Dort bin ich mit ein paar Männern gesessen, die bäuerlichen Charakter
gehabt haben. (Er sitzt da, umgeben von seinen Komplexen, die ihn als
primitiven Triebmenschen zeigen)“ (S. 166). Ein Traum spricht von der
Fähigkeit des Analytikers zur Leichenverbrennung. Deutung: „Ich beseitige
die dem Tode geweihten Erinnerungen“ (S. 210). — „Ein zerlumpter un
selbstbewußt aussehender Mensch mit Schlapphut mit energischen Schritten . . .
(Verbrecher in ihm)“ (S. 101). Tjr
Manchmal beschränken sich die Deutungen auf Zusatze wie: (Ein Homo¬
sexueller träumt): „Ich bezwinge Käthe F. und lege sie quer mit dem Rucken
auf meinen Schoß (das ist ohne Zweifel Heilungstendenz) . . . Spater taucht
ein nackter Knabe vor mir auf . . . Ich beabsichtige eine Paedicatio (der
homosexuelle Teufel reißt ihn wieder an sich)“ (S. 146). .
Und ein Beispiel aus einem längeren Traum: „Ich sitze in irgendeinem
Raum, der von verschiedenem erfüllt ist (zu Anfang der Analysen wird das
P^Sigül^??
=r ÄÄ~■ r^Hir“"
Symptomen“ gebraucht (S 82 ff) ” An ^ tneurose für „Neurose mit Angst¬
wirkt es sicher TI 3 , den P s y chiatris ^ ungebildeten Leser
Wd T T n r h Verwlrrend > wenn von einem Zwangsneurotiker gesagt
Zwange ^ Pubertatszelt war s °g ar d ^ Grenze des Wahnsinns überschritten
Zwyneuro^grenzt oft an Wahnsinn, ja, sie ist ein Wahnsinn Ä
JZzzsrs?* t ß n n rin a tS iene « A r Iysen T t§eteiit werden ’
schwierigsten Angaben gestellt hatte, „Mief aW‘ wrilt
oW ” e ' nsehen konnte . was ihm tägliche Besprechungen nützen sollten“ (S 67)
ÄS°“ „w^derkSufdie^'d^ 1 ! geI F S ^ “^5 der
wählte, indem er mir davonlLf“ (S Lf M S ^ ^ Wid «standes
Unrecht deL lttellS!’ ,TT hart “ äcki g e Unzugänglichkeit Wittels zu
nicht zu Ende geführt“ der Pf ' W j w eitere Analyse ist „ebenfalls
(Wäsche) b! zitierten
Ät e Ilf/.aT“ 1 ' r“ die ““>* ™“ oh "»• » S
g nrt CS. 148/149). - In einem weiteren Fall gelang die Überwindung
Referate
357
der unbewußten Erwartungen nicht, die den Patienten an Stelle eines Heilungs¬
wunsches in die Analyse geführt hatten, „trotzdem ich aus Leibeskräften
die Übertragung auf deckte. Davids geringe Intelligenz und Bildung waren
stärker als ich“ (S. 156). — Vom nächsten Patienten heißt es in krassem
Widerspruch auf S. 163: „Patient, der schließlich die Kur gegen meinen
Rat vorzeitig abbricht“ und auf S. 167: „Unter solchen Umständen blieb mir
nichts anderes übrig, als die Behandlung aufzugeben.“ — Von einer Patientin
gar heißt es: „Es ist schwer, einen Neurotiker gesund zu machen, wenn er
nicht will“ (S. 198), und als sie — zehn Tage nach Abbruch — noch einmal
kommt: „Nunmehr decke ich so schonend als möglich, aber auch so vollständig
als möglich die Übertragung auf und beendige die Analyse“ — die doch
nun erst begonnen hätte (S. 199). — Vom letzten Patienten endlich heißt es
— die Analyse war allerdings in einer recht prekären Situation —: „Die
Familie bestürmte mich, ich sollte . . . wenigstens Luminal gestatten. So
beendigte ich die Analyse und Fedja nahm wieder Luminal“ (S. 219). —
Diese Häufung des Mißgeschicks muß den Verdacht erwecken, daß der
Analytiker selbst an ihm nicht unbeteiligt sei. In einem Lehrbuch der Technik
sollte man eher die Mitteilung von Kunstgriffen erwarten, die die Fortführung
der Analyse über passagere Schwierigkeiten ermöglichen. Hier aber scheint
nicht einmal das legitime Mittel, die lege artis vorgenommene Auflösung der
Übertragung, immer richtig angewendet worden zu sein. — Auch daß die
Entwicklungen der Persönlichkeiten und ihrer Neurosen nur so fragmentarisch
klar werden, erklärt sich zur Genüge aus diesen Abbrüchen, denn die Dauer
der Analysen war gelegentlich eine grotesk kurze: Ein homosexuell Schizoider
blieb zweieinhalb Monate (S. 147), eine schwere Zwangsneurose zwei
Monate (S. 169).
Dem entspricht auch die gelegentlich recht oberflächliche Auffassung des
Autors über die Psychoanalyse. Bei einem zur Analyse ungeeigneten Fall
(Paranoid?) versucht Wittels eine allgemeine psychotherapeutische
Beeinflussung, in der er z. B. den Bräutigam der Patientin für „abscheulich“
erklärt. „Was ich tat“, meint er dazu, „war insoferne mit der Analyse verwandt,
als ich eine Übertragung erzielte“ (S. 79). Aber insoferne sind Hypnose,
Psychagogik, organische Behandlung, Sprachunterricht auch mit der Analyse
verwandt. Nicht die Übertragung charakterisiert die Analyse, sondern, was
sie mit der Übertragung anfängt. Daß der Zweifler „nicht viel Übertragung“
aufbringt (S. 62), ist auch unrichtig, er bringt bloß nur eine ambivalente
Übertragung auf, mit der schwer etwas anzufangen ist.
Wittels meint von sich selbst, sein „Temperament“ erlaube ihm keine
Passivität (S. 73). Es bringt ihn auch dazu, einer Melancholie, die er analysiert,
trotz generellen Einspruchs gegen solches Vorgehen, Baldrian und Kamillen¬
bäder neben der Analyse zu verordnen, weil „Patienten auf derartige Prozeduren
und Rezepte mehr geben“ (S. 64), die Freud sehe Mahnung, dem Patienten
nicht Ratschläge betreffs aktueller Schwierigkeiten zu geben, dahin zu modifi¬
zieren : „Man kann nicht der Freund eines Menschen sein und ihm jeden
Rat verweigern. Es ist schon genug, wenn man diesen Rat in der Analyse bis
ans Ende der Arbeit hinausschiebt“ (S. 81) — aber dann sollte der Patient
solche Ratschläge nicht mehr nötig haben, — und uns auch zu zeigen, wie
er sich solche Ratschläge in concreto vorstellt: Als Wittels den Eindruck
358
Referate
hatte einem epileptischen Patienten könne Sexualverkehr helfen, und hörte
das Dienstmädchen über das er phantasierte, wolle ihn haben, „lud“ er den
Vater zu einer Konferenz, später auch die Schwester“ und setzte ihnen
auseinander, der Patient solle das Dienstmädchen heiraten (S. 210) -
Höh ti Un - aUCh ’ daß 68 ihm bei seiner Arbeit ™ „dramatische
Höhepunkte zu tun ist, um das „analytische Staunen“, das „für die Mühe
n Wochen und Monaten entschädigt“ (S. 71); diese Vorliebe bringt ihn
auch dazu in einem Buche über „Technik der Analyse“ ausführlich
Zeitungsberichte über Strafprozesse mitzuteüen, in denen latente Homosexualität
S ek? n T- Paßt ’ daß « ™hrfach wie
, , k . 1 »Kriminalität der „Sexualität koordiniert (z. B. S. 1 = 6) nicht
logischer Begriff i“””'“" „„dem ein’ sorio-
Noch an einigen anderen Stellen liegen bei Wittels Irrtümer vor: Zu
einer sa is isc en Phantasie aus dem achten Lebensjahr bemerkt er: „So früh
SiS 1 n h- h S - Tri ?- eb / n (S ' 161)5 V ° n Zwangsneurosei die ein
Patient als sechsjähriges Kind mitgemacht hat, meint er, „die Angelegenheit
hejso weit zurück, daß ausreichende Aufklärungen nicht mehr Möglich
sind (S. 159), über eine leidenschaftliche Liebesbindung sagt er: Was soll
in solchem Feuer ein Analytiker leisten?“ (S. 79 ), wenn eine sinnliche
Strebung von einer zärtlichen zu einem anderen Objekt abgelöst wird redet
er von einer Sublimierung des Dimitri in den Constantif“ (S. 204), eine
berwertung der Brust als Sexualobjekt wird nicht analysiert, sondern kann
„wenn man will (S. 160) mit der Säuglingsgeschichte in Beziehung gebracht
werden. Als „aktive Methoden werden Stekel, Ferenczi, Rank Jung
( S d 75 T i 7 e 7 1 ) n m 61 ( ” Kom P lexreizmeth °de ) koordiniert nebeneinandergestellt
fW D p G beld . 6n l 6tZt f n . Ka P itel befassen sich mit der Frage der Analysierbarkeit
der Epilepsie. Sie bringen wohl den Nachweis, daß die Anfälle in psychische
Zusammenhänge emgeoMnet sind, - Wittels meint aber, daß damit auch
ihre Psychogeneitat erwiesen sei. Die Beantwortung der „Frage ob meine
Arbeit wirklich eine Mikroskopie der Seele bedeutet . . . oder ob hier ein
riesiges Kunstprodukt vorliegt alles in den Fall hinein - und wenig richtig
herausgedeutet wurde (S. 220) die Deutungen seien richtig, ist nicht identisch
währ d T , Nacbw ® 1:5 der ^Wbogeneität der Epilepsie. Daß das Ausziehen
rend der Analysenstunde im Dämmerzustand sexuellen Sinn hat (S. 207)
wird memand bezweifeln (eher schon, daß der durch klonische Zuckungen
der Kiefermuskulatur entstehende Zungenbiß mit dem Kannibalismus zusammen-
21 ° J); ,-T 1 de o nn °? b können auch sich er organische Jacksonanfälle
dessen^ ^ ^ interessant H daß ein Patient,
dessen Anfalle ohne Vorboten kamen, während der Analyse eine Aura zu
verspüren egann^( . 219); offenbar hat er vorher die Aura zu verdrängen,
zu „ skotomisieren verstanden. ° *
Wittels strebte die „künstlerische Form der Darstellung“ an (S. 220)-
eescMeht^^W^ Sch ° n ’ daß das eigentlich auf Kosten der Wissenschaftlichkeit
Kos ! ,- "f r" V ° n einem Schiz °Phrenen, der sich von einer
Namen e und V tT, S ff Seitenlan S die Organisation dieser Division,
Namen und Titel sämtlicher Offiziere usw.; die Analyse beschränkt sich auf
Referate
359
ein „Ur-Trauma , die Erinnerung an eine Bedrohung, der der Patient als Kind
wegen seiner onanistischen Betätigung ausgesetzt gewesen war (S. 173—180). —
Die novellistische Schreibweise zeigt sich besonders bei der Geschichte eines
„homosexuellen Barockmenschen“; aber seine Homosexualität wird auf die
Liebe zum Bruder zurückgeführt, über die Mutter sei „nur“ zu sagen, „was
wir Analytiker immer wieder bis zum Überdruß berichten“ (S. 142), aber
der Ödipuskomplex als Grundlage der Erkrankung (siehe den Traum von
•S. 144 oder die ,,Unio mjrstica“ S. 141) wird übersehen. — Merkwürdig ist
auch, daß Freunde von Patienten mit vollem Namen genannt werden (S. 120).
Trotz all dieser Einwände bleibt dieses Buch sicher eine sehr spannende
Lektüre. Als Darstellung der „Technik der Psychoanalyse“ haften ihm aber
nach dem Gesagten noch allzu viele, leider nicht immer nebensächliche Mängel
an. Man hat den Eindruck, als ob der Autor von der oberflächlichen
Betrachtungsweise der Schule S t e k e 1 s wegstrebt und versucht, die Auf¬
fassungen Freuds in vollem Umfang sich zu eigen zu machen. Leider sind
aber die Stellen noch allzu zahlreich, an denen Wittels von jener Denk¬
weise beeinflußt bleibt. F enichel (Berlin)
Sugar, Dr. Nikolaus: Zur Genese und Therapie der
Homosexualität, Jahrbücher für Psychiatrie und Neurologie,
XLIV. Band, 2 . und 3 « Heft.
Klinisch-sexualanalytische Anamnesen, die Verf. bei einer Reihe von
Invertierten aufgenommen hat, dienen als Ausgangspunkt eingehender kritischer
Erwägungen, die auf einem sorgfältigen Studium der einschlägigen Literatur
beruhen. Die Schlußfolgerungen lauten für die Psychoanalyse sehr günstig:
„Die Homosexualität ist der resultierende Gleichgewichtszustand von zahl¬
reichen Komponenten, deren eine Gruppe konstitutioneller und so relativ
weniger beweglich, die andere Gruppe psychischer Natur und so relativ gut
beweglich ist. Die Operation nach Steinach schafft eine zu schmale
Angriffsbasis an einer wenig beweglichen Stelle und hat dadurch weniger
Erfolge. Die berichteten Heilerfolge durch analytische Psychotherapie, die
Überlegungen über Prophylaxe der Homosexualität, ferner die relative
Unbeweglichkeit der organischen und die relativ gute Beweglichkeit der
psychischen Faktoren machen die Berechtigung der Annahme wahrscheinlich,
daß die analytische Psychotherapie eine breitere Angriffsbasis und dadurch
bessere Chancen für therapeutische Beeinflussung bietet.“
Harnik (Berlin)
Thomson, H. Torrance: The Attitüde of the Medical Pro¬
fession to Scientific Problems (Edinb. Med. Journ., June IQ24)
Die Behandlung des Themas erfolgt unter besonderer Berücksichtigung von
Tatbeständen, die nach einer Wertung zu verlangen scheinen. Die allgemeine
Einstellung der ärztlichen Fachkreise den psychoanalytischen Funden gegenüber
wird als Beispiel herangezogen; der Autor meint, daß sich in dieser Ein¬
stellung die Wirkung solcher Tendenzen in ungewöhnlichem Maße äußert.
Die Art, wie psychoanalytische Theorien aufgenommen werden, wird an
Hand besonderer Beispiele erläutert; zur Ergänzung dienen Auszüge aus
Freuds „Geschichte der psychoanalytischen Bewegung“.
36o
Referate
Die Aufnahme der Freud sehen Lehren wird mit der von Darwins
Entwicklungstheorie verglichen und es wird gezeigt, daß die Opposition
gegen diese beinahe ebenso heftig war wie die gegen die Psychoanalyse.
Weiter wird allgemein dargelegt, wie jede neue Idee normalerweise einer
starken Opposition begegnet, und daß im allgemeinen affektive Faktoren bei
solchen herabsetzenden Urteilen die wesentliche Rolle spielen.
Schließlich wird darauf aufmerksam gemacht, welche Gefahr für den
wissenschaftlichen Arbeiter darin liegt, sich mit oberflächlichen Erklärungen
zu begnügen oder auf Grund unzureichenden Wissens vorzugehen.
Die Arbeit stellt den Versuch dar, auf bestimmte Tendenzen nachdrücklich
hinzuweisen, die, obgleich möglicherweise bekannt, leicht vergessen oder nicht
genügend eingeschätzt werden könnten. (Autoreferat)
L °J’, Ba , rI ^ ra: The Fo «ndations of Mental Health. The
Medical Times, IQ25, Vol. LIU. Nr. 2176.
Eine kurze Darstellung der Beziehungen zwischen den frühinfantilen, unter
der Herrschaft egozentrischer Impulse stehenden Phasen und den späteren
Stadien, auf die die Bildung des Ichideals und weitere kulturelle Entwicklung
mfluß haben. „Psychische Gesundheit“ ist das Ergebnis eines harmonischen
Ausgleichs zwischen diesen widerstrebenden Tendenzen.
Der Druck, den die Umgebung, Eltern, Erzieher und Gesellschaft auf
die Idealbildungen ausübt, muß sich der seelischen Entwicklung des
Kindes anpassen, woraus die Forderung erwächst, daß Eltern und
Erzieher etwas Verständnis für das Seelenleben des Kindes haben. Die
Schwierigkeit, die darin liegt, sich ein solches Verständnis anzueignen, ist
zum größten Teil auf die Verdrängungen des Erwachsenen zurückzuführen
die es ihm unmöglich machen, die Dinge zu sehen, oder wenn er sie selbst
sieht, zu begreifen.
Es folgt eine kurze Erwähnung der wichtigen Punkte in den frühkind-
lichen Entwicklungsstufen, so unter anderem der egozentrischen Allmachts¬
phase mit ihrem oral-. und analerotischen Charakter, der Entstehung des
Ichideals und der Entwicklung des Ödipuskomplexes.
Es wird gezeigt, in welcher Weise die Erwachsenen, die in engster
Beziehung zu dem Kind stehen, ihm Hilfe oder Hemmung zuteil werden
lassen können, und schließlich mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß die
Einstellung bei Ärzten und Erziehern mehr in der Richtung der Forschung
fortschreiten als an vorgefaßten Anschauungen festhalten sollte. (Autoreferat)
Burro w, Trigant: Our Mass Neurosis (The Psycholog. Bulletin 23).
Burrow Trigant: Insanity a Social Problem (The American
Journal of Sociology XXXII, i).
Noch einmal setzt Burrow in diesen beiden Arbeiten seine bekannten,
nicht sehr klaren Gedankengänge auseinander: Ebenso wie es in der Einzel-
seele Konflikte gibt, die aus dem Unbewußten stammen, gibt es innerhalb
der sozialen Gemeinschaft Konflikte aus einem „sozialen Unbewußten“, gegen
dessen Aufdeckung gleichfalls Widerstände wirken. Jedes Urteil ist abhängig
von den durch bestimmte soziale Auffassungen vorgezeichneten subjektiven
Referate
361
Bedingungen des Urteilenden. Wie die Sätze der Mechanik nach Einstein
nur für ein bestimmtes Bezugsystem gelten, so auch alle angeblich „objektiven“
Urteile. Das Denken des Analytikers ist nicht objektiver als das des
Neurotikers. Relative Allgemeingültigkeit kann nur eine Arbeit unter „Labora¬
toriumsbedingungen“ bringen, ein Consensus universorum, der in der Psycho¬
logie ebenso möglich ist wie in der Physik oder in der Astronomie.
Fenichel (Berlin)
Feigenbaum, Dorian: ACase ofHysterical Depression.
Medianisms of Identification and Castration (The PsA. Review
XIII, 4).
Feigenbaum teilt die ausführliche Kranken- und Behandlungsgeschichte
einer von ihm analysierten 24jährigen Patientin mit einer schweren Depression,
zahlreichen konversionshysterischen und vereinzelten zwangsneurotischen
Symptomen mit. Der Fall ist aufschlußreich für das Verständnis jener inter¬
essanten Neurosen, die zwischen Hysterie und Melancholie stehen, die, trotz
oraler Fixierung und trotz Regression von der Objektliebe zur Identifizierung
— sich genug genitale Objektlibido erhalten können, um im Ganzen noch
als Hysterie zu imponieren. Solche Fälle sind schon mehrmals in der Literatur
dargestellt; Feigenbaums Arbeit ergänzt die vorhandenen Beiträge in
bemerkenswerter Weise.
Die Patientin erkrankte im Anschluß an eine Liebesenttäuschung, die für
sie die Wiederholung des Todes des vaterersetzenden Bruders bedeutete. Dieser
Verlust stellte ihr die Ödipusversagung und die Kastration („Das Liebste ist
ihr genommen“) dar. Die Patientin ist nicht nur (dem Ödipuskomplex
entsprechend) der Mutter gegenüber ambivalent, sondern der Verlust weckt
auch die ganze Ambivalenz gegenüber dem Mann (Bruder — Vater), indem
er einen alten Penisneid reaktiviert. Bewußt wendet sie sich vom verlorenen
Objekt ab, unbewußt ersetzt sie es sich durch Identifizierung, die zweifellos
als orale Introjektion, als Partialeinverleibung durch Essen des Penis gedacht
ist (Magensymptome, neurotischer Hunger).
Besonders interessant sind die Bemerkungen zur Differentialdiagnose, die
Lösung der Übertragung durch eine Terminsetzung und die Offenheit, mit der
der Autor die möglicherweise von ihm begangenen technischen Fehler mit
sich selbst diskutiert. Von den zahlreichen exkursorischen Ausführungen, die
die ganze Darstellung durchziehen, seien noch zwei als wichtig hervorgehoben:
Erstens der Fund, daß Todesfurcht und Todesgedanken nicht nur aggressive
Wünsche gegen die Mutter, sondern gleichzeitig erotische gegenüber dem
toten Bruder verarbeiteten; zweitens der, daß die Dauer der Krankheit
(inklusive der Dauer der analytischen Behandlung) sich als durch psychische
Mechanismen (Identifizierung) determiniert erwies. Fenichel (Berlin)
Glover, Edward: A „Technical“ Form of Resistance.
(Int. Journal of PsA. VII, 3 / 4 -)
Glover bespricht den Widerstandstyp, der unter dem Zeichen des Interesses
für die psychoanalytische Theorie steht. Er findet sich besonders bei
Zwangsneurotikern und bei Personen, die sich einer Lehranalyse unterziehen.
3Ö2
Referate
Solche Analysanden schützen sich vor den erforderlichen affektiven Erlebnissen
durch eine Flucht in die analytische Theorie, die oft unter verschiedenen
Rationalisierungsmasken eine negative Übertragung verdeckt. — Ein besonderes
Interesse für das Über-Ich verriet sich in der Analyse als Äußerung des
Kastrationskomplexes, ein Interesse für den Mechanismus der Introjektion als
ein Symptom einer passiv-homosexuellen Einstellung („Befruchtung durch
analytische Deutungen“, Worte und Gedanken als Sperma).
F e n i c h e 1 (Berlin)
KORRESPONDENZBLATT
DER
INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN
VEREINIGUNG
Redigiert von Dr. M. Eitingon, Zentralsekretär
Berichte der Zweigvereinigungen
The American Psydioanalytic Association
Die dritte alljährliche Wintersitzung fand am 26. Dezember 1926 in
New York unter dem Vorsitz von Dr. A. Stern statt. Nachmittags- und
Abendsitzung waren von einem großen Teil der Mitglieder und einer Anzahl
Gäste besucht, so daß die Zahl der Anwesenden 50 überstieg. Geschäfts¬
sitzung fand keine statt. Das Programm war folgendes:
1. Dr. Tr. B u r r o w (Baltimore): Das Problem der Übertragung.
2. Dr. E. J. Kempf (New York): Psychoanalyse der persönlichen
Beziehungen.
3. Diskussion: „Die Ausbildung des Psychoanalytikers“, eröffnet von Dr.
W. A. White (Washington).
Abendsitzung:
1. Dr. Gregory Stragnell: Individualistische Abweichungen in der
Psychoanalyse.
2. Dr. S. Ferenczi (Budapest): Aktuelle Probleme der Psychoanalyse.
3. Dr. R. Reed (Cincinnati): Analyse des Einzelsymptoms.
Die fünfzehnte Jahresversammlung fand am 31. Mai 1927 in Cincinnati (Ohio)
ebenfalls unter dem Vorsitz von Dr. A. Stern statt. Anwesend waren
12 Mitglieder. — Die Nachmittagssitzung, die gemeinsam mit der American
Psychiatric Association abgehalten wurde, hatte folgendes Programm:
364
Korrespondenzblatt
1. Dr. R. R e e d (Cincinnati): Behaviourismus gegen psychoanalytische
Annahmen.
2. Dr. B. Glu eck (New York): Konstitutionelle Strebungen des Ichs.
In der Abendsitzung wurden folgende Vorträge gehalten:
1. Dr. Tr. Burrow (Baltimore): Die Autonomie des Ichs vom Stand¬
punkt der Gruppenanalyse.
2. Dr. C. P. Oberndorf (New York): Submuköse Resektion als
Kastrationssymb ol.
Ferner hörte die Gesellschaft einen Bericht des Unterrichtsausschusses
(bestehend aus den Drs. Kempf, Jelliffe und Oberndorf), der das
Anwachsen der Zahl der aktiven Mitglieder von 50 auf 75 und die Ein¬
führung einer außerordentlichen Mitgliedschaft für solche Personen befür¬
wortete, die, in den Gebieten der angewandten Psychoanalyse interessiert, die
therapeutische psychoanalytische Praxis nicht ausüben wollen.
Zu Mitgliedern wurden gewählt: Drs. Clara Thompson (Baltimore),
John Cassity (Washington), Earnest E. Hadley (Washington), Lional
Blitzen (Chicago).
Dr. Oberndorf wurde mit der Vertretung der Vereinigung am inter¬
nationalen Kongreß in Innsbruck betraut.
Es wurden gewählt: Zum Präsidenten Dr. W. A. White (Washington),
zum Sekretär Dr. C. P. Oberndorf (New York), zu Beiräten Drs. H. S.
Sullivan (Baltimore), R. Reed (Cincinnati), A. Stern (New York).
Dr. C. P. Oberndorf
Sekretär
British Psydio-Analytical Society
I. Quartal 1927
19. Januar 1927. Dr. W. In man: Augenkrankheiten und Affektzustände.
— Der Redner beobachtete in seiner augenärztlichen Praxis Zusammenhänge
zwischen organischen Augenkrankheiten und dem psychischen Status der
Patienten. So begannen mehrmals schwere Augenkrankheiten an Jahrestagen
des Todes der Eltern. Ein analysierter Fall von Keratitis verschlimmerte und
verbesserte sich entsprechend dem Affektzustande des Patienten.
2. Februar 1927. Miß Mary Chadwick: Ein halbes Jahr Kindergarten¬
beobachtung. — Die Zeichen neurotischer Störungen bei Kindern zwischen
zwei und fünf Jahren sind im wohlpflegenden Elternhaus ebenso häufig wie
im Kinderheim, die Verdrängung ist nicht geringer, wenn einzelne Triebe
Befriedigung finden; Konflikte zwischen den Eltern setzen sich im Kinde als
Konflikte seiner Ideale fort. Therapeutisch ist in manchen Fällen die Kinder¬
analyse nötig, sonst bessere Ausbildung der Erzieher; man muß dem Kinde
Gelegenheit geben, im Spiel und sonst seine Triebe und Phantasien abzuführen,
an Stelle widersprechender Elternvorbilder sich neue Ideale zu bilden. [Die
Arbeit wird in der „Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik^ veröffent¬
licht.]
16. Februar 1927. Mrs. Melanie Klein: Die Bedeutung der Worte in
der Frühanalyse. Ein fünfjähriges Kind verriet seine feindseligen Regungen
gegen die Mutter, indem es beim Kaufmannspiel den von der Analytikerin
Korrespondenzblatt
365
dargestellten Verkäufer „Cookey-Caker “, aus „Cakes-Cooker“, Kakeskoch, d. h.
Kindermacher, nannte, sich selbst aber als Käufer, „Kicker“, d. h. „Stoßer“.
Das Kind „dramatisiert“ nicht nur seine Gedanken, sondern verrät sich dabei
auch durch selbstgewählte Worte. — Miß N. Searl: Eine bedeutungsvolle
Fehlhandlung während der Analyse. — Eine Patientin glaubte ein Pferd
gesehen zu haben, dessen Penis so lang war, daß er bis zur Erde gereicht
hätte, wäre er nicht aufgebunden gewesen. Erinnerungen an die Nabel¬
behandlung einer kleinen Schwester, die ihrerseits wieder aktive Kastrations¬
wünsche gegen den Vater deckten, hatten in dieser Fehlwahrnehmung ent¬
stellten Ausdruck gefunden.
16. März 1927: Mrs. Susan Isaacs: Die Reaktion einer Kindergruppe
auf ungewohnte soziale Freiheit. — Die — zunächst uneingeschränkt
egoistischen — Kinder kommen unter verschiedenen Umständen zur „Massen¬
bildung“, zu sozialen Bindungen. Sie werden dazu bewogen: 1) durch Schuld¬
gefühle (die sich z. B. in der Strenge der Kinder beim „Elternspiel“, in den
Quälereien jüngerer Geschwister, in der Bereitschaft, sich von den Eltern
zwingen zu lassen, nachweisen lassen), 2) durch das Vorhandensein einer
neutralen Person, auf die die feindseligen Anteile der Ambivalenz verschoben
werden können, so daß gegenüber den Geschwistern nur Liebe übrig bleibt,
3) durch das Vorhandensein eines gemeinsamen Feindes (Vater in der Urhorde).
6. April 1927: Miß Ellen M. Terry: Eine Sprachstörung eines 4jährigen
Jungen. — Der kleine Patient litt an einer schweren Sprachhemmung und
leichten angsthysterischen Symptomen. Nach der traumatisch wirkenden Ent¬
wöhnung hielt er die Worte beim Sprechen zurück, der symbolischen unbe¬
wußten Gleichung folgend Sprache=Milch. Die Analyse konnte die Sprach¬
störung beheben.
4. und 18. Mai 1927: Miß Barbara Low: Referat über das Buch von
Anna Freud „Einführung in die Technik der Kinderanalyse". — Die
Diskussionsbemerkungen von Dr. Eder, Dr. E. G 1 o v e r, Mrs. Klein,
Mrs. Ri viere, Miß Searl und Sharp e werden in extenso im „Int.
Journal of Psycho-Analysis“ erscheinen.
1. Juni 1927: Dr. Emest Jones: Ein Fall von Zwangsneurose. — Das
Hauptsympton war die Angst des Patienten, seinen Sinn für Ästhetik zu ver¬
lieren. Der Redner besprach ausführlich den Sinn der Angst, die Analyse
könnte Fortschritte machen, und des Wunsches nach vollständiger Heilung,
bevor noch irgendein Fortschritt erzielt ist.
16. Juni 1927: Dr. Ferenczi: Unterrichtstätigkeit in Amerika 1926 —1927.
— Der Redner beschrieb allgemein das große öffentliche Interesse für Psycho¬
analyse in Amerika und erklärte dann, was dieses Interesse daran hindere,
mehr in die Tiefe zu gehen. Er besprach die Pionierarbeit von St. Hai 1 ,
Putnam und Brill. In den offiziellen medizinischen Kreisen begegnete er
nicht dem unzugänglichen Widerstand, den man von Europa her kennt, aber
der Tendenz, sich mit einer recht oberflächlichen Kenntnis der Materie zu
begnügen; eine Art demokratische Unantastbarkeit der eigenen Person ver¬
hindere vielfach, daß man sich der Regel unterwerfe, sich erst selbst analysieren
zu lassen. Adlers Lehren sind in pädagogischen Kreisen, Jungs in Frauen¬
vereinen verbreitet. Adlers persönlicher Besuch hat in wissenschaftlichen
Kreisen die Enge seiner Gesichtspunkte erkennen lassen und dadurch enttäuscht.
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIII/3.
25
366 Korrespondenzblatt
Ranks neue Technik gefällt vielfach wegen der Kürze der Behandlungsdauern
und eine rasch wachsende kleine Zahl von Anhängern hat sich gefunden.
Der Redner selbst hat auf Einladung der New School for Social Research
eine Reihe von Vorlesungen über „Geschichte und gegenwärtiger Stand der
Psychoanalyse gehalten, und zwar vor einem gemischten Auditorium von
Ärzten und Nichtärzten. Der Redner berichtete ferner von seinen Eindrücken
auf der Columbia-Universität, in medizinischen und psychiatrischen Gesell¬
schaften, bei Fürsorgern, Psychologen und in Privathäusern, und er bewunderte
die Bereitschaft selbst von Lehrern und Professoren, Neues zu lernen. Die
übertriebene Angst vor der Laienanalyse, die die Mediziner zeigten, bewog
den Redner, für Ärzte und Nichtärzte getrennte Kurse zu lesen. — Der
Redner gab dann noch ein kurzes Referat über einen Vortrag, den er vor
der New Yorker psychiatrischen Gesellschaft über Gullivers Phantasien gehalten
hatte, die er mit den Freud sehen Gedanken über die psychischen Geschlechts¬
unterschiede in Verbindung brachte.
Neue außerordentliche Mitglieder: Mrs. Marjorie Brierley, Granary
Cottage, Crabtree Lane, Harpenden, Herts.—Dr. Marjorie E. Franklin, 55,
Weibrock Street, W 1. — Dr. Adrian Stephen, 50, Gordon Square, W. C. 1!
Dr. Karen Stephen, 50, Gordon Square, W. C. 1. — Dr. Hilda
M. Weber, 6, Taviton Street, Gordon Square, W. C. 1.
Dr. Douglas Bryan
Sekretär
Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft
I. — III. Quartal 1927
4. Januar 1927. Vortrag Dr. Bertram Lewin (New York, a. G.): Die
Geschichte der Gewissenspsychologie. — Dr. Sachs: Zur Diskussion der
Laienanalyse.
11. Januar 1927. Technischer Diskussionsabend: Das Verhalten des Ana¬
lytikers zu den Angehörigen des Patienten.
In der Geschäftssitzung wird Frau Dr. med. Frieda Fromm-Reich-
mann (Heidelberg-Neuenheim, IVlönchhofstraße 15) zum außerordentlichen
Mitglied gewählt.
29. Januar 1927. Generalversammlung. Die Berichte des Vorstandes,
des Direktors des Institutes, des Unterrichtsausschusses, des Kassenwartes und
des „Kuratoriums zur Verwaltung des Stipendienfonds“ werden genehmigt. —
Der Vorstand wird einstimmig wiedergewählt: Dr. Simmel (Vorsitzender),
Dr. Radö (Schriftführer) Frau Dr. Horney (Kassenwart). — In den Unter¬
richtsausschuß werden gewählt: Drs. Alexander, Eitingon, Frau Horney,
C. Müller-Braunschweig, Radö, Sachs und Simmel. — In das „Kuratorium zur
Verwaltung des Stipendienfonds“ werden gewählt: Drs. Boehm, Härnik,
Horney. Dr. Boehm stellt den Antrag, daß die freiwillige Selbstbesteuerung
der Mitglieder zugunsten des Stipendienfonds neu geregelt werde; jedes Mit¬
glied soll sich im voraus zu festen monatlichen Beiträgen verpflichten. Der
Antrag wird angenommen.
8. Februar 1927. Dr. Radö: Referat über Freuds Buch „Hemmung,
Symptom und Angst“.
15. Februar 1927. Fortsetzung der Generalversammlung. — Dr.
Korrespondenzblatt
367
Fenichel berichtet über die Tätigkeit des sogenannten Kinder Seminars. — Bei
der Wahl des Kongreßortes entscheidet sich die Gesellschaft mit Stimmen¬
mehrheit für Innsbruck. — Die außerordentlichen Mitglieder Drs. Walter
Cohn, Alfred Groß und Harald Schultz-Hencke werden zu ordent¬
lichen Mitgliedern gewählt.
26. Februar 1927. Diskussionsabend. Die Frage der „Laienanalyse“. Drs.
Simmel, Horney, Alexander, G. Müller-Braunschweig, Sachs, Eitingon, Radö,
Fenichel.
8. März 1927. Dr. Ischlondski (a. G.): Gehirnmechanik psychischer
Phänomene.
19. März 1927. Vortrag Frl. Anna Freud (Wien, a. G.): Zur Technik
der Kinderanalyse.
29. März 1927. Technischer Diskussionsabend: Der Aktualkonflikt. Ein¬
leitendes Referat: Dr. Alexander. — Diskussion: Drs. Simmel, Sachs, Radö,
Frau Jos. Müller, Schultz-Hencke, Boehm, Groß, Fenichel.
5. April 1927. Vortrag von Frau Dr. A. Lampl de Groot: Zur Ent¬
wicklungsgeschichte des Ödipuskomplexes der Frau.
In der Geschäftssitzung wird Dr. August Watermann (Hamburg
Colonnaden 18) zum außerordentlichen Mitglied gewählt.
26. April 1927. Kleine Mitteilungen. Dr. Harnik: Zwei Kinderträume.
— Dr. Boehm: Eine feminine Phantasie beim Manne. — Dr. F enichel:
a) Schuldgefühl und Strafbedürfnis; b) der Witz im Traume.
3. Mai 1927. Frau Dr. Horney: Referat über den zweiten allgemeinen
Kongreß für Psychotherapie in Nauheim. — Vortrag Dr. Simon son: Über
das Verhältnis von Raum und Zeit zur Traumarbeit.
17. Mai 1927. Technischer Diskussionsabend: Die Gefahr des vorzeitigen
Abbruchs der Behandlung. — Einleitendes Referat: Dr. Hämik. Diskussion:
Drs. Alexander, Sachs, Boehm, Eitingon, Radö, Simmel, C. Müller-Braunschweig.
24. Mai 1927: Außerordentliche Generalversammlung. Die
Gesellschaft beschließt die Annahme von „Richtlinien über die Gründung
und Tätigkeit von Arbeitsgemeinschaften im Rahmen der D. PsA. G.“. — Das
außerordentliche Mitglied Frau Dr. Elisabeth N a e f wird zum ordentlichen
Mitglied gewählt.
Vortrag Dr. Radö: Gehirntumor unter dem Bilde einer Psychoneurose.
31. Mai 1927. Vortrag Dr. F e n i ch e 1 : Psychoanalytische Untersuchungen
über die Wirkungsweise der Gymnastik.
18. Juni 1927. Dr. Erich Fromm (Heidelberg, a. G.): Heilung eines
Falles von Lungentuberkulose während der psychoanalytischen Behandlung.
28. Juni 1927. Vortrag Frl. Dr. Kirschner (a. G.): Ein Fall von
Konversionshysterie.
5. Juli 1927. Vortrag Frau Dr. L an tos (a. G.): Aus der Analyse einer
Konversionshysterie.
In der Geschäftssitzung werden Frl. Dr. med. Lotte Kirschner (Berlin-
(Charlottenburg, Mommsenstraße 12) und Frau Dr. med. Barbara L a n t o s
Berlin-Wilmersdorf, Güntzelstraße 2) zu außerordentlichen Mitgliedern gewählt.
*
Die Gesellschaft veranstaltete in ihrem Institut (Berlin, W. 35, Potsdamer
Straße 29) folgende Fach- und Ausbildungskurse:
368
Korrespondenzblatt
X hi W inter quartal (Januar — 1VX ä r z) 1 9 2 7 :
1) Sändor Radö: Einführung in die Psychoanalyse, II. Teil. (Theorie
und Klinik der Neurosen.) 6 Stunden. (Hörerzahl: 46.)
2) Jenö Harnik: Sexualforschung und sexuelles Wissen in der Kindheit
und in der Pubertät. 6 Stunden. (Hörerzahl: 27.)
3) Franz Alexander: Spezielle Neurosenlehre, I. Teil. (Zwangsneurose
und Phobien.) 5 Stunden. (Hörerzahl: 19.)
4) Otto Fenichel: Ichpsychologie, II. Teil. (Struktur und Genese des
Ichs, Ich und Es, Ich und Über-Ich, Angst, Ich und Symptom.) 8 Stunden.
(Hörerzahl: 19.)
5) Carl Müller-Braunschweig: Verhältnis der Psychoanalyse zum
religiösen Glauben und zur Seelsorge. 5 Stunden. (Hörerzahl: 19.)
6) Hanns Sachs: Die Anwendung der Deutungstechnik auf den Witz
und verwandte Gebiete. (Nur für ausübende Analytiker und Ausbildungs-
kandidaten.) 5 Stunden. (Hörerzahl: 12.)
7) Siegfried Bernfeld: Psychoanalytische Besprechung praktisch-päd¬
agogischer Fragen. (Seminar, laufend). [Hörerzahl: a) Abt. für Anfänger: 26
b; Abt. für Fortgeschrittene: 32.]
8) Sändor Radö: Technisches Kolloquium. (Nur für ausübende Analytiker
insbesondere Ausbildungskandidaten.) 16 Stunden. (Hörerzahl: 15.)
9) Eitingon, Simmel: Praktische Übungen zur Einführung in die
psychoanalytische Therapie. (Nur für Ausbildungskandidaten.) (12 Kandidaten.)
Im Früh j ahrs quartal (April — Juni) 1927:
1) Siegfried Bernfeld: Was ist Psychoanalyse? 3 Stunden. (Hörer-
zahl: 31.)
2) Sändor Radö: Liebesieben und Sexualfunktion. 6 Stunden. (Hörer¬
zahl: 31.)
3) Hanns Sachs: Die Symbolik und ihre künstlerische Verwendung
5 Stunden. (Hörerzahl: 35.)
4 ) Carl Müller-Braunschweig: Stellung der Psychoanalyse inner¬
halb der Wissenschaften und der Gesamtkultur. 3 Stunden. (Hörerzahl: 9.)
tt, 3 4 5 6 7 8 9 10 r.^ UO Fenichel; Ichpsychologie, III. Teil. (Angst, Ich und Symptom,
Ichgefuhl, Psychoanalyse und Denkarbeit.) 7 Stunden. (Hörerzahl: 10.)
6) Franz A 1 e x a n d e r: Spezielle Neurosenlehre, II. Teil. (Hysterie, Cha¬
rakter.) 5 Stunden. (Hörerzahl: 25.)
7) Jenö Harnik: Die Psychoanalyse als Deutungskunst. (Ausgewählte)
Kapitel der therapeutischen Technik.) 6 Stunden. (Hörerzahl: 26.)
8) Siegfried Bernfeld: Psychoanalytische Besprechung praktisch-päd-
agogischer Fragen. (Seminar, laufend.) [Hörerzahl: a) Abt. für Anfänger: 34,
b) Abt. für Fortgeschrittene: 34.]
9) Sändor Radö: Technisches Kolloquium. (Nur für ausübende Analytiker
insbesondere Ausbildungskandidaten.) 16 Stunden. (Hörerzahl: 17.)
10) Eitingon, Simmel: Praktische Übungen zur Einführung in die
psychoanalytische Therapie. (Nur für Ausbildungskandidaten.) (12 Kandidaten.)
Dr. Sändor Radö
Schriftführer
Korrespondenzblatt
369
Magyarorszägi Pszichoanalitikai Egyesület
I. — U. Quartal 1927
15. Januar 1927. Dr. G. Röheim: Die Projektion.
29. Januar 1927. Geschäftliche Sitzung. Der Vorstand wurde wiedergewählt.
— Diskussion über die Frage der Laienanalyse.
19. Februar 1927. Dr. P. Federn (Wien): Die häufigste narzißtische Psychose.
5. März 1927. Frau K. Levy (a. G.): Referat über eine Sitzung der Wiener
Psychoanalytischen Vereinigung. — Dr. M. Bali nt: Kasuistisches, a) Schwanger¬
schaftstheorie eines jungen Mannes. — b) Analyse von Singultusfällen.
19. März 1927. Dr. L. Revesz: Kasuistisches, a) Aktiver Eingriff bei einem
Fall von relativer Impotenz. — b) Schnellanalyse einer Schlaflosigkeit.
2. April 1927. Dr. M. J. Eisler: Zwangssymptom und Zwangsneurose.
30. April 1927. Frau K. Levy (a. G.): Referat über das Buch von
Anna Freud „Einführung in die Technik der Kinderanalyse‘ .
14. Mai 1927. Dr. M. J. Eisler: Struktur der Zwangsneurose (Fort¬
setzung).
28. Mai 1927. Frau Dr. Kircz-Takacs: Die neueren Romane Romain
Rollands.
*
Das Lehrinstitut veranstaltete in den Monaten Februar März folgende
Kurse:
Dr. I. Hollos: Traumdeutung.
Dr. S. Pfeifer: Allgemeine Neurosenlehre.
Dr. M. J. Eisler: Spezielle Neurosenlehre.
In den Monaten April—Mai hielt im Rahmen des Lehrinstitutes Frau
Alice Bälint einen Kurs über analytische Kinderpsychologie für Laien. Der
Kurs war stark besucht. Dr. Imre Hermann
Sekretär
New York Psycho-Analytical Society
I. — II. Quartal 1927
25. Januar 1927. a) Dr. Alexander Lorand: Ein weiblicher Fall von
Angsthysterie, die als Pferdephobie in Erscheinung trat und an die Neurose
des „kleinen Hans“ erinnerte. — b) Dr. Abraham Kardiner: Ein Fall von
Angsthysterie, interessant dadurch, daß ihre Phobie in der oral-sadistischen
Organisationstufe wurzelte und zahlreiche archaische kannibalistische Phan¬
tasien produzierte.
In der Geschäftssitzung wurde eine Resolution zur Frage der Laienanalyse
angenommen. (S. diese Ztschr. S. 321.)
Für das Jahr 1927 wurden gewählt: Dr. A. A. Brill zum Präsidenten,
Dr, Monroe A. Meyer zum Vizepräsidenten, Dr. A. Kardiner zum
Sekretär und Schatzmeister. — Der Präsident bestimmte zum Schriftführer
Dr. Ph. R. Lehr mann,
22. Februar 1927. a) Dr. A. A. Brill: Ansprache des neugewählten
Präsidenten. Die kurze Ansprache ermunterte die Mitglieder zu erhöhter
Produktivität und betonte, daß klinisches Material erwünschter sei als
theoretische Ausführungen. — b) Dr. H. W. Frink: Der Fall des Herrn
3 7o Korrespondenzblatt
Dudley Stackpole. Der Redner leitete seinen Versuch zu einer analytischen
Besprechung einer Erzählung von Irvin Cobb mit dem Hinweis darauf ein,
daß solchem Material besondere didaktische Bedeutung zukommt.
In der Geschäftssitzung wurde Dr. Thomas H. Haines zum Mitglied
gewählt. ö
Der Präsident bildete aus den Drs. Frink, Oberndorf und Meyer
ein „wissenschaftliches Komitee“ und setzte die Drs. Oberndorf (Vor¬
sitzender), K a r d i n e r, Meyer, Frink, Stern, Jelliffe und Lehrmann
als Unterrichtsausschuß ein.
29. März 1927. a) Dr. A. Lorand: Träume als Auslöser latenter Neu¬
rosen. b) Dr. B. Glueck: Psychoanalytische Bemerkungen zu zwei Mord¬
waffen. Der Redner versuchte die Ermordung eines Jungen durch zwei junge
Leute von hoher Bildung und gesellschaftlicher Stellung psychoanalytisch zu
klaren: Obwohl das unter den widrigen Umständen der Haft gewonnene
Material nur unzureichend war, gelang es doch, in die Motivierung der Tat
einiges Licht zu bringen. An der Diskussion nahm u. a. Dr. W. A. White
teil der zusammen mit Dr. Glueck die Angeklagten untersucht hatte.
In der Geschäftssitzung wurde die Austrittserklärung Dr. Wearnes
angenommen.
f6._ Ap r il 1 9 2 7 ■ Dr. D. Feigenbaum: Eine neue Deutung eines alten
analysierten Falles. Der Redner versuchte den von Breuer in den „Studien
über Hysterie beschriebenen Fall im Lichte der heutigen Theorie darzu¬
stellen. — An der Diskussion beteiligte sich Dr. Ferenczi, eer über diesen
all und über die Frühgeschichte der Psychoanalyse interessantd Ausführungen
machte.
24 jT^ ai 192 . 7 * Dr * A * Stern: Eine schwierige Ödipussituation eines
Jugendlichen. Ein fünfzehnjähriger Patient mit Ohnmachtsanfällen und leb¬
haften sexuellen Phantasien seit einer Verführung im achten Lebensjahr wurde
erfolgreich durch eine Analyse behandelt, deren Technik der Jugend des
Patienten entsprechend modifiziert war. ~ Dr.Kardiner: Kurze Mitteilung
über einen Fall von Impotenz.
In der Geschäftssitzung wurden Dr. Lillian Powers zum ordentlichen,
Drs Sarah R. Kolm an und Dr. Stanley King zu außerordentlichen Mit¬
gliedern gewählt.
Mit der Verwaltung des Ausbildungsfonds wurden Drs. Oberndorf
Stern und Jelliffe betraut. Dr . PhiIipp R Lehrmann
Schriftführer
Russische Psychoanalytische Vereinigung
I. — II. Quartal 1927
27. Januar 1927. Frau Dr. Awerbuch: W. W. Rosanon (Versuch einer
Analyse seines literarischen Schaffens).
3. Februar 1927. Diskussion über den Vortrag von Frau Dr Awerbuch
16. Februar 1927. Dr. Wulff: Über den Affekt (ein Referat).
23. Februar 1927. Al. Luria: Über die experimentellen Unter¬
suchungen des primitiven Denkens bei Kindern.
10. März 1927. L. Wygotsky: Psychologie der Kunst in Freuds
Korrespondenzblatt
371
17. März 1927. Al. Luria: Referat über Bychowskys „Die Meta¬
psychologie Freuds“.
7. April 1927. Dr. Wulff: Psychoanalytische Beleuchtung des während
der . . . Untersuchung der Moskauer Autobuschauffeure gesammelten Materials.
In der geschäftlichen Sitzung bittet Al. Luria um Enthebung von den
Sekretärpflichten der Vereinigung. Die Vereinigung erfüllt mit Bedauern den
Wunsch von Al. Luria und spricht ihm ihren Dank aus.
Zum neuen Sekretär wird Wera Schmidt gewählt.
14. April 1927. Dr. F riedmann: Latente Homosexualität und Depressions¬
zustände. Wera Schmidt
Sekretär
Wiener Psychoanalytische Vereinigung
I. — II. Quartal 1927
12. Januar 1927. Vortrag Hedwig Schaxel: Erziehungsfragen der
frühen Kindheit. Diskussion: H. Deutsch, Federn, Frl. Freud, Friedjung,
Hitschmann, Hoffer, Libbin (a. G.), Reich, Wälder, Wittels (a. G.).
26. Januar 1927. Kleine Mitteilungen und Referate. 1. Federn: Eine
Fehlleistung im Traum. Diskussion: Fr. Bibring. — 2. Reik: Zum Thema:
Sexualität und Schuldgefühl, Diskussion: H. Deutsch, F edern, Sadger,
Wälder. — 3. Hitschmann: Familienforschung bei psychoanalytischen
Patienten. Diskussion: Federn, Jokl.
9. Februar .1927. Vortrag Dr. Theodor Reik: Die Überschätzung des
Traumas in der Psychoanalyse. Diskussion: H. Deutsch, F. Deutsch,
Federn, Hartmann, Hitschmann, Jokl, Libbin (a. G.), R. Sterba, Wittels
(a. G.).
23. Februar 1927. Kleine Mitteilungen und Referate. 1. Reik: Eine
kritische Bemerkung zur Diskussion Reich-Alexander: Strafbedürfnis und
neurotischer Prozeß. Diskussion für ein ausführliches Referat (Wittels) ver¬
schoben. — 2. Hitschmann: Eine Beobachtung bei Knut Hamsun.
Woher kommt es, daß Ärzte sich nicht mehr mit Anwendung der Psycho¬
analyse auf Geisteswissenschaften befassen? Diskussion: Prinzessin Bonaparte
(a. G.), H. Deutsch, F. Deutsch, Federn, Jokl, Fr. Klepetar (a. G.),
Libbin (a. G.), Reik, Storfer, Wittels (a. G.).
9. März 1927. Vortrag Dr. Helene Deutsch: Zur Psychogenese der
Platzangst. Diskussion: F. Deutsch, Federn, Hitschmann, Nunberg, Schilder,
Steiner, Wittels (a. G.).
23. März 1927. Kleine Mitteilungen und Referate. 1. Steiner: Eine
kleine Fehlleistung. — Träume Ahnungsloser. Diskussion: Federn, Jokl,
Storfer. — 2. Hitschmann: Das Amazonentum (Bachofen: Urreligion
und antike Symbolik). Diskussion: H. Deutsch, Federn, Libbin (a. G.),
Nunberg, Storfer, Wittels (a. G.). 3* Federn: Ablehnung des Penis
durch einen Mann. Diskussion: Hitschmann, Nunberg. 4. Spitz: Ein
Vorläufer des Ödipusmythos bei Herodot.
6. April 1927. Mitteilung Storfer: Zur Frage des „Tagebuch eines
halbwüchsigen Mädchens“; vorläufige Rückziehung durch den Verlag.
Referat Dr. Wittels (a. G.): Strafbedürfnis und neurotischer Prozeß.
372
Korrespondenzblatt
(Kritische Bemerkungen zu der gleichnamigen Diskussion von Reich-
A1 ex ander und zu Alexander: „Psychoanalyse der Gesamtpersönlich¬
keit .) Diskussion: Federn, Reik, Wälder.
20. April 19 2 7 * Kleine Mitteilungen. 1. Jo kl: Bemerkungen zu
Karikaturen eines zwangsneurotischen Zeichners. Diskussion: Nunberg, —
2. H. Deutsch: Phantasien im Opiumrausch. Diskussion: H. Bibring,
Klepetar (a. G.), Libbin (a. G)., Wittels (a. G.). — 3. Nunberg: Über
das Aufgeben von Sublimierungen. Diskussion: Federn, H. Deutsch. —
4. H. Deutsch: Schicksalsbestimmung in der Analyse. Diskussion: Federn,
Klepetar (a. G.), H. Libbin (a. G.), Nunberg.
4. Mai 1927. Vortrag Dr. Fokschaner: Beitrag zum Epilepsie¬
problem. Diskussion: H. Deutsch, Federn, Hitschmann, Sadger, Schilder,
Winterstein.
18. Mai 1927. Kleine Mitteilungen. 1. Wittels (a. G.): Bemerkungen
zu einem symbolischen Gemälde (F r e u d-Porträt eines Schizophrenen).
Diskussion: H. Deutsch, Nunberg, Federn. — 2. Reik: Zum Sadismus des
Über-Ichs. Diskussion: E. Bibring, Federn, Hitschmann, Spitz, Storfer,
Wälder. 3. H. Sterba: Ein Fall von fetischistischer Onanie. Diskussion:
H. Deutsch, Federn, Hitschmann. 4. Nunberg: Schuldgefühl und
Libidosteigerung (Reik). Diskussion: H. Deutsch, Federn, Hitschmann, Reik,
Sterba, Winterstein. — W i 11 e 1 s (a. G.): Über drei Gedichte von K 1 a b u n d.
Diskussion: H. Deutsch, Jokl, Reik, Storfer.
1. Juni 1927. Vortrag Doz. Dr. Deutsch: Beiträge zur Psychogenese
des Blepharospasmus. Diskussion: H. Deutsch, Federn, Hartmann, Nunberg,
Reich.
15. Juni 1927. Kleine Mitteilungen. 1. Tamm: Mitteilung über einen
Fall von Stottern. Diskussion: F. Deutsch, H. Deutsch, Federn, Nunberg,
Steiner, R. Sterba. 2. H. Sterba: Ein Maturitätstraum. Diskussion:
Sadger. 3. Fr. Sterba-Alberti: Gotteslästerung und Himmelsstrafe.
— 4. Hitschmann: Zur Frigidität. Diskussion: F. Deutsch, H. Deutsch,
Fr. Deutsch-Eszenyi (a. G.), Federn, Nunberg. — 5. Federn: Darstellung
abstrakter Worte durch Traumabschnitte.
2g. Juni 1927. Vortrag Dr. E. Bibring: Über den oral-erotischen
Charakter. Diskussion: Federn, Friedjung, Nunberg, Reich, Schaxel.
Geschäftliches: Zu ordentlichen Mitgliedern wurden gewählt:
Dr. Heinz Hartmann, Wien, I., Rathausstraße 15; Hedwig Schaxel,
Wien, I., Ring des 12. November 8; Dr. Fritz Wittels, Wien, I., Hohen¬
staufengasse 9. Dr R H Jokl
Schriftf ührer
LEHRINSTITUT DER WIENER
PSYCHOANALYTISCHEN VEREINIGUNG
Das LEHRINSTITUT DER WIENER PSYCHO¬
ANALYTISCHEN VEREINIGUNG veranstaltet im
Wintersemester 1927/28 folgende Kurse:
* 1) Dr. P. Federn: Einführung in die Psychoanalyse. Näheres bei
der Anmeldung.
2) Dr. P. Federn: Technik der Psychoanalyse. 8 stündig. Beginn
Donnerstag, den 13. Oktober, 7 Uhr abends.
3) Dr. H. Nunberg: Allgemeine Neurosenlehre (Fortsetzung). Beginn
Dienstag, den 11. Oktober, 8 1 / 2 Uhr abends.
4) Dr. Helene Deutsch: Spezielle Neurosenlehre. 10 stündig. Beginn
Donnerstag, den 5. Januar, 7 Uhr abends.
5) Dr. E. Hitschmann: Traumlehre. 12 stündig. Beginn Freitag, den
14. Oktober, 7 Uhr abends. .
6) Dr. W. Reich .-Trieb psychologie und Charakter lehre. 10 stündig.
Beginn Montag, den 9. Januar, 8 Uhr abends.
7) Dr. R. TVälder: Psychoanalytisches Colloquium (Semestralkurs).
Beginn Freitag, den 14. Oktober, 8Y2 abends.
8) Prof. Dr. P. Schilder .- Ich und Über-Ich bei Psychosen. 10stündig.
Beginn Dienstag, den 10. Januar, 8Y2 Uhr abends.
9) Dr. Helene Deutsch: Beziehungen zwischen Psychoanalyse und
^ Gynäkologie (für Frauenärzte). 6stündig. Beginn Montag, den 17. Ok¬
tober, 7 Uhr abends.
*
10) Am Ambulatorium der Wiener Psychoanalytischen Ver¬
einigung: Seminar für psychoanalytische Therapie ^Leiter Dr. TV. Reich)
jeden zweiten Mittwoch.
*
Bei genügender Beteiligung werden Parallelkursein englischer Sprache ab gehalten.
*
Ort: Vortragssaal des Lehrinstituts, Wien, IX., Pelikangasse 18.
Honorar: öst. Schilling 1*50 pro Stunde. Ermäßigungen werden fallweise gewährt.
Auskunft: Auskunft über Fragen des theoretischen Unterrichts und der praktischen
Ausbildung in der Psychoanalyse bei der Vorsitzenden des Lehrinstituts, Frau
Dr. Helene Deutsch, Wien, I., Wollzeile 33, jeden Mittwoch von 2 — 3 Uhr
nachmittags.
Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Band XIII, Heft 3
(Ausgegeben Ende August 1927)
Seite
A . Lampl-de Groot: Zur Entwicklungsgeschichte des Ödipuskomplexes der Frau . . 269
Sandor Radö: Eine ängstliche Mutter.. 283
KASUISTISCHE BEITRÄGE
M. W. Wulff: Phobie bei einem anderthalbjährigen Kinde.290
N. Searl: Ein Fall von Stottern bei einem Kind.294
DISKUSSIONEN
Diskussion der „Laienanalyse“ : XIII) Robert Wälder 298. — XIV) Edward Glover 299.
— XV) H. Nunberg 306. — XVI) Wilhelm Reich 307. — XVII) E. Hitschmann 310.
— XVIII) I. Sadger 310. — XIX) J. Hdrnik 310. — XX) Therese Renedek 311.
— XXI) J. H. van Ophuijsen 312. — XXII) John Rickman 314. — XXIII)
A. A. Brill 518* XXIV) S. E. Jelliffe 320. XXV) New York Psycho-Analytic
, Society 321. — XXVI) Ungarische Psychoanalytische Vereinigung 322. — XXVII)
Max Eitingon 324. — XXVIII) Sigm . Freud : Nachwort zur „Frage der Laien¬
analyse“ 326.
ZUSCHRIFTEN
Aus der Kindheit eines Philosophen (Prof. H. G .) 333. — Eine Vorwegnahme der psycho¬
analytischen Sublimierungstheorie (Prof. G.) 333.
PSYCHOANALYTISCHE BEWEGUNG
Dr. Ferenczis Lehrtätigkeit im Ausland 335. — Deutschland 336. — England 336. — Öster¬
reich 336.
REFERATE v
Aus den Grenzgebieten:
Kern u. Schöne, Sonderstellung gewisser Farbtöne und Heilbehandlung von Farben¬
schwäche ( Hermann ) 337. — Henning, Psychologische Studien am Geruchssinn ( Hermann) 337.
— Kraus, Allgemeine und spezielle Pathologie der Person, I (Reich) 338. — Ho f f in ann,
Das Problem des Charakteraufbaues ( Bally ) 339. — Mette, Dionysische Perspektive (Bally) 341.
-^■A sehn er, Gynäkologie und innere Sekretion (Horney) 341. — Die Medizin der Gegen¬
wart in Selbstdarstellungen, Band 5 (Müller'Braunschweig) 341. I — Pearl, The Biology of
Death (Jones) 342.
Aus der p s y c h i a t r i s c h - n e u r o l o g i s ch e n Literatur:
Lange, Die Paranoiafrage (Reich) 343. — Schneider, Die abnormen seelischen Frak¬
tionen (Reich) 344. — Blüh er, Traktat über die Heilkunde, insbesondere die Neurosen¬
lehre (Reich) 344. — Birnbaum, Die psychopathischen Verbrecher (Reich) 349. — Taylor,
Psychotherapy (Bernfeld) 350. V- White, Essays in Psychopothology (Jones) 350.
Aus der p sy cho analytischen Liter atur:
Wittels, Die Technik der Psychoanalyse .( Ferdchel) 351. — S u g ä r, Zur Genese und
Therapie der Homosexualität (Hdrnik) 359. — Thomson, The attitude of the medical
profession to scientific problems (Autoreferat) 359. — Low, The foundations of mental
health (Autoreferat) 360. -y- B u r r o w, Our mass neurosis. Insanity a social problem
(Fenichel) 360. — Feigenbaum, A case of hysterical depression (Fenichel) 361. —
Glover, A „technical“ form of resistance (Fenichel) 361.
KORRESPONDENZBLATT DER INTERNAT. PSYCHO ANALYT. VEREINIGUNG . 363
Berichte der Zweigvereinigungen : The American Psychoanalytic Association 363. — British
Psychoanalytical Society 364. — Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft 336. — Magyarorszägi
Pszichoanalitikai Egyesület 369. — New York Psychoanalytic Society 369. — Russische Psycho¬
analytische Vereinigung 370. — Wiener Psychoanalytische Vereinigung 371.
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Eigentümer und Veneger: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Ges. m. b. H., Wien, VII., Andreasgasse 3. — Herausgeber:
Prof. Dr. Sigm. Freud, Wien. — Verantwortlich für die Redaktion: Dr. Paul Federn, Wien, I., Riemergasse 1. — Druck:
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Karl Wrba, Wien.)