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Full text of "Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse XXII 1936 Heft 2"

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XXII. Band 



1936 



Heft 2 



Internationale Aeitschriit 
iür Psychoanalyse 



Offizielles Organ der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung 

H erausgegeben von 

Siqm* Frei 



7J 



Unter Mitwirkung von 



INTERNATIONAL 

PSYCHOANALYTIC 

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Carl MüllersBraun schweig • • Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Be* 

deutung für Penisneid und Weiblichkeit 

Joan Riviere Eifersucht als Abwehrmechanismus 

Jeanne Lampl=de Groot • • • Hemmung und Narzißmus 

R. Laforgue Ausnahmen von der analytischen Grundregel 

Fritz Witteis Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben 

Edmund Bergler • • ..... Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ultimis. Vier 

Mechanismen des narzißtischen Lustgewinns im Zwang 

Daniel K. Dreyfuß Über die Bedeutung des psychischen Traumas in, der 

Epilepsie 

Referate 



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"»! V' 



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Internationaler Psychoanalytischer Verlag, "Wien IX, Berggasse 7. 



Internationale Zeitschrift 
rar Psychoanalyse 

Herausseseben von Jlgm. rreilu 
XXII. Ban<l 1936 Heft 2 

Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer 
Bedeutung für Penisneid und Weiblichkeit 1 

Von 

Carl MüllerüBraunschweig 

Berlin 



Ich möchte Sie in ein Aufgabengebiet führen, auf dem seit etwa einem Jahr* 
zehnt unter der Führung Freuds lebhafte Auseinandersetzungen stattge* 
funden haben. Es handelt sich um die Frage des Entwicklungsweges der 
weiblichen Sexualität, insbesondere um die Erscheinung des Penisneides und 
zwar in ihrem Zusammenhang mit der ersten Objektbesetzung des Mädchens. 

Was ich' Ihnen heute zu diesem Fragekomplex zu bieten habe, ist im Kern 
ein Gedanke, auf den ich stieß, als ich mir mein zunächst anders gestelltes 
Thema für den heutigen Tag überlegen wollte. Dieser Gedanke überraschte 
mich ebensosehr, wie er mich fesselte und mich zu näherer Beschäftigung mit 
ihm antrieb. Es scheint mir, daß er geeignet ist, sowohl die Eindrücke und 
Vorstellungen, die ich in den letzten 1 — IV2 Jahrzehnten meiner analytischen 
Arbeit an Erwachsenen und Kindern zu diesem Thema gewonnen habe, als 
auch' das umfassende Material, das uns allen zur Frage der weiblichen Enfe» 
wicklung bekannt ist, von einem — nach meinem Eindruck — entscheidenden 
genetischen Ausgangspunkte aus zu klären. Sollte dieser Gedanke Sie zu* 
nächst fremd, überflüssig oder zu gewagt anmuten, so lassen Sie sich bitten, 
ihn zumindest als eine Arbeitshypothese anzusehen. Und prüfen Sie mit mir 
in der Folge, ob diese sich als fruchtbar erweist. 

In der „Neuen Folge der Vorlesungen" erklärt Freud: „Es hat sich bei 
manchen Analytikern die Neigung ergeben, jenen ersten Schub von Penis* 
neid, in der phallischen Phase, in seiner Bedeutung herabzudrücken. Sie 

1) Durch Zusätze und Nachträge erweiterter Vortrag, gehalten anläßlich des 15jährigen 
Bestehens des Berliner Psychoanalytischen Instituts in der Sitzung der Deutschen Psyche* 
analytischen Gesellschaft vom 16. Februar 1935. 

Int. Zeitsdlr. f. Psychoanalyse, XXM/J 9a 






138 Carl Müller=3raunschweig 



meinen, was man von dieser Einstellung bei der Frau findet, sei der Haupt* 
sache nach eine sekundäre Bildung, die bei Gelegenheit späterer Konflikte 
durch Regression auf jene frühinfantile Regung zustande gekommen sei. Nun 
ist das ein allgemeines Problem der Tiefenpsychologie. Bei vielen patho* 
logischen — oder auch nur ungewöhnlichen — Triebeinstellungen, z. B. 
bei allen sexuellen Perversionen fragt es sich, wieviel von deren Stärke den 
frühinfantilen Fixierungen, wieviel dem Einfluß späterer Erlebnisse und Ente 
Wicklungen zuzuteilen ist. Es handelt sich dabei fast immer um 'Ergänzungs* 
reihen . . . Das Infantile ist in allen Fällen richtunggebend, ausschlaggebend 
nicht immer, aber doch oftmals. Gerade im Falle des Penisneides 
möchte ich mit Entschiedenheit für das Übergewicht des 
infantilen Momentes eintreten." 

Die Auffassung, die ich' vor Ihnen vertreten werde, gestattet, diesen Satz 
von Freud voll zu unterschreiben. Sie sieht den Penisneid in seiner ent* 
scheidenden Wucht bereits gegeben, noch ehe das Mädchen sich der Kon* 
fliktsphäre der eigentlichen ödipussituation nähert. Sie gestattet zugleich 1 , 

— so früh' auch immer, im ersten Lebensjahr, sich diese Erscheinung entfaltet 

— sie doch' in Zusammenhänge zu stellen, die, wenn sie sich als zutreffend 
erweisen lassen, seine Entstehüngsgründe und damit den Entwicklungsweg 
der weiblichen Sexualität überhaupt durchsichtiger zu machen vermögen. 

Es ist mir aber nicht möglich, sogleich auf die Darstellung dieser Auf« 
f assung, auf den erwähnten Gedanken und seine Konsequenzen hinzusteuern. 
Es bedarf vorerst der Erörterung einer Reihe von Eindrücken und Über« 
Zeugungen, die ich' im Verlaufe meiner analytischen Tätigkeit zum Thema 
der sexuellen Entwicklung gewonnen habe. Ohne eine Darlegung dieser, 
fürchte ich, würden meine Ausführungen über die Bedeutung der ersten 
Objektbesetzung des Mädchens für Penisneid und Weiblichkeit zu sehr in 
der Luft schweben. Deren Kenntnis bildet vielmehr die Voraussetzung für 
das Verständnis der Untersuchung. Ich werde mich daher zunächst ihrer 
Darstellung widmen: 

Es handelt sich vor allem um die wechselnde Rolle, die die genitale Kom* 
ponente der Sexualität bei beiden Geschlechtern im Verlaufe der prägenitalen 
Phasen spielt, und um das Schicksal der m. E. mit der genitalen Komponente 
von Anfang an verkoppelten Objektbesetzung. Wir betrachten seit langem 
die Entwicklung des Kindes zum Erwachsenen u. a. unter folgenden Linien: 
Die eine geht von der oralen Phase der Entwicklung über die analsadistische 
und phallische zum Primat des Genitale. Die andere geht von einem primären 
Narzißmus zur Objektliebe. Die prägenitale Beziehung zum Objekt bedeutet 
eine das Objekt nicht respektierende, es vielmehr einverleibende oder es in 
Besitz haltende, mehr narzißtische Einstellung, die genitale allein läßt das 
Objekt Objekt sein. Nun scheinen mir die beiden Entwicklungslinien nicht 
so zu verlaufen, daß die vom Anfang der Entwicklung an vorhandene genitale 






Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 139 

Teilstrebung in der frühbfalen Phase etwa ganz hinter den extragenitalen 
Strebungen zurückträte und sich nun von da an langsam und in gleich* 
mäßigem Ansteigen durch die prägenitalen Phasen hindurch das Primat er* 
oberte, während sich gleichzeitig mit diesem Primat die zu der genitalen 
Komponente gehörende, oben charakterisierte Objektbeziehung konsolidierte, 
es scheint vielmehr die Entwicklung von keinerlei Gleichmäßigkeit zu sein. 

Von Geburt an, während der oralen Phase, etwa im ersten Lebensjahr, 
scheint mir im Verhältnis zur Intensität der Oralität die Genitalität zunächst 
eine relativ stärkere Rolle zu spielen als in den darauf folgenden Jahren, in 
denen sie diese relativ stärkere Intensität mehr und mehr an die extra*genitalen 
Strebungen abzugeben scheint, bis gegen das vierte, fünfte Lebensjahr, im 
Zusammenhang mit der Entwicklung der ödipuskonstellation, die Genitalität 
von neuem an Intensität gewinnt. Ehe sie sich dabei ausgeprägt und endgültig 
in der Beziehung zum Objekt festigt, durchläuft sie eine phallisch*narziß* 
tische Versteifung als Vorstufe, als ob sie vor dieser letzten Konsequenz einer 
endgültigen Befestigung der Verbindung von Genitalität und Objekt* 
beziehung zurückschreckte. 

Die Genitalität des ersten Lebensjahres ist bereits durch die Säuglings* 
onanie deutlich bezeichnet. Die Onanie der späteren Jahre zeigt nicht die 
Regelmäßigkeit der Säuglingsonanie, ist seltener oder versteckter und tritt 
hinter den extragenitalen Triebbetätigungen an Intensität zurück. Diese Ver* 
änderung ist nicht Drohungen und Versagungen der Erziehung zuzuschreiben, 
sondern scheint unabhängig davon, in welchem Maß diese vorhanden sind 
oder nicht, dem immanenten normalen Entwicklungsgang zu entsprechen. 
Die Genitalität erfährt nach einer ersten, im Verhältnis zu den anderen Korn* 
ponenten relativ intensiven Frühblüte, eine Art Zaudern und Zurücktreten 
hinter den extragenitalen Triebtendenzen. 

Diesem Umstand entsprechen die Träume, Phantasien und Spiele der 
Kinder vom ersten bis vierten Lebensjahr. Sie zeigen zweierlei Wissen neben* 
einander: das „instinktive Wissen" um die wahren genitalen Sachverhalte 
von Zeugung, Schwangerschaft und Geburt und daneben dasselbe Wissen 
um eben diese Sachverhalte, aber in einer extragenitalen Sprache dargestellt. 
Die oralen, analen, sadistischen Zeugungs*. Schwangerschafts* und Geburts* 
theorien scheinen mir keine primären, nur den prägenitalen Phasen entsprun* 
genen, die genitalen Sachverhalte noch nicht kennenden Vorstellungsgebilde 
zu sein, sondern sekundäre Gebilde, die sowohl eine beiseite gedrängte geni* 
tale Frühblüte und deren instinktives Wissen in sich enthalten, als sie anderer* 
seits dieses Wissen in extragenitalen Anschauungen darstellen müssen. 

Die frühe Genitalität der oralen Organisationsstufe scheint in ihrer Ent* 
faltung einem Zaudern unterworfen zu sein, dergestalt, daß sie hinter den 
extragenitalen Strebungen der oralen und anal*sadistischen Organisation 
zurücktritt, bis sie in phallisch*narzißtischer Versteifung gegen das Objekt 

9a* 




140 Carl Müller=Braunschweig 



wieder hervortritt, um sich dann erst im positiven Sinne dem Objekt zuzu» 
wenden. 

Die extragenitalen Strebungen der prägenitalen Organisationsstufen haben 
nicht allein die Bedeutung von — phylogenetisch vorgebildeten — Vorstufen 
der Phase des Genitalprimats, sondern sie spielen zugleich für die von Anfang 
an vorhandene, in ihrer Entwicklung aber zaudernde Genitalität die Rolle von 
Auffange und Ausweich^Formen. Ein Teil der libidinösen Energie weicht — 
vorstellbar nach dem von Freud gegebenen Bilde von den kommumy 
zierenden Röhren — etwa im Laufe des ersten bis zweiten Lebensjahres von 
der postnatalen Genitalität in die extragenitalen Strebungen aus und durch» 
läuft nun die phylogenetisch vorgebildeten prägenitalen Stufen so, daß die 
Genitalität in den Hintergrund gedrängt bleibt, und ihre Angelegenheiten 
vorwiegend nur in extragenitalen Verkleidungen zum Ausdruck kommen. 

Es scheint mir wichtig, die primäre postnatale Genitalität und ihre relative 
Stärke nicht zu übersehen, weil mir nur unter ihrer Beachtung eine Reihe von 
Erscheinungen der ersten Lebensjahre verständlich zu werden scheinen. Im 
besonderen gilt das für die ersten Lebensjahre des Mädchens. 

In engster Verbindung mit dem Schicksal dieser primären Genitalität steht 
das Schicksal der Objektbeziehung. Ich nehme an, daß die Objektbeziehung; 
von vornherein an die genitale Komponente der Sexualität gekoppelt ist und 
darum bereits in den ersten libidinösen Entwicklungsphasen eine Rolle spielt. 
In der oralen Phase wäre demnach das Kind nicht nur durch die orale Zone 
und Funktion an das Mutterobjekt gebunden, sondern bereits auch durch die 
genitale Zone und Funktion. Mit dem relativen Zurücktreten der Intensität 
der genitalen Komponente hinter den extragenitalen Komponenten während 
des Durchlaufens der prägenitalen Organisationsstufen erfährt entsprechend 
dem narzißtischen Charakter der extragenitalen Strebungen der neben der 
primären Objektbesetzung der Mutter vorhandene postnatale primäre Nar# 
zißmus des Kindes eine Verstärkung. Dieser „sekundäre" Narzißmus stammt 
also aus anderen Quellen als der sekundäre Narzißmus, der sich aus den 
frühkindlichen Versagungen und Enttäuschungen durch die Objekte erklärt. 
Jener scheint — theoretisch — unabhängig von diesem und lediglich Folge 
der der immanenten Gesamtentwicklung entsprechenden relativen Abschwä* 
chung der primären Genitalität zu sein. Er geht — praktisch — mit dem aus 
Versagungen und Enttäuschungen erwachsenden sekundären Narzißmus zu* 
sammen. 

Ich habe den Eindruck, daß sowohl Genitalität wie Objektbeziehung von 
vornherein, insbesondere in ihrem Anwachsen, vom Subjekt als Gefahr ge* 
wertet werden, als eine Gefahr, die theoretisch zu trennen ist von den objek* 
tiven Gefahren (Drohungen, Versagungen, Enttäuschungen), die dem Kinde 
tatsächlich geschehen oder geschehen können. Vielleicht, daß diese in der 
Ontogenese innerlich erlebten Gefahren und Gefahrreaktionen, die nicht 



Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 141 

durch die realen Objekte der Ontogenese erklärt werden können, auf in der 
Phylogenese erlebte Gefahren und Gefahrreaktionen zurückgehen. 

Aber auch eine andere, nicht notwendig auf die Phylogenese zurück* 
gehende Betrachtung kann diese zunächst rätselhaft erscheinende Reaktion 
verständlich machen; die prägenitalen Objektbeziehungen sind narzißtischer 
Natur, denn sie haben den Charakter des Einverleibens und Inbesitzhaltens 
des Objektes. Das Subjekt bemächtigt sich in ihnen des Objekts und schaltet 
es in seiner Eigenexistenz und damit in seiner Gefährlichkeit aus. Die genitale 
Strebung hat eine ganz andere Beziehung zum Objekt. Sie läßt das Objekt be* 
stehen. Damit kann das Objekt zu einer besonderen und dauernden Ge* 
fahrenquelle werden, und zwar unter Berücksichtigung des entscheidenden 
Umstandes, daß die genitalsexuelle Strebung fähig ist, sich so stark durchzu* 
setzen, daß sie das Ich alle Vorsicht und Rücksicht vergessen und ihr allein 
folgen läßt, so daß das Ich, wenn es dem genitalsexuellen Antrieb nachgibt, 
sowohl diesem als dem Objekt gleichsam ausgeliefert ist. 

Auf diesen Charakter der genitalsexuellen Triebregung und der gegenge* 
schlechtlichen Beziehung zum Objekt hat Freud an vielen Stellen seiner 
Schriften nachdrücklich hingewiesen. Die Dominanz der genitalen Ge* 
schlechtlichkeit ist es, die das Individuum als ein bloßes zeitweiliges An* 
hängsei eines „unsterblichen" Keimplasmas, als ein flüchtiges Einzelwesen 
in der unendlichen Kette der Generationen erscheinen läßt. 

Ich glaube, wir dürfen diesen Charakter der Genitalität nicht vergessen, 
wenn wir uns verständlich zu machen versuchen, warum diese bald nach 
ihrem ersten postnatalen Auftreten einem Zauder*Rhythmus unterworfen ist. 
Es ist anzunehmen, daß dieser Charakter des genitalen Sexualtriebs bereits 
in der Phylogenese seine Bedeutung gehabt hat. 

IL 

Nach diesen Ausführungen über eine primäre postnatale Genitalität und 
die mit ihr verkoppelte primäre Objektbeziehung möchte ich Ihre Aufmerk* 
samkeit auf einen Tatbestand lenken, der, am Beginn des Lebens des Ein* 
zelnen stehend, allen Menschen bekannt ist, über dessen libidogeschichtliche 
Rolle wir uns aber meines Erachtens noch nicht genug den Kopf zerbrochen 
haben, und der in dem ganzen Umfang seiner Auswirkungen für das spätere 
Leben noch nicht genügend beachtet zu sein scheint. 

Es handelt sich um den Tatbestand, daß beide Geschlechter, von der Frau 
geboren, in dieser ein und dasselbe erste Liebesobjekt erhalten und damit der 
Junge das Geschlechtsobjekt, auf das hin sich normalerweise seine Ge* 
schlechtlichkeit entwickeln wird: das gegengeschlechtliche, das Mädchen hin* 
gegen ein Objekt, das der normalen Richtung seiner Entwicklung zur Reife 
nicht entspricht: das gleichgeschlechtliche. 



142 Carl Müller»Braunschweig 



Das Mädchen hat also im Laufe seiner Entwicklung einen entscheidenden 
Schritt zu tun: es hat sich von der Mutter und damit der Frau abzuwenden 
und sich dem Vater und damit dem Mann zuzuwenden. Dem Knaben bleibt 
der Wechsel des Objektes vom gleichgeschlechtlichen zum gegengeschlecht* 
liehen normalerweise erspart. 

Dieser Tatbestand ist von bedeutsamen Folgen für die Entwicklung des 
Knaben und des Mädchens. Dadurch, daß das erste Liebesobjekt für das 
Mädchen einen ganz anderen Ausgangspunkt bedeutet als für den Knaben, 
wird den Entwicklungslinien der beiden Geschlechter von vornherein ein 
durchaus verschiedener Charakter verliehen. Daß die Tatsache eines für beide 
Geschlechter gleichen ersten Liebesobjektes für das Mädchen einen völlig 
anderen Ausgangspunkt seiner Entwicklung schafft als für den Knaben, 
scheint, soweit ich die psychoanalytische Literatur zum Thema der weiblichen 
Entwicklung übersehe, nicht genügend gewürdigt zu sein. Ich gestehe, der 
determinierenden Kraft der Verschiedenheit dieser Ausgangspunkte eine so 
große Bedeutung beizumessen, daß ich behaupten möchte, man könne für 
alle weitere Entwicklung der beiden Geschlechter aus diesem Grunde niemals 
von einer vollen Analogie in den einzelnen Phasen und Vorgängen beim 
Knaben und beim Mädchen sprechen. 

Die Bedeutung des Tatbestandes, daß es für beide Geschlechter nur ein 
einziges erstes Liebesobjekt und damit für das Mädchen ein gleichgeschlecht* 
liches erstes Liebesobjekt gibt, scheint uns durch die Herausstellung der an 
sich richtigen Beobachtung verdunkelt und in den Hintergrund gedrängt 
worden zu sein, daß die frühen Triebeinstellungen des kleinen Mädchens 
gegenüber der Mutter aggressive und „männliche" Züge tragen, daß die 
Vaginalzone vorerst keine oder nur in vereinzelten Fällen eine Rolle zu 
spielen scheint, und überdies durch die Voraussetzung, daß vorerst die präge* 
nitalen Triebäußerungen an Stelle der genitalen Objektbeziehungen das Feld 
beherrschen und somit dem gegengeschlechtlichen und gleichgeschlechtlichen 
Moment noch keine Bedeutung zugemessen zu werden brauche. 

Unter einem solchen Gesamtaspekt scheint es, daß die Tatsache eines für 
beide Geschlechter gleichen ersten, einzigen Liebesobjektes keine besondere 
Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen braucht, sondern sich mühelos einreiht. 
Ist das kleine Mädchen in den ersten Entwicklungsphasen „männlich" einge* 
stellt, so paßt zu dieser Einstellung die Mutter als Frau in gleicher Weise wie 
für den Knaben. Es bedeutet bei dieser Auffassung nichts, daß das Mädchen 
eine Frau, also ein gleichgeschlechtliches Objekt als erstes Liebesobjekt er* 
lebt, während der Junge von vornherein ein gegengeschlechtliches Objekt 
besitzt. Es scheint vielmehr für beide Geschlechter für die erste Zeit der Be# 
ziehung zur Mutter alles in bester Ordnung zu sein, und das Problem, das 
das Mädchen vom Knaben unterscheidet, setzt nach diesem Aspekt erst viel 
später ein, nämlich erst dann, wenn es gilt, das erste Liebesobjekt aufzugeben, 



Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 143 

um zum Vater hinüberzuwechseln, eine Aufgabe, die dem Knaben erspart 
bleibt. 

Wir glauben nun — und werden uns weiter unten bemühen, diese Über* 
zeugung zu stützen — , daß das Mädchen bereits lange vor dieser Phase, in 
der es die Wendung zum Vater vorzunehmen hat, und zwar von seiner Ge# 
burt an, im Verhältnis zu seinem ersten Liebesobjekt ein von dem des Knaben 
durchaus differentes Schicksal erlebt und damit sein Leben von Anfang an 
von einem Ausgangspunkt aus entwickelt, der grundlegend anders ist als der 
entsprechende Ausgangspunkt der männlichen Entwicklung. 

Die folgenden Ausführungen messen dem Umstand besondere Bedeutung 
bei, daß das Mädchen das Schicksal hat, als erstes Liebesobjekt ein inadä* 
quates Objekt zu erhalten. Die Voraussetzungen zu der Behauptung, daß es 
sich' hier um entscheidende Tatbestände handelt, bestehen in der eingangs 
skizzierten Auffassung, daß erstens bereits in den prägenitalen Phasen, ja von 
Geburt an, die genitale Komponente der Sexualität eine Rolle in der Bei« 
ziehung zum ersten Objekt, der Mutter, spielt, und daß zweitens die Geni* 
talität bei beiden Geschlechtern — unbeschadet der unbestrittenen männlich** 
aggressiven Einstellung und des Vorherrschens der Klitorisonanie beim 
Mädchen — bereits geschlechtlich differenziert ist, beim Knaben männlich, 
beim Mädchen weiblich charakterisiert ist, daß also einer Penisbesetzung des 
Knaben beim Mädchen eine Besetzung der Vagina entspricht, die, weil sie 
von Geburt an Abwehraktionen ausgesetzt ist, manifest seltener in die Er* 
scheinung tritt als die Penisbesetzung des Knaben. 

Ich' werde mich der Aufgabe, diese Auffassungen eingehender zu be<» 
gründen, nicht entziehen, bitte Sie aber zunächst, sie einmal gedanklich als 
zutreffend zu unterstellen und vorauszusetzen, es bedeute bereits das erste 
Liebesobjekt für den Knaben ein gegengeschlechtliches, für das Mädchen ein 
gleichgeschlechtliches Objekt. Unter dieser Voraussetzung gäbe es für den 
Knaben und für das Mädchen zwei durchaus verschiedene erste libidinöse 
Ausgangssituationen, so daß man für die weiteren Lebenswege der Ge* 
schlechter erwarten dürfte, daß jeder Analogieschluß von dem einen Ge* 
schlecht auf das andere — ein „vice versa gilt das Gleiche vom Knaben" oder 
„gilt das gleiche vom Mädchen" — suspekt werden müßte. 

In der Tat lassen sich auf einen ersten Blick Vorgänge bei der Vergleichung 
der Lebenswege der beiden Geschlechter feststellen, bei denen jede Analogie 
versagt. Zum Beispiel ergibt die für das Mädchen bestehende Notwendigkeit, 
das gleichgeschlechtliche Mutterobjekt zu verlassen, um zum adäquaten 
andersgeschlechtlichen Objekt hinüberzuwechseln, in der Entwicklung des 
Mädchens eine Gefahrenzone, die die Entwicklung des Knaben nicht aufzu* 
weisen hat. Viele Mädchen können diesen Weg nicht oder nur unvollkommen 
erledigen. Die Folge ist eine fehlende oder nur mangelhafte Beziehung zum 
Manne. Oft kommt es zu eigentümlichen Kompromißleistungen im Ver> 



hältnis zum Mann. Der Mann wird zum Beispiel überwiegend nach dem 
Muttervorbild gewählt, nur ein mütterlicher, die Frau als Kind behandelnder, 
sie behütender und umsorgender Mann ist akzeptabel. Der Wunsch, wie ein 
Kind behandelt zu werden, wird nicht einem Mann nach dem Vorbild des 
Vaters, sondern einem Manne nach dem Vorbild der Mutter entgegenge* 
bracht. Er muß mütterliche und darf deswegen auch durchaus weibliche 

Züge haben. 

Der Anlaß zu einer analog determinierten Objektwahl — die spätere Frau 
nach dem Vorbild des Vaters anstatt nach dem Vorbild der Mutter zu wählen 
— fällt beim Knaben weg, weil für ihn die genetische Vorbedingung, das 
Wechseln von der Mutter zum Vater, entfällt. Wenn der Knabe an die Stelle 
des Muttervorbildes das Vatervorbild in der Wahl seines späteren weiblichen 
Liebesobjektes setzt, so aus ganz anderen genetischen Vorbedingungen. Eine 
andere Gefahrenzone als die beschriebene des Mädchens ist es, die ihn dazu 
bestimmen wird, — die des invertierten Ödipuskomplexes, bezw. ein Vorgang, 
den Freud mit dem Worte umschrieben hat: „in Reaktion gegen die Auf* 
lehnung gegen den Vater in Unterwürfigkeit unter ihn geraten". 

Beim Mädchen kann natürlich auch vom invertierten Ödipuskomplex und 
von der Auflehnung gegen die Mutterrivalin her ein der oben für den Knaben 
beschriebenen Entwicklung analoger Vorgang stattfinden, aber dann ist er 
sekundär und regressiv. Das Mädchen kehrt zum ersten Objekt zurück, wäh* 
rend der Knabe von seinem ersten, ihm den normalen Weg weisenden weib* 
liehen Objekt abweicht und in die Sackgasse der Bindung an das gleich* 
geschlechtliche Objekt gerät. 

Wo immer wir den Weg der beiden Geschlechter verfolgen werden, überall 
stoßen wir auf verschiedene, jede Analogie ausschließende Entwicklungen 
und möchten dafür das oben beschriebene Urphänomen verantwortlich 

machen. . 

Mit diesem Urphänomen einer primären gleichgeschlechtlichen Beziehung 
des Mädchens zu seinem ersten Objekt hängt es wohl auch zusammen, daß 
die Volksmeinung die männliche und die weibliche Homosexualität ganz 
verschieden bewertet. Sie findet die manifesten Zärtlichkeiten, Küsse und 
Umarmungen zwischen Frauen, die in aller Öffentlichkeit vor sich gehen 
dürfen, weitgehend unauffällig, während das gleiche Verhalten zwischen 
Männern in der Öffentlichkeit durchaus verpönt ist. Unser Strafrecht hat bis 
zur Strafrechtsreform die weibliche Homosexualität ganz übersehen und nur 
die männliche unter Strafe gestellt. Der letzte Grund dieser verschiedenen 
Bewertung der Homosexualität bei den Geschlechtern wird darin liegen, daß 
normaler* und unbeanstandeterweise das erste und dominierende Liebes* 
objekt des Mädchens ein gleichgeschlechtliches Objekt sein mußte. Man ge* 
stattet der Frau gleichsam, jederzeit zu diesem Objekt zurückzukehren, findet 
die Treue und Zärtlichkeit verständlich, die sie an es binden. Der Mann Tun* 



Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 145 

gegen muß ausdrücklich von seinem ihm gegebenen gegengeschlechtlichen 
Objekt abweichen, zu einem, an seinem geschlechtlichen Reifeziel gemessen, 
gänzlich inadäquaten Objekt abirren, wenn er seine Liebe und Zärtlichkeit 
dem Manne zuwendet. 

Bei der Frau ist Homosexualität, aus welchen weiteren Bedingungen sie 
im einzelnen Falle entspringen mag, immer wesentlich eine Regression zur 
Beziehung des Mädchens zum ersten gleichgeschlechtlichen Liebesobjekt, der 
Mutter. Es gibt keine Analogie in der Entwicklung des Knaben. Die erste 
Beziehung des Knaben zu seinem frühesten gleichgeschlechtlichen Objekt, 
dem Vater, ist die einer bewundernden Identifizierung, die sich erst allmählich 
zu einer distanzierten Objektbeziehüng entwickelt, während am Anfang der 
Beziehung des Mädchens zur Mutter eine im körperlichen wie zärtlichen 
Sinne intensive Objektliebe steht. Es ist — im Gegensatz zu einer bloßen 
Identifizierung — bereits eine wirkliche Objektliebe, und zwar von Geburt 
an, wenngleich sie zunächst durch prägenitale Züge besetzt und verdeckt ist 
und einen infantilen Charakter hat. 

Eine solche gleich starke, analoge Regressionsmöglichkeit zu einem gleich* 
geschlechtlichen ersten Objekt fehlt dem Knaben. An die Stelle einer solchen 
Regression treten ganz andere, jenseits jeder Analogie liegende Faktoren, so 
etwa die von Freud seit langem herausgestellte, durch eine Enttäuschung 
am Mutterobjekt eingeleitete Identifizierung mit der Mutter, durch die der 
Betreffende sein homosexuelles Objekt so liebt, wie er selbst einst von der 
Mutter geliebt wurde oder geliebt zu werden wünschte. 

Es wäre sicher eine reizvolle Aufgabe allen jenen Erscheinungen nachzu* 
gehen, die sich als Folgen jenes Urphänomens verstehen lassen, und zugleich 
die außer jeder Analogie stehende verschiedene Entwicklung der beiden Ge* 
schlechter aufzuzeigen. Es ist das aber nicht die Aufgabe, die sich diese Ar* 
beit gestellt hat. Das Gesagte sollte nur dem Zweck dienen, den Hauptauß* 
gangspunkt der Betrachtung zu umschreiben. 

III. 

Meine Absicht geht dahin, ein in seinen Erscheinungsformen und seinen 
Folgeerscheinungen gut bekanntes Phänomen mit der beschriebenen Urkon* 
stellation in Zusammenhang zu bringen. Ich meine den Penisneid des 
Mädchens. 

Nach den Formulierungen, die Freud, insbesondere in der „Neuen Folge 
der Vorlesungen", den Problemen der Weiblichkeit gegeben hat, sieht die 
Geschichte der weiblichen Triebentwicklung, kurz skizziert, folgendermaßen 
aus: Das Mädchen durchläuft bis zur genitalen Phase eine Entwicklung, die 
der des Knaben weitgehend parallel ist. Es zeigt wie der Knabe eine „phal* 
lische" Phase. Es scheint, daß für das Mädchen die Vagina lange Zeit 
gleichsam unentdeckt und unbesetzt ist. Die leitende Zone ist die dem mann* 

Int. Zeitschr. I. Psychoanalyse, XXII/2 10 



liehen Glied entsprechende Klitoris. Erst in der Pubertät tritt normalerweise 
die Klitoris ihre Erregung an die Vagina ab. Vereinzelte Stimmen berichten 
zwar von früher vaginaler Erregbarkeit, vermögen aber das Bild doch nicht zu 
ändern, daß das kleine Mädchen in den ersten Jahren weitgehend ein kleiner 
Mann ist. Dem entspricht das frühkindliche Verhalten des Mädchens zur 
Mutter, es steht hier den Aggressionen des männlichen Kindes nicht nach. 
Ein schwieriges Problem ist es, auf welche Weise sich das Mädchen von 
der Mutter ab. und dem Vater,Mann zuzuwenden vermag. Die Ablösung von 
der Mutter wird ihm erleichtert durch eine steigende Feindschaft gegen die 
Mutter. Diese hat neben den beiden Geschlechtern gemeinsamen Moti, 
Vierungen eine für das weibliche Kind spezifische: sie stammt aus der vorri 
Mädchen gemachten Entdeckung, daß es „kastriert" ist. Die Folge ist daß das 
kleine Mädchen, welches bisher männlich gelebt hatte, sich durch Erregung 
seiner Klitoris Lust zu verschaffen wußte und diese Betätigung mit seinen 
oft aktiven Sexualwünschen, die der Mutter galten, in Beziehung brachte, 
sich durch den Einfluß der Penislosigkeit den Genuß seiner phallischen 
Sexualität verderben läßt." Beim Anblick des männlichen Genitale erwacht 
der Penisneid des Mädchens. Es erscheinen ihm nun seine Klitoris und die 
daran geübte Onanie minderwertig. Es verwirft sie und damit zugleich die 
mit ihr verkoppelte phallisch,aktive Liebe zur Mutter. „Durch den Ver, 
gleich mit dem soviel besser ausgestatteten Knaben in seiner Selbstliebe ge, 
kränkt, verzichtet es auf die masturbatorische Betätigung an der Klitoris, ver, 
wirft seine Liebe zur Mutter . . ." „Mit der Entdeckung, daß Je Mutter 
kastriert ist, wird es möglich, sie als Liebesobjekt fallen zu lassen. „Wo der 
Penisneid einen starken Impuls gegen die klitoridische Onanie erweckt hat 
und diese doch nicht weichen will, entspinnt sich ein heftiger Befreiungs, 
kämpf, indem das Mädchen . . . seine ganze Unzufriedenheit mit der minder, 
wertigen Klitoris im Widerspruch gegen die Befriedigung an ihr zum Aus, 
druck bringt." Die Wendung zum Vater kann nun mit den die Oberhand 
gewinnenden passiven Triebregungen vollzogen werden Der ursprünglich 
auf die Mutter gerichtete, aber von ihr versagte Wunsch nach dem Penis 
richtet sich nun auf den Vater, und verwandelt sich vermittels der Gleichung 
Penis = Kot = Kind in den Wunsch nach dem Kind vom Vater. Damit tritt 
das Mädchen in die ödipussituation ein. 

Während der männliche Kastrationskomplex den Knaben aus der Odipus, 
Situation vertreibt, führt der weibliche Kastrationskomplex das Madchen in die 
Ödipussituation und damit in die Beziehung zum Vater wie in einen Hafen 
hinein. Soweit Freud. 

Es scheint mir unbestreitbar, daß der Weg des Mädchens von der Mutter 
zum Vater so zu beschreiben ist, daß der Penisneid an dessen Anfang steht, 
der objektlibidinöse Wunsch nach dem Vater und seinem Penis im Sinne 
des Koituswunsches an dessen Ende. 



Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 147 

Wir wollen diesen Weg vorerst nicht im einzelnen verfolgen, sondern ver* 
suchen, zwischen dem so in seinen Folgen beschriebenen Penisneid und 
unserem Urphänomen eine Verbindung herzustellen. 

Die Versuche, die in ihrer Tatsächlichkeit unbestreitbare Erscheinung des 
Penisneides verständlicher zu machen, bestehen in der Hauptsache in der 
Aufzählung folgender Momente 2 : Das Mädchen beneidet den Jungen um 
sein Genitale, weil es anatomisch sichtbar hervorragt, während das weibliche 
Genitale unscheinbar und verborgen ist. Der Junge kann mit seinem Penis 
in einem zielfähigen Strahl urinieren, das Mädchen nicht. Der Penis des 
Jungen ist wegen seiner auffälligen Sichtbarkeit viel mehr geeignet, Exhibi* 
tionsgelüste wirksam zu befriedigen. Die Knaben müssen ihr Genitale beim 
Urinieren anfassen, die Mädchen haben keinen Anlaß dazu. Dieser Unter* 
schied wird vom Mädchen so erlebt, als ob dem Jungen das Anfassen des 
Genitale erlaubt sei, dem Mädchen aber nicht. Das männliche Genitale scheint 
so im ganzen viel lustbringender zu sein als das weibliche. 

Ich weiß nicht, ob es Ihnen bei dieser Aufzählung so ergeht wie mir. Ich 
habe bei allen Versuchen, den Penisneid des Mädchens aus diesen und ahn* 
liehen Momenten verständlich zu machen, immer ein Gefühl des Ungenügens 
gehabt. Mir schien zwischen den Anlässen, die dem Mädchen das Genitale 
des Jungen begehrenswert erscheinen lassen können und der Intensität und 
Zähigkeit dieses Neides ein Mißverhältnis zu bestehen: Sollte dieses tiefge* 
wurzelte Gefühl des Zurückgesetztseins des weiblichen Geschlechtes, das 
zweifellos im Penisneid seinen klassischen Ausdruck findet, nicht auf Mo* 
mente zurückgehen, die uns das Ausmaß dieses Gefühles überzeugender 
verständlich machen könnten? Bedenken wir die Hartnäckigkeit, mit der sich 
dieses „Minderwertigkeitsgefühl" in vielen Fällen das ganze Leben zu erhalten 
vermag. Sollte sich das alles lediglich durch die Wahrnehmung eines äußeren 
anatomischen Unterschiedes erklären lassen? 

Neuerdings hat Rado in seiner Arbeit „Die Kastrationsangst des 
Weibes" 3 wiederum den Ursprung des Kastrationskomplexes der Frau in 
einer narzißtischen Kränkung gesehen, die das kleine Mädchen durch den 
Anblick des männlichen Genitale erfährt. 

Ich gestehe, daß ich nicht davon überzeugt bin, daß der Penisneid allein 
aus den obengenannten Momenten entstehen und aus ihnen genügend veiv 
ständlich werden kann. 

Ist es wirklich das sichtbare Hervortreten des männlichen Genitale, ist es die 
urethrale Leistung, und sind es die anderen erwähnten Faktoren, die uns den 

a) S. die Zusammenstellung bei K. Hörn ey: Zur Genese des weiblichen Kastrations* 
komplexes. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. IX, 1923, S. 12 ff. 
3) Int. Psa. Verlag, Wien, 1934. 



10* 



148 " Car * Mttller'Braunschweig 



Neid voll verstellen lassen? Ist es überhaupt der Eindruck, den der anatomische 
Bau der Genitalien macht, der den Jungen zu einer Wertschätzung, das Mad, 
chen zu einer Geringschätzung des eigenen Genitale bringt? Ist es nicht viel, 
mehr so, daß das männliche Genitale für seinen Besitzer *"™fe""" 
Zentrum der Wertschätzung, der Aufmerksamkeit und anderseits der Angst 
steht, weil es der Sitz so bedeutsamer lustvoller Sensationen ist? Ist das 
aber richtig, und ist die Wertschätzung des anatomischen Baues nur der sich 
an das Sichtbare anschließende Ausdruck einer auf der eigentlich sexu, 
eilen Funktion und Sensation aufgebauten Wertschätzung so mußte das 
Gleiche für das Mädchen gelten. Auch es erlebt seine lustyollen Sensationen. 
Warum führen sie nicht auch bei dem Mädchen zu der gleichen Aufmerksam, 
keit und Wertschätzung? Oder, falls sie ursprünglich auch beim Madchen 
ohne Einbuße erlebt werden könnten, - wie ist es vorstellbar, daß durch 
bloße anatomische Wahrnehmungen sowohl diese Sensationen als auch das 
ganze Genitale entwertet werden? 

Der Penisneid wird durch diese Betrachtung noch P™ bl ff i™ f 1 
beinhaltet das Gefühl eines Mangels. Wenn wir bezweifeln, daß Wahrneh, 
mungen anatomischer Verhältnisse den wirklichen Grund dieses Mangel, 
gefühls bilden, sondern vielleicht nur einen Ausdruck und einen Reprasen, 
tanten für dieses Gefühl stellen, wo ist dann der wahre Grund dieses Mangels 
zu suchen? Es müßte ein Mangel sein, der uns mehr als Mangel zu impo, 
nieren verstünde als die bisher dargestellten Momente, und auf dem Grunde des 
Penisneides müßte ein Neid liegen, von dem her wir überzeugter die gtoi*. 
artigen Wirkungen verstehen könnten, die von ihm ausgehen. Die endgültige 
Lösung, so scheint mir, bietet sich dar, wenn wir an die eingangs beschriebene 
biologische Ursituation denken. Ich meine die Urkonstellation, daß ^es für 
beide Geschlechter nur ein gemeinsames erstes Liebesobjekt gibt : die Mutter. 
Es ist folgenschwer, daß der Knabe bereits mit seinem ersten Liebesobjekt 
das auch für das Endstadium seiner Entwicklung adäquate normale gegen, 
geschlechtliche Objekt erlebt und daß im Gegensatz dazu das Mädchen in 
seinem ersten Liebesobjekt das seiner endgültigen reifen Objektwahl inad» 
quate konträre gleichgeschlechtliche Objekt erlebt. 

Die Tatsache, daß für die ersten Lebensjahre des Menschen die Mutter für 
beide Geschlechter eine grundlegende Rolle spielt, ist von der Psychoanalyse 
immer beachtet worden. In den letzten Jahren sind weiterhin die praodipalen 
Phasen mit besonderer Berücksichtigung des Einflusses der Mutter untersucht 
worden. Aber das Moment, um das es mir jetzt zu tun sein wird, scheint . jn 
der vollen Bedeutung seiner Auswirkung für die differenten Schicksale der 
beiden Geschlechter noch nicht genügend gewürdigt zu sein, nämlich der 
Unterschied zwischen der gegengeschlechtlichen Beziehung des Knaben zur 
Mutter und der gleichgeschlechtlichen des Mädchens zu ihr und die Be, 
ziehung dieses Unterschiedes zum Penisneid. 



Die erste Objektbesetzung des Mädch ens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 149 

Die Lösung des Problems des Penisneides scheint mir also darin zu be* 
stehen, daß das kleine Mädchen das Schicksal, ein Mädchen zu sein, primär 
nicht deswegen als mangelhaft empfindet, weil ihm der Penis versagt ist, 
sondern weil es primär insofern gegenüber dem Jungen Benachteiligung er* 
leben muß, als es das Verhältnis zur Mutter von vornherein als kein voll* 
wertiges, kein adäquates, d. h. kein gegengeschlechtliches erleben wird. 

Es ist, als ob das Mädchen spürte: Ich bin für mein erstes Liebesobjefct 
etwas Mangelhaftes, ich bin nicht das, was es braucht, bin nicht sein gegen* 
geschlechtlicher Pol. 

Oder — vielleicht noch treffender ausgedrückt — es ist, als ob das Mäd- 
chen erlebte: Dieser Beziehung fehlt die polare gegengeschlechtliche Span* 
nung und Befriedigung. 

Von hier stammt — so meine ich — das weibliche Minderwertigkeits* 
gefühl, von hier der Penisneid und von hier der hartnäckig oft das ganze 
Leben lang festgehaltene Wunsch, ein Junge zu sein; von hier das zäh fest* 
gehaltene Bestreben, es den Männern gleichzutun. 

Meine Auffassung geht also dahin, daß das Genitale, sowohl das des 
Knaben wie das des Mädchens, weder seine narzißtische Besetzung noch 
seine narzißtische Kränkung primär von der Bewertung der anatomischen 
Form bezieht, sondern allein von seiner spezifischen, d. h. genital*sexuellen 
Funktion, und zwar im Verhältnis zu seinem adäquaten oder nicht adäquaten 
Objekt, und von dem hetero*sexuellen oder nicht hetero*sexuellen Erlebnis, 
das es vermittelt. Der Knabe ist nicht stolz auf sein Genitale, weil es ana* 
tomisch hervorragt und sichtbar ist, und das Mädchen ist nicht unzufrieden 
mit seinem Genitale, weil es verborgen ist, sondern beide wären, der ana* 
tomischen Anlage nach, so ausgestattet, daß sie ihr Genitale, soweit es ihnen 
genitaksexuelle Lust vermittelt, zu schätzen vermöchten. 

Von hier aus ist also der Penisneid nicht zu verstehen, er ist nur zu 
verstehen, wenn man die Urkonstellation, die Tatsache des für beide Ge* 
schlechter gleichen ersten Liebesobjektes heranzieht. Hier liegt m. E. die 
Erklärung für das Mißvergnügen des Mädchens mit seinem Genitale, hier 
die Erklärung, daß es den Jungen um seinen Penis beneidet. Diesem Penis* 
neid liegt etwas anderes zugrunde als die durch einen optischen Eindruck her* 
vorgerufene Benachteiligung, etwas viel Großartigeres, Mächtigeres. Das 
Mädchen erlebt, daß es gegenüber dem Jungen in einem durch nichts in der 
Welt zu ändernden Sinn dadurch benachteiligt ist, daß es der Mutter als 
gleichgeschlechtlicher Partner gegeben ist und nicht als gegengeschlechtlicher. 
Das erste Erfassen seiner spezifischen Geschlechtlichkeit — und dieses Er* 
fassen wird unabhängig davon sein, ob es das Genitale eines Jungen zu sehen 
bekommt oder nicht, — muß für das Mädchen der Entdeckung gleichsam 
eines Betruges gleichkommen. Es muß mit seinen ersten spezifischen Geni* 
talerregungen spüren, daß es für das Objekt, mit dem es verbunden ist, nicht 



15 o Carl Müller»Braunschweig 



das ihm eigentlich gemäße polare gegengeschlechtliche Objekt darstellt, und 
daß die sexuelle Beziehung zwischen ihm und der Mutter eine ungenügende 
und inadäquate ist. Hat das Mädchen zudem noch das Erlebnis eines Bruders 
oder das eines anderen Jungen, so mag, auch ohne daß das Genitale des 
jungen bereits gesichtet zu sein braucht, sich dieses Erlebnis zu der instink, 
tiven Überzeugung verstärken: der Junge ist der der Mutter wirklich gemäße 
Partner, ich bin es nicht. . 

Durch diesen Gedanken allein scheint mir die Wucht des Penisneides voll 
verständlich zu werden. Wenn sich das Mädchen so vom ersten gemtaksexu* 
eilen Empfinden an, das doch von nichts anderem ausgelöst und genährt sein 
kann, als von dem überwältigenden körperlichen Verhältnis zur Mutter, wenn 
es sich von diesem ersten Empfinden an als seinem Objekt inadäquat erleben 
muß, dann wird es verständlich, daß der erstmalige Anblick eines männlichen 
Genitale stärkste Wirkung auslöst und diesem Empfinden nun einen ausge* 
zeichneten, unmißverständlichen visuellen Ausdruck von unverlierbarer Kraft 
verleiht Das Bild des Penis schafft die Vorstellungsrepräsentanz für das, was 
das Mädchen als Mangel erlebt hat. Man wird bei diesem Vorgang an die 
Entwicklung der Kastrationsangst des Knaben erinnert, die auch durch einen 
visuellen Eindruck ihre Befestigung und ebenfalls einen g eichsam symbo* 
lischen Ausdruck findet, nämlich durch den Anblick des weib hchen Genitale. 
Dieser Vergleich gut aber nur in dem einen Punkte, daß beide Male ein 
visueller Eindruck ein Zweites darstellt, das einem Vorhergehenden mit Hilfe 
der Anatomie einen sichtbaren Ausdruck verschafft. Er gut dagegen nicht 
für das Weitere: Der Knabe erwirbt durch diese Wahrnehmung einmal eine 
Befestigung seiner Kastrationsangst, und zweitens verstärkt er gegenüber 
dieser Vorstellungsrepräsentanz der Kastration reaktiv seinen narzißtischen 
Penisstolz, das Mädchen erwirbt hingegen durch den Anblick des mann, 
liehen Genitale eine Besiegelung der bereits vorher entscheidend erlebten 
Zurücksetzung, etabliert den Penisneid, erfährt Einbuße in der Entwertung 
des eigenen Genitale und büdet die Phantasie, doch einen Penis zu besitzen. 
Eine Reihe von klinischen Eindrücken, die ich seit Jahren gewonnen habe, 
erhielt für mich durch die eben vorgetragene Betrachtung über die Aus* 
Wirkungen der Urkonstellation neues Licht. Mir war immer aufgefallen, daß 
Frauen, die den Weg zum Manne nicht oder nicht voll gefunden hatten, 
und bei denen als das infantile Vorbild dazu der nicht gelungene Weg von 
der Mutter zum Vater festzustellen war, als Kind sich ihrer Mutter gegenüber in 
einer' spezifischen Weise verhalten hatten. Bei dem geringsten Versagen und 
Mißgeschick liefen sie weinend und klagend zur Mutter und erwarteten von 
ihr Verständnis, Trost und Abhilfe, schienen aber in diesen Ansprüchen nie 
befriedigt. Die Klagen verrieten durchaus den Charakter von versteckten 
Anklagen und Vorwürfen. Ich verstand diese Haltung immer so, als ob die 
Mädchen der Mutter Vorwürfe darüber machten, daß sie ihnen in der Aufgabe, 




Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 151 

von der Mutter loszukommen und den Weg zum Vater zu finden, nicht genü# 
gend Hilfe leiste, oder daß sie von der Mutter die Entscheidung darüber 
abgenommen haben wollten, ob sie bei ihr bleiben könnten oder zum Vater 
gehen müßten, oder auch, als ob die Mädchen von der Mutter erwarteten, sie 
solle ihnen den Weg zum Vater^Mann dadurch ersparen, daß sie ihnen den 
Vater ersetze. Diese unter Weinen und Klagen vorgebrachten Ansprüche 
hatten den Charakter quälender Unerfüllbarkeit. 

Es ist nun richtig, daß wir diese Szenen auch unter der Formel verstehen 
können, daß in ihnen das Mädchen die Mutter für seine Penislosigkeit ver* 
antwortlich mache. Es bedeutet aber eine, vielleicht nur kleine, aber — wie 
mir scheint — in Richtung auf das Eigentliche und Erste entscheidend vor.« 
stoßende Akzentverschiebung, wenn man die Vorwürfe des Mädchens 
gegen die Mutter in die Formel bringt: Warum hast du mich so sehr 
an dich gebunden, wo wir doch garnicht zueinander passen? Weder bin ich 
für dich, noch bist du für mich das angemessene Objekt. Nun habe ich die 
schwere Aufgabe, von dir fort und zu einem mir adäquaten Objekt zu gehen. 
Hilf mir dazu oder, wenn du kannst, mache diese Notwendigkeit ungeschehen 
und lasse uns trotz allem zueinander passen 1 Ich klage dich an^ daß du mich 
von Geburt an zu einer inadäquaten ungenügenden Befriedigung in der Be* 
ziehung zwischen uns und zu einem schweren Gefühl des Mangels verdammt 
hast. 

Ich glaube, diese Grundformel ist das — freilich niemals begrifflich, son* 
dem nur instinktiv erlebte — Erste, die Formel des Vorwurfs der Penislosig* 
keit bereits ein Zweites, das erst möglich wird, nachdem dem Mädchen durch 
den Anblick des männlichen Genitale die Vorstellungsrepräsentanz für sein 
Mangelgefühl dargeboten worden ist. 

V. 

1. Wir werden uns nun mit einer Reihe von Einwänden beschäftigen 
müssen, die gegen das Vorgebrachte in uns rege geworden sind: Haben wir 
die gegengeschlechtliche Anziehung als Erklärungsgrund verwendet? Ist das 
nicht eine petitio principii? Es gilt doch gerade, zu untersuchen, auf welchem 
Wege sich das Mädchen von der Mutter abzulösen vermag und zu seinem 
heterosexuellen Objekt gelangt, also zu untersuchen, wie es überhaupt zur 
gegengeschlechtlichen Objektbesetzung kommt? Und dann: wir wissen doch, 
daß die Sexualität des kleinen Mädchens zunächst männlich ist, und daß 
für es die Vagina zunächst unentdeckt bleibt. Wenn es überhaupt einen Ein* 
druck von dem Charakter einer sexuellen Anziehung zwischen ihm und der 
Mutter erhalten kann, warum soll daraus das Gefühl eines Mangels resul» 
tieren? Und haben wir nicht die prägenitalen Organisationsstufen vernach* 
lässigt und das kleine Mädchen so behandelt, als ob es bereits von Geburt 
an ein wesentlich genital bestimmtes Sexualleben besitze? — Ich will uns den 






152 Carl MüllersBraunschweig 



für eine Diskussion nötigen Wind nicht aus den Segeln nehmen, kann es 
mir aber nicht versagen, auf diese und andere Einwände einzugehen, und 
werde diese Gelegenheit zugleich dazu benutzen, einige Ergänzungen vorzu* 
bringen. 

Voran der Einwand der frühen Männlichkeit des kleinen Mädchens: Von 
ihr habe ich, solange ich Analytiker bin, nie den Eindruck gewinnen können, 
daß sie etwas Autochthones sei, daß sie eine primär biologisch und physio* 
logisch fundierte Vorstufe in der Entwicklung des Mädchens darstelle; viel* 
mehr schien sie mir immer aufgesetzt, zunächst deswegen, weil mir das mani* 
feste Gesamtgehaben des kleinen Mädchens jener Auffassung zu wider* 
sprechen schien. Ich habe den Eindruck, daß das kleine Mädchen normaler* 
weise und schon sehr früh — neben und hinter seiner männlichen Haltung 
— bereits alle weiblichen Züge der späteren reifen Frau zeigt. Es hat z. B. 
vom ersten Erwachen des Interesses am Mann*Vater an — und dieses Inter* 
esse zeigt sich bereits im ersten Jahr — das unaufdringlich Verführende, 
Lockende des Weibes, wie es in karikierender Übertreibung und unter dem 
Aspekt der männlichen Angst in der Figur der Loreley und vielen anderen 
Gestalten des Mythos, der Sage, der Literatur erscheint. Das körperliche 
Prototyp dieses Verhaltens ist das Hineinziehen in das weibliche Genitale. 1 
Die frühe Weiblichkeit des kleinen Mädchens im Verhältnis zum Vater 
und anderen Männern, um die es in unseren Ausführungen zu tun ist, gehört 
noch nicht zum Ödipuskomplex. Das Kind gerät durch das weibliche Inter* 
esse am Mann anfangs noch nicht in den eigentlichen Ödipuskonflikt mit 
der Mutter. Die Bindung an die nährende und versorgende Mutter und das 
weibliche Interesse am Vater stehen nebeneinander. Ehe der Ödipuskonflikt 
entsteht, ist vielmehr der nur für die Entwicklung des Mädchens geltende 
Konflikt wirksam, der unmittelbar aus der von uns in den Mittelpunkt un* 
serer Betrachtung gestellten Urkonstellation hervorgeht. Das Mädchen hat 
die Aufgabe, das Mutterobjekt zugunsten des Vaterobjekts zu verlassen. 
Nach unserer Überzeugung liegt — wie ausgeführt — der erste und entscheid 
dende Anstoß in dem instinktiven Erlebnis, durch das die Mutter als das 
inadäquate Objekt, die Beziehung zu ihr als eine nicht polare und darum 
mangelhafte erlebt wird. Die starke Bindung an die Mutter aber — soweit 
sie unabänderlich mit der Tatsache der Geburt und der Säuglingspflege, ins* 
besondere der Stillung gegeben ist — erschwert den Ersatz des inadäquaten 
Objektes durch das adäquate und zwingt zu dem aussichtslosen Versuch, so 
zu tun, als ob man ein Junge wäre, und sich mit der Phantasie eines Penis* 
besitzes zu betrügen, um dadurch der Aufgabe zu entgehen, das Mutterobjekt 
fahren lassen zu müssen. Diese Illusion, ein Junge zu sein und einen Penis 
zu besitzen, verhüllt dem Mädchen nicht nur die unlustvolle Aufgabe, die 

4) Über das Gegensatzpaar „männlicWeiblich" und die Schwierigkeit seiner Charakter^ 
sierung siehe auch Nachträge VI, 10. 




Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 153 



Mutter verlassen zu müssen, sondern sie verschleiert dem Mädchen auch die 
Wahrnehmung der Weiblichkeit, der weiblichen Einstellung zum Mann und 
der weiblichen Sensation des eigenen Genitale. Auch diese Verschleierung 
empfindet das Mädchen insofern als Hilfe, als es vor dem Weg zum Vatier 
nicht nur darum Angst hat, weil es die Mutter verlassen muß, sondern auch 
deswegen, weil es sich dem Vater, dem Mann und damit der noch unge« 
wohnten — durch die erzwungene Anpassung an das gleichgeschlechtliche 
Objekt zum Teil als fremd und feindlich empfundenen — geschlechtlichen 
Polarität und dem vollen Umfang des weiblichen Schicksals ausgeliefert sieht. 
Diese Vorgänge gehören, wie gesagt, noch nicht zum eigentlichen, voll* 
endeten Ödipuskomplex, aber sie führen zu ihm hin. Die Mutter wird noch 
nicht als Rivalin beim Vater empfunden, und es ist noch nicht der Wunsch 
vorhanden, sie zu beseitigen und zu ersetzen, und damit auch noch nicht das 
aus dieser Konstellation erwachsende Schuldgefühl. Vielmehr ist dieses durch 
ein Schuldgefühl aus anderen Quellen vorgebildet und unterbaut, durch ein 
Schuldgefühl aus einem Erlebnis vom Charakter der Untreue gegenüber der 
Mutter, die man zugunsten des Vaters zu verlassen sich getrieben fühlt auf 
Grund des Eindrucks, nicht am rechten Ort zu sein. Man kann dieses Schuld« 
gefühl bei erwachsenen Frauen in der Analyse wiederfinden und es sowohl 
unterscheiden von dem aus dem Ödipuskomplex stammenden Schuldgefühl 
als auch von dem Schuldgefühl, das aus den notwendigen Erziehungsver* 
sagungen stammt. 

Karen Horney hat, wohl auch von einem Ungenügen an dem bisherigen 
Verständnis des Penisneides getrieben, den Versuch gemacht, die eigentliche 
Virulenz des Penisneides auf eine Enttäuschung durch den Vater und eine 
darauffolgende Identifizierung mit ihm zurückzuführen. 5 Unsere Gedanken* 
reihen operieren nicht mit so späten, bereits der ödipussituation angehören* 
den Vorgängen, vielmehr versuchten wir den Penisneid auf innere Erlebnisse 
des Mädchens zurückzuführen, die noch vor dem Erwachen des manifesten 
Interesses am Vater*Mann liegen, auf die frühen genitalsexuellen Reaktionen 
des Mädchens auf das ihm geschlechtlich inadäquate erste Liebesobjekt, die 
Mutter. 

Der von Karen Horney beschriebene, für die ödipale Zeit gültige Vor* 
gang wird, wo er eintritt, den Penisneid und die Männlichkeitsphantasie be* 
reits vorfinden und nur regressiv zu besetzen und zu verstärken brauchen. 

2. Der Penisneid, entsprungen aus dem Erlebnis der geschlechtlich 
inadäquaten Beziehung zur Mutter, bedeutet also zunächst den Neid auf den 
hier besser ausgestatteten oder, zutreffender gesagt, auf den allein richtig, 
vollgültig, zureichend, angemessen ausgestatteten Knaben. Er kann nun weiter 



5) Karen Horney: Zur Genese des weiblichen Kastrationskomplexes. Int. Ztschr. 
f. Psa., Bd. IX, 1923, S. 12 ff. 






!54 Carl Müller'Braunschweig 



der Ursprung einer Männlichkeitsphantasie, der Phantasie vom Besitz eines 
Penis, werden und dient dann, wie soeben ausgeführt, sowohl der Sicherung 
des Verhältnisses zur Mutter als auch einer Sicherung vor der ungewissen 
Neuerung des Verhältnisses zum Vater#Mann. 

In der „Neuen Folge der Vorlesungen" hat Freud die Resultate der bis, 
herigen psychoanalytischen Erforschung der Genese der Weiblichkeit zu. 
sammengestellt. Paßt nun das, was ich Ihnen vorgetragen habe, in dasJinte 
wicklungsbild hinein, das Freud dort zeichnet? Ich glaube diese Frage 
bejahen zu dürfen, wenn auch in einigen wenigen, freilich sehr wichtigen 
Positionen Widersprüche vorhanden zu sein scheinen, 

Freuds Auffassung geht dahin, daß für das kleine Mädchen (auch für 
den kleinen Knaben) bis zur phallischen Phase „die Vagina unentdeckt 
bleibe"; „das kleine Mädchen sei ein kleiner Mann". Wie der Knabe m dieser 
Phase von seinem Penis lustvolle Sensationen sich zu verschaffen weiß und 
dessen erregten Zustand mit seinen Vorstellungen von sexuellem Verkehr 
zusammenbringt", so „das Mädchen mit seiner noch kleineren Klitoris: es 
scheint daß sich bei ihr alle onanistischen Akte an diesem Pems*Aquivalent 
abspielen ." „Vereinzelte Stimmen berichten zwar auch von frühzeitigen 
vaginalen Sensationen, aber es dürfte nicht leicht sein, solche von analen oder 
VorhokSensationen zu unterscheiden; auf keinen Fall können sie eine große 
Rolle spielen. Wir dürfen daran festhalten, daß in der phallischen Phase des 
Mädchens die Klitoris die leitende erogene Zone ist." 

Ich habe den Eindruck, daß man von den frühzeitigen vaginalen Sensal 
tionen weniger sagen kann, daß sie seltene Ausnahmen sind, als daß wir von 
ihnen relativ selten zu hören bekommen. Die relative Sparhchkeit, mit der 
uns von frühkindlichen vaginalen Vorgängen Kunde zukommt, scheint mir 
ihre Erklärung darin zu finden, daß das Mädchen, im vollen Gegensatz zum 
Knaben, dem Schicksal unterliegt, früh seine spezifische Sexualität abwehren 
zu müssen. Ich erinnere hier an die Arbeit von Josine M ü 1 1 e r : „Ein Beitrag 
zur Frage der Libido^Entwicklung des Mädchens in der genitalen Phase «,in 
der sie ihre Annahme von einer durchgängigen f rühkindlichen vaginalen Er* 
regungsfähigkeit mit wichtigen theoretischen Gründen und mit Beob* 
achtungsmaterial an Kindern und Erwachsenen zu stützen versucht. Auch 
Tones verteidigt in seiner inhaltsreichen und differenzierten Arbeit „Über 
die phallische Phase"' die Annahme früher vaginaler Erregbarkeit unter 
Hinweis auch' auf die Beobachtungen vieler Kinderärzte. Josme Muller 
äußert sich in ihrer Arbeit über einen Fall von Harnik, in welchem eine 
frigide Frau sich erinnerte, daß sie mit 15 Jahren vaginal masturbiert hatte, 
in folgender Weise: „Es war ihr nach einer bewußtgewordenen Pubertats* 
besetzung der Scheide m it Libido noch möglich gewesen, den vaginalen 

6) Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XVII, 1931. 

7) Int. Ztschr. £. Psa., Bd. XIX, 1933. 



Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 155 

Triebanspruch aus dem Bewußtsein zu verdrängen und die Klitoris zu be* 
Vorzügen. Daß dies ohne infantile Vorbereitung des Verdräng 
gungsweges möglich sein sollte, ist mir nach meinen eigenen Analysen 
unwahrscheinlich". Dieser Gedanke ist außerordentlich wichtig. Wir sind 
gewohnt zu denken, daß Verdrängungsaktionen nach der Pubertät sich auf 
gleichgerichtete infantile Vorgänge stützen. Erkennen wir die Ausführungen 
über die Wirkungen "der Urkonstellation an, so wäre das frühinfantile Ver*> 
drängungsvorbild der vaginalen Anästhesie im Zusammenhang mit unserer 
Urkonstellation zu suchen: das Mädchen hat, im Gegensatz zum Knaben, 
einen überwältigend starken Anlaß, seine spezifische Geschlechtlichkeit ab« 
zuwehren; es hat, wenn anders es dem wachsenden Erlebnis des Ungenügens 
und der Unangemessenheit entgehen soll, sich dem übermächtigen Partner 
polar anzupassen, indem es seine Weiblichkeit abwehrt und seine Männlich* 
keit in den Vordergrund treten läßt. Vorausgesetzt, daß es die Vagina ist, die 
den eigentlich weiblichen Teil des Geschlechtsapparates des Mädchens bildet, 
entspräche diesen Anpassungsvorgängen auf der Seite der somatischen Sexu* 
alität eine Entziehung vaginaler Besetzung zugunsten der anderen Zonen, ins« 
besondere der Klitoris. 

Man darf in diesem Zusammenhange darauf hinweisen, daß die Theorie, 
die das Mädchen erst mit der Pubertät endgültig seine Männlichkeit gegen die 
Weiblichkeit eintauschen und „die Klitoris ihre Empfindlichkeit und damit 
ihre Bedeutung ganz oder teilweise an die Vagina abtreten" läßt, sich aus 
dem gewohnten Aspekt von der Zweizeitigkeit unseres Sexuallebens heraus* 
heben würde, sobald man die Männlichkeit des kleinen Mädchens als eine 
autochthone primär*biologische Frühphase ansähe. Sieht man sie dagegen 
als eine reaktiv hervorgetriebene an, so kehrt auch in der Entwicklungsge* 
schichte des kleinen Mädchens die Zweizeitigkeit wieder. Wenn wir be* 
denken, daß dieser reaktive Vorgang sinngemäß in die allerfrüheste Kind* 
heit zu verlegen ist und aus einer biologischen Ursituation ersten Ranges un* 
mittelbar hervorgeht, gewinnt die Männlichkeit des kleinen Mädchens aller* 
dings selbst den Charakter einer gleichsam biologischen Ursprünglichkeit. 

In dem Zusammenhang mit dem Vorgetragenen wäre das „Unentdeckt* 
bleiben der Vagina" kein genuines Phänomen, sondern die Folge eines sehr 
frühen Abwehrvorganges gegen vaginale und Vorhof*Sensationen zugunsten 
einer Überbesetzung der Klitoris. 

Der Vagina und dem Vorhof, die wir als die eigentlichen Repräsentanten 
des weiblichen Erlebens ansprechen möchten, würden also auf Grund der 
als Mangel empfundenen fehlenden gegengeschlechtlichen Polarität früh* 
zeitig und in steigendem Maße die Besetzungen zugunsten der Klitoris ent* 
zogen. Bei diesen Abwehrvorgängen ist es sicher für die spätere normale oder 
abwegige Entwicklung nicht gleichgültig, ob die Abwehr sich in einer Ver* 
nngerung oder Entziehung der somatischen Libidobesetzung der Vagina 



^56 Carl MüllefBraimschweig 



vollzieht, oder in einer Besetzungsentziehung, die den vaginalen Sensationen 
nur den Zugang zum Bewußtsein verwehrt, während sie, die vaginalen Erre- 
gungen selbst, gleichwohl erhalten bleiben, ja anwachsen können. Durch die 
Penisentdeckung erhalten, wie oben beschrieben, die bis dahin unbestimmt 
erlebten Empfindungen des sexuellen Ungenügens, der sexuellen Zurück, 
gesetztheit eine bestimmte und deutliche Repräsentanz. Der Penisneid eta* 
bliert sich. Die Klitoris, durch die Abwehr, und Verschiebungsvorgange be* 
reits bevorzugt besetzt, erhält sich - zumindest vor dem bewußten Erleben 
- als vorherrschende erogene Zone und bleibt es in wachsendem Maße, weil 
entsprechend dem Anschwellen der abgewehrten vagmalen Spannungen 
schubweise eine Stärkerbesetzung der Klitoris erfolgen muß bis diese Ab* 
wehrvorgänge ihren Zweck nicht mehr erfüllen und die vaginalen Ansprüche 
sich - normalerweise - in Parallele zu dem Weg von der Mutter zum Vater 

durchsetzen. 

Ich habe nichts gegen die „Männlichkeit" des kleinen Mädchens emzu* 
wenden, sobald unter ihr nicht eine von vornherein und ausschließlich vor* 
handene sexuelle und seelische Haltung verstanden wird, sondern vielmehr 
eine allerdings sehr früh erworbene reaktive Deformierung ihrer konstitu* 
tionell gegebenen weiblichen Eigenart, dahingehend, daß die spezifisch weib* 
liehen Teile ihres Sexualapparates zugunsten des Vorlustorganes oder auch 
anderer erogener Zonen - z. B. der urethralen - an Besetzung einbüßen. 
Vagina und Vorhof behalten einen Teil ihrer Besetzung, der auch durch die 
Klitoris*Onanie mitmobilisiert wird. Die männliche Haltung und Phantasie 
kann sich nun mit den Klitoris*Sensationen und ^Vorstellungen, aber auch 
mit der urethralen Funktion und Sensation verkoppeln. 

Wenn die Onaniephantasien der kleinen Mädchen einen bisexuellen Cha* 
rakter tragen, dann wegen des Schicksals, das das Mädchen von der Geburt an 
dazu drängt, einen Fluchtversuch vor der eigenen Geschlechthchkeit zu unter* 
nehmen. Es baut neben seiner Weiblichkeit eine Männlichkeit auf, neben 
der Vagina einen Penis. Aber diese Männlichkeit ist — so sehr sie sich die 
real gegebene Bisexualität zunutze machen wird - ebensosehr nur eine 
Pseudo*Männlichkeit wie der Penis ein Phantasie*Penis ist. Wie das Weib* 
liehe bereits im nichtsexuellen Gehaben des kleinen Mädchens sichtbar wird, 
so wird, dürfen wir schließen, auch die körperlich*sexuelle Grundlage, selbst 
wenn sie früh einem Abwehrprozeß unterliegt und dadurch in der freien Ent* 
wicklung gehindert ist, gleichwohl vorhanden sein. 

3. Muß ich dem Einwand begegnen, daß ich mich so verhalten hatte, als 
sei das weibliche Kind bereits von Anfang an auf genitaler Stufe, wo es doch 
erst die prägenitalen Stufen zu durchlaufen hat? Nun, ich mache die Vor* 
aussetzung, daß das Mädchen im selben Maße wie der Knabe, von früh an, 
unbeschadet der prägenitalen Phasen, als einen der Partialtriebe innerhalb der 
polymorphen infantilen Sexualität bereits eine Genitalität, und zwar eine 



Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 157 

nicht nur klitoridische, sondern auch vaginale Genitalität besitzt. Es bleibt dann 
nur noch die Frage des Gewichts, das man dieser frühen Genitalität bei«' 
mißt. Ich habe den Eindruck, daß wir, beim Knaben wie beim Mädchen, 
dieser von Anfang an vorhandenen und wirksamen Genitalität die ihr zu* 
kommende Bedeutung nicht in ausreichendem Maße zuerkannt haben. Viel* 
leicht wird auch nicht — wie ich bereits eingangs ausführte — genügend be* 
achtet, daß die prägenitalen Phasen nicht allein als zwangsläufige ontogene* 
tische Wiederholungen phylogenetischer Abfolgen einzuwerfen sind, son* 
dem daß sie im Laufe der Entwicklung noch andere Funktionen erworben 
haben. Es scheint, daß sie dazu benutzt werden, von dem als Gefahr empf un* 
denen Anwachsen einer Genitalität abzulenken, die — wie wir oben aus* 
führten — bereits embryonalen Ursprungs sein wird und sich bis in das erste 
Lebensjahr hinein erstreckt, und die — an der Intensität der extragenitalen 
Komponenten der prägenitalen Phasen gemessen — eine relativ starke Inten* 
sität besitzt und als eine erste Frühblüte der Genitalität betrachtet werden 
kann. Zum Zwecke des Ausweichens vor dieser Genitalität vermag sich be* 
reits sehr früh eine Verschiebung genitaler Energien auf die extragenitalen 
Triebtendenzen zu vollziehen und sich damit ein Mechanismus einzuspielen, 
der den späteren pathologischen Abwehrvorgängen in Form echter Regres* 
sionen den Weg bereitet. Diese Funktion der extragenitalen Tendenzen wird 
ihrerseits bereits phylogenetisch erworben sein und die einfache Abfolge 
oral — anal — genital kompliziert haben. 

| Ich glaube, daß wir unter Berücksichtigung des Vorgebrachten auch die Fri* 
gidität der Frau besser verstehen können. 8 Warum ist die mangelhafte vaginale 
Empfindlichkeit eine ungleich viel häufigere Erscheinung, als es die Anästhe* 
sien am männlichen Geschlechtsapparat sind? Lassen wir unsere AufsteL* 
hingen gelten, so fehlt dem Mann durchaus eine Entwicklungsphase, die 
derjenigen entsprechen würde, die wir für die Frau beschrieben haben. Hat 
die Frau Anlaß, den vaginalen Anteil ihrer Geschlechtlichkeit sehr frühzeitig 
zum Schweigen zu bringen, so fehlt dem Mann ein entsprechender Anlaß, 
geschlechtsgerechte Empfindungen abzuwehren; die Sensationen seines mann* 
liehen Geschlechtsapparates sind von vornherein auf ein adäquates Objekt 
eingestellt. Störungen in der präödipalen Entwicklung dieses Apparates und 
seiner Lustproduktion können beim Knaben nur durch fehlerhaftes Ver* 
halten der Mutter entstehen, nicht aber — wie beim Mädchen — bereits durch 
das bloße Dasein der Mutter und der Beziehung zu ihr. Je stärker die Bin* 
düng an die Mutter, umso intensiver können die Reaktionen gegen den vagi* 
nalen Anteil erhalten bleiben. 

Die Frigidität der Frau imponiert wohl überhaupt als etwas, was mit An* 
ästhesien und Parästhesien des männlichen Genitale in keine rechte Parallele 
gebracht werden kann. Dieser Son derstellung der Frigidität der Frau ent* 

8) S. dazu Nachtrag: VI, 6. 



1JO ■ 

spricht das einzigartige, nur für das weibliche Geschlecht spezifische _ Ur* 
e£s daß das weibliche Kind im Verhältnis zu seinem ersten Objekt zu 
einer AnpLungsleistung gezwungen wird die von mm die Verleugnung 
seines spezifisch weiblichen - vaginalen - Er ebens fordert. 

4 Ich glaube, es ist unvermeidbar, bei allen Untersuchungen der Trieben^ 
wickbngdes Knaben und des Mädchens mit der ^^W 
vornherein gegebenen gegengeschlechtlichen Anziehung ^J^SfflE 
lieh müssen wir zugleich wissen, daß wir mit rein ^ k * , ^^3 
über sie nichts erfahren werden, sondern diese ^^^^ 
seinen somatischen Methoden überlassen müssen. Wir ^^^ 
daß wir mit dem Ausdruck „gegengeschlechtliche Anziehung nur auf etwas 
phänomenal unvermeidbar Gegebenes hinzuweisen vermögen, aber mit 
diesem Ausdruck nichts erklärt haben. _ 

Wenn wir nun freilich die Aufgabe, die Gesetze dieser E^™«g ; rf 
erforschen, dem Biologen überlassen müssen so bliebe uns immerhin die 
in Angriff genommene Aufgabe, die Wege der gege «geschlechtlich en Ob 
ektfhfdung! soweit sie psychologisch verfolgbar sind, zu £*"**£te 
ohne die Voraussetzung einer von vornherein wirksamen Wechselbeziehung 
zwischen den beiden geschlechtlichen Polen - oder wie wir immer das Pha. 
nmmen bezeichnen wollen — läßt sich nicht arbeiten. 

Sfc* ^ Vorauietzung ist daher für die psychologische Forschung keine 
pe^plc^ü, sondern eine aus ihren eigenen Grenzen stammende Un, 

^f Sht so als hätte die Tiefenpsychologie die Aufgabe oder überhaupt 
dS3SS^^4«*J* Phänomen zu erklären, sie wird nur 
dluf zu a hten haben, es überall dort, wo es psychologisch sich bar wird, 
n S u üitSn. Uni die Aufgabe, die sich die Psychoanalyse setzen ^kann 
wäre vielleicht besser so darzustellen, daß sie die störenden Faktoren und die 
Umwege aufzufinden habe, die die von vornherein wf«ÄSC£ 
lung in der Erreichung ihres Endzieles - »«"«"^J^^S 
Obfektliebe - hemmen, als diese Aufgabe so zu beschreiben, als ob mit 
SarSüu^des Weges zum Endziel diese - die gegengeschlechthche 
SSSÄ^ nunmehr selbst in ihrem Wesen erfaßt war. 
Die Psychoanalyse vermag nur die Wege und Umwege zu beschreib^ auf 
denen die gegengeschlechtliche Objektliebe, die von vornherein wirksam ist, 

ZU L F Sr e n g w!e a ^ oben formuliert, die prägenitalen Phasen nicht nu, 
die k^ünl von auf das Endziel zusteuernden Vorstufen, sondern jeh 
die Bedeutung von Umwegen, die sich zum Ausweichen vor dem Endziel 

"a^n wie der Penisneid des Mädchens oder der Wunsch nach dem 
Kind ^Sr dlphallisch^narzißtische Versteifung des Jungen sind durchaus 



r 



Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 159 

doppeldeutig; sie sind Wege, aber auch Umwege zum Objekt. Der Penis* 
neid hat z. B. diese Funktion, indem er an die Stelle des vaginalen Ver« 
langens nach Aufnahme des Penis zunächst, nach dem Vorbild des oralen 
und analen Einverleibens, ein narzißtisches Inbesitznehmen setzt — das ist 
der Kindwunsch, der den Akzent von dem als Gefahr empfundenen Koitus 
auf den Wunsch nach dem Kinde verschiebt und damit den abgelehnten oder 
gefürchteten Koitus gleichsam überspringt. 

Ein Wort über das, was wir wissenschaftlich tun, wenn wir die Vereini» 
gung der Geschlechter als das Endziel der Sexualität bezeichnen: Wir denken 
dann nicht philosophischsteleologisch, sondern durchaus naturwissenschaffe» 
lieh, indem wir uns der aufdringlichen Erfahrung und Beobachtung fügen, 
die uns die Dominanz der gegengeschlechtlichen Beziehung in einer Deut* 
lichkeit zeigt, daß dagegen alle anderen Betätigungsformen der Libido ent* 
weder an Intensität und Häufigkeit zurücktreten oder, wenngleich intensiv 
und häufig, sich doch als sekundäre Spielarten und Abwegigkeiten gegen* 
über einem Hauptzuge der Natur darstellen. 9 

VI. (Nachträge) 

Im folgenden einige Nachträge in lockerer Aneinanderreihung: 

1. Die Bedeutung einer an die primäre Genitalität der 
prägenitalen Phasen gekoppelten Objektbeziehung. Die 
Objektbeziehung zumindest im Sinne einer Tendenz in Richtung auf das Ob* 
jekt ist von vornherein beim Kinde gegeben. Es schreit und hungert nach der 
oralen Befriedigung. Daß es taktil den Weg zur Mutterbrust erst suchen muß, 
ist kein Gegenargument. Die Richtung und das Streben sind unverkennbar. 

Das Spannung setzende Moment wird zunächst die Unterbrechung der 
intrauterinen Ernährung und Sauerstoffversorgung sein. Die erste, die orale 
Spannung, verlangt bereits zu ihrer Beseitigung ein Objekt. Daß noch kein 
SubjekfeObjekteBewußtsein da ist, 10 besagt nichts dagegen, daß hier bereits 
eine Objektbeziehung von ungeheurer Triebhaftigkeit und Innigkeit vorliegt, 
die die Grundlage zu bilden scheint für alle spätere leidenschaftliche Liebes« 
bindung zwischen den Geschlechtern. 

Soweit von vornherein auch die Genitalzone (bei beiden Geschlechtern) 
erregbar ist, wird man annehmen müssen, daß ihre Erregungen von Geburt 
an an eine auf das gegengeschlechtliche Objekt gerichteten Tendenz gebunden 
sind. Die Tatsache, daß nach Absolvierung der oralen und anaksadistischen 
Entwicklungsphase vor der eigentlich genitalen eine phallische Phase sichtbar 
wird, die einen weniger objektgerichteten als narzißtischen Charakter hat, 
widerspricht dieser Annahme nicht, wenn man dem Eindruck Raum gibt, 
daß der Narzißmus der phallischen Haltung ein letzter Versuch ist, der 

9) S. dazu auch den Nachtrag: VI, 10. 

10) Dazu Näheres: Nachtrag, 7. 



Carl Müller'Brauns chweig 



endgühigen Verbindung genitaler Strengen mit dem realen Objekt und 
IpSdl mit dem gegengeschlechdichen Ob,ekt —™^-- „j. 

Man darf wohl nicht im gleichen Sinne, wie ^«^»^ 
„de, genitalen Phase ^£32ÄS35hÄ £ Auge 
wenn man diesen reaktiven Charakter aer p biologisch pri* 

faßt." Die anderen genannten Phasen ^^£m in anderem 
märe und entwicklungsgeschkchdicft 'J^^™^ gkicK en Rang zu 
Sinne ist die phallische Phase des »«i^^Sjfc bereit in 
stellen, da sie als Haltung m Konsequenz des bisher A g dfe ^ 

der oralen Phase deutlich wirksam ist, und zwar aus Ur ^ 
Knaben fehlen. Gemeinsam ist den ^^«^ 
schlechter freilich sowohl das eine, daß sie gjggjg^fc Objekt, 
gängig begleiten -beim Mädchen .^^^Ä ^ * *■ 
SSÄÄ^ & eine narzißtische und 
obiektabwehrende Versteifung erfahren. f + „ r lin d die 

Haß gegen die Mutter, den das Mäd chen aus d e rrveb| ^£^End« 
erwirb, Aber dieser Haß wird nur ab H^g^ inadäquaten 
Treibende ist das wachsende Gefühl des Un genug w . Ver , 
Partnerin und die Verstärkung der gegengeschlechtlichen Anzien g 

hältnis zum Vater. ii^rhauot: streben . 

Darin äußert sich ein Mechanismus des ^fM^ub«h^ V^ 
zwei Partner auseinander, so werden sie den J^^S Taten des 
f-Haßh^^ 

Partners, die diesen Haß zu rechtfertigen 8*5, Anziehung von selten 
des Bewußtseins gehoben.» D-Wg^^JS te Mädlens an die 
des Vaters wirkt sich m der F ^lfe^$; g des Mädchens von der 
Mutter vorerst nicht im Smne einer Abwendung u 
Mutter aus, sondern führt zunächst aus W^^y^ 

*tZi ,. dkf g»fe«S s 

Proiektion: In Wirklichkeit (auf Grund der g e | eH S Afe 
Ä wird das Mädchen der Mutte, ggjg *M* ggjfc 
das Mädchen projiziert die UntteiKaui^die^iutte^m^i 

ta) Freud: Das Ich und das Es. Kap. iv. ^ 
von Liebe in Haß). Ges. Sehr., Bd. VI. 



Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung fü, Penisneid «sw~^61 

geworden, die Mutter hat ihr schon früh die Brust entzogen, hat sich später 
einem nachgeborenen Geschwister zugewendet und dergleichen mehr 

Nach der „Neuen Folge der Vorlesungen" „macht das Mädchen (die 
Mutter für seinen Penismangel verantwortlich". Man kann diesen Vorwurf 
auch so lesen: Wenn ich einen Penis hätte, so könnte ich bei dir bleiben wie 
der Junge. Da ich aber kein Glied besitze, bin ich gezwungen, zum Vater 
hinüberzuwechseln. Du bist schuld, daß ich mich von dir trennen muß 
Das, was das Mädchen letzten Endes von der Mutter zum Vater treibt, ist die 
zwangsläufig sich auswirkende gegengeschlechtliche Anziehung. Sie kommt 
aber von der Mutter, an die sie durch Geburt, Stillung und Körper 
pflege gebunden ist, nur weg, wenn sie die feindselige Einstellung gegen die 
Mutter steigern kann. 

Der Neid gegenüber dem penisbesitzenden Jungen erscheint in diesem 
Zusammenhange als nichts Primäres. Primär ist die Benachteiligung, die das 
Madchen dadurch erfährt, daß es nicht, wie der Junge, in der Mutter sein ge, 
gebenes gegengeschlechtliches Liebesobjekt besitzt, sondern ein Objekt das 
es - und das wird vom Mädchen von Geburt an instinktiv gespürt - einmal 
wird zugunsten des Vaters verlassen müssen. So hilft es sich zwischendurch 

besitzen ° n ' ** ^"^ ™ ^ * *" gIdch dem Jung * n dnen Penis zu 

Das kleine Mädchen spürt frühzeitig die gegengeschlechtliche Anziehung 
zum Vater hin: Das setzt früh den Konflikt zwischen der Neigung zu der es 
versorgenden und verwöhnenden Mutter, an die es wegen dieser Funktionen 
fixier ist und der Neigung zum Vater.Mann, die sich auf Grund der gegen, 
geschlechtlichen Anziehung anbahnt. Der Knabe kennt diesen Konflikt nicht. 
Von ; vornherein ist hier die versorgende und pflegende Mutter mit dem gegen, 
geschlechtlichen Objekt identisch. 

Wenn das Mädchen die Mutter für den Penismangel verantwortlich macht, 
so wirft es ihr damit vor, daß sie es diesem Konflikt ausgesetzt hat. Die 
Illusion des Pemsbesitzes ist also unterbaut durch den Versuch, der Ent, 
Scheidung, die dieser Konflikt aufgibt, solange wie möglich aus dem Wege 

M-fv'^ St r T K ° nflikt nkht mehr abzuweichen, dann gelingt dem 
Madchen die Loslösung von der Mutter und die Hinwendung zum Vater 
tdas Ja^sagen zur gegengeschlechtlichen Anziehung), teils durch die Ver* 
Stärkung der Haßregungen gegen die Mutter (die durch Vorwürfe wegen 
Zurücksetzung rationalisiert werden), teils durch die Verwandlung der Illu, 
sion vom Besitze eines Penis in das Streben nach dem Penis des Vaters und 

äi?* $ *? ^^ t? Kind VOm Vater ' beides auf der B ^is der Genu 
taütat und der Objekthebe. 

Der Penisneid die Vorstellung des Mädchens, durch das Fehlen des Penis 
zurückgesetzt, ja kastriert zu sein, hängen in der bisherigen psychoanalytischen 
Literatur theoretisch in der Luft. Es wirkt nicht überzeugend, daß das Mäd. 

int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XX/2 



Carl MüllersBtaunschweig 



162 

starkes und nachhaltiges Erlebnis ^tej«^ Kraft dieses unbe* 
können. Es müssen mächtige ^^ST^ er recht eigendich 1* 
streitbar vorhandenen Neides «PJ^^d^ bereits ^hr früh, in der 
greifbar wird. Diese machtigen ^f^fl igengeschlechtiiche Span, 
oralen Phase anzusetzenden und ™£*£%SSLm Mädchens, die 
nung eingestellten genitalen ^«Jg^ und damit ein 

die Beziehung zur Mutter als ^^3^^" klassischen Ausdruck gibt 
Ungenügen schaffen, das sich m Pen sneid Einstellung des 

3. Negativer Ödipuskomplex? D ^™^ möchte ich nicht 
kleinen Mädchens zur Mutter m ^f»^ vorschlägt« 
gern von Anfang an - wie das ^ c ^^Z ]a0U bezeichnet sehen. 
1 als Teüerscheinung eines ^f^ ^^ Sinen Mädchens zur 
Einmal deswegen, weil ^^^^S^^m ^über 
Mutter vorerst im ersten bis dritten J**«*£ «^ aber ist d ie Be, 

dem Vater nicht notwendigerweise <^ schl * 1St , VO {h{ Mom€nt an 
Zeichnung „negativer Ödipuskomplex ^^^Skeln, nämlich 
d er Einteilung des ^^S^f 
erstens die Tatsache, daß das kleine iiaacn , ausgeliefert ist, 

Die Bezeichnung „negativer Ödipuskomplex mr ^-führenden 

kleinen Mädchens zu seiner Mutter verfuhrt ?*&!££££$$> diesem 
Vergleichung mit dem negativen Ödipuskomplex des Knaben- «» 

d ie normale Dominanz der Beziehung zum f^S ^ 

der Mutter, umkehren in die zum Vater. Für das M^«« 

als die analoge Wendung des Knaben zum Vater *e £ ^ 

Int. Zschr. f. i?sa., Bd. XIX, 1933. 



Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihr er Bedeutung für Penisneid usw. 163 

4. Z u r R o 1 1 e d e r K 1 i t o r i s. Nach H. B r a u s « entspricht dk Klitoris 
entwicklungsgeschichtlich nicht dem Penis, sondern nur den corpora caver* 
nosa penis. „Die weibliche Klitoris hat zwar eine sogenannte Eichel glans 
chtondis diese hat aber genetisch mit dem gleichnamigen Teil des mann* 
liehen Gliedes nichts zu tun". Es entsprechen das Präputium und anschließend 
daran die Haut des männlichen Gliedes und Hodensackes den großen Scham* 
hppen und weiter die Haut auf der Eichel des Penis (mit dem corpus caver* 
nosum glandis verwachsen) den kleinen Schamlippen (die gegen das corpus 
chtondis frei sind). 

Die Tatsache, daß die Klitoris entwicklungsgeschichtlich nicht dem Penis 
entspricht, besagt nichts gegen die zweifellos beliebig oft zu machende Fest* 
Stellung, daß wir Klitoris*Sensationen mit männlichen Impulsen und Phan* 
tasien verkoppelt sehen, und würde auch nichts gegen die Behauptung zu 
sagen vermögen, daß die Sexualität des kleinen Mädchens männlich sei. Die 
Klitoris kann zum körperlichen Organ männlicher Sexualstrebungen werden, 
gleichviel, ob sie dazu entwicklungsgeschichtlich prädisponiert ist oder nicht, 
und zwar deswegen, Weil die Frau ein doppeiförmiges Genitale besitzt, von 
dem, wenn nicht die Klitoris eindeutig der männlichen, so doch wohl die 
Vagina vorwiegend der weiblichen Einstellung entspricht. Wenn nun 'die 
vaginalen weiblichen Erregungen oder auch nur die Wahrnehmungen 'dieser 
Erregungen abgewehrt werden, so kann der zweite Teil des weiblichen Ge* 
nitalapparates, die Klitoris, zum Ausdrucksorgan der vom Ich zugelassenen 
männlichen Strebungen und entsprechend besetzt oder überbesetzt werden 
>. Die narzißtische Kränkung und der Neid als Entwick* 
lungsf aktoren. Wenn die narzißtische Kränkung, die das kleine Mäd* 
chen beim Anblick des männlichen Gliedes erfährt, und der Neid auf dieses 
Glied die Entwicklung der Wendung des kleinen Mädchens von der Mutter 
zum Vater_ veranlassen, so kann man sich überlegen, was denn wohl das 
phylogenetische Vorbild dieser veranlassenden Faktoren sein möchte. Stellt 
man sich diese Frage, so wird die Vorstellung, daß eine narzißtische Kran* 
kung oder ein Neid, hervorgerufen lediglich durch den Anblick des Ge* ' 
nitale eines männlichen Tieres, eine so bedeutsame Entwicklung sollte in 
Gang setzen können, wie es die Wendung des weiblichen Tieres vom Mutter* 
her zum männlichen Partner darstellt, fast grotesk. Es drängt sich dann 
deutlicher die Frage auf, welches weniger akzidentelle und weniger vom Ich 
und vom Charakter und mehr vom Triebhaften, vom ursprünglich Biolo* 
gischen her gegebene Moment für die genannte Entwicklung in Anspruch 
^nommen werden müsse. Das ursprüngliche Erlebnis der Inadäquatheit der 
Beziehung des weibhchen Kindes zu seinem ihm aufoktroyierten ersten 
Uebe sobjekt genügt dem Anspruch der Frage, ob es sich auch für die Phyto* 

Z^YH^TJlnYJ Anata^.Mensch«,. Springer, Berlin, 1924; hier zitiert nach 
anny n a n n * K e n d e: Klitons*Onanie und Penisneid. Int. Zschr. f. Psa., Bd. XIX, 1933. 

U* 



TTT liar i ptnuw"»-"" -° 

** W« 'äs.. Wk we,den * oK« Zwei«, den. Instink, das Beinen 
weiblichen Tieres zubilligen können. Kränkung erfahren hat, und 

Daß das weibliche Kmd eine na z ~^ r £ ser | asis ent wickeln, ist 
daß Penisneid und ^^^^F^^smSS es die Wahrneh, 
zugeben, aber ^^^^3SSS^ diese Krankung setz, 
mung des anat onus ch«W « h einem ina daquaten 

*sä% r* * sinnfause 

Repräsentanz gewinnen kann. u d{ Vermutung aU s, 

6. Zur Frigiditätder Jrau. de ^^^ mit SP zusammen Kän g en könnte, 
daß die Disposition zur Frigidität faF»« Aufnahmeorgan für 

daß die Vagina phylogenetisch erst sehr spat z .^^ yon S päterwer. 
das männliche Glied geworden ist ^^ ^ L * sieh e P ntwicke lt 
bungen besitzen könne. Der Muhersche Gang aus dem 

hat, war ursprünglich ein ^^^^.^J^t liegt wiederum 
man die weit ältere Funktion der Eiausstoßung ms Aug^ s gj 

die Vermutung nahe, daß die ancbe ^f^SsTte Vagina weiter, 
netisch sehr alte Erogeneität des Müllers ^g**^ Sm müßte, 
gegeben sein und ihr eine alt fundierte Erogen ^Tfr D isPosition der Frau 
g Wenn ich die Frigidität der Frau oder che ^M^gffSU wegen 

zur Frigidität darauf ^^ en ( T^\^ \Zr V^g^ oder der 
des inadäquaten ersten Objektes früh Anlaß hat ihrer v S 
Wahrnehmung der Vagina die Besetzung *u ^^^^ V igba 
Auffassung von der Frigidität F- mcht fu **"*£»» späte Bildung 
labil erscheinen lassen mochte, weil sie eine pny J 

ist. Aber der Bedeutung dieser ev en "^P^f^ Vorgängerin der Va. 
dität steht sowohl entgegen, daß, J!^J^'Zl7£r^he, daß 
gina über eine alte Erogeneität ver T ^habenmuß ^s auch 

L Frigid^ durch *g«^^ 
zu erfreuen vermögen. Ausgehend von der Vermutung, daß 

?Äo^tÄS; 2^Ä S£X* -**— En^luw.^ 

?ur Frage des Orgasmus und der Frigidität, 



Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisne id usw. 165 

Frau, geboren und gestillt zu werden, als es für den Knaben bedeutet und 
zwar deswegen, weil das Mädchen zur Mutter im gleichgeschlechtlichen, der 
Knabe im gegengeschlechtlichen Verhältnis steht, sei eine biologische Speku, 
lation gestattet. 

Freud führt in den „Drei Abhandlungen"" aus: „Ein gewisser Grad 
von anatomischem Hermaphroditismus gehört nämlich der Norm an- bei 
keinem normal gebildeten männlichen oder weiblichen Individuum werden die 
Spuren vom Apparat des anderen Geschlechtes vermißt . . ." „Die Auffassung 
die sich aus diesen lange bekannten anatomischen Tatsachen ergibt ist die 
einer ursprünglich bisexuellen Veranlagung, die sich im Laufe der Ent, 
Wicklung bis zur Monosexualität mit geringen Resten des verkümmerten Ge* 
schlechtes verändert." 

Vielleicht stellt die Frau mit ihrer auffällig doppelten Genitalbildung ein 
besonders zu betrachtendes Überbleibsel jener ursprünglich hermaphrodi. 
tischen Bildung dar, in dem Sinne, daß ursprünglich das aus dem Mutter* 
her entlassene Kind nicht nur bisexuell im Sinne der Beherbergung beider 
Geschlechtsstoffe oder Tendenzen war, sondern auch - in der späteren Ent, 
Wicklung zu differenzierten Geschlechtsorganen - beide Organe entwickelte. 
Dabei hatte dann ein Teil eine stürmischere Entwicklung zur eindeutigen 
Differenzierung durchgemacht, die weiblichen Genitalorgane wären bei 
diesem grundheher verkümmert, während sich die männlichen dominierend 
entwickelten. Em anderer Teü hätte sich weniger stürmisch entwickelt, und 
es waren bei diesem die gegengeschlechtlichen Organe noch ausgiebiger er. 
halten geblieben. Die Frau bewahrte also noch mehr von jener Ursprung, 
lieh hermaphroditischen Bildung. 

Die Doppelgenitalität des weiblichen Tieres könnte phylogenetisch damit 
zu tun haben daß es von einem gleichgeschlechtlichen Tier geboren wird 
im Gebaren des männlichen Tieres wird der Gegengeschlechtlichkeit Ge* 
nu ge getan. Bereits im Mutterleib mögen sich die weiblichen Stoffe des 
Muttertieres mit den männlichen des Fötus in einem polaren Gleichgewicht 
befinden, während dieses Gleichgewicht zwischen den weiblichen Stoffen 
des Muttertieres und den Geschlechtsstoffen des weiblichen Fötus nur bei 
Überbetonung der männlichen Stoffe im weiblichen Fötus hergestellt werden 
kann. Vielleicht, daß die Doppelgenitalität des weiblichen Tieres die Folge 
dieser Notwendigkeit ist? Die Notwendigkeit einer geschlechtlichen DiffereL 
aerung und Polarität zwischen den Stoffen des Muttertieres und denen des 
£ otus konnte also eine physiologische Basis dafür abgegeben haben, daß im 
weiblichen Fötus nicht nur ein für den männlichen nicht nötiges Übermaß 
gegengeschlechdicher Stoffe produziert worden wäre, sondern auch eine 
*as K für die Erhaltung der ursprünglic h - hermaphroditisch - vorhan* 

16) Ges. Sehr., Bd. V, S. 14. 




166 



Carl MüllersBraunschweig 



, 1-1 *4tt*t«». Organe bezw. eine Basis dafür, daß die Ver* 
Hch» Tie« ^Ve^gsamung erfuhr etzung mög< 

lieh sei, weil der Säugling noch kern £Jjr2S£S2iS » "*!« 
sein besitzt, sich selbst und die feto«* ÄSSÄTm handelt, 
scheiden verstünde? Die Ant wort lautet daß es s«h nicht d ^ ^ . 

wann das Kind zum Bewußtsein der ^^Tnwd^ gelangt, sondern 
Unterschiedes zwischen semem Ich und der Auße nwdt ^ |^ 

d TüEÄ5 -^SXrts^r?- als reales Wesen 
Wesen in eine triebhafte Beziehung tritt f^^^ Mutter als 

liegt eine Beziehung zu einem Objekt vor, und zwar eine 
liehe, daß alle spätere von dieser erstehen *V^J^£^oL 
innigen Verbindung dieser primären oralen mit einer P r 7 are "5 ß en ^ ätere 
ektbeziehung mag eine Erklärung ^^äjÄg 
Genitale Beziehung des Menschen zum Ob]ekt jenen Charakter aer x 

Fällt doch ihre Frühblüte in eine Zeit, wo die Differenz erung a 
lischen Gesamtorganismus noch in den ersten ^^ÄuSwdtS 
Beherrschungsfähigkeit des Ichs gegenüber Ich f^™^^ 
nicht gesprochen werden kann, sondern das Individuum noch ganz den 
inneren und äußeren Mächten ausgeliefert ist. ob^ktbesetzune" 

Vielleicht aber sträuben wir uns gegen die Bezeichnung & W^ggg^ 
für die Beziehung des Säuglings zur Mutter, weü w- memen daß zu^ gjtefe 
besetzung wesentlich das Vorhandensem eines aus dem «ndif f erenz erten Ur 
Es differenzierten Ichs hinzugehöre. Erst wenn ^Mggg 
sei könne ein Objekt besetzt werden. Aber besteht die Beteiligung des Ichs 
1 elSM Setzung nicht lediglich darin, daß es entweder nachgebend 
L sagen muß, oder ablehnend nein zu sagen versucht gegenüber einem im 
weseÄ bereits vom Es gelieferten und nach Art, Ziel und Objekt voll 

bestimmten Triebimpuls? Lü,«J" für 

Wer die Bezeichnungen „Objektbesetzung" und „Objektbeziehung für 
dieZeit nach Ausbildung der Instanz des Ichs reservieren wdl, hat gewiß das 
i3EErB wird a£ dann in Verlegenheit sein, wie er die zweifellos 
vorhandene Beziehung des Säuglings zur Mutter bezeichnen soll. 



Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutu ng für Penisnejd usw. 167 

Diese Beziehung ist meines Erachtens nicht zu leugnen; auch wenn sie in 
vieler Beziehung erst im Zusammenhang mit der Entwicklung der Instanz 
des Ichs, des Systems W*Bw, der Funktion der Sinnesorgane und der Mo* 
torik ausgebaut werden muß, kann man die funktionale Abhängigkeit 
zwischen den räumlich getrennten Objekten nicht übersehen. 

Die postnatale „Objektbesetzung" hat als intrauterinen Vorläufer die Be- 
ziehung des Embryo zur Mutter. Hier handelt es sich noch nicht um ein 
durch den äußeren Raum getrenntes Objekt, sondern um — so könnte man 
es ausdrücken — das Verhältnis zweier individueller Organsysteme zu* 
einander, von denen das eine, das mütterliche, das andere, den Fötus, räum* 
lieh einschließt. Die funktionale Abhängigkeit dieser Systeme von einander 
ist die Vorstufe der postnatalen „Objektbeziehüng" zwischen Kind und 
Mutter. 

9. Biologische Parallele zu der Annahme einer ersten 
postnatalen Frühblüte der genitalen Komponente. Zu der 
von mir — bei Beschränkung der Betrachtung auf das extrauterine Dasein — 
postulierten, für die Zeit von der Geburt an bis ins erste Lebensjahr sich 
erstreckenden ersten Frühblüte der genitalen Komponente würden die von 
Freud schon in der ersten Auflage der „Drei Abhandlungen" (1905)» in 
einer Fußnote erwähnten Funde von Bayer und Halban passen, nach 
denen die „inneren Geschlechtorgane (Uterus) Neugeborener in der Regel 
größer sind als die älterer Kinder", so daß von einem späteren Rückbildungs* 
Vorgang zu sprechen ist. 

Desgleichen weist die in der 5. Auflage (1922) der „Drei Abhandlungen" er* 
schienene Ergänzung der Note», die (nach einem Referat von Ferenczi) 
sich mit den Ergebnissen von Lip schütz 19 auseinandersetzt, auf biolo* 
gische Funde hin, die sich sehr gut mit meiner Auffassung vereinigen lassen: 
„Es konnte festgestellt werden, daß beim männlichen Fötus die Pubertäts* 
druse stark hypertrophiert ist, so daß sie den größten Teü des Hodens ein* 
nimmt; eine zweite bedeutende Vermehrung der Zwischenzellen tritt in der 
Pubertät ein, so daß eigentlich zwei Gipfelpunkte der Entwicklung der 
Pubertatsdrüse vorhanden sind. Lip schütz sieht sich auch gezwungen 
anzunehmen, daß schon in der frühen Embryonalzeit sich im Organismus 
Veränderungen abspielen, die qualitativ jenen gleichzusetzen sind, die in 
die Pubertätszeit fallen." 20 

„Das Kindesalter, von der Geburt bis zu Beginn der zweiten großen Phase 
g erechnet, könnte man als die int ermediäre Phase der Pubertät bezeichnen."" 

17) Ges. Sehr., Bd. V, S. 51. 

«8) 1. C. .:..!, 

«9) Lipschütz: Die Pubertätsdrüse und ihre Wirkungen Bern 1919 

kuSL« w' r ioiS Z T : * I ^ fc, ? t f% Li P, schüt2 -Die Pubertätsdrüse und ihre Wir. 
Rungen , Bern 1919. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. VI, 1920, S 84 

3«) Lipschütz, 1. c, S. 170. 



168 



Carl MüllersBraunschweig 



Freud wendet in der Note ein, daß „diese . . Übereinstimmung anato, 
mischer Befunde mit der psychologischen Beobachtung durch die Angabe 
gestört wird, daß der .erste Gipfelpunkt' der Entwicklung des Sexualorgans 
in die frühe Embryonal»* fällt, während die kindliche Frühblute des Sexual, 
lebens in das dritte und vierte Lebensjahr zu verlegen ist. Meine Auffassung 
einer primären, von der Geburt an vorhandenen, im Verhältnis zu den extrage. 
nitalen Komponenten des libidinösen Trieblebens relativ starken Fruhblute der 
genitalen Komponente steht jenen biologischen Funden zweifellos naher als 
die Auffassung, daß die erste Frühblüte der Genitalität sich erst im dritten, 
vierten Lebensjahr einstelle. Der Umstand, daß die Aufstellungen von Li p, 
schütz über die Pubertätsdrüse bisher in vielen Punkten einer wahrschein, 
lieh berechtigten Kritik ausgesetzt waren, fällt für uns nicht ins Gewicht, da 
die Einwände, soweit ich das übersehe, das für unseren Zusammenhang 
Wesentliche nicht treffen, nämlich, daß sich „schon in der frühen Embryonal, 
zeit im Organismus Veränderungen abspielen, die qualitativ jenen gleich, 
zusetzen sind, die in die Pubertätszeit fallen." Die Lipschützsche An, 
sieht von zwei Gipfelpunkten der sexuellen Entwicklung, von denen der 
eine in die Embryonalzeit, der andere in die Mitte des zweiten Jahrzehnts 
fallt, ließe sich - falls wir auch meine Auffassung als richtig unterstellen - 
mit der von der psychoanalytischen Forschung aufgefundenen Fruhblute 
des dritten, vierten Jahres dahin vereinigen, daß wir mit drei Gipfelpunkten 

zu rechnen hätten. ' ' . . . . 

10. Der experimentell-biologische Nachweis einer all, 
gemeinen sexuellen Bipolarität. Nach Abschluß der voranstehen, 

den Arbeit wurde ich durch einen Aufsatz Joachim Hämmerlings „Gibt 
es mehr als zwei Geschlechter?" 22 auf die neuesten Ergebnisse der experi, 
mentell,biologischen Untersuchungen der Max Hartmann sehen Abtei, 
lung des Kaiser Wilhelm,Institutes Berlin,Dahlem aufmerksam gemacht. Die 
Durchsicht der jüngsten Arbeiten von H a r t m a n n und seinen Mitarbeitern 
Hämmerling, Föyn, Bauer und von Moewus (Dresden), zeigte 
mir, was mir in der Veröffentlichung Hartmanns aus dem Jahre 19Z5 
„Untersuchungen über relative Sexualität" 23 noch nicht in dem Maße aui, 
gefallen war, daß die jetzigen in Dahlem gezeitigten Ergebnisse in hohem 
Maße geeignet sind, teüs die von der psychoanalytischen Forschung gewon, 
nenen Einsichten oder aufgestellten Theorien auf sexuologischem Gebiete 
durch biologische Parallelen zu stützen, teils die psychoanalytische For, 
schüng zu Ergänzungen und Berichtigunge n anzuregen. 

32) Berliner Tageblatt v. 28. April 1935. 

J Max Hartmann, Untersuchungen über relative Sexualität. I. Versuche an Ecto* 
carpus siliculosos. Mol. Zentral«. 45, 1925. Siehe auch Referat von Ge ro in Int Ztschr 
Tpsa Bd XVI, 1930, S. 503 über: Max Hartmann: Die Sexualität der Protisten und 
Thallophyien und ihre Bedeutung für eine allg. Theorie der Sexualität. Ztschr. f. induktive 
Abstammungs* und Vererbungslehre, Bd. 54, 1930. 




Die erste Objektbeseteung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 



169 



Eine umfassende Darstellung dieser biologischen Ergebnisse an dieser 
Stelle zu geben, wurde die Arbeit zu einseitig anschwellen lassen. Ich möchte 
mich deswegen hier nur auf die Andeutung der hauptsächlichsten Gesichts, 
punkte beschränken und eine eingehendere Darstellung dieser Ergebnisse und 
ihrer Bedeutung für die psychoanalytische Forschung einer gesonderten Ar, 
beit vorbehalten. 

Max Hartmann« stellt drei Grundsätze der Sexualität fest, zu denen 
zwei „unter sehr verschiedenen Gesichtspunkten und mit verschiedener Me, 
thode durchgeführte Untersuchungsreihen merkwürdiger, und erfreulicher, 
weise unabhängig von einander geführt haben", einmal das „Studium der 
Vererbung des Geschlechts bei den Blütenpflanzen und höheren Tieren durch 

A X e?i Go ] d " Hmidt . Morgan und ihre Nachfolger" und dann 
„das btudium der Sexualitätserscheinungen bei Protisten und niedersten 
Pf lanzen (Algen, Pilze) durch die Untersuchungen von B 1 a k e s 1 e e, H a r Ü 
mann, Kniep u. a." ' 

Die drei Prinzipien sind: 

„1. Die allgemeine bipolare Zweigeschlechtlichkeit in zwei und nur zwei 
Geschlechten mit Ausbildung weiblicher und männlicher Geschlechtszellen 
(Gameten), die bei Fehlen jeglicher äußerer Verschiedenheiten als +, und 
— Gameten bezeichnet werden. 26 

2 Die doppelgeschlechtliche Potenz der männlichen und weiblichen Ge, 
schlecntsmdividuen und Geschlechtszellen. 

3. Die relative Stärke der Geschlechtsbestimmung» 28 

Das zweite Prinzip - die doppelgeschlechtliche Potenz - stellt allein die 
biologische Parallele und das biologische Prototyp dessen dar, was im psy, 
choanalyttschen Schrifttum - wie auch anderwärts - als Bisexualität be, 
zeichnet wird. Die doppelgeschlechtliche Potenz gilt nicht nur für die mehr 
oder weniger differenzierten Geschlechtsindividuen, sondern auch für die 
Geschlechtszellen. Es steht fest, „daß nicht nur die differenzierten Ge, 
schlechtsindividuen, sondern auch die männlichen und weiblichen Ge, 
schkchtszellen mit einfacher Chromosomen,Garnitur die gesamten Potenzen 
der beiden Geschlechter besitzen." 27 



schilt« T u m A ^t 11 akS ? nd $ u » te ^ieden %& wenn sie keLäuß^n Ä 
nornmen ^ Er « ebnisse der Dahlemer Forschung bereits aufge, 

36 } ™ aX Hartmann, Allg. Theorie der Sexualität, S. 53 f 
27J Max Hart mann, Allgemeine Biologie, S. 495. 



^ Carl Müller»Braunschweig 



Vom Prinzip der doppelgeschlechtlichen oder «"^f^ *£ 
unterscheiden das erste Prinzip, die allgemeine sexuelle Bipolar i tat. 

S2S aber jede Angehörige der einen Sorte mit jeder Ange* 

SQSm ÄÄ ** und ^M^ 
unte? sich, aber mit jeder Gametensorte des anderen &gg*<i Es » k °^ 
lieren nur Gameten, die zwei verschiedenen Sorten angehen 

Es muß eine „zumindest physiologische bipolare se xu eile 
Versah edenheit der Gameten, resp. der Gametenkerne vorhanden sein, 
y -!v* XZ wesentlichen Zug der Befruchtungsvorgänge ausmacht . 
SÄTWÖÄBK sexuellen Differenzierung besteht, darüber 1 

eibt es noch keine befriedigende Antwort. 30 

wXder Größenunterschied zwischen den weiblichen ^»ffi^fe» 
Zehen noch das überwiegen der lokomotorischen Funktion bei den letzteren 
können das Wesentliche treffen, denn beide sind nicht überall festzustellen. 
"ÄffÄicn nur die Fähigkeit, ^^^^M^ I 

ieren oder nicht als das einzig i eststellbare Anzei chen 
liVer sexuellen Differenzierung oder Gleichheit ubng. „Alle 
rrpLogis"hen ld physiologischen Unterschiede, auch dort wo man mit 
X sSeTvon männlichen und weiblichen Gameten sprechen kann und 

£ to£ uns somit bis jetzt keine *^"55S5E^ 
Wesen der sexuellen Differenzierung besteht . „Alles .Fhanotypiscne 
2Sm5 -d physiologischer Art, das feststellbar -£>*£*r 
zeichen einer unbekannten inneren Wesensverschiedenheit, eben des sexu. 

^Wo^Slttr Unterschied besteht, ist bis jetzt nicht ] feststellbar, daß 
er aber besteht, und daß dieser Unterschied und die bipolare Abhängigkeit 
zweier und [nur Zweier Faktoren voneinander zu den Grunderschemungen der 

S ^^^'^^U Kemstrukturen, die der ^dg^ 
zugrunde liegen würden, noch nichts aussagen, so hat es sich immerhin fest. 
sXn lassen daß die männlichen und weiblichen Gameten zwei g« 
s ^hTechtss p rzifische Stoffe absondern; nach langen vergeh hchen 
Bemühungen durch Filtration die Stoffe zu isolieren, „gelang mit Hilfe der 



3 8) Max Hart mann, All* Theorie der Sexualität S. 55. 

29) Max Hartmann, Allgemeine Biologie, S. 488t. 

30) Max Hartmann, 1. c., S. 489f. 

31) Max Hart mann, Allgemeine Biologie, S. 489 t. 



Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihr er Bedeutung für Penisneid usw. 171 

neuen Membranfilter Moewus 32 die Trennung und die Feststellung der 
Wirkungsweise dieser Stoffe. Diese +* und — ^Stoffe bewirken die gegen* 
seitige Anziehung und Gruppenbildung der -f* und — *Ga* 
meten, die der eigentlichen Kopulation vorangehen." 

Die Anziehung ist gegenseitig. Es läßt sich nicht nur bei der Wirkungs* 
weise der geschlechtsspezifischen Stoffe, sondern auch im Gesamtverhalten 
der Gameten feststellen, daß nicht etwa der eine Partner passiv und nur der 
andere aktiv ist; vielmehr sind beide aktiv. „Die Anlockung der Gameten, 
die den Auftakt einer jeden Befruchtung bilden, ist chemotaktischer Art.' 
Schon die Befunde bei Ectocarpus wiesen darauf hin, daß hierbei eine gegen* 
seitige und zwar stoffliche Beeinflussung stattfindet; denn die weiblichen 
Gameten werden durch die männlichen zum Festsitzen gebracht, locken aber 
ihrerseits offenbar die männlichen Gameten an. Bei den Ei*Befruchtungen 
der höheren Tiere, z. B. der Seeigel, ist die Ausscheidung geschlechtsspezi* 
fischer verschiedener Stoffe schon durch Lillie und andere nachgewiesen 
worden. Auch hier ist das Ei nicht in dem Sinne passiv, wie man früher ge* 
glaubt hat, bei jeder Befruchtung wird vielmehr ein .Duett' gespielt!" 33 

Halten wir uns die erste Hart mann sehe Grunderscheinung der Sexua* 
lität, die Bipolarität vor Augen, und betrachten wir sie unter der Voraus* 
setzung einer Entwicklung der Lebewesen von den Einzellern bis zu den 
differenzierten Tieren und zum Menschen, so können wir wohl nicht umhin, 
zwischen der geschlechtlichen „Anziehung", der die beiden menschlichen 
Geschlechtspartner gegenseitig unterliegen, über die ungeheuren Strecken der 
Entwicklung hinweg eine Verbindung zu der gegenseitigen „chemotaktischen 
Anlockung" der Protisten herzustellen, und damit eine entwicklungsge* 
schichtliche Kontinuität, eine sich durch die unendliche Stufenfolge der 
Lebenserscheinungen erhaltende gleiche Tendenz anzunehmen. 

Es ist so, als ob wir in der bipolaren Abhängigkeit der Geschlechter von 
einander, wie wir sie bei den Protisten und den Keimzellen niederer Pflanzen 
vor uns sehen, jene Urerscheinung besäßen, nach der Freud in „Jenseits 
des Lustprinzips" suchte, jene erste sexuelle Grundbeziehung zweier ein* 
facher Partner zueinander, die dem Konservativismus der lebendigen Natur, 
dem Wiederhölungsgesetz unterworfen, sich in den höchst entwickelten Lebe* 
wesen wiederfinden läßt. Es ist so, als ob der von Freud in der gleichen 
Schrift herangezogene platonische Mythos neues Leben und konkrete Gestalt 
gewönne. 



32) Fritz Moewus, Beiträge zur Sexualitätstheorie mit Berücksichtigung neuerer Er* 
gebnisse. Sitzungsberichte der Preuß. Akademie der Wissenschaften 1934. 

33) Joachim Hämmerling: Die Grundlagen einer allgemeinen Theorie der Sexua* 
lität. „Die Medizinische Welt", IX. Jg., 1935, S. 943. Dieser Aufsatz bringt eine klare und 
knappe Darstellung der Hauptergebnisse der Dahlemer Forschung zur Frage einer allge« 
meinen Theorie der Sexualität. 



172 



Carl Müller*Braunschweig 



Zudeich mögen die dargestellten Ergebnisse der biologischen Forschung 
da^u t regen, Snige Aufstellungen der psychoanalytischen Senologie 
1 berichtigen In den „Drei Abhandlungen"- erklärt Freu d: „Der Psycho. 
aLw erscheint . . . die Unabhängigkeit der Objektwahl vom Geschlech 
des Obiektes die gleich freie Verfügung über männliche und weibliche Ob, 
Ste wfSun Kindesalter, in primitiven Zuständen und ^historischen 

gültige Sexualverhalten fällt erst nach der Pubertät ... j 

' Mir scheint, diese Sätze behalten ihre Gültigkeit nur bei Beschränkung auf 
eine reSp ychologische Untersuchungsmethode und be Beschrankung auf 
eine Betrauung der Veränderungen und Entwicklungen mnerhalb von Zeit, 
räumen, die - nicht allein im Verhältnis zur Gesamtentwicklung der orga. 
2SL Welt, sondern bereits im Verhältnis zur Entwicklung der Menschen, 
a - sehr gering sind. Spannen wir aber den Bogen so weit, daß wir, wenn 
nicht bis zum Anfang des Lebens, so doch bis zum ersten Auftreten der Ge. 
Schlechtigkeit zurückgreifen, und stellen wir die Dah emer Ergebnisse xn 
Rechnung, so gewinnen wir einen anderen Aspekt. Wir werden dann das 
Ursprüngliche" nicht in der „gleich freien Verfügung über männliche und 
weibliche Objekte" sehen, sondern in der gesetzmäßigen Abstimmung zweier 
differenter Zellen aufeinander, und werden die Abweichungen von der durch 
diese Urerscheinung festgelegten Entwicklungslinie auf das Konto äußerer 
Einwirkungen und innerer Vorgänge setzen, die im Zusammenspiel mit der 
bereits in den Keimzellen gegebenen bisexuellen Anlage alle die Ab. 
weichungen haben entstehen lassen, die in der gesamten pflanzlichen und 
tierischen Entwicklung sowie beim Menschen „im Kmdesalter, m primitiven 
Zuständen und frühhistorischen Zeiten" nachweisbar sind. 

Die Entwicklung der „relativen Sexualität" der Keimzellen hat gezeigt, 
daß auch diese nicht etwa dem Gesetz der Bipolarität widerspricht, sondern 
dieses Gesetz vielmehr zur Voraussetzung hat und nur durch das Prinzip 
des Aufeinanderwirkens zweier differenter, zugleich aber kraftemaßig ver. 
schiedener Geschlechtspotenzen und zweier verschieden stark wirkender Ge. 
schlechtsrealisatoren verständlich wird- Das Gesetz der Bipolarität ist daher 
das für das Phänomen der Geschlechtlichkeit entscheidende und hat gegen, 
über dem Gesetz der Bisexualität und der relativen Sexualität den Vorrang. 



34) Ges. Sehr., Bd. V, S. 18, Note. 

35) Joachim Hämmerling, 1. C. 



Die erste Objektbesetzung des Mä dchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 173 

Ich möchte nun in diesem von H a r t m a n n und seinen Mitarbeitern nach* 
gewiesenen allgemeinen Grundsatz der Sexualität — in der Bipolarität — 
in Verbindung mit den oben erwähnten Funden von Bayer, Halban und 
Lip schütz, eine biologische Stütze für meine Behauptung sehen, daß die 
bipolare Spannung bereits intrauterin und im ersten Lebensjahr in der geni* 
talen Komponente des Triebkonzertes wirksam ist. Wenn wir annehmen 
dürfen, daß die Bipolarität die ganze entwicklungsgeschichtliche Reihe der 
Lebewesen durchzieht, so muß sie nach dem biogenetischen Grundgesetz 
in keiner Station der Entwicklung, von der Begegnung von Spermie und 
Eizelle an bis zum voll geschlechtsreifen Individuum hin vermißt werden. 

Ich mochte in diesem Zusammenhang auch vorläufig die Vermutung aus* 
sprechen, daß uns Überlegungen, die das Verhältnis des weiblichen Säuglings 
zu der übermächtigen Mutter unter dem Gesichtspunkt und nach Analogie 
der Vorgänge der relativen Sexualität betrachten würden, sowohl für die 
Psychoanalyse wie für die Biologie fruchtbare heuristische Gesichtspunkte 
erbringen könnten. 

Aus der Vorstellung einer die ganze lebendige Entwicklung durchziehen* 
den Bipolarität dürfen wir folgern, daß Libido von vornherein eine zwei* 
seitige Angelegenheit ist, so auch, daß es narzißtische Libido, also nur in 
eU1 l m ~ einfachen od « r zusammengesetzten — System vorhandene und 
nur für dieses allein wirksame Libido isoliert nicht geben kann, sonde* 
immer zugleich und von vornherein Objektlibido vorhanden sein muß, wenn 
auch zeitweilig nur potentia. Diese Folgerung zwingt nicht dazu, zwei Arten 
von Libido anzunehmen; es ist die gleiche Libido, die einmal nur potentia, 
ein andermal realiter auf Objekte gerichtet ist. Auch zwingt wohl die bio* 
logische Feststellung zweier differenter Geschlechtszellen oder zweier diffe* 
renter Realisatoren oder zweier geschlechtsspezifischer Stoffe nicht zur Revi* 
sion des psychoanalytischen Begriffs der Libido. Für die psychologische 
Arbeit ist eine Trennung in weibliche und männliche Libido unnötig, weil 
nichtssagend. Diese Differenzierung ist methodisch der somato*biologischen 
Forschung, die es mit differenten morphologischen Strukturen oder chemico* 
physiologischen Vorgängen zu tun hat, gemäßer als der rein psychologischen 
Forschung, die, wie die biologischen Funde zeigen, den Gegensatz männlich* 
weiblich mit ihren Mitteln nicht erfassen kann, sondern voraussetzen muß. 
Ich bin mir bewußt, daß ich im Vorstehenden die Bedeutung der Dahlemer 
Ergebnisse für unsere Forschung nur flüchtig angedeutet habe. Der Gegen* 
stand bedarf einer den Rahmen dieser Arbeit durchaus überschreitenden 
eingehenden Bearbeitung. 36 



. 



a rÄ^ Auf ^ Klts J n S^hiUn Literatur siehe zur Orientierung noch: die Sexualitäts- 
S£ ?J?£ h U £ S Ha L r ! t mann , lm » Arch iv für Protistenkunde", Bd. 83, Heft 1. Fischer, 
Jena, 1934. Das Heft enthalt Abhandlungen von Hart m a nn und seinen Mitarbeitern 
*oyn, Gross, Hammerling, JoUos, Moewus. 



^ ' Carl Müller»Braunschweig 



11. Die Vorstellung des kleinen Mädchens vom eigenen 
und vom mütterlichen Penis. Freud machte nach Durchsah de 
Manuskriptes dieser Arbeit gegen die frühe auch vagmale Gen tahtat des 
Mädchens den Einwand: „Am Ende klagt doch auch bei ^^Itodten 
darüber, daß sie keinen Penis für die Mutter hat, nicht daß die , Mutter 
ke nen für sie hat. Bekanntlich glaubt sie lange Zeit an den Penis der Mutter 
Ich verstehe den Einwand so, daß eine frühzeitige ^f\™ d ™l£? 
vaginale Komponente dieser Genitalität, eher fordern wurde daß das Mad* 
chen über die Penislosigkeit der Mutter klagte anstatt über die eigene oder 
daß die Vagina des Mädchens eher den Penis der Mutter verlangen und ihn, 
wenn nicht vorhanden, vermissen würde als den eigenen. 

Ich stelle mir diese Verhältnisse so vor: Das Urerkbnis des kleinen JVb* 
chens ist das der geschlechtlichen Inadäquatheit im Sinne des Fehlens einer 
geschlechtlichen Polarität, wie sie zwischen gegengeschlechtlichen Partnern 
- hier im Verhältnis „Mutter-Junge" - vorhanden wäre Theoretichge 
nommen könnte das Verhältnis des Inadäquaten durch zwei VöW^ 
wehrt und ausgeglichen werden: 1. Das Mädchen verstärkt seine männliche 
Komponente und produziert die Phantasie des Pemsbesitzes; 2. das Madchen 
verstärkt seine weibliche Komponente und dichtet der Mutter einen Penis an. 
Von diesen zwei theoretischen Möglichkeiten bekommt aber nur die erste 
eine überragende Bedeutung, und zwar deswegen, weü die Butter vermöge 
ihres Alters und ihrer vollen geschlechtlichen Reife ein entscheidendes Über, 
gewicht haben und für die Art der Gestaltung und Wirksamkeit ^genitalen 
Komponente in der Beziehung zwischen Mutter und Kind tonagW« 
wird. Bei dem ungleichen Kräfteverhältnis zwischen Mutter und Kind wird 
sich also weitaus vorwiegend das Kind der Mutter nicht aber ^gekehrt 
die Mutter dem Kind anzupassen haben. Da die Mutter weiblich ist, wird 
sie beim Kinde die männliche Komponente provozieren und das Kind als 
das ungleich Schwächere, wird darauf gezwungenermaßen mit dem Ver. 
suche reagieren, sich dieser Provokation anzupassen. Das geschieht durch 
die Verstärkung der auf Grund der bisexuellen Anlage bereits vorhandenen 
männlichen Tendenzen, insbesondere der Verstärkung der mannlichen Korn, 
ponente der Genitalität und einer entsprechenden Besetzungsentziehung 
gegenüber den weiblichen Tendenzen und dem diesen Tendenzen enfc. 
sprechenden Teil des Genitalapparates. Es geschieht im Verhältnis der Mutter 
gegenüber dem männlichen Säugling, wenn unsere Vorstellungen zutreffend 
sind, gewiß ein Stück weit das gleiche, nur daß beim Sohn dieser Vorgang 
seinem Geschlechte adäquat ist, ihm bereits im frühesten Alter seine spatere 
geschlechtsgerechte Entwicklung entscheidend vorbereiten hilft, wahrend das 
Mädchen zunächst eine starke Beeinflussung in entgegengesetzter Richtung 
erfährt. Da aber diese starke Beeinflussung, die gegengeschlechtliche Kompo. 
nente hervorzukehren, doch nicht imstande ist, aus einem Madchen einen 






Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 175 

Knaben zu machen, wird die Situation vom Mädchen trotz aller Anpassung 
an die Mutter dennoch als inadäquat erlebt. Dieses Erlebnis wird lange abge* 
wehrt durch den Versuch, die erzwungene Hervorkehrung der männlichen 
Tendenzen durch' nachträgliehe Bejahung — ähnlich der Anerkennung von 
Symptomen durch' das Ich, wie wir sie beim Neurotiker kennen — festzu* 
halten und durch den Phantasiepenis zu befestigen. 

Ich glaube nicht, daß die so vorgestellten und geschilderten Verhältnisse 
ins Wanken gebracht werden können durch den Einwand, daß sie wohl für 
das Verhältnis normaler weiblicher Frauen zu ihren Töchtern, aber nicht 
für stark männliche Frauen oder Frauen mit starkem Kastrationskomplex 
zutreffen werden. Gewiß mag das Verhältnis solcher Frauen zu ihren Kin* 
dem von früh an die dargestellte idealtypische Ursituation komplizieren und 
stören, doch wohl nicht so, daß die entscheidenden Linien ganz verwischt 
würden. Eine Mutter, bei der immer eine starke Männlichkeit vorliegt, wird, 
im Verhältnis zu dem ungleich schwächeren Partner, nicht durch ihre Mann* 
lichkeit, sondern in erster Linie durch die relativ zum Säugling gleichwohl 
starke Weiblichkeit wirken. Anders liegen die Verhältnisse bei Erwachsenen. 
Hier provoziert — wie wir beliebig oft feststellen können — die stark mann* 
liehe Frau die Weiblichkeit einer anderen. Immerhin dürfen wir nicht ver* 
gessen, daß es hier noch viel Dunkles gibt, das noch der Aufhellung harrt. 

Ich sprach von zwei theoretischen Möglichkeiten, das Erlebnis des Inadä* 
quaten abzuwehren: 1. Das Mädchen verstärkt seine männlichen Tendenzen 
und produziert die Phantasie vom Besitz eines Penis; 2. es verstärkt seine 
Weiblichkeit und produziert die Phantasie des mütterlichen Penis. 

Warum die erste Möglichkeit entscheidende Bedeutung gewinnt, habe ich 
ausgeführt. Nun kann man fragen, warum denn neben jener ersten für die 
Beobachtung auch die zweite vorzufinden ist. Zumindest zeigt sich ja deute 
lieh' die Vorstellung des mütterlichen Penis. An sich ist uns für die Vor* 
gänge im Es das Nebeneinanderbestehen zweier einander widersprechender 
Abwehrmaßregeln geläufig. Wir können uns auch denken, von wo diese 
zweite Abwehrmaßregel ausgeht: von jenem — wenn auch zurückgewiesenen 
und zur Bescheidung gezwungenen — Stücke Weiblichkeit, bezw. vaginaler 
Genitälität. 

Wenn das Mädchen nicht darüber klagt, daß die Mutter keinen Penis für 
es hat, dann einmal deswegen, weil diese Möglichkeit der Abwehr von vorn* 
herein gegenüber jener anderen verblaßt, als auch wohl deswegen, weil die 
Phantasie des mütterlichen Penis leichter zustande gebracht und aufrecht 
erhalten werden kann als die des eigenen Penis, dessen Vorhandensein durch 
die immerfort leicht mögliche Beobachtung des eigenen Körpers in Frage 
gestellt werden kann, und vor allem: dessen Nichtvorhandensein eine un* 
gleich kränkendere Angelegenheit ist, weil es doch den sichtbaren Beweis 
für das Schlechtweggekommensein im Verhältnis zur Mutter darstellt. Des* 



176 



Carl Müller-Braunschweig: DieetsteObjektbese^^ 



„ «H*«p« «W Phantasie des eigenen Penis ständig ungleich mehr Enew 
;TJTL d ^^Z d L,!^n Penis Die Phantasie des eigenen 
Penis hat ökonomisch eine sehr viel größere Rolle zu *«*»• ^ 

Mit dem Gesagten wäre die Vorstellung vom Perus der Mutter zurück. 
geSte auf einen Versuch, das Urerlebnis des JM^^^g^ 
nur daß dieser Versuch gegenüber dem *^g^t 

In aus dem Umstände, daß für es die Vagina vorerst Jgjg*^^ 
zunächst nur Klitoriserregungen, also Erregungen «^^J^wi 
sprechenden Teile des weiblichen Genitalapparates erlebt und es so tur beide 
Geschlechter nur penisbesitzende Wesen zu geben scheint. 

Nun liegen die Verhältnisse auch nach meinen V«J»£ JJ ^ 
die bereits von der Geburt an wirksame Übermacht der Mutter das we d 
Hche Kind vom Anfang seines Lebens an die Unterdrückung semer weib* 
äen und r Verstärkung seiner männlichen Komponenten erfahrt und 
war so, daß es manifest nur seine männlichen ^ ^S 
liehen" Teile seines Geschlechtsapparates erleben wircL fe**«**^ 
Männlichkeit des Mädchens gegeben, die, weil so früh und so «"P"?£» c ^ 
St als primäre imponieren kann Trotzdem ist es nur £*£*$£ 
Bild, das sich so darbietet; erst in der Ergänzung durch die Renten ^ v 
Snge scheint mir die umfassende Struktur sichtbar zu werden und sich das. 

a A ar ,,,r Unterdrückung der weiblichen und zur rlervorneouiig 
prozeß, der zur UntercuucKung hinterließ und ständig neu 

männlichen Komponenten führte, ein ^ duum ™ andere durch den 
nährte, das beim Durchbruch zum B-ußtsem und ms ^ ^ e 
Anblick des Penis, als schwere narzißtische Krankung erlern w 






Eifersucht als Abwehrmechanismus 1 

Von 

Joan Riviere 

London 

Ein Eifersuchtstypus, der in der psychoanalytischen Literatur bisher nicht 
beschrieben wurde, wurde zuerst in einem sehr ausgeprägten Fall meiner Be* 
obachrung zugänglich; einmal durch die Analyse aufgeklärt, konnte der nun 
vertraute Mechanismus in einem weniger ausgeprägten und deshalb auch 
weniger bemerkbaren Grad auch in anderen Fällen festgestellt werden, was 
einige Schlüsse von allgemeiner Gültigkeit nahelegte. 

Diese krankhafte Eifersucht zeigte sich zuerst nach einem Stück Analyse 
und könnte ein passageres Symptom genannt werden. Die Patientin war eine 
junge, verheiratete Frau, die wegen Frigidität beim Sexualverkehr und wegen 
gewisser Hemmungen zur Analyse kam, aber dies kaum aus eigenem Antrieb, 
obwohl eine Neigung zur Homosexualität sie beunruhigte. Sonst waren keine 
klinischen Symptome vorhanden. Die Eifersucht bezog sich, als sie auf* 
tauchte, auf den Mann der Patientin und seine vermeintlichen Beziehungen 
zu anderen Frauen. Aus Gründen der Diskretion kann ich mein Material 
nicht allzusehr in seine Einzelheiten verfolgen; außerdem würde eine Diskus* 
sion über die Beziehung zwischen der affektiven Haltung der Patientin und der 
äußeren Realität eine Studie für sich erfordern und hier zu weit führen. Ich 
will nur sagen, daß sie zu gewissen Zeiten und in mancher Hinsicht Gründe 
zu eifersüchtigem Argwohn hatte. Die Eifersucht manifestierte sich auch in 
der Übertragungsbeziehung zu mir; d. h. sie glaubte, daß in meinem Schreib* 
tisch an mich gerichtete Briefe, sei es von ihrem, sei es von irgendeinem an* 
deren Mann, den sie begehrte, verborgen wären. 

Die Patientin behauptete, daß sie, ehe diese Gefühle im Laufe der Analyse 
erwachten, nie in ihrem Leben eifersüchtig gewesen wäre. Tatsächlich hatte 
sie vor ihrer Verheiratung wenig Anlaß zur Eifersucht gehabt; in bezug auf 
ihren Mann aber hatte sie später nicht mehr Grund dazu als vor der Analyse, 
Ihr Mann war durchaus die wichtigste Person in ihrem Leben; deshalb 
glaubte ich, als die eifersüchtigen Gefühle erwachten, vermuten zu können, 
daß sie zugleich mit einem Nachlassen anderer Hemmungen auch in dieser 
Beziehung eine normale Haltung entwickeln würde. Diese Schlußfolgerung 
wurde eine Zeitlang unterstützt durch' ihre beträchtliche Fähigkeit zur Ratio* 
nalisierung, die mich irreführte. Nach kurzer Zeit wurden aber diese eifer* 
süchtigen Stimmungen so akut und gipfelten in Szenen von so wütenden An* 
schüldigungen gegen ihren Mann, daß ich an ihrem pathologischen Charakter 
nicht zweifeln konnte. 

i) Aus dem Englischen übersetzt von Dr. Paula H e i m a n n, London. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXII/2 12 



^ . Joan Riviere 

F r e u d hat zwei Formen der krankhaften Eifersucht beschrieben: die proji, 
zierte und die wahnhafte. Beide dienen dem Zweck der Abwehr gegen das 
Uber,Ich, indem sie die Schuld der eigenen Untreue des Patienten auf den 
Partner projizieren*. Auch E. Jones» beschreibt in einer Arbeit über Eifer, 
sucht die Projektion der eigenen Untreue des Individuums auf den Partner, 
dl der Eifersucht zugrundeliegt. Er bespricht die Eifersucht in ihrer Beck*, 
tung als Zeichen von Liebe, als Ausgleich von Haß und als Beruhigung 
gegenüber dem Schuldgefühl: die anderen sind schuldig, nicht der E fer„ 
s^htige. Jones, der sich durchaus nur mit den Erscheinungen der Eifer, 
sucht bei Männern befaßt, kommt zu dem Resultat, daß Eifersucht das Er, 
gebnis der dem Schuldgefühl entspringenden Abhängigkeit ist. Das Schuld, 
gefühl führt zur Angst vor dem Vater und zur Inversion; die Inversion fuhrt 
zur Angst vor der Frau, woraus Flucht und Untreue entstehen: die letztere 
wird dann projiziert. ] , 

Ich hatte also zu erwägen, ob Untreue seitens meiner Patientin ihre Eifer, 
sucht erklären könnte; hier stieß ich aber auf eine neue Schwierigkeit Tat, 
sächlich gab es Gründe für eine solche allgemeine Erklärung, denn Liebe, 
leien, die zwar niemals zu Liebesaffären oder zu einem vollen Koitus 
führten, ihr aber ausgesprochen erotisches Vergnügen bereiteten, spielten 
tatsächlich eine Rolle in ihrem Leben und verursachten beträchtliche Schuld, 
gefühle. Aber unter dem Mikroskop der täglichen Analyse gesehen, war die 
allgemeine Erklärung ihrer Eifersucht als einer Projektion der eigenen Untreue 
zweifellos nicht ausreichend. Einerseits gab es oft keine zeitliche assoziative 
Verbindung zwischen den beiden Erscheinungen. Auch war ich anderseits 
immer wieder betroffen von der Offenheit und Freiheit, mit der sie sich in 
der Analyse wegen ihrer Untreue selbst verurteilte, und auch von dem Zu, 
sammenhang, den ich in der Analyse zwischen ihren Ausbrüchen von Ge, 
ständnissen und Selbstanklagen wegen ihrer Untreue ™d den analytischen 
Inhalten zu sehen begann. Zunächst war es allerdings nur ein Mangel an Zu, 
sammenhang, den ich entdecken konnte. Sie konnte die Stunde damit ver, 
bringen, sich sozusagen als elende Sünderin an die Brust zu schlagen und 
dies gerade, wenn wir am Tage vorher etwas gefunden hatten das neues Licht 
auf ihr Unbewußtes warf, u. zw. ganz ohne Verbindung mit ihren Liebeleien. 
Indem so jeder Fortschritt in der Analyse durch eine Stunde unfrucht, 
barer Selbstbeschuldigungen auf einem anderen Gebiet aufgehalten wurde, 
konnte man bald erkennen, daß die Schuldgefühle wegen der eigenen Un, 
treue zur Verdeckung und Verschiebung benützt wurden - als em Manöver, 
um die Analyse zu hindern -, und da ß sie in Wirklichkeit eine Abwehr dar, 

2) Über einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht, Paranoia und Homosexualität. 

-3) Veröffentlicht' in Revue Francaise de Psychanalyse, Bd. 3, S. 228-242; Psyche, 
Bd. 11, S. 41—55. 



stellten. Es ergab sich' dann natürlich die unmittelbare Notwendigkeit die 
spezifische assoziative Verbindung zwischen der vorherigen analytischen Ar* 
beit und der Abwehr dagegen aufzudecken; mit anderen Worten: die Un* 
treue selbst war der Analyse zugänglich und erforderte sie. Doch drängte 
sich eine weitere Schlußfolgerung auf: Wenn nämlich ihre Liebeleien oder 
ihre Schuldgefühle deswegen als Abwehr gebraucht werden konnten, war 
es kaum anzunehmen, daß sie der Ursprung einer Projektion auf den Ehe* 
mann waren. 

Trotzdem aber kam die Form, die die Eifersucht annahm, aus* 
gesprochenen Verfolgungsideen so nahe, daß ich überzeugt war, 
irgendein Projektionsmechanismus müsse am Werk sein. Wenn sie 
in der _ Eifersucht nicht ihre eigene Untreue auf den Mann projizierte, dann 
projizierte sie sicherlich etwas anderes. Und doch konnte ich gewisse auf* 
fällige Analogien zwischen dem Charakter ihrer Stimmungen und Hand* 
hingen sowohl in der Untreue wie in der Eifersucht nicht übersehen - in 
beiden lag etwas stark Zwangsmäßiges, Unbeherrschtes und Unwidersteh* 
liches, ihrem sonstigen Charakter Fremdes, was eine tiefe und innige Ver* 
bmdung zwischen den beiden Haltungen nahelegte. 

Einige Monate weiterer Analyse erhellten das Problem. Die verfolgungs* 
wahnartige Eifersucht ließ allmählich nach, die erotischen Liebeleien wurden 
aufgegeben und flackerten später nur schwach und sporadisch wieder auf. 
Diese Abwehrsymptome hatten ihre Kraft verloren. Die Analyse drang 
in noch tiefere Schichten, und die hauptsächlichen Abwehrmechanismen 
traten deutlicher hervor. 

Durch' emsige Erforschung des Zusammenhanges, aus dem die eifersÜch* 
tigen Stimmungen erwuchsen, enthüllte sich eine ständige Beziehung zwischen 
ihnen und einer spezifischen unbewußten Phantasiesituation, die in immer 
wechselnden Formen in ihrem Leben Gestalt annahm. Die eifersüchtigen 
Stimmungen bildeten tatsächlich eine verdichtete und rationalisierte Projek* 
tion dieser unbewußten Situation, während die Liebeleien und Untreuehand* 

SST fZT^^t EtfÜllung darstelIten " So war es in einem Sinne 
richtig, daß die Eifersucht eine Projektion der eigenen Untreue der Patientin 
war und doch nicht ganz richtig, weü das, was projiziert wurde, in Wirk* 

form? Zm £ S T* W n V ° n *" Untreue selbst nur eine Ausdrucks* 
form darstellte. Diese unbewußte Situation, die ich die „dominierende Phan* 

Z v TT m ° ' beStand in Cinem Impuls oder einer Handlung seitens 
der Patientin, von einer anderen Person etwas zu erlangen oder ihr etwas 

und Tl \ was T s \ heftl | begehrte, und sie auf diese Art auszuplündern 
und z U berauben. In ihrer Phantasie setzte eine solche Regung oder Hand* 

WeLT« 'S" w ltU S 10n ^f ~ Wenn auch nicht «»bedingt in der 
Weise, daß außer ihr selbst zwei andere Personen dazu erforderlich waren, 

um die Bedingungen zu erfüllen, so doch wenigstens insoferne, als dabei zwei 



12» 



Objekte wesentlich waren (von denen beide oder nur eines Personen sein 
konnten). Eines dieser Objekte war der Gegenstand ihres Begehrens von 
dem sie zum Zweck ihrer Befriedigung Besitz ergreifen wollte; das andere 
nicht weniger wesentliche Objekt - tatsächlich ein wichtiger Teil des 
ersten - war die Person, der das begehrte Objekt weggenommen werden 
sollte, die den Raub und die Plünderung zu erdulden hatte. Das Streben nach 
Erfüllung dieser unbewußten Phantasie kann man sicherlich als die hen* 
sehende Leidenschaft ihres Lebens bezeichnen; in der Analyse schien es ; eme 
Zeitlang, daß sie auf ihre Umgebung nur insoferne reagierte, als sie ihr ße. 
Medigung oder Enttäuschung für die „dominierende Phantasie bereitete. 
Soweit es mir möglich ist, will ich die typischen Formen und Wege an. 
geben, in denen diese Phantasie sich während der Analyse zum Ausdruck 
brachte. Natürlich war sie das ganze Leben der Patientin hindurch wn-ksam 
gewesen. Bewußt wünschte sie also, die Liebe ihres Mannes, ihrer Kmder 
und ihrer Umgebung zu gewinnen. „Liebe" war jedoch so schien es nurem 
Wort; was es für sie in Wirklichkeit bedeutete, war, daß aUe sich ihr voll, 
kommen zu ergeben und auszuliefern hätten. Ihre Lust am Gewinn bedeu, 
tete im Grunde für die anderen den vollständigen Verlust aller Rechte und 
jeder Lustmöglichkeit. Wenn die anderen sie liebten «^« «l™ 
für ihre Lust aufgeben. Sie würde so das gewünschte Objekt (Liebe) von 
ihnen erhalten, und die anderen würden nun beraubt und entblößt sein. Ich 
zitiere dies, um die abstrakten Formen zu zeigen, in denen die ' Phan * asl « s ^ ch 
bewußt äußerte; eine andere - wenn auch weniger ichge rechte -- Form d er 
Phantasie stellte der Snobismus der Patientin dar. Sie sehnte ^ £^*d* 
nach, zu höheren sozialen Kreisen Zutritt zu finden und G"nstb e zeig u ngen 
von bedeutenderen Persönlichkeiten zu erhalten; das sollte sich aus dem 
Reichtum und den Fähigkeiten ihres Mannes ergeben und aus ihrer eigenen 
Macht, bedeutende Männer zu bezaubern, wobei die Gunstbezeigungen 
selbst/die sie gewann, jene sein würden, die die höhergestellten Frauen vor 
Ihr genossen hatten. Sie würde also die Männer besitzen und dadurch .die 
Frauen berauben. Während der Analyse brachte sie ferner ziemlich häufig 
in Einzelheiten ausgedachte Phantasien über den Tod meines Mannes (Ge* 
rade in der Zeit, da sie auf Basis eines ihr zur Kenntnis gelangten wirklichen 
Vorganges eine solche Phantasie ausarbeitete erwachte ihr elf er suchtiger 
Verdacht, daß ihr Mann Briefe an mich richte.) Auch -hier wünschte sie rmch 
meines Mannes zu berauben. Ich sollte eine Witwe sein sie aber wurde _ihren 
Mann besitzen. Der Tod eines anderen hatte für sie hauptsächlich die Be* 
deutung ihr Nutzen oder Vorteil zu bringen. In ihren Liebeleien wurde die 
SruatL; noch konkreter; die Männer waren alle verheiratet oder verloH 
delach raubte sie den Frauen die Männer oder die Lust, M~»£ 
gaben. Männer - und speziell diese Männer - waren für ihr Unbejmß^es 
keine vollwertigen Objekte, keine wirklichen Personen; sie waren die Mittel 



und Werkzeuge (ihre Werkzeuge), um zwei Befriedigungen zu erlangen: sinn, 
liehe Lust und die Beraubung derjenigen, die diese Lust vorher besaßen Über, 
dies raubte sie, wie aus vielen Einzelheiten ihrer Beziehungen zu den Man. 
nem hervorging, auch diesen etwas - wenn nicht durch Wegnehmen, so 
durch ihre Weigerung zu geben. Hier waren die Männer (nicht die Frauen) 
die rechtmäßigen Eigentümer von etwas, das sie wegnahm; sie waren dann 
das beschädigte Objekt, und das Lustobjekt war das, was sie ihnen nahm 
oder vorenthielt, was immer es auch sein mochte. 

In der ausführlichen Analyse dieser sexuellen Situationen wurde es klar 
wie konstant und unumgänglich für sie die Bedingung war, alle ihre Lust 
nur auf Kosten irgendeiner anderen Person zu erwerben und 
zu genießen. Dies zagte sich konkret genug in ihren sozialen Beziehungen 

TL ra K te l ZUge w S ° lange Z - B - Gdd frei zu ihrer Verfügung stand, 
machte es ihr kein Vergnügen, es für sich auszugeben. Als aber finanzielle 
Knappheit eintrat, konnte sie nicht widerstehen, sich - zum erstenmal in 
ihrem Leben - teure Kleider zu kaufen; denn es bedeutete ja nun eine Ent. 
behrung für ihren Mann und für ihre Kinder. Sk liebte es, beim Kaufen zu 
handeln, und schwindelte oft; der Verlust des anderen war ihr Gewinn. Sie 
haßte die Arbeit und hatte als Kind in der Schule nichts gelernt; aber :sie 
konnte lernen und arbeiten unter der Bedingung, daß ihr allein daraus Ge. 
wmn erwuchs während andere an dem Unternehmen mit Verlust beteiligt 
sein mußten In sozialer Hinsicht haßte und vermied sie es, Gast zu sein; sie 
lud bereitwiUig nur sozial oder sonstwie unter ihr Stehende ein, weil sie ihnen 
dann zeigen konnte, was ihnen fehlte, und was sie besaß. Es war ihr ein Ge. 
nuß, eine Person von Bedeutung ganz für sich allein zu haben, während die 
übrigen Anwesenden ausgeschlossen waren. Der Wunsch nach einer Vor. 
Zugsstellung vor einer anderen Person war ein Grundton ihrer Psyche. In der 
Übertragung war ihre vorherrschende Stimmung mir gegenüber Neid, der 
durch eine verächtliche Haltung erträglich gemacht wurde. Leider kann ich 
kerne vollständigere Darstellung ihres Charakters bieten oder ausführlicheres 
analytisches Material bringen, das diese Deutungen der unbewußten Motive 
unterstutzen würde; ich kann nur feststellen, daß spezifische Vorfälle dieser 
Art mannigfach vorhanden* und, sobald die anfänglichen Abwehrmethoden 
bis zu einem gewissen Grade aufgehoben waren, in ihrer Bedeutung eindeutig 

Ein Stück Material kann ich indessen hier mitteilen, das im Grunde den 
Kern alles übrigen enthält: es ist ihre Onaniephantasie. Sie hatte niemals 
irgendeine Art von Orgasmus gehabt, hatte aber seit der Pubertät mit Hilfe 
de rjolgenden Phantasie sexuelle Erregung m it lokalen Sensationen zu er. 

4) Bei meinem in der British Psycho. Analytical Society über diesen Fall eehalten-n 
Vortrag zitierte ich ausführlich aufschlußreiches Material! das den unmh elbaren Z^ 
sammenhang zwischen der „dominierenden Phantasie" und der Eifersucht z^gS 



reichen vermocht: Ein junges Mädchen ist im Sprechzimmer eines Arztes, 
w d vonlm entkleidet und dann untersucht ; eine andere Frau ist im Hinter. 
Tund Dabei fühlte die Patientin Entsetzen, Empörung und Wut zugleichmit 
fZ stark ^asoThistischen Sexualerregung. Lassen wir die exhibitionistischen 
unlsSaulustigen Elemente dieser bewußten ^~ÄÄ 

Sasie" übereinstimmt, wenn auch einige ihrer Züge ms Gegenteil ver, 
3Ä. Das Mädchen in der Phantasie, das vom tej*%£g£ 
während eine andere Frau im Hintergrund sich daran weidet, stellt die r"a* 
fertfa S wie sie die Aufmerksamkeit und das Interesse des Mannes 
auHkh Sht und ihn durch die Enthüllung ihrer unwiderstehlichen Reize 
velSavt dli die andere Frau seiner beraubt, sie ***%££££ 
oder zweimal war diese Onaniephantasie in ihrer ursprünglichen *»"»»» 
ändert in Träumen enthalten, wobei der masochistische Rollenwechsel zw* 
sehen Mädchen und Frau im Traum fortfiel. Daß der Arzt das Madchen m 
Sä Weise entkleidete, war eine Umkehrung der Situation, in der er 
akWe kzeug des Mädchens, die Frau beraubte, um jenem alles zu i geben; es 
wardamit auch seine Unterwerf ung durch die EnthüUung der Reize dargesteUt 
wobei er aber die verantwortliche Rolle spielte. Es ist unnötig, »«««.*» 
diese hochkondensierte Phantasie zahllose Formen vereinigte von denen id, 
hier nur eine oder zwei der wichtigsten andeuten kann. Es sei hervorgehoben 
dlß der Hauptzug der bewußten Phantasie die unbewußte dominierende 
Phantal" darstellt, aber in einer Form, in der das Mädchen für Schuld oder 
Verantwortung reichlich entschädigt wurde. 

Die Erklärung für die eifersüchtigen Stimmungen meiner Patientin lag in 
delen Zusammenhang mit dieser ständig drängenden • *—J £ JJ£ 
wußten Situation, sei es in der Übertragung, sei es ™^^^7^? 
die Intensität der unbewußten Phantasie über ein gewisses Niveau stieg, wenn 
2 Fantasie aktuell verwirklicht worden ^war oder daran war, v--rkUcht 
zu werden - besonders auf irgendeine körperliche Art durch Sexu* 
alität Krankheit, Tod usw. -, dann setzte eine Angstentwick hing : von 
solchem Ausmaß ein, daß sie nur durch Projektion der Impulse auf ander« 
und durch eine masochistische Wendung des sadistischen und des Raub, 
antriebes gegen sich selbst erleichtert werden konnte. So erklärte sie in den 
eifSsthtfgen Stimmungen, daß ihr Mann und seine anderen Frauen^ 
aller Dinge entblößten, sie verhöhnten, quälten, entehrten, sie seiner Liebe, 
w£SL Selbstachtung und ihres Selbstvertrauens beraubten, « fa* 
warfen als ein Opfer, das vollkommen hilflos preisgege b« * • Abe r das 
war genau das, was sie auf zahllose Arten, wie etwa m ihren Liebeleien, allen 
Personen ihrer Umgebung unbewußt zuzufügen versuchte. ^ , . 

Die tiefste unbewußte Bedeutung sowohl der „dominierenden unbe* 



Eifersucht als Abwehrmechanismus 



183 



wußten wie der bewußten Onaniephantasie, die auf früheste infantile Erleb* 
nisse und Entwicklungsstufen zurückgeht, kann auch ohne die überaus zahl* 
reichen Beweise des aktuellen analytischen Materials leicht erraten werden. 
Die Männer (oder der Arzt) waren aus der Kindheit stammende Ersatz* 
figuren für ihren Vater; die „Frau im Hintergrund" oder die zu beraubenden 
und preiszugebenden Frauen waren ihr ganzes Leben hindurch Mutterfiguren. 
Der narzißtische Charakter der Phantasie war in der frühesten (Brust*)Identi* 
fizierung mit der Mutter begründet, während die in ihr vorhandene Objekt* 
beziehüng ausschließlich der Mutter galt. Aber die Mutter war, wie man 
sagen könnte, an sich ein doppeltes Objekt, das zwei Teüe darstellte: einmal 
sich selbst und dann, was sie besaß; der Vater (oder sein Penis, das Werk» 
zeug) war eines der Besitztümer, deren sie beraubt werden sollte. Letzten 
Endes bestand der Besitz der Mutter aus ihren Brüsten, ihrer Müch, ihrem 
Körperinhalte, welcher Faezes, Kinder und den Penis des Vaters umfaßte; 
all dieser Dinge sollte sie beraubt werden. 

Daß diese Phantasie aus der oralerotischen und oralsadistischen Entwick* 
lungsphase stammt, kann nicht bezweifelt werden, obwohl ich hier kein Mate* 
rial zur Unterstützung dieser Behauptung anführen kann. Deutlicher wohl 
geht aus meiner Beschreibung ihre Herkunft auch aus der nächstfolgenden 
sadistischen Phase», der des Angriffs auf die mütterlichen Leibesinhalte hervor. 
Wie ich' zu zeigen versuchte, spielen dabei der einfache genitale Ödipus*. 
wünsch und die Eifersucht nur eine kleine Rolle, ungeachtet des Umstandes, 
daß hier, wie man sagen könnte, ein Versuch gemacht wurde, die unbewußte 
Phantasie dadurch zu rationalisieren, daß sie zu Untreue* und Eifersuchts* 
Situationen „genitalisiert" wurde. Die Männer waren nicht wirkliche Per* 
sonen und volle Objekte für das Unbewußte der Patientin; ein Mann wa* 
entweder selbst ein Penis oder der Besitzer eines Penis. Auch die Frauen 
waren Teilobjekte, d. h. sie wurden als in Teilobjekte zerlegbar erlebt, 
Zweifellos war ein gewisses Maß wirklicher Genitalisierung erreicht worden 
und das kam auch zum Ausdruck. Was ich aber bemerken möchte, ist,' 
daß „Dreiecksiruationen", die man für den Ausdruck höchster Objektliebe 
zu halten gewohnt ist, doch im Narzißmus verwurzelt sein können. Eifer* 
sucht und Untreue können ihre Grundlage in den prägenitalen Schichten der 
oralerotischen und oralsadistischen Impulse haben 6 . Ich glaube, daß bei Per* 
sonen, in deren psychischer Verfassung Untreue und Eifersucht vorwiegende 



5) Vgl. Melanie Klein: Frühstadien des Ödipuskonfliktes. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XIV, 

6) Ich halte es für wahrscheinlich, daß die früheste affektive Dreiecksituation die Be* 
Ziehung des Kindes zu den zwei Brüsten der Mutter sein könnte. Einen späteren Beweis 
dafür kann man sicherlich in den Phantasien über Einteilung und Teilung der beiden Brüste 
sehen U- B. bei Mannern, wobei der Sohn und der Vater je eine nehmen), die es plausibel 
machen daß die früheste Ambivalenz ihre positive und negative Beziehung zu jeder ein. 
zelnen der beiden Brüste findet, gewöhnlich natürlich in ständigem Wechsel 



184 



Joan Riviete 



Reaktionsformen darstellen, der „Liebesverlust" oder die „Suche nach Liebe , 
die hier in Rede stehen, letzten Endes auf etwas Tieferes zurückgehen als auf 
ehv> genitale Beziehung zu dem begehrten Elternteil. Die Qualität der Be- 
Ziehungen solcher Personen ist außerdem häufig die zu einem Teilobjekt, 
wodurch der Wechsel der wirklichen Objekte erleichtert und die relative 
Gleichgültigkeit gegenüber deren realer Persönlichkeit erklärt wird Die 
Suche" oder der „Verlust" kann in solchen Fällen bis auf den oralen Neid 
und auf den Verlust der Brust oder des väterlichen Penis (als eines oralen 
Objekts) zurückgeführt werden - jener Objekte also, mit denen für das Ge- 
fühl des Kindes auf dieser Stufe die koitierenden Eltern sich gegenseitig be- 
friedigen. Ich möchte hier die bestehende Verwirrung bezüglich der Bezeich- 
nungen „Eifersucht" und „Neid" erwähnen', die aus dem Erlebnis dieser 
oralen Urszenenphantasie, bei dem die beiden Gefühle ununterscheidbar sein 
dürften, sehr klar abzuleiten ist. Diese und nur diese Erfahrung liefert die 
rationale Basis für das akute und verzweifelte Gefühl von Entbehrung und 
Verlust, von schrecklicher Bedürftigkeit, von Leere und Trostlosigkeit, das 
der Eifersüchtige in der Dreiecksituation empfindet, und das der 1 reulose 
ins Gegenteil verkehrt. Die orale Basis der Eifersucht kann die größere 
Häufigkeit der Eifersucht bei Frauen erklären, deren psychosexuelle Ent- 
Wicklung mit der oralen Libidoorganisation mehr verbunden ist als die der, 

Neuere Arbeiten haben gezeigt, daß die Projektion, indem sie eine masochi- 
stische Einstellung des Verfolgtwerdens hervorruft, als Abwehrmethode ge- 
gen einen sadistischen Impuls dient. 73 

Aber meine Beschreibung der in der ganzen psychischen Situation 
der Patientin wirksamen unbewußten Kräfte ist dem Einfluß nicht 
gerecht geworden, der bei der Bildung einer solchen dominierenden Phanta- 
siesituation, wie sie oben beschrieben wurde, von der Angst und der Wir* 
kung des frühen Über-Ichs ausgeht. Solche oralerotischen und oralsadistischen 
Impulse, die das ganze psychische Leben beherrschen, sind keineswegs „pri- 
mär" oder „rein lustvoll". Zweifellos war ein Hauptmotiv für diese Schlussel- 
phantasie der Wunsch, sich an der Mutter für alle Entbehrungen zu rächen, 
die sie in der Phantasie des Kindes ihm zugefügt hatte, und zwar: 
für die Versagung, die es als Säugling erfahren hatte und des we* 
teren für alle Genüsse, die die Mutter hatte, deren das Kind aber nicht teilhaf- 
tig wurde. Aber das ist das übliche Schicksal; die Mutter der Patientin war 
besonders liebevoll und freigebig, wenn auch nicht vollkommen weise. Es 
kann kein Zweifel daran sein, daß ein höher Grad konstitutioneller oraler 



7} Die Verwirrung" führt bedeutungsvoll genug immer in eine Richtung: Das Wort 
„Eillucht" whd dort gebraucht, wo „Neid" angebracht wäre, was meine Anseht stutzt, 
daß „Eifersucht" als ein mehr ichgerechtes Wort für „Neid ^dient 

7 a) Vgl. M. K 1 e i n: Die Psychoanalyse des Kindes. I. P. V., Wien, 1932. 



Eifersucht als Abwehrmechanismus 



185 



Libido bei dieser Frau zu sehr intensiven, frühen sadistischen Reaktionen 
geführt hatte. Dadurch wurde das unreife Ich mit einem höchst sadistischen 
Übeivlch belastet und zu der Überzeugung geführt, daß solche sadistische 
Angriffe auf die Mutter tatsächlich ausgeführt worden waren, was eine 
schwere Angst bewirkte. Ein solcher Stand der Dinge ist uns vertraut. Was in 
diesem Fall ungewöhnlich ist, ist die Art, wie — oder der Grad, bis zu 
welchem — das Ich dann die Dinge zum eigenen Vorteü kehrte und aus 
einer Phantasiesituation voller Wünsche und Ängste eine solche voll von 
Beruhigung (reassurance) und Abwehr schuf und sie so konzentrierte und 
stabilisierte. Das geschah mit Hilfe der Realität. Der Wunsch (der orale 
Hunger und der Racheimpuls) war, die Mutter anzugreifen und zu berauben, 
sich aller ihrer Besitztümer zu bemächtigen, diese für sich zu behalten und so die 
Mutter von allem zu entblößen; dem entsprach dann die Angst, das gleiche 
Schicksal zu erleiden. Gewisse Umstände in der Kindheit der Patientin, zu* 
sammen mit frühen Erlebnissen dramatischer Natur, brachten dann tatsäch* 
lieh in gewisser Weise den Wunsch zur Erfüllung. Die Mutter erlitt wirklich 
verhängnisvolle Verluste, aus denen die Patientin auf bestimmte Art Gewinn 
zog, ohne indes die vom Übersieh angedrohte Vergeltung zu erleiden. So 
wurde die unbewußte Phantasiesituation befestigt und fixiert — nicht nur, 
und keineswegs der Hauptsache nach, als eine Befriedigung erotischer und 
sadistischer Libido, sondern ebenso als eine Sicherheitsbedingung für das Ich 
in der Realität; so wurde sie „dominant". Die unaufhörlichen Anstrengungen 
der Patientin, durch Beraubung einer anderen Person Lust zu erlangen, waren 
Bemühungen, die sicheren Bedingungen der Kindheit, in denen eine beraubte 
und geschädigte Mutter immer vorhanden und immer gut war, zu wiederholen 
und wiederherzustellen, so daß über die Befriedigung rachsüchtiger und sadi* 
stischer Motive hinaus die Anwesenheit und Teünahme eines beraubten 
rechtmäßigen Besitzers, der dennoch seinen Verlust ertrug, zu einer con» 
ditio sine qua non für die Sicherheit des Ichs bei jedem Lustgewinn wurde 8 . 
Sie verbrachte ihr Leben damit, ihre Sicherheit und ihre Stellung zu prüfen 
und zu erproben; auch' dk Eifersuchtsszenen und die Liebeleien waren ein 
Prüfen und Auf*die*Probe*Stellen. Ich will damit nicht sagen, daß die Wahl 
dieses speziellen Abwehrsystems den realen Erfahrungen der Kindheit allein 
zuzuschreiben ist. Die Phantasie, daß die Mutter ihre Feindin sei, war vor* 
herrschend; wir wissen, daß es — sei es in der Realität, sei es mehr noch w 
der Phantasie — ein erprobtes Mittel der Sicherung gegen einen Feind ist, 
wenn man ihn in der Nähe behält, aber in einem Zustand der Entwaffnung 
und bar aller Mittel. Ich ziehe jedoch die Schlußfolgerung, daß die hoch* 
gradige Konzentrierung aller psychischen Strebungen auf dieses eine unbe* 
wußte Reaktionsschema sowie dessen zwangartiger Charakter darauf zurück* 
zuführen waren, daß es die ganze Kindheit hindurch erprobt und — bis zu 
8) Vgl. die von Freud beschriebene Liebesbedingung des „geschädigten Dritten". 



186 J oan Riviere 



einem gewissen Punkt — als sicherer Ausweg aus dem Konflikt befunden 
worden war; allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Die Pa* 
tientin konnte ruhig Vorzugssituationen genießen, mehr besitzen als ihre 
Mutter oder Ersatzmütter, sie konnte harmlose Schwindeleien verüben, sozial 
steigen — aber nur so lange, als keine spezifischen sexuellen Züge in die 
Situation hineinkamen und kein roh aggressiver Akt auf ihrer Seite die 
unbewußten Impulse dahinter verriet. Wenn aber, sei es m der Kindheit, sei es 
später im Leben oder in der Analyse, Ereignisse eintraten, die zu einer nahen 
Verwirklichung der sexuellen (körperlichen) Seiten der unbewußten 
Phantasie oder zu allzu direkten Enthüllungen ihrer eigenen aggressiven Im* 
pulse in dieser Hinsicht führten oder zu führen drohten, versagte die domime* 
rende Phantasie als Abwehrmethode. Dann wurden andere, pathologi* 
schere aber wirkungsvollere Abwehrmethoden mobilisiert. In der Kindheit war 
die durch die Beschädigung der Mutter gewonnene Sicherheit durch ein sexu* 
elles Erlebnis mit einem Bruder gestört worden, das zu schweren Zwangs* 
Symptomen geführt hatte. Während der ersten Jahre des Ehelebens traten 
trotz der Sanktion der sexuellen Beziehung und des Kindergebärens homo* 
sexuelle Tendenzen auf, als Versuch, den Angstkonflikt zu losen. Im Lauf 
der Analyse - die sie zu dem eingestandenen Zweck, „den Orgasmus zu 
erlangen", unternommen hatte - tauchte die masochistische und verfolgungs* 
artige Eifersucht immer dann auf, wenn die Patientin näher daran war, das 
zu erhalten, wofür der Orgasmus stand, und was die kindliche Onanie ihr 
bedeutet hatte: Milch, die Brust, den Penis oder Kinder von ihrer Mutter; 
herauszuholen. Der Annäherung an den Erfolg mußte also heftig entgegen, 
gewirkt werden, die Beschuldigungen des Über*Ichs aber mußten leiden* 
schaftlich verleugnet werden. „Sie", die anderen, die Eltern (und ihr Über* 
Ich) waren die Schuldigen; sie beraubten, plünderten, schädigten und ver* 
nichteten sie — nicht umgekehrt. 

Im Hinblick auf meine Behauptung, daß Eifersucht als ein Mittel zur Ab* 
wehr unbewußter Konflikte verwendet werden und an sich ein Zeichen der 
unbewußten Anklagen des Über*Ichs sein könne, muß man weiterhin über* 
legen, ob diese spezielle Motivierung der Eifersucht irgendeine allgemeine 
Gültigkeit auch in bezug auf die eifersüchtigen Gefühle „normaler Art be* 
anspruchen kann. Ohne auf die delikate und vermutlich umstrittene Frage 
worin die normale Eifersucht bestehe, einzugehen, kann man wohl sagen, daiS 
es gewisse allgemeine Züge gibt, über die alle Autoren einig sind Sowohl 
Freud wie Jones haben von der „narzißtischen Wunde und den Ge* 
fühlen der Selbstkritik gesprochen, die auch in der normalen Eifersucht er* 
lebt werden. Nach meinem Material muß diese Wunde als Verurteilung 
durch das Über*Ich und als Sühne des Ichs für unbewußte räuberische und 
aggressive Impulse der eigenen Person verstanden werden So muß man wohl 
annehmen, daß einiges von der in jeder Eifersucht - ob sie nun auf Tat* 




Eifersucht als Abwehrmechanismus 187 






sachen gegründet sei oder nicht — vorhandenen Bitterkeit daher rührt, daß 
der Eifersüchtige die Untreue des Partners bewußt als eine Vergeltung für 
seine eigenen, in den frühesten Phantasien ausgeführten Aggressionen auf* 
faßt. Ob eine Eifersucht noch innerhalb des Normalen liegt, scheint 
davon abzuhängen, ob die Ängste, die das Subjekt wegen seiner 
unbewußten Impulse, die Eltern, bezw. deren Imagines des jeweiligen 
Liebespartners und der Besitztümer zu berauben, entwickelt, groß 
genug sind, um jener Beruhigung und Lossprechung zu bedürfen, 
die durch ein passives Erleiden des gleichen Angriffs „von seiten der Außen* 
weit" gewonnen werden können. 

Diese Auffassung legt natürlich die Möglichkeit nahe, daß Frauen von 
der Art meiner Patientin tatsächlich unbewußt ihre Männer zu Untreueakten 
anstiften oder jedenfalls durch eine solche Tendenz an deren Objektwahl be* 
teiligt sein können. Alle Analytiker kennen zweifellos Männer und Frauen, 
die solche Situationen tatsächlich selbst herbeiführen, indem sie dem Partner 
vorschlagen, eine andere sexuelle Beziehung aufzunehmen, um auf diese 
Weise eine Dreiecksituation zu schaffen und sich damit Gelegenheit zur 
Eifersucht zu geben. 

Eine psychoanalytische Studie über die Eifersucht ist ohne Bezugnahme 
auf „Othello" kaum denkbar. Eine eingehende Diskussion des Stückes ist 
nicht nötig. Die unbewußte Motivierung der Eifersucht, die die Analyse enfe* 
hüllt, steht in Shakespeares Handlung im Vordergrund, obgleich er 
sie dann so klug fallen läßt und verschleiert, daß wir sie weiterhin vergessen. 
Der erste Akt des Stücks scheint für die nachfolgende Geschichte unerheb* 
lieh, ist aber dennoch von tiefer Bedeutung. Er zeigt uns Desdemonas alten 
Vater, seinen Schmerz und seine Wut über die Entführung seiner Tochter 
durch Othello, seine bitteren Anklagen und Vorwürfe, seine Drohungen und 
Prophezeiungen drohenden Unheils. Othello hat sein Liebesobjekt durch 
Beraubung seines Besitzers, des Vaters, gewonnen. Aber mehr als das: meines 
Erachtens hat Shakespeare Othellos so wichtige psychische Schuld, ohne 
die ein eifersüchtiger Wahn nicht möglich gewesen wäre, so dargestellt, daß 
sie niemand übersehen kann und doch niemand von uns sie als 
das erkennen muß, was sie wirklich ist, — ich meine seine 
Schwärze! „Sie ist die Ursache, sie ist es, bei meiner Seele" — die alte 
Tradition will es, daß der Schauspieler mit diesen Worten zu seinem Spiegel* 
bild spricht, das er im nächsten Atemzug mit „Desdemonas weißerer Haut" 
vergleicht. Umfaßt nicht Othellos Schwärze, so unerheblich sie auch scheint, 
in einem Symbol die ganze Geschichte seiner Schuld: seine Zweifel und 
Ängste und die Art, sie abzuwehren? Der neidische Jago ist doch sein 
Doppelgänger: er kann das Böse in sich nicht ertragen und muß deshalb an 
dessen Stelle die Desdemona anschwärzen. 






188 Joan Ri viere 



Nachtrag (November 1935) 

Die obige Arbeit wurde ursprünglich in „The International Journal of 
Psycho*Analysis", Oktober 1932, veröffentlicht. Inzwischen erschien kein 
wesentlicher Beitrag zu dem Thema „Eifersucht", außer einer Arbeit von 
Fenichel: „Beitrag zur Psychologie der Eifersucht", Imago, Bd. XXI, 
1935, S. 143, worin er meine Arbeit ausführlich diskutiert. Er beschreibt einen 
eigenen Fall, der ähnliches Material wie der meine enthielt, stimmt aber mit mei* 
nen Schlußfolgerungen nicht überein und bestreitet sie in mehreren Punkten. 
Ich versuchte in meiner Arbeit, einen klaren Fall von krankhafter Eifersucht 
ausführlich darzustellen, die (wie schon von F r e u d und auch von E. J o n e s 
beschrieben) der Abwehr von Angst und Schuld diente. Beide Autoren 
weisen darauf hin, daß eine solche Eifersucht produziert wird, um Schuld und 
Angst zu verleugnen: Die „andern" sind (der Untreue) schuldig, nicht de* 
Eifersüchtige. Wer seine eigenen Impulse auf seinen Partner projiziert, „er« 
reicht" (in Freuds Worten) „nicht nur eine Erleichterung, ja, einen Frei« 
spruch vor seinem Gewissen." Fenichel nimmt flüchtig auf diesen „libido* 
ökonomischen Vorteil", wie er es nennt, Bezug; er spielt aber in seiner Dis* 
kussion des Problems der krankhaften Eifersucht weiter keine Rolle; dagegen 
sieht er meine Schlußfolgerungen, die diesen wichtigen Punkt in Freuds 
Auffassung weiter entwickeln, als sehr zweifelhaft an. Er gibt zu, daß es 
„einleuchtend" wäre, eine überwertige Eifersuchtsidee als Abwehr anzusehen, 
insofern sie eine „Intoleranz" oder „Vermeidung" unbewußt ersehnter Si« 
tuationen darstellt. Aber er hat meine Auffassung über das Wesen der Kräfte, 
die ein solches Resultat hervorbringen, und die Art, wie sie es hervorbringen, 
nicht ganz verstanden. Einige dieser Mißverständnisse erklären sich aus der 
zwischen der Wiener und Londoner Gruppe bestehenden Meinungsver* 
schiedenheit über die prägenitale Entwicklung und das frühe Übersieh. Ich 
kann diese Probleme hier nicht in ihrer ganzen Entwicklung ausführlich dar« 
stellen, sondern setze sie als bekannt voraus und beschränke mich darauf, 
die resultierenden Ansichten, von denen ich ausgehe und die mir durch den 
Fall neuerdings bestätigt erscheinen, kurz anzuführen. Ohne hier näher auf die 
Beziehung zwischen Angstabwehr und Triebabwehr einzugehen, möchte ich 
nur sagen, daß die Gefahren des Aggressionstriebes, der auf der oralen Stufe 
noch nicht in erheblichem Maße nach außen gekehrt und noch nicht stabil 
libidisiniert ist, das schwache Ich überaus belasten. Die Abwehrmechanismen, 
die das noch ungenügend organisierte Ich gegen den überwältigenden Druck 
dieser Gefahren anwendet, sind notgedrungen äußerst kompliziert und wohl 
auch widerspruchsvoll in sich selbst. Sie können unserem Verständnis näher 
gebracht werden durch das Studium der tiefsten Seelenschichten an Kindern 
und Erwachsenen, und Fälle wie jener F e n i c h el s und der meine scheinen 
mir gerade in dieser Beziehung aufschlußreich zu sein. 



1 



Eifersucht als Abwehrmechanismus 



189 



Aus Fe n icheis Kritik geht hervor, daß ihm die Wichtigkeit des Ag* 
gressionstriebes geringer erscheint als mir und daß ich für ihn die Bedeutung 
des intrapsychischen Konfliktes übertreibe. Er neigt mehrfach dazu, die von 
mir diskutierten Probleme womöglich als Konflikte zwischen dem Indi* 
viduum und der Umwelt anzusehen und nicht als intrapsychische Konflikte. 
Mehr als einmal spricht er von dem Neurosen verursachenden Einfluß der 
sozialen Bedingungen, z. B. von einer „Gesellschaftsideologie, in derein Ehe* 
garte als Besitzstück erscheint", und nimmt zur Bekräftigung dieser Ansicht 
eine „biologisch normale Sehnsucht nach Objektwechsel" an. Fenichel 
führt hier zwei Momente an, die man nicht ohne weiteres als „gegeben" be# 
trachten darf, sondern die noch der weiteren Auflösung durch die 
Analyse zugänglich sind. Die Frage ist, ob Fen icheis Ansichten mit 
den Funden der Analyse übereinstimmen. Die in meiner Arbeit dargelegten 
Ergebnisse zeigen einen anderen Sachverhalt. 

Ich beschrieb einen Fall von krankhafter Eifersucht, die unter besonderen 
Umständen als sekundäre Abwehrmaßnahme angewendet wurde. Dahinter 
lag eine unbewußte Phantasiebildung, von der ich zu zeigen versuchte, daß 
sie nicht nur ein Ausdruck sexueller und aggressiver Triebe war, sondern als 
stereotype Wiederholung (nach dem Muster historischer Erfahrungen) kon* 
struiert und dazu bestimmt war, zu einer Widerlegung der Ängste 
zu dienen, die mit diesen Trieben verbunden waren. Sie war teil- 
weise eine Wunscherfüllung und teilweise eine Abwehr gegen das 
übersieh, wie ein neurotisches Symptom.» Fenichel möchte diese 
unbewußte Phantasie als einen direkten Ausdruck eines fixierten oralsadi* 
srischen Impulses ansehen. Selbst wenn die dominierende Phantasie meiner 
Patientin bewußt und diese fähig gewesen wäre, aus ihrer Verwirklichung 
Befriedigung zu ziehen (in welchem Fall sie als sexuell pervers und als aso* 
zialer Charakter zu bezeichnen wäre), würde ich ihm nicht zustimmen. Er 
scheint zu glauben, daß die Erklärung einer libidinösen Fixierung in der kon* 
stitutionellen, biologischen Stärke gewisser Triebimpulse liegt, wobei er 
flüchtig auch die Wirkung von Befriedigungs* oder Versagungserlebnissen 
erwähnt. Gerade diesen letzten Faktor, die Wirkungen früher Befriede 
gungserlebnisse untersuche ich gründlich, wenn ich ihre Beziehung 
zu Abwehrmechanismen zeige. Ich behaupte, daß die unbewußte Phantasie 
keineswegs einer „Fixierung" entspricht, sondern einem Symptom oder einem 
Zwang gleichzusetzen ist. Um weiteren Mißverständnissen vorzubeugen, 
will ich hier ausdrücklich feststellen, daß ich die Stärke der Es^lmpulse voll 



9) Daß die W u n s c h e r f ü 1 1 u n g der erste Zug war, den die Analyse in den Phanta* 
siebildungen entdeckte, ist vielleicht der Grund, warum manche Analytiker nicht genügend 
zu würdigen vermögen, daß auch andere Elemente in ihnen enthalten sind. Wo es sich um 
1 räume und neurotische Symptome handelte, erkannte Freud selbst unmittelbar die 
immanenten Abwehrelemente, d. h. ihren Kompromißfharakter. 



würdige, die sich in der unbewußten dominierenden Phantasie manifestieren, 
und daß meine Ausführungen keineswegs diese Phantasie „in erster Linie 
als eine Abwehr darstellen wollten, wie Fenichel meint. Aber da ihr 
triebhafter Charakter auf den ersten Blick sichtbar ist, ging meine Arbeit 
gerade darauf aus, die Verwendung der Phantasie auch im Dienste Abwehr zu 
demonstrieren und zu diskutieren. . ; 

Man könnte an meinem Fall eine der synthetischen Funktionen des Ichs 
illustrieren: wie nämlich das Ich sich des Es bedient um sich gegen den 
Druck des Es selbst, des Über.Ichs und, in beschränktem Maße, auch der 
Realität zu verteidigen. So scheint es mir, daß eine wesentliche Funktion der 
Phantasie außer der Lösung der libidinösen Spannung die Befreiung des Ichs 
von der Last der Verantwortung ist. In der Onaniephantasie ist das 
Mädchen völlig passiv, es wird gezwungen, und trägt daher keine Verant. 
wortung. (Fenichel zitiert meine Darstellung ungenau, wenn er sagt: ,£in 
Mädchen wird unbekleidet von einem Arzt untersucht." Ich schrieb aber: 
es „wird von einem Arzt entkleidet und untersucht.") 

Im Hinblick auf die Rolle des Über.Ichs ist F e n i c h e 1 damit unzufrieden, 
daß ich auf die Frage, warum die Phantasie als Abwehr versagte, und warum 
stärkere Abwehrmechanismen (Eifersucht) gebraucht wurden, nur die Ant, 
wort weiß", daß mitunter „die Vergeltungsangst gar zu stark wird . JJas 
ist ein Mißverständnis. Ich erklärte, daß die Angst sich steigerte, wenn die 
Phantasie sich zu verwirklichen drohte. 

Betrachten wir nun die tiefere Deutung der Phantasie, auf die ich im 
„Journal" nicht näher einging, weil uns der tiefere Sinn solcher frühen sa, 
distischen Phantasien so geläufig ist. Zutiefst bedeutete sie die Erfüllung eines 
ödipuswunsches, und zwar vorwiegend auf der oralen Stufe (m einem Fruhsta* 
dium des Ödipuskomplexes). Die mit den oralerotischen Wünschen unver, 
meidlich einhergehenden aggressiven Raubwünsche gefährden die begehrten 
Objekte ebenso wie der gleichzeitig empfundene Haß und die Rachsucht aus 
der Versagung (des Ödipuswunsches, den Vater und Kinder zu besitzen). 
Diese Aggression ist von solcher Stärke, daß sie die totale körperliche Zer. 
Störung und Vernichtung (Tod) durch Beraubung aller Beteiligten (d. h. 
ihrer beiden Eltern, wie auch der begehrten Kinder und durch Identifizierung 
ihrer selbst) zum Inhalt hat. Das ist die gefürchtete Gefahr; die unbe, 
wußte Phantasie enthält die höchstmögliche sadistische Koitusauffassung. 
Die Vergeltungsangst beinhaltet also eine Angst vor ihrem eigenen Tod 
durch die Hand einer racheerfüllten Mutter und eines sexuell schrecken* 
erregenden Vaters, der gleichzeitig die Mutter und sich selbst an ihr rächt. 
Endlich ist die Angst auch eine Reaktion aus Liebe demnach nicht nur eine 
Vergeltungs, und Sexualangst; sie galt auch der Sicherheit und dem Wohl, 
befinden geliebter Objekte, angesichts der Gefahr, die ihnen von den eigenen 
mörderischen Raubimpulsen der Patientin drohte. Wenn es schien, als ob 






Eifersucht als Abwehrniechanismus 191 



alle diese Gefahren Wirklichkeit würden, verstärkte sich natür* 
lieh die Angst. 

Fenichel erkennt nicht, daß meiner Meinung nach die wahre Ursache 
aller dieser Nöte tiefer liegt als die Vergeltungsangst: die wahre Ursache ist 
die Angst des Ichs vor dem eigenen Sadismus. Er schließt die Bemerkungen 
über seinen Fall mit den Worten, die Vergeltungsangst „wird natürlich ge* 
steigert, wenn die Patientin das Gefühl hat, daß ihr wirklich etwas geraubt 
werde." Aber wir finden, daß solche Ängste am unerträglichsten werden, 
wenn man das Gefühl hat, daß die eigenen Raubwünsche wirklich zur Tat 
geworden sind und körperliche Zerstörung und seelisches Elend im Gefolge 
haben. Daß die Vergeltungsangst, wenn sie bewußt wird, so unerträglich ist, 
liegt zum Teil daran, daß sie unbewußt bedeutet, das Verbrechen sei wirk* 
lieh begangen worden. Ich glaube, daß solange die sadistische Phantasie nur 
eine Phantasie blieb (oder nur in einem Verhalten verwirklicht wurde, 
das für die Patientin und ihre geliebten Objekte keine Gefahr körperlicherer* 
letzung oder des Todes enthielt), die Abwehrmomente in der Phantasie selbst 
ausreichten, um die Angst hintanzuhalten (erster Abwehrmechanismus). Wenn 
aber die in der Phantasie dargestellten Gefahren realisiert zu werden 
drohten, waren die Abwehrmechanismen in der Phantasie nicht mehr aus* 
reichend, und dann wurde in der Realität eine weiterreichende Abwehr 
gesucht: alle Verantwortlichkeit und Schuld mußten von der Patientin weg 
verlegt werden, indem sie in der Realität eine schuldlose Eifersuchtssituation 
schuf (sekundärer Abwehrmechanismus). Als in der Übertragung starke un* 
bewußte Wünsche auftraten, mich und meinen Mann zu berauben und zu 
ermorden, entwickelte meine Patientin eine wahnhafte Eifersucht. 

Fen icheis Argument gegen diese inneren Ängste basiert auf der An* 
sieht, daß das Kind auf der oralen Stufe kein Übersieh hat. Aber meiner An* 
sieht nach ist gerade dieser Fall geeignet zu demonstrieren, daß die Vergeh 
tungsangst ebenso intrapsychisch entsteht, wie die bekanntlich durch das 
Übersieh erzeugten Schuldgefühle. Fenichel scheint sich aber selbst zu 
widersprechen, indem er schreibt, „daß das Kind ... in projektivem Miß* 
Verständnis der Außenwelt ... das Unheil wirklich von außen erwartet"; 
d. h. ein inneres Unheil wird in die Außenwelt projiziert. Worin aber be* 
steht das innere Unheil? Nun, für mich bedeutet Vergeltungsangst im Unbe* 
wußten nicht eine Angst vor Vergeltung von außen, wie Fenichel meint, 
sondern eine Angst vor einem inneren Unheil als Vergeltung, das (wie 
Melanie Klein beschrieben hat) hervorgerufen wird durch den konstanten 
Prozeß der Projektion der eigenen, vom Kind selbst als unlustvoll empfun* 
denen Aggression gegen seine Objekte, und der gleichzeitigen Wiederintro* 
jektion des Objekts. Obendrein werden die aggressiven Impulse des Kindes 
gegen das Objekt als dieses tatsächlich beschädigend gefühlt, so daß dann in* 
folgedessen ein b e s c h ä d i g te s Objekt introjiziert wird. So werden die El* 



192 J oan Rfaiere 

tern, die in der sadistischen Phantasie geplündert und an den Rand des Todes 
gebracht wurden, rachsüchtige, gefährliche Imagines im Innern." Die wirk, 
liehen Eltern in der Außenwelt mögen diese Unheilserwartungen erfüllen oder 
nicht. Eine reale gütige Mutter ist für das Gefühl des Kindes die bestmögliche 
Widerlegung einer solchen innerenVergeltungsangst vor inneren bösen, geiahr, 
liehen Gestalten. Ein solches Kind mag dann für sein ganzes Leben ungemein 
abhängig werden von einer Beruhigung dieser Art (deren Zufuhr von außen) 
und von gütigen Mutterfiguren, wie man es in der Geschichte meiner Pa* 

tientin sehen kann. . 

Wenn man nicht anerkennt, daß es auf der oralen Stufe eine innere stra* 
fende Instanz gibt, und daß aus der Projektion und Introjektion von Aggres- 
sion innere Vergeltungsangst entsteht, so kann man nicht verstehen wie ein 
solches inneres Unheü zustande kommt. Fenichel nimmt an daß meine 
Patientin, weil sie wenig Unfreundlichkeit oder Bestrafung in der Realität 
erfuhr, eine Vergeltung für die Entbehrungen, die die Mutter erlitt, nicht 
fürchten würde, und daß sie auch in ihrem späteren Leben „wurde rauben 
können, ohne Strafe zu befürchten". Das Ausbleiben einer Bestrafung seitens 
einer beraubten Mutter gibt zwar eine Beruhigung, aber nur eine m « menta " e : 
Da für das Unbewußte eine innere vergeltende Mutter da ist, bleibt das 
Drängen nach Beruhigung bestehen; damit erklärt sich der immer wieder, 
holte Versuch (Zwang), durch das Verhalten der realen Mutter die der 
inneren Mutter geltenden Ängste zu widerlegen. Im Grund wird also das 
Kind nicht von einer Erwartung äußeren Unheüs, sondern von innerer Ver, 

geltungsangst beherrscht. ..,,., n i * 

In seinem Bemühen, innere Ängste als einen ursachlichen Faktor 
der Eifersucht auszuschalten, geht Fenichel so weit, zu behaupten, daß 
das Gefühl „Ich selbst bin schuld am Liebesverlust ohne Beteiligung 
eines Über.Ichs zustande kommen kann. Eine solche Argumentation scheint 
den Worten, die wir gebrauchen, jegliche Bedeutung zu nehmen. 

die Pulveren Verge tu, 8» n ^^ c und akzeptiert wer den können, 

J328RE5 £i Ä!la?» gen (Wahn Halluzination etc.) gegen sie eingesetzt werden 
unddaßPhantas ebUdung \. yon dem vol i en twickelten Übersieh 

müssen. Die S c h u 1 d g e £ u hie Wf£- ° p - ssen Grad seine eigene Aggression 

schwer ertragen werden kann . 



Eifersucht als Abwehrmechanismus 193 



Ich sagte, daß die Phantasie mir deutlich eine ödipussituation, vorwiegend 
auf der oralen Stufe, darzustellen scheint. Hier führt ein fundamentaler Unter* 
schied in der Auffassung zwischen Fenichel und mir dazu, daß er meine 
Beschreibung nicht ganz richtig zitiert. Er beschreibt nämlich meinen Fall 
durchwegs als eine einfache homosexuelle oralsadistische Beziehung, d. h. 
er schließt stillschweigend ein heterosexuelles oralerotisches oder oralsach* 
stisches Element darin aus, und führt ausdrücklich ein homosexuell ero* 
tisches Element ein, das in meiner Beschreibung nicht enthalten ist. Ich führe 
als Beispiel die folgenden Sätze ausFenichels Arbeit an. (Die von mir ge* 
sperrten Worte sind in meinem Bericht nicht enthalten). „Sie müsse einem 
geliebten Menschen etwas rauben, wodurch sie ihn sehr schädige." „Sie 
wünsche, die Analytikerin ihres Mannes zu berauben, umsieselbstzu 
besitzen" (während ich schrieb, „um mich zur Witwe zu machen, während 
sie selbst ihren Mann besitzen würde".) „Die Wunschphantasie war also, 
alleinige Besitzerin der Mutter zu sein und sie zu berauben" (viel* 
mehr, alleinige Besitzerin beider getrennten Eltern zu sein, um die Mutter zu 
berauben [Aggression] und den Vater zu besitzen [Libido]). 

Ich beschreibe das begehrte Objekt, den Mann (oder unbewußt, des Vaters 
Penis) zwar als ein Teilobjekt, aber doch seinem Charakter nach als ein 
heterosexuelles Objekt; und die Beziehung zur Mutter durchgehend als 
die der „frühen ödipusbeziehung". Wir finden diesen Komplex (wenn auch 
noch fluktuierend und labil) bei Mädchen im ersten Lebensjahr und nach der 
Entwöhnung, d. h. auf der oralen Stufe. Da Fenichel nicht dieser Meinung 
ist, stellt er mein Material ungenau dar. So nimmt er an, daß ich sein© 
Auffassung teile, daß „zur präödipalen Zeit die Mutter das einzig wesent* 
liehe Objekt ist", während ich darunter verstehe, daß sie das wesentliche 
Objekt ist, weil ihr Aggression und auch orales Begehren gelten. Das orale 
Begehren erstreckt sich aber u. a. auf den Penis des Vaters, den sie nach dem 
Gefühl des Kindes besitzt. 

Damit komme ich' zu einem weiteren Punkt des Mißverständnisses; er 
betrifft „die Vorstellung vom Penis des Vaters im Leibe der Mutter". Fe« 
nich'el schreibt: „Derartiges findet man tatsächlich häufig . . . Fraglich ist 
nur, ob sie immer von einer Vorstellung über einen Koitus zwischen den 
Eltern oder dgl. stammen muß." („Derartiges" und „dergleichen" klingt so, 
als ob man Phantasien der Patienten in der Analyse nicht ernst zu nehmen 
brauchte.) „Hier scheint uns viel gesündigt zu werden, dadurch daß man zu* 
viel erwachsene Logik dem Verständnis prägenitaler Denkwelten zugrunde* 
legen will." Freud selbst hat schon sehr früh auf die kindlichen Sexual« 
theorien hingewiesen, ohne daß man ihm diesen Vorwurf gemacht hätte. 

Die Frage der „prägenitalen Denkwelten" kann hier nicht erörtert wer* 
den; aber mir scheint hier dadurch gesündigt zu werden, daß die in diesem 
Material deutliche innere Beziehung zwischen Oralerotik und dem Wunsch 

Int. Zeiticht. f. Psychoanalyie, XXII/2 13 



194 Joan Riviere 



nach dem Penis als einem Objekt oralen Genusses (Saugen oder Beißen) als 
„Penisneid" erklärt wird, der für uns eine völlig andere Strebung bedeutet. 
Unter Penisneid des Mädchens versteht man den Wunsch nach einem 
äußeren urinierenden Organ an ihrem Genitale, wie sie es an dem Körper 
eines Mannes oder Knaben sieht, und keineswegs den Wunsch nach einem 
oralen Lustobjekt. In dem einen Fall handelt es sich um den Wunsch nach 
dem väterlichen Penis als einem heterosexuellen oralen Objekt; das ist aber 
ein oraler (und noch nicht ein vaginaler) Impuls, der sich zunächst auf den 
Penis als Teilobjekt richtet, wobei der Penis des Vaters als ein Teil der 
Mutter (eigentlich ein Teil der vereinigten Eltern, da beide ihn genießen und 
gebrauchen) empfunden wird. Später wird der ganze Vater zum Liebesobjekt 
und sein Penis zum vaginalen erotischen Objekt genommen. Dieser Penis* 
wünsch repräsentiert die weibliche Haltung des Mädchens. Völlig verschieb 
den davon ist, im anderen Fall, der Wunsch des Mädchens nach einem 
äußeren Genitale, wie der Mann es besitzt, um es zur Schau zu 
stellen, damit zu urinieren und Kinder zu zeugen. Dieser Peniswunsch ist 
der Ausdruck einer homosexuellen Libidoposition. Infolgedessen nimmt das 
Mädchen eine männliche Haltung an und benützt sie, um auch für ihre Ge* 
fühle der Demütigung, Schuld und Minderwertigkeit gegenüber ihrer Mutter 
einen Ausgleich zu erlangen — Gefühle, die aus ihren weiblichen Wünschen 
und phantasierten weiblichen genitalen Aktivitäten entstehen, die orale Im* 
pulse und den Wunsch' nach Kindern einschließen. Meiner Ansicht nach 
zeigt das ganze Material meines Falles — die Onaniephantasie, die unbe* 
wußte dominierende Phantasie, der allgemeine Charakter und das Verhalten 
der Patientin — , daß sie nicht wirklich homosexuell fixiert war, und daß die 
heterosexuelle Libidobesetzung den Primat über die homosexuelle erlangt 
hatte, während die orale Stufe der Libidoentwicklung noch vorherrschte. 

Ich meine, daß Fenichels Fall meine Ansichten bestätigt, und daß es 
daher vielleicht aufschlußreich sein dürfte zu untersuchen, wie die hier be» 
sprochenen Auffassungen sich auf seinen Fall anwenden lassen. 

Eine nicht mehr junge Frau erkrankte einige Zeit, nachdem ihr Mann 
impotent geworden war, an einer schweren Neurose, deren Hauptzüge Angst, 
Depersonalisation und eine überwertige Eifersuchtsidee waren. 

In großen Zügen sehe ich folgende Erklärung: 11 eine Frau findet, daß ihr 
Mann, den das Material sehr deutlich als ihren Vater darstellt, eine schwere 
körperliche Beeinträchtigung (Kastration, Verlust der Potenz) und zweifellos 
auch eine seelische Beeinträchtigung (Depression und Herabsetzung seines 
Selbstgefühls) erlitten hat. Das bedeutet für ihr Unbewußtes, daß ihre oralen, 
libidinösen und sadistischen, Wünsche, sich seinen Penis und dessen Allmacht 

1 Ich gehe hier auf die somatische Quelle der Angst (Fortfall der Sexualbefriedigung) 
nicht weiter ein, sondern setze diesen Faktor als selbstverständlich voraus, obwohl in diesem 
Fall die Frau frigid war und der Sexualverkehr ihr keine wesentliche Befriedigung bereitete. 



Eifersucht als Abwehrmechanismus 



195 



einzuverleiben, erfüllt worden sind. Ihre orale Gier, ihr Haß und ihre Räch* 
suchtgegenAren Vater sind in Erfüllunggegangen. Dies dürfte heftige 
Vergeltungsangst und Schuld bewirkt haben, dk sie nur solange beherrschen 
konnte, als ihr Mann ihr noch Liebe zeigte (durch seinen Wunsch nach 
Sexualverkehr). Wenn ihr Mann sie noch liebte und versuchte, ihr Befrie* 
digung und seinen Penis zu geben", konnte er nicht böse sein; und wenn er 
sie weder tadelte noch für seinen Verlust verantwortlich machte, sondern im 
Gegented sich selbst für den Verantwortlichen hielt, der sie ihres berechtigten 
f^f™. ^nusses beraubte, so drohte keine Vergeltung von ihm, d. h. sie 
konnte fühlen, daß er schuldig war und nicht sie. Aber mit der Zeit ver* 
ursachte der ständige unbewußte Druck, unter dem sie zufolge des depres* 
siven Zustandes des Mannes und seines deutlichen Schuldgefühls stand, eine 
starke Steigerung ihrer schuldhaften Ängste, und als er sich schließlich sexuell 
| 3n \T T u Z S id f°f erschütterte dies ihr Gleichgewicht vollkommen. 
Für ihr Unbewußtes bedeutete das, daß er ihre oralen Einverleibungswünsche 
entdeckt hatte und sie für sein Unglück verantwortlich machte, sie nicht 
liebte, sich an ihr rächen und nach einer „besseren" Frau Umschau halten 
wurde. So ist es mir ganz begreiflich, daß hernach „das Verhalten des Mannes 
ihr die Onanie zu einer Gefahr gemacht hatte", weil es sie in dem Gefühl, 
durch und durch schlecht zu sein, bestärkte. Indem sie dann ihre Eifersuchts* 
idee entwickelte konnte sie sich ständig versichern, daß er ihr gegenüber 
schuldig sei und nicht umgekehrt. Die Selbstverteidigung und den Schutz 
gegen das Über*Ich, die sie zuerst durch seine fortgesetzte Liebe zu ihr und 
ein seine Selbstvorwürfe offenbarendes Verhalten erlangt hatte, konnte sie 
nun, nachdem ihr diese entzogen waren, nur erreichen, wenn sie in ihrer 
Phantasie ihn als den ihr gegenüber Schuldigen hinstellte. Ich möchte be* 
sonders betonen, wie klar dieser Fall meine Ansicht bestätigt, daß e i n e v e r* 

mutete Verwirklichung einer aggressiven Phantasie eine 
Steigerung der Angst erzeugt. Während die Angst vor einer Ver* 
wirklichung in meinem Fall durch die analytische Arbeit enthüllt wurde, hatte 
sich in Fenichels Fall das erwartete „Unheil in der Wirklichkeit" tat* 
sachlich ereignet. 

Fenichel findet, daß seine Patientin eine primäre „Penisneid"*Be* 
Ziehung zum väterlichen Penis hat, während mir die Äußerungen ihres Penis* 
neides gegenüber ihrem Vater die Verdeckung und Verarbeitung eines 
früheren heterosexuellen oralgenitalen Neides darzustellen scheinen. Dem* 
nach wurde der Penisneid nicht, wie Fenichel sagt, „oralsadistisch ver* 
arbeitet sein sondern umgekehrt, heterosexueller Haß und Rachsucht wür* 
den „männlich verarbeitet worden sein. 

Das Gefühl der Entbehrung auf Seiten der Patientin und ihre ungeheuren 
Ansprüche an den Analytiker versucht Fenichel durch die Annahme zu 
erklaren, daß er die Mutter darstelle, während es mir ganz klar zu sein 

13* 



scheint, daß die Patientin bei ihm auch die Beziehung zu ihrem Mann genau 
wiederholte. Ein deutlicher Beweis hierfür liegt in der Angst der Patientin, 
er könnte in ihren Streitigkeiten mit der Mutter die Partei der letzteren ergreif 
fen; das bedeutet doch, daß der Analytiker, wenigstens teilweise, das libidinöse 
Objekt, den Vater darstellt, während die Mutter das gehaßte Objekt der Ag* 
gression ist, genau wie im Ödipuskomplex. Hier findet F e n i c h e 1 einen Aus* 
weg, indem er seine Rolle in der Übertragung als eine „Zwischenfigur" be* 
schreibt, da nach seiner Auffassung die Patientin auf der oralen Stufe einen 5 
Vater nicht begehren kann. Mir scheint die heterosexuelle ödipusposition 
seiner Patientin sehr klar; sie schließt den natürlichen Antagonismus gegen die 
Mutter als Rivalin und die entsprechende Angst vor ihr als Feindin ein. (In 
meinem Fall führte diese Angst zu einer überkompensierten Bedürftigkeit 
nach der Liebe der Mutter.) Fenichel sieht sich genötigt, die Schluß* 
folgerung zu ziehen, daß seine Patientin ihre Mutter nur aus dem Grunde 
haßte und beschuldigte, weil darunter eine verdrängte tiefe Liebe zu ihr 
existierte. (Wir leugnen die tiefe Liebe zur Mutter gewiß nicht, glauben aber, 
daß ihr auch andere Gefühle von gleicher oder größerer Stärke gelten, die; 
man nicht außer acht lassen darf.) Die Patientin hatte ihren Mann verlöret*, 
er hatte keinen Wert mehr für sie; in ihrem Unbewußten war das durch die 
zerstörerische Kraft und Unbeherrschbarkeit ihrer eigenen Raubwünsche und 
ihres Hasses gegen die Eltern verursacht worden. (Der Haß gegen die Mutter 
wäre einer der Gründe für ihren Wunsch, die Potenz ihres Vaters zu zen* 
stören.) Die unbewußte Erkenntnis dieser ganzen Aggression in ihr produ* 
zierte heftige Gefühle des eigenen Unwertes, die sie nur dadurch mildern 
konnte, daß sie die Mutter der Bösartigkeit und Wertlosigkeit ihr gegenüber 
anklagte (Projektion). Diese Situation illustriert meine Auffassung, daß die 
Angst vor der eigenen Aggression und ihre Beziehung zur Projektion im 
Mittelpunkt der Erklärung solcher Fälle steht. 

„Die Mutter sei an allem schuld". Das drückt genau den wütenden Haß 
und die mörderische Eifersucht des kleinen Mädchens aus, wenn sie der 
Mutter nicht den Vater stehlen kann; und es ist auch genau die Art und 
Weise, wie sie ihre eigene ödipusschuld und Vergeltungsangst durch Pro« 
jektion erledigt. „Sie hätte sie schlecht erzogen, vernachlässigt usw." Wir 
sehen deutlich, wie nötig es für die Patientin ist, die Verantwortung für ihre 
eigenen bösen Taten und ihre Wertlosigkeit (Schuld) auf jemand anderen zu 
schieben. Und es ist leichter, immer wieder die Mutter zu tadeln, weil sie 
mehr gehaßt und, auf der oralen Stufe, nur um ihrer Besitztümer willen ge* 
liebt wird. Im Geiste der Patientin war jene immer noch eine rachsüchtige 
Verfolgerin, die die Patientin ständig des zerstörerischen Raubes, wenn auch 
nur in Form von Versäumnis und Nachlässigkeit, anklagte. Die Vernach* 
lässigung von Pflichten (Raub durch Vergeudung) gegenüber geliebten Ob* 
jekten bedeutet unbewußt eine ebenso gefährliche Form der Feindseligkeit, 






Eifersucht als Abwehrmechanismus 



197 



wie ein offener Angriff, gerade wegen ihres hinterhältigen Charakters. Lang- 
samkeit, Verspätung, Faulheit und Sorglosigkeit in kleinen Dingen sind so 
schwer zu überwinden, und doch können sie auf die Dauer so ernste Folgen 
in der Realität haben. Diese Schuld erklärt dk Hausfrauenneurose von 
Fenichels Patientin, und ihre ständige Angst, daß der Zustand ihres 
Hauses sie verraten und die verschwenderische, destruktive Art ihres An, 
gritts m Form von Vernachlässigung des Vaters (Mannes) und der Mutte* 
(des Hauses) enthüllen werde. Ihre Eifersuchtsidee beruhigte teilweise ihre 
Vergeltungsangst gegenüber dem Vater, aber der ruhelose Zwang 

j-^w raUenneUtOSe Weist auf deren Funk tion in bezug auf 

die Mutter hm. „Sie war ein besonders schlimmes Kind gewesen" 
und hatte die symbolischen Kinder von Vater und Mutter gestohlen 
und weggeworfen; indem sie sich zu einer Sklavin der Hausarbeit 
machte, versuchte sie, die innere Mutter zu besänftigen und eine 
teilweise Wiedergutmachung des früher begangenen Unrechtes zu leisten. 
Der Hunger nach der „Anerkennung, daß sie der Beachtung wert sei" 
und nach der Freundschaft des Analytikers zeigt die Heftigkeit der Selbst*' 
vorwürfe, die ihr vergeltendes Gewissen auf sie häuft, während das 
Bedürfnis nach „Beratung und Vermittlung von Lebenszielen" ein Ausdruck 
teils ihrer Angst ist, Verantwortung auf sich zu nehmen, teils der inten, 
siven Notwendigkeit, etwas Gutes von außen (Zufuhr von außen) 
zu bekommen, um dadurch besser zu werden. Wurde sie darin enttäuscht 
so mußte sie zu ihrer momentanen Beruhigung eine Phantasie entwickeln, des 
Inhalts, daß sie indem sie etwas Gutes esse und sich dadurch innerlich besser 
fühle, nun auch wirklich innerlich ein besserer Mensch würde 

Den Selbstvorwürfen über den eigenen Unwert liegt, in Fällen wie 'den 
hier besprochenen, die gleiche psychische Realität zugrunde wie den Vor. 
würfen, die in der echten Melancholie zum vollen Ausdruck kommen. In 
unseren Fällen war es noch möglich, diese psychische Realität durch manische 
und paranoische Abwehrmechanismen 1 * zu bewältigen. Die eingehende Er. 
forschung dieser Mechanismen würde das Verständnis dieser Probleme 
erheblich fördern. 



rJ 2 lu 8 }- * e . Aus f ühr « n gf n üb «r di«es Thema in der Arbeit von Melanie Klein A 
SxSjMS. ******* « Manicdepressive States", Int. Journai [ of P«, 






Hemmung und Narzißmus 

Von 

Jeanne Lampl*de Groot 



Wien 

• ■ 



Ausgangspunkt dieser Arbeit bildet die Untersuchung eines Prozesses im 
Seelenleben, dessen Kenntnis an sich gewiß nicht neu ist. Da ich jedoch den 
Eindruck gewonnen habe, daß diesem Prozeß allgemeinere Bedeutung, viel» 
leicht eine psychische Gesetzmäßigkeit zugeschrieben werden sollte, möchte 
ich versuchen, ihn an einigen Beispielen zu beleuchten und einen Beitrag 
zur Erklärung seiner Bedeutung für das Seelenleben zu liefern. Ich könnte 
dieses psychische Geschehen etwa folgendermaßen formulieren: 

Die verschiedenartigsten Abläufe seelischer Prozesse — darunter auch 
einander entgegengesetzte — können zum gleichen Endresultat führen, d. h. 
den gleichen Zustand im Ich hervorrufen. Diese Vorgänge sind bei der Be<* 
trachtung der Genese von neurotischen Hemmungen, die bekanntlich der 
Ausdruck von Funktionseinschränkungen des Ichs sind, gut zu studieren. 

Man macht bei diesem Studium die Entdeckung, daß bei einem Patienten 
eine solche Hemmung durch einen bestimmten Ausgang eines Triebvor* 
gangs, beim anderen durch den genau entgegengesetzten Ablauf hervor* 
gerufen wurde. Ich möchte mich in dieser Arbeit mit dem Spezialproblem 
der Folgen solcher entgegengesetzten Triebabläufe beschäftigen und will ver« 
suchen, diese näher zu illustrieren. Dabei schicke ich voraus, daß die Wege, 
auf denen solche gleichartige Endzustände im Ich erreicht werden, wieder 
die verschiedenartigsten sind. Sie werden aber zunächst unerwähnt bleiben, 
da sie für unsere ersten Fragestellungen irrelevant sind. 

I. Die Beziehung neurotischer Arbeitshemmungen zur 

Masturbation. 1 

Es ist der Psychoanalyse seit langem geläufig, daß Arbeits* und Lernhem« 
mungen ihre Ursache häufig in der Masturbation finden. Wenn der betnejf* 
fende Patient übermäßige Onanie betreibt, fällt uns die Erklärung dieses 
Zusammenhanges nicht schwer. Dem Patienten, der den größten Teil seiner 
psychischen Energie zur Selbstbefriedigung verwendet, bleibt nicht genug 
Libido zur Verfügung, um andere Aufgaben zu erfüllen. Seine Arbeitsh'ems» 
mung, die Einschränkung seines Ichs, ist die direkte Folge der Masturbation. 
Ein zweiter Faktor, der zur Arbeitshemmung beitragen kann, liegt in den 
die Onanie begleitenden Schuldgefühlen, die eine Bestrafung in Form der 



Über dieses Thema berichtete ich auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen 
Kongreß in Luzern am 31. August 1934. 



Hemmung und Narzißmus 



199 



Funktionshemmung fordern. Es ist aber im Grunde die Masturbation mit 
ihren Begleiterscheinungen, die zur neurotischen Hemmung geführt hat. 

Die Analysen Jugendlicher und Erwachsener zeigen dann, daß die über* 
mäßige Onaniebetätigung ihre Vorgeschichte im Schicksal der frühinfantilen 
Masturbation findet. Gewöhnlich war auch diese sehr intensiv, und das Kind 
hatte im Kampf gegen sie nicht oder nur teilweise und vorübergehend 
Erfolg gehabt. Die übermäßige Masturbation der Jugendlichen ist in der 
Regel entweder die direkte Fortsetzung oder die Wiederholung einer Kind« 
heitsperiode, in der sich die Abfuhr der Triebspannungen in die Onanie 
durchgesetzt hat. 

Der Analytiker schätzt sich in diesen Fällen glücklich, wenn es ihm gelingt, 
den Patienten von dieser abundanten Onanie und den eventuellen, sie begieß 
tenden Schuldgefühlen zu befreien und ihm dadurch die Kräfte zur Beseitig 
gung der Arbeitsstörung zur Verfügung zu stellen. Dem Praktiker sind solche 
Fälle genügend bekannt, so daß sich wohl die Darstellung derselben erübrigt. 

Ich möchte nun aber auf eine andere Gruppe von an Arbeitshemmung lei* 
denden Patienten hinweisen, die keine Masturbation betreiben. Die Vor* 
geschichte dieser Patienten ergibt gewöhnlich, daß sie überhaupt nicht oder 
nur ganz vorübergehend onaniert zu haben sich erinnern. Die tiefere Analyse 
gibt jedoch, nach meiner Erfahrung mit großer Regelmäßigkeit, eine andere 
Auskunft. Es hat bei diesen Fällen in der frühen Kindheit eine Periode in* 
tensivster masturbatorischer Betätigung gegeben, die aber gewöhnlich nach 
langem und hartem Kampf unterdrückt und völlig aufgegeben wurde. Ein 
solcher Kampf spielt sich innerhalb der Persönlichkeit zwischen Ich und Es 
ab. Bei den zuerst erwähnten Typen, bei denen die Masturbation beibehalten 
wird (oder nach einer Unterbrechung wiederkehrt), hat das Es den Sieg 
davongetragen. Bei den Letztgenannten ist das Ich der Stärkere geblieben. 
Es hat aber diesen Triumph mit der gleichen Einbusse bezahlen müssen, 
die ihm bei den anderen Typen die Niederlage gebracht hat. Hier wie dort 
ist das Ich in seinen Funktionen beeinträchtigt worden. 

In dem Fall eines jungen Mädchens von guter Intelligenz, das an Arbeitshem* 
mung litt, bekam ich einen starken Eindruck von der Bedeutung dieses Zusam* 
menhanges. Sie hatte nach ihrer Erinnerung Zeit ihres Lebens nicht masturbiert. 
Die Analyse deckte dann eine intensive, leidenschaftliche Masturbationsperiode 
bis zum siebenten Lebensjahr auf, die mit einer vollständigen, ohne fremde Hilfe 
durchgeführten Unterdrückung der Onanie endete. Die stolze Befriedigung über 
diese Leistung wurde durch eine quälende Arbeitshemmung in späteren Jahren 
zunichte gemacht. Eine lange und mühsame Analyse brachte nur geringe Abhilfe, 
bis die Patientin nach der Aufdeckung bestimmter Zusammenhänge, auf die ich 
später zurückkomme, einmal dazu kam, die Onanie wieder aufzunehmen. Erst 
dann trat eine bedeutende Befreiung ihrer Kräfte und ein Verschwinden der 
Störung ein. Über die Ursachen, die zu jener kraftvollen Unterdrückung der 
Onanie führten, möchte ich erst später berichten. 



200 Jeanne Lampl'de Groot 



Ich will nun ein vorläufiges Ergebnis folgendermaßen zusammenfassen: 
Funktionsstörungen des Ichs (wie etwa die Arbeitshemmung) können sowohl 
Folge eines mißlungenen Kampfes gegen die Onanie, als auch Folge ihrer 
gelungenen Unterdrückung sein. Oder mit anderen Worten: Der Kampf 
zwischen Ich und Es um die masturbatorische Abfuhr der libidinösen Span* 
nungen kann sowohl, wenn er zum Sieg, als auch, wenn er zur Niederlage des 
Ichs führt, mit dem gleichen Zustand im Ich enden. Dies entspricht dem 
eingangs erwähnten allgemeinen Satz: Entgegengesetzte Abläufe eines seeli* 
schien Prozesses können zum gleichen Endresultat im Ich führen. 

II. Folgen der Befriedigung und der Versagung von Liebes* 

forderungen. 

Allgemeiner bekannt ist die Tatsache, daß die entgegengesetzten Schicksale 
der libidinösen Ansprüche des kleinen Kindes an das Objekt zum gleichen 
Zustand im Ich führen können. 

Das kleine Kind etwa, das eine äußerst strenge Reinlichkeitserziehung 
erhält, dessen anale, libidinöse wie aggressive Triebregungen also kaum je 
zur Befriedigung gelangen können, erleidet eine Störung in seiner Entwick* 
lung. Das Ich kann die Triebansprüche nicht genügend bewältigen, und das 
Kind erkrankt an einer Neurose. Aber auch das Kind, das einer maßlosen 
Verwöhnung ausgesetzt ist, jeden Wunsch nach Zärtlichkeit befriedigt be* 
kommt, seine aggressiven Wünsche weitgehend ausleben kann, ist der Ge* 
fahr der Neurose ebenso ausgeliefert. Beide Zustände, Übersättigung des 
Triebbedürfnisses sowohl wie dessen übermäßige Unterdrückung, können 
zu derselben Störung im Ich führen, das sich dann die neurotische Störung 
gefallen lassen muß. 

Also auch hier führen entgegengesetzte Ausgänge von Triebforderungen 
zum gleichen Endresultat. 

Man darf aber einen Unterschied zwischen den beiden angeführten Bei* 
spielen nicht unerwähnt lassen. Bei der Patientin, die an Arbeitshemmung 
litt, erfolgte der Verzicht auf die Masturbation von innen aus, ohne fremde 
Hilfe. Im zweiten Beispiel beruht die Triebunterdrückung auf einer Er* 
ziehungsmaßnahme, also auf einem Einfluß von außen. Dieser Einwand wird 
aber wieder abgeschwächt durch die Überlegung, daß die Neurose des 
streng zur Reinlichkeit erzogenen Kindes gewöhnlich erst in einem Alter 
auftritt, da die Gebote und Verbote bereits verinnerlicht sind und also dieur* 
sprünglich von außen kommende Unterdrückung der analen Begierden schon 
vom Ich und Ueber*Ich vorgenommen wird. Anderseits spielen bei der Un* 
terdrückung der Masturbation, auch' wenn sie ohne fremde Hilfe geschieht, 
Erlebnisse aus der Vergangenheit, die im Sinne eines Onanieverbotes auf* 
gefaßt werden, immer eine Rolle. 



Hemmung und Narzißmus 



201 



Die oben erwähnte Patientin, die ihren Onaniekampf allein siegreich beendete, 
hatte nie direkte Verbote erhalten. Sie erinnerte sich aber, daß sie als ganz kleines 
Kind von der Mutter in einer Hemdhose schlafen gelegt wurde. Obgleich sie sich 
zu jener Zeit in keiner Weise von ihrer Onanie hatte abbringen lassen, zeigte die 
Analyse, daß die Patientin in der Periode des Abgewöhnungskampfes diese 
Maßnahme der Mutter nachträglich als ein Onanieverbot auffaßte. 

Es bleibt aber die Tatsache, ob der entscheidende Abgewöhnungskampf 
mit oder ohne Hilfe stattfindet, doch von großer Bedeutung für die weitere 
Ich*Enrwicklung. Sie wird auch bei unserem später vorzunehmenden Er* 
klärungsversuch weitere Beachtung beanspruchen. 

Wir wollen nun noch eine andere Funktionseinschränkung des Ichs näher 
betrachten. 



III. Potenzstörung als Hemmung bei verschiedenartigen 
Abläufen triebhafter Regungen. 

Ein 30jähriger junger Mann, der seit etwa 10 Jahren an Impotenz litt (er war 
kurze Zeit potent gewesen), mußte zwangsmäßig perverse Beziehungen zu Dirnen 
von besonders männlichem Typus eingehen. Seine Haltung diesen Frauen gegen* 
über war weich, liebevoll, hingebend, aber auch verzweifelt. Die Analyse ergab, 
daß die Kastrationsangst, die sich hinter seiner Impotenz versteckte und die ihm 
nur onanistische und perverse Befriedigung erlaubte, eigentlich eine Vergeltungs* 
angst war. Bei jedem Beisammensein wurden unbewußt heftige Aggressionen 
gegen die Frau mobilisiert und der Patient fürchtete, als Strafe dafür im Koitus 
kastriert zu werden. Die Vorgeschichte dieser aggressiven Tendenzen war in 
seiner frühen Kindheit zu suchen, wo sie den Eltern und der besonders strengen 
Erziehung gegolten hatten. 

Die Wutanfälle, die der kleine Knabe öfters bekam, gewannen allmählich 
gleichzeitig die Bedeutung einer Liebesszene, also einer Abfuhr seiner libidinösen 
Triebwünsche. Die Unterdrückung der Wut wurde dann mit dem Verzicht auf die 
Befriedigung dieser sexuellen Wünsche identisch. Natürlich spielte später die 
passiv*homosexuelle Einstellung eine wichtige Rolle, deren Stärke ebenfalls eine 
Folgeerscheinung der Kastrationsangst war. 

Aber die gelungene Unterdrückung der miteinander verlöteten aggressiven 
und sexuellen Triebregungen hat das Ich mit einer Funktionsstörung im Sexual* 
leben bezahlen müssen. Nachdem diese Zusammenhänge dem Patienten klar ge* 
worden waren, äußerte er wiederholt die Ansicht, er würde potent sein können, 
wenn es ihm gelänge, einer Frau gegenüber einmal recht energisch oder gar 
gewalttätig aufzutreten. In einer bestimmten Phase der Behandlung ergab sich 
einmal plötzlich eine solche Situation. Eines Abends versetzte das aufreizende 
Verhalten seiner Freundin den Patienten in eine heftige Wut, die er sich diesmal 
auszuleben erlaubte. Er bekam einen Zornanfall, tobte und wurde handgreiflich. 
Nachher hatte er ein starkes Gefühl der Erleichterung und der Befreiung, er war 
stolz und zufrieden und überzeugt von seiner männlichen Potenz. Er'machtei 
einen Koitusversuch, war jedoch zu seinem Staunen und Entsetzen impotent 
wie bisher. 

Wir verstehen, daß auch der andere Ablauf, das Ausleben der aggressiv* 
sexuellen Regungen nicht ohne Beeinträchtigung der Funktion ertragen 



202 Jeanne Lampl«de Groot 



wurde. Erst ein langsames Aufarbeiten des analytischen Materials ermöglichte 
eine Art Regulierung der Triebabfuhr und brachte dem schwerneurotischen 
Patienten allmählich zumindest zeitweise und unter bestimmten, uns hier 
nicht weiter interessierenden Bedingungen seine Potenz zurück. 

Auch hier sehen wir, daß die entgegengesetzten Triebabläufe, diesmal bei 
demselben Individuum, zur gleichen Funktionsstörung führen können. 

IV. Erklärungsversuche. 
a) Quantitätsproblem. 

Wir wollen nun versuchen, ob wir durch Vergleich der Übereinstimmung 
gen und der Verschiedenheiten der angeführten Beispiele etwas Näheres 
über die Art dieser Abläufe erfahren können. 

Es wird uns hier die Tatsache nicht weiter beschäftigen, daß wir das eine 
Mal eine Funktionseinschränkung des Ichs (Arbeitshemmung, Potenzstö* 
rung), das andere Mal eine neurotische Störung der Persönlichkeit als End* 
resultat im Ich beschrieben haben; auch die Neurose fängt mit einer Ein* 
schränkung der normalen Ich*Fähigkeit an, indem das Ich zur Verdrängung 
einer Triebregung oder zu sonstigen Abwehrmaßnahmen gezwungen wird. 
Anderseits kann auch eine Hemmung zum Symptom werden. Für unser 
Studium bleibt es zunächst gleichgültig, ob es bei einer bloßen Beeintrjäch* 
tigung des Ichs bleibt, oder ob der weiter fortschreitende Prozeß der Kom* 
promißbildung zwischen Ich und Es in Form neurotischer Symptome dazu* 
kommt. Sehen wir uns nun unsere Frage noch einmal näher an. 

Der ungehinderte Ablauf von Triebregungen kann eine Störung im Ich 
hervorrufen, die gleiche Störung kann Folge der Verhinderung der Trieb* 
abfuhr sein. Mit anderen Worten: Man gewinnt den Eindruck, daß es einen 
Zustand geben müsse, der eine optimale Wirkung der Triebregung auf dasi 
Ich darstellt. Unwillkürlich drängt sich der Vergleich mit der Wirkung be* 
stimmter Pharmaka auf den Körper auf. Wir wissen, daß mancher Stoff in 
kleiner Dosis anregend, fördernd auf bestimmte Körperfunktionen wirkt, 
während größere Quantitäten desselben Stoffes zu einer Lähmung, ja zu 
einem völligen Stillstand derselben Funktionen führen können. Es scheint 
sich auch bei unserer Problemstellung des seelischen Geschehens um eine 
Quantitäts*, eine Intensitätsfrage zu handeln. Für die Funktionsfähigkeit des 
Ich ist es entscheidend, welche Intensität einer Triebregung zur Befriedigung 
gelangt. 

Diese zur Abfuhr kommende Intensität ist ihrerseits wieder von verschie* 
denen Faktoren abhängig, erstens von der absoluten Intensität des Triebs, 
zweitens von den realen Möglichkeiten, die zur Unterbringung dieser Inten* 
sitäten gegeben sind. Letztere werden von mehreren Momenten bestimmt. 
Die Situation in der Außenwelt sowohl wie die innere Gestaltung der Per* 



Hemmung und Narzißmus 203 



sönlichkeit, also die relative Stärke, resp. Schwäche des Ichs und des Über* 
Ichs gegenüber dem Triebanspruch sind hier die ausschlaggebenden Faktoren; 
es handelt sich also letzten Endes um Quantitätsfragen, allerdings auch rela*' 
tiyer Natur. Mir scheint, daß sich hier ein weites, interessantes und höchst 
wichtiges Forschungsgebiet eröffnet. Dem Quantitäten*Problem dürfte eine 
überragende Rolle in dem Verständnis von seelischen Abläufen zukommen. 2 
Leider bringt uns diese Erkenntnis vorläufig nicht viel weiter/Solange 
uns keinerlei Mittel, die Triebintensitäten zu bestimmen, zur Verfügung 
steht 3 , können wir mit dieser Erkenntnis nicht viel anfangen. Es bleibt uns, 
bloß die Möglichkeit der Beschreibung der Vorgänge und einer Schlußfolge* 
rung über das Verhältnis der verschiedenen Kräfte zueinander post factum. 
Wir empfinden es in der analytischen Arbeit immer als störend, daß uns 
die Bestimmung der Intensitäten, auch der relativen, unmöglich ist und wir 
nur mit ganz unzulänglichen Eindrücken und Schätzungen arbeiten können. 
Die Erkenntnis, daß die abundante masturbatorische Triebabf uhr „toxisch" 
auf die Ich*Funktionen wirken und zur Arbeitshemmung führen kann, gibt 
uns, wie wir gesehen haben, noch gar keine Berechtigung zu erwarten, daß 
eine solche Hemmung fehlen müsse, wenn keine Onanie betrieben wird. 
Auch ein Zuviel an Beherrschung oder Unterdrückung des Triebanspruchs 
kann denselben lähmenden Einfluß auf die Ichfähigkeiten ausüben, wie uns 
das oben angeführte Beispiel der an Arbeitshemmung leidenden Patientin 
bewiesen hat. Die Bestimmung, wo und wann und bei welchen Intensität»« 
Verhältnissen zwischen Triebansprüchen und Ichforderungen ein Optimum 
an Leistungsfähigkeit und Freiheit des Ichs erreicht werden kann, ist uns 
vorderhand noch völlig unmöglich. Auch für das einzelne Individuum gut 
dasselbe. Bei unsrem an Impotenz leidenden Patienten sahen wir, daß so* 
wohl die starke Unterdrückung als auch die später erfolgte reichliche Abfuhr 
seiner aggressiv*sexuellen Regung zur Potenzhemmung führte. Es war vorher 
unbestimmbar, welche Quantitäten zur Abfuhr gelangen müßten, um dem 
Ich die Verfügung über seine Potenz freizugeben. In der analytischen Arbeit, 
die sich letzten Endes diese Befreiung des Ichs zum Ziele setzt, bekommt 
man ungemein häufig den Eindruck, daß die Bewältigung triebhafter Pro* 
zesse, die dem Bewußtsein bereits voll zugänglich sind, lediglich eine Frage 
der Intensität, der Relation zwischen Triebstärke und Ichstärke ist. Außer 
für die analytische Praxis ist dieser Gesichtspunkt von großer Bedeutung 
für das Studium der Entwicklung des Kindes und die sich daraus ergebenden 
Gesichtspunkte für die Erziehung. 

2) In einer vorläufigen Mitteiljung in Band XXI der Int. Ztschr. f. Psa. entwickelt 
L. fcidelberg einige interessante theoretische Überlegungen über „Das Problem 
der Quantität in der Neurosenlehre", welche jedoch die von mir behandelten Fragestel* 
lungen kaum berühren. 

3) Ein interessanter Versuch Bernfelds zur Ausarbeitung einer Libidometrie hat 
vorläufig noch keine für uns verwendbaren Resultate gebracht. 



204 Jeanne Lampl>de Grooi 



Bereits vor Jahrzehnten machte Freud* darauf aufmerksam, daß zu 
starke Verwöhnung zur Neurosenbildung führen könne, obwohl eines der 
frühesten Ergebnisse der Psychoanalyse gerade gezeigt habe, daß Verdrän* 
gung und Unterdrückung von Triebregungen Ursache der Neurosen sind. 
Es war dann AnnaFreud, die zuerst mit großem Nachdruck vor der Gefahr 
warnte, aus diesen letzteren Ergebnissen für die psychoanalytische Pädagogik 
den Schluß ziehen zu wollen, daß man durch Vermeidung von Verboten und 
Geboten, die zur Triebeinschränkung führen, ein Kind vor Entwicklungs* 
Störungen behüten könne. Sie zeigte, daß zuviel Gewährenlassen bedenkliche 
neurotische oder CharakteroStörungen im Kinde hervorrufen kann. Die ana* 
lyrische Pädagogik mußte sich also auf ein Kompromiß einstellen und den Er* 
ziehern den Rat erteilen, den Mittelweg zwischen Gewährenlassen und Vec 
sagen einzuhalten. Dabei stößt sie aber auf dieselbe Schranke, die wir, wig 
oben ausgeführt, auch in der analytischen Praxis als so störend empfinden, 
nämlich auf unsre Unfähigkeit, Quantitäten im Psychischen zu messen. Es 
ist auch bei der Erziehung niemals möglich, die Intensität der Triebregung, 
die man zur Befriedigung zulassen oder die man von ihr ausschließen will, 
zu bestimmen, so daß man die Wirkung der einen oder der anderen er* 
zieherischen Maßnahme auf das Ich nicht genügend voraussehen kann. Erst 
das Resultat nach' dem abgelaufenen Prozeß lehrt uns einiges über diese 
Verhältnisse. Die theoretisch sehr schöne und richtige Formulierung Robert 
Wälders 5 , die Erziehung müsse „ein Maximum an Liebe und ein Ma* 
ximum an Belastung des kindlichen Ichs" zum Leitsatz nehmen, verliert 
durch obige Erkenntnis gleichfalls bedeutend an praktischem Wert. Wie 
läßt sich bestimmen, was beim einzelnen Kind das Maximum an Liebe ist, 
das es schadlos erträgt, welche Belastung an Versagungen können wir jeweils 
dem kindlichen Ich zutrauen, ohne es Schädigungen auszusetzen? Wir wissen 
es nie vorher, und jeder, der sich praktisch mit Kindererziehung befaßt, 
weiß, wie groß die Schwierigkeiten sind und wie oft die Erwartungen sich 
nachträglich als unrichtig erweisen. 

Ich möchte nun unsre bisherigen Ueberlegungen zusammenfassen. 

Die analytische Erfahrung lehrt uns, daß die Intensität eines Triebablaufs 
für die Wirkung dieser Triebregung auf die Ichfähigkeiten von hoher Be* 
deutung ist. Man gewinnt den Eindruck, daß es eine von uns noch nicht be* 
stimmbare Intensität (Quantität) gibt, die eine optimale Wirkung auf das 
Ich' ausübt; ein Mehr und ein Weniger wirken sich in Störungen oder Läh* 
mungen des Ichs aus. 

Eine nächste Überlegung lehrt, wie oben bereits erwähnt, daß es sich 
hierbei selten um absolute, öfters um relative Quantitäten handelt, d. h. für 
ein bestimmtes Ich ist das Verhältnis seiner eigenen Stärke zur Intensität des 

4) F r e u d : Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Ges. Sehr., Bd. V. 

5) Vorgetragen auf der „Vierländextagung" in Wien, Pfingsten 1935. 



Hemmung und Narzißmus 



205 



Triebvorgangs maßgebend. Man darf bei dieser Ueberlegung nicht vergessen, 
daß die Begriffe „Stärke" und „Schwäche" des Ichs natürlich ebenfalls nicht 
meßbare Größen sind und nur als Relation zu den Einflüssen von anderen 
Instanzen sinnvoll werden. Das „Weniger" der Triebintensität, wovon eben 
die Rede war, setzt nicht immer eine absolute Triebschwäche voraus, sondern 
kann bedeuten, daß nur eine geringe Quantität der Triebregung zur Abfuhr 
kommt. In dem oben angeführten Fall des jungen Mädchens mit der Arbeits* 
hemmung ist das Ich in gewisser Hinsicht stärker als das Es, da es ihm gelingt, 
die Triebabfuhr zu hemmen, die dazu nötige Verdrängung zu leisten. Das 
Ich zeigt aber seine relative Schwäche dem Es gegenüber darin, daß es sich 
die Arbeitshemmung gefallen lassen muß. Es ist ohne weiteres ersichtlich, 
daß in dem anderen Fall, in dem der abundanten Onanie, die Unfähigkeit der 
Beherrschung der Triebregung von vornherein eine relative Ichschwäche im 
Verhältnis zur Triebintensität voraussetzt. 

Ein anderes Problem, das uns allerdings auf ein Nebengeleise führt, möchte 

ich hier kurz erwähnen. Man kann sich die Frage vorhalten: Wie benimmt 

sich ein bereits geformtes Ich gegenüber einer absoluten Steigerung der bis» 

her bestehenden Triebintensität? Solche absolute Triebsteigerungen scheinen 

in bestimmten Lebensperioden normaliter einzutreten, z. B. in der Pubertät, in 

der Menopause, vielleicht auch in anderen Lebensabschnitten unter dem Ein* 

fluß körperlicher Prozesse oder bestimmter pharmakologischer Wirkungen. 

Über all diese Fragen ist noch so gut wie nichts bekannt, so daß man nur 

auf Vermutungen angewiesen ist. Am besten gesichert scheint wohl die An* 

nähme, daß die absolute Steigerung der Triebintensität in Pubertät und Me* 

nopause zu besonderen Veränderungen im Ich Anlaß gibt. Anna Freud 

machte kürzlich auf bestimmte Haltungen des Pubertierenden, z. B. ein 

Schwanken zwischen völliger Askese (nicht nur dem Sexualleben, sondern 

fast sämtlichen Lebensgenüssen gegenüber) und unbändiger Genußsucht auf* 

merksam, dk sie durch diese Intensitätssteigerungen der Triebe erklären will. 

Auch die Menopause zeigt eine Intensivierung des Trieblebens, die zu einem 

veränderten, unbeherrschteren Benehmen des gesunden Menschen führen 

kann. 6 Daß diese Lebensabschnitte besonders zum Ausbruch von Neurosen 

und Psychosen und zur Verschlimmerung bereits bestehender seelischer 

Krankheiten prädisponieren, dürfte durch diese erhöhten Triebansprüche ver* 

ursacht werden. Das Ich muß diesen gegenüber entweder mit einer größeren 

Nachgiebigkeit, sei es auch um den Preis von Verschrobenheiten, oder mit 

einer Verstärkung der Verdrängung, die einen Krankheitsschub zur Folge 

haben kann, reagieren. Der Gesichtspunkt der Triebquantität scheint mir 

vor allem auch von Bedeutung für die Erklärung kleiner psychotischer 

Schübe, die sich unter Umständen aus der „Gesundheit" heraus oder auf 

6) Siehe auch Helene Deutsch: Psychoanalyse der weiblichen Sexualfunktionen. 
Int. Psa. Verl., Wien, 1925. 



206 Jeanne Lampl«de Groot 



dem Boden einer Neurose ohne äußeren Anlaß entwickeln können. Dem 
Analytiker sind Fälle bekannt, bei denen nach langer Analyse unvermutet 
ein psychotischer Mechanismus, der bisher nicht in Funktion trat, zum Vor* 
schein kommt. Nach meiner Erfahrung sind es vor allem paranoide Media* 
nismen, denen man da plötzlich' begegnet. Man bekommt dann den Eindruck, 
daß die durch' die analytische Arbeit hervorgerufene Lockerung der Ver* 
drängung eine Triebintensität frei macht, die vom Ich im Augenblick nicht 
bewältigt werden kann, während auch der alte Weg der Verdrängung nicht 
mehr gangbar ist. Das Ich wird von Triebansprüchen gleichsam über*, 
schwemmt und kann sich nur durch eine neue Taktik, nämlich durch 
eine Wendung gegen die Außenwelt helfen. Es fängt an, die Außen* 
weit umzudeuten — etwa durch den Projektionsmechanismus, wie es bei 
der Paranoia der Fall ist — und entwickelt einen psychotischen Schub. 
Insoweit dieser Vorgang nur die Folge einer schnellen und intensiven ana* 
lyrischen Einwirkung ist, darf man erwarten, daß er nur von kurzer Dauelr 
ist und sich nicht weit von der analytischen Situation entfernt. In einem 
solchen Fall denken wir nicht daran, von einer Psychose im klinischen Sinne 
zu sprechen. 

Ich konnte aber einmal bei einer 50jährigen Frau, die an einer hysterischen 
Neurose litt, die Beobachtung machen, daß ein solcher paranoider Schub, der 
nach einer zweijährigen Analyse ziemlich plötzlich ohne äußere Veranlassung 
auftrat, sich bedeutend über die übliche Dauer hinaus ausdehnte. Die erotische 
Wahnbildung der Patientin ließ sich auch nicht vollkommen auf die Situation 
der Analyse einschränken und wurde in der weiter fortgesetzten und von Zeit 
zu Zeit immer wieder neu aufgenommenen Behandlung nicht ganz bewältigt; sie 
blieb im Keim bestehen und flackerte ab und zu wieder auf, obwohl es nie zu 
ernsten Konflikten mit der Außenwelt kam und die Patientin sich in der Ge* 
Seilschaft behaupten konnte. 

Ich meine nun, daß man in diesem Fall an eine durch die Menopause her* 
vorgerufene absolute Triebsteigerung denken muß, die das Ich überwältigt und 
die alten Mechanismen der gesunden Bewältigung und die der neurotischen 
Verdrängung unzureichend machte. In solchen Fällen scheint die Analyse man* 
ches abfangen und mildernd wirken zu können, auch wenn sie nicht zu heilen 
imstande ist. Leider war ich infolge äußerer Umstände dann nicht mehr in der 
Lage, das weitere Schicksal meiner Patientin zu verfolgen. So kann ich nichts 
darüber aussagen, ob das Abklingen der Menopause eine Aenderung in ihrem 
psychischen Zustand mit sich brachte oder nicht. Ob man auch bei Psychosen, 
die außerhalb der großen Lebensabschnitte der physiologischen Steigerung 
des Trieblebens ausbrechen, an eine solche Zunahme der Triebintensität, 
etwa durch somatische Vorgänge, denken darf, läßt sich vorderhand wohl 
noch nicht sagen, aber vielleicht ist ein solcher Gedanke nicht ohne weiteres; 
von der Hand zu weisen. Ueber den Einfluß pharmakologischer Stoffe auf 
das Seelenleben, die neben Süchtigkeit auch psychotische Zustände hervor* 



Hemmung und Narzißmus 



207 



rufen können, haben Rado und Simmel viel Wichtiges und Aufklärendes 
mitgeteilt. Das Problem der eventuellen Triebsteigerung durch' diese Stoffe 
und eine „toxische" Wirkung auf das Ich wird bei beiden Autoren nicht 
berührt. 

Ich kehre nun zu unsrem eigentlichen Thema zurück und wiederhole noch 
einmal unsre Annahme, daß es bei einem Triebablauf eine bestimmte Trieb- 
quantität geben müsse, die, wenn zur Befriedigung zugelassen, eine optimale 
Wirkung auf das Ich ausübe, während ein Mehr und ein Weniger zur Funk- 
tionsstörung des Ichs führen müssen. Dabei vergessen wir nicht, daß uns die 
Möglichkeit zur Bestimmung solcher Triebquantitäten vorderhand fehlt. 

b) Topische Gesichtspunkte. 
Wir wollen nun versuchen, noch einmal zusammenzutragen, was uns zur 
Erklärung unserer Beobachtungen und damit auch zur Begründung unsrer 
Annahme zur Verfügung steht. 

Dazu greifen wir vorerst auf unsre Ausführungen über die Beziehung der 
Masturbation zur Arbeitshemmung zurück. Wie schon erwähnt, erscheint 
es uns verstandlich, daß jemandem, der an abundanter Onanie leidet, der 
den größten Teü des Tages mit der Masturbation verbringt, keine oder nur 
ungenügende Libido für irgendeine andere Tätigkeit zur Verfügung steht. 
Dieses Bdd der Ichlähmung wird nicht viel geändert, wenn der mastur- 
batonsche Akt durch bewußte oder unbewußte Phantasien ersetzt wird. Zu 
dieser einfachen Erklärung gesellt sich noch eine zweite allgemein gültige, 
die uns auch' die fürs Ich lähmende Wirkung der Verwöhnung erklärt: Eine 
Übersättigung der libidmösen Wünsche nimmt dem Ich jeden Antrieb zur 
Leistung. Freud führte wiederholt aus, daß das Ich den Antrieb zur höheren 
kulturellen Arbeitsleistung durch eine Spannung bekommt, die infolge der 
nicht vollbefnedigten libidinösen Wünsche entsteht. Bei Übersättigung fehlt 
diese Spannung, somit der Antrieb zur Arbeit. Bei der Verwöhnung des 
Kindes kommt noch folgendes hinzu: Das Ich bleibt an diese bestimmte 
übersättigende Befriedigungsart fixiert, ihm fehlt die Notwendigkeit zur 
Weiterentwicklung, eine später einmal sicher auftretende Versagung trifft ein 
unvorbereitetes Ich' und versetzt es in eine angsterweckende Gefahrsituation, 
die dann wieder zu Hemmung und Neurose führen kann. 

Im Falle der bereits zum Symptom gewordenen übermäßigen Masturba- 
tion die vom Ich oder Über-Ich nicht mehr sanktioniert wird, kann die 
Funktionshemmung durch Angst und Selbstbestrafungtendenzen sekundär 
verstärkt werden. Diese nachträgliche Strafwirkung tritt natürlich auch in 
Wirkung wenn die Person mehr Aggressionen ausgelebt hat, als das Über- 
ich erlaubt. 

In „Hemmung, Symptom und Angst" gibt Freud einige Erklärungen 



Jeanne Lamphde Groot 



für Funktionshemmungen, die sich als Folgen der Unterdrückung von 
Triebvorgängen entwickelt haben. Einige von ihnen sind identisch mit den 
oben erwähnten, was vielleicht zunächst Erstaunen erwecken könnte. Bei 
näherer Betrachtung wird diese Gleichheit aber leicht verständlich, z. B. dort, 
wo die zur Hemmung führende Triebunterdrückung weitgehend unter dem 
Einfluß des Überolch's vorgenommen wurde. Eine Hemmung kann sowohl 
die Strafe für die doch zur Ausführung gelangte verbotene Masturbation. 
als auch für die ursprünglich gewünschte, aber verdrängte Triebbefriedigung 
sein. Mit anderen Worten: auch die auf die Verdrängung der Onanie 
erfolgte Hemmung kann Ausdruck einer Selbstbestrafung sein. Wir sehen 
nun unser Problem der Quantitäten plötzlich um eine Determinante kom* 
plizierter. Bisher haben wir die relative Triebintensität, also die Triebstärke 
im Verhältnis zur Ichstärke, resp. »«schwäche betrachtet. Es ist nun auch das 
Kräfteverhältnis zwischen Ich und Übersieh auf einmal in den Vordergrund 
getreten. Auch' wenn das Ich dem Trieb (Es) gegenüber relativ stark ist und 
die Verdrängung zustande bringt, kann eine relative Schwäche gegenüber 
dem Übersieh' das Ich trotzdem zum Verzicht auf die Funktion zwingen. 
Wie Freud es ausdrückt: „Das Ich verzichtet auf diese Leistungen, um 
nicht in Konflikt mit dem Übersieh zu geraten", so wie es in dem Fall, wo 
die Funktion erotisiert war, also zum Vertreter einer verpönten Triebregung 
wurde, auf die Leistung „verzichtet, um nicht eine neuerliche Verdrängung 
vornehmen zu müssen, um einem Konflikt mit dem Es auszuweichen". 7 Die 
Komplizierung der Situation durch die Einbeziehung der Kräfte des Üben*Ichs 
wird aber zum Teil wieder durch die Überlegung aufgehoben, daß letzteres 
seine Strenge, seine Intensität vom Es her bezieht und also in dem 1 Ausmaß 
der Knebelung des Ichs doch wieder von der Triebintensität abhängig ist. 
Kurz zusammengefaßt: Die relativ große Triebintensität (oder die relative 
Ichschwäche) kann die Funktionen des Ichs hemmen; der Weg, auf dem das 
geschieht, ist vom topischen Angriffspunkt abhängig. Siegt das Es auf direkt 
tem Weg über das Ich, dann wird man ein „Zuviel" an Triebabfuhr wahr* 
nehmen, geht der Prozeß den Umweg über das Übersieh, dann ist ein „Zu* 
viel" an Verdrängung der Triebregung zu beobachten. Diese besonders 
starke Abhängigkeit vom Übersieh findet bekanntlich ihre Vorgeschichte 
in einer intensiven kindlichen Abhängigkeit von den Außenweltobjekten, 
resp. von deren Liebe. Welcher Weg gewählt wird, muß also durch die Eni* 
wicklung des kleinen Kindes mitbestimmt werden. Hierauf komme ich' später 
noch zurück. 

Ein zweiter von Freud erwähnter Mechanismus, der zu allgemeiner 
Hemmung führt, nämlich die Verarmung des Ichs an verfügbarer Energie, 
kann ebenfalls beide Wege gehlen: Zuviel Triebabfuhr — denken wir an 

7) Freud: Hemmung, Symptom und Angst. Ges. Sehr., Bd. XI. 






Hemmung und Narzißmus 209 



unsre Beispiele der abundanten Masturbation oder der Wutanfälle — läßt 
dem Ich zu wenig Energie für die Arbeitsleistung. Zu intensive Unter* 
drückung der Onanie oder der Aggressionen fordert auch vom Ich so viel 
Kraftaufwand, daß für andere Leistungen nichts mehr übrig bleibt. Auch 
hier brauchen wir zur Erklärung denselben topischen Gesichtspunkt. Der 
Ausgangspunkt des Angriffs gegen das Ich ist im einen Fall das Es, im 
anderen Fall das Übersieh. 

Bei unsren letzten Überlegungen haben wir vorausgesetzt, daß die Trieb* 
Verdrängung auf Geheiß des Über*Ichs (beim Kleinkind natürlich infolge von 
Geboten und Verboten der Außenwelt) erfolgt. Es ist gut bekannt, wie 
häufig wir uns in unsrer analytischen Arbeit von der Richtigkeit dieser An* 
nähme überzeugen können. Ich meine aber, wir haben es mit noch einer 
Komplikation zu tun. Nicht in allen Fällen, nicht zutiefst muß das Übersieh 
(oder seine Vorstufe, die Elterninstanz mit ihren Verboten) der Motor der 
Verdrängung sein. 

Um dies klar zu legen, greife ich auf Beobachtungen zurück, die ich bei der 
anfangs erwähnten, an Arbeitshemmung leidenden Patientin machen konnte Ich 
versprach gelegentlich der ersten Darstellung des Falles, auf die Ur* 
sachen zurückzukommen, die die Patientin in ihrem siebenten Lebens* 
jähr zum volligen Verzicht auf die Masturbation veranlaßten. Ich konnte 
nun folgendes darüber in Erfahrung bringen: Die Patientin erinnerte 
wu\?j ei Onanieverbote, auch die Analyse konnte keine solchen aufdecken. 
Wohl hatte die Haltung der Umgebung, die, wie üblich, alles Sexuelle geheim* 
nisvoll behandelte, dem kleinen Kinde gewiß den Eindruck vermittelt, die Onanie 
sei etwas Unerlaubtes. Auch das Bekleiden mit der Hemdhose wurde als Onanie* 
verbot aufgefaßt. Es wurde aber in der Analyse bald klar, daß diese milden „Ver* 
böte keineswegs ausreichend waren, um den verzweifelten Kampf, den das 
kleine Madchen längere Zeit hindurch gegen die Masturbation führte, 
zu erklaren. Nach Abbau der Schuldgefühle und der Angst vor dem „Verbot" 
blieb die Onaniehemmung noch ziemlich unverändert bestehen. Nach langer 
analytischer Arbeit schälte sich dann allmählich die wahre Ursache für diesen 
verzweifelten Kampf gegen die Onanie heraus. 

Es war dasselbe Motiv, das das kleine Mädchen dann endlich zu einem 
volligen, ohne fremde Hilfe errungenen Verzicht auf die Masturbation veran* 
laßt hatte und das von F r e u d in der Arbeit „Über die weibliche Sexualität" 
angegeben wird. Freud beschreibt es dort als die durch die Wahrnehmung 
des Penismangels entstandene Unzufriedenheit mit dem eigenen Genitale, 
die eine Entwertung der Funktion nach sich zieht. Diese innere Verfeindung 
mit dem Genitale wird zum Anlaß, die Betätigung an ihm aufzugeben. Tiefer* 
gehende Analysen bei weiblichen Patienten zeigen uns, wie ungemein häufig 
diese Unzufriedenheit der tiefste Grund für die Unterdrückung Ides 
Triebablaufs im onanistischen Akt ist. Auch dort, wo, im Gegensatz zum 
oben angeführten Fall, strenge Verbote und Drohungen zu mächtigen Angst* 
und Schuldgefühlen und durch diese zu Unterdrückung der Onanie geführt 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXU/2 w 



210 Jeanne Lampl'de Groot 

haben, findet man öfters, gleichsam als Unterlage, außer diesen Anlässen 
doch noch jene Kränkung über die „Minderwertigkeit" der Klitoris als weitaus 
gewichtigeren Grund zur Unterdrückung der Masturbation. Ja, eigentlich be* 
kommt man den Eindruck, daß eine besonders intensive Kränkung über die 
eigene Unzulänglichkeit den Angst« und Schuldgefühlen geradezu den Weg 
ebnet. 8 Das kleine Mädchen benimmt sich dann (ich zitiere eine Aussage 
Freuds) etwa so wie die Ehefrau, die, ihrem Manne untreu, unbeschwert 
und schuldfrei ihr Glück mit dem Geliebten genießt, so lange dieses Glück 
ungetrübt ist; sobald aber eine Enttäuschung in der Beziehung eintritt, von 
den heftigsten Schuldgefühlen geplagt wird. Die Klinik lehrt uns nun noch 
einen wichtigen Zusammenhang. Dort, wo die Funktionshemmung des Ichs 
die Folge der Unterdrückung der Masturbation aus Gründen der Enttäu* 
schüng über die eigene Unzulänglichkeit ist, scheint diese Hemmung viel 
intensiver und hartnäckiger, viel schwerer behebbar zu sein als in den Fällen, 
wo Über*lch*Forderungen zum Verzicht auf die Onanie gezwungen haben. 
Im letzteren Fall kann die Analyse durch Aufheben der Verdrängungen und 
eventuelle Milderung der Strenge des ÜbersJchs häufig verhältnismäßig 
rasch einen therapeutischen Erfolg erreichen. 

Bei der oben erwähnten Patientin konnte die Analyse zwar auch Angst* und 
Schuldgefühle abbauen und Verdrängungen beseitigen, die Arbeitshemmung 
schien aber zunächst jeder therapeutischen Bemühung zu trotzen. Es gelang dann 
erst nach vieljähriger Arbeit, den wahren Grund des Verzichtes auf die Mastur* 
bation, die Unzufriedenheit mit der Klitoris, bewußt zu machen; auch die Um» 
stände, unter denen diese Unzufriedenheit wirksam geworden war, wurden dann 
ans Licht gebracht. Das kleine Mädchen hatte einen Spielkameraden, den sie sehr 
intensiv um seinen Penis beneidete, den sie aber bei einem Verführungsversuch 
zurückwies. Als sie dann mitansehen mußte, wie andere kleine Mädchen dem 
Knaben sexuelle Angriffe erlaubten, bekam sie Reue und warb nun ihrerseits 
um seine Gunst. Aber nun verschmähte der Knabe sie, und Eifersucht und Kran* 
kung warfen sie in eine Periode intensiver, trotziger und auflehnender Masturba* 
tion zurück. Dieser Onanieperiode wurde dann ein Ende bereitet durch den Neid 
auf den Knaben, dem sie es ihrem Gefühl nach doch nicht gleich tun konnte, und 
sie verzichtete auf die genitale Betätigung aus eigenem Antrieb ohne Hilfe von 
außen. Im Unbewußten hieß es aber weiter: „Du kannst nicht onanieren, weil 
du keinen Penis hast wie dieser Knabe", was später ersetzt wurde durch den 
Satz : „Du kannst nicht arbeiten, weil du nicht das richtige Organ besitzest." Diese 

8) Einer mündlichen Anregung Freuds folgend, möchte ich hier auf die Bedeutung 
einer ungemein häufig auftretenden Phantasie hinweisen. Ich meine die Vorstellung des 
kleinen Mädchens: ich habe einmal einen Penis besessen, er ist mir ab(er als Strafe für 
die Onanie weggenommen worden. Es ist gut bekannt, daß diese Phantasie auch dort 
auftritt, wo keine direkten Kastrationsdrohungen erfolgten, und daß sie nach Abbau von. 
Angst und Schuldgefühlen in der Analyse noch lange und hartnäckig festgehalten werden 
kann. Die Erklärung dafür ist die, daß Angst und Schuld offenbar leichter zu ertragen 
sind als das Eingeständnis eigener, immer dagewesener Unzulänglichkeit. Die narzißtische 
Kränkung scheint schwerer bewältigbar zu sein als die Qual masochistischer Kastrations* 
Vorstellungen. Vielleicht eröffnet sich von hier aus ein Weg zum besseren Verständnis des 
noch immer ungeklärten Problems des Masochismus. 



Hemmung und Narzißmus 211 



Erkenntnis an sich genügte noch nicht, um die Arbeitshemmung der Patientin 
zu beseitigen. Sie mußte innerhalb der Analyse nach mehr als 20 Jahren die 
Masturbation wieder aufnehmen, obwohl das weibliche Liebesleben der Patientin 
nach einem Stück Analyse normal geworden war und sie im Sexualverkehr 
richtig empfand. Erst als es ihr gelang, durch die Masturbation ebenfalls einen 
vollen Orgasmus zu erreichen, fiel die innere Überzeugung „Du kannst nicht 
arbeiten, weil du keinen Penis hast und folglich nicht onanieren kannst" weg, 
und der Weg zur Arbeitsleistung war freigelegt. 

Es scheint aber, daß ein solcher Erfolg in manchen Fällen nicht erreichbar 
ist; die Verlörung der Funktionshemmung mit der Unzulänglichkeit der 
Genitalbetätigung bleibt dort unlösbar. Eine Beobachtung, die man bei diesen 
Fällen machen kann, scheint mir noch von Interesse zu sein. Die Reaktion 
des kleinen Mädchens auf ihre selbständig durchgeführte Onanieunter* 
drückung scheint regelmäßig die einer starken Entwicklung von Stolz zu 
sejn: „Ich habe diese großartige Leistung allein vollbracht". Dieser manchmal 
bis zur Überheblichkeit gesteigerte Stolz dient wohl zur Reparation, zur Ver* 
deckung der „Minderwertigkeit 4 ', und wechselt auch oft mit depressiv gefärb* 
ten Minderwertigkeitsgefühlen ab, wenn die Sicherung durch Überheblich* 
keit einen Bruch erleidet. Diese überhebliche Selbstzufriedenheit wird auch 
durch die spätere Arbeitshemmung wieder zunichte gemacht. 

Wir sehen also: Die zur Funktionsstörung des Ichs führende Triebunter* 
drückung erfolgt nicht immer auf Geheiß des Über*Ichs (oder der Außen* 
weltsforderungen), sondern kann unter bestimmten Umständen auch vom 
Ich ausgehen, und zwar dann, wenn der Triebablauf das Ich an eine Störung 
seiner libidinösen Besetzung, an eine Kränkung des Narzißmus, erinnern 
würde. Der topische Gesichtspunkt erweist sich hier also weiter als wichtig. 
Fassen wir nun zusammen: Freud gibt, wie bereits erwähnt, als Ursachen 
für das Entstehen von Hemmungen (das sind Funktionseinschränkungen 
des Ichs) zwei Gründe an: als ersten, allgemeinen, eine Energieverarmung 
des Ichs, als zweiten die Vorsicht des Ichs. Diese Vorsicht wendet das Ich 
dann an, wenn es einen Konflikt mit dem Es oder mit dem 
Über*Ich zu vermeiden wünscht. 9 Wir können nun hinzufügen: das 
Ich verwendet diese Verzichte außerdem, um sich der unliebsamen Er* 
kenntnis der eigenen Unzulänglichkeit, einer Störung seines narzißtischen 
Gleichgewichtes zu entziehen. Gerade im letzteren Fall scheint, wie die Er* 
fahrung uns lehrt, die Funktionseinschränkung sich besonders hartnäckig der 
therapeutischen Beeinflussung widersetzen zu wollen. 

V. Störungen des narzißtischen Gleichgewichts. 

Wir können nicht umhin, uns nun mit einigen Fragen zu befassen, die 
sich uns nach den vorangehenden Erörterungen aufdrängen müssen. Die fol* 

9) Freud: Hemmung, Symptom und Angst. Ges. Sehr., Bd. XL 



212 Jeanne Lamphde Grooi 



genschwere narzißtische Kränkung, die bei unserer Patientin zur Stillegung der 
kindlichen Masturbation und damit zur späteren Arbeitshemmung geführt 
hat, war die Entdeckung ihrer Penislosigkeit und die dadurch verursachte 
Entwertung ihrer damaligen Genitalbetätigung. Die uns interessierenden Pro* 
bleme müssen sich 1 nun erstens mit der Frage befassen: Ist dieses Ergebnis 
unserer Untersuchung nur ein individuelles Schicksal jener Patientin, oder 
darf man ihm eine allgemeine Bedeutung zumessen? Und zweitens: Findet 
man ähnliche Zusammenhänge zwischen narzißtischen Kränkungen und Funk» 
tionshemmungen auch bei Männern, und welcher Art sind diese Kränkungen? 
Zur ersten Frage möchte ich folgendes bemerken: 

Die tiefe Durchleuchtung der frühkindlichen Onanieperiode ist eine lang»« 
dauernde, mühsame und schwierige analytische Arbeit. Freud wies un*> 
längst darauf hin, wie wichtig die Einzelheiten dieses Kampfes zwischen den zur 
Onanie drängenden Trieben und den (wohl selten fehlenden) Abwehrkräften 
sind. Ob der Kampf Erfolg hat oder mißlingt, ob die Unterdrückung auf 
äußere Verbote oder aus inneren Gründen erfolgt, ob sie ganz ohne oder mit 
fremder Hilfe gelingt usw. — alle diese Details lassen ihre Spuren in der Ent* 
wicklung des Ichs zurück, sie geben eventuell neurotischen Äußerungen, vor 
allem aber Charakterbildungen ein bestimmtes Gepräge und können das 
spätere Liebesleben des Erwachsenen entscheidend beeinflussen. 

Es ist aber auf diesem Gebiet noch vieles unklar und ungesichert, gerade 
weil das genaue Studium dieser Einzelheiten zu den schwierigsten Aufgaben 
gehört. In mehreren Fällen konnte ich den Freudschen Fund, daß beim 
kleinen Mädchen der Verzicht auf die Onanie häufig die Folge ihrer Un* 
Zufriedenheit mit der Klitoris ist, bestätigen. Ich fand auch einige Male, daß 
eine solche Hemmung der Masturbation zur Ursache einer späteren Arbeits« 
hemmung wurde. Trotzdem sind diese Erfahrungen noch recht spärlich, und 
die folgenden, aus ihnen hergeleiteten Vermutungen und Schlußfolgerungen 
bedürfen gewiß noch der Nachprüfung, sollen also vorläufig bloß als An» 
regung aufgefaßt werden. 

Mein Eindruck geht nun dahin, daß man bei Frauen, bei denen (Arbeit 
und andere) Hemmungen so lange und energisch' der analytischen Beem* 
flussung trotzen, zutiefst immer eine solche tiefe Kränkung des Narzißmus 
durch die Entdeckung der Penislosigkeit annehmen darf. Man dürfte bei 
entsprechend langer und tiefgehender Analyse eine solche auch wohl immer 
finden können. Der Ausgang des Kampfes des Ichs mit diesen Antrieben, 
die es immer wieder an die Beschädigung seines Narzißmus erinnern, ent* 
scheidet über die Entwicklung der Persönlichkeit. Siegt das Ich (und zeigt es 
damit seine relative Stärke), dann gewinnt es einen höhen Grad von Selb« 
ständigkeit, Energie und Entwicklungsfähigkeit. Der Sieg bleibt unvollkonv 
men, wenn zwar die Unterdrückung der Triebforderungen gelingt, das Ich 
sich aber eine Schädigung seiner Funktionsfähigkeit gefallen lassen muß. 



Hemmung und Narzißmus 213 



Diese Hemmung kann auf bestimmte Gebiete (etwa Arbeit, späteres Sexual 
leben usw.) beschränkt bleiben oder sich auch nur periodisch bemerkbar 
machen. Im letzteren Falle wechseln im späteren Leben Zeitabschnitte von 
selbständiger Freiheit und Leistungsfähigkeit des Ichs mit Perioden von Stö* 
rung oder sogar Lähmung seiner Funktionen ab, die sich stimmungsgemäß 
unter dem Bilde der Depression äußern. 

Wo der einmal aufgenommene Kampf mit den triebhaften Versuchungen 
ganz mißlingt, ist eine große Abhängigkeit des Ichs vom Es auch für das 
spätere Leben zu erwarten. 

Es ist nur verständlich, daß der zweite Ausgang, der eine Kompromiß* 
bildung zwischen Ich und Es darstellt, recht häufig ist, vorausgesetzt na* 
türlich, daß ein starkes Triebleben und auch eine intensivere Aktivität (Mann* 
lichkeit) vorhanden sind. Natürlich spielen die äußeren Umstände, Verbote 
und Drohungen der Erziehungspersonen und dadurch geweckte Angst* und 
Schuldgefühle, wie oben bereits erwähnt, eine zusätzliche, uns seit langem 
gut bekannte Rolle, die in manchen Fällen vielleicht die praktisch gewich* 
tigere wird. Wie ich schon mitteilte, sind nach meiner Erfahrung die so ge* 
lagerten Fälle für die therapeutische Beeinflussung weitaus günstiger. 

Wenn wir nun annehmen, daß Störungen des Narzißmus beim kleinen 
Mädchen einen so großen Einfluß sowohl auf das Sexualleben als auch auf 
die Ichentwicklung ausüben, wenden wir uns unsrer zweiten Frage zu: Wie 
sind die Zusammenhänge zwischen Funktionshemmungen und narzißtischen 
Schädigungen beim Mann? 

Der Vergleich der Entwicklung bei Knaben und Mädchen hat uns manches 
über die menschlichen Ähnlichkeiten zwischen Mann und Frau, manches 
über die durch die Andersartigkeit der Geschlechter bedingten Verschieden* 
heiten zwischen beiden gelehrt. Die Hemmungen, denen wir in den Analysen 
männlicher Patienten begegnen, hängen natürlich ebenso wie die der Frauen 
mit der Entwicklung des Sexuallebens, also auch mit dem Schicksale der 
kindlichen Masturbation zusammen. Uns interessieren hier die Fälle, in denen 
es nicht die übermäßige Onanie, sondern deren starke Unterdrückung ist, 
die zur Hemmung geführt hat. Bei der vergleichenden Betrachtung dieser 
Fälle mit den weiblichen fällt uns zu allererst auf, daß sie an Häufigkeit 
zurückstehen. Es war eine sehr frühe Beobachtung Freuds, daß völlige 
Unterdrückung der Masturbation beim jungen Mädchen viel häufiger vor* 
kommt als beim Knaben in der Pubertätszeit. Der volle Verzicht auf die 
Onanie ist beim Knaben seltener, zumindest weniger intensiv und nicht so 
endgültig, als man es bei manchen kleinen Mädchen finden kann. Für den 
Knaben ist die gefürchtete Kastration — sei es, daß diese von außen 
angedroht, sei es, daß sie durch Beobachtung weiblicher Wesen erschlossen 
wurde — eine ihm real erscheinende Gefahr; vielleicht ist die Angst vor 
dieser Gefahr beim Knaben der häufigste Motor zum Verzicht auf die 



214 Teanne Lampl=de Groot 



Masturbation. Beim kleinen Mädchen kann man bekanntlich auch an die 
Kastrationsangst des Knaben erinnernde Ängste beobachten. Diese sind aber 
für es keine realen Gefahren, sondern Ausdruck der Abwehr des nie be* 
friedigten Peniswunsches, später des Kastrationswunsches; sie kommen also 
erst als ergänzende Verdrängungsfaktoren in Betracht. Der Unterschied zwi* 
schien den Vorgängen beim Knaben und beim Mädchen ist also, grob ausge* 
drückt, folgender: Beim Knaben ist es Angst vor der drohenden Gefahr 
einer narzißtischen Schädigung, beim Mädchen die bestehende narzißtische 
Störung, die zum Verzicht lauf die Genitalbetätigung führen. Ich meine, dieser 
Unterschied drückt sich im späteren Leben im Fall der Erkrankung in der 
Weise aus, daß die bei der Frau als Folgeerscheinung auftretende Hemmung 
eine intensivere, zähere, schwerer zu beseitigende zu sein pflegt. Das mann* 
liehe Ich kann sich sozusagen eher vor Beschädigung retten, resp. sich leichter 
wieder regenerieren, weil die der Störung zugrunde liegende körperliche 
„Minderwertigkeit" keine reale, sondern bloß eine befürchtete war. Man 
findet für diese Auffassung eine Bestätigung in solchen Fällen, wo in den 
ersten Lebenstagen eine Zirkumzision stattfand. Wenn einmal die Entdeckung 
des Fehlens der Vorhaut erfolgt, kann diese als partielle „Kastration" wirken 
und beim männlichen Kind ähnliche Auswirkungen haben wie die Ente 
deckung der Penislosigkeit beim weiblichen Kind, obwohl sie an Intensität 
gewiß nachzustehen pflegen. In demselben Sinne kann sich der traumatische 
Schock eines in späteren Jahren vorgenommenen operativen Eingriffs am 
Genitale auswirken. 

Hier wird nun leicht ein Einwand zu erheben sein von denjenigen unter 
den Analytikern, die die Bedeutung des Peniswunsches und somit auch die 
der Kränkung über die Penislosigkeit beim kleinen Mädchen als eine geringe, 
meist sekundär erworbene ansehen (Hörne y, Jones u. a.). Die 
endgültige Entscheidung, wer hier im Recht ist, steht vorderhand wohl noch 
aus. Ich meine aber, daß gerade das tiefgehende analytische Studium jener 
Fälle von Hemmungen und sonstigen Funktionseinschränkungen, die von 
dem Schicksal der kindlichen Genitalbetätigung bestimmt wurden, uns zeigt, 
wie mächtig, dauerhaft und folgenschwer die narzißtische Kränkung durch 
den Penismangel in die Entwicklung des Ichs eingreift. Wir dürfen nicht 
die Tatsache vergessen, daß auch individuell vor oder während der Geburt 
oder im zarten Säuglingsalter erworbene körperliche Schädigungen einen dau* 
ernden Einfluß auf die Ichentwicklung ausüben, entweder zu starken Über* 
kompensierungen oder zu Hemmungen führen können. Die Adler sehe 
Theorie der Organminderwertigkeit ist auf dieser Erfahrung aufgebaut. Die 
Beobachtungen lehren jedoch, daß die psychische Bedeutung dieser Schä* 
digungen nicht im entferntesten an die der Kränkung durch den Penismangel 
beim kleinen Mädchen heranreicht. Ich möchte an eine Aussage Freuds 
erinnern: „Das einzige Organ, das wirklich als minderwertig betrachtet wird, 



ist der verkümmerte Penis, die Klitoris des Mädchens." 10 Adler hat also, 
pars pro toto, ein für die weibliche Entwicklung gültiges Motiv als das 
Wesentliche für das ganze seelische Geschehen aufgefaßt. 

Es taucht nun die Frage auf, ob es außer der Benislosigkeit beim kleinen 
Mädchen noch andere Formen der narzißtischen Kränkung gibt, die zur 
Entwertung der Genitalbetätigung und zur späteren Icheinschränkung führen 
können. Selbstverständlich lautet die Antwort bejahend. Wir begegnen in den 
Analysen von Individuen beiderlei Geschlechtes mit großer Monotonie 
immer wieder denselben Klagen aus der Kindheit: Die kränkende Enttäu* 
schung der Aussichtslosigkeit der libidinösen Beziehung zu den Objekten, die 
Unvollständigkeit der genitalen Ausführung überhaupt, die das Kind beim 
Vergleich mit dem Erwachsenen dumpf zu empfinden scheint. Das Kind 
will „erwachsen" sein und erleben wie die Großen und stößt immer wieder 
auf seine Ohnmacht, es ihnen gleich zu tun.« Diese Kränkung ist eine allge* 
mein menschliche und hängt mit dem zweizeitigen Ansatz des Sexuallebens 
beim Menschen zusammen. Die erste Blüteperiode der Triebe ist zur Ente 
täuschung, zum Untergang bestimmt. Man findet in den Analysen mann? 
licher Patienten diese entwertende Enttäuschung öfters hinter der Kastrat 
tionsangst als auslösenden Faktor für die Abwendung von der Genitalbe* 
tätigung wirksam. Je stärker sie ist, desto zäher ist die Veränderung der 
Masturbation und desto unzugänglicher die sich darauf aufbauende neu* 
rotische Störung. Bei den Frauen verquickt sich derselbe Vorgang mit der 
Enttäuschung über den Penismangel und kann eng mit dieser verlötet sein. 
Diese erste Enttäuschung scheint aber doch an Intensität und Wirksamkeit 
der Bedeutung des Penismangels nachzustehen. 

Immerhin haben wir in diesem allgemeinen Charakter der Aussichtslosig* 
keit der kindlichen Sexualbemühungen einen Faktor vorgefunden, der auch 
beim Manne als Schädigung seines Narzißmus wirksam ist und zur Funk* 
tionshemmung führen kann. Auch hier also ein Verzicht des Ichs, um einer 
Mahnung an seine eigene Unzulänglichkeit auszuweichen. 

Aber es gibt gewiß noch eine Lebenserfahrung des kleinen Kindes, die 
ebenfalls bei Kindern beiderlei Geschlechts zu einer narzißtischen Kränkung 
mit schweren Folgeerscheinungen werden kann. Es ist eine alltägliche, gut 
bekannte, banale Erfahrung, deren Erklärung uns trotzdem in Verlegenheit 
bringen wird. Ich meine die Liebesversagung von seiten des Objektes, die 
das Kind auch bei liebevollster und zärtlichster Pflege von seiten der Eltern 
(oder Erziehungspersonen) tagtäglich und ununterbrochen empfindet. Die 

10) Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. 
Ges. Sehr., Bd. XII. 

n) Siehe auch Karen Horney: Die Angst vor der Frau. Int. Ztschr. f. Psa., 
Bd. XVIII, 1932. In dieser Arbeit legt Karen Horney besonderes Gewicht auf eine 
Störung des Selbstgefühls beim kleinen Knaben. Ihre diesbezügliche Auffassung weicht 
allerdings von der meinen wesentlich ab. 



216 Jeanne Lampl=de Groot 



Beobachtung dieses Phänomens ist jedem Analytiker, jedem Pädagogen 
leicht zugänglich. Die Erklärung, weshalb dieser Liebesverlust (die Nicht* 
befriedigung der Liebeswünsche wird tatsächlich als ein Verlust empfunden) 
zur Schädigung des Narzißmus führen kann, verlangt unsre Aufmerksam* 
keit„ Nach den älteren Schilderungen Freuds (z. B. in „Triebe und Trieb* 
Schicksale") wird die zur Objektbindung benötigte Libido dem narzißtischen 
Reservoir, in dem ursprünglich alle Libido untergebracht ist, entzogen und 
auf das Objekt übertragen. Ein Aufgeben des Objekts hat einen Rückzug 
der Libido vom Objekt zur Folge und diese fließt nun wieder dem nar* 
zißtischen Reservoir zu. Man würde also bei flüchtiger Überlegung ver* 
muten, daß eine Verfeindung mit dem Objekt zur sekundären Stärkung des 
Narzißmus führen würde. Beim kleinen Kinde sehen wir aber gerade das 
Gegenteil; eine Enttäuschung am Objekt und ein Rückzug von ihm stören 
sein narzißtisches Gleichgewicht. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich 
aber leicht, wenn wir uns überlegen, daß die Art der Objektbindung des 
kleinen Kindes eine andere ist als etwa die des erwachsenen potenten Mannes, 
der eine wirkliche aktive libidinöse Besetzung des Objektes vornimmt. Die 
kindliche Objektbeziehung ist eine andersgeartete, sie entwickelt sich aus 
der körperlichen Abhängigkeit des Säuglings von der Mutter und behält 
diese Merkmale des passiven Sichgebenlassens bei. Das Kind läßt sich lieben, 
so wie es sich vordem ernähren und pflegen ließ. In meiner Arbeit „Zu 
den Problemen der Weiblichkeit" 12 versuchte ich zu zeigen, daß der Kampf, 
der im Innern zwischen Libido und Destruktionstrieb geführt wird, das Indi* 
viduum dazu nötigt, seinen Narzißmus ständig auf einem bestimmten Ni* 
veau zu erhalten, um der Selbstdestruktion zu entgehen. Offenbar ist der 
Narzißmus der kindlich noch schwach ausgebildeten Ichorganisation, ob* 
wohl vielleicht quantitativ nicht gering, sehr ungefestigt, frei flottierend und 
dadurch leicht durch Reize der Außenwelt zu stören. Ich versuchte weiter, 
in obengenannter Arbeit auszuführen, daß die passive Zielsetzung des Sich* 
liebenlassens zu einer Stärkung des Narzißmus führe und die ersten Objekt* 
bindungen also derartiger passiver Natur seien. Jede Enttäuschung in diesen 
Beziehungen müsse dann aber eine neue Schädigung des Triebgleichgewichtes 
hervorrufen und nun von neuem das passive Sichliebenlassen anstreben. Um 
Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich einfügen, daß dieses Sichlieben* 
lassen mit starkem aktivem Benehmen von Seiten des Kindes angestrebt wer* 
den kann. Die Zielsetzung bleibt aber trotz dieser aktiven Haltung eine 
passive und dient zur Verstärkung des narzißtischen Reservoirs der Libido. 
Ich meine nun, diese besondere Eigenart der kindlichen Liebe erklärt uns 
manches an seinem speziellen Verhalten. Das Kind ist in besonderem Maße 
abhängig von dieser Form des Sichliebenlassens und gleichzeitig damit von 



ia ) Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XIX, 1933. 



Hemmung und Narzißmus 



217 



dem ersten Objekt, das ihm diese Befriedigungen bei der Ernährung und 
Pflege gewährt, also von Mutter oder Pflegeperson. Die Beobachtung des 
Säuglings bestätigt diese Annahme; wo das Kleinkind eine Objektbindung 
eingeht, ist das Ziel ein passives, ein Sichliebenlassen, Sichbewundernlassen, 
Sichpflegenlassen, auch wenn es sich dabei sehr aktiv gebärdet. Die Bindung 
ist aber leicht lösbar und wird schnell eingewechselt gegen eine andere, die 
mehr von solchen Befriedigungen verspricht. Nur eine Bindung ist zäh und 
schier unlösbar, die an die Mutter. Je schwächer die Ich^Organisation ist, 
desto stärker muß diese Form der Objektbindung sein. Erst die allmähliche 
Stärkung des Ichs läßt eine Lockerung dieser passiven Form der Liebe zu 
und ermöglicht eine wirkliche aktive Objektbesetzung. Die endgültige Ge# 
staltung dieser aktiven Objektliebe findet wohl erst in der Pubertät statt, 
wo die aktive Form der Besitzergreifung des Liebespartners gleichzeitig mit 
der körperlichen Reifung des Geschlechtsapparates zum ersten Male möglich 
wird. Es drängt sich uns nun von selbst auf, daß die oben beschriebene Form 
der kindlichen Liebe gleichzeitig die exquisit weibliche ist. Die banale, alte 
Erkenntnis, daß die weibliche Frau in der Liebe so kindlich sei, findet hier 
ihre Erklärung. Die Anatomie und die Funktion der Frau bei der Fort* 
pflanzung bestimmen sie dazu, das passive Liebesverhalten beizubehalten, 
sie findet dabei gleichzeitig einen Ausgleich für ihren geschädigten Nar* 
zißmus. Natürlich findet man dort, wo ein Stück Männlichkeit in die 
weibliche Entwicklung der Frau miteingeht, auch bei ihr aktive Liebe 
zum Partner. Ebenso bleibt beim Manne mehr oder weniger von den pas« 
siven Zielsetzungen in seinem späteren Liebesleben erhalten. 13 

Ich kehre nun zur frühen Entwicklung des Kindes zurück und meine, daß 
seine relative Ichschwäche die große, passiv gerichtete Abhängigkeit von 
dem ihm Liebe spendenden Objekt verursacht und es gleichzeitig so emp* 
findlich macht gegen Liebesenttäuschungen, die ihm untragbare Kränkung 
des Narzißmus bedeuten müssen. Versagungen sind dem Kinde nicht nur 
einfach schmerzvoller Liebesverlust, sondern sie können außerdem eine Stö* 
rung im inneren Triebgleichgewicht durch die Beschädigung der narzißtischen 
Besetzung des Ichs verursachen. Auf diesem Wege können also Triebabläufe, 
die durch mangelnde Befriedigung von Seiten der Objekte gestört werden, 
eine ähnliche Wirkung haben wie eine direkte narzißtische Kränkung, etwa 
die Entdeckung des Penismangels beim kleinen Mädchen. 

Nun dürfte für die Weiterentwicklung der Persönlichkeit viel davon ab* 
hängen, wo der Angriffspunkt dieser nie fehlenden Triebversagungen liegt. 



13) Es ist selbstverständlich, daß diese knappe Schilderung einiger Eigentümlichkeiten 
des menschlichen Liebeslebens in keiner Weise der Kompliziertheit und Vielfältigkeit 
der Liebes* und Verliebtheitserscheinungen gerecht wird. Es werden hier nur einige 
Besonderheiten hervorgehoben, die uns das Verständnis für die Wirkung von Liebes* 
enttäuschungen auf den Narzißmus erleichtern können. 



218 Jeanne Lampl»de Grooi 



Spielt sich die Störung der Triebbefriedigung hauptsächlich zwischen Ich 
und Objektbeziehung ab, ist es also einfach Angst vor Liebesverlust, die 
zu Verzicht oder Verdrängung führt, dann darf man andere, weniger tief«» 
greifende und leichter rückgängig zu machende Auswirkungen erwarten, als 
wenn die Störung mehr die narzißtische Ichbesetzung lädiert hat; etwa ahn« 
lieh, wie wir es bei der Unterdrückung der kindlichen Masturbation gesehen 
haben: geschieht diese aus Angst vor den Erziehungspersonen, also aus Angst 
vor dem Verlust ihrer Liebe, oder aus Angst vor dem Übersieh (Schuldgefühl), 
dann sind die nachfolgenden Hemmungen anders geartet und der Beein« 
flussung leichter zugänglich, als wenn die narzißtische Kränkung des Penis« 
mangels zu dieser Unterdrückung geführt hat. Wir bemerken, .„daß neben 
der Bedeutung der im ersten Abschnitt hervorgehobenen Quantitätsfrage 
auch der topische Gesichtspunkt von großer Wichtigkeit ist. 

Dieser einfache Sachverhalt erscheint nun aber in der Praxis wieder kom« 
plizierter, wenn man sich überlegt, daß es nur einige Anlässe narzißtischer 
Kränkung gibt, die ein selbständiges Dasein unabhängig von der Notwendig« 
keit der Objektbeziehungen führen. Es sind diejenigen, die auf der Un« 
zulänglichkeit der Genitalbefriedigung des kleinen Kindes im allgemeinen 
und der „Minderwertigkeit" der Klitoris des weiblichen Wesens im beson« 
deren beruhen. 

Die übrigen von uns beschriebenen Ursachen für narzißtische Störungen 
sind eng mit den Objektbeziehungen verknüpft und praktisch oftmals 
unlösbar mit ihnen verlötet. In der analytischen Behandlung äußert sich 
das so, daß man den Eindruck erhält, die einen hätten erst durch die Unten» 
Stützung der anderen ihre pathologischen Wirkungen entfalten können. Ich 
greife noch einmal auf die Geschichte meiner Patientin mit der Arbeitshem* 
mung zurück und erinnere daran, daß die Unterdrückung der Masturbation, 
die sie infolge einer tiefen Verfeindung mit ihrem „minderwertigen" Organ 
vornahm, erst nach einer Periode allerdings trotzig verstärkter Onanie 
erfolgte in der Liebesenttäuschung und Schmähung von sehen ihres kleinen 
Spielkameraden einen starken Einfluß ausüben mußten. Hier taucht nun so« 
fort ein kritischer Einwand auf. Müssen wir nicht vielleicht den Gegnern 
doch Recht geben, die behaupten, die Bedeutung des Penisneides sei für 
das kleine Mädchen nur geringfügig, möglicherweise sekundär durch patholo« 
gische Vorgänge verstärkt, aber als primärer Faktor von Freud und vielen 
anderen weit überschätzt? Könnte es z. B. bei unserer Patientin vielleicht doch 
bloß die nachträgliche Wirkung der Verschmähung gewesen sein, die zum 
Verzicht auf die Masturbation führte, und weniger jene von mir beschrie« 
bene, aus dem Penisneid entstandene Entwertung des eigenen Genitale? Diese 
Frage erscheint umso berechtigter, als wir ja das Zusammentreffen beider 
Faktoren so gut kennen in den Fällen, wo das kleine Mädchen ihren Penis« 
neid bei der Beobachtung eines jüngeren Bruders, den sie entweder mit 



Hemmung und Narzißmus 



219 



Recht oder mit Unrecht von der Mutter gerade wegen des Penisbesitzes mehr 
geliebt glaubt, erwirbt. Hier verschmelzen Liebesenttäuschung und Eni» 
täuschung über eigene genitale Minderwertigkeit wirklich so miteinander, daß 
man die Wirkung beider Erlebnisse tatsächlich nicht mehr zu unterscheiden 
vermag. 

Beim Versuch, diese Frage zur Entscheidung zu bringen, muß ich trotzdem 
wiederum für die Freudsche Auffassung Partei nehmen. Obwohl ich in 
der Analyse meiner Patientin von der folgenschweren Wirkung der früh* 
zeitig erfolgten Verschmähung durch den kindlichen Verführer stark be* 
rührt wurde und mir auch die Bedeutung der narzißtischen Kränkung durch 
diese Liebesenttäuschung nicht entging, zeigten die genauere Durchforschung 
dieser Lebensperiode und last not hast die Reaktion der Patientin auf die 
verschiedenen analytischen Enthüllungen meines Erachtens unzweideutig, daß 
das ausschlaggebende ätiologische Moment für ihre neurotische Störung in 
dem Penisneid und der daraus erwachsenen Verfeindung mit ihrem Genitale 
zu suchen war. Der Periode der Verschmähung folgte ein Aufblühen ihrer 
masturbatorischen Tätigkeit. "Gleichzeitig fand eine Verdrängung ihrer weib* 
liehen Wünsche und eine Verstärkung ihrer Männlichkeit statt. Erst als die 
Aussichtslosigkeit, je den Peniswunsch zu befriedigen, allmählich akzeptiert 
werden mußte, erfolgte der Verzicht auf die Genitalbetätigung. Die therapeu* 
tischen Resultate bestätigten diese Zusammenhänge vollauf. Die erste Periode 
der Analyse deckte die völlig verdrängten Verführungs* und Verschmähungs* 
szenen auf, deren Durcharbeitung die Patientin von ihren Sexualhemmungen 
befreite und sie in ein normales weibliches Liebesleben einführte. Die Ar* 
beitsstörungen aber trotzten, wie gesagt, anfänglich den therapeutischen Be* 
mühungen; erst einer langdauernden und mühsamen Arbeit gelang es, die 
Einzelheiten jener trotzig auflehnenden Masturbationsperiode ans Licht zu 
bringen und die Erinnerung an die schmerzvoll kränkende körperlichte 
Zurücksetzung, an die Wucht des Penisneides zu beleben. Erst nach Bewäl* 
tigung dieser narzißtischen Kränkung gewann die Patientin die Fähigkeit zu 
masturbieren zurück und verlor anschließend ihre Arbeitsstörung. Auch 
andere Erfahrungen scheinen für die elementare Bedeutung des Penis* 
Wunsches im Leben der Frau zu sprechen. Bei der Entwicklung zur aus* 
schließlichen, vollen Weiblichkeit verliert der Peniswunsch alsbald seine 
Wichtigkeit. Dort, wo eine starke Männlichkeit vorliegt, scheint er von über* 
ragender Bedeutung zu sein. Der Penis ist der Träger männlicher, aktiver 
Tendenzen, und das Fehlen dieses Organs erschwert die Abfuhr dieser Ten* 
denzen und beeinträchtigt die Ichorganisation im Sinne einer unbewältig* 
baren Schädigung des Narzißmus. Es darf hier nicht unerwähnt bleiben, 
daß die der Aktivität so nahe stehenden aggressiven Regungen sich an* 
scheinend ursprünglich auch eine Abfuhr mittels der Masturbation suchen. 
In der „männlichen" kindlichen Onanieperiode meiner Patientin wurden in 



220 Jeanne Lampl=de Groot 



ihrer trotzig auflehnenden Genitalbetätigung und der begleitenden Phantasie 
gewiß viele Rachegefühle und feindselige Regungen untergebracht. Der Ver* 
zieht auf die Masturbation versperrte auch diesen Aggressionen den Weg. 
Dem kleinen Kinde bleibt nichts anderes übrig, als solche gehemmte Aggres* 
sionen nach innen zu wenden. Wie ich bereits in meiner Arbeit „Zu den 
Problemen der Weiblichkeit" zu zeigen versuchte, stören solche gegen die 
eigene Person gewendete aggressive Regungen das innere Triebgleichgewicht, 
die libidinöse Ichbesetzung wird bedroht, die narzißtisch*passive Abhängig* 
keit vom Objekt (oder Übersieh) nimmt wieder zu, und die Gefahr einer 
neuerlichen narzißtischen Kränkung durch Enttäuschung (oder Schuldge* 
fühl) wächst. N u n b e r g machte bereits auf diese Vorgänge in etwas anderem 
Zusammenhang aufmerksam. 

Eine letzte wichtige Frage scheint nun zu sein: Wann wirkt eine Versagung 
von seiten des Objekts bloß als Liebesverlust, wann auch (oder mehr) als 
narzißtische Schädigung? 

Außer von den oben bereits erwähnten Intensitäten der Triebforderungen 
dürfte das abhängig sein von dem Alter, in dem diese Versagungen in der je* 
weils besonderen Art zur Auswirkung kommen. Treffen sie den Säugling in 
den ersten Lebewochen oder *monaten, wo das Ich noch vollkpmmen unge* 
festigt ist, so erscheint die narzißtische Störung fast unvermeidlich, sei es nun, 
daß die Entbehrungen körperlicher Natur sind (Hunger, schwere Krankheiten, 
mangelnder Kälteschutz usw.), sei es, daß sie sich bei dem ersten Auftreten see* 
lischer Beziehungen zur Mutter als Mangel an Versorgung, Pflege, Zärtlich* 
keit äußern. Wenn das frühe Säuglingsalter verhältnismäßig störungsfrei, 
gesund und befriedigend verläuft, scheint die Möglichkeit, daß eine genügend 
starke narzißtische Ichbesetzung und damit eine gesündere Ichentwicklung 
erfolgt, größer zu sein. Im späteren Kindesalter auftretende Versagungen und 
Traumata dürften eher als Liebesverlust empfunden und dann leichter und 
schneller überwunden werden können. 

VI. Zusammenfassung 

Als Resultat unserer Untersuchung möchte ich nun folgende Zusammen* 
hänge festhalten: 

Es scheint bei jedem seelischen Triebablauf eine bestimmte (vorderhand 
unmeßbare) Triebintensität zu geben, die eine optimale Wirkung auf das Ich 
ausübt, d. h. dem Ich ein Maximum an Leistungsfähigkeit gestattet, wenn 
sie zur Befriedigung gelangt. 

Die Abfuhr einer über dieses Optimum hinausgehenden Triebquantität 
verursacht eine „Vergiftung", eine Lähmung des Ichs, sie überflutet es derart, 
daß seine sonstigen Funktionen lahmgelegt werden. Diese Wirkung findet 



Hemmung und Narzißmus 221 



ein Analogem in der Giftwirkung, die ein bestimmtes Quantum eines Phar* 
makons auf den Körper ausüben kann. 

Anderseits stößt man dort, wo die Abfuhr einer Triebregung auf eine 
unter diesem Optimum gelegene Triebintensität beschränkt bleibt, auf eine 
gleichartige lähmende Beeinflussung der Ichtätigkeit. Ein somatisches Ana* 
logon zu diesem Vorgang findet man in der Tatsache, daß von manchem Stoff 
ein bestimmtes Quantum in Wirkung treten muß, um eine optimale Körper* 
leistung hervorzurufen. Störungen in der Ichfunktion wird man also dort er* 
warten dürfen, wo diese optimale Intensität der Triebabfuhr nicht erreicht 
wird. Ob dies geschieht, hängt von verschiedenen Faktoren ab. 

I. Der erste Faktor ist die absolute Triebintensität. Wird diese durch nor* 
male oder pathologische körperliche Prozesse (Pubertät, Menopause, körper* 
liehe Krankheiten) gesteigert, so wird eine Überschwemmung des Ichs und 
eine Störung seiner Funktion die Folge sein. Bleibt die absolute Triebinten* 
sität von vornherein unter einem bestimmten Niveau, so darf man annehmen, 
daß dem Ich überhaupt die Möglichkeit zur normalen Entwicklung fehlt. 

IL Der zweite Faktor ist die relative Triebintensität, d. h. das Verhältnis, 
das zwischen Trieb* und Ichstärke besteht. 

Steht einer bestimmten Triebquantität ein relativ schwaches Ich gegen* 
über, so wird es vom Es überflutet (ähnlich wie bei der absoluten Trieb* 
Steigerung). 

Begegnet der Triebanspruch einem relativ starken Ich, so kann es zu 
zweierlei Endresultaten kommen. 

a) es gelingt dem Ich, die Triebbefriedigung bis auf jene Intensität zuzu* 
lassen, die ihm eine optimale Leistungsfähigkeit verschafft; 

b) das Ich schießt über sein Ziel hinaus und unterdrückt zu viel der Trieb* 
intensität, wodurch Funktionsstörungen entstehen. 

Das Ich wird zu dieser übermäßigen Kraftleistung veranlaßt: 

1. um einem Konflikt mit dem Es auszuweichen, etwa dort, wo die in 
Frage stehende Triebregung mit einer anderen schädlichen, verpönten oder 
peinlichen Regung unlösbar verknüpft ist; 

2. um einen Konflikt mit dem Über*Ich zu vermeiden (aus Schuldgefühl, 
Gewissensangst) ; 

3. um einer Störung des Narzißmus vorzubeugen oder eine narzißtische 
Kränkung zu verleugnen. 

Wir sehen, hier entscheidet nicht mehr lediglich die Frage der relativen 
Intensitäten darüber, ob eine optimale Funktionsleistung des Ichs erreicht 
wird oder nicht, sondern es kommt ein dritter Faktor zur Geltung, nämlich: 

III. der topische Angriffspunkt der Triebwirkung. 

Dieser Faktor ist wieder einem somatischen Vorgang zu vergleichen. 
Manche Stoffe wirken nur auf bestimmte Körperpartien, etwa auf bestimmte 
Gehirnregionen oder auf die Herzmuskulatur, vergiftend, während sie 



222 Jeanne Lampkde Groot: Hemmung und Narzißmus 

andere Körperteile unversehrt lassen. So kann es vorkommen, daß eine Trieb* 
regung an sich quantitativ vom Ich schadlos bewältigt werden könnte, wenn 
sie nur nicht gerade ihren Angriffspunkt an einer bestimmten Stelle der Ich* 
Organisation ansetzen würde, z. B. an der Beziehung des Ichs zu seinem etwa 
besonders strengen Übersieh, oder an einem Punkt, der die narzißtische Be# 
setzung des Ichs besonders gefährdet. Gerade letzterer Möglichkeit haben 
wir besondere Bedeutung beimessen müssen. Wir meinen, daß eine Trieb* 
regung, die der übermäßigen Unterdrückung anheimfällt, gerade weil sie 
dazu geeignet ist, eine narzißtische Kränkung hervorzurufen (oder eine be* 
stehende zu unterstreichen), mit einem besonders starken Kraftaufwand vom 
Ich verdrängt wird und daher besonders schwer wieder aus der Verdrängung zu 
lösen ist. Das Ich muß aber diesen an sich so gut gelungenen Skg öfters jmit 
einer außerordentlich zähen und schwer beeinflußbaren Beschränkung seiner 
Fähigkeiten bezahlen. Es scheint, daß eine unbeschädigte libidinöse 
Besetzung des Ichs die erste und wichtigste Bedingung für die psychische 
Gesundheit ist. Allerdings darf dieser Narzißmus kein starrer, unbeweglicher 
sein (wie etwa bei der Psychose). Das Ich muß über ein gewisses Quantum 
frei flottierender Energie verfügen, weil eine solche die Voraussetzung für 
den ungestörten Verkehr mit der Außenwelt bildet. Aber unter dieser Be* 
dingung verschafft der unbeschädigte Narzißmus dem Ich eine innere und 
äußere Freiheit und Unabhängigkeit, durch die es zur höchsten Leistungs* 
f ähigkeit emporgeführt werden kann. 






■ 



Ausnahmen von der analytischen Grundregel 1 

Von 

R. Laforgue 

Paris 

M.D.u.H. ! Es ist Ihnen allen bekannt, daß wir die „Grundregel" der psycho* 
analytischen Behandlung jene Vorschrift nennen, die wir unseren Patienten 
auferlegen, nämlich': alles mitzuteilen, was ihnen während der Behandlung 
durch den Kopf geht, uns keinen ihrer Gedanken — welcher Art sie auch 
sein mögen — zu verheimlichen. 

Diese Vorschrift ist für uns unumgänglich notwendig, um alles, was den 
Patienten — bewußt und unbewußt — erfüllt, gründlich zu erfassen. 

Meine heutige Aufgabe besteht darin, Ihnen die Fälle vorzutragen, in denen 
die strenge Anwendung der Regel unangebracht sein könnte. Zum Schluß 
werde ich versuchen, die Richtlinien zu definieren, die uns unsere bisherige! 
Erfahrung bei der allgemeinen Anwendung der Grundregel zu befolgen be* 
fiehlt. 

Sie werden wohl zugeben, daß die Anwendung jeder Behandlungsvor* 
schrift eine kluge Anpassung des Therapeuten verlangt, wenn dieser nicht 
das genaue Gegenteil des erstrebten Resultates erreichen will. Jede Regel kann 
nämlich ad absurdum geführt werden. Bei der Befolgung der Grundregel 
wählt der Patient, auch wenn er uns alles, was ihm in den Sinn kommt, sagen 
will, selbstverständlich einigermaßen zwischen seinen Gedanken. Er begnügt 
sich damit, nichts bewußt zu verschweigen; es passiert ihm aber, daß er, sogar 
wider seinen Willen und ohne es sich vorgenommen zu haben, uns nicht alles 
sagt. Manchmal merkt er erst später, daß er vergessen hat, uns einen Ge* 
danken mitzuteilen, den er uns anzuvertrauen beabsichtigte. Dies ist aber be* 
langlos und erlaubt uns sogar, den Widerstand, den manche Gedankenfolgen 
bei dem Patienten verursachen können, zu verfolgen. 

Durch' die allzu systematische Bemühung, uns alles, was ihn bewegt, zu 
sagen, gerät der Analysand am Ende in den Bann dieser Verpflichtung und 
befindet sich' nicht mehr in einer Stimmung, die das Aufblühen seiner Ge* 
danken begünstigt: so beschäftigt ist er, jeden Gedanken, der ihm durch den 
Kopf geht, festzuhalten. Die auf solche Weise durch den Analysanden ange* 
wandte Grundregel würde also nicht zu dem von uns gewünschten Resultat 
führen. 

Es gibt zwei Arten von Patienten, welche uns bei der Anwendung der 
Grundregel Schwierigkeiten verursachen können: einmal die Patienten, die 



i) Vortrag, gehalten auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in 
Luzern am 31. August 1934. 



224 R. Laforgue 

durch die Erscheinungen ihrer Neurose verhindert sind, der Grundregel zu 
gehorchen; dann diejenigen, die ihr bewußt widerstreben. 

Unter den ersteren finden wir gewisse Zwangsneurotiker, dann manche 
Angst* und Gewissensneurotiker. Es ist Ihnen bekannt, daß die 
Zwangsneurotiker bei der Anwendung der Grundregel diese oft illusorisch 
machen. Sie versuchen, ihr buchstäblich zu gehorchen; sie wird ihnen zum 
Zwang, wodurch jede normale Entwicklung der Gedankenfolgen gefährdet 
wird. Ein an Zweifel leidender Zwangsneurotiker ist niemals ganz sicher, 
ob er genau das gesagt hat, was er gedacht hat, und ob er wirklich das gedacht 
hat, was er sagte. Der Gedanke, er könnte vielleicht nicht alles gesagt haben, 
kann ihn tagelang quälen. Während der Behandlung übertreibt er seinen 
Eifer, was, wie Sie wissen, nach Talleyrand schädlich ist, wenn man ein 
Ziel erreichen will. 

Sie kennen diesen Zustand unserer Analysanden. Diese Schwierigkeit ist 
klassisch. Der einzige Ausweg besteht darin, auf die zu genaue Anwendung 
der Grundregel zu verzichten und dem Patienten zu erlauben, nicht alles zu 
sagen. Die Übergewissenhaften, die zwanghaften Zweifler wollen alles zu 
gut machen. Wir müssen sie lehren, Zeit zu verlieren, und sie von dem Ge* 
danken überzeugen, daß nur eine sehr freie Handhabung der Grundregel' 
ihnen ermöglichen wird, ihr — wenn auch nicht dem Wort, so doch dem 
Sinn nach — zu folgen. 

Eine ähnliche Schwierigkeit macht sich bei manchen Zwangsneurotikern 
bemerkbar, die sich fürchten, gewisse Worte zu denken oder auszusprechen, 
und die, nachdem ein solches Wort einmal ausgesprochen ist, sich beeilen 
müssen, seine von ihnen befürchtete Wirkung durch ein richtiges Zwangs* 
ritual zunichte zu machen. Auch in diesen Fällen ist es nicht angebracht, auf 
der strengen Anwendung der Grundregel zu beharren. Wenn der Patient von 
gewissen Reaktionen befreit ist, wird es ihm möglich sein, seine Gedanken 
leichter auszudrücken und die Worte auszusprechen, die ihm wie der 
schlimmste Stein des Anstoßes vorkamen. Um ihn von seinen Reaktionen zu 
befreien, ist es nicht notwendig, ihn dadurch zu foltern, daß man ihn zwingt, 
Worte, die er fürchtet, auszusprechen. Der Analytiker kann die Schwierigkeit 
genau so umgehen, wie man im Kriege eine von der Front unangreifbare Stel* 
lung von der Flanke her stürmt. 

Manchen Angstneurotikern, welche auf Grund ihres Zustandes übertrieben 
gewissenhaft sein können, ist es ebenfalls unmöglich, der Grundregel zu 
gehorchen. Handelt es sich darum, einen Namen zu nennen, dem gegenüber 
sie sich zu einer absoluten Diskretion verpflichtet fühlen, so quälen sie sich 
mit der Frage, ob sie das Recht hätten oder nicht, diesen Namen auszuliefern, 
und zwar mit der Ausrede, niemandem schaden zu wollen. Sie unterliegen 
einer Macht, von welcher sie sich nicht befreien können. Kennt der Psycho* 
analytiker die Person, die eine Rolle in ihren Gedanken spielt, so werden sie 



Ausnahmen von der analytischen Grundregel 225 

plötzlich unfähig, gewisse Tatsachen zu erzählen, die diese Person betreffen, 
— Tatsachen, die Assoziationen verursacht haben, welche im Laufe der Be* 
handlung hätten erwähnt werden müssen. In solchen Fällen ist es manchmal 
schwer zu entscheiden, ob man einen Druck auf den Patienten ausüben darf. 
Die unbewußten Ursachen, die eine solche Schwierigkeit hervorrufen, sind ver* 
schieden. Das merkt man am besten, wenn man dem Patienten erlaubt, eine 
Ausnahme von der Grundregel zu machen, was beinahe immer möglich ist. 
Man kann ihm sogar sagen, daß in seinem Falle die strenge Beachtung der 
Regel nicht angebracht sei. Eine verständnisvolle Analyse kann in den meisten 
Fällen sogar diese Schwierigkeit, die dann mehr den Charakter eines neuro* 
tischen Symptomes trägt, zum Verschwinden bringen. Ähnlich ist es, wenn 
sich die Patienten weigern, ihren Namen zu sagen. Niemals dränge ich in 
solchen Fällen. 

Es gibt aber andere Fälle, in welchen der Patient sich bewußt und will* 
kürlich, sozusagen prinzipiell, weigert, gewisse Gedanken auszusprechen und 
sich der Regel zu unterwerfen. Da befinden Sie sich nicht mehr einem Men* 
sehen gegenüber, der gegen eine Hemmung kämpft oder unter einem Angst» 
gefühl leidet. Nein, der Patient sagt einfach: „Das sage ich Ihnen nicht", ent* 
weder, weil er annimmt, daß es Sie nichts angeht, oder aus irgend einem an* 
deren Grunde. Oder er wird einfach die Regel ablehnen, ohne Sie im voraus 
davon zu verständigen. Wir müssen gestehen, daß wir durch ähnliche Fälle 
manchmal in große Verlegenheit geraten sind, und es sind gerade solche Erf ah* 
rungen, die uns veranlassen, Ihnen die vorliegenden Gedankengänge vorzu* 
tragen. Überzeugen, kämpfen, sich aufregen, Bedingungen stellen, den Pa* 
tienten fortschicken: das alles haben wir versucht, ohne zu einem befriedigen* 
den Resultat zu gelangen. Im Gegenteil, Diskussion führt zu keiner Lösung; 
Zwang ist auch kein ideales therapeutisches Mittel . . . Also, was dann? End* 
lieh, nach manchem unfruchtbarem Versuch und peinlichen Auseinander* 
Setzungen, während deren wir oft Freud zur Hilfe riefen, haben wir eine 
Taktik eingeschlagen, welche uns, selbst in diesen Fällen, einen gewissen 
praktischen Erfolg sichert. Sie ist wohl nicht fehlerfrei und verlangt eine 
gründliche Kenntnis der Reaktionen des Patienten, sie erlaubt uns aber, 
Diskussionen, Stellung eines Ultimatums u. ä. zu vermeiden. Vor allem er* 
Iaubt sie dem Analytiker, nicht aus der Rolle zu fallen. 

Sie haben schon erraten, daß diese Schwierigkeiten meistens bei den söge* 
nannten „Charakterneurosen" vorkommen. Die besonderen Merkmale dieser 
Neurosen bestehen in folgendem: Ihre Widerstände sind nicht durch das 
Ablehnen des Symptominhaltes durch das Über*Ich bedingt, wohl aber durch 
Charakterwiderstände, d. h. durch das I c h, das es — gewöhnlich aus idealen 
Gründen — ablehnt, gewisse Tatsachen der unbewußten Realität anzu* 
erkennen. 

Es ist also der Charakterwiderstand, der das Hindernis zur Anwendung 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXII/2 15 



226 R- Laforgue ____ 

der Grundregel wird. Daher muß man, um die Schwierigkeit zu überwinden, 
den Charakter selbst ändern. Und den Charakter ändert man im allgemeinen, 
besonders bei einem stark narzißtisch und anal gerichteten Menschen, nicht 
durch einen Befehl oder ein Ultimatum. 

Immerhin kann man in vielen Fällen günstige Resultate erreichen. Die will* 
kürliche Abneigung des Patienten gegen die Regel mag manchmal einfach ein 
Symptom sein, das man durch die Analyse zu überwinden versuchen muß. 
Dazu braucht man nicht dem Patienten rücksichtslos entgegenzutreten, son* 
dem man muß erst das Symptom richtig erkennen. Und gerade dieses Ver* 
ständnis kann uns den Weg zu einer erfolgreichen Behandlung weisen. 

Dieses Verständnis zeigt uns vor allem, wie zahlreich die Ursachen sein 
können, die sich bei dem Analysanden als ein Ablehnen der Grundregel 
äußern. Ich kenne z. B. einen Fall, in welchem dieses Ablehnen das Resultat 
eines Kompromisses zwischen dem Wunsch, die Behandlung zu beendigen, 
und dem daraus entstehenden Schuldgefühl war. Der Analysand konnte sich 
nicht entschließen, die Verantwortung für diese Entscheidung zu über.« 
nehmen. Manche Paranoiker sowie manche Homosexuelle reagieren bei fort* 
schreitender Behandlung auf diese Art. Das aus diesem Fortschreiten 
entstehende Schuldgefühl und Strafbedürfnis kann sich dann bei ihnen in 
einer Haltung äußern, die beim Analytiker Affektausbrüche und Verfol* 
gungsmaßnahmen provozieren will. 

Im Grunde genommen sind manche Patienten durchaus willig, sich Regeln 
auferlegen zu lassen, und ihre Schwierigkeiten und Leiden fangen dann erst 
an, wenn man versuchen will, sie von diesen Regeln zu befreien. Dies führt 
uns zu einer speziellen Kategorie von Neurosen, und zwar zu den söge* 
nannten masochistischen. Für diese Fälle gilt im allgemeinen: je strenger die 
Regel, desto zufriedener der Patient. 

Gewöhnlich wird da die Regel vor allem ein Leid* und Bußmittel der Pa* 
tienten. Und gerade dieses Leiden ist nur zu oft das Lösegeld für ihre Weige* 
rung, den Weg der Gesundung zu gehen. Oft sagt dann der Kranke mit einer 
schamhaften Wollust alles, was ihn demütigt. Die Gedanken, die durch seinen 
Geist ziehen, eignen sich prachtvoll dazu. Manchmal zögert er, errötet und 
wartet nur auf den Augenblick, wo der Analytiker ihn brutal zwingen wird, 
gegen seinen Willen seine Schandtaten zu bekennen. Überließe man ihn 
seinem Unbewußten, so hätte er bald den Sprechraum des Analytikers zu 
einer regelrechten Folterkammer gemacht. Der Analytiker muß also klug 
genug sein, nicht mit seinem Analysanden zu spielen. In solchen Fällen kann 
sich der Patient willkürlich weigern, seine Gedanken auszusprechen, nur 
in der Hoffnung, den Analytiker soweit aus der Rolle zu bringen, bis dieser 
ihn gleichsam mit Gewalt dazu zwingt, die Grundregel anzuwenden. 

Es ist überflüssig, Ihnen zu sagen, wieweit dieses Spiel führen kann. Sie 
wissen, daß ein Patient den Drang haben kann, eine strafbare Tat zu voll* 



Ausnahmen von der analytischen Grundregel 227 



bringen, einfach um sein Schuldgefühl zu rationalisieren und sein Strafbe* 
dürfnis zu befriedigen. In einem solchen Falle kann, im Gegenteil, das Sich» 
weigern, alles zu sagen, soviel wie ein Geständnis bedeuten, und dies mehr 
als die längsten Reden. Es ist im allgemeinen wohl ein Fehler, die Behandlung 
abzubrechen, nur weil der Patient die Anwendung der Grundregel verweigert; 
gerade diese Ablehnung ermöglicht es oft dem Patienten, eine positive psy* 
choanalytische Arbeit zu leisten. 

Wir sind uns in folgendem Punkte einig: Man muß vermeiden, aus der An* 
wendung der Grundregel ein Streitobjekt zu machen. Wirmüssen jedem Streit, 
jeder Gewaltsamkeit aus dem Wege gehen. Oft dient nicht nur dieser Kampf 
zur Befriedigung libidinöser Wünsche, die die Analyse bewußt machen sollte, 
sondern er bildet oft einen unüberwindlichen Widerstand, wenn der Patient 
ihn als Vorwand benutzt, um einem Thema oder einer Situation auszu* 
weichen. Dadurch, daß man es dem Patienten überläßt, die Grundregel nicht 
anzuwenden, wenn er keine Lust dazu zeigt, entzieht man ihm zugleich die 
Möglichkeit, Schwierigkeiten zu schaffen und sein Schuldgefühl zu rationa* 
lisieren. Durch das Verbot, die Grundregel zu genau zu* befolgen, entzieht man 
ihm sogar ein wertvolles Mittel, sich zu quälen oder zu demütigen, und zwingt 
ihn, Assoziationen auszusprechen, die er sonst verschweigen würde. 

Wir können also manchmal gezwungen sein, Ausnahmen bei der An* 
wendung der Grundregel zu gestatten, oder sogar zu empfehlen, ihr nicht 
buchstäblich zu folgen, da ihre genaue Anwendung nachteilig sein könnte. 
Selbstverständlich wird uns die jeweilige Handhabung der Grundregel 
immer durch' das vom Patienten vorgebrachte Material diktiert. Ihre Orien* 
tierung folgt dem Widerstand des Analysanden. Unter den Mitteln, durch 
die wir den Patienten zur Annahme unserer Richtlinie bewegen, spielt das 
Taktgefühl eine große Rolle. Dieses Taktgefühl ist Funktion nicht allein un* 
seres Verständnisses der Probleme des Analysanden, sondern auch, des 
Herzens — unserer eigenen Stellungnahme der menschlichen Not gegen* 
über. Diese Stellungnahme wird nicht einzig durch intellektuelle Prinzipien 
bedingt sein, die von manchen überschätzt werden, sondern auch durch das 
menschliche Mitfühlen des Analytikers mit dem Leidenden. 

Wenn man all diese Faktoren berücksichtigt, gelangt man, glaube ich, zui 
einer ziemlich elastischen Anwendung der Grundregel. Schließlich ist die 
Grundregel eine reine therapeutische Regel, und der Ehrgeiz des Analytikers 
darf in keinem Sinne bei ihrer Anwendung mitspielen. Sie muß sehr locker 
angewandt werden — nie engherzig wie ein orthodoxes Gesetz, sondern mit 
Klugheit. Das heißt, daß wir uns entschlossen von ihr abwenden müssen, 
wenn sie uns hindert, unser Ziel zu erreichen. M. E. kann man eine gute Ana* 
lyse machen, auch wenn man dem Analysanden erlaubt, nicht alles zu sagen. 
Auf diese Art habe ich eine Frau behandelt, die ein Verhältnis mit einem be* 
rühmten Manne gehabt hatte. Das Verschweigen seines Namens hat dem 

15* 



228 



R. Laforgue: Ausnahmen von der analytischen Grundregel 



Fortschreiten der Behandlung keineswegs geschadet. Dies genügt, um uns 
zu überzeugen, daß wir nicht alles zu wissen brauchen, um unser Ziel zu er* 
reichen, und daß es gar nicht nötig ist, einen Patienten mit der genauen Anw 
wendung der Grundregel zu quälen. 

Blinder Gehorsam des Patienten wie das Beharren des Analytikers auf der 
Notwendigkeit solchen Gehorsams können uns gleicherweise von dem ge* 
wünschten Ziel entfernen. 

Kurz zusammenfassend können wir sagen, daß die Regel weder für den 
Patienten noch für den Analytiker unantastbar sein soll. Letzterer muß sich 
von jedem Vorurteil frei halten. Er würde sich in den Augen des Patienten 
erniedrigen, wenn er alles von der Grundregel abhängig machte, anstatt diese 
dem eigenen therapeutischen Ermessen unterzuordnen. 

Trotzdem darf man nicht leugnen, daß die systematische Weigerung des 
Analysanden, sich der Regel zu fügen, den Fortschritt der Analyse voll* 
kommen verhindern kann. Es kann vorkommen, daß man trotz allen Mitteln 
die Schwierigkeit nicht überwinden kann und sich gezwungen sieht, die Be= 
handlung aufzugeben. Aber solch ein Fall ist nach unserer Erfahrung nur 
eine Ausnahme, und wir haben ihn eher bei Psychosen als bei Neurosen be* 
obachtet. 






Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben 1 

Von 

Fritz Witteis 

New York 

I. 

Freud lehrt, daß Frauen drei Möglichkeiten haben, sich mit ihrem 
Schicksal abzufinden: Sexualhemmung — Vermännlichung — Annahme der 
weiblichen Rolle. Die dritte Möglichkeit wird — wie in psychoanalytischen 
Arbeiten oft und ausführlich dargestellt — durch das Kind, das die Frau ge* 
biert, bedeutend erleichtert; ja, die erste und die zweite Reaktion, die sich in 
jeder Frau bis zu einem gewissen Grade entwickeln, werden über den Weg 
der Mütterlichkeit zur dritten (normalen) Reaktion übergeführt und mit ihr 
verschmolzen. Anderseits sehen wir in Fällen von konstitutioneller oder im 
Leben erworbener Sterilität eine Regression zu den beiden ersten Reaktionen 
eintreten, die sich in die Formel fassen lassen: Kinder kann ich nicht haben, 
also will ich auch kein Weib sein. 

Manche Frauen zeigen alle drei von Freud genannten Reaktionsmöglich* 
keiten vereint, und das nicht etwa zu verschiedenen Zeiten ihres Lebens, son* 
dem gleichzeitig. Gegen den einen, obgleich geliebten Mann kann ein deut* 
liebes Sexual*Tabu bestehen, während ein anderer in durchaus weiblicher 
Art angenommen wird. Trotz einer Art Treue und sogar masochistischer 
Ergebenheit in der Beziehung zu diesem „wirklich"geliebten Manne, besteht 
daneben eine messarina*artige Promiskuität mit einem dritten Typus von 
Männern, die mehr oder weniger häufig gewechselt werden. Die Persönlich* 
keit dieser Männer bedeutet nicht viel. Sie werden als unwichtiges An* 
hängsei an einen Penis aufgefaßt. Verwendet werden sie, wie sonst 
Prostituierte oder vorübergehende Beischläferinnen vom Manne ver* 
wendet werden. Aus diesem Grunde und wegen des aggressiven Wagemutes, 
mit dem diese auswechselbaren Männer erobert werden, wäre man geneigt, 
diese komplizierten, meistens schönen Frauen maskulin zu nennen, sähe man 
sie nicht anderseits vor einem Ehegatten oder die Rolle des Ehegatten aus* 
füllenden Manne zittern und erlebte man nicht überdies hysterische Angst* 
anfalle, sobald ein zum Tabu ernannter Mann, der gleichwohl eine bedeu* 
tende Rolle im Leben der Frau spielt, sexuelle Ansprüche stellt. Der Tabu* 
Mann wird ebenfalls gewechselt; aber das geschieht nicht aus dem Willen und 
Entschluß der Frau, sondern aus dem des Mannes, der naturgemäß nach kür* 
zerer oder längerer Versuchs* und Leidenszeit sein Glück anderswo versucht, 

i) Vortrag, gehalten auf dem Kongreß der American Psychiatric and American Psycho* 
analytic Associations in Washington, Mai 1935. 



230 Fritz Witteis 



wo er auf weniger Widerstand stößt. Manche Männer lassen sich dauernd von 
solchen Frauen kastrieren, wobei sie noch die rätselhafte Tatsache in Kauf 
nehmen müssen, daß die für sie unzugängliche Frau mit anderen scheinbar 
hemmungslos sexuelle Beziehungen eingeht. Dem zur Kastration verurteilten 
Tabu^Mann Schemen diese anderen weit unter seinem Wert zu sein. Die 
geliebte Frau steht nicht an zu erklären, daß sie diesen einen Mann, den sie 
sexuell nicht zuläßt, in ihrer besonderen Art mehr liebt als irgend einen 
anderen. 

Diese dreifältige Situation — Tabu^Mann, Gatte, Beischläfer — wird im Le* 
bennoch durch Irrungen und Wirrungen kompliziert, so daß sie sich aus dem 
Wust der Erscheinungen nur selten klar herausschälen läßt. Häufig verlieben 
sich solche Frauen in einen der nur als Beischläfer gedachten und dem Prin* 
zipe nach auswechselbaren Männer. Nennen wir den Tabu^Mann A, den 
weiblich und treulich Geliebten B und den Beischläfer C. Wir sehen dann, 
daß C zu B werden kann. Der Frau ist dann etwas zugestoßen, was sie nicht 
vorausgesehen und sicher nicht beabsichtigt hat. Auch kann sie manchmal 
nicht umhin, A zuzulassen, und dann wird A zu B und vorübergehend sogar 
zu C. Sie muß ihn nämlich dann los werden, weil B dauernd besetzt ist, und 
das geschieht auf dem Umwege über C. Wenn solche Frauen dem Ansturm 
des ewig unbefriedigten A unterliegen, sind sie gewöhnlich ganz unglücklich 
darüber und versuchen, so schnell wie möglich wieder Ordnung zu machen, 
d. h. den seine Grenzen überschreitenden A wieder in seinen Bereich zurückzu* 
drängen. Heftiges Schuldgefühl kann in solchen Zeiten bis zum Selbstmord 
führen. Falls die Zurückversetzung nicht gelingt, wird der zu C gewordene 
A dauernd beseitigt, und ein anderer Mann wird für die quälende Rolle des 
A bestimmt. Denn es muß immer A, B und C geben, einer ist ohne die 
anderen nicht möglich, wie die Gewehrpyramide aus drei Gewehren be* 
stehen muß, wenn sie nicht zusammenstürzen soll. 

Im Leben solcher Frauen spielt naturgemäß die Lüge, zu der sie durch ihr 
Schicksal gezwungen sind, eine große Rolle. A soll von der Existenz der Kate* 
gprie C womöglich nichts erfahren, weil er als Mitwisser schwer haltbar wird. 
Wenn er alles weiß und trotzdem ergeben bleibt, — was öfter der Fall ist» 
als man glauben sollte — , ist das auch keine richtige Lösung. Denn er spielt 
eine Vaterrolle und soll entweder angelogen werden oder empört sein. B wird 
ebenfalls in Unwissenheit gehalten, jedoch nur was die Kategorie C anbe* 
langt. Auf A wird von der Frau mit Vorliebe hingewiesen, weil A ihre Treue, 
Unnahbarkeit und relative Virginität beweist. B soll seinen durch keimenden 
Verdacht erschütterten Narzißmus an dem Unglück A's wieder aufrichten. 
Ein solches Lügengewebe fällt der Hysterika bekanntlich nicht schwer. Wenn 
der beschriebene Typ aber zwangsneurotisch ist, was oft genug vorkommt, 
dann muß er die Wahrheit sagen, was das Leben des A und B und natürlich 
auch der Frau selbst bedeutend erschwert, während C, der meistens nicht 






Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben 231 



mehr als ein vorübergehendes Abenteuer sucht, es sich gefallen läßt. Nimmt 
man hinzu, daß sich im allgemeinen weder A noch B noch C alles gefallen 
lassen, sondern alle drei in ihrem Narzißmus gekränkt und zur Rache bereit 
sind, so daß sie ihrerseits in das Leben der Frau eingreifen und sie mit Liebe 
und Haß verfolgen, so erkennt man, daß die hier möglichen Kombinationen 
unerschöpflich sind. 

IL 

Gloria F., 30 Jahre alt, aus dem Süden der Union. Vor zehn Jahren hat ,sie 
dortselbst ihren Vetter geheiratet. Seit vier Jahren entzieht sie sich ihren „ehe* 
liehen Pflichten" und reagiert mit Angstanfällen, sooft der Gatte sich ihr sexuell 
zu nähern versucht. Dabei beteuert sie ihrem Manne, daß er ihr bester Kamerad 
und auch als Mensch allen anderen überlegen sei. Sie könne ihre Hemmung 
weder verstehen noch überwinden. Der Mann liebt seine Frau, kommt aber 
dennoch dem Gedanken einer Scheidung immer näher. Bevor er sich endgültig 
entschließt, will er alles tun, was möglich ist, um seine Ehe zu retten; deshalb, 
soll die Frau analysiert werden. 

Beide Eltern sind streng katholisch, das Mädchen wurde wie hinter Kloster« 
mauern aufgezogen, so daß sie, als sie heiratete, von den Tatsachen des Sexual* 
lebens angeblich nichts wußte. Zum Orgasmus kam es mit ihrem Manne niemals, 
sie wußte auch nicht, daß es so etwas gibt. Der Mann war ebenfalls sexuell (recht 
unwissend, die Defloration fand erst nach einigen Wochen ehelichen Lebens statt. 
Nach etwa zweijähriger Ehe gab die Frau einem Knaben das Leben. Die Geburtwar 
durch Hydrocephalus sehr erschwert, der Cervix wurde dabei so arg zuge* 
richtet, daß die Ärzte auf künstlicher Sterilisierung (Tubenligatur) bestanden. 
Als weitere zwei Jahre vergangen waren, zeigte sich, daß der kleine Georg 
schwachsinnig war, nicht laufen, nicht sprechen konnte. Kurz darauf starb er 
an einer Kinderkrankheit. 

Als all dieses Leid überstanden war, fuhr Gloria zum Besuche ihrer Eltern 
nach dem Süden. Auf dem Schiffe — nach Jahren zum erstenmal ohne ihren 
Mann — fühlte sie ihren Kummer wie einen Mantel von sich abfallen 1 . Sie war 
wieder jung und mädchenhaft, als ob nichts vorgefallen wäre, aber doch nicht 
männerscheu wie damals, sondern hungrig nach Vergnügen und Abenteuern. 
Die Eltern empfahlen ihr, ein oder zwei Kinder zu adoptieren, damit sie nicht, 
kinderlos durchs Leben gehen müsse. Davon erzählte sie ihrem Manne nichts. 
Hingegen teilte sie ihm mit, daß sie auf dem Schiffe von einem Manne geküßt 
worden sei. Sie berichtete das mit heftigen Schuldgefühlen. Aber ihr Gatte 
lachte nur und sagte, er sei froh zu hören, daß sie sich gut unterhalten habe. 
Wenn das ein Fehler war, so beging der Gatte bald darauf einen zweiten, der 
sich später als verhängnisvoll erwies. Auch er war auf die Idee verfallen, ein 
Kind zu adoptieren, und überredete die Frau dazu. Sie bekamen ein Baby zu* 
gewiesen, daß sie wie ihr eigenes, das gestorben war, Georg nannten. Zur Zeit 
der Analyse war dieses Kind sechs Jahre alt. Gloria behauptete, daß sie den 
kleinen Georg zärtlich liebe, daß sie ihn immer geliebt habe und seine Er* 
Ziehung ihr eigentlicher Lebenszweck sei. Zu Beginn der Analyse sagte sie, daß 
sie sich schon aus dem Grunde nicht scheiden lassen könne, weil ein adoptiertes 
Kind viel empfindlicher sei als ein eigenes; sie könne ihrem Georg so etwas 
nicht antun. Sie selbst bestehe ja auch sonst nicht auf Scheidung, sondern sei 
mit dem Zusammenleben einverstanden, wenn ihr Mann nur die Bedingung 
der ,,weißen Ehe" annehmen wollte. 



232 Fritz Witteis 



Wir nehmen ein Resultat der Analyse vorweg, wenn wir feststellen, daß 
Gloria den Vorschlag ihres Gatten ein Kind zu adoptieren als Kränkung emp* 
fand. Sie sah darin den Beweis, daß ihr Mann sie für einen Krüppel ansah, weil 
sie steril war. Sie hatte erwartet, daß ihr Mann, sogar wenn sie selbst vor* 
geschlagen hätte, ein Kind zu adoptieren — und vielleicht hat sie diesen Vor* 
schlag wirklich gemacht — , ihr erwidert hätte: „Wir brauchen das nicht. Du 
wirst mir Geliebte und Kind und alles sein". Das adoptierte Kind, das im Hause 
aufwuchs, war ein stets gegenwärtiger Beweis ihrer Minderwertigkeit. 

Kurz nach der Adoption begab sich der Gatte auf eine mehrmonatliche /Ge* 
schäftsreise. Als er zurückkehrte, teilte ihm Gloria mit, daß sie einen Geliebten 
habe. Er hieß Joe, war ganz jung, etwa acht Jahre jünger als Gloria. Im Ver?i 
kehre mit ihm hatte sie zum erstenmal in ihrem Leben den Orgasmus kennengelernt. 
Der Gatte ließ sich diesen Partner, den Gloria zärtlich liebte, gefallen — viel* 
leicht hatte er Schuldgefühle wegen der Tragödie, die in Glorias Leben voran* 
gegangen war, — und nahm auch mit in Kauf, daß Gloria von dieser Zeit an 
ihn selbst sexuell nicht mehr zuließ. Im Anfang kam es noch hie und da zu 
Geschlechtsverkehr zwischen den Ehegatten, dann gab es bei jedem Annähe* 
rungsversuch des Gatten Ohnmachtsanfälle und Angstzustände, so daß der Mann 
schließlich stillschweigend verzichtete. In den Beziehungen Glorias zu Joe war 
von Anfang an ein mütterlicher Zug deutlich. Sie hatte nun zwei Kinder, von 
denen keines ihr eigenes war. 

Zwischen ihr und Joe wurde auch die Möglichkeit einer Eheschließung be* 
sprochen, aber mit Rücksicht auf Joes Jugend wieder verworfen. Sie sagte ihm 
aufrichtig, daß er sich von einer Ehefrau früher oder später Kinder erwarten 
würde, und daß sie ihm diesen Verzicht nicht zumuten wolle. Heimlich litt sie dar* 
unter, daß Joe die Stichhältigkeit ihrer Gründe scheinbar einsah, wenngleich er 
schwach protestierte. Jahre vergingen, und er kam nur selten — und auch dann 
ohne Nachdruck — auf den Gedanken einer Eheschließung zurück. 

Als das Verhältnis zu Joe ungefähr fünf Jahre gedauert hatte, unternahm 
Gloria wiederum eine Reise nach dem Süden und diesmal lernte sie auf dem 
Schiffe einen Geschäftsmann kennen, der regelmäßig zwischen dem Süden und 
New*York hin* und herfuhr, R o d r i g o, einen Landsmann, der sie in alle Ge* 
heimnisse des Sexuallebens einführte, die ihr trotz ihrem Gatten und Joe bis 
dahin unbekannt gewesen waren. Rodrigo bedeutete ihr als Mensch nicht viel, 
sie liebte weder ihn, noch er sie. Aber er verschaffte ihr Sensationen, orale 
Sensationen, die sie in Ekstase versetzten. Als sie nach Hause kam, erzählte sie — 
aufrichtig und sadistisch wie immer — sowohl Joe als ihrem Manne von ihrem 
Abenteuer, und daß sie es fortzusetzen gedenke, sooft Rodrigo nach Amerika 
komme, was etwa einmal im Monat der Fall war. Joe war sehr gekränkt, konnte 
aber von ihr nicht lassen, wenigstens nicht sofort, und der Gatte — in Leiden 
geübt — hatte ebenfalls weiter nichts zu sagen. 

So also hatte Gloria, als sie zur Behandlung kam, drei Männer, die sich im 
Sinne der oben gegebenen Einteilung in die Gruppe A, B und C einordnen 
lassen. Mit Rodrigo erlebte sie wilden Genuß ohne Liebe, ohne Scham, rein 
körperlich; mit Joe blieb sie weiter in zärtlicher Liebe vereinigt, und jhr Mann 
war ihr bester Kamerad, jedoch Tabu. 

In der Analyse erklärte Gloria, von deren asketischer Erziehung äußerlich 
nicht viel übrig geblieben war, daß ihr wegen ihrer Sterilität auch andere Rechte 
zustünden als anderen Frauen. Sie sei entschlossen, ihr Leben zu genießen, sie 
mache sich keinerlei Gewissensbisse, sie sei frei. Zwischen ihr und ihrem Vater 



Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben 233 

liege ein Ozean. Schon als Mädchen habe sie ihn gehaßt wegen seiner tyrannischen 
Verständnislosigkeit. Jetzt hasse sie ihn nicht mehr oder höchstens deshalb, weil 
er ihre Mutter quäle, die sich von ihm alles gefallen lasse. Fast gar nicht sprach 
sie von dem, was man wohl mit Recht ihre Tragödie nennen könnte: von der 
Sterilisierung nach der Geburt, von Schwachsinn und Tod des so schwer er*> 
worbenen Kindes. Sie hatte die Trauerarbeit, die „unter stärkster Beteiligung 
des Ichs" hätte durchgemacht werden müssen, nie geleistet. Sooft ich ihr Augen* 
merk darauf richten wollte, lenkte sie ab und tat, als ob an dieser Sache nicht 
viel daran wäre. Dementsprechend war sie unbewußt ganz durchbraust von dem 
Wunsch nach einem Kinde. Ihr Unbewußtes hatte die unabänderliche Tatsache 
ihrer Sterilität überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. In ihren 
Träumen wurde sie jede Nacht geschwängert, hatte Kinder, viele Kin* 
der, aber die Träume waren so entstellt, daß wir sie im Anfang nicht 
verstanden. So träumte sie immer wieder von Essen und Kochen und 
wunderte sich darüber. In ihren Träumen stand sie in der Küche 
wie ihre Mutter und zeigte Freundinnen, wie man kochen müsse. In 
Wirklichkeit konnte sie gar nicht kochen. Wir fanden Zeichen starker Oralität, 
sie hatte als Kind lange gelutscht, auch Papier gegessen, und Rodrigos orale 
Praktiken machten besonders tiefen Eindruck. Schließlich blieb kein Zweifel, 
daß sie in ihren Träumen oral geschwängert wurde. Mit großer Hartnäckigkeit 
träumte sie von rosa (pink) Gegenständen. Sie zerlegte und aß Lachs, strickte 
rosa Sweaters und sah anderes mehr, das rosafarben war. Schließlich brachte sie 
als Aufklärung, daß die Mutter ihres adoptierten Kindes Pinker ton hieß. Sie 
identifizierte sich mit dieser Frau, um an Stelle eines adoptierten Kindes ein 
eigenes zu haben. Diese Identifizierung kam im Sinne des primitiven Ichs oral 
zustande, wenn sie z. B. Lachs aß. 

Ihren Mann, von dem sie im Anfang behauptete, daß sie ihn als Kameraden liebe, 
haßte sie als Kastrator, übertrug ihre Beziehung zum Vater auf ihn, und das nicht 
erst nach ihrer Tragödie, sondern seit Beginn der Ehe. Aus diesem Grunde war sie 
von Anfang an frigid. Der Mann war ja, wie eingangs erwähnt, ihr Vetter, was 
einerseits der Übertragung Vorschub leistete; anderseits war sie der Meinung, 
die nahe Verwandtschaft erkläre die Degeneration des Kindes v Vom Vater darf 
man kein Kind haben. Wenn man es versucht, wird man furchtbar bestraft, 
man wird kastriert. Im Falle Glorias war die Kastration vielfach: Frigidität, 
Zerreißung der Geschlechtsteile bei der Geburt, operative Sterilisierung, 
Schwachsinn und Tod des Kindes. Der Zusammenhang zwischen diesen mul* 
tiplen Traumen und der sexuellen Ablehnung ihres Mannes war ihr vor der 
Analyse völlig unbewußt. Sie wollte und konnte ihre Tragödie nicht als so 
schwerwiegend anerkennen. Lieber gab sie zu, daß sie und ihr Mann von Anfang 
an nicht zusammengepaßt hätten. Sogar sein Geruch sei ihr unangenehm. Sie 
bedauerte alle Freundinnen, die heirateten, wegen der Hochzeitsnacht, die ihnen 
bevorstand. Endgültig stieß sie ihren Mann zurück, als sie in der Person Joes 
Ersatz für ein Kind gewonnen hatte. Die Unwirklichkeit auch dieses Ersatzes 
untergrub im Laufe der Jahre die Position Joes. Sie rächte sich an ihm, der 
nicht Miene machte, sie zu heiraten, indem sie mit Rodrigo schlief, und glitt 
so in die Stellung C, die ihr den Anfang der maskulinen Promiskuität bedeutete. 
Sie träumte von Promiskuität sehr häufig, wobei sie sich gerne mit Frauen von 
zweifelhaftem Rufe identifizierte, für die sich ihr Vater — angeblich nur vor 
seiner Eheschließung — interessiert hatte. 

Nach etwa sechs Monaten Analyse hatte sie folgenden Traum: 



234 Fritz Witteis 



1) Sie sah Clara Dolores, eine ehemalige Schulkollegin, fiel vor ihr auf die 
Knie und sagte in heftiger Bewegung: „Du, die du weißt, was Liebe ist, wirst 
mich verstehen!" Clara zieht eine Schublade heraus und darin liegt eine Nadel, 
die Patientin wieder erkennt. — 

Zu diesem Traum berichtet Gloria erstens, daß er nach einem Liebesabend 
vorfiel, den sie mit Joe, dem Kind^Geliebten, verbracht hatte. Zweitens: Clara 
Dolores hatte ihr in den Schulzeiten erzählt, daß ihr Vater sie geschlechtlich 
mißbrauche. Einmal mußte Clara operiert werden und kam weinend, weil sie 
nunmehr infolge dieser Operation niemals Kinder haben könne. Sie heiratete 
später und hatte in ihrer Ehe zu Glorias Verwunderung drei Kinder. Nach 
dieser Mitteilung ist die Deutung des Traumes nicht schwer: man kann Kinder 
bekommen, auch wenn man operativ sterilisiert worden ist. Solche Sterilisierung 
ist die Strafe für Inzest. In Wirklichkeit mag die Operation, von der Clara 
berichtete, eher eine Abtreibung als eine Sterilisierung gewesen sein, wenn das 
Ganze nicht etwa Claras Lügengewebe war. Die Schublade und die Nadel darin 
zeigen sehr schön Freuds Gleichung: Kind = Penis (Nadel, englisch: pin). 

Der erste Traum in der Analyse: 

2) Mein Mann will mit mir schlafen. Ich fühle meinen gewöhnlichen Wider' 
willen. Ich sage: der Bub wird kommen und was bemerken. 

Man sieht aus diesem ersten Traum, daß wir in dem adoptierten Kinde den 
Stein des Anstoßes zu sehen haben. Jedoch erkennen wir auch die maskuline 
Tendenz dieser in ihrer Weiblichkeit aufs tiefste verwundeten Frau, ihren re* 
aktivierten Brunhildkomplex. Vor ihrer Ehe war sie immer ein „Bubenmädel" 
gewesen, besonders aus Trotz gegen den Vater und eine ältere Schwester, die 
ganz ohne seelisches Rückgrat war, auch sonst nicht viel taugte und an einen 
minderwertigen Mann verheiratet wurde. Diese verachtete Schwester hatte dann 
zwei Kinder. Gloria berichtet das ohne Affekt. Unbewußt haßt sie ihre Schwer 
ster und träumt, daß sie sie vergiftet. Entsprechend ihrer oralen Veranlagung 
vergiftet sie in ihren Träumen auch ihren Vater, ihren Mann und ihr Adoptiv* 
kind. Sie versteht sehr gut, was wir den Brunhildkomplex nennen. Sie lebte 
auch nach ihrer Verheiratung weiter in diesem Sinne, bis sie Joe kennen lernte. 
Dann erst fühlte sie sich weiblich. Ihre Heldin war Jeanne d'Arc. Sie erinnert 
sich an einen immer wiederkehrenden Tagtraum aus ihrer Kindheit: eines Tages 
werden sie herausfinden, daß ich ein Bub bin. 

Sie identifiziert alle drei Männer mit ihrem Vater und sich selbst mit der 
Mutter; z. B. in ihren Träumen: 

3) Ein Schiff kommt nach New Orleans (ihre Mutter ist dort geboren und 
aufgezogen worden). Ich weiß, daß Rodrigo angekommen ist und schreibe ihm 
einen Brief, daß ich da bin (in Wirklichkeit war sie nie dort). Anschließend ein 
Traum, daß ich Kinder habe. — 

4) Dinner party auf dem Schiffe. Ich sehe Rodrigo. Meine Mutter ist auch da, 
beklagt sich über etwas. Rodrigo sagt, er könne ihr helfen, er werde mit ihr 
schlafen. Meine Mutter nimmt das an. Ich bin einverstanden und sage ironisch, 
es werde mich sehr freuen, Rodrigo zum Stiefvater zu bekommen. — 

Im Anfang der Analyse gibt ein Traum in schattenhaften Umrissen die Be* 
dingung bekannt (die unerfüllbare), unter der sie den ehelichen Verkehr mit 
ihrem Manne wieder aufnehmen könnte: 

5) Freunde (ein allgemein beliebtes Ehepaar; die Frau hat weiße Haare) schicken 
mir eine Coiffeuse. Es ist als Ausgleich irgendeiner Schuld gedacht, welche diese 
Freunde mir abzuzahlen haben. (Sie bekommt ein neues Genitale? Von ihren 



Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben 235 

Eltern.) Joe hat etwas mit der Schuld zu tun. Die Coiffeuse wird in ein Zimmer 
gestellt, das die Wände wie meiner Mutter Zimmer hat. Hernach liege ich mit 
meinem Mann (Vaterimago) auf dem Sofa und er schläft mit mir. 



Gloria übertrug im Anfang der Analyse ihre Beziehung zum Vater 
auf mich, was durch eine Namensähnlichkeit ihres Vaters mit mir er* 
leichtert wurde. Ich deutete ihr an, daß wir vielleicht im Laufe der 
Analyse den einen oder den anderen ihrer Liebhaber temporär auszu* 
schließen haben würden, um an der Libidostauung ihre psychische Situation 
deutlicher zu erkennen. Diese konditionale Andeutung genügte, um Gloria zu 
veranlassen, beide Liebhaber vom Geschlechtsverkehr auszuschließen. Sie ist stolz 
auf ihren Verzicht, sogar vergnügt, besonders wegen der Reaktion von Seiten 
der Liebhaber, von denen Rodrigo zum erstenmal erklärt, daß er sie liebe, was 
ihr komisch vorkommt. Joe macht ihr einen Heiratsantrag — zu spät. Von mir 
verlangt sie, daß ich sie wegen ihres Verzichtes belobe. 

Ich stand unter dem Eindruck, daß ich als Vaterimago das Tabu auf meine 
Person gezogen hätte, und schlug vor, daß sie den Versuch eines Verkehrtes 
mit ihrem Manne mache. Auch das tat sie mir zuliebe, führte es ohne Angst 
aber auch ohne Orgasmus durch und hatte in der nämlichen Nacht den fol* 
genden Traum: 

6) Viele Frauen: meine Schwiegermutter, deren Mutter, meine eigene Mutter. 
Sie geben mir einen rosafarbigen Kimono (Deutung von rosa — pink, siehe 
oben: Mütterlichkeit) — Massenet ist auch da (die Muttersprache der Mutter 
ist französisch. Massenet ist der Lieblingskomponist ihrer Mutter. Assoziativ 
zerlegt in masse und nes — eine Menge Kinder). Ich verliere meine Haarnadeln 
(Siehe die Nadel in Traum 1). 

Dieser Traum, so kurz er ist, ist eigentlich ein Traumpaar. Zuerst Hoffnung 
und Schwängerung, hernach Kastration. Übersetze: Wenn er mich doch zur 
Mutter machen könnte; da er das aber nicht kann, verliere ich nur die Illusion 
meiner Männlichkeit, wenn ich mich ihm hingebe. Sie hat diesen Versuch nicht 
wiederholt, hingegen mir durch Monate Vorwürfe gemacht, daß ich sie dazu 
veranlaßt habe. Der Vater hätte ja auch nicht zugeben sollen, daß sie ihren 
Mann heirate. Rationalisierend sagte sie, daß durch meine Schuld falsche Hoff* 
nungen in ihrem Manne erweckt worden seien. 

Nach einigen Monaten nahm Gloria den Geschlechtsverkehr mit Joe wieder 
auf. Aber sie liebte ihn nicht mehr und drängte ihn zu Beziehungen mit anderen 
Frauen, bis er sich schließlich in eines dieser Mädchen verliebte, die auch im 
Alter besser zu ihm paßten, und das Verhältnis mit Gloria abbrach. Seit dem 
Auftreten Rodrigos war er ja bewußt bestrebt, von ihr loszukommen. Obgleich 
sie selbst in dieser Angelegenheit die Drähte gezogen hatte, weinte sie viel, 
ertappte sich aber mehrmals in ungewöhnlich heiterer Stimmung. Ihre Träume 
zeigten, daß die Tränen um Joe in tieferer Schichte dem Verluste des Kindes 
galten. Sie hatte in dieser Form Gelegenheit, verspätete Trauerarbeit zu leisten. 
Sie wollte durchaus nicht mehr zu Joe zurück und vereitelte Annäherungsver* 
suche des ehemals Geliebten, der ihr Kind war und durch seine Jugend auchf sie 
zum Kinde machte. 

Im Laufe der Analyse wurde ihr auch klar, daß sie mit ihrem Manne nicht 
zusammen leben könne. Sie beide hatten einander zu viel angetan; sie war an 
ihm schuldig geworden. Waren doch schon zu Lebzeiten des Kindes Todes* 



236 Fritz Witteis 



wünsche da, die im Sinne der psychischen Realität Gloria zur Kindes* 
mörderin machten. Die beiden lösten ihre Ehe. Mit Rodrigo schlief sie 
auch nach ihrer Scheidung hie und da, bis die Beziehung versandete. 
Das Adoptivkind überließ sie unter allerlei Rationalisierungen dem Adoptiv* 
vater, der es bald darauf in ein Pensionat schickte. Sie selbst übersiedelte in 
eine andere Stadt und war sich bewußt, daß sie in ihrer Lage als sterile junge 
Frau mit normalen Sexualfunktionen sozial gefährdet war. Ihr dreifach aus* 
gebautes Sexualleben ist in der Analyse in seinen Grundlagen erschüttert worden. 



Gloria ist ein in asketischem Milieu erzogenes Mädchen mit starken 
maskulinen Tendenzen, die wegen der weit über die Pubertät hinaus wir* 
kenden Sexualunterdrückung zu bedeutender Ausbildung kamen und zwar 
zunächst in der desexualisierten Form heroischer Ideale. Bewußt haßte sie 
ihren Vater und bedauerte ihre Mutter. Unbewußt waren der einfache und 
umgekehrte Ödipuskomplex in ihr so lebendig geblieben, daß sie in der Ehe 
frigid blieb. Dennoch würde ihr Sexualleben sich kaum in der beschriebenen 
dreifachen Form entfaltet haben, wenn ihre maskulinen und mütterlichen 
Tendenzen nicht durch die als Kastration aufgefaßte Operation eine außer.* 
ordentliche Neu* und Übersetzung erfahren hätten. So wurden das Vater* 
Tabu (Inzestschranke, Sexualhemmung), die Liebesbedingungen der Mütter* 
lichkeit (Joe) und die maskuline Promiskuität (Rodrigo) aus der virginalen 
Zeit reaktiviert und bestanden nebeneinander. 

III. 

In einem anderen Falle einer kinderlosen Frau, deren Analyse ich nicht aus* 
führlich mitteilte, war nicht der Gatte Tabu, wenigstens nicht immer, sondern 
nur in vorübergehenden Perioden von Frigidität. Dazwischen wurde er zärtlich 
und mütterlich geliebt, und das Geschlechtsleben war befriedigend. Hiezu 
war aber nötig, daß ein anderer Mann, von dem sie sich umworben fühlte, 
zum Tabu ernannt wurde. Wenn diese beiden Pfeiler ihres Liebeslebens fest* 
standen, gab es dann noch häufig die Klasse C. Schließlich vereinfachte ;sie 
ihr Leben, indem sie in eigenartiger zeitlicher Vermengung die Rollen A und 
B von ihrem Gatten spielen ließ und auch in ihrer Promiskuität nicht strenge 
im Schema blieb. 

In einem dritten Falle, einem ledigen Mädchen, war ein Mann, der sie hei* 
raten wollte und durch Jahre reichlich aushielt, tabu. Ein anderer Mann, der 
im Westen lebte und nur gelegentlich nach New York kam, wurde mit einer 
Art Ehrfurcht geliebt. Sie hatte noch einen Geliebten, der im Süden lebte, 
und den sie nur einmal im Jahr sah. Er war viel jünger als sie, ein Tauget*, 
nichts, dem sie Geld schicken mußte, Geld, das sie von ihrem Tabu*Freund 
erhielt. In diesem Falle war also die Kategorie B durch zwei Männer ver* 
treten, einen im Westen, vor dem sie Angst hatte, und einen im Süden, den sie 



Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben 237 

.bemutterte. Beide bestanden mehr in der Imagination als in Wirklichkeit. 
Diese Frau fuhr auch auf Kosten des Tabu*Mannes mindestens einmal im 
Jahre nach Europa und gab sich dort mit vorübergehenden Bekanntschaften, 
darunter auch Negern, wilden Orgien hin. Sie akquirierte eine Gonorrhöe, 
an der sie jahrelang litt, und die schließlich mit bleibender Sterilität ausheilte. 
Von allen diesen Erlebnissen sprach sie wie im Traume, als ob sie nicht 
wirklich seien. Sterilität erklärte sie für unwichtig. Einmal sprach sie von der 
Tragödie ihres Lebens, meinte aber damit, daß sie — zu mager sei. Kein; 
Mann könne sie lieben. Einen Wunsch nach Kindern konnten wir in ihreri 
Träumen nicht finden. Allerdings sprach sie von ihren vielen Geliebten als 
„the kids". Sie war für eine erfolgreiche Analyse zu narzißtisch und schizoid. 

Eine lesbische Tendenz war in diesem Falle unverkennbar. Sie hatte eine 
jüngere Schwester, von deren großer Schönheit sie immer wieder sprach. Sie 
identifizierte sich in Träumen mit dieser Schwester, und dann war sie nicht 
die Tochter ihres Vaters, weil der Vater, ein Trunkenbold, immer behauptet 
hatte, diese Schwester sei nicht sein Kind, und die Mutter sei eine Dirne. Das 
Familienleben war auch sonst unerfreulich: Ihr Bruder schlug den Vater 
zu Boden, wenn er in Trunkenheit die Mutter bedrohte. Mit diesem Bruder 
hatte Patientin im Alter von zwölf Jahren mutuell masturbiert. 

Der Mann, von dem sie lebte, war nicht immer tabu gewesen. Er wurda 
es, als seine Mutter sich heftig der Ehe mit Patientin widersetzte, was ihn 
veranlaßte, seine Werbung tatsächlich bis zum Tode der Mutter zu ver=* 
schieben. Diese narzißtische Kränkung löste das Tabu aus. 

Wenn man einmal auf die beschriebene Dreiteilung aufmerksam geworden 
ist, findet man sie häufig. Manche Frauen, mit denen ich darüber gesprochen 
habe, sahen mich mißtrauisch an und fragten: „Meinen Sie vielleicht mich?" 

Auch in der Literatur findet man die Dreiteilung, z. B. in Somerset Maug* 
hams Meisterwerk „Of Human Bondage". Die Kellnerin, in die sich der 
Held des Romans verliebt, hat einen Geliebten, der sie betrügt, will den sie 
heiß umwerbenden Helden durchaus nicht zulassen und ergibt sich ander*» 
seits der Prostitution. Eine ähnliche Dreiteilung fand ich in dem vor einigen 
Jahren in Amerika viel gelesenen Roman „Der Werwolf von Paris" von 
Guy Endor. 

Eine der Ursachen dieser merkwürdigen Form des Liebeslebens sehe ich 
in der Sterilität. Zwei Drittel meiner Beobachtungen betrafen sterile Frauen 
oder solche, die nach der Geburt eines Kindes aus pathologischen Ursachen 
weitere Kinder nicht haben konnten. Die Psychologie der sterilen Frau könnte 
mythologisch (Lilith), welthistorisch (die „jungfräuliche Königin"), anthro* 
pologisch (die „freudlose Witwe") und literarhistorisch studiert werden. 
Unter günstigen Umständen wird die sterile Frau schöpferisch. Vergleiche 
Nietzsches vielzitiertes Wort: „Alles am Weibe ist ein Rätsel und alles 
am Weibe hat eine Lösung: sie heißt Schwangerschaft." 



Bemerkungen über eine Zwangsneurose 

in ultimis 

(Vier Mechanismen des narzißtischen Lustgewinns im Zwang) 

Von 

Edmund Bergler 

Wien 

Ich hatte vor einigen Jahren Gelegenheit, vier Wochen lang eine 58jährige Dame 
zu beobachten, die an einer allerschwersten, seit einem halbenjahrhundert 
bestehenden Zwangsneurose litt. Die Patientin war infolge ihrer Dauerzwänge 
sozial völlig unangepaßt, mußte wie ein kleines Kind an* und ausgekleidet wer* 
den, konnte ohne ständige Begleiterin nicht auskommen und war bereits wieder* 
holt in Sanatorien und Anstalten interniert gewesen. 

Der Zwangsgedanke der Patientin lautete: Sie durfte an eine bestimmte Person 
— es war ein alter Mann, ein Diener in einer Kaserne — , die sie im Alter von 
sechs oder sieben Jahren einige Male gesehen hatte, ohne mit ihr zu sprechen, 
eine Person, die sie damals als völlig indifferent empfunden hatte, nicht denken. 
„Leider" — dies die Worte der Patientin — „fiel er mir immer ein." Der Ge* 
danke an den Mann war Tabu, sie hatte ein großartiges System von Vermei* 
düngen aufgestellt, um nur ja nicht in Kontakt mit ihm zu kommen. Schon ,als 
Kind litt sie an einem quälenden Waschzwang, der sich um die Pubertät ver* 
schlimmerte; in ihrer mißglückten Ehe lebte sie nur mehr ihren Zwängen, die sich 
im Verlauf der letzten 15 Jahre zu der zu beschreibenden Höhe steigerten und 
stabilisierten. 

Patientin vermied es vorerst, in die betreffende Straße, in der sie den Mann zu* 
erst gesehen hatte, zu gehen, dann mied sie — in typischer Ausbreitung des Ra* 
dius der Zwangsneurose — alle nahen Lokale, die der Mann besuchen könnte, 
dann den Stadtteil, die Stadt, die Provinz, endlich das ganze Land. Patientin lebte 
seit Jahren im Ausland. In diesem Entschluß, ihre Heimat zu verlassen, wurde 
sie durch den ablehnenden Bescheid des Magistrats ihrer Heimatstadt wesentlich 
bestärkt, in welchem der Patientin ihre Bitte, die Fäkalien ihres Hauses nicht in 
den Fluß, an dem die Stadt lag, zu leiten, abgeschlagen wurde. Sie fürchtete, 
auf dem Umweg über die Fische, die von den Fäzes essen könnten, mit „jenem 
Mann" (der Name wurde von der Patientin nie ausgesprochen) in Verbindung 
zu kommen, da Fische ein beliebtes Völksnahrungsmittel waren. Auch ging sie 
aus der Heimat, da sie sich weigerte, Geldnoten und Geldstücke ihrer Heimat* 
Währung zu berühren, mit der Begründung, „jener Mann" hätte gerade diese 
Note in der Hand haben können. 

Ich sah die Patientin in folgendem Zustand: Waschen und Anziehen dauerten 
stundenlang. Patientin litt zwar unter ihrer Unreinlichkeit, konnte sich aber 
trotzdem an manchen Tagen kaum waschen. Wenn sie Wasser ins Waschbecken 
schüttete, mußte sie es so oft ausleeren, bis es ihr gelang, das Wasser, ohne dabei 
an den Mann gedacht zu haben, ins Waschbecken zu gießen. Das Anziehen der 
Strümpfe z. B. mußte aus den gleichen Gründen von der verzweifelten Kranken* 
schwester hunderte Male wiederholt werden. Patientin aß wenig und gierig und 
es dauerte stundenlang, bis sie sich entschloß, in ein Restaurant zu gehen. Die 
fast unerfüllbare Bedingung blieb immer die gleiche: während der Vorbereitung 



Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ultimis 239 

einer Handlung nicht an den Mann zu denken. So wurde Patientin einmal von 
einer der Begleiterinnen (keine hielt es länger als einige Wochen aus) regelrecht 
verprügelt, da diese um 5 Uhr nachmittags infolge der chronischen Weigerung 
der Patientin, die mit ihren Zwängen noch nicht fertig war, das Gasthaus zu be* 
treten, noch nicht einmal gefrühstückt hatte. Das Essen selbst war mit einer Serie 
von Zwängen belegt: war Patientin bereits nach stundenlanger Qual in ein Gast* 
haus eingekehrt, mußte sie vor Beginn des Essens ein Stück Brot in den Mund 
nehmen, es zerkauen, den Brei in drei Teile teilen und diese ausspucken. Die 
Rationalisierung der Patientin lautete: sie dürfe nichts aufnehmen, ohne auch 
etwas „herzugeben", d. h. die Aufnahme rückgängig zu machen. Dies führte 
dazu, daß sie ständig den Wunsch zu urinieren und zu defäzieren hatte. Eine der 
Begleiterinnen, die die Aggressionen der Patientin nicht ertrug und davonlief, 
sagte empört, sie könne mit einem Menschen, der vor jedem zweiten Haus ein 
Glas Wasser und einen Klosettbesuch verlange, nicht auskommen. Tatsächlich 
gab Patientin an einem Tag als Eintrittsgeld für öffentliche Bedürfnisanstalten, 
in denen sie urinierte, nicht weniger als sechs Schilling aus. Auch 
nahm Patientin ständig Abführmittel in großen Dosen, nicht nur weil sie obsti* 
piert war, sondern weil sie den Stuhl zu Zwangsformeln, resp. zum 
„Ungeschehenmachen" des vielleicht doch stattgehabten Kontaktes mit „jenem 
Mann" benötigte. Dieser Kontakt war keineswegs bloß in Form einer Be= 
rührung gedacht, zutiefst konnte der Kontakt durch jede Hautpore des Kör* 
pers, vor allem auch durch Essen, vorgenommen werden. Die Stuhlmengen 
mußten kopiös und flüssig sein. Unbewußt sollte dabei sowohl ein Zer* 
stückeln des Mannes, als auch ein Rückgängigmachen der oralen 
Aufnahme vorgenommen werden. Patientin war in der Ehe völlig frigid gewesen 
und wurde von ihrem Manne angeblich zur Fellatio gezwungen. 

Eine der Komplikationen des Zwanges bestand darin, daß die Situation, in 
welcher der Zwangsgedanke kam, verändert werden mußte: kam dieser im Sitzen, 
mußte sie gehen, war er im Gehen gekommen, bestand der Drang zu laufen etc. 
Neben den bereits beschriebenen Leistungen der „Isolierung" und des „Unge* 
schehenmachens" erfand Patientin folgende Form, die sie „Übertragung" nannte. 
Sah sie den eigenen Schatten und hatte sie an den Mann gedacht (was praktisch 
zusammenfiel), „übertrug" sie den Gedanken auf andere Personen und wurde 
dadurch selbst schuldfrei. Dieses „Übertragen" hatte zwei Stadien: Vorerst über* 
trug sie ihren Gedanken an den Mann auf einen fremden Mann, d. h. sie stellte 
sich vor, n i ch t s i e habe an den Mann gedacht, sondern ein mit „jenem Mann" 
identifizierter fremder Mann hätte den Zwangsgedanken 
gehabt. Wenn sie ihren eigenen Schatten sah, konnte sie zunächst nicht in der 
gleichen Richtung weitergehen. Sie schwankte nun zwischen dem Entschluß, auf 
der gleichen Stelle der Straße stehen zu bleiben oder einen anderen Weg zu 
gehen. Nach langem Schwanken ging sie weiter, suchte sich eine Imago des 
Mannes; dabei schwankte sie stundenlang bei der Wahl des „passenden" Mannes. 
Dieser Mann mußte ihr entgegenkommen (Abwehr des Analen, von rückwärts 
Kommenden); wenn sich nun der eigene Schatten und der Schatten, resp. der 
Körper des Mannes „deckten", machte sie rasch eine „Wendung" und folgte 
diesem wie einem Führer und spielte selbst die Geführte. Später komplizierte sich 
der Vorgang der „Übertragung", indem nicht der eigene Schatten zur Deckung 
gebracht wurde, sondern statt der Patientin auch eine Ersatzperson gewählt 
wurde, was umso schwerer wurde, als der gleiche Gedanke auf eine zweite, dritte, 
vierte, ja manchmal fünfte Person übertragen werden mußte. Da sie manchmal bis 



240 Edmund Bergler 




zu 25 Gedanken an den Mann einzeln durch „Übertragung" zu erledigen hatte, 
litt die Patientin, wie sie sarkastisch hinzufügte, niemals an Langweile, ja der 
Tag wurde für diese Zwangsarbeiten zu kurz, und halbe Nächte mußten „als 
Draufgabe" hinzugenommen werden. Bezeichnenderweise enthielt der Zwang 
der „Übertragung" selbst schon eine unerfüllbare Bedingung: den Gedanken an 
den Mann zu übertragen, ohne an ihn zu denken. Dieses „Wasch' mir den Pelz, 
aber mach' mich nicht naß"*Prob!em war unlösbar und war selbst Quelle 
ständiger Zweifel. Sie ging deshalb auch, um dem ganzen Übertragen auszu* 
weichen, mit halbgeschlossenen Augenlidern, weil sie sich vor dem Anblick des 
eigenen Schattens „fürchtete", da dieser Anblick die imperative Forderung nach 
„Übertragung" enthielt. 

Der Gedanke an den Mann war im Verlaufe der letzten 5 Jahre mit einem 
hysterischen Konversionssymptom in den Backenknochen verbunden. Patientin 
beschrieb dieses Gefühl: „Es ist so, wie wenn das Sturmband eines Helmes fester 
angezogen würde." Dieses Gefühl konnte gemildert werden, wenn die Patientin 
eine andere Person an den Backenknochen von rückwärts faßte. Patientin tat 
dies in ihren Anfällen wiederholt bei ihrer Enkelin und bei Begleiterinnen und 
wurde deshalb der Homosexualität beschuldigt. Auch war die Gefahr, mit „jenem 
Mann" von der Seite in Kontakt zu kommen, gefährlicher als von vorne. 
Dieses „von der Seite" erwies sich als Verschiebung von Analem: aus „auf die 
Seite gehen", was die der Patientin geläufige Ausdrucksform für Urinieren und 
Defäzieren darstellte. 

Wir sehen, daß in der für Zwangssymptome typischen Weise die abge* 
wehrten Triebregungen sich in immer größerem Umfang einschmuggeln: Das 
Zur*Deckung*Bringen der Personen — die „Übertragung" — läßt gerade das 
geschehen, was offiziell vermieden werden soll: Kontakt, resp. anale Berührung. 
Die von den Analbacken auf die Backenknochen hysterisch verschobene Be* 
rührungslust wird in Form einer magischen Geste durchgeführt. Das stunden* 
lange Sich*Anziehenlassen von einer Frau, das Ganz* oder Halbnacktdastehen 
vor ihr, gestattet auf einem Umwege das Ausleben der Exhibition. Das ständige 
Denken an die Deckfigur des alten Mannes — eine Vaterimago — bewirkte ein 
ständiges Verbundensein mit diesem. Die aggressiven Regungen zeigen sich 
darin, daß Patientin sich ständig dagegen verwahrte, die Menschen, die sie zutf 
Übertragung benützte, schädigen zu wollen: die „Schattenspielerei" war ein Äqui* 
valent des Tötens, was auch daraus ersichtlich war, daß es im Belieben der ,Pa* 
tientin stand, die Schatten „zum Verschwinden zu bringen", d. h. zu töten, etwa 
dadurch, daß sie ihre Stellung wechselte. Die Verwendung des Stuhls zu Zer* 
stückelungstendenzen wurde bereits erwähnt. 

Der Abwehr der oralen Einverleibung entsprach im Psychischen eine ständige 
Abwehr der Identifizierung mit dem Mann. So vermied Patientin z. B. das 
Schneuzen, da sie dabei das „breite, aufgedunsene Gesicht des Mannes" zu haben 
fürchtete. Bei dieser Abwehr des Flatus bestand noch ein direkter Zusammenhang 
mit dem Pressen beim Stuhlgange: stärkeres Pressen rief jenes Gefühl im Gesicht 
hervor. 

Endlich sei noch die Hauptzwangsformel der Patientin genannt: „Immer wieder 
einmal ist normal. Flüssig, wässrig, ganz normal und langsam. Sauerstoff." Die 
Erklärungen der Patientin lauteten: „Immer wieder einmal" beziehe sich auf das 
Denken an den Mann. Eine Modifikation dieser Formel lautete: „Immer wieder 
einmal ist so gut wie keinmal." Erinnert man sich der Angaben der Patientin, sie 
benötige die flüssigen Fäzes zu ihren Zwangsformeln, dann wird es wahrschein* 



Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ultimis 241 



lieh, daß der zweite Satz der Zwangsformel sich auf das Zerstückeln des Mannes 
durch Essen und Stuhl bezieht. Die Patientin selbst bezog die Worte auf den 
Mund: Sie wolle, sagte sie, alles ganz klein kauen, weil dies gesund sei. Das 
Schlußwort der Zwangsformel bedeutete, nach Angabe der Patientin, daß sie, da 
sie beim Sprechen etwas abgegeben hatte — Kohlensäure — nun berechtigt sei, 
Sauerstoff aufzunehmen. Da sich das „Abgeben" auf Anales bezog, d. h. den 
Feind vernichtet hatte, und die Patientin durch Abgeben, das heißt Verzicht auf 
denselben das orale Aufnehmen gesühnt hatte, konnte sie nun wieder oral auf* 
nehmen, d. h. den ganzen Prozeß von vorne beginnen ad infinitum. Der ganze 
Vorgang erinnert in seiner unbewußten Bedeutung an Nunbergs Auffassung 
des Schuldgefühls. Somit war die Zwangsformel letzten Endes ein Berechtigungs* 
nachweis zur anakoralen Befriedigung, all dies unter dem Schein des Erlaubten. 
Es ist klar, daß vieles an den Zwängen der Patientin in der kurzen Beobach* 
tungszeit nicht durchschaut werden konnte. Auch war die Differentialdiagnose 
zwischen zwangsneurotischem Delir 1 und paranoider Schizophrenie 
nur mit Wahrscheinlichkeit zugunsten der Zwangsneurose zu entscheiden. 

Ich will an diese Beschreibung einige Bemerkungen über den vielfach nicht 
genügend scharf hervorgehobenen narzißtischen Lustgewinn des 
Zwangsneurotikers anknüpfen. Daß in der Allmacht der Gedanken 
„ein gut Stück infantilen Größenwahns getreulich aufbewahrt", also hoch* 
wertige narzißtische Lust genossen wird, hat Freud schon vor drei Jahr« 
zehnten betont. Er hat auch darauf hingewiesen, daß die Zwangsneurotiker 
aus ihrem komplizierten Gedankengebäude ein Stück sekundären Krank* 
heitsgewinnes in narzißtischer Befriedigung schöpfen. 

Was im Folgenden beschrieben wird, gehört m. E. wesentlich zum 
Mechanismus des Zwanges. 

Die grundlegenden Arbeiten von Freud, Jones und Abraham ha* 
ben den Fragekomplex der Zwangsneurose weitgehend aufgehellt. Die pes* 
simistische, in „Hemmung, Symptom und Angst" geäußerte Meinung, die 
Zwangsneurose sei „als Problem noch immer unbezwungen", ist nicht ganz 
begründet. Damit soll keineswegs bestritten werden, daß noch viele Details 
der Zwangsneurose erklärungsbedürftig und weitere Arbeiten möglich und 
notwendig sind. Auf Grund genauer phänomenologischer Beobachtung for* 
mulierte z. B. kürzlich Federn die „Frongesetze" des Zwanges. 13 Fe* 
dem kommt zur Aufstellung von vier Gesetzen: 



i) Anläßlich der Diskussion des Vortrages von Dr. Stengel „Die zwangsneurotische 
Persönlichkeit im schizophrenen Prozeß" in der Wiener Psychoan. Vereinigung (19. VI. 
1935) sagte Dr. Walde r, es sei ihm immer als eines der ungelösten Probleme der New» 
rosenlehre erschienen, weshalb die Zwangsneurose trotz tieferer Regression besseren Re«< 
alitätskontakt aufrechterhalte, als die Hysterie. Zumindestens seien keine Fälle publiziert, 
die das Gegenteil beweisen. Dr. Hartmann und Verf. widersprachen diesen Auf* 
f assungen unter Hinweis auf das sog. zwangsneurotische Delir. Daß eine Lücke in der Literatur 
besteht, sei zugegeben. 

i») Int. Ztschr. f. Psa. Bd. XIX, 1933, S. 616 ff. 

Int. Zeitichr. f. Psychoanalyse, XXII/2 16 



242 Edmund Bergler 



, 1. Erfüllung der Determinierungen, d. i. inhaltliche Exaktheit. 

2. Freiheit von inhaltlichen Ablenkungen, d. h. gelungene Isolie* 
rung. 

3. Gebot des einheitlichen Affekts: Freiheit von Zweifel, Gegen* 
willen, Furcht oder libidinöser Besetzung. 

4. Gebot der Beteiligtheit des ganzen Ichs, d. h. ganzdabeisein. 
Federn macht mit Recht darauf aufmerksam, daß so ziemlich jedes dieser 

Gesetze dem andern widerspricht, woraus sich z. T. die Unlösbarkeit der 
Zwänge erklärt. So steht das erste Gesetz der exakten Durchführung mit dem 
zweiten und dritten, die als das innere Gebot, den Zwang ohne Ablenkung 
inhaltlicher und affektiver Art auszuführen, erscheinen, im Widerspruch. 
„Um dies zu erleichtern, werden die Zwänge immer mehr der besonderen In* 
halte beraubt und von Affekt entleert", womit zwar eine Erleichterung ein* 
tritt, aber bloß auf Kosten des Konfliktes mit Gesetz No, 1. „Jede Erleichte* 
rung ist ein Wagnis und gelingt meistens nur auf Kosten des sonstigen Ak* 
tionsradius der Persönlichkeit, d. h. aktuelle Quellen möglichen Schuldgefühls 
werden immer mehr vermieden, dann erst kann versucht werden, die Zwangs* 
rituale zu vereinfachen und zu typisieren." 

„Schön die ersten zwei Regeln widersprechen einander und sind deshalb 
schwer zu erfüllen, denn die Exaktheit verlangt Aufmerksamkeit, und dem 
Aufmerksamen fällt leicht auch das andere ein. Ein Ausweg daraus wäre, den 
Zwang zum Automatismus werden zu lassen, worauf Landauer hinge* 
wiesen hat. Diese Möglichkeit untersagt die Verpflichtetheit des Zwangs* 
neurotikers, ganz mit seinem Ich dabei zu sein. Erst, wenn er das , Wissen' 
davon hat, ist sein .Gewissen' beruhigt, und es tritt ein zwangsfreies Intervall 
ein. Beim Gesunden erfolgt die Zuwendung des Ichgefühls gleichzeitig mit 
der Zuwendung der Aufmerksamkeit, ohne aber zwangsweise sich auf die 
ganze Ichgrenze erstrecken zu müssen. Der Zwangsneurotiker muß ganz da* 
bei sein und vermeidet doch dabei, allzu aufmerksam zu sein, damit er nicht 
abgelenkt werde. So entsteht ein gequältes Ringen zwischen den bei* 
den Tendenzen, zwischen Konzentration und vager Aus* 
f üh'rung. Die Konzentration muß aber an allen Punkten vollkommen sein, 
wo inhaltlich' eine Ablenkung möglich würde. Im Verlaufe einer lange 
dauernden Zwangsneurose werden Teile des Zwangs verwischt, verschleiert 
oder die Übergänge der zweizeitigen Zwänge abgerundet und unübersichtlich 
gemacht, das Ich des Kranken scheint mit dem Symptom zu spielen — all das 
hat aber die Aufgabe, einem Bedürfnis nach richtiger Verteilung der Be* 
Setzungen gerecht zu werden, und ist nur möglich, wenn die Vorschrift, daß 
das Ich ungeteilt dabei sei, ständig befolgt wird. An die Verletzung dieses 
Gebotes knüpfen sich die größten Zweifel, auch wenn so viele Käutelen den 
Zwang kompliziert haben, daß inhaltlich seine Erfüllung gelingen muß. 



Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ulthnis 243 



Anderseits darf ein Zwang nur dann vorläufig in abgekürztem Ausmaß er* 
ledigt werden, wenn die Ichbesetzung besonders intensiv dabei ist." 

1. In Ergänzung dieser minutiös beobachteten „Frongesetze" muß die Frage 
aufgeworfen werden, weshalb die einzelnen Gebote des Zwanges ^eine 
Summe von contradictiones in adjecto darstellen, die weit über die Ämbi* 
valenz hinausgehen. So sahen wir z. B. bei unserer Patientin, daß sie beim 
Anblick ihres Schattens einerseits den Zwang verspürte, auf die „Deckfigur" 
am gleichen Ort zu warten, während ein anderes Gebot sie zwang, die Posi* 
tion, in welcher sie an „jenen Mann" gedacht hatte, sofort zu verdrängen 
etc. Der Einwand, daß es sich eben um beide Teile der Ambivalenz handelte, 
genügt nicht, denn beides — Weglaufen und Verharren an der gleichen Stelle 
— dient ja der Abwehr des Zwangsgedankens. Dagegen ist es interessant, 
daß beide Impulse historisch verschiedenen Zeiten der Ente 
wicklung des Zwanges angehören: das Weglaufen ist älteren 
Datums als die „Schattenspielerei", was auch daraus ersichtlich ist, daß bloß 
in letzterer ein Einschmuggeln der abgewehrten Wünsche („zur Deckung 
bringen" = berührt werden) sich durchsetzt. Es ist eine reizvolle, bisher noch 
nicht geleistete Arbeit, im fertigen Zwang die einzelnen historischen Schichten 
aufzudecken, die in der Weiterentwicklung des Zwanges automatisch' mite 
geschleppt werden. Bei jedem lange bestehenden Zwang gibt es Rudimente 
verschiedener Entwicklungsperioden des Zwanges, wie etwa in einem mo* 
dernen Fabriksbetrieb gewisse Überbleibsel aus der Zunftzeit (etwa Namen 
der Werkzeuge etc.) sich' erhalten haben. 

Darüber hinaus sei auf die Aufstellungen Alexanders verwiesen, der 
zeigte, daß der Zwangsneurotiker ständig die Tendenz hat, die Forde* 
rungen des Ober*Ich's ad absurdum zu führen. „Das Ich hat zwar 
Angst vor seinem Übersieh', trachtet aber seine Abhängigkeit von ihm aufzu* 
heben. Dies erreicht es dadurch, daß es das Über*IchzuUngerechtig* 
keitenprovoziert, um dadurch' seine moralische Abhängigkeit von ihm 
lösen zu können. Durch' das Erdulden ungerechter Strafen erreicht 
auch dann das Ich die volle Berechtigung, den verpönten Tendenzen des Es 
nachzugeben". 2 

Ein Patient Alexanders, „der lange Zeit zu jeder Arbeit unfähig war, fing 
während der Kur plötzlich eine merkwürdige Tätigkeit an. Der Sohn eines aka* 
demisch gebildeten Vaters, selbst auf einen geistigen Beruf sich vorbereitend, 
nimmt eine Anstellung als Handwerkslehrling an. Der bisher Nichtstuende steht 
jeden Tag um sechs Uhr auf und arbeitet im Arbeitskittel acht Stunden lang, um 
dann todmüde täglich zur psychoanalytischen Behandlungsstunde zu erscheinen. 
Hinterher nimmt er noch täglich eine Unterrichtsstunde. Er übertrieb die Arbeit 
in einer unglaublichen Weise, anstatt Arbeit leistete er Zwangsarbeit. Der Sinn 
der Verzerrung der Aktivität war deutlich: er persiflierte die Forde* 

2) F. Alexander: Psychoanalyse der Gesamtpersönlichkeit. Int. Psa. Verl., Wien, 
1927, S. 105. 

16* 



244 Edmund Bergler 



r u n g der Analyse, die identisch mit der Forderung seines Über*Ichs war, — 
nämlich das bisherige Nichtstun aufzugeben, — führte sie ad absurdum, um dann 
jede Tätigkeit mit dem Gefühl der Berechtigung ablehnen zu dürfen." 3 

Ähnlich verhielt sich einer meiner Patienten, ein junger Rechtsanwalt, der u. a. 
den Zwang hatte, sämtliche ausländischen juristischen Blätter zu lesen. Er ver* 
schaffte sich diese leihweise und leistete die Fronarbeit bis zur Erschöpfung, denn 
er setzte nach seiner Berufsarbeit die „Zusatzarbeit" des sinnlosen Studiums bis 
in die frühen Morgenstunden fort, bis er vor Erschöpfung einschlief. Als er 
wegen der Unmenge des Materials und der Sprachschwierigkeiten beiläufig um 
den 10. jedes Monats mit Verzweiflung einsah, daß er „nicht fertig" werden 
könne, gab er das Lesen auf und faßte den Vorsatz, die nächste Folge der an 
jedem Monatsersten erscheinenden Zeitschriften „gründlich" durchzuarbeiten. 
Anders ausgedrückt: nachdem er die Forderung seines Über*Ichs ad absurdum 
geführt hatte, gestattete er sich sexuelle Phantasien gerade in der Zeit, in welcher 
er zwangsweise gelesen hatte. 

Nun wird dieses ad a&surdum*Führen des Über*Ichs meist bloß sub specie 
der Abwehr des überstrengen Über*Ichs angesehen. Ein anderes Motiv ist 
aber der große narzißtische Lustgewinn, der durch dieses zeitweise Schach* 
mattsetzen des Über^Ichs für den Zwangsneurotiker erreicht wird. Somit ist 
dieser „M echanismus desinneren Widerspruchs aller Fron* 
ge setze" nicht bloß Ausdruck der Ambivalenz des Zwangsneurotikers so* 
wie seiner Tendenz des ad absurdum' Führens des Über*Ichs, sondern ge* 
radezu höchster narzißtischer Lustgewinn. Allerdings erinnert die Art dieses 
Lustgewinns an die Anekdote von der Bäuerin, die mit ihrem Mann einen 
Streit darüber hat, ob die Blumen im Garten mit einem Messer oder eine« 
Schere geschnitten werden sollen, wobei die Bäuerin die Schere, der Bauer 
das Messer empfiehlt. Im Verlaufe des Streites ertränkt der Mann die Frau 
im nahen Fluß, und diese macht noch im Ertrinken triumphierend die Be* 
\vegungen der Schere mit den Fingern nach . . . 

2. Es ist bekannt, daß sich' Zwangsneurotiker eine Art „Sklaven" (offiziell: 
Herren) halten, d. h. „eine Instanz außer sich zu gewinnen trachten, der der 
Zwangsneurotiker die Autorität einräumt, ihn von Zweifelangst und Zwangs* 
panik zu befreien. Dem Analytiker wird vom Patienten diese Rolle nach 
Möglichkeit übertragen" (Federn). Die Freudschen Erklärungen, daß 
dem Zwangsneurotiker infolge seines Hin*und*Her=*gezerrt*werdens von den 
einzelnen Ambivalenzen am Schluß jede Entscheidungsmöglichkeit fehlt, daß 
er ferner die Verantwortung jemand anderem, nur nicht sich selbst zuschieben 
will, sind analytische Axiome. Es ist mir aber aufgefallen, daß der Zwangs* 
neurotiker seine „Sklaven" als tief unter ihm stehend ansieht, sie v e r a c h t e t. 
Daß er sie trotzdem zu autoritativen Entscheidungen heranzieht, ist einer 
Aggression gegen das eigene Über*Ich gleichzusetzen etwa nach 
dem Motto: Was ist das für ein Über*Ich, das durch Krethi und Plethi ver* 
tretbar ist! Man sieht also, daß der Zwangsneurotiker, der den Analytiker in 



3) A. a. O., S. 104. 



Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ultimis 245 



diese Rolle hineinzudrängen sucht, diesen bloß zu Aggressionen gegen sein 
Übersieh verwendet. Deshalb ist die alte analytische Regel, dem Zwangs* 
neurotiker keine Ratschläge zu geben und dabei bloß die Motive zu unter* 
suchen, die ihn diese Ratschläge verlangen lassen, ergänzungsbedürftig im 
Sinne der Forderung, die in diesem Ratsuchen liegende Aggression und die; 
Herabsetzung des Analytikers (Übersieh) zu analysieren. („Mechanis* 
mus der personellen Herabsetzung des Über*Ichs.") 

3. Die Zwangsneurotiker schließen ganz sonderbare Kompromisse 
mit ihren divergierenden Über*Ich*Geboten und Verboten. (Man denke etwa 
an die Mechanismen des Isolierens und Ungeschehenmachens). Trotz ihrer 
Kompliziertheit liegt zutiefst etwas Kindliches und Primitives in diesen Kom* 
promissen. Sie enthalten zugleich eine maßlose Aggression .gegen das eigene 
Idvldeal. So war der früher beschriebene Mechanismus der „Übertragung", 
den die Patientin praktizierte, auf die plumpeste Ableugnung eingestellt. 4 
Diese Minderbewertung des Gegners läßt — bei einem so schwächlichen Ich 
— auf eine geheime Herabsetzungstendenz schließen, deren Befriedigung 
einen narzißtischen Lustgewinn bringt. Übrigens gehört auch der Einbruch 
des Verdrängten ins zwangsneurotische Symptom zum Teil zu diesem in* 
fanrilen Gehaben. 

Fast jeder Zwangsneurotiker stellt sich vor „Z w a n g s a 1 1 e r n a t i v e n", 
wie sie Freud beim „Rattenmann" beschrieben hat. 

Ein Patient hatte z. B. folgende Zwangsalternative, die er vor einer Sprach* 
Prüfung, zu der er sich monatelang nicht entschließen konnte, aufstellte: „Ent* 
weder werde ich bei der Prüfung „schwindeln" (durch Benützung eines Wörter* 
buchs, resp. einer Übersetzung) oder die Analyse wird mißlingen." 
Den Zusammenhang mit der Analyse stellte er auf folgendem Wege her: Es sei 
zwar richtig, daß der Analytiker ihm keine Ratschläge gebe, da dies der analy* 
tischen Technik widerspreche. Wenn aber der Analytiker Ratschläge gäbe, 
würde er vom Schwindeln abraten, dieses als Selbstschädigungstendenz aufzeigen 
und den Mißerfolg des „Schwindeins" prophezeien. Da diese Prophe* 
zeiung nicht eintreffen müßte, d. h. das „Schwindeln" vom Professor nicht ent* 
deckt werden und er die Prüfung vielleicht gerade wegen des abgeratenen 
„Schwindeins" bestehen könnte, wäre der Beweis geliefert, daß auch die anderen 
Behauptungen der Analyse falsch seien, und damit wäre die ganze Kur zum Miß* 
erfolg .verurteilt . . . 

Die ganze Argumentation der „Zwangsalternative" beruht auf einer f al* 
sehen Prämisse, auf der „Prophezeiung" des Mißerfolges. Sie ist aber 

4) Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit mit dem von mir beschriebenen „anonymen 
Koitus" („Über einige noch nicht beschriebene Spezialformen der Ejakulationsstörung", 
Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XX, 1934). Der Patient konnte bloß unter der Bedingung 
koitieren, daß ihm die Partnerin vom Koitus anderer Männer mit ihr erzählte, mit denen 
sich Patient identifizierte. Er verwandelte damit den realen eigenen Koitus scheinbar in 
eine Erzählung vom Koitus eines Fremden, mit der unbewußten Phantasie: nicht ich, 
der Fremde macht etwas Verbotenes, und ich habe, da ich selbst weder handle noch 
rede, keine Verantwortung. 



246 Edmund Belgier 



für die kindlichen Ubertölpelungsversuche, die der ubw. 
Ich^Anteil gegen das Übersieh unternimmt, bezeichnend und 
kann bloß durch Zurückführung auf den Ambivalenzkonflikt und infantiles 
Material gelöst werden. Es sei daran erinnert, daß beim „Rattenmann" eine 
ähnliche falsche Prämisse die Basis des „Schwurs" bildete: 

„ . . . Dieser Offizier erzählte ihm, als er seinen Namen hörte, er sei vor kurzem 
auf dem Postamt gewesen und vom Postfräulein befragt worden, ob er einen 
Leutnant H. (eben unseren Patienten) kenne, für den ein Paket mit Nachnahme 
angekommen sei. Er erwiderte verneinend, aber das Fräulein meinte, sie habe 
Zutrauen zu dem unbekannten Leutnant und werde unterdes die Gebühr selbst 
erlegen. Auf diese Weise kam unser Patient in den Besitz des von ihm bestellten 
Zwickers. Der grausame Hauptmann beging einen Irrtum, als er bei der Ein* 
händigung des Pakets mahnte, die Kronen 3.80 dem A. zurückzugeben. Unser 
Patient mußte wissen, daß dies ein Irrtum sei. Trotzdem 1 e i* 
stete er den auf diesen Irrtum gegründeten Schwur, der ihm 
zur Qual werden mußte . . ." fi 

Ein anderes Beispiel dieser Kindlichkeit beim Zwang liegt im „Suchen 
der Indifferenz", einem Lösungsversuch des Ambivalenzkonfliktes. Ich 
entnehme einem Tagebuchabschnitt eines Zwangsneurotikers folgende Stelle: 

„Schon zeitlich erwacht, die Eltern noch nicht aufgestanden. Obwohl ich mich 
ganz munter fühle, hält mich doch irgendeine Kraft an das Bett gebannt. Doch 
will ich sobald als möglich aufstehen. Da überfällt mich die Frage: .Wozu?' . . . 
,Um die Zeit zu benützen und zu arbeiten . . .' Gefühl von grenzenlosem Ekel 
und Trostlosigkeit. .Aber ich muß ja doch aufstehen, um meine Arbeit zu be* 
sorgen', sage ich mir und diesen Gedanken energisch festhaltend, bin ich schon 
im Begriffe, mich vom Lager herunterzuschwingen. .Doch nein, wenn ich mit dem 
Gedanken an mein Studium (etwa durch die Vorstellung der Physiognomie 
meines Professors konkretisiert) den Fuß zu Boden setze, so bedeutet dieses Auf* 
stampfen Vernichtung des Prüfungserfolges'. Ich bleibe also weiter liegen. (Als 
ich dieses Tagebuch zum erstenmal niederschrieb, überkam mich Furcht, daß ich 
wegen des im vorigen Satze kollektiv gebrauchten ,Fuß' statt ,Füße' als Strafe für 
diese Ignorierung meines normalen Körperzustandes einmal wirklich nur einen 
Fuß haben könnte. Bei der gegenwärtigen Umschrift erkenne ich einen grauen* 
haften mystischen Zusammenhang: am Tage der oben erwähnten Prüfung ver* 
unglückte nämlich der Sohn unserer Hausbesorgerleute beim Motorradfahren, 
und es mußte ihm ein Bein mit dem Oberschenkel abgenommen werden). Doch 
um auf die Stadien meines Auf Stehens zurückzukommen: nachdem der erste Auf* 
raffungsversuch gescheitert ist, denke ich einen Augenblick daran, daß ja alle 
diese Ängste nur Zwangsbefürchtungen seien, und es schwebt mir das Bild 
meines Arztes vor. Dabei aber wage ich es erst recht nicht, die Füße mit jener 
unvermeidlichen ruck* und schlagartigen Bewegung auf den Boden zu setzen, da 
hiedurch der Erfolg der Analyse vernichtet würde. Als letztes Aufmunterungs* 
mittel denke ich an meine Freundin. Wenn ich in diesem Augenblicke auf* 
stampfe, setze ich wohl nichts Lebenswichtiges aufs Spiel, da ich schon so weit 
zu sein glaube, — wollte schreiben: bin, doch fürchte ich, daß eine so bestimmte 
Ausdrucksweise als lästerliche Überhebung vom Schicksal bestraft werden 
könnte, — leicht Ersatz zu finden. Auch habe ich schon öfters, wenn sie zum 

5) Ges. Sehr. Bd. VIII., S. 285. 






Bemerkungen übe* eine Zwangsneurose in ultimis 247 



Stelldichein zu spät kam, in der Ungeduld des Wartens ausgerauchte Zigaretten 
mit dem Gedanken an sie weggeworfen, ohne daß ich dadurch ihre Liebe ver* 
loren hätte. Da aber kommt mir in den Sinn, daß ich vor kurzem ohne Schutz* 
mittel mit ihr verkehrt habe und ich nun für die anmaßende Meinung, 
gegen jene symbolisch gesetzmäßige Macht des Wegwerfens, Aufstampfens 
und Aufklopfens gefeit zu sein, mit unehelicher Vaterschaft bestraft 
werden könnte. Nunmehr versuche ich, da das Denken an Aufmunterndes sich 
als nutzlos erwiesen hat, es mit der Vorstellung von etwas gesucht Unange* 
nehmen, etwa der Physiognomie eines ehemaligen Bürochefs von mir: in diesem 
Falle könnte das vernichtende Auftreten praktisch keine Wirkung haben, da es 
sich auf etwas ohnehin schon Aufgegebenes, meine Bürolaufbahn, bezöge. Doch 
ein peinlicher Gedanke wie dieser ermuntert erst recht nicht zum Aufstehen. 
Endlich suche ich mir etwas möglichst Gleichgültiges vorzustellen 
(etwa die Gesellschaft von gestern abends, in der ich mich sehr gelangweilt habe) 
und diesen Gedanken bis zum kritischen Augenblick des Aufstampfens krampf* 
haft festhaltend, erhebe ich mich vom Lager." 

Endlich sei in Ergänzung dieses „Suchens nach Indifferenz" auf einen Me* 
ch'anismus desselben Patienten verwiesen, den er in späteren Stadien der 
Kur drastisch: „seinem Übersieh etwas zum Fraß hinwerfen" nannte. 

Nachdem er nämlich, um sich vor den immer neu in die Zwangsformeln 
einmengenden Blasphemien zu schützen, seine Zwangsformeln zu einem in rasen* 
dem Tempo vorgebrachten Murmeln abgekürzt hatte, fügte er noch hinzu: „Ma* 
thematik" oder „Mauermacher". Nach dem Sinn befragt, meinte Patient, es sei 
dies ein „Aufopfern". Warum er aber gerade diese zwei Worte sage und nachher 
eine Beruhigung empfinde, könne er nicht angeben. Die Analyse ergab, daß 
„Mauermacher" ein Verzicht auf anaUexhibitionistische Wünsche war und sich 
auf kindliche Spielereien („auf die Mauer machen", d. h. defäzieren) bezog. 
„Mathematik" war der Verzicht auf Erfolg im Leben, der in Zahlen, d. h. ma* 
teriell iausdrückbar wäre. 

Man könnte geradezu behaupten, daß die relative Plumpheit, mit der das) 
Übersieh ad absurdum geführt wird, für die Zwänge typisch ist. Je 
plumper die Falle, in die das Übersieh geht, desto höher die Befriedigung 
durch narzißtischen Lustgewinn des unbewußten Anteils des Ichs. („M echa* 
nismus der relativen Plumpheit beim Zwang".) 

4. Es ist bekannt, daß den Zwangsneurotikern ständig Dinge zustoßen, die 
die Allmacht ihrer Gedanken zu bestätigen scheinen. Ich nannte diese Er* 
eignisse „lenkbare Wunder". 6 

Ein Patient beschäftigte sich seit langem mit dem Projekt einer landwirtschaft* 
liehen Düngerschule, für welche er, obwohl er von diesem Fach nichts verstand 
und in seinem Vorschlag unbewußt lediglich die Sublimierung seiner analen Ten? 
denzen anstrebte, mit einigem Geschick verschiedene landwirtschaftliche In* 
stanzen zu interessieren versuchte. Nach monatelangen Bemühungen gelang es, 
eine Sitzung einiger Interessenten in einer Provinzstadt zusammenzutrommeln. 
Auf dem Wege zur Sitzung — natürlich war schon die Fahrt von verschiedenen 
ominösen Vorzeichen begleitet gewesen — beschließt Patient in gehobener Stirn» 

6) Siehe die Arbeit des Verf. „The Psycho*Analysis of the Uncanny", Int. Journal pf 
Psycho*Analysis (London) 1934. 



248 



Edmund Bergler s Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ultimis 



mung, sich eine Freude zu gönnen und nicht wie gewöhnlich 3 „Damen'zigaret* 
ten ä 4 Groschen zu kaufen, sondern sich etwas besseres zu gönnen. Eine kost* 
spieligere Zigarette wäre aber eine Herausforderung des Schicksals, auf dessen 
Protektion er bei der bevorstehenden Sitzung dringend rechnet, und so beschließt 
Patient nach langem Schwanken ein Kompromiß und kauft 2 „Damen'zigaretten 
ä 4 Groschen und eine „Dames"zigar ette zu 5 Groschen. Beim Zahlen ist er aber 
völlig niedergeschmettert, als ihm die Trafikantin die Summe nennt: 13 Groschen! 

Ein solches „Wunder" ist durch die Ambivalenz zu erklären; da sie 
dauernd wirkt, ist auch die zur Abwehr erfolgte Projektion der negativen 
Strebung stets vorhanden, umsomehr, als diese „Schicksals s c h 1 ä g e" se* 
kundär sexualisiert und unbewußt wollüstig erwartet werden. Man kann 
hinzufügen: im unbewußten Anteil des Ich wissen die Zwangsneurotiker, 
daß sie selbst die Manager dieser Wunder sind. Somit ist es die 
Betätigung der eigenen Allmacht, die dabei vom Schicksal schein* 
bar von außen inszeniert wird. Daß das Schicksal ständig den „Aufpasser" 
spielt und sich so auffallend viel mit dem Zwangsneurotiker abgibt, ist für 
den Zwangsneurotiker ein neuerlicher Beweis dafür, daß er vom Schicksal 
geliebt werde und somit über das Schicksal Macht habe. (Mechanismus 
der „lenkbaren Wunder" bei der Zwangsneurose.) 

* 

Die hier aufgestellten vier Eigenschaften des Zwanges — der innere Wider* 
spruch der Frongesetze, die „personelle" Herabsetzung des Über*Ichs, 
die „relative Plumpheit" und das Herstellen „lenkbarer Wunder" — be* 
weisen, daß trotz allem auch beim Zwang der Narzißmus siegreich sich durch* 
setzt, sie ergänzen daher die Fe dem sehen „Frongesetze". Inhalt und Form 
der Zwänge werden nicht nur durch jene Gesetze bestimmt, welche der 
Angst vor dem Mißlingen der Zwänge entspringen, sondern auch durch 
die narzißtische Lust, welche zum Teil spielerisch, aber immer auf früh* 
infantilem Niveau, dadurch erreicht wird, daß das Über*Ich sich Überlegen* 
heit, Trotz, Zum*Besten*Halten seitens des Ichs gefallen lassen muß. 



Über die Bedeutung 
des psychischen Traumas in der Epilepsie 

Von 

Daniel K. Dreyfuß 

Jerusalem 

Die Versuche, durch psychologische Betrachtung einem Verständnis der 
Epilepsie näherzukommen, sind nicht mehr selten, wenngleich „in der Frage 
der Epilepsie Physiologisches und Psychologisches schwer zu sondren ist" 
(F e r e n c z i). Für die nur physiologische Betrachtungsweise ist die psychische 
Eigenart des Epileptikers Begleiterscheinung und Folge des organischen 
Krankheitsprozesses. Obwohl auch das künstlerisch introspektive Schaffen 
z. B. eines Dostojewski dem Analytiker manche Anhaltspunkte zum 
Verständnis gibt, wollen wir zur klinischen Auseinandersetzung unsere Er* 
fahrungen nur am Kranken sammeln und begründen. 

Einer Forschungsrichtung, die das Wesen der Krankheit aus organischem 
Geschehen allein erklären wollte, ist von psychopathologischer Seite das 
schwer und selten zugängliche Material gegenüberzustellen, auch wenn es, 
wie die folgende Krankengeschichte, fragmentarisch blieb. Wenige ana# 
lytisch#hypnotische Sitzungen ließen Einblicke gewinnen, von denen aus 
einige Mechanismen des Leidens betrachtet werden sollen. Der Bericht hat 
also weder eine eingehende Analyse noch einen therapeutischen Erfolg zu 
verzeichnen. Wenn es gelungen ist, Gesichtspunkte zu entwickeln, die für 
die analytische Untersuchung anderer Kranker von Wert sind, ist der Zweck 
dieser Ausführungen erreicht. — Die Schwierigkeit, die sich dem Versuche ent* 
gegenstellt, überzeugende Eindrücke aus Analysen objektiv darzustellen, 
möge mir als Entschuldigung dienen, wenn ich manchmal den Boden der 
•Tatsachen zu verlassen scheine. Die vorliegende Arbeit stützt sich z. T. auf 
jüngst mitgeteilte Erfahrungen bei einem Falle von traumatischer psychi* 
scher Epilepsie. 1 

Theodor Kindermann hatte mit 19 Jahren — Ende Februar 1924 — in einer 
Kokerei einen Unfall. Einige Wochen später machte er der Berufsgenossenschaft 
folgende Angaben: „Ich war an einem Lösch wagen beschäftigt. Um die Schieber 
der Retorten einhängen zu können, mußte ich eine Leiter benutzen. Ich machte 
den Hilfsmeister O. darauf aufmerksam, daß die Leiter keine Einhängehaken 
habe. Er gab mir aber zur Antwort, daß ich die Leiter nur benutzen solle. Ich 
stand etwa 2 Meter hoch, als die Leiter ausrutschte und ich herunterfiel. Zuerst 
fiel ich mit dem linken Arm auf ein gespanntes Drahtseil und von da mit dem 
Hinterkopf auf den Boden. Ich mußte die Arbeit sofort einstellen. Ich konnte 
mich allein in ärztliche Behandlung begeben. Wegen einer Sehnenzerrung am 
linken Arm und eines nachträglich eingetretenen Nervenleidens beanspruche 

i) Dreyfuß: Der Fall Wieland. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XX, 1934. 






250 Daniel K. Dreyfuß 

ich eine Unfallsrente." Der Hilfsmeister dagegen erklärte, er sei weder an der 
Unfallstelle zugegen gewesen, noch hätte es an vorschriftsmäßigen Leitern ge* 
fehlt. K. hätte weiterarbeiten wollen und sich erst nach Aufforderung zum 
Arzt begeben. Diese einander widersprechenden Angaben werden später noch 
unser Interesse finden. 

Der behandelnde Nervenarzt berichtete in seinem Gutachten, daß der Kranke 
bei der Untersuchung eine Woche nach dem Unfall über heftige Kopfschmerzen 
klagte, die erst 2—3 Tage nach dem Fall aufgetreten seien. Außerdem kam 
es 2—4 Tage danach zu Krampfanfällen mit Bewußtlosigkeit. Es dauerte 
oft 3 — 4 Stunden, bis er wieder ganz klar war und sprechen konnte. Einmal 
beobachtete der Arzt einen postparoxysmalen Dämmerzustand, häufiger Zun* 
genbisse und im Gesicht Blutunterlaufungen. Der Kranke litt zu jener Zeit 
fast täglich unter Anfällen und Kopfschmerzen, fiel häufig im Anfall nachts 
aus dem Bett und taxierte sich dabei den linken Arm. — Die Versicherungs* 
behörde forschte damals bei Nachbarn, Lehrern, Arbeitgebern und Mitarbeitern 
nach früheren Anfällen, erhielt jedoch nur verneinende Antworten. 

Im Juni 1925 stellte die Chirurgische Klinik Heidelberg habituelle Schulter* 
luxation auf beiden Seiten und erhebliche arthritische Veränderungen fest. Wir 
folgen nun einem Gutachten der Psychiatrischen Klinik: Der Kranke und ein 
Bruder seiner Mutter sind Linkshänder. Sonst bietet die Familienanamnese nichts 
Bemerkenswertes. Als Kind träumte er nachts viel und schrie oft im Schlafe 
angstvoll auf. Nach einer 2% jährigen Lehre als Schriftsetzer hatte er zuerst in 
einer großen Maschinenfabrik gearbeitet; dann war er ein halbes Jahr lang 
arbeitslos gewesen, fand aber gegen Ende 1923 in dem Werke Beschäftigung, 
wo sich Anfang 1924 der Unfall ereignete. Seine Angaben über dessen Her* 
gang entstammten gar nicht eigener Erinnerung. Mitarbeiter hatten ihm 
nachträglich erzählt, er sei auf das gespannte Drahtseil, dann gegen eine Wand 
und nochmals auf ein Seil gefallen, sei mit dem Arm hängen geblieben, und sie 
hätten ihn herabgehoben und auf die Erde gelegt. Die Angabe, er sei auf den 
Hinterkopf gefallen, müssen wir also in Frage stellen. K. selbst hatte eine Amnesie 
und erinnerte sich erst wieder, mit verrenkter Schulter zum Arzt gegangen 
zu sein. Auch den Eltern war nichts Besonderes aufgefallen, K. hatte weder) 
erbrochen, noch war er längere Zeit bewußtlos gewesen; die Beschwerden traten 
erst einige Tage später auf. Der erste Anfall stellte sich unterwegs ein, als er 
das zweite oder dritte Mal den Arzt aufsuchte, und K. wurde im Wagen nach 
Hause gebracht. Nach seiner Schilderung sei er plötzlich zusammengebrochen, 
als hätte er die Herrschaft über sich verloren. Seitdem kehrten die Anfälle 
trotz Luminalbehandlung in Zwischenräumen von einigen Wochen oder auch 
von 2—3 Tagen wieder, meist einzeln, nicht selten aber auch 3 bis 4mal ,nach* 
einander. Nach Mitteilung der Eltern schrie er plötzlich laut auf, schnarchte 
tief und zuckte am ganzen Körper. Meist biß er die Zunge; oft fiel er aus dem 
Bett und verrenkte sich die Schulter, die der Vater dann wieder einrichtete. 
Nachher fühlte er sich müde und abgeschlagen und hatte keine Erinnerung 
an das Vorgefallene. Oft befiel ihn auch nur eine Absence, in der er Gegen* 
stände fallen ließ. Im Laufe jenes Jahres hatte er sich ferner deutlich verändert. 
Die Eltern fanden ihn schwerfälliger, nicht mehr so frisch und lebendig wie 
früher, das Gedächtnis hatte nachgelassen und er war leichter erregt. Er selbst 
fand, daß er leichter ermüde und sich bei jeder Arbeit — nun wieder als Schrift* 
setzer — lange besinnen müsse. Bei einem Scheltwort werde er unsicher, ver* 
wirrt, und leicht kämen ihm Tränen. Dieser Rückgang der Leistungsfähigkeit 






Über die Be deutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 251 

war zwar durch eine Prüfung noch nicht objektiv festzustellen, doch fielen eine 
gewisse Armut des Sprachschatzes, Umständlichkeit im Ausdruck, Weitschweifig* 
keit und Langsamkeit auf. Auch verfügte er nur über ungenaue Daten seines 
Lebenslaufes. 

In der Klinik konnte man „einen ganz elementaren, ungewöhnlich schweren 
Anfall beobachten, der zweifellos organisch*epileptisch bedingt war: Er stürzte 
mit lautem Schrei bewußtlos aus dem Bett und bekam tonisch*klonische Zuckun* 
gen des ganzen Körpers Schulterluxation rechts, Gesichtscyanose, tief schnar* 
chende Atmung und Zungenbiß, Fuß* und Patellarklonus, beiderseits das Ba* 
binskische Phänomen. Nach dem Anfall bestand noch eine Viertelstunde ,ein 
Dämmerzustand, in dem er weinte, stöhnte und angstvoll ächzte." 

Dieser Anfallstypus, der nicht in einer Muskelgruppe begann, sondern blitz* 
artig den ganzen Körper erfaßte, war ganz derjenige, den man bei genuiner 
Epilepsie zu sehen gewohnt ist. Der Gutachter erwog zwar den Verdacht auf 
genuine Epilepsie, für den auch die Linkshändigkeit, der Pavor nocturnus in der 
Kindheit und die Leichtigkeit des Traumas sprachen, glaubte jedoch einen Zu* 
sammenhang mit dem Unfall nicht ablehnen zu dürfen, — wie wir sehen werden, 
mit vollem Recht, — da epileptische Zeichen vorher fehlten und die Anfälle erst 
nach dem Unfall auftraten. Im Hinblick auf gewisse Kriegserfahrungen, wo diffuse 
Hirnblutungen nach geringen Gewalteinwirkungen beobachtet wurden, stellte 
man klinisch die Wahrscheinlichkeitsdiagnose einer traumatischen Epilepsie. Die 
Prognose erschien schlecht, das Leiden progredient; die Erwerbsminderung wurde 
mit 50 Prozent eingeschätzt. 

Zu einer anderen Auffassung kam 2 Jahre später ein Obergutachten von 
Professor Reichard t, Würzburg. Inzwischen hatte sich herausgestellt, daß 
K. schon einmal 1923, also vor dem Unfall, wegen einer Schulterluxation behandelt 
worden war. Der Gutachter hielt deshalb frühere, nichtbeobachtete Anfälle für 
wahrscheinlich und betrachtete den zeitlichen Zusammenhang zwischen Unfall 
und Anfällen als nicht maßgebend. Die Art der Anfälle, das Auftreten von 
Dämmerzuständen, die Progredienz, die typische Charakteränderung und eine 
schon vorgeschrittene Demenz wurden als kennzeichnend für genuine Epilepsie 
aufgefaßt. Invalidität (70 Prozent) wurde bejaht. 

Die nächsten Jahre arbeitete K. weiter als Schriftsetzer. Die Anfälle bestanden 
in unregelmäßigen Abständen weiter, obwohl alle medikamentösen Möglich* 
keiten versucht wurden. In anfallsarmen Zeiten litt er mehr an kleinen „so 
schlagartigen" Zuckungen und klagte über stärkeres Angstgefühl. Im Anfall 
fiel er immer wieder aus dem Bett und luxierte sich unzählige Male vorwiegend 
das linke Schultergelenk. 

Sehr bemerkenswert ist die Schilderung eines Anfalls, die wir einem Gutachten 
der Heilanstalt Köppern verdanken, wo der Kranke 1928, im fünften Krank* 
heitsjahre, einige Wochen zur Erholung war: „. .. fast täglich wurden Anfälle 
beobachtet, die sich während des Aufenthaltes noch häuften, u. a. ein Status 
epilepticus von drei Anfällen im Laufe von dreiviertel Stunden. Er war in der 
Sonne gelegen, hatte plötzlich aufgeschrien und bekam klonische Zuckungen 
im ganzen Körper, starke Cyanose, weite reaktionslose Pupillen. Babinski und 
Oppenheim positiv. Die linke Hand war krampfhaft eingeschlagen, mit der 
rechten schlug er ziemlich rhythmisch von der Sürnauf die Unter* 
läge. Der Kopf wurde mäßig nach der linken Seite gedreht. Nach den Anfällen 
Schwerbesinnlichkeit und weitgehende Amnesie." 



252 Daniel K. Dreyfuß 



Diese Schilderung verdient schon jetzt besondere Aufmerksamkeit, da wir 
später in jener als organischer Krampf aufgefaßten rhythmischen Bewegung 
eine sinnvolle Ausdrucksbewegung kennen lernen werden. 

Vier weitere Gutachten der letzten Jahre betonen die vorgeschrittene Demenz, 
Schwerfälligkeit und Stumpfheit. Bei sämtlichen körperlichen Untersuchungen 
wurde intern und neurologisch nie ein krankhafter Befund festgestellt; es wird 
nur erwähnt, daß das Genitale klein und hypoplastisch sei. 

Analytische Hypnosen. 

Anfang 1933 — im neunten Krankheits jähre — lernte ich K. gelegentlich 
der Vertretung seines Arztes kennen, einen großen, kräftigen, etwas 
beleibten jungen Menschen von 28 Jahren. Sein Gesicht war glatt und eben* 
mäßig, die Züge etwas unentwickelt und kindlich. Im Auftreten war er ein 
wenig schwerfällig, langsam und unentschlossen. Er ist seit einigen Jahren 
verheiratet und lebt gut mit seiner Frau. Die Ehe ist kinderlos. Trotz der 
laufenden Broms>Luminalbehandlung traten die Anfälle auch jetzt noch, zeit* 
weise allnächtlich, selten auch während der Arbeit auf. Gewöhnlich begannen 
sie kurz nach dem Einschlafen. Die Frau bestätigte die Mitteilung des 
Kranken, daß sie manchmal bis zu 2 Stunden dauerten. Oft gelinge es ihm 
noch, sie durch einen Zuruf aufmerksam zu machen, damit sie ihn festhalte 
und er nicht aus dem Bett falle. Er sei bewußtlos, mache mit Armen und 
Beinen krampfartige Bewegungen und beiße auch manchmal die Zunge. 
Beim Erwachen sei er ohne Erinnerung, matt und zerschlagen und fände oft 
Abschürfungen an den Beinen. In der Setzerei sei man unzufrieden und 
schimpfe mit ihm, wenn er das Geringste falsch mache oder zu spät komme. 
Deshalb möchte er am liebsten aufs Land. Er fühle sich nur als halben Men* 
sehen und möchte die Anfälle loswerden, schon deshalb, weil er den vollen 
Lohn nicht verdiene. Meist sei er verstimmt und traurig. (Der Meister erklärte 
in einem Brief an die Versicherungsbehörde, er behalte K. nur aus Mitleid.) 

Als ein gewisser Kontakt hergestellt war, setzte ich mit den Medikamenten aus 
und schlug ihm eine hypnotische Behandlung vor, worauf er bereitwillig einging. 
Es gelang immer leicht, ihn in Hypnose zu versetzen, nur bedurfte es ziemlich 
langen Abwartens (durchschnittlich 15 Minuten). Suggestionen völliger Entspann 
nung, gleichmäßig tiefer Atmung, eines Schwergefühls der Beine, des Körpers, der 
Lider, Müdigkeit, Schlaf genügten. Gewöhnlich versank er mit einem ruckar* 
tigen Zusammenzucken, wie nach einem Schrecken, in so tiefen 
Schlaf, daß es — wie mir zunächst schien — fast unmöglich war, sich zu ihm in 
Beziehung zu setzen. Auf Fragen reagierte er nur mit einem ratlosen und ge* 
spannten Gesichtsausdruck und bewegte gelegentlich die Lippen, als suche er nach 
Worten. Sein Gesicht war gerötet, die ganze Haltung gespannt und abweisend, 
so daß ein heftiger Widerstand nicht zu übersehen war. Nach dem Erwachen 
erzählte er, er erinnere sich wohl noch, wie ich zu ihm gesprochen hätte, doch t sei 
es ihm unmöglich gewesen, ein Wort herauszubringen. In den beiden ersten 
Sitzungen war so über seine inneren Vorgänge nichts zu erfahren. 

In der dritten Sitzung wiederholte sich jenes Zusammenzucken zwei oder drei* 
mal, während er, sich selbst überlassen, dalag. Nach ziemlich langer Zeit mur* 



Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 253 

melte er auf die Frage, wo er jetzt sei, undeutlich etwas von einem „Ofen". 
Danach: „Franz! Auf dem Platz bleib' ich nur solang', bis ich soviel beisammen 
hab', daß ich was anderes anfangen kann". Wenige Sekunden später erfolgte 
nochmals jenes Zusammenzucken und einige abrupte ausfahrende Bewegungen 
der Beine. Dann faßte er — das Gesicht schmerzhaft verzerrt — mit der rechten 
Hand in die linke Achselhöhle, riß und zerrte am Ärmelloch der Weste und 
stieß stöhnende Laute aus. [Unansprechbar.] Etwas später lallte er mit ver* 

waschener Sprache: „Blutet's noch? Blut 's immer noch?" Er hatte den Kopf 

dabei nach links gedreht und strich sich, während er die Ffage noch einigemal 
wiederholte, dauernd mit der rechten Hand über die linke Stirnseite oberhalb 
der Augenbraue gegen die Unterlage zu, als wolle er etwas abwischen. Einige 
Worte konnte ich nicht verstehen, dann murmelte er, auf die Frage, was los sei: 
„Bin runterg'falle". Nun lag er wieder einige Zeit ruhig da. Plötzlich fuhr er 
hoch, richtete den Oberkörper halb auf und sah mit weitaufgerissenen Augen 
um sich. [Jetzt?] „Eben hab' ich mei' Mutter g'sehe! (erstaunt:) War mei' 
Mutter nit eben da?" Darauf legte er sich ganz ratlos wieder hin und schien 
einige Zeit wie wach. Bald schloß er aber wieder die Augen und schlief weiter. 
(Posthypnotischer Auftrag: Erinnern und aufschreiben!) Lange nach dem ge* 
setzten Termin erwachte er ziemlich benommen, und war, wie das Gespräch 
ergab, völlig amnestisch. 

Als er sich am Tage darauf wieder einfand, war er sehr ungehalten, weil er 
„die Anfälle schlimmer als je zuvor" gehabt hätte. Gleich nach dem Zubettgehen 
sei ein Anfall gekommen, und am Morgen hätte ihm seine Frau erzählt, daß er 
dauernd nach einem Zettel verlangt und schließlich „erbrochen 
hätte, was er in sich hatte". 

Daß er sich erbricht, da das Material, dessen er sich schriftlich „entäußern" 
soll, zu tief verschüttet ist, weist auf die symbolische Bedeutung eines Kon* 
versionsymptoms hin. Jener Vorgang scheint mir auch eine Bestätigung da* 
für zu sein, wie der epileptische Anfall von exogenen Momenten sehr wohl 
ausgelöst werden kann. Diese Hypnose zeigt, daß das Unfallserlebnis im 
Ubw. des Kranken noch heute eine große Rolle spielen und, der Stärke des 
Widerstands nach zu urteilen, außerordentlich tief verschüttet sein muß. Daß 
dieses Material noch starke Besetzung hat, ist auch aus dem regelmäßigen 
Erschrecken der ersten Sitzungen zu erschließen, das vermutlich von dem 
Unfallmoment mitdeterminiert ist. 

Die anfängliche Bemerkung, in der er Franz einen Stellenwechsel ankündigt, 
ist, wie er mir später erklärte, an den Kameraden gerichtet, der kurz vor dem 
Unfall mit ihm gearbeitet hat. Da diesen Worten der „Unfall" auf dem Fuße 
folgt, denken wir an eine unbewußt motivierte Fehlhandlung. Der Vorwurf 
gegen den Hilfsmeister (s. o.), er hätte den Unfall verschuldet, rückt damit in 
ein besonderes Licht. Er hatte den Wunsch, jene Tätigkeit loszuwerden. Aus der 
dumpfen Ahnung, daß der Unfall eine Ursache habe, hat er wohl die Vorstel* 
lung auf den Vorgesetzten projiziert und ihm vorgeworfen, er hätte ihn zu dex 
Benutzung jener schadhaften Leiter angehalten. — Auch das Verhalten in der hyp* 
notischen Wiederholung des Unfalls ist unschwer verständlich: Das Zerren am 
Westenrand erinnert uns an das Drahtseil, über dem er damals mit der linken 
Achselhöhle hing. Am meisten interessiert uns aber die Wischbewegung an der 
Stirn, da in der Schilderung jenes spontanen Anfalles in Köppern eine 



254 Daniel K. Dreyfuß 



ganz übereinstimmende Bewegung enthalten ist. K. konnte mir nun erzählen, daß 
er nach dem Fallen an der gleichen Stelle ein leichte blutende Schramme hatte. 
Das Erscheinen der Mutter am Ende konnte er mir nicht erklären, da es ihm 
selber ganz unverständlich war; wir schließen daraus, daß es einer tieferen 
Schicht angehörte, die dem Bewußtsein noch nicht zugänglich war. Wir kommen 
darauf noch zurück. 

Während einiger Tage war K., als er im Wachen assoziieren sollte, sehr gesperrt 
und brachte kaum einen Einfall. Ebenso wie in Hypnose setzte er hin und wieder 
zum Sprechen an, doch ohne Erfolg. Nur einmal war er über eine Deutung 
seiner Angst merkwürdig stark gekränkt und kam nicht von der Idee 
los, ich traue ihm bösen Willen zu. Am folgenden Tage erklärte er 
mir, seine Anfälle seien jetzt jede Nacht so heftig und dauerten „die 
ganze Nacht" hindurch, so daß ich ihm versprechen müsse, daß es nicht noch 
schlimmer würde, sonst mache er Schluß. Meine Antwort, daß er sich durch eine 
vorübergehende Verschlimmerung nicht abschrecken lassen dürfe, leuchtete ihm 
zunächst noch ein. Die Vorstellung, daß die Behandlung etwas Bedrohliches sei, 
wird uns noch beschäftigen. 

Am nächsten Tage — in der vergangenen Nacht hatte er wieder einen Anfall 
gehabt — schlief er, wie immer, unter mäßigem Widerstand ein. Gleich danach 
fuhr er wieder erschrocken in die Höhe und blickte mit erhobenem Kopfe und 
weit aufgerissenen Augen um sich, wie in der letzten Sitzung bei der illusionären 
Wahrnehmung seiner Mutter. [Unansprechbar.] Mehrere Minuten lag er 
dann ruhig da, nur ein Zucken an der Nasenwurzel und Lidflattern verrieten, daß 
ihn innerlich etwas erregte. Eine halbe Stunde schlief er dann ganz ruhig, ohne 
auf vereinzelte Fragen nach Erlebnissen, Träumen, Einfällen oder Erinnerungen 
zu reagieren. Der Gesichtsausdruck zeigte die bekannte Spannung. Ich suchte 
nun durch Gegensuggestionen dem Auftreten von Anfällen in den fol* 
genden Nächten zu begegnen und die Amnesie zu lockern. Die anschließenden 
Wecksuggestionen waren zunächst erfolglos. Als er 10 Minuten später nach 
intensiveren Wecksuggestionen die Augen aufschlug, richtete er sich auf meine 
Frage: „Munter?" halb auf und sah mich starr und ausdruckslos eine Weile an. 
Plötzlich verfärbte sich sein Gesicht tiefdunkelrot, fast cyanotisch, er sank unter 
Schmerzlauten zurück und begann wie das letztemal wütend mit der rechten 
Hand am linken Westensaum zu zerren, so daß er diesen beinahe zerrissen hätte. 
Dann wälzte er sich auf die linke Seite und stürzte — unbeeinflußt durch einige 
warnende Worte — rücksichtslos vom Diwan. Er fiel auf die linke Schulter. Es 
kam nun zu einigen ausfahrenden Strampelbewegungen der Beine, dann wälzte 
er sich stöhnend auf den Bauch und preßte mit seiner rechten Hand die linke 
Schulter. Ich hatte den Vorgang mit einigen Worten, die dem Trauma galten, und 
Suggestionen gegen die Amnesie begleitet. Das Ganze hatte kaum mehr als 
2—3 Minuten gedauert. Jetzt drehte er sich um und lag noch kurze Zeit ruhig 
da; dann richtete er sich etwas auf, stützte sich auf den rechten Ellbogen und 
starrte dumpf vor sich hin. Auf meine Aufforderung stand er jetzt auf und sah mir 
vielleicht eine halbe Minute benommen, ratlos, starr, fast etwas drohend ins Ge= 
sieht, ohne auf Fragen zu antworten. Ich sah nun, daß die Pupillen sehr iweit 
waren. Das weitere Verhalten bestätigte meine Vermutung, daß er sich noch in 
einem Dämmerzustand befand. Erst auf einige nachdrückliche Einladungen legte 
er sich sehr zögernd wieder auf den Diwan und schloß sogleich die Augen. Nach 
Ablauf einiger Zeit war er nur langsam und unter protrahierten Wecksugges* 
tionen aufzuwecken. Er war immer noch etwas benommen, fühlte sich schlapp 



Über die Be deutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 255 

und müde und meinte dann nachdenklich, „das sei genau so ein Anfall gewesen, 
wie zu Hause . . . auch da stemme er so die Beine an — nur hielte ihn die Frau 
immer fest." Für das Erlebte hatte er wieder keine Erinnerung. 

Was wir hier beobachteten, war eindeutig ein epileptischer Anfall, durch Hyp* 
nose ausgelöst und modifiziert. Den Anlaß suche ich in jener Suggestion, die 
sich gegen die Amnesie gerichtet und wohl bewirkt hat, daß ein im Anfall an 
die Schwelle des Bewußtseins drängendes Material, das sich schon in den Schreck* 
erlebnissen der vorhergehenden Sitzungen angekündigt hat, nicht mehr in seine 
frühere Tiefe verdrängt werden konnte. Wäre jenes Erschrecken (= den erwähnten 
„schlagartigen Zuckungen") im Wachzustand aufgetreten, hätten wir es wohl 
als Schreckaura zu bezeichnen. Die Aura ist sowohl als Vorläufer des Anfalls wie 
auch als selbständiges Phänomen nichts anderes als das Alarmzeichen .einer 
inneren Wahrnehmung, die dem Kranken das „Hochdrängen" eines ubw. An* 
fallsmaterials und damit das Kommen des Anfalls ankündigt. Der Anfall in der 
Hypnose selbst war unverkennbar eine Wiederholung jener traumatischen Szene, 
die sich auch in einem klinisch beobachteten epileptischen Anfall durch die 
Wischbewegung angedeutet hatte. Das Zerren am Westensaum entsprach dem 
Zerren an einem Seil, das Fallen vom Diwan (und früher aus dem Bett) Idem 
Fallen von der Leiter. Der nachfolgende Dämmerzustand entspricht wohl in 
einer Hinsicht der posttraumatischen Schockwirkung, die eine kurzdauernde Be* 
nommenheit oder leichte Bewußtlosigkeit gewesen sein wird. Außerdem mag er 
auch als Erschöpfungssymptom und letztlich auch als Zeichen der Verminderung 
der Regression, nach erfolgter Entspannung im Anfall, anzusehen sein. Trotz 
diesen Übereinstimmungen könnte man sich fragen, ob nicht bei einem anfällst 
reichen Epileptiker auch einmal in der Sprechstunde ein Anfall vorkommen kann, 
ohne daß man eine andere als die gewöhnliche „endogene" Auslösung an* 
nehmen dürfte. Da dies aber in der langjährigen Behandlung sonst nie vorge* 
kommen war, ist es wohl richtig, die hypnotische Situation im allgemeinen und 
die erwähnte Suggestion im besonderen verantwortlich zu machen. Der Einwand, 
es handle sich doch nur um einen hysterischen Anfall bei einem Epileptiker, 
findet eine Stütze in der langen Dauer bis z.u zwei Stunden. Doch wird 
im Volk das postparoxysmale Stadium gewöhnlich dem Anfall zugerechnet. 
Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, daß hysterische Mechanismen während der 
langjährigen Krankheitsdauer die Epilepsie — wie man so sagt — „überlagert" 
haben. Mehr als das fast nur nächtliche Auftreten der Anfälle ließe etwa das 
Bedürfnis nach Hilfe durch die Frau daran denken. Ganz frei von hysterischen 
Mechanismen ist wohl überhaupt kein Epileptiker. Jedenfalls war jener Anfall 
so völlig von epileptischem Gepräge und, zum Unterschied vom hysterischen, so 
arm an Ausdrucksmitteln und von so kurzer Dauer, daß ich — ganz abgesehen, 
von seiner Übereinstimmung mit dem klinisch beobachteten Anfall — seine epi* 
leptische Natur für überzeugend halte, obgleich die Prüfung der Pupillen oderi 
der Reflexe unterblieben ist. Auch das Fehlen charakteristischer tonisch* 
klonischer Krämpfe oder eines initialen Schreies etc. spricht nicht etwa 
gegen die epileptische Natur gerade dieses Anfalles. Kleine Anfälle lassen oft 
jene Zeichen vermissen. Sicherlich hat die Hypnose den Anfall modifiziert. 
Sie stellt künstlich eine Bewußtseinslage her, die sowohl mit dem natürlichen 
Schlaf (Simmel, Schilder) als auch mit dem Dämmerzustand ver* 
wandt ist. Die Hypnose ist eine künstliche Regression, eine „Massenbildung zu 
Zweien" (Freud). Der gewöhnliche Anfall dagegen erfolgt aus scheinbar 
normalem Bewußtsein oder eher aus dem getrübten, leicht regressiven der Ver* 



25« Daniel K. Dreyfuß 



Stimmung, führt also erst zu weiterer Regression, die dann allerdings immer 
eine tiefere ist als die der Hypnose. Der postparoxysmale Dämmerzustand nach 
erfolgter Entspannung mag ungefähr die gleiche Bw*Stufe wie die der Hypnose 
darstellen. Bekanntlich kommt die Hypnose von außen her dem Durchbruch un* 
bewußter Strebungen entgegen und erleichtert ihn. Die scheinbar Unverstand* 
liehe Gestaltung des spontanen epileptischen Anfalls hängt wohl damit zu* 
sammen, daß im spontanen Anfall jene Bewußtseinsschichten, welche die Hyp* 
nose ausschaltet, erst zu durchbrechen sind. Eine Parallele sind die 
unverständlichen Aktionen Wielands 2 im Dämmerzustand, hinter denen sich, wie 
die Katharsis zeigte, ein wohlverständliches Agieren von Kriegserlebnissen ent- 
hüllte. Dieser hypnotische Anfall brachte aber m. E. nur die „oberste" und jüngste 
Schicht unbewußten traumatischen Materials, die durch Gegensuggestionen der 
Wiederverdrängung vorübergehend entzogen war. Der spontane epileptische An* 
fall dagegen, von dem G r u h 1 e erklärt, er sei „ohne Sinn, elementar, nicht ab* 
leitbar, nicht verstehbar", enthält vermutlich das gesamte Material aus allen Er* 
lebnisschichten der Entwicklung verdichtet. 

Erst drei Tage nach diesem Zwischenfall kam der Patient wieder. Er hatte mit 
seiner Frau gesprochen und war jetzt fest entschlossen, die Behandlung abzu* 
brechen: Er habe jetzt jeden Abend — oft schon um sieben Uhr — seine Anfälle 
so stark, daß sogar seine Eltern im unteren Stockwerk sein Fallen hören und 
herbeieilen. Auch sie seien dagegen. Er könne kaum seine Arbeit versehen, und 
wenn das so weitergehe, könne er überhaupt nichts mehr schaffen. Durch meine 
Erklärungen, daß eine zeitweilige Verschlimmerung vorauszusehen gewesen sei, 
und daß ich ihn auch während der Dauer der Kur krank melden könne, ließ ( er 
sich nicht umstimmen, sondern erklärte entschieden: „Eine innere Stimme sagt 
mir, daß ich recht hab', Herr Doktor! Ich werd' ja die Angst nit los, mein Zu* 
stand bleibt so wie jetzt. Die Sach' mit dem Unfall geht mir ja überhaupt mit 
mehr aus'm Kopf! Schließlich wird mir das bissei Lebensfreude noch genommen, 
was ich noch hab, und dann kann ich überhaupt nix mehr leisten. Mein Ent* 
schluß ist fest: Ich will unbedingt meine Brombehandlung wieder, damit ich 
Ruh krieg'." 

Wir halten fest, daß K. die Behandlung, in der ihm eine Besserung seiner An* 
fälle in Aussicht gestellt war, abbrach, weil die Lockerung eines traumatischen 
Materials zu viel Angst ausgelöst hatte. Die Zunahme der Anfälle ist kaum 
allein durch das Aussetzen der Medikamente zu erklären, sondern mit Sicherheit 
zu einem wesentlichen Teil einer Übertragung zuzuschreiben, die eine Ver* 
Stärkung der spezifischen Reaktionsweise mit sich brachte. Nach Simmel 
wirken ja Sedativa desensibilisierend auf Ansprüche des Ubw. Die Angst, 
der Zustand könnte so bleiben, darf man als eine Rationalisierung ansehen; 
denn es ist auffallend, daß K., der bewußt nichts mehr ersehnt hat, als von seinen 
Anfällen frei zu werden, jetzt plötzlich fürchtet, seiner „Lebensfreude" beraubt 
zu werden und nichts mehr „leisten" zu können, ein Ausdruck der dortzulande 
übrigens gern auch im Sinne von „potent sein" gebraucht wird. Wenn wir 
annehmen, daß der Anfall im libidinösen Haushalt die Funktion hat, unbewußte 
aggressive Spannungen zur Erledigung zu bringen, müssen wir diese 
instinktive Befürchtungen sogar als berechtigt gelten lassen. Wäre der 
Versuch gelungen — bei der traumatisch überdeterminierten Entstehung — 
die Anfälle durch ein „Abreagieren" des Traumas zu vermindern, so wäre es noch 

. 3) t C 



Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 257 

fraglich, ob dem Kranken damit geholfen gewesen wäre. Vielleicht wäre er nur 
eines „Abzugsventils" beraubt gewesen, und die aggressiven Impulse hätten sich, 
wie im Mechanismus der Melancholie oder der epileptischen Verstimmung, gegen 
das Ich gewendet. Es ist unsicher ob er einer solchen raschen Umstellung ge* 
wachsen gewesen wäre. 3 

Wir nehmen also an, daß jene Angst in einer tieferen Schicht von Kastrations* 
angst unterbaut ist. Deren Stärke zeigt sich auch in einigen Träumen, die er schon 
vor der Behandlung sehr zögernd, verlegen und etwas widerwillig preis* 
gegeben hatte. 

I. „Ich bin mit meiner Frau auf Rädern nach W. gefahren. Auf einmal stieg 
meine Frau ab und meinte, eben wäre sie beinahe überfahren worden. Dann ist 
ihr" (lächelt verlegen) „der Schlauch geplatzt. Auf der Rückfahrt tranken wir 
in einer Wirtschaft Kaffee. (Ich trinke nämlich nie Bier.) Da hat meine Frau 
gesagt: Du könntest doch auch mal Bier trinken! (Wir haben nämlich nur Kaffee 
in einer Thermosflasche mitgehabt)." 

II. „Ein andermal hab' ich mit meiner Frau zusammen im Rhein gebadet . . . 
Auf einmal war ich drin. Da hat die Frau alles in Bewegung gesetzt! . . . (?) die 
Leut' gerufen; da war ich aber schon drüben — auf der anderen Seite." (Ob er 
baden dürfe? Die Frau sagte ihm, er solle mal fragen, ob er nicht Angst zu haben 
brauche, er bekäme mal einen Krampf.) 

III. „Oft träume ich auch vom Geschäft, von Streitigkeiten mit meinem Meister. 
Das letztemal — wie ich aufwachte — merkte ich, daß es gar nicht so schlimm 

<c 

war. 

Die Symbolik dieser Träume ist deutlich. Über sein Sexualleben berichtete 
er, daß er fast nie spontan Bedürfnis zum Verkehr habe. Gewöhnlich ermuntere 
ihn seine Frau. 4 Obwohl sie ein* bis zweimal wöchentlich Verkehr hätten, habe 
er morgens lang anhaltende Erektionen, Herzklopfen und Beklemmungsgefühl. 
Es besteht also erhebliche orgastische Impotenz (Reich), wie überhaupt 
in der Anamnese von Epileptikern, auch wenn sie nicht mit Sedativa behandelt 
sind, Sexualstörungen, bisweilen schwersten Grades, kaum je fehlen. 5 

Vergegenwärtigen wir uns nochmals, daß bei K. im Anschluß an ein relativ 
leichtes Trauma eine schwere, progredient verlaufende Epilepsie vom Typus einer 
„genuinen" aufgetreten ist. Bei der Geringfügigkeit des Unfalls und dem Fehlen 
postkommotioneller Symptome kann die Annahme einer organisch*trauma* 
tischen Epilepsie kaum befriedigen. Anderseits deutet nichts außer einer Schulter* 
luxation vor dem Unfall, über die wir nichts erfahren haben, auf früheres Be* 
stehen von Anfällen. Vergleichen wir damit, daß der hypnotische Anfall ein* 
deutig ein traumatisches Erlebnis wiedergibt, dann kommen wir zu folgenden 
Überlegungen: 

3) Zwei Monate später schrieb er mir u. a., daß sich die Anfälle nicht geändert hätten. 
Sein allgemeines Befinden sei z. Zt. unter Luminalbehandlung sehr gut, und er hoffe nur 
auf dauernden Bestand. Unser Versuch einer Lockerung des Verdrängten hatte also nur 
eine vorübergehende negative therapeutische Reaktion zur Folge gehabt. 

4) Vgl. Traum I. 

5) Die gründliche Studie Maeders beschäftigt sich leider ausschließlich mit An* 
staltsfällen, deren Sexualität natürlich völlig verzerrt ist. Die Untersuchung der Sexu* 
alität „des" Epileptikers unter den Bedingungen der Internierung muß wohl zu ähnlichen 
Ergebnissen führen, wie eine Untersuchung der Sexualität „des" Strafgefangenen, wo auch 
primäre Fehlanlage und regressives Kunstprodukt kaum zu trennen sein dürfte. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXII/2 17 



^ Daniel K. Dreyfuß 



Erstens könnte schon der Unfall - wie auch der Obergutachter erwogen hat - 
ein -erster Anfall gewesen sein: dann wäre die Epilepsie die Ursache des Un, 
falls. Um dann aber zu verstehen, daß der Anfall klar die traumatische Szene 
wiedergibt müßten wir annehmen, daß die Bewußtseinslage des Anfalls eine 
psychische Rezeption traumatisch.neurotischen Materials begünstigt. Ein bisher 
latentes Anfallssubstrat wäre dann durch neues Material erweitert worden f An- 
Position) und dieses hätte den Anfällen nur das Gepräge gegeben. Ähnliches 

kssen aUS YSe WklandS fÜt dk StmktUr d< * DI^S»Wto£SeSS 

Eine zweite Möglichkeit wäre, daß durch das Trauma eine latente epileptische 
„Disposition manifest geworden wäre, daß also der Unfall die Anfälle nur 
ausgelost hatte (Pavor, Linkshändigkeit). Auch in diesem Falle können wir 
die Annahme nicht entbehren, daß erst mit einer Rezeption neueren traumatisch, 
neurotischen Erlebnismaterials eine Toleranzgrenze überschritten worden, ein 
Uetaß zum Überlaufen gekommen wäre. 

Gleichviel welche der beiden Überlegungen zutrifft, für unsere Erörterung 
ist nur wesentlich, daß eine traumatische Neurose in höherem Alter die letzte 
notwendige Voraussetzung einer epileptischen Erkrankung gewesen sein muß 
da ihr Ausdruck die Form der Anfälle mitgestaltet hat. Der jüngste Insult im 
IX Lebensjahre ist vermutlich nur als sekundäres Trauma anzusehen, das sich 
auf älteres psychisches Material aufpfropfte. Die Analyse Wielands ergab 
auch, daß die sekundären Traumen mit älteren verwandt waren, daß gewisser, 
maßen eine Komplexaffinität bestand. Ähnlich berichtete auch Simmel aus 
der Analyse der Kriegsneurotiker, daß in dem „raschen und tiefen Aufriß" der 
Hypnose emigemale ein Kindheitstrauma als Kern jener narzißtischen Neu. 
rosen zutage getreten sei Aus der Kindheitsgeschichte unseres Kranken wissen 
wir leider nicht mehr, als daß eine infantile Neurose (Pavor nocturnus L Phobie) 
ebenso wie bei vielen anderen Epileptikern, vorausgegangen war. Obwohl wir 
mcht entscheiden können, ob die illusionäre Wahrnehmung der Mutter in der 
Hypnose einer frühinfantilen oder einer jüngeren Schicht angehört, erinnern wir 
uns doch an die Genese solcher Phobien, die häufig auf das Vermissen der 
Mutter oder die Beobachtung des elterlichen Verkehrs 6 zurückgehen. Auch der 
Verlauf der Hypnosen gibt uns noch einen kleinen Hinweis. Der Umstand daß 
die beiden ersten Sitzungen keine anderen Erscheinungen als das „Erschrecken" 
boten, daß sich erst in der dritten Sitzung ein ubw. Material angekündigt hat, 
welches m dem „Anfall der vierten Hypnose verständlich zu Tage trat legt 
die Annahme nahe, ein solches stufenförmiges Manifestwerden ubw. Inhalte 
sei zugleich auch eine historische Darstellung des Krankheitsaufbaues. Man darf 
den Gedanken erwägen, jenes Erschrecken sei nicht allein von dem jüngsten 
traumatischen Insult her, sondern schon aus der älteren Schicht des Pavor noc 
turnus determiniert. 

Wir begnügen uns hier mit diesen Streiflichtern, da unser Material nicht hin* 
reicht, die schon von Ferenczi angedeutete Auffassung (s. u.) zu begründen, 
daß eine Fixierung auf narzißtischer Stufe die Krankheitsstruktur der Epilepsie 
entscheidend bestimmt. Die Bedeutung sekundärer Traumen erkennt man auch 
an anderen Fallen So berichtet Gruhle von einem epileptisch belasteten 
™ c f?' dessen A £ fäl h in der Nacht nach einem ziemlich rohen sexuellen 
Attentat begannen. Ruf f in erwähnte einen zwölfjährigen Jungen, dessen 

6) Vgl. Anm. 7, S. 264. 



Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 259 

Anfälle, drei Tage nachdem ihm ein Kaplan einen heftigen Schlag auf 
den Kopf versetzt hatte, auftraten. Da dieser Junge außer Kopfschmerz 
zen keine postkommotionellen Erscheinungen hatte, ist die Annahme 
eines psychischen Traumas (Lehrer, Vaterimago) der Annahme eines 
zerebralen Traumas wohl vorzuziehen. In der Mehrzahl der Fälle, bei 
denen die Epilepsie schon in früher Kindheit manifest wird, ist der 
Krankheitskern wohl schon vor der Latenzzeit vollendet und bedarf nur noch 
des nicht abführbaren Triebüberschusses der Reifezeit, damit das Leiden in seiner 
typischen Form manifest werde. 

Die analytischen Hypnosen haben mir nicht den Eindruck hinterlassen, als 
ob sich mit so aktivem Vorgehen eine Therapie der Epilepsie durchführen 
ließe. Sie brachten die Gefahr überstarker Reaktionen, die wohl ubw. Material 
leicht zugänglich machen, zugleich aber auch so viel Angst entbinden, daß die 
Fortsetzung der Therapie gefährdet wird. Ein solches Vorgehen muß wohl 
auf die frischen Fälle mit klar traumatisch bedingter Genese beschränkt bleiben 
— wie z. B. bei den traumatischen Kriegsneurotikern (S i m m e 1) — , wo 
Symptome noch nicht allzulange mit Hilfe von Widerstand und Reaktions* 
bildungen (Reich) in die Persönlichkeit eingebaut sind. Dagegen 
scheint es mir nach diesen Erfahrungen durchaus sinnvoll, Epileptiker — wie 
S t e k e 1, Reich u. a. es versucht haben — einer Analyse zu unterziehen, 
in der ein systematischer Abbau des Widerstandes möglich ist und Angst* 
reaktionen nicht in gleichem Maße drohen. Auch wo es gelingt, mit 
analytischer Hypnose viel weiter vorzudringen, gelangt man schließlich an 
einen Punkt, wo die „Dicke" der Schicht eines nicht bewältigbaren Wider* 
Standes die Analyse zum Stocken bringt. Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, 
daß innerhalb einer Analyse der Epilepsie — vor allem traumatischer Epi* 
lepsie — eine gelegentliche Anwendung der Hypnose ihren Platz finden wird. 
Am besten würden sich wohl die frischen, gerade erst erkennbaren Fälle 
bei Jugendlichen zur Behandlung eignen. 

Der anscheinend besondere Verlauf der Hypnose bei narzißtischen Neu* 
rosen läßt noch einige Schlüsse über die Lagerung des verdrängten Materials 
zu. Der Schlaf war, wie geschildert, so tief, daß es zuerst den Anschein hatte, 
als fehle jeder Rapport. Wir schlössen daraus auf einen besonders heftigen 
Widerstand, der zunächst auf eine tiefe Verdrängung und wahrscheinlich' 
auch dementsprechend auf frühzeitige Fixierung hinwies. Auf ähnliche 
Gesperrtheit und Unzugänglichkeit stieß ich bei einem hvsteroepileptischen 
und außerdem rentenneurotischen Anfallskranken, dessen Krankheit mit einer 
Verschüttung im Felde begonnen hatte. Er war in Hypnose geradezu stu* 
porös, war auch nur schwierig zu wecken, erwachte benommen und bot noch 
eine Viertelstunde lang einen völligen Starrezustand; danach klagte er über 
Kopfschmerzen und über Schlaflosigkeit in der folgenden Nacht. Beim nach» 
sten Versuch, ihn wach assoziieren zu lassen, kam er jedoch spontan in tiefe 
Hypnose und war zu guter Letzt ebenso schwierig zu wecken. Ein anderer 

17* 



260 Daniel K. Dreyfuß 



traumatischer Kriegsneurotiker litt seit dem Kriege an stundenlang dauernden 
hysterischen Anfällen. In der Hypnose erlebte er (1933) seine Verwundung 
durch eine Handgranate, bei der er unter den Kadaver seines Pferdes zu 
liegen gekommen war, wieder. Auch bei ihm stieß der Weckversuch auf so 
energischen Widerstand, daß er schließlich erst nach 2V 2 Stunden aus seinem 
Erleben herauszureißen war und noch Erscheinungen eines leichten hyste* 
rischen Dämmerzustandes, Desorientiertheit, Benommenheit, schwankenden 
Gang, Schlaftrunkenheit bot. Dieser Kranke war in zwei, mehrere Jahre 
zurückliegenden Aufenthalten in der neurologischen Universitätsklinik (Prof. 
v. Weizsäcker) zuerst noch als Hysteroepilepsie, und erst 
später- als Hysterie diagnostiziert worden. 

Man macht vielleicht für ein solches Verhalten in der Hypnose die Demenz 
verantwortlich; dies ist aber keine Erklärung. Die Annahme liegt nahe, daß in 
der Hypnose sowohl, wie im Anfall das empordrängende Material einer 
so tiefen Schicht des Ubw. angehört, daß der überlagernde Widerstand eine 
unmittelbare Entäußerung auf kathartischem Wege verhindert. — Ein 
tiefer Grad der Hypnose kommt m. E. umso leichter ganz ohne 
Zutun des Leiters zustande, je mehr ausgebreitet und tiefgreifend pathogenes 
Verdrängungsmaterial selbst bei äußerlich intakter Persönlichkeit vorhanden 
ist. Das Gegenteil ist bekanntlich bei akuten psychotischen Durchbrüchen 
der Fall, in denen Kranke überhaupt nicht zu hypnotisieren sind, weil ihre 
Realitätsbeziehung und ihre Übertragungsfähigkeit auf ein Mindestmaß redu* 
ziert sind. Verdrängtes besitzt erfahrungsgemäß eine Anziehungskraft auf 
die Besetzungen des Wahrnehmungsbewußtseins, wie besonders introver* 
tierte Charaktere, Dämmerzustände und ganz allgemein jede Neurose und 
Psychose mit ihren typischen Regressionen erkennen lassen. Jene Fälle, wo 
in Hypnose „Spontankatalepsie", Stupor oder hysterische Anfälle u. ä. 
Zwischenfälle aufgetreten sind (Schilder und Kauders), sind m. E. 
sicher latent Kranke, die dank charakterologischen Reaktionsbildungen im 
Ich (Reich) als gesund imponierten. Solche Erscheinungen können aller* 
dings zu einem geringen Teil durch die Hypnose als regressiven Vorgang 
begünstigt werden, sind aber nicht als zum Wesen der Hypnose gehörig 
anzusehen. Die gefürchteten Nachwirkungen — wie Benommenheit, Kopf* 
schmerzen oder Erregungszustände — sind bei einem Vorgehen, das mög* 
liehst vieles dem freien Willen des Kranken überläßt, in der Regel zu vert* 
meiden. Wo sie aber auftreten, sind sie Erscheinungen tiefgehender Fixie* 
rungen und des Widerstandes: entweder des Widerstandes des Patienten, der 
durch ihn an einer Katharsis verhindert ist, oder vielleicht auch des Hypno* 
tiseurs, der ihn daran hindert. Jener erwähnte Hysteroepilepsiekranke hatte 
die geschilderten Nachwirkungen nicht von der Hypnose, sondern durch 
seinen immensen Widerstand, der dem empordrängenden Material nur den 
Ausweg der Organverschiebung freigab. Der Gefäßspasmus, der die Kopf* 



Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 261 



schmerzen hervorrief, ist vielleicht nur der gleiche Vorgang am Vasomotoren«« 
apparat, wie das Erbrechen unseres Kranken, als er sich schriftlich eines Er* 
lebnismaterials nicht entäußern konnte. Man erinnere sich hier auch der vaso* 
neurotischen Symptome, unter denen Wieland bis zur Katharsis gelitten hat. 

Es bedarf wohl einer Begründung, weshalb wir bisher den Begriff der 
Katharsis, den Freud eliminieren wollte, nicht entbehren konnten. Freud 
ist jener Formel Ranks, Neurotiker werde der, dem es wegen der Stärke 
des Geburtstraumas niemals gelinge, dieses „abzureagieren", entgegengetreten: 
„Man weiß nicht recht, was mit dem Abreagieren des Traumas gemeint ist. 
Versteht man es wörtlich, so kommt man zu dem unhaltbaren Schluß, daß 
der Neurotiker sich umsomehr der Gesundheit nähert, je häufiger und inten* 
siver er den Angstaffekt produziert. Wegen dieses Widerspruches mit der 
Wirklichkeit, hatte ich ja seinerzeit die Theorie des Abreagierens auf* 
gegeben, die in der Katharsis eine so große Rolle spielte." (Hemmung, 
Symptom und Angst, Ges. Sehr., S. 92 f.) In diesem Zusammenhang wäre 
zu erörtern, ob nicht ein „Abreagieren" im alten Sinne nur unter 
den Bedingungen der phallischen Libidostufe möglich sei und eine 
weitgehende Zentrierung der Libido am Genitale zur Voraussetzung habe. 
Jede ältere traumatische Fixierung und vor allem eine vorzeitige Triebente 
mischung auf vorwiegend narzißtischer Stufe verurteilt dagegen m. E. die 
Intention zur Katharsis zum Mißlingen. Mag der Versuch auch miß« 
lingen, so ist doch der Mechanismus — wie ich meine — kein anderer als bei 
gelungener Katharsis: Ein Agieren in regressiver Bewußtseinslage wie 
beim Kinderspiel (vgl. Freud, Jenseits des Lustprinzips); ihr Zweck 
ist die affektvolle Bewältigung des traumatischen Erlebnisses durch 
nachträgliche Besetzung des psychischen Reizschutzapparates, dessen vorbe*« 
reitende Besetzung nach Freud die Traumatisierung verhindert hätte. Damit 
dürfte jener Widerspruch zu erklären sein. Ein solcher kathartischer Fehl« 
versuch ist wohl auch der epileptische Anfall. Wenn erfahrene Anstaltsärzte, 
wie Gruhle berichtet, den Anfall bei reizbaren Epileptikern oft wie eine 
Erlösung herbeisehnen, weil auf ihn erfahrungsgemäß eine Zeit größerer Um«= 
gänglichkeit folgt, so erhoffen sie in gewissem Sinne auch eine „Katharsis". 
Bekanntlich fühlt sich auch ein Teil der Kranken nach dem Anfall freier, 
unter Luminalwirkung dagegen oft erheblich in ihrem Allgemeinbefinden 
beeinträchtigt. Die Auffassung der Psychosen als mißlungener Reparations* 
versuche ist dem Analytiker nicht fremd. Das periodische Auftreten von 
Schüben oder von Anfällen ließe sich durch Ausbleiben einer Absättigung er«« 
klären, weil der kathartische Versuch auf dieser Libidostufe sein Ziel nicht 
erreichen konnte. 

Eine dynamische Betrachtung der Hypnose bei narzißtischen Neurosen 
führt uns zu Überlegungen über das Wesen der Demenz. Wir sahen, daß die 
ständige Ichabwehr unbewußter Ansprüche die freie Verfügbarkeit affektiver 



I 



262 Daniel K. Dreyfuß 



Valenzen beeinträchtigt. Sobald in Hypnose von außen her eine regressive 
Herabsetzung der Besetzungen des Wahrnehmungsbewußtseins begünstigt 
wird, erscheinen diese Kranken von unbewußten Vorgängen völlig absorbiert. 
Wenn es sich weiter bestätigt, daß der Epileptiker ein wohlisoliertes, g& 
schichtetes, in verschiedenen Entwicklungsphasen aufgebautes Erlebnismate* 
rial verdrängt hat, dann verstehen wir, daß der für diese Verdrängungsarbeit 
erforderliche Energiebetrag nicht für intellektuelle Leistung verfügbar ist. Die 
vorliegende kurze Analyse lieferte nur wenige Bestätigungen für die sadistisch* 
anale Triebfixierung des Epileptikers, die andere Autoren (St ekel, 
Maeder, Binder, Ruffin, Reich u. a.) hervorheben. Andeutungen 
fanden sich in den Träumen und in dem Verhalten im hypnotischen Anfall. 
Wieland dagegen ließ ein ganz außerordentliches Maß davon er* 
kennen. Wir dürfen wohl annehmen, daß das ständige Bemühen, solche 
sadistische Ansprüche in Schach zu halten, jene Affektvalenzen aufsaugt, 
die die Denkfunktion normalerweise unterbauen, ein Vorgang, der auch in der 
Denkhemmung des Depressiven in leichterem Grade auftritt. In der epilep* 
tischen Demenz sehen wir also einen Ausdruck des latenten Aggressions* 
triebes, dessen Bewältigung die Beziehung des Kranken zur Umwelt ganz 
allgemein und den Intellekt im besonderen beeinträchtigt und eine fort* 
schreitende Lähmung zur Folge hat. Dabei erinnern wir uns, wie B o r n s t e i n 
in ihrer Studie zur Psychogenese der Pseudodebilität eine sadistische Uberbe* 
setzung der geistigen Funktionen als Ursache eines Defektes schwersten 
Grades herausstellen und rückgängig machen konnte. Das Fehlen hirnpatholo* 
gischer Befunde — außer in vorgeschrittenem Endstadium, wo sie auf An* 
fallswirkung zurückgehen (Spielmeyer) — muß davor warnen, die Ur* 
sache der beginnenden Demenz in einem zerebralen Abbau zu suchen. Auch 
die Ergebnisse der üblichen Intelligenzzprüfungsmethoden, die an die 
Fähigkeit eines psychisch Kranken, das Gefragte mit Aufmerksam* 
keit zu besetzen, appellieren, können nicht als Ausdruck eines 
irreparablen Dauerzustandes zerebraler Genese angesehen werden. 
Die Umständlichkeit und Weitschweifigkeit weist viel eher auf 
hemmende oder störende Faktoren im affektiven Unterbau des 
Denkens als auf primär organischen Ausfall. Der Epileptiker verfügt im 
anfallsfreien Intervall — wenigstens im Frühstadium — über eine relativ 
intakte Ichpersönlichkeit und, im Gegensatz zu den Psychosen, über gute 
Realitätsbeeziehung und Ubertragungsfähigkeit. Während in der Schizo* 
phrenie das Unbewußte die Ichfunktionen weitgehend erfaßt und durchsetzt, 
erlaubt diese Krankheitsstruktur nur kurzdauernde Durchbrüche im Anfall. 
Die Prognose der Epilepsie mag deshalb bei analytischem Vorgehen vielleicht 
günstiger sein. Auch eine gerade erst erkennbare Demenz ist keine Indikation 
gegen einen therapeutischen Versuch, solange jene Zugänglichkeit eine Basis 
für die Übertragung abgibt. In der Stekel sehen Auffassung, als versänke 






Übet die Bedeutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 263 

der demente Kranke „aus der Flucht vor der Realität in seine embryonale 
Existenz" (n. Binder), können wir vorläufig noch nicht eine befriedigende 
analytische Erklärung des Vorganges sehen. Wenn sie richtig ist, gilt es zu 
erfahren, wie das zugeht. Auch der Tod ist einem Nichtgeborensein ähnlich, 
bei einer pathologischen Untersuchung kommt es jedoch darauf an, die 
Zwischenstationen kennen zu lernen, deren eine wir in einer sadistischen 
Uberbesetzung suchen wollen. Ohne Berücksichtigung der Beziehungen zwi* 
sehen Aggressions* und Todestrieb, wird diesem Problem schwerlich beizu* 
kommen sein. 

Wir wollen nun versuchen, die epileptischen Symptome und besonders den 
Anfall triebpsychologisch zu verstehen. Zunächst folgen wir einem Hinweis 
Ferenczis in seiner Abhandlung „Entwicklungsstufen des Wirklichkeits* 
sinnes". Es sei kurz wiederholt, daß die erste Stufe nach der Geburt eine 
„Periode bedingungsloser Allmacht" sei, da alle Wünsche eines Neuge* 
borenen unter normalen Bedingungen erfüllt sind. Auf einer zweiten Stufe 
werde die vermißte Befriedigungssituation halluzinatorisch besetzt, Fe* 
renezi nennt sie die „Periode magisch*halluzinatorischer Allmacht". Der 
normale Schlaf und der Traum seien eine „periodisch sich wiederholende 
Regression" zu dieser Stufe. „Das pathologische Pendant dieser Regression 
sei die halluzinatorische Wunscherfüllung bei Psychosen". Schon auf dieser 
Stufe, noch mehr aber auf der dritten „einer Periode der Allmacht mit Hilfe 
magischer Gebärden" verstehe es das Kind, durch „unkoordinierte mo* 
torische Entladungen bei Unlustaffekten" (Schreien, Zappeln) die Pflege* 
person zur Wiederherstellung der vermißten Befriedigung zu veranlassen. 
An dieser Stelle erklärt Ferencziin einer Fußnote: 

„Wenn ich in der Pathologie nach einem Analogon dieser Entladungen 
suche, muß ich immer an die genuineEpilepsie, diese problematischste 
unter den großen Neurosen denken* Und obzwar ich ohne weiteres zugebe, 
daß in der Frage der Epilepsie Physiologisches und Psychologisches schwer 
zu sondern ist, erlaube ich mir doch darauf aufmerksam zu machen, daß die 
Epileptiker als ungemein „empfindliche" Menschen bekannt sind, hinter; 
deren Unterwürfigkeit beim leisesten Anlaß furchtbare Wut und Selbst* 
herrlichkeit zum Vorschein kommt. Diese Charaktereigenschaft wurde bisher 
meist als sekundäre Entartung, als Folge oft wiederholter Anfälle gedeutet. 
Man muß aber auch an eine andere Möglichkeit denken: an die nämlich, o b 
denn die epileptischen Anfälle nicht als Regression in die 
infantilePeriodederWunscherfüllungmittelsunkoordi* 
nierter Bewegungen zu betrachten sind. Die Epileptiker wären 
dann Wesen, bei denen sich die Unlustaffekte aufhäufen und sich periodisch 
in Paroxysmen abreagieren. Erwiese sich diese Erklärung als brauchbar, so 
müßten wir die Fixierungsstelle für eine spätere Erkran* 



I 



264 Daniel K. Dreyfuß 






kungan Epilepsie in dieses Stadium der unko ordinierten 
Wunschäußerungen verlegen. — Das irrationelle Strampeln mit 
den Füßen, das Ballen der Fäuste, das Zähneknirschen etc. bei Zornes* 
ausbruch wäre eine mildere Form derselben Regression bei sonst ge* 
sunden Menschen." In Einklang damit stände das klinisch*statistische Ergeh* 
nis, daß das Erkrankungsmaximum im ersten Lebensjahre 7 liegt. (Wol* 
fen stein, nach Gruhle.) Als Ferenczi dieses Problem später noch 
einmal streifte, schloß er sich der Erklärung Freuds, der epileptische An* 
fall „sei Produkt und Anzeichen einer Triebentmischung", an: „In der Sym* 
ptomatik der Epilepsie äußere sich das Toben einer von den Hemmungen 
des Lebenwollens fast freien Tendenz zur Selbstvernichtung." 

Da wir bisher unser Augenmerk vorwiegend auf die Äußerungen des 
Unbewußten im Anfall gerichtet haben, können wir hier über die Funktion 
der Ichinstanzen nur wenig aussagen. Im hypnotischen Verhalten des Kran* 
ken war uns die starke Abwehr des Ichs gegen unbewußte Ansprüche auf« 
gefallen, und wir müssen wohl annehmen, daß auch im Normalzustande das 
Ich der Zensur Herr sei. In Wielands Analyse fanden wir, daß eine wichtige 
Funktion des Über^Ichs im Dienste des Narzißmus darin bestand, der Re* 
gressionstendenz zu widerstreben. Nur selten gab die Zensur dem Ubw, 
soweit nach, daß der regressive Durchbruch eines großen Dämmerzustan* 
des mit schweren Gewalttaten auftrat. Die meiste Zeit bestand vielmehr zwi* 
sehen Ich und Ubw. ein Gleichgewichtszustand, der höchstens durch Schwan* 
kungen in Form leichterer Äquivalente, Verstimmungen, phobischer Fugue* 
zustände oder kurzdauernder, aktionsloser „kleiner" Dämmerzustände ge* 
stört wurde. Gehen wir von der Vorstellung aus, daß die epileptischen Sym* 
ptome eine Stufenfolge gleichen Geschehens darstellen, 8 dann ist der Schluß 

7) In diesem Zusammenhang wird man mit Interesse den talmudischen Satz lesen: 
„Liegt ein Kind, das jünger als ein Jahr ist, zu den Füßen der Konkubenteh, so wird 
dieses epileptisch". Tract. Pes. 112. b. cit. nach Preuß, Bibl. talmud. Medizin, Berlin 
1923, S. 343. 

8) Die Einheitlichkeit jener Erscheinungen hat Gruhle in Anschluß an W. Fuchs, 
Heveroch und M ö r c h e n treffend gekennzeichnet : 

„Läßt man aus dem großen motorischen Anfall die Motorik weg, so entsteht die kurz« 
Bewußtlosigkeit ohne Krämpfe, die Ohnmacht. Vermindert man noch die Tiefe des Bewußt* 
seinsverlustes, so bleibt noch die kurze Geistesabwesenheit, die absence übrig. Ja zuweilen 
kommt es nur zu kurzem Gedankenstocken oder Schwindel. Vermindern sich die klinischen 
Zuckungen oder Krämpfe, so entsteht der kleine Anfall, das petit mal. Fügt man schließlich 
noch die endogene (motivlose) Gemütsverstimmung von kurzer Dauer und den Dämmei* 
zustand hinzu, so hat man alle jene „kleinen" Anfälle aufgereiht, die angeblich einen Ersatz 
(Äquivalent) des großen Anfalls darstellen. Freilich kann man sich bei diesem Begriff 
nicht allzuviel denken. Inwiefern eine irgendwie geartete Rindenreizung 
bald einen motorischen Anfall, bald eine längere Bewußtlosigkeit hervorbringen soll, 
läßt sich schlechterdings kaum begreifen. Aber es ist unbezweifelbare Tatsache, daß 
diese Äquivalente neben den großen motorischen Anfällen selbständig vorkommen, daß 
sie gelegentlich mit jenen alternieren und daß sie sie oft zu „ersetzen", bezw. zu „vertreten" 
scheinen." (Sperrg. v. Verf.) 



Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 265 

nicht allzu gewagt, daß auch im Anfall die Ichinstanzen zwar nicht mehr 
stark genug seien, die hervorbrechenden aggressiven Strebungen ganz zu un* 
terdrücken, aber immer noch mächtig genug, deren hemmungslosen Ablauf 
zu verhindern. 

Stekel faßt „nicht nur den Dämmerzustand, sondern auch den großen 
epileptischen Anfall als ein Überfallenwerden durch regressive Phantasien" 
auf und ist der Ansicht, „daß sich im großen Anfall sexuelle, viel häufiger 
aber noch kriminelle Phantasien ausleben" (nach Binder, S. 270/71). „Der 
Epileptiker begeht im Anfall ein Verbrechen". Den regressiven Charakter 
der epileptischen Symptomatik betont Stekel nachdrücklich, gelegentlich 
erwähnt er auch die Bedeutung der Ichabwehr. Reich wendet ein, daß 
Inhalte des Anfalls wie „Todesangst, Grausamkeit, Inzestwünsche, 
Homosexualität u. ä.", die Stekel verantwortlich macht, nicht als 
Ursache des Anfalles anzusehen seien, und daß derartige Erlebnisse 
oder Phantasien, sofern sie im Anfall vorkommen, die Genese und den Me* 
chanismus nicht erklären. Da Phantasien immer Impulsen entsprechen, die 
sich in der Realität nicht ausleben lassen, ist es vorzuziehen zu sagen, im 
Anfall werde eine bisher ubw. Phantasie als Impuls manifest. So sehen wir 
bei Wieland, daß die „kleinen" Dämmerzustände schon durch die gleichen 
ubw. Impulse verursacht wurden, die in den großen zu realen Aktionen 
wurden. Wir möchten also im Anfall und seinen Äquivalenten gleich» 
falls Regressionen verschiedenen Grades sehen, von denen der Anfall 
und der Dämmerzustand wohl die tiefste Stufe darstellen, während 
sich die leichteren Äquivalente jüngeren und bewußtseinsnäheren Ent* 
wicklungsstufen des Wirklichkeitssinnes annähern. Die jeweilige Symptom* 
wähl und der Grad der Regression mag wohl vom Grade der vegetativen 
Stauung (Ferenczi, s.o., und Reich) abhängen. Auch wir sehen im 
Anfall eine, allerdings zielgehemmte, brutale Aggression und halten diese 
Auffassung mit Ferenczis „Regression in die infantile Periode der 
Wunscherfüllung mittels unkoordinierter Bewegungen" für gut vereinbar. 
Je heftiger die gestauten und schließlich hervorbrechenden Ansprüche des 
Ubw. sind, desto stärker muß der Widerstand der Ichinstanzen ihnen ent* 
gegenwirken, und umso tiefer ist dann die Regression. Die An* 
sieht von Weizsäckers, daß im Anfall Angsterlebnisse der Kind* 
heit affektvoll reproduziert werden, steht der unsrigen gleichfalls nicht 
entgegen; denn wir wissen, daß solche Erlebnisse immer Gegenaggressionen 
im Ubw. auslösen, die sich auf jener Stufe nicht auswirken können. 

Beim bloßen Anblick mancher schwerer Anfälle drängt sich einem, auch 
wenn man ihren Inhalt nicht kennt, das Bild auf, als sei ein Mensch, der in 
infernalischer Wut rasen möchte, von unsichtbaren Kräften gefällt und fest* 
gehalten. Der bekannte Schrei — klingt er nicht wie ein Aufbrüllen in uni* 



266 Daniel K. Dreyfuß 



sinniger Wut? Man versuche einmal, sich das Zorngeschrei eines Kleinkindes 
in die Stimmlage des Erwachsenen übersetzt vorzustellen! — Es ist als söge* 
nannte Epilepsia procursiva die Tatsache beschrieben, daß Kranke noch einige 
Schritte vorwärtsgehen, bevor sie im Anfall zu Boden stürzen (nach G r u h 1 e). 
Man sollte meinen, sie hätten gleichsam wie in einem Dämmerzustande noch 
versucht, auf ein imaginäres Ziel loszugehen, als jene zügelnde Macht den Däm* 
merzustand in .einen Anfall hinüberleitete. Wenn der Gegensatz von Destruk* 
tionstrieb im Ubw. und hemmender Funktion der sozial angepaßten Ichinstan* 
zen den Anfall gestaltet, könnte das tonische Stadium ein Zeichen der Vorherr* 
schaft hemmender Kräfte sein. Der intendierten Innervation der Muskulatur 
als Werkzeug dieser destruktiven Absichten, hielte die Innervation der Ant* 
agonisten die Waage. Infolgedessen bliebe die Erregung maximal auf das 
vegetative System zurückgedrängt (vgl. Reich), wo sie an den be* 
kannten Zeichen der Pupillenenge, Cyanose, Dyspnoe, Broncho* und 
Laryngospasmus etc. erkenntlich ist. In der klonisch*tonischen Phase fände 
ein rhythmischer Wechsel zwischen aggressiver und reaktiver Innervation 
statt, so daß eine gewisse Abfuhr sadistischer Libido ermöglicht ist. 9 Nun 
kann mit der Verminderung der vegetativen Stauung der Anfall abklingen 
(Pupillenweite, tiefe röchelnde Atmung). Für die Entleerungen von Blase 
und Mastdarm könnte man gleichfalls die vegetative Stauung verantwortlich 
machen. Welche Bedeutung diese Organe als erogene Zonen der frühen 
Kindheit im Anfall haben, läßt sich noch nicht übersehen. Im Zungenbiß wie 
im Anfall überhaupt hätten wir nach alledem eine masochistische Selbst* 
Schädigung an Stelle einer aggressiven Handlung zu sehen. 1 ' 

Hier müssen wir uns über einen Einwand Rechenschaft geben. Da wir 
die Funktion der Ichinstanzen, insbesondere des Über*Ich, für die Gestaltung 
des Anfalls verantwortlich machen, scheint die Tatsache, daß schon die An* 
fälle des ersten Lebensjahres in ihrer Motorik denen des Erwachsenen sehr 
ähnlich sein können, schwer verständlich, denn ein Über*Ich besteht auf 
dieser Stufe noch gar nicht, ist mindestens noch nicht differenziert. Wir 
müssen annehmen, daß die Entstehung des Uber*Ichs, die F r e u d in die phal* 
lische Entwicklungsstufe (Ödipuskonflikt) verlegt, schon eine Vorstufe in 
jener frühnarzißtischen Phase hat, wo eine physiologische Konstellation von 
Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit gar keinen anderen Weg offen läßt, 



9) Nachträglich finde ich einen ähnlichen Gedanken bei Franklin erörtert. (Die 
bedingten Reflexe bei Epilepsie und der Wiederholungszwang, Imago, Bd. XIV, 1928, S. 364) : 
„Vielleicht bedeutet das tonische Stadium eines großen Anfalles ein äußerstes Bemühen 
den Todestrieb aufzuhalten, bevor er in der Explosion der unkoordinierten Konvulsion zur 
vollen Herrschaft gelangt, die dann in Erschlaffung und Koma, gelegentlich zum Tode, 
meist zum Schlafe führen." — Vgl. ferner Ferenczi: Über zwei Typen der Kriegs» 
neurose, Int. Ztschr. f. Psa., Bd. IV, 1916/17, besd. S. 142, oben. 

10) Ähnliches auch bei S te k e 1. 




Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 267 

auf einen erregenden Eindruck oder eine konstante Versagung anders zu 
reagieren als mit einer Introversion sadistischer Libido. Diese Vorstellung 
findet in Erfahrungen von Melanie Klein bei Kinderanalysen eine Stütze. 
„Die Bildung des Über*Ichs, weit entfernt ein einzelner seelischer Akt zu 
sein ... ist vielmehr mit allen Entwicklungsphasen verbunden, hat seine tief«! 
sten Wurzeln in o r a 1 e n Erlebnissen und durchläuft alle emotionalen Ver* 
änderungen des Kindes von der Brust an bis zur Latenzperiode" (I s a a c s). 
Die Beziehungen von „Entbehrung und Schuldgefühl" die I s a a c s darlegt, 
werden auch zur Erklärung des ungeheuren Schuldgefühls der Epileptiker 
heranzuziehen sein. 

Wenn unsere Annahme, daß die Ichinstanzen im Anfall eine hemmende 
Funktion haben, richtig ist, müssen wir nun feststellen, daß eine solche Lei* 
stung mit jener, die Freud uns an der Depression gezeigt hat, auffallend 
übereinstimmt. Hier wie dort stoßen wir auf einen untragbaren sadisti* 
sehen Überschuß. Die Spannung zwischen Übersieh und Ubw. erreicht 
in der Depression ein Maximum, das sich in psychischer und motorischer 
Lähmung im Ich, in der Manie ein Minimum, das sich in physischer und 
motorischer Erregung zu erkennen gibt. Während diese Phasen in individuell 
verschiedener zeitlicher Folge wechseln, haben wir im epileptischen Anfall 
gleichzeitig Erregung und Lähmung. Diese Übereinstimmung in der Dynamik 
beider Erkrankungstweisen ist selbstverständlich nur bei der Betrachtung des 
Anfalls aufrechtzuerhalten. Im erregten Dämmerzustand haben wir ein Bild, 
das der Manie schon nähersteht, während die epileptische Verstimmung Ver* 
gleiche mit der Depression nahelegt. Der Vergleich soll auch nur für eine 
tiefere Libidostufe gelten, als der Fixierungsstelle des zirkulären Irreseins 
entspricht, und nicht etwa die beiden Krankheitsformen einander gleich* 
setzen. Der diffusen und langdauernden Überflutung der Ichinstanzen in der 
Manie entspricht bei der Epilepsie ein zirkumskripter und kurzdauernder 
Durchbruch einer durch Reaktionsbildungen gefestigten Ichinstanz. Die Wir* 
kungsweise dieser Reaktionsbildungen zeigt eine gewisse innere Verwandt* 
schaft mit der Funktion des Über*Ichs in der Depression. Ein solcher Durch* 
bruch auf tieferer Regressionsstufe bedient sich naturgemäß auch einer on* 
togenetisch alten Motorik. Dem entspricht es wohl, daß im Frühkindesalter 
zielstrebige Innervationen der Muskulatur von nur geringer Exkursions* 
breite möglich sein dürften, die einem aggressiven Anspruch gar keinen 
anderen Ausdruck geben können, als den der Ambivalenz des klonischen 
Krampfes. Die größere Brutalität der epileptischen Aktionen und die tiefere 
Regression des Bewußtseins stimmen mit dem Versuch, ihnen eine ältere 
Fixierungsstelle als den maniseh*depressiven Erkrankungen zuzuschreiben, 
gleichfalls überein. 

Diese Hypothese widerspricht nicht der Annahme Reichs (1928), daß 
der zentrale Mechanismus des epileptischen Anfalls ein extragenitaler mus* 



268 Daniel K. Di-eyfuß 



kulärer Orgasmus ist." R. hat die auffälligen aktualneurotischen Mechanis* 
men des Epileptikers in den Vordergrund gestellt und eine libidinöse Über* 
besetzung der Muskulatur infolge vegetativer Stauung angenommen. So 
kam er dann zu einem Vergleiche der epileptischen Motorik mit einer orgasti* 
sehen Motorik bei Coitus interruptus, die gesteigert sein soll. Ich habe eher 
den Eindruck, daß beim Epileptiker die vegetative Stauung und die mo* 
torisch*aggressiven Abfuhrmöglichkeiten umgekehrt proportional sind 
(vgl. oben, F e r e n c z i). Diese vegetative Stauung wächst im Intervall und 
entlädt sich, sobald ein untragbarer Grad erreicht ist, im Anfall. Die Ansicht 
Reichs läßt sich mit der unsrigen in Einklang bringen, wenn wir einen sol* 
chen extragenitalen muskulären Orgasmus als die Abfuhr der frühnarzißtischen 
Libidostufe nach erfolgter traumatischer Triebentmischung ansehen. — Aber 
die Erkenntnis, daß der epileptische Anfall einen orgastischen Me* 
chanismus enthält, genügt nicht, uns die Gesamtmotorik verstehen 
zu lassen, da sich diese — wie jeder Beobachter eines Anfalls zugestehen 
wird, mit genitaler orgastischer Motorik nicht deckt. Reich hat den be* 
kannten Freud sehen Mechanismus einer „Verschiebung nach oben" heran* 
gezogen, um zu erklären, daß die Erregungsquanten vorwiegend an der Mus* 
kulatur der oberen Körperhälfte zum Ablauf kommen. Zunächst wäre daran 
zu erinnern, daß die oberen Extremitäten das bevorzugte Werkzeug des sadi* 
stischen Bewältigungstriebes sind. Jeder Anfall zeigt außerdem Züge, die 
auch an die Motorik frühester Lebensphasen erinnern (Pierce Clark). Die 
Frage bleibt also, auf Grund welcher Fixierung der Anfallsablauf einen extra* 
genital*muskulären Orgasmus enthält, der jedoch, — was Reich vernach* 
lässigt — prägenitale Form beibehalten hat und die Zeichen vorzeitiger 
Triebentmischung an sich selbst aufweist. Wir können mit Ferenczi nur 
annehmen, daß das fixierende Moment den Epileptiker in einer Entwicklungs* 
phase getroffen hat, in der ein Libidokreislauf Körper— Genitale— Körper 
noch gar nicht angelegt sein konnte. 

Diese Überlegungen hindern mich nun, Reich in der Annahme zu folgen, 
der epileptische Anfall sei „ein besonderer Typus eines aktualneurotischen 
Symptoms" und „die gleiche libidinöse Erregung, die unter normalen Um* 



1 1) In einer Arbeit „Beiträge zur infantilen Sexualität" (Zentralblatt für Psychoanalyse, 
1912) schildert Wulff Kinderanfälle und ihre Inhalte, von denen die des ersten Falles, 
teilweise epileptische waren, wenngleich der Verf. glaubte, diesen Fall als Pseudoepilepsie 
im Sinne S t e k e 1 s ansehen zu sollen. Zum Schlüsse formuliert er seine Auffassung über jene 
Anfälle insgesamt: „Die Anfälle kann man sich auch ganz gut als einen momentanen, 
plötzlich auftretenden Orgasmus vorstellen. Auf der Höhe des Orgasmus tritt, wie bekannt, 
eine momentane Bewußtseinstrübung sehr oft auf. Der die Anfälle begleitende Gesichts* 
ausdruck mit den weit aufgerissenen Augenlidern, nach oben gerollten Bulbi und der stark, 
bis zum Auftreten von leichten Zuckungen gespannten Gesichtsmuskulatur ist auch eigenfe* 
lieh derjenige der höchsten Ekstase, die wiederum im Orgasmus ihren Höhepunkt er» 
reicht." (S. 17.) 






Über die Bedeutung des psychisch en Traumas in der Epilepsie 269 

ständen im genitalen Orgasmus abgeführt wird, entlade sich nach vorher* 
gegangener mächtiger Aufstauung im Muskelapparat". Gerade die „gleiche" 
Erregung kann es nicht sein, dagegen sehr wohl ihre unreife, entstellte, noch 
überwiegend sadistische Vorstufe. Wäre es schon die gleiche Erregung, würde 
sie auch zum Genitale vorgedrungen sein und nicht extragenital muskulär 
ablaufen. Man wird auch zugeben, daß die Beimengung sadistischer Libido 
im Anfall ein Ausmaß erreicht, das kaum noch in vergleichbarem Verhältnis 
zu dem Aggressionstrieb steht, der sich abgeschwächt auch in der genitalen 
Sexualität des Gesunden nachweisen läßt. Auch wir wollen den sadistischen 
Charakter des Epileptikers aus der Tatsache zu verstehen suchen, daß Stauung 
und Abfuhrbehinderung der Libido ganz allgemein zu einer Steigerung der 
Aggression führen. Solche aktualneurotische Mechanismen werden im Ver* 
lauf der Krankheit und der epileptischen Charakterbildung eine Rolle spielen 
— aber durchaus sekundär. Das Primäre wäre die frühinfantile Fehlentwick* 
lung und Triebentmischung, die eine analsadistische Triebfixierung 
im Gefolge hat, — eine Basis, auf der sich später orgastische Impotenz und 
aktualneurotische Mechanismen leicht aufbauen können. 

Weiterhin erörtert Reich, anknüpfend an die Ansicht S c h i 1 d e r s, nach 
der ein epileptischer Anfall eine Geburt darstellt, die Möglichkeit, daß ein sol- 
cher extragenitaler Orgasmus innersekretorisch bedingt sei, und spricht 
von einer „Absperrung libidinöser Motorik" vom Genitale, durch die der 
Körper die Rolle des Genitales „übernommen" hätte. Infolge dieser Absper* 
rung sei der Körper genitalisiert. Nun möchte Reich die Schilder sehen 
Befunde von Mutterleibs* und Wiedergeburtsphantasien im epileptischen 
Dämmerzustand mit jener analytischen Beobachtung erklären, „daß die Mut* 
terleibs p h a n t a s i e an die Stelle der Coitus phantasie tritt, wenn der Kör* 
per psychisch die Bedeutung Penis bekomm t". Zu der Auffassung S c h i 1* 
ders und Clarks kann ich hier, mangels einschlägiger Erfahrungen keine 
Stellung nehmen. Die Darlegung Reichs scheint mir jedoch nicht stichhaltig, 
da mir seine eigenen Einwände gegen Stekel zu einleuchtend schienen, als 
daß ich der Phantasie eine solche Wirkung zuschreiben könnte. Da schließ* 
lieh jeder Mensch in seiner narzißtischen Frühzeit auf einer Stufe steht, wo 
der ganze Körper noch „genitalisiert", d. h. narzißtisch libidinös besetzt 
und traumatischer Trieb entmischung zugänglich ist, brauchen wir unsere Zu* 
flucht nicht in der Auskunft zu suchen, eine solche „Genitalisierung" sei ein 
„in seiner physiologischen Bedeutung noch ungeklärter organischer Prozeß" 
(Reich [d]). Der Körper bekommt nicht „genitale Bedeutung", weil 
ein Orgasmus muskulär im Körper abläuft, sondern der Orgasmus kann 
meines Erachtens nur dann an der Muskulatur zum Ablauf kommen, wenn 
der Körper noch erotisiert ist, d. h. seine narzißtische libidinöse Besetzung 
noch nicht aufgegeben hat. Eine libidinöse Zentrierung am Genitale kann 
eben noch gar nicht erfolgt sein, das Genitale hat seine orgastische Funktion 



270 Daniel K. Dreyfuß 



gar nicht oder nicht genügend übernommen — eine Absperrung dürfte wohl 
nur ein sekundärer Vorgang sein. 

Jene vielfach interpretierte Aussage Freuds, der epileptische An* 
fall „sei Produkt und Anzeichen einer Triebentmischung" ist kaum 
anders zu verstehen, als daß solche Triebentmischung die Folge eines 
traumatischen Erlebnisses oder einer Erlebniskette in jener frühnarziß* 
tischen Phase ist, in der auch Ferenczi die Fixierungsstelle der 
Epilepsie angenommen hat. Bei unserem Kranken fanden wir als 
ausschlaggebendes Sekundärtrauma eine traumatische Neurose in höherem 
Alter, die die Regression und das Auftreten von Anfällen verursacht hat. 
Nach dem Grundsatz, daß das traumatische Material im Wesen verwandt 
sein muß, dürfen wir auf eine traumatische Neurose im Frühkindesalter 
schließen, die eine großartige Erregung mit sich gebracht hat, die der Be* 
Setzungsbereitschaft und *fähigkeit des psychischen Reizschutzapparates 
inadäquat war. Von der traumatischen Neurose des Erwachsenen sagte 
Freud, „die mechanische Gewalt des Traumas" mache „das Quantum Se* 
xualerregung frei, welches infolge mangelnder Angstvorbereitung traumatisch 
wirkt". Für das Kleinkind, das nur in geringem Maße fähig sein wird, 
starke Gegenbesetzungen des Reizschutzapparates vorzunehmen, können wir 
ein beliebiges, mechanisches oder psychisches Trauma voraussetzen und als 
„Sexual"erregung, die Erregung der entsprechenden narzißtischen Libido* 
Vorstufe, an der sich eine Triebentmischung vollzieht; denn es ist kaum 
anzunehmen, daß die Bedingungen für die traumatische Schädigung des 
Kleinkindes im Prinzip andere seien als für den Erwachsenen, der aller* 
dings, je nach dem Grade der Disposition, einen funktionstüchtigen Reiz* 
schutzapparat besitzt. Von einer gewissen Stärke des Traumas an fällt die 
vorbereitende Besetzung, wie Freud sagt, auch beim Erwachsenen nicht 
mehr ins Gewicht. 

Es ist verständlich, daß eine traumatische Neurose in einem Entwicklungs* 
Stadium, in dem Soma und Psyche wenig differenziert sind und noch eng 
ineinander übergehen, ihre Wirkung auch im Bereich des Organischen ent* 
falten muß und je nach der Reaktionsweise ihres Trägers in den bekannten 
Symptomen von Pavor, Spasmophilie, Tetanie oder Krämpfen zum Aus* 
druck kommt. Wir wissen, daß sogar beim Erwachsenen psychische Stö* 
rungen am vegetativen System angreifen können und umgekehrt. Wir setzen 
also voraus, daß jene traumatische Neurose mit einem Konversionsmecha* 
nismus einhergeht, der, ähnlich dem der Hysterie auf einer späteren Libido* 
stufe, in frühnarzißtischer Zeit den neurotischen Kern der epileptischen Er* 
krankung gesetzt hat. Vermutlich gibt der gleiche Kern die „dispositionelle" 
Grundlage zur symptomatischen Erkrankung in höherem Alter ab, wenn 
eine organische Schädigung (Arteriosklerose, Alkoholismus, Syphilis, ze* 
rebrale Traumen etc.) eine regressive Wiederbesetzung älterer Fixierungen 



Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 271 

herbeiführt, die dank geeigneter Reaktionsbildungen bisher latent blieben. 
Die Untersuchung innersekretorischer und organpathologischer Fragen kann 
m. E. nur eine zweite oder dritte Stufe des Krankheitsgeschehens, also Folge* 
zustände eines letztlich psychischen Geschehens klären; dies gilt auch für 
die Vergiftungstheorie. 

Für die Aufstellung eines narzißtischen Konversionsmechanismus könnten 
wir die Ansicht v. Weizsäckers anführen, der zu dem Ergebnis kam,: 
„Der Anfall steht im neurotischen Zusammenhang wohl an ähnlicher Stelle, 
wie die hysterische Konversion eines Affektes in ein Symptom oder in einen 
hysterischen Anfall". Diese mit der obigen Auffassung im wesentlichen über* 
einstimmende Ansicht schränkt v. Weizsäcker jedoch erheblich ein und 
will damit nur sagen, „daß es auch bei der Epilepsie zur neurotischen Le* 
bensform komme, nur daß die Neurose des Epileptikers mit viel eingehen* 
deren Organprozessen gekoppelt sei". Ich ziehe vor, in der Epilepsie nicht 
ein Nebeneinander von Neurose und Organprozeß zu sehen, sondern möchte 
gerade die Bildung von Organprozessen als spezifisch für die narzißtische 
Konversion auffassen. 

Die Ansicht Ferenczis, daß Schlaf, Traum und Epilepsie eine Re* 
gression auf die gleiche libidinöse Entwicklungsstufe bedeuten, verdient 
unsere besondere Aufmerksamkeit, da die frühere Erörterung der Dynamik 
des Dämmerzustandes uns zu ähnlichen Ergebnissen geführt hat. Wir haben 
für die verschiedenen Stufen des Anfalls und der Äquivalente eine einheit* 
liehe Quelle in den Ansprüchen des Ubw. angenommen und in ihnen graduell 
verschiedene Reaktionsweisen der Ichinstanzen erblickt. Bezeichnend schien 
uns für diese Reaktionsweise, daß die Besetzungen des Wahrnehmungsbe* 
wußtseins nicht mehr oder nicht voll aufrechterhalten werden, sobald ein 
Übermaß jener Ubw.*Impulse gebieterisch zur Abfuhr drängt. 12 Wir nahmen 
an, daß ein primärer Impuls im freien Intervall (= Wachzustand) unterdrückt 
und erst im Anfall manifest geworden sei : allerdings nicht in seiner rohesten 
Form, sondern erst, nachdem er die sekundäre Bearbeitung einer Zensur 
der sozial angepaßten Ichinstanz durchlaufen hat. Einen wichtigen Unter* 
schied vom normalen Traummechanismus sehen wir in dem unvergleichlich 
größeren Ausmaß antisozialer Ansprüche des Epileptikers, zu deren Be* 
wältigung die im Traum zu beobachtende sekundäre Bearbeitung durch Ver* 
dichtung, Verschiebung, Entstellung etc. nicht mehr hinreicht. Eine Ab* 
Schwächung ist nur noch mit Hilfe einer Organverschiebung möglich, die 

12) Werfen wir einen Seitenblick auf die entsprechenden Verhältnisse beim Gesunden. 
Hier veranlaßt die physiologische Müdigkeit die Abwendung von der Außenwelt und 
Abzug der Besetzungen des Systems WBw. Wohl jeder kann auch an sich selbst gesteigerte 
Reizbarkeit bei Ermüdung beobachten. Hochgradige Erschöpfung, Hunger befördert gleich* 
falls aggressive Handlungen, ebenso wie sie umgekehrt den Selbsterhaltungstrieb schwächt. 
(Krieg, Schiffbruch, eingeschlossene Bergarbeiter, Polarnacht etc.). Hier berühren wir 
wieder das Problem der Triebentmischung, nun beim Gesunden. 



272 Daniel K. Dreyfuß 



auch eine Entlastung des Libidohaushaltes bringt, indem sie einen Teil der 
Erregung bindet und unschädlich macht. Der aggressive Dämmerzustand 
geht, wie wir gezeigt haben, den umgekehrten Weg. Man könnte dies so 
formulieren: der Anfallskranke ist sozial auf Kosten seiner Gesundheit, der 
Dämmerzustand*Kranke asozial im Interesse seiner Gesundheit. 

Im normalen Traum dürfen wir umgekehrt eine psychische Funktion der 
gesunden Persönlichkeit von analoger Dynamik sehen. Vielleicht hat die 
traumatische Triebentmischung, ebenso wie die allgemeine Entspannungs* 
fähigkeit, auch die Entwicklung dieser Funktion beeinträchtigt, so daß wir 
den Anfall als Ausdruck einer Entwicklungshemmung der Traumfunktion 
auffassen müßten. 

Gemäß unserem Ziele, das Problem psychologisch zu betrachten, haben 
wir bisher organische Gesichtspunkte kaum gestreift. In diesem Vorgehen 
sah ich mich besonders durch das Zugeständnis Gruhles bestärkt, 
daß es sich kaum begreifen läßt, wie eine irgendwie geartete Rindenreizung 
die verschiedenen epileptischen Symptome erklären sollte. G r u h 1 e erachtet 
selbst die mannigfachen und zum Teil konträren Ergebnisse chemisch*phy* 
sikalischer Untersuchungen nach gründlicher Zusammenfassung (S. 706) als 
wenig belangvoll für das Verständnis der Krankheitsgenese. Auch konstitu* 
tionelMiereditäre Forschungen haben uns diesem Ziele noch wenig näher 
gebracht. Im Gegensatz zu Gruhle, der dessen ungeachtet an der Auf* 
fassung einer organischen oder toxischen Genese festhält, glaubten wir des* 
halb auf die „Theorie der Epilepsie und des epileptischen Anfalls als eines 
verständlichen Symptomes" eingehen zu müssen. Die autoptischen Be* 
funde entzündlicher, degenerativer, sklerotischer Erscheinungen oder Tu* 
moren an Gehirnen, die zeitlebens unter vasoneurotischen Funktionsstö* 
rungen und spastischen Attacken des Anfalls gestanden haben, durften uns 
nicht an einer psychologischen Betrachtung des epileptischen Mechanismus 
hindern, da wir ja der Meinung sind, daß Psychisches auch im Organischen 
seinen Ausdruck findet. Zur Theorie der geburtstraumatischen Verursachung 
(Pierre Marie, Schwarz u. a.) bliebe uns noch zu sagen, daß ein so 
schlechter Start allerdings die spätere Empfänglichkeit zu weiterer Traumati* 
sierung und zum Eingehen von Fixierungen verstehen ließe. Da nicht jedes 
geburtstraumatisch geschädigte Individuum Epileptiker wird, muß man je* 
doch auf der Bedeutung der erwähnten intravitalen Faktoren bestehen. 

Literaturverzeichnis. 

Binder: Kausale und verständliche Zusammenhänge in der Epilepsie. Schweiz. Arch. f. 

Neur. u. Psych., 1926. 
Bornstein: Zur Psychogenese der Pseudodebilität. Int. Ztschr. £. Psa., Bd. XVI, 1930. 
Dostojewski: Die Brüder Karamasoff, Der Idiot u. a. 
Dreyfuß: Der Fall Wieland. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XX, 1934. 



Über die Bedeutung des ps ychischen Traumas in der Epilepsie 273 

F e r e n c z i : Entwicklungsstufen des Wirklichkeitssinnes. Ibid., Bd. I, 1913. 
— Das unwillkommene Kind und sein Todestrieb. Ibid., Bd. XV., 1929. 
Freud: a) Hemmung, Symptom und Angst. Ges. Sehr., Bd. XL 

b) Jenseits des Lustprinzips. Ges. Sehr., Bd. VI. 

c) Zur Einführung des Narzißmus. Ges. Sehr., Bd. VI. 

d) Das Ich und das Es. Ges. Sehr., Bd. VI. 

e) Massenpsychologie. Ges. Sehr., Bd. VT. 

f) Trauer und Melancholie. Ges. Sehr., Bd. V. 
G r a v e n: zit. nach R e i c h d), s. u. 

Gruhle: Epileptische Reaktionen und epileptische Krankheiten. Handb. f. Geisteskrank« 

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Isaacs: Entbehrung und Schuldgefühl. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XV, 1929. 
Mae der: Sexualität und Epilepsie. Jahrb. f. psa. u. psychopath. Forschung, 1909. 
Reich: a) Über Charakteranalyse. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XIV, 1928. 

b) Der genitale und der neurotische Charakter. Ibid., Bd. XV, 1929. 
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d) Über den epileptischen Anfall. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XVII, 1931. 
Ruf f in: Über die Gewinnung von Erlebnisinhalten des epileptischen Anfalls und Aus* 

nahmezustandes mit Hilfe von Wachsuggestion und Hypnose. Deutsche Ztschr. f. Ner* 

venheilk., 1928. 
Spielmeyer: Zum gegenwärtigen Stand der Epilepsieforschung. Ztschr. f. d. ges. Neur. 

u. Psych., Bd. 84. 
Simmel: Die psychoanalytische Behandlung in der Klinik. Int. Ztschr. f. Psa., 

Bd. XIV, 1928. 
— Zur Psychoanalyse der Kriegsneurosen. Int. Psa. Verlag, 1919. 
Schilder: Zur Lehre von den Amnesien Epileptischer usw., Arch. f. Psychiatr., 1924. 
Schilder u. Kauders: Lehrbuch der Hypnose. Verl. Springer, Wien, 1926. 
S t e k e 1 : zit. nach Reich u. Binder, s. o. 

Schwarz: Die geburtstraumatische Schädigung. Monatsschr. f. Kinderheilk., 1926. 
v. Weizsäcker: Epileptische Erkrankungen, Organneurosen d. Nervensystems usw. 

in:Krehl*Mehring, Lehrbuch der Inn. Medizin. 16. Aufl., Bd. IL 



Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXII/2 18 



REFERATE 



Aus der Literatur der Grenzgebiete 

RITTERSHAUS, E.: Konstitution oder Rasse? 170 Abb. Verlag J. F. Lehmann 
München, 1936. 

Ein Versuch, aus der Rassenfrage eine wissenschaftliche Frage zu gestalten. Zugleich 
erfährt die Typenlehre Beleuchtung. Wie aus dem Titel schon zu vermuten, sieht Verf. 
in Rasse und Konstitutionstyp nicht Gegensätze, sondern nach seiner Auffassung (S. 183) 
sind Konstitutionstypen und Rassen Gen*Koppelungen. „Der Konstitutionstyp ist der ur* 
sprünglichere, primitivere, zeitlich früher entstandene, Rasse der später entstandene, höhere, 
umfassendere Begriff. Der Konstitutionstyp ist gewissermaßen der Vorläufer der Rasse und 
ist dann zum Rassenmerkmal geworden." 

Warum ich trotz der Unsumme von Hypothesen empfehlen möchte, das Buch anzu* 
sehen, hat zweierlei Gründe. Erstens hat der Verf. ein wirklich interessantes Material ge* 
sammelt. Und zweitens ist es zwar nicht angenehm, aber nützlich, aus Inhalt und Tenor 
solcher Bücher Geschichte weniger im Sinne dessen, was geschehen ist, als in demjenigen 
des unmittelbaren Geschehens an sich herantreten zu lassen. 

Der Verlag kündigt das Werk unwissenschaftlich als Forschung in einer Richtung an, 
wie sie zur Zeit, als Kretschmers Darlegungen über Körperbau und Charakter Epoche 
machten, „den damaligen Machthabern unerträglich" gewesen sei. 

H. Christoffel (Basel) 

WENGRAF, F.: Psychotherapie des Frauenarztes. Verlag der psychotherapeutischen Praxis, 
Wien. Leipzig, Bern. 1934. 

W e n g r a f will die Psychotherapie für den Frauenarzt auswerten. Der Frauenarzt trifft 
in seiner Praxis zahllose Fälle, die wegen funktioneller, psychogener Beschwerden seine 
Hilfe suchen. Pharmazeutische Mittel oder operative Eingriffe pflegen in solchen Fällen 
zu versagen, die therapeutische Ratlosigkeit, mit der der Arzt solchen Fällen gegenüber« 
steht, soll durch die Anwendung psychologischer Erkenntnisse und Beeinflussungsmethoden 
überwunden werden. W. bedient sich dabei der Methode S t e k e 1 s, der „Symptomanalyse", 
die er als „eine eminente Notwendigkeit allgemein* und spezialärztlicher Therapie" an« 
sieht. In seinem Buche behandelt er eine Fülle von klinischen Bildern aus der Gynäkologie 
und Geburtshilfe unter einem für den Frauenarzt neuen Gesichtspunkt, nämlich als psycho* 
pathologische Phänomene. Daß Frigidität weniger aus pathologisch*anatomischen als aus 
psychischen Bedingungen zu verstehen ist, dürfte zwar heute auch unter Frauenärzten 
nicht ganz unbekannt sein, dagegen ist der psychogene Ursprung vieler Menstruations* 
Störungen, genitaler Blutungen, die psychische Bedingtheit des Abortus gewiß nicht Allge* 
meingut frauenärztlichen Wissens. Deshalb ist es ein Verdienst Wengrafs, durch reiches 
klinisches Material auf die Psychogenese vieler Frauenkrankheiten hingewiesen zu haben. 
Die Frage, ob die sachlichen Erkenntnisse der Neurosenlehre, wie sie von der Psycho* 
analyse erarbeitet worden sind, vom Autor richtig verstanden wurden, kann man keines* 
wegs bejahen. W. übernimmt nur die leeren Begriffe aus der psychoanalytischen Theorie, 
ohne ihren Sinn richtig zu entwickeln und ohne die wirkliche Dynamik der Neurose auf* 
zuzeigen. Als Beispiel für die nicht gerade tiefe Auffassung des Autors sei angeführt, wie 
er etwa die Phänomene Übertragung und Widerstand, die zwei Tragpfeiler der analy« 
tischen Technik, behandelt. Unter Übertragung, die nach W. besser als „Übertragungsliebe" 
bezeichnet werden sollte, soll die Gesamtheit aller gefühlsmäßigen positiven Einstellungen 




Referate 275 

des Patienten auf den Arzt verstanden werden (S. 44). W. vertritt also die vulgäre AufS> 
fassung, daß die Übertragung darin besteht, daß der Patient sich in den Arzt verliebt. 
Zu dieser Auffassung paßt gut der Satz Wengrafs, daß die Übertragung sich 
am ehesten mit der Narkose vergleichen lasse. Von negativer Übertragung scheint W. keine 
Kenntnis genommen zu haben. Offenbar ist für ihn negative Übertragung mit Widerstand 
gleichbedeutend. Denn Widerstand verrät sich nach W. vor allem dadurch, daß der 
Kranke sich dem Arzt gegenüber aggressiv verhält. Was aber dann, wenn der Widerstand 
sich gerade darin äußert, daß der Kranke seine Aggressionen, die in der Übertragung her* 
auskommen sollten und vor dem Bewußtwerden stehen, unterdrückt? In einer solchen 
Situation kann sich der Widerstand gerade in einer übertriebenen Höflichkeit, Gefügigkeit 
des Analysanden äußern. Wie W. die Traumdeutung auffaßt, soll ein Zitat zeigen: „Die 
sogenannte funktionale Deutung, die nichts anderes als eine Übersetzung des Symbols, 
weiter einige Funktionen des Symptoms zum Charakter des Kranken ausdrückt, ist von 
besonderer Wichtigkeit, indem sie den parapathischen Konflikt darstellt ... Da aber das 
Symptom meist einen Selbstmord symbolisiert und im Sinne der Selbstbestrafung erledigt, 
müßte durch seine zu energische Abschaffung theoretisch die Möglichkeit gegeben sein, daß 
dem Kranken nunmehr sein Selbsttötungstrieb bewußt werde, daß er ihn infolge Aufgebens 
des Symptoms verwirklicht. Diese Kontraindikation der Symptomabschaffung ist lediglich 
aus dem Traum zu erkennen . . ." Die Möglichkeit, daß durch die Beseitigung eines 
Symptoms eine Selbstmordgefahr entstehen könnte, müßte präzisiert werden, da sonst leicht 
ein Mißverständnis entstehen kann. Wenn eine solche Möglichkeit besteht, so ließe sie 
sich übrigens sicherlich nicht nur aus dem Traum feststellen. 

Für die Technik der „aktiven" oder Symptomanalyse, wie W. sie im Anschluß an 
S t e k e 1 ausübt, ist charakteristisch, daß einer Patientin, die wegen dysmenorrhöischer Be* 
schwerden die Behandlung aufgesucht hat, in der ersten und einzigen Sitzung die sexuelle 
Bindung an den Vater „angedeutet" wurde. Den „Erfolg" dieser Deutung charakterisiert 
W. folgendermaßen: „Den Psychotherapeuten wird es nicht wundern, daß die Patientin 
die Besprechung ihres Leidens im Zusammenhang mit der Dysmenorrhöe so schnell abge* 
brochen und der Erkenntnis die Heilung vorgezogen hat . . . Solche Fälle aus der Praxis 
sind einer richtigen Durcharbeitung ihrer Krankheit fast nie zugänglich. Es genügt ihnen, 
von einem quälenden Symptom befreit zu werden, von der eigentlichen Krankheit wollen 
sie nicht lassen. Um aber diese zu halten, geben sie unter dem Einflüsse einer analy* 
tischen Sitzung, von der sie ,Böses' ahnen, jenes auf und gelangen so zu einem billigen 
Motiv, den Abbruch der Behandlung begründen zu können" (S. 73). 

G. Gero (Kopenhagen) 

Aus der psydiiatrisdx-neurologisdien Literatur 

HEYER, R.: Praktische Seelenheilkunde. Eine Einführung in die Psychotherapie für Ärzte 

und Studierende. Lehmann Verlag, 1935. 

Im Bewußtsein weltanschaulicher Ablehnung besonders der Psychoanalyse, nimmt der 
Verfasser eine Haltung ein, die sich nicht in eine der üblichen Kategorien psychotherapeu* 
tischer Schulen einordnen läßt. Freuds Methode wird in wenig sachlicher Weise kurzer« 
hand als „Sexualanalyse" bezeichnet, und bei aller Anerkennung für Freuds historische 
Verdienste, wird er doch als dogmatisch, im System erstarrt und aus der rationalistischen 
Ära stammend abgetan. Dabei wird übersehen, daß das Triebhafte keineswegs nur den 
Begriff des Geschlechtlichen umfaßt und in diesem weiteren Sinne die hauptsächliche. Kraft 
auch für die höheren eigengesetzlichen geistigen Gestaltungen abgibt. Einem allgemeinen 
Überblick über ärztliches Verhalten seelisch Kranken gegenüber folgt eine Kasuistik der 

18* 






276 Referate 

verschiedenen nervösen Leiden und ihrer Behandlung durch Überredung und Entspannung, 
autoritatives und konziliantes Vorgehen, Suggestion, Selbstbeherrschung, Katharsis und 
Bewußtwerdung. M. G r o t j a h n (Berlin) 

KCNKEL, F.: Grundzüge der praktischen Seelenheilkunde. Hippokrates Verlag, Stuttgart, 
Leipzig. 1935. 168 S. 

Das Buch dient der Aufgabe, dem praktischen Arzt und dem Medizinstudenten die 
notwendige Kenntnis der neueren Seelenheilkunde zu vermitteln. Es dient aber auch zwei* 
tens der Aufgabe, „quer durch die Schulstreitigkeiten der verschiedenen Psychotherapeut 
tischen Systeme hindurch zu einer einheitlichen Auffassung sowohl der seelischen Krank* 
heiten wie auch der Heilungsprozesse vorzustoßen". In diesem Sinne werden erst systema* 
tische Darstellungen der verschiedenen Erkrankungen („Charakterpathologie") gegeben und 
dann die seelischen Heilverfahren („Charaktertherapie") geschildert. Ihre Bedingungen, 
Wege und Hindernisse, „harter und weicher Widerstand", Erziehungs* und Lebensberatung 
werden veranschaulicht, sodann geht es in den „Kampf gegen den äußeren Feind (Methode 
Adler)", zum „Kampf gegen den inneren Feind (Methode Freud)" zum siegreichen 
„Friedensschluß innen und außen (Methode Jung)". Der „Materialismus Freuds und 
der Rationalismus Adlers" mußten wegfallen, am wenigsten brauchte der Jung sehe 
Standpunkt verändert zu werden: er scheint den gestellten Ansprüchen am ehesten zu ente 
sprechen. Die Grundbegriffe der „dialektischen Charakterkunde" stammen vom Verfasser 
selbst und sind bereits in seinen Büchern, wie „Einführung in die Charakterkunde" (8. Auf* 
läge) und „Die Arbeit am Charakter" (18. Auflage), enthalten. Sie gipfeln in der besonderen 
Auffassung und Betonung von „Subjekt" und „Objekt", Ichhaftigkeit und Wirhaftigkeit. 
Hingewiesen sei auf die Ausführungen über „Wirbruch" und „Wirfindung", „Urwir" und 
„Scheinurwir". Die Bücher Freuds werden bedingt empfohlen, denn „wichtig ist doch 
auch die Verselbständigung des eigenen Urteils und die Übernahme der persönlichen 
Verantwortung, ohne die die ärztliche Arbeit niemals gedeihen kann." 

M. Grotjahn (Berlin) 

Psychotherapeutische Praxis, Vierteljahrsschrift für praktische ärztliche Psychotherapie. 

Herausgeber Dr. Wilhelm St ekel. — Schriftleitung Dr. Ernst Bien, Wien. Band 
2, Heft 2 u. 3. 

W. Morgenthaler (Bern) erscheint an erster Stelle mit einem Artikel, betitelt 
„Schwangerschaftsunterbrechung und Psychotherapie". Darin beschäftigt sich der Autor in 
erster Linie mit der „Abklärung der Indikation zur Unterbrechung" und den daraus fol* 
genden Maßnahmen. Für die Indikation läßt der Verfasser nicht nur den rein gesetzlichen 
Standpunkt gelten, daß eine Unterbrechung nur dann vorgenommen werde, wenn auf 
keine andere Weise eine Lebensgefahr oder eine ernsthafte gesundheitliche Schädigung ab* 
gewendet werden könne. Eugenetische, soziale, ökonomische Gesichtspunkte neben der 
Befürchtung, daß die Patientin den Weg zur Abtreibung über den Kurpfuscher finden 
könnte, sollen nach dem Verfasser ebenfalls eine indikatorische Rolle spielen. Für die 
Frage der Suizidgefahr bei Abweisung ist ihm in erster Linie die Heredität maßgeblich. 
Er hält die nachträgliche Befürsorgung bei Abgewiesenen für die wichtigste therapeutische 
Maßnahme. Die Therapie der Schwangerschaftsdepression besteht für ihn in Kontakt* 
nehmen, autogenem Training nach Schultz, Setzen von allgemeinen und speziellen Ein* 
Stellungen, Probeablehnung mit Beobachtung der Reaktion und, wenn die Ablehnung 
endgültig beschlossen ist, in sofortigem Anschließen einer psychotherapeutischen Behand* 
lung, „die nun nach bekannten Grundsätzen zu erfolgen hat". Welches die „bekannten 
Grundsätze" sind, darüber spicht sich der Verfasser nicht aus. 

Fritz Meyer (Berlin) berichtet über „Träume von Morphinkranken". Der Verfasser 
beginnt seine Ausführungen mit einer Apotheose auf das Genie Freuds, nur emge» 



Referate 277 

schränkt durch die entschiedene Wendung gegen diejenigen, die „allzu starr und stur" auf 
eine Lehre und auf einen Meister schwören. Die zwei von zwei Patienten nach der 
Entziehungskur geträumten Träume, die der Verfasser berichtet, sind für Süchtige völlig 
uncharakteristisch. Charakteristisch sind hingegen die Deutungsergebnisse für den Ver* 
fasser, obwohl er darauf hinweist, daß er an der Deutung des Traumes nur vorsichtig 
mitgewirkt habe, ohne etwa seine Ansicht dem Kranken irgendwie aufgezwungen zu haben. 
Die Deutungen der Träume sind rein anagogisch und nach Jung schem Schema, so wenn 
die Tochter des einen Träumers, die im Traum auftritt, als „anima", ein Seehund als 
„Unterbewußtsein" angesprochen wird. Vom psychoanalytischen Standpunkt aus sind die 
Traumdeutungen als wertlos zu bezeichnen. 

„Anagoge Übertragungsträume" ist ein Artikel von Max Friedmann (Königstein 
i. Taunus) überschrieben. Die Träume stammen aus jener Phase der Analyse, in der nach 
des Verfassers Meinung „positiv aufbauende Kräfte" einsetzen müssen, die „aus dem ur« 
eigensten Gehalt der Persönlichkeit stammen". Dazu dienen dem Verfasser „anagoge 
Traumdeutungen", deren Aufgabe es ist, „von dem Prozeß der Sublimation Rechenschaft 
zu geben und vor allem Selbsttäuschungen und Fehlentwicklungen aufzudecken, die für 
das Ergebnis der Analyse und damit für den Kranken sehr verhängnisvoll sein können". 
Die angeführten Träume, die also aus dem „anagogischen Abschnitt" der Analyse einer 
Patientin stammen, sollen die Sublimationstendenzen der Patientin demonstrieren, wozu 
freilich „archetypische Deutungen im Sinne Jungs notwendig sind". Ihre Durchsetzung 
mit Sexualsymbolik wird dabei allerdings weniger berücksichtigt. Der Verfasser schließt 
mit den Worten: „Die klassische Psychoanalyse geht davon aus, daß nach Aufhebung 
der Verdrängung die Sublimierung automatisch durch das Spiel der dynamischen Kräfte 
erfolgt. Dem gegenüber sollte gezeigt werden, daß gerade die Technik der Sublimierung»' 
träume eine besondere Berücksichtigung verdient. Indem uns diese Träume ein Kriterium 
für die Echt« und Unechtheit der Entwicklung bieten, erkennen wir, auf welchem Stand* 
punkt der Patient sich jeweils befindet und welche Entwicklungsmöglichkeiten für ihn 
bestehen." 

Goodwin W a t s o n (New York) liefert eine rein statistische Übersicht über die 
psychologischen Themen, Schulen, Methoden und Bücher in Deutschland bis zum 
Jahre 1934. 

Curt Boenheim (Berlin) schreibt „Über Psychotherapie bei motorischen Störungen 
im Kindesalter". Er führt zunächst einiges Allgemeine über die Bedeutung der motorischen 
Störungen im Kindesalter aus, wobei er darauf hinweist, daß die Motorik ein überaus emp* 
findliches Ausdrucksorgan ist und daß sich aus dieser ihrer Funktion mannigfache Störungen 
erklären. Er unterscheidet zwei Formen der motorischen Unruhe, die eine durch mangels 
hafte Ökonomie der Kräfte und Unterentwicklung des willkürlichen Bewegungsapparates 
bedingt, die andere durch allgemeine Ubererregbarkeit und erhöhte Ansprechbarkeit. B e>» 
wegungsarmut findet er als Ausdruck geistig*seelischer Leere einerseits, als Aus* 
druck einer allgemeinen Gesamthaltung, die wenig nach außen gerichtet ist, anderseits. 
Ferner unterscheidet er eine Disharmonie in der Bewegung, die mit Mangel an 
motorischer Begabung und mit Ungeschicklichkeit zusammenhänge. An lokalisierten Bewe* 
gungsstörungen nennt er den Tic, die choreatische Bewegungsstörung, 
rhythmische Bewegungsvorgänge, besonders im frühen Kindesalter, A xv> 
fälle im Kindesalter, und zwar neben den epileptischen durch Wut anfalle, respi* 
ratorische Affektkrämpfe, hysterische Zuckungen und schließlich das 
Stottern. Als Therapie kommt nach dem Verfasser neben Berücksichtigung des Körper» 
liehen die Kinderpsychotherapie in Form von Mit* und Nacherziehung in Be< 
tracht. Auch empfiehlt er Ruhigstellungen und Ruheübungen. Für eine Psychoanalyse 



278 Referate 

fehle dem Kind die Voraussetzung, nämlich Krankheitseinsicht, Gesundheitswille, kritische 
Instanz. 

Paul Karger (Berlin) berichtet über „Die psychoref lektorische Azetonurie der Kinder" 
und findet, daß solche nach Aufregungen, wie etwa durch Warten auf eine Tonsillektomie 
im überfüllten Wartesaal, in dem das Schreien von Leidensgenossen zu hören ist, durch 
Aufnahme ins Spital, in Narkose mit starkem Exzitationsstadium u. dgl. eintritt. Meist 
verschwinde die psychoreflektorische Azetonurie nach einem Tag. 

Wilhelm Stekel (Wien) schreibt über „Prophylaxe des Inzests". An reiches Erfahr 
rungsmaterial angelehnt, kommt er zu dem Schluß, daß zwecks Verhütung des Inzests die 
Ärzte darüber wachen sollten, daß der Unfug des Zusammenschlafens mit erwachsenen 
Familienmitgliedern von frühester Jugend an abgestellt werde. 

Josef K. Fried jung (Wien) erscheint mit einem Artikel „Der Kinderarzt als Er« 
Ziehungsberater". An Hand von Fällen versucht er zu zeigen, wie der Kinderarzt einerseits 
Erziehungsberatung als sozusagen alltägliche, zusätzliche Leistung an seinem Kranken« 
material auszuüben habe, anderseits aber direkt als Berater in Erziehungsfragen aufgesucht 
werde, wenn Eltern und Lehrer mit ihrem Latein zu Ende sind. Er findet als von enite 
scheidender Wichtigkeit eine taktvoll angebahnte, gesonderte Aussprache mit Erzieher und 
Kind, ferner die Empfehlung der Teilnahme an Kindergärten, Horten, eventuell die 
Empfehlung eines vollen Umweltwechsels, in geeigneten Fällen der Kinderanalyse. 

R. Sterba(Wien) 

SCHNEIDER, KURT: Pathopsychologie der Gefühle und Triebe. Ein Grundriß, Georg 
Thieme Verlag, Leipzig, 1935. 

Gefühle sind Zustände des Ichs, sie sind „unmittelbar erlebte Ichqualitäten oder Ich« 
zuständlichkeiten." Von ihnen abzugrenzen sind die Empfindungen, von denen 
ein Teil ebenfalls zuständlich ist (Schmerz«, Lage«, Gleichgewichts«, Vitalempfindungen), 
während andere Empfindungen gegenständlich und zuständlich zugleich zu sein ver« 
mögen (Geruchs«, Geschmacks«, Tast«, Kälte« und Wärmeempfindungen). Nur die Ge« 
sichts« und Gehörsempfindungen sind überwiegend gegenständlich. Gefühle sind gegenüber 
den Empfindungen durch ihre Eigenschaft des Angenehmen und Unangenehmen gekenn« 
zeichnet. Man unterscheidet angenehme Z us tan dsg e f üh le wie Freude, Behagen, 
Leichtigkeit, Beglücktheit, Jubel, Ruhe, Zufriedenheit, Zuversicht von unangenehmen Zu« 
Standsgefühlen wie Traurigkeit, Sorge, Angst, Furcht, Unbehagen, Unheimlichkeit, Ver« 
zagtheit, Hilflosigkeit, Heimweh, Zerrissenheit, Verzweiflung, Grauen, Schreck, Ärger, 
Zorn, Wut, Neid, Eifersucht, Langeweile. Den Zustandsgefühlen stehen die W e r t g e« 
fühle gegenüber. Bejahende Selbstwertgefühle sind Kraft, Stolz, Eitelkeit, Selbstgefühl, 
Trotz. Verneinende Selbstwertgefühle sind Schuld, Reue, Verlegenheit, Demut und . . . Be« 
scheidenheit! Zu den Fremd wer tgefühlen werden Liebe und Zuneigung, Vertrauen, 
Mitleid, Achtung, Interesse, Billigung und Bewunderung gerechnet, dazu kommen die 
verneinenden Fremdwertgefühle (bei denen wieder Charaktereigenschaften als Gefühle auf« 
geführt werden): Haß, Abneigung und Mißtrauen, Verachtung, Feindseligkeit, Spott, 
Mißfallen, Entrüstung. Akute Gemütsbewegungen heißen Affekte, chronische dagegen 
Stimmungen. Gefühle und Triebe lassen sich nicht scharf trennen, es sei denn man be« 
trachte Gefühle als auf etwas Seiendes, Gewesenes oder Zukünftiges gerichtet, Triebe aber 
auf etwas Seinsollendes. Aus der allgemeinen Triebhaftigkeit lassen sich die leiblichen 
Triebe hervorheben. Unter ihnen entscheidet der Wille, daß heißt die Möglichkeit, 
zwischen zwei Strebungen zu entscheiden. 

Eine deskriptive Psychologie ist eine Illusion, und auch dieser Versuch einer gegen« 
ständlichen Beschreibung fußt auf den immer spürbaren Ansichten einer physiologisch 
gerichteten Psychologie. Der Analytiker begrüßt jeden Versuch zur Gründung einer rein« 



Referate 279 

liehen Deskription, aber auch in dieser Beziehung erscheint die Freud sehe Terminologie 
überlegen. Die analytische Trieblehre wird in dieser absichtlich diskussionslosen Arbeit 
nicht erwähnt. M. G r o t j a h n (Berlin)' 

SCHORSCH, G.: Eigenständigkeit, Fremdhalt und Haltlosigkeit. Ein charakterologischer 
Beitrag zum Problem: Führertum und Gefolgschaft. Aus der Sammlung psychiatrischer 
und neurologischer Einzeldarstellungen. Georg Thieme Verlag, Leipzig. 1936. 

Unter den Charakteranlagen entscheiden die gefühlsmäßige Ansprechbarkeit, die Art 
der Erlebnisfähigkeit und die gesinnungsmäßige Artung über die Gemeinschaft*» 
fähigkeit des Einzelwesens. Für die Rangordnung innerhalb eines gegliederten 
Ganzen ist neben den geistigen Fähigkeiten der Persönlichkeit das ihr eigene Ausmaß an 
Eigenständigkeit von ausschlaggebender Bedeutung. Diese Seite des Charakters soll, nach 
den einleitenden Worten des Verfassers, den Gegenstand der vorliegenden Arbeit bilden. 
Der Eigenständigkeit wird die Haltlosigkeit entgegengesetzt. Es gibt aber dazwischen noch 
eine Fremdhaltbedürftigkeit, deren Träger in Gegenüberstellung zu den Eigenständigen 
auch als Fremdständige bezeichnet werden können. Entscheidend für den Menschen ist 
seine „Haltkomponente", das Rückgrat des Charakters. Derartig erstaunliche Resultate 
wurden erzielt durch die entschlossene Anwendung der „dynamischen" und „Struktur* 
analyse", kombiniert mit einer überzeugten subjektiven Wertung und gewürzt mit einer 
kräftigen Portion eigenwilliger Terminologie. M. Grotjahn (Berlin) 

STEKEL, WILHELM: Erziehung der Eltern. Weidmann u. Co., Verlag der Psychothera« 
peutischen Praxis, Wien«*Leipzig*Bern, 1934. 215 S. 

St. wendet sich in seinem mit Kasuistik reich belegten umfangreichen Werke an Ärzte, 
junge Menschen, daneben wohl auch an alle „Verantwortlichen", um der kranken Gesell* 
schaft den Spiegel ihrer fehlerhaften Erziehungsarbeit vorzuhalten. „Eine vollkommene: 
Regeneration des Familienlebens" ist sein Ziel, sein Buch soll „ein erster Versuch sein, 
diesem Problem auf den Grund zu gehen." Leider entspricht die Ausführung nicht ganz 
diesem Vorhaben, bleibt vielmehr bei der oft affektvollen, der Sachlichkeit aber schlecht 
dienenden Beschreibung der Oberfläche stehen. Die Überschriften der Kapitel lauten: Die 
Erziehung der Eltern, eine nervöse Mutter, ein nervöser Vater, das nervöse Kind, die 
frigide Mutter, das Mannweib und Kindweib als Mutter, die unbefriedigte Mutter, die 
allzu junge und die überreife Mutter, die leicht erregbare und apathische Mutter, leicht» 
sinnige Eltern, die puritanische Mutter, geschiedene Eltern, sadistische Eltern, Trinker und 
Trinkerinnen, abnorme Eltern, der Lear«Komplex, zwangskranke Eltern, zwischen zwei 
Generationen, Folgen einer hypermodernen Erziehung, Adoptiveltern, Fehlerziehung zur 
Homosexualität, eine hartnäckige Trotzreaktion, egoistische Eltern, schwer erziehbare Eltern. 
Es ist keine systematische Gliederung der Probleme, die aus diesem Verzeichnis spricht, 
sondern die Kapitel scheinen fast zufällig aneinander gereiht. Die Voraussetzung, um 
„den Problemen auf den Grund zu gehen", die Schilderung des kindlichen 
Trieblebens, um daran zu verfolgen, wie es auf typische Milieuformen antwortet, 
ist leider versäumt. Der Ref., der vor 19 Jahren ein Büchlein unter dem gleichen Tjtejl 
erscheinen ließ, ist auch heute noch der Meinung, daß jeder Reformversuch im Er« 
Ziehungswesen von den grundlegenden Einsichten, die wir Freud verdanken, ausgehen 
müsse. Jede Abschwächung oder gar Verniedlichung dieser Erkenntnisse macht einen 
solchen Versuch aussichtslos. S t e k e 1 s Darstellung des nervösen Kindes befriedigt den 
Kenner nicht; er schildert wohl bedeutsame nervöse Erscheinungen schon des Säuglings» 1 
alters — im Leben sehen die Dinge doch anders aus — , sagt aber dann, des Kindes „Ner* 
vosität setze erst ein, wenn es sich seiner Schlechtigkeit bewußt wird und dagegen zu 
kämpfen anfängt." An einer anderen Stelle meint er, „eine vernünftige Erziehung könne 




280 Referate ' 

sehr großen Segen stiften, und aus unzähligen nervösen, ja selbst erblich schwer be* 
lasteten Kindern seien gesunde Menschen geworden. Wenn es nur die Regel und nicht die 
Ausnahme wäre!" Unzählige können doch wohl keine Ausnahme sein. Diese Art der 
Darstellung verstimmt den kritischen Leser des öfteren. Daß Stekels Buch nur die 
Erziehungsnot wohlhabender Kreise bespricht, ist ein Mangel, der vermieden werden sollte. 
Und darin, daß „das Recht des Kindes übertrieben werde", hat er de jure und de facto 
Unrecht. 

Endlich muß auch ein Wort über Stekels Stil gesagt werden. Für ein ernstes Werk 
scheint er mir zu wenig straff, zu weitschweifig; schiefe Bilder („eine Klaviatur zum 
Schwingen bringen"), sprachliche Unebenheiten („gebärt" für gebiert, „törichste" als Super* 
lativ) stören den Leser, ebenso eine gewisse Sorglosigkeit bei Zitaten. („Dein Wort sei Jal 
Ja! — Nein! Nein! usw." stammt nicht von Grillparzer, sondern steht im Evange* 
lium Matthaei 5./37.) Trotz all dieser Einwendungen wird der Erfahrene das Buch nicht 
ohne Gewinn lesen; hat doch der Verf. mit scharfen Sinnen viel gesehen und gehört und 
seiner Menschenkenntnis eingefügt. J. K. Fri ed j ung (Wien) 

Aus der psychoanalytischen Literatur 

KLEIN, MELANIE: A Contribution to the Psychogenesis of ManioDepressive States. 

Int. Journal of PsA., XVI, 2. 

Auf ihren bisherigen Forschungen über die Psychologie der ältesten Ich*Stadien, über 
die Konflikte des Oralsadismus, der ihm entsprechenden Angstinhalte und der projektiven 
und introjektiven Angstabwehrmethoden basierend, versucht Frau Klein die Psycho* 
logie der frühkindlichen Fixierungsstellen von Depression und Manie zu erfassen. Eine 
Würdigung und eventuell Kritik dieses Versuchs läßt sich nicht von einer Würdigung oder 
Kritik ihres gesamten Gedankengebäudes loslösen. Ich will deshalb zunächst versuchen, 
nur ihre Ansichten wiederzugeben, was bei der von unserer gewohnten Nomenklatur viel* 
fach abweichenden Ausdrucksweise der Autorin nicht leicht ist. 

Ihre bisherigen Forschungen faßt Frau Klein selbst etwa folgendermaßen zusammen: 
In den allerersten Lebensmonaten gehe das Kind durch ein intensiv sadistisches Sta* 
dium. Es mache Angriffe nicht nur auf die Mutterbrust, sondern auch auf das Innere des 
Mutterleibs, gleichzeitig sei seine erste psychische Entwicklung beherrscht durch die Mecha* 
nismen Introjektion und Projektion: „von Beginn an" introjiziere das Kind „gute" und 
„böse" Objekte (für beides ist die Brust das Vorbild); letztere erhalten ihre Wucht durch 
eine Projektion der eigenen sadistischen Impulse und wirken — nach der Introjektion — 
auch von innen her. Dadurch entstehen frühe Ängste, die wieder spezifische Abwehr* 
mechanismen notwendig machen. So entstehen Bilder, vergleichbar den späteren Psychosen 
der Erwachsenen. 

Die primitivste Abwehrmethode sei die Verleugnung der Realität überhaupt. Sehr früh 
schon versuche das Ich sich auch gegen verinnerlichte Angstobjekte durch Ausstoßung 
und Projektion zu wehren, müsse aber dann auch noch Schutzmaßnahmen gegen äußere 
Objekte errichten, die durch diese Projektion schreckhaft geworden sind. Das sei die Basis 
der Paranoia. Die paranoide Angst wieder könne dann gebunden und modifiziert werden 
durch die Mechanismen der Zwangsneurose. 

Wo ist nun, so lautet die Fragestellung der vorliegenden Arbeit, hier die Basis der 
späteren Depressionen eingeschaltet? Auch die Paranoia setzt eine Introjektion voraus. 
Was ist der Unterschied zwischen der paranoiden und der zur Depression führenden 
Introjektion? . 

Die Antwort Frau Kleins ist folgende: In frühen Stadien gibt es noch kein ein* 
heitlich organisiertes Ich, sondern verschiedene Tchkerne ; noch keine einheitlichen Ob* 



Referate 281 

jekte, sondern „Partialobjekte", die unbewußt dem Kote gleichgesetzt sind. Das sei noch, 
bezw. wieder der Fall bei der Paranoia. In der Depression aber setze die „Identifizierung" 
des Ichs mit dem introjizierten Objekt schon ein einheitlicheres Ich und ein einheitlicheres 
Objekt (ein „gutes" Objekt) voraus. Die Verfolgungsdrohung, die im Stadium, das die 
Basis der Paranoia darstellt (Frau Klein nennt es die paranoide „Position"), lediglich dem 
Ich gilt, wird in der „depressiven Position" schon als auch dem „guten" Objekt geltend 
empfunden; „Erhaltung des guten Objekts" und „Selbsterhaltung" seien nicht mehr zu 
unterscheiden. Damit hänge zusammen die Entwicklung von der „Partialobjekte 
beziehung" zur echten Objektbeziehung, die erst das Erlebnis eines „Objektver» 
lustes" ermögliche. Während vorher die Introjektion von Partialobjekten dem 
Ich gefährlich erscheine („Eß*Schwierigkeiten kleiner Kinder haben immer eine para* 
noide Wurzel"), steige mit der Identifizierung mit dem ganzen und guten Objekt das 
libidinöse Niveau, und die Introjektion werde „freundlicher"; sie müsse immer wieder«« 
holt werden, teils weil das Kind befürchte, durch seinen „Kannibalismus" das gute Objekt 
beschädigt zu haben, teils weil es „gute Objekte" in seinem Innern als Gegengift gegen 
vermeintliche dort wirkende „böse Objekte" brauche. Auch spiele die Phantasie mit, durch 
ein Verschlingen das in der Außenwelt gefährdete „gute Objekt" zu schützen. Aber auch 
im Körperinnern bleibe es durch „böse Objekte" weiter gefährdet. Das Ich, identifiziert 
mit dem „guten Objekt" in seinem Innern, fürchtet nun für es und für sich die Gefahren 
der „bösen verfolgenden Objekte und des Es." In solcher Lage wendet das Ich gewiß auch 
noch oder wieder die Mechanismen der projektiven Ausstoßung an — die ja auch nach' 
Abraham im Beginn jeder Depression zu beobachten sind; aber aus Angst, dabei 
das „gute Objekt" wieder zu verlieren, überwiege doch bei weitem der Mechanismus 
weiterer Introjektionen guter Objekte und verschiedene Mechanismen der „Wiedergut« 
machung", der Wiederherstellung zerstörter Objekte. Das Ich sucht „gute Objekte" wieder« 
herzustellen, jedes Detail seines Sadismus dabei wieder „ungeschehen machend". 

Je besser das Kind „gute" und „böse" Objekte unterscheiden gelernt hat, umso besser 
gelingt es ihm, seinen Haß nur gegen die „bösen", seine Liebe und die Wiederherstel* 
lungsversuche nur gegen die „guten" Objekte zu richten; aber je stärker Sadismus und 
Angst, umso schwerer gelinge diese Unterscheidung. Jede Steigerung des Sadismus oder 
der Angst könne die Differenzierung wieder aufheben und dadurch das „gute" Objekt 
wieder gefährden. Das sei der Grund der ständigen Angst um das „gute" Objekt und das 
mit ihm identifizierte Ich. Aber auch die Liebe gefährde das Objekt, da in diesem Sta* 
dium Liebe und Zerstörung noch identisch seien. Deprimiertsein heiße: fürchten, daß 
dem guten Objekt im Innern etwas zustoßen könnte. Dabei bleibe das introjizierte gute 
Objekt und das äußere Objekt verbunden. Man fürchte auch, die wirkliche Mutter könnte 
sterben, und verlange deshalb dauernd nach ihrer Gegenwart. „Angst vor Liebesverlust" 
heiße ebenfalls „Angst um gute introjizierte Objekte", bedingt durch die Unfähigkeit, 
die paranoide Angst vor schrecklichen bösen Introjekten durch den vollkommenen Fort« 
schritt von der Partialobjektbeziehung zur Objektbeziehung gänzlich zu überwinden. 

Nun sei weiter von Bedeutung, daß schon die allerersten Introjekte den Grundstein 
zum „Übersieh" legen. Nur das mache uns die Strenge des Über*Ichs in der Melancholie 
verständlich. Die ersten Gewissensbisse entsprechen den Gefühlen des Verfolgtseins durch 
„böse" introjizierte Objekte. 

Das Bedürfnis, alle Forderungen des introjizierten „guten" Objekts zu erfüllen (um es 
zu schützen), machen nur einen Teil der vielen inneren Forderungen aus, denen das Ich 
des Melancholikers ausgesetzt sei; man müsse auch die Rolle des „bösen Objekts" be« 
rücksichtigen. Das Ich bemühe sich, „gute" und „böse" Objekte auseinanderzuhalten, was 
die „guten" Objekte als ganz besonders „gut", d. h. moralisch und streng erscheinen lasse. 



282 Referate 

Da das Bemühen aber mißlinge, erhalten die „guten" Objekte etwas von der GrausamW 
keit der „bösen". 

So setze die Depression im Gegensatz zur Paranoia eine „Total"ein Verleihung und eine 
schon bestehende Beziehung zu wirklichen Objekten voraus, die erst den Sadismus als so 
gefährlich erleben lasse. In diesem Stadium erst sei dem Ich die Erkenntnis, das Objekt 
sei nicht mehr als Ganzes, sondern nur mehr in einzelnen Bissen erhalten, erschreckend, 
und so entstehen vielfache dem Streben nach Wiederherstellung entsprechende Sorgen 
und Ängste. Solche Ängste finde man aber nicht nur bei Depressiven, sondern auch bei 
allen Arbeitshemmungen, etwa bei den „Wiederherstellungstendenzen" der künstlerischen 
Sublimierungen. Sehnsucht nach einem „ganzen" Objekt, verbunden mit Angst vor diesem 
Objekt, ein Streben danach, es zu schützen oder wieder herzustellen, verbunden mit einem 
gewissen Schuldgefühl ihm gegenüber, seien Regungen, die im Grunde jeder „Liebe" 
wirksam seien. Das Gefühl, daß im Es ein unbeherrschbarer Haß bleibe, der durch* 
brechen könnte, sei für die Selbstvorwürfe von weit mehr ausschlaggebender Bedeutung 
als die Vorwürfe gegen das Objekt. 

Im Gegensatz dazu habe der Paranoiker keine richtigen Identifizierungen mit ganzen 
Realobjekten. Der Depressive wolle die „desintegrierten" Teile des Objektes wieder zu 
einem Ganzen zusammenbringen, der Paranoiker sehe in ihnen nur vervielfältigte Ver* 
folger. Entsprechend sei die Angst, vergiftet zu werden, paranoisch, die Angst, andere 
durch orale Aggression zu beschädigen, und die, innere gute Objekte durch Zufuhr äußerer 
schlechter Substanzen zu gefährden, depressiv. Der Paranoiker introjiziere, um 
einen Verfolger dadurch unschädlich zu machen, der Depressive introjiziere, 
um eine „gutes" Objekt immer bei sich zu haben. Hypochondrische Ängste, 
durch ein „böses" Objekt zugrunde gehen zu müssen, seien paranoid, hypo* 
chondrische Ängste, den Organen, die mit „guten" Objekten identifiziert sind, könnte 
etwas geschehen, depressiv. (Eine mitgeteilte Krankengeschichte soll dies illustrieren.) Para* 
noide Ängste können als Abwehr der depressiven Position wieder mobilisiert werden. 
Der Selbsmord diene nicht nur der Absicht, ein introjiziertes schlechtes Objekt zu töten, 
sondern auch ein introjiziertes gutes Objekt eben dadurch zu retten. (Vgl. die Ansicht 
Rad os über den depressiven Selbstmord. 1 ) 

Die Manie sei ein Versuch, den der paranoiden und der depressiven Position ent* 
stammenden Gefahren zu entfliehen. Das manische Verhaften suche diese Gefahren zu 
verleugnen; es verleugne also weniger phallische Schwierigkeiten, wie Helene Deutsch 
meinte, sondern spezifisch prägenitale; nämlich die, daß das Ich gleichzeitig sich seine 
»i/guten" Objekte erhalten, und doch sowohl seiner Abhängigkeit von ihnen, als auch 
seinen „bösen" Objekten entgehen wolle. Das manische Ich benutze das Gefühl der All* 
macht, um die introjizierten Objekte zu meistern. Unter „meistern" sei die Herabsetzung 
der Drohungen der „bösen" Objekte, die Wiederherstellung der zerstörten „guten" Ob* 
jekte, die Vermeidung des „gefährlichen Koitus" und des Sterbens der verinnerlichten 
Eltern zu verstehen. Das Auseinanderhalten der Eltern spielt die Hauptrolle in dem zur 
Ulustiierung mitgeteilten Material. Dementsprechend spielen Tötungs* und Wiederbe* 
lebungsphantasien in der Manie die Hauptrolle. Der manische „Objekthunger" sei ein 
Hunger nach Introjektion weiterer „guter" Objekte (warum tritt er so genital in 
Erscheinung? Ref.), bei Leugnung der Wichtigkeit derselben; der Manische sage sich: 
„Es ist sicher nicht so sehr wichtig, ob dieses eine Objekt zerstört wird; es gibt noch viele 
andere, die man sich einverleiben kann". 

Die Beispiele, die Frau Klein zur Illustrierung ihrer Ansichten über Manie mitteilt, 
leiden wieder durch den Umstand, daß uns über die Persönlichkeit und die weniger tiefen 



i) Rado: Das Problem der Melancholie, Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XIII, 1927. 






Referate 283 

Schichten der Kranken garnichts mitgeteilt wird, was das Verständnis sehr erschwert; man 
weiß auch nicht, wie weit zur Deutung Einfälle der Patienten benutzt wurden, so etwa, 
wenn ein Patient von einem offenen Eisenbahnwagen träumt, in dem er seine Eltern betreut, 
wobei der Eisenbahnwagen den eigenen Leib des Patienten darstellt, und Frau Klein 
hinzufügt: „Der Wagen war offen — im Gegensatz zu seinem Gefühl, das der Einver* 
leibung entspricht, daß er sich von seinen verinnerlichten Objekten nicht befreien könne, 
indem das Offensein des Wagens dies verleugnet." Man hätte gerne etwas von der Situa* 
tion des Patienten zur Zeit des Traumes und von seinen Einfällen zum offenen Wagen: 
gehört. 

Das normale Kind könne die depressive und die manische Position auf verschiedene 
Weise überwinden. Durch die Liebe, die es von seiten der Eltern erfährt, steige der Glaube 
an gute Objekte, was die Überwindung der paranoiden Position erleichtere. Frau Klein 
geht dabei so weit, zu schreiben, wir hätten immer gewußt, daß die frühen Erlebnisse des 
Kindes für seine Entwicklung von Bedeutung sind, aber „erst seit wir mehr über die 
Natur und Inhalte seiner frühesten Ängste und über das ständige Zusammenspiel zwischen 
aktuellen Erlebnissen und dem Phantasieleben wissen, sind wir ganz imstande zu be* 
greifen, warum der äußere Faktor so wichtig ist." Die Erfassung „guter Objekte" und 
die Identifizierung mit ihnen sei dann die Voraussetzung für die „depressive Position". 
Gegenüber Rado, mit dessen Gedankengängen es hier Berührungspunkte gibt, glaubt 
Frau Klein, daß Schuldgefühle schon vom Säugling als solche empfunden werden, der 
es nicht fertig bringe, sein Verhältnis zu seinen „introjizierten guten Objekten" gut zu 
regeln. Erst mit dieser Regelung der Gefühle gegenüber dem als ganzen erkannten Ob* 
jekt entstehe die Ambivalenz, mit deren Hilfe der ursprünglichere Haß überwunden wer* 
den könne, und die daher ein Mittel sei gegen den eigenen Haß und gegen hassende böse 
Objekte. (Die Libido erscheint als ein Mittel zur Angstüberwindung. Ref.). 

Es gebe verschiedene Wege, um der depressiven Position zu entgehen: eine Flucht zu 
den „guten verinnerlichten" Objekten, die zur tiefen Psychose führen könne; oder eine. 
Flucht zu „guten äußeren" Objekten, die Flucht zur Realität. 

Es ist nicht einfach, zu den Funden und Theorien von Frau Klein Stellung zu 
nehmen. Im ganzen bleibt der Eindruck bestehen, der auch ihre früheren Arbeiten charak* 
terisierte: Die Funde erscheinen im ganzen richtig und wichtig, zumindest un* 
bedingt nachprüf enswert; gegen ihre Formulierung und gegen die daran ge* 
knüpften Theorien bleiben aber gewichtige Einwände bestehen. Es sind dieselben 
Einwände, die von Ref. und anderen Analytikern schon anläßlich der früheren 
Arbeiten von Frau Klein wiederholt geäußert worden sind: Die Schwierigkeit, 
die wortferne Erlebniswelt der prägenitalen Zeiten in Worte anzufangen, kann 
wohl am ehesten überwunden werden, wenn es gelingt, in der Wiedergabe — wie in 
der Analyse selbst — von der Gegenwart und dem verständlichen Bewußtsein aus, all* 
mählich in die Tiefe dringend, die Welten der archaischen Denkweisen allmählich 
miterleben zu lassen. Diese Allmählichkeit fehlt bei der Lektüre der vorliegenden 
Arbeit. Es ist, als hätten die Patienten kein Bewußtsein, sondern nur ein Unbewußtes. 
Trotzdem berücksichtigt die Art, in der dieses Unbewußte beschrieben wird, nicht die unge* 
heure Integriertheit dieser Schichten, indem Termini gebraucht werden, die Differenziertes 
aus höheren Schichten meinen. Die Erlebniswelten vor fertiger Ausbildung von Ich und 
Realität müssen von den Begriffen „Spannung" und „Entspannung" her erfaßt werden, 
und man muß sich hüten, Worte aus späteren Zeiten in diese frühen, noch undifferenzierten 
zu retrojizieren. Daß und warum die Ausdrücke „Übersieh" und „Ödipuskomplex" für jene 
„piäödipalen" Zeiten uns inadäquat erscheinen, haben wir an anderer Stelle ausgeführt. 
Trotz alledem erscheint uns die vorliegende Arbeit wichtig. Sie weist vielfach Überein* 



284 



Referate 



Stimmungen mit der Arbeit von Rad o „Das Problem der Melancholie" auf; um dies 
festzustellen, muß man allerdings die Kleinschen Termini an vielen Stellen übersetzen. 

O. Fenichel (Prag) 

OBERNDORF, C. P.: The Genesis of the Feeling of Unreality. Int. Journal of Ps.A., 
XVI, 3. 

In einer früheren, von uns referierten und kritisierten Arbeit » entwickelte der Autor 
eine eigene Theorie der Depersonalisation: diese beruhe stets auf einer Sexualisierung des 
(abstrakten) Denkens, und zwar erfolge diese Sexualisierung bei einem Denken, das nach 
der Art des gegengeschlechtlichen Elternteiles erfolge; empfinde das Individuum dann diese 
sexualisierte Denk«Identifizierung mit dem ihm gegengeschlechtlichen Elternteil als einen 
Widerspruch gegen die eigene Geschlechtlichkeit und suche es, sie zu verdrängen, so entw 
stehe das Gefühl der UnwirkÜchkeit der eigenen psychischen Vorgänge. Charakteristisch 
sei, daß solche Patienten hohe Intellektualität (des andern Geschlechtes) als vom Übersieh 
gefordertes Ziel erleben, und einerseits als Angstschutz, anderseits aggressiv als Waffe zu 
benutzen suchen. 

Die vorliegende Arbeit bringt eine ausführliche und interessante Krankengeschichte zur 
Stutzung dieser Theorie. Wir hören, wie ein Mädchen, das viele frühe Liebesversagungen 
ertragen mußte und im Zusammenhang damit schon früh starke sadistische Impulse enfc 
wickelte, einen Ausweg in einer Identifizierung mit dem sehr intellektuellen Vater fand die 
sich als Sexualisierung des Denkens (Kopf = Penis) manifestierte. In der Schule glänzte 
die Patientin durch ihre Klugheit, wobei sie sich männlich fühlte, zu Hause, wo die An« 
Wesenheit des wirklichen Vaters ihr Vater«Spielen verhinderte, begannen Unwirklichkeits« 
gefuhle und Depersonalisationssymptome. Sie floh davor in ein starkes Tagträumen, in 
dem sie stets einen männlichen denkerischen Ehrgeiz entwickelte. An den Fund von Miß 
Searl, daß bei der Depersonalisation die Identifizierungen des Kindes mit toten Gegen« 
standen eine Rolle spielen, erinnert der Fetischismus, den die Patientin Zeit ihres Lebens 
mit einem bestimmten Kissen betrieb, das offenbar ihr männliches Ich darstellte aber auch 
ihren Vater und dessen Penis (in tieferer Schicht: ihre Mutter und deren Brust), durch 
deren Introjektion ja ihr männliches Ich entstanden war. Die Unwirklichkeitsgefühle 
kehrten in stärkstem Ausmaße wieder, als die Patientin sich mit 19 Jahren verlobte Da« 
mals und auch nach der Heirat fühlte sie sich „real" beim Studium, „unwirklich" zu 
Hause und im Sexualleben. Dort phantasierte sie sich als Mann, hier versuchte sie die 
weibliche Rolle zu Übernehmen. Die Analyse machte von der Aufdeckung ihrer unbe« 
wußten Männlichkeit und Homosexualität an große Fortschritte, wurde aber dann auf Ver« 
anlassung des Gatten, dem ihre sich einstellende Weiblichkeit unbewußt nicht paßte, ab« 
gebrochen, in neuester Zeit allerdings wieder aufgenommen. 

Oberndorf diskutiert im Anschluß daran einige mit dem Falle zusammenhängende 
technische Probleme. Wenn ein Patient gegenüber den Deutungen des Analytikers ,,Un« 
Wirklichkeitsgefühle" entwickelt, so bedeute dies ein schweres Hindernis der Analyse. Da 
dieser Widerstand nur ein Spezialfall der „Isolierung von Denken und Fühlen" ist, die 
in einer andern Form die Analyse einer typischen Zwangsneurose so sehr erschwert, meint 
Ref. daß Oberndorfs Anweisung, „die einzige Hoffnung, die Verteidigungsmauer 
der Unwirklichkeit zu durchdringen, ist die Analyse jedes einzelnen verfügbaren Sym« 
ptoms im Versuch, libidinöses Denken zur affektiven Reaktion abzulenken" kommentiert 
werden muß. Es geht doch darum, v o r und s t a 1 1 der Analyse der übrigen Symptome das 
Oeiunl der Irrealität, das die ganze Analysenstunde begleitet, als solches zu analysieren, es 

of PsA b XV n i934 f: DepersonaIisation in Relation to Erotization of Thought, Int. Journal 



Referate 285 

dem Patienten in seinem Vorhandensein, in seiner Tendenz, in seiner Genese zu demon* 
strieren. Es gilt, zu verhindern, daß die Analysenstunde statt eines affektiven Erfassens 
der Wirklichkeit ein Denkakt und damit ein entstellter sexueller Genuß werde. Der Um* 
stand, daß die Lage auf dem Sofa das Gefühl der Unwirklichkeit verstärken könnte, scheint 
Ref. demgegenüber weniger erheblich, wenn auch sicher richtig. 

Eine Vermutung Oberndorfs, daß der Wechsel der Neurosenbilder in der Gegen* 
wart (Zurücktreten der Hysterien, Deutlicherwerden der Beteiligung des Ichs) allgemein 
einer stärkeren Notwendigkeit, sadistische Impulse zu verdrängen, und einer Steigerung 
der Libidinisierung des Denkens zuzuordnen sei, hält Ref. für nicht stichhaltig. Ver* 
änderte soziale und pädagogische Verhältnisse rufen in ganz anderen Beziehungen stärkere 
Veränderungen der psychischen Reaktionen auf dieselben hervor. 

O. Fenichel (Prag) 

YATES, SYBILLE: Some Aspects of Time Difficulties and their Relation to Music. Int. 
Journal of Ps.A., XVI, 3. 

Das Kleinkind erlebt den Zeitablauf anders als der Erwachsene. Er entsteht durch Er* 
lebnisse, die sich wiederholen und dabei allmählich bekannt werden. Wenn ein solches, 
Erlebnis ausbleibt, so daß das Kind warten muß, d. h. wenn „die Zeit des Kindes" und' 
„die Zeit der Mutter" nicht mehr korrespondieren, so tritt eine Störung im Zeitablauf ein. 
Das Kind beginnt zu schreien. Bzgl. der Psychologie des Schreiens und der Erschöpfung, 
zu der es führt, beruft sich die Autorin auf Miß S e a r 1 und meint, daß solche Er* 
Schöpfung die Zeit sozusagen außer Funktion setzen und das Gefühl bringen könne, alle 
Befriedigung, die dann doch noch erfolge, komme zu spät. Zeitkontrolle könne nach 
solchem Erleben eine Maßnahme (neben andern) sein, um die Wiederholung solcher 
Warte* und Erschöpfungserlebnisse zu verhindern. Nach dem Erleben des Gestilltwerdens 
sind dabei besonders die Exkretionsfunktionen ausschlaggebend. 

Die Analyse einer arbeitsgehemmten Musikerin bot in dieser Hinsicht interessantes 
Material. Sie empfand sich als kleines Kind von der Mutter vernachlässigt und meinte 
(woran das reale „zeitlose" Verhalten der Mutter schuld war), daß die Mutter allen Zeit 
schenke, nur nicht ihr. Die „Zeit" war dabei konkret und substantiell gedacht, so wie das 
primitive Denken ja überhaupt keine Abstrakta kennt und alles konkret nimmt. Die Mutter, 
so empfand sie, brauche alle Zeit auf und gebe ihr keine, so daß für sie nichts übrig bleibe. 
Es galt die symbolische Gleichung: Zeit = konkrete Substanz = Essen. Hinter ihrer zeit* 
liehen Desorientiertheit steckte orale Begehrlichkeit, die durch Versagung besonders sadistisch 
geworden war. Infantile Wartezeiten (letzten Endes wohl: auf die Stillung) waren ver* 
dichtet mit Urszenenerlebnissen. Die Patientin phantasierte u. a., sie möchte alle Minuten 
und Stunden, die ihre Mutter sie hatte warten lassen, sammeln und sie ihr auf einmal ins 
Gesicht schleudern. Eine solche Rachegelegenheit gab ihr vor allem die Reinlichkeit*» 
erziehung. Die dabei obwaltenden Zeitkonflikte hatte sie dann später auf ihre eine Subli* 
mierung der Analerotik darstellende musikalische Tätigkeit verschoben, was die Grund* 
läge ihrer Neurose abgab. Ihr Musikinteresse und ihre Musikstörungen entsprachen der Er* 
gänzung der zitierten symbolischen Gleichung: Zeit = konkrete Substanz = Essen = 
Schreie = Töne. Eine Ohrenkrankheit, die sie als Kind mitmachte, erleichterte die unbe* 
wußte Gleichsetzung von Tönen und Fäzes. Erst Schreie, dann Defäkationstrotz, dann 
Musik waren ihr unbewußte Mittel, um zu verhindern, daß man sie warten lasse. Die 
Gleichsetzung der musikalischen Tätigkeit mit der Defäkation ihrer Kinderjahre ging bis 
in minutiöse Einzelheiten. Hier wie dort empfand sie, daß ihr ursprünglicher Ausdruck, 
der bewegt, tanzend, warm war, durch regelnde Einflußnahme der Erwachsenen, besonders 
der Mutter, kalt und tot geworden war. Jener ursprüngliche lebendige Ausdruck, den 
sie in der Musik suchte, war die Fortsetzung von Spielen (Finger tanzen lassen), die sie 



286 Referate 

gespielt hatte, während die Mutter sie hatte warten lassen. Dieses Fingerspiel selbst war 
stark überdeterminiert. 

Der Verdichtung des Wartens mit der Urszene war es zu verdanken, daß dieses Spiel 
Ausdruck der Erregung des Kindes wurde, und in tieferer Schicht der Absicht diente, auf 
magische Weise die Eltern voneinander zu trennen. Rhythmysierung von Tönen bedeutete 
dabei Kampf gegen Angst vor Tönen und gegen die im Warten und Schreien tobendq 
Aggression. Das gegen solche Aggression gerichtete Wiedergutmachungsmoment — so 
meint Yates offenbar im Anschluß an die Theorie von Sharpe, daß künstlerische 
Betätigung vor allem eine Rekonstruktion des vom Oralsadismus Zerstörten sei — müsse, 
damit Sublimierung in der Musik erfolgreich sei, die ursprünglichen unbeherrschten Krisen 
übertreffen, die in Schreianfällen des kleinen Kindes zuerst zutage traten. 

O. Fenichel (Prag) 




KORRESPONDENZBLATT 

DER 

INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN 

VEREINIGUNG 



Redigiert vom Zentralsekretär Edward Glover 



Mitteilung der Redaktion 

der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse 

Die British Psycho*Analytical Society und mit ihr die Internationale Psycho* 
analytische Vereinigung haben am 30. März 1936 durch das Hinscheiden 
ihres Mitgliedes Dr. M. D. Eder einen großen Verlust erlitten. 

Wir werden in der nächsten Nummer unserer Zeitschrift einen Nachruf aus 
der Feder von Dr. Ernest Jones veröffentlichen. 



I. Mitteilungen der Internationalen 
Unterrichtskommission 

Lehrinstitut der Deutschen Psychoanalytischen 
Gesellschaft, Berlin 

Januar — März 1936 

Carl Müller* Braunschweig: Systematische Darstellung der analyti* 
sehen Psychologie, II. Teil. (Die Bedeutung der Familie, Ödipuskomplex, Trieb* 
lehre u. a.) Vorlesung, 6 Abende, Hörerzahl 7. 

Werner Kemper: „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie" (Fortsetzung). 
Seminar, 7 Abende, Hörerzahl 4. 

Werner Kemper: Spezielle Neurosenlehre, II. Teil. (Perversionen, Charak* 
terstörungen, narzißtische Neurosen, Psychosen, Süchte.) Vorlesung, Hörer* 
zahl 7. 

Felix Boehm: Seminar über Werke der Romanliteratur. 5 Abende, Hörer* 
zahl 13. 

Felix Boehm: Technisches Seminar, Hörerzahl 9. 



^8 KorrespondenzWatt 



Felix Boeh m: Besprechungen über die Aufgaben der poliklinischen Arbeit, 
Horerzahl 14. 

Ada MüIler*Braunschweig: Seminar über Anwendung der Analyse 
bei neurotischen und schwererziehbaren Kindern, 14tägig, Hörerzahl 5. 

Carl M üller*Braunschweig: Arbeitskreis zum Studium der frühkind* 
liehen Entwicklung. Wöchentlich, Hörerzahl 15. 

Leseabende (Leitung E. R o e 1 1 e n b 1 e c k), Hörerzahl 4. 



Ambulatorium der Ungarischen Psychoanalytischen 
Vereinigung, Budapest 

Bericht über dasjahr 1935: 

Nach den Neuwahlen setzte sich der ärztliche Stab des Instituts wie folgt pu* 
sammen: M. Bälint, Leiter; L. Revesz, Leiterstellvertreter; F. K. Hann, I. Her* 
mann, I. Hollös, S. Pfeifer, ordinierende Ärzte; M. Dubovitz, K. G. Läzär, Leiter 
der Erziehungsberatung. Im Berichtsjahr erhielt das Institut von der Gräfin 
H. Sigray eine Unterstützung zur Honorierung von therapeutischen Analysen 
Unbemittelter. Zum selben Zweck hat auch die Vereinigung einen gleichgroßen 
Betrag aufbringen können, so daß neben den Pflichtanalysen der Mitglieder und 
der Kandidaten einige weitere bezahlt werden konnten. 

Zahl der Neuanmeldungen: 

Erwachsene männlich: 56, weiblich: 40 = 96 
Kinder „ 21, „ 6 = 27 



zusammen 



riB 



Am 31. XII. standen in Behandlung: 

Erwachsene männlich: 20, weiblich: 33 = 53 
Kinder „ 4, 1=5 

zusammen: 58 
mit 189 Wochenstunden. 

Am31. XII. standen auf der Vormerkliste: 

Erwachsene männlich: 42, weiblich: 30 = 72 
Kinder — 

Im Jahre 1935 aus der Analyse entlassen: 

männlich — 2 2 1 1 = 6 

weiblich 1 — 1 = 2 

zusammen: 8 



Korrespondenzblatt 289 



DieinBehandlungstehendenFälle, nachDiagnosen: 

männlich weiblich 

Potenzstörung 4 — 

Frigidität (Zwangsohanie) — 1 

Homosexualität 1 1 

Exhibitionismus 1 — 

Hysterie ............... 3 16 

„ (mit psychopathischen Zügen) . . . -y 1 

„ (mit Zwangssymptomen) — 2 

Zwangsneurose 2 — 

„ (mit psychotischem Einschlag) . — 1 

Depression, Melancholie 3 1 

Hypochondrie m. Angstsymptomen .... — 1 

Paranoide Psychopathie 1 — 

Charakterstörung 4 5 

Pavor nocturnus . . . .... . . . . . 1 (Kind) — 

Enuresis u. Stottern 1 „ — 

Pseudologie 1 „ •*■ 

Verwahrlost 1 „ 1 (Kind) 

Imbezillität min. grad — 1 

Didaktische Analyse — 1 

Vorläufig ohne Diagnose 1 2 

24 34 



Psychoanalitickä skupina v C.S.R. (Psychoanalytische 
Arbeitsgemeinschaft in Prag) 

Oktober 1935 -März 1936 
Bericht über die Lehrtätigkeit. 

A) Stand der Kandidaten: am Beginn und am Ende der Berichtsperiode 9, 
hinzugekommen oder abgegangen ist keiner. Es handelt sich um 3 männliche 
und 6 weibliche Kandidaten, 3 sind Ärzte, 6 Nichtärzte, davon 2 Pädagogen und 
2 Psychologen. Noch in Lehranalyse befinden sich 8 Kandidaten, Kontrollana* 
lysen führen derzeit schon 6 Kandidaten durch. Entlassen wurde während der 
Berichtsperiode kein Kandidat. 

B) Liste der Lehr* und Kontrollanalytiker: Steff Bornstein; Otto Fe* 
nichel; Annie Reich. 

C) Unterrichtstätigkeit: Alle Kurse und Seminarien wurden über beide Quar* 
tale fortlaufend abgehalten, und zwar: 

1. Fenichel: Allgemeine Neurosenlehre, zusammen 13 Stunden, Hörer* 
zahl 25. 

2. Annie Reich: Freud*Seminar, Krankengeschichten („Rattenmann" und 
„Studien über Hysterie"). 9 Abende, Hörerzahl 15. 

3. Technisches Seminar, 12 Abende. 

4. Kinderanalytisches Seminar (Leitung Steff Bornstein), 11 Abende. Teil* 
nehmerzahl an den beiden technischen Seminaren 6 — 9. 

Int. Zeitschi. f. Psychoanalyse, XXII/2 19 



290 Korrespondenzblatt 



D) Öffentliche Veranstaltungen: 

1. Steff Bornstein: Arbeitsgemeinschaft für Kinder* und Jugend* Psycho* 
logie, offen für einen größeren Kreis von Pädagogen, fortlaufend, vierzehn* 
tägig, Teilnehmerzahl zirka 40. 

2. M. Olden: Kurs über die Psychologie des Kleinkindes vom 1. bis zum 
6. Lebensjahr (für Eltern, Lehrer und pädagogisch Interessierte), 7 Abende, Teil* 
nehmerzahl zirka 30. 

E) Publikationen: Außerhalb der offiziellen analytischen Publikationen er* 
schien in der Zeitschrift „Pritomnost": Löwenfeld, Historie Psychoanalysi. 

Wir haben für Unterrichtszwecke die Zentralisierung der Anmeldung und 
Verteilung der in Prag zur Behandlung kommenden Gratisanalysen durchge* 
führt. Es sind derzeit in Prag 21 Gratisfälle in Behandlung, davon 8 Männer, 
8 Frauen und 5 Kinder. Der Diagnose nach ist die Verteilung folgende: 

Erwachsene : 

Angsthysterie (— 1 w.) 

Charakterschwierigkeiten (2 m.» 3 w.) 

Depression ( — 2 w.) 

Erythrophobie ....(Im. — ) 

Hysterie (— 1 w,) 

Potenzstörungen (4 m, — ) 

Pseudologie ( — 1 w.) 

Zwangsneurose (1 m. — ) 

Kinder : 

Angsthysterie (— 1 w,) 

Enuresis (Im. — ) 

Schwererziehbarkeit ( — 2 w.) 

Zwangsneurose ( — 1 w.) 

Vorgemerkt sind 4 Fälle. 

IL Berichte der Zweigvereinigungen 

New York Psychoanalytic Society 

28. Jänner 1936. Jahresversammlung. Der Vorstand wird wie folgt gewählt: 
Präsident: Dr. Bertram D. Lewin; Vizepräsident: Dr. Leonard Blum gart; 
Sekretär: Dr. George E. Daniels; Kassier: Dr. Monroe A. Meyer. In den 
Vorstand werden gewählt: Drs. Dorian Feigenbaum, Smith Ely Jelliffe 
und Z. Rita Parker. In den Unterrichtsausschuß der American Psychoanalytic 
Association werden als Vertreter entsendet: Drs. Bertram D. Lewin, Sando,r 
R a d o und Bernard G 1 u e c k. In den Exekutivausschuß wird als Vertreter ent* 
sendet: Dr. Adolph Stern. 

George £. Daniels 

Secretary 

Chewra Psychoanalytith b'Erez Israel 

Oktober— Dezember 1935 

Nach den Sommerferien haben wir erst im November mit unseren Sitzungen 
begonnen. Auch im kommenden Arbeitsjahr 1935 — 1936 werden die Sitzungen 
einmal monatlich abgehalten. 



Korrespondenzblatt 291 



Erste Sitzung, am 15. November in Jerusalem: 1. Vortrag von Dr. E. Hirsch 
(a. G.): Technische Probleme einer Hysterieanalyse. Diskussion: Eitingon, Pap* 
penheim, Schalit, Wulff. 2. Geschäftliches: Frau Dr. G. Brandt wird als a. o. 
Mitglied aufgenommen. 

Zweite Sitzung, am 21. Dezember in TekAviv: D. Idelson (a. G.): Bericht 
über die Arbeit des „Heims für verwahrloste Jugend" in Tel* Aviv. Diskussion: 
Hirsch, Eitingon, Obernik*Reiner, Pappenheim, Strauß, Schalit. Anschließend 
fand die Besichtigung des Heimes statt. 

Dr. I. Schalit 

Sekretär 



Nederlandsche Vereeniging voor Psychoanalyse 

Für 1936 wurden gewählt in den Vorstand: Präsident: Dr. S. J. R. de 
Monchy, Vizepräsident: Dr. F. P. Mull er, Kassier: P. H. Versteeg, 
Schriftführer: A. Endtz; in den Unterrichtsausschuß: Dr. S. J. R. de 
Monchy (Präsident), A. Endtz (Schriftführer), Dr. F. P. Muller, Dr. H. 
G. van der Waals, Dr. A. J. Westerman*Holstijn. 

A. Endtz 

Schriftführer 



Wiener Psychoanalytische Vereinigung 

Januar — März 1936 

15. Januar. Dr. Paul Federn: Zur Unterscheidung des gesunden und krank* 
haften Narzißmus (I. Teil). Diskussion: E. Kris, R. Wälder, Hartmann, Eidel* 
berg, M. Bonaparte (Paris, a. G.), E. Bibring, Anna Freud. 

29. Januar. Dr. Paul Federn: Zur Unterscheidung des gesunden und krank* 
haften Narzißmus (II. Teil). Diskussion: R. Wälder, Anna Freud, J. Lampl*de 
Groot, Hitschmann, Hartmann, E. Kris, Sperling. 

12. Februar. Dr. Ludwig Eideiberg: Zur Genese der Platzangst und des 
Schreibkrampfes. Diskussion: Hartmann, J. Wälder, Federn, Anna Freud, 
Hitschmann, G. Bibring, Bergler, Angel. 

11. März. Dr. Ludwig Eideiberg: Zum Studium des Versprechens. Dis* 
kussion: R. Wälder, Stengel, Schikola (a. G.), Bergler, Schur, Anna Freud, 
Federn. — Dr. Paul Federn: Ein technischer Rat. Diskussion: E. Bibring, 
J. Lampl*de Groot, Angel, Eideiberg. — Dr. Paul Federn: Über das Schlangen* 
symbol. Diskussion: E. Bibring, Schur, R. Sterba, Steiner. 

25. März. Dr. Robert Wälder: Über die Voraussagbarkeit in der Psychologie. 
Diskussion: Federn, Hartmann, Stengel, E. Kris, Anna Freud, Hoffmann. — 
Dr. Jeanne Lampl*de Groot: Über die Wendung der Aggression nach 
innen. Diskussion: Federn, R. Sterba, Hartmann, Anna Freud. 

Geschäftliches: Neues a. o. Mitglied: Dr. Heinrich W i n n i k, Bukarest, 

III. str. Armenescu 19. 

Dr. Robert Wälder 

Schriftführer 

19* 



292 Korrespondenzblatt 



Psychoanalytikä skupica v C.S.R. (Psychoanalytische 
Arbeitsgemeinschaft in Prag) 

Oktober 1935 -März 1936 

14. Oktober 1935. Dr. Fenichel: Über Selbstironie als Angstabwehr. 

29. Oktober 1935. Referatenabend über Lewin: „The Body as Phallus" und 
„Claustrophobia". 

11. November 1935. Frau Karpe: „Psychoanalytisches über den tschechischen 
Karikaturisten Dr. Desiderius." 

23. November 1935. Gastvortrag von Dr. Federn (Wien) : „Beobachtbare Be* 
Setzungsvorgänge am Ich". 

24. November 1935. Gastvortrag Dr. Federn (Wien): „Über Psychoanalyse 
bei Psychosen". 

25. November 1935. Referatenabend über Mosonyi: „Die irrationalen Grund* 
lagen der Musik." 

9. Dezember 1935. Annie Reich: „Klinischer Beitrag zum Verständnis der 
paranoiden Persönlichkeit." 

16. Dezember 1935. Dr. Jakobssohn (Guebwiller) als Gast: „Über Miß* 
bildungen und Schaubuden". 

18. und 19. Dezember 1936. Gastvortrag Dr. Kris (Wien): „Über die Me* 
thodologie der Anwendung der Psychoanalyse auf andere Wissenschaften." 
2C. Dezember 1935. Referatenabend über die Gestalttheorie. 
3. Februar 1936. Löwenfeld: „Zur Massenpsychologie des Faschismus." 

17. Februar 1936. Diskussion über den Todestrieb. 

29. Februar und 1. März 1936. Gastvortrag Aichhorn (Wien): „Über die 
Handhabung der Übertragung in der Erziehungsberatung." 

2. März 1936. Referatenabend über Klein: „Die Psychoanalyse des Kindes". 
16. März 1936. Referatenabend über Teschitz: „Religion, Kirche und Religio 
onsstreit in Deutschland." 

30. März 1936. Ol den: „Über Dummheit." 

O. Fenichel 

III. Mitgliederverzeichnis der Internationalen 
Psychoanalytischen Vereinigung 

(Nachtrag zu der auf Seite 121 dieses Jahrganges veröffentlichten 
Mitgliederliste.) 

Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft 1 

I. In Deutschland wohnende Mitglieder: 

a) Ordentliche Mitglieder: 

Boehm, Dr. med. Felix, Berlin N. W. 87, Lessingstraße 1 (Vorsitzender, 

Schriftführer und Leiter des Ambulatoriums). 
E k m a n, Lektor, Tore, Berlin W. 50, Spichernstraße 3, bei Neumann. 



Im ersten Heft der Zeitschrift erschien versehentüch eine veraltete Mitgliederliste; 
dieses Verzeichnis ist als das offizielle anzusehen. 



Korrespondenzblatt 293 



G o e b e 1, Frau Gertrud, Berlin N. W. 87, Königin>»Augusta*Allee 96. 

Grab er, Dr. phil. G. Hans, Stuttgart 13, Stälinweg 29. 

Herold, Dr. med. Karl Maria, Berlin W. 62, Landgrafenstraße 2. 

K e m p e r, Dr. med. Werner, Berlin*Schmargendorf, Schlangenbaderstraße 95 

(Kassenwart). 
Müller*Braunschweig, Ada, Berlin*Schmargendorf, Sulzaerstraße 3. 
Müller*Braunschweig, Dr. phil. Carl, Berlin*Schmargendorf, Sulzaer* 

straße 3 (Stellvertretender Vorsitzender, Leiter des Lehrwesens). 
Schottlaender, Dr. phil. Felix, Stuttgart*Degerloch, Löwenstraße 123. 
Schultz*Hencke, Dr. med. Harald, Berlin«" Wilmersdorf, Hohenzollern* 

dämm 26. 
Stegmann, Dr. med. Margarete, Dresden A., Sidonienstraße 18. 
Witt, Dr. med. Gerhard, Berlin*Charlottenburg, Fredericiastraße 4 a. 

b) Außerordentliche Mitglieder: 

Baumeyer, Dr. med. Franz, Dresden, Bismarckstraße 14. 
M a r c h, Dr. med. Hans, Berlin W. 30, Bayreutherstraße 12. 
Roellenbleck, Dr. phil. Ewald, Berlin*Charlottenburg 9, Bayernallee 19 a. 

2. Auswärtige Mitglieder: 

a) Ordentliche Mitglieder: 

H o r n e y, Dr. med. Karen, 160 Central Park South, New York City (U. S. A). 
WeigertsVowinckel, Dr. med. Edith, Ankara* Yenischir, Atatürk* 
Bulvar 54 (Türkei). 

b) Außerordentliche Mitglieder: 
G a r m a, Dr. med. Angel, Madrid 53, Francisco Giner (Spanien). 

Es traten aus der Gesellschaft aus im Juni 1935 Dr. Spitz, im Oktober Drs. Kalau 
vom Hofe, Mette und Simmel, im Dezember Drs. Benedek, Haas, Jakobsohn, 
Kempner, Kluge, Kraft, LiebecksKirschner, Simson, Irene Hänel*Guttmann, 
Fromm, Groß, Hoffmann, Lantos*Schneider, Lowtzky, Staub und Kamm. Im 
März 1936 wurde Herr Tore Ekman von der Svenska*Finska Psykoanalytiska 
Föreningen übernommen. 

Chewra Psychoanalytith b'Erez4srael 

Ehrenmitglied: 
Freud, Anna, Wien. 

Ordentliche Mitglieder: 

B 1 u h m, Dr. med. Kilian, Jerusalem=Rechawia B., Abarbanel Str. 

Eitingon, Dr. med. Max, Talbye, Jerusalem (Vorsitzender). 

Pappenheim, Prof. Dr. med. Martin, Tel* Aviv, Bd. Rothschild 119. 

S c h a 1 i t, Dr. med. Ilja, Haifa, Hadar Hacarmel, Jerusalem Street 16 (Sekretär). 

Smeliansky, Dr. med. Anna, Tel=Aviv, Balfour Street 57. 

W u 1 f f, Dr. med. M., TeLAviv, Bd. Rothschild 38. 



294 Korrespondenzblatt 



Außerordentliche Mitglieder: 

Brandt, Frau Dr. G., c/o. Palestine Psychoanalytic Society, Jerusalem, Abes* 

synianstreet 138. 
Hirsch, Dr. Erwin, Jerusalem, Hachabaschim Street 134. 
Obernik*Reiner, Frau M., TekAviv, Melchett Street 24. 
Peller*Roubiczek, Lili, Jerusalem, Alfassi Str., Rechawia. 



SvensküFinska Psykoanalytiska Föreningen 

Ordentliche Mitglieder: 

Kulovesi, Dr. med. Yrjö, Tampere, Finnland. 

Sandström, Dr. phil. Tora, Stockholm, Jungfrugatan 56. 

T a m m, Dr. med. Alfhild, Stockholm, Narvavägen 21 (Vorsitzende). 

Außerordentliche Mitglieder: 

Ekman, Lektor, Tore, Berlin W. 50, Spichernstraße 3 (bei Neumann). 
Nielsen, Dr. med. Nils, Stockholm, John Ericssonsgatan 6. 
Nycander, Dr. med. Gunnar, Stockholm, Humlegardsgatan 13. 
Törngren, Dr. med. Pehr Henrik, Stockholm, Ulricagatan 5. 
Palm stiem a, cand. med. Vera, Stockholm, Pilgatan 3. 











j 


THE 




THE 




PSYCHOANALYTIC 




INTERNATIONAL 






QUARTERLY 




JOURNAL OF 




Fifth year of publication 




PSYCHO-ANALYSIS 






THE QUARTERLY 










is devoted to original contributions 






' 




in the field of theoretical, clinical and 




Directed by 






applied psychoanalysis, and is 
published four times a year. 




SIGM. FREUD 


! 




The Editorial Board of the QUAR- 










TERLY consists of the Editors: Drs. 




Edited by 


" : ' ' i 




DorianFeigenbaum.BertramD. Lewin 






'■ 




and Gregory Zilboorg. Associate Edi- 




ERNEST JONES 






tors: Drs. Henry Alden Bunker, Jr., 






" 




Raymond Gosselin and Lawrence S. 






■ 




Kubie. 






, 




CONTENTS FOR JANUARY 1 9 U: 




This Journal is issued quarterly. 


' 




Sigm. Freud : Inhibition^, Symptoms and Anxiety. 
— Karen Horney: The Problem of the Negative 




Besides Original Papers, Abstracts 


. 




Therapeutic Reaction. — Robert Wälder : The 
Principle of Multiple Function. — Eduard Kronen- 




and Reviews, it contains the 






gold and RichardS terba: TwoCases ofFetishism. 
— Margaret Ribble; Ego Dangers and Epilepsy. 




Bulletin of the International 






— R. G. Hoskins: An Endocrine Approach to 
Psychodynamics. — Clarissa Rinaker: A Psycho- 




Psycho - Analytical Association, 


' 




analytical Note on Jane Austen. — Book Reviews. 
— Current Psychoanalytic Literature. — Notes. 




of which it is the Official Organ. 






Editorial Communications should be 










sent to the Editor-in Chief: Dr. Dorian 




Editorial Communications should be 






Feigenbaum, 60 Gramercy Park, New 




sent to Dr. Ernest Jones, 81 Harley 






York, N. Y. 




Street, London, W. 1. 






Foreign subscription price is $ J.JO. 




The Annual Subscription is 50s per 






A limited number of back copies are 




volume of four parts. 


j 




available ; volumes in original binding 






i 




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The Journal is obtainable by sub- 


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sold separately. 






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THE PSYCHOANALYTIC 




addressed to the publishers, Balliere, 






QUARTERLY PRESS 




Tindall & Cox, 8 Henrietta Street, 






372-374 BROADWAY, ALBANY, 




Covent Garden, London, W. C. 2., 






NEW YORK 




who can also supply back volumes. 

, ' : 1 





/ 



Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Band XXII, Heft 2 



(Ausgegeben Ende Mai 1936) 

INHALTSVERZEICHNIS 

Seite 
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung 
für Penisneid und Weiblichkeit . . 137 

Eifersucht als Abwehrmechanismus .... .... 177 

Hemmung und Narzißmus i98 

Ausnahmen von der analytischen Grundregel .... 223 

Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben 229 

Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ultimis. Vier 
Mechanismen des narzißtischen Lustgewinns im Zwang 238 

Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der 
Epilepsie 24.9 



Carl Müller- Braunschweig: 

Joan Riviere: 

Jeanne Lampl-de Groot: 

R. Laforgue: 

Fritz Witteis: 

Edmund Bergler: 

Daniel K. Dreyfuß : 
REFERATE 



Aus der Literatur der Grenzgebiete 

Rittershaus: Konstitution oder Rasse? (Christoffel) 274. — Wengraf: Psychotherapie des Frauen- 
arztes (Gero) 274 

Aus der psychiatrisch-neurologischen Literatur 

Heyer: Praktische Seelenheilkunde (Grotjahn) 275. — Kunkel: Grundzüge der praktischen Seelen- 
heilkunde (Grotjahn) 276. — Psychotherapeutische Praxis (R. Sterba) 276. — Schneider: Pathopsycho- 
logie der Gefühle und Triebe (Grotjahn) 278. — Schorsch: Eigenständigkeit, Fremdhalt und Halt- 
losigkeit (Grotjahn) 279. — Stekel: Erziehung der Eltern (Friedjung) 279 

Aus der psychoanalytischen Literatur 

Klein: A Contribution to the Psychogenesis of Manie-Depressive States (Fenichel) 280. — Obern- 
dorf: The Genesis of the Feeling of Unreality (Fenichel) 284. — Yates: Some Aspects of Time 
Difficulty and their Relation to Music (Fenichel) 285 

KORRESPONDENZBLATT DER INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN VEREINIGUNG 
Mitteilung der Redaktion der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse 287. — I. Mitteilungen 

der Internationalen Unterrichtskoinmission 287. — II. Berichte der Zweigvereinigungen 290. 

III. Mitgliederverzeichnis der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung 292 



Preis des Heftes Mark 7.50. Jahresabonnement Mark 28. — 
Jährlich 4 Hefte im Gesamtumfang von etwa 600 Seiten 

Einbanddecken zu dem abgeschlossenen XXI. Band (1955), sowie zu allen 
früheren Jahrgängen: in Leinen Mark 2.50, in Halbleder Mark 5. — 



Eigentümer und Verleger: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Ges. m. b H., Wien IX, Berggasse 7 
Herausgeber: Prof. Dr. Sigm. Freud, Wien. —Verantwortlich für die Redaktion: Dr. Edward Bibring, Wien VII, Siebersterngasse 31 

Druck: Jakob Weiß, Wien II, Große Sperlgasse 40 



F 



Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Band XXIT, Heft 2 



(Ausgegeben Ende Mai 1956) 



INHALTSVERZEICHNIS 



Seite 



Carl Müller- Braunschweig: 

Joan Riviere: 

Jeanne Lampl-de Groot: 

R. Laforgue: 

Fritz Witteis: 

Edmund Bergler: 






Daniel K. Dreyfuß : 



Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung 

für Penisneid und Weiblichkeit . . 137 

Eifersucht als Abwehrmechanismus 177 

Hemmung und Narzißmus i98 

Ausnahmen von der analytischen Grundregel .... 223 

Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben . . .' 229 

Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ultimis. Vier 

Mechanismen des narzißtischen Lustgewinns im Zwang 238 

Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der 

Epilepsie 249 



REFERATE 



Aus der Literatur der Grenzgebiete 

Rittershaus: Konstitution oder Rasse? (Christoffel) 274. — Wengraf: Psychotherapie des Frauen- 
arztes {Gero) 274 

Aus der psychiatrisch-neurologischen Literatur 

Heyer: Praktische Seelenheilkunde (Grotjahn) 275. — Kunkel: Grundzüge der praktischen Seelen- 
heilkunde (Grotjahn) 276. — Psychotherapeutische Praxis (R. Sterba) 276. — Schneider: Pathopsycho- 
logie der Gefühle und Triebe (Grotjahn) 278. — Schorsch: Eigenständigkeit, Fremdhalt und Halt- 
losigkeit (Grotjahn) 279. — Stekel: Erziehung der Eltern (Friedjung) 279 

Aus der psychoanalytischen Literatur 

Klein: A Contribution to the Psychogenesis of Manie-Depressive States (Fenichel) 280. — Obern- 
dorf: The Genesis of the Feeling of Unreality (Fenichel) 284. — Yates: Some Aspects of Time 
Difficulty and their Relation to Music (Fenichel) 285 

KORRESPONDENZBLATT DER INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN VEREIN IGUNG 
Mitteilung der Redaktion der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse 287. — I. Mitteilungen 
der Internationalen Unterrichtskornmission 287. — II. Berichte der Zweigvereinigungen 290. — 
III. Mitgliederverzeichnis der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung 292 



Preis des Heftes Mark 7.50. Jahresabonnement Mark 28. — 
Jährlich 4 Hefte im Gesamtumfang von etwa 600 Seiten 

Einbanddecken zu dem abgeschlossenen XXI. Band (1955), sowie zu allen 
früheren Jahrgängen: in Leinen Mark 2.50, in Halbleder Mark 5. — 



Eigentümer und Verleger: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Ges. m. b H„ Wien IX, Berggasse 7 
Herausgeber: Prof.Dr.Sigm. Freud, Wien. —Verantwortlich für die Redaktion: Dr. Edward Bibring, Wien VII, Siebersterngasse 51 

Druck: Jakob 'Weiß, Wien II, Große Sperlgasse 40 
Printed in Austria 






CM 




XXII. Band 



1936 



Heft 2 



Internationale Aeitschrift 
iür Psychoanalyse 

Offizielles Organ der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung 

Herausgegeben von 

bigm* Freud 



Unter Mitwirkung von 



Felix Boehm 

Berlin 

J. E. G. van Emden 

Ha*g 

Karl Menninger 

Topeka 



G. Böse 

Kalkutta 

S. Hollös 

Budapest 

SJ. R. de Monchy 

Rotterdam 



Harald Schjelderup 

Oslo 



Edward Bibring 

Wien 



A. A. Brill 
New York 

Ernest Jones 

London 

M.W.Peck 

Boston 

Alf hild Tamm 
Stockholm 

redigiert von 
Heinz Hartmann 

Wien 



Lucile Dooley 
Washington 

J. W. Kannabich 

Moskau 

Edouard Pichon 

Paris 



M. Eitingon 

Jerusalem 

Kiyoyasu Marui 

Sendai 

Philipp Sarasin 

Basel 



Y. K. Yabe 

Tokio 



Sandor Rado 

New York 



Carl MüllersBraun schweig • • Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Be« 

deutung für Penisneid und Weiblichkeit 

Joan Riviere Eifersucht als Abwehrmechanismus 

Jeanne Lamphde Groot • • • Hemmung und Narzißmus 

R. Laforgue Ausnahmen von der analytischen Grundregel 

Fritz Witteis Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben 

Edmund Bergler • . ..... Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ultimis. "Vier 

Mechanismen des narzißtischen Lustgewinns im Zwang 

Daniel K. Dreyfuß Über die Bedeutung des psychischen Traumas in. der 

Epilepsie 

Referate