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Full text of "Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse XIII. Band 1927 Heft 3"

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XIII. BAND_ 1927 _HEFT 3 

Internationale Zeitschrift 
für Psychoanalyse 

Offizielles Organ der Internationalen Psydioanalytisdien Vereinigung 

Herausgegeben von 

Sigm. Freud 


Unter Mitwirkung von 


Girindrashekhar Bose 

A. A. Brill 

Jan van Emden 

Paul Federn 

Kalkutta 

New York 

Haag 

Wien 

Emest Jones 

Emil Oberholzer 

Ernst Simmel 

M. Wulff 

London 

Z ö rich 

Berlin 

Moskau 


redigiert von 

M. Eitingon, S. Ferenczi, Sandor Radö 

Berlin Budapest Berlin 


Lampl-de Groot: Zur Entwicklungsgeschichte 
des Ödipuskomplexes der Frau / Radö: Eine 
ängstliche Mutter / Wulff: Phobie bei einem 
anderthalbjährigen Kinde / Searl: Ein Fall von 
Stottern bei einem Kinde / Diskussion der 
„Laienanalyse“ (Wälder, Glover, Nunberg, Hitsch- 
mann, Sadger, Härnik, Ophuijsen, Rickman, Brill, 
Jelliffe, New York PsA. Soc., Ung. PsA. Ver., 
Eitingon, Sigm. Freud) / Bewegung / Referate / 
Korrespondenzblatt der I. PsA. Vereinigung 


Internationaler Psychoanalytischer Verlag 

Wien, VII. Andreasgasse 3 







Internationaler Psychoanalytischer Verlag 

Wien, VII. Andreasgasse 3 

1) Die in der „Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse“ veröffentlichten Beiträge werden 
mit Mark 50 .— pro sechzehnseitigen Druckbogen honoriert. 

2) Die Autoren von Originalbeiträgen, sowie von Mitteilungen und Referaten im Umfange 
über zwei Druckseiten erhalten zwei Freiexemplare des betreffenden Heftes. 

3) Die Kosten der Übersetzung von Beiträgen, die die Autoren nicht in deutscher Sprache zur 
Verfügung stellen, trägt der Verlag; die Autoren solcher Beiträge erhalten kein Honorar. 

4) Die Manuskripte sollen gut leserlich sein, möglichst in Schreibmaschinenschrift (nicht eng 
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und Tabellen sollen auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt sein. Die Zeichnungen sollen 
tadellos ausgeführt sein, damit die Vorlage selbst reproduziert werden kann. 

5) Mehrkosten, die durch Autorkorrekturen, d. h. durch Textänderungen, Einschaltungen, 
Streichungen, Umstellungen während der Druckkorrektur verursacht werden, werden vom Autoren- 
honorar in Abzug gebracht. 

6) Separata werden nur auf ausdrücklichen Wunsch und auf Kosten des Autors angefertigt. 
Die Kosten (einschließlich Porto der Zusendung der Separata) betragen für Beiträge 

bis 8 Seiten für 25 Exemplare Mark 15.—, für 50 Exemplare Mark 20.— 


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Mehr als 50 Separata werden nicht angefertigt. 

7) Alle obigen Bedingungen gelten audi für die Zeitschrift „I m a g o“. 

Alle diese Zeitschrift betreffenden redaktionellen Zuschriften und Sendungen bitte zu richten an 

Hr ßorlo bis zum 1 5 * Okt. *927 •* Berlin, W 15 , Meierottostr. 4 

. OdlKlUI ItdLlUj a b 15. Okt. 1927: Berlin-Grunewald, Ilmenauer Str. 2 

alle geschäftlichen Zuschriften und Sendungen an: 

Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien, VH. Andreasgasse 3- 


Heft 4 (Schlußheft) dieses Jahrganges der „Internationalen Zeit¬ 
schrift für Psychoanalyse“ erscheint voraussichtlich im November 


Heft 2/3/4 des Jahrganges 1927 (Band XIII) der 

IMAGO 

Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse 
auf die Natur- und Geisteswissenschaften 

Herausgegeben von Sigm. Freud 

Redigiert von Sändor Rad6, Hanns Sachs, A. J. Storfer 
erschien soeben als Sonderheft 

„Glaube und Brauch " 1 

und enthält u . a. folgende Arbeiten: 

Daly: Hindu-Mythologie und Kastrationskomplex. — Jones: Das Mutterrecht und die 
sexuelle Unwissenheit der Wilden. —Fromm: Der Sabbath. — Fromm-Reich mann: 
Das jüdische Speiseritual. — Reik: Dogma und Zwangsidee. — Rorschachf: Zwei schwei¬ 
zerische Sektenstifter (Binggeli, Unternährer) — R 6 h e i m: Mondmythologie und Mondreligion 
— Chadwick: Die Gottphantasie bei Kindern. — Zulliger: Totenmahl eines fünf¬ 
einhalb jährigen Knaben. — Referate — Sigm. Freud: Nachtrag zur Arbeit über den 

Moses des Michelangelo. 

Preis dieses dreifachen Heftes M . 16 .—; Preis des ganzen Jahrganges M, 20. — 

Internationaler Psychoanalytischer Verlag 

Wien, VII., Andreasgasse 3 










Internationale Zeitschrift 
für Psychoanalyse 

Herausgegeben von Sigm. Freud 
XIII. Band 1927 Heft 3 


Zur Entwicklungsgeschichte des Ödipuskomplexes 

der Frau 

Von 

A. Lampl - de Groot 

Berlin 

Eine der frühesten Entdeckungen der Psychoanalyse war die der Existenz 
des Ödipu|komplexes. Freud stellte die libidinösen Beziehungen zu den 
Eltern in den Mittelpunkt der Blütezeit des kindlichen Sexuallebens und 
erkannte schon bald in denselben den Kernpunkt der Neurosen. Im Laufe 
von vielen Jahren psychoanalytischer Arbeit bereicherte sich sein Wissen 
um die Entwicklungsvorgänge dieser Kindheitsperiode in hohem Maße; es 
wurde ihm allmählich klar, daß es bei Individuen beiderlei Geschlechts 
sowohl einen positiven wie einen negativen Ödipuskomplex gibt, daß die 
Libido sich zu dieser Zeit eine körperliche Abfuhr in die Onanie schafft, 
der Ödipuskomplex also erst in der phallischen Phase der Libidoent¬ 
wicklung einsetzt, während er mit Abklingen der infantilen Sexual¬ 
blütezeit untergehen muß, um der Latenzzeit mit ihren zielgehemmten 
Strebungen Platz zu machen. Auffallend war es jedoch, wie viele dunkle 
und ungeklärte Probleme durch viele Jahre hindurch bestehen blieben, 
trotz der zahlreichen Beobachtungen und Studien von Freud und 
verschiedenen anderen Autoren. 1 

Ein besonders wichtiger Faktor schien der Zusammenhang von Ödipus¬ 
komplex mit Kastrationskomplex zu sein, welcher viele Unklarheiten mit 

1) Abraham: Äußerungsformen des weiblichen Kastrationskomplexes. Int. 

Ztschr. f. PsA., VIII (1922). — Alexander: Kastrationskomplex und Charakter. 

Int. Ztschr. f. PsA., VIII (1922). — Helene Deutsch: Psychoanalyse der weiblichen 
Sexualfunktionen. Neue Arbeiten zur ärztl. PsA., Nr. V. — Horney: Zur Genese 
des weiblichen Kastrationskomplexes. Int. Ztschr. f. PsA., IX (1923). Flucht aus der 
Weiblichkeit. Int. Ztschr. f. PsA., XII (1926). — Van Ophuysen: Beiträge zum 
Männlichkeitskomplex der Frau. Int. Ztschr. f. PsA., IV (1916/17). 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIII/3. 

™ V INTERNATIONAL 
Efl PSYCHOANALYTIC 
UNIVERSITY 


DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN 








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A. Lampl - de Groot 


sich brachte. Auch war das Verständnis für die Vorgänge beim männlichen 
Kinde immer etwas weitgehender gediehen als für die analogen beim weib¬ 
lichen Individuum. Für die Schwierigkeiten bei der Aufklärung der 
frühinfantilen Liebesbeziehungen macht Freud die schwere Zugänglich¬ 
keit des diesbezüglichen Materiales verantwortlich; diese sei eine Folge der 
intensiven Verdrängung, welcher diese Regungen unterliegen. Das geringere 
Verständnis für die Vorgänge beim kleinen Mädchen mag einerseits daran 
liegen, daß dieselben an und für sich komplizierter sind als die analogen 
beim Knaben, andererseits daran, daß die Verdrängung der libidinösen 
Wünsche sich bei der Frau als eine intensivere manifestiert. Horney 
ist der Meinung, es spiele dabei auch die Tatsache eine Rolle, daß die 
analytischen Beobachtungen bisher hauptsächlich von Männern gemacht 
worden sind. 

In den Jahren 1924 und 1925 brachten zwei Arbeiten von Freud 
weitgehende Aufklärungen über das Entstehen des Ödipuskomplexes sowie 
über dessen Zusammenhang mit dem Kastrationskomplex. Die erste dieser 
beiden Arbeiten, „Der Untergang des Ödipuskomplexes“, zeigt uns das 
Schicksal desselben beim kleinen Knaben; allerdings war dieses Schicksal 
schon mehrere Jahre vorher in der „Geschichte einer infantilen Neurose“ 
und im Jahre 1923 neuerdings in „Eine Teufelsneurose aus dem 
XVII. Jahrhundert“ für einzelne Fälle beschrieben worden. „Der Unter¬ 
gang des Ödipuskomplexes“ jedoch bringt die Verallgemeinerung, die 
theoretische Würdigung und die weiteren Folgerungen dieser Entdeckung. 
Das Ergebnis dieser Arbeit ist folgendes: Der Ödipuskomplex des männ¬ 
lichen Kindes geht an dem Kastrationskomplex zugrunde, d. h. sowohl bei 
der positiven wie bei der negativen Ödipuseinstellung muß der Knabe die 
Kastration vom mächtigeren Vater» befürchten, im ersten Falle als Strafe 
für den unerlaubten Inzestwunsch, im zweiten Falle als Voraussetzung, 
um dem Vater gegenüber die weibliche Rolle einnehmen zu können. Um 
der Kastration zu entgehen, das Glied behalten zu können, muß der Knabe 
also auf die Liebesbeziehungen zu beiden Eltern teilen verzichten. Wir 
sehen, welche besonders wichtige Rolle diesem Körperteil des Knaben 
zukommt und welche immense psychische Bedeutung er in dessen Seelen¬ 
leben einnimmt. Die analytische Erfahrung hat außerdem gezeigt, wie 
außerordentlich schwer es dem Kinde fällt, auf den Besitz der Mutter zu 
verzichten, die sein Liebesobjekt darstellte, seitdem das Kind zur Objekt¬ 
liebe fähig war. Diese Überlegung legt uns den Gedanken nahe, ob der 
Sieg des Kastrationskomplexes über den Ödipuskomplex neben dem narzi߬ 
tischen Interesse an dem hoch eingeschätzten Körperteil nicht auch noch 
einem anderen Faktor zu verdanken wäre, und zwar der Zähigkeit dieser 













Zur Entwiddungsgesdiichte des Ödipuskomplexes der Frau 


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ersten Liebesbeziehung. Vielleicht ist auch folgender Gedankengang nicht 
ganz ohne Bedeutung. Verzichtet der Knabe auf den Besitz seines Gliedes, 
so wird ihm ein für allemal der Besitz der Mutter (oder deren Ersatz¬ 
person) unmöglich gemacht; verzichtet er jedoch, gezwungen durch die 
Übermacht der viel stärkeren väterlichen Konkurrenz, auf die Erfüllung 
seines Liebeswunsches, so bleibt ihm der Weg offen, einmal später erfolg¬ 
reicher mit dem Vater kämpfen zu können und zu dem ersten Liebes- 
objekt, besser gesagt, zu seiner Ersatzperson zurückzukehren. Nicht unmög¬ 
lich erscheint es, daß dieses wahrscheinlich phylogenetisch erworbene, 
natürlich unbewußte Wissen um die zukünftige Möglichkeit dieser Wunsch- 
erfullung seinen Teil dazu beiträgt, den Knaben vorläufig zum Verzicht 
auf das verbotene Liebesverlangen zu veranlassen. Dies würde uns auch 
erklären, warum der kleine Mann vor oder im Anfang der Latenzzeit so 
sehnsüchtig wünscht, „groß“, „erwachsen“ zu sein. 

In der oben genannten Arbeit Freuds erklärt dieser uns also weit¬ 
gehend die Zusammenhänge von Ödipus- und Kastrationskomplex beim 
kleinen Knaben; über die nämlichen Vorgänge beim kleinen Mädchen 
bringt diese Arbeit nur wenig Neues. Um so mehr erklärt uns die 1925 
erschienene Arbeit „Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechts¬ 
unterschiedes“ von dem Schicksal der früh infantilen Liebesregungen des 
weiblichen Kindes. Bei diesem, meint Freud, sei der Ödipuskomplex 
(gemeint ist der für das Mädchen positive, also die Liebeseinstellung zum 
Vater, die Konkurrenzeinstellung zur Mutter) eine sekundäre Bildung; er 
sei erst eingeleitet worden vom Kastrationskomplex, also entstanden, nach¬ 
dem das kleine Mädchen den Geschlechtsunterschied wahrgenommen und 
die Tatsache seiner eigenen Kastration akzeptiert habe. Dieser Gedanken¬ 
gang stellt viele bisher dunkle Fragen in ein neues Licht. Freud erklärt 
mit dieser Annahme auch viele spätere Entwicklungszüge, manche 
Unterschiede in den weiteren Schicksalen des Ödipuskomplexes beim 
Knaben und beim Mädchen, Differenzen in der Über-Ich-Bildung beider 
Geschechter usw. 

Trotzdem bleiben auch nach der Aufdeckung dieses Zusammenhanges 
verschiedene Probleme ungeklärt. Freud erwähnt, daß, nachdem der 
Kastrationskomplex beim Mädchen wirksam wird, letzteres also den Penis¬ 
mangel akzeptiert hat und somit dem Penisneid verfallen ist, „eine 
Lockerung des zärtlichen Verhältnisses zum Mutterobjekt“ einsetzt. Freud 
fuhrt als mögliche Ursache dafür die Tatsache an, daß das Mädchen zuletzt 
die Mutter für den Penismangel verantwortlich macht, und außerdem als 
historischen Faktor den, daß oft in der Zeit Eifersucht gegen ein anderes, 
von der Mutter mehr geliebtes Kind auftritt. Aber „man versteht den 









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A. Lampl - de Groot 

Zusammenhang nicht sehr gut“, sagt Freud. Eine andere auffallende 
Wirkung des Penisneides sei nach Freud der beim Mädchen viel 
intensivere Abwehrkampf gegen die Onanie, der sich auch im späteren 
Alter im allgemeinen noch geltend macht. Das Moment, das diese intensive 
Auflehnung gegen die phallische Onanie beim kleinen Mädchen erklären 
soll, sei die mit dem Penisneid verknüpfte narzißtische Kränkung, die 
Ahnung, daß man es in diesem Punkte doch nicht mit dem Knaben auf¬ 
nehmen kann und darum die Konkurrenz mit ihm am besten unterläßt. 
Bei diesem Satz kommt einem unwillkürlich der Gedanke, wieso schätzt 
das kleine Mädchen diesen Körperteil, den es nie besaß, dessen Wert es 
also nie aus eigener Erfahrung kannte, so hoch ein? Warum hat die Ent¬ 
deckung dieses Mangels für dasselbe so weitgehende psychische Folgen, 
vor allem: warum tritt an einem bestimmten Moment die psychische 
Wirkung dieser Entdeckung ein, nachdem es wahrscheinlich schon unge 
zählte Male den körperlichen Unterschied zwischen sich und einem kleinen 
Knaben ohne psychische Reaktion darauf wahrgenommen hat? Die körper¬ 
lichen Lustsensationen verschafft sich das Mädchen wahrscheinlich an der 
Klitoris in ähnlicher Weise und vermutlich auch in ähnlicher Intensität 
wie der Knabe am Penis, vielleicht außerdem noch in der Vagina, worauf 
Mitteilungen von Josine Müller in der Deutschen Psychoanalytischen 
Gesellschaft und private von einer mir bekannten Mutter zweier Töchterchen 
hinweisen würden. Also woher diese psychische Reaktion bei der Ent¬ 
deckung, das eigene Glied sei kleiner als das des Knaben oder es fehle 
überhaupt? Ich möchte versuchen, ob nachfolgende Überlegungen, zu 
welchen ich durch Erfahrungen der analytischen Praxis, die ich nachher 
mitteilen möchte, angeregt wurde, einige dieser Fragen ihrer Beantwortung 
um einen Schritt näher bringen könnten. 

Ich glaube, manches wird uns verständlicher werden, wenn wir uns 
der Vorgeschichte des Kastrationskomplexes, beziehungsweise Penisneides 
des kleinen Mädchens zuwenden. Bevor wir das machen, wird es aber 
zweckmäßig sein, erst noch einmal den analogen Vorgang beim männ¬ 
lichen Kinde zu betrachten. Der kleine Knabe nimmt als erstes Liebes- 
objekt, sobald er zu einer Objektbeziehung fähig wird, die ihn nährende 
und pflegende Mutter. Beim Durchschreiten der prägenitalen Entwicklungs¬ 
stufen der Libido behält das männliche Kind ein und dasselbe Objekt; 
auf der phallischen Phase angelangt, tritt der Knabe in die typische 
Ödipuseinstellung ein, d. h. er liebt die Mutter, will sie besitzen und den 
konkurrierenden Vater beseitigen. Das Liebesobjekt ist dabei das gleiche 
geblieben. Eine Änderung in dieser Liebeseinstellung, und zwar eine für 
das Geschlecht charakteristische, tritt in dem Moment ein, in welchem der 









Zur Entwiddungsgesdiichte des Ödipuskomplexes der Frau 


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Knabe die Möglichkeit der Kastration als vom mächtigen Vater her 
drohende Strafe für diese seine libidinösen Wünsche akzeptiert hat. Es ist 
nicht unmöglich, ja, sogar sehr wahrscheinlich, daß der Knabe auch vor 
Erreichung der phallischen Phase und der damit zusammenfallenden 
Ödipuseinstellung den Geschlechtsunterschied bei der Schwester oder bei 
einer Gespielin einmal gesehen hat; wir nehmen jedoch an, daß diese 
Wahrnehmung für ihn keine weitere Bedeutung hat. Erfolgt eine solche, 
wenn das Kind sich schon in der Ödipuseinstellung befindet und die 
Möglichkeit der Kastration als drohende Strafe anerkannt hat, dann wissen 
wir, wie groß die psychische Bedeutung dieser Wahrnehmung sein kann. 
Die erste Reaktion ist die, daß das Kind sich bemüht, die Tatsache der 
Kastration zu verleugnen und mit großer Zähigkeit sein erstes Liebes 
objekt festzuhalten. Nach heftigen inneren Kämpfen jedoch macht sich 
schließlich der kleine Mann aus der Not eine Tugend, er verzichtet auf 
sein Liebesobjekt, um das Glied behalten zu können. Vielleicht sichert er 
sich dadurch außerdem noch die Möglichkeit eines erneuten, erfolgreicheren 
Kampfes mit dem Vater für eine spätere Zeit, auf welche Möglichkeit 
ich obeQ schon hingewiesen habe. In der Reifezeit des jungen 
Mannes gelingt es doch demselben, normalerweise bei einer Ersatzperson 
der Mutter den Sieg über den Vater davonzutragen. 

Wie geht es nun beim kleinen Mädchen? Auch dieses nimmt sich als 
erstes Liebesobjekt die nährende und pflegende Mutter. Auch das Mädchen 
behält dieses gleiche Objekt beim Durchschreiten der prägenitalen Ent¬ 
wicklungsstufen bei. Dann tritt auch das weibliche Kind in die phallische 
Phase der Libidoentwicklung ein. Es hat auch einen dem Penis des 
Knaben analogen Körperteil, die Klitoris, die ihm bei der Onanie Lust 
spendet; es benimmt sich in körperlicher Hinsicht genau so wie der kleine 
Knabe. Wir möchten nun vermuten, daß auch im Psychischen die Linder 
beiderlei Geschlechtes sich bis dahin vollkommen gleich entwickeln, d. h., 
daß auch das Mädchen beim Erreichen der phallischen Phase in die 
Ödipuseinstellung eintritt, und zwar in die für das weibliche Kind negative. 
Dasselbe will sich die Mutter erobern und den Vater beseitigen. Bis dahin 
mag auch eine zufällige Beobachtung des Geschlechtsunterschiedes ohne 
Bedeutung gewesen sein, jetzt aber muß eine solche für das kleine 
Mädchen folgenschwer werden. Es fällt dem Kinde dabei auf, daß der 
Geschlechtsteil des Knaben größer, mächtiger, sichtbarer ist als der eigene, 
daß der Knabe mit demselben zur aktiven Leistung des Urinierens, welches 
für das Kind eine sexuelle Bedeutung hat, imstande ist. Bei diesem Ver¬ 
gleich muß dem Mädchen das eigene Organ minderwertig Vorkommen. Es 
bildet sich die Vorstellung, sein Organ [sei einmal wie das des Knaben 








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A. Lampl 


de Groot 


gewesen, es sei ihm jedoch genommen worden als Strafe für das verbotene 
Liebesverlangen zur Mutter. Zunächst versucht es dann, die Kastration zu 
verleugnen, wie es der Knabe tut, oder aber sich mit der Vorstellung zu 
trösten, das Glied werde ihm noch nachwachsen. Die Akzeptierung der 
Kastration hätte doch für das Mädchen dieselben Folgen wie für den 
Knaben, nämlich neben der narzißtischen Kränkung der körperlichen 
Minderwertigkeit auch noch den Verzicht auf die Erfüllung der ersten 
Liebessehnsucht. Und hier muß nun der Unterschied in dem psychischen 
Entwicklungsgang bei beiden Geschlechtern einsetzen, anknüpfend also an 
die Wahrnehmung des anatomischen Geschlechtsunterschiedes. Für den 
Knaben war die Kastration nur eine Drohung, der man bei entsprechendem 
Verhalten entgehen kann; für das Mädchen ist die Kastration eine voll¬ 
zogene Tatsache, an der nichts zu ändern ist, deren Anerkennung aber das 
Kind dazu zwingt, endgültig auf sein erstes Liebesobjekt zu verzichten und 
den Schmerz des Objektverlustes voll auszukosten. Normalerweise muß das 
weibliche Kind einmal zu dieser Anerkennung gelangen; es wird damit 
gezwungen, seine negative Ödipuseinstellung völlig aufzugeben und mit 
dieser auch die sie begleitende Onanie. Die objektlibidinöse Beziehung zur 
Mutter wird in eine Identifizierung mit derselben umgewandelt, der Vater 
wird zum Liebesobjekt gewählt, der Feind zum Geliebten gemacht. Jetzt 
tritt auch der Wunsch nach dem Kinde an Stelle des Peniswunsches, das 
eigene Kind erhält für das Mädchen eine ähnliche narzißtische Bewertung 
wie der Penis für den Knaben, denn nur die Frau kann ein Kind 
bekommen, niemals der Mann. 

Das weibliche Kind ist also jetzt in die positive Ödipuseinstellung ein¬ 
getreten, dieselbe, von der wir die weitgehendsten Nachwirkungen so gut 
kennen. Freud hat wiederholt ausgeführt, daß ein Motiv für die Zer¬ 
trümmerung des weiblichen positiven Ödipuskomplexes, wie es dem männ¬ 
lichen Kinde in der Kastrationsdrohung gegeben ist, nicht besteht. Daher 
verschwindet dieser erst allmählich, wird auch weit in die normale Ent¬ 
wicklung des Weibes mit hinein genommen und ist imstande, ein gutes 
Stück von den Verschiedenheiten im weiblichen und männlichen Seelen- 
leben zu erklären. 

Zusammenfassend können wir nun die Meinung äußern: Der Kastrations¬ 
komplex des kleinen Mädchens, resp. seine Entdeckung des anatomischen 
Geschlechtsunterschiedes, welcher nach Freud dessen normale positive 
Ödipuseinstellung einleitet und ermöglicht, hat ebenso wie der des Knaben 
sein psychisches Korrelat und bekommt erst dadurch die großartige 
Bedeutung für die seelische Entwicklung des weiblichen Kindes. Letzteres 
benimmt sich in den ersten Jahren seiner individuellen Entwicklung (von 















Zur Entwicklungsgeschichte des Ödipuskomplexes der Frau 


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phylogenetischen Einflüssen, die gewiß nicht zu leugnen sind, wird hier 
abgesehen) nicht nur hinsichtlich der Onanie, sondern auch in seinem 
Seelenleben genau so wie der Knabe, es ist in seinem Liebesstreben und 
seiner Objektwahl wirklich ein kleiner Mann. Nach Entdeckung und 
völliger Akzeptierung der vollzogenen Kastration muß das Mädchen not¬ 
gedrungen ein für allemal auf die Mutter als Liebesobjekt verzichten und 
somit die aktive erobernde Tendenz des Liebesstrebens sowie die Onanie 
an der Klitoris aufgeben. Vielleicht liegt auch hier die Erklärung für die 
seit langem bekannte Tatsache, daß die voll weibliche Frau keine Objekt¬ 
liebe im wahren Sinne des Wortes kennt, sich nur „lieben lassen kann . 
Den seelischen Begleiterscheinungen der phallischen Onanie ist es also 
zuzuschreiben, daß das kleine Mädchen dieselbe normalerweise viel intensiver 
verdrängt und einen viel stärkeren Abwehrkampf gegen sie führen muß 
als der Knabe; muß es doch mit derselben die erste Liebesenttäuschung, 
den Schmerz des ersten Objektverlustes vergessen. 

Bekannt ist, wie oft diese Verdrängung der negativen Ödipuseinstellung 
des kleinen Mädchens gänzlich oder teilweise mißlingt. Der Verzicht auf 
das erste ^Liebesobjekt fällt dem weiblichen wie dem männlichen Kinde 
sehr schwer; in vielen Fällen hält das kleine Mädchen abnormal lange 
daran fest. Es versucht die Strafe, die Kastration, die es von dem Verboten¬ 
sein seiner Wünsche überzeugen müßte, zu verleugnen, will seine männ¬ 
liche Position durchaus nicht aufgeben. Erleidet nun später die Liebes- 
sehnsucht eine zweite Enttäuschung am Vater, der der passiven Liebes- 
werbung nicht nachgibt, dann versucht das kleine Mädchen oftmals wieder, 
zu seiner früheren Einstellung zurückzukehren, die männliche Haltung 
wieder anzunehmen. In extremen Fällen führt das zur manifesten Homo¬ 
sexualität, von welcher Freud in „Ein Fall von weiblicher Homo¬ 
sexualität“ eine so schone und klare Darstellung gibt. Die Patientin, von 
der Freud in dieser Arbeit berichtet, benimmt sich, nachdem sie im 
Anfang ihrer Pubertätszeit den schwachen Versuch gemacht hat, eine weib¬ 
liche Liebeseinstellung einzunehmen, in der späteren Pubertätszeit der 
geliebten älteren Frau gegenüber vollkommen wie ein verliebter junger 
Mann. Sie ist dabei ausgesprochene Frauenrechtlerin, verleugnet den Unter¬ 
schied zwischen Mann und Frau, ist also vollkommen zur ersten negativen 
Phase des Ödipuskomplexes zurückgekehrt. "-f* 

Ein vielleicht häufiger Vorgang ist der, daß das Mädchen die Kastration 
nicht vollkommen verleugnet, ihre körperliche Minderwertigkeit jedoch auf 
nicht sexuellem Gebiet (Arbeit, Beruf) zu überkompensieren versucht, 
dabei aber das sexuelle Verlangen überhaupt verdrängt, also sexuell unbe¬ 
rührt bleibt. Es wäre, als wollte es sagen: Ich darf und kann die Mutter 








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A. Lampl - de Groot 


nicht lieben» muß daher überhaupt auf jeden weiteren Versuch zu lieben 
verzichten. Der Glaube an den Besitz des Penis ist dann also auf intellek¬ 
tuelles Gebiet verschoben worden, dort kann die Frau männlich sein und 
mit dem Manne konkurrieren. 

Als dritten Ausgang kann man beobachten, daß die Frau zwar Beziehungen 
zu einem Mann eingeht, innerlich jedoch bei der ersten Geliebten, der 
Mutter, verbleibt. Sie muß beim Verkehr frigid sein, weil sie eigentlich 
nicht den Vater oder seinen Ersatz, sondern die Mutter für sich begehrt. 
Auch die so häufigen Prostitutionsphantasien der Frau rücken vielleicht 
durch unsere Betrachtungen in ein etwas anderes Licht, sie wären nach 
unserer Auffassung nicht so sehr ein Racheakt an dem Vater wie einer 
an der Mutter. Die Tatsache, daß Prostituierte so häufig manifeste oder 
larvierte Homosexuelle sind, könnte man in analoger Weise erklären: Aus 
Rache an der Mutter wendet sich die Prostituierte zum Manne hin, jedoch 
nicht in passiver weiblicher Hingabe, sondern mit männlicher Aktivität; 
sie erobert sich den Mann auf der Straße, kastriert ihn, indem sie ihm 
Geld abnimmt, und macht sich so selbst zum männlichen, den Mann zum 
weiblichen Partner des Geschlechtsaktes. 

Ich meine, bei diesen Störungen in der Entwicklung zur vollen Weib¬ 
lichkeit muß man zwei Möglichkeiten in Betracht ziehen: Entweder das 
kleine Mädchen hat das sehnsüchtige Verlangen nach dem Besitz der 
Mutter nie völlig aufgeben können, also nur eine schwache Bindung an den 
Vater zustande gebracht, oder es hat einen energischen Versuch gemacht, 
den Vater an Stelle der Mutter zum Liebesobjekt zu nehmen, ist jedoch 
nach einer neuerlichen Enttäuschung am Vater zur ersten Liebesposition 
zurückgekehrt. 

Freud macht in der Arbeit „Einige psychische Folgen des anatomischen 
Geschlechtsunterschieds“ auf die Tatsache aufmerksam, daß die Eifersucht 
im Seelenleben der Frau eine weitaus größere Rolle spielt als in dem des 
Mannes. Er erklärt dieses Phänomen aus einer Verstärkung, welche die 
Eifersucht aus der Quelle des abgelenkten Penisneides bezieht. Vielleicht 
darf man hier hinzufügen: Die Eifersucht der Frau ist deshalb stärker als 
die des Mannes, weil es ersterer nie gelingen kann, das erste Liebesobjekt 
zu erobern, während dem Manne im erwachsenen Alter diese Möglichkeit 
geboten ist. 

In einem weiteren Abschnitt führt Freud die Phantasie „Ein Kind 
wird geschlagen“ zu tiefst auf die Masturbation des sich in der phallischen 
Phase befindenden kleinen Mädchens zurück. Das Kind, das geschlagen, 
geliebkost wird, sei im Grunde die Klitoris (also der Penis); das Geschlagen¬ 
werden sei einerseits die Strafe für die verpönte genitale Beziehung, 







Zur Entwicklungsgeschichte des Ödipuskomplexes der Frau * 277 

andererseits der regressive Ersatz für sie. Nun ist aber in dieser Phase die 
Strafe für die verbotenen libidinösen Beziehungen gerade die Kastration. 
Die Formel: Ein Kind wird geschlagen, heißt also: Ein Kind wird 
kastriert. Bei den Phantasien, in denen das geschlagene Kind ein fremdes 
ist, ist die Vorstellung, es werde kastriert, ohne weiteres verständlich: 
79Was ich nicht habe, soll auch ein anderer nicht besitzen.^ Nun wissen 
wir, daß in den oft sehr verwandelten und umdichteten Pubertätsphantasien 
das vom Vater geschlagene Kind auch immer das Mädchen selbst darstellt. 
Dieses unterwirft sich also immer wieder der Kastration, die ja die Voraus¬ 
setzung zum Vom-Vater-geliebt-Werden ist, versucht also neuerdings von 
seiner alten Liebesbeziehung loszukommen und sich mit der Weiblichkeit 
auszusöhnen. Da die Phantasien trotz der vielen Strafen, Schmerzen und 
Qualen, die der Held ertragen muß, immer gut ausgehen, 1 siegt also die 
passive weibliche Liebe nach gebrachtem Opfer. Letzteres erlaubt auch 
manchmal die Rückkehr zur Masturbation, nachdem das erste verbotene 
Liebesstreben gesühnt worden ist. Öfters jedoch bleibt die Onanie trotzdem 
verpönt oder wird unbewußt, larviert betrieben, manchmal begleitet von 
starkem Schuldgefühl. Es scheint, als ob das wiederholte Über-sich-ergehen- 
lassen der Kastrationsstrafe außer dem Sühnen der Schuldgefühle auch 
eine Liebeswerbung dem Vater gegenüber bedeutet, wobei außerdem ein 
masochistischer Lustgewinn stattfindet. 

Das Obige zusammenfassend, möchte ich also sagen: Beim kleinen 
Knaben, der sich im normalen Entwicklungsgänge befindet, ist die positive 
Ödipuseinstellung weitaus bevorzugt, denn in dieser kann das Kind durch 
momentanen Verzicht auf das Mutterobjekt sein Glied behalten und viel¬ 
leicht sich damit die Möglichkeit einer späteren Erwerbung der mütter¬ 
lichen Ersatzperson sichern, während es in der negativen Ödipuseinstellung 
von vornherein auf beides verzichten muß. Das kleine Mädchen jedoch 
macht normalerweise beide Einstellungen des Ödipuskomplexes durch, 
zuerst die negative, die unter genau denselben Vorbedingungen einsetzt 
wie beim Knaben, jedoch notgedrungen und endgültig verlassen werden 
muß, wenn das weibliche Kind zur Entdeckung und Akzeptierung der bei 
ihm vollzogenen Kastration gelangt. Jetzt ändert sich das Verhalten des 
Mädchens, es identifiziert sich mit dem verlorenen Objekt, ersetzt dieses 
durch den früheren Rivalen, den Vater, und gleitet somit in die positive 
Ödipuseinstellung hinüber. Die negative Ödipuseinstellung des weiblichen 
Kindes geht also an dem Kastrationskomplex zugrunde, während letzterer 
seinerseits den positiven Ödipuskomplex einleitet. 

Diese Auffassung bestätigt die Annahme Freuds: Der weibliche 

1) Vergl. Anna Freud: „Schlagephantasie und Tagtraum.“ Imago VIII, 1922. 









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278 * 


(positive) Ödipuskomplex werde durch den Kastrationskomplex ermöglicht 
und eingeleitet. Sie nimmt aber im Gegensatz zu Freud an, daß der 
Kastrationskomplex des weiblichen Kindes schon eine sekundäre Bildung 
sei und einen Vorläufer finde in der negativen Ödipuseinstellung. Diese 
letztere verleihe dem Kastrationskomplex erst die große seelische Bedeutung 
und sei vielleicht imstande, manche späteren Eigentümlichkeiten im Seelen¬ 
leben des weiblichen Individuums näher zu erklären. 

Ich fürchte, man wird gegen die obigen Ausführungen den Einwand 
erheben, das schaue alles nach Spekulation aus und sei weit entfernt von 
jeder empirischen Basis. Dazu muß ich bemerken, daß dieser Einwand für 
einen Teil des Gesagten zutreffen mag, daß jedoch der ganze Gedanken¬ 
gang auf einige, allerdings leider noch recht spärliche praktische Erfahrungen 
aufgebaut worden ist. Von diesen möchte ich jetzt noch kurz berichten. 

Vor einiger Zeit hatte ich ein junges Mädchen in Behandlung, das ich 
von einem männlichen Kollegen, bei dem es schon einige Jahre in Analyse 
gewesen war, übernommen hatte, weil sich gewisse Übertragungsschwierig¬ 
keiten nicht lösen wollten. Die Analyse des jungen Mädchens, das an einer 
ziemlich schweren hysterischen Neurose gelitten hatte, war ziemlich weit 
vorgeschritten. Der normale positive Ödipuskomplex, die Konkurrenz¬ 
einstellung zur Schwester und der Neid auf den jüngeren Bruder waren 
eingehend behandelt und von der Patientin verstanden und akzeptiert 
worden. Manche Symptome waren verschwunden, aber trotzdem blieb sie 
zu ihrem großen Bedauern arbeitsunfähig. Als die Patientin zu mir kam, 
spielte die ungelöste, ambivalente Übertragung auf den männlichen Ana¬ 
lytiker eine überragende Rolle. Was jedoch stärker war, die leidenschaft¬ 
liche Liebe oder der ebenso leidenschaftliche Haß, war schwer zu ent¬ 
scheiden. Die Patientin, mit der ich vor der Behandlung persönlich bekannt 
war, trat in die Kur mit starker positiver Übertragung auf mich ein. Ihre 
Einstellung war ungefähr die eines Kindes, das bei der Mutter Schutz 
sucht. Nach kurzer Zeit jedoch begann sich diese Einstellung wesentlich 
zu ändern. Das Benehmen der Patientin wurde zunächst ein trotzig ab¬ 
weisendes, hinter welchem sich schon bald eine sehr intensive, durchaus 
aktive Liebeswerbung auf decken ließ. Die Patientin benahm sich genau so 
wie ein verliebter Jüngling, zeigte z. B. eine heftige Eifersucht auf einen 
jungen Mann, in dem sie im realen Leben ihren Rivalen vermutete. Eines 
Tages kam die Patientin mit dem Gedanken, sie wolle sämtliche Bücher 
Freuds lesen und auch Analytiker werden. Die erst versuchte nächst- 
liegende Deutung, sie wolle sich mit mir identifizieren, erwies sich als 
unzureichend. Eine Reihe von Träumen zeigte die unverkennbare Tendenz, 
meinen Analytiker zu beseitigen, „zu kastrieren“, sich an seine Stelle zu 












Zur Entwicklungsgeschichte des Ödipuskomplexes der Frau 


279 


setzen, um mich analysieren besitzen zu können. Patientin erinnerte 
sich dabei an verschiedene Situationen aus ihrer Kindheit, in denen sie 
bei Streitigkeiten zwischen ihren Eltern immer eine die Mutter ver¬ 
teidigende und beschützende Rolle ergriffen hatte, an Zärtlichkeitsaustausch 
der Eltern, wobei sie den Vater verabscheute und die Mutter für sich zu 
haben wünschte. Die Analyse hatte eine starke positive Bindung an den 
Vater längst aufgedeckt, auch das Erlebnis, mit welchem diese endete. Die 
Patientin schlief als Kind neben dem elterlichen Schlafzimmer und hatte 
die Gewohnheit, nachts die Eltern zu rufen, wenn sie urinieren mußte, 
selbstverständlich mit der Tendenz, die Eltern zu stören. Zuerst verlangte 
sie meistens die Mutter, in späterer Zeit den Vater. Im Alter von fünf 
Jahren sei das wieder einmal geschehen, der Vater sei zu ihr gekommen 
und habe ihr ganz unerwartet eine Ohrfeige gegeben. Von diesem Moment 
an habe das Kind beschlossen, den Vater zu hassen. Die Patientin brachte 
jedoch noch eine andere Erinnerung. Mit vier Jahren hatte sie folgenden 
Traum: Sie liegt im Bett , ihre Mutter ist neben ihr , Patientin hat ein 
Gefühl von großer Glückseligkeit . Die Mutter sagt: Das sei richtig so, das 
dürfe so+sein. Die Patientin erwacht und bemerkt, daß sie ins Bett uriniert 
hat, ist dabei sehr enttäuscht und fühlt sich sehr unglücklich. 

Patientin hatte verschiedene Erinnerungen aus der Zeit, in der sie noch 
im Schlafzimmer der Eltern schlief. Sie sei damals öfters in der Nacht 
erwacht und habe sich im Bett aufrecht hingesetzt. Diese Erinnerungen 
weisen ziemlich überzeugend auf Beobachtungen des elterlichen Geschlechts¬ 
verkehres hin. Der Kindheitstraum mag wohl im Anschluß an eine solche 
geträumt worden sein und stellt deutlich den Koitus mit der Mutter dar, 
der mit dem Glückseligkeitsgefühl einhergeht. Die Harnerotik spielt auch 
im späteren Leben der Patientin eine besonders große Rolle. Die Ent¬ 
täuschung beim Erwachen zeigt, daß unsere Patientin sich ihrer eigenen 
Unfähigkeit, die Mutter zu besitzen, damals schon bewußt war; die Ent¬ 
deckung des männlichen Genitales hatte sie bei dem jüngeren Bruder 
schon längst gemacht. Das Bettnässen kann als Ersatz oder als Fortsetzung 
der Masturbation aufgefaßt werden, der Traum zeigt uns, wie intensiv die 
Gefühlsbeziehung zur Mutter damals gewesen sein muß. Es wird also klar, 
daß unsere Patientin nach der Enttäuschung am Vater (der Ohrfeige) zu 
dem früheren Objekt, das sie zur Zeit des Traumes geliebt hatte, also zur 
Mutter zurückzukehren versuchte. Im erwachsenen Alter machte sie einen 
ähnlichen Versuch. Nach einer mißlungenen Verliebtheit in einen jüngeren 
Bruder des Vaters ging sie eine kurzdauernde homosexuelle Beziehung ein. 
Eine weitere Wiederholung dieser Situation fand dann in ihrer Analyse 
statt, indem sie sich vom männlichen Analytiker zu mir begab. 












280 


A. Lampl - de Groot 


Eine besondere Form von Schlagephantasie hatte unsere Patientin zu 
berichten, und zwar aus der Zeit ihres 8. bis 10. Lebensjahres. Sie be- 
zeichnete dieselbe als „Die Krankenhausphantasie 4 *. Der wesentliche Inhalt 
der Phantasie war folgender: Sehr viele Kranke begeben sich ins Kranken¬ 
haus, um gesund zu werden. Sie müssen aber die schrecklichsten Schmerzen 
und Folterqualen erdulden. Eine der meistgeübten Prozeduren ist die, daß 
einem Kranken die Haut abgezogen wird. Unsere Patientin hatte ein 
schauriges Wollustgefühl bei der Vorstellung der schmerzenden blutenden 
Wunden. Die Assoziationen brachten ihr ihren jüngeren Bruder in Er¬ 
innerung, wie er manchmal die Vorhaut seines Gliedes zurückschob, wo¬ 
durch Patientin etwas Rotes, wie eine Wunde ihr Imponierendes zu sehen 
bekam. Die Heilungsmethode in ihrer Phantasie war also deutlich eine 
Darstellung der Kastration. Sie identifizierte sich einmal mit den Kranken, 
die zum Schluß immer gesund wurden und in großer Dankbarkeit das 
Krankenhaus verließen, meistens jedoch spielte sie eine andere Rolle. Sie 
war der schützende, mitleidige Christus, der im Krankensaal über den 
Betten herumflog, um den Kranken Erleichterung und Trost zu bringen. 
In dieser Phantasie, die im Herumfliegen ihren sexualsymbolischen Charakter 
zeigt, ist Patientin also der Mann, der seine Mutter allein besitzt (ist doch 
Christus ohne Vater gezeugt worden), der aber schließlich, um die Schuld 
zu sühnen und um zum Gottvater kommen zu können, das Opfer der 
Kreuzigung — Kastration bringt. Die Patientin hat diese Phantasie, nach¬ 
dem wir die Analyse abbrachen, welche sie aus Reaktion auf die Liebes- 
enttäuschung in einer negativen Übertragung verließ, in die Realität um¬ 
zusetzen versucht, indem sie sich entschloß, Krankenpflegerin zu werden. 
Nach einem Jahr jedoch tauschte sie diesen neuen Beruf wieder gegen 
ihren früheren, männlicheren und ihrem Wesen viel adäquateren ein. 
Allmählich verschwanden auch ihre gegen mich gerichteten Haßgefühle. 

Bei einer zweiten Patientin konnte ich hinsichtlich der Übertragung 
ähnliche Vorgänge aufdecken. Diese Patientin produzierte in den ersten zwei 
Monaten der Behandlung sehr intensive Widerstände. Sie spielte das 
schlimme, trotzige Kind, äußerte nur monotone Klagen über ihre Ver¬ 
lassenheit und die schlechte Behandlung von seiten ihres Mannes. Nachdem 
wir als Ursache ihres Widerstandes auf mich gerichtete Haßgefühle in 
Folge von Neid und Eifersucht auf decken konnten, entwickelte sich all¬ 
mählich ihre ganze positive weibliche Ödipuseinstellung, sowohl die Liebe 
zum Vater wie auch der Wunsch nach dem Kinde. Bald zeigte sich auch 
der Penisneid. Patientin brachte eine Erinnerung aus dem 5. oder 6. Lebens¬ 
jahr. Sie habe sich einmal die Kleider des älteren Bruders angezogen und 
habe sich stolz überall damit gezeigt. Außerdem hatte Patientin wiederholt 












Zur Entwiddungsgesdiidite des Ödipuskomplexes der Frau 


281 


versucht, wie ein Knabe zu urinieren. In späterer Zeit fühlte sie sich 
immer sehr dumm und minderwertig, glaubte sich auch von den anderen 
Familienmitgliedern in diesem Sinne behandelt. In der Pubertät trat eine 
auffallend starke Ablehnung gegen alles sexuelle Interesse auf. Von allem 
Geheimnisvollen, das ihre Kameradinnen miteinander zu besprechen hatten, 
wollte Patientin nichts hören. Sie zeigte nur Interesse für Geistiges, für 
Literatur usw. In der Ehe war sie frigid. In der Analyse kam ihr der 
Wunsch, einen Beruf zu haben, was für sie bedeutete, männlich zu sein. 
Ihre Minderwertigkeitsgefühle verboten jedoch jeden realen Versuch, zu 
einem solchen zu gelangen. Die Analyse war bis dahin glänzend vorwärts 
gegangen. Patientin hatte eine Eigentümlichkeit, sie erinnerte wenig, 
agierte dafür um so mehr. Neid und Eifersucht, der Wunsch, die Mutter 
zu beseitigen, wiederholten sich in der Übertragung auf die mannigfaltigste 
Weise. Nachdem diese Position durchgearbeitet war, trat ein neuer Wider¬ 
stand auf; hinter diesem ließen sich intensive homosexuelle Liebeswünsche 
aufdecken, die sich auf meine Person bezogen. Jetzt fing auch diese 
Patientin an, auf recht männliche Weise um meine Liebe zu werben. Die 
Perioden* dieser Liebeserklärungen, in denen sie sich in Träumen und 
Tagesphantasien immer mit einem männlichen Gliede ausstattete, fielen 
immer zusammen mit einer aktiven Haltung im realen Leben. Sie wech¬ 
selten aber ab mit Perioden eines völlig passiven Benehmens. Dann konnte 
Patientin wieder gar nichts, alles mißlang ihr, sie litt unter ihrer Minder¬ 
wertigkeit und wurde von Schuldgefühlen gequält. Sie mußte sich also 
jedesmal, nachdem sie sich die Mutter erobert hatte, selbst kastrieren, um 
ihre Schuldgefühle los zu werden. Bemerkenswert war auch das Verhalten 
der Patientin in bezug auf die Masturbation. Vor der Analyse hatte sie 
bewußt nie onaniert, während derselben fing sie an, an der Klitoris zu 
masturbieren; anfänglich war diese Onanie von starken Schuldgefühlen 
begleitet. In späteren Zeiten, in welchen ihre auf den Vater gerichteten 
Liebeswünsche am intensivsten geäußert wurden, ließen die Schuldgefühle 
nach; dafür trat dann die Befürchtung auf, die Onanie könnte sie körperlich 
schädigen, dieselbe „schwäche ihre Genitalien“. In dem Stadium ihrer 
Verliebtheit in mich trat das Schuldgefühl von neuem auf, die Mastur¬ 
bation wurde unterlassen, denn die obengenannte Befürchtung wurde ihr 
zur Gewißheit. Diese Schwächung des Geschlechtsorganes war ja eben die 
Kastration. Die Patientin schwankte also wiederholt zwischen einem hetero- 
und homosexuellen Verliebtsein hin und her, tendierte zur ersten Liebes¬ 
beziehung, zur Mutter, zurück und versuchte in diesem Stadium die 
Kastration zu verleugnen; dafür mußte sie aber auf die Onanie und auf 
sexuelle Befriedigung überhaupt verzichten. Beim Manne war sie unbe- 









282 


A. Lampl - de Groot 


friedigt, weil sie eigentlich Mann sein wollte, um die Mutter besitzen 
zu können. 

In den beiden angeführten Fällen war es also klar, daß hinter der 
positiven Ödipuseinstellung der Frau eine in der Analyse später sich 
zeigende, also in der Entwicklung früher erlebte negative Ödipuseinstellung 
mit der IVfutter als Liebesobjekt aufzudecken war. Ob dieser Entwicklungs- 
gang ein typischer ist, läßt sich aus der Beobachtung zweier Fälle 
natürlich nicht mit Sicherheit behaupten. Ich wäre geneigt, auch hei 
anderen Patientinnen eine ähnliche Vorgeschichte des positiven Ödipus¬ 
komplexes anzunehmen, habe jedoch aus deren Analysen noch nicht genug 
Material sammeln können, um das einwandfrei feststellen zu können. Das 
weit zurückliegende Stadium der negativen Ödipuseinstellung wird natürlich 
erst nach weit vorgeschrittener Analyse erreicht. Bei einem männlichen 
Analytiker mag sich vielleicht diese Periode sehr schwer aufdecken lassen. 
Die weibliche Patientin kann doch die Konkurrenz mit dem Vater-Analytiker 
sehr schwer aufnehmen, so daß möglicherweise eine Behandlung unter 
diesen Bedingungen nicht über die Analyse der positiven Ödipuseinstellung 
hinausgehen kann. Die homosexuelle Tendenz, die wohl in keiner Analyse 
vermißt wird, mag dann bloß als eine spätere Reaktion auf die am Vater 
erlebte Enttäuschung imponieren. In unseren Fällen jedoch war dieselbe 
deutlich eine Regression auf eine frühere Phase, welch letztere uns die 
großartige psychische Bedeutung des Penismangels für das Liebesieben der 
Frau verständlicher machen konnte. 

Ich weiß nicht, ob sich in Zukunft herausstellen wird, daß meine 
obigen Ausführungen bloß die Erklärung für den Entwicklungsgang des 
Liebeslebens meiner beiden Patientinnen geben. Unmöglich erscheint es 
mir nicht, daß ihnen eine allgemeinere Bedeutung zugeschrieben werden 
könnte. Nur die Sammlung weiteren Materiales wird in dieser Frage eine 
Entscheidung bringen können. 
















Eine ängstliche Mutter 

Beitrag zur Analyse des Ichs 
Von 

Sandor Radö 

Berlin 

Es war auf dem Strand eines kleinen und stillen Seebades. Eines Tages 
tauchte in der Nähe meines Liegeplatzes eine junge Mutter mit ihrem 
etwa fünfjährigen Knaben auf. Sie waren Fremde, ich habe auch später 
nicht ihre persönliche Bekanntschaft gemacht, blieb aber Wochen hindurch 
unfreiwilliger Augen- und Ohrenzeuge ihres Verhaltens. Der Kleine benahm 
sich nicht anders als die anderen Kinder, die den Strand bevölkerten. Er 
spielte iih Sand, lief herum, holte aus dem Meer in kleinen Gefäßen 
Wasser zu seinen Burgbauten usw. Die Mutter ruhte auf einem Liegestuhl, 
las dann und wann ein Buch oder eine Zeitung, sonst verbrachte sie die 
Zeit mit Handarbeiten. Sie war dabei meistens in ihre Phantasien versunken 
und plauderte nur gelegentlich ein bißchen mit den anderen Frauen. Aber 
was immer sie auch tat, sie merkte alle paar Minuten ängstlich auf, 
suchte mit ihrem besorgten Blick den Knaben, und wenn sie ihn nicht 
sofort erhaschen konnte, begann sie verzweifelt nach ihm zu rufen: „Ma-a-a- 
ssimo, Ma-a-a-ssimo.“ Hatte sich der Knabe gerade einige Schritte weit 
von ihr entfernt oder hielt er sich gar am Rande des Wassers auf, — 
weiter ging er nie, denn er war offensichtlich wasserscheu, — dann sprang 
sie auf, rannte nach ihm, packte seinen Arm und schleppte ihn wieder 
zu sich zurück. Wenn der Knabe mit anderen Jungen in Streit geriet 
oder sich der Mutter zu widersetzen versuchte, so schalt sie ihn meist, 
gab ihm einen tüchtigen Klaps, um ihn, wenn er dann zu weinen anfing, 
mit stürmischen Umarmungen und Küssen zu überschütten. So ging das 
den ganzen Tag, man hörte immer wieder mit der Pünktlichkeit eines 
Uhrwerkes den Ruf ertönen: „Ma-a-a-ssimo, Ma-a-a-ssimo. w 

Der Psychoanalytiker kann in einer solchen Situation wirklich nicht 
umhin, sich über diese Mutter einige Gedanken zu machen. Die Unbe- 
friedigtheit glaubt man ihr am Gesicht ablesen zu können, ihre Gefühls¬ 
interessen sind offensichtlich auf den Knaben konzentriert. Die Auffassung 





284 


Sandor Radö 


ihrer Überzärtlichkeit kann keinem Zweifel unterliegen. Sie liebt und haßt 
den Jungen zugleich, hat aber ihre gehässigen Impulse durch extreme 
Steigerung ihrer zärtlichen Hingabe aus ihrem Bewußtsein verdrängt und so 
ihrem inneren Zwiespalt ein Ende gemacht. Ein Schulbeispiel für den 
Mechanismus der „Verdrängung durch Reaktionsbildung“. Auch die dem 
Analytiker so geläufige Fortsetzung des Vorganges, die „Wiederkehr des 
Verdrängten“ tritt bei ihr mit voller Deutlichkeit zutage. Die Frau quält 
ja das Kind trotz oder vielmehr gerade durch ihre Affenliebe; je hingebungs¬ 
voller sie in ihren Überwachungs- und Erziehungsmaßnahmen ist, um so 
ergiebiger — aber auch um so unbemerkter — kann sie dabei ihre versteckte 
Aggressionslust befriedigen. 

Soweit wäre der psychologische Sachverhalt klar, aber man fühlt durch 
diese Einsicht sein Interesse an der kleinen Begebenheit nicht erschöpft 
und neigt dazu, sich weiter mit ihr zu beschäftigen. Es erscheint nahe¬ 
liegend, den neuerdings von Freud so eingehend gewürdigten Gesichts¬ 
punkt der „Gefahr“ heranzuziehen. Dann wird es augenfällig, daß die 
Mutter sich so benimmt, als wäre ihr Kind beim Spielen auf dem Strand von 
irgendwelchen unbekannten Gefahren bedroht und müßte es vor dem Unheil 
durch äußerste Vorsicht behütet werden. Ihre ganze Haltung zum Kinde 
zeigt, wie tief sie von dieser Überzeugung durchdrungen sein muß. 
Der objektive Beobachter urteilt dann, daß die Besorgnis der Mutter „ma߬ 
los übertrieben“ ist, denn von Gefahren, wie sie sie befürchtet, kann in 
Wirklichkeit nicht die Rede sein. Diese Feststellung braucht auch der 
Analytiker nicht anzutasten, aber er kann ihr eine wichtige Korrektur 
hinzufügen. Wenn die Befürchtungen der Mutter real nicht begründet 
sind, dann haben sie eben eine andere, eine rein psychische Herkunft. So 
verstanden hat sie mit ihren Befürchtungen recht. Das Kind ist wirklich 
gefährdet, nur liegen die Drohungen nicht, wie die Mutter meint, draußen, 
sondern in ihrem eigenen Innern. Sie reagiert mit ihrer Ängstlich¬ 
keit auf ihre eigene unbewußte Feindseligkeit gegen ihr Kind. Sie müßte 
eigentlich das Kind gegen sich selbst in Schutz nehmen, ihre Vorkehrungen 
gegen ihre eigene Person wenden. Aber sie weiß nichts von dieser Feind¬ 
seligkeit, ihr Ich hat sich der aggressiven Impulse mittels Verdrängung 
erwehrt und setzt den .Kampf gegen die Übermacht der durch Ver¬ 
drängung beeinträchtigten Triebregung mit anderen Mitteln fort. Sie verlegt 
die bösen Geister, die sie verspürt, aus ihrem Innern in die Außenwelt, 
wittert überall Drohungen und Gefahren und bekämpft sie mit Maßnahmen, 
deren aggressive Wucht nach außen, vor allem gerade gegen das zu 
beschützende Kind gerichtet ist. 

Der Gesichtspunkt der „Gefahr“ erweist sich also als fruchtbar, denn 

















Eine ängstliche Mutter 


285 


er enthüllt im Seelenleben der Mutter einen Projektionsakt und gibt 
dadurch Anregung und Stoff zu weiterer Überlegung. Die Projektion hat 
an der Wiederkehr des Verdrängten Anteil, steht also im Dienste der 
„Ersatzbildung“. Man möchte wissen, was die weiteren Faktoren dieses 
komplizierten Vorganges sind. Das wäre leicht zu sagen, wenn es sich um 
eine Person handeln würde, die sich in analytischer Behandlung befindet, 
dem Analytiker Rede steht und ihm über ihr Seelenleben erschöpfende 
Mitteilungen macht. Aber im vorliegenden Falle steht nur das spärliche 
Material zur Verfügung, das der Beobachter par distance, ohne Wissen 
und Zutun der beobachteten Person erheben konnte. Trotzdem braucht 
man vor einem Rekonstruktionsversuch nicht zurückzuschrecken ; als Aus¬ 
gangspunkt soll ein Eindruck der Beobachtung dienen. Die Frau verriet 
durch ihr ganzes Gehaben einen starken mütterlichen Ehrgeiz. Das Gebot 
der mütterlichen Pflichterfüllung schien geradezu mit einer jedes andere 
Interesse aufzehrenden Macht über ihr Ich zu herrschen. Die sich so auf¬ 
dringlich gebärdende Gewissensforderung: „Du sollst deinem Kind eine treue 
und aufopferungsvolle Mutter sein“, läßt sich nun, ungeachtet der .tieferen 
genetischem Voraussetzungen einer solchen Bildung, mit den aggressiven 
Triebimpulsen der Mutter in Verbindung bringen. 

Man kann annehmen, daß die Abwehr des Ichs sich nur zum Teil als 
Verdrängung der Aggressionslust ausgewirkt hat. Ein anderes Stück der 
aggressiven Triebkomponente mag das Schicksal der „Wendung gegen die 
eigene Person“ erfahren haben. Die nach innen gewendete Aggression steigert 
die Strenge des Gewissens gegen das eigene Ich und unterhält die Moral¬ 
forderung, deren beschützende (altruistische) Tendenz eben jenem Objekt 
(dem Kind) zugekehrt ist, gegen das die ursprüngliche Aggression gerichtet 
war. Bei dieser Abkunft der mütterlichen „Tugend“ ist es begreiflich, wenn 
die in der Verdrängung unverändert erhaltene Aggression so leicht den 
Anschluß an den aus ihr hervorgegangenen Gewissensanspruch findet und 
sich mit seiner Hilfe durchsetzt. 

Es gelingt also tatsächlich, mit der von Freud geschaffenen Theorie 
ein ganzes Stück weit in das seelische Getriebe eines gleichsam nur von 
außen studierten Objektes einzudringen. Jetzt sieht man sich aber vor eine 
neue Frage gestellt. Es ist klar geworden, daß für den Durchbruch der 
verdrängten Feindseligkeit die Projektion eine rationalistische Motivierung 
schafft. Die Projektion verwandelt eine von der verdrängten Triebregung 
im Ich erzeugte Wahrnehmung aus einer inneren in eine äußere, sie ist 
also eine Art Fehlwahrnehmung und deren sekundäre Bearbeitung. Wie 
kommt es, daß das Ich das realitätswidrige Ergebnis dieses pathologischen 
Denkprozesses nicht korrigiert? Warum merkt es die Mutter nicht, daß auf 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIII/3 20 






286 Sandor Radö 

dem Strand Hunderte von Kindern friedlich herumspielen, daß die anderen 
Mütter nicht die Spur von Besorgtheit zeigen und daß nur sie allein nicht 
zur Ruhe kommen kann? Ja, würde es jemand versuchen, sich über 
diesen einfachen Sachverhalt mit ihr auseinanderzusetzen, so müßte 
er sich wahrscheinlich von ihrer Unbelehrbarkeit überzeugen. Sie würde 
es vorziehen, zu glauben, daß unter den vielen hundert leichtsinnigen 
sie die einzige wirklich gewissenhafte Mutter auf dem ganzen Strande ist. 

Es liegt hier offenbar eine Beeinträchtigung wichtiger Ichfunktionen 
— der Realitätsprüfung und der kritischen Urteilsfunktion — vor, ohne 
daß aus den bisher gewürdigten Triebumsetzungen auf die Entstehung 
dieser Störung ein Licht fallen würde. Als notwendige Begleiterscheinung 
des Projektionsvorganges darf man sie gewiß nicht auffassen. Projektions¬ 
tendenzen treten gelegentlich auch im normalen Seelenleben auf, 
doch bleibt dabei die kritische Funktion des Ichs vollkommen intakt 
und besorgt rasch die Verwerfung des falschen Denkresultates. Man muß 
also nach einer besonderen Veranlassung der Störung suchen, und dann 
fällt es auch nicht schwer, sie zu finden. Hat jede Idealerfüllung eine 
Erhöhung des Selbstgefühls zur Folge, so muß die Erfüllung einer zwang¬ 
haft gesteigerten Gewissensforderung (des mütterlichen Ehrgeizes) dem Ich 
einen besonders hohen narzißtischen Genuß bieten. Der Befriedigungswert 
der Idealerfüllung beruht ja auf einer Erneuerung des infantilen Selbst¬ 
gefühls und wird vom Ich offenbar um so stärker empfunden werden, je 
schmerzlicher in der Bildungs- und Entfaltungsphase des Über-Ichs die 
Reduktion der ursprünglichen Ichgröße vor sich ging. Wer den selbst¬ 
gefälligen Gesichtsausdruck gesehen hat, mit dem diese Frau nach 
getanem Erziehungswerk jedesmal ihren Platz wieder einnahm, braucht 
für die Richtigkeit dieser theoretischen Folgerung keine weiteren Beweise. 
Einem in narzißtischer Befriedigung verweilenden Ich wird man aber ohno 
weitere s Zutrauen, daß es seine kritische Realitätsfunktion erlahmen läßt. 
Das Ich benimmt sich ja genau so, wenn ihm die narzißtische Befriedigung 
durch Liebesbeteuerung, Lob, Schmeichelei u. dgl. von außen zugeführt wird. 

Die aus der Idealerfüllung gezogene narzißtische Befriedigung ist es 
also, die das kritische Urteil des Ichs narkotisiert und die Befriedigung 
der verpönten Aggression gewährleistet. Man kann diesen ökonomischen 
Mechanismus als narzißtische Sicherung bezeichnen. Durch die 
Idealbildung wird nach Freud das „Niedrigste“ zum „Höchsten“ erhoben; 
die aus der Idealerfüllung gewonnene Befriedigung gibt dann als „narzi߬ 
tische Sicherung den Weg frei, auf dem das schlecht gebändigte Niedrige 
inmitten des Höchsten sich wieder durchsetzt. 

Es ist leicht einzusehen, daß das Moment der „narzißtischen Sicherung“* 















Eine ängstlidie Mutter 287 

auch in allen anderen analogen Fällen, wo eine verdrängte Triebregung 
unter Mitwirkung des Über-Ichs zur Befriedigung gelangt, eine ökonomisch 
wichtige Rolle spielt. Insbesondere in den von Freud so eingehend 
gewürdigten späten Symptomen der Zwangsneurose findet dieser Mecha¬ 
nismus vielfach einen prägnanten Ausdruck: Das Ich schwelgt in seiner 
Übermoral und befriedigt unter ihrem Deckmantel die verwerflichsten 
Strebungen. Es ist hier jedoch nicht der Ort, diesem Mechanismus auf 
den verschiedenen Erscheinungsgebieten des Seelenlebens nachzuspüren. 
Aus der Fülle des sich aufdrängenden Materials sei nur noch auf das 
kulturhistorische Beispiel der Kreuzfahrer hingewiesen. Diese Helden 
der Idealerfüllung waren sicherlich durch ein extremes Selbstgefühl daran 
gehindert, in die wahre Natur der Taten Einsicht zu nehmen, die sie im 
Zeichen der Religion der Liebe vollführt haben. 1 

* 

Als Vorzug dieser theoretischen Auffassung ist hervorzuheben, daß es 
ihr gelingt, eine unter Beteiligung des Über-Ichs zustande kommende 
Ersatzbildung allein aus dem Zusammenwirken von Vorgängen verständ¬ 
lich zu machen, die sich im oder am Ich abspielen. Sie rückt — der 
im „Ich und Es“ niedergelegten Konzeption Freuds folgend —vollends 
das Ich in den Mittelpunkt der metapsychologischen Darstellung, indem 
sie die Triebkräfte, welche vom Es und vom Über-Ich her auf das Ich 
einwirken, mit ihrem im Ich erzielten Effekt in die Betrachtung einsetzt. 
Es dürfte sich lohnen, die vorgebrachten Überlegungen unter diesem 
Gesichtspunkt noch einmal zusammenzufassen: 

Das Ich begreift die Strenge der Gewissensforderung, fühlt sich beengt 
und verspürt die Sehnsucht, sein Selbstgefühl auf die beglückende Höhe 
der Kindheit zu bringen. Andererseits unterhält es einen hohen Ver¬ 
drängungsaufwand gegen die verpönte Aggression. Dies ist die Anfangs¬ 
situation, hier setzt der Prozeß 'der Ersatzbildung ein. Das Ich steigert 

1) Eine von mir analysierte junge Frau hatte während des Krieges als freiwillige 
Krankenpflegerin Dienst getan und wurde dabei wegen ihrer Güte und liebevollen 
Hingabe als „wahre Madonna“ gepriesen. Die Analyse konnte ihr zeigen, wie sie in 
der Rolle patriotischer Pflichterfüllung bei ihrer „aufopferungsvollen“ Tätigkeit ihre 
aggressiven Gelüste an den Hunderten von Verwundeten ahnungslos befriedigen 
konnte. Als dann ihr eigener Bruder — gegen den sich in ihrer Kindheit ihre 
stärksten Kastrationswünsche gerichtet hatten — eine schwere Kopfverletzung erlitt, 
hat sie ihn als Helden gefeiert und nahm in ihrer kriegerischen Begeisterung die 
Nachricht von seiner Lebensgefahr ohne eine Spur von Schmerzempfindung auf. Ihren 
„zärtlich geliebten“ Vater hatte sie aber beinahe selbst ums Leben gebracht. Sie 
fanatisierte den alten Mann, der mit einer exponierten Funktion betraut war, beim 
Einbruch des Feindes in einer völlig widersinnigen Weise aus „Pflichtgefühl“ auf 
seinem Posten zu verharren. Es gelang ihm tatsächlich nur im letzten Augenblick, 
dem sichern Tod zu entfliehen. 


20 51 









I 


288 Sandor Radö 

durch fortgesetzte Idealerfüllung sein Selbstgefühl. Angesichts der Situation 
des Ichs (narzißtische Bedürftigkeit, große Gewissensspannung) hat diese 
Befriedigung einen Seltenheitswert; das Ich will an ihr krampfhaft fest- 
halten und wird durch diese Bemühung von seinen anderen Strebungen, 
dem Dienste der Realforderung, abgelenkt. Die Lockerung seiner Trieb¬ 
kontrolle muß bei erhaltener Aktivität der verdrängten Aggression den 
Durchbruch dieser Regung herbeiführen. Auch dies vollzieht sich unter 
aktiver Mitwirkung des Ichs. Das ganz im Banne seines Gewissens (d. h. 
seiner narzißtischen Bedürftigkeit) stehende Ich erwehrt sich der bedrohlichen 
Wahrnehmung der Aggression durch zwei Maßnahmen. Ihre gemäßigtere 
Strömung (Feindseligkeit) wird gleichsam unter dem Aspekt der Gewissens¬ 
forderung betrachtet, als Mittel zur Idealerfüllung aufgefaßt und so in 
ihrem Charakter gründlich verkannt. Ihr befremdlichstes Stück (Todeswunsch) 
wird vom Ich — noch immer unter dem Druck des Gewissens — als in 
der Außenwelt befindlich „erkannt“ (Projektion). Aus dem gefälschten 
Realitätsbild wird dann eine rationalistische Motivierung abgeleitet, welche 
die Betätigung „erzieherischer“ Aggressionen erleichtert. Dies alles, weil das 
von zwei Seiten her bedrängte Ich, durch Befriedigungslust verführt, seine 
Realitatsfunktionen (Zensur, Realitätsprüfung, kritische Urteilsfunktion) 
inkorrekt ausführt. Das Resultat ist eine Kompromißleistung, in der das 
Ich — ganz auf Kosten der Realitätseinsicht — sich von der Gewissens¬ 
spannung und dem Aggressionsdrang unter Lustentbindung befreit. Ein 
einziger Vorgang — der jedoch nicht zur Ersatzbildung, sondern zu ihren 
entfernteren genetischen Voraussetzungen gehört — wird von dieser Kon¬ 
struktion nicht erfaßt: die Rückwendung der von der Realität abgehaltenen 
Aggression gegen das Ich, ihre Unterbringung im Gewissenstrieb. Es müßte 
der Ich-Analyse gelingen, selbst für diese, sich in den Tiefen des Seelen¬ 
apparates abspielende Triebumsetzung einen vom Ich ausgehenden Anstoß 
aufzuzeigen. 

In einer Richtung ergibt diese Betrachtungsweise schon jetzt ein klares 
Resultat: Man erkennt, wie energisch das Selbstgefühl seine Ansprüche in 
den Entscheidungen zur Geltung bringt, die das Ich bei seiner triebbewälti¬ 
genden Tätigkeit vornimmt, und wie weitgehend es in die Einzel Verrich¬ 
tungen des Ichs eingreift. Was aber ist das Selbstgefühl? Einerseits Aus¬ 
druck des narzißtischen Befriedigungsniveaus, also ein ökonomischer 
Index; andererseits dynamische Resultante aus den im Ich wirkenden 
narzißtischen Triebkräften, oder genauer: ihr Bedürfnissignal. Diese 
Eigenschaften machen seine enorme Bedeutung für das Verhalten des Ichs 
verständlich. Nimmt man hinzu, daß nach psychoanalytischer Auffassung 
den ganzen Bau des Ichs narzißtische Libido zusammenhält, dann ist die 















Eine ängstliche Mutter 

Annahme nicht von der Hand zu weisen, daß die „synthetische 
Funktion“ im Ich auf das Selbstgefühl spezifisch abge¬ 
stimmt ist, und ihre Aufgabe — die Herstellung eines 
kohärenten Ichs — nach den Weisungen des Selbst¬ 
gefühls verrichtet. Die real gerichtete Denktätigkeit und die 
kritische Urteilsfunktion nehmen an der Synthese im Ich gewiß einen 
vornehmen Anteil; aber die Erstarkung der intellektuellen Funktionen fällt 
in eine späte Entwicklungsphase des Ichs, sie bleiben vom Selbstgefühl 
zeitlebens abhängig und bereit, sich im Konfliktfalle vor seiner Übermacht 
zu beugen. Auf dieser Voraussetzung beruhen insbesondere die Synthesen 
des neurotischen Ichs bei der Symptomgestaltung. Vielleicht werden sich 
die individuellen Züge in der noch zu erforschenden Arbeitsweise der 
„synthetischen Funktion“ einmal noch als Kern dessen heraus stellen, was 
man psychoanalytisch als den „Charakter“ des Ichs bezeichnen kann. 

Es stimmt gut zu dieser Auffassung, daß bei extremen Graden des 
Selbstgefühls die „synthetische Funktion“ ein Ich zusammenbraut, das 
seinen drei „ Abhängigkeiten“ nicht mehr gerecht werden kann, und 
wie Freud gezeigt hat — sich von der einen oder der anderen lossagt. 
Auf den Höhen eines übersteigerten Selbstgefühls gibt das Ich die Realität 
auf (Psychose), oder es schmilzt mit dem Über-Ich zusammen (Manie). 
Anders, wenn das Selbstgefühl auf einen Tiefpunkt herabstürzt im 
klinischen Bild der Melancholie. In diesem Leiden — das man nur als 
einen großen Verzweiflungsschrei nach Liebe bezeichnen kann wird das 
Bedürfnis nach Selbstgefühl selbst übermächtig: Das Ich ist bereit, der 
vegetativen Selbstfürsorge zu entsagen (sich selbst aufzugeben), unterwirft 
sich den grausamsten Peinigungen bis zur Selbstvernichtung, um auf diesem 
Wege die beglückende Situation des Geliebtwerdens und mit ihr jenes 
Maß von Selbstgefühl wiederzuerlangen, an das nun einmal die normale 
Existenz eines menschlichen Individuums geknüpft ist. Der Hergang aber 
hat wenig Rätselhaftes in sich. Einst war das Ich in analoger Situation 
— von der Mutter verlassen und durch ohnmächtige Wut erschöpft 
den Qualen des Hungers unterworfen, aber dann folgte mit nie 
versagender Sicherheit das Wiedererscheinen der Mutter und die oral¬ 
narzißtische Glückseligkeit im Trinken an ihrer Brust. In dieser urzeit 
liehen Erlebnisreihe, die später in den folgenschweren Sinnzusammen¬ 
hang von Schuld — Sühne—Verzeihung eingeordnet wird, wurzelt die 
imaginäre Sehnsucht des Melancholikers und mit ihr der Mechanismus 
seiner Erkrankung. 1 __ 

i) S. dazu die Bemerkungen über Melancholie in meiner Arbeit: „Die psychischen 
Wirkungen der Rauschgifte.“ Diese Zeitschrift, Bd. XII (1926). 










KASUISTISCHE BEITRÄGE 


Phobie bei einem anderthalbjährigen Kinde 

Von 

M. W. Wulff 

Dozent an der Universität Moskau 

Die vor kurzem erschienene Arbeit Freuds „Hemmung, Symptom und 
Angst weist uns wieder auf die große Bedeutung der Angst in der Psycho¬ 
logie der Neurosen hin und rückt das Angstproblem in den Vordergrund 
unseres Interesses. Das soll die Publikation der nachfolgenden kleinen Beobachtung 
rechtfertigen, die die ersten Ansätze einer Phobiebildung bei einem anderthalb¬ 
jährigen Mädchen zum Inhalt hat. 

Die kleine Lina ist geistig und körperlich vollkommen normal entwickelt, 
erfreut sich einer guten Gesundheit, spricht ziemlich verständlich und verfügt 
über einen Wortschatz, der für ihr Alter sogar etwas über das Gewöhnliche 
hinausgeht. 

Zum erstenmal zeigte die Kleine Anzeichen von Angst, als sie eines Tages 
um 6 bis 7 Uhr abends sich in einem Winkel des großen Diwans in ihrem 
Zimmer versteckte, die Mutter zu sich rief und ihr mit gedrückter leiser 
Stimme sagte: „Mama, gib Linchen nicht weg, gib Linchen nicht weg!“ 
Das wiederholte sie viele Male hintereinander, indem sie sich an die Mutter 
klammerte, und zeigte dabei deutliche Zeichen von Unruhe und Angst. 
Durch eine Weile half weder Zureden noch Beruhigung; dann schlief sie 
endlich ein. 

Die Angstanfälle wiederholten sich nun mehrere Tage hintereinander 
ungefähr zur selben Tageszeit, dann traten sie nicht nur abends, sondern auch 
am Tage auf, wobei das Kind unter Zeichen großer An gst mehrmals 
wiederholte: „Gib nicht Linchen weg, gib nicht Linchen weg!“ Die Ang st 
steigerte sich, sobald jemand an die Tür klopfte. Dann ließ sich die Kleine 
von der Mutter oder dem Kindermädchen sofort auf den Schoß nehmen und 
äußerte: „Niemand da! Niemand da!“ Zugleich zeigte sie Angst vor dem 
dunklen Fenster abends, vor Kirchenglocken und vor den Automobil- 

gerauschen. Vor fremden Leuten hatte sie mit wenigen Ausnahmen keine 
Angst. 















Phobie bei einem anderthalbjährigen Kinde 


291 


Im allgemeinen könnte man vielleicht behaupten, daß in diesem Verhalten 
des kleinen Kindes wohl kaum etwas Ungewöhnliches zu sehen ist, daß viele 
Kinder, vielleicht die überwiegende Mehrheit, in diesem Alter oder etwas 
später ähnliche Angsterscheinungen zeigen. Aber deshalb handelt es sich 
doch bei diesen Erscheinungen um Angstsymptome, genauer, um Ansätze von 
Phobien. 

Es war verhältnismäßig nicht schwer, dem Sinn dieser phobischen Symptome 
auf die Spur zu kommen. Die Kleine ließ sich sehr gern Märchen erzählen 
und hatte zwei Lieblingsmärchen. Jeden Morgen beim Auf stehen forderte sie 
den Vater auf, diese zwei Märchen unzählige Male zu wiederholen. In einem 
der Märchen handelte es sich um ein Kind namens L i p c h e n (die Kleine 
hieß Linchen), das die Großmutter zum Großvater ins Feld schickte, 
und dieser verkaufte das Kind einem Kaufmann. Lipchen aber gelang 
es, dem Kaufmann zu entrinnen, und sie kam wieder zur Großmutter nach 
Hause. Das zweite Märchen erzählte von einem Großvater, der der Gro߬ 
mutter sagte: „Kaufe mir einen Topf.“ Die Großmutter kaufte den Topf und 
brachte ihn nach Hause. Nun kommt Linchen, schlägt auf den Topf und 
zerbricht ihn. Großmutter weint, Großvater weint: „Wo ist Linchen, ich 
werde sie schlagen! “ — Und Linchen ist nicht da! Und Linchen ist nicht 
da! (An dieser Stelle deckte sich die Kleine immer die Augen mit den 
Händchen zu). Dann kam plötzlich: „Da ist Linchen, da ist sie!“ Dabei 
brach sie'in lautes, fröhliches Lachen aus. 

Nach dem Auftreten der Angsterscheinungen ließ sich das Kind diese 
Märchen nicht mehr erzählen, sie mied sie offenbar, wollte von ihnen nichts 
hören. Es war auch klar, daß ihr ängstlich wiederholter Satz: „ Gib Linchen 
nicht weg! “ — aus dem ersten Märchen stammt und daß diese Angst mit 
einem Schuldgefühl verbunden ist, das mit dem zweiten Märchen (das 
Zerschlagen des Topfes und die drohende Strafe) verbunden sein mag. 

Eine Bestätigung brachte die Beobachtung der Spiele des Kindes. Sie hatte 
ein Spielzeug, einen kleinen Bären aus Samt, den sie sehr liebte. Während 
der Angstperiode bestand ihr Spiel darin, daß sie auf den Bären schimpfte, 
ihn strafte und schlug, weil er so unanständig und unsauber sei: „Mischenka 
(der Name des Bären) a...a... a... ekelhaft, Mischenka lep . . . lep“ 
(Kindersprache = schlagen). Dieses Spiel wiederholte sie viele Male hinter¬ 
einander. 

Bezüglich der Stubenreinlichkeit erfuhr ich folgendes: Die Erziehung des 
Kindes zur Reinlichkeit ist schon seit langem im Gang und stieß anfangs auf 
keine besonderen Schwierigkeiten. Nur wenn man es nachts, meist schlaf¬ 
trunken, zur Harnentleerung auf das Töpfchen setzte, wurde es gereizt und fing 
an zu weinen. Zugleich zeigte das kleine Mädchen schon seit längerer Zeit 
ein besonderes Interesse für diese Funktion und fragte z. B. wiederholt die 
Mutter und das Kindermädchen, ob die Erwachsenen auch ihre Bedürfnisse 
verrichten. Wenn das Kindermädchen aus dem Zimmer ging, pflegte die 
Kleine öfters zu sagen: „Njanja gegangen a... a... a... machen. 

Öfters kam es vor, daß sie aufs Töpfchen gesetzt zu werden verlangte, 
ohne dann irgend ein Bedürfnis zu verrichten, — offenbar aus Angst oder 
um einer Unannehmlichkeit dieser Art vorzubeugen. Andererseits machte sie 
manchmal Bewegungen oder hielt eine Körperstellung an, als ob sie sich 







292 


M. W. Wulff 


anstrengt, den Urinabgang anzuhalten. Dabei wiederholt sie die Frage: 
„Linchen gut? Linchen nicht weggeben?“ 

Zugleich produzierte das Kind so etwas wie einen Reinlichkeitszwang. 
Beim Spielen räumte sie immer das Zimmer auf, säuberte den Fußboden usw. 
Merkte sie z. B. auf dem Fußboden im Zimmer ein Stückchen Papier, einen 
kleinen Fetzen, einen Brocken oder einen Faden, so mußte sie es sofort auf- 
heben und in den Papierkorb werfen und ähnliches mehr. 

Außerdem erfuhr ich durch den Vater von einem kleinen Vorfall, der kurz vor 
dem Ausbruch der Angstanfälle stattgefunden hat. Ich gebe hier die Erzählung 
des Vaters wörtlich wieder: „Es hat sich bei uns die schlechte Gewohnheit 
eingebürgert, daß das Kind, um einzuschlafen, stundenlang auf dem Arm im 
Zimmer herumgetragen werden muß. Das geschah nicht nur abends, sondern 
auch bei Nacht, wenn die Kleine aus irgend einer Ursache wach geworden 

war. So kam es einige Male vor, daß ich beinahe die ganze Nacht hindurch 

mit ihr im Zimmer herumspazieren mußte; endlich war meine Geduld zu 
Ende und einmal während so eines nächtlichen Spazierganges legte ich die 
Kleine ins Bettchen und schrie sie an: ,Bleib ruhig, schlafe, ich will dich 
nicht mehr auf dem Arm tragen. Sie fing an laut zu schreien, aber ich 

legte mich hin, ohne darauf zu achten. Sie stand aber in ihrem Bettchen 

auf, streckte ihre Händchen mir entgegen und rief flehend: ,Papa, Papa . . .‘ 
Sie beugte sich so aus dem Bettchen vor, daß sie herauszufallen drohte; ich 
mußte nachgeben und nahm sie auf den Arm, um sie zu beruhigen. Sie 
schluchzte, zitterte am ganzen Körper und fragte, als sie überhaupt erst 
imstande war, ein Wort hervorzubringen: ,Ist Linchen gut, brav?’“ 

Im weiteren will ich ein paar Aufzeichnungen des Vaters bringen, die, 
wie mir scheint, zum Verständnis des Falles beitragen können: 

„Heute früh nahm ich Linchen aus ihrem Bettchen — sie war naß. Sie 
schaute mich wie fragend an und sagte schüchtern: ,Linchen gut ?‘ 

Am Tage wurde Linchen wieder naß und das Kindermädchen mußte sie 
umkleiden. Die Kleine wiederholte dabei: ,Linchen gut, Linchen gut, nicht 
weggeben ? 1 Ein anderes Mal hörte ich, wie das Kindermädchen bei einer 
ähnlichen Gelegenheit ihr sagte: ,Linchen ist nicht gut, nicht brav, Linchen 
macht naß . 1 Die Kleine wurde dann ängstlich und ließ sich nicht umkleiden 
(Das Kindermädchen wurde nachher vom Vater instruiert.) 

Sie hörte das Geräusch eines vorbeifahrenden Automobils, lief zur Mutter 
und sagte: ,Mama, Linchen nehmen, halten ! 1 Sie blieb dann auf Mutters 
Schoß, klammerte sich an ihren Hals und fragte unruhig: ,Linchen, unser 
Linchen nicht weggeben ? 1 Dieselben Fragen wiederholt sie mehrmals am 
Tag, fast immer, wenn sie naß wird oder wenn sie merkt, daß man ihr 
etwas übel nimmt. Einmal hörte ich, wie sie sich selbst beruhigte: ,Mama 
sagte Linchen gut, Linchen nicht weggeben. . . 

. . Heute war das Kind den ganzen Abend unruhig, ängstlich, 
wischte sich sorgfältig die Nase mit dem Taschen¬ 
tuch und einige Male sogar die Zunge.“ (Verlegung von 
unten nach oben). 

„Heute nahm das Kind ihren Liebling, den Bären, und sagte: ,Mischenka 
nicht gut, Mischenka dem Herrn weggeben .’ u . . . 

Es war mir klar, daß die kleine infantile Neurose als Folge der etwas 











Phobie bei einem anderthalbjährigen Kinde 


293 


vielleicht zu intensiven Erziehung zur Reinlichkeit zu betrachten ist, der die 
Kräfte des Kindes noch nicht gewachsen sind. Der Konflikt zwischen dem 
inneren Antrieb, der Forderung nach Beherrschung der exkrementeilen 
Funktionen nachzugeben, und dem primären Partialtrieb war so anschaulich, 
daß ich darauf meine therapeutischen Maßnahmen zu gründen versuchte : Ich 
ließ jede Forderung in bezug auf Reinlichkeit beim Kinde aufgeben. Der 
Vater hat der Kleinen erklärt, daß es gar nicht so schrecklich ekelhaft und 
schlimm wäre, wenn sie einmal naß würde, daß sie trotzdem brav und gut 
wäre, auch wenn ihr ein Malheur passierte, weil sie noch klein wäre usw. 
Man vermied dann jede Bemerkung in dieser Hinsicht und ignorierte die 
Unsauberkeit des Kindes. Der Erfolg war schnell und frappant: Nach einigen 
Tagen wurde das Kind ruhig und angstfrei. 

Einige Tage nach der Erklärung des Vaters wachte das Kind nach dem 
Mittagsschlaf naß auf. Die Mutter sah es zwar, verhielt sich aber so, als ob 
sie nichts gemerkt hätte. Aber die Kleine äußerte: „Linchen nicht gut, 
Linchen naß“ — worauf die Mutter: „Nein, Linchen ist gut und brav, 
Linchen ist noch klein.“ Darauf erwiderte die Kleine: „Nicht Linchen naß 
gemacht, Papa naß gemacht. “ — So verschob sie die Schuld auf den 
erlaubenden Vater und deckte sich durch seine Autorität. 

Es muß noch erwähnt werden, daß alle die Schwierigkeiten sich nur auf 
die Beherrschung der Harnentleerung, nicht auf die Darmfunktion bezogen, 
wobei sicher ein konstitutionelles Moment mitgewirkt hat. 

Diese erste Lebenstragödie des anderthalbjährigen Kindes ist so einfach, 
klar und durchsichtig, daß darüber kaum noch viel zu sagen ist. Zu betonen 
ist nur folgendes: 

1. Das Auftreten der Angst fällt hier zeitlich nicht mit der verpönten Handlung 
zusammen, sondern mit dem Moment des Entdecktseins durch die Eltern 
oder ihrer Stellvertreterin, der Njanja. Es ist deutlich Angst vor Strafe 
oder vor Verlust der Liebe seitens der verbietenden und zugleich 
geliebten Person. Dies ist die Gefahr, die die Entwicklung der Angst bewirkt. 

2. Bemerkenswert ist weiter das so frühe Auftreten des so starken 
Schuldgefühles. 

3. Ebenso befremdend ist meiner Meinung nach das so frühe Auftreten 
von Reaktionsbildungen zwanghaften Charakters, wie sie sich in den Ansätzen 
zur zwanghaften Reinlichkeit und Ordnungsliebe äußern. 

4. Interessant ist weiter das Spielen mit dem Bären. Wir können hier 
sehr deutlich die ökonomische Bedeutung des Spieles als Mittel zur Bewältigung 
überstarker Reize sehen, wie Freud es im „Jenseits des Lustprinzips“ 
beschrieben hat. Das Kind straft im Spiele den Bären für Vergehen, die es 
selbst begangen hat. Man könnte vielleicht den Vorgang noch als eine Art 
Projektion des eigenen Strafbedürfnisses auf ein äußeres Objekt betrachten. 

Eine genauere Analyse könnte vielleicht noch mehr Interessantes in dem 
Fall aufdecken, aber bei den gegebenen Verhältnissen war mir ein tieferes 
Eindringen nicht möglich. 









294 


N. Searl 


Ein Fall von Stottern bei einem Kind 

Mit geteilt in der Deutschen PsA. Gesellschaft , Oktober 1926 
Von 

N. Searl 

London 

Am Schluß eines Artikels von Fröschels „Über die Behandlung des 
Stotterns (Zentralblatt für Psychoanalyse, Bd. III) steht eine Anmerkung von 
St ekel. Sie betont die Tatsache, daß die Psychoanalyse die einzige kausale 
Therapie des Stotterns sei, fügt aber hinzu: „Doch bedenkt man die 
ungeheuren Schwierigkeiten einer Psychoanalyse mit Kindern, die verant¬ 
wortungsvolle Aufgabe, die Unmöglichkeit, über alles zu sprechen, die Gefahr 
einer Schädigung dieser Kinder, so wird man Fröschels gerne zustimmen, 
wenn er für die leichten Falle die gebräuchlichen Methoden als psychische 
Beeinflussung und pädagogische Erziehung in Anspruch nimmt.“ Diesen 
Zweifel Stekels teilen wir nicht; und in dem besonderen Fall einer Kinder¬ 
analyse, über den ich jetzt berichten will, wäre es schwer, sich den Vorteil 
irgendeiner anderen Behandlungsart vorzustellen. 

Flügel sagt in seiner „Note on the Phallic Significance of the Tongue” 
(International Journal of PsA. 1925): „Obwohl man den psychischen Mechanis¬ 
mus, der mit dem Stammeln in Verbindung steht, noch nicht ganz aufgedeckt 
hat, ist es klar, daß er mit Minderwertigkeitsgefühlen eng verknüpft ist, 
vielleicht auch mit Kastrations Vorstellungen.“ Wir können Flügel hinsichtlich 
der Ungewißheit über den genauen Mechanismus des Stotterns völlig bei¬ 
stimmen, obwohl Dynamik und Sinn dieser Neurose von anderen Autoren 
mit einiger Ausführlichkeit behandelt worden sind, zum Beispiel von C o r i a t, 
Stekel, Appelt. „Die Verdrängung gewisser Gedanken und Gefühls¬ 
tendenzen, gewöhnlich sexueller Art 4 ; 1 „Böses Gewissen“ wegen onanistischer 
Handlungen, homosexueller Triebe, analer Phantasien und so weiter (Stekel, 
„Nervöse Angstzustände ) spielen da eine Rolle; dies alles mag richtig sein, 
geht aber nicht tief genug. Ap p el t („The Real Cause of Stammering”) glaubt, 
daß eine physiologische Prädisposition, schwache Sprachnerven das Bestimmende 
für die Neurosenwahl des Stotterers sei. Eder in „Stuttering a Psy'choneurosis 
and Its Treatment by Psychoanalysis ” gibt wichtige Faktoren des Stotterns 
in zwei von ihm analysierten Fällen, interessiert sich aber mehr dafür, die 
Verknüpfung mit Verdrängung und geschlechtlichen Störungen aufzuzeigen 
als den genauen Mechanismus wiederzugeben. Ernst Schneider untersucht 
in seinem Buch „Über das Stottern“ dieses Symptom mit großer Ausführlich¬ 
keit. Im allgemeinen führt er die Sprachhemmung zurück auf „den Kampf 
zwischen zwei Willen, die sich gegeneinander richten und sich so gegenseitig 
aufheben, den Willen zum Sprechen und den Willen zum Schweigen. Im 
Symptom sehen wir sie ein Kompromiß eingehen: Der Stotterer macht 
große Anstrengungen zum Sprechen, er schweigt aber“. Diese Darstellung 
werden wir in unserem Falle klar bestätigt finden. 

Ich hatte 1925 die Gelegenheit, von unserem verehrten Dr. Abraham 
einen Vortrag über einen Fall von Stottern zu hören, der eine neue Auf- 


1) Coriat, „Stammering as a Psychoneurosis“, Journal of Abnormal Psychology IX, 6. 













Ein Fall von Stottern bei einem Kind 


295 


fassung über den dabei wirksamen Mechanismus gab. Mit seiner gewöhnlichen 
Bereitwilligkeit gab mir Dr. Abraham später einen Auszug davon, den ich 
zitieren will. „Der Patient war als kleiner Knabe (mit drei bis vier Jahren) 
ein Sprachkünstler und ließ sich gern bewundern, wenn er Gedichte vortrug 
usw. Nach Aussage seiner Mutter war er ausgesprochen humoristisch. 
(Prof. Freud sagte mir einmal, nach seiner Erfahrung seien die Stotterer 
in der Regel als Kinder Spaßmacher gewesen.) Dieser orale Exhibitionis¬ 
mus hörte auf und machte einem analen Exhibitionismus Platz. Der Knabe 
liebte es, sein Gesäß zu zeigen. Die spätere Unfähigkeit, die Anfangsbuchstaben 
vieler Wörter auszusprechen, hatte ebenfalls analerotische Bedeutung, doch 
war Rer Vorgang nach dem Munde verlegt, wo nun Kontraktionsvorgänge 
wie am Anus stattfanden. Die Mundgeräusche beim Stottern hatten Flatus - 
bedeutung. Das Stottern war ein neurotisches Symptom, das eine in Angst 
verwandelte Exhibitionslust darstellte. Interessant ist, daß der Patient in seiner 
Kleidung äußerst exhibitionistisch war; sein ganzes Interesse bezog sich auf 
die Mode. Seine außerordentliche Kastrationsangst hatte den männlichen 
Narzißmus aus der genitalen Position vertrieben, so daß der Narzißmus die 
weibliche Form annahm, d. h. sich auf die ganze Körperoberfläche mit Aus¬ 
schluß der Genitalzone verschob. Die Libido des Patienten war ganz anal¬ 
sadistisch gerichtet. Das Sprechen gelang ihm am besten, wenn er anderen 
Menschen Bosheiten sagen konnte.“ 

Die Art und Weise, in welcher mein kleiner vierjähriger Patient Christopher 
sein Stottern verlor, läßt — wenn man den Erfolg seiner weiteren Behandlung 
dazurechnet — den Mechanismus dieses Falles ziemlich klar erkennen. Das 
Stottern war ein tonisches. Wenn es schwer auftrat, beobachtete man zuerst 
ein langes Stocken bei geöffnetem Munde und angespannter Anstrengung. Dann 
kamen grunzende Laute, welche die unfreiwillige Pause ausfüllten, bis zuletzt 
der gewünschte Buchstabe knallartig herausgestoßen wurde. Das Stottern war 
immer am ausgesprochensten, wenn der Patient Widerstand erwartete. Wichtig 
war auch in diesem Zusammenhang, daß er sich einige Wörter durch die 
Art der Aussprache erschwerte, während die meisten Kinder sie sich zu erleichtern 
pflegen. Sehr auffallend war das bei dem Worte „you”, besonders natürlich 
dann, wenn er es stark betonte. Statt „you do it” sagte Christopher „Dtchoo 
do it”. 

In den ersten Sitzungen zeigte sich hauptsächlich sein urethrales Interesse 
im Spielen mit Wasser, ebenso seine Neugierde, das „Innere“ betreffend; er 
warf ein Spielzeug, einen grünen Frosch, aus dem Fenster, nachdem er ihn 
ins Wasser gesteckt hatte. „Böser Frosch.“ „Warum?“ „Wollte Pferd beißen. 
Wollte Baby beißen“ — was auf sadistische Wünsche gegen Eltern und kleine 
Schwester schließen läßt; diese Schwester war beinahe drei Jahre jünger 
und er hatte tatsächlich einmal versucht, sie zu erdrosseln. Er zeichnete auch 
zwei Tiger ohne Beine, deren Mäuler sich berührten. In der nächsten Sitzung 
spielte er nicht nur mit Wasser, sondern malte auch: drei blinde Mäuse und 
ein sehendes Mäuslein; Mäuse ohne Schwänze, Maus mit Schwanz; Tiger im 
Käfig, Bär im Käfig mit Stangen; Baum und Mäuslein im Baum, alles in rosa 
Farbe. Dann schnitt er den Kopf eines Zelluloidsoldaten ab und nahm das 
darin befindliche Blei heraus. Auf eine Frage antwortete er, „Ich würde 
Kügelchen in mir haben, aber schneiden Sie mir nicht den Kopf ab.“ Der 











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N. Searl 


Ein Fall von Stottern bei einem Kind 

Mit geteilt in der Deutschen PsA. Gesellschaft , Oktober 1926 
Von 

N. Searl 

London 

Am Schluß eines Artikels von Frösch eis „Über die Behandlung des 
Stotterns“ (Zentralblatt für Psychoanalyse, Bd. III) steht eine Anmerkung von 
St ekel. Sie betont die Tatsache, daß die Psychoanalyse die einzige kausale 
Therapie des Stotterns sei, fügt aber hinzu: „Doch bedenkt man die 
ungeheuren Schwierigkeiten einer Psychoanalyse mit Kindern, die verant¬ 
wortungsvolle Aufgabe, die Unmöglichkeit, über alles zu sprechen, die Gefahr 
einer Schädigung dieser Kinder, so wird man Fröschels gerne zustimmen, 
wenn er für die leichten Fälle die gebräuchlichen Methoden als psychische 
Beeinflussung und pädagogische Erziehung in Anspruch nimmt.“ Diesen 
Zweifel Stekels teilen wir nicht; und in dem besonderen Fall einer Kinder- 
analyse, über den ich jetzt berichten will, wäre es schwer, sich den Vorteil 
irgendeiner anderen Behandlungsart vorzustellen. 

Flügel sagt in seiner „Note on the Phallic Significance of the Tongue” 
(International Journal of PsA. 1925): „Obwohl man den psychischen Mechanis¬ 
mus, der mit dem Stammeln in Verbindung steht, noch nicht ganz aufgedeckt 
hat, ist es klar, daß er mit Minderwertigkeitsgefühlen eng verknüpft ist, 
vielleicht auch mit Kastrations Vorstellungen.“ Wir können Flügel hinsichtlich 
der Ungewißheit über den genauen Mechanismus des Stotterns völlig bei¬ 
stimmen, obwohl Dynamik und Sinn dieser Neurose von anderen Autoren 
mit einiger Ausführlichkeit behandelt worden sind, zum Beispiel von C o r i a t, 
Stekel, Appel t. „Die Verdrängung gewisser Gedanken und Gefühls¬ 
tendenzen, gewöhnlich sexueller Art“ ; 1 „Böses Gewissen“ wegen onanistischer 
Handlungen, homosexueller Triebe, analer Phantasien und so weiter (Stekel, 
„Nervöse Angstzustände ) spielen da eine Rolle; dies alles mag richtig sein, 
geht aber nicht tief genug. App eit („Tine Real Cause of Stammering”) glaubt, 
daß eine physiologische Prädisposition, schwache Sprachnerven das Bestimmende 
für die Neurosenwahl des Stotterers sei. Eder in „ Stuttering a Psychoneurosis 
and Its Treatment by Psychoanalysis” gibt wichtige Faktoren des Stotterns 
in zwei von ihm analysierten Fällen, interessiert sich aber mehr dafür, die 
Verknüpfung mit Verdrängung und geschlechtlichen Störungen aufzuzeigen 
als den genauen Mechanismus wiederzugeben. Ernst Schneider untersucht 
in seinem Buch „Über das Stottern“ dieses Symptom mit großer Ausführlich¬ 
keit. Im allgemeinen führt er die Sprachhemmung zurück auf „den Kampf 
zwischen zwei Willen, die sich gegeneinander richten und sich so gegenseitig 
aufheben, den Willen zum Sprechen und den Willen zum Schweigen. Im 
Symptom sehen wir sie ein Kompromiß eingehen: Der Stotterer macht 
große Anstrengungen zum Sprechen, er schweigt aber“. Diese Darstellung 
werden wir in unserem Falle klar bestätigt finden. 

Ich hatte 1923 die Gelegenheit, von unserem verehrten Dr. Abraham 
einen Vortrag über einen Fall von Stottern zu hören, der eine neue Auf- 

1 ) Coriat, „Stammering as a Psychoneurosis“, Journal of Abnormal Psychology IX, 6. 















Ein Fall von Stottern bei einem Kind 


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fassung über den dabei wirksamen Mechanismus gab. Mit seiner gewöhnlichen 
Bereitwilligkeit gab mir Dr. Abraham später einen Auszug davon, den ich 
zitieren will. „Der Patient war als kleiner Knabe (mit drei bis vier Jahren) 
ein Sprachkünstler und ließ sich gern bewundern, wenn er Gedichte vortrug 
usw. Nach Aussage seiner Mutter war er ausgesprochen humoristisch. 
(Prof. Freud sagte mir einmal, nach seiner Erfahrung seien die Stotterer 
in der Regel als Kinder Spaßmacher gewesen.) Dieser orale Exhibitionis¬ 
mus hörte auf und machte einem analen Exhibitionismus Platz. Der Knabe 
liebte es, sein Gesäß zu zeigen. Die spätere Unfähigkeit, die Anfangsbuchstaben 
vieler Wörter auszusprechen, hatte ebenfalls analerotische Bedeutung, doch 
war Rer Vorgang nach dem Munde verlegt, wo nun Kontraktions Vorgänge 
wie am Anus stattfanden. Die Mundgeräusche beim Stottern hatten Flatus- 
bedeutung. Das Stottern war ein neurotisches Symptom, das eine in Angst 
verwandelte Exhibitionslust darstellte. Interessant ist, daß der Patient in seiner 
Kleidung äußerst exhibitionistisch war; sein ganzes Interesse bezog sich auf 
die Mode. Seine außerordentliche Kastrationsangst hatte den männlichen 
Narzißmus aus der genitalen Position vertrieben, so daß der Narzißmus die 
weibliche Form annahm, d. h. sich auf die ganze Körperoberfläche mit Aus¬ 
schluß der Genitalzone “verschob. Die Libido des Patienten war ganz anal¬ 
sadistisch gerichtet. Das Sprechen gelang ihm am besten, wenn er anderen 
Menschen Bosheiten sagen konnte.“ 

Die Art und Weise, in welcher mein kleiner vierjähriger Patient Christopher 
sein Stottern verlor, läßt — wenn man den Erfolg seiner weiteren Behandlung 
dazurechnet — den Mechanismus dieses Falles ziemlich klar erkennen. Das 
Stottern war ein tonisches. Wenn es schwer auftrat, beobachtete man zuerst 
ein langes Stocken bei geöffnetem Munde und angespannter Anstrengung. Dann 
kamen grunzende Laute, welche die unfreiwillige Pause ausfüllten, bis zuletzt 
der gewünschte Buchstabe knallartig herausgestoßen wurde. Das Stottern war 
immer am ausgesprochensten, wenn der Patient Widerstand erwartete. Wichtig 
war auch in diesem Zusammenhang, daß er sich einige Wörter durch die 
Art der Aussprache erschwerte, während die meisten Kinder sie sich zu erleichtern 
pflegen. Sehr auffallend war das bei dem Worte „you’\ besonders natürlich 
dann, wenn er es stark betonte. Statt „you do it” sagte Christopher „Dtchoo 
do if\ 

In den ersten Sitzungen zeigte sich hauptsächlich sein urethrales Interesse 
im Spielen mit Wasser, ebenso seine Neugierde, das „Innere“ betreffend; er 
warf ein Spielzeug, einen grünen Frosch, aus dem Fenster, nachdem er ihn 
ins Wasser gesteckt hatte. „Böser Frosch.“ „Warum?“ „Wollte Pferd beißen. 
Wollte Baby beißen“ — was auf sadistische Wünsche gegen Eltern und kleine 
Schwester schließen läßt; diese Schwester war beinahe drei Jahre jünger 
und er hatte tatsächlich einmal versucht, sie zu erdrosseln. Er zeichnete auch 
zwei Tiger ohne Beine, deren Mäuler sich berührten. In der nächsten Sitzung 
spielte er nicht nur mit Wasser, sondern malte auch : drei blinde Mäuse und 
ein sehendes Mäuslein; Mäuse ohne Schwänze, Maus mit Schwanz; Tiger im 
Käfig, Bär im Käfig mit Stangen; Baum und Mäuslein im Baum, alles in rosa 
Farbe. Dann schnitt er den Kopf eines Zelluloidsoldaten ab und nahm das 
darin befindliche Blei heraus. Auf eine Frage antwortete er, „Ich würde 
Kügelchen in mir haben, aber schneiden Sie mir nicht den Kopf ab.“ Der 











296 


N. Searl 


Soldat wurde so von ihm behandelt, weil „er Baby geklapst hat“. Er schnitt 
ihn in den Arm; „er wird nicht wieder Baby klapsen“. Dann verbrannte er 
ihn. Er versuchte auch einen Puppenschnuller zu verbrennen, in den er 
sont gern hineinbiß, und ebenso eine Beere, die er spater mit einer 
langen Schnur an einen Stuhl band. Als er mit Wasser und 
einer Blechbüchse mit Deckel spielte, sagte er, es mache ein Geräusch wie 
kJ einer Wunsch; gleich darauf schlug er hart auf die Büchse und fragte mich 
mit schelmischem Lächeln: „Was ist das?“ „Ist’s wie großer Wunsch ?“ „Ja, 
das ist es.“ Jetzt wurde sein Stottern so schlimm, daß ich zu ihm sagte: „Du 
gibst dir große Mühe ; du mußt dir wohl große Mühe geben, wenn du einen 
großen Wunsch machst?“ „Ich will nicht, ich will nicht“. „Natürlich“, sagte 
ich, „Du fürchtest, daß man dir etwas fortnehmen wird.“ Als er einen 
Schmutzflecken an meinem Balkon sah, den er schon sehr oft vorher gesehen 
hatte, ohne darüber eine Bemerkung zu machen, sagte er, daß jemand dort 
einen großen Wunsch gemacht hätte; „die Pferde machen so auf der Straße“. 
Als er diesmal auf die Toilette ging, besorgte er alles allein, anstatt einfach 
meine Hilfe abzuwarten, wie er es sonst immer getan hatte. Obwohl er, wie 
auch sonst, davonrannte, nachdem er an der Kette gezogen hatte, wobei er 
Laute ausstieß, die aus Freude und Furcht gemischt waren, kam er diesmal 
zurückgelaufen, spuckte in das Klosett und schrie: „Ich habe ihn gebissen, 
ich habe ihn gebissen.“ Nach der Freimachung seines analen Trotzes ver¬ 
schwand sein Stottern fast ganz. 

Die Vorgänge bei dieser Sitzung bringen mich zu dem Schluß, daß die 
Haupttriebkraft von Christophers Stottern eine Verdichtung von verschobenem 
analen Gehorsam und Trotz war. Wirklich „gab er sich große Mühe , wie 
man es ihm immer wieder befohlen hatte; aber trotzdem hielt er zurück, 
obwohl es ihm verboten war. Sein übermäßiger analer Sadismus war auf der 
einen Seite auf oralem Sadismus aufgebaut, auf der anderen Seite entsprach 
er einer Regression von der phallischen Stufe, die auf seine Kastrationsangst 
zurückzuführen war. Das soll nur eine allgemeine Skizzierung von Vorgängen 
sein, die sehr kompliziert sind. Indessen bekommen wir in einer Hinsicht 
wenigstens ein klareres Bild. Die Wichtigkeit der Mundzone ist schon 
betont worden — das Beißen des Schnullers, das Spucken und so weiter; 
Christophers weitere Behandlung zeigt ihre enge Verknüpfung mit seinen 
analen Trieben. 

Einige Wochen später hob er einmal den Kopf des Soldaten vom Boden 
auf. „Böser Mann, gucken Sie mal auf den dummen bösen Mann.“ „Warum 
ist er denn böse?“ „Will mich beißen.“ „Nein, so ist es nicht. Der Papa 
will dich nicht beißen.“ Als dann noch weiteres Material zum Vorschein 
kam, das mit seiner Kastrationsangst verknüpft war: „Du möchtest nicht, daß 
der Papa einen Wiwimacher hat, aber trotzdem will der Papa dich nicht 
beißen.“ „Ich beiße Papas Wiwimacher.“ Später wälzte er sich im Lehn¬ 
sessel herum, steckte ein Zündholz in sein Ohr, und dann versuchte er, es 
tief hineinzutreiben, indem er sich darauflegte. „Baba gehen“, sagte er. 
„Ja, du willst etwas in ein Loch stecken, nicht wahr ? Und du hast etwas 
im Bett bemerkt.“ Er rollte sich auf dem Boden und versuchte, ein Zündholz 
in eines der beiden Löcher einer Steckdose zu stecken. „Muß es vorsichtig 
machen“, sagte er. „Kleine Samenkörner werden aus dem anderen Loch heraus- 














Ein Fall von Stottern bei einem Kind 


297 


kommen.“ Dann sah er sich um, „Warum weinte ich, weil ich die Dame 
nicht sehen konnte?“ („Die Dame“ war sein Name für mich, und er hatte 
geweint, als er nicht zu mir kommen konnte; aber es ließ sich leicht 
erkennen, daß dahinter sich seine wiederkehrende Angst versteckte, die ihn 
zuweilen ergriff, wenn er ein weißes Pferd auf der Straße nicht finden — 
d. h., nicht „sehen“ konnte. Eine vorhergehende Sitzung hatte klar erwiesen, 
daß hiermit das Verschwinden der weißen Mutti unter dem Papa, dem Reiter, 
gemeint war.) Die nächste Frage kam bald danach: „Was machte der Papa, 
als ich ihn im Bette hörte?“ „Was hörtest du?“ „Ich wachte auf und 
hörte einen komischen Laut“. „Was für einen Laut?“ „So“ und er 
kauerte auf dem Boden und gab eine Folge von grunzenden Lauten 
von sich. 

In der nächsten Sitzung war er sehr laut und machte viel „Musik“, wie er 
das Singen nannte. 

Der Mechanismus des Verschiebens vom Anus zum Mund beim Stottern 
ist jetzt klar: Die Identifizierung mit dem Vater beim Koitus wird dadurch 
dargestellt. Und in Übereinstimmung mit der normalen Ödipussituation, aber 
auf einer prägenitalen Stufe, konnte er zu gleicher Zeit seine Liebe zur 
Mutter (Gehorsam) und die Rivalität mit dem Vater (gewaltsame Emissionen) 
beweisen, und weiter seinen Trotz gegen die Autorität beider (Zurückhalten). 
Da das Stottern so leicht verschwand, als seine anale Bedeutung klar wurde, 
darf man sagen, daß diese den wichtigsten determinierenden Faktor bildete; 
er war an einem empfindlichen Punkt, der Identifizierung mit dem Vater, 
getroffen worden; diese Identifizierung selbst wurde auf der analen Stufe zum 
Mund verschoben (Flatus und Grunzen). Die orale und anale Exhibitionslust, 
die im Falle von Abraham so stark war, ist hier weniger betont, aber 
sicherlich vorhanden: er liebte es, Wörter zu bilden und damit zu spielen; 
auch die weibliche Form narzißtischer Exhibitionslust, die Freude an Kleidern, 
konnte man beobachten. 

Dieser Fall von Stottern zeigt keine neuen Züge; seine Dynamik ist aber 
hinlänglich klar, um — wie ich glaube — unser Interesse zu beanspruchen. 










DISKUSSIONEN 


Diskussion der „Laienanalyse“ 

(S. dazu die Vorbemerkung der Redaktion und die Beiträge I—XII in den beiden vorigen Heften) 

XIII 

Robert Wälder (Wien): 

Die PsA. ist aus ursprünglich ärztlicher Fragestellung erwachsen; durch 
die Arbeit eines Arztes freilich, der sich in ihr von jeder Analogie zu ärzt¬ 
lichen Methoden entfernt hat. Von diesem Gebiet ihrer Entstehung aus hat 
sich die PsA. jedoch sehr bald entscheidend expandiert; sie erhob den 
Anspruch, über eine Normalpsychologie zu verfügen und Techniken zu ent¬ 
wickeln, deren Anwendung am Gesunden nicht anders als am Kranken erfolgt. 
Zudem hat sie den psychischen Krankheitsbegriff über seinen ursprünglich 
recht engen klinischen Umfang hinaus so sehr erweitert, daß er so gut wie 
alles Lebende erfaßt: wir sprechen von jemandes Neurose mit dem gleichen 
Tone der Selbstverständlichkeit wie etwa von jemandes Charakter, Persön¬ 
lichkeit oder Fähigkeiten. Mit dieser Erweiterung ihres Gegenstandes und 
ihrer Probleme hat PsA. aufgehört, ein Teil der medizinischen Wissenschaft 
zu sein — wenn sie es überhaupt je gewesen ist — und kann es jedenfalls 
insolange nicht werden, als sie ihren umfassenden Anspruch behauptet. Damit 
muß auch auf eine Einreihung der PsA. in überkommene und der Bequem¬ 
lichkeit lieb gewordenen Kategorien verzichtet werden. 

Mit dieser Zeit beginnt die legitime Mitarbeit von Nichtärzten, den soge¬ 
nannten Laien, deren Interesse für PsA. auf dem Boden anderer Wissenschafts¬ 
gebiete als der Medizin entstanden ist. Diese Mitarbeit ist einer psycho¬ 
analytischen Bewegung, die ihren kulturhistorischen Aufgaben gerecht werden 
soll, nicht entbehrlich; ganz abgesehen von dem fruchtbaren Zusammenhang 
mit anderen Problemstellungen, den sie auch dem ärztlichen Analytiker ständig 
erhalten hilft, ist ihre Funktion die Arbeit an der schließlichen Synthese der 
psychoanalytischen Seelenlehre mit allen wertvollen Ergebnissen anderer 
psychologischer Methoden. Von der heute noch kaum begonnenen Durch¬ 
setzung der akademischen Psychologie mit Analyse darf im übrigen auch auf 
dem Umwege über die Lehrerschaft aller Stufen, die dort ihre Ausbildung 
erfährt, eine extensivere Durchdringung des Publikums erwartet werden, die 
für die Ausdehnung der analytischen Praxis so wünschenswert ist. 

Wenn aber die Beschäftigung nichtärztlicher Arbeiter mit Analyse über- 


















Diskussionen 


299 


haupt anerkannt wird, kann ihnen der Natur unserer Wissenschaft zufolge 
die Ausübung am lebendigen Objekt nicht mehr versagt werden. 

Es sei schlank wegs anerkannt, daß medizinisches und im besonderen 
psychiatrisch-neurologisches Wissen für die Ausübung der Analyse stets förder¬ 
lich und manchmal unentbehrlich ist; im Ideal des Analytikers wird 
medizinische Bildung nicht fehlen dürfen. Aber zu diesem Ideal gehören mit 
gleicher Bedeutung auch andere Voraussetzungen, die im individuellen Fall 
ein Arzt wohl erfüllen kann, — wie ja schließlich auch ein Laie über 
medizinisches Wissen verfügen mag, — die aber keineswegs durch die 
medizinische Ausbildung an sich erworben werden. So etwa jene methodische 
Denkschulung, die nur am Studium der exakten Wissenschaften erworben 
werden kann; oder Psychologie oder Biologie. Insolange man gegenüber dem 
Mangel dieser Kenntnisse oder Fertigkeiten beim ärztlichen Anwärter Toleranz 
übt, muß diese Toleranz gleicherweise für die medizinische Unbildung desjenigen 
gelten, der andere für die Analyse wertvolle Vorbedingungen erfüllt; und dies um 
so eher, als gerade medizinische Unbildung, die weniger Methodisches als Tat¬ 
sächliches betrifft, durch ärztliche Indikationsstellung und ständige Beratung durch 
einen analysekundigen Arzt verhältnismäßig weitgehend kompensiert werden kann. 

So viel zur Wunschbarkeit der Laienanalyse von unserem, dem analytischen 
Standpunkt aus. Für ihre Zulässigkeit würden diese Ausführungen auch dann 
eintreten, wenn alle diese Argumente unzutreffend wären; hiebei bestimmt 
von einem den Gegenwartsströmungen allerdings nicht entsprechenden 
Liberalismus, der in dem täglich sich verdichtenden System der Berufs¬ 
beschränkungen und Befähigungsnachweise einen Ausdruck kleinbürgerlicher 
Gesinnung und eine der ökonomisch und kulturell verderblichsten Erscheinungen 
unserer Zeit erblickt. Es ist gewiß nicht aufrichtig, die Gefährdung von 
Interessen Dritter ins Treffen zu führen; die Gemeinschaft schützt ihre Mit¬ 
glieder nicht vor den mannigfachen gesundheitlichen und materiellen, sozialen 
und psychischen Gefahren des Lebens, und es ist nicht verständlich, warum 
es ihre Aufgabe sein sollte, sie gerade vor der Möglichkeit selbst wirklicher 
Kurpfuscherei zu behüten. 

Diese Bemerkungen versuchen einen prinzipiell - sachlichen Standpunkt zu 
umschreiben, der sich mit einem taktisch-politischen nicht notwendig decken 
muß. Vom taktischen Standpunkt aus wird man billig bedacht sein, die 
Stellung der psychoanalytischen Ärzte gegenüber der übrigen Ärzteschaft nicht 
zu erschweren; wir glauben, daß die ärztliche IndikationsStellung vor der 
Laienanalyse, die Ausscheidung der in im überkommen klinischen Sinne 
Kranken und die ärztliche Beratung diesen Bedenken hinlänglich Rechnung 
tragen. Damit dürfte zugleich auch eine Formel gefunden sein, die gegen 
behördlich-juristische Angriffe gut zu verteidigen ist. 

XIV 

Edward Glover (London): 

Bei der nachstehenden Erörterung über die Frage der Laienanalyse gehe 
ich davon aus, daß es jedem Diskussionsredner gestattet ist, seine persönliche 
Meinung vorzubringen und sie, so gut er es vermag, durch Vernunftgründe zu 
verteidigen; denn da wir endlich über unsere unmittelbar einzuschlagende 
Haltung gegenüber dieser Frage zu einer Einigung kommen müssen, sollen 












300 


Diskussionen 


sich etwaige Zweifel nicht hinter einem angeblich wissenschaftlichen 
Desinteressement oder laissez-faire verstecken dürfen. 

Um also gleich mit einer dogmatischen Behauptung anzufangen, so meine 
ich, daß es zwei Seiten gibt, von denen aus man den Gegenstand in Angriff 
nehmen kann. Erstens von der vorwiegend praktischen Seite, nämlich von der 
Frage, welche Haltung oder welche Politik wir unter den bestehenden Ver¬ 
hältnissen einschlagen sollen, zweitens von der mehr utopischen Seite, der Frage, 
wie weit wir uns bei unserer gegenwärtigen Stellungnahme von der Aussicht auf 
spätere Möglichkeiten beeinflussen lassen sollen. Gegen die erste Methode läßt 
sich der landläufige Einwand anführen, daß sie allzu kurzsichtig sei und letzten 
Endes verdumme; gegen die utopische Methode könnte man den Einwand 
geltend machen, daß sie der unbewußten Wunscherfüllung zu viel Spielraum 
lasse. Den früheren Utopisten fiel es nicht schwer, das hinter ihren 
vorgefaßten Meinungen verborgene Phantasieelement zu verheimlichen; in 
den literarischen Produktionen der heutigen Autoren hingegen, obgleich sie 
ihre Allmachtswünsche in einer Form Vorbringen, als ob sie bloß Versuche 
wissenschaftlicher Voraussagen wären, läßt sich ohne weiteres der Stempel 
des Triebzwanges erkennen. Auf jeden Fall wird die utopische Methode 
noch durch eine andere Sache kompliziert. Denn selbst wenn wir die 
zukünftige therapeutische Organisation und Lehre mit Sicherheit Voraussagen 
könnten, bliebe immer noch zu überlegen, wie weit wir durch propagandistische 
Methoden diesen in der Phantasie antizipierten Zustand beschleunigen sollen. 

Man könnte beispielsweise der Meinung sein, daß die ganz besondere Art 
der analytischen Behandlung und ihre unmittelbaren und mittelbaren Einflüsse 
auf die Erziehungs- und Anpassungsprozesse es letzten Endes doch notwendig 
machen werden, die gesamte Organisation der analytischen Ausbildung und 
analytischen Therapie von dem Fach loszulösen, das den rein medizinischen 
Standesorganisationen untersteht. Dann würde die Psychoanalyse nicht ein 
Spezialfach der Medizin sein, sondern ein ungeheuer großer, selbständiger 
Berufsstand, der für die seelische Anpassung etwa das gleiche leistet, wie die 
Naturwissenschaften für die physischen Vorgänge. Zugunsten dieser Ansicht 
ließe sich das praktische Argument anführen, daß die Behandlung anormal 
entwickelter Kinder heute bereits einen derartigen Umfang anzunehmen 
beginne, daß selbst der gesamte Ärztestand, wenn er dazu aufgeboten und 
analytisch vorgebildet würde, kaum den kleinsten Teil dieser Fälle bewältigen 
könnte. Man müsse also schon aus diesem Grunde an der Einrichtung einer 
leistungsfähigen Laienorganisation für pädagogische Zwecke mithelfen und dann 
von diesem Hebelende aus die psychoanalytische Wissenschaft von der Kon¬ 
trolle der Standesorganisationen mit beschränktem Gesichtskreis, wie dem 
Allgemeinen Ärzteverband (General Medical Council) und ähnlichen, abspalten. 
Packt man jedoch die Frage von diesem Ende aus an, so ist kein Unterschied 
ersichtlich zwischen diesem Vorgehen und der herrschenden medizinischen 
Gepflogenheit, gewisse Spezialbehandlungen, wie Hebammendienst, Massage, 
Elektrotherapie usw., die nicht anregend oder nicht einträglich genug sind, 
um sie dem Ärztestand vorzubehalten, approbierten Heilgehilfenorganisationen 
zu überlassen. Das Endziel wäre freilich ein ganz anderes und man könnte 
der Tätigkeit einer Laienanalytikerorganisation keinesfalls so enge Grenzen 
stecken wie der von Hebammen oder Masseusen. 

















Diskussionen 


301 


Wenn wir also die Methode erörtern, die wir kurz als utopische bezeichnet 
haben, so müssen wir uns zunächst die Frage vorlegen, ob überhaupt eine 
Wahrscheinlichkeit besteht, daß die Praxis der Psychoanalyse jemals eine 
selbständige große Organisation sein wird, und weiter, ob es erwünscht ist, 
auf dieses Ziel hinzuarbeiten. 

Ob die psychoanalytischen Ideen jemals so starken Einfluß auf die Gesell¬ 
schaft gewinnen werden, daß eine selbständige, von den offiziellen Ärzte¬ 
organisationen unabhängige Kontrollorganisation notwendig werden wird, ist 
eine höchst theoretische Frage, Dieser Möglichkeit steht die andere gegenüber, 
daß das analytische Wissen auch künftig eine unsichere Erbschaft bleiben 
könnte, die man eifersüchtig vor den Übergriffen individueller und kollektiver 
Vorurteile schützen muß. Es ist allerdings richtig, daß der Schock, den die 
Darwin sehe Theorie dem Narzißmus des Menschengeschlechts versetzt 
hat, bei einigen aufgeklärteren Gemeinwesen einer mehr oder minder wider¬ 
willigen Anerkennung gewichen ist, aber diese Anerkennung erfolgte mehr 
aus Gründen der Selbstverteidigung. Denn erstens ist die Theorie in Wirk¬ 
lichkeit nicht über die Epidermis der Gesellschaft hindurchgedrungen, und 
wenn sie wirklich irgendwelche oberflächlichen Abschürfungen verursacht hat, 
so ließen sich diese durch Rationalisierungen schnell heilen. Die Gesellschaft 
benimmt sich wie der Patient, der in der Analyse allen Deutungen begeistert 
zustimmt, solange sie seine Gemütslage nicht berühren. » Aber die Psycho¬ 
analyse geht durch die Epidermis hindurch und legt gerade die zur Ver¬ 
teidigung bestimmten Rationalisierungen bloß und schont auch jene nicht, die 
sich vor dem Problem dadurch drücken wollen, daß sie selber Pseudo¬ 
analytiker werden. Die Tatsache, daß sich die konservativen wissenschaft¬ 
lichen Organisationen feindselig, wenn auch mit schlechtem Gewissen, von 
den Freud sehen Lehren abgewendet haben, war an sich nichts Außerf 
gewöhnliches: Viele andere neuerstandene Wissenschaften mußten sich die 
gleiche konservative Ablehnung gefallen lassen. Dafür haben es die anderen 
Wissenschaften jedoch erlebt, daß sie kanonisiert wurden, während bei der 
Psychoanalyse immer noch die Möglichkeit besteht, daß sie auch fernerhin 
ein Dorn im narzißtischen Fleisch der Gesellschaft bleibt. Hält man dies für 
wahrscheinlich, so müßte man auf alle Fälle dafür eintreten, daß die Psycho¬ 
analyse nicht nach Autonomie streben, sondern ein besonderes Reservat inner¬ 
halb der Medizin bleiben solle. Damit ist noch nicht gesagt, daß die Gegner¬ 
schaft der Ärzte nicht fortdauern würde oder daß der Ärztestand aufgeklärter 
sei als irgend ein anderer Teil der Gesellschaft, was er bestimmt nicht ist; es 
würde nur eine Schutzmaßnahme bedeuten, die sich gewisse ärztliche Sonderrechte 
zugute macht, um ein bedrohtes wissenschaftliches Besitztum zu schützen. Diese 
Sonderrechte sind in erster Linie Freiheit der Forschung und Immunität vor 
Verfolgung in solchen Fällen, wo die Behandlung nach bestem Können des 
Analytikers durchgeführt worden ist. Von diesem Standpunkt aus erschiene 
es richtig, nicht bloß die Analytiker lediglich aus den Reihen der Ärzte zu 
rekrutieren, sondern auch die Laienanalytiker zu veranlassen, die ärztliche 
Approbation zu erwerben, um auf diese Weise dem ganzen Ärztestand mit 
richtigen, verantwortungsbewußten analytischen Ideen zu durchdringen. 

Für die andere Möglichkeit, nämlich daß die Psychoanalyse ein selbständiger 
Berufszweig werden könnte, spricht der Umstand, daß die medizinische Praxis 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIII/5. 21 











302 


Diskussionen 


eine immer gewaltigere Organisation erfordert und sich immer mehr mit den 
Einzelheiten des sozialen Lebens zu beschäftigen beginnt, die sie bisher für 
rein persönlich und privat gehalten hatte. Als die Chirurgen sich von den 
Feldscheren abtrennten, haben sie sozusagen einen sehr wichtigen Präzedenz¬ 
fall geschaffen. Trotzdem haben sie seither immer die Tendenz gezeigt, auch 
über jene Spezialgebiete eine gewisse Kontrolle zu behalten, die sie persönlich 
nicht ausüben konnten oder mochten. Die Folge davon ist, daß nach manchen 
ehrgeizigeren Kreissanitätsvorschriften die verschiedenen Organisationen von 
geprüften Pflegerinnen und Sanitätsinspektoren, die unter ärztlicher Kontrolle 
arbeiten, sich — gestützt auf die zahlreichen Gesetze über öffentliches 
Gesundheitswesen — sehr weitgehend in das soziale Leben der Gemeinden 
„ einmisch en“. 

Aber während sich der Ärzteberuf nach einer Richtung ausdehnt und von 
gelernten Laienorganisationen Gebrauch macht, zeigt er nach anderen Rich¬ 
tungen stets die Neigung, sich zu verengen, und erweist sich dadurch als 
unzulänglich. Die bloße Existenz der „Kurpfuscher“, die nach Geschicklichkeit 
und Ehrenhaftigkeit von reinen Charlatanen bis zu maßgebenden Spezialisten 
rangieren, ist in gewissem Sinne eine Reaktion der Gesellschaft auf die 
Mängel oder therapeutischen Unzulänglichkeiten der Ärztestandes. Die 
Kurpfuscherei ist die unvermeidliche Folge der groben Vernachlässigung des 
„Übertragungsmomentes“ in der Therapie und der rohen physiologischen 
Selbstgenügsamkeit der Ärzte. Sie hat aber noch andere Ursachen: Gewisse 
Zweige der Medizin bleiben aus Borniertheit, Vorurteil oder Trägheit der 
offiziellen Stellen einfach Kurpfuschern oder mit anderen Worten Laienheil¬ 
kundigen überlassen. Darin ist eine gewisse Sicherheit für das Publikum 
gegeben, das, wenn der Ärztestand sich nicht besser reorganisiert, gute Laien- 
•organisationen immer unterstützen wird. Der überwiegende Teil der ana¬ 
lytischen Laienpraxis beruht heutzutage auf dieser wohlwollenden Einstellung 
der aufgeklärteren Mitglieder der Gesellschaft. Die analytische Praxis ist 
überaus persönlich und hat ärztlichen Empfehlungen wenig oder nichts zu 
danken. Aus diesen Gründen scheint es wahrscheinlich, daß bei Erweiterung 
des Tätigkeitsfeldes der von ärztlichen Organisationen protegierten Laien- 
Organisationen auch die Existenz einer Körperschaft von Laienanalytikern 
anerkannt werden muß. Bleibt hingegen die ärztliche Kontrolle ebenso starr 
wie heute, und erweist sie sich auch weiterhin für eine Erweiterung ihres 
Gesichtskreises unzugänglich, so wird die Gesellschaft selbst die Anerkennung 
der Laienanalyse erzwingen, nicht weil sie sich die analytischen Theorien 
durchgängig zu eigen machte, sondern aus purer Notwendigkeit. 

Aber selbst angenommen, daß sich eine derartige Laienorganisation 
entwickeln und die Psychoanalyse einen großen Teil der heute auf Kurpfuscherei 
verschwendeten Arbeit übernehmen und damit das gesellschaftliche Ansehen 
gewinnen würde, das sich zwangsläufig aus der Notwendigkeit der inoffiziellen 
Laienbehandlung ergibt, so bedeutet das noch keineswegs, daß sie über die 
Grenzen einer rein therapeutischen Organisation hinausgehen würde. Dem 
würden wahrscheinlich innere Gefahren entgegenstehen, die wir am besten 
an der analytischen Tätigkeit der sozial wissenschaftlichen Arbeiter (Social 
Science Worlzers) illustrieren können. Die Organisation der Laienanalytiker 
hätte auch einen schweren Stand zu behaupten, sobald sie sich auf das Gebiet 























Diskussionen 


3o3 


der religiösen Behandlungsmethoden wagte, von der Lösung emotioneller 
Konflikte durch Andachtsübungen gar nicht erst zu reden. Man kann sich 
schwer vorstellen, daß eine große psychoanalytische Organisation von dem 
menschlichen Streben nach Rationalisierung der Triebe nicht an den 
verschiedensten Stellen unterhöhlt werden würde. 

Aber über bloße Möglichkeiten zu reden ist ebenso leicht wie zwecklos. 
Ich glaube nicht, daß wir zu einer Propaganda berechtigt sind, die sich 
lediglich auf Prophezeiungen über künftige Heilkundigenorganisationen stützt. 
Wir müssen also zu der ersten Methode zurückkehren und uns fragen, welche 
Politik wir unter den bestehenden Verhältnissen einschlagen sollen. Ehe wir 
jedoch an dieses Problem herangehen, können wir der utopischen Methode 
noch einige Vorzüge entnehmen. Sie ermöglicht uns eine ganz klare Frage¬ 
stellung: Angenommen, daß die Anerkennung der Laienanalyse als offizieller 
Beruf auf keine Schwierigkeiten stieße, sollen wir diesen Zustand herbei¬ 
wünschen? Oder sollen die Psychoanalytiker auf alle Fälle ärztlich 
vorgebildet sein? 

Nun besteht hier zunächst eine gewisse Gefahr, daß die allgemeine Frage 
nach dem, was wünschenswert ist, durch spezielle Argumente verdunkelt wird: 
So könnte man beispielsweise anführen, da auch Fälle von Bekehrungshysterie 
und Grenzpsychosen in den Bereich der analytischen Behandlung fallen, sei für 
alle Analytiker eine medizinische Vorbildung notwendig, sonst könnten sie 
nicht zwischen funktionellen und organischen Störungen unterscheiden. Diese 
Schwierigkeit ließe sich vermeiden, wenn die Vorschrift bestünde, daß jeder 
Patient vorher von einem Analytiker und einem praktischen Arzt gemeinsam 
untersucht würde, wobei die Diagnose gestellt und organische Veränderungen 
im Gehirn oder in anderen Organen entweder ausgeschlossen oder festgestellt 
würden. Dagegen ließe sich wieder einwenden: Wie soll der Laienanalytiker 
zwischen neu hinzutretenden organischen Störungen und vorübergehenden 
Symptombildungen, wie sie zuweilen im Verlauf der Analyse auftreten, unter¬ 
scheiden? Auch diese Schwierigkeit ist in der Praxis nicht so groß, wie sie 
auf den ersten Blick erscheint, denn man hat immer die Möglichkeit, den 
betreffenden Fall einem Arzt zur Nachuntersuchung zu überweisen. Durch 
systematische Voruntersuchung ließen sich ferner alle psychotischen oder 
psychosenverdächtigen Fälle aus dem Material, das dem Laienanalytiker über¬ 
lassen wird, ausscheiden. Es würde also tatsächlich keine Schwierigkeiten 
machen, bei einer richtig aufgezogenen Laienorganisation alle Vorsichts¬ 
maßregeln durchzuführen, die den Patienten wie den Laienanalytiker vor den 
Gefahren schützen, denen der Nichtarzt ausgesetzt ist. Um das riesige Material, 
das sich nicht für Laienbehandlung eignet, zu bewältigen, müßte man eben 
die Zahl der analytisch ausgebildeten Psychiater und anderen Ärzte entsprechend 
vermehren. Gegen die Behandlung der großen Masse der Neurotiker durch 
Laienanalytiker bestünde jedoch kein vernünftiger Einwand. 

Wir können also nunmehr auf die allgemeine Frage zurückkommen: Können 
wir uns einen Vorteil davon versprechen, wenn wir die ärztliche Approbation 
zur Vorbedingung für die analytische Qualifikation machen? Da müssen 
wir zunächst zugeben, daß der medizinische Unterricht keineswegs vollkommen, 
sondern grob und dilettantisch ist, und daß auf die Lehrbegabung bei der 
Auswahl der medizinischen Professoren die geringste Rücksicht genommen 


21* 











304 


Diskussionen 


wird; daß die gleichen Mängel auch für das ärztliche Prüfungssystem gelten, 
kurz, daß ein Mediziner von opportunistischer Einstellung sich genug theoretisches 
und klinisches Wissen „erochsen“ kann, um die Examina zu bestehen und 
dabei das Wichtigste der medizinischen Ausbildung nicht aufgenommen hat, 
nämlich die Entwicklung eines „klinischen Sinnes“. Aber so mangelhaft der 
Studiengang auch organisiert sein mag, so läßt sich doch nicht leugnen, daß 
dem Studenten in den drei letzten Jahren einzigartige Möglichkeiten geboten 
sind, diesen geschärften klinischen Sinn zu erlangen, der das ganze Geheimnis 
einer erfolgreichen Praxis ist. Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, daß 
die theoretischen Finessen bei der Differentialdiagnose zumeist auf die Hörsäle 
beschränkt sind; ebenso weiß man, daß die medizinische Ausbildung sich 
hauptsächlich auf zwei Dinge zurückführen läßt: der Student muß lernen, 
sorgfältig zu untersuchen und zu erkennen, wann eine Person „krank“ ist! 
Beides ist wichtig, das zweite aber ist noch wichtiger. Die Laienanalytiker 
müssen sich heute mit den verhältnismäßig beschränkten Möglichkeiten zur 
Gewinnung dieses sogenannten klinischen Sinnes begnügen, doch erfassen sie 
die bestehenden Möglichkeiten ziemlich schnell und ergänzen sie durch sorgfältige 
Beobachtung ihrer menschlichen Umgebung unter den verschiedensten Ver¬ 
hältnissen. Wir können im Rahmen dieses Aufsatzes unmöglich ein genaues 
Bild dieses klinischen Sinnes entwerfen, doch soviel kann man sagen: Die 
dauernde Berührung mit Krankheit und Tod, die Beobachtung von somatischen 
Attacken und der verschiedenartigen Verteidigung, Erholung oder Niederlage, 
zusammen mit der genauen Bloßlegung psychologischer Reaktionen, d. h. dem 
Vei halten bei plötzlich eintretenden sozialen Situationen, gibt eine ausgezeichnete 
Grundlage für alle, die sich künftig mit rein psychischen Krankheiten oder 
Störungen beschäftigen wollen. Selbst der an sich sehr einfache und unzulängliche 
biologische Unterricht trägt sehr viel zu der Entwicklung jener biologischen 
Einstellung bei, die für alle jene, die psychische Vorgänge studieren wollen, 
ganz unschätzbar ist. Das ist meines Erachtens ein gewichtiges Argument 
zugunsten der medizinischen Vorbildung, das sich durch Hinweise auf 
Unbequemlichkeit oder Kosten nicht entkräften läßt. Als einziges wirkliches 
Gegenargument könnte man höchstens anführen, daß der medizinische Studien¬ 
gang in gewissem Sinne ein positives Hindernis für eine wirklich psychologische 
Ausbildung ist. Dieser Ein wand jedoch fußt nur auf der Unzulänglichkeit und 
Einseitigkeit der medizinischen Ausbildung. Heute ist es allerdings so, daß der 
moderne medizinische Unterricht selbst die augenfälligsten Äußerungen der 
psychologischen Faktoren stark unterschätzt und das ganze Gewicht auf die 
somatische Teleologie legt, also gewissermaßen darauf angelegt scheint, den 
psychologischen Tastsinn des künftigen Analytikers in Grund und Boden zu 
ruinieren. Aber auch dies ist natürlich Ansichtssache, und ich persönlich lege 
diesem Argument kein übermäßiges Gewicht bei. Schließlich könnte man ja 
auch durchaus mit Recht meinen, daß ein Mediziner, der sich durch eine 
derartige Einstellung seiner Lehrer irreführen läßt, besser auf der anderen 
Seite der pons asinorum bleibt; aus ihm würde doch nie ein guter 
Psychologe werden. Hingegen wird der Laienanalytiker, der Zeit und Geld 
zur Erlangung der ärztlichen Approbation aufwendet, gerade der Student sein, 
der am allergierigsten die Sahne der klinischen Erfahrung abschöpft. Der 
zynische Durchschnittstudent, der die meiste Zeit im Rauchzimmer verbringt, 
















Diskussionen 


305 


beweist meiner Ansicht nach gerade dadurch, daß er bloß seinen Unglauben 
an die Allheilmittel der klinischen Medizin verdrängt. Es gibt wenig denkende 
Studenten, die nicht erkennen, daß die klinische Behandlung in der Hauptsache 
nur in der groß aufgemachten Aufstellung und Erörterung von Diagnosen 
besteht, während man es dem Patienten überläßt, selbst an seiner Wieder¬ 
herstellung zu arbeiten. Das bringt mich auf einen weiteren Vorteil der 
medizinischen Ausbildung — auf die Entwicklung eines Gefahrsinnes, einer 
Wachsamkeit gegenüber oft winzigen Gefahrsignalen. Wenn ich von der ver¬ 
hältnismäßigen Dürftigkeit der heutigen Therapie spreche, so will ich durchaus 
nicht spotten. Es ist ganz gut, wenn sich der Arzt so viel und so eifrig 
mit der Diagnostik beschäftigt, solange er nichts Nützlicheres unternehmen 
kann. Er wird dadurch Fehler vermeiden und die Möglichkeit behalten, 
Diagnose und Therapie zu wechseln, vor allem wird er jeden Augenblick auf 
Gefahrsignale achten. Dazu gehört vor allem, daß er den Zeitpunkt erkennt, 
an dem er dem Patienten keine weiteren Schmerzen mehr zumuten kann oder 
an dem er die stimulierenden Mittel neu und besser dosieren muß. Dies alles 
hat seine genaue Parallele auch in der analytischen Behandlung. 

Die eben genannten Vorteile könnten manchem lächerlich gering erscheinen 
im Vergleich zu dem Aufwand an Zeit und Geld, der mit der Erlangung 
des Doktorgrades verbunden ist. Ich persönlich freilich halte'diesen Ein wand 
nicht für sehr gewichtig. Gewiß wird eine oder zwei Generationen lang der 
Zeitfaktor vielfach entscheidend bleiben, — beispielsweise wenn sich eine 
Person mittleren Alters plötzlich entschließt, berufsmäßig Analyse zu treiben, 
— aber wenn die Psychoanalyse einmal wirklich ein wichtiger und allgemein 
anerkannter selbständiger Beruf werden sollte, so müßte ihr Studiengang 
mindestens ebensolange, wenn nicht noch länger dauern, wie heute das 
Medizinstudium. Es läge dann durchaus im Bereich der Möglichkeit, daß man 
einen kombinierten Studiengang aufstellt, genau so wie man heute Natur¬ 
wissenschaften und Medizin zusammen studieren kann. 

Ich darf wohl an diesem Punkte einige persönliche Vorurteile äußern. 
Ganz abgesehen davon, daß die unbewußten Strömungen in sämtlichen thera¬ 
peutischen Fächern heute sehr ähnlich verlaufen, glaube ich nicht, daß über¬ 
haupt je eine Zeit kommen wird, in der es erwünscht sein würde, die 
analytische Ausbildung von der medizinischen zu trennen. Mindestens wird 
man immer eine große Zahl ärztlich vorgebildeter Analytiker brauchen, die 
als Verbindungsoffiziere zwischen dem Ärztestand und den Laienanalytikem 
fungieren. Während ich nicht einen Moment glaube, daß man die ärztliche 
Vorbildung für alle Analytiker oder auch nur die Mehrzahl der Analytiker 
obligatorisch machen solle, so halte ich doch die Vorteile der 
medizinischen Ausbildung für überaus groß, und möchte allen, die Zeit und 
Geld aufwenden können, dringend ans Herz legen, das medizinische Studium 
in ihre Vorbildung aufzunehmen. Ja, ich gehe noch weiter und rate ihnen, 
eine sechsmonatige Assistentenstellung bei einem erfahrenen Kliniker durch¬ 
zumachen, ehe sie eine psychiatrische Anstellung übernehmen. Ich hätte viel¬ 
leicht besser sagen sollen, daß die medizinische Ausbildung gegenwärtig 
nicht obligatorisch gemacht werden solle, weil man sich vorstellen könnte, 
daß bei entsprechender Organisation des ärztlichen Studienganges und freund¬ 
schaftlicher Zusammenarbeit zwischen Ärzte- und Analytikerorganisationen in 










306 


Diskussionen 


Zukunft für Analytiker, die „Allgemeinpraxis“ treiben wollen, ein 
modifizierter Studiengang obligatorisch gemacht werden würde. Es 
stünde denen, die Heilanalysen machen wollen, auch weiterhin frei, sich wie 
heute einer speziell analytischen Ausbildung zu unterziehen. Natürlich wäre 
es sehr verhängnisvoll, wenn durch diese Maßnahmen die Fortschritte der 
Heilanalyse oder die Anwendung der Psychoanalyse in Pädagogik, Soziologie 
usw. gehemmt würde, aber ich glaube nicht, daß dies eintreten müßte, wenn 
in Zukunft (sobald ein abgeänderter Studiengang möglich ist) für die 
Personen, die bei gemischten Typen von Erwachsenen Heil¬ 
analysen machen wollen, eine bestimmte Qualifikation obligatorisch 
gemacht würde. Solche, die nur auf engerem Gebiete praktizieren wollen, 
könnten künftig ebenso wie heute unter der Kontrolle eines Arztes, der die 
Diagnose stellt, Analysen vornehmen. 

Ich will keineswegs vorschlagen, daß man die ganze Ausbildungsfrage durch 
eine einfache Arbeitsgemeinschaft zwischen medizinischen und analytischen 
Organisationen lösen soll. Der neue abgeänderte Studiengang würde zwangs¬ 
läufig auch einen Unterricht in gewissen verwandten Fächern bedingen. Die 
heutige „Immatrikulation“ ist ja schließlich nur das Überbleibsel einer ähn¬ 
lichen Absicht der ärztlichen Standesorganisationen, während die tatsächliche 
Verwirklichung dieser Absicht durch die verschiedenen Spezialqualifikationen 
erfolgt. 

Um nun auf unsere unmittelbar einzunehmende Stellung zurückzukommen, 
so halte ich die Laienanalyse unter den gegenwärtigen Verhältnissen für eine 
berechtigte und notwendige Form der analytischen Betätigung. Die ärztlichen 
Standesbehörden haben unter den bestehenden Verhältnissen keinen triftigen 
Einwand gegen die Laienanalyse anzuführen, vorausgesetzt, daß die Analytiker¬ 
organisationen die Ausbildung der Laienanalytiker für ausreichend erachten 
und eine genügende Anzahl ärztlich vorgebildeter Analytiker als diagnostische 
Schiedsrichter stellen können. Aber die ärztlichen Standesorganisationen teilen 
mit den Leitern aller geschlossenen Korporationen die Eigenschaft, daß sie 
sich Vernunftgründen gegenüber von einer aggressiven Unzugänglichkeit 
erweisen, und da sie nach unseren Landesgesetzen die Disziplinargewalt 
besitzen, muß man ihnen gegenüber die Interessen jener Praktiker wahr¬ 
nehmen, die die häufig lästigen Pflichten des Verbindungsoffiziers auf sich 
nehmen. Die Wahrnehmung dieser Interessen erfolgt am besten l) durch eine 
strenge Auslese und einen hohen Ausbildungsstandard für alle Analytiker, 
2) durch die selbstverleugnende Verpflichtung der Laienanalytiker, sich der 
Forderung nach ärztlicher diagnostischer Kontrolle zu unterwerfen, 3) durch 
Bemühungen, die medizinischen Standesorganisationen von der Logik der Tat¬ 
sachen zu überzeugen, im Gegensatz zu ihren Kathedermeinungen und Vor¬ 
urteilen. Die letzte Form der Propaganda ist die einzige, die ich für unmittelbar 
gerechtfertigt halte. 

XV 

H. Nunberg (Wien): 

Die Psychoanalyse ist keine ärztliche Tätigkeit im Sinne der medizinischen 
Technik. Der moderne Arzt, durch die Unzahl der technischen Hilfsmittel 
am Krankenbette befangen, steht verständnislos dem Seelenleben seines 










Diskussionen 


307 


Patienten gegenüber. Der ärztliche Psychoanalytiker hingegen weiß nicht 
viel mit den organischen Leiden seines Patienten anzufangen. Verirrt sich 
ein organisch Kranker zufällig in meine Sprechstunde, so gerate ich in die 
größte Verlegenheit und trachte ihn so rasch als möglich abzuschieben. 
Soweit mir bekannt, ergeht es vielen meiner Kollegen ähnlich. Wenn aber 
eingewendet wird, daß zur psychoanalytischen Tätigkeit Übung im Umgang 
mit kranken Menschen und das ärztliche Pflichtgefühl notwendig sind, so 
könnte man vielleicht mit mehr Recht behaupten, daß eine geistliche Kranken- 
Schwester in diesen Dingen mehr bewandert ist. 

Die Medizin lag früher in Händen von Zauberern und Priestern. Sie war 
eine magische Kunst, die auf psychischem Wege die Krankheiten zu 
beeinflussen trachtete. Mit der Entwicklung der Naturwissenschaften hat sich von 
ihr die moderne Medizin als besondere Technik abgespalten. Es gibt aber Fälle, 
wo diese neue Technik, die auf naturwissenschaftlichen Grundlagen aufgebaute 
Medizin, versagt und an ihre Stelle nicht selten die alte Magie ganz unbewußt 
eingreifen muß. Diese Kunst kann weder an der Leiche noch im Labora¬ 
torium erlernt werden. Die Fähigkeit, psychisch zu beeinflussen, steckt in 
vielen angehenden jungen Ärzten, sie wird nur meistens im Laufe des Medizin¬ 
studiums sehr abgeschwächt. Der psychoanalytisch ausgebilde^e Arzt hingegen 
lernt die in ihm (wie übrigens in jedem Menschen) verborgenen „magischen 
Kräfte“ zweckmäßig verwenden. Deshalb wäre es notwendiger, daß alle 
Ärzte, bevor sie überhaupt an den Kranken herantreten, psychoanalytisch 
durchgebüdet werden, als daß die nichtärztlichen Psychoanalytiker zuerst 
Medizin studieren. Es ist selbstverständlich, daß es nicht auf die medizinische 
Vorbildung ankommt, wenn jemand Psychoanalyse ausüben will, denn jeder¬ 
mann, Arzt oder Nichtarzt, ist — um die Worte Prof. Freuds zu wiederholen 
— in der Analyse Laie, solange er in ihr nicht gründlich ausgebildet ist. 

Ich habe den Eindruck, daß der Widerstand gegen das Ausüben der Psycho¬ 
analyse durch Nichtärzte nicht immer durch rein theoretische Erwägungen 
getragen wird. Es scheint mir, daß noch andere Momente mitspielen, wie 
der Kastengeist der Ärzte und Motive wirtschaftlicher Natur. Und wie 
überall, so findet der wirtschaftliche Kampf auch in unseren Reihen seine Ideo¬ 
logie. Es kann niemandem das Recht abgesprochen werden, für seine wirt¬ 
schaftliche Existenz zu kämpfen, ich möchte jedoch der Meinung Ausdruck 
verleihen, daß wir — da wir eine psychologische Richtung vertreten, die 
bestrebt ist, die objektiven von den subjektiven Triebkräften des mensch¬ 
lichen Handelns scharf zu unterscheiden ebenfalls nicht der Selbsttäuschung 
verfallen, und uns einzig und allein durch sachliche Motive leiten lassen. 

XVI 

Wilhelm Reich (Wien): 

Bisher hat es sich immer nur um die Frage gehandelt, ob auch Nicht¬ 
mediziner medizinische PsA. (Analyse zu HeÜungszwecken) am Kranken 
ausüben sollen. Die Frage hat sich nun insofern verschoben, als Prof. Freud 
in seinem Buche über die Laienanalyse einen Schritt weiter ging und den 
Vorschlag machte, die PsA. auch in ihrem medizinischen Gebiete von der 
Medizin zu trennen, d. h. „eine eigene Klasse von Therapeuten heranzubilden; 







308 


Diskussionen 


mit den wichtigsten Argumenten — es sind drei — wollen wir uns nun 
auseinandersetzen. 

Die Laienanalyse, Ausübung der therapeutischen Analyse durch Nichtärzte 
sei notwendig: 

1) aus Rücksicht auf die geisteswissenschaftliche Anwendung der PsA., 

2) weü zu befürchten ist, daß die PsA. irgend einmal im Kapitel 
„Therapie irgend eines Lehrbuches für Psychiatrie verschwinden könnte, 
wenn man ihre praktische Ausübung auf Ärzte beschränkte; 

3) weil die somatische Vorbildung der Ärzte dem psychologischen Denken 
nachträglich sei. 

Ad 1) Es heißt, die nichtärztlichen Analytiker bedürften der praktischen 
Erfahrung, um geisteswissenschaftliche Arbeit zu leisten. Nun lehren aber die 
Tatsachen, daß die Anwendung der PsA. auf die Geisteswissenschaften nicht 
gefördert wird, sondern im Gegenteil leidet, wenn ihre Vertreter auch 
Kliniker werden. Das erwachende klinische Interesse verdrängt jedes andere. 
Die Entwicklung der geisteswissenschaftlichen PsA. stockt, seitdem auch Laien 
analysieren. Dieses Argument ist also durch die Erfahrung widerlegt. 

Ad 2) Das zweite Argument enthält das große Mißtrauen gegen die 
psychoanalytischen Ärzte, daß bei ihnen das theoretische Interesse und damit 
auch die PsA. als Wissenschaft nicht so gut aufgehoben wäre wie bei den 
Nichtarzten, angeblich, weil sie mehr- therapeutisch interessiert sind. Die 
Vergangenheit rechtfertigt dieses Mißtrauen nicht, über die Zukunft wollen 
wir nicht entscheiden. Jedenfalls scheinen uns die psychoanalytischen Ärzte 
ein solches Mißtrauen nicht zu verdienen. Jones hat in seiner Besprechung 
das Pendant hierzu, die allzu schmeichelhafte Beurteilung der Laienanalytiker 
durch Prof. Freud hervorgehoben. Da die psychoanalytische Psychologie so 
innig mit den praktischen Fragestellungen des Alltags verknüpft ist, daß kein 
Schritt auf therapeutischem Gebiet ohne Theorie möglich ist, und umgekehrt, 
dürfte die Theorie bei den Ärzten ebenso so gut aufgehoben sein wie bei 
den Laien. 

Ad 3) Das dritte Argument, daß die Ausbildung des Arztes „ungefähr das 
Gegenteil von dem ist, was er als Vorbereitung zur PsA. brauchen würde“, 
daß also die somatische Ausbildung der PsA. unzuträglich sei, drückt das 
Mißtrauen gegen die Ärzte auch in qualitativer Hinsicht aus, und wir sehen 
plötzlich, daß die Frage, ob auch Laien neben Ärzten analysieren sollen, 
durch die andere verdrängt wird, ob Ärzte analysieren sollen. Hätte 
Prof. Freud diese Kritik auf die neurologische Auffassung der Neurosen 
beschränkt, wir hätten ihm rückhaltlos zugestimmt. Wenn wir aber seiner 
gewichtigen Ansicht hier entgegentreten, so tun wir es in der tiefen Über¬ 
zeugung, damit der Sache der PsA. zu dienen. Wäre die PsA. der organischen 
Medizin wesensgemäß konträr, dann wären die folgenden Tatsachen nicht zu 
verstehen. 

Ein Arzt hat die PsA. entdeckt; nicht nur die meisten Analytiker, auch 
nicht die schlechtesten sind Mediziner. Prof Freud sagte einst, die PsA. 
werde einmal auf ihr organisches Fundament gestellt werden; er hat ferner 
_ ^ as in der Fra S e der Laienanalyse bisher viel zu wenig beachtet wurde 

als den Kern der Neurosen und als das Wesen des Affektes etwas 
somatisches hingestellt; sein Begriff der Libido meint Körperliches (Bio- 











Diskussionen 


309 


logisches) ebenso wie Seelisches. Es gibt fast keine Kranken ohne körperliche 
Symptome oder Sexualstörungen (Störungen der Menstruation, Potenz usw.); 
auch dem aktualneurotischen Kern der Neurosen, mag es sich nun um eine 
Vasoneurose, Neurasthenie oder Hypochondrie handeln, steht der organisch 
nicht geschulte Analytiker ratlos gegenüber. 

Hingegen möchte man mit Jones annehmen, daß Prof. Freud nur im 
Interesse der Laienanalyse die Notwendigkeit „gründlicher“ Kenntnisse der 
Religionswissenschaften und Ethnologie so sehr hervorgehoben hat. 

Wir sind selbstverständlich der Ansicht Prof. Freuds, daß das Interesse 
der Wissenschaft in dieser Frage ausschlaggebend sein muß; aber gerade von 
diesem Gesichtspunkt aus kann die PsA. nicht eng genug mit der Medizin 
verknüpft werden. 

Man denke bloß an das große Gebiet der Organneurosen, der Hypochondrie, 
Neurasthenie, der Psychosen; und haben wir nicht viel von einer Psychologie 
der organischen Krankheiten zu erwarten? Oder soll es, nachdem man die 
PsA. von ihrem Fundament getrennt hat, überdies Analytiker geben, die sich 
als Ärzte nur mit diesem ans Organische grenzenden Gebiet befassen? Wir 
meinen, daß weder der Wissenschaft noch dem Kranken mit einer solchen 
Teilung gedient wäre; es gäbe dann noch immer Mediziner, die von der 
Seele, Psychoanalytiker, die vom Körper nichts wüßten, und 1 überdies käme 
eine Gruppe von Ärzten zustande, die sich für die Psychologie des Körpers 
interessierten. % Der Mediziner verstünde den Analytiker noch weniger als jetzt, 
der Analytiker wieder vergäße völlig, daß die „Libido“ eine körperliche 
Wurzel (Endokrinologie!) und eine biologische Funktion hat. Die Forderung 
ist gewiß nicht übertrieben, daß jeder, der Neurosen behandeln will, dem 
Begriffsinhalte der Libido („Grenzbegriff zwischen Seelischem und Somatischem“) 
entsprechend vorgebildet sei. 

Die Frage der Laienanalyse spitzt sich also sachlich auf die außeranalytische 
Vorbildung zu. Gegenwärtig bieten aber die Mediziner die beste Gewähr 
einer adäquaten Vorbildung. Daß sich die Ärzte so unwürdig und verständnislos 
der PsA. gegenüber gezeigt haben, ist nicht auf ihre somatische Ausbildung, 
sondern auf ihre Komplexe zurückzuführen. Aber haben etwa Philosophen 
oder Biologen oder Schulpsychologen, die mit der Analyse in Berührung 
kamen, sich anders benommen? Warum wiegt das „somatische Vorurteil“ 
schwerer als das philosophische? Hat nicht der Philosoph immer die kompli¬ 
ziertesten Einwände gegen die Analyse parat? Beim analytisch geschulten 
Mediziner wird wenigstens aus dem Fluch des somatischen Vorurteils der 
Segen naturwissenschaftlichen und klinischen Denkens. Wenn die Medizin in 
mechanisch-chemischem Denken befangen ist, so ist die PsA. berufen, sie von 
ihren Irrtümern zu befreien. Man kann die komplexbedingte Einsichts¬ 
losigkeit der Mediziner verurteilen, braucht aber deshalb der Medizin 
nicht den Rücken zu kehren. Am meisten spricht für den Mediziner als 
Therapeuten, auch als Psychotherapeuten, daß er am Krankenbett gelernt hat, 
mit Kranken umzugehen, und jenes Mindestmaß an therapeutischem Interesse 
mitbringt, das die Forschung am Kranken rechtfertigt. Ich habe Laien¬ 
analytiker öffentlich sich rühmen gehört, daß sie gar kein therapeutisches 
Interesse hätten. Warum wollen sie dann Therapie betreiben? 

Gelänge es, die Gewähr für eine geeignete akademische Vorbildung 









3io 


Diskussionen 


aller Kandidaten zu schaffen, kein Einsichtiger hatte etwas gegen die Aus¬ 
übung der Analyse an Kranken auch durch Nichtmediziner einzuwenden. 

Wie immer der Kongreß entscheiden wird: Man sollte die Vorstellung 
einer Psychoanalytischen Fakultät nicht in das Reich der Utopie 
verbannen, wenn man will, daß sie Wirklichkeit wird. Die Festsetzung einer 
bestimmten, der ärztlichen adäquaten, akademischen Vorbildung für Nicht¬ 
ärzte, die PsA. ausüben wollen, könnte der erste Schritt dazu sein. Nur so 
dürfte sich die kaum wünschenswerte völlige Beschränkung der therapeutischen 
PsA. auf Mediziner vermeiden lassen. 

XVII 

E. Hitschmann (Wien): 

Eine ausführliche Stellungnahme zur Frage der Laienanalyse behalte ich 
mir vor. Als Leiter des Psychoanalytischen Ambulatoriums jedoch halte ich 
mich streng an die gesetzliche Norm, entsprechend dem Beschluß des obersten 
Sanitätsrates, daß die Psychoanalyse eine ärztliche Tätigkeit sei. 

XVIII 

I. Sa dg er (Wien): 

Ich stehe grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß Kranke ausschließlich 
von Ärzten zu behandeln sind und jede Laienanalyse bei ihnen vermieden 
werden soll. Die einzige Ausnahme, die ich gelten lasse, ist die Heilpädagogik 
bei Kindern und Adoleszenten. Hier handelt es sich nämlich um erzieherische 
Einfühlung, die den Ärzten, auch den Pädiatern, nur in den seltensten Fällen 
eignet, und erst in zweiter Linie um medizinisches Wissen. Außerdem läuft 
jeder männliche Arzt von vornherein Gefahr, für einen Vater genommen zu 
werden, von dem der Jugendliche Kastration befürchtet, was für eine Mutter 
oder Mutter-Imago viel minder oder gar nicht gilt. Der erwachsene Neurotiker 
jedoch gehört unbedingt zum Arzt. Es mag von großem Nutzen sein, wenn 
Doktoren der Philosophie und andere Laien sich mit den psychoanalytischen 
Ergebnissen möglichst vertraut machen, um mit Hilfe derselben die ver¬ 
schiedensten Geisteswissenschaften besser verstehen und durchdringen zu 
können als reine Fachleute ohne diese Vorbildung. Hier können jene Laien 
außerordentlich segensreich wirken, ein jeder auf seinem Spezialgebiet. Ja, 
die PsA. kann in ihren Händen noch befruchtender wirken, als vor Jahr¬ 
zehnten die Entwicklungslehre, der Darwinismus. Doch von der Behandlung 
erwachsener Neurotiker, die auch vom reinen Psychoanalytiker allgemein¬ 
medizinisches Wissen heischt nebst einer speziellen neurologisch-psychiatrischen 
Schulung, sind Laien unbedingt femzuhalten — auch wenn sie Doktoren der 
Philosophie sind. 

XIX 

J. Harnik (Berlin): 

Zwei Momente ergeben für den Psychoanalytiker einen innigen Zusammen¬ 
hang mit dem Arztberuf. I ) Die Tatsache, daß der Analytiker eine Unmenge 
von „medizinischen“ Kenntnissen besitzen muß, wenn er die richtigen Einblicke 
in die Lebensgeschichte seines Patienten gewinnen will. Um diese Behauptung 
nur an einem einzigen, sehr banalen Beispiel zu illustrieren, so glaube ich 







Diskussionen 


311 


nicht, daß er das Wissen um die verschiedenen Formen der Eingeweidewürmer 
und um die von denselben verursachten Symptomen und Erscheinungen in 
seinen Analysen entbehren kann. Ganz allgemein gehören eben die Krank¬ 
heiten, die ein Mensch mitgemacht hat, zu seiner Entwicklung; sie haben 
manchmal — auch abgesehen von der möglichen Psychogeneität, organischer 
Erkrankungen — einen entscheidenden Einfluß bei psychischen Verände¬ 
rungen, deshalb müssen wir sie auch über das durchschnittlich Laienhafte hinaus 
kennen. Wo und auf welche Weise der analytische Therapeut sich diesen 
Wissensstoff aneignet, erscheint mir allerdings vollkommen belanglos. 2) Was 
sicherlich noch viel wesentlicher ist, der im Unbewußten verankerte Antrieb, 
dem Leidenden zu helfen, den er ja mit dem „Arzt“ gemeinsam hat, den er 
andererseits muß freihalten können von den störenden Einflüssen, insbesondere 
des schulmäßig Erworbenen und des therapeutischen Fanatismus. Dazu verhilft 
ihm einzig und allein das konsequente Festhalten an dem spezifisch ana¬ 
lytischen, auf das Unbewußte gerichteten Tun. Daher kann für die Qualifikation 
oder die Leistung eines Analytikers niemals die Frage entscheidend sein, ob er 
das medizinische Diplom erlangt hat oder nicht. 

XX 

Therese Benedek (Leipzig): % 

Die Frage der „Laienanalyse K ist hauptsächlich ein taktisches Problem, 
weshalb ich hier ein paar taktische Gesichtspunkte in Erwägung ziehen 
möchte. In der Diskussion muß man sich klar vor Augen halten, was der 
Grundzweck der I. P. V. ist, da sie durch die Lösung dieses Problems ihre 
Rolle in der Zukunft der psychoanalytischen Bewegung bestimmt; ob sie in 
der Zukunft eine Vereinigung von Fachärzten oder ob sie eine wissenschaftliche 
Vereinigung sein will. In seiner Homburger Aussprache hatte Ei t in g o n den 
Zweck der I. P. V. so formuliert: „Unsere Vereinigung soll an der Erhaltung 
und Weiterentwicklung des von unserem Meister Geschaffenen aufmerksam 
und rastlos arbeiten, es von zu frühen Vermengungen und sogenannten Syn¬ 
thesen mit anderen Gebieten und anders gearteten Forschungs- und Arbeits¬ 
methoden behüten, unser spezifisch-Eigenes immer klar unterstreichend und 
herausarbeitend“, und damit gesagt, daß die I. P. V. sich als Hauptaufgabe 
die Pflege der Psychoanalyse als Wissenschaft * stellt. Zur richtigen Förderung 
der Psychoanalyse ist die Wechselbeziehung aller Disziplinen notwendig. Es ist 
wohl keinem Analytiker fraglich, daß auch die nichtmedizinisch vorgebildeten 
Wissenschaftler zum Studium der Psychoanalyse zugelassen werden müssen. 
Das vollwertige Studium allein gibt aber auch nicht die beste Möglichkeit 
zur wissenschaftlichen Forschung. Diese erfordert den ständigen lebendigen 
Kontakt mit dem analytischen Material, ohne welchen die bestmöglichste 
Bereicherung der Wissenschaft unmöglich ist. 

Die Frage lautet also: Wie weit darf man aus dem Standpunkt der 
Psychoanalyse als Wissenschaft die Ausübung der analytischen Kur für Nicht¬ 
ärzte erlauben? 

In Ländern, wo es keine Kurierfreiheit gibt, wird eine Schranke durch die 
Gesetzgebung errichtet, die diese Schranke um so eifriger hüten wird, je 
größer das Verlangen nach analytischer Behandlung sein wird. Wie soll es 
aber in den Ländern werden, wo es eine „Kurierfreiheit“ gibt? Soll sich die 









Diskussionen 


312 


psychoanalytische Vereinigung auf den prohibitorischen Standpunkt der anderen 
Länder stellen ? Hier können rein therapeutische Gesichtspunkte pro und kontra 
diskutiert werden, aber demgegenüber muß man auch die rein taktische 
Frage stellen: Welchen Nutzen würde die psychoanalytische Bewegung daraus 
haben, wenn sie sich gegen die Laienanalyse wehrte?! Wahrscheinlich keinen! 
Diejenigen, die Therapie ausüben wollen und weder analytisch noch medi¬ 
zinisch ausgebildet sind, könnten es unter dem Schutze der Kurierfreiheit 
unbehindert tun und die I. P. V. würde keine Möglichkeit haben, sich dagegen 
zu wehren. Es könnte auch Vorkommen, daß eine Reihe ernster Wissen¬ 
schaftler, die durch persönliche Eignung zur Ausübung der Psychoanalyse 
kommen, abgestoßen davon, daß sie innerhalb der Bewegung nicht „vollwertig“ 
sein können, sich außerhalb der I. P. V. stellten und dadurch der Bewegung 
schaden würden: 1. durch Verlust ihrer Mitarbeit und 2. weil dadurch die 
Zentralisierung der Bewegung noch schwieriger sein würde. Der Verlust 
dürfte auf diese Weise größer ausfallen als der Nutzen, der durch die 
„Anerkennung“ der Ärzte der Bewegung zugute käme. Die Ärzte im 
allgemeinen werden und vielleicht müssen „das reine Gold der Analyse 
reichlich mit dem Kupfer der direkten Suggestion legieren“. Um so wichtiger 
ist es, daß die I. P. V. ihre oben formulierte Aufgabe (Eitingon) erfüllt, und 
zwar mit der Hilfe von allen, die dazu bereit und befähigt sind. 

Man könnte das Problem in den Ländern mit Kurierfreiheit auch von dem 
Standpunkt des Laienanalytikers ansehen. Als juristische Persönlichkeit ist der 
Laienanalytiker denjenigen medizinisch ausgebildeten Personen gleichgestellt, 
die ein in dem Lande nicht vollwertiges (ausländisches) Diplom besitzen. Es 
können verschiedene Schwierigkeiten für sie erwachsen: Sie können z. B. 
Fälle vor Behörden nicht vollwertig vertreten (Zeugnis, Rezept usw.) Es ist 
anzunehmen, daß die Konflikte und Schwierigkeiten in der Praxis für den 
medizinisch nicht ausgebildeten Analytiker noch häufiger Vorkommen und noch 
peinlicher werden können, z. B. wenn er von Ärzten, mit den er zusammen 
arbeiten will (Internisten, sonstige Spezialisten) als nicht vollwertiger Therapeut 
angesehen sein würde. Das ist eine Schwierigkeit für den Laienanalytiker, die 
zu korrigieren eine Aufgabe der psychoanalytischen Vereinigung ist. Je größer 
die Autorität der I. P. V., je tiefgehender die durch sie gebotene Ausbildung 
ist, desto größer ist der Schutz der Laienanalytiker. Die notwendige Ver¬ 
tiefung der Ausbildung ist nur durch eine immer mehr intensivierte Zusammen¬ 
arbeit von ärztlichen und Laienanalytikern zu erreichen. Sie einzuleiten ist die 
Aufgabe der Ausbildung, sie zu pflegen, die Aufgabe der Ortsvereinigungen. 
Gegen sie zu wirken, wäre ein unheilbarer Schlag für die organisierte Arbeit 
an der psychoanalytischen Wissenschaft. 

XXI 

J. H. W. van Ophuijsen (Haag ): 1 

Man darf annehmen, daß der Arzt sich in der Ausübung seines Berufes 
schon immer im Interesse der Kranken der Hilfe nichtärztlicher 
Helfer hat bedienen müssen. Nachdem im Laufe der Zeiten das Institut der 


1) Autoreferat eines in der Ned. Ver. v. PsA. gehaltenen Vortrages. 





















Diskussionen 


313 


berufsmäßigen Helfer entstanden war, sind diesen Helfern immer höhere 
Anforderungen in bezug auf Bildung und Ausbildung gestellt worden; mehr 
oder weniger oberflächliche medizinische Kenntnisse und relativ große Erfahrung 
über Kranke gehören jetzt überall zu den gestellten Anforderungen. 

Es kommt vor, daß solche Helfer auf einem speziellen Gebiet der Therapie 
über mehr Einsicht und Geschick verfügen wie viele Ärzte. 

Bei der Beurteilung der Frage, ob auch die (therapeutische und ausbildende) 
Psychoanalyse ein Beruf für Nichtärzte werden darf, haben wir mit der Tat¬ 
sache zu rechnen, daß es schon eine Anzahl Laienanalytiker gibt, und müssen 
wir ausgehen von der Voraussetzung, daß auch in diesem Fall das Inter¬ 
esse der Kranken die Hilfeleistung nichtärztlicher Helfer notwendig 
erscheinen ließ. 

Man bekommt den Eindruck, daß diese Hilfe momentan und in der 
nächsten Zukunft, außer auf dem Gebiet der Kinderanalyse, wenigstens nicht 
dringend notwendig ist und sein wird. 

Es steht über jedem Zweifel fest, daß es unter den Laienanalytikern eine 
relativ große Anzahl gibt, welche die Analyse besser versteht und mit größerem 
Geschick änzuwenden weiß, wie sehr viele ärztliche Analytiker. 

Dies beweist jedoch, wenn man die besonderen Verhältnisse in Betracht 
zieht, durchaus nicht, daß auch in der Folge die Anwendung der (thera¬ 
peutischen und ausbildenden) Analyse solchen Laien gestattet sein darf, welche 
sich nicht zuerst ein gewisses Maß medizinischer Kenntnisse und Erfahrung 
über Kranke zu eigen gemacht haben. 

Die Bedingung, daß stets ein Arzt Diagnose und Indikation stellen und 
Kontrolle über die Behandlung ausüben soll, beschützt das Interesse 
der Kranken nicht genügend; die Kontrolle kann außerdem nur eine 
indirekte sein. 

Während jeder psychoanalytischen Behandlung können sich Symptome 
zeigen, welche den Laienanalytiker veranlassen müßten, sich an den Arzt zu 
wenden; dies wird er immer nur dann rechtzeitig tun können, falls er 
über genügende medizinische Kenntnisse und Erfahrung verfügt. Auch die 
Beurteilung der Resultate der Behandlung ist ihm nur in dem Fall möglich. 

Daß die medizinischen Erfahrungen und Kenntnisse, welche man sich beim 
Erlernen der Psychoanalyse erwirbt, allein (mit Recht) als ungenügend betrachtet 
werden, geht hervor aus der dem ärztlichen Analytiker gestellten Bedingung, daß 
er. nach seinem medizinischen Studium noch mindestens während eines Jahres 
klinische neurologisch-psychiatrische Erfahrung suchen soll. 

Das Erwerben der für die Ausübung der Psychoanalyse notwendigen 
medizinischen Kenntnisse und Erfahrung ist ohne medizinisches Studium ebenso 
möglich und kann in derselben Weise geregelt werden, wie dies in der Aus¬ 
bildung der anderen Helfer des Arztes geschieht; allerdings muß ein ziemlich 
hohes Bildungsniveau vorausgesetzt werden. 

Es ist jedoch die Gefahr nicht ausgeschlossen, daß auch, falls man eine 
solche Vorbereitung als Bedingung stellt, ein größeres Wachstum des Institutes 
der Laienanalyse dazu beitragen wird, daß der Psychoanalyse in der Medizin, 
anstatt der ihr passenden Stelle, nur die einer der vielen psychotherapeutischen 
Methoden eingeräumt werden wird. 















Diskussionen 


314 


XXII 

John Rickman (London): 

§ 1. Zulassungsbedingungen — § 2. Voraussetzungen der analytischen Arbeit 

— § 5. Allgemeine Ausbildungsgrundsätze — § 4. Juristische Gesichtspunkte- 

— § 5. Verwaltungsmaßnahmen — § 6. Allgemeine Betrachtungen 

§ 1. Zu 1 a s s ung s b e din gung en 

1) Es muß untersucht werden, welcher Standard der vor analytischen Aus¬ 
bildung verlangt werden soll und 

2) welche Verwaltungsmaßnahmen nötig werden, sobald die Laienanalyse 
als Berufstätigkeit anerkannt sein wird. 

§ 2. Die Voraussetzungen der analytischen Arbeit 

Analyse ist im Grunde eine Technik, die den Analytiker instand setzt, 
die Seele einer zweiten Person (mittels einer modifizierten Introspektion) 
zu erforschen und dem Analysanden die in ihm wirksamen, seinem 
Bewußtsein bis dahin nicht zugänglichen Kräfte aufzeigt, so daß er sie 
beherrschen kann. Der Unterschied zwischen den beiden Personen liegt darin, 
daß die erste Art von Personen eine überlegene Fähigkeit zur Forträumung 
von Widerständen hat und mit weniger Besetzungen arbeitet; 1 das Ziel der 
Analyse geht dahin, den Analysanden in dieser Hinsicht in den Besitz der 
Fähigkeiten des Analytikers zu setzen. 

Das Ziel der analytischen Ausbildung ist ein doppeltes; erstens muß der 
Analytiker seine eigenen Widerstände überwinden lernen (dazu muß er vorher 
selbst eine Analyse durchgemacht haben) und zweitens muß er die Fähigkeit 
erlangen, die zwischen Innen- und Außenwelt bestehenden Beziehungen zu 
erkennen, d. h. er muß zuerst die libidinösen Hemmungen überwinden und 
dann einen Ich- (intellektuellen) Instinkt entwickeln. Nach Ferenczis 
Terminologie besagt das, daß beide Pole der psychischen Funktionen behandelt 
werden müssen, der genitale und der intellektuelle. Es genügt nicht, daß sich 
der Analytiker nur um den einen kümmert; die Liebe schmiedet Bande mit 
der Außenwelt und regt zu Handlungen an, während das Denken keine 
Bande knüpft und nicht zu Handlungen reizt, sondern nur zahllose neue 
Beziehungskombinationen bildet, ohne mit ihnen etwas anzufangen. (Ferenczis 
„unbewußte Urteilsbildungen“ — „ein Hilfsorgan des Wirklichkeitssinnes“.) 
Eine normale Psyche oszilliert hin und her zwischen Libidobesetzung und 
Ichbesetzung, zwischen einer durch Liebe veranlaßten Introjektion und einem 
darauffolgenden unbewußten Aufspaltungsprozeß des introjizierten Materials in 
seine Elemente; diese Elemente werden durch andere Erinnerungsbilder 
aneinandergereiht und neu kombiniert, die neuen Kombinationen werden 
geordnet und endlich dem Vorbewußten oder Bewußten zur Prüfung auf 
ihre Richtigkeit überantwortet. Von besonderer Wichtigkeit ist die Tatsache, 
daß hier zwei gänzlich verschiedene seelische Funktionen mitspielen. Die 

1) D. h. der Analytiker erkennt bereits die Anfänge einer Triebregung und wartet 
nicht ab, bis diese so stark geworden ist, daß sie die Widerstände überwindet. 





















Diskussionen 


315 


Analyse des Kandidaten bewirkt die Forträumung von Affekthemmungen, 
seiner Denktätigkeit jedoch kann sie nichts hinzufügen . 1 

Man könnte nun fragen, ob es auf intellektuellem Gebiet überhaupt etwas 
gibt, was sich an Wirksamkeit mit der analytischen Auflösung von neurotischen 
und charakterologischen Konflikten und Mängeln vergleichen läßt, und ob 
man nach, sagen wir, dem Eintritt der Latenzperiode noch etwas Wertvolles 
erreichen kann. Falls wir zu dem Schluß kommen, daß es auf diesem Gebiete 
wirklich nichts gibt, was sich den analytischen Erfolgen bei der Libido 
vergleichen ließe, müssen wir uns die Frage vorlegen, ob es überhaupt einen 
Sinn hat, eine bestimmte Art der Vorbildung zu verlangen, oder ob der 
gesunde Mutterwitz, wenn er analytisch „befreit“ wird, den Anforderungen 
der Praxis nicht durchaus genügen würde. Die letzte Frage wirft einen neuen 
Gesichtspunkt auf, nämlich daß wir den voranalytischen Bildungsgang nicht 
so sehr aus dem Grunde wünschen, damit der Kandidat mit Kenntnissen 
vollgespickt ankomme, sondern damit er in der Bewertung und Prüfung von 
Tatsachen bereits einige Erfahrung besitze. Wir wollen aber wieder zu der 
früheren Frage zurückkommen, nämlich ob irgendeine Ausbildung für die 
intellektuelle Funktion dasselbe leisten kann, was die Analyse für die libidinöse 
leistet. Da hierauf eine negative Antwort erfolgt, drängt sich die neue Frage 
auf, ob die Bichtung des voranalytischen Bildungsganges eine Bedeutung 
besitzt. Die Antwort darauf schließt naturgemäß sowohl die libidinöse wie die 
intellektuelle Vergangenheit ein (z. B. Theologie und Ödipuskomplex, Medizin 
und Sadismus, Chemie und Analstufe, Mathematik und narzißtische Allmacht). 
Bei solcher Fragestellung wird es deutlich, daß, was die libidinösen Momente 
angeht, keine logischen Kegeln aufgestellt werden können, da Theologie das 
im geringsten und Mathematik das im höchsten Grade Wissenschaftliche der 
genannten Fächer ist. 

Wir wenden uns nun zu der rein intellektuellen Seite des vor analytischen 
Bildungsganges und fragen uns — immer vorausgesetzt, daß ein bestimmter 
Bildungsgrad überhaupt notwendig ist — nach welchen Kriterien eine natur¬ 
wissenschaftliche, klassische, linguistische, literarische oder historische Vor¬ 
bildung einer anderen vorzuziehen sei. Das Kriterium ist gegeben durch das 
Streben der einzelnen Geisteswissenschaften nach Überwindung der 
Allmachtsstufe der Ichentwicklung. Nur in den Naturwissenschaften dominiert 
dieses Streben wirklich, allerdings begleitet von der Neigung zu einer Über¬ 
projektion des „psychischen Urteilsmechanismus“, wie sie sich in der Psycho- 
phobie der Neurologen äußert. Klassische Bildung und Literatur machen 
keinen systematischen Versuch zur Überwindung dieses Fehlers. Da alle 
naturwissenschaftlichen Resultate nach der gleichen 
Methode gewonnen werden, müssen sie sich naturgemäß 
zu einem homogenen Wissenssystem integrieren. Es ist 
von höchstem Belang, daß der Kandidat in denlntegrations- 
methoden der Naturwissenschaften erfahren ist, ehe er 
sich an das kompliziertere Studium der Geis teswissen- 

1) Man könnte vielleicht anführen, daß der Kandidat die geistige Arbeit seines 
Analytikers beobachtet und man dies auch als Teil der geistigen Ausbildung rechnen 
kann, dem steht aber bis zum Schluß der Analyse die Übertragung entgegen, so daß 
dieses Moment als Ausbildungsfaktor nicht in Betracht kommt. 











Diskussionen 


316 


schäften heranmacht. Die Psychoanalyse steht der 
Physiologie, physiologischen Chemie und Morphologie 
näher als den loseren Fächern, wie Literatur, Kunst und 
Geschichte. Der Kandidat muß also in wissenschaft¬ 
lichen Methoden bereits bewandert sein, ehe man ihn in 
die Reihen derberufstätigenPsychoanalytiker aufnehmen 
kann. Was den Standard der geforderten wissenschaftlichen Ausbildung 
anbelangt, so wird man nach der auf allen Gebieten geltenden Übung 
einen bestimmten Grad verlangen müssen. 

§ 3. Allgemeine Ausbildungsgrundsätze 

Die medizinische Ausbildung hat nicht so sehr den Zweck, den 
Kandidaten auf die gerade zur Zeit seiner Immatrikulation vorhandenen Fach¬ 
kenntnisse vorzubereiten, als ihn mit dem geistigen Rüstzeug zu versehen, 
das es ihm ermöglicht, die Arbeiten auf den übrigen „Spezialgebieten“ nicht 
nur in der Gegenwart, sondern in gewissem Ausmaß auch in der Zukunft 
verständnisvoll zu verfolgen. Dieser Grundsatz muß auch für die Psycho¬ 
analyse gelten. Da die Triebe Grenzphänomene zwischen dem Physischen und 
dem Psychischen sind, muß der Psychoanalytiker sowohl die physische wie 
die psychische Welt systematisch studieren. Da Mythen und Träume 
möglicherweise mit der Rassengeschichte Zusammenhängen, welche Trieb- und 
Vorstellungsgruppen in Krankheiten und Symptome verkehren kann, sind 
einige Kenntnisse in Urgeschichte notwendig, wie man ja auch dem medi¬ 
zinischen Studiengang einen zoologischen oder embryologischen Kurs angliedert, 
um Verständnis für die Wachstumsanomalien zu erwecken. Die Berufs¬ 
ausbildung muß stets in einem Maßstab angelegt sein, der 
auf den ersten Blick übertrieben weit erscheint, soll die 
Ausübung des Berufs auf die Dauer nicht leiden. 1 

§ 4. Juristische Gesichtspunkte 

Die Gesetze in England (d. h. die Entscheidungen der Gerichte bei 
Prozessen) verleihen dem Ärztestand auffallend wenig Vorrechte, aber diese 
wenigen sind sehr wertvoll. Die beiden wichtigsten darunter sind: a) die 
Zuerkennung angemessener Honoraransprüche und b) die Annahme, daß 
alle beruflich vorgenommenen Handlungen in gutem Glauben, d. h. ohne 
Bolus , erfolgen. Ein Vorrecht wird aber nie ohne Gegenverpflichtung 
verliehen; bei der Medizin ist diese allerdings weniger deutlich. Sie besteht 
wohl in erster Linie darin, daß sich der praktische Arzt zur Absolvierung 
eines vorgeschriebenen langen Studienganges verpflichtet und sich den von 
einer besonders zu diesem Zwecke ernannten Standes Vertretung aufgestellten 
ethischen und beruflichen Normen unterwirft. Die (nicht medizinisch vor¬ 
gebildete) Psychoanalytikerschaft kann also erst dann Anspruch auf den Stand 
eines Berufs erheben, wenn sie klar bewiesen hat, daß sie bereits eine Ver- 


1) Analytische Überlegungen geben uns den Schlüssel dazu: Wo die Befriedigung 
dem Impuls unmittelbar auf den Fersen folgen darf, besteht wenig Aussicht darauf, 
daß die Gegenbesetzung Gelegenheit zur Entfaltung ihrer kulturell wohltätigen 
Wirkung findet. 



















Diskussionen 


317 


pflichtung übernommen und dadurch einen Anspruch auf dieses Vorrecht 
erworben hat. 

Wenn diese Verpflichtung anerkannt wird, ist es an der Zeit, ein Standes- 
register anzulegen, eher nicht. 

§ 5. Verwaltungsmaßnahmen 

a) Die inneren für den psychoanalytischen Berufsstand erforderten Organi¬ 
sationsmaßnahmen müssen den von der British Psychoanalytical Society und 
dem Institute of Psycho-Analysis aufgestellten Richtlinien entsprechen. 

h) Die Maßnahmen für Angehörige anderer Berufe würden vermutlich nur 
drei Grundsätze umschließen: 

1. Eine Überweisung von Patienten kann nur mit Zustimmung des 
bisherigen behandelnden Arztes erfolgen. 

2. Kein Patient darf von einer nicht medizinisch qualifizierten Person in 
Behandlung genommen werden, ehe sie nicht zuvor von einem Arzt untersucht 
worden ist. 

3. Konsultationen mit Personen, die keiner anerkannten Verpflichtung 
genügt haben, werden von den Ärzten abgelehnt. 

c) Die Öffentlichkeit muß vor Quacksalbern in der Psychoanalyse geschützt 
werden; dies kann nur geschehen, wenn die Praxis der Psychoanalyse ebenso 
offiziell abgestempelt ist, wie die Praxis von Medizin, Chirurgie, Zahnheih 
künde, Krankenpflege, Massage, Jurisprudenz, Architektur, Landvermessung, 
Buchhaltung usw.; also indem man eine Standesvertretung gründet, eine 
Verpflichtung aufstellt und Listen führt. 

§ 6. Allgemeine Betrachtungen 

In der Psychoanalyse muß scharf unterschieden werden 
zwischen Therapie und Diagnose; die letztere sollte 
ausschließlich medizinisch-qualifizierten Personen 
zustehen. 

Es fragt sich, ob man den Laienanalytiker in die Rubrik etwa einer 
Krankenschwester, einer Masseuse oder eines Laboratoriumsgehilfen einreihen 
soll. In Wirklichkeit paßt er in keine dieser Kategorien, das macht seine 
Stellung Leuten von professioneller Anschauungsweise so schwer verständlich. 
Wäre die Psychoanalyse bloß eine vorgeschriebene Behandlungsmethode wie 
Massage, dann bestünde natürlich keine Schwierigkeit; der Arzt kennt die 
Anatomie und Pathologie des zu behandelnden Körperteiles zur Genüge und 
kann daher die therapeutische Prozedur, mit der er andere betraut, genau 
vorschreiben. Die Psychoanalyse jedoch läßt sich eher mit einer hochkomplizierten 
Laboratoriumstechnik vergleichen, bei der die Auffindung neuer Störungsfaktoren 
einen sehr großen Teil der Arbeit selbst ausmacht. Dazu kommt noch, daß die 
Psychoanalyse besonders nahe menschliche Beziehungen erzeugt (in dieser Hinsicht 
gleicht sie um den früheren Vergleich weiter zu führen — der Kranken¬ 
pflege). Die Standesorganisationen und Verwaltungsbehörden werden also diese 
Eigenarten berücksichtigen müssen und nicht erwarten dürfen, daß der Arzt 
der einem Laienanalytiker einen Fall überweist, den Gang der Behandlung bis 
ins einzelne vorschreibt; es wäre jedoch unberechtigt und durchaus gegen das 
Interesse des Publikums, wollte man dem Arzt verbieten, seine Patienten einer 
entsprechend vorgebildeten Person zu übergeben. 

Int, Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIII/3. 22 










318 


Diskussionen 


Wir kommen damit wieder auf die Frage der Ausbildung zurück: Der 
Analytiker (ob Laie oder Arzt) muß den gesellschaftlichen Takt einer Kranken¬ 
schwester mit der geistigen Exaktheit eines geschulten Laboratoriumstechnikers 
vereinen. Die Ausbildung wird also diesen Anforderungen entsprechen und 
damit, wie wir gleich hinzufügen wollen, dem Laienanalytiker das Recht auf 
abgemessene Honorare zuerkennen müssen. Er darf nicht auf einen niedrigeren 
Lebensstandard herabgedrückt werden als einer Person von seiner geistigen 
Bildung und gesellschaftlichen Stellung entspricht. Auch bei der Krankenpflege 
macht sich jetzt die Tendenz geltend, die Gehälter zu erhöhen und die 
Qualität der Kandidaten zu heben. Bei den Laienanalytikern sollte der 
Standard von vornherein ein hoher sein und ein hoher bleiben, und die 
Einstellung der verschiedenen Berufsorganisationen sollte keine Maßnahme 
unterstützen, die den Stand oder das Ansehen der Psychoanalyse herabsetzen 
könnte. 

XXIII 

A. A. Brill (New York): 

Anmerkung der Redaktion: Dr. Brill hat seinen Beitrag 
in Form einer langen Besprechung des Freud sehen Buches 
„Die Frage der Laienanalyse u eingesandt und uns gebeten , einen 
Auszug daraus zu machen. Ein großer Teil seiner Besprechung 
besteht in einer ausführlichen Inhaltsangabe des Buches , das 
jedoch unseren Lesern so bekannt ist , daß wir ihre Wiedergabe 
für überßüssig halten . Dr. Brill meint , daß der Dialog des 
Buches die beiden Seiten der Persönlichkeit des Verfassers dar - 
stelle , der seiner Meinung nach eine ambivalente Einstellung 
zu dieser Frage besitze. Er fahrt dann fort: 

Die Beweisführung des Verfassers wäre ebenso sehr oder ebenso wenig 
einleuchtend, wenn man sie auf eine andere Wissenschaft, beispielsweise 
Technik oder Jurisprudenz, übertragen wollte. Es mag sicherlich gute Ingenieure 
und gute Juristen gegeben haben, die sich nicht dem ganzen vorgeschriebenen 
Studiengang unterzogen, aber es bleibt nichtsdestoweniger höchst unwahr¬ 
scheinlich, daß der Durchschnittsstudent ein tüchtiger Ingenieur, Rechts¬ 
anwalt oder Arzt werden kann, ohne die Einzelheiten seines Faches einiger¬ 
maßen zu kennen. Ich wenigstens habe noch keinen Mediziner gesehen, der 
sich für sämtliche Fächer begeistert hätte, die er zur Erlangung seines 
medizinischen Doktorgrades studieren mußte. Auf allen wissenschaftlichen 
Gebieten pflegt der Anfänger eine Abneigung gegen die Vorbereitungsstudien 
zu haben, der Mediziner seufzt oft unter dem Studium von Anatomie, Physio¬ 
logie, Bakteriologie oder Chemie, aber sein Verlangen, den ersehnten Wunsch 
zu erreichen und Arzt zu werden, ist eben stark genug, um ihn auch diese 
Gegenstände als Notwendigkeiten seines Studienganges hinnehmen zu lassen. 

Diese Grundlagen der Medizin sind es sogar gerade, die den Studenten 
zwingen, sich die Tragweite seines Unterfangens ganz klar zu machen. Denn 
alle, die Arzte oder Laientherapeuten werden möchten, sind von einer 
infantilen Gedankenallmacht durchdrungen, die ganz erheblich gedämpft 
werden muß. Viele halten dem Druck der Wirklichkeit nicht stand und 
fallen vom Studium ab; andere erkennen gar bald, daß die Medizin ein 















Diskussionen 


319 


schwieriges Studium sei, und wenn sie erst an die „interessanten“ Fächer 
kommen, so haben sie nicht bloß bereits Kenntnisse erworben, sondern auch 
wirkliche Disziplin und tiefes Verantwortlichkeitsbewußtsein — Eigenschaften, 
die für das Studium und die Behandlung von Krankheiten absolut unerläßlich 
sind und die man bei den sogenannten „Laienanalytikern“ selten oder niemals 
findet. Ich zweifle keinen Augenblick, daß es in Europa einige Laienanalytiker, 
Männer wie Frauen, von ausgezeichnetem Charakter und tiefer Bildung gibt, 
aber die meisten von denen, die als Laienanalytiker von Europa zurück¬ 
kehren, wo sie einige Zeit und ziemlich viel Geld durchgebracht haben, sind 
meiner Erfahrung nach entweder für die Beurteilung von Krankheiten unge¬ 
eignet oder bloße Charlatane. Ich kann nicht einsehen, wie ein Laienanalytiker 
der Freud sehen Forderung, daß er in jedem zweifelhaften Falle einen Arzt 
zu Rate ziehen soll, genügen und sich dabei psychologisch behaupten kann. 
Einem unparteiischen Beobachter müßte er zum mindesten als „ zweitklassig k 
erscheinen, was dem eigentlichen Geist der Psychoanalyse doch sicher nicht 
entspricht. 

Seit langer, langer Zeit habe ich gelernt, alles als richtig hinzunehmen, 
was der Meister uns sagt, sogar noch bevor ich mich aus eigener Anschauung 
überzeugt habe, denn die Erfahrung lehrte mich einsehen, daß ich jedesmal im 
Unrecht war, wenn mir eines seiner Argumente zu weit hergeholt oder unrichtig 
schien; meine Zweifel kamen immer nur aus Mangel an Erfahrung. Aber so 
viele Jahre ich mich auch ehrlich bemüht habe, mich mit dem Meister in 
der Frage der Laienanalyse zu einigen, ist es mir doch nicht gelungen, mir 
seinen Standpunkt zu eigen zu machen; je länger ich seine Wirkungen in der 
Praxis beobachte, um so weniger bin ich von seiner Nützlichkeit und Durch¬ 
führbarkeit überzeugt. Freuds glänzende Darlegung des Problems hat mich 
ebensowenig überzeugt wie anscheinend seinen „unparteiischen Zuhörer“, dem 
er als letztes Argument entgegenhält: „Unsere Kultur übt einen fast unerträg¬ 
lichen Druck auf uns aus, sie verlangt nach einem Korrektiv“, und ihn fragt, 
ob es phantastisch sei, zu erwarten, daß die Psychoanalyse zu dieser Leistung 
berufen sein könnte. Er hofft auf einen Amerikaner, der eines Tages auf den 
Einfall kommen könnte, es sich ein Stück Geld kosten zu lassen, um die 
„social workers" seines Landes psychoanalytisch zu schulen und eine Hilfs¬ 
truppe zur Bekämpfung der kulturellen Neurosen aus ihnen zu machen, — 
Bemerkungen, die dem Hörer den Ausruf entlocken: „Aha, eine neue Art von 
Heilsarmee.“ Darauf antwortet der Verfasser: „Warum nicht, unsere Phantasie 
arbeitet ja immer nach Mustern“ (S. 123). Ein Strom von Lernbegierigen 
werde nach Europa fluten, meint er, und an Wien Vorbeigehen, weil in 
Österreich ein Verbot gegen die Behandlung von Kranken durch Nichtärzte 
besteht. Offenbar nimmt der Hörer diese Ausführungen mehr humoristisch, 
denn der Verfasser fragt ihn: „Sie lächeln? Ich sage das nicht, um Ihr 
Urteil zu bestechen, gewiß nicht. Ich weiß ja, Sie schenken mir keinen 
Glauben, kann Ihnen auch nicht dafür einstehen, daß es so kommen wird. 
Aber eines weiß ich. Es ist gar nicht so wichtig, welche Entscheidung Sie 
in der Frage der Laienanalyse fällen. Es kann nur eine lokale Wirkung 
haben. Aber das, worauf es ankommt, die inneren Entwicklungsmöglichkeiten 
der Psychoanalyse sind doch durch Verordnungen und Verbote nicht zu treffen“ 
(S. 125). 

22* 








320 


Diskussionen 


Mit anderen Worten: Trotz der ganzen genialen und glänzenden Beweis¬ 
führung und meisterhaften Darstellung des Gegenstandes fühlt der Autor, daß 
er seinen Hörer nicht überzeugt hat. 

Ich stimme mit Prof. Freud ganz darin überein, daß sich die ange¬ 
wandte Psychoanalyse ungeachtet aller Gegenmaßnahmen und Gegen¬ 
verordnungen durchsetzen wird, aber meines Wissens bestehen keinerlei 
solche Beschränkungen für die Psychoanalyse als Wissenschaft. Wenigstens 
sicher nicht bei uns. Beweis: Der Verfasser setzt seine Hoffnung auf unser 
Land und viele seiner früheren und jetzigen Schüler scheinen gern zu uns 
zu kommen; trotzdem bin ich mit vielen, vielen anderen der Meinung, daß 
die therapeutische Anwendung der Psychoanalyse jenen Personen Vorbehalten 
bleiben sollte, die gleich Freud selbst den ganzen Menschen kennen, Körper 
und Seele, also auf neurologisch, psychiatrisch und psychoanalytisch aus¬ 
gebildete Ärzte. 

XXIV 

S. E. Jelliffe (New-York): 

Anmerkung der Redaktion: Dr. J eil i ff e hat seinen 
Beitrag in Form eines langen , persönlichen und auto¬ 
biographischen Briefes an die Redaktion eingesandt. Mit 
seiner Erlaubnis hat Dr. Jones einen Auszug daraus 
gemacht , so daß also nur die Stellen in Anführungs¬ 
zeichen von Dr. Jelliffe selbst stammen. 

Mein Interesse für Psychoanalyse hing seit jeher mit meiner Vorliebe für die 
dynamische Auffassung der Krankheiten zusammen, die im Gegensatz zu der sonst 
in neurologischen Kreisen herrschenden morphologischen Auffassung stand, ferner 
damit, daß ich von der hervorragenden Wichtigkeit der psychischen Ätiologie 
überzeugt bin. Es war daher nur natürlich, daß ich aus dieser Einstellung 
heraus, die man gewissermaßen als Revolte gegen die Schulmedizin bezeichnen 
könnte, von Anfang an psychoanalytisch ausgebildete Laienassistenten ver¬ 
wendet habe. Ich tat das etwa fünfzehn Jahre hindurch zur großen Mißbilligung 
vieler New Yorker Kollegen, und auf Grund dieser ausgedehnten Erfahrung 
konnte ich mir eine sichere Meinung bilden. 

Vorausschicken möchte ich, daß ich meinen Assistenten sowohl rein psychische 
wie auch mehr somatische Fälle — Epilepsie, Diabetes, Basedowsche Krank¬ 
heit usw. — überlassen habe. 

Ich bin auch heute noch der Ansicht, daß bei allgemeiner Anerkennung 
der überragenden Bedeutung der psychischen Faktoren die Möglichkeit 
bestünde, gewisse Fälle solchen Personen zur Analyse zu überlassen, die lediglich 
die psychische Komponente behandeln wollen. Diese Ansicht gründe ich auf 
die Überzeugung, daß in jedem Anpassungsmangel, den man in unserer heutigen 
Terminologie als „Krankheit“ bezeichnet, eine psychogene Komponente steckt, 
Unfälle und manche Infektionskrankheiten natürlich ausgenommen. 

„Ohne die Probleme im einzelnen rekapitulieren zu wollen, muß ich also 
sagen, daß ich enttäuscht wurde. Und warum? Weil die Probleme, die ich 
kraft meiner biologischen und medizinischen Bildung übersehen konnte, von 
meinen Assistenten nicht in dem großen Zusammenhang gesehen wurden, 
ohne den sie nicht zu lösen sind.“ 













Diskussionen 


321 


„So bin ich denn nach fünfzehnjähriger praktischer Erfahrung zu der 
Überzeugung gelangt, daß nur Personen mit gründlicher biogenetischer Aus¬ 
bildung den ,Proteus* der ,Medizin richtig erfassen können.“ 

„So lange die Idee mens sana in corpore sano herrschend bleibt, muß ich 
mich geschlagen bekennen. Aber ich glaube nicht an ihre Richtigkeit. Ich bin 
vielmehr der Meinung, daß ein Körper — ein individueller oder ein sozialer 
Körper — nur dann gesund sein kann, wenn man die Maxime umkehrt, 
nämlich daß der gesunde Körper von der gesunden Seele abhängt. Aber — 
und das muß besonders betont werden — nur eine Person, die mit der 
Masch ine gerade so vertraut ist wie mit ihren Funktionen, kann 
einen Zustand richtig behandeln. Solange man die Maschine per se für am 
wichtigsten hält, ist kein Fortschritt möglich. Hier liegt der Gegensatz zwischen 
Morphologen und Funktionalisten.“ 

. .Wenn die ,medizinischen* Probleme nun wirklich so subtil und 

tiefliegend sind, wie meine Ausführungen angedeutet haben, wie sollte da ein 
Laienanalytiker mit ihnen fertig werden können? Wenn die seelischen Zustände 
unendlich komplizierter und wichtiger sind als die körperlichen und trotzdem 
selbst ihre primitiveren Manifestationen sogar von den Ärzten so unvoll¬ 
kommen begriffen werden, wie sollte da jemand, der die anatomischen und 
physiologischen Verhältnisse des Körpers nicht genau kennt, fene komplizierten 
Zustände behandeln können, die wir heute als seelische bezeichnen? Ließe 
sich hier nicht mit Recht sagen: ,Narren stürzen herein, wo Engel zu treten sich 
scheu’n*?“ 

„Dies ist also der Niederschlag meiner Erfahrungen. Die Laienanalytiker 
haben keine Berechtigung zu der praktischen Ausübung des Berufes; selbst 
die Ärzteanalytiker entsprechen heute den Anforderungen noch sehr unvoll¬ 
kommen. Unsere Maxime sollte also sein, den Arzt gründlich auszubilden, 
anzuregen und zu zwingen, daß er sein eigenes Königreich bewahrt, selbst 
wenn er das ,Land des Jordan* noch nicht richtig würdigen gelernt hat. So 
lautet die ideale Forderung.“ 


xxv 

New-York Psydio-Analytic Society: 

Die New York Psycho-Analytic Society hat bezüglich der Ausübung der 
Psychoanalyse folgende Entschließungen angenommen: 

I. Die Ausübung der Psychoanalyse zu therapeutischen Zwecken soll auf 
Ärzte (Doktoren der Medizin) beschränkt werden, die ihren Grad von einer 
anerkannten medizinischen Fakultät erhalten, eine spezielle Ausbildung in 
Psychiatrie und Psychoanalyse genossen und allen Anforderungen der für die 
Ausübung der medizinischen Praxis geltenden Landesgesetze entsprochen haben. 
Unter Ausübung der Psychoanalyse ist dabei die Behandlung von Personen 
zu verstehen, die an Nerven- oder Gemütskrankheiten leiden, deren Symptome 
sie in ihren Alltagsleistungen behindern. 

II. Der psychoanalytische Unterricht von Interessenten der Anthropologie, 
Kriminologie, Theologie, Jurisprudenz, Pädagogik, Sozialarbeit sowie von Ärzten 
anderer Spezialfächer usw. ist nur unter der Voraussetzung gestattet, daß die 
psychoanalytische Schulung nur zum besseren Verständnis und zur gründlicheren 













322 


Diskussionen 


Erkenntnis der Probleme ihrer eigenen Arbeitsgebiete und nicht zu Heil¬ 
zwecken, wie sie unter 1. aufgeführt sind, dienen soll. 

III. Als Vorbedingung für die Zulassung zum psychoanalytischen Unterricht 
für die unter 2. aufgeführten nichtärztlichen Wissenschaftler sollen folgende 
Mindestanforderungen gelten: 

a) Der Grad eines Bachelor of Arts von einer anerkannten Universität, 
einem anerkannten College oder einem gleichwertigen Institut. 

b) Nachweise für den einwandfreien Charakter und die allgemeine 
Befähigung, und zwar: 

1. Drei Briefe, davon einer von dem Vorstand der Abteilung, an der der 
Bewerber graduiert worden ist, und ein zweiter von einer wissenschaftlichen 
Spezialgruppe, welcher der Bewerber angehört. 

2. Ein ausführlicher Bericht über alle bisher geleisteten praktischen 
Arbeiten. 

ß. Nachweis des guten Glaubens, einschließlich der Absicht, sich den in 
1. aufgeführten Beschränkungen zu unterwerfen, die vom Unterrichtsausschuß 
aufgestellt und von der Psycho-Analytic Society angenommen worden sind. 

Der Unterrichtsausschuß: 

T. E. Ames, M. D. 

L. Blumgart, M. D. 

A. Kardiner, M. D. 

M. A. Meyer, M. D. 

% C. P. Oberndorf (Vorsitzender) 

A. A. Brill 


XXVI 

Ungarische Psychoanalytische Vereinigung: 

Die Ungarische* Psychoanalytische Vereinigung hat sich anläßlich ihrer 
Generalversammlung mit der Frage „Laienanalyse" beschäftigt und ihre Meinung 
darüber wie folgt zusammengefaßt: 

Da einerseits theoretisch durch das Buch von Freud die thera¬ 
peutische Analyse durch Nichtärzte (die „Laienanalyse“) nicht nur als 
berechtigt, sondern im Interesse des Fortschrittes unserer Wissenschaft geradezu 
als erwünscht erwiesen wurde, 

und anderseits praktisch die bisherige Zulassung der „Laienanalysen" 
erfahrungsgemäß in Ungarn keine die Patienten irgendwie schädigende Folgen 
mit sich gebracht hat, 

ist die Aufwerfung dieser prinzipiellen Frage nach Ansicht der Ungarischen 
Psychoanalytischen Vereinigung überflüssig, weil bereits erledigt. 

Es bleibt aber das praktische Problem, wie die Zulassung von Nichtärzten 
unter der Ägide der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung zu erfolgen 
hat, auch weiterhin bestehen. In dieser Hinsicht meinen wir, daß die psycho¬ 
analytische Therapie eine ganz eigenartige Heilmethode ist, die bei dem heutigen 
Stande der ärztlichen Ausbildung unmöglich in die Universitätslehrpläne eingereiht 
werden kann. Der Schwerpunkt der ärztlichen Studien liegt im Anatomisch- 
Physiologischen, hingegen der der Psychoanalyse im Psychologischen; dem- 












D iskussionen 


323 


zufolge ist ein diplomierter Arzt für die Psychoanalyse kaum besser vorbereitet 
als ein gebildeter Nichtarzt. Also erscheint uns die Frage verschoben: vom 
Wesentlichen auf das Unwesentliche. Um diese unwesentliche Frage beantworten 
zu können, ist es uns unvermeidlich, ganz kurz auf die wesentliche, aber nicht 
aufgestellte einzugehen. 

Der Kern dieser Frage ist, wie überhaupt Analytiker (Ärzte oder Nicht¬ 
ärzte) ausgebildet werden müssen. Obgleich wir wohl wissen, daß, um aus¬ 
übende Analytiker zu werden, einerseits die Ärzte vieles umlernen und zulemen, 
anderseits die Nichtärzte viel Ärztlich - Naturwissenschaftliches erst erlernen 
müssen, sind wir doch fest überzeugt, daß im Zentrum der Ausbildung 
die eigene Analyse zu stehen hat; diese soll auch der erste Schritt 
sein, wodurch auch das Wichtigste gleich erledigt wird, nämlich die Selektion 
auf Grund persönlicher Eignung. 

Zurückkehrend zur Diskussionsfrage, meinen wir, daß es nicht unmöglich 
ist, daß die Frage der „Laienanalyse“ nicht zuletzt auch dadurch zugespitzt 
wurde, daß in der letzten Zeit die nicht analysierten Ärzteanalytiker einer 
allmählich anwachsenden Anzahl von „Laien" gegenüb erstanden, die durch 
hervorragende Analytiker ausgebildet worden sind. Deshalb dürfen wir jene 
Argumente, die gegen die „Laienanalyse" allgemein hervorgebracht wurden, 
wie: Schutz der Patienten, Schutz der psychoanalytisch-wissenschaftlichen 
Bewegung, Rechtsbestimmungen usw. — auch als AusdrucE innerer Wider¬ 
stände betrachten, die, analytisch gesehen, vielleicht manche hinter ihnen ver¬ 
steckten Motive erkennen lassen würden, u. a.: Schutz des ärztlichen Mono¬ 
pols, Widerstand gegen die eigene Analyse, narzißtische Eifersucht gegen die 
bereits Analysierten usw. Demgegenüber vertritt die Ungarische Psychoana¬ 
lytische Vereinigung den Standpunkt, daß das Interesse der Patienten sowie der 
Fortschritt unserer Wissenschaft nicht durch ärztliche Diplome, wohl aber allein 
durch richtig ausgewählte, gründlich ausgebildete und vor allem analysierte 
Analytiker geschützt werden kann. Solche Analytiker, die, durch 
unsere Lehrinstitutionen ausgebildet, unter der Ägide der 
Vereinigung ihre Tätigkeit ausüben, haben nach unserer 
Meinung ein Anrecht darauf, sollten sie durch — noch 
vorderPsychoanalyse entstandene — Rechtsbestimmungen 
irgendwie in ihrer Arbeit gefährdet werden, von der Inter¬ 
nationalen Psychoanalytischen Vereinigung mit ihrem 
ganzen moralischen undwissenschaftlichenPrestige unter¬ 
stützt zu werden. 

Falls in diesen prinzipiellen Fragen internationale Einigung erzielt worden 
ist, soll es den einzelnen Zweigvereinigungen überlassen werden, wie die 
administrative Zulassung zur psychoanalytischen Praxis in den einzelnen Ländern 
mit Rücksicht auf die gesetzlichen Bestimmungen und den herrschenden 
Rechtsgebrauch zu geschehen habe. Dagegen wäre das eigentliche Problem: 
das der Ausbildung — wenigstens in den Hauptpunkten — international zu 
regeln. Denn was bisher an Lehrplänen ausgearbeitet und empfohlen wurde, 
war ausschließlich für Ärzte (Studenten der Medizin) berechnet. Es muß also 
bei dieser Regelung unbedingt berücksichtigt werden, daß der Lehrplan für 
Ärzte und der für Nichtärzte zwar größtenteils identisch sein können, jedoch 
in manchen Punkten voneinander abweichen müssen. 


1 


- 








324 


Diskussionen 


Zusammengefaßt: 

lassen werden" ZUr ^rapeutischen Analyse zuge- 

2. Die Ausbildungsfrage soll möglichst bald durch internationale Übereinkunft 
geregelt werden, wobei zum Teil verschiedene Lehrpläne für Ärzte und für 
Nichtarzte zu entwerfen sind. 

CÄr. 3 t Dle ,i I ”! e ™ atl0na ; Ie Psychoanalytische Vereinigung soll alle Analytiker 
( rzte und Nichtarzte) die unter ihrer Ägide arbeiten, bei Gefährdungen, 

nehmMi dUrCh Unverstandnls S e g en über der Psychoanalyse entstehen, in Schutz 

Für die Ungarische Psychoanalytische Vereinigung: 

Istvan Hollös, 
stellvertretender Vorsitzender 

XXVII 

Max E i t i n g o n (Berlin): 

Hat man die Diskussion über die Laienanalyse, die von manchen Seiten (besonders 
von unseren englischen Kollegen) eine sehr gründliche und eingehende Würdigung 
der meisten in Betracht kommenden Faktoren gebracht hat, andererseits wieder 
rau H o r ney) eine einfache und plastische Herausarbeitung des Problems 
um das es sich m erster Linie handelt, aufmerksam verfolgt, so sind zwei 
Hinge zu unterstreichen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß es sich hier um 
die therapeutische Anwendung der Analyse handelt und um die unterrichts¬ 
technische Frage, welche Vorbedingungen an die Kandidaten zu stellen sind 
die d!e Ausbildung zum psychoanalytischen Therapeuten anstreben. Da ist nun 
in der bisherigen Diskussion die Erwünschbarkeit einer möglichst guten ärzt¬ 
lichen Vorbildung nirgends ernstlich in Frage gestellt, meist aber mehr oder 
weniger ausdrücklich betont worden. Auf der anderen Seite mußte von allen 
Seiten zugegeben werden, daß eine ganze Reihe von Psychoneurosen, und 
gerade solchen, die zum wesentlichsten Anwendungsgebiet der Psychoanalyse 
als Therapie gehören, auch von nichtärztlich ausgebildeten Therapeuten 
erfolgreich behandelt werden können, sofern sie nur analytisch gut geschult 
sind. Von der Ermöglichung einer solchen Schulung hängt nun nicht allein die 
Zukunft der Psychoanalyse als Therapie, sondern auch als Wissenschaft mit 
all ihren schon angebahnten und zukünftig noch zu entwickelnden Anwendungs- 
moglichkeiten ab. Diese Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen, ist deshalb in 
den letzten Jahren auch die vornehmste Aufgabe und die dringendste Sorge 
unserer Organisation und besonders auch des Institutes, das sie zu diesem Zwecke 
geschaffen hat, der Internationalen Psychoanalytischen Unterrichtskommission, 
holl aber gut unterrichtet werden, so müssen neben dem Ausbau des Unter¬ 
richtes unserer eigenen so prinzipiell neuen und umwälzenden Disziplin auch 
die Eigenbedingungen der besonderen Gebiete, auf die wir die Analyse anzu¬ 
wenden lehren wollen, im vollsten Maße berücksichtigt werden, weil es sich 
a um Wissensgebiete und Tatsachenkreise handelt, die sozusagen vor- und 
außeranalytisch sind und es auch sein und meist auch bleiben müssen. 

We nn, wie gesagt, von kaum einer Seite es in Zweifel gezogen werden 
kann, daß es nicht wenige und sehr wichtige Psychoneurosen gibt, die auch 
vom mchtarztlich vorgebildeten, aber analytisch gut geschulten Therapeuten mit 









Diskussionen 


325 


Erfolg behandelt werden können, so ist es doch ebensowenig von irgend 
einer Seite in Zweifel gelassen worden, daß selbst auch in solchen Fällen 
dem nichtärztlichen Analytiker vor Beginn der Analyse und während derselben 
ein Arzt, und wir meinen natürlich, ein analytisch geschulter Arzt, zur Seite 
stehen muß, zum Zwecke der Diagnosen- und Indikationsstellung zur Analyse, 
wie auch zur Beurteilung interkurrenter somatischer Komplikationen während 
des Verlaufes einer Analyse. Mit anderen Worten, der nichtärztliche Ana¬ 
lytiker ist also nur in der Symbiose mit ärztlichen Kollegen denkbar, und nur 
in der Kooperation mit solchen. Ist es nun gar so utopisch, wenn Referent 
als Richtschnur für eine idealere Zukunftsgestaltung des analytischen Thera- 
peuten Wege und Vorbildung so gestaltet sehen möchte, daß an Stelle 
der Kooperation von nichtärztlichem Analytiker und Arzt eine Personalunion 
m einer ebenso gut analytisch geschulten wie ärztlich vorgebildeten Person tritt? 

abei ist Referent sich stets bewußt, daß dieses aktivistische Vorweg¬ 
nehmenwollen einer besseren Zukunft von zwei Momenten in besonnener Weise 
kontrolliert werden muß, damit die Entwicklung der Psychoanalyse nicht 
schweren Schaden erleide. Erstens dürfen wir keinen Augenblick die Dank- 
barkeit gegen die Tatsache und die Gründe der Tatsache aus den Augen lassen, 
dali sehr bald nach Beginn dessen, was wir unsere psychoanalytische Bewegung 
nennen, wie auch in der allerletzten Zeit noch, eine Reihe von „Laien“ sich 
die größten Verdienste um den weiteren Ausbau der Psychoanalyse als Theorie 
wie als Praxis erworben haben. 

Auf der anderen Seite dürfen wir keinen Augenblick die Unzufriedenheit 
mit dem gegenwärtigen Wissenschafts- und Lehrbetrieb in der Medizin ver¬ 
gessen und müssen diese Unzufriedenheit stets wachhalten und nähren die 
Unzufriedenheit mit dem System, das psychologische Begabungen von der 
Medizin fernhält oder forttreibt, wenn es sie nicht vorher erstickt. 

Mit Berücksichtigung der besonderen Forderungen unserer hier diskutierten 
Spezialaufgabe, der gegenwärtigen Notstände in der Ausbildung des Mediziners 
und der hoffentlich in nicht allzu ferner Zeit zu erwartenden Bessergestaltung 
dieser Ausbildung werden wir uns erlauben, der Internationalen Unterrichts¬ 
kommission der I. P. V. und dem bevorstehenden Kongreß folgenden Resolutions¬ 
antrag vorzulegen: 

I) Der Kongreß beauftragt die Unterrichtsausschüsse der Zweig¬ 
vereinigungen, bei den Ausbildungkandidaten zu psychoanalytischen 
Therapeuten auf das Vorhandensein, beziehungsweise auf die Erwerbung 
der vollen ärztlichen Ausbildung Nachdruck zu legen, jedoch keinen 
Kandidaten einzig aus dem Grunde der fehlenden ärztlichen Qualifikation 
zurückzu weisen, wenn derselbe eine besondere persönliche Eignung und 
eine entsprechende wissenschaftliche Vorbildung besitzt. 

II) Innerhalb dieser grundsätzlichen Stellungnahme kann jede Zweig¬ 
vereinigung die Zulassungsbedingungen selbständig festsetzen. Bei der 
Zulassung landesfremder Kandidaten haben die Unterrichtsausschüsse außer 
ihren eigenen Bestimmungen jene Bestimmungen zu berücksichtigen, die 
im Heimatlande des betreffenden Kandidaten in Geltung sind. Über die 
erfolgte Zulassung eines landesfremden Kandidaten ist der Unterrichtsausschuß 
seines Heimatlandes zu verständigen. Etwaige Einsprüche sind an die 
Internationale Unterrichtskommission zu richten. 











326 


Diskussionen 


XXVIII 

Sigm. Freud: Nachwort zur „Frage der Laienanalyse” 

Der unmittelbare Anlaß zur Abfassung meiner kleinen Schrift, an 
welche die hier vorstehenden Diskussionen anknüpfen, war die Anklage 
unseres nichtärztlichen Kollegen Dr. Th. Reik wegen Kurpfuscherei bei 
der Wiener Behörde. Es dürfte allgemein bekannt geworden sein, daß 
diese Klage fallen gelassen wurde, nachdem alle Vorerhebungen durch¬ 
geführt und verschiedene Gutachten eingeholt worden waren. Ich glaube 
nicht, daß dies ein Erfolg meines Buches war; der Fall lag wohl zu 
ungünstig für die Klageführung und die Person, die sich als geschädigt 
beschwert hatte, erwies sich als wenig vertrauenswürdig. Die Einstellung 
des Verfahrens gegen Dr. Reik hat wahrscheinlich nicht die Bedeutung 
einer prinzipiellen Entscheidung des Wiener Gerichts in der Frage der 
Laienanalyse. Als ich die Figur des „unparteiischen“ Partners in meiner 
Tendenzschrift schuf, schwebte mir die Person eines unserer hohen Funk¬ 
tionäre vor, eines Mannes von wohlwollender Gesinnung und nicht 
gewöhnlicher Integrität, mit dem ich selbst ein Gespräch über die Causa 
Reik geführt und dem ich dann, wie er gewünscht, ein privates Gut¬ 
achten darüber überreicht hatte. Ich wußte, daß es mir nicht gelungen 
war, ihn zu meiner Ansicht zu bekehren, und darum ließ ich auch meinen 
Dialog mit dem Unparteiischen nicht in eine Einigung ausgehen. 

Ich habe auch nicht erwartet, daß es mir gelingen werde, eine 
einheitliche Stellungnahme zum Problem der Laienanalyse bei den Ana¬ 
lytikern selbst herbeizuführen. Wer in dieser Sammlung die Äußerung 
der Ungarischen Gesellschaft mit der der New Yorker Gruppe zusammen¬ 
hält, wird vielleicht annehmen, meine Schrift habe gar nichts ausgerichtet, 
jedermann halte den Standpunkt fest, den er auch vorher vertreten. Allein 
auch dies glaube ich nicht. Ich meine, viele Kollegen werden ihre extreme 
Parteinahme ermäßigt haben, die meisten haben meine Auffassung 
angenommen, daß das Problem der Laienanalyse nicht nach hergebrachten 
Gepflogenheiten entschieden werden darf, sondern einer neuartigen Situation 
entspringt und darum eine neue Urteilsfällung fordert. 

Auch die Wendung, die ich der ganzen Frage gegeben, scheint Beifall 
gefunden zu haben. Ich hatte ja den Satz in den Vordergrund gerückt, 
es käme nicht darauf an, ob der Analytiker ein ärztliches Diplom besitzt, 
sondern ob er die besondere Ausbildung erworben hat, deren es zur Aus¬ 
übung der Analyse bedarf. Daran konnte die Frage anknüpfen, über die 
die Kollegen so eifrig diskutiert haben, welche die für den Analytiker 
geeignetste Ausbildung sei. Ich meinte und vertrete es auch jetzt, es sei 
nicht die, welche die Universität dem künftigen Arzt vorschreibt. Die 
sogenannte ärztliche Ausbildung erscheint mir als ein beschwerlicher 
Umweg zum analytischen Beruf, sie gibt dem Analytiker zwar vieles, was 
ihm unentbehrlich ist, lädt ihm aber außerdem zuviel auf, was er nie 













Diskussionen 


327 


verwerten kann, und bringt die Gefahr mit sich, daß sein Interesse wie 
seine Denkweise von der Erfassung der psychischen Phänomene abgelenkt 
wird. Der Unterrichtsplan für den Analytiker ist erst zu schaffen, er muß 
geisteswissenschaftlichen Stoff, psychologischen, kulturhistorischen, sozio¬ 
logischen ebenso umfassen wie anatomischen, biologischen und entwicklungs¬ 
geschichtlichen. Es gibt dabei soviel zu lehren, daß man gerechtfertigt ist, 
aus dem Unterricht wegzulassen, was keine direkte Beziehung zur ana¬ 
lytischen Tätigkeit hat und nur indirekt wie jedes andere Studium zur 
Schulung des Intellekts und der sinnlichen Beobachtung beitragen kann. 
Es ist bequem, gegen diesen Vorschlag einzuwenden, solche analytische 
Hochschulen gebe es nicht, das sei eine Idealforderung. Jawohl, ein 
Ideal, aber eines, das realisiert werden kann und realisiert werden muß. 
Unsere Lehrinstitute sind bei all ihrer jugendlichen Unzulänglichkeit doch 
bereits der Beginn einer solchen Realisierung. 

Es wird meinen Lesern nicht entgangen sein, daß ich im vorstehenden 
etwas wie selbstverständlich vorausgesetzt habe, was in den Diskussionen 
noch heftig umstritten wird. Nämlich, daß die Psychoanalyse kein 
Spezialfach der Medizin ist. Ich sehe nicht, wie man sich sträuben kann, 
das zu erkennen. Die Psychoanalyse ist ein Stück Psychologie, auch nicht 
medizinische Psychologie im alten Sinne oder Psychologie der krankhaften 
Vorgänge, sondern Psychologie schlechtweg, gewiß nicht das Ganze der 
Psychologie, sondern ihr Unterbau, vielleicht überhaupt ihr Fundament. 
Man lasse sich durch die Möglichkeit ihrer Anwendung zu medizinischen 
Zwecken nicht irreführen, auch die Elektrizität und die Röntgenstrahlen 
haben Verwendung in der Medizin gefunden, aber die Wissenschaft von 
beiden ist doch die Physik. Auch historische Argumente können an dieser 
Zugehörigkeit nichts ändern. Die ganze Lehre von der Elektrizität hat 
ihren Ausgang von einer Beobachtung am Nervmuskelpräparat genommen, 
darum fällt es heute doch niemand ein zu behaupten, sie sei ein Stück 
der Physiologie. Für die Psychoanalyse bringt man vor, sie sei doch von 
einem Arzt erfunden worden bei seinen Bemühungen Kranken zu helfen. 
Aber das ist für ihre Beurteilung offenbar gleichgültig. Auch ist dies 
historische Argument recht gefährlich. In seiner Fortsetzung könnte man 
daran erinnern, wie unfreundlich, ja, wie gehässig abweisend sich die 
Ärzteschaft von Anfang an gegen die Analyse benommen hat; daraus 
würde folgern, daß sie auch heute kein Anrecht auf die Analyse hat. Und 
wirklich obwohl ich eine solche Folgerung zurückweise — ich bin 

noch heute mißtrauisch, ob die Werbung der Ärzte um die Psychoanalyse 
vom Standpunkt der Libidotheorie auf die erste oder die zweite der 
Abraham sehen Unterstufen zurückzu führen ist, ob es sich dabei um 
eine Besitzergreifung mit der Absicht der Zerstörung oder der Erhaltung 
des Objekts handelt. 

Um beim historischen Argument noch einen Augenblick zu verweilen: 











328 


Diskussionen 


da es sich um meine Person handelt, kann ich dem, der sich dafür 
interessiert, einigen Einblick in meine eigenen Motive geben. Nach 
41 jähriger ärztlicher Tätigkeit sagt mir meine Selbsterkenntnis, ich sei 
eigentlich kein richtiger Arzt gewesen. Ich bin Arzt geworden durch eine 
mir aufgedrängte Ablenkung meiner ursprünglichen Absicht und mein 
Lebenstriumph liegt darin, daß ich nach großem Umweg die anfängliche 
Richtung wieder gefunden habe. Aus frühen Jahren ist mir nichts von 
einem Bedürfnis, leidenden Menschen zu helfen, bekannt, meine sadistische 
Veranlagung war nicht sehr groß, so brauchte sich dieser ihrer Abkömm¬ 
linge nicht zu entwickeln. Ich habe auch niemals „Doktor“ gespielt, meine 
infantile Neugierde ging offenbar andere Wege. In den Jugendjahren 
wurde das Bedürfnis, etwas von den Rätseln dieser Welt zu verstehen und 
vielleicht selbst etwas zu ihrer Lösung beizutragen, übermächtig. Die 
Inskription an der medizinischen Fakultät schien der beste Weg dazu, 
aber dann versuchte ich’s — erfolglos — mit der Zoologie und der 
Chemie, bis ich unter dem Einfluß v. B r ü c k e s, der größten Autorität, 
die je auf mich gewirkt hat, an der Physiologie haften blieb, die sich 
damals freilich zu sehr auf Histologie einschränkte. Ich hatte dann bereits 
alle medizinischen Prüfungen abgelegt, ohne mich für etwas Ärztliches zu 
interessieren, bis ein Mahnwort des verehrten Lehrers mir sagte, daß ich 
in meiner armseligen materiellen Situation eine theoretische Laufbahn 
vermeiden müßte. So kam ich von der Histologie des Nervensystems zur 
Neuropathologie und auf Grund neuer Anregungen zur Bemühung um 
die Neurosen. Ich meine aber, mein Mangel an der richtigen ärztlichen 
Disposition hat meinen Patienten nicht sehr geschadet. Denn der Kranke 
hat nicht viel davon, wenn das therapeutische Interesse beim Arzt affektiv 
überbetont ist. Für ihn ist es am besten, wenn der Arzt kühl und 
möglichst korrekt arbeitet. 

Der vorstehende Bericht hat gewiß wenig zur Klärung des Problems 
der Laienanalyse beigetragen. Er sollte bloß meine persönliche Legitimation 
bekräftigen, wenn gerade ich für den Eigenwert der Psychoanalyse und 
ihre Unabhängigkeit von ihrer medizinischen Anwendung eintrete. Man 
wird mir aber hier entgegenhalten, ob die Psychoanalyse als Wissenschaft 
ein Teilgebiet der Medizin oder der Psychologie ist, sei eine Doktorfrage, 
praktisch ganz uninteressant. Was in Rede stehe, sei etwas anderes, eben 
die Verwendung der Analyse zur Behandlung von Kranken, und insofern 
sie dies beanspruche, müsse sie sich’s gefallen lassen, als Spezialfach in 
die Medizin aufgenommen zu werden, wie z. B. die Röntgenologie, und 
sich den für alle therapeutischen Methoden geltenden Vorschriften unter¬ 
werfen. Ich anerkenne das, gestehe es zu, ich will nur verhütet wissen, 
daß die Therapie die Wissenschaft erschlägt. Leider reichen alle Vergleiche 
nur ein Stück weit, es kommt dann ein Punkt, von dem an die beiden 
Verglichenen auseinandergehen. Der Fall der Analyse liegt anders als der 










Diskussionen 


329 


der Röntgenologie; die Physiker brauchen den kranken Menschen nicht, 
um die Gesetze der Röntgenstrahlen zu studieren. Die Analyse aber hat 
kein anderes Material als die seelischen Vorgänge des Menschen, kann nur 
am Menschen studiert werden; infolge besonderer leicht begreiflicher 
Verhältnisse ist der neurotische Mensch weit lehrreicheres und zugäng¬ 
licheres Material als der Normale, und wenn man einem, der die Analyse 
erlernen und anwenden will, dies Material entzieht, hat man ihn um die 
gute Hälfte seiner Bildungsmöglichkeiten verkürzt. Es liegt mir natürlich 
ferne, zu fordern, daß das Interesse des neurotisch Kranken dem des 
Unterrichts und der wissenschaftlichen Forschung zum Opfer gebracht 
werde. Meine kleine Schrift zur Frage der Laienanalyse bemüht sich eben 
zu zeigen, daß unter Beobachtung gewisser Kautelen beiderlei Interessen sehr 
wohl in Einklang gebracht werden können, und daß eine solche Lösung 
nicht zuletzt auch dem richtig verstandenen ärztlichen Interesse dient. 

Diese Kautelen habe ich alle selbst angeführt; ich darf sagen, die 
Diskussion hat hier nichts Neues hinzugefügt; ich möchte noch aufmerksam 
machen, sie hat oft die Akzente in einer Weise verteilt, die der Wirk¬ 
lichkeit nicht gerecht wird. Es ist alles richtig, was über die Schwierigkeit 
der Differential-Diagnose, die Unsicherheit in der Beurteilung körperlicher 
Symptome in vielen Fällen gesagt wurde, was also ärztliches Wissen oder 
ärztliche Einmengung notwendig macht, aber die Anzahl der Fälle, in 
denen solche Zweifel überhaupt nicht auftauchen, der Arzt nicht gebraucht 
wird, ist doch noch ungleich größer. Diese Fälle mögen wissenschaftlich 
recht uninteressant sein, im Leben spielen sie eine genug wichtige Rolle, 
um die Tätigkeit des Laienanalytikers, der ihnen vollauf gewachsen ist, 
zu rechtfertigen. Ich habe vor einiger Zeit einen Kollegen analysiert, der 
eine besonders scharfe Ablehnung dagegen entwickelte, daß jemand sich 
eine ärztliche Tätigkeit gestatte, der nicht selbst Arzt ist. Ich konnte ihm 
sagen: Wir arbeiten jetzt länger als drei Monate. An welcher Stelle unserer 
Analyse war ich veranlaßt, mein ärztliches Wissen in Anspruch zu nehmen? 
Er gestand zu, daß sich kein Anlaß dafür gefunden hatte. 

Auch das Argument, daß der Laienanalytiker, weil er bereit sein muß, 
den Arzt zu konsultieren, beim Kranken keine Autorität erwerben und 
kein höheres Ansehen als das eines Heilgehilfen, Masseurs u. dgl. erreichen 
kann, schätze ich nicht hoch ein. Die Analogie dürfte wiederum nicht 
zutreffen, abgesehen davon, daß der Kranke die Autorität nach seiner 
Gefühlsübertragung zu verleihen pflegt, und daß der Besitz eines ärztlichen 
Diploms ihm lange nicht so imponiert, wie der Arzt glaubt. Der berufs¬ 
mäßige Laienanalytiker wird es nicht schwer haben, sich das Ansehen zu 
verschaffen, das ihm als einem weltlichen Seelsorger gebührt. Mit der 
Formel „Weltliche Seelsorge“ könnte man überhaupt die Funktion 
beschreiben, die der Analytiker, sei er nun Arzt oder Laie, dem Publikum 
gegenüber zu erfüllen hat. Unsere Freunde unter den protestantischen und 







330 


Diskussionen 


neuerlich auch katholischen Geistlichen befreien oft ihre Pfarrkinder 
von ihren Lebenshemmungen, indem sie ihre Gläubigkeit hersteilen, 
nachdem sie ihnen ein Stück analytischer Aufklärung über ihre Konflikte 
geboten haben. Unsere Gegner, die Adler sehen Individualpsychologen, 
erstreben dieselbe Änderung bei den haltlos und untüchtig Gewordenen, 
indem sie ihr Interesse für soziale Gemeinschaft wecken, nachdem sie 
ihnen einen einzigen Winkel ihres Seelenlebens beleuchtet und ihnen gezeigt 
haben, welchen Anteil ihre egoistischen und mißtrauischen Regungen an 
ihrem Kranksein haben. Beide Verfahren, die ihre Kraft der Anlehnung 
an die Analyse verdanken, haben ihren Platz in der Psychotherapie. Wir 
Analytiker setzen uns eine möglichst vollständige und tiefreichende Analyse des 
Patienten zum Ziel, wir wollen ihn nicht durch die Aufnahme in die 
katholische, protestantische oder sozialistische Gemeinschaft entlasten, sondern 
ihn aus seinem eigenen Inneren bereichern, indem wir seinem Ich die 
Energien zuführen, die durch Verdrängung unzugänglich in seinem 
Unbewußten gebunden sind, und jene anderen, die das Ich in unfrucht¬ 
barer Weise zur Aufrechterhaltung der Verdrängungen verschwenden muß. 
Was wir so treiben, ist Seelsorge im besten Sinne. Ob wir uns damit ein 
zu hohes Ziel gesteckt haben ? Ob auch nur die Mehrzahl unserer Patienten 
der Mühe wert ist, die wir für diese Arbeit verbrauchen ? Ob es nicht 
ökonomischer ist, das Defekte von außen zu stützen als von innen zu 
reformieren? Ich kann es nicht sagen, aber etwas anderes weiß ich. In 
der Psychoanalyse bestand von Anfang ein Junktim zwischen Heilen und 
Forschen, die Erkenntnis brachte den Erfolg, man konnte nicht behandeln, 
ohne etwas Neues zu erfahren, man gewann keine Aufklärung, ohne ihre 
wohltätige Wirkung zu erleben. Unser analytisches Verfahren ist das einzige, 
bei dem dies kostbare Zusammentreffen gewahrt bleibt. Nur wenn wir 
analytische Seelsorge treiben, vertiefen wir unsere eben aufdämmernde 
Einsicht in das menschliche Seelenleben. Diese Aussicht auf wissenschaft¬ 
lichen Gewinn war der vornehmste, erfreulichste Zug der analytischen 
Arbeit; dürfen wir sie irgendwelchen praktischen Erwägungen zum Opfer 
bringen ? 

Einige Äußerungen in dieser Diskussion erwecken in mir den Verdacht, 
als wäre meine Schrift zur Laienfrage doch in einem Punkte mißverstanden 
worden. Die Ärzte werden gegen mich in Schutz genommen, wie wenn 
ich sie allgemein als untauglich für die Ausübung der Analyse erklärt 
und die Parole ausgegeben hätte, ärztlicher Zuzug sei fernzuhalten. Nun, 
das liegt nicht in meiner Absicht. Der Anschein entstand wahrscheinlich 
daraus, daß ich in meiner polemisch angelegten Darstellung die unaus- 
gebildeten ärztlichen Analytiker für noch gefährlicher erklären mußte als 
die Laien. Meine wirkliche Meinung in dieser Frage könnte ich klar 
machen, indem ich einen Zynismus kopiere, der einst im Simplicissimus 
über die Frauen vorgebracht wurde. Dort beklagte sich einer der Partner 













Diskussionen 


331 


über die Schwächen und Schwierigkeiten des schöneren Geschlechts, 
worauf der andere bemerkte: Die Frau ist aber doch das Beste, was wir 
in der Art haben. Ich gestehe es zu, solange die Schulen nicht bestehen, 
die wir uns für die Heranbildung von Analytikern wünschen, sind die 
ärztlich vorgebildeten Personen das beste Material für den künftigen Ana¬ 
lytiker. Nur darf man fordern, daß sie ihre Vorbildung nicht an Stelle 
der Ausbildung setzen, daß sie die Einseitigkeit überwinden, die durch den 
Unterricht an der medizinischen Schule begünstigt wird, und daß sie der 
Versuchung widerstehen, mit der Endokrinologie und dem autonomen 
Nervensystem zu liebäugeln, wo es darauf ankommt, psychologische Tat¬ 
sachen durch psychologische Hilfsvorstellungen zu erfassen. Ebenso teile 
ich die Erwartung, daß alle die Probleme, die sich auf die Zusammen¬ 
hänge zwischen psychischen Phänomenen und ihren organischen, anato¬ 
mischen und chemischen Grundlagen beziehen, nur von Personen, die 
beides studiert haben, also von ärztlichen Analytikern, in Angriff genommen 
werden können. Doch sollte man nicht vergessen, daß dies nicht alles an 
der Psychoanalyse ist, und daß wir für deren andere Seite die Mitarbeit 
von Personen, die in den Geisteswissenschaften vorgefcildet sind, nie 
entbehren können. Aus praktischen Gründen haben wir, auch für unsere 
Publikationen, die Gewohnheit angenommen, eine ärztliche Analyse von 
den Anwendungen der Analyse zu scheiden. Das ist nicht korrekt. In 
Wirklichkeit verläuft die Scheidungsgrenze zwischen der wissenschaftlichen 
Psychoanalyse und ihren Anwendungen auf medizinischem und nicht¬ 
medizinischem Gebiet. 

Die schroffste Ablehnung der Laienanalyse wird in diesen Diskussionen 
von unseren amerikanischen Kollegen vertreten. Ich halte es nicht für 
überflüssig, ihnen durch einige Bemerkungen zu erwidern. Es ist kaum 
ein Mißbrauch der Analyse zu polemischen Zwecken, wenn ich die 
Meinung ausdrücke, daß ihr Widerstand sich ausschließlich auf praktische 
Momente zurückführt. Sie sehen in ihrem Lande, daß die Laienanalytiker 
viel Unfug und Mißbrauch mit der Analyse treiben und infolgedessen die 
Patienten, wie den Ruf der Analyse schädigen. Es ist dann begreiflich, 
daß sie in ihrer Empörung weit von diesen gewissenlosen Schädlingen 
abrücken und die Laien von jedem Anteil an der Analyse ausschließen 
wollen. Aber dieser Sachverhalt reicht bereits aus, um die Bedeutung ihrer 
Stellungnahme herabzudrücken. Denn die Frage der Laienanalyse darf 
nicht allein nach praktischen Erwägungen entschieden werden und die 
lokalen Verhältnisse Amerikas können für uns nicht allein maßgebend sein. 

Die wesentlich von praktischen Motiven geleitete Resolution unserer 
amerikanischen Kollegen gegen die Laienanalytiker erscheint mir 
unpraktisch, denn sie kann nicht eines der Momente verändern, welche 
die Sachlage beherrschen. Sie hat etwa den Wert eines Versuches zur 
Verdrängung. Wenn man die Laienanalytiker in ihrer Tätigkeit nicht 






332 Diskussionen 


behindern kann, im Kampf gegen sie nicht vom Publikum unterstützt 
wird, wäre es dann nicht zweckmäßiger, der Tatsache ihrer Existenz 
Rechnung zu tragen, indem man ihnen Gelegenheiten zur Ausbildung 
bietet, Einfluß auf sie gewinnt und ihnen die Möglichkeit der Approbation 
durch den Ärztestand und der Heranziehung zur Mitarbeiterschaft als 
Ansporn vorhält, so daß sie ein Interesse daran finden, ihr sittliches und 
intellektuelles Niveau zu erhöhen? 

Wien , im Juni Ip2y. 














ZUSCHRIFTEN 


Aus der Kindheit eines Philosophen 

Plotin (etwa 204 — 270 n. Chr.) ist der Begründer der griechischen 
und damit der abendländischen Mystik überhaupt. Sein Schüler Porphyrios 
hat seine Lebensbeschreibung verfaßt. In deren ersten Kapiteln nun stehen 
die folgenden verblüffenden Sätze, die hier nach der Übersetzung von 
Herrn. Friedr. Müller (Berlin 1878) wiedergegeben sind: (c. 1 Anfang) „Der 
Philosoph P 1 o t i n, unser Zeitgenosse, schien sich zu schämen, daß er in 
einem Körper wohne. Diese Anschauungsweise war der Grund, weshalb er 
es nicht über sich vermochte, von seiner Herkunft oder seinen Eltern oder 
seinem Vaterlande etwas zu berichten . . (c. 2 Ende und 3 Anfang) „Was 

er indessen uns selbst von sich in der Unterredungen oftmals erzählt hat, ist 
folgendes. Bis in sein achtes Lebensjahr, da er schon die 
Schule besuchte, sei er zu seiner Amme gegangen und habe 
ihre Brüste, um an ihnen zu saugen, entblößt. Da er aber 
einmal gehört, er sei ein böser Knabe, habe er sich 
geschämt und aufgehört zu saugen. Im 28. Jahre habe ihn ein 
heftiger Drang nach der Philosophie ergriffen. Da habe man ihn denn an 
die Philosophen gewiesen, die um diese Zeit in Alexandria den größten Ruf 
hatten; er aber . . . Einer seiner Freunde . . . habe . . . ihn zum Ammonius 
geführt . . . Als er zu diesem hereingekommen und ihn gehört, habe er zu 
seinem Freunde gesagt: ,Diesen suchte ich‘“ usw. 

{Mitgeteilt von Prof. H. G.) 


Eine Vorwegnahme der psydioanalytisdien Sublimierungstheorie 

Prof G. schreibt uns: 

„Zufällig stoße ich bei einem halb vergessenen Autor auf eine Stelle, die 
Sie vielleicht interessiert, da sie die psychoanalytische Sublimierungstheorie 
auf eine höchst drastische Art vorwegzunehmen scheint. Auch neben der 
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIII/3. 


23 








334 


Zuschriften 


] 


soviel großzügigeren Vorwegnahme derselben Ansicht in der Rede der Diotima 
in Platons Gastmahl (der Eros erhebt sich von den Leibern zu den Seelen, 
von diesen zu den Sitten, dann zu den Wissenschaften, endlich zu den Ideen) 
behält sie vielleicht ihren Wert. 

Francois Hemsterhuys starb 1790. In seiner „Lettre sur les desirs“ 
nun liest man das folgende (Oeuvres Completes, Tome premier, Paris 1809, 
p. 75 f.): „II n’y a personne parmi ceux qui se melent de reflechir et de 
penser, qui ne soit convaincu, par sa propre experience, de la correspondance 
singuliere quHl y a entre les parties de la generation et de nos idees, combien 
de certaines idees causent de changements dans ces parties, et combien 
promptement un changement contraire dans ces parties fait evanouir ces 
idees. 

Je ne conclurai rien de cette singuliere defaillance, qui fixe le moment de 

l union du mäle et de la femelle. Je dirai seulement que de tous les moyens 
physiques dont Vdme se sert dans sa tendance vers une union d’essence, c’est 
celui-la qui non-seulement la mene beaucoup plus loin que tout autre qu'elle 
voudroit tenter, mais encore (ce qui est bien remarquable) c’est celui qui se 
manifeste le plus dans tous ces desirs. J’en appelle a ceux jeunes et vigoureux 
fanatiques, dont les passions en religion, en amour, en amitie y ou dans ce 
desir pour des choses purement materielles, sont extremes; et je gage que, 
tous , sijamais il s o nt r ef l e chi dans l eur s m o m ent s d e f e r- 
v eur, quelle q u ’ ait et e l * 1 e s p e c e de l eur s desirs, ils s’ en sont 
ressentis plus ou moins dans ces parties, oü Platon de ja 
av ait place l e siege de l a c o n cup i s cenc ef 














PSYCHOANALYTISCHE BEWEGUNG 


Dr. Ferenczis Lehrtätigkeit im Ausland 

Dr. S. Ferenczi, Präsident der Ungarischen Psychoanalytischen Vereini¬ 
gung, beendigte am 2. Juni 1927 seine achtmonatige Lehrtätigkeit in den 
Vereinigten Staaten von Amerika. Die Einladung an ihn erging von der 
New School for Social Research, einer unter Dr. Alwin J ohnson’s 
Rektorat tätigen Schule. In dieser gab er in 18 Vorträgen eine zusammen¬ 
fassende Darstellung der Entwicklung und des heutigen Standes der Psycho¬ 
analyse. In 25 Seminarabenden lehrte er in der unlängst gegründeten Gruppe 
amerikanischer Laienanalytiker. Zehn Seminarabende gab er einer aus etwa 
20 Mitgliedern bestehenden Gruppe ärztlicher Psychoanalytiker. Die „New York 
Society for Clinical Psychiatry“ lud ihn zum Halten der Eröffnungsrede der Jahres¬ 
sitzung ein. Der Vortrag („Gulliver Phantasies“) wird in dieser Zeitschrift 
erscheinen. Dr. S a 1 m o n, Professor der Psychiatrie an der Columbia-Universität, 
sowie Professoren der psychologischen Fakultät daselbst veranlaßten ihn, den 
Universitätshörern Vorträge über die Analyse zu halten. Weitere Einzelvorträge 
hielt er in der New York Psychiatric Society, in der Child Study Association, 
sieben Vorträge in Washington den Mitgliedern der dortigen psychoanalytischen 
Gruppe, einen in der Gesellschaft der Ärzte in Philadelphia, zwei dem Professoren¬ 
kollegium der Columbia-Universität, je einen in der Ungarischen Ärztevereinigung 
von New York und in der Vereinigung für Soziale Arbeit. Dabei übte er 
individuelle Lehrtätigkeit aus. Auf der Rückreise wurde er in London von 
der British Psycho-Analytical Society empfangen; er hielt daselbst einen freien 
Vortrag wie auch einen zweiten in der British Psychological Society über 
Erziehungsfr^gen. Ein kurzer Besuch bei den führenden Mitgliedern der 
Pariser und der Berliner Gruppe bildete den Abschluß seiner Auslandsreise. 


2 3 < 








336 


Psydioanalytisdie Bewegung 


Deutschland 

Frau Dr. F. Lowtzky hielt auf Einladung der russischen Sektion des 
„Internationalen Verbandes akademisch gebildeter Frauen“ in Berlin am 
24. Juni 1927 einen Vortrag über die Psychoanalyse. 

* 

Zum ersten Vorsitzenden einer Berliner Gruppe der deutschen „Arbeits¬ 
gemeinschaft von Medizinern und Theologen“, die sich am 31. März d. J. 
konstituierte und die sich zum Ziele setzt, die aus der Zusammenarbeit von 
Psychotherapeuten und Seelsorgern sich ergebenden theoretischen Probleme und 
praktischen Aufgaben zu bearbeiten, wurde ein Psychoanalytiker, Dr. M ü 11 e r- 
Braunschweig, gewählt. 


England 

Frau Melanie Klein hielt am 23. März 1927 in der „British Psycho- 
logical Society“ in London einen Vortrag über „Criminal tendencies in normal 
children “. 


Österreich 

Im „Akademischen Verein für medizinische Psychologie" hielten über 
Aufforderung vor einer zahlreichen studentischen Hörerschaft Dr. Paul 
Federn einen zehnstündigen Kurs „Einführung in die Psychoanalyse" und 
Dr. Wilhelm Reich einen zwanzigstündigen Kurs „Psychoanalytische Theorie 
und Neurosenlehre". — Dr. Paul Federn sprach im Rahmen des Vereines 
„Die Bereitschaft" über „Soziologie des Zölibats". 

* 

Anläßlich der 250. Wiederkehr des Todestages Spinozas hielt Dr. Karl 
Gebhardt (Frankfurt a. M.) im Wiener jüdisch-akademischen Philosophen¬ 
verein einen Vortrag, in dem er auch der Beziehungen der Psychoanalyse 
zu den Lehren Spinozas in ausgezeichneter Weise gedachte. 


















REFERATE 


Aus den Grenzgebieten 

Kern, Benno, und Schöne, Fritz: Sonderstellung gewisser 
Farbtöne und Heilbehandlung von F ar bensch wache. 
(Abhandl. a. d. Gebiete d. Psychotherapie u. med. Psychol., 2. Heft.) 
Enke, Stuttgart, IQ25- 

Diese fleißige und umsichtige Arbeit interessiert den Psychoanalytiker 
insofern, als aus ihr ersichtlich wird, welche Schwierigkeiten einer physio¬ 
logischen Interpretation psychischer Phänomene auch in einem scheinbar so 
durchsichtigen Gebiete wie das Farbensehen gegenüberstehen. Es müsse einer 
entwicklungspsychologischen Interpretation nach dem Vorbilde 
der Wun dt sehen Farbentheorie der Vorzug gegeben werden. Im Traume 
eines gründlich untersuchten Farbenschwachen sollen die Farben eine ganz 
geringe Rolle spielen; während zwei Jahren sollen nur drei Traumerlebnisse 
mit deutlichen Farben erlebt worden sein. Leider werden die Trauminhalte 
nicht mitgeteilt. Hermann (Budapest) 

Henning, Hans: Psychologische Studien am Geruchs¬ 
sinn. (Handbudi d. biol. Arbeitsmethoden, Abt. VI, Teil A, Heft 50 
Urban und Sdiwarzenberg, 1926. 

Die Darstellung des Gegenstandes findet man hier, dem knapperen Umfange 
entsprechend, geschlossener als im Handbuch des Verfassers (Besprechung 
s. „Imago“, XI, S. 191). Die Methodik der Untersuchungen wird auch hier 
anschaulich vorgeführt, ebenso werden viele psychische Eigentümlichkeiten des 
Geruchssinnes lehrreich besprochen. So sollen hier negative Nachbilder noch 
gänzlich fehlen, die Metamorphose vom eidetischen in den erwachsenen 
Habitus, welche beim Gesichtssinn vor der Pubertät eintritt, wird also hier 
nicht durchgemacht. Auch die Geruchsnamen verraten eine primitivere 
Stufe, indem sie unübertragbar an ihren individuellen Geruchsobjekten haften. 






338 


Referate 


Der Geruchssinn wird unbestreitbar als unser empfindlichster Sinn anerkannt 
Erwähnenswert wäre, daß Fäkaliengerüche Mischungen die Qualität 
des Schweren und Lastenden verleihen. 

Durch ein möglichstes Meiden der Besprechung der sexuellen Bedeutung des 
Geruchssinnes wird kein ganz korrektes Bild des Geruchslebens entworfen. 
Die Ausarbeitung der riechanalogen Denk schritte, der Denkmethoden 
des Riechens, wird nicht einmal versucht, die Unterscheidung von Gegeben- 
heits- und Gegenstandsgerüchen ist nur ein allererster Anfang dazu. In der 
Gefühlswirkung des Geruches wird das H i s t o r i s c h e, das ursprünglich 
magische Verbot richtig hervorgehoben und auf die späteren Rationalisierungen 
verwiesen. Ein psychoanalytisches Verständnis fehlt aber auch hier, z. B. bei 
er Erklärung der ambivalenten Geruchswirkung der Bananen bei manchen 
ern - Hermann (Budapest) 

^ r j aUS t>^ r °^ ^ r "i .Allf e ™ eine und spezielle Pathologie 
der Person, klinische Syzygiologie, besonderer Teil I: Tiefen¬ 
person. (253 S., Verlag Thieme, Leipzig, IQ2Ö.) 

Das vorliegende Werk, das den zweiten Band einer „allgemeinen und 
speziellen Pathologie der Person darstellt, verdient große Beachtung nicht 
nur vom Somatologen, sondern auch vom Psychoanalytiker. Besonders wer 
sich für die somatische Seite des Libidobegriffes und die organischen Grund¬ 
lagen des Affektlebens, die vegetativen Funktionen, interessiert, wird dieses 
leider nicht leicht lesbare — Buch mit viel Gewinn studieren, obgleich 
der Autor nur an einer einzigen Stelle auf die Freud sehe Trieblehre 
zuruckkommt: „Der heute erfolgreichste medizinische Triebpsychologe 

i>. Freud kommt übrigens am Ende selbst zum Schluß, daß die Triebe 
und ihre Umwandlungen das letzte seien, was seine Psychoanalyse erkennen 
kann. Ehe ,höheren Strebungen sollen auf die o r g an i s ch e Grundlage des 
Charakters zurückgeführt werden und ihre Untersuchung der Biologie anheim- 

fa len. Ich möchte aber glauben, daß das noch viel mehr für die ,Triebe“ 
gilt. (S. 4.) 

Der neue, und wie dem Referenten scheinen will, höchst fruchtbare Kem- 
gedanke des Werkes ist die Idee einer die „Tiefenperson“, den Kern des 
Biosystems, ausmachenden „vegetativen Strömung“, als einer „schlecht- 
™ V _ lta en ’ das tlefste Wesen des Menschen bildenden, spontan dranghaft 
schöpferischen, primär angelegten, nicht erst reaktiv entstandenen innerlichen 
Instanz. . (S. 5.) Hat man sich als Analytiker einmal mit dem Begriff einer 
vegetativen Strömung befreundet, so erkennt man in ihr an den Funktionen 
die der Autor ihr zuschreibt, unschwer einen Ausdruck dessen, was man in 
der Psychoanalyse „somatische Libido“ nennt: „Hauptsache scheint mir die 
orientiert angepaßte Fortführung des Lebens, die vegetative Strömung als 
wahrer Hintergrund aller Reaktion und Entwicklung ... Im Biosystem der 
Person selbst sehe ich ein Erregungssystem, eine relaisartige Auslöse¬ 
vorrichtung, einen auf Ladung (Arbeitsspeicherung) und Entladung 
eingerichteten Apparat ... 8 

Die „Nässetheorie des Lebens“, die der Autor mit einer Fülle von Belegen 
aus den verschiedensten naturwissenschaftlichen Gebieten entwickelt, gehört 


















Referate 


339 


zu den interessantesten und einleuchtendsten Erörterungen auf biologischem 
Gebiete. Die vegetative Strömung stellt eine Flüssigkeitsbewegung im Gewebe, 
eine Wasserbewegung im Körper dar und ist abhängig teils von mecha¬ 
nischen, teils elektrolytischen Vorgängen im Protoplasma. Die Erörterung der 
Elektronik im Biosystem nimmt den breitesten Raum ein. Durch die neu¬ 
artige Erörterung der antagonistischen Wirkungen, welche die K- und Ca- 
Ionen haben, erscheint auch die Funktionsweise des vegetativen Systems in 
neuem Lichte. Die vegetative Strömung enthüllt ihr Wesen am deutlichsten etwa 
in der Protoplasmaströmung der Amöbe. Die Lokomotion der Amöbe hängt 
mit dieser Protoplasmabewegung unmittelbar zusammen. Im Protoplasma sieht 
man zwei Strömungen, eine innere und eine dieser entgegengesetzte äußere. 
„Wird das bewegte Tier mit einem festen Gegenstand berührt, wenden sich 
die inneren Strömungen davon ab. Manchmal kehrt eine Amöbe, wenn sie 
mit einem festen Körper in Berührung tritt, nachher um und bewegt sich 
gegen ihn.“ Wenn mehrere Pseudopodien ausgestreckt sind und ein Pseudo¬ 
podium mit etwas Festem in Berührung kommt, so stellt sich eine Proto¬ 
plasmaströmung in der Richtung des einen Pseudopodiums ein, während ie 
anderen infolge abströmenden Plasmas eingezogen werden. Im menschlichen 
Organismus zeigen am besten zwei Organe, die Lungen und das Herz, das 
Verhalten des vegetativen Erregungsausgleichs. Das Vegetative arbeitet im 
höheren Organismus im Gegensätze zu den animalischen Systemen durch 
Erregungsausgleich; als Beispiel dafür führt der Autor die Funktionsweise 
des sexuellen (genitalen) Systems an. Wir können leider in diesem Rahmen 
eines kurzen Referats nicht auf Einzelheiten des Werkes eingehen. Es sollte 
nur angedeutet werden, mit welchen Problemen es sich beschäftigt. 

Mit den Ansichten des Autors über das Neurosenproblem sich auseinander¬ 
zusetzen, halten wir noch nicht für angebracht, weil uns der Kontakt seiner 
physiologisch-biologischen Entdeckungen mit unserer psychologischen Forschung 
noch nicht hergestellt scheint; wir vermeiden diese Auseinandersetzung sogar, 
obgleich der Autor an einigen Stellen psychologische Probleme streift und, 
wie uns scheint, sie in voreingenommen physiologischer Art betrachtet. Eine 
genauere Bekanntschaft mit dem psychoanalytischen Libidobegriff hatte den 
Autor gewiß vor einigen unrichtigen Behauptungen geschützt, ja, im Gegen¬ 
teil, sie hätte seine Entdeckung nur bereichert. W. Reich (Wien) 

Hoffmann, Hermann: Das Problem des Charakter¬ 
aufbaues, seine Gestaltung durch die erbbiologische Personhch- 
keitsanalyse. Berlin, Jul. Springer Verl., IQ2Ö. 

Da alles Erworbene, also auch der Charakter, nur eine neue Ausprägung 
der Konstitution ist, handelt es sich darum, in der Hülle des charakterologischen 
Phänomens jeweils den vererbten Kern, das radikale Gen zu entdecken das 
nun dadurch seine biologische Qualität zu erweisen hat, daß es im Charakter¬ 
ausdruck der Vorfahren gefunden wird. Es ist nicht anzunehmen, daß eine 
charakterologische Einheit jeweils einem bestimmten Gen entspricht, sie 
kann auch Ausdruck einer gelungenen Synthese aus verschiedenen Erbwurzeln 
sein Andererseits wird eine Anzahl von einander unterscheidbarer Charakter¬ 
eigenschaften eine bestimmte Qualität dem gleichen Gen zu verdanken haben. 






340 


Referate 


Die Erbeinheit selbst zu erfassen, kann natürlich auf dem Wege der Empirie 

Ät 1 " “ ch ,h - häd ““- 

Hoff mann schickt seiner eigentlichen Arbeit zwei Kapitel voraus in 
denen er einen Überblick über die bisherigen Leistungen auf dem Gebiet’der 

scEt P ihm°di Sle l der PSyCh °! 0gie d6S Charakteraufbaues gibt. Einmal 
Es handelt^ T ’ TT daS ^Sprechendste Ausdruckmittel zu sein. 

E handeh sich nicht darum, das beste System überhaupt herauszufinden, sondern 

alle zu kennen, um gegebenenfalls das richtige oder die richtigen zu wählen: denn 

DafSf T? dem Erbbiolo g en Ausdrucks- mittel bleiben. 

durch p T Sr A ? aM umsichti S mit kritischer Zurückhaltung 

ffit Smmt k? T f T* f ° lgendeS: ” Die individuelle Person 

zustande “ Ne in k n eSW F f TT , S™ 6 der S e S ebenen Einzelanlagen 
tande. „Nein! Die Einzelanlagen, die biologischen Anlageelemente stehen 

jeweils in ganz bestimmten strukturellen Beziehungen zu einander “ Ja jede 

einzelne Charakteranlage repräsentiert eine gewisfe ,Kraft“, “e ist ein <W 

mischer Art“ (Die ^ *** Ankgen ZU einander sind d yna- 

mischer Art („Die ganze Betrachtungsweise läuft auf eine psychodynamische 

Vererbungslehre heraus.“) Es handelt sich also nicht um ein Nebene”er 

öknu 6 ™- r n, ” Mehrdimen si°nalität“ des Charakters, bei der die 
Ökonomischen Verhältnisse ausschlaggebend sind. 

Dort z - B., wo starke Charakterantinomien vorhanden sind, kann bei Ver- 
an erung er Lebensumstände ganz unerwartet eine vorher nicht zu 
stimmende Charakterveränderung reaktiv eintreten, andere Eigenschaften 
übernehmen die Führung, es findet eine „Strukturverschiebung“ S statt, eine 
Ökonomische Verlagerung. „Je widerspruchsvoller ein Charakter aufgebaut ist 
desto enger sind seine Beziehungen zur Psychopathologie. Darin stimmen z ß’ 
auch die Psychopathen und die genialen Persönlichkeiten überein, daß ihre 

Äf !romlt e Tr P stehen. So müssen wir denn 

em Moment der Psychopathogenese in der sogenannten ,Keimfeindschaft‘ 

der AnWen^bJ 1 ht”“ I T T ^ SOndern aucb auf die Intensität 

u f b ® zleht Auch endogene Strukturverschiebungen, wie sie in jeder 
menschlichen Entwicklung zu beobachten sind, lassen einmal diese einmal 
jene Charaktereigentumlichkeiten hervortreten. 

Von psychoanalytischer Seite darf vielleicht betont werden, daß die 

kranken daß süTni h^ T^ V T •S e2WUn S en ist > Gesamt daran 
ranken, daß sie nicht berücksichtigen, was am charakterologischen Phänomen 

Anlage, was erworbene Modifikation derselben ist. Die Erblichkeitsforschung 

wird einen nicht unbedeutenden Schritt vorwärts tun können, wenn erst die 

Möglichkeit besteht, die psychoanalytischen Erfahrungen mitzuverwerten Das 

psychoanalytische Arbeüsprinzip, charakterologische Eigenschaften soweit wie 

wird dieT V T C T , ( “ fantilen) Erfahrungen und Eindrücken zu erklären, 
her förd TT bl ° l0glSchen Charakterkerns von einer neuen Seite 
her fordern. Andererseits mag uns Hoffmanns Arbeit anregen unser 
ugenmerk mehr als bisher der Erbanlage zuzuwenden. Der phylogenetische 

immerhin^ au T “f ~ ÄS 

ExStu W*““ 1 )'“«''“ S«>>« !■« nri, wissenschaftlicher 

Bally (Berlin) 


























Referate 


341 


Mette, Alexander: Dionysische Perspektive. Dion.-Verl, 
Dessau, 1926 . 

Auf 15 Seiten wird nicht wenig geistreich versucht, die kulturellen 
Strömungen, aus denen die geistige Gegenwart entstand, in ihrem sinnvollen 
Zusammenspiel zu sehen. Das geschieht auch hier, wie in all diesen mehr 
anregenden als belehrenden Versuchen, nicht ohne der einen oder anderen 
Erscheinung Gewalt anzutun. B a 11 y (Berlin) 

Aschner: Gynäkologie und innere Sekretion. Rudolf 
Novak & Co., Budapest-Leipzig, 1927 . 

Der Autor weist darauf hin, daß die Lehre von der inneren Sekretion in 
den letzten Jahren insofern eine Wandlung erfahren hat, als man die letzten 
Ursachen für innersekretorische Störungen nicht mehr einseitig in Ver¬ 
änderungen der betreffenden Drüsen selbst sucht, sondern immer mehr die 
Abhängigkeit erkennt, in der die Drüsentätigkeit von Konstitution, Stoff¬ 
wechsel und Zentralnervensystem steht. Diese Korrelation und ihre Bedeutung 
für die Therapie führt der Autor dann speziell für das Gebiet der Gynäkologie 
aus. Er zeigt also etwa, wie menstruelle Störungen zwar abhängig sind von 
der Funktion des Ovariums, wie aber die ovarielle Tätigkeit ihrerseits in 
engster Wechselbeziehung steht zu anderen Organfunktionen und zu nervösen 
Einflüssen. 

Diese Zusammenhänge sind auch für den Analytiker von Interesse. Wenn 
auch in der vorliegenden Arbeit seelische Einflüsse hur an vierter oder fünfter 
Stelle, etwa neben Obstipation und sitzender Lebensweise, erwähnt sind, so 
ermöglicht uns, die wir die Bedeutung seelischer Faktoren kennen, die Dar¬ 
stellung dieser Zusammenhänge ein besseres Verständnis für die Wege, auf 
denen seelische Störungen zu funktionellen Organstörungen führen können. 
Das ist zunächst nur ein theoretischer Gewinn, aber es bleibt ja abzuwarten, 
wie weit derartige Kenntnisse sich nicht auch einmal in einer kombinierten 
Therapie der Organneurosen auswirken könnten. H o r n e y (Berlin) 

Die Medizin der Gegenwart in Selbstdarstellungen. 
Herausgegeben von Prof. Dr. L. R. Grothe, 5« Rand, Verlag 
von Felix Meiner, Leipzig, IQ25- 

Der fünfte Band enthält die Selbstdarstellungen des Chirurgen Braun 
(Zwickau), des Neurologen Henschen (Stockholm), des Ophthalmologen 
Peters (Rostock), des Neurohistologen Ramon y Cajal, des Internisten 
Sahli (Bern). Reizvoll ist auch wieder in diesem Band das Zusammenspiel 
des Persönlichen und des Werkes. Den Leser wird es interessieren, wenn er 
von dem Chirurgen Braun vernimmt, wie dieser frühzeitig die Eltern ver¬ 
liert, von zwei Verwandten mehr verzogen als erzogen wird, sich bald als 
Alleinherrscher im Hause fühlt, einen unbezähmbaren Freiheitsdrang zeigt, ein 
schlechter Schüler ist, die Musik liebt und nur auf Anraten von Verwandten 
Medizin studiert. Der Psychologe mag fragen: Besteht zwischen dieser Kindheits¬ 
geschichte und dem Umstand, daß Braun sich der Chirurgie zuwandte und 
sich in der überwiegenden Zahl seiner Untersuchungen mit den Methoden 
der Narkotisierung und Anästhisierung beschäftigte, ein Zusammenhang? 










342 


Referate 


Der Schwede Henschen verweigert die Konfirmation, den Studenten- 
und Ärzteeid, und wird dadurch indirekt der Anreger einer liberalen Reform, 
durch die der Studenten- und Ärzteeid abgeschafft und die Konfirmation nicht 
mehr als Bedingung für eine spätere Trauung verlangt wird. Interessant ist 
es, von ihm zu hören, daß ihn „das Studium über die Sehbahn und das 
Sehzentrum während etwa dreißig Jahren interessiert und einen wesentlichen 
Teil seines Lebens in Anspruch genommen hat“. 

Ramon y Cajal kämpft von früher Kindheit an einen hartnäckigen 
Kampf mit seinem Vater, der, selber Arzt, ihn durchaus auch zum Arzt 
machen will, während der Sohn von einer leidenschaftlichen Liebe zum 
Zeichnen und Malen beherrscht ist. Er muß seinem Vater schließlich nach¬ 
geben, studiert Medizin, aber seine zeichnerische Begabung kehrt auch hier, 
aus der Verdrängung sozusagen, wieder: er wird der Begründer der spanischen 
Histologie, speziell der des Nervensystems. 

Die oft beobachtete Erscheinung, daß gerade unter den Medizinern sehr 
viele eine besondere Neigung und Begabung für die Musik besitzen, läßt sich 
auch wieder durch diesen Band bestätigen. Braun komponiert, Henschen 
singt (er ist vor seiner Studienzeit verschiedene Male als Konzertsänger auf¬ 
getreten), Peters und Sahli haben eine besondere Liebe zur Musik. 

Müller-Braunschweig (Berlin) 


Pear 1, Raymond: The Biology of Death. Lippincott, London. 

Dieses Buch, von einem der führenden Männer der Wissenschaft in Amerika 
geschrieben, ist von großer Bedeutung und sehr interessant. Wir erwähnen es 
hier, weil sehr viel darin Zusammenhänge mit Freuds späteren Arbeiten, 
besonders mit seinem „Jenseits des Lustprinzips“, aufweist. Wer sich an die 
Stellen erinnert, wo von der potentiellen Unsterblichkeit die Rede ist, wird mit 
Interesse hören, daß Professor Pearl nach sorgfältiger Würdigung aller 
Argumente im Gegensatz zu Freud zu dem endgültigen Schluß gelangt, daß 
alle einzelligen Organismen unsterblich sind. Dasselbe gilt natürlich für die 
Keimzellen vielzelliger Lebewesen, und die letzte Arbeit von Carrel will 
offenbar beweisen, daß auch die somatischen Zellen vielzelliger Organismen 
an sich unsterblich sind und diese Eigenschaft nur durch die Einfügung in 
den Verband des vielzelligen Organismus verlieren. Das Todesphänomen ist 
daher in keinem Sinn Grundbedingung für vitale Organismen, sondern ist erst 
in einer verhältnismäßig späten Entwicklungsstufe aufgetreten. 

Aus der Reihe der anderen interessanten Ergebnisse Professor Pearls 
wählen wir die folgenden aus: Die Sterbeziffer der Säuglinge hat stark 
selektiven Charakter, so daß die unterschiedslose Lebenserhaltung in diesem 
Alter geringere Durchschnittslebensdauer der späteren erwachsenen Bevölkerung 
bewirkt. Die aus früheren Geschichtsperioden, selbst einschließlich der der 
alten Ägypter, gesammelten Beispiele zeigen eindeutig, daß die Lebensaussichten 
im mittleren Alter heute bedeutend geringer sind als früher, wohingegen 
die Lebensaussichten bei der Geburt in sehr hohem Maße zugenommen haben. 

An Hand eines ungeheuren Tatsachenmaterials zeigt Professor Pearl, daß 
die wirklichen Todesursachen nicht vom bloßen Zufall diktiert sind, sondern 
im großen und ganzen bestimmten Gesetzen unterliegen. So sterben bis zum 

















Referate 


343 


Alter von fünfzig Jahren mehr Leute infolge von Erkrankungen des Respirations¬ 
traktes als irgendeines anderen Systems. Nach diesem Alter spielt das Herz 
die Rolle, die früher von den Lungen eingenommen wurde. Die Nieren 
stehen in dieser Hinsicht an dritter. Stelle. Bei einer Einteilung des 
Materials mit Rücksicht auf die affizierbarste Schichte des Embryos kommt 
er zu dem Ergebnis, daß das Endoderm die verletzlichste, das Ektoderm die 
relativ unempfindlichste Schichte darstellt. Dies hängt mit dem Umstand 
zusammen, daß das Endoderm die geringsten Anpassungsumwandlungen im 
Laufe der Entwicklung durchgemacht hat. Professor Pearl bestätigt die 
Resultate, zu denen die früheren Autoren gekommen waren, daß die 
Heredität den wichtigsten Faktor zur Determinierung der Lebensdauer dar¬ 
stelle. Er stellt die Hypothese auf, daß durch die Erbfaktoren das Ausmaß 
an Lebensenergie bestimmt sei, mit dem das Individuum seine Existenz 
beginnt, während die Umgebung die Lebensdauer hauptsächlich beeinträchtigt, 
indem sie das Maß der Energieausgabe bestimmt; grob ausgedrückt also: Je 
tätiger die Umwandlungen, desto kürzer das Leben. 

Das letzte Kapitel des Buches behandelt den Malthusianismus und das 
Bevölkerungsproblem. Diese sind in sehr neuartiger und systematischer Form 
dargestellt. Jones (London) 


Aus der p s y ch ia tr is ch-n eu ro 1 o gis chen Literatur 

Lange, Doz. Dr., L: Die Paranoiafrage (Handbuch für 
Psychiatrie, Deuticke, 1927)- 

Der Autor bemüht sich in dieser 50 Seiten starken Broschüre redlich, 
Ordnung in das verworrene Problem der Paranoia vom psychiatrisch- 
klassifikatorischen Standpunkt aus zu bringen, was ihm aber — ohne seine 
Schuld — nicht recht gelingen will. Man beendet die Lektüre verwirrter, 
als man sie begann. Die Ansichten von nicht weniger als 117 Autoren 
werden hier einander gegenübergestellt und kaum zwei Autoren sind sich 
über Grundsätzliches einig. Ein Referat ist einfach technisch unmöglich. Es 
wimmelt von weltfremdem psychiatrischem Jargon (S. 6): „Die Paranoia 
erscheint so als eine Ausdrucksform der Entartung, wobei nur oder doch 
ganz vorwiegend innere Ursachen maßgebend sind“; . .. „folgerichtige Ent¬ 
wicklung einer abnorm veranlagten Persönlichkeit“ . . . „Verirrung der Ent¬ 
wicklung bestimmter Degenerationsformen“ . . . „Mißentwicklung einer 
krankhaften Anlage“ . . . „natürliche Umwandlungen, denen eine psychische 
Mißbildung unter dem Einfluß der Lebensreize unterliegt“ ... u. s. f. 

Nicht daß diese 117 Forscher über die Paranoia so wenig Wesentliches 
sagen konnten, sondern daß man glaubt, mit Begriffen wie „Verschiebung 
der seelischen Gleichgewichtsverhältnisse“, „Mißbildung“, „innere Ursachen“, 
„psychogen“ usw. reale Tatbestände zu treffen, ist das Tragische an der 
offiziellen Psychiatrie. Freilich bewundern wir das Kunststück — wenn wir 
es auch begreifen —, für die Annahme Freuds von verdrängter Homo¬ 
sexualität bei der Paranoia „keinen Anhaltspunkt“ (S. 42) zu finden. 

W. Reich (Wien) 














344 


Referate 


Schneider, Prof. Dr., Kurt: Die abnormen seelischen 
Reaktionen (Handbudi der Psychiatrie, Deutidke, 1927 ). 

Bei aller Anerkennung der Verdienste, die sich die klassifizierende 
Psychiatrie bei der Abgrenzung von Zustandsbildern erworben hat, muß 
man staunen, wie wenig den Autoren, die die ursprünglich wertvolle Arbeit 
Kraepelins fortsetzen, die Fruchtlosigkeit ihrer endlosen Klassifikationen 
bewußt wird. Die Oberflächlichkeit dieser Arbeit, die vorwiegend darin 
besteht, daß Klassifizierungsergebnisse anderer Autoren wieder klassifiziert werden, 
daß man endlos Meinungen und Ansichten wiedergibt, eine vager und der 
Wirklichkeit fremder als die andere, kann man sehen, wenn die Autoren 
sich mit Problemen befassen, die dem Psychoanalytiker geläufig sind, also 
etwa mit der Angst (S. 15): „Daß manche Formen des Pavor nocturnus, 
dessen Literatur man bei Epstein findet, auf . . . Reaktionen auf nicht 
bewußte Traumerlebnisse . . . zurückgehen, dürfte am wenigsten Widerspruch 
finden, wenn man auch die mitwirkende Rolle von adenoiden Vegetationen, 
^199°^ ^ e ^ n ^ erun £ der Atmung zu einer Kohlensäureintoxikation führen 
(Rey ), für das Da-sein mancher Fälle, namentlich kindlichen Pavors, 
nicht leugnen wird. Die Angstneurose gehe namentlich auf schuldhafte 
Erlebnisse zurück. Dann heißt es wieder: „Bekanntlich hat dann Freud... 
die sexuelle Ätiologie der Angstneurose vertreten. Im einzelnen war seine 
Deutung eine schwankende: teils hat er den Ursprung der Angst im 
Geburtsakt, teils in Sexualscheu und unbefriedigter Sexualität gesehen . . . 
Ganz neuerdings hat Freud seine Anschauungen über die Angst wieder 
gewandelt und in seine Metapsychologie vom ,Ich und Es' eingebaut.“ 

Auf 34 Seiten werden in dieser Art die Ergebnisse von 271 (!) zum 
Teil sehr umfangreichen Arbeiten und Büchern kritisch zusammengestellt. 
Der Nutzen ist fraglich und wiegt keineswegs die Verwirrung auf, die 
gestiftet wurde. W. Reich (Wien) 

Blühe r, Hans: Traktat über die Heilkunde, ins¬ 
besondere die Neurosenlehre (Diederidis, IQ2Ö). 

Man braucht, ja man kann mit diesem Buche vielleicht nicht einverstanden 
sein, und muß doch einräumen, daß Blüh er an viele wunde Stellen der heutigen 
Medizin gerührt hat. Er kritisiert die Verquickung der Heilwissenschaft mit 
d em »großen Hexensabbat der Heilmittelindustrie“, die Massenproduktion von 
Ärzten, unter denen die wenigsten „berufen“ sind, er zeigt, daß der Fortschritt, 
der durch wunderbare Apparate erzielt wurde, wettgemacht wurde durch den 
Verlust des »Fingerspitzengefühls , das den alten berufenen Arzt auszeichnete. 

Diese Kritik der amerikanisierten Medizin wäre vielleicht noch weit 
fruchtbarer ausgefallen, hätte B 1 ü h e r nicht recht merkwürdige Konsequenzen 
aus den schwachen Seiten der Heilkunde gezogen. Er verherrlicht nämlich 
die Alchimie gegenüber der Chemie, die Astrologie gegenüber der Astronomie, 
die Priestermedizin gegenüber der naturwissenschaftlichen Medizin. Hier ist 
Blüh er schwer anzugreifen, denn er verurteilt auf den anderen Seiten 
wieder die Alchimisten und Astrologen, ohne aber je seinen Standpunkt 
gegenüber den Geheimwissenschaften klar zu präzisieren. 

Man muß an dem Buche aussetzen, daß dort, wo der Autor den Boden 
















Referate 


345 


sachlicher Kritik verläßt, und insbesondere dort, wo er schöpferisch Neues 
geben will, sich die Diktion in unklare, teilweise mysteriöse Undeutlichkeiten 
verliert; an manchen Stellen scheint der Autor selbst das Unzulängliche 
seiner Beweisführung zu spüren und flüchtet dann zu der Auskunft aller 
derjenigen, die für die allein seligmachende Intuition eintreten. So ungefähr: 
„Wer das nicht von selbst versteht, dem ist nicht zu helfen.“ 

Aber trotz der sehr dunklen und sehr bedenklichen Mystizismen, denen 
der Autor unterliegt, strahlt aus dem Buche doch ein ehrliches, wahres 
Wollen. Deshalb, und weil das Buch in der Hauptsache der Psychoanalyse 
gilt, wollen wir uns ausführlicher mit einzelnen Punkten seiner Polemik 
befassen. 

Nachdem der Autor ausgeführt hat, wie und warum sich die Medizin in 
einer schweren Krise befindet, und daß nur mehr die Naturärzte die verloren 
gehende Kraft der Medizin restituieren könnten, versucht er zu zeigen, daß 
der uralte Kampf zwischen Priestermedizin und hippokratischer Heilkunde 
noch heute andauere als Kampf zwischen Schäferärzten, Wunderdoktoren 
und der „geschlossenen Kaste der Ärzte“. Der wahre Arzt sei eben nur der 
„homo religiosus“; das sei nicht derjenige, „der edle Gefühle über Gott 
hat . . sondern jemand, der dem Wissen und der Kraft nach über 
Verbindungen verfügt, die anderen Menschen fehlen. Daher sind ihm 
bestimmte Aufgaben von der Natur zugeteilt, die er erfüllt, ohne das 
geringste davon verlauten zu lassen, die aber ganz gewiß kein anderer erfüllen, ja 
auch nur begreifen kann“. (S. 23.) So sei die Homöopathie „eine reine und 
hochstrebende Medizin, die im Vergleich zu der meist völlig ratlosen 
allopathisch-toxischen die erstaunlichsten Erfolge zeitigt. Aber diese Erfolge 
sind nur gesichert in der Hand von Ärzten, die zugleich hochgebildet sind 
und jenen ureigenen Anschluß an die Natur besitzen, der es ihnen erlaubt, 
den ganzen Menschen zu überblicken. Das ,Dirigieren 4 der Salze wird eben 
vom Himmel geschenkt und läßt sich nicht in feste Dosierungen pro 
Krankheit niederlegen“. Was in jedem einzelnen Falle zu geschehen hat, 
kann nur ein Arzt „von Gottes Gnaden“ entscheiden. (S. 21.) 

Die Kritik der Psychoanalyse beginnt mit der Feststellung, daß die 
Neurosen eigentlich „heilige Krankheiten“ seien; schon Hippokrates habe 
die Heilung der Neurosen außerhalb der Medizin gestellt und sie den 
Priestern überlassen. 

Dann folgt der Vorwurf, daß sich diese Psychologie, die „wirklich als 
Wissenschaft auftreten kann, vom Beginn ihres Siegeszuges an mit Einsichten 
gebrüstet (hat), die, wäre auch nur eine Spur von Wahrheit daran, allerdings 
die sofortige Gründung einer neuen Religion zum Gefolge gehabt hätte. 
Die Psychologie behauptet nämlich, sie hätte die ,Tiefen der Seele 4 erforscht. 
Wir werden bald erfahren, was es mit dieser ,Tiefe’ auf sich hat“. (S. 31.) 

Dann erfahren wir, daß die Psychoanalyse irregeführt habe — wen 
und worin, ist schwer, aber doch zu erraten — und daß sie ihre „riesen¬ 
hafte Popularität" ihren Denkfehlern verdanke. Es könne — meint der 
Autor — nicht erörtert werden, inwieweit Freud selbst an diesen 
Irreführungen beteiligt sei. „Bei einem bedeutenden Manne kann man nie 
feststellen, wie weit er sich und sein Werk ernst nimmt.“ Die Denkfehler 
der PsA. seien so verborgen gelagert, „daß zu ihrer Entlarvung höchste 








346 


Referate 


philosophische Kritik erforderlich ist“. (S. 32.) Das kommt davon, wenn 
man von einer Wissenschaft etwas erwartet hat, was sie nie geben konnte 
noch zu geben beabsichtigte, nämlich eine neue Religion. Die Enttäuschung 
an dieser Wissenschaft — der Autor nennt sie „Irreführung“ durch die 
Wissenschaft — ist unausbleiblich, und da man — wie sein Buch über 
„die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft“ zeigt — einmal 
an diese Wissenschaft geglaubt hat, muß man jetzt „höchste philosophische 
Kritik aufwenden, um sich von ihren „Denkfehlern“ zu befreien. Aber 
nicht nur von ihren Denkfehlern, auch von ihr selbst wird die Befreiung 
angestrebt. Sehen wir zu, wie das geschieht. 

Der Autor macht der Wissenschaft im allgemeinen und der Psychoanalyse 
im besonderen den Vorwurf, daß man geteilt werde in Psychisches und 
Physisches, beide gleich weit entfernt „von Mir“, daß keines vor dem 
anderen einen Vorzug hat, daß es innerhalb der Gebiete dieser beiden nichts 
Heiliges, nichts Verruchtes, nichts Hohes und Niederes und „nur“ in 
bestimmtem Sinne # Tiefenschichten gibt. (S. 33/34.) Im Physischen und 
Psychischen „zeige sich nur die Krankheit, „krank ist immer Man selbst“. 

Wir beginnen zu verstehen, daß der Autor nicht einverstanden ist damit, 
daß die Wissenschaft nur Erscheinungen beschreibt und erklärt, ohne sich 
darum zu kümmern, ob etwas hoch oder niedrig, verrückt oder heilig ist. Er 
beansprucht den homo religiosus in der res religiosa, das Vordringen zu 
jenem Kern der Persönlichkeit, der ein Teil des Kosmos ist. Und „der Kranke 
weiß, daß seine Krankheit eine fürstliche Majestät ist, die nichts mit den 
Dingen zu tun hat, die der Psychologe da aus ihm herausholt“. Wir können 
uns nicht ein Urteil darüber anmaßen, ob die Krankheit fürstlich ist, 
erinnern uns aber an manche Analysanden, die ähnlich sprechen, wenn die 
ganze Wucht der analytischen Erkenntnis um die Alltäglichkeit ihrer Wünsche 
auf sie eindringt und sie ihren Narzißmus zusammenbrechen sehen. 

Bald merken wir auch, warum der Autor so sehr kritisierend betont, daß 
die wissenschaftlich-klassifizierenden Begriffe „nur“ Produkte der Wissenschaft 
sind: „Sexualität“ (d. h. der Begriff) sei etwas Künstliches und „soll (!) auch 
so sein“, „denn die ganze Wissenschaft ist künstlich“. „Ein der ,Sexualität' 
entsprechender Vorgang kommt in der Natur nicht vor, ebensowenig wie die 
Lichtstrahlen.“ 

Wenn es also der „Sexualität“ Entsprechendes nicht gibt: Was denn sonst? 
Dazu meint der Autor, wieder unklar und ironisch werdend: „Das Ereignis, 
das hier angeredet ist, hat stets Hintergründe (?), von denen es begleitet 
wird, so notwendig, wie der Schatten den Körper begleitet, und diese geben 
ihm erst die eigentliche Wucht, durch die er berühmt geworden ist. Da 
mit diesen Hintergründen (dem Regierenden) die moderne Wissenschaft nichts 
anzufangen weiß (denn sie ist eine Wissenschaft für Alle), so entzieht sie 
dem Phänomen ein bestimmtes Eliminat . . . und arbeitet nur mit ihm. 
Das ist folgerichtig, exakt und bewundernswert. Freud hat hier das 
unzweifelhafte volle Primat über alle anderen Psychologen. Es gibt niemand 
der ihm gleicht“ (S. 34). 

In der folgenden knappen Darstellung der F r e u d sehen grundsätzlichen 
Theorien zeigt der Autor wieder, wie glänzend er Freud verstanden hat; 
da aber der Autor der Wissenschaft jeden Erkenntniswert abspricht, wundert 
























Referate 


347 


es uns nicht, bald darauf wieder zu hören, daß der Freud sehe Begriff der 
Sexualität das „Ereignis“ Geschlechtlichkeit oder Liebe nicht trifft. Dieser 
Begriff sei ein „Eliminat“. Wir verstehen Blüh er wohl richtig, wenn wir 
annehmen, daß er den Begriff Sexualität etwa dem Digitalispulver gleichsetzt, 
das das Phänomen „Fingerhut“ „nicht trifft“. Gewiß, das ist richtig. Unsere 
wissenschaftlichen Begriffe (Energie, Elektron, Libido, Verdrängung, Un¬ 
bewußtes usw.) entfernen sich von der wirklichen Erscheinung und bringen 
das lebendig Fließende zum Erstarren, aber nur um sie desto besser über¬ 
blicken, desto sicherer fassen zu können. Würden wir nicht die „Libido“ aus 
dem gewissen „Ereignis“ mit den „Hintergründen“, das Digitalispräparat 
aus dem „Ereignis Fingerhut“ eliminieren, es bliebe beim Schattenhaften, 
wir könnten weder Neurosen noch eine Herzdekompensation beherrschen. Das 
ist ja der Vorteil der wirklichkeitsfernen Distanzierung durch wissenschaftliche 
Begriffe gegenüber dem „Nur-Versinken im Kosmos“. Wir müssen feststellen, 
daß uns Blüh er alle diese Vorteile — seiner Ansicht nach die Nachteile 
— nehmen will, ohne uns geeigneten Ersatz zu geben. Und wir begreifen 
völlig, wo die ganze Polemik hinaus will, wenn Blüh er auf S. 39 schreibt: 
„Wie, wenn das ganze, von der Wissenschaft als ,Sexualität angeredete 
Phänomen arrangiert wäre, d. h. geleitet von Mächten des Hintergrundes 
und der Tiefe, eben jenen Mächten, die allein dem menschlichen Dasein 
einen Sinn verleihen, die aber niemals Gegenstand irgendeiner Wissenschaft 
zweiten Ranges, wie der Psychologie, sein können . . .?“ 

Wir gehen ohne weiteres zu, ja wir „fühlen“ mit Blüh er die „Hinter¬ 
gründe und Tiefen“ — aber wie zu ihnen gelangen? Wir hätten Blüh er 
die volle Berechtigung zugeschrieben, sich in so erhabener Weise über die 
„Wissenschaften zweiten Grades“ hinwegzusetzen, weil sie zu den „Hinter¬ 
gründen“ nicht gelangen könnten, wenn er uns einen solchen Weg gezeigt 
hätte. Wir besorgen, es wird dabei bleiben, daß die Geologen das Erdinnere 
wohl beschreiben können, ohne je hingelangen zu können, wie die Psycho¬ 
analytiker die Vorgänge im Unbewußten genau beschreiben, ohne es je zu 
sehen. Freilich, das Leben in uns fühlen wir genau so wie B 1 ü h e r. Ob er 
mehr darüber auszusagen weiß als der Biologe und der Psychoanalytiker . . .? 
In diesem Buche verspricht er es nur immer wieder. 

Er mahnt uns, nicht zu vergessen, daß die Psychoanalyse keine Theorie 
der Neurosen gibt, sondern nur eine Theorie über ihr „psychisches Terrain 1 . 
Dieser Mahnung bedurfte es gar nicht, denn das, was Blüh er unter Neurosen¬ 
theorie versteht, zu geben, hat sich die Psychoanalyse nie angemaßt. 

Und wieder läßt Blüh er die Neurose in jenes mystische Dunkel ver¬ 
sinken, aus dem sie Freud zum Teil herausgerissen hat: „Die Neurose 
spielt sich auf einer so (oder anders) verwandelten psychischen Schicht ab (?). 
Darum ist es auch verfänglich, vom ,Ursprung der Neurose* zu reden und 
ihn in die Kindheit zu verlegen. Die infantilen Komplexe können die Neurose 
auffangen und festhalten, aber sie brauchen es nicht. Wenn sie sich aber 
festgefangen haben, so findet man ihre erste Spur in der Kindheit. Also nicht 
die infantile Sexualität, schlecht verdrängt, produziert die Neurose, sie 
bereitet das psychische Terrain für sie, so daß sie sich darauf niederlassen 
kann — wenn sie will. Es kann sich aber auch etwas ganz anderes nieder¬ 
lassen — wenn es will“. Naturwissenschaftlich gesprochen, meint der Autor, 








348 


Referate 


daß noch ein Drittes mitspielen müsse, ob sich aus den infantilen Komplexen 
eine Neurose oder etwa ein dichterisches Talent entwickelt, und tut so, als ob 
er bereits dieses unbekannte Dritte entdeckt hätte, auf dessen Suche sich die 
verlästerte Wissenschaft ehrlich abquält. 

Nachdem uns der Autor neuerdings verspricht, bald zu zeigen, was „dieses 
Andere ist und was es mit der „heiligen Krankheit“ auf sich hat, weist er 
nach, was eigentlich nach dem Vorangegangenen selbstverständlich ist, daß 
die Psychoanalyse nicht das den Neurosen adäquate Heilmittel sei. Dann 
aber folgt der Vorwurf, daß die Psychoanalyse in der breitesten Öffent¬ 
lichkeit arbeite, im Gegensätze etwa zur Serotherapie, und dauernd einen 
„seltsamen Stab von halbstudierten Schöngeistern aufrufe“, was nicht für die 
Vervollkommnung der Methode spreche. Der Autor weiß anscheinend nicht, 
daß die Freudsche Schule nichts mit der breiten Öffentlichkeit zu tun hat 
und leider gegen den Mißbrauch des Namens ihrer Methode kein Mittel zur 
Verfügung hat. 

Aber nun folgt der eigentliche Schlag gegen die Psychoanalyse. Sie maße 
sich zu Unrecht an, eine „Tiefenpsychologie“ zu sein. Und dies, obgleich der 
Autor richtig erfaßt, daß der Begriff Tiefenpsychologie aus der Vorstellung 
einer seelischen Topik stammt; er vergleicht ja auch die Psychoanalyse mit 
der Geologie. „Die Tiefenschichten der Erde und die Tiefenschichten des 
Psychischen (der vorgeblichen Seele) haben dieselbe Art von historischer 
Abgeschlossenheit voneinander, Durchdringung und Lagerung; auch die 
Beziehung zur Oberfläche, also zum Bewußtsein, ist eine weitgehend ähnliche. 
Der Baum ist verwurzelt in der historisch gewordenen Ackerkrume und das 
menschliche Tun (und Leiden) ist verwurzelt in den verdrängten Trieb¬ 
regungen des Unbewußten. Will man also das alles als ,tief‘ bezeichnen so 
ist die Psychoanalyse tief, so und nicht anders.“ (S. 42/43.) Ja, wann 
hat jemand behauptet, daß die Psychoanalyse nicht so, sondern „anders tief“ 
sei ? Wogegen polemisiert B1 ü h e r? Hätte er nicht seinerzeit geglaubt, daß 
die PsA. „anders tief sei, dieser Konflikt wäre ihm erspart geblieben. 

Trotz aller Unklarheiten und Verschwommenheiten in der Darstellung ver¬ 
stehen wir doch schließlich, was „anders tief“ bedeutet. Er sagt, die Erde 
z. B sei trotz aller Messungen ein Geheimnis geblieben, bis sie sich Lionardo 
da Vinci „in anschaulicher Weise aussprach und ihn langsam in ihr durchaus 
unergründliches Geheimnis einlud. Lionardo war den Erdkräften ausgesetzt“, 
und das Geheimnis ? Lionardo spricht — meint der Autor — nicht in 
Bildern, sondern meint die Sache selbst, wenn er über die Erde sagt (S. 44): 
„Wenn der Mensch in sich Knochen hat, Stützen und Armatur des Fleisches 

die Welt hat das Gestein, Stützen der Erde; wenn der Mensch in sich 
den See des Blutes hat, wo die Lunge im Atmen wächst und abnimmt, der 
Körper der Erde hat sein ozeanisches Meer, das . . . wächst und abnimmt 
alle sechs Stunden, beim Atmen der Welt.“ Den Beweis, daß Lionardo hier 
„die Sache selbst und nicht nur ein Gleichnis meint, bleibt uns Blüh er 
schuldig. Bluher scheint die „Evidenz des intuitiven Erlebens“ zu genügen, 
wie es etwa von B e r g s o n verstanden wurde (den er übrigens nicht erwähnt). 
Ob das intuitive Erlebnis aber die Sache trifft oder einer symbolischen 
jrojektion entstammt, wie das im Beispiel des Lionardo (Erde = Mutter 
— atmendes Wesen) vorzuliegen scheint, bleibt unentschieden. 

































Referate 


349 


Die Neurose kommt also aus den „ Tiefen “ im Sinne Blühers und sei 
deshalb als heilig zu bezeichnen. Sie habe nämlich mit menschlichem Handeln 
zu tun, wobei Tun = Leiden sei, und „das menschliche Handeln ist tief 
und nicht psychologisch. Das menschliche Handeln hat eine Dimension mehr 
als die Psychologie, will sagen, an ihm ist der Kosmos beteiligt" (S. 47). 

Und schließlich läuft alles darauf hinaus, daß es doch Freiheit gäbe, 
trotz der Determiniertheit des seelischen Geschehens. B 1 ü h e r hat sich also 
aus der Zwangsjacke „Determinierung“ befreit — und wir zweifeln nicht 
mehr daran, daß dieses Buch, das eigentlich „Traktat über die Psychoanalyse 
heißen sollte, eine Tat der Befreiung war — aus den beengenden Fesseln 
der „Wissenschaften II. Grades“ im allgemeinen, der Psychoanalyse im 
besonderen. 

Wir waren es dem Autor der „Rolle der Erotik“ schuldig, uns mit seiner 
Kritik der Psychoanalyse ausführlich zu befassen, müssen es uns aber ver¬ 
sagen, auch noch auf das näher einzugehen, was er über Neurose und 
Schuld und über Ethik und Metaphysik als Wissenschaften sagt. Vieles daraus 
klingt uns bekannt, anderes ist zu problematisch, als daß ihm eine kritische 
Buchbesprechung gerecht würde. — Wir empfehlen das interessante Buch 
dringend zur Lektüre. Vielleicht daß es den allzusehr an die Intuition Glaubenden 
bescheidener, vielleicht auch, daß es den die Intuition völlig Verachtenden ein 
wenig aufhorchen macht. Das große Rätsel hat es nicht zu lösen vermocht, 
trotz aller Bemühungen. W. Reich (Wien) 

Birnbaum, Doz. Dr. Karl: Die psychopathischen Ver¬ 
brecher. Die Grenzzustände zwischen geistiger Gesundheit und 
Krankheit in ihren Beziehungen zu Verbrechen und Strafwesen, 
für Ärzte und Juristen (2. Aufl., Thieme, 1Q2Ö, 280 Seiten). 

Dieses Buch hat viel Mühe und Fleiß gekostet und zeugt von einer 
ungeheuren psychiatrisch-forensischen Erfahrung auf dem Gebiete des 
Verbrechertums. Allerdings, der Analytiker kann sich weder mit der Art und 
Weise der Betrachtung noch mit den inhaltlichen Ergebnissen einverstanden 
erklären. Die Untersuchung läßt alle neuen Gesichtspunkte vermissen, die die 
Psychoanalyse zum Thema „Psychopathie eröffnet hat, die analytische Situation 
ist gar nicht berücksichtigt. Das wäre ja noch nicht arg, wenn die psychia¬ 
trische Methode auch nur einiges zum Problem beitragen könnte. Aber auch 
dieses Buch steckt in der Sackgasse des Aberglaubens von der „Entartung , 
es ruht auf diesem Fundament, von dem der Autor selbst sagt, daß es noch 
unentschieden sei, was der Begriff wissenschaftlich bedeute. 

Man darf nach 30 Jahren psychoanalytischer Forschung fordern, daß, wer 
mit Menschen zu tun hat, auch ihre Kinderstube betrachte und nicht, ohne 
sich vorerst umgesehen zu haben, einfach behaupte, daß die „genetische 
Zurückverfolgung“ der Psychopathien „sogleich aus dem rein psychopatho- 
logischen Gebiet hinaus zu biologischen Zusammenhängen hin führt. 

Hat der Autor auch nur einen Psychopathen nach seinen frühen Erleb¬ 
nissen im Eltemhause gefragt? Und wenn, welche Bedeutung mißt er den 
Traumen zu, die jeder Psychopath erlebt hat? Um diese festzustellen, bedarf 
es nicht einmal einer Analyse, 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIII/3. 


24 







350 


Referate 


Was ist wahrscheinlicher? Daß der Alkoholiker den „Keim schädigt“ 
(wer hat das übrigens nachgewiesen?) und daher Psychopathen zu Kindern 
hat, oder daß er nachts betrunken heimkommt, Frau und Kinder prügelt, 

jahraus, jahrein, und auf diese Weise „Grenzzustände“ bei den Kindern 
erzeugt ? 

Nichts scheint stärker, unausrottbarer als Schlagworte, besonders dann, 
wenn diese die Illusion erhalten helfen, daß die Psychopathien nur auf bio¬ 
logischer Entartung beruhen und nicht schuld der Zustände in der Gesellschaft 
und ihrer Erziehungsmethoden sind. W. Reich (Wien) 

Taylor, Prof. Edward Wyllys: Psychotherapy, Mental Ele¬ 
ments in the treatment of Disease. Cambridge U. S. A. 1926. 

In kfzem klarem Abriß wird die Entwicklung der Psychotherapie nach 
ßirem Charakter in Etappen geschildert: 1. Vor dem XVIII, Jahrhundert; 
Wunder, Mystik, Herrschaft der Kirche. 2. XVIII. Jahrhundert; Mesmer 
tierischer Magnetismus. 3. Anfänge der wissenschaftlichen Methode; Braid 
Ta t Hyp " otlsmus , 4- Klinische Periode; C har cot (1878), Hysterielehre, 
siebt ü 5 \ f ytl$Ch f S t U ! 6; Kreud, Jung. In der Freudschen Lehre 

Mystik ü v w^ t PUnkt d6r Befreiun S der Psychotherapie von 

Mystik, der Verwissenschaftlichung des therapeutischen Verfahrens. 

Bernfeld (Berlin) 

Wh j e, AT WiIIi f 1 ?, A - : E * s * ys in Psychopathology. (Nervous 
and Mental JJesease Publishing Company, New York, IQ 25 .) 

Die Aufzählung der Kapitelüberschriften soll eine Vorstellung vom Inhalt des 
Buches geben: i. Selbsterhaltungstriebe, neue Richtungen und Zusammenhänge auf 
dem Gebiet der Psychopathologie. 2. Die vergleichende Methode in der 
Psychiatrie (Psychopathologie). 3. Der menschliche Organismus als Energie- 
XlTl' 4 r Individualität und Introversion. 5 . Das primitive Seelenleben 
und das Rassenunbewußte. 6. Zwei abweichende Überlieferungen. 7. Die 
Bedeutung der Psychopathologie für die allgemeine somatische Pathologie. 

. sychoanalytische Parallelen. 9. Primitives Seelenleben. 10. Die A d 1 e r sehe 
Neurosentheorie. 11. Somatische Biologie. 

Mi ST BU S I 5 ? Si S S S W f als Ganzes referieren, denn es enthält in bunter 
Mischung Aufsatze, Zuschriften und Buchbesprechungen, die während der 
z en 13 ahre zu verschiedenen Zeiten geschrieben wurden. Durchgehend 
charakteristisch für das Ganze ist jedoch die Betonung der funktionale! Auf¬ 
fassung der Seele und der Notwendigkeit, Leib und Seele als biologische 
Einheit anzusehen. Der Autor erklärt mit Recht, daß ein Verständnis mensch¬ 
licher vor allem psychischer Probleme unmöglich ist, so lange der Mensch 
in althergebrachter Weise als Einzelwesen ohne irgendwelche Beziehung zur 
B™fl b t Ung K betl ' acht ® t Wlrd - Da® Buch ist zum größten Teil ein flüssiger 
klaget r f 1 I 0rtS c Ch i mt l e der Ps y cho P a *ologie in dem wohlbekannten 
irnR TT f esselnde " Stü des Verfassers. An einer Stelle erwähnt er den 

£ d!r P T Ung i d6r ,t h während der dreiunddreißig Jahre seiner Arbeit 

n der Psychiatrie bemerkbar gemacht hat, und sagt: „Für diese Wandlung 



























Referate 


351 


der Dinge sind wir einem Manne mehr als allen anderen zu Dank verpflichtet, 
und das ist Professor Freud und seine psychoanalytische Methode.“ (S. 66.) 

Das Buch wird für alle Psychopathologen in gleicher Weise interessant 
und lehrreich sein. Jones (London) 

Aus der psychoanalytischen Literatur 

Wittels, Fritz: Die Technik der Psychoanalyse. (Mün¬ 
chen, I. F. Bergmann, 1 Q 2 Ö.) 

Das Bedürfnis nach zusammenfassenden Darstellungen der Psychoanalyse, 
insbesonders ihrer Technik, scheint recht groß zu sein, denn die Zahl der 
Bücher, die in der letzten Zeit solche versuchten, ist nicht gering. Manche 
von ihnen sind allerdings von dem, was wir unter „Psychoanalyse begreifen, 
recht weit entfernt. Von diesen unterscheidet sich das Witt eis sehe Buch 
vorteilhaft; die in ihm geschilderte Arbeitsweise ist zweifellos Freud schem 
Denken entwachsen. Und dennoch sind seine Worte in der Einleitung: „Man 
findet im Folgenden ausführlich dargestellt, wie ich Psychoanalyse betreibe. 
Weder übernehme ich die Verantwortung für irgend einen anderen Analytiker 
noch erwarte ich von allen Analytikern die Zustimmung, daß sie es ebenso 
machen“, sehr nötig. Denn man merkt bei der Lektüre bald, daß auch 
Wittels in zahlreichen und nicht unerheblichen Momenten von der von 
Freud angegebenen und in unseren Lehrinstituten vertretenen Technik 
ab weicht, zum Teil weil er auch theoretisch mit den Freud sehen Ansichten 
nicht übereinstimmt. 

Das Buch teilt sich inhaltlich in zwei ungleiche Teile. Die ersten vier 
Kapitel bringen einleitend die allgemeinen Grundlagen der Technik, die rest¬ 
lichen fünfzehn Kapiteln Krankengeschichten. Diese nehmen also den meisten 
Raum für sich in Anspruch. In ihnen sind wieder Traumdeutungen und Dar¬ 
legungen über unbewußten Inhalt und Mechanismus der Neurose breit aus¬ 
geführt, so daß man, besonders da es sich ausnahmslos um unvollendete 
Analysen handelt und Endphasen gar nicht beschrieben werden, über die 
Technik relativ wenig erfährt; keinesfalls könnte, wer die Analyse nicht schon 
kennt, sie aus diesen Ausführungen erlernen. 

Der allgemeine Teil beginnt mit einer Darstellung der „Psychotherapie vor 
Freud“, die zum größten Teile mit dem Büchlein des Autors „Wunderbare 
Heilungen“ (Referat: Diese Zeitschrift Bd. XI. S. 494) wörtlich übereinstimmt. 
Sodann wird die Indikationsstellung besprochen, Psychosen als im all¬ 
gemeinen für Analyse ungeeignet bezeichnet, psychogener Überbau bei 
organischen Krankheiten dagegen berechtige zu analytischem Eingreifen. Ob 
schwer Zweifelsüchtige analytisch geheilt werden können, wird offen gelassen. 
Wittels läßt alle Fälle vor der Behandlung endokrinologisch untersuchen — 
er erklärt nicht genau, was er sich eigentlich davon verspricht bei Homo¬ 
sexuellen auch die Beckenmaße bestimmen. Gelegentlich verwendet er auch 
kombinierte Behandlung von Analyse und Hormonpräparaten; da er diese von 
einem anderen Kollegen injizieren läßt, ist auch bei solcher Kombination die 
Analyse sicher durchführbar. — Im Kapitel „Das Unbewußte und seine Auf¬ 
deckung“ stellt Wittels drei Wege der Analyse koordiniert nebeneinander: „Den 
freien Einfall, die Traumdeutung, die Beobachtung der Fehlhandlungen“ (S. 31). 

24 * 






352 


Referate 


Es wäre wohl geschickter gewesen, zu sagen, es gäbe nur einen Weg: den 
des freien Einfalls; allerdings seien Träume und Fehlhandlungen auch als 
anzusehen; - Schon eine deutlichere Abweichung von Freud ist es 
daß Wittels bei der Behandlung seinen Patienten Auge in Auge gegenüber- 

— Z - v,t 34 ' 1 Fu i'-. d n le . V ° n Freud vorgeschlagene Lage spricht doch so viel, 
nicht nur die Rücksicht auf den Arzt, sondern auch die auf Patient und Analyse 
daß die Witt eis sehe Begründung, er vermeide so, daß die Patienten 
sagen: „Ich muß auf einem Sofa liegen und Sie setzen sich dahinter. Kenne 
schon den - entschuldigen Sie schon - Schwindel“ (S. 54), nicht als 
ausreichend erscheint. Die Grundregel wird diskutiert, vor zu früher Deutung 
mit Recht gewarnt; aber die Formulierung, die Frage, wann man mit Den 
ungen emzugreifen habe, sei zu beantworten: „So spät als möglich“ (S. 20) 
erscheint uns falsch; es gibt nicht nur zu frühe, es gibt auch zu späte Deu- 
ungen, man denke nur an die Gefahren einer nicht rechtzeitig aufeedeckten 
Übertragung! Wittels selbst scheint ja im Allgemeinen, besonders bfi Traum- 
eu ungen nicht allzu zurückhaltend mit Deutungen zu sein, wenn auch der 
ms and daß so oft Patienten die Behandlung abbrachen, auf den Verdacht 
ringen konnte^ daß die Ubertragungsdeutung nicht immer richtig gehandhabt 
wor en sei. enn für die Technik der Traumdeutung auseinandergesetzt wird 
im Traurn gäbe es prospektive, retrospektive und funktionale Elemente so ist 
das ja richtig, denn alles, was sich im Wachdenken findet, findet sich auch 
in den latenten Traumgedanken, doch meinen wir, daß, auch wenn wir zuge- 

exakte H t I f ^ Minimum beschränkt werden sollte, mit einer 
exakten Unterscheidung zwischen diesen und dem manifesten Trauminhalt 
zwischen Tagesresten und Traumwunsch und einer Skizzierung der Traum- 
ar eit auch dem praktischen Traumdeuter für seine Praxis mehr geboten 
wor en wäre. Die ausführliche Besprechung des Grundsatzes „Alles, was 
der Patient in der Analyse vorbringt, ist analytisches Material“ ist aus¬ 
gezeichnet gelungen. - Das Kapitel „Übertragung“ begnügt sich leider mit 

efner Tech “k 1 7 Sachverhalte, während dieses Gebiet in 

Übertraj ^ . doch wirklich eingehende Detailbehandlung verdiente! An 
Ubertragungsschwmr^keiten werden nur die allergröbsten besprochen, etwa, daß 

Jner Tot£ er T ’’S eme in verführerischen Boudoirs und in 

r Toilette empfangen wird, „die in Gesellschaft unmöglich wäre“ (S «z) 

der man doch einfach aus dem Wege gehen kann, indem man die Patienten 
in die eigene Ordination kommen läßt, wozu auch Wittels rät und was 
wohi alle Analytiker tun, wenn nicht besondere Gründe (Angsthysterie 
chronische Bettlagrigkeit) anderes nötig machen; oder daß ein illegftimls Ver¬ 
hältnis zwischen Arzt und Patientin schon deshalb unmöglich sei, weil die 
Bezahlung doch wohl in dem Momente aufhört, in welchem sich aus dem 
ärztlichen Verhältnisse ein intimeres entwickelt“ (S. 55). Durchaus zu wider¬ 
sprechen ist dem Rat, „wenn die Übertragung bis zu Gefühlsausbrüchen ange¬ 
stiegen ist, wird man manchmal genötigt, die Analyse für einige Zeit zu unter- 

mchT 1 ’ -tTr d T S - r ° m i . deS Affektes Zeit Abfluß zu lassen“ (S. 55) 

Nicht mit Unrecht ist die Handhabung der Übertragung der Tätigkeit des 

Chirurgen zu vergleichen. Wenn bei einer Operation mehr Blut fließ! als der 

Blut abfließlnT l^’ ^ nkht die °P eration abbrechen, um das 

zu lassen, sondern er wird versuchen, mit chirurgischen Mitteln 

























Referate 


353 


der neuen Situation gerecht zu werden, gleichgültig, ob er durch einen Kunst¬ 
fehler die Komplikation selbst verschuldet hat, oder ob sie sich aus der Kon¬ 
stitution des Kranken oder aus anderen nicht vorherzusehenden Umständen ergab. 
Wie Freud ausgeführt hat, mag es auch seltene Fälle geben, in denen die 
vom Widerstand ausgenützte Übertragung gleich so stürmisch einsetzt, daß jede 
analytische Bemühung scheitert; dann wird sich aber die gleiche Situation 
ergeben, wenn man nach „einiger Zeit“ seine Bemühungen wieder aufnimmt; 
diesen seltenen Fällen ist dann analytisch wirklich nicht zu helfen. 

An einigen anderen Stellen scheint Wittels falsch informiert zu sein. 
Wenn es heißt, daß Freuds Traumdeutung dem Verdrängten nachspüre, 
Jung dagegen anagog deute, „heute“ aber „ist Frieden geschlossen und das 
Vorhandensein einer anagogen Tendenz im Traum von allen Parteien 
zugegeben“ (S. 44), so ist das dahin richtigzustellen, daß, wo falsche Auf¬ 
fassungen vorgebracht worden sind, keinerlei Frieden geschlossen ist. Freud 
hat immer gelehrt, daß die latenten Traumgedanken Gedanken jeder Art (nicht 
nur verdrängte) sein können, die aber allerdings sich mit einem unbewußten 
Traumwunsch in Verbindung gesetzt haben müssen. Diese Auffassung gilt auch 
heute vollinhaltlich. Die Einführung des „Über-Ichs“ hat ander Traumtheorie 
nichts geändert. 

In anderen Punkten weicht Wittels von der Freud sehen Technik ab. 
Er macht sich während der Stunde Notizen (S. 37) und meint, „Träume 
lassen wohl alle Analytiker von Patienten aufschreiben" (S. 37). Abraham hat 
aber ausdrücklich vor dieser Technik gewarnt. Die Theorie, daß in jedem 
Schlaf geträumt werde (S. 40), ist, weil unbeweisbar und unwiderlegbar, sinn¬ 
los. Der Rat, daß man unter gewissen Umständen den Traum beiseite legen 
und sagen solle, „daß man für heute vorziehe, den freien Einfall zu beachten 
(S. 40), zeigt, daß Wittels nicht unter allen Umständen den freien Einfall 
zuerst beachtet, sondern für gewöhnlich „Traumdeutung um jeden Preis“ 

betreibt. u 

Merkwürdig stellt sich Wittels das Verhalten des „orthodoxen Freud- 
Anhängers vor: „Nach der Regel Freuds wäre überhaupt gar nichts von 
dem, was der Analytiker errät, mitzuteilen, man hätte rein passiv zu bleiben 
und die Deutung des Traumes ausschließlich den Einfällen des Patienten zu 
überlassen“ (S. 41). Eine solche Regel Freuds existiert nicht; dagegen hat 
er wiederholt das Gegenteil geschrieben. Diese Analytiker „sitzen hinter ihrem 
Patienten, sprechen nichts, deuten auch nicht die Träume, die er bringt, 
sondern hören nur zu und sagen am Ende der Stunde, daß es für heute 
genug sei und morgen wieder“ (S. 73). Gewiß kommen auch solche Stunden vor, 
aber wenn Wittels behauptet, daß das „monatelang“ (S. 73) sogehe, so ist 
doch zu sagen, daß kein Freud-Anhänger, der sich mit Recht so nennt, so vorgeht! 
Ebenso gibt es keine Regel, daß dem Schweigen des Patienten prinzipiell 
Schweigen des Arztes entgegenzusetzen sei — die zitierte Redensart, „dem 
Widerstand des Patienten den Widerstand des Arztes entgegensetzen (S. 36), 
kann nur jemand erfunden haben, der Freud nicht ^ verstanden hat 
W i 11 e 1 s kämpft also gegen Windmühlen. Daß es „falsch ist, dem Patienten 
zu sagen, was er gestern erlebt habe, interessiere nicht, es gelte, die Kindheit 
zu durchforschen, ist allerdings richtig; wenn aber Wittels auf S. 42 erklärt, 
„einmal“ sei das bei einem „Analytiker“ geschehen, auf S. 79 aber dieselbe 








354 


Referate 


Erzählung mit den Worten einleitet „Es soll Analytiker geben, die 
S °, h f e " dle Geschichte wohl noch ein drittes Mal erzählen Sollen ' etwa 
könnJ 11 W0rt6 o : . ” Wenn ich mir ausdenke, daß ein Analytiker so handeln 
KunstfehlTr“ ^ Freud und seinen Anhängern sagen, es wäre ein 

Fre n ud der J rag A ^ Laienan " lySe ist Mittels entschiedener Gegner von 
e u d. Seme Argumente erscheinen nicht stichhältig. Daß eine Skabies als 
psychogen angesehen wurde (S. 19), spricht nicht generell gegen die Berechti- 
„gung der Laienanalyse. Daß aber die nichtärztlichen Analytiker „unaufrichtig 
sind. Sie ers reben ein Doktorat, aber nicht das medizinische, und benützen 
ann den Doktortitel zu einer Täuschung“ (S. 19) und die Behauptung, „Laien- 

hehen 1 könne 3 “ ^ T* ^ inneren Rankheiten psychoanalytisch 

bisher die Ärzte C i A ^ Ps y choanal y se organischer Leiden haben 

t ’ und Simmel 

Als mißglückt muß man auch die Versuche ansehen, Freud mit Adler 
Und J "“ « Zu ve ^ohnen; die Gegensätze, meint Wittels, seien „nur scheinbar“ 
de” p wi arer Zeit T erden Si<3h ” alle SchÜler wieder finden “ (S- 60), weil 

Methode tC A T mer Und finale Gesichts Punkte, aktive und passive 

Methoden Analyse und Synthese abwechselnd verwendet. Nicht einmal die 
verpönte Suggestion kann gänzlich vermieden werden“ (S. 1); aber der finale 
Gesichtspunkt ist nicht von Adler erfunden, sondern, daß man bei ”„atur- 

” nS 'oh" !r Cl r S tl" ”2 ZW6ckm0tiven ar beitenden menschlichen 
Seele nicht ohne den Zweckbegriff arbeiten kann, geht aus den ersten 

Stehf ö 0n K I 6U / S ^ rV ° r; daß der -Passive“ Analytiker an gewissen 

P W t * der ^ h °u h -V aktlV S6m müsse ’ er S ibt sich aus den vor St ekel s 
Publikationen geschriebenen ersten Krankengeschichten Freuds. Welche 

R ° U ® der »Option“ in der Analyse zukommt, steht in den 
ihr nhir t j,Vorlesungen (und eine andere als die dort beschriebene darf 
ihr nicht zukommen). Nur wie man „Analyse“ und „Synthese“ abwechselnd 
verwendet darunter kann s 1C h Referent nichts vorstellen; er meint vielmehr 

dem V ° rIfeS ‘ ,l! ““ Sinnl °'” W ° rttP “ 1 

j:r”rr d " Buci ”” ne ?” e ” die d„ Mm .„„o 

leider ganz allgemein sagen, daß sie nicht befriedigen. Sie sind flüssig 

Wi ch t geSC J rleben ; aber vielleicht eben deshalb wissenschaftlich unzu¬ 
länglich. Es werden viele Träume - oft in St ekel scher Manier - nicht 
immer überzeugend gedeutet, Erlebnisse aus dem infantilen Sexualleben 
perverse und kriminelle Antriebe aufgedeckt, doch erfährt man nichts Genügen 
übe/dfe d ^ Spezlflsche Libidoentwicklungsgeschichte und nichts Genügendes 
über die Ubertragungsgeschichte; das unangenehme Gefühl, die unbewußten 

vSn D e e n taSs S m e h neS 7 "Z recht »»vollständig zu Überblicken und aus 
bl? a u Ü , hr ° der mlnder willkürlich einen bestimmten „Komplex“ 
behandelt zu sehen, verstärkt sich noch, wenn man erfährt, daß alle Analysen 

technisch!^ jf kg ? brocben =• ™g sein, daß sich ZC 

Wen Zmam ^ “ 7 ****** besonders gut demonstrieren lassen; den 

Dr ” raik “ nd Ök °"° mik d “ 
























Referate 


355 


Um z. B. gleich eines herauszugreifen: Das Problem der Neurosenwah 
wird kaum angedeutet, eine spezifische Regression kennt Wittels nicht, die 
Organisationsstufen der Libido werden nicht besprochen, die sexuellen Partia - 
triebe werden als einander koordiniert behandelt. In der „psychogenen Melan¬ 
cholie“ z. B. fehlt das prägenitale Moment völlig, und man fragt sich ver¬ 
gebens, warum der Fall gerade eine Melancholie hat werden müssen. Die 
„Entgenitalisierung“, die ein Vater im Sexualleben des Sohnes durch Pruge n 
hervorruft (S. 106), ist wohl nur ein neuer Terminus für die an anderen 
Stellen übersehene Regression der Libido auf prägenitale Organisationsstufen. 

Daß die zahlreichen Traumdeutungen in Inhalt und Art nicht immer 
überzeugen, wurde erwähnt. Man erfährt nicht, wie weit die meist 
Klammem in den Traumtext eingeschalteten — Deutungen Ergebnisse der 
mit Hilfe der Einfälle vorgenommenen Analyse sind, wie weit sie willkürlich 
von Wittels zugesetzt werden. Kein einziges Mal ist eine restlose, jedes 
Traumdetail erklärende Erfassung der latenten Traumgedanken gelungen. 
Wittels scheint es auch darum nicht zu tun zu sein; er schätzt offenbar 
die Symbolik recht hoch, überschätzt auch — die Rolle der „sekundären 
Bearbeitung“ übersehend — den manifesten Trauminhalt, indem er ihn ganz 
kommentarlos mitteilt, in der Erwartung, jeder müßte nun den Sinn verstehen, 
während Ref. gestehen muß, daß er das bei dem Mangel an Assoziations¬ 
material meist nicht konnte. Eine besonders große Rolle nimmt die „funktionale 
Deutung ein, die gelegentlich an die Deutungen der J u n g-Schule erinnern. Ein 
paar Beispiele für Träume, bei denen W i 11 e ls’ Deutung besonders frappiert. 

„In einem Alpenhotel. Ich eile, durch Hilferufe erschreckt, ans Fenster Vor 
dem Hotel steht der ,Ober‘ und schreit vor Schmerzen. Seme Handgelenke 
sind seltsam verbogen, als ob die Knochen fehlten. Die Haut vom Arme zur 
Hand merkwürdig gespannt. Kein Mensch im ganzen Hotel. (Kein Spermatozoon.) 
Ich laufe in den hinteren Trakt (homosexuell), wo das Personal ist: ,Ja, warum 
hilft denn niemand?' . . .“ Außer den beiden Klammerbemerkungen sagt 
Wittels über diesen Traum nur, daß er „ein larmoyantes Bild vom Zustand 
seines Genitales gibt“ (S. 126). Das ist zwar sicher richtig; ob es die 

Klammerbemerkungen auch sind, ist schon zweifelhafter. Was aber der Traum 
wirklich enthält, erfährt man nicht. 

„Funktionale“ Deutungen: 

Dort bin ich mit ein paar Männern gesessen, die bäuerlichen Charakter 
gehabt haben. (Er sitzt da, umgeben von seinen Komplexen, die ihn als 
primitiven Triebmenschen zeigen)“ (S. 166). Ein Traum spricht von der 

Fähigkeit des Analytikers zur Leichenverbrennung. Deutung: „Ich beseitige 
die dem Tode geweihten Erinnerungen“ (S. 210). — „Ein zerlumpter un 
selbstbewußt aussehender Mensch mit Schlapphut mit energischen Schritten . . . 

(Verbrecher in ihm)“ (S. 101). Tjr 

Manchmal beschränken sich die Deutungen auf Zusatze wie: (Ein Homo¬ 
sexueller träumt): „Ich bezwinge Käthe F. und lege sie quer mit dem Rucken 
auf meinen Schoß (das ist ohne Zweifel Heilungstendenz) . . . Spater taucht 
ein nackter Knabe vor mir auf . . . Ich beabsichtige eine Paedicatio (der 
homosexuelle Teufel reißt ihn wieder an sich)“ (S. 146). . 

Und ein Beispiel aus einem längeren Traum: „Ich sitze in irgendeinem 
Raum, der von verschiedenem erfüllt ist (zu Anfang der Analysen wird das 









P^Sigül^?? 

=r ÄÄ~■ r^Hir“" 

Symptomen“ gebraucht (S 82 ff) ” An ^ tneurose für „Neurose mit Angst¬ 
wirkt es sicher TI 3 , den P s y chiatris ^ ungebildeten Leser 

Wd T T n r h Verwlrrend > wenn von einem Zwangsneurotiker gesagt 

Zwange ^ Pubertatszelt war s °g ar d ^ Grenze des Wahnsinns überschritten 
Zwyneuro^grenzt oft an Wahnsinn, ja, sie ist ein Wahnsinn Ä 

JZzzsrs?* t ß n n rin a tS iene « A r Iysen T t§eteiit werden ’ 

schwierigsten Angaben gestellt hatte, „Mief aW‘ wrilt 

oW ” e ' nsehen konnte . was ihm tägliche Besprechungen nützen sollten“ (S 67) 

ÄS°“ „w^derkSufdie^'d^ 1 ! geI F S ^ “^5 der 

wählte, indem er mir davonlLf“ (S Lf M S ^ ^ Wid «standes 

Unrecht deL lttellS!’ ,TT hart “ äcki g e Unzugänglichkeit Wittels zu 

nicht zu Ende geführt“ der Pf ' W j w eitere Analyse ist „ebenfalls 
(Wäsche) b! zitierten 

Ät e Ilf/.aT“ 1 ' r“ die ““>* ™“ oh "»• » S 

g nrt CS. 148/149). - In einem weiteren Fall gelang die Überwindung 




















Referate 


357 


der unbewußten Erwartungen nicht, die den Patienten an Stelle eines Heilungs¬ 
wunsches in die Analyse geführt hatten, „trotzdem ich aus Leibeskräften 
die Übertragung auf deckte. Davids geringe Intelligenz und Bildung waren 
stärker als ich“ (S. 156). — Vom nächsten Patienten heißt es in krassem 
Widerspruch auf S. 163: „Patient, der schließlich die Kur gegen meinen 
Rat vorzeitig abbricht“ und auf S. 167: „Unter solchen Umständen blieb mir 
nichts anderes übrig, als die Behandlung aufzugeben.“ — Von einer Patientin 
gar heißt es: „Es ist schwer, einen Neurotiker gesund zu machen, wenn er 
nicht will“ (S. 198), und als sie — zehn Tage nach Abbruch — noch einmal 
kommt: „Nunmehr decke ich so schonend als möglich, aber auch so vollständig 
als möglich die Übertragung auf und beendige die Analyse“ — die doch 
nun erst begonnen hätte (S. 199). — Vom letzten Patienten endlich heißt es 
— die Analyse war allerdings in einer recht prekären Situation —: „Die 
Familie bestürmte mich, ich sollte . . . wenigstens Luminal gestatten. So 
beendigte ich die Analyse und Fedja nahm wieder Luminal“ (S. 219). — 
Diese Häufung des Mißgeschicks muß den Verdacht erwecken, daß der 
Analytiker selbst an ihm nicht unbeteiligt sei. In einem Lehrbuch der Technik 
sollte man eher die Mitteilung von Kunstgriffen erwarten, die die Fortführung 
der Analyse über passagere Schwierigkeiten ermöglichen. Hier aber scheint 
nicht einmal das legitime Mittel, die lege artis vorgenommene Auflösung der 
Übertragung, immer richtig angewendet worden zu sein. — Auch daß die 
Entwicklungen der Persönlichkeiten und ihrer Neurosen nur so fragmentarisch 
klar werden, erklärt sich zur Genüge aus diesen Abbrüchen, denn die Dauer 
der Analysen war gelegentlich eine grotesk kurze: Ein homosexuell Schizoider 
blieb zweieinhalb Monate (S. 147), eine schwere Zwangsneurose zwei 
Monate (S. 169). 

Dem entspricht auch die gelegentlich recht oberflächliche Auffassung des 
Autors über die Psychoanalyse. Bei einem zur Analyse ungeeigneten Fall 
(Paranoid?) versucht Wittels eine allgemeine psychotherapeutische 
Beeinflussung, in der er z. B. den Bräutigam der Patientin für „abscheulich“ 
erklärt. „Was ich tat“, meint er dazu, „war insoferne mit der Analyse verwandt, 
als ich eine Übertragung erzielte“ (S. 79). Aber insoferne sind Hypnose, 

Psychagogik, organische Behandlung, Sprachunterricht auch mit der Analyse 
verwandt. Nicht die Übertragung charakterisiert die Analyse, sondern, was 
sie mit der Übertragung anfängt. Daß der Zweifler „nicht viel Übertragung“ 
aufbringt (S. 62), ist auch unrichtig, er bringt bloß nur eine ambivalente 
Übertragung auf, mit der schwer etwas anzufangen ist. 

Wittels meint von sich selbst, sein „Temperament“ erlaube ihm keine 
Passivität (S. 73). Es bringt ihn auch dazu, einer Melancholie, die er analysiert, 
trotz generellen Einspruchs gegen solches Vorgehen, Baldrian und Kamillen¬ 
bäder neben der Analyse zu verordnen, weil „Patienten auf derartige Prozeduren 
und Rezepte mehr geben“ (S. 64), die Freud sehe Mahnung, dem Patienten 
nicht Ratschläge betreffs aktueller Schwierigkeiten zu geben, dahin zu modifi¬ 
zieren : „Man kann nicht der Freund eines Menschen sein und ihm jeden 
Rat verweigern. Es ist schon genug, wenn man diesen Rat in der Analyse bis 
ans Ende der Arbeit hinausschiebt“ (S. 81) — aber dann sollte der Patient 
solche Ratschläge nicht mehr nötig haben, — und uns auch zu zeigen, wie 
er sich solche Ratschläge in concreto vorstellt: Als Wittels den Eindruck 






358 


Referate 


hatte einem epileptischen Patienten könne Sexualverkehr helfen, und hörte 
das Dienstmädchen über das er phantasierte, wolle ihn haben, „lud“ er den 
Vater zu einer Konferenz, später auch die Schwester“ und setzte ihnen 
auseinander, der Patient solle das Dienstmädchen heiraten (S. 210) - 

Höh ti Un - aUCh ’ daß 68 ihm bei seiner Arbeit ™ „dramatische 

Höhepunkte zu tun ist, um das „analytische Staunen“, das „für die Mühe 

n Wochen und Monaten entschädigt“ (S. 71); diese Vorliebe bringt ihn 
auch dazu in einem Buche über „Technik der Analyse“ ausführlich 

Zeitungsberichte über Strafprozesse mitzuteüen, in denen latente Homosexualität 

S ek? n T- Paßt ’ daß « ™hrfach wie 

, , k . 1 »Kriminalität der „Sexualität koordiniert (z. B. S. 1 = 6) nicht 

logischer Begriff i“””'“" „„dem ein’ sorio- 

Noch an einigen anderen Stellen liegen bei Wittels Irrtümer vor: Zu 
einer sa is isc en Phantasie aus dem achten Lebensjahr bemerkt er: „So früh 

SiS 1 n h- h S - Tri ?- eb / n (S ' 161)5 V ° n Zwangsneurosei die ein 
Patient als sechsjähriges Kind mitgemacht hat, meint er, „die Angelegenheit 

hejso weit zurück, daß ausreichende Aufklärungen nicht mehr Möglich 
sind (S. 159), über eine leidenschaftliche Liebesbindung sagt er: Was soll 
in solchem Feuer ein Analytiker leisten?“ (S. 79 ), wenn eine sinnliche 
Strebung von einer zärtlichen zu einem anderen Objekt abgelöst wird redet 
er von einer Sublimierung des Dimitri in den Constantif“ (S. 204), eine 
berwertung der Brust als Sexualobjekt wird nicht analysiert, sondern kann 
„wenn man will (S. 160) mit der Säuglingsgeschichte in Beziehung gebracht 
werden. Als „aktive Methoden werden Stekel, Ferenczi, Rank Jung 

( S d 75 T i 7 e 7 1 ) n m 61 ( ” Kom P lexreizmeth °de ) koordiniert nebeneinandergestellt 

fW D p G beld . 6n l 6tZt f n . Ka P itel befassen sich mit der Frage der Analysierbarkeit 
der Epilepsie. Sie bringen wohl den Nachweis, daß die Anfälle in psychische 
Zusammenhänge emgeoMnet sind, - Wittels meint aber, daß damit auch 
ihre Psychogeneitat erwiesen sei. Die Beantwortung der „Frage ob meine 
Arbeit wirklich eine Mikroskopie der Seele bedeutet . . . oder ob hier ein 
riesiges Kunstprodukt vorliegt alles in den Fall hinein - und wenig richtig 
herausgedeutet wurde (S. 220) die Deutungen seien richtig, ist nicht identisch 

währ d T , Nacbw ® 1:5 der ^Wbogeneität der Epilepsie. Daß das Ausziehen 
rend der Analysenstunde im Dämmerzustand sexuellen Sinn hat (S. 207) 
wird memand bezweifeln (eher schon, daß der durch klonische Zuckungen 
der Kiefermuskulatur entstehende Zungenbiß mit dem Kannibalismus zusammen- 
21 ° J); ,-T 1 de o nn °? b können auch sich er organische Jacksonanfälle 

dessen^ ^ ^ interessant H daß ein Patient, 

dessen Anfalle ohne Vorboten kamen, während der Analyse eine Aura zu 

verspüren egann^( . 219); offenbar hat er vorher die Aura zu verdrängen, 
zu „ skotomisieren verstanden. ° * 

Wittels strebte die „künstlerische Form der Darstellung“ an (S. 220)- 
eescMeht^^W^ Sch ° n ’ daß das eigentlich auf Kosten der Wissenschaftlichkeit 
Kos ! ,- "f r" V ° n einem Schiz °Phrenen, der sich von einer 

Namen e und V tT, S ff Seitenlan S die Organisation dieser Division, 

Namen und Titel sämtlicher Offiziere usw.; die Analyse beschränkt sich auf 





















Referate 


359 


ein „Ur-Trauma , die Erinnerung an eine Bedrohung, der der Patient als Kind 
wegen seiner onanistischen Betätigung ausgesetzt gewesen war (S. 173—180). — 
Die novellistische Schreibweise zeigt sich besonders bei der Geschichte eines 
„homosexuellen Barockmenschen“; aber seine Homosexualität wird auf die 
Liebe zum Bruder zurückgeführt, über die Mutter sei „nur“ zu sagen, „was 
wir Analytiker immer wieder bis zum Überdruß berichten“ (S. 142), aber 
der Ödipuskomplex als Grundlage der Erkrankung (siehe den Traum von 
•S. 144 oder die ,,Unio mjrstica“ S. 141) wird übersehen. — Merkwürdig ist 
auch, daß Freunde von Patienten mit vollem Namen genannt werden (S. 120). 

Trotz all dieser Einwände bleibt dieses Buch sicher eine sehr spannende 
Lektüre. Als Darstellung der „Technik der Psychoanalyse“ haften ihm aber 
nach dem Gesagten noch allzu viele, leider nicht immer nebensächliche Mängel 
an. Man hat den Eindruck, als ob der Autor von der oberflächlichen 
Betrachtungsweise der Schule S t e k e 1 s wegstrebt und versucht, die Auf¬ 
fassungen Freuds in vollem Umfang sich zu eigen zu machen. Leider sind 
aber die Stellen noch allzu zahlreich, an denen Wittels von jener Denk¬ 
weise beeinflußt bleibt. F enichel (Berlin) 

Sugar, Dr. Nikolaus: Zur Genese und Therapie der 
Homosexualität, Jahrbücher für Psychiatrie und Neurologie, 
XLIV. Band, 2 . und 3 « Heft. 

Klinisch-sexualanalytische Anamnesen, die Verf. bei einer Reihe von 
Invertierten aufgenommen hat, dienen als Ausgangspunkt eingehender kritischer 
Erwägungen, die auf einem sorgfältigen Studium der einschlägigen Literatur 
beruhen. Die Schlußfolgerungen lauten für die Psychoanalyse sehr günstig: 
„Die Homosexualität ist der resultierende Gleichgewichtszustand von zahl¬ 
reichen Komponenten, deren eine Gruppe konstitutioneller und so relativ 
weniger beweglich, die andere Gruppe psychischer Natur und so relativ gut 
beweglich ist. Die Operation nach Steinach schafft eine zu schmale 
Angriffsbasis an einer wenig beweglichen Stelle und hat dadurch weniger 
Erfolge. Die berichteten Heilerfolge durch analytische Psychotherapie, die 
Überlegungen über Prophylaxe der Homosexualität, ferner die relative 
Unbeweglichkeit der organischen und die relativ gute Beweglichkeit der 
psychischen Faktoren machen die Berechtigung der Annahme wahrscheinlich, 
daß die analytische Psychotherapie eine breitere Angriffsbasis und dadurch 
bessere Chancen für therapeutische Beeinflussung bietet.“ 

Harnik (Berlin) 

Thomson, H. Torrance: The Attitüde of the Medical Pro¬ 
fession to Scientific Problems (Edinb. Med. Journ., June IQ24) 

Die Behandlung des Themas erfolgt unter besonderer Berücksichtigung von 
Tatbeständen, die nach einer Wertung zu verlangen scheinen. Die allgemeine 
Einstellung der ärztlichen Fachkreise den psychoanalytischen Funden gegenüber 
wird als Beispiel herangezogen; der Autor meint, daß sich in dieser Ein¬ 
stellung die Wirkung solcher Tendenzen in ungewöhnlichem Maße äußert. 

Die Art, wie psychoanalytische Theorien aufgenommen werden, wird an 
Hand besonderer Beispiele erläutert; zur Ergänzung dienen Auszüge aus 
Freuds „Geschichte der psychoanalytischen Bewegung“. 









36o 


Referate 


Die Aufnahme der Freud sehen Lehren wird mit der von Darwins 
Entwicklungstheorie verglichen und es wird gezeigt, daß die Opposition 
gegen diese beinahe ebenso heftig war wie die gegen die Psychoanalyse. 

Weiter wird allgemein dargelegt, wie jede neue Idee normalerweise einer 
starken Opposition begegnet, und daß im allgemeinen affektive Faktoren bei 
solchen herabsetzenden Urteilen die wesentliche Rolle spielen. 

Schließlich wird darauf aufmerksam gemacht, welche Gefahr für den 
wissenschaftlichen Arbeiter darin liegt, sich mit oberflächlichen Erklärungen 
zu begnügen oder auf Grund unzureichenden Wissens vorzugehen. 

Die Arbeit stellt den Versuch dar, auf bestimmte Tendenzen nachdrücklich 
hinzuweisen, die, obgleich möglicherweise bekannt, leicht vergessen oder nicht 
genügend eingeschätzt werden könnten. (Autoreferat) 


L °J’, Ba , rI ^ ra: The Fo «ndations of Mental Health. The 
Medical Times, IQ25, Vol. LIU. Nr. 2176. 


Eine kurze Darstellung der Beziehungen zwischen den frühinfantilen, unter 
der Herrschaft egozentrischer Impulse stehenden Phasen und den späteren 
Stadien, auf die die Bildung des Ichideals und weitere kulturelle Entwicklung 
mfluß haben. „Psychische Gesundheit“ ist das Ergebnis eines harmonischen 
Ausgleichs zwischen diesen widerstrebenden Tendenzen. 

Der Druck, den die Umgebung, Eltern, Erzieher und Gesellschaft auf 
die Idealbildungen ausübt, muß sich der seelischen Entwicklung des 
Kindes anpassen, woraus die Forderung erwächst, daß Eltern und 
Erzieher etwas Verständnis für das Seelenleben des Kindes haben. Die 
Schwierigkeit, die darin liegt, sich ein solches Verständnis anzueignen, ist 
zum größten Teil auf die Verdrängungen des Erwachsenen zurückzuführen 
die es ihm unmöglich machen, die Dinge zu sehen, oder wenn er sie selbst 
sieht, zu begreifen. 

Es folgt eine kurze Erwähnung der wichtigen Punkte in den frühkind- 
lichen Entwicklungsstufen, so unter anderem der egozentrischen Allmachts¬ 
phase mit ihrem oral-. und analerotischen Charakter, der Entstehung des 
Ichideals und der Entwicklung des Ödipuskomplexes. 

Es wird gezeigt, in welcher Weise die Erwachsenen, die in engster 
Beziehung zu dem Kind stehen, ihm Hilfe oder Hemmung zuteil werden 
lassen können, und schließlich mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß die 
Einstellung bei Ärzten und Erziehern mehr in der Richtung der Forschung 
fortschreiten als an vorgefaßten Anschauungen festhalten sollte. (Autoreferat) 


Burro w, Trigant: Our Mass Neurosis (The Psycholog. Bulletin 23). 
Burrow Trigant: Insanity a Social Problem (The American 

Journal of Sociology XXXII, i). 

Noch einmal setzt Burrow in diesen beiden Arbeiten seine bekannten, 
nicht sehr klaren Gedankengänge auseinander: Ebenso wie es in der Einzel- 
seele Konflikte gibt, die aus dem Unbewußten stammen, gibt es innerhalb 
der sozialen Gemeinschaft Konflikte aus einem „sozialen Unbewußten“, gegen 
dessen Aufdeckung gleichfalls Widerstände wirken. Jedes Urteil ist abhängig 
von den durch bestimmte soziale Auffassungen vorgezeichneten subjektiven 






















Referate 


361 


Bedingungen des Urteilenden. Wie die Sätze der Mechanik nach Einstein 
nur für ein bestimmtes Bezugsystem gelten, so auch alle angeblich „objektiven“ 
Urteile. Das Denken des Analytikers ist nicht objektiver als das des 
Neurotikers. Relative Allgemeingültigkeit kann nur eine Arbeit unter „Labora¬ 
toriumsbedingungen“ bringen, ein Consensus universorum, der in der Psycho¬ 
logie ebenso möglich ist wie in der Physik oder in der Astronomie. 

Fenichel (Berlin) 

Feigenbaum, Dorian: ACase ofHysterical Depression. 
Medianisms of Identification and Castration (The PsA. Review 

XIII, 4). 

Feigenbaum teilt die ausführliche Kranken- und Behandlungsgeschichte 
einer von ihm analysierten 24jährigen Patientin mit einer schweren Depression, 
zahlreichen konversionshysterischen und vereinzelten zwangsneurotischen 
Symptomen mit. Der Fall ist aufschlußreich für das Verständnis jener inter¬ 
essanten Neurosen, die zwischen Hysterie und Melancholie stehen, die, trotz 
oraler Fixierung und trotz Regression von der Objektliebe zur Identifizierung 
— sich genug genitale Objektlibido erhalten können, um im Ganzen noch 
als Hysterie zu imponieren. Solche Fälle sind schon mehrmals in der Literatur 
dargestellt; Feigenbaums Arbeit ergänzt die vorhandenen Beiträge in 
bemerkenswerter Weise. 

Die Patientin erkrankte im Anschluß an eine Liebesenttäuschung, die für 
sie die Wiederholung des Todes des vaterersetzenden Bruders bedeutete. Dieser 
Verlust stellte ihr die Ödipusversagung und die Kastration („Das Liebste ist 
ihr genommen“) dar. Die Patientin ist nicht nur (dem Ödipuskomplex 
entsprechend) der Mutter gegenüber ambivalent, sondern der Verlust weckt 
auch die ganze Ambivalenz gegenüber dem Mann (Bruder — Vater), indem 
er einen alten Penisneid reaktiviert. Bewußt wendet sie sich vom verlorenen 
Objekt ab, unbewußt ersetzt sie es sich durch Identifizierung, die zweifellos 
als orale Introjektion, als Partialeinverleibung durch Essen des Penis gedacht 
ist (Magensymptome, neurotischer Hunger). 

Besonders interessant sind die Bemerkungen zur Differentialdiagnose, die 
Lösung der Übertragung durch eine Terminsetzung und die Offenheit, mit der 
der Autor die möglicherweise von ihm begangenen technischen Fehler mit 
sich selbst diskutiert. Von den zahlreichen exkursorischen Ausführungen, die 
die ganze Darstellung durchziehen, seien noch zwei als wichtig hervorgehoben: 
Erstens der Fund, daß Todesfurcht und Todesgedanken nicht nur aggressive 
Wünsche gegen die Mutter, sondern gleichzeitig erotische gegenüber dem 
toten Bruder verarbeiteten; zweitens der, daß die Dauer der Krankheit 
(inklusive der Dauer der analytischen Behandlung) sich als durch psychische 
Mechanismen (Identifizierung) determiniert erwies. Fenichel (Berlin) 

Glover, Edward: A „Technical“ Form of Resistance. 
(Int. Journal of PsA. VII, 3 / 4 -) 

Glover bespricht den Widerstandstyp, der unter dem Zeichen des Interesses 
für die psychoanalytische Theorie steht. Er findet sich besonders bei 
Zwangsneurotikern und bei Personen, die sich einer Lehranalyse unterziehen. 









3Ö2 


Referate 


Solche Analysanden schützen sich vor den erforderlichen affektiven Erlebnissen 
durch eine Flucht in die analytische Theorie, die oft unter verschiedenen 
Rationalisierungsmasken eine negative Übertragung verdeckt. — Ein besonderes 
Interesse für das Über-Ich verriet sich in der Analyse als Äußerung des 
Kastrationskomplexes, ein Interesse für den Mechanismus der Introjektion als 
ein Symptom einer passiv-homosexuellen Einstellung („Befruchtung durch 
analytische Deutungen“, Worte und Gedanken als Sperma). 

F e n i c h e 1 (Berlin) 

























KORRESPONDENZBLATT 

DER 

INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN 

VEREINIGUNG 


Redigiert von Dr. M. Eitingon, Zentralsekretär 


Berichte der Zweigvereinigungen 

The American Psydioanalytic Association 

Die dritte alljährliche Wintersitzung fand am 26. Dezember 1926 in 
New York unter dem Vorsitz von Dr. A. Stern statt. Nachmittags- und 
Abendsitzung waren von einem großen Teil der Mitglieder und einer Anzahl 
Gäste besucht, so daß die Zahl der Anwesenden 50 überstieg. Geschäfts¬ 
sitzung fand keine statt. Das Programm war folgendes: 

1. Dr. Tr. B u r r o w (Baltimore): Das Problem der Übertragung. 

2. Dr. E. J. Kempf (New York): Psychoanalyse der persönlichen 

Beziehungen. 

3. Diskussion: „Die Ausbildung des Psychoanalytikers“, eröffnet von Dr. 

W. A. White (Washington). 

Abendsitzung: 

1. Dr. Gregory Stragnell: Individualistische Abweichungen in der 

Psychoanalyse. 

2. Dr. S. Ferenczi (Budapest): Aktuelle Probleme der Psychoanalyse. 

3. Dr. R. Reed (Cincinnati): Analyse des Einzelsymptoms. 

Die fünfzehnte Jahresversammlung fand am 31. Mai 1927 in Cincinnati (Ohio) 
ebenfalls unter dem Vorsitz von Dr. A. Stern statt. Anwesend waren 
12 Mitglieder. — Die Nachmittagssitzung, die gemeinsam mit der American 
Psychiatric Association abgehalten wurde, hatte folgendes Programm: 












364 


Korrespondenzblatt 


1. Dr. R. R e e d (Cincinnati): Behaviourismus gegen psychoanalytische 

Annahmen. 

2. Dr. B. Glu eck (New York): Konstitutionelle Strebungen des Ichs. 

In der Abendsitzung wurden folgende Vorträge gehalten: 

1. Dr. Tr. Burrow (Baltimore): Die Autonomie des Ichs vom Stand¬ 

punkt der Gruppenanalyse. 

2. Dr. C. P. Oberndorf (New York): Submuköse Resektion als 

Kastrationssymb ol. 

Ferner hörte die Gesellschaft einen Bericht des Unterrichtsausschusses 
(bestehend aus den Drs. Kempf, Jelliffe und Oberndorf), der das 
Anwachsen der Zahl der aktiven Mitglieder von 50 auf 75 und die Ein¬ 
führung einer außerordentlichen Mitgliedschaft für solche Personen befür¬ 
wortete, die, in den Gebieten der angewandten Psychoanalyse interessiert, die 
therapeutische psychoanalytische Praxis nicht ausüben wollen. 

Zu Mitgliedern wurden gewählt: Drs. Clara Thompson (Baltimore), 
John Cassity (Washington), Earnest E. Hadley (Washington), Lional 
Blitzen (Chicago). 

Dr. Oberndorf wurde mit der Vertretung der Vereinigung am inter¬ 
nationalen Kongreß in Innsbruck betraut. 

Es wurden gewählt: Zum Präsidenten Dr. W. A. White (Washington), 
zum Sekretär Dr. C. P. Oberndorf (New York), zu Beiräten Drs. H. S. 
Sullivan (Baltimore), R. Reed (Cincinnati), A. Stern (New York). 

Dr. C. P. Oberndorf 

Sekretär 


British Psydio-Analytical Society 

I. Quartal 1927 

19. Januar 1927. Dr. W. In man: Augenkrankheiten und Affektzustände. 
— Der Redner beobachtete in seiner augenärztlichen Praxis Zusammenhänge 
zwischen organischen Augenkrankheiten und dem psychischen Status der 
Patienten. So begannen mehrmals schwere Augenkrankheiten an Jahrestagen 
des Todes der Eltern. Ein analysierter Fall von Keratitis verschlimmerte und 
verbesserte sich entsprechend dem Affektzustande des Patienten. 

2. Februar 1927. Miß Mary Chadwick: Ein halbes Jahr Kindergarten¬ 
beobachtung. — Die Zeichen neurotischer Störungen bei Kindern zwischen 
zwei und fünf Jahren sind im wohlpflegenden Elternhaus ebenso häufig wie 
im Kinderheim, die Verdrängung ist nicht geringer, wenn einzelne Triebe 
Befriedigung finden; Konflikte zwischen den Eltern setzen sich im Kinde als 
Konflikte seiner Ideale fort. Therapeutisch ist in manchen Fällen die Kinder¬ 
analyse nötig, sonst bessere Ausbildung der Erzieher; man muß dem Kinde 
Gelegenheit geben, im Spiel und sonst seine Triebe und Phantasien abzuführen, 
an Stelle widersprechender Elternvorbilder sich neue Ideale zu bilden. [Die 
Arbeit wird in der „Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik^ veröffent¬ 
licht.] 

16. Februar 1927. Mrs. Melanie Klein: Die Bedeutung der Worte in 
der Frühanalyse. Ein fünfjähriges Kind verriet seine feindseligen Regungen 
gegen die Mutter, indem es beim Kaufmannspiel den von der Analytikerin 





























Korrespondenzblatt 


365 


dargestellten Verkäufer „Cookey-Caker “, aus „Cakes-Cooker“, Kakeskoch, d. h. 
Kindermacher, nannte, sich selbst aber als Käufer, „Kicker“, d. h. „Stoßer“. 
Das Kind „dramatisiert“ nicht nur seine Gedanken, sondern verrät sich dabei 
auch durch selbstgewählte Worte. — Miß N. Searl: Eine bedeutungsvolle 
Fehlhandlung während der Analyse. — Eine Patientin glaubte ein Pferd 
gesehen zu haben, dessen Penis so lang war, daß er bis zur Erde gereicht 
hätte, wäre er nicht aufgebunden gewesen. Erinnerungen an die Nabel¬ 
behandlung einer kleinen Schwester, die ihrerseits wieder aktive Kastrations¬ 
wünsche gegen den Vater deckten, hatten in dieser Fehlwahrnehmung ent¬ 
stellten Ausdruck gefunden. 

16. März 1927: Mrs. Susan Isaacs: Die Reaktion einer Kindergruppe 
auf ungewohnte soziale Freiheit. — Die — zunächst uneingeschränkt 
egoistischen — Kinder kommen unter verschiedenen Umständen zur „Massen¬ 
bildung“, zu sozialen Bindungen. Sie werden dazu bewogen: 1) durch Schuld¬ 
gefühle (die sich z. B. in der Strenge der Kinder beim „Elternspiel“, in den 
Quälereien jüngerer Geschwister, in der Bereitschaft, sich von den Eltern 
zwingen zu lassen, nachweisen lassen), 2) durch das Vorhandensein einer 
neutralen Person, auf die die feindseligen Anteile der Ambivalenz verschoben 
werden können, so daß gegenüber den Geschwistern nur Liebe übrig bleibt, 
3) durch das Vorhandensein eines gemeinsamen Feindes (Vater in der Urhorde). 

6. April 1927: Miß Ellen M. Terry: Eine Sprachstörung eines 4jährigen 
Jungen. — Der kleine Patient litt an einer schweren Sprachhemmung und 
leichten angsthysterischen Symptomen. Nach der traumatisch wirkenden Ent¬ 
wöhnung hielt er die Worte beim Sprechen zurück, der symbolischen unbe¬ 
wußten Gleichung folgend Sprache=Milch. Die Analyse konnte die Sprach¬ 
störung beheben. 

4. und 18. Mai 1927: Miß Barbara Low: Referat über das Buch von 
Anna Freud „Einführung in die Technik der Kinderanalyse". — Die 

Diskussionsbemerkungen von Dr. Eder, Dr. E. G 1 o v e r, Mrs. Klein, 

Mrs. Ri viere, Miß Searl und Sharp e werden in extenso im „Int. 
Journal of Psycho-Analysis“ erscheinen. 

1. Juni 1927: Dr. Emest Jones: Ein Fall von Zwangsneurose. — Das 

Hauptsympton war die Angst des Patienten, seinen Sinn für Ästhetik zu ver¬ 

lieren. Der Redner besprach ausführlich den Sinn der Angst, die Analyse 
könnte Fortschritte machen, und des Wunsches nach vollständiger Heilung, 
bevor noch irgendein Fortschritt erzielt ist. 

16. Juni 1927: Dr. Ferenczi: Unterrichtstätigkeit in Amerika 1926 —1927. 
— Der Redner beschrieb allgemein das große öffentliche Interesse für Psycho¬ 
analyse in Amerika und erklärte dann, was dieses Interesse daran hindere, 
mehr in die Tiefe zu gehen. Er besprach die Pionierarbeit von St. Hai 1 , 
Putnam und Brill. In den offiziellen medizinischen Kreisen begegnete er 
nicht dem unzugänglichen Widerstand, den man von Europa her kennt, aber 
der Tendenz, sich mit einer recht oberflächlichen Kenntnis der Materie zu 
begnügen; eine Art demokratische Unantastbarkeit der eigenen Person ver¬ 
hindere vielfach, daß man sich der Regel unterwerfe, sich erst selbst analysieren 
zu lassen. Adlers Lehren sind in pädagogischen Kreisen, Jungs in Frauen¬ 
vereinen verbreitet. Adlers persönlicher Besuch hat in wissenschaftlichen 
Kreisen die Enge seiner Gesichtspunkte erkennen lassen und dadurch enttäuscht. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIII/3. 


25 







366 Korrespondenzblatt 


Ranks neue Technik gefällt vielfach wegen der Kürze der Behandlungsdauern 
und eine rasch wachsende kleine Zahl von Anhängern hat sich gefunden. 
Der Redner selbst hat auf Einladung der New School for Social Research 
eine Reihe von Vorlesungen über „Geschichte und gegenwärtiger Stand der 
Psychoanalyse gehalten, und zwar vor einem gemischten Auditorium von 
Ärzten und Nichtärzten. Der Redner berichtete ferner von seinen Eindrücken 
auf der Columbia-Universität, in medizinischen und psychiatrischen Gesell¬ 
schaften, bei Fürsorgern, Psychologen und in Privathäusern, und er bewunderte 
die Bereitschaft selbst von Lehrern und Professoren, Neues zu lernen. Die 
übertriebene Angst vor der Laienanalyse, die die Mediziner zeigten, bewog 
den Redner, für Ärzte und Nichtärzte getrennte Kurse zu lesen. — Der 
Redner gab dann noch ein kurzes Referat über einen Vortrag, den er vor 
der New Yorker psychiatrischen Gesellschaft über Gullivers Phantasien gehalten 
hatte, die er mit den Freud sehen Gedanken über die psychischen Geschlechts¬ 
unterschiede in Verbindung brachte. 

Neue außerordentliche Mitglieder: Mrs. Marjorie Brierley, Granary 
Cottage, Crabtree Lane, Harpenden, Herts.—Dr. Marjorie E. Franklin, 55, 
Weibrock Street, W 1. — Dr. Adrian Stephen, 50, Gordon Square, W. C. 1! 

Dr. Karen Stephen, 50, Gordon Square, W. C. 1. — Dr. Hilda 
M. Weber, 6, Taviton Street, Gordon Square, W. C. 1. 

Dr. Douglas Bryan 

Sekretär 

Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft 

I. — III. Quartal 1927 

4. Januar 1927. Vortrag Dr. Bertram Lewin (New York, a. G.): Die 
Geschichte der Gewissenspsychologie. — Dr. Sachs: Zur Diskussion der 
Laienanalyse. 

11. Januar 1927. Technischer Diskussionsabend: Das Verhalten des Ana¬ 
lytikers zu den Angehörigen des Patienten. 

In der Geschäftssitzung wird Frau Dr. med. Frieda Fromm-Reich- 
mann (Heidelberg-Neuenheim, IVlönchhofstraße 15) zum außerordentlichen 
Mitglied gewählt. 

29. Januar 1927. Generalversammlung. Die Berichte des Vorstandes, 
des Direktors des Institutes, des Unterrichtsausschusses, des Kassenwartes und 
des „Kuratoriums zur Verwaltung des Stipendienfonds“ werden genehmigt. — 
Der Vorstand wird einstimmig wiedergewählt: Dr. Simmel (Vorsitzender), 
Dr. Radö (Schriftführer) Frau Dr. Horney (Kassenwart). — In den Unter¬ 
richtsausschuß werden gewählt: Drs. Alexander, Eitingon, Frau Horney, 
C. Müller-Braunschweig, Radö, Sachs und Simmel. — In das „Kuratorium zur 
Verwaltung des Stipendienfonds“ werden gewählt: Drs. Boehm, Härnik, 
Horney. Dr. Boehm stellt den Antrag, daß die freiwillige Selbstbesteuerung 
der Mitglieder zugunsten des Stipendienfonds neu geregelt werde; jedes Mit¬ 
glied soll sich im voraus zu festen monatlichen Beiträgen verpflichten. Der 
Antrag wird angenommen. 

8. Februar 1927. Dr. Radö: Referat über Freuds Buch „Hemmung, 
Symptom und Angst“. 

15. Februar 1927. Fortsetzung der Generalversammlung. — Dr. 




























Korrespondenzblatt 


367 


Fenichel berichtet über die Tätigkeit des sogenannten Kinder Seminars. — Bei 
der Wahl des Kongreßortes entscheidet sich die Gesellschaft mit Stimmen¬ 
mehrheit für Innsbruck. — Die außerordentlichen Mitglieder Drs. Walter 
Cohn, Alfred Groß und Harald Schultz-Hencke werden zu ordent¬ 
lichen Mitgliedern gewählt. 

26. Februar 1927. Diskussionsabend. Die Frage der „Laienanalyse“. Drs. 
Simmel, Horney, Alexander, G. Müller-Braunschweig, Sachs, Eitingon, Radö, 
Fenichel. 

8. März 1927. Dr. Ischlondski (a. G.): Gehirnmechanik psychischer 
Phänomene. 

19. März 1927. Vortrag Frl. Anna Freud (Wien, a. G.): Zur Technik 
der Kinderanalyse. 

29. März 1927. Technischer Diskussionsabend: Der Aktualkonflikt. Ein¬ 
leitendes Referat: Dr. Alexander. — Diskussion: Drs. Simmel, Sachs, Radö, 
Frau Jos. Müller, Schultz-Hencke, Boehm, Groß, Fenichel. 

5. April 1927. Vortrag von Frau Dr. A. Lampl de Groot: Zur Ent¬ 
wicklungsgeschichte des Ödipuskomplexes der Frau. 

In der Geschäftssitzung wird Dr. August Watermann (Hamburg 
Colonnaden 18) zum außerordentlichen Mitglied gewählt. 

26. April 1927. Kleine Mitteilungen. Dr. Harnik: Zwei Kinderträume. 
— Dr. Boehm: Eine feminine Phantasie beim Manne. — Dr. F enichel: 
a) Schuldgefühl und Strafbedürfnis; b) der Witz im Traume. 

3. Mai 1927. Frau Dr. Horney: Referat über den zweiten allgemeinen 
Kongreß für Psychotherapie in Nauheim. — Vortrag Dr. Simon son: Über 
das Verhältnis von Raum und Zeit zur Traumarbeit. 

17. Mai 1927. Technischer Diskussionsabend: Die Gefahr des vorzeitigen 
Abbruchs der Behandlung. — Einleitendes Referat: Dr. Hämik. Diskussion: 
Drs. Alexander, Sachs, Boehm, Eitingon, Radö, Simmel, C. Müller-Braunschweig. 

24. Mai 1927: Außerordentliche Generalversammlung. Die 
Gesellschaft beschließt die Annahme von „Richtlinien über die Gründung 
und Tätigkeit von Arbeitsgemeinschaften im Rahmen der D. PsA. G.“. — Das 
außerordentliche Mitglied Frau Dr. Elisabeth N a e f wird zum ordentlichen 
Mitglied gewählt. 

Vortrag Dr. Radö: Gehirntumor unter dem Bilde einer Psychoneurose. 

31. Mai 1927. Vortrag Dr. F e n i ch e 1 : Psychoanalytische Untersuchungen 
über die Wirkungsweise der Gymnastik. 

18. Juni 1927. Dr. Erich Fromm (Heidelberg, a. G.): Heilung eines 
Falles von Lungentuberkulose während der psychoanalytischen Behandlung. 

28. Juni 1927. Vortrag Frl. Dr. Kirschner (a. G.): Ein Fall von 
Konversionshysterie. 

5. Juli 1927. Vortrag Frau Dr. L an tos (a. G.): Aus der Analyse einer 
Konversionshysterie. 

In der Geschäftssitzung werden Frl. Dr. med. Lotte Kirschner (Berlin- 
(Charlottenburg, Mommsenstraße 12) und Frau Dr. med. Barbara L a n t o s 
Berlin-Wilmersdorf, Güntzelstraße 2) zu außerordentlichen Mitgliedern gewählt. 

* 

Die Gesellschaft veranstaltete in ihrem Institut (Berlin, W. 35, Potsdamer 
Straße 29) folgende Fach- und Ausbildungskurse: 










368 


Korrespondenzblatt 


X hi W inter quartal (Januar — 1VX ä r z) 1 9 2 7 : 

1) Sändor Radö: Einführung in die Psychoanalyse, II. Teil. (Theorie 
und Klinik der Neurosen.) 6 Stunden. (Hörerzahl: 46.) 

2) Jenö Harnik: Sexualforschung und sexuelles Wissen in der Kindheit 
und in der Pubertät. 6 Stunden. (Hörerzahl: 27.) 

3) Franz Alexander: Spezielle Neurosenlehre, I. Teil. (Zwangsneurose 
und Phobien.) 5 Stunden. (Hörerzahl: 19.) 

4) Otto Fenichel: Ichpsychologie, II. Teil. (Struktur und Genese des 
Ichs, Ich und Es, Ich und Über-Ich, Angst, Ich und Symptom.) 8 Stunden. 
(Hörerzahl: 19.) 

5) Carl Müller-Braunschweig: Verhältnis der Psychoanalyse zum 
religiösen Glauben und zur Seelsorge. 5 Stunden. (Hörerzahl: 19.) 

6) Hanns Sachs: Die Anwendung der Deutungstechnik auf den Witz 
und verwandte Gebiete. (Nur für ausübende Analytiker und Ausbildungs- 
kandidaten.) 5 Stunden. (Hörerzahl: 12.) 

7) Siegfried Bernfeld: Psychoanalytische Besprechung praktisch-päd¬ 
agogischer Fragen. (Seminar, laufend). [Hörerzahl: a) Abt. für Anfänger: 26 
b; Abt. für Fortgeschrittene: 32.] 

8) Sändor Radö: Technisches Kolloquium. (Nur für ausübende Analytiker 
insbesondere Ausbildungskandidaten.) 16 Stunden. (Hörerzahl: 15.) 

9) Eitingon, Simmel: Praktische Übungen zur Einführung in die 
psychoanalytische Therapie. (Nur für Ausbildungskandidaten.) (12 Kandidaten.) 

Im Früh j ahrs quartal (April — Juni) 1927: 

1) Siegfried Bernfeld: Was ist Psychoanalyse? 3 Stunden. (Hörer- 
zahl: 31.) 

2) Sändor Radö: Liebesieben und Sexualfunktion. 6 Stunden. (Hörer¬ 
zahl: 31.) 

3) Hanns Sachs: Die Symbolik und ihre künstlerische Verwendung 
5 Stunden. (Hörerzahl: 35.) 

4 ) Carl Müller-Braunschweig: Stellung der Psychoanalyse inner¬ 

halb der Wissenschaften und der Gesamtkultur. 3 Stunden. (Hörerzahl: 9.) 
tt, 3 4 5 6 7 8 9 10 r.^ UO Fenichel; Ichpsychologie, III. Teil. (Angst, Ich und Symptom, 
Ichgefuhl, Psychoanalyse und Denkarbeit.) 7 Stunden. (Hörerzahl: 10.) 

6) Franz A 1 e x a n d e r: Spezielle Neurosenlehre, II. Teil. (Hysterie, Cha¬ 
rakter.) 5 Stunden. (Hörerzahl: 25.) 

7) Jenö Harnik: Die Psychoanalyse als Deutungskunst. (Ausgewählte) 
Kapitel der therapeutischen Technik.) 6 Stunden. (Hörerzahl: 26.) 

8) Siegfried Bernfeld: Psychoanalytische Besprechung praktisch-päd- 
agogischer Fragen. (Seminar, laufend.) [Hörerzahl: a) Abt. für Anfänger: 34, 
b) Abt. für Fortgeschrittene: 34.] 

9) Sändor Radö: Technisches Kolloquium. (Nur für ausübende Analytiker 
insbesondere Ausbildungskandidaten.) 16 Stunden. (Hörerzahl: 17.) 

10) Eitingon, Simmel: Praktische Übungen zur Einführung in die 
psychoanalytische Therapie. (Nur für Ausbildungskandidaten.) (12 Kandidaten.) 

Dr. Sändor Radö 
Schriftführer 




























Korrespondenzblatt 


369 


Magyarorszägi Pszichoanalitikai Egyesület 

I. — U. Quartal 1927 

15. Januar 1927. Dr. G. Röheim: Die Projektion. 

29. Januar 1927. Geschäftliche Sitzung. Der Vorstand wurde wiedergewählt. 
— Diskussion über die Frage der Laienanalyse. 

19. Februar 1927. Dr. P. Federn (Wien): Die häufigste narzißtische Psychose. 
5. März 1927. Frau K. Levy (a. G.): Referat über eine Sitzung der Wiener 
Psychoanalytischen Vereinigung. — Dr. M. Bali nt: Kasuistisches, a) Schwanger¬ 
schaftstheorie eines jungen Mannes. — b) Analyse von Singultusfällen. 

19. März 1927. Dr. L. Revesz: Kasuistisches, a) Aktiver Eingriff bei einem 
Fall von relativer Impotenz. — b) Schnellanalyse einer Schlaflosigkeit. 

2. April 1927. Dr. M. J. Eisler: Zwangssymptom und Zwangsneurose. 

30. April 1927. Frau K. Levy (a. G.): Referat über das Buch von 
Anna Freud „Einführung in die Technik der Kinderanalyse‘ . 

14. Mai 1927. Dr. M. J. Eisler: Struktur der Zwangsneurose (Fort¬ 
setzung). 

28. Mai 1927. Frau Dr. Kircz-Takacs: Die neueren Romane Romain 
Rollands. 

* 

Das Lehrinstitut veranstaltete in den Monaten Februar März folgende 
Kurse: 

Dr. I. Hollos: Traumdeutung. 

Dr. S. Pfeifer: Allgemeine Neurosenlehre. 

Dr. M. J. Eisler: Spezielle Neurosenlehre. 

In den Monaten April—Mai hielt im Rahmen des Lehrinstitutes Frau 

Alice Bälint einen Kurs über analytische Kinderpsychologie für Laien. Der 

Kurs war stark besucht. Dr. Imre Hermann 

Sekretär 


New York Psycho-Analytical Society 

I. — II. Quartal 1927 

25. Januar 1927. a) Dr. Alexander Lorand: Ein weiblicher Fall von 
Angsthysterie, die als Pferdephobie in Erscheinung trat und an die Neurose 
des „kleinen Hans“ erinnerte. — b) Dr. Abraham Kardiner: Ein Fall von 
Angsthysterie, interessant dadurch, daß ihre Phobie in der oral-sadistischen 
Organisationstufe wurzelte und zahlreiche archaische kannibalistische Phan¬ 
tasien produzierte. 

In der Geschäftssitzung wurde eine Resolution zur Frage der Laienanalyse 
angenommen. (S. diese Ztschr. S. 321.) 

Für das Jahr 1927 wurden gewählt: Dr. A. A. Brill zum Präsidenten, 
Dr, Monroe A. Meyer zum Vizepräsidenten, Dr. A. Kardiner zum 
Sekretär und Schatzmeister. — Der Präsident bestimmte zum Schriftführer 
Dr. Ph. R. Lehr mann, 

22. Februar 1927. a) Dr. A. A. Brill: Ansprache des neugewählten 
Präsidenten. Die kurze Ansprache ermunterte die Mitglieder zu erhöhter 
Produktivität und betonte, daß klinisches Material erwünschter sei als 
theoretische Ausführungen. — b) Dr. H. W. Frink: Der Fall des Herrn 











3 7o Korrespondenzblatt 


Dudley Stackpole. Der Redner leitete seinen Versuch zu einer analytischen 
Besprechung einer Erzählung von Irvin Cobb mit dem Hinweis darauf ein, 
daß solchem Material besondere didaktische Bedeutung zukommt. 

In der Geschäftssitzung wurde Dr. Thomas H. Haines zum Mitglied 
gewählt. ö 

Der Präsident bildete aus den Drs. Frink, Oberndorf und Meyer 
ein „wissenschaftliches Komitee“ und setzte die Drs. Oberndorf (Vor¬ 
sitzender), K a r d i n e r, Meyer, Frink, Stern, Jelliffe und Lehrmann 
als Unterrichtsausschuß ein. 

29. März 1927. a) Dr. A. Lorand: Träume als Auslöser latenter Neu¬ 
rosen. b) Dr. B. Glueck: Psychoanalytische Bemerkungen zu zwei Mord¬ 
waffen. Der Redner versuchte die Ermordung eines Jungen durch zwei junge 
Leute von hoher Bildung und gesellschaftlicher Stellung psychoanalytisch zu 
klaren: Obwohl das unter den widrigen Umständen der Haft gewonnene 
Material nur unzureichend war, gelang es doch, in die Motivierung der Tat 
einiges Licht zu bringen. An der Diskussion nahm u. a. Dr. W. A. White 
teil der zusammen mit Dr. Glueck die Angeklagten untersucht hatte. 

In der Geschäftssitzung wurde die Austrittserklärung Dr. Wearnes 
angenommen. 

f6._ Ap r il 1 9 2 7 ■ Dr. D. Feigenbaum: Eine neue Deutung eines alten 
analysierten Falles. Der Redner versuchte den von Breuer in den „Studien 
über Hysterie beschriebenen Fall im Lichte der heutigen Theorie darzu¬ 
stellen. — An der Diskussion beteiligte sich Dr. Ferenczi, eer über diesen 
all und über die Frühgeschichte der Psychoanalyse interessantd Ausführungen 
machte. 

24 jT^ ai 192 . 7 * Dr * A * Stern: Eine schwierige Ödipussituation eines 
Jugendlichen. Ein fünfzehnjähriger Patient mit Ohnmachtsanfällen und leb¬ 
haften sexuellen Phantasien seit einer Verführung im achten Lebensjahr wurde 
erfolgreich durch eine Analyse behandelt, deren Technik der Jugend des 
Patienten entsprechend modifiziert war. ~ Dr.Kardiner: Kurze Mitteilung 
über einen Fall von Impotenz. 

In der Geschäftssitzung wurden Dr. Lillian Powers zum ordentlichen, 
Drs Sarah R. Kolm an und Dr. Stanley King zu außerordentlichen Mit¬ 
gliedern gewählt. 

Mit der Verwaltung des Ausbildungsfonds wurden Drs. Oberndorf 
Stern und Jelliffe betraut. Dr . PhiIipp R Lehrmann 

Schriftführer 

Russische Psychoanalytische Vereinigung 

I. — II. Quartal 1927 

27. Januar 1927. Frau Dr. Awerbuch: W. W. Rosanon (Versuch einer 
Analyse seines literarischen Schaffens). 

3. Februar 1927. Diskussion über den Vortrag von Frau Dr Awerbuch 
16. Februar 1927. Dr. Wulff: Über den Affekt (ein Referat). 

23. Februar 1927. Al. Luria: Über die experimentellen Unter¬ 
suchungen des primitiven Denkens bei Kindern. 

10. März 1927. L. Wygotsky: Psychologie der Kunst in Freuds 




































Korrespondenzblatt 


371 


17. März 1927. Al. Luria: Referat über Bychowskys „Die Meta¬ 
psychologie Freuds“. 

7. April 1927. Dr. Wulff: Psychoanalytische Beleuchtung des während 
der . . . Untersuchung der Moskauer Autobuschauffeure gesammelten Materials. 

In der geschäftlichen Sitzung bittet Al. Luria um Enthebung von den 
Sekretärpflichten der Vereinigung. Die Vereinigung erfüllt mit Bedauern den 
Wunsch von Al. Luria und spricht ihm ihren Dank aus. 

Zum neuen Sekretär wird Wera Schmidt gewählt. 

14. April 1927. Dr. F riedmann: Latente Homosexualität und Depressions¬ 
zustände. Wera Schmidt 

Sekretär 


Wiener Psychoanalytische Vereinigung 

I. — II. Quartal 1927 

12. Januar 1927. Vortrag Hedwig Schaxel: Erziehungsfragen der 
frühen Kindheit. Diskussion: H. Deutsch, Federn, Frl. Freud, Friedjung, 
Hitschmann, Hoffer, Libbin (a. G.), Reich, Wälder, Wittels (a. G.). 

26. Januar 1927. Kleine Mitteilungen und Referate. 1. Federn: Eine 
Fehlleistung im Traum. Diskussion: Fr. Bibring. — 2. Reik: Zum Thema: 
Sexualität und Schuldgefühl, Diskussion: H. Deutsch, F edern, Sadger, 
Wälder. — 3. Hitschmann: Familienforschung bei psychoanalytischen 

Patienten. Diskussion: Federn, Jokl. 

9. Februar .1927. Vortrag Dr. Theodor Reik: Die Überschätzung des 
Traumas in der Psychoanalyse. Diskussion: H. Deutsch, F. Deutsch, 
Federn, Hartmann, Hitschmann, Jokl, Libbin (a. G.), R. Sterba, Wittels 
(a. G.). 

23. Februar 1927. Kleine Mitteilungen und Referate. 1. Reik: Eine 
kritische Bemerkung zur Diskussion Reich-Alexander: Strafbedürfnis und 
neurotischer Prozeß. Diskussion für ein ausführliches Referat (Wittels) ver¬ 
schoben. — 2. Hitschmann: Eine Beobachtung bei Knut Hamsun. 
Woher kommt es, daß Ärzte sich nicht mehr mit Anwendung der Psycho¬ 
analyse auf Geisteswissenschaften befassen? Diskussion: Prinzessin Bonaparte 
(a. G.), H. Deutsch, F. Deutsch, Federn, Jokl, Fr. Klepetar (a. G.), 
Libbin (a. G.), Reik, Storfer, Wittels (a. G.). 

9. März 1927. Vortrag Dr. Helene Deutsch: Zur Psychogenese der 
Platzangst. Diskussion: F. Deutsch, Federn, Hitschmann, Nunberg, Schilder, 
Steiner, Wittels (a. G.). 

23. März 1927. Kleine Mitteilungen und Referate. 1. Steiner: Eine 
kleine Fehlleistung. — Träume Ahnungsloser. Diskussion: Federn, Jokl, 
Storfer. — 2. Hitschmann: Das Amazonentum (Bachofen: Urreligion 

und antike Symbolik). Diskussion: H. Deutsch, Federn, Libbin (a. G.), 
Nunberg, Storfer, Wittels (a. G.). 3* Federn: Ablehnung des Penis 

durch einen Mann. Diskussion: Hitschmann, Nunberg. 4. Spitz: Ein 

Vorläufer des Ödipusmythos bei Herodot. 

6. April 1927. Mitteilung Storfer: Zur Frage des „Tagebuch eines 
halbwüchsigen Mädchens“; vorläufige Rückziehung durch den Verlag. 
Referat Dr. Wittels (a. G.): Strafbedürfnis und neurotischer Prozeß. 








372 


Korrespondenzblatt 


(Kritische Bemerkungen zu der gleichnamigen Diskussion von Reich- 
A1 ex ander und zu Alexander: „Psychoanalyse der Gesamtpersönlich¬ 
keit .) Diskussion: Federn, Reik, Wälder. 

20. April 19 2 7 * Kleine Mitteilungen. 1. Jo kl: Bemerkungen zu 
Karikaturen eines zwangsneurotischen Zeichners. Diskussion: Nunberg, — 
2. H. Deutsch: Phantasien im Opiumrausch. Diskussion: H. Bibring, 
Klepetar (a. G.), Libbin (a. G)., Wittels (a. G.). — 3. Nunberg: Über 
das Aufgeben von Sublimierungen. Diskussion: Federn, H. Deutsch. — 
4. H. Deutsch: Schicksalsbestimmung in der Analyse. Diskussion: Federn, 
Klepetar (a. G.), H. Libbin (a. G.), Nunberg. 

4. Mai 1927. Vortrag Dr. Fokschaner: Beitrag zum Epilepsie¬ 
problem. Diskussion: H. Deutsch, Federn, Hitschmann, Sadger, Schilder, 
Winterstein. 

18. Mai 1927. Kleine Mitteilungen. 1. Wittels (a. G.): Bemerkungen 
zu einem symbolischen Gemälde (F r e u d-Porträt eines Schizophrenen). 
Diskussion: H. Deutsch, Nunberg, Federn. — 2. Reik: Zum Sadismus des 
Über-Ichs. Diskussion: E. Bibring, Federn, Hitschmann, Spitz, Storfer, 
Wälder. 3. H. Sterba: Ein Fall von fetischistischer Onanie. Diskussion: 
H. Deutsch, Federn, Hitschmann. 4. Nunberg: Schuldgefühl und 

Libidosteigerung (Reik). Diskussion: H. Deutsch, Federn, Hitschmann, Reik, 
Sterba, Winterstein. — W i 11 e 1 s (a. G.): Über drei Gedichte von K 1 a b u n d. 
Diskussion: H. Deutsch, Jokl, Reik, Storfer. 

1. Juni 1927. Vortrag Doz. Dr. Deutsch: Beiträge zur Psychogenese 
des Blepharospasmus. Diskussion: H. Deutsch, Federn, Hartmann, Nunberg, 
Reich. 

15. Juni 1927. Kleine Mitteilungen. 1. Tamm: Mitteilung über einen 
Fall von Stottern. Diskussion: F. Deutsch, H. Deutsch, Federn, Nunberg, 
Steiner, R. Sterba. 2. H. Sterba: Ein Maturitätstraum. Diskussion: 
Sadger. 3. Fr. Sterba-Alberti: Gotteslästerung und Himmelsstrafe. 
— 4. Hitschmann: Zur Frigidität. Diskussion: F. Deutsch, H. Deutsch, 
Fr. Deutsch-Eszenyi (a. G.), Federn, Nunberg. — 5. Federn: Darstellung 
abstrakter Worte durch Traumabschnitte. 

2g. Juni 1927. Vortrag Dr. E. Bibring: Über den oral-erotischen 
Charakter. Diskussion: Federn, Friedjung, Nunberg, Reich, Schaxel. 

Geschäftliches: Zu ordentlichen Mitgliedern wurden gewählt: 

Dr. Heinz Hartmann, Wien, I., Rathausstraße 15; Hedwig Schaxel, 
Wien, I., Ring des 12. November 8; Dr. Fritz Wittels, Wien, I., Hohen¬ 
staufengasse 9. Dr R H Jokl 

Schriftf ührer 
























LEHRINSTITUT DER WIENER 
PSYCHOANALYTISCHEN VEREINIGUNG 


Das LEHRINSTITUT DER WIENER PSYCHO¬ 
ANALYTISCHEN VEREINIGUNG veranstaltet im 
Wintersemester 1927/28 folgende Kurse: 

* 1) Dr. P. Federn: Einführung in die Psychoanalyse. Näheres bei 

der Anmeldung. 

2) Dr. P. Federn: Technik der Psychoanalyse. 8 stündig. Beginn 
Donnerstag, den 13. Oktober, 7 Uhr abends. 

3) Dr. H. Nunberg: Allgemeine Neurosenlehre (Fortsetzung). Beginn 
Dienstag, den 11. Oktober, 8 1 / 2 Uhr abends. 

4) Dr. Helene Deutsch: Spezielle Neurosenlehre. 10 stündig. Beginn 
Donnerstag, den 5. Januar, 7 Uhr abends. 

5) Dr. E. Hitschmann: Traumlehre. 12 stündig. Beginn Freitag, den 

14. Oktober, 7 Uhr abends. . 

6) Dr. W. Reich .-Trieb psychologie und Charakter lehre. 10 stündig. 
Beginn Montag, den 9. Januar, 8 Uhr abends. 

7) Dr. R. TVälder: Psychoanalytisches Colloquium (Semestralkurs). 
Beginn Freitag, den 14. Oktober, 8Y2 abends. 

8) Prof. Dr. P. Schilder .- Ich und Über-Ich bei Psychosen. 10stündig. 
Beginn Dienstag, den 10. Januar, 8Y2 Uhr abends. 

9) Dr. Helene Deutsch: Beziehungen zwischen Psychoanalyse und 

^ Gynäkologie (für Frauenärzte). 6stündig. Beginn Montag, den 17. Ok¬ 
tober, 7 Uhr abends. 

* 

10) Am Ambulatorium der Wiener Psychoanalytischen Ver¬ 
einigung: Seminar für psychoanalytische Therapie ^Leiter Dr. TV. Reich) 
jeden zweiten Mittwoch. 

* 

Bei genügender Beteiligung werden Parallelkursein englischer Sprache ab gehalten. 

* 

Ort: Vortragssaal des Lehrinstituts, Wien, IX., Pelikangasse 18. 

Honorar: öst. Schilling 1*50 pro Stunde. Ermäßigungen werden fallweise gewährt. 

Auskunft: Auskunft über Fragen des theoretischen Unterrichts und der praktischen 
Ausbildung in der Psychoanalyse bei der Vorsitzenden des Lehrinstituts, Frau 
Dr. Helene Deutsch, Wien, I., Wollzeile 33, jeden Mittwoch von 2 — 3 Uhr 
nachmittags. 






Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Band XIII, Heft 3 

(Ausgegeben Ende August 1927) 

Seite 

A . Lampl-de Groot: Zur Entwicklungsgeschichte des Ödipuskomplexes der Frau . . 269 

Sandor Radö: Eine ängstliche Mutter.. 283 

KASUISTISCHE BEITRÄGE 

M. W. Wulff: Phobie bei einem anderthalbjährigen Kinde.290 

N. Searl: Ein Fall von Stottern bei einem Kind.294 

DISKUSSIONEN 

Diskussion der „Laienanalyse“ : XIII) Robert Wälder 298. — XIV) Edward Glover 299. 

— XV) H. Nunberg 306. — XVI) Wilhelm Reich 307. — XVII) E. Hitschmann 310. 

— XVIII) I. Sadger 310. — XIX) J. Hdrnik 310. — XX) Therese Renedek 311. 

— XXI) J. H. van Ophuijsen 312. — XXII) John Rickman 314. — XXIII) 

A. A. Brill 518* XXIV) S. E. Jelliffe 320. XXV) New York Psycho-Analytic 
, Society 321. — XXVI) Ungarische Psychoanalytische Vereinigung 322. — XXVII) 

Max Eitingon 324. — XXVIII) Sigm . Freud : Nachwort zur „Frage der Laien¬ 
analyse“ 326. 

ZUSCHRIFTEN 

Aus der Kindheit eines Philosophen (Prof. H. G .) 333. — Eine Vorwegnahme der psycho¬ 
analytischen Sublimierungstheorie (Prof. G.) 333. 

PSYCHOANALYTISCHE BEWEGUNG 

Dr. Ferenczis Lehrtätigkeit im Ausland 335. — Deutschland 336. — England 336. — Öster¬ 
reich 336. 

REFERATE v 

Aus den Grenzgebieten: 

Kern u. Schöne, Sonderstellung gewisser Farbtöne und Heilbehandlung von Farben¬ 
schwäche ( Hermann ) 337. — Henning, Psychologische Studien am Geruchssinn ( Hermann) 337. 

— Kraus, Allgemeine und spezielle Pathologie der Person, I (Reich) 338. — Ho f f in ann, 

Das Problem des Charakteraufbaues ( Bally ) 339. — Mette, Dionysische Perspektive (Bally) 341. 

-^■A sehn er, Gynäkologie und innere Sekretion (Horney) 341. — Die Medizin der Gegen¬ 
wart in Selbstdarstellungen, Band 5 (Müller'Braunschweig) 341. I — Pearl, The Biology of 
Death (Jones) 342. 

Aus der p s y c h i a t r i s c h - n e u r o l o g i s ch e n Literatur: 

Lange, Die Paranoiafrage (Reich) 343. — Schneider, Die abnormen seelischen Frak¬ 
tionen (Reich) 344. — Blüh er, Traktat über die Heilkunde, insbesondere die Neurosen¬ 
lehre (Reich) 344. — Birnbaum, Die psychopathischen Verbrecher (Reich) 349. — Taylor, 
Psychotherapy (Bernfeld) 350. V- White, Essays in Psychopothology (Jones) 350. 

Aus der p sy cho analytischen Liter atur: 

Wittels, Die Technik der Psychoanalyse .( Ferdchel) 351. — S u g ä r, Zur Genese und 
Therapie der Homosexualität (Hdrnik) 359. — Thomson, The attitude of the medical 
profession to scientific problems (Autoreferat) 359. — Low, The foundations of mental 
health (Autoreferat) 360. -y- B u r r o w, Our mass neurosis. Insanity a social problem 
(Fenichel) 360. — Feigenbaum, A case of hysterical depression (Fenichel) 361. — 
Glover, A „technical“ form of resistance (Fenichel) 361. 

KORRESPONDENZBLATT DER INTERNAT. PSYCHO ANALYT. VEREINIGUNG . 363 

Berichte der Zweigvereinigungen : The American Psychoanalytic Association 363. — British 
Psychoanalytical Society 364. — Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft 336. — Magyarorszägi 
Pszichoanalitikai Egyesület 369. — New York Psychoanalytic Society 369. — Russische Psycho¬ 
analytische Vereinigung 370. — Wiener Psychoanalytische Vereinigung 371. 

Copyright IQ27 by „Internationaler Psydioanalytiscber Verlag, Ges. m. b. H.”, Wien. 

Eigentümer und Veneger: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Ges. m. b. H., Wien, VII., Andreasgasse 3. — Herausgeber: 
Prof. Dr. Sigm. Freud, Wien. — Verantwortlich für die Redaktion: Dr. Paul Federn, Wien, I., Riemergasse 1. — Druck: 
Elbemühl Papierfabriken und Graphische Industrie A. G., Wien, III., Rüdengasse 11. (Verantwortlicher Druckereileiter- 

Karl Wrba, Wien.)