XXII. Band
1936
Heft 2
Internationale Aeitschriit
iür Psychoanalyse
Offizielles Organ der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung
H erausgegeben von
Siqm* Frei
7J
Unter Mitwirkung von
INTERNATIONAL
PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
Felix Boehm
Berlin
J. E. G. van Emden
Ha.-.g
G. Böse
Kalkutta
S. Hollös
Budapest
S. J. R. de Monchy
Rotterdam
Karl Menninger
Topeka
Harald Schjelderup
Oslo
Edward Bibring
Wien
A. A. Brill
N ew York
Ernest Jones
London
M.W.Peck
Boston
Alf hild Tamm
Stockholm
redigiert von
Heinz Hartmann
Wien
Lucile Döoley
Washington
J. W. Kannabich
Moskau
Edouard Pichon
Paris
M. Eitingon
Jerusalem
Kiyoyasu Marui
Sendai
Philipp Sarasin
Basel
Y. K. Yabe
Tokio
Sandor Rado
New York
Carl MüllersBraun schweig • • Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Be*
deutung für Penisneid und Weiblichkeit
Joan Riviere Eifersucht als Abwehrmechanismus
Jeanne Lampl=de Groot • • • Hemmung und Narzißmus
R. Laforgue Ausnahmen von der analytischen Grundregel
Fritz Witteis Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben
Edmund Bergler • • ..... Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ultimis. Vier
Mechanismen des narzißtischen Lustgewinns im Zwang
Daniel K. Dreyfuß Über die Bedeutung des psychischen Traumas in, der
Epilepsie
Referate
-: ~-j[
"»! V'
. 1) Die in der „Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse" veröffentlichten Bei*
träge werden mit Mark 25. — per sechzehnseitigen Druckbogen honoriert.
2) Die Autoren von Originalbeiträgen sowie von Mitteilungen im Umfange über zwei
Druckseiten erhalten nach Wahl zwei Freiexemplare des betreffenden Heftes.
3) Die Kosten der Übersetzung von Beiträgen, die die Autoren nicht in deutscher
Sprache zur Verfügung stellen, werden vom Verlag getragen; die Autoren solcher Beiträge
erhalten kein Honorar.
4) Die Manuskripte sollen gut leserlich sein, möglichst in Schreibmaschinenschrift
(einseitig und nicht eng geschrieben). Es ist erwünscht, daß die Autoren eine Kopie ihres
Manuskriptes behalten. Zeichnungen und Tabellen sollen auf das unbedingt notwendige
Maß beschränkt sein. Die Zeichnungen sollen tadellos ausgeführt sein, damit die Vorlage
Selbst reproduziert werden kann.
5) Mehrkosten, die durch Autorkorrekturen, das heißt durch Textänderungen, Ein*
Schaltungen, Streichungen, Umstellungen während der Druckkorrektur verursacht werden,
werden vom Autorenhonorar in Abzug gebracht.
6) Separata werden nur auf ausdrücklichen Wunsch und auf Kosten des Autors ange*
fertigt. Die Kosten (einschließlich Porto der Zusendung der Separata) betragen für Beiträge
bis 8 Seiten für 25 Exemplare Mark 15.—, für 50 Exemplare Mark 20.—
von 9 » 16 „ „25 „ „ 20.—, „ 50 „ „ 25-
, „ 17 „,24 „ 25 „ 30.-. „ 50 „ „ 40.-
„ 25 „ 32 . „ „ 25 „ „ 35.-. „ 50 „ 45.-
,. Mehr als 50 Separata werden nur nach besonderer Vereinbarung mit dem Verlag an*
gefertigt.
Wir ^machen hiemit unsere Autoren auf folgendes aufmerksam:
Nach den gesetzlichen Bestimmungen kann bis zum Ablauf von zwei dem Erschei*
nungsjahr einer Arbeit folgenden Kalenderjahren über Verlagsrechte (Wiederabdruck und
Übersetzungen) nur mit Genehmigung des Verlages verfügt werden. Auf Grund eines ge*
nerellen-jübereinkommens, das wir mit dem „International Journal of Psychoanalysis" ge*
troffen haben, steht es jedoch jedem Autor frei, ohne ausdrückliche Genehmigung des
Verlages der letztgenannten Zeitschrift das Recht der Übersetzung und des Wiederab*
drucks einzuräumen.
Die Genehmigung einer Wiederveröffentlichung oder Übersetzung in einem anderen
Organ muß, um Berücksichtigung finden zu können, zugleich mit Übersendung des Manu*
skriptes verlangt werden.
Die Redaktion.
Redaktionelle Mitteilungen und Sendungen aus allen Ländern mit Ausnahme der U.S.A.
bitten wir zu richten an Dr. Edward Bibring und Dr. Heinz Hartmann, p. A. Internationaler
Psychoanalytischer Verlag, Wien, IX., Berggasse 7.
Redaktionelle Mitteilungen und Sendungen aus den U. S. A. an Dr. Sandor Rado,
324 West 86th Street, New York Gity. v •
Bestellungen und geschäftliche Zuschriften aller Art an
Internationaler Psychoanalytischer Verlag, "Wien IX, Berggasse 7.
Internationale Zeitschrift
rar Psychoanalyse
Herausseseben von Jlgm. rreilu
XXII. Ban<l 1936 Heft 2
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer
Bedeutung für Penisneid und Weiblichkeit 1
Von
Carl MüllerüBraunschweig
Berlin
Ich möchte Sie in ein Aufgabengebiet führen, auf dem seit etwa einem Jahr*
zehnt unter der Führung Freuds lebhafte Auseinandersetzungen stattge*
funden haben. Es handelt sich um die Frage des Entwicklungsweges der
weiblichen Sexualität, insbesondere um die Erscheinung des Penisneides und
zwar in ihrem Zusammenhang mit der ersten Objektbesetzung des Mädchens.
Was ich' Ihnen heute zu diesem Fragekomplex zu bieten habe, ist im Kern
ein Gedanke, auf den ich stieß, als ich mir mein zunächst anders gestelltes
Thema für den heutigen Tag überlegen wollte. Dieser Gedanke überraschte
mich ebensosehr, wie er mich fesselte und mich zu näherer Beschäftigung mit
ihm antrieb. Es scheint mir, daß er geeignet ist, sowohl die Eindrücke und
Vorstellungen, die ich in den letzten 1 — IV2 Jahrzehnten meiner analytischen
Arbeit an Erwachsenen und Kindern zu diesem Thema gewonnen habe, als
auch' das umfassende Material, das uns allen zur Frage der weiblichen Enfe»
wicklung bekannt ist, von einem — nach meinem Eindruck — entscheidenden
genetischen Ausgangspunkte aus zu klären. Sollte dieser Gedanke Sie zu*
nächst fremd, überflüssig oder zu gewagt anmuten, so lassen Sie sich bitten,
ihn zumindest als eine Arbeitshypothese anzusehen. Und prüfen Sie mit mir
in der Folge, ob diese sich als fruchtbar erweist.
In der „Neuen Folge der Vorlesungen" erklärt Freud: „Es hat sich bei
manchen Analytikern die Neigung ergeben, jenen ersten Schub von Penis*
neid, in der phallischen Phase, in seiner Bedeutung herabzudrücken. Sie
1) Durch Zusätze und Nachträge erweiterter Vortrag, gehalten anläßlich des 15jährigen
Bestehens des Berliner Psychoanalytischen Instituts in der Sitzung der Deutschen Psyche*
analytischen Gesellschaft vom 16. Februar 1935.
Int. Zeitsdlr. f. Psychoanalyse, XXM/J 9a
138 Carl Müller=3raunschweig
meinen, was man von dieser Einstellung bei der Frau findet, sei der Haupt*
sache nach eine sekundäre Bildung, die bei Gelegenheit späterer Konflikte
durch Regression auf jene frühinfantile Regung zustande gekommen sei. Nun
ist das ein allgemeines Problem der Tiefenpsychologie. Bei vielen patho*
logischen — oder auch nur ungewöhnlichen — Triebeinstellungen, z. B.
bei allen sexuellen Perversionen fragt es sich, wieviel von deren Stärke den
frühinfantilen Fixierungen, wieviel dem Einfluß späterer Erlebnisse und Ente
Wicklungen zuzuteilen ist. Es handelt sich dabei fast immer um 'Ergänzungs*
reihen . . . Das Infantile ist in allen Fällen richtunggebend, ausschlaggebend
nicht immer, aber doch oftmals. Gerade im Falle des Penisneides
möchte ich mit Entschiedenheit für das Übergewicht des
infantilen Momentes eintreten."
Die Auffassung, die ich' vor Ihnen vertreten werde, gestattet, diesen Satz
von Freud voll zu unterschreiben. Sie sieht den Penisneid in seiner ent*
scheidenden Wucht bereits gegeben, noch ehe das Mädchen sich der Kon*
fliktsphäre der eigentlichen ödipussituation nähert. Sie gestattet zugleich 1 ,
— so früh' auch immer, im ersten Lebensjahr, sich diese Erscheinung entfaltet
— sie doch' in Zusammenhänge zu stellen, die, wenn sie sich als zutreffend
erweisen lassen, seine Entstehüngsgründe und damit den Entwicklungsweg
der weiblichen Sexualität überhaupt durchsichtiger zu machen vermögen.
Es ist mir aber nicht möglich, sogleich auf die Darstellung dieser Auf«
f assung, auf den erwähnten Gedanken und seine Konsequenzen hinzusteuern.
Es bedarf vorerst der Erörterung einer Reihe von Eindrücken und Über«
Zeugungen, die ich' im Verlaufe meiner analytischen Tätigkeit zum Thema
der sexuellen Entwicklung gewonnen habe. Ohne eine Darlegung dieser,
fürchte ich, würden meine Ausführungen über die Bedeutung der ersten
Objektbesetzung des Mädchens für Penisneid und Weiblichkeit zu sehr in
der Luft schweben. Deren Kenntnis bildet vielmehr die Voraussetzung für
das Verständnis der Untersuchung. Ich werde mich daher zunächst ihrer
Darstellung widmen:
Es handelt sich vor allem um die wechselnde Rolle, die die genitale Kom*
ponente der Sexualität bei beiden Geschlechtern im Verlaufe der prägenitalen
Phasen spielt, und um das Schicksal der m. E. mit der genitalen Komponente
von Anfang an verkoppelten Objektbesetzung. Wir betrachten seit langem
die Entwicklung des Kindes zum Erwachsenen u. a. unter folgenden Linien:
Die eine geht von der oralen Phase der Entwicklung über die analsadistische
und phallische zum Primat des Genitale. Die andere geht von einem primären
Narzißmus zur Objektliebe. Die prägenitale Beziehung zum Objekt bedeutet
eine das Objekt nicht respektierende, es vielmehr einverleibende oder es in
Besitz haltende, mehr narzißtische Einstellung, die genitale allein läßt das
Objekt Objekt sein. Nun scheinen mir die beiden Entwicklungslinien nicht
so zu verlaufen, daß die vom Anfang der Entwicklung an vorhandene genitale
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 139
Teilstrebung in der frühbfalen Phase etwa ganz hinter den extragenitalen
Strebungen zurückträte und sich nun von da an langsam und in gleich*
mäßigem Ansteigen durch die prägenitalen Phasen hindurch das Primat er*
oberte, während sich gleichzeitig mit diesem Primat die zu der genitalen
Komponente gehörende, oben charakterisierte Objektbeziehung konsolidierte,
es scheint vielmehr die Entwicklung von keinerlei Gleichmäßigkeit zu sein.
Von Geburt an, während der oralen Phase, etwa im ersten Lebensjahr,
scheint mir im Verhältnis zur Intensität der Oralität die Genitalität zunächst
eine relativ stärkere Rolle zu spielen als in den darauf folgenden Jahren, in
denen sie diese relativ stärkere Intensität mehr und mehr an die extra*genitalen
Strebungen abzugeben scheint, bis gegen das vierte, fünfte Lebensjahr, im
Zusammenhang mit der Entwicklung der ödipuskonstellation, die Genitalität
von neuem an Intensität gewinnt. Ehe sie sich dabei ausgeprägt und endgültig
in der Beziehung zum Objekt festigt, durchläuft sie eine phallisch*narziß*
tische Versteifung als Vorstufe, als ob sie vor dieser letzten Konsequenz einer
endgültigen Befestigung der Verbindung von Genitalität und Objekt*
beziehung zurückschreckte.
Die Genitalität des ersten Lebensjahres ist bereits durch die Säuglings*
onanie deutlich bezeichnet. Die Onanie der späteren Jahre zeigt nicht die
Regelmäßigkeit der Säuglingsonanie, ist seltener oder versteckter und tritt
hinter den extragenitalen Triebbetätigungen an Intensität zurück. Diese Ver*
änderung ist nicht Drohungen und Versagungen der Erziehung zuzuschreiben,
sondern scheint unabhängig davon, in welchem Maß diese vorhanden sind
oder nicht, dem immanenten normalen Entwicklungsgang zu entsprechen.
Die Genitalität erfährt nach einer ersten, im Verhältnis zu den anderen Korn*
ponenten relativ intensiven Frühblüte, eine Art Zaudern und Zurücktreten
hinter den extragenitalen Triebtendenzen.
Diesem Umstand entsprechen die Träume, Phantasien und Spiele der
Kinder vom ersten bis vierten Lebensjahr. Sie zeigen zweierlei Wissen neben*
einander: das „instinktive Wissen" um die wahren genitalen Sachverhalte
von Zeugung, Schwangerschaft und Geburt und daneben dasselbe Wissen
um eben diese Sachverhalte, aber in einer extragenitalen Sprache dargestellt.
Die oralen, analen, sadistischen Zeugungs*. Schwangerschafts* und Geburts*
theorien scheinen mir keine primären, nur den prägenitalen Phasen entsprun*
genen, die genitalen Sachverhalte noch nicht kennenden Vorstellungsgebilde
zu sein, sondern sekundäre Gebilde, die sowohl eine beiseite gedrängte geni*
tale Frühblüte und deren instinktives Wissen in sich enthalten, als sie anderer*
seits dieses Wissen in extragenitalen Anschauungen darstellen müssen.
Die frühe Genitalität der oralen Organisationsstufe scheint in ihrer Ent*
faltung einem Zaudern unterworfen zu sein, dergestalt, daß sie hinter den
extragenitalen Strebungen der oralen und anal*sadistischen Organisation
zurücktritt, bis sie in phallisch*narzißtischer Versteifung gegen das Objekt
9a*
140 Carl Müller=Braunschweig
wieder hervortritt, um sich dann erst im positiven Sinne dem Objekt zuzu»
wenden.
Die extragenitalen Strebungen der prägenitalen Organisationsstufen haben
nicht allein die Bedeutung von — phylogenetisch vorgebildeten — Vorstufen
der Phase des Genitalprimats, sondern sie spielen zugleich für die von Anfang
an vorhandene, in ihrer Entwicklung aber zaudernde Genitalität die Rolle von
Auffange und Ausweich^Formen. Ein Teil der libidinösen Energie weicht —
vorstellbar nach dem von Freud gegebenen Bilde von den kommumy
zierenden Röhren — etwa im Laufe des ersten bis zweiten Lebensjahres von
der postnatalen Genitalität in die extragenitalen Strebungen aus und durch»
läuft nun die phylogenetisch vorgebildeten prägenitalen Stufen so, daß die
Genitalität in den Hintergrund gedrängt bleibt, und ihre Angelegenheiten
vorwiegend nur in extragenitalen Verkleidungen zum Ausdruck kommen.
Es scheint mir wichtig, die primäre postnatale Genitalität und ihre relative
Stärke nicht zu übersehen, weil mir nur unter ihrer Beachtung eine Reihe von
Erscheinungen der ersten Lebensjahre verständlich zu werden scheinen. Im
besonderen gilt das für die ersten Lebensjahre des Mädchens.
In engster Verbindung mit dem Schicksal dieser primären Genitalität steht
das Schicksal der Objektbeziehung. Ich nehme an, daß die Objektbeziehung;
von vornherein an die genitale Komponente der Sexualität gekoppelt ist und
darum bereits in den ersten libidinösen Entwicklungsphasen eine Rolle spielt.
In der oralen Phase wäre demnach das Kind nicht nur durch die orale Zone
und Funktion an das Mutterobjekt gebunden, sondern bereits auch durch die
genitale Zone und Funktion. Mit dem relativen Zurücktreten der Intensität
der genitalen Komponente hinter den extragenitalen Komponenten während
des Durchlaufens der prägenitalen Organisationsstufen erfährt entsprechend
dem narzißtischen Charakter der extragenitalen Strebungen der neben der
primären Objektbesetzung der Mutter vorhandene postnatale primäre Nar#
zißmus des Kindes eine Verstärkung. Dieser „sekundäre" Narzißmus stammt
also aus anderen Quellen als der sekundäre Narzißmus, der sich aus den
frühkindlichen Versagungen und Enttäuschungen durch die Objekte erklärt.
Jener scheint — theoretisch — unabhängig von diesem und lediglich Folge
der der immanenten Gesamtentwicklung entsprechenden relativen Abschwä*
chung der primären Genitalität zu sein. Er geht — praktisch — mit dem aus
Versagungen und Enttäuschungen erwachsenden sekundären Narzißmus zu*
sammen.
Ich habe den Eindruck, daß sowohl Genitalität wie Objektbeziehung von
vornherein, insbesondere in ihrem Anwachsen, vom Subjekt als Gefahr ge*
wertet werden, als eine Gefahr, die theoretisch zu trennen ist von den objek*
tiven Gefahren (Drohungen, Versagungen, Enttäuschungen), die dem Kinde
tatsächlich geschehen oder geschehen können. Vielleicht, daß diese in der
Ontogenese innerlich erlebten Gefahren und Gefahrreaktionen, die nicht
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 141
durch die realen Objekte der Ontogenese erklärt werden können, auf in der
Phylogenese erlebte Gefahren und Gefahrreaktionen zurückgehen.
Aber auch eine andere, nicht notwendig auf die Phylogenese zurück*
gehende Betrachtung kann diese zunächst rätselhaft erscheinende Reaktion
verständlich machen; die prägenitalen Objektbeziehungen sind narzißtischer
Natur, denn sie haben den Charakter des Einverleibens und Inbesitzhaltens
des Objektes. Das Subjekt bemächtigt sich in ihnen des Objekts und schaltet
es in seiner Eigenexistenz und damit in seiner Gefährlichkeit aus. Die genitale
Strebung hat eine ganz andere Beziehung zum Objekt. Sie läßt das Objekt be*
stehen. Damit kann das Objekt zu einer besonderen und dauernden Ge*
fahrenquelle werden, und zwar unter Berücksichtigung des entscheidenden
Umstandes, daß die genitalsexuelle Strebung fähig ist, sich so stark durchzu*
setzen, daß sie das Ich alle Vorsicht und Rücksicht vergessen und ihr allein
folgen läßt, so daß das Ich, wenn es dem genitalsexuellen Antrieb nachgibt,
sowohl diesem als dem Objekt gleichsam ausgeliefert ist.
Auf diesen Charakter der genitalsexuellen Triebregung und der gegenge*
schlechtlichen Beziehung zum Objekt hat Freud an vielen Stellen seiner
Schriften nachdrücklich hingewiesen. Die Dominanz der genitalen Ge*
schlechtlichkeit ist es, die das Individuum als ein bloßes zeitweiliges An*
hängsei eines „unsterblichen" Keimplasmas, als ein flüchtiges Einzelwesen
in der unendlichen Kette der Generationen erscheinen läßt.
Ich glaube, wir dürfen diesen Charakter der Genitalität nicht vergessen,
wenn wir uns verständlich zu machen versuchen, warum diese bald nach
ihrem ersten postnatalen Auftreten einem Zauder*Rhythmus unterworfen ist.
Es ist anzunehmen, daß dieser Charakter des genitalen Sexualtriebs bereits
in der Phylogenese seine Bedeutung gehabt hat.
IL
Nach diesen Ausführungen über eine primäre postnatale Genitalität und
die mit ihr verkoppelte primäre Objektbeziehung möchte ich Ihre Aufmerk*
samkeit auf einen Tatbestand lenken, der, am Beginn des Lebens des Ein*
zelnen stehend, allen Menschen bekannt ist, über dessen libidogeschichtliche
Rolle wir uns aber meines Erachtens noch nicht genug den Kopf zerbrochen
haben, und der in dem ganzen Umfang seiner Auswirkungen für das spätere
Leben noch nicht genügend beachtet zu sein scheint.
Es handelt sich um den Tatbestand, daß beide Geschlechter, von der Frau
geboren, in dieser ein und dasselbe erste Liebesobjekt erhalten und damit der
Junge das Geschlechtsobjekt, auf das hin sich normalerweise seine Ge*
schlechtlichkeit entwickeln wird: das gegengeschlechtliche, das Mädchen hin*
gegen ein Objekt, das der normalen Richtung seiner Entwicklung zur Reife
nicht entspricht: das gleichgeschlechtliche.
142 Carl Müller»Braunschweig
Das Mädchen hat also im Laufe seiner Entwicklung einen entscheidenden
Schritt zu tun: es hat sich von der Mutter und damit der Frau abzuwenden
und sich dem Vater und damit dem Mann zuzuwenden. Dem Knaben bleibt
der Wechsel des Objektes vom gleichgeschlechtlichen zum gegengeschlecht*
liehen normalerweise erspart.
Dieser Tatbestand ist von bedeutsamen Folgen für die Entwicklung des
Knaben und des Mädchens. Dadurch, daß das erste Liebesobjekt für das
Mädchen einen ganz anderen Ausgangspunkt bedeutet als für den Knaben,
wird den Entwicklungslinien der beiden Geschlechter von vornherein ein
durchaus verschiedener Charakter verliehen. Daß die Tatsache eines für beide
Geschlechter gleichen ersten Liebesobjektes für das Mädchen einen völlig
anderen Ausgangspunkt seiner Entwicklung schafft als für den Knaben,
scheint, soweit ich die psychoanalytische Literatur zum Thema der weiblichen
Entwicklung übersehe, nicht genügend gewürdigt zu sein. Ich gestehe, der
determinierenden Kraft der Verschiedenheit dieser Ausgangspunkte eine so
große Bedeutung beizumessen, daß ich behaupten möchte, man könne für
alle weitere Entwicklung der beiden Geschlechter aus diesem Grunde niemals
von einer vollen Analogie in den einzelnen Phasen und Vorgängen beim
Knaben und beim Mädchen sprechen.
Die Bedeutung des Tatbestandes, daß es für beide Geschlechter nur ein
einziges erstes Liebesobjekt und damit für das Mädchen ein gleichgeschlecht*
liches erstes Liebesobjekt gibt, scheint uns durch die Herausstellung der an
sich richtigen Beobachtung verdunkelt und in den Hintergrund gedrängt
worden zu sein, daß die frühen Triebeinstellungen des kleinen Mädchens
gegenüber der Mutter aggressive und „männliche" Züge tragen, daß die
Vaginalzone vorerst keine oder nur in vereinzelten Fällen eine Rolle zu
spielen scheint, und überdies durch die Voraussetzung, daß vorerst die präge*
nitalen Triebäußerungen an Stelle der genitalen Objektbeziehungen das Feld
beherrschen und somit dem gegengeschlechtlichen und gleichgeschlechtlichen
Moment noch keine Bedeutung zugemessen zu werden brauche.
Unter einem solchen Gesamtaspekt scheint es, daß die Tatsache eines für
beide Geschlechter gleichen ersten, einzigen Liebesobjektes keine besondere
Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen braucht, sondern sich mühelos einreiht.
Ist das kleine Mädchen in den ersten Entwicklungsphasen „männlich" einge*
stellt, so paßt zu dieser Einstellung die Mutter als Frau in gleicher Weise wie
für den Knaben. Es bedeutet bei dieser Auffassung nichts, daß das Mädchen
eine Frau, also ein gleichgeschlechtliches Objekt als erstes Liebesobjekt er*
lebt, während der Junge von vornherein ein gegengeschlechtliches Objekt
besitzt. Es scheint vielmehr für beide Geschlechter für die erste Zeit der Be#
ziehung zur Mutter alles in bester Ordnung zu sein, und das Problem, das
das Mädchen vom Knaben unterscheidet, setzt nach diesem Aspekt erst viel
später ein, nämlich erst dann, wenn es gilt, das erste Liebesobjekt aufzugeben,
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 143
um zum Vater hinüberzuwechseln, eine Aufgabe, die dem Knaben erspart
bleibt.
Wir glauben nun — und werden uns weiter unten bemühen, diese Über*
zeugung zu stützen — , daß das Mädchen bereits lange vor dieser Phase, in
der es die Wendung zum Vater vorzunehmen hat, und zwar von seiner Ge#
burt an, im Verhältnis zu seinem ersten Liebesobjekt ein von dem des Knaben
durchaus differentes Schicksal erlebt und damit sein Leben von Anfang an
von einem Ausgangspunkt aus entwickelt, der grundlegend anders ist als der
entsprechende Ausgangspunkt der männlichen Entwicklung.
Die folgenden Ausführungen messen dem Umstand besondere Bedeutung
bei, daß das Mädchen das Schicksal hat, als erstes Liebesobjekt ein inadä*
quates Objekt zu erhalten. Die Voraussetzungen zu der Behauptung, daß es
sich' hier um entscheidende Tatbestände handelt, bestehen in der eingangs
skizzierten Auffassung, daß erstens bereits in den prägenitalen Phasen, ja von
Geburt an, die genitale Komponente der Sexualität eine Rolle in der Bei«
ziehung zum ersten Objekt, der Mutter, spielt, und daß zweitens die Geni*
talität bei beiden Geschlechtern — unbeschadet der unbestrittenen männlich**
aggressiven Einstellung und des Vorherrschens der Klitorisonanie beim
Mädchen — bereits geschlechtlich differenziert ist, beim Knaben männlich,
beim Mädchen weiblich charakterisiert ist, daß also einer Penisbesetzung des
Knaben beim Mädchen eine Besetzung der Vagina entspricht, die, weil sie
von Geburt an Abwehraktionen ausgesetzt ist, manifest seltener in die Er*
scheinung tritt als die Penisbesetzung des Knaben.
Ich' werde mich der Aufgabe, diese Auffassungen eingehender zu be<»
gründen, nicht entziehen, bitte Sie aber zunächst, sie einmal gedanklich als
zutreffend zu unterstellen und vorauszusetzen, es bedeute bereits das erste
Liebesobjekt für den Knaben ein gegengeschlechtliches, für das Mädchen ein
gleichgeschlechtliches Objekt. Unter dieser Voraussetzung gäbe es für den
Knaben und für das Mädchen zwei durchaus verschiedene erste libidinöse
Ausgangssituationen, so daß man für die weiteren Lebenswege der Ge*
schlechter erwarten dürfte, daß jeder Analogieschluß von dem einen Ge*
schlecht auf das andere — ein „vice versa gilt das Gleiche vom Knaben" oder
„gilt das gleiche vom Mädchen" — suspekt werden müßte.
In der Tat lassen sich auf einen ersten Blick Vorgänge bei der Vergleichung
der Lebenswege der beiden Geschlechter feststellen, bei denen jede Analogie
versagt. Zum Beispiel ergibt die für das Mädchen bestehende Notwendigkeit,
das gleichgeschlechtliche Mutterobjekt zu verlassen, um zum adäquaten
andersgeschlechtlichen Objekt hinüberzuwechseln, in der Entwicklung des
Mädchens eine Gefahrenzone, die die Entwicklung des Knaben nicht aufzu*
weisen hat. Viele Mädchen können diesen Weg nicht oder nur unvollkommen
erledigen. Die Folge ist eine fehlende oder nur mangelhafte Beziehung zum
Manne. Oft kommt es zu eigentümlichen Kompromißleistungen im Ver>
hältnis zum Mann. Der Mann wird zum Beispiel überwiegend nach dem
Muttervorbild gewählt, nur ein mütterlicher, die Frau als Kind behandelnder,
sie behütender und umsorgender Mann ist akzeptabel. Der Wunsch, wie ein
Kind behandelt zu werden, wird nicht einem Mann nach dem Vorbild des
Vaters, sondern einem Manne nach dem Vorbild der Mutter entgegenge*
bracht. Er muß mütterliche und darf deswegen auch durchaus weibliche
Züge haben.
Der Anlaß zu einer analog determinierten Objektwahl — die spätere Frau
nach dem Vorbild des Vaters anstatt nach dem Vorbild der Mutter zu wählen
— fällt beim Knaben weg, weil für ihn die genetische Vorbedingung, das
Wechseln von der Mutter zum Vater, entfällt. Wenn der Knabe an die Stelle
des Muttervorbildes das Vatervorbild in der Wahl seines späteren weiblichen
Liebesobjektes setzt, so aus ganz anderen genetischen Vorbedingungen. Eine
andere Gefahrenzone als die beschriebene des Mädchens ist es, die ihn dazu
bestimmen wird, — die des invertierten Ödipuskomplexes, bezw. ein Vorgang,
den Freud mit dem Worte umschrieben hat: „in Reaktion gegen die Auf*
lehnung gegen den Vater in Unterwürfigkeit unter ihn geraten".
Beim Mädchen kann natürlich auch vom invertierten Ödipuskomplex und
von der Auflehnung gegen die Mutterrivalin her ein der oben für den Knaben
beschriebenen Entwicklung analoger Vorgang stattfinden, aber dann ist er
sekundär und regressiv. Das Mädchen kehrt zum ersten Objekt zurück, wäh*
rend der Knabe von seinem ersten, ihm den normalen Weg weisenden weib*
liehen Objekt abweicht und in die Sackgasse der Bindung an das gleich*
geschlechtliche Objekt gerät.
Wo immer wir den Weg der beiden Geschlechter verfolgen werden, überall
stoßen wir auf verschiedene, jede Analogie ausschließende Entwicklungen
und möchten dafür das oben beschriebene Urphänomen verantwortlich
machen. .
Mit diesem Urphänomen einer primären gleichgeschlechtlichen Beziehung
des Mädchens zu seinem ersten Objekt hängt es wohl auch zusammen, daß
die Volksmeinung die männliche und die weibliche Homosexualität ganz
verschieden bewertet. Sie findet die manifesten Zärtlichkeiten, Küsse und
Umarmungen zwischen Frauen, die in aller Öffentlichkeit vor sich gehen
dürfen, weitgehend unauffällig, während das gleiche Verhalten zwischen
Männern in der Öffentlichkeit durchaus verpönt ist. Unser Strafrecht hat bis
zur Strafrechtsreform die weibliche Homosexualität ganz übersehen und nur
die männliche unter Strafe gestellt. Der letzte Grund dieser verschiedenen
Bewertung der Homosexualität bei den Geschlechtern wird darin liegen, daß
normaler* und unbeanstandeterweise das erste und dominierende Liebes*
objekt des Mädchens ein gleichgeschlechtliches Objekt sein mußte. Man ge*
stattet der Frau gleichsam, jederzeit zu diesem Objekt zurückzukehren, findet
die Treue und Zärtlichkeit verständlich, die sie an es binden. Der Mann Tun*
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 145
gegen muß ausdrücklich von seinem ihm gegebenen gegengeschlechtlichen
Objekt abweichen, zu einem, an seinem geschlechtlichen Reifeziel gemessen,
gänzlich inadäquaten Objekt abirren, wenn er seine Liebe und Zärtlichkeit
dem Manne zuwendet.
Bei der Frau ist Homosexualität, aus welchen weiteren Bedingungen sie
im einzelnen Falle entspringen mag, immer wesentlich eine Regression zur
Beziehung des Mädchens zum ersten gleichgeschlechtlichen Liebesobjekt, der
Mutter. Es gibt keine Analogie in der Entwicklung des Knaben. Die erste
Beziehung des Knaben zu seinem frühesten gleichgeschlechtlichen Objekt,
dem Vater, ist die einer bewundernden Identifizierung, die sich erst allmählich
zu einer distanzierten Objektbeziehüng entwickelt, während am Anfang der
Beziehung des Mädchens zur Mutter eine im körperlichen wie zärtlichen
Sinne intensive Objektliebe steht. Es ist — im Gegensatz zu einer bloßen
Identifizierung — bereits eine wirkliche Objektliebe, und zwar von Geburt
an, wenngleich sie zunächst durch prägenitale Züge besetzt und verdeckt ist
und einen infantilen Charakter hat.
Eine solche gleich starke, analoge Regressionsmöglichkeit zu einem gleich*
geschlechtlichen ersten Objekt fehlt dem Knaben. An die Stelle einer solchen
Regression treten ganz andere, jenseits jeder Analogie liegende Faktoren, so
etwa die von Freud seit langem herausgestellte, durch eine Enttäuschung
am Mutterobjekt eingeleitete Identifizierung mit der Mutter, durch die der
Betreffende sein homosexuelles Objekt so liebt, wie er selbst einst von der
Mutter geliebt wurde oder geliebt zu werden wünschte.
Es wäre sicher eine reizvolle Aufgabe allen jenen Erscheinungen nachzu*
gehen, die sich als Folgen jenes Urphänomens verstehen lassen, und zugleich
die außer jeder Analogie stehende verschiedene Entwicklung der beiden Ge*
schlechter aufzuzeigen. Es ist das aber nicht die Aufgabe, die sich diese Ar*
beit gestellt hat. Das Gesagte sollte nur dem Zweck dienen, den Hauptauß*
gangspunkt der Betrachtung zu umschreiben.
III.
Meine Absicht geht dahin, ein in seinen Erscheinungsformen und seinen
Folgeerscheinungen gut bekanntes Phänomen mit der beschriebenen Urkon*
stellation in Zusammenhang zu bringen. Ich meine den Penisneid des
Mädchens.
Nach den Formulierungen, die Freud, insbesondere in der „Neuen Folge
der Vorlesungen", den Problemen der Weiblichkeit gegeben hat, sieht die
Geschichte der weiblichen Triebentwicklung, kurz skizziert, folgendermaßen
aus: Das Mädchen durchläuft bis zur genitalen Phase eine Entwicklung, die
der des Knaben weitgehend parallel ist. Es zeigt wie der Knabe eine „phal*
lische" Phase. Es scheint, daß für das Mädchen die Vagina lange Zeit
gleichsam unentdeckt und unbesetzt ist. Die leitende Zone ist die dem mann*
Int. Zeitschr. I. Psychoanalyse, XXII/2 10
liehen Glied entsprechende Klitoris. Erst in der Pubertät tritt normalerweise
die Klitoris ihre Erregung an die Vagina ab. Vereinzelte Stimmen berichten
zwar von früher vaginaler Erregbarkeit, vermögen aber das Bild doch nicht zu
ändern, daß das kleine Mädchen in den ersten Jahren weitgehend ein kleiner
Mann ist. Dem entspricht das frühkindliche Verhalten des Mädchens zur
Mutter, es steht hier den Aggressionen des männlichen Kindes nicht nach.
Ein schwieriges Problem ist es, auf welche Weise sich das Mädchen von
der Mutter ab. und dem Vater,Mann zuzuwenden vermag. Die Ablösung von
der Mutter wird ihm erleichtert durch eine steigende Feindschaft gegen die
Mutter. Diese hat neben den beiden Geschlechtern gemeinsamen Moti,
Vierungen eine für das weibliche Kind spezifische: sie stammt aus der vorri
Mädchen gemachten Entdeckung, daß es „kastriert" ist. Die Folge ist daß das
kleine Mädchen, welches bisher männlich gelebt hatte, sich durch Erregung
seiner Klitoris Lust zu verschaffen wußte und diese Betätigung mit seinen
oft aktiven Sexualwünschen, die der Mutter galten, in Beziehung brachte,
sich durch den Einfluß der Penislosigkeit den Genuß seiner phallischen
Sexualität verderben läßt." Beim Anblick des männlichen Genitale erwacht
der Penisneid des Mädchens. Es erscheinen ihm nun seine Klitoris und die
daran geübte Onanie minderwertig. Es verwirft sie und damit zugleich die
mit ihr verkoppelte phallisch,aktive Liebe zur Mutter. „Durch den Ver,
gleich mit dem soviel besser ausgestatteten Knaben in seiner Selbstliebe ge,
kränkt, verzichtet es auf die masturbatorische Betätigung an der Klitoris, ver,
wirft seine Liebe zur Mutter . . ." „Mit der Entdeckung, daß Je Mutter
kastriert ist, wird es möglich, sie als Liebesobjekt fallen zu lassen. „Wo der
Penisneid einen starken Impuls gegen die klitoridische Onanie erweckt hat
und diese doch nicht weichen will, entspinnt sich ein heftiger Befreiungs,
kämpf, indem das Mädchen . . . seine ganze Unzufriedenheit mit der minder,
wertigen Klitoris im Widerspruch gegen die Befriedigung an ihr zum Aus,
druck bringt." Die Wendung zum Vater kann nun mit den die Oberhand
gewinnenden passiven Triebregungen vollzogen werden Der ursprünglich
auf die Mutter gerichtete, aber von ihr versagte Wunsch nach dem Penis
richtet sich nun auf den Vater, und verwandelt sich vermittels der Gleichung
Penis = Kot = Kind in den Wunsch nach dem Kind vom Vater. Damit tritt
das Mädchen in die ödipussituation ein.
Während der männliche Kastrationskomplex den Knaben aus der Odipus,
Situation vertreibt, führt der weibliche Kastrationskomplex das Madchen in die
Ödipussituation und damit in die Beziehung zum Vater wie in einen Hafen
hinein. Soweit Freud.
Es scheint mir unbestreitbar, daß der Weg des Mädchens von der Mutter
zum Vater so zu beschreiben ist, daß der Penisneid an dessen Anfang steht,
der objektlibidinöse Wunsch nach dem Vater und seinem Penis im Sinne
des Koituswunsches an dessen Ende.
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 147
Wir wollen diesen Weg vorerst nicht im einzelnen verfolgen, sondern ver*
suchen, zwischen dem so in seinen Folgen beschriebenen Penisneid und
unserem Urphänomen eine Verbindung herzustellen.
Die Versuche, die in ihrer Tatsächlichkeit unbestreitbare Erscheinung des
Penisneides verständlicher zu machen, bestehen in der Hauptsache in der
Aufzählung folgender Momente 2 : Das Mädchen beneidet den Jungen um
sein Genitale, weil es anatomisch sichtbar hervorragt, während das weibliche
Genitale unscheinbar und verborgen ist. Der Junge kann mit seinem Penis
in einem zielfähigen Strahl urinieren, das Mädchen nicht. Der Penis des
Jungen ist wegen seiner auffälligen Sichtbarkeit viel mehr geeignet, Exhibi*
tionsgelüste wirksam zu befriedigen. Die Knaben müssen ihr Genitale beim
Urinieren anfassen, die Mädchen haben keinen Anlaß dazu. Dieser Unter*
schied wird vom Mädchen so erlebt, als ob dem Jungen das Anfassen des
Genitale erlaubt sei, dem Mädchen aber nicht. Das männliche Genitale scheint
so im ganzen viel lustbringender zu sein als das weibliche.
Ich weiß nicht, ob es Ihnen bei dieser Aufzählung so ergeht wie mir. Ich
habe bei allen Versuchen, den Penisneid des Mädchens aus diesen und ahn*
liehen Momenten verständlich zu machen, immer ein Gefühl des Ungenügens
gehabt. Mir schien zwischen den Anlässen, die dem Mädchen das Genitale
des Jungen begehrenswert erscheinen lassen können und der Intensität und
Zähigkeit dieses Neides ein Mißverhältnis zu bestehen: Sollte dieses tiefge*
wurzelte Gefühl des Zurückgesetztseins des weiblichen Geschlechtes, das
zweifellos im Penisneid seinen klassischen Ausdruck findet, nicht auf Mo*
mente zurückgehen, die uns das Ausmaß dieses Gefühles überzeugender
verständlich machen könnten? Bedenken wir die Hartnäckigkeit, mit der sich
dieses „Minderwertigkeitsgefühl" in vielen Fällen das ganze Leben zu erhalten
vermag. Sollte sich das alles lediglich durch die Wahrnehmung eines äußeren
anatomischen Unterschiedes erklären lassen?
Neuerdings hat Rado in seiner Arbeit „Die Kastrationsangst des
Weibes" 3 wiederum den Ursprung des Kastrationskomplexes der Frau in
einer narzißtischen Kränkung gesehen, die das kleine Mädchen durch den
Anblick des männlichen Genitale erfährt.
Ich gestehe, daß ich nicht davon überzeugt bin, daß der Penisneid allein
aus den obengenannten Momenten entstehen und aus ihnen genügend veiv
ständlich werden kann.
Ist es wirklich das sichtbare Hervortreten des männlichen Genitale, ist es die
urethrale Leistung, und sind es die anderen erwähnten Faktoren, die uns den
a) S. die Zusammenstellung bei K. Hörn ey: Zur Genese des weiblichen Kastrations*
komplexes. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. IX, 1923, S. 12 ff.
3) Int. Psa. Verlag, Wien, 1934.
10*
148 " Car * Mttller'Braunschweig
Neid voll verstellen lassen? Ist es überhaupt der Eindruck, den der anatomische
Bau der Genitalien macht, der den Jungen zu einer Wertschätzung, das Mad,
chen zu einer Geringschätzung des eigenen Genitale bringt? Ist es nicht viel,
mehr so, daß das männliche Genitale für seinen Besitzer *"™fe"""
Zentrum der Wertschätzung, der Aufmerksamkeit und anderseits der Angst
steht, weil es der Sitz so bedeutsamer lustvoller Sensationen ist? Ist das
aber richtig, und ist die Wertschätzung des anatomischen Baues nur der sich
an das Sichtbare anschließende Ausdruck einer auf der eigentlich sexu,
eilen Funktion und Sensation aufgebauten Wertschätzung so mußte das
Gleiche für das Mädchen gelten. Auch es erlebt seine lustyollen Sensationen.
Warum führen sie nicht auch bei dem Mädchen zu der gleichen Aufmerksam,
keit und Wertschätzung? Oder, falls sie ursprünglich auch beim Madchen
ohne Einbuße erlebt werden könnten, - wie ist es vorstellbar, daß durch
bloße anatomische Wahrnehmungen sowohl diese Sensationen als auch das
ganze Genitale entwertet werden?
Der Penisneid wird durch diese Betrachtung noch P™ bl ff i™ f 1
beinhaltet das Gefühl eines Mangels. Wenn wir bezweifeln, daß Wahrneh,
mungen anatomischer Verhältnisse den wirklichen Grund dieses Mangel,
gefühls bilden, sondern vielleicht nur einen Ausdruck und einen Reprasen,
tanten für dieses Gefühl stellen, wo ist dann der wahre Grund dieses Mangels
zu suchen? Es müßte ein Mangel sein, der uns mehr als Mangel zu impo,
nieren verstünde als die bisher dargestellten Momente, und auf dem Grunde des
Penisneides müßte ein Neid liegen, von dem her wir überzeugter die gtoi*.
artigen Wirkungen verstehen könnten, die von ihm ausgehen. Die endgültige
Lösung, so scheint mir, bietet sich dar, wenn wir an die eingangs beschriebene
biologische Ursituation denken. Ich meine die Urkonstellation, daß ^es für
beide Geschlechter nur ein gemeinsames erstes Liebesobjekt gibt : die Mutter.
Es ist folgenschwer, daß der Knabe bereits mit seinem ersten Liebesobjekt
das auch für das Endstadium seiner Entwicklung adäquate normale gegen,
geschlechtliche Objekt erlebt und daß im Gegensatz dazu das Mädchen in
seinem ersten Liebesobjekt das seiner endgültigen reifen Objektwahl inad»
quate konträre gleichgeschlechtliche Objekt erlebt.
Die Tatsache, daß für die ersten Lebensjahre des Menschen die Mutter für
beide Geschlechter eine grundlegende Rolle spielt, ist von der Psychoanalyse
immer beachtet worden. In den letzten Jahren sind weiterhin die praodipalen
Phasen mit besonderer Berücksichtigung des Einflusses der Mutter untersucht
worden. Aber das Moment, um das es mir jetzt zu tun sein wird, scheint . jn
der vollen Bedeutung seiner Auswirkung für die differenten Schicksale der
beiden Geschlechter noch nicht genügend gewürdigt zu sein, nämlich der
Unterschied zwischen der gegengeschlechtlichen Beziehung des Knaben zur
Mutter und der gleichgeschlechtlichen des Mädchens zu ihr und die Be,
ziehung dieses Unterschiedes zum Penisneid.
Die erste Objektbesetzung des Mädch ens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 149
Die Lösung des Problems des Penisneides scheint mir also darin zu be*
stehen, daß das kleine Mädchen das Schicksal, ein Mädchen zu sein, primär
nicht deswegen als mangelhaft empfindet, weil ihm der Penis versagt ist,
sondern weil es primär insofern gegenüber dem Jungen Benachteiligung er*
leben muß, als es das Verhältnis zur Mutter von vornherein als kein voll*
wertiges, kein adäquates, d. h. kein gegengeschlechtliches erleben wird.
Es ist, als ob das Mädchen spürte: Ich bin für mein erstes Liebesobjefct
etwas Mangelhaftes, ich bin nicht das, was es braucht, bin nicht sein gegen*
geschlechtlicher Pol.
Oder — vielleicht noch treffender ausgedrückt — es ist, als ob das Mäd-
chen erlebte: Dieser Beziehung fehlt die polare gegengeschlechtliche Span*
nung und Befriedigung.
Von hier stammt — so meine ich — das weibliche Minderwertigkeits*
gefühl, von hier der Penisneid und von hier der hartnäckig oft das ganze
Leben lang festgehaltene Wunsch, ein Junge zu sein; von hier das zäh fest*
gehaltene Bestreben, es den Männern gleichzutun.
Meine Auffassung geht also dahin, daß das Genitale, sowohl das des
Knaben wie das des Mädchens, weder seine narzißtische Besetzung noch
seine narzißtische Kränkung primär von der Bewertung der anatomischen
Form bezieht, sondern allein von seiner spezifischen, d. h. genital*sexuellen
Funktion, und zwar im Verhältnis zu seinem adäquaten oder nicht adäquaten
Objekt, und von dem hetero*sexuellen oder nicht hetero*sexuellen Erlebnis,
das es vermittelt. Der Knabe ist nicht stolz auf sein Genitale, weil es ana*
tomisch hervorragt und sichtbar ist, und das Mädchen ist nicht unzufrieden
mit seinem Genitale, weil es verborgen ist, sondern beide wären, der ana*
tomischen Anlage nach, so ausgestattet, daß sie ihr Genitale, soweit es ihnen
genitaksexuelle Lust vermittelt, zu schätzen vermöchten.
Von hier aus ist also der Penisneid nicht zu verstehen, er ist nur zu
verstehen, wenn man die Urkonstellation, die Tatsache des für beide Ge*
schlechter gleichen ersten Liebesobjektes heranzieht. Hier liegt m. E. die
Erklärung für das Mißvergnügen des Mädchens mit seinem Genitale, hier
die Erklärung, daß es den Jungen um seinen Penis beneidet. Diesem Penis*
neid liegt etwas anderes zugrunde als die durch einen optischen Eindruck her*
vorgerufene Benachteiligung, etwas viel Großartigeres, Mächtigeres. Das
Mädchen erlebt, daß es gegenüber dem Jungen in einem durch nichts in der
Welt zu ändernden Sinn dadurch benachteiligt ist, daß es der Mutter als
gleichgeschlechtlicher Partner gegeben ist und nicht als gegengeschlechtlicher.
Das erste Erfassen seiner spezifischen Geschlechtlichkeit — und dieses Er*
fassen wird unabhängig davon sein, ob es das Genitale eines Jungen zu sehen
bekommt oder nicht, — muß für das Mädchen der Entdeckung gleichsam
eines Betruges gleichkommen. Es muß mit seinen ersten spezifischen Geni*
talerregungen spüren, daß es für das Objekt, mit dem es verbunden ist, nicht
15 o Carl Müller»Braunschweig
das ihm eigentlich gemäße polare gegengeschlechtliche Objekt darstellt, und
daß die sexuelle Beziehung zwischen ihm und der Mutter eine ungenügende
und inadäquate ist. Hat das Mädchen zudem noch das Erlebnis eines Bruders
oder das eines anderen Jungen, so mag, auch ohne daß das Genitale des
jungen bereits gesichtet zu sein braucht, sich dieses Erlebnis zu der instink,
tiven Überzeugung verstärken: der Junge ist der der Mutter wirklich gemäße
Partner, ich bin es nicht. .
Durch diesen Gedanken allein scheint mir die Wucht des Penisneides voll
verständlich zu werden. Wenn sich das Mädchen so vom ersten gemtaksexu*
eilen Empfinden an, das doch von nichts anderem ausgelöst und genährt sein
kann, als von dem überwältigenden körperlichen Verhältnis zur Mutter, wenn
es sich von diesem ersten Empfinden an als seinem Objekt inadäquat erleben
muß, dann wird es verständlich, daß der erstmalige Anblick eines männlichen
Genitale stärkste Wirkung auslöst und diesem Empfinden nun einen ausge*
zeichneten, unmißverständlichen visuellen Ausdruck von unverlierbarer Kraft
verleiht Das Bild des Penis schafft die Vorstellungsrepräsentanz für das, was
das Mädchen als Mangel erlebt hat. Man wird bei diesem Vorgang an die
Entwicklung der Kastrationsangst des Knaben erinnert, die auch durch einen
visuellen Eindruck ihre Befestigung und ebenfalls einen g eichsam symbo*
lischen Ausdruck findet, nämlich durch den Anblick des weib hchen Genitale.
Dieser Vergleich gut aber nur in dem einen Punkte, daß beide Male ein
visueller Eindruck ein Zweites darstellt, das einem Vorhergehenden mit Hilfe
der Anatomie einen sichtbaren Ausdruck verschafft. Er gut dagegen nicht
für das Weitere: Der Knabe erwirbt durch diese Wahrnehmung einmal eine
Befestigung seiner Kastrationsangst, und zweitens verstärkt er gegenüber
dieser Vorstellungsrepräsentanz der Kastration reaktiv seinen narzißtischen
Penisstolz, das Mädchen erwirbt hingegen durch den Anblick des mann,
liehen Genitale eine Besiegelung der bereits vorher entscheidend erlebten
Zurücksetzung, etabliert den Penisneid, erfährt Einbuße in der Entwertung
des eigenen Genitale und büdet die Phantasie, doch einen Penis zu besitzen.
Eine Reihe von klinischen Eindrücken, die ich seit Jahren gewonnen habe,
erhielt für mich durch die eben vorgetragene Betrachtung über die Aus*
Wirkungen der Urkonstellation neues Licht. Mir war immer aufgefallen, daß
Frauen, die den Weg zum Manne nicht oder nicht voll gefunden hatten,
und bei denen als das infantile Vorbild dazu der nicht gelungene Weg von
der Mutter zum Vater festzustellen war, als Kind sich ihrer Mutter gegenüber in
einer' spezifischen Weise verhalten hatten. Bei dem geringsten Versagen und
Mißgeschick liefen sie weinend und klagend zur Mutter und erwarteten von
ihr Verständnis, Trost und Abhilfe, schienen aber in diesen Ansprüchen nie
befriedigt. Die Klagen verrieten durchaus den Charakter von versteckten
Anklagen und Vorwürfen. Ich verstand diese Haltung immer so, als ob die
Mädchen der Mutter Vorwürfe darüber machten, daß sie ihnen in der Aufgabe,
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 151
von der Mutter loszukommen und den Weg zum Vater zu finden, nicht genü#
gend Hilfe leiste, oder daß sie von der Mutter die Entscheidung darüber
abgenommen haben wollten, ob sie bei ihr bleiben könnten oder zum Vater
gehen müßten, oder auch, als ob die Mädchen von der Mutter erwarteten, sie
solle ihnen den Weg zum Vater^Mann dadurch ersparen, daß sie ihnen den
Vater ersetze. Diese unter Weinen und Klagen vorgebrachten Ansprüche
hatten den Charakter quälender Unerfüllbarkeit.
Es ist nun richtig, daß wir diese Szenen auch unter der Formel verstehen
können, daß in ihnen das Mädchen die Mutter für seine Penislosigkeit ver*
antwortlich mache. Es bedeutet aber eine, vielleicht nur kleine, aber — wie
mir scheint — in Richtung auf das Eigentliche und Erste entscheidend vor.«
stoßende Akzentverschiebung, wenn man die Vorwürfe des Mädchens
gegen die Mutter in die Formel bringt: Warum hast du mich so sehr
an dich gebunden, wo wir doch garnicht zueinander passen? Weder bin ich
für dich, noch bist du für mich das angemessene Objekt. Nun habe ich die
schwere Aufgabe, von dir fort und zu einem mir adäquaten Objekt zu gehen.
Hilf mir dazu oder, wenn du kannst, mache diese Notwendigkeit ungeschehen
und lasse uns trotz allem zueinander passen 1 Ich klage dich an^ daß du mich
von Geburt an zu einer inadäquaten ungenügenden Befriedigung in der Be*
ziehung zwischen uns und zu einem schweren Gefühl des Mangels verdammt
hast.
Ich glaube, diese Grundformel ist das — freilich niemals begrifflich, son*
dem nur instinktiv erlebte — Erste, die Formel des Vorwurfs der Penislosig*
keit bereits ein Zweites, das erst möglich wird, nachdem dem Mädchen durch
den Anblick des männlichen Genitale die Vorstellungsrepräsentanz für sein
Mangelgefühl dargeboten worden ist.
V.
1. Wir werden uns nun mit einer Reihe von Einwänden beschäftigen
müssen, die gegen das Vorgebrachte in uns rege geworden sind: Haben wir
die gegengeschlechtliche Anziehung als Erklärungsgrund verwendet? Ist das
nicht eine petitio principii? Es gilt doch gerade, zu untersuchen, auf welchem
Wege sich das Mädchen von der Mutter abzulösen vermag und zu seinem
heterosexuellen Objekt gelangt, also zu untersuchen, wie es überhaupt zur
gegengeschlechtlichen Objektbesetzung kommt? Und dann: wir wissen doch,
daß die Sexualität des kleinen Mädchens zunächst männlich ist, und daß
für es die Vagina zunächst unentdeckt bleibt. Wenn es überhaupt einen Ein*
druck von dem Charakter einer sexuellen Anziehung zwischen ihm und der
Mutter erhalten kann, warum soll daraus das Gefühl eines Mangels resul»
tieren? Und haben wir nicht die prägenitalen Organisationsstufen vernach*
lässigt und das kleine Mädchen so behandelt, als ob es bereits von Geburt
an ein wesentlich genital bestimmtes Sexualleben besitze? — Ich will uns den
152 Carl MüllersBraunschweig
für eine Diskussion nötigen Wind nicht aus den Segeln nehmen, kann es
mir aber nicht versagen, auf diese und andere Einwände einzugehen, und
werde diese Gelegenheit zugleich dazu benutzen, einige Ergänzungen vorzu*
bringen.
Voran der Einwand der frühen Männlichkeit des kleinen Mädchens: Von
ihr habe ich, solange ich Analytiker bin, nie den Eindruck gewinnen können,
daß sie etwas Autochthones sei, daß sie eine primär biologisch und physio*
logisch fundierte Vorstufe in der Entwicklung des Mädchens darstelle; viel*
mehr schien sie mir immer aufgesetzt, zunächst deswegen, weil mir das mani*
feste Gesamtgehaben des kleinen Mädchens jener Auffassung zu wider*
sprechen schien. Ich habe den Eindruck, daß das kleine Mädchen normaler*
weise und schon sehr früh — neben und hinter seiner männlichen Haltung
— bereits alle weiblichen Züge der späteren reifen Frau zeigt. Es hat z. B.
vom ersten Erwachen des Interesses am Mann*Vater an — und dieses Inter*
esse zeigt sich bereits im ersten Jahr — das unaufdringlich Verführende,
Lockende des Weibes, wie es in karikierender Übertreibung und unter dem
Aspekt der männlichen Angst in der Figur der Loreley und vielen anderen
Gestalten des Mythos, der Sage, der Literatur erscheint. Das körperliche
Prototyp dieses Verhaltens ist das Hineinziehen in das weibliche Genitale. 1
Die frühe Weiblichkeit des kleinen Mädchens im Verhältnis zum Vater
und anderen Männern, um die es in unseren Ausführungen zu tun ist, gehört
noch nicht zum Ödipuskomplex. Das Kind gerät durch das weibliche Inter*
esse am Mann anfangs noch nicht in den eigentlichen Ödipuskonflikt mit
der Mutter. Die Bindung an die nährende und versorgende Mutter und das
weibliche Interesse am Vater stehen nebeneinander. Ehe der Ödipuskonflikt
entsteht, ist vielmehr der nur für die Entwicklung des Mädchens geltende
Konflikt wirksam, der unmittelbar aus der von uns in den Mittelpunkt un*
serer Betrachtung gestellten Urkonstellation hervorgeht. Das Mädchen hat
die Aufgabe, das Mutterobjekt zugunsten des Vaterobjekts zu verlassen.
Nach unserer Überzeugung liegt — wie ausgeführt — der erste und entscheid
dende Anstoß in dem instinktiven Erlebnis, durch das die Mutter als das
inadäquate Objekt, die Beziehung zu ihr als eine nicht polare und darum
mangelhafte erlebt wird. Die starke Bindung an die Mutter aber — soweit
sie unabänderlich mit der Tatsache der Geburt und der Säuglingspflege, ins*
besondere der Stillung gegeben ist — erschwert den Ersatz des inadäquaten
Objektes durch das adäquate und zwingt zu dem aussichtslosen Versuch, so
zu tun, als ob man ein Junge wäre, und sich mit der Phantasie eines Penis*
besitzes zu betrügen, um dadurch der Aufgabe zu entgehen, das Mutterobjekt
fahren lassen zu müssen. Diese Illusion, ein Junge zu sein und einen Penis
zu besitzen, verhüllt dem Mädchen nicht nur die unlustvolle Aufgabe, die
4) Über das Gegensatzpaar „männlicWeiblich" und die Schwierigkeit seiner Charakter^
sierung siehe auch Nachträge VI, 10.
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 153
Mutter verlassen zu müssen, sondern sie verschleiert dem Mädchen auch die
Wahrnehmung der Weiblichkeit, der weiblichen Einstellung zum Mann und
der weiblichen Sensation des eigenen Genitale. Auch diese Verschleierung
empfindet das Mädchen insofern als Hilfe, als es vor dem Weg zum Vatier
nicht nur darum Angst hat, weil es die Mutter verlassen muß, sondern auch
deswegen, weil es sich dem Vater, dem Mann und damit der noch unge«
wohnten — durch die erzwungene Anpassung an das gleichgeschlechtliche
Objekt zum Teil als fremd und feindlich empfundenen — geschlechtlichen
Polarität und dem vollen Umfang des weiblichen Schicksals ausgeliefert sieht.
Diese Vorgänge gehören, wie gesagt, noch nicht zum eigentlichen, voll*
endeten Ödipuskomplex, aber sie führen zu ihm hin. Die Mutter wird noch
nicht als Rivalin beim Vater empfunden, und es ist noch nicht der Wunsch
vorhanden, sie zu beseitigen und zu ersetzen, und damit auch noch nicht das
aus dieser Konstellation erwachsende Schuldgefühl. Vielmehr ist dieses durch
ein Schuldgefühl aus anderen Quellen vorgebildet und unterbaut, durch ein
Schuldgefühl aus einem Erlebnis vom Charakter der Untreue gegenüber der
Mutter, die man zugunsten des Vaters zu verlassen sich getrieben fühlt auf
Grund des Eindrucks, nicht am rechten Ort zu sein. Man kann dieses Schuld«
gefühl bei erwachsenen Frauen in der Analyse wiederfinden und es sowohl
unterscheiden von dem aus dem Ödipuskomplex stammenden Schuldgefühl
als auch von dem Schuldgefühl, das aus den notwendigen Erziehungsver*
sagungen stammt.
Karen Horney hat, wohl auch von einem Ungenügen an dem bisherigen
Verständnis des Penisneides getrieben, den Versuch gemacht, die eigentliche
Virulenz des Penisneides auf eine Enttäuschung durch den Vater und eine
darauffolgende Identifizierung mit ihm zurückzuführen. 5 Unsere Gedanken*
reihen operieren nicht mit so späten, bereits der ödipussituation angehören*
den Vorgängen, vielmehr versuchten wir den Penisneid auf innere Erlebnisse
des Mädchens zurückzuführen, die noch vor dem Erwachen des manifesten
Interesses am Vater*Mann liegen, auf die frühen genitalsexuellen Reaktionen
des Mädchens auf das ihm geschlechtlich inadäquate erste Liebesobjekt, die
Mutter.
Der von Karen Horney beschriebene, für die ödipale Zeit gültige Vor*
gang wird, wo er eintritt, den Penisneid und die Männlichkeitsphantasie be*
reits vorfinden und nur regressiv zu besetzen und zu verstärken brauchen.
2. Der Penisneid, entsprungen aus dem Erlebnis der geschlechtlich
inadäquaten Beziehung zur Mutter, bedeutet also zunächst den Neid auf den
hier besser ausgestatteten oder, zutreffender gesagt, auf den allein richtig,
vollgültig, zureichend, angemessen ausgestatteten Knaben. Er kann nun weiter
5) Karen Horney: Zur Genese des weiblichen Kastrationskomplexes. Int. Ztschr.
f. Psa., Bd. IX, 1923, S. 12 ff.
!54 Carl Müller'Braunschweig
der Ursprung einer Männlichkeitsphantasie, der Phantasie vom Besitz eines
Penis, werden und dient dann, wie soeben ausgeführt, sowohl der Sicherung
des Verhältnisses zur Mutter als auch einer Sicherung vor der ungewissen
Neuerung des Verhältnisses zum Vater#Mann.
In der „Neuen Folge der Vorlesungen" hat Freud die Resultate der bis,
herigen psychoanalytischen Erforschung der Genese der Weiblichkeit zu.
sammengestellt. Paßt nun das, was ich Ihnen vorgetragen habe, in dasJinte
wicklungsbild hinein, das Freud dort zeichnet? Ich glaube diese Frage
bejahen zu dürfen, wenn auch in einigen wenigen, freilich sehr wichtigen
Positionen Widersprüche vorhanden zu sein scheinen,
Freuds Auffassung geht dahin, daß für das kleine Mädchen (auch für
den kleinen Knaben) bis zur phallischen Phase „die Vagina unentdeckt
bleibe"; „das kleine Mädchen sei ein kleiner Mann". Wie der Knabe m dieser
Phase von seinem Penis lustvolle Sensationen sich zu verschaffen weiß und
dessen erregten Zustand mit seinen Vorstellungen von sexuellem Verkehr
zusammenbringt", so „das Mädchen mit seiner noch kleineren Klitoris: es
scheint daß sich bei ihr alle onanistischen Akte an diesem Pems*Aquivalent
abspielen ." „Vereinzelte Stimmen berichten zwar auch von frühzeitigen
vaginalen Sensationen, aber es dürfte nicht leicht sein, solche von analen oder
VorhokSensationen zu unterscheiden; auf keinen Fall können sie eine große
Rolle spielen. Wir dürfen daran festhalten, daß in der phallischen Phase des
Mädchens die Klitoris die leitende erogene Zone ist."
Ich habe den Eindruck, daß man von den frühzeitigen vaginalen Sensal
tionen weniger sagen kann, daß sie seltene Ausnahmen sind, als daß wir von
ihnen relativ selten zu hören bekommen. Die relative Sparhchkeit, mit der
uns von frühkindlichen vaginalen Vorgängen Kunde zukommt, scheint mir
ihre Erklärung darin zu finden, daß das Mädchen, im vollen Gegensatz zum
Knaben, dem Schicksal unterliegt, früh seine spezifische Sexualität abwehren
zu müssen. Ich erinnere hier an die Arbeit von Josine M ü 1 1 e r : „Ein Beitrag
zur Frage der Libido^Entwicklung des Mädchens in der genitalen Phase «,in
der sie ihre Annahme von einer durchgängigen f rühkindlichen vaginalen Er*
regungsfähigkeit mit wichtigen theoretischen Gründen und mit Beob*
achtungsmaterial an Kindern und Erwachsenen zu stützen versucht. Auch
Tones verteidigt in seiner inhaltsreichen und differenzierten Arbeit „Über
die phallische Phase"' die Annahme früher vaginaler Erregbarkeit unter
Hinweis auch' auf die Beobachtungen vieler Kinderärzte. Josme Muller
äußert sich in ihrer Arbeit über einen Fall von Harnik, in welchem eine
frigide Frau sich erinnerte, daß sie mit 15 Jahren vaginal masturbiert hatte,
in folgender Weise: „Es war ihr nach einer bewußtgewordenen Pubertats*
besetzung der Scheide m it Libido noch möglich gewesen, den vaginalen
6) Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XVII, 1931.
7) Int. Ztschr. £. Psa., Bd. XIX, 1933.
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 155
Triebanspruch aus dem Bewußtsein zu verdrängen und die Klitoris zu be*
Vorzügen. Daß dies ohne infantile Vorbereitung des Verdräng
gungsweges möglich sein sollte, ist mir nach meinen eigenen Analysen
unwahrscheinlich". Dieser Gedanke ist außerordentlich wichtig. Wir sind
gewohnt zu denken, daß Verdrängungsaktionen nach der Pubertät sich auf
gleichgerichtete infantile Vorgänge stützen. Erkennen wir die Ausführungen
über die Wirkungen "der Urkonstellation an, so wäre das frühinfantile Ver*>
drängungsvorbild der vaginalen Anästhesie im Zusammenhang mit unserer
Urkonstellation zu suchen: das Mädchen hat, im Gegensatz zum Knaben,
einen überwältigend starken Anlaß, seine spezifische Geschlechtlichkeit ab«
zuwehren; es hat, wenn anders es dem wachsenden Erlebnis des Ungenügens
und der Unangemessenheit entgehen soll, sich dem übermächtigen Partner
polar anzupassen, indem es seine Weiblichkeit abwehrt und seine Männlich*
keit in den Vordergrund treten läßt. Vorausgesetzt, daß es die Vagina ist, die
den eigentlich weiblichen Teil des Geschlechtsapparates des Mädchens bildet,
entspräche diesen Anpassungsvorgängen auf der Seite der somatischen Sexu*
alität eine Entziehung vaginaler Besetzung zugunsten der anderen Zonen, ins«
besondere der Klitoris.
Man darf in diesem Zusammenhange darauf hinweisen, daß die Theorie,
die das Mädchen erst mit der Pubertät endgültig seine Männlichkeit gegen die
Weiblichkeit eintauschen und „die Klitoris ihre Empfindlichkeit und damit
ihre Bedeutung ganz oder teilweise an die Vagina abtreten" läßt, sich aus
dem gewohnten Aspekt von der Zweizeitigkeit unseres Sexuallebens heraus*
heben würde, sobald man die Männlichkeit des kleinen Mädchens als eine
autochthone primär*biologische Frühphase ansähe. Sieht man sie dagegen
als eine reaktiv hervorgetriebene an, so kehrt auch in der Entwicklungsge*
schichte des kleinen Mädchens die Zweizeitigkeit wieder. Wenn wir be*
denken, daß dieser reaktive Vorgang sinngemäß in die allerfrüheste Kind*
heit zu verlegen ist und aus einer biologischen Ursituation ersten Ranges un*
mittelbar hervorgeht, gewinnt die Männlichkeit des kleinen Mädchens aller*
dings selbst den Charakter einer gleichsam biologischen Ursprünglichkeit.
In dem Zusammenhang mit dem Vorgetragenen wäre das „Unentdeckt*
bleiben der Vagina" kein genuines Phänomen, sondern die Folge eines sehr
frühen Abwehrvorganges gegen vaginale und Vorhof*Sensationen zugunsten
einer Überbesetzung der Klitoris.
Der Vagina und dem Vorhof, die wir als die eigentlichen Repräsentanten
des weiblichen Erlebens ansprechen möchten, würden also auf Grund der
als Mangel empfundenen fehlenden gegengeschlechtlichen Polarität früh*
zeitig und in steigendem Maße die Besetzungen zugunsten der Klitoris ent*
zogen. Bei diesen Abwehrvorgängen ist es sicher für die spätere normale oder
abwegige Entwicklung nicht gleichgültig, ob die Abwehr sich in einer Ver*
nngerung oder Entziehung der somatischen Libidobesetzung der Vagina
^56 Carl MüllefBraimschweig
vollzieht, oder in einer Besetzungsentziehung, die den vaginalen Sensationen
nur den Zugang zum Bewußtsein verwehrt, während sie, die vaginalen Erre-
gungen selbst, gleichwohl erhalten bleiben, ja anwachsen können. Durch die
Penisentdeckung erhalten, wie oben beschrieben, die bis dahin unbestimmt
erlebten Empfindungen des sexuellen Ungenügens, der sexuellen Zurück,
gesetztheit eine bestimmte und deutliche Repräsentanz. Der Penisneid eta*
bliert sich. Die Klitoris, durch die Abwehr, und Verschiebungsvorgange be*
reits bevorzugt besetzt, erhält sich - zumindest vor dem bewußten Erleben
- als vorherrschende erogene Zone und bleibt es in wachsendem Maße, weil
entsprechend dem Anschwellen der abgewehrten vagmalen Spannungen
schubweise eine Stärkerbesetzung der Klitoris erfolgen muß bis diese Ab*
wehrvorgänge ihren Zweck nicht mehr erfüllen und die vaginalen Ansprüche
sich - normalerweise - in Parallele zu dem Weg von der Mutter zum Vater
durchsetzen.
Ich habe nichts gegen die „Männlichkeit" des kleinen Mädchens emzu*
wenden, sobald unter ihr nicht eine von vornherein und ausschließlich vor*
handene sexuelle und seelische Haltung verstanden wird, sondern vielmehr
eine allerdings sehr früh erworbene reaktive Deformierung ihrer konstitu*
tionell gegebenen weiblichen Eigenart, dahingehend, daß die spezifisch weib*
liehen Teile ihres Sexualapparates zugunsten des Vorlustorganes oder auch
anderer erogener Zonen - z. B. der urethralen - an Besetzung einbüßen.
Vagina und Vorhof behalten einen Teil ihrer Besetzung, der auch durch die
Klitoris*Onanie mitmobilisiert wird. Die männliche Haltung und Phantasie
kann sich nun mit den Klitoris*Sensationen und ^Vorstellungen, aber auch
mit der urethralen Funktion und Sensation verkoppeln.
Wenn die Onaniephantasien der kleinen Mädchen einen bisexuellen Cha*
rakter tragen, dann wegen des Schicksals, das das Mädchen von der Geburt an
dazu drängt, einen Fluchtversuch vor der eigenen Geschlechthchkeit zu unter*
nehmen. Es baut neben seiner Weiblichkeit eine Männlichkeit auf, neben
der Vagina einen Penis. Aber diese Männlichkeit ist — so sehr sie sich die
real gegebene Bisexualität zunutze machen wird - ebensosehr nur eine
Pseudo*Männlichkeit wie der Penis ein Phantasie*Penis ist. Wie das Weib*
liehe bereits im nichtsexuellen Gehaben des kleinen Mädchens sichtbar wird,
so wird, dürfen wir schließen, auch die körperlich*sexuelle Grundlage, selbst
wenn sie früh einem Abwehrprozeß unterliegt und dadurch in der freien Ent*
wicklung gehindert ist, gleichwohl vorhanden sein.
3. Muß ich dem Einwand begegnen, daß ich mich so verhalten hatte, als
sei das weibliche Kind bereits von Anfang an auf genitaler Stufe, wo es doch
erst die prägenitalen Stufen zu durchlaufen hat? Nun, ich mache die Vor*
aussetzung, daß das Mädchen im selben Maße wie der Knabe, von früh an,
unbeschadet der prägenitalen Phasen, als einen der Partialtriebe innerhalb der
polymorphen infantilen Sexualität bereits eine Genitalität, und zwar eine
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 157
nicht nur klitoridische, sondern auch vaginale Genitalität besitzt. Es bleibt dann
nur noch die Frage des Gewichts, das man dieser frühen Genitalität bei«'
mißt. Ich habe den Eindruck, daß wir, beim Knaben wie beim Mädchen,
dieser von Anfang an vorhandenen und wirksamen Genitalität die ihr zu*
kommende Bedeutung nicht in ausreichendem Maße zuerkannt haben. Viel*
leicht wird auch nicht — wie ich bereits eingangs ausführte — genügend be*
achtet, daß die prägenitalen Phasen nicht allein als zwangsläufige ontogene*
tische Wiederholungen phylogenetischer Abfolgen einzuwerfen sind, son*
dem daß sie im Laufe der Entwicklung noch andere Funktionen erworben
haben. Es scheint, daß sie dazu benutzt werden, von dem als Gefahr empf un*
denen Anwachsen einer Genitalität abzulenken, die — wie wir oben aus*
führten — bereits embryonalen Ursprungs sein wird und sich bis in das erste
Lebensjahr hinein erstreckt, und die — an der Intensität der extragenitalen
Komponenten der prägenitalen Phasen gemessen — eine relativ starke Inten*
sität besitzt und als eine erste Frühblüte der Genitalität betrachtet werden
kann. Zum Zwecke des Ausweichens vor dieser Genitalität vermag sich be*
reits sehr früh eine Verschiebung genitaler Energien auf die extragenitalen
Triebtendenzen zu vollziehen und sich damit ein Mechanismus einzuspielen,
der den späteren pathologischen Abwehrvorgängen in Form echter Regres*
sionen den Weg bereitet. Diese Funktion der extragenitalen Tendenzen wird
ihrerseits bereits phylogenetisch erworben sein und die einfache Abfolge
oral — anal — genital kompliziert haben.
| Ich glaube, daß wir unter Berücksichtigung des Vorgebrachten auch die Fri*
gidität der Frau besser verstehen können. 8 Warum ist die mangelhafte vaginale
Empfindlichkeit eine ungleich viel häufigere Erscheinung, als es die Anästhe*
sien am männlichen Geschlechtsapparat sind? Lassen wir unsere AufsteL*
hingen gelten, so fehlt dem Mann durchaus eine Entwicklungsphase, die
derjenigen entsprechen würde, die wir für die Frau beschrieben haben. Hat
die Frau Anlaß, den vaginalen Anteil ihrer Geschlechtlichkeit sehr frühzeitig
zum Schweigen zu bringen, so fehlt dem Mann ein entsprechender Anlaß,
geschlechtsgerechte Empfindungen abzuwehren; die Sensationen seines mann*
liehen Geschlechtsapparates sind von vornherein auf ein adäquates Objekt
eingestellt. Störungen in der präödipalen Entwicklung dieses Apparates und
seiner Lustproduktion können beim Knaben nur durch fehlerhaftes Ver*
halten der Mutter entstehen, nicht aber — wie beim Mädchen — bereits durch
das bloße Dasein der Mutter und der Beziehung zu ihr. Je stärker die Bin*
düng an die Mutter, umso intensiver können die Reaktionen gegen den vagi*
nalen Anteil erhalten bleiben.
Die Frigidität der Frau imponiert wohl überhaupt als etwas, was mit An*
ästhesien und Parästhesien des männlichen Genitale in keine rechte Parallele
gebracht werden kann. Dieser Son derstellung der Frigidität der Frau ent*
8) S. dazu Nachtrag: VI, 6.
1JO ■
spricht das einzigartige, nur für das weibliche Geschlecht spezifische _ Ur*
e£s daß das weibliche Kind im Verhältnis zu seinem ersten Objekt zu
einer AnpLungsleistung gezwungen wird die von mm die Verleugnung
seines spezifisch weiblichen - vaginalen - Er ebens fordert.
4 Ich glaube, es ist unvermeidbar, bei allen Untersuchungen der Trieben^
wickbngdes Knaben und des Mädchens mit der ^^W
vornherein gegebenen gegengeschlechtlichen Anziehung ^J^SfflE
lieh müssen wir zugleich wissen, daß wir mit rein ^ k * , ^^3
über sie nichts erfahren werden, sondern diese ^^^^
seinen somatischen Methoden überlassen müssen. Wir ^^^
daß wir mit dem Ausdruck „gegengeschlechtliche Anziehung nur auf etwas
phänomenal unvermeidbar Gegebenes hinzuweisen vermögen, aber mit
diesem Ausdruck nichts erklärt haben. _
Wenn wir nun freilich die Aufgabe, die Gesetze dieser E^™«g ; rf
erforschen, dem Biologen überlassen müssen so bliebe uns immerhin die
in Angriff genommene Aufgabe, die Wege der gege «geschlechtlich en Ob
ektfhfdung! soweit sie psychologisch verfolgbar sind, zu £*"**£te
ohne die Voraussetzung einer von vornherein wirksamen Wechselbeziehung
zwischen den beiden geschlechtlichen Polen - oder wie wir immer das Pha.
nmmen bezeichnen wollen — läßt sich nicht arbeiten.
Sfc* ^ Vorauietzung ist daher für die psychologische Forschung keine
pe^plc^ü, sondern eine aus ihren eigenen Grenzen stammende Un,
^f Sht so als hätte die Tiefenpsychologie die Aufgabe oder überhaupt
dS3SS^^4«*J* Phänomen zu erklären, sie wird nur
dluf zu a hten haben, es überall dort, wo es psychologisch sich bar wird,
n S u üitSn. Uni die Aufgabe, die sich die Psychoanalyse setzen ^kann
wäre vielleicht besser so darzustellen, daß sie die störenden Faktoren und die
Umwege aufzufinden habe, die die von vornherein wf«ÄSC£
lung in der Erreichung ihres Endzieles - »«"«"^J^^S
Obfektliebe - hemmen, als diese Aufgabe so zu beschreiben, als ob mit
SarSüu^des Weges zum Endziel diese - die gegengeschlechthche
SSSÄ^ nunmehr selbst in ihrem Wesen erfaßt war.
Die Psychoanalyse vermag nur die Wege und Umwege zu beschreib^ auf
denen die gegengeschlechtliche Objektliebe, die von vornherein wirksam ist,
ZU L F Sr e n g w!e a ^ oben formuliert, die prägenitalen Phasen nicht nu,
die k^ünl von auf das Endziel zusteuernden Vorstufen, sondern jeh
die Bedeutung von Umwegen, die sich zum Ausweichen vor dem Endziel
"a^n wie der Penisneid des Mädchens oder der Wunsch nach dem
Kind ^Sr dlphallisch^narzißtische Versteifung des Jungen sind durchaus
r
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 159
doppeldeutig; sie sind Wege, aber auch Umwege zum Objekt. Der Penis*
neid hat z. B. diese Funktion, indem er an die Stelle des vaginalen Ver«
langens nach Aufnahme des Penis zunächst, nach dem Vorbild des oralen
und analen Einverleibens, ein narzißtisches Inbesitznehmen setzt — das ist
der Kindwunsch, der den Akzent von dem als Gefahr empfundenen Koitus
auf den Wunsch nach dem Kinde verschiebt und damit den abgelehnten oder
gefürchteten Koitus gleichsam überspringt.
Ein Wort über das, was wir wissenschaftlich tun, wenn wir die Vereini»
gung der Geschlechter als das Endziel der Sexualität bezeichnen: Wir denken
dann nicht philosophischsteleologisch, sondern durchaus naturwissenschaffe»
lieh, indem wir uns der aufdringlichen Erfahrung und Beobachtung fügen,
die uns die Dominanz der gegengeschlechtlichen Beziehung in einer Deut*
lichkeit zeigt, daß dagegen alle anderen Betätigungsformen der Libido ent*
weder an Intensität und Häufigkeit zurücktreten oder, wenngleich intensiv
und häufig, sich doch als sekundäre Spielarten und Abwegigkeiten gegen*
über einem Hauptzuge der Natur darstellen. 9
VI. (Nachträge)
Im folgenden einige Nachträge in lockerer Aneinanderreihung:
1. Die Bedeutung einer an die primäre Genitalität der
prägenitalen Phasen gekoppelten Objektbeziehung. Die
Objektbeziehung zumindest im Sinne einer Tendenz in Richtung auf das Ob*
jekt ist von vornherein beim Kinde gegeben. Es schreit und hungert nach der
oralen Befriedigung. Daß es taktil den Weg zur Mutterbrust erst suchen muß,
ist kein Gegenargument. Die Richtung und das Streben sind unverkennbar.
Das Spannung setzende Moment wird zunächst die Unterbrechung der
intrauterinen Ernährung und Sauerstoffversorgung sein. Die erste, die orale
Spannung, verlangt bereits zu ihrer Beseitigung ein Objekt. Daß noch kein
SubjekfeObjekteBewußtsein da ist, 10 besagt nichts dagegen, daß hier bereits
eine Objektbeziehung von ungeheurer Triebhaftigkeit und Innigkeit vorliegt,
die die Grundlage zu bilden scheint für alle spätere leidenschaftliche Liebes«
bindung zwischen den Geschlechtern.
Soweit von vornherein auch die Genitalzone (bei beiden Geschlechtern)
erregbar ist, wird man annehmen müssen, daß ihre Erregungen von Geburt
an an eine auf das gegengeschlechtliche Objekt gerichteten Tendenz gebunden
sind. Die Tatsache, daß nach Absolvierung der oralen und anaksadistischen
Entwicklungsphase vor der eigentlich genitalen eine phallische Phase sichtbar
wird, die einen weniger objektgerichteten als narzißtischen Charakter hat,
widerspricht dieser Annahme nicht, wenn man dem Eindruck Raum gibt,
daß der Narzißmus der phallischen Haltung ein letzter Versuch ist, der
9) S. dazu auch den Nachtrag: VI, 10.
10) Dazu Näheres: Nachtrag, 7.
Carl Müller'Brauns chweig
endgühigen Verbindung genitaler Strengen mit dem realen Objekt und
IpSdl mit dem gegengeschlechdichen Ob,ekt —™^-- „j.
Man darf wohl nicht im gleichen Sinne, wie ^«^»^
„de, genitalen Phase ^£32ÄS35hÄ £ Auge
wenn man diesen reaktiven Charakter aer p biologisch pri*
faßt." Die anderen genannten Phasen ^^£m in anderem
märe und entwicklungsgeschkchdicft 'J^^™^ gkicK en Rang zu
Sinne ist die phallische Phase des »«i^^Sjfc bereit in
stellen, da sie als Haltung m Konsequenz des bisher A g dfe ^
der oralen Phase deutlich wirksam ist, und zwar aus Ur ^
Knaben fehlen. Gemeinsam ist den ^^«^
schlechter freilich sowohl das eine, daß sie gjggjg^fc Objekt,
gängig begleiten -beim Mädchen .^^^Ä ^ * *■
SSÄÄ^ & eine narzißtische und
obiektabwehrende Versteifung erfahren. f + „ r lin d die
Haß gegen die Mutter, den das Mäd chen aus d e rrveb| ^£^End«
erwirb, Aber dieser Haß wird nur ab H^g^ inadäquaten
Treibende ist das wachsende Gefühl des Un genug w . Ver ,
Partnerin und die Verstärkung der gegengeschlechtlichen Anzien g
hältnis zum Vater. ii^rhauot: streben .
Darin äußert sich ein Mechanismus des ^fM^ub«h^ V^
zwei Partner auseinander, so werden sie den J^^S Taten des
f-Haßh^^
Partners, die diesen Haß zu rechtfertigen 8*5, Anziehung von selten
des Bewußtseins gehoben.» D-Wg^^JS te Mädlens an die
des Vaters wirkt sich m der F ^lfe^$; g des Mädchens von der
Mutter vorerst nicht im Smne einer Abwendung u
Mutter aus, sondern führt zunächst aus W^^y^
*tZi ,. dkf g»fe«S s
Proiektion: In Wirklichkeit (auf Grund der g e | eH S Afe
Ä wird das Mädchen der Mutte, ggjg *M* ggjfc
das Mädchen projiziert die UntteiKaui^die^iutte^m^i
ta) Freud: Das Ich und das Es. Kap. iv. ^
von Liebe in Haß). Ges. Sehr., Bd. VI.
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung fü, Penisneid «sw~^61
geworden, die Mutter hat ihr schon früh die Brust entzogen, hat sich später
einem nachgeborenen Geschwister zugewendet und dergleichen mehr
Nach der „Neuen Folge der Vorlesungen" „macht das Mädchen (die
Mutter für seinen Penismangel verantwortlich". Man kann diesen Vorwurf
auch so lesen: Wenn ich einen Penis hätte, so könnte ich bei dir bleiben wie
der Junge. Da ich aber kein Glied besitze, bin ich gezwungen, zum Vater
hinüberzuwechseln. Du bist schuld, daß ich mich von dir trennen muß
Das, was das Mädchen letzten Endes von der Mutter zum Vater treibt, ist die
zwangsläufig sich auswirkende gegengeschlechtliche Anziehung. Sie kommt
aber von der Mutter, an die sie durch Geburt, Stillung und Körper
pflege gebunden ist, nur weg, wenn sie die feindselige Einstellung gegen die
Mutter steigern kann.
Der Neid gegenüber dem penisbesitzenden Jungen erscheint in diesem
Zusammenhange als nichts Primäres. Primär ist die Benachteiligung, die das
Madchen dadurch erfährt, daß es nicht, wie der Junge, in der Mutter sein ge,
gebenes gegengeschlechtliches Liebesobjekt besitzt, sondern ein Objekt das
es - und das wird vom Mädchen von Geburt an instinktiv gespürt - einmal
wird zugunsten des Vaters verlassen müssen. So hilft es sich zwischendurch
besitzen ° n ' ** ^"^ ™ ^ * *" gIdch dem Jung * n dnen Penis zu
Das kleine Mädchen spürt frühzeitig die gegengeschlechtliche Anziehung
zum Vater hin: Das setzt früh den Konflikt zwischen der Neigung zu der es
versorgenden und verwöhnenden Mutter, an die es wegen dieser Funktionen
fixier ist und der Neigung zum Vater.Mann, die sich auf Grund der gegen,
geschlechtlichen Anziehung anbahnt. Der Knabe kennt diesen Konflikt nicht.
Von ; vornherein ist hier die versorgende und pflegende Mutter mit dem gegen,
geschlechtlichen Objekt identisch.
Wenn das Mädchen die Mutter für den Penismangel verantwortlich macht,
so wirft es ihr damit vor, daß sie es diesem Konflikt ausgesetzt hat. Die
Illusion des Pemsbesitzes ist also unterbaut durch den Versuch, der Ent,
Scheidung, die dieser Konflikt aufgibt, solange wie möglich aus dem Wege
M-fv'^ St r T K ° nflikt nkht mehr abzuweichen, dann gelingt dem
Madchen die Loslösung von der Mutter und die Hinwendung zum Vater
tdas Ja^sagen zur gegengeschlechtlichen Anziehung), teils durch die Ver*
Stärkung der Haßregungen gegen die Mutter (die durch Vorwürfe wegen
Zurücksetzung rationalisiert werden), teils durch die Verwandlung der Illu,
sion vom Besitze eines Penis in das Streben nach dem Penis des Vaters und
äi?* $ *? ^^ t? Kind VOm Vater ' beides auf der B ^is der Genu
taütat und der Objekthebe.
Der Penisneid die Vorstellung des Mädchens, durch das Fehlen des Penis
zurückgesetzt, ja kastriert zu sein, hängen in der bisherigen psychoanalytischen
Literatur theoretisch in der Luft. Es wirkt nicht überzeugend, daß das Mäd.
int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XX/2
Carl MüllersBtaunschweig
162
starkes und nachhaltiges Erlebnis ^tej«^ Kraft dieses unbe*
können. Es müssen mächtige ^^ST^ er recht eigendich 1*
streitbar vorhandenen Neides «PJ^^d^ bereits ^hr früh, in der
greifbar wird. Diese machtigen ^f^fl igengeschlechtiiche Span,
oralen Phase anzusetzenden und ™£*£%SSLm Mädchens, die
nung eingestellten genitalen ^«Jg^ und damit ein
die Beziehung zur Mutter als ^^3^^" klassischen Ausdruck gibt
Ungenügen schaffen, das sich m Pen sneid Einstellung des
3. Negativer Ödipuskomplex? D ^™^ möchte ich nicht
kleinen Mädchens zur Mutter m ^f»^ vorschlägt«
gern von Anfang an - wie das ^ c ^^Z ]a0U bezeichnet sehen.
1 als Teüerscheinung eines ^f^ ^^ Sinen Mädchens zur
Einmal deswegen, weil ^^^^S^^m ^über
Mutter vorerst im ersten bis dritten J**«*£ «^ aber ist d ie Be,
dem Vater nicht notwendigerweise <^ schl * 1St , VO {h{ Mom€nt an
Zeichnung „negativer Ödipuskomplex ^^^Skeln, nämlich
d er Einteilung des ^^S^f
erstens die Tatsache, daß das kleine iiaacn , ausgeliefert ist,
Die Bezeichnung „negativer Ödipuskomplex mr ^-führenden
kleinen Mädchens zu seiner Mutter verfuhrt ?*&!££££$$> diesem
Vergleichung mit dem negativen Ödipuskomplex des Knaben- «»
d ie normale Dominanz der Beziehung zum f^S ^
der Mutter, umkehren in die zum Vater. Für das M^««
als die analoge Wendung des Knaben zum Vater *e £ ^
Int. Zschr. f. i?sa., Bd. XIX, 1933.
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihr er Bedeutung für Penisneid usw. 163
4. Z u r R o 1 1 e d e r K 1 i t o r i s. Nach H. B r a u s « entspricht dk Klitoris
entwicklungsgeschichtlich nicht dem Penis, sondern nur den corpora caver*
nosa penis. „Die weibliche Klitoris hat zwar eine sogenannte Eichel glans
chtondis diese hat aber genetisch mit dem gleichnamigen Teil des mann*
liehen Gliedes nichts zu tun". Es entsprechen das Präputium und anschließend
daran die Haut des männlichen Gliedes und Hodensackes den großen Scham*
hppen und weiter die Haut auf der Eichel des Penis (mit dem corpus caver*
nosum glandis verwachsen) den kleinen Schamlippen (die gegen das corpus
chtondis frei sind).
Die Tatsache, daß die Klitoris entwicklungsgeschichtlich nicht dem Penis
entspricht, besagt nichts gegen die zweifellos beliebig oft zu machende Fest*
Stellung, daß wir Klitoris*Sensationen mit männlichen Impulsen und Phan*
tasien verkoppelt sehen, und würde auch nichts gegen die Behauptung zu
sagen vermögen, daß die Sexualität des kleinen Mädchens männlich sei. Die
Klitoris kann zum körperlichen Organ männlicher Sexualstrebungen werden,
gleichviel, ob sie dazu entwicklungsgeschichtlich prädisponiert ist oder nicht,
und zwar deswegen, Weil die Frau ein doppeiförmiges Genitale besitzt, von
dem, wenn nicht die Klitoris eindeutig der männlichen, so doch wohl die
Vagina vorwiegend der weiblichen Einstellung entspricht. Wenn nun 'die
vaginalen weiblichen Erregungen oder auch nur die Wahrnehmungen 'dieser
Erregungen abgewehrt werden, so kann der zweite Teil des weiblichen Ge*
nitalapparates, die Klitoris, zum Ausdrucksorgan der vom Ich zugelassenen
männlichen Strebungen und entsprechend besetzt oder überbesetzt werden
>. Die narzißtische Kränkung und der Neid als Entwick*
lungsf aktoren. Wenn die narzißtische Kränkung, die das kleine Mäd*
chen beim Anblick des männlichen Gliedes erfährt, und der Neid auf dieses
Glied die Entwicklung der Wendung des kleinen Mädchens von der Mutter
zum Vater_ veranlassen, so kann man sich überlegen, was denn wohl das
phylogenetische Vorbild dieser veranlassenden Faktoren sein möchte. Stellt
man sich diese Frage, so wird die Vorstellung, daß eine narzißtische Kran*
kung oder ein Neid, hervorgerufen lediglich durch den Anblick des Ge* '
nitale eines männlichen Tieres, eine so bedeutsame Entwicklung sollte in
Gang setzen können, wie es die Wendung des weiblichen Tieres vom Mutter*
her zum männlichen Partner darstellt, fast grotesk. Es drängt sich dann
deutlicher die Frage auf, welches weniger akzidentelle und weniger vom Ich
und vom Charakter und mehr vom Triebhaften, vom ursprünglich Biolo*
gischen her gegebene Moment für die genannte Entwicklung in Anspruch
^nommen werden müsse. Das ursprüngliche Erlebnis der Inadäquatheit der
Beziehung des weibhchen Kindes zu seinem ihm aufoktroyierten ersten
Uebe sobjekt genügt dem Anspruch der Frage, ob es sich auch für die Phyto*
Z^YH^TJlnYJ Anata^.Mensch«,. Springer, Berlin, 1924; hier zitiert nach
anny n a n n * K e n d e: Klitons*Onanie und Penisneid. Int. Zschr. f. Psa., Bd. XIX, 1933.
U*
TTT liar i ptnuw"»-"" -°
** W« 'äs.. Wk we,den * oK« Zwei«, den. Instink, das Beinen
weiblichen Tieres zubilligen können. Kränkung erfahren hat, und
Daß das weibliche Kmd eine na z ~^ r £ ser | asis ent wickeln, ist
daß Penisneid und ^^^^F^^smSS es die Wahrneh,
zugeben, aber ^^^^3SSS^ diese Krankung setz,
mung des anat onus ch«W « h einem ina daquaten
*sä% r* * sinnfause
Repräsentanz gewinnen kann. u d{ Vermutung aU s,
6. Zur Frigiditätder Jrau. de ^^^ mit SP zusammen Kän g en könnte,
daß die Disposition zur Frigidität faF»« Aufnahmeorgan für
daß die Vagina phylogenetisch erst sehr spat z .^^ yon S päterwer.
das männliche Glied geworden ist ^^ ^ L * sieh e P ntwicke lt
bungen besitzen könne. Der Muhersche Gang aus dem
hat, war ursprünglich ein ^^^^.^J^t liegt wiederum
man die weit ältere Funktion der Eiausstoßung ms Aug^ s gj
die Vermutung nahe, daß die ancbe ^f^SsTte Vagina weiter,
netisch sehr alte Erogeneität des Müllers ^g**^ Sm müßte,
gegeben sein und ihr eine alt fundierte Erogen ^Tfr D isPosition der Frau
g Wenn ich die Frigidität der Frau oder che ^M^gffSU wegen
zur Frigidität darauf ^^ en ( T^\^ \Zr V^g^ oder der
des inadäquaten ersten Objektes früh Anlaß hat ihrer v S
Wahrnehmung der Vagina die Besetzung *u ^^^^ V igba
Auffassung von der Frigidität F- mcht fu **"*£»» späte Bildung
labil erscheinen lassen mochte, weil sie eine pny J
ist. Aber der Bedeutung dieser ev en "^P^f^ Vorgängerin der Va.
dität steht sowohl entgegen, daß, J!^J^'Zl7£r^he, daß
gina über eine alte Erogeneität ver T ^habenmuß ^s auch
L Frigid^ durch *g«^^
zu erfreuen vermögen. Ausgehend von der Vermutung, daß
?Äo^tÄS; 2^Ä S£X* -**— En^luw.^
?ur Frage des Orgasmus und der Frigidität,
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisne id usw. 165
Frau, geboren und gestillt zu werden, als es für den Knaben bedeutet und
zwar deswegen, weil das Mädchen zur Mutter im gleichgeschlechtlichen, der
Knabe im gegengeschlechtlichen Verhältnis steht, sei eine biologische Speku,
lation gestattet.
Freud führt in den „Drei Abhandlungen"" aus: „Ein gewisser Grad
von anatomischem Hermaphroditismus gehört nämlich der Norm an- bei
keinem normal gebildeten männlichen oder weiblichen Individuum werden die
Spuren vom Apparat des anderen Geschlechtes vermißt . . ." „Die Auffassung
die sich aus diesen lange bekannten anatomischen Tatsachen ergibt ist die
einer ursprünglich bisexuellen Veranlagung, die sich im Laufe der Ent,
Wicklung bis zur Monosexualität mit geringen Resten des verkümmerten Ge*
schlechtes verändert."
Vielleicht stellt die Frau mit ihrer auffällig doppelten Genitalbildung ein
besonders zu betrachtendes Überbleibsel jener ursprünglich hermaphrodi.
tischen Bildung dar, in dem Sinne, daß ursprünglich das aus dem Mutter*
her entlassene Kind nicht nur bisexuell im Sinne der Beherbergung beider
Geschlechtsstoffe oder Tendenzen war, sondern auch - in der späteren Ent,
Wicklung zu differenzierten Geschlechtsorganen - beide Organe entwickelte.
Dabei hatte dann ein Teil eine stürmischere Entwicklung zur eindeutigen
Differenzierung durchgemacht, die weiblichen Genitalorgane wären bei
diesem grundheher verkümmert, während sich die männlichen dominierend
entwickelten. Em anderer Teü hätte sich weniger stürmisch entwickelt, und
es waren bei diesem die gegengeschlechtlichen Organe noch ausgiebiger er.
halten geblieben. Die Frau bewahrte also noch mehr von jener Ursprung,
lieh hermaphroditischen Bildung.
Die Doppelgenitalität des weiblichen Tieres könnte phylogenetisch damit
zu tun haben daß es von einem gleichgeschlechtlichen Tier geboren wird
im Gebaren des männlichen Tieres wird der Gegengeschlechtlichkeit Ge*
nu ge getan. Bereits im Mutterleib mögen sich die weiblichen Stoffe des
Muttertieres mit den männlichen des Fötus in einem polaren Gleichgewicht
befinden, während dieses Gleichgewicht zwischen den weiblichen Stoffen
des Muttertieres und den Geschlechtsstoffen des weiblichen Fötus nur bei
Überbetonung der männlichen Stoffe im weiblichen Fötus hergestellt werden
kann. Vielleicht, daß die Doppelgenitalität des weiblichen Tieres die Folge
dieser Notwendigkeit ist? Die Notwendigkeit einer geschlechtlichen DiffereL
aerung und Polarität zwischen den Stoffen des Muttertieres und denen des
£ otus konnte also eine physiologische Basis dafür abgegeben haben, daß im
weiblichen Fötus nicht nur ein für den männlichen nicht nötiges Übermaß
gegengeschlechdicher Stoffe produziert worden wäre, sondern auch eine
*as K für die Erhaltung der ursprünglic h - hermaphroditisch - vorhan*
16) Ges. Sehr., Bd. V, S. 14.
166
Carl MüllersBraunschweig
, 1-1 *4tt*t«». Organe bezw. eine Basis dafür, daß die Ver*
Hch» Tie« ^Ve^gsamung erfuhr etzung mög<
lieh sei, weil der Säugling noch kern £Jjr2S£S2iS » "*!«
sein besitzt, sich selbst und die feto«* ÄSSÄTm handelt,
scheiden verstünde? Die Ant wort lautet daß es s«h nicht d ^ ^ .
wann das Kind zum Bewußtsein der ^^Tnwd^ gelangt, sondern
Unterschiedes zwischen semem Ich und der Auße nwdt ^ |^
d TüEÄ5 -^SXrts^r?- als reales Wesen
Wesen in eine triebhafte Beziehung tritt f^^^ Mutter als
liegt eine Beziehung zu einem Objekt vor, und zwar eine
liehe, daß alle spätere von dieser erstehen *V^J^£^oL
innigen Verbindung dieser primären oralen mit einer P r 7 are "5 ß en ^ ätere
ektbeziehung mag eine Erklärung ^^äjÄg
Genitale Beziehung des Menschen zum Ob]ekt jenen Charakter aer x
Fällt doch ihre Frühblüte in eine Zeit, wo die Differenz erung a
lischen Gesamtorganismus noch in den ersten ^^ÄuSwdtS
Beherrschungsfähigkeit des Ichs gegenüber Ich f^™^^
nicht gesprochen werden kann, sondern das Individuum noch ganz den
inneren und äußeren Mächten ausgeliefert ist. ob^ktbesetzune"
Vielleicht aber sträuben wir uns gegen die Bezeichnung & W^ggg^
für die Beziehung des Säuglings zur Mutter, weü w- memen daß zu^ gjtefe
besetzung wesentlich das Vorhandensem eines aus dem «ndif f erenz erten Ur
Es differenzierten Ichs hinzugehöre. Erst wenn ^Mggg
sei könne ein Objekt besetzt werden. Aber besteht die Beteiligung des Ichs
1 elSM Setzung nicht lediglich darin, daß es entweder nachgebend
L sagen muß, oder ablehnend nein zu sagen versucht gegenüber einem im
weseÄ bereits vom Es gelieferten und nach Art, Ziel und Objekt voll
bestimmten Triebimpuls? Lü,«J" für
Wer die Bezeichnungen „Objektbesetzung" und „Objektbeziehung für
dieZeit nach Ausbildung der Instanz des Ichs reservieren wdl, hat gewiß das
i3EErB wird a£ dann in Verlegenheit sein, wie er die zweifellos
vorhandene Beziehung des Säuglings zur Mutter bezeichnen soll.
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutu ng für Penisnejd usw. 167
Diese Beziehung ist meines Erachtens nicht zu leugnen; auch wenn sie in
vieler Beziehung erst im Zusammenhang mit der Entwicklung der Instanz
des Ichs, des Systems W*Bw, der Funktion der Sinnesorgane und der Mo*
torik ausgebaut werden muß, kann man die funktionale Abhängigkeit
zwischen den räumlich getrennten Objekten nicht übersehen.
Die postnatale „Objektbesetzung" hat als intrauterinen Vorläufer die Be-
ziehung des Embryo zur Mutter. Hier handelt es sich noch nicht um ein
durch den äußeren Raum getrenntes Objekt, sondern um — so könnte man
es ausdrücken — das Verhältnis zweier individueller Organsysteme zu*
einander, von denen das eine, das mütterliche, das andere, den Fötus, räum*
lieh einschließt. Die funktionale Abhängigkeit dieser Systeme von einander
ist die Vorstufe der postnatalen „Objektbeziehüng" zwischen Kind und
Mutter.
9. Biologische Parallele zu der Annahme einer ersten
postnatalen Frühblüte der genitalen Komponente. Zu der
von mir — bei Beschränkung der Betrachtung auf das extrauterine Dasein —
postulierten, für die Zeit von der Geburt an bis ins erste Lebensjahr sich
erstreckenden ersten Frühblüte der genitalen Komponente würden die von
Freud schon in der ersten Auflage der „Drei Abhandlungen" (1905)» in
einer Fußnote erwähnten Funde von Bayer und Halban passen, nach
denen die „inneren Geschlechtorgane (Uterus) Neugeborener in der Regel
größer sind als die älterer Kinder", so daß von einem späteren Rückbildungs*
Vorgang zu sprechen ist.
Desgleichen weist die in der 5. Auflage (1922) der „Drei Abhandlungen" er*
schienene Ergänzung der Note», die (nach einem Referat von Ferenczi)
sich mit den Ergebnissen von Lip schütz 19 auseinandersetzt, auf biolo*
gische Funde hin, die sich sehr gut mit meiner Auffassung vereinigen lassen:
„Es konnte festgestellt werden, daß beim männlichen Fötus die Pubertäts*
druse stark hypertrophiert ist, so daß sie den größten Teü des Hodens ein*
nimmt; eine zweite bedeutende Vermehrung der Zwischenzellen tritt in der
Pubertät ein, so daß eigentlich zwei Gipfelpunkte der Entwicklung der
Pubertatsdrüse vorhanden sind. Lip schütz sieht sich auch gezwungen
anzunehmen, daß schon in der frühen Embryonalzeit sich im Organismus
Veränderungen abspielen, die qualitativ jenen gleichzusetzen sind, die in
die Pubertätszeit fallen." 20
„Das Kindesalter, von der Geburt bis zu Beginn der zweiten großen Phase
g erechnet, könnte man als die int ermediäre Phase der Pubertät bezeichnen.""
17) Ges. Sehr., Bd. V, S. 51.
«8) 1. C. .:..!,
«9) Lipschütz: Die Pubertätsdrüse und ihre Wirkungen Bern 1919
kuSL« w' r ioiS Z T : * I ^ fc, ? t f% Li P, schüt2 -Die Pubertätsdrüse und ihre Wir.
Rungen , Bern 1919. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. VI, 1920, S 84
3«) Lipschütz, 1. c, S. 170.
168
Carl MüllersBraunschweig
Freud wendet in der Note ein, daß „diese . . Übereinstimmung anato,
mischer Befunde mit der psychologischen Beobachtung durch die Angabe
gestört wird, daß der .erste Gipfelpunkt' der Entwicklung des Sexualorgans
in die frühe Embryonal»* fällt, während die kindliche Frühblute des Sexual,
lebens in das dritte und vierte Lebensjahr zu verlegen ist. Meine Auffassung
einer primären, von der Geburt an vorhandenen, im Verhältnis zu den extrage.
nitalen Komponenten des libidinösen Trieblebens relativ starken Fruhblute der
genitalen Komponente steht jenen biologischen Funden zweifellos naher als
die Auffassung, daß die erste Frühblüte der Genitalität sich erst im dritten,
vierten Lebensjahr einstelle. Der Umstand, daß die Aufstellungen von Li p,
schütz über die Pubertätsdrüse bisher in vielen Punkten einer wahrschein,
lieh berechtigten Kritik ausgesetzt waren, fällt für uns nicht ins Gewicht, da
die Einwände, soweit ich das übersehe, das für unseren Zusammenhang
Wesentliche nicht treffen, nämlich, daß sich „schon in der frühen Embryonal,
zeit im Organismus Veränderungen abspielen, die qualitativ jenen gleich,
zusetzen sind, die in die Pubertätszeit fallen." Die Lipschützsche An,
sieht von zwei Gipfelpunkten der sexuellen Entwicklung, von denen der
eine in die Embryonalzeit, der andere in die Mitte des zweiten Jahrzehnts
fallt, ließe sich - falls wir auch meine Auffassung als richtig unterstellen -
mit der von der psychoanalytischen Forschung aufgefundenen Fruhblute
des dritten, vierten Jahres dahin vereinigen, daß wir mit drei Gipfelpunkten
zu rechnen hätten. ' ' . . . .
10. Der experimentell-biologische Nachweis einer all,
gemeinen sexuellen Bipolarität. Nach Abschluß der voranstehen,
den Arbeit wurde ich durch einen Aufsatz Joachim Hämmerlings „Gibt
es mehr als zwei Geschlechter?" 22 auf die neuesten Ergebnisse der experi,
mentell,biologischen Untersuchungen der Max Hartmann sehen Abtei,
lung des Kaiser Wilhelm,Institutes Berlin,Dahlem aufmerksam gemacht. Die
Durchsicht der jüngsten Arbeiten von H a r t m a n n und seinen Mitarbeitern
Hämmerling, Föyn, Bauer und von Moewus (Dresden), zeigte
mir, was mir in der Veröffentlichung Hartmanns aus dem Jahre 19Z5
„Untersuchungen über relative Sexualität" 23 noch nicht in dem Maße aui,
gefallen war, daß die jetzigen in Dahlem gezeitigten Ergebnisse in hohem
Maße geeignet sind, teüs die von der psychoanalytischen Forschung gewon,
nenen Einsichten oder aufgestellten Theorien auf sexuologischem Gebiete
durch biologische Parallelen zu stützen, teils die psychoanalytische For,
schüng zu Ergänzungen und Berichtigunge n anzuregen.
32) Berliner Tageblatt v. 28. April 1935.
J Max Hartmann, Untersuchungen über relative Sexualität. I. Versuche an Ecto*
carpus siliculosos. Mol. Zentral«. 45, 1925. Siehe auch Referat von Ge ro in Int Ztschr
Tpsa Bd XVI, 1930, S. 503 über: Max Hartmann: Die Sexualität der Protisten und
Thallophyien und ihre Bedeutung für eine allg. Theorie der Sexualität. Ztschr. f. induktive
Abstammungs* und Vererbungslehre, Bd. 54, 1930.
Die erste Objektbeseteung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw.
169
Eine umfassende Darstellung dieser biologischen Ergebnisse an dieser
Stelle zu geben, wurde die Arbeit zu einseitig anschwellen lassen. Ich möchte
mich deswegen hier nur auf die Andeutung der hauptsächlichsten Gesichts,
punkte beschränken und eine eingehendere Darstellung dieser Ergebnisse und
ihrer Bedeutung für die psychoanalytische Forschung einer gesonderten Ar,
beit vorbehalten.
Max Hartmann« stellt drei Grundsätze der Sexualität fest, zu denen
zwei „unter sehr verschiedenen Gesichtspunkten und mit verschiedener Me,
thode durchgeführte Untersuchungsreihen merkwürdiger, und erfreulicher,
weise unabhängig von einander geführt haben", einmal das „Studium der
Vererbung des Geschlechts bei den Blütenpflanzen und höheren Tieren durch
A X e?i Go ] d " Hmidt . Morgan und ihre Nachfolger" und dann
„das btudium der Sexualitätserscheinungen bei Protisten und niedersten
Pf lanzen (Algen, Pilze) durch die Untersuchungen von B 1 a k e s 1 e e, H a r Ü
mann, Kniep u. a." '
Die drei Prinzipien sind:
„1. Die allgemeine bipolare Zweigeschlechtlichkeit in zwei und nur zwei
Geschlechten mit Ausbildung weiblicher und männlicher Geschlechtszellen
(Gameten), die bei Fehlen jeglicher äußerer Verschiedenheiten als +, und
— Gameten bezeichnet werden. 26
2 Die doppelgeschlechtliche Potenz der männlichen und weiblichen Ge,
schlecntsmdividuen und Geschlechtszellen.
3. Die relative Stärke der Geschlechtsbestimmung» 28
Das zweite Prinzip - die doppelgeschlechtliche Potenz - stellt allein die
biologische Parallele und das biologische Prototyp dessen dar, was im psy,
choanalyttschen Schrifttum - wie auch anderwärts - als Bisexualität be,
zeichnet wird. Die doppelgeschlechtliche Potenz gilt nicht nur für die mehr
oder weniger differenzierten Geschlechtsindividuen, sondern auch für die
Geschlechtszellen. Es steht fest, „daß nicht nur die differenzierten Ge,
schlechtsindividuen, sondern auch die männlichen und weiblichen Ge,
schkchtszellen mit einfacher Chromosomen,Garnitur die gesamten Potenzen
der beiden Geschlechter besitzen." 27
schilt« T u m A ^t 11 akS ? nd $ u » te ^ieden %& wenn sie keLäuß^n Ä
nornmen ^ Er « ebnisse der Dahlemer Forschung bereits aufge,
36 } ™ aX Hartmann, Allg. Theorie der Sexualität, S. 53 f
27J Max Hart mann, Allgemeine Biologie, S. 495.
^ Carl Müller»Braunschweig
Vom Prinzip der doppelgeschlechtlichen oder «"^f^ *£
unterscheiden das erste Prinzip, die allgemeine sexuelle Bipolar i tat.
S2S aber jede Angehörige der einen Sorte mit jeder Ange*
SQSm ÄÄ ** und ^M^
unte? sich, aber mit jeder Gametensorte des anderen &gg*<i Es » k °^
lieren nur Gameten, die zwei verschiedenen Sorten angehen
Es muß eine „zumindest physiologische bipolare se xu eile
Versah edenheit der Gameten, resp. der Gametenkerne vorhanden sein,
y -!v* XZ wesentlichen Zug der Befruchtungsvorgänge ausmacht .
SÄTWÖÄBK sexuellen Differenzierung besteht, darüber 1
eibt es noch keine befriedigende Antwort. 30
wXder Größenunterschied zwischen den weiblichen ^»ffi^fe»
Zehen noch das überwiegen der lokomotorischen Funktion bei den letzteren
können das Wesentliche treffen, denn beide sind nicht überall festzustellen.
"ÄffÄicn nur die Fähigkeit, ^^^^M^ I
ieren oder nicht als das einzig i eststellbare Anzei chen
liVer sexuellen Differenzierung oder Gleichheit ubng. „Alle
rrpLogis"hen ld physiologischen Unterschiede, auch dort wo man mit
X sSeTvon männlichen und weiblichen Gameten sprechen kann und
£ to£ uns somit bis jetzt keine *^"55S5E^
Wesen der sexuellen Differenzierung besteht . „Alles .Fhanotypiscne
2Sm5 -d physiologischer Art, das feststellbar -£>*£*r
zeichen einer unbekannten inneren Wesensverschiedenheit, eben des sexu.
^Wo^Slttr Unterschied besteht, ist bis jetzt nicht ] feststellbar, daß
er aber besteht, und daß dieser Unterschied und die bipolare Abhängigkeit
zweier und [nur Zweier Faktoren voneinander zu den Grunderschemungen der
S ^^^'^^U Kemstrukturen, die der ^dg^
zugrunde liegen würden, noch nichts aussagen, so hat es sich immerhin fest.
sXn lassen daß die männlichen und weiblichen Gameten zwei g«
s ^hTechtss p rzifische Stoffe absondern; nach langen vergeh hchen
Bemühungen durch Filtration die Stoffe zu isolieren, „gelang mit Hilfe der
3 8) Max Hart mann, All* Theorie der Sexualität S. 55.
29) Max Hartmann, Allgemeine Biologie, S. 488t.
30) Max Hartmann, 1. c., S. 489f.
31) Max Hart mann, Allgemeine Biologie, S. 489 t.
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihr er Bedeutung für Penisneid usw. 171
neuen Membranfilter Moewus 32 die Trennung und die Feststellung der
Wirkungsweise dieser Stoffe. Diese +* und — ^Stoffe bewirken die gegen*
seitige Anziehung und Gruppenbildung der -f* und — *Ga*
meten, die der eigentlichen Kopulation vorangehen."
Die Anziehung ist gegenseitig. Es läßt sich nicht nur bei der Wirkungs*
weise der geschlechtsspezifischen Stoffe, sondern auch im Gesamtverhalten
der Gameten feststellen, daß nicht etwa der eine Partner passiv und nur der
andere aktiv ist; vielmehr sind beide aktiv. „Die Anlockung der Gameten,
die den Auftakt einer jeden Befruchtung bilden, ist chemotaktischer Art.'
Schon die Befunde bei Ectocarpus wiesen darauf hin, daß hierbei eine gegen*
seitige und zwar stoffliche Beeinflussung stattfindet; denn die weiblichen
Gameten werden durch die männlichen zum Festsitzen gebracht, locken aber
ihrerseits offenbar die männlichen Gameten an. Bei den Ei*Befruchtungen
der höheren Tiere, z. B. der Seeigel, ist die Ausscheidung geschlechtsspezi*
fischer verschiedener Stoffe schon durch Lillie und andere nachgewiesen
worden. Auch hier ist das Ei nicht in dem Sinne passiv, wie man früher ge*
glaubt hat, bei jeder Befruchtung wird vielmehr ein .Duett' gespielt!" 33
Halten wir uns die erste Hart mann sehe Grunderscheinung der Sexua*
lität, die Bipolarität vor Augen, und betrachten wir sie unter der Voraus*
setzung einer Entwicklung der Lebewesen von den Einzellern bis zu den
differenzierten Tieren und zum Menschen, so können wir wohl nicht umhin,
zwischen der geschlechtlichen „Anziehung", der die beiden menschlichen
Geschlechtspartner gegenseitig unterliegen, über die ungeheuren Strecken der
Entwicklung hinweg eine Verbindung zu der gegenseitigen „chemotaktischen
Anlockung" der Protisten herzustellen, und damit eine entwicklungsge*
schichtliche Kontinuität, eine sich durch die unendliche Stufenfolge der
Lebenserscheinungen erhaltende gleiche Tendenz anzunehmen.
Es ist so, als ob wir in der bipolaren Abhängigkeit der Geschlechter von
einander, wie wir sie bei den Protisten und den Keimzellen niederer Pflanzen
vor uns sehen, jene Urerscheinung besäßen, nach der Freud in „Jenseits
des Lustprinzips" suchte, jene erste sexuelle Grundbeziehung zweier ein*
facher Partner zueinander, die dem Konservativismus der lebendigen Natur,
dem Wiederhölungsgesetz unterworfen, sich in den höchst entwickelten Lebe*
wesen wiederfinden läßt. Es ist so, als ob der von Freud in der gleichen
Schrift herangezogene platonische Mythos neues Leben und konkrete Gestalt
gewönne.
32) Fritz Moewus, Beiträge zur Sexualitätstheorie mit Berücksichtigung neuerer Er*
gebnisse. Sitzungsberichte der Preuß. Akademie der Wissenschaften 1934.
33) Joachim Hämmerling: Die Grundlagen einer allgemeinen Theorie der Sexua*
lität. „Die Medizinische Welt", IX. Jg., 1935, S. 943. Dieser Aufsatz bringt eine klare und
knappe Darstellung der Hauptergebnisse der Dahlemer Forschung zur Frage einer allge«
meinen Theorie der Sexualität.
172
Carl Müller*Braunschweig
Zudeich mögen die dargestellten Ergebnisse der biologischen Forschung
da^u t regen, Snige Aufstellungen der psychoanalytischen Senologie
1 berichtigen In den „Drei Abhandlungen"- erklärt Freu d: „Der Psycho.
aLw erscheint . . . die Unabhängigkeit der Objektwahl vom Geschlech
des Obiektes die gleich freie Verfügung über männliche und weibliche Ob,
Ste wfSun Kindesalter, in primitiven Zuständen und ^historischen
gültige Sexualverhalten fällt erst nach der Pubertät ... j
' Mir scheint, diese Sätze behalten ihre Gültigkeit nur bei Beschränkung auf
eine reSp ychologische Untersuchungsmethode und be Beschrankung auf
eine Betrauung der Veränderungen und Entwicklungen mnerhalb von Zeit,
räumen, die - nicht allein im Verhältnis zur Gesamtentwicklung der orga.
2SL Welt, sondern bereits im Verhältnis zur Entwicklung der Menschen,
a - sehr gering sind. Spannen wir aber den Bogen so weit, daß wir, wenn
nicht bis zum Anfang des Lebens, so doch bis zum ersten Auftreten der Ge.
Schlechtigkeit zurückgreifen, und stellen wir die Dah emer Ergebnisse xn
Rechnung, so gewinnen wir einen anderen Aspekt. Wir werden dann das
Ursprüngliche" nicht in der „gleich freien Verfügung über männliche und
weibliche Objekte" sehen, sondern in der gesetzmäßigen Abstimmung zweier
differenter Zellen aufeinander, und werden die Abweichungen von der durch
diese Urerscheinung festgelegten Entwicklungslinie auf das Konto äußerer
Einwirkungen und innerer Vorgänge setzen, die im Zusammenspiel mit der
bereits in den Keimzellen gegebenen bisexuellen Anlage alle die Ab.
weichungen haben entstehen lassen, die in der gesamten pflanzlichen und
tierischen Entwicklung sowie beim Menschen „im Kmdesalter, m primitiven
Zuständen und frühhistorischen Zeiten" nachweisbar sind.
Die Entwicklung der „relativen Sexualität" der Keimzellen hat gezeigt,
daß auch diese nicht etwa dem Gesetz der Bipolarität widerspricht, sondern
dieses Gesetz vielmehr zur Voraussetzung hat und nur durch das Prinzip
des Aufeinanderwirkens zweier differenter, zugleich aber kraftemaßig ver.
schiedener Geschlechtspotenzen und zweier verschieden stark wirkender Ge.
schlechtsrealisatoren verständlich wird- Das Gesetz der Bipolarität ist daher
das für das Phänomen der Geschlechtlichkeit entscheidende und hat gegen,
über dem Gesetz der Bisexualität und der relativen Sexualität den Vorrang.
34) Ges. Sehr., Bd. V, S. 18, Note.
35) Joachim Hämmerling, 1. C.
Die erste Objektbesetzung des Mä dchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 173
Ich möchte nun in diesem von H a r t m a n n und seinen Mitarbeitern nach*
gewiesenen allgemeinen Grundsatz der Sexualität — in der Bipolarität —
in Verbindung mit den oben erwähnten Funden von Bayer, Halban und
Lip schütz, eine biologische Stütze für meine Behauptung sehen, daß die
bipolare Spannung bereits intrauterin und im ersten Lebensjahr in der geni*
talen Komponente des Triebkonzertes wirksam ist. Wenn wir annehmen
dürfen, daß die Bipolarität die ganze entwicklungsgeschichtliche Reihe der
Lebewesen durchzieht, so muß sie nach dem biogenetischen Grundgesetz
in keiner Station der Entwicklung, von der Begegnung von Spermie und
Eizelle an bis zum voll geschlechtsreifen Individuum hin vermißt werden.
Ich mochte in diesem Zusammenhang auch vorläufig die Vermutung aus*
sprechen, daß uns Überlegungen, die das Verhältnis des weiblichen Säuglings
zu der übermächtigen Mutter unter dem Gesichtspunkt und nach Analogie
der Vorgänge der relativen Sexualität betrachten würden, sowohl für die
Psychoanalyse wie für die Biologie fruchtbare heuristische Gesichtspunkte
erbringen könnten.
Aus der Vorstellung einer die ganze lebendige Entwicklung durchziehen*
den Bipolarität dürfen wir folgern, daß Libido von vornherein eine zwei*
seitige Angelegenheit ist, so auch, daß es narzißtische Libido, also nur in
eU1 l m ~ einfachen od « r zusammengesetzten — System vorhandene und
nur für dieses allein wirksame Libido isoliert nicht geben kann, sonde*
immer zugleich und von vornherein Objektlibido vorhanden sein muß, wenn
auch zeitweilig nur potentia. Diese Folgerung zwingt nicht dazu, zwei Arten
von Libido anzunehmen; es ist die gleiche Libido, die einmal nur potentia,
ein andermal realiter auf Objekte gerichtet ist. Auch zwingt wohl die bio*
logische Feststellung zweier differenter Geschlechtszellen oder zweier diffe*
renter Realisatoren oder zweier geschlechtsspezifischer Stoffe nicht zur Revi*
sion des psychoanalytischen Begriffs der Libido. Für die psychologische
Arbeit ist eine Trennung in weibliche und männliche Libido unnötig, weil
nichtssagend. Diese Differenzierung ist methodisch der somato*biologischen
Forschung, die es mit differenten morphologischen Strukturen oder chemico*
physiologischen Vorgängen zu tun hat, gemäßer als der rein psychologischen
Forschung, die, wie die biologischen Funde zeigen, den Gegensatz männlich*
weiblich mit ihren Mitteln nicht erfassen kann, sondern voraussetzen muß.
Ich bin mir bewußt, daß ich im Vorstehenden die Bedeutung der Dahlemer
Ergebnisse für unsere Forschung nur flüchtig angedeutet habe. Der Gegen*
stand bedarf einer den Rahmen dieser Arbeit durchaus überschreitenden
eingehenden Bearbeitung. 36
.
a rÄ^ Auf ^ Klts J n S^hiUn Literatur siehe zur Orientierung noch: die Sexualitäts-
S£ ?J?£ h U £ S Ha L r ! t mann , lm » Arch iv für Protistenkunde", Bd. 83, Heft 1. Fischer,
Jena, 1934. Das Heft enthalt Abhandlungen von Hart m a nn und seinen Mitarbeitern
*oyn, Gross, Hammerling, JoUos, Moewus.
^ ' Carl Müller»Braunschweig
11. Die Vorstellung des kleinen Mädchens vom eigenen
und vom mütterlichen Penis. Freud machte nach Durchsah de
Manuskriptes dieser Arbeit gegen die frühe auch vagmale Gen tahtat des
Mädchens den Einwand: „Am Ende klagt doch auch bei ^^Itodten
darüber, daß sie keinen Penis für die Mutter hat, nicht daß die , Mutter
ke nen für sie hat. Bekanntlich glaubt sie lange Zeit an den Penis der Mutter
Ich verstehe den Einwand so, daß eine frühzeitige ^f\™ d ™l£?
vaginale Komponente dieser Genitalität, eher fordern wurde daß das Mad*
chen über die Penislosigkeit der Mutter klagte anstatt über die eigene oder
daß die Vagina des Mädchens eher den Penis der Mutter verlangen und ihn,
wenn nicht vorhanden, vermissen würde als den eigenen.
Ich stelle mir diese Verhältnisse so vor: Das Urerkbnis des kleinen JVb*
chens ist das der geschlechtlichen Inadäquatheit im Sinne des Fehlens einer
geschlechtlichen Polarität, wie sie zwischen gegengeschlechtlichen Partnern
- hier im Verhältnis „Mutter-Junge" - vorhanden wäre Theoretichge
nommen könnte das Verhältnis des Inadäquaten durch zwei VöW^
wehrt und ausgeglichen werden: 1. Das Mädchen verstärkt seine männliche
Komponente und produziert die Phantasie des Pemsbesitzes; 2. das Madchen
verstärkt seine weibliche Komponente und dichtet der Mutter einen Penis an.
Von diesen zwei theoretischen Möglichkeiten bekommt aber nur die erste
eine überragende Bedeutung, und zwar deswegen, weü die Butter vermöge
ihres Alters und ihrer vollen geschlechtlichen Reife ein entscheidendes Über,
gewicht haben und für die Art der Gestaltung und Wirksamkeit ^genitalen
Komponente in der Beziehung zwischen Mutter und Kind tonagW«
wird. Bei dem ungleichen Kräfteverhältnis zwischen Mutter und Kind wird
sich also weitaus vorwiegend das Kind der Mutter nicht aber ^gekehrt
die Mutter dem Kind anzupassen haben. Da die Mutter weiblich ist, wird
sie beim Kinde die männliche Komponente provozieren und das Kind als
das ungleich Schwächere, wird darauf gezwungenermaßen mit dem Ver.
suche reagieren, sich dieser Provokation anzupassen. Das geschieht durch
die Verstärkung der auf Grund der bisexuellen Anlage bereits vorhandenen
männlichen Tendenzen, insbesondere der Verstärkung der mannlichen Korn,
ponente der Genitalität und einer entsprechenden Besetzungsentziehung
gegenüber den weiblichen Tendenzen und dem diesen Tendenzen enfc.
sprechenden Teil des Genitalapparates. Es geschieht im Verhältnis der Mutter
gegenüber dem männlichen Säugling, wenn unsere Vorstellungen zutreffend
sind, gewiß ein Stück weit das gleiche, nur daß beim Sohn dieser Vorgang
seinem Geschlechte adäquat ist, ihm bereits im frühesten Alter seine spatere
geschlechtsgerechte Entwicklung entscheidend vorbereiten hilft, wahrend das
Mädchen zunächst eine starke Beeinflussung in entgegengesetzter Richtung
erfährt. Da aber diese starke Beeinflussung, die gegengeschlechtliche Kompo.
nente hervorzukehren, doch nicht imstande ist, aus einem Madchen einen
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid usw. 175
Knaben zu machen, wird die Situation vom Mädchen trotz aller Anpassung
an die Mutter dennoch als inadäquat erlebt. Dieses Erlebnis wird lange abge*
wehrt durch den Versuch, die erzwungene Hervorkehrung der männlichen
Tendenzen durch' nachträgliehe Bejahung — ähnlich der Anerkennung von
Symptomen durch' das Ich, wie wir sie beim Neurotiker kennen — festzu*
halten und durch den Phantasiepenis zu befestigen.
Ich glaube nicht, daß die so vorgestellten und geschilderten Verhältnisse
ins Wanken gebracht werden können durch den Einwand, daß sie wohl für
das Verhältnis normaler weiblicher Frauen zu ihren Töchtern, aber nicht
für stark männliche Frauen oder Frauen mit starkem Kastrationskomplex
zutreffen werden. Gewiß mag das Verhältnis solcher Frauen zu ihren Kin*
dem von früh an die dargestellte idealtypische Ursituation komplizieren und
stören, doch wohl nicht so, daß die entscheidenden Linien ganz verwischt
würden. Eine Mutter, bei der immer eine starke Männlichkeit vorliegt, wird,
im Verhältnis zu dem ungleich schwächeren Partner, nicht durch ihre Mann*
lichkeit, sondern in erster Linie durch die relativ zum Säugling gleichwohl
starke Weiblichkeit wirken. Anders liegen die Verhältnisse bei Erwachsenen.
Hier provoziert — wie wir beliebig oft feststellen können — die stark mann*
liehe Frau die Weiblichkeit einer anderen. Immerhin dürfen wir nicht ver*
gessen, daß es hier noch viel Dunkles gibt, das noch der Aufhellung harrt.
Ich sprach von zwei theoretischen Möglichkeiten, das Erlebnis des Inadä*
quaten abzuwehren: 1. Das Mädchen verstärkt seine männlichen Tendenzen
und produziert die Phantasie vom Besitz eines Penis; 2. es verstärkt seine
Weiblichkeit und produziert die Phantasie des mütterlichen Penis.
Warum die erste Möglichkeit entscheidende Bedeutung gewinnt, habe ich
ausgeführt. Nun kann man fragen, warum denn neben jener ersten für die
Beobachtung auch die zweite vorzufinden ist. Zumindest zeigt sich ja deute
lieh' die Vorstellung des mütterlichen Penis. An sich ist uns für die Vor*
gänge im Es das Nebeneinanderbestehen zweier einander widersprechender
Abwehrmaßregeln geläufig. Wir können uns auch denken, von wo diese
zweite Abwehrmaßregel ausgeht: von jenem — wenn auch zurückgewiesenen
und zur Bescheidung gezwungenen — Stücke Weiblichkeit, bezw. vaginaler
Genitälität.
Wenn das Mädchen nicht darüber klagt, daß die Mutter keinen Penis für
es hat, dann einmal deswegen, weil diese Möglichkeit der Abwehr von vorn*
herein gegenüber jener anderen verblaßt, als auch wohl deswegen, weil die
Phantasie des mütterlichen Penis leichter zustande gebracht und aufrecht
erhalten werden kann als die des eigenen Penis, dessen Vorhandensein durch
die immerfort leicht mögliche Beobachtung des eigenen Körpers in Frage
gestellt werden kann, und vor allem: dessen Nichtvorhandensein eine un*
gleich kränkendere Angelegenheit ist, weil es doch den sichtbaren Beweis
für das Schlechtweggekommensein im Verhältnis zur Mutter darstellt. Des*
176
Carl Müller-Braunschweig: DieetsteObjektbese^^
„ «H*«p« «W Phantasie des eigenen Penis ständig ungleich mehr Enew
;TJTL d ^^Z d L,!^n Penis Die Phantasie des eigenen
Penis hat ökonomisch eine sehr viel größere Rolle zu *«*»• ^
Mit dem Gesagten wäre die Vorstellung vom Perus der Mutter zurück.
geSte auf einen Versuch, das Urerlebnis des JM^^^g^
nur daß dieser Versuch gegenüber dem *^g^t
In aus dem Umstände, daß für es die Vagina vorerst Jgjg*^^
zunächst nur Klitoriserregungen, also Erregungen «^^J^wi
sprechenden Teile des weiblichen Genitalapparates erlebt und es so tur beide
Geschlechter nur penisbesitzende Wesen zu geben scheint.
Nun liegen die Verhältnisse auch nach meinen V«J»£ JJ ^
die bereits von der Geburt an wirksame Übermacht der Mutter das we d
Hche Kind vom Anfang seines Lebens an die Unterdrückung semer weib*
äen und r Verstärkung seiner männlichen Komponenten erfahrt und
war so, daß es manifest nur seine männlichen ^ ^S
liehen" Teile seines Geschlechtsapparates erleben wircL fe**«**^
Männlichkeit des Mädchens gegeben, die, weil so früh und so «"P"?£» c ^
St als primäre imponieren kann Trotzdem ist es nur £*£*$£
Bild, das sich so darbietet; erst in der Ergänzung durch die Renten ^ v
Snge scheint mir die umfassende Struktur sichtbar zu werden und sich das.
a A ar ,,,r Unterdrückung der weiblichen und zur rlervorneouiig
prozeß, der zur UntercuucKung hinterließ und ständig neu
männlichen Komponenten führte, ein ^ duum ™ andere durch den
nährte, das beim Durchbruch zum B-ußtsem und ms ^ ^ e
Anblick des Penis, als schwere narzißtische Krankung erlern w
Eifersucht als Abwehrmechanismus 1
Von
Joan Riviere
London
Ein Eifersuchtstypus, der in der psychoanalytischen Literatur bisher nicht
beschrieben wurde, wurde zuerst in einem sehr ausgeprägten Fall meiner Be*
obachrung zugänglich; einmal durch die Analyse aufgeklärt, konnte der nun
vertraute Mechanismus in einem weniger ausgeprägten und deshalb auch
weniger bemerkbaren Grad auch in anderen Fällen festgestellt werden, was
einige Schlüsse von allgemeiner Gültigkeit nahelegte.
Diese krankhafte Eifersucht zeigte sich zuerst nach einem Stück Analyse
und könnte ein passageres Symptom genannt werden. Die Patientin war eine
junge, verheiratete Frau, die wegen Frigidität beim Sexualverkehr und wegen
gewisser Hemmungen zur Analyse kam, aber dies kaum aus eigenem Antrieb,
obwohl eine Neigung zur Homosexualität sie beunruhigte. Sonst waren keine
klinischen Symptome vorhanden. Die Eifersucht bezog sich, als sie auf*
tauchte, auf den Mann der Patientin und seine vermeintlichen Beziehungen
zu anderen Frauen. Aus Gründen der Diskretion kann ich mein Material
nicht allzusehr in seine Einzelheiten verfolgen; außerdem würde eine Diskus*
sion über die Beziehung zwischen der affektiven Haltung der Patientin und der
äußeren Realität eine Studie für sich erfordern und hier zu weit führen. Ich
will nur sagen, daß sie zu gewissen Zeiten und in mancher Hinsicht Gründe
zu eifersüchtigem Argwohn hatte. Die Eifersucht manifestierte sich auch in
der Übertragungsbeziehung zu mir; d. h. sie glaubte, daß in meinem Schreib*
tisch an mich gerichtete Briefe, sei es von ihrem, sei es von irgendeinem an*
deren Mann, den sie begehrte, verborgen wären.
Die Patientin behauptete, daß sie, ehe diese Gefühle im Laufe der Analyse
erwachten, nie in ihrem Leben eifersüchtig gewesen wäre. Tatsächlich hatte
sie vor ihrer Verheiratung wenig Anlaß zur Eifersucht gehabt; in bezug auf
ihren Mann aber hatte sie später nicht mehr Grund dazu als vor der Analyse,
Ihr Mann war durchaus die wichtigste Person in ihrem Leben; deshalb
glaubte ich, als die eifersüchtigen Gefühle erwachten, vermuten zu können,
daß sie zugleich mit einem Nachlassen anderer Hemmungen auch in dieser
Beziehung eine normale Haltung entwickeln würde. Diese Schlußfolgerung
wurde eine Zeitlang unterstützt durch' ihre beträchtliche Fähigkeit zur Ratio*
nalisierung, die mich irreführte. Nach kurzer Zeit wurden aber diese eifer*
süchtigen Stimmungen so akut und gipfelten in Szenen von so wütenden An*
schüldigungen gegen ihren Mann, daß ich an ihrem pathologischen Charakter
nicht zweifeln konnte.
i) Aus dem Englischen übersetzt von Dr. Paula H e i m a n n, London.
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXII/2 12
^ . Joan Riviere
F r e u d hat zwei Formen der krankhaften Eifersucht beschrieben: die proji,
zierte und die wahnhafte. Beide dienen dem Zweck der Abwehr gegen das
Uber,Ich, indem sie die Schuld der eigenen Untreue des Patienten auf den
Partner projizieren*. Auch E. Jones» beschreibt in einer Arbeit über Eifer,
sucht die Projektion der eigenen Untreue des Individuums auf den Partner,
dl der Eifersucht zugrundeliegt. Er bespricht die Eifersucht in ihrer Beck*,
tung als Zeichen von Liebe, als Ausgleich von Haß und als Beruhigung
gegenüber dem Schuldgefühl: die anderen sind schuldig, nicht der E fer„
s^htige. Jones, der sich durchaus nur mit den Erscheinungen der Eifer,
sucht bei Männern befaßt, kommt zu dem Resultat, daß Eifersucht das Er,
gebnis der dem Schuldgefühl entspringenden Abhängigkeit ist. Das Schuld,
gefühl führt zur Angst vor dem Vater und zur Inversion; die Inversion fuhrt
zur Angst vor der Frau, woraus Flucht und Untreue entstehen: die letztere
wird dann projiziert. ] ,
Ich hatte also zu erwägen, ob Untreue seitens meiner Patientin ihre Eifer,
sucht erklären könnte; hier stieß ich aber auf eine neue Schwierigkeit Tat,
sächlich gab es Gründe für eine solche allgemeine Erklärung, denn Liebe,
leien, die zwar niemals zu Liebesaffären oder zu einem vollen Koitus
führten, ihr aber ausgesprochen erotisches Vergnügen bereiteten, spielten
tatsächlich eine Rolle in ihrem Leben und verursachten beträchtliche Schuld,
gefühle. Aber unter dem Mikroskop der täglichen Analyse gesehen, war die
allgemeine Erklärung ihrer Eifersucht als einer Projektion der eigenen Untreue
zweifellos nicht ausreichend. Einerseits gab es oft keine zeitliche assoziative
Verbindung zwischen den beiden Erscheinungen. Auch war ich anderseits
immer wieder betroffen von der Offenheit und Freiheit, mit der sie sich in
der Analyse wegen ihrer Untreue selbst verurteilte, und auch von dem Zu,
sammenhang, den ich in der Analyse zwischen ihren Ausbrüchen von Ge,
ständnissen und Selbstanklagen wegen ihrer Untreue ™d den analytischen
Inhalten zu sehen begann. Zunächst war es allerdings nur ein Mangel an Zu,
sammenhang, den ich entdecken konnte. Sie konnte die Stunde damit ver,
bringen, sich sozusagen als elende Sünderin an die Brust zu schlagen und
dies gerade, wenn wir am Tage vorher etwas gefunden hatten das neues Licht
auf ihr Unbewußtes warf, u. zw. ganz ohne Verbindung mit ihren Liebeleien.
Indem so jeder Fortschritt in der Analyse durch eine Stunde unfrucht,
barer Selbstbeschuldigungen auf einem anderen Gebiet aufgehalten wurde,
konnte man bald erkennen, daß die Schuldgefühle wegen der eigenen Un,
treue zur Verdeckung und Verschiebung benützt wurden - als em Manöver,
um die Analyse zu hindern -, und da ß sie in Wirklichkeit eine Abwehr dar,
2) Über einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht, Paranoia und Homosexualität.
-3) Veröffentlicht' in Revue Francaise de Psychanalyse, Bd. 3, S. 228-242; Psyche,
Bd. 11, S. 41—55.
stellten. Es ergab sich' dann natürlich die unmittelbare Notwendigkeit die
spezifische assoziative Verbindung zwischen der vorherigen analytischen Ar*
beit und der Abwehr dagegen aufzudecken; mit anderen Worten: die Un*
treue selbst war der Analyse zugänglich und erforderte sie. Doch drängte
sich eine weitere Schlußfolgerung auf: Wenn nämlich ihre Liebeleien oder
ihre Schuldgefühle deswegen als Abwehr gebraucht werden konnten, war
es kaum anzunehmen, daß sie der Ursprung einer Projektion auf den Ehe*
mann waren.
Trotzdem aber kam die Form, die die Eifersucht annahm, aus*
gesprochenen Verfolgungsideen so nahe, daß ich überzeugt war,
irgendein Projektionsmechanismus müsse am Werk sein. Wenn sie
in der _ Eifersucht nicht ihre eigene Untreue auf den Mann projizierte, dann
projizierte sie sicherlich etwas anderes. Und doch konnte ich gewisse auf*
fällige Analogien zwischen dem Charakter ihrer Stimmungen und Hand*
hingen sowohl in der Untreue wie in der Eifersucht nicht übersehen - in
beiden lag etwas stark Zwangsmäßiges, Unbeherrschtes und Unwidersteh*
liches, ihrem sonstigen Charakter Fremdes, was eine tiefe und innige Ver*
bmdung zwischen den beiden Haltungen nahelegte.
Einige Monate weiterer Analyse erhellten das Problem. Die verfolgungs*
wahnartige Eifersucht ließ allmählich nach, die erotischen Liebeleien wurden
aufgegeben und flackerten später nur schwach und sporadisch wieder auf.
Diese Abwehrsymptome hatten ihre Kraft verloren. Die Analyse drang
in noch tiefere Schichten, und die hauptsächlichen Abwehrmechanismen
traten deutlicher hervor.
Durch' emsige Erforschung des Zusammenhanges, aus dem die eifersÜch*
tigen Stimmungen erwuchsen, enthüllte sich eine ständige Beziehung zwischen
ihnen und einer spezifischen unbewußten Phantasiesituation, die in immer
wechselnden Formen in ihrem Leben Gestalt annahm. Die eifersüchtigen
Stimmungen bildeten tatsächlich eine verdichtete und rationalisierte Projek*
tion dieser unbewußten Situation, während die Liebeleien und Untreuehand*
SST fZT^^t EtfÜllung darstelIten " So war es in einem Sinne
richtig, daß die Eifersucht eine Projektion der eigenen Untreue der Patientin
war und doch nicht ganz richtig, weü das, was projiziert wurde, in Wirk*
form? Zm £ S T* W n V ° n *" Untreue selbst nur eine Ausdrucks*
form darstellte. Diese unbewußte Situation, die ich die „dominierende Phan*
Z v TT m ° ' beStand in Cinem Impuls oder einer Handlung seitens
der Patientin, von einer anderen Person etwas zu erlangen oder ihr etwas
und Tl \ was T s \ heftl | begehrte, und sie auf diese Art auszuplündern
und z U berauben. In ihrer Phantasie setzte eine solche Regung oder Hand*
WeLT« 'S" w ltU S 10n ^f ~ Wenn auch nicht «»bedingt in der
Weise, daß außer ihr selbst zwei andere Personen dazu erforderlich waren,
um die Bedingungen zu erfüllen, so doch wenigstens insoferne, als dabei zwei
12»
Objekte wesentlich waren (von denen beide oder nur eines Personen sein
konnten). Eines dieser Objekte war der Gegenstand ihres Begehrens von
dem sie zum Zweck ihrer Befriedigung Besitz ergreifen wollte; das andere
nicht weniger wesentliche Objekt - tatsächlich ein wichtiger Teil des
ersten - war die Person, der das begehrte Objekt weggenommen werden
sollte, die den Raub und die Plünderung zu erdulden hatte. Das Streben nach
Erfüllung dieser unbewußten Phantasie kann man sicherlich als die hen*
sehende Leidenschaft ihres Lebens bezeichnen; in der Analyse schien es ; eme
Zeitlang, daß sie auf ihre Umgebung nur insoferne reagierte, als sie ihr ße.
Medigung oder Enttäuschung für die „dominierende Phantasie bereitete.
Soweit es mir möglich ist, will ich die typischen Formen und Wege an.
geben, in denen diese Phantasie sich während der Analyse zum Ausdruck
brachte. Natürlich war sie das ganze Leben der Patientin hindurch wn-ksam
gewesen. Bewußt wünschte sie also, die Liebe ihres Mannes, ihrer Kmder
und ihrer Umgebung zu gewinnen. „Liebe" war jedoch so schien es nurem
Wort; was es für sie in Wirklichkeit bedeutete, war, daß aUe sich ihr voll,
kommen zu ergeben und auszuliefern hätten. Ihre Lust am Gewinn bedeu,
tete im Grunde für die anderen den vollständigen Verlust aller Rechte und
jeder Lustmöglichkeit. Wenn die anderen sie liebten «^« «l™
für ihre Lust aufgeben. Sie würde so das gewünschte Objekt (Liebe) von
ihnen erhalten, und die anderen würden nun beraubt und entblößt sein. Ich
zitiere dies, um die abstrakten Formen zu zeigen, in denen die ' Phan * asl « s ^ ch
bewußt äußerte; eine andere - wenn auch weniger ichge rechte -- Form d er
Phantasie stellte der Snobismus der Patientin dar. Sie sehnte ^ £^*d*
nach, zu höheren sozialen Kreisen Zutritt zu finden und G"nstb e zeig u ngen
von bedeutenderen Persönlichkeiten zu erhalten; das sollte sich aus dem
Reichtum und den Fähigkeiten ihres Mannes ergeben und aus ihrer eigenen
Macht, bedeutende Männer zu bezaubern, wobei die Gunstbezeigungen
selbst/die sie gewann, jene sein würden, die die höhergestellten Frauen vor
Ihr genossen hatten. Sie würde also die Männer besitzen und dadurch .die
Frauen berauben. Während der Analyse brachte sie ferner ziemlich häufig
in Einzelheiten ausgedachte Phantasien über den Tod meines Mannes (Ge*
rade in der Zeit, da sie auf Basis eines ihr zur Kenntnis gelangten wirklichen
Vorganges eine solche Phantasie ausarbeitete erwachte ihr elf er suchtiger
Verdacht, daß ihr Mann Briefe an mich richte.) Auch -hier wünschte sie rmch
meines Mannes zu berauben. Ich sollte eine Witwe sein sie aber wurde _ihren
Mann besitzen. Der Tod eines anderen hatte für sie hauptsächlich die Be*
deutung ihr Nutzen oder Vorteil zu bringen. In ihren Liebeleien wurde die
SruatL; noch konkreter; die Männer waren alle verheiratet oder verloH
delach raubte sie den Frauen die Männer oder die Lust, M~»£
gaben. Männer - und speziell diese Männer - waren für ihr Unbejmß^es
keine vollwertigen Objekte, keine wirklichen Personen; sie waren die Mittel
und Werkzeuge (ihre Werkzeuge), um zwei Befriedigungen zu erlangen: sinn,
liehe Lust und die Beraubung derjenigen, die diese Lust vorher besaßen Über,
dies raubte sie, wie aus vielen Einzelheiten ihrer Beziehungen zu den Man.
nem hervorging, auch diesen etwas - wenn nicht durch Wegnehmen, so
durch ihre Weigerung zu geben. Hier waren die Männer (nicht die Frauen)
die rechtmäßigen Eigentümer von etwas, das sie wegnahm; sie waren dann
das beschädigte Objekt, und das Lustobjekt war das, was sie ihnen nahm
oder vorenthielt, was immer es auch sein mochte.
In der ausführlichen Analyse dieser sexuellen Situationen wurde es klar
wie konstant und unumgänglich für sie die Bedingung war, alle ihre Lust
nur auf Kosten irgendeiner anderen Person zu erwerben und
zu genießen. Dies zagte sich konkret genug in ihren sozialen Beziehungen
TL ra K te l ZUge w S ° lange Z - B - Gdd frei zu ihrer Verfügung stand,
machte es ihr kein Vergnügen, es für sich auszugeben. Als aber finanzielle
Knappheit eintrat, konnte sie nicht widerstehen, sich - zum erstenmal in
ihrem Leben - teure Kleider zu kaufen; denn es bedeutete ja nun eine Ent.
behrung für ihren Mann und für ihre Kinder. Sk liebte es, beim Kaufen zu
handeln, und schwindelte oft; der Verlust des anderen war ihr Gewinn. Sie
haßte die Arbeit und hatte als Kind in der Schule nichts gelernt; aber :sie
konnte lernen und arbeiten unter der Bedingung, daß ihr allein daraus Ge.
wmn erwuchs während andere an dem Unternehmen mit Verlust beteiligt
sein mußten In sozialer Hinsicht haßte und vermied sie es, Gast zu sein; sie
lud bereitwiUig nur sozial oder sonstwie unter ihr Stehende ein, weil sie ihnen
dann zeigen konnte, was ihnen fehlte, und was sie besaß. Es war ihr ein Ge.
nuß, eine Person von Bedeutung ganz für sich allein zu haben, während die
übrigen Anwesenden ausgeschlossen waren. Der Wunsch nach einer Vor.
Zugsstellung vor einer anderen Person war ein Grundton ihrer Psyche. In der
Übertragung war ihre vorherrschende Stimmung mir gegenüber Neid, der
durch eine verächtliche Haltung erträglich gemacht wurde. Leider kann ich
kerne vollständigere Darstellung ihres Charakters bieten oder ausführlicheres
analytisches Material bringen, das diese Deutungen der unbewußten Motive
unterstutzen würde; ich kann nur feststellen, daß spezifische Vorfälle dieser
Art mannigfach vorhanden* und, sobald die anfänglichen Abwehrmethoden
bis zu einem gewissen Grade aufgehoben waren, in ihrer Bedeutung eindeutig
Ein Stück Material kann ich indessen hier mitteilen, das im Grunde den
Kern alles übrigen enthält: es ist ihre Onaniephantasie. Sie hatte niemals
irgendeine Art von Orgasmus gehabt, hatte aber seit der Pubertät mit Hilfe
de rjolgenden Phantasie sexuelle Erregung m it lokalen Sensationen zu er.
4) Bei meinem in der British Psycho. Analytical Society über diesen Fall eehalten-n
Vortrag zitierte ich ausführlich aufschlußreiches Material! das den unmh elbaren Z^
sammenhang zwischen der „dominierenden Phantasie" und der Eifersucht z^gS
reichen vermocht: Ein junges Mädchen ist im Sprechzimmer eines Arztes,
w d vonlm entkleidet und dann untersucht ; eine andere Frau ist im Hinter.
Tund Dabei fühlte die Patientin Entsetzen, Empörung und Wut zugleichmit
fZ stark ^asoThistischen Sexualerregung. Lassen wir die exhibitionistischen
unlsSaulustigen Elemente dieser bewußten ^~ÄÄ
Sasie" übereinstimmt, wenn auch einige ihrer Züge ms Gegenteil ver,
3Ä. Das Mädchen in der Phantasie, das vom tej*%£g£
während eine andere Frau im Hintergrund sich daran weidet, stellt die r"a*
fertfa S wie sie die Aufmerksamkeit und das Interesse des Mannes
auHkh Sht und ihn durch die Enthüllung ihrer unwiderstehlichen Reize
velSavt dli die andere Frau seiner beraubt, sie ***%££££
oder zweimal war diese Onaniephantasie in ihrer ursprünglichen *»"»»»
ändert in Träumen enthalten, wobei der masochistische Rollenwechsel zw*
sehen Mädchen und Frau im Traum fortfiel. Daß der Arzt das Madchen m
Sä Weise entkleidete, war eine Umkehrung der Situation, in der er
akWe kzeug des Mädchens, die Frau beraubte, um jenem alles zu i geben; es
wardamit auch seine Unterwerf ung durch die EnthüUung der Reize dargesteUt
wobei er aber die verantwortliche Rolle spielte. Es ist unnötig, »«««.*»
diese hochkondensierte Phantasie zahllose Formen vereinigte von denen id,
hier nur eine oder zwei der wichtigsten andeuten kann. Es sei hervorgehoben
dlß der Hauptzug der bewußten Phantasie die unbewußte dominierende
Phantal" darstellt, aber in einer Form, in der das Mädchen für Schuld oder
Verantwortung reichlich entschädigt wurde.
Die Erklärung für die eifersüchtigen Stimmungen meiner Patientin lag in
delen Zusammenhang mit dieser ständig drängenden • *—J £ JJ£
wußten Situation, sei es in der Übertragung, sei es ™^^^7^?
die Intensität der unbewußten Phantasie über ein gewisses Niveau stieg, wenn
2 Fantasie aktuell verwirklicht worden ^war oder daran war, v--rkUcht
zu werden - besonders auf irgendeine körperliche Art durch Sexu*
alität Krankheit, Tod usw. -, dann setzte eine Angstentwick hing : von
solchem Ausmaß ein, daß sie nur durch Projektion der Impulse auf ander«
und durch eine masochistische Wendung des sadistischen und des Raub,
antriebes gegen sich selbst erleichtert werden konnte. So erklärte sie in den
eifSsthtfgen Stimmungen, daß ihr Mann und seine anderen Frauen^
aller Dinge entblößten, sie verhöhnten, quälten, entehrten, sie seiner Liebe,
w£SL Selbstachtung und ihres Selbstvertrauens beraubten, « fa*
warfen als ein Opfer, das vollkommen hilflos preisgege b« * • Abe r das
war genau das, was sie auf zahllose Arten, wie etwa m ihren Liebeleien, allen
Personen ihrer Umgebung unbewußt zuzufügen versuchte. ^ , .
Die tiefste unbewußte Bedeutung sowohl der „dominierenden unbe*
Eifersucht als Abwehrmechanismus
183
wußten wie der bewußten Onaniephantasie, die auf früheste infantile Erleb*
nisse und Entwicklungsstufen zurückgeht, kann auch ohne die überaus zahl*
reichen Beweise des aktuellen analytischen Materials leicht erraten werden.
Die Männer (oder der Arzt) waren aus der Kindheit stammende Ersatz*
figuren für ihren Vater; die „Frau im Hintergrund" oder die zu beraubenden
und preiszugebenden Frauen waren ihr ganzes Leben hindurch Mutterfiguren.
Der narzißtische Charakter der Phantasie war in der frühesten (Brust*)Identi*
fizierung mit der Mutter begründet, während die in ihr vorhandene Objekt*
beziehüng ausschließlich der Mutter galt. Aber die Mutter war, wie man
sagen könnte, an sich ein doppeltes Objekt, das zwei Teüe darstellte: einmal
sich selbst und dann, was sie besaß; der Vater (oder sein Penis, das Werk»
zeug) war eines der Besitztümer, deren sie beraubt werden sollte. Letzten
Endes bestand der Besitz der Mutter aus ihren Brüsten, ihrer Müch, ihrem
Körperinhalte, welcher Faezes, Kinder und den Penis des Vaters umfaßte;
all dieser Dinge sollte sie beraubt werden.
Daß diese Phantasie aus der oralerotischen und oralsadistischen Entwick*
lungsphase stammt, kann nicht bezweifelt werden, obwohl ich hier kein Mate*
rial zur Unterstützung dieser Behauptung anführen kann. Deutlicher wohl
geht aus meiner Beschreibung ihre Herkunft auch aus der nächstfolgenden
sadistischen Phase», der des Angriffs auf die mütterlichen Leibesinhalte hervor.
Wie ich' zu zeigen versuchte, spielen dabei der einfache genitale Ödipus*.
wünsch und die Eifersucht nur eine kleine Rolle, ungeachtet des Umstandes,
daß hier, wie man sagen könnte, ein Versuch gemacht wurde, die unbewußte
Phantasie dadurch zu rationalisieren, daß sie zu Untreue* und Eifersuchts*
Situationen „genitalisiert" wurde. Die Männer waren nicht wirkliche Per*
sonen und volle Objekte für das Unbewußte der Patientin; ein Mann wa*
entweder selbst ein Penis oder der Besitzer eines Penis. Auch die Frauen
waren Teilobjekte, d. h. sie wurden als in Teilobjekte zerlegbar erlebt,
Zweifellos war ein gewisses Maß wirklicher Genitalisierung erreicht worden
und das kam auch zum Ausdruck. Was ich aber bemerken möchte, ist,'
daß „Dreiecksiruationen", die man für den Ausdruck höchster Objektliebe
zu halten gewohnt ist, doch im Narzißmus verwurzelt sein können. Eifer*
sucht und Untreue können ihre Grundlage in den prägenitalen Schichten der
oralerotischen und oralsadistischen Impulse haben 6 . Ich glaube, daß bei Per*
sonen, in deren psychischer Verfassung Untreue und Eifersucht vorwiegende
5) Vgl. Melanie Klein: Frühstadien des Ödipuskonfliktes. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XIV,
6) Ich halte es für wahrscheinlich, daß die früheste affektive Dreiecksituation die Be*
Ziehung des Kindes zu den zwei Brüsten der Mutter sein könnte. Einen späteren Beweis
dafür kann man sicherlich in den Phantasien über Einteilung und Teilung der beiden Brüste
sehen U- B. bei Mannern, wobei der Sohn und der Vater je eine nehmen), die es plausibel
machen daß die früheste Ambivalenz ihre positive und negative Beziehung zu jeder ein.
zelnen der beiden Brüste findet, gewöhnlich natürlich in ständigem Wechsel
184
Joan Riviete
Reaktionsformen darstellen, der „Liebesverlust" oder die „Suche nach Liebe ,
die hier in Rede stehen, letzten Endes auf etwas Tieferes zurückgehen als auf
ehv> genitale Beziehung zu dem begehrten Elternteil. Die Qualität der Be-
Ziehungen solcher Personen ist außerdem häufig die zu einem Teilobjekt,
wodurch der Wechsel der wirklichen Objekte erleichtert und die relative
Gleichgültigkeit gegenüber deren realer Persönlichkeit erklärt wird Die
Suche" oder der „Verlust" kann in solchen Fällen bis auf den oralen Neid
und auf den Verlust der Brust oder des väterlichen Penis (als eines oralen
Objekts) zurückgeführt werden - jener Objekte also, mit denen für das Ge-
fühl des Kindes auf dieser Stufe die koitierenden Eltern sich gegenseitig be-
friedigen. Ich möchte hier die bestehende Verwirrung bezüglich der Bezeich-
nungen „Eifersucht" und „Neid" erwähnen', die aus dem Erlebnis dieser
oralen Urszenenphantasie, bei dem die beiden Gefühle ununterscheidbar sein
dürften, sehr klar abzuleiten ist. Diese und nur diese Erfahrung liefert die
rationale Basis für das akute und verzweifelte Gefühl von Entbehrung und
Verlust, von schrecklicher Bedürftigkeit, von Leere und Trostlosigkeit, das
der Eifersüchtige in der Dreiecksituation empfindet, und das der 1 reulose
ins Gegenteil verkehrt. Die orale Basis der Eifersucht kann die größere
Häufigkeit der Eifersucht bei Frauen erklären, deren psychosexuelle Ent-
Wicklung mit der oralen Libidoorganisation mehr verbunden ist als die der,
Neuere Arbeiten haben gezeigt, daß die Projektion, indem sie eine masochi-
stische Einstellung des Verfolgtwerdens hervorruft, als Abwehrmethode ge-
gen einen sadistischen Impuls dient. 73
Aber meine Beschreibung der in der ganzen psychischen Situation
der Patientin wirksamen unbewußten Kräfte ist dem Einfluß nicht
gerecht geworden, der bei der Bildung einer solchen dominierenden Phanta-
siesituation, wie sie oben beschrieben wurde, von der Angst und der Wir*
kung des frühen Über-Ichs ausgeht. Solche oralerotischen und oralsadistischen
Impulse, die das ganze psychische Leben beherrschen, sind keineswegs „pri-
mär" oder „rein lustvoll". Zweifellos war ein Hauptmotiv für diese Schlussel-
phantasie der Wunsch, sich an der Mutter für alle Entbehrungen zu rächen,
die sie in der Phantasie des Kindes ihm zugefügt hatte, und zwar:
für die Versagung, die es als Säugling erfahren hatte und des we*
teren für alle Genüsse, die die Mutter hatte, deren das Kind aber nicht teilhaf-
tig wurde. Aber das ist das übliche Schicksal; die Mutter der Patientin war
besonders liebevoll und freigebig, wenn auch nicht vollkommen weise. Es
kann kein Zweifel daran sein, daß ein höher Grad konstitutioneller oraler
7} Die Verwirrung" führt bedeutungsvoll genug immer in eine Richtung: Das Wort
„Eillucht" whd dort gebraucht, wo „Neid" angebracht wäre, was meine Anseht stutzt,
daß „Eifersucht" als ein mehr ichgerechtes Wort für „Neid ^dient
7 a) Vgl. M. K 1 e i n: Die Psychoanalyse des Kindes. I. P. V., Wien, 1932.
Eifersucht als Abwehrmechanismus
185
Libido bei dieser Frau zu sehr intensiven, frühen sadistischen Reaktionen
geführt hatte. Dadurch wurde das unreife Ich mit einem höchst sadistischen
Übeivlch belastet und zu der Überzeugung geführt, daß solche sadistische
Angriffe auf die Mutter tatsächlich ausgeführt worden waren, was eine
schwere Angst bewirkte. Ein solcher Stand der Dinge ist uns vertraut. Was in
diesem Fall ungewöhnlich ist, ist die Art, wie — oder der Grad, bis zu
welchem — das Ich dann die Dinge zum eigenen Vorteü kehrte und aus
einer Phantasiesituation voller Wünsche und Ängste eine solche voll von
Beruhigung (reassurance) und Abwehr schuf und sie so konzentrierte und
stabilisierte. Das geschah mit Hilfe der Realität. Der Wunsch (der orale
Hunger und der Racheimpuls) war, die Mutter anzugreifen und zu berauben,
sich aller ihrer Besitztümer zu bemächtigen, diese für sich zu behalten und so die
Mutter von allem zu entblößen; dem entsprach dann die Angst, das gleiche
Schicksal zu erleiden. Gewisse Umstände in der Kindheit der Patientin, zu*
sammen mit frühen Erlebnissen dramatischer Natur, brachten dann tatsäch*
lieh in gewisser Weise den Wunsch zur Erfüllung. Die Mutter erlitt wirklich
verhängnisvolle Verluste, aus denen die Patientin auf bestimmte Art Gewinn
zog, ohne indes die vom Übersieh angedrohte Vergeltung zu erleiden. So
wurde die unbewußte Phantasiesituation befestigt und fixiert — nicht nur,
und keineswegs der Hauptsache nach, als eine Befriedigung erotischer und
sadistischer Libido, sondern ebenso als eine Sicherheitsbedingung für das Ich
in der Realität; so wurde sie „dominant". Die unaufhörlichen Anstrengungen
der Patientin, durch Beraubung einer anderen Person Lust zu erlangen, waren
Bemühungen, die sicheren Bedingungen der Kindheit, in denen eine beraubte
und geschädigte Mutter immer vorhanden und immer gut war, zu wiederholen
und wiederherzustellen, so daß über die Befriedigung rachsüchtiger und sadi*
stischer Motive hinaus die Anwesenheit und Teünahme eines beraubten
rechtmäßigen Besitzers, der dennoch seinen Verlust ertrug, zu einer con»
ditio sine qua non für die Sicherheit des Ichs bei jedem Lustgewinn wurde 8 .
Sie verbrachte ihr Leben damit, ihre Sicherheit und ihre Stellung zu prüfen
und zu erproben; auch' dk Eifersuchtsszenen und die Liebeleien waren ein
Prüfen und Auf*die*Probe*Stellen. Ich will damit nicht sagen, daß die Wahl
dieses speziellen Abwehrsystems den realen Erfahrungen der Kindheit allein
zuzuschreiben ist. Die Phantasie, daß die Mutter ihre Feindin sei, war vor*
herrschend; wir wissen, daß es — sei es in der Realität, sei es mehr noch w
der Phantasie — ein erprobtes Mittel der Sicherung gegen einen Feind ist,
wenn man ihn in der Nähe behält, aber in einem Zustand der Entwaffnung
und bar aller Mittel. Ich ziehe jedoch die Schlußfolgerung, daß die hoch*
gradige Konzentrierung aller psychischen Strebungen auf dieses eine unbe*
wußte Reaktionsschema sowie dessen zwangartiger Charakter darauf zurück*
zuführen waren, daß es die ganze Kindheit hindurch erprobt und — bis zu
8) Vgl. die von Freud beschriebene Liebesbedingung des „geschädigten Dritten".
186 J oan Riviere
einem gewissen Punkt — als sicherer Ausweg aus dem Konflikt befunden
worden war; allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Die Pa*
tientin konnte ruhig Vorzugssituationen genießen, mehr besitzen als ihre
Mutter oder Ersatzmütter, sie konnte harmlose Schwindeleien verüben, sozial
steigen — aber nur so lange, als keine spezifischen sexuellen Züge in die
Situation hineinkamen und kein roh aggressiver Akt auf ihrer Seite die
unbewußten Impulse dahinter verriet. Wenn aber, sei es m der Kindheit, sei es
später im Leben oder in der Analyse, Ereignisse eintraten, die zu einer nahen
Verwirklichung der sexuellen (körperlichen) Seiten der unbewußten
Phantasie oder zu allzu direkten Enthüllungen ihrer eigenen aggressiven Im*
pulse in dieser Hinsicht führten oder zu führen drohten, versagte die domime*
rende Phantasie als Abwehrmethode. Dann wurden andere, pathologi*
schere aber wirkungsvollere Abwehrmethoden mobilisiert. In der Kindheit war
die durch die Beschädigung der Mutter gewonnene Sicherheit durch ein sexu*
elles Erlebnis mit einem Bruder gestört worden, das zu schweren Zwangs*
Symptomen geführt hatte. Während der ersten Jahre des Ehelebens traten
trotz der Sanktion der sexuellen Beziehung und des Kindergebärens homo*
sexuelle Tendenzen auf, als Versuch, den Angstkonflikt zu losen. Im Lauf
der Analyse - die sie zu dem eingestandenen Zweck, „den Orgasmus zu
erlangen", unternommen hatte - tauchte die masochistische und verfolgungs*
artige Eifersucht immer dann auf, wenn die Patientin näher daran war, das
zu erhalten, wofür der Orgasmus stand, und was die kindliche Onanie ihr
bedeutet hatte: Milch, die Brust, den Penis oder Kinder von ihrer Mutter;
herauszuholen. Der Annäherung an den Erfolg mußte also heftig entgegen,
gewirkt werden, die Beschuldigungen des Über*Ichs aber mußten leiden*
schaftlich verleugnet werden. „Sie", die anderen, die Eltern (und ihr Über*
Ich) waren die Schuldigen; sie beraubten, plünderten, schädigten und ver*
nichteten sie — nicht umgekehrt.
Im Hinblick auf meine Behauptung, daß Eifersucht als ein Mittel zur Ab*
wehr unbewußter Konflikte verwendet werden und an sich ein Zeichen der
unbewußten Anklagen des Über*Ichs sein könne, muß man weiterhin über*
legen, ob diese spezielle Motivierung der Eifersucht irgendeine allgemeine
Gültigkeit auch in bezug auf die eifersüchtigen Gefühle „normaler Art be*
anspruchen kann. Ohne auf die delikate und vermutlich umstrittene Frage
worin die normale Eifersucht bestehe, einzugehen, kann man wohl sagen, daiS
es gewisse allgemeine Züge gibt, über die alle Autoren einig sind Sowohl
Freud wie Jones haben von der „narzißtischen Wunde und den Ge*
fühlen der Selbstkritik gesprochen, die auch in der normalen Eifersucht er*
lebt werden. Nach meinem Material muß diese Wunde als Verurteilung
durch das Über*Ich und als Sühne des Ichs für unbewußte räuberische und
aggressive Impulse der eigenen Person verstanden werden So muß man wohl
annehmen, daß einiges von der in jeder Eifersucht - ob sie nun auf Tat*
Eifersucht als Abwehrmechanismus 187
sachen gegründet sei oder nicht — vorhandenen Bitterkeit daher rührt, daß
der Eifersüchtige die Untreue des Partners bewußt als eine Vergeltung für
seine eigenen, in den frühesten Phantasien ausgeführten Aggressionen auf*
faßt. Ob eine Eifersucht noch innerhalb des Normalen liegt, scheint
davon abzuhängen, ob die Ängste, die das Subjekt wegen seiner
unbewußten Impulse, die Eltern, bezw. deren Imagines des jeweiligen
Liebespartners und der Besitztümer zu berauben, entwickelt, groß
genug sind, um jener Beruhigung und Lossprechung zu bedürfen,
die durch ein passives Erleiden des gleichen Angriffs „von seiten der Außen*
weit" gewonnen werden können.
Diese Auffassung legt natürlich die Möglichkeit nahe, daß Frauen von
der Art meiner Patientin tatsächlich unbewußt ihre Männer zu Untreueakten
anstiften oder jedenfalls durch eine solche Tendenz an deren Objektwahl be*
teiligt sein können. Alle Analytiker kennen zweifellos Männer und Frauen,
die solche Situationen tatsächlich selbst herbeiführen, indem sie dem Partner
vorschlagen, eine andere sexuelle Beziehung aufzunehmen, um auf diese
Weise eine Dreiecksituation zu schaffen und sich damit Gelegenheit zur
Eifersucht zu geben.
Eine psychoanalytische Studie über die Eifersucht ist ohne Bezugnahme
auf „Othello" kaum denkbar. Eine eingehende Diskussion des Stückes ist
nicht nötig. Die unbewußte Motivierung der Eifersucht, die die Analyse enfe*
hüllt, steht in Shakespeares Handlung im Vordergrund, obgleich er
sie dann so klug fallen läßt und verschleiert, daß wir sie weiterhin vergessen.
Der erste Akt des Stücks scheint für die nachfolgende Geschichte unerheb*
lieh, ist aber dennoch von tiefer Bedeutung. Er zeigt uns Desdemonas alten
Vater, seinen Schmerz und seine Wut über die Entführung seiner Tochter
durch Othello, seine bitteren Anklagen und Vorwürfe, seine Drohungen und
Prophezeiungen drohenden Unheils. Othello hat sein Liebesobjekt durch
Beraubung seines Besitzers, des Vaters, gewonnen. Aber mehr als das: meines
Erachtens hat Shakespeare Othellos so wichtige psychische Schuld, ohne
die ein eifersüchtiger Wahn nicht möglich gewesen wäre, so dargestellt, daß
sie niemand übersehen kann und doch niemand von uns sie als
das erkennen muß, was sie wirklich ist, — ich meine seine
Schwärze! „Sie ist die Ursache, sie ist es, bei meiner Seele" — die alte
Tradition will es, daß der Schauspieler mit diesen Worten zu seinem Spiegel*
bild spricht, das er im nächsten Atemzug mit „Desdemonas weißerer Haut"
vergleicht. Umfaßt nicht Othellos Schwärze, so unerheblich sie auch scheint,
in einem Symbol die ganze Geschichte seiner Schuld: seine Zweifel und
Ängste und die Art, sie abzuwehren? Der neidische Jago ist doch sein
Doppelgänger: er kann das Böse in sich nicht ertragen und muß deshalb an
dessen Stelle die Desdemona anschwärzen.
188 Joan Ri viere
Nachtrag (November 1935)
Die obige Arbeit wurde ursprünglich in „The International Journal of
Psycho*Analysis", Oktober 1932, veröffentlicht. Inzwischen erschien kein
wesentlicher Beitrag zu dem Thema „Eifersucht", außer einer Arbeit von
Fenichel: „Beitrag zur Psychologie der Eifersucht", Imago, Bd. XXI,
1935, S. 143, worin er meine Arbeit ausführlich diskutiert. Er beschreibt einen
eigenen Fall, der ähnliches Material wie der meine enthielt, stimmt aber mit mei*
nen Schlußfolgerungen nicht überein und bestreitet sie in mehreren Punkten.
Ich versuchte in meiner Arbeit, einen klaren Fall von krankhafter Eifersucht
ausführlich darzustellen, die (wie schon von F r e u d und auch von E. J o n e s
beschrieben) der Abwehr von Angst und Schuld diente. Beide Autoren
weisen darauf hin, daß eine solche Eifersucht produziert wird, um Schuld und
Angst zu verleugnen: Die „andern" sind (der Untreue) schuldig, nicht de*
Eifersüchtige. Wer seine eigenen Impulse auf seinen Partner projiziert, „er«
reicht" (in Freuds Worten) „nicht nur eine Erleichterung, ja, einen Frei«
spruch vor seinem Gewissen." Fenichel nimmt flüchtig auf diesen „libido*
ökonomischen Vorteil", wie er es nennt, Bezug; er spielt aber in seiner Dis*
kussion des Problems der krankhaften Eifersucht weiter keine Rolle; dagegen
sieht er meine Schlußfolgerungen, die diesen wichtigen Punkt in Freuds
Auffassung weiter entwickeln, als sehr zweifelhaft an. Er gibt zu, daß es
„einleuchtend" wäre, eine überwertige Eifersuchtsidee als Abwehr anzusehen,
insofern sie eine „Intoleranz" oder „Vermeidung" unbewußt ersehnter Si«
tuationen darstellt. Aber er hat meine Auffassung über das Wesen der Kräfte,
die ein solches Resultat hervorbringen, und die Art, wie sie es hervorbringen,
nicht ganz verstanden. Einige dieser Mißverständnisse erklären sich aus der
zwischen der Wiener und Londoner Gruppe bestehenden Meinungsver*
schiedenheit über die prägenitale Entwicklung und das frühe Übersieh. Ich
kann diese Probleme hier nicht in ihrer ganzen Entwicklung ausführlich dar«
stellen, sondern setze sie als bekannt voraus und beschränke mich darauf,
die resultierenden Ansichten, von denen ich ausgehe und die mir durch den
Fall neuerdings bestätigt erscheinen, kurz anzuführen. Ohne hier näher auf die
Beziehung zwischen Angstabwehr und Triebabwehr einzugehen, möchte ich
nur sagen, daß die Gefahren des Aggressionstriebes, der auf der oralen Stufe
noch nicht in erheblichem Maße nach außen gekehrt und noch nicht stabil
libidisiniert ist, das schwache Ich überaus belasten. Die Abwehrmechanismen,
die das noch ungenügend organisierte Ich gegen den überwältigenden Druck
dieser Gefahren anwendet, sind notgedrungen äußerst kompliziert und wohl
auch widerspruchsvoll in sich selbst. Sie können unserem Verständnis näher
gebracht werden durch das Studium der tiefsten Seelenschichten an Kindern
und Erwachsenen, und Fälle wie jener F e n i c h el s und der meine scheinen
mir gerade in dieser Beziehung aufschlußreich zu sein.
1
Eifersucht als Abwehrmechanismus
189
Aus Fe n icheis Kritik geht hervor, daß ihm die Wichtigkeit des Ag*
gressionstriebes geringer erscheint als mir und daß ich für ihn die Bedeutung
des intrapsychischen Konfliktes übertreibe. Er neigt mehrfach dazu, die von
mir diskutierten Probleme womöglich als Konflikte zwischen dem Indi*
viduum und der Umwelt anzusehen und nicht als intrapsychische Konflikte.
Mehr als einmal spricht er von dem Neurosen verursachenden Einfluß der
sozialen Bedingungen, z. B. von einer „Gesellschaftsideologie, in derein Ehe*
garte als Besitzstück erscheint", und nimmt zur Bekräftigung dieser Ansicht
eine „biologisch normale Sehnsucht nach Objektwechsel" an. Fenichel
führt hier zwei Momente an, die man nicht ohne weiteres als „gegeben" be#
trachten darf, sondern die noch der weiteren Auflösung durch die
Analyse zugänglich sind. Die Frage ist, ob Fen icheis Ansichten mit
den Funden der Analyse übereinstimmen. Die in meiner Arbeit dargelegten
Ergebnisse zeigen einen anderen Sachverhalt.
Ich beschrieb einen Fall von krankhafter Eifersucht, die unter besonderen
Umständen als sekundäre Abwehrmaßnahme angewendet wurde. Dahinter
lag eine unbewußte Phantasiebildung, von der ich zu zeigen versuchte, daß
sie nicht nur ein Ausdruck sexueller und aggressiver Triebe war, sondern als
stereotype Wiederholung (nach dem Muster historischer Erfahrungen) kon*
struiert und dazu bestimmt war, zu einer Widerlegung der Ängste
zu dienen, die mit diesen Trieben verbunden waren. Sie war teil-
weise eine Wunscherfüllung und teilweise eine Abwehr gegen das
übersieh, wie ein neurotisches Symptom.» Fenichel möchte diese
unbewußte Phantasie als einen direkten Ausdruck eines fixierten oralsadi*
srischen Impulses ansehen. Selbst wenn die dominierende Phantasie meiner
Patientin bewußt und diese fähig gewesen wäre, aus ihrer Verwirklichung
Befriedigung zu ziehen (in welchem Fall sie als sexuell pervers und als aso*
zialer Charakter zu bezeichnen wäre), würde ich ihm nicht zustimmen. Er
scheint zu glauben, daß die Erklärung einer libidinösen Fixierung in der kon*
stitutionellen, biologischen Stärke gewisser Triebimpulse liegt, wobei er
flüchtig auch die Wirkung von Befriedigungs* oder Versagungserlebnissen
erwähnt. Gerade diesen letzten Faktor, die Wirkungen früher Befriede
gungserlebnisse untersuche ich gründlich, wenn ich ihre Beziehung
zu Abwehrmechanismen zeige. Ich behaupte, daß die unbewußte Phantasie
keineswegs einer „Fixierung" entspricht, sondern einem Symptom oder einem
Zwang gleichzusetzen ist. Um weiteren Mißverständnissen vorzubeugen,
will ich hier ausdrücklich feststellen, daß ich die Stärke der Es^lmpulse voll
9) Daß die W u n s c h e r f ü 1 1 u n g der erste Zug war, den die Analyse in den Phanta*
siebildungen entdeckte, ist vielleicht der Grund, warum manche Analytiker nicht genügend
zu würdigen vermögen, daß auch andere Elemente in ihnen enthalten sind. Wo es sich um
1 räume und neurotische Symptome handelte, erkannte Freud selbst unmittelbar die
immanenten Abwehrelemente, d. h. ihren Kompromißfharakter.
würdige, die sich in der unbewußten dominierenden Phantasie manifestieren,
und daß meine Ausführungen keineswegs diese Phantasie „in erster Linie
als eine Abwehr darstellen wollten, wie Fenichel meint. Aber da ihr
triebhafter Charakter auf den ersten Blick sichtbar ist, ging meine Arbeit
gerade darauf aus, die Verwendung der Phantasie auch im Dienste Abwehr zu
demonstrieren und zu diskutieren. . ;
Man könnte an meinem Fall eine der synthetischen Funktionen des Ichs
illustrieren: wie nämlich das Ich sich des Es bedient um sich gegen den
Druck des Es selbst, des Über.Ichs und, in beschränktem Maße, auch der
Realität zu verteidigen. So scheint es mir, daß eine wesentliche Funktion der
Phantasie außer der Lösung der libidinösen Spannung die Befreiung des Ichs
von der Last der Verantwortung ist. In der Onaniephantasie ist das
Mädchen völlig passiv, es wird gezwungen, und trägt daher keine Verant.
wortung. (Fenichel zitiert meine Darstellung ungenau, wenn er sagt: ,£in
Mädchen wird unbekleidet von einem Arzt untersucht." Ich schrieb aber:
es „wird von einem Arzt entkleidet und untersucht.")
Im Hinblick auf die Rolle des Über.Ichs ist F e n i c h e 1 damit unzufrieden,
daß ich auf die Frage, warum die Phantasie als Abwehr versagte, und warum
stärkere Abwehrmechanismen (Eifersucht) gebraucht wurden, nur die Ant,
wort weiß", daß mitunter „die Vergeltungsangst gar zu stark wird . JJas
ist ein Mißverständnis. Ich erklärte, daß die Angst sich steigerte, wenn die
Phantasie sich zu verwirklichen drohte.
Betrachten wir nun die tiefere Deutung der Phantasie, auf die ich im
„Journal" nicht näher einging, weil uns der tiefere Sinn solcher frühen sa,
distischen Phantasien so geläufig ist. Zutiefst bedeutete sie die Erfüllung eines
ödipuswunsches, und zwar vorwiegend auf der oralen Stufe (m einem Fruhsta*
dium des Ödipuskomplexes). Die mit den oralerotischen Wünschen unver,
meidlich einhergehenden aggressiven Raubwünsche gefährden die begehrten
Objekte ebenso wie der gleichzeitig empfundene Haß und die Rachsucht aus
der Versagung (des Ödipuswunsches, den Vater und Kinder zu besitzen).
Diese Aggression ist von solcher Stärke, daß sie die totale körperliche Zer.
Störung und Vernichtung (Tod) durch Beraubung aller Beteiligten (d. h.
ihrer beiden Eltern, wie auch der begehrten Kinder und durch Identifizierung
ihrer selbst) zum Inhalt hat. Das ist die gefürchtete Gefahr; die unbe,
wußte Phantasie enthält die höchstmögliche sadistische Koitusauffassung.
Die Vergeltungsangst beinhaltet also eine Angst vor ihrem eigenen Tod
durch die Hand einer racheerfüllten Mutter und eines sexuell schrecken*
erregenden Vaters, der gleichzeitig die Mutter und sich selbst an ihr rächt.
Endlich ist die Angst auch eine Reaktion aus Liebe demnach nicht nur eine
Vergeltungs, und Sexualangst; sie galt auch der Sicherheit und dem Wohl,
befinden geliebter Objekte, angesichts der Gefahr, die ihnen von den eigenen
mörderischen Raubimpulsen der Patientin drohte. Wenn es schien, als ob
Eifersucht als Abwehrniechanismus 191
alle diese Gefahren Wirklichkeit würden, verstärkte sich natür*
lieh die Angst.
Fenichel erkennt nicht, daß meiner Meinung nach die wahre Ursache
aller dieser Nöte tiefer liegt als die Vergeltungsangst: die wahre Ursache ist
die Angst des Ichs vor dem eigenen Sadismus. Er schließt die Bemerkungen
über seinen Fall mit den Worten, die Vergeltungsangst „wird natürlich ge*
steigert, wenn die Patientin das Gefühl hat, daß ihr wirklich etwas geraubt
werde." Aber wir finden, daß solche Ängste am unerträglichsten werden,
wenn man das Gefühl hat, daß die eigenen Raubwünsche wirklich zur Tat
geworden sind und körperliche Zerstörung und seelisches Elend im Gefolge
haben. Daß die Vergeltungsangst, wenn sie bewußt wird, so unerträglich ist,
liegt zum Teil daran, daß sie unbewußt bedeutet, das Verbrechen sei wirk*
lieh begangen worden. Ich glaube, daß solange die sadistische Phantasie nur
eine Phantasie blieb (oder nur in einem Verhalten verwirklicht wurde,
das für die Patientin und ihre geliebten Objekte keine Gefahr körperlicherer*
letzung oder des Todes enthielt), die Abwehrmomente in der Phantasie selbst
ausreichten, um die Angst hintanzuhalten (erster Abwehrmechanismus). Wenn
aber die in der Phantasie dargestellten Gefahren realisiert zu werden
drohten, waren die Abwehrmechanismen in der Phantasie nicht mehr aus*
reichend, und dann wurde in der Realität eine weiterreichende Abwehr
gesucht: alle Verantwortlichkeit und Schuld mußten von der Patientin weg
verlegt werden, indem sie in der Realität eine schuldlose Eifersuchtssituation
schuf (sekundärer Abwehrmechanismus). Als in der Übertragung starke un*
bewußte Wünsche auftraten, mich und meinen Mann zu berauben und zu
ermorden, entwickelte meine Patientin eine wahnhafte Eifersucht.
Fen icheis Argument gegen diese inneren Ängste basiert auf der An*
sieht, daß das Kind auf der oralen Stufe kein Übersieh hat. Aber meiner An*
sieht nach ist gerade dieser Fall geeignet zu demonstrieren, daß die Vergeh
tungsangst ebenso intrapsychisch entsteht, wie die bekanntlich durch das
Übersieh erzeugten Schuldgefühle. Fenichel scheint sich aber selbst zu
widersprechen, indem er schreibt, „daß das Kind ... in projektivem Miß*
Verständnis der Außenwelt ... das Unheil wirklich von außen erwartet";
d. h. ein inneres Unheil wird in die Außenwelt projiziert. Worin aber be*
steht das innere Unheil? Nun, für mich bedeutet Vergeltungsangst im Unbe*
wußten nicht eine Angst vor Vergeltung von außen, wie Fenichel meint,
sondern eine Angst vor einem inneren Unheil als Vergeltung, das (wie
Melanie Klein beschrieben hat) hervorgerufen wird durch den konstanten
Prozeß der Projektion der eigenen, vom Kind selbst als unlustvoll empfun*
denen Aggression gegen seine Objekte, und der gleichzeitigen Wiederintro*
jektion des Objekts. Obendrein werden die aggressiven Impulse des Kindes
gegen das Objekt als dieses tatsächlich beschädigend gefühlt, so daß dann in*
folgedessen ein b e s c h ä d i g te s Objekt introjiziert wird. So werden die El*
192 J oan Rfaiere
tern, die in der sadistischen Phantasie geplündert und an den Rand des Todes
gebracht wurden, rachsüchtige, gefährliche Imagines im Innern." Die wirk,
liehen Eltern in der Außenwelt mögen diese Unheilserwartungen erfüllen oder
nicht. Eine reale gütige Mutter ist für das Gefühl des Kindes die bestmögliche
Widerlegung einer solchen innerenVergeltungsangst vor inneren bösen, geiahr,
liehen Gestalten. Ein solches Kind mag dann für sein ganzes Leben ungemein
abhängig werden von einer Beruhigung dieser Art (deren Zufuhr von außen)
und von gütigen Mutterfiguren, wie man es in der Geschichte meiner Pa*
tientin sehen kann. .
Wenn man nicht anerkennt, daß es auf der oralen Stufe eine innere stra*
fende Instanz gibt, und daß aus der Projektion und Introjektion von Aggres-
sion innere Vergeltungsangst entsteht, so kann man nicht verstehen wie ein
solches inneres Unheü zustande kommt. Fenichel nimmt an daß meine
Patientin, weil sie wenig Unfreundlichkeit oder Bestrafung in der Realität
erfuhr, eine Vergeltung für die Entbehrungen, die die Mutter erlitt, nicht
fürchten würde, und daß sie auch in ihrem späteren Leben „wurde rauben
können, ohne Strafe zu befürchten". Das Ausbleiben einer Bestrafung seitens
einer beraubten Mutter gibt zwar eine Beruhigung, aber nur eine m « menta " e :
Da für das Unbewußte eine innere vergeltende Mutter da ist, bleibt das
Drängen nach Beruhigung bestehen; damit erklärt sich der immer wieder,
holte Versuch (Zwang), durch das Verhalten der realen Mutter die der
inneren Mutter geltenden Ängste zu widerlegen. Im Grund wird also das
Kind nicht von einer Erwartung äußeren Unheüs, sondern von innerer Ver,
geltungsangst beherrscht. ..,,., n i *
In seinem Bemühen, innere Ängste als einen ursachlichen Faktor
der Eifersucht auszuschalten, geht Fenichel so weit, zu behaupten, daß
das Gefühl „Ich selbst bin schuld am Liebesverlust ohne Beteiligung
eines Über.Ichs zustande kommen kann. Eine solche Argumentation scheint
den Worten, die wir gebrauchen, jegliche Bedeutung zu nehmen.
die Pulveren Verge tu, 8» n ^^ c und akzeptiert wer den können,
J328RE5 £i Ä!la?» gen (Wahn Halluzination etc.) gegen sie eingesetzt werden
unddaßPhantas ebUdung \. yon dem vol i en twickelten Übersieh
müssen. Die S c h u 1 d g e £ u hie Wf£- ° p - ssen Grad seine eigene Aggression
schwer ertragen werden kann .
Eifersucht als Abwehrmechanismus 193
Ich sagte, daß die Phantasie mir deutlich eine ödipussituation, vorwiegend
auf der oralen Stufe, darzustellen scheint. Hier führt ein fundamentaler Unter*
schied in der Auffassung zwischen Fenichel und mir dazu, daß er meine
Beschreibung nicht ganz richtig zitiert. Er beschreibt nämlich meinen Fall
durchwegs als eine einfache homosexuelle oralsadistische Beziehung, d. h.
er schließt stillschweigend ein heterosexuelles oralerotisches oder oralsach*
stisches Element darin aus, und führt ausdrücklich ein homosexuell ero*
tisches Element ein, das in meiner Beschreibung nicht enthalten ist. Ich führe
als Beispiel die folgenden Sätze ausFenichels Arbeit an. (Die von mir ge*
sperrten Worte sind in meinem Bericht nicht enthalten). „Sie müsse einem
geliebten Menschen etwas rauben, wodurch sie ihn sehr schädige." „Sie
wünsche, die Analytikerin ihres Mannes zu berauben, umsieselbstzu
besitzen" (während ich schrieb, „um mich zur Witwe zu machen, während
sie selbst ihren Mann besitzen würde".) „Die Wunschphantasie war also,
alleinige Besitzerin der Mutter zu sein und sie zu berauben" (viel*
mehr, alleinige Besitzerin beider getrennten Eltern zu sein, um die Mutter zu
berauben [Aggression] und den Vater zu besitzen [Libido]).
Ich beschreibe das begehrte Objekt, den Mann (oder unbewußt, des Vaters
Penis) zwar als ein Teilobjekt, aber doch seinem Charakter nach als ein
heterosexuelles Objekt; und die Beziehung zur Mutter durchgehend als
die der „frühen ödipusbeziehung". Wir finden diesen Komplex (wenn auch
noch fluktuierend und labil) bei Mädchen im ersten Lebensjahr und nach der
Entwöhnung, d. h. auf der oralen Stufe. Da Fenichel nicht dieser Meinung
ist, stellt er mein Material ungenau dar. So nimmt er an, daß ich sein©
Auffassung teile, daß „zur präödipalen Zeit die Mutter das einzig wesent*
liehe Objekt ist", während ich darunter verstehe, daß sie das wesentliche
Objekt ist, weil ihr Aggression und auch orales Begehren gelten. Das orale
Begehren erstreckt sich aber u. a. auf den Penis des Vaters, den sie nach dem
Gefühl des Kindes besitzt.
Damit komme ich' zu einem weiteren Punkt des Mißverständnisses; er
betrifft „die Vorstellung vom Penis des Vaters im Leibe der Mutter". Fe«
nich'el schreibt: „Derartiges findet man tatsächlich häufig . . . Fraglich ist
nur, ob sie immer von einer Vorstellung über einen Koitus zwischen den
Eltern oder dgl. stammen muß." („Derartiges" und „dergleichen" klingt so,
als ob man Phantasien der Patienten in der Analyse nicht ernst zu nehmen
brauchte.) „Hier scheint uns viel gesündigt zu werden, dadurch daß man zu*
viel erwachsene Logik dem Verständnis prägenitaler Denkwelten zugrunde*
legen will." Freud selbst hat schon sehr früh auf die kindlichen Sexual«
theorien hingewiesen, ohne daß man ihm diesen Vorwurf gemacht hätte.
Die Frage der „prägenitalen Denkwelten" kann hier nicht erörtert wer*
den; aber mir scheint hier dadurch gesündigt zu werden, daß die in diesem
Material deutliche innere Beziehung zwischen Oralerotik und dem Wunsch
Int. Zeiticht. f. Psychoanalyie, XXII/2 13
194 Joan Riviere
nach dem Penis als einem Objekt oralen Genusses (Saugen oder Beißen) als
„Penisneid" erklärt wird, der für uns eine völlig andere Strebung bedeutet.
Unter Penisneid des Mädchens versteht man den Wunsch nach einem
äußeren urinierenden Organ an ihrem Genitale, wie sie es an dem Körper
eines Mannes oder Knaben sieht, und keineswegs den Wunsch nach einem
oralen Lustobjekt. In dem einen Fall handelt es sich um den Wunsch nach
dem väterlichen Penis als einem heterosexuellen oralen Objekt; das ist aber
ein oraler (und noch nicht ein vaginaler) Impuls, der sich zunächst auf den
Penis als Teilobjekt richtet, wobei der Penis des Vaters als ein Teil der
Mutter (eigentlich ein Teil der vereinigten Eltern, da beide ihn genießen und
gebrauchen) empfunden wird. Später wird der ganze Vater zum Liebesobjekt
und sein Penis zum vaginalen erotischen Objekt genommen. Dieser Penis*
wünsch repräsentiert die weibliche Haltung des Mädchens. Völlig verschieb
den davon ist, im anderen Fall, der Wunsch des Mädchens nach einem
äußeren Genitale, wie der Mann es besitzt, um es zur Schau zu
stellen, damit zu urinieren und Kinder zu zeugen. Dieser Peniswunsch ist
der Ausdruck einer homosexuellen Libidoposition. Infolgedessen nimmt das
Mädchen eine männliche Haltung an und benützt sie, um auch für ihre Ge*
fühle der Demütigung, Schuld und Minderwertigkeit gegenüber ihrer Mutter
einen Ausgleich zu erlangen — Gefühle, die aus ihren weiblichen Wünschen
und phantasierten weiblichen genitalen Aktivitäten entstehen, die orale Im*
pulse und den Wunsch' nach Kindern einschließen. Meiner Ansicht nach
zeigt das ganze Material meines Falles — die Onaniephantasie, die unbe*
wußte dominierende Phantasie, der allgemeine Charakter und das Verhalten
der Patientin — , daß sie nicht wirklich homosexuell fixiert war, und daß die
heterosexuelle Libidobesetzung den Primat über die homosexuelle erlangt
hatte, während die orale Stufe der Libidoentwicklung noch vorherrschte.
Ich meine, daß Fenichels Fall meine Ansichten bestätigt, und daß es
daher vielleicht aufschlußreich sein dürfte zu untersuchen, wie die hier be»
sprochenen Auffassungen sich auf seinen Fall anwenden lassen.
Eine nicht mehr junge Frau erkrankte einige Zeit, nachdem ihr Mann
impotent geworden war, an einer schweren Neurose, deren Hauptzüge Angst,
Depersonalisation und eine überwertige Eifersuchtsidee waren.
In großen Zügen sehe ich folgende Erklärung: 11 eine Frau findet, daß ihr
Mann, den das Material sehr deutlich als ihren Vater darstellt, eine schwere
körperliche Beeinträchtigung (Kastration, Verlust der Potenz) und zweifellos
auch eine seelische Beeinträchtigung (Depression und Herabsetzung seines
Selbstgefühls) erlitten hat. Das bedeutet für ihr Unbewußtes, daß ihre oralen,
libidinösen und sadistischen, Wünsche, sich seinen Penis und dessen Allmacht
1 Ich gehe hier auf die somatische Quelle der Angst (Fortfall der Sexualbefriedigung)
nicht weiter ein, sondern setze diesen Faktor als selbstverständlich voraus, obwohl in diesem
Fall die Frau frigid war und der Sexualverkehr ihr keine wesentliche Befriedigung bereitete.
Eifersucht als Abwehrmechanismus
195
einzuverleiben, erfüllt worden sind. Ihre orale Gier, ihr Haß und ihre Räch*
suchtgegenAren Vater sind in Erfüllunggegangen. Dies dürfte heftige
Vergeltungsangst und Schuld bewirkt haben, dk sie nur solange beherrschen
konnte, als ihr Mann ihr noch Liebe zeigte (durch seinen Wunsch nach
Sexualverkehr). Wenn ihr Mann sie noch liebte und versuchte, ihr Befrie*
digung und seinen Penis zu geben", konnte er nicht böse sein; und wenn er
sie weder tadelte noch für seinen Verlust verantwortlich machte, sondern im
Gegented sich selbst für den Verantwortlichen hielt, der sie ihres berechtigten
f^f™. ^nusses beraubte, so drohte keine Vergeltung von ihm, d. h. sie
konnte fühlen, daß er schuldig war und nicht sie. Aber mit der Zeit ver*
ursachte der ständige unbewußte Druck, unter dem sie zufolge des depres*
siven Zustandes des Mannes und seines deutlichen Schuldgefühls stand, eine
starke Steigerung ihrer schuldhaften Ängste, und als er sich schließlich sexuell
| 3n \T T u Z S id f°f erschütterte dies ihr Gleichgewicht vollkommen.
Für ihr Unbewußtes bedeutete das, daß er ihre oralen Einverleibungswünsche
entdeckt hatte und sie für sein Unglück verantwortlich machte, sie nicht
liebte, sich an ihr rächen und nach einer „besseren" Frau Umschau halten
wurde. So ist es mir ganz begreiflich, daß hernach „das Verhalten des Mannes
ihr die Onanie zu einer Gefahr gemacht hatte", weil es sie in dem Gefühl,
durch und durch schlecht zu sein, bestärkte. Indem sie dann ihre Eifersuchts*
idee entwickelte konnte sie sich ständig versichern, daß er ihr gegenüber
schuldig sei und nicht umgekehrt. Die Selbstverteidigung und den Schutz
gegen das Über*Ich, die sie zuerst durch seine fortgesetzte Liebe zu ihr und
ein seine Selbstvorwürfe offenbarendes Verhalten erlangt hatte, konnte sie
nun, nachdem ihr diese entzogen waren, nur erreichen, wenn sie in ihrer
Phantasie ihn als den ihr gegenüber Schuldigen hinstellte. Ich möchte be*
sonders betonen, wie klar dieser Fall meine Ansicht bestätigt, daß e i n e v e r*
mutete Verwirklichung einer aggressiven Phantasie eine
Steigerung der Angst erzeugt. Während die Angst vor einer Ver*
wirklichung in meinem Fall durch die analytische Arbeit enthüllt wurde, hatte
sich in Fenichels Fall das erwartete „Unheil in der Wirklichkeit" tat*
sachlich ereignet.
Fenichel findet, daß seine Patientin eine primäre „Penisneid"*Be*
Ziehung zum väterlichen Penis hat, während mir die Äußerungen ihres Penis*
neides gegenüber ihrem Vater die Verdeckung und Verarbeitung eines
früheren heterosexuellen oralgenitalen Neides darzustellen scheinen. Dem*
nach wurde der Penisneid nicht, wie Fenichel sagt, „oralsadistisch ver*
arbeitet sein sondern umgekehrt, heterosexueller Haß und Rachsucht wür*
den „männlich verarbeitet worden sein.
Das Gefühl der Entbehrung auf Seiten der Patientin und ihre ungeheuren
Ansprüche an den Analytiker versucht Fenichel durch die Annahme zu
erklaren, daß er die Mutter darstelle, während es mir ganz klar zu sein
13*
scheint, daß die Patientin bei ihm auch die Beziehung zu ihrem Mann genau
wiederholte. Ein deutlicher Beweis hierfür liegt in der Angst der Patientin,
er könnte in ihren Streitigkeiten mit der Mutter die Partei der letzteren ergreif
fen; das bedeutet doch, daß der Analytiker, wenigstens teilweise, das libidinöse
Objekt, den Vater darstellt, während die Mutter das gehaßte Objekt der Ag*
gression ist, genau wie im Ödipuskomplex. Hier findet F e n i c h e 1 einen Aus*
weg, indem er seine Rolle in der Übertragung als eine „Zwischenfigur" be*
schreibt, da nach seiner Auffassung die Patientin auf der oralen Stufe einen 5
Vater nicht begehren kann. Mir scheint die heterosexuelle ödipusposition
seiner Patientin sehr klar; sie schließt den natürlichen Antagonismus gegen die
Mutter als Rivalin und die entsprechende Angst vor ihr als Feindin ein. (In
meinem Fall führte diese Angst zu einer überkompensierten Bedürftigkeit
nach der Liebe der Mutter.) Fenichel sieht sich genötigt, die Schluß*
folgerung zu ziehen, daß seine Patientin ihre Mutter nur aus dem Grunde
haßte und beschuldigte, weil darunter eine verdrängte tiefe Liebe zu ihr
existierte. (Wir leugnen die tiefe Liebe zur Mutter gewiß nicht, glauben aber,
daß ihr auch andere Gefühle von gleicher oder größerer Stärke gelten, die;
man nicht außer acht lassen darf.) Die Patientin hatte ihren Mann verlöret*,
er hatte keinen Wert mehr für sie; in ihrem Unbewußten war das durch die
zerstörerische Kraft und Unbeherrschbarkeit ihrer eigenen Raubwünsche und
ihres Hasses gegen die Eltern verursacht worden. (Der Haß gegen die Mutter
wäre einer der Gründe für ihren Wunsch, die Potenz ihres Vaters zu zen*
stören.) Die unbewußte Erkenntnis dieser ganzen Aggression in ihr produ*
zierte heftige Gefühle des eigenen Unwertes, die sie nur dadurch mildern
konnte, daß sie die Mutter der Bösartigkeit und Wertlosigkeit ihr gegenüber
anklagte (Projektion). Diese Situation illustriert meine Auffassung, daß die
Angst vor der eigenen Aggression und ihre Beziehung zur Projektion im
Mittelpunkt der Erklärung solcher Fälle steht.
„Die Mutter sei an allem schuld". Das drückt genau den wütenden Haß
und die mörderische Eifersucht des kleinen Mädchens aus, wenn sie der
Mutter nicht den Vater stehlen kann; und es ist auch genau die Art und
Weise, wie sie ihre eigene ödipusschuld und Vergeltungsangst durch Pro«
jektion erledigt. „Sie hätte sie schlecht erzogen, vernachlässigt usw." Wir
sehen deutlich, wie nötig es für die Patientin ist, die Verantwortung für ihre
eigenen bösen Taten und ihre Wertlosigkeit (Schuld) auf jemand anderen zu
schieben. Und es ist leichter, immer wieder die Mutter zu tadeln, weil sie
mehr gehaßt und, auf der oralen Stufe, nur um ihrer Besitztümer willen ge*
liebt wird. Im Geiste der Patientin war jene immer noch eine rachsüchtige
Verfolgerin, die die Patientin ständig des zerstörerischen Raubes, wenn auch
nur in Form von Versäumnis und Nachlässigkeit, anklagte. Die Vernach*
lässigung von Pflichten (Raub durch Vergeudung) gegenüber geliebten Ob*
jekten bedeutet unbewußt eine ebenso gefährliche Form der Feindseligkeit,
Eifersucht als Abwehrmechanismus
197
wie ein offener Angriff, gerade wegen ihres hinterhältigen Charakters. Lang-
samkeit, Verspätung, Faulheit und Sorglosigkeit in kleinen Dingen sind so
schwer zu überwinden, und doch können sie auf die Dauer so ernste Folgen
in der Realität haben. Diese Schuld erklärt dk Hausfrauenneurose von
Fenichels Patientin, und ihre ständige Angst, daß der Zustand ihres
Hauses sie verraten und die verschwenderische, destruktive Art ihres An,
gritts m Form von Vernachlässigung des Vaters (Mannes) und der Mutte*
(des Hauses) enthüllen werde. Ihre Eifersuchtsidee beruhigte teilweise ihre
Vergeltungsangst gegenüber dem Vater, aber der ruhelose Zwang
j-^w raUenneUtOSe Weist auf deren Funk tion in bezug auf
die Mutter hm. „Sie war ein besonders schlimmes Kind gewesen"
und hatte die symbolischen Kinder von Vater und Mutter gestohlen
und weggeworfen; indem sie sich zu einer Sklavin der Hausarbeit
machte, versuchte sie, die innere Mutter zu besänftigen und eine
teilweise Wiedergutmachung des früher begangenen Unrechtes zu leisten.
Der Hunger nach der „Anerkennung, daß sie der Beachtung wert sei"
und nach der Freundschaft des Analytikers zeigt die Heftigkeit der Selbst*'
vorwürfe, die ihr vergeltendes Gewissen auf sie häuft, während das
Bedürfnis nach „Beratung und Vermittlung von Lebenszielen" ein Ausdruck
teils ihrer Angst ist, Verantwortung auf sich zu nehmen, teils der inten,
siven Notwendigkeit, etwas Gutes von außen (Zufuhr von außen)
zu bekommen, um dadurch besser zu werden. Wurde sie darin enttäuscht
so mußte sie zu ihrer momentanen Beruhigung eine Phantasie entwickeln, des
Inhalts, daß sie indem sie etwas Gutes esse und sich dadurch innerlich besser
fühle, nun auch wirklich innerlich ein besserer Mensch würde
Den Selbstvorwürfen über den eigenen Unwert liegt, in Fällen wie 'den
hier besprochenen, die gleiche psychische Realität zugrunde wie den Vor.
würfen, die in der echten Melancholie zum vollen Ausdruck kommen. In
unseren Fällen war es noch möglich, diese psychische Realität durch manische
und paranoische Abwehrmechanismen 1 * zu bewältigen. Die eingehende Er.
forschung dieser Mechanismen würde das Verständnis dieser Probleme
erheblich fördern.
rJ 2 lu 8 }- * e . Aus f ühr « n gf n üb «r di«es Thema in der Arbeit von Melanie Klein A
SxSjMS. ******* « Manicdepressive States", Int. Journai [ of P«,
Hemmung und Narzißmus
Von
Jeanne Lampl*de Groot
Wien
• ■
Ausgangspunkt dieser Arbeit bildet die Untersuchung eines Prozesses im
Seelenleben, dessen Kenntnis an sich gewiß nicht neu ist. Da ich jedoch den
Eindruck gewonnen habe, daß diesem Prozeß allgemeinere Bedeutung, viel»
leicht eine psychische Gesetzmäßigkeit zugeschrieben werden sollte, möchte
ich versuchen, ihn an einigen Beispielen zu beleuchten und einen Beitrag
zur Erklärung seiner Bedeutung für das Seelenleben zu liefern. Ich könnte
dieses psychische Geschehen etwa folgendermaßen formulieren:
Die verschiedenartigsten Abläufe seelischer Prozesse — darunter auch
einander entgegengesetzte — können zum gleichen Endresultat führen, d. h.
den gleichen Zustand im Ich hervorrufen. Diese Vorgänge sind bei der Be<*
trachtung der Genese von neurotischen Hemmungen, die bekanntlich der
Ausdruck von Funktionseinschränkungen des Ichs sind, gut zu studieren.
Man macht bei diesem Studium die Entdeckung, daß bei einem Patienten
eine solche Hemmung durch einen bestimmten Ausgang eines Triebvor*
gangs, beim anderen durch den genau entgegengesetzten Ablauf hervor*
gerufen wurde. Ich möchte mich in dieser Arbeit mit dem Spezialproblem
der Folgen solcher entgegengesetzten Triebabläufe beschäftigen und will ver«
suchen, diese näher zu illustrieren. Dabei schicke ich voraus, daß die Wege,
auf denen solche gleichartige Endzustände im Ich erreicht werden, wieder
die verschiedenartigsten sind. Sie werden aber zunächst unerwähnt bleiben,
da sie für unsere ersten Fragestellungen irrelevant sind.
I. Die Beziehung neurotischer Arbeitshemmungen zur
Masturbation. 1
Es ist der Psychoanalyse seit langem geläufig, daß Arbeits* und Lernhem«
mungen ihre Ursache häufig in der Masturbation finden. Wenn der betnejf*
fende Patient übermäßige Onanie betreibt, fällt uns die Erklärung dieses
Zusammenhanges nicht schwer. Dem Patienten, der den größten Teil seiner
psychischen Energie zur Selbstbefriedigung verwendet, bleibt nicht genug
Libido zur Verfügung, um andere Aufgaben zu erfüllen. Seine Arbeitsh'ems»
mung, die Einschränkung seines Ichs, ist die direkte Folge der Masturbation.
Ein zweiter Faktor, der zur Arbeitshemmung beitragen kann, liegt in den
die Onanie begleitenden Schuldgefühlen, die eine Bestrafung in Form der
Über dieses Thema berichtete ich auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen
Kongreß in Luzern am 31. August 1934.
Hemmung und Narzißmus
199
Funktionshemmung fordern. Es ist aber im Grunde die Masturbation mit
ihren Begleiterscheinungen, die zur neurotischen Hemmung geführt hat.
Die Analysen Jugendlicher und Erwachsener zeigen dann, daß die über*
mäßige Onaniebetätigung ihre Vorgeschichte im Schicksal der frühinfantilen
Masturbation findet. Gewöhnlich war auch diese sehr intensiv, und das Kind
hatte im Kampf gegen sie nicht oder nur teilweise und vorübergehend
Erfolg gehabt. Die übermäßige Masturbation der Jugendlichen ist in der
Regel entweder die direkte Fortsetzung oder die Wiederholung einer Kind«
heitsperiode, in der sich die Abfuhr der Triebspannungen in die Onanie
durchgesetzt hat.
Der Analytiker schätzt sich in diesen Fällen glücklich, wenn es ihm gelingt,
den Patienten von dieser abundanten Onanie und den eventuellen, sie begieß
tenden Schuldgefühlen zu befreien und ihm dadurch die Kräfte zur Beseitig
gung der Arbeitsstörung zur Verfügung zu stellen. Dem Praktiker sind solche
Fälle genügend bekannt, so daß sich wohl die Darstellung derselben erübrigt.
Ich möchte nun aber auf eine andere Gruppe von an Arbeitshemmung lei*
denden Patienten hinweisen, die keine Masturbation betreiben. Die Vor*
geschichte dieser Patienten ergibt gewöhnlich, daß sie überhaupt nicht oder
nur ganz vorübergehend onaniert zu haben sich erinnern. Die tiefere Analyse
gibt jedoch, nach meiner Erfahrung mit großer Regelmäßigkeit, eine andere
Auskunft. Es hat bei diesen Fällen in der frühen Kindheit eine Periode in*
tensivster masturbatorischer Betätigung gegeben, die aber gewöhnlich nach
langem und hartem Kampf unterdrückt und völlig aufgegeben wurde. Ein
solcher Kampf spielt sich innerhalb der Persönlichkeit zwischen Ich und Es
ab. Bei den zuerst erwähnten Typen, bei denen die Masturbation beibehalten
wird (oder nach einer Unterbrechung wiederkehrt), hat das Es den Sieg
davongetragen. Bei den Letztgenannten ist das Ich der Stärkere geblieben.
Es hat aber diesen Triumph mit der gleichen Einbusse bezahlen müssen,
die ihm bei den anderen Typen die Niederlage gebracht hat. Hier wie dort
ist das Ich in seinen Funktionen beeinträchtigt worden.
In dem Fall eines jungen Mädchens von guter Intelligenz, das an Arbeitshem*
mung litt, bekam ich einen starken Eindruck von der Bedeutung dieses Zusam*
menhanges. Sie hatte nach ihrer Erinnerung Zeit ihres Lebens nicht masturbiert.
Die Analyse deckte dann eine intensive, leidenschaftliche Masturbationsperiode
bis zum siebenten Lebensjahr auf, die mit einer vollständigen, ohne fremde Hilfe
durchgeführten Unterdrückung der Onanie endete. Die stolze Befriedigung über
diese Leistung wurde durch eine quälende Arbeitshemmung in späteren Jahren
zunichte gemacht. Eine lange und mühsame Analyse brachte nur geringe Abhilfe,
bis die Patientin nach der Aufdeckung bestimmter Zusammenhänge, auf die ich
später zurückkomme, einmal dazu kam, die Onanie wieder aufzunehmen. Erst
dann trat eine bedeutende Befreiung ihrer Kräfte und ein Verschwinden der
Störung ein. Über die Ursachen, die zu jener kraftvollen Unterdrückung der
Onanie führten, möchte ich erst später berichten.
200 Jeanne Lampl'de Groot
Ich will nun ein vorläufiges Ergebnis folgendermaßen zusammenfassen:
Funktionsstörungen des Ichs (wie etwa die Arbeitshemmung) können sowohl
Folge eines mißlungenen Kampfes gegen die Onanie, als auch Folge ihrer
gelungenen Unterdrückung sein. Oder mit anderen Worten: Der Kampf
zwischen Ich und Es um die masturbatorische Abfuhr der libidinösen Span*
nungen kann sowohl, wenn er zum Sieg, als auch, wenn er zur Niederlage des
Ichs führt, mit dem gleichen Zustand im Ich enden. Dies entspricht dem
eingangs erwähnten allgemeinen Satz: Entgegengesetzte Abläufe eines seeli*
schien Prozesses können zum gleichen Endresultat im Ich führen.
II. Folgen der Befriedigung und der Versagung von Liebes*
forderungen.
Allgemeiner bekannt ist die Tatsache, daß die entgegengesetzten Schicksale
der libidinösen Ansprüche des kleinen Kindes an das Objekt zum gleichen
Zustand im Ich führen können.
Das kleine Kind etwa, das eine äußerst strenge Reinlichkeitserziehung
erhält, dessen anale, libidinöse wie aggressive Triebregungen also kaum je
zur Befriedigung gelangen können, erleidet eine Störung in seiner Entwick*
lung. Das Ich kann die Triebansprüche nicht genügend bewältigen, und das
Kind erkrankt an einer Neurose. Aber auch das Kind, das einer maßlosen
Verwöhnung ausgesetzt ist, jeden Wunsch nach Zärtlichkeit befriedigt be*
kommt, seine aggressiven Wünsche weitgehend ausleben kann, ist der Ge*
fahr der Neurose ebenso ausgeliefert. Beide Zustände, Übersättigung des
Triebbedürfnisses sowohl wie dessen übermäßige Unterdrückung, können
zu derselben Störung im Ich führen, das sich dann die neurotische Störung
gefallen lassen muß.
Also auch hier führen entgegengesetzte Ausgänge von Triebforderungen
zum gleichen Endresultat.
Man darf aber einen Unterschied zwischen den beiden angeführten Bei*
spielen nicht unerwähnt lassen. Bei der Patientin, die an Arbeitshemmung
litt, erfolgte der Verzicht auf die Masturbation von innen aus, ohne fremde
Hilfe. Im zweiten Beispiel beruht die Triebunterdrückung auf einer Er*
ziehungsmaßnahme, also auf einem Einfluß von außen. Dieser Einwand wird
aber wieder abgeschwächt durch die Überlegung, daß die Neurose des
streng zur Reinlichkeit erzogenen Kindes gewöhnlich erst in einem Alter
auftritt, da die Gebote und Verbote bereits verinnerlicht sind und also dieur*
sprünglich von außen kommende Unterdrückung der analen Begierden schon
vom Ich und Ueber*Ich vorgenommen wird. Anderseits spielen bei der Un*
terdrückung der Masturbation, auch' wenn sie ohne fremde Hilfe geschieht,
Erlebnisse aus der Vergangenheit, die im Sinne eines Onanieverbotes auf*
gefaßt werden, immer eine Rolle.
Hemmung und Narzißmus
201
Die oben erwähnte Patientin, die ihren Onaniekampf allein siegreich beendete,
hatte nie direkte Verbote erhalten. Sie erinnerte sich aber, daß sie als ganz kleines
Kind von der Mutter in einer Hemdhose schlafen gelegt wurde. Obgleich sie sich
zu jener Zeit in keiner Weise von ihrer Onanie hatte abbringen lassen, zeigte die
Analyse, daß die Patientin in der Periode des Abgewöhnungskampfes diese
Maßnahme der Mutter nachträglich als ein Onanieverbot auffaßte.
Es bleibt aber die Tatsache, ob der entscheidende Abgewöhnungskampf
mit oder ohne Hilfe stattfindet, doch von großer Bedeutung für die weitere
Ich*Enrwicklung. Sie wird auch bei unserem später vorzunehmenden Er*
klärungsversuch weitere Beachtung beanspruchen.
Wir wollen nun noch eine andere Funktionseinschränkung des Ichs näher
betrachten.
III. Potenzstörung als Hemmung bei verschiedenartigen
Abläufen triebhafter Regungen.
Ein 30jähriger junger Mann, der seit etwa 10 Jahren an Impotenz litt (er war
kurze Zeit potent gewesen), mußte zwangsmäßig perverse Beziehungen zu Dirnen
von besonders männlichem Typus eingehen. Seine Haltung diesen Frauen gegen*
über war weich, liebevoll, hingebend, aber auch verzweifelt. Die Analyse ergab,
daß die Kastrationsangst, die sich hinter seiner Impotenz versteckte und die ihm
nur onanistische und perverse Befriedigung erlaubte, eigentlich eine Vergeltungs*
angst war. Bei jedem Beisammensein wurden unbewußt heftige Aggressionen
gegen die Frau mobilisiert und der Patient fürchtete, als Strafe dafür im Koitus
kastriert zu werden. Die Vorgeschichte dieser aggressiven Tendenzen war in
seiner frühen Kindheit zu suchen, wo sie den Eltern und der besonders strengen
Erziehung gegolten hatten.
Die Wutanfälle, die der kleine Knabe öfters bekam, gewannen allmählich
gleichzeitig die Bedeutung einer Liebesszene, also einer Abfuhr seiner libidinösen
Triebwünsche. Die Unterdrückung der Wut wurde dann mit dem Verzicht auf die
Befriedigung dieser sexuellen Wünsche identisch. Natürlich spielte später die
passiv*homosexuelle Einstellung eine wichtige Rolle, deren Stärke ebenfalls eine
Folgeerscheinung der Kastrationsangst war.
Aber die gelungene Unterdrückung der miteinander verlöteten aggressiven
und sexuellen Triebregungen hat das Ich mit einer Funktionsstörung im Sexual*
leben bezahlen müssen. Nachdem diese Zusammenhänge dem Patienten klar ge*
worden waren, äußerte er wiederholt die Ansicht, er würde potent sein können,
wenn es ihm gelänge, einer Frau gegenüber einmal recht energisch oder gar
gewalttätig aufzutreten. In einer bestimmten Phase der Behandlung ergab sich
einmal plötzlich eine solche Situation. Eines Abends versetzte das aufreizende
Verhalten seiner Freundin den Patienten in eine heftige Wut, die er sich diesmal
auszuleben erlaubte. Er bekam einen Zornanfall, tobte und wurde handgreiflich.
Nachher hatte er ein starkes Gefühl der Erleichterung und der Befreiung, er war
stolz und zufrieden und überzeugt von seiner männlichen Potenz. Er'machtei
einen Koitusversuch, war jedoch zu seinem Staunen und Entsetzen impotent
wie bisher.
Wir verstehen, daß auch der andere Ablauf, das Ausleben der aggressiv*
sexuellen Regungen nicht ohne Beeinträchtigung der Funktion ertragen
202 Jeanne Lampl«de Groot
wurde. Erst ein langsames Aufarbeiten des analytischen Materials ermöglichte
eine Art Regulierung der Triebabfuhr und brachte dem schwerneurotischen
Patienten allmählich zumindest zeitweise und unter bestimmten, uns hier
nicht weiter interessierenden Bedingungen seine Potenz zurück.
Auch hier sehen wir, daß die entgegengesetzten Triebabläufe, diesmal bei
demselben Individuum, zur gleichen Funktionsstörung führen können.
IV. Erklärungsversuche.
a) Quantitätsproblem.
Wir wollen nun versuchen, ob wir durch Vergleich der Übereinstimmung
gen und der Verschiedenheiten der angeführten Beispiele etwas Näheres
über die Art dieser Abläufe erfahren können.
Es wird uns hier die Tatsache nicht weiter beschäftigen, daß wir das eine
Mal eine Funktionseinschränkung des Ichs (Arbeitshemmung, Potenzstö*
rung), das andere Mal eine neurotische Störung der Persönlichkeit als End*
resultat im Ich beschrieben haben; auch die Neurose fängt mit einer Ein*
schränkung der normalen Ich*Fähigkeit an, indem das Ich zur Verdrängung
einer Triebregung oder zu sonstigen Abwehrmaßnahmen gezwungen wird.
Anderseits kann auch eine Hemmung zum Symptom werden. Für unser
Studium bleibt es zunächst gleichgültig, ob es bei einer bloßen Beeintrjäch*
tigung des Ichs bleibt, oder ob der weiter fortschreitende Prozeß der Kom*
promißbildung zwischen Ich und Es in Form neurotischer Symptome dazu*
kommt. Sehen wir uns nun unsere Frage noch einmal näher an.
Der ungehinderte Ablauf von Triebregungen kann eine Störung im Ich
hervorrufen, die gleiche Störung kann Folge der Verhinderung der Trieb*
abfuhr sein. Mit anderen Worten: Man gewinnt den Eindruck, daß es einen
Zustand geben müsse, der eine optimale Wirkung der Triebregung auf dasi
Ich darstellt. Unwillkürlich drängt sich der Vergleich mit der Wirkung be*
stimmter Pharmaka auf den Körper auf. Wir wissen, daß mancher Stoff in
kleiner Dosis anregend, fördernd auf bestimmte Körperfunktionen wirkt,
während größere Quantitäten desselben Stoffes zu einer Lähmung, ja zu
einem völligen Stillstand derselben Funktionen führen können. Es scheint
sich auch bei unserer Problemstellung des seelischen Geschehens um eine
Quantitäts*, eine Intensitätsfrage zu handeln. Für die Funktionsfähigkeit des
Ich ist es entscheidend, welche Intensität einer Triebregung zur Befriedigung
gelangt.
Diese zur Abfuhr kommende Intensität ist ihrerseits wieder von verschie*
denen Faktoren abhängig, erstens von der absoluten Intensität des Triebs,
zweitens von den realen Möglichkeiten, die zur Unterbringung dieser Inten*
sitäten gegeben sind. Letztere werden von mehreren Momenten bestimmt.
Die Situation in der Außenwelt sowohl wie die innere Gestaltung der Per*
Hemmung und Narzißmus 203
sönlichkeit, also die relative Stärke, resp. Schwäche des Ichs und des Über*
Ichs gegenüber dem Triebanspruch sind hier die ausschlaggebenden Faktoren;
es handelt sich also letzten Endes um Quantitätsfragen, allerdings auch rela*'
tiyer Natur. Mir scheint, daß sich hier ein weites, interessantes und höchst
wichtiges Forschungsgebiet eröffnet. Dem Quantitäten*Problem dürfte eine
überragende Rolle in dem Verständnis von seelischen Abläufen zukommen. 2
Leider bringt uns diese Erkenntnis vorläufig nicht viel weiter/Solange
uns keinerlei Mittel, die Triebintensitäten zu bestimmen, zur Verfügung
steht 3 , können wir mit dieser Erkenntnis nicht viel anfangen. Es bleibt uns,
bloß die Möglichkeit der Beschreibung der Vorgänge und einer Schlußfolge*
rung über das Verhältnis der verschiedenen Kräfte zueinander post factum.
Wir empfinden es in der analytischen Arbeit immer als störend, daß uns
die Bestimmung der Intensitäten, auch der relativen, unmöglich ist und wir
nur mit ganz unzulänglichen Eindrücken und Schätzungen arbeiten können.
Die Erkenntnis, daß die abundante masturbatorische Triebabf uhr „toxisch"
auf die Ich*Funktionen wirken und zur Arbeitshemmung führen kann, gibt
uns, wie wir gesehen haben, noch gar keine Berechtigung zu erwarten, daß
eine solche Hemmung fehlen müsse, wenn keine Onanie betrieben wird.
Auch ein Zuviel an Beherrschung oder Unterdrückung des Triebanspruchs
kann denselben lähmenden Einfluß auf die Ichfähigkeiten ausüben, wie uns
das oben angeführte Beispiel der an Arbeitshemmung leidenden Patientin
bewiesen hat. Die Bestimmung, wo und wann und bei welchen Intensität»«
Verhältnissen zwischen Triebansprüchen und Ichforderungen ein Optimum
an Leistungsfähigkeit und Freiheit des Ichs erreicht werden kann, ist uns
vorderhand noch völlig unmöglich. Auch für das einzelne Individuum gut
dasselbe. Bei unsrem an Impotenz leidenden Patienten sahen wir, daß so*
wohl die starke Unterdrückung als auch die später erfolgte reichliche Abfuhr
seiner aggressiv*sexuellen Regung zur Potenzhemmung führte. Es war vorher
unbestimmbar, welche Quantitäten zur Abfuhr gelangen müßten, um dem
Ich die Verfügung über seine Potenz freizugeben. In der analytischen Arbeit,
die sich letzten Endes diese Befreiung des Ichs zum Ziele setzt, bekommt
man ungemein häufig den Eindruck, daß die Bewältigung triebhafter Pro*
zesse, die dem Bewußtsein bereits voll zugänglich sind, lediglich eine Frage
der Intensität, der Relation zwischen Triebstärke und Ichstärke ist. Außer
für die analytische Praxis ist dieser Gesichtspunkt von großer Bedeutung
für das Studium der Entwicklung des Kindes und die sich daraus ergebenden
Gesichtspunkte für die Erziehung.
2) In einer vorläufigen Mitteiljung in Band XXI der Int. Ztschr. f. Psa. entwickelt
L. fcidelberg einige interessante theoretische Überlegungen über „Das Problem
der Quantität in der Neurosenlehre", welche jedoch die von mir behandelten Fragestel*
lungen kaum berühren.
3) Ein interessanter Versuch Bernfelds zur Ausarbeitung einer Libidometrie hat
vorläufig noch keine für uns verwendbaren Resultate gebracht.
204 Jeanne Lampl>de Grooi
Bereits vor Jahrzehnten machte Freud* darauf aufmerksam, daß zu
starke Verwöhnung zur Neurosenbildung führen könne, obwohl eines der
frühesten Ergebnisse der Psychoanalyse gerade gezeigt habe, daß Verdrän*
gung und Unterdrückung von Triebregungen Ursache der Neurosen sind.
Es war dann AnnaFreud, die zuerst mit großem Nachdruck vor der Gefahr
warnte, aus diesen letzteren Ergebnissen für die psychoanalytische Pädagogik
den Schluß ziehen zu wollen, daß man durch Vermeidung von Verboten und
Geboten, die zur Triebeinschränkung führen, ein Kind vor Entwicklungs*
Störungen behüten könne. Sie zeigte, daß zuviel Gewährenlassen bedenkliche
neurotische oder CharakteroStörungen im Kinde hervorrufen kann. Die ana*
lyrische Pädagogik mußte sich also auf ein Kompromiß einstellen und den Er*
ziehern den Rat erteilen, den Mittelweg zwischen Gewährenlassen und Vec
sagen einzuhalten. Dabei stößt sie aber auf dieselbe Schranke, die wir, wig
oben ausgeführt, auch in der analytischen Praxis als so störend empfinden,
nämlich auf unsre Unfähigkeit, Quantitäten im Psychischen zu messen. Es
ist auch bei der Erziehung niemals möglich, die Intensität der Triebregung,
die man zur Befriedigung zulassen oder die man von ihr ausschließen will,
zu bestimmen, so daß man die Wirkung der einen oder der anderen er*
zieherischen Maßnahme auf das Ich nicht genügend voraussehen kann. Erst
das Resultat nach' dem abgelaufenen Prozeß lehrt uns einiges über diese
Verhältnisse. Die theoretisch sehr schöne und richtige Formulierung Robert
Wälders 5 , die Erziehung müsse „ein Maximum an Liebe und ein Ma*
ximum an Belastung des kindlichen Ichs" zum Leitsatz nehmen, verliert
durch obige Erkenntnis gleichfalls bedeutend an praktischem Wert. Wie
läßt sich bestimmen, was beim einzelnen Kind das Maximum an Liebe ist,
das es schadlos erträgt, welche Belastung an Versagungen können wir jeweils
dem kindlichen Ich zutrauen, ohne es Schädigungen auszusetzen? Wir wissen
es nie vorher, und jeder, der sich praktisch mit Kindererziehung befaßt,
weiß, wie groß die Schwierigkeiten sind und wie oft die Erwartungen sich
nachträglich als unrichtig erweisen.
Ich möchte nun unsre bisherigen Ueberlegungen zusammenfassen.
Die analytische Erfahrung lehrt uns, daß die Intensität eines Triebablaufs
für die Wirkung dieser Triebregung auf die Ichfähigkeiten von hoher Be*
deutung ist. Man gewinnt den Eindruck, daß es eine von uns noch nicht be*
stimmbare Intensität (Quantität) gibt, die eine optimale Wirkung auf das
Ich' ausübt; ein Mehr und ein Weniger wirken sich in Störungen oder Läh*
mungen des Ichs aus.
Eine nächste Überlegung lehrt, wie oben bereits erwähnt, daß es sich
hierbei selten um absolute, öfters um relative Quantitäten handelt, d. h. für
ein bestimmtes Ich ist das Verhältnis seiner eigenen Stärke zur Intensität des
4) F r e u d : Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Ges. Sehr., Bd. V.
5) Vorgetragen auf der „Vierländextagung" in Wien, Pfingsten 1935.
Hemmung und Narzißmus
205
Triebvorgangs maßgebend. Man darf bei dieser Ueberlegung nicht vergessen,
daß die Begriffe „Stärke" und „Schwäche" des Ichs natürlich ebenfalls nicht
meßbare Größen sind und nur als Relation zu den Einflüssen von anderen
Instanzen sinnvoll werden. Das „Weniger" der Triebintensität, wovon eben
die Rede war, setzt nicht immer eine absolute Triebschwäche voraus, sondern
kann bedeuten, daß nur eine geringe Quantität der Triebregung zur Abfuhr
kommt. In dem oben angeführten Fall des jungen Mädchens mit der Arbeits*
hemmung ist das Ich in gewisser Hinsicht stärker als das Es, da es ihm gelingt,
die Triebabfuhr zu hemmen, die dazu nötige Verdrängung zu leisten. Das
Ich zeigt aber seine relative Schwäche dem Es gegenüber darin, daß es sich
die Arbeitshemmung gefallen lassen muß. Es ist ohne weiteres ersichtlich,
daß in dem anderen Fall, in dem der abundanten Onanie, die Unfähigkeit der
Beherrschung der Triebregung von vornherein eine relative Ichschwäche im
Verhältnis zur Triebintensität voraussetzt.
Ein anderes Problem, das uns allerdings auf ein Nebengeleise führt, möchte
ich hier kurz erwähnen. Man kann sich die Frage vorhalten: Wie benimmt
sich ein bereits geformtes Ich gegenüber einer absoluten Steigerung der bis»
her bestehenden Triebintensität? Solche absolute Triebsteigerungen scheinen
in bestimmten Lebensperioden normaliter einzutreten, z. B. in der Pubertät, in
der Menopause, vielleicht auch in anderen Lebensabschnitten unter dem Ein*
fluß körperlicher Prozesse oder bestimmter pharmakologischer Wirkungen.
Über all diese Fragen ist noch so gut wie nichts bekannt, so daß man nur
auf Vermutungen angewiesen ist. Am besten gesichert scheint wohl die An*
nähme, daß die absolute Steigerung der Triebintensität in Pubertät und Me*
nopause zu besonderen Veränderungen im Ich Anlaß gibt. Anna Freud
machte kürzlich auf bestimmte Haltungen des Pubertierenden, z. B. ein
Schwanken zwischen völliger Askese (nicht nur dem Sexualleben, sondern
fast sämtlichen Lebensgenüssen gegenüber) und unbändiger Genußsucht auf*
merksam, dk sie durch diese Intensitätssteigerungen der Triebe erklären will.
Auch die Menopause zeigt eine Intensivierung des Trieblebens, die zu einem
veränderten, unbeherrschteren Benehmen des gesunden Menschen führen
kann. 6 Daß diese Lebensabschnitte besonders zum Ausbruch von Neurosen
und Psychosen und zur Verschlimmerung bereits bestehender seelischer
Krankheiten prädisponieren, dürfte durch diese erhöhten Triebansprüche ver*
ursacht werden. Das Ich muß diesen gegenüber entweder mit einer größeren
Nachgiebigkeit, sei es auch um den Preis von Verschrobenheiten, oder mit
einer Verstärkung der Verdrängung, die einen Krankheitsschub zur Folge
haben kann, reagieren. Der Gesichtspunkt der Triebquantität scheint mir
vor allem auch von Bedeutung für die Erklärung kleiner psychotischer
Schübe, die sich unter Umständen aus der „Gesundheit" heraus oder auf
6) Siehe auch Helene Deutsch: Psychoanalyse der weiblichen Sexualfunktionen.
Int. Psa. Verl., Wien, 1925.
206 Jeanne Lampl«de Groot
dem Boden einer Neurose ohne äußeren Anlaß entwickeln können. Dem
Analytiker sind Fälle bekannt, bei denen nach langer Analyse unvermutet
ein psychotischer Mechanismus, der bisher nicht in Funktion trat, zum Vor*
schein kommt. Nach meiner Erfahrung sind es vor allem paranoide Media*
nismen, denen man da plötzlich' begegnet. Man bekommt dann den Eindruck,
daß die durch' die analytische Arbeit hervorgerufene Lockerung der Ver*
drängung eine Triebintensität frei macht, die vom Ich im Augenblick nicht
bewältigt werden kann, während auch der alte Weg der Verdrängung nicht
mehr gangbar ist. Das Ich wird von Triebansprüchen gleichsam über*,
schwemmt und kann sich nur durch eine neue Taktik, nämlich durch
eine Wendung gegen die Außenwelt helfen. Es fängt an, die Außen*
weit umzudeuten — etwa durch den Projektionsmechanismus, wie es bei
der Paranoia der Fall ist — und entwickelt einen psychotischen Schub.
Insoweit dieser Vorgang nur die Folge einer schnellen und intensiven ana*
lyrischen Einwirkung ist, darf man erwarten, daß er nur von kurzer Dauelr
ist und sich nicht weit von der analytischen Situation entfernt. In einem
solchen Fall denken wir nicht daran, von einer Psychose im klinischen Sinne
zu sprechen.
Ich konnte aber einmal bei einer 50jährigen Frau, die an einer hysterischen
Neurose litt, die Beobachtung machen, daß ein solcher paranoider Schub, der
nach einer zweijährigen Analyse ziemlich plötzlich ohne äußere Veranlassung
auftrat, sich bedeutend über die übliche Dauer hinaus ausdehnte. Die erotische
Wahnbildung der Patientin ließ sich auch nicht vollkommen auf die Situation
der Analyse einschränken und wurde in der weiter fortgesetzten und von Zeit
zu Zeit immer wieder neu aufgenommenen Behandlung nicht ganz bewältigt; sie
blieb im Keim bestehen und flackerte ab und zu wieder auf, obwohl es nie zu
ernsten Konflikten mit der Außenwelt kam und die Patientin sich in der Ge*
Seilschaft behaupten konnte.
Ich meine nun, daß man in diesem Fall an eine durch die Menopause her*
vorgerufene absolute Triebsteigerung denken muß, die das Ich überwältigt und
die alten Mechanismen der gesunden Bewältigung und die der neurotischen
Verdrängung unzureichend machte. In solchen Fällen scheint die Analyse man*
ches abfangen und mildernd wirken zu können, auch wenn sie nicht zu heilen
imstande ist. Leider war ich infolge äußerer Umstände dann nicht mehr in der
Lage, das weitere Schicksal meiner Patientin zu verfolgen. So kann ich nichts
darüber aussagen, ob das Abklingen der Menopause eine Aenderung in ihrem
psychischen Zustand mit sich brachte oder nicht. Ob man auch bei Psychosen,
die außerhalb der großen Lebensabschnitte der physiologischen Steigerung
des Trieblebens ausbrechen, an eine solche Zunahme der Triebintensität,
etwa durch somatische Vorgänge, denken darf, läßt sich vorderhand wohl
noch nicht sagen, aber vielleicht ist ein solcher Gedanke nicht ohne weiteres;
von der Hand zu weisen. Ueber den Einfluß pharmakologischer Stoffe auf
das Seelenleben, die neben Süchtigkeit auch psychotische Zustände hervor*
Hemmung und Narzißmus
207
rufen können, haben Rado und Simmel viel Wichtiges und Aufklärendes
mitgeteilt. Das Problem der eventuellen Triebsteigerung durch' diese Stoffe
und eine „toxische" Wirkung auf das Ich wird bei beiden Autoren nicht
berührt.
Ich kehre nun zu unsrem eigentlichen Thema zurück und wiederhole noch
einmal unsre Annahme, daß es bei einem Triebablauf eine bestimmte Trieb-
quantität geben müsse, die, wenn zur Befriedigung zugelassen, eine optimale
Wirkung auf das Ich ausübe, während ein Mehr und ein Weniger zur Funk-
tionsstörung des Ichs führen müssen. Dabei vergessen wir nicht, daß uns die
Möglichkeit zur Bestimmung solcher Triebquantitäten vorderhand fehlt.
b) Topische Gesichtspunkte.
Wir wollen nun versuchen, noch einmal zusammenzutragen, was uns zur
Erklärung unserer Beobachtungen und damit auch zur Begründung unsrer
Annahme zur Verfügung steht.
Dazu greifen wir vorerst auf unsre Ausführungen über die Beziehung der
Masturbation zur Arbeitshemmung zurück. Wie schon erwähnt, erscheint
es uns verstandlich, daß jemandem, der an abundanter Onanie leidet, der
den größten Teü des Tages mit der Masturbation verbringt, keine oder nur
ungenügende Libido für irgendeine andere Tätigkeit zur Verfügung steht.
Dieses Bdd der Ichlähmung wird nicht viel geändert, wenn der mastur-
batonsche Akt durch bewußte oder unbewußte Phantasien ersetzt wird. Zu
dieser einfachen Erklärung gesellt sich noch eine zweite allgemein gültige,
die uns auch' die fürs Ich lähmende Wirkung der Verwöhnung erklärt: Eine
Übersättigung der libidmösen Wünsche nimmt dem Ich jeden Antrieb zur
Leistung. Freud führte wiederholt aus, daß das Ich den Antrieb zur höheren
kulturellen Arbeitsleistung durch eine Spannung bekommt, die infolge der
nicht vollbefnedigten libidinösen Wünsche entsteht. Bei Übersättigung fehlt
diese Spannung, somit der Antrieb zur Arbeit. Bei der Verwöhnung des
Kindes kommt noch folgendes hinzu: Das Ich bleibt an diese bestimmte
übersättigende Befriedigungsart fixiert, ihm fehlt die Notwendigkeit zur
Weiterentwicklung, eine später einmal sicher auftretende Versagung trifft ein
unvorbereitetes Ich' und versetzt es in eine angsterweckende Gefahrsituation,
die dann wieder zu Hemmung und Neurose führen kann.
Im Falle der bereits zum Symptom gewordenen übermäßigen Masturba-
tion die vom Ich oder Über-Ich nicht mehr sanktioniert wird, kann die
Funktionshemmung durch Angst und Selbstbestrafungtendenzen sekundär
verstärkt werden. Diese nachträgliche Strafwirkung tritt natürlich auch in
Wirkung wenn die Person mehr Aggressionen ausgelebt hat, als das Über-
ich erlaubt.
In „Hemmung, Symptom und Angst" gibt Freud einige Erklärungen
Jeanne Lamphde Groot
für Funktionshemmungen, die sich als Folgen der Unterdrückung von
Triebvorgängen entwickelt haben. Einige von ihnen sind identisch mit den
oben erwähnten, was vielleicht zunächst Erstaunen erwecken könnte. Bei
näherer Betrachtung wird diese Gleichheit aber leicht verständlich, z. B. dort,
wo die zur Hemmung führende Triebunterdrückung weitgehend unter dem
Einfluß des Überolch's vorgenommen wurde. Eine Hemmung kann sowohl
die Strafe für die doch zur Ausführung gelangte verbotene Masturbation.
als auch für die ursprünglich gewünschte, aber verdrängte Triebbefriedigung
sein. Mit anderen Worten: auch die auf die Verdrängung der Onanie
erfolgte Hemmung kann Ausdruck einer Selbstbestrafung sein. Wir sehen
nun unser Problem der Quantitäten plötzlich um eine Determinante kom*
plizierter. Bisher haben wir die relative Triebintensität, also die Triebstärke
im Verhältnis zur Ichstärke, resp. »«schwäche betrachtet. Es ist nun auch das
Kräfteverhältnis zwischen Ich und Übersieh auf einmal in den Vordergrund
getreten. Auch' wenn das Ich dem Trieb (Es) gegenüber relativ stark ist und
die Verdrängung zustande bringt, kann eine relative Schwäche gegenüber
dem Übersieh' das Ich trotzdem zum Verzicht auf die Funktion zwingen.
Wie Freud es ausdrückt: „Das Ich verzichtet auf diese Leistungen, um
nicht in Konflikt mit dem Übersieh zu geraten", so wie es in dem Fall, wo
die Funktion erotisiert war, also zum Vertreter einer verpönten Triebregung
wurde, auf die Leistung „verzichtet, um nicht eine neuerliche Verdrängung
vornehmen zu müssen, um einem Konflikt mit dem Es auszuweichen". 7 Die
Komplizierung der Situation durch die Einbeziehung der Kräfte des Üben*Ichs
wird aber zum Teil wieder durch die Überlegung aufgehoben, daß letzteres
seine Strenge, seine Intensität vom Es her bezieht und also in dem 1 Ausmaß
der Knebelung des Ichs doch wieder von der Triebintensität abhängig ist.
Kurz zusammengefaßt: Die relativ große Triebintensität (oder die relative
Ichschwäche) kann die Funktionen des Ichs hemmen; der Weg, auf dem das
geschieht, ist vom topischen Angriffspunkt abhängig. Siegt das Es auf direkt
tem Weg über das Ich, dann wird man ein „Zuviel" an Triebabfuhr wahr*
nehmen, geht der Prozeß den Umweg über das Übersieh, dann ist ein „Zu*
viel" an Verdrängung der Triebregung zu beobachten. Diese besonders
starke Abhängigkeit vom Übersieh findet bekanntlich ihre Vorgeschichte
in einer intensiven kindlichen Abhängigkeit von den Außenweltobjekten,
resp. von deren Liebe. Welcher Weg gewählt wird, muß also durch die Eni*
wicklung des kleinen Kindes mitbestimmt werden. Hierauf komme ich' später
noch zurück.
Ein zweiter von Freud erwähnter Mechanismus, der zu allgemeiner
Hemmung führt, nämlich die Verarmung des Ichs an verfügbarer Energie,
kann ebenfalls beide Wege gehlen: Zuviel Triebabfuhr — denken wir an
7) Freud: Hemmung, Symptom und Angst. Ges. Sehr., Bd. XI.
Hemmung und Narzißmus 209
unsre Beispiele der abundanten Masturbation oder der Wutanfälle — läßt
dem Ich zu wenig Energie für die Arbeitsleistung. Zu intensive Unter*
drückung der Onanie oder der Aggressionen fordert auch vom Ich so viel
Kraftaufwand, daß für andere Leistungen nichts mehr übrig bleibt. Auch
hier brauchen wir zur Erklärung denselben topischen Gesichtspunkt. Der
Ausgangspunkt des Angriffs gegen das Ich ist im einen Fall das Es, im
anderen Fall das Übersieh.
Bei unsren letzten Überlegungen haben wir vorausgesetzt, daß die Trieb*
Verdrängung auf Geheiß des Über*Ichs (beim Kleinkind natürlich infolge von
Geboten und Verboten der Außenwelt) erfolgt. Es ist gut bekannt, wie
häufig wir uns in unsrer analytischen Arbeit von der Richtigkeit dieser An*
nähme überzeugen können. Ich meine aber, wir haben es mit noch einer
Komplikation zu tun. Nicht in allen Fällen, nicht zutiefst muß das Übersieh
(oder seine Vorstufe, die Elterninstanz mit ihren Verboten) der Motor der
Verdrängung sein.
Um dies klar zu legen, greife ich auf Beobachtungen zurück, die ich bei der
anfangs erwähnten, an Arbeitshemmung leidenden Patientin machen konnte Ich
versprach gelegentlich der ersten Darstellung des Falles, auf die Ur*
sachen zurückzukommen, die die Patientin in ihrem siebenten Lebens*
jähr zum volligen Verzicht auf die Masturbation veranlaßten. Ich konnte
nun folgendes darüber in Erfahrung bringen: Die Patientin erinnerte
wu\?j ei Onanieverbote, auch die Analyse konnte keine solchen aufdecken.
Wohl hatte die Haltung der Umgebung, die, wie üblich, alles Sexuelle geheim*
nisvoll behandelte, dem kleinen Kinde gewiß den Eindruck vermittelt, die Onanie
sei etwas Unerlaubtes. Auch das Bekleiden mit der Hemdhose wurde als Onanie*
verbot aufgefaßt. Es wurde aber in der Analyse bald klar, daß diese milden „Ver*
böte keineswegs ausreichend waren, um den verzweifelten Kampf, den das
kleine Madchen längere Zeit hindurch gegen die Masturbation führte,
zu erklaren. Nach Abbau der Schuldgefühle und der Angst vor dem „Verbot"
blieb die Onaniehemmung noch ziemlich unverändert bestehen. Nach langer
analytischer Arbeit schälte sich dann allmählich die wahre Ursache für diesen
verzweifelten Kampf gegen die Onanie heraus.
Es war dasselbe Motiv, das das kleine Mädchen dann endlich zu einem
volligen, ohne fremde Hilfe errungenen Verzicht auf die Masturbation veran*
laßt hatte und das von F r e u d in der Arbeit „Über die weibliche Sexualität"
angegeben wird. Freud beschreibt es dort als die durch die Wahrnehmung
des Penismangels entstandene Unzufriedenheit mit dem eigenen Genitale,
die eine Entwertung der Funktion nach sich zieht. Diese innere Verfeindung
mit dem Genitale wird zum Anlaß, die Betätigung an ihm aufzugeben. Tiefer*
gehende Analysen bei weiblichen Patienten zeigen uns, wie ungemein häufig
diese Unzufriedenheit der tiefste Grund für die Unterdrückung Ides
Triebablaufs im onanistischen Akt ist. Auch dort, wo, im Gegensatz zum
oben angeführten Fall, strenge Verbote und Drohungen zu mächtigen Angst*
und Schuldgefühlen und durch diese zu Unterdrückung der Onanie geführt
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXU/2 w
210 Jeanne Lampl'de Groot
haben, findet man öfters, gleichsam als Unterlage, außer diesen Anlässen
doch noch jene Kränkung über die „Minderwertigkeit" der Klitoris als weitaus
gewichtigeren Grund zur Unterdrückung der Masturbation. Ja, eigentlich be*
kommt man den Eindruck, daß eine besonders intensive Kränkung über die
eigene Unzulänglichkeit den Angst« und Schuldgefühlen geradezu den Weg
ebnet. 8 Das kleine Mädchen benimmt sich dann (ich zitiere eine Aussage
Freuds) etwa so wie die Ehefrau, die, ihrem Manne untreu, unbeschwert
und schuldfrei ihr Glück mit dem Geliebten genießt, so lange dieses Glück
ungetrübt ist; sobald aber eine Enttäuschung in der Beziehung eintritt, von
den heftigsten Schuldgefühlen geplagt wird. Die Klinik lehrt uns nun noch
einen wichtigen Zusammenhang. Dort, wo die Funktionshemmung des Ichs
die Folge der Unterdrückung der Masturbation aus Gründen der Enttäu*
schüng über die eigene Unzulänglichkeit ist, scheint diese Hemmung viel
intensiver und hartnäckiger, viel schwerer behebbar zu sein als in den Fällen,
wo Über*lch*Forderungen zum Verzicht auf die Onanie gezwungen haben.
Im letzteren Fall kann die Analyse durch Aufheben der Verdrängungen und
eventuelle Milderung der Strenge des ÜbersJchs häufig verhältnismäßig
rasch einen therapeutischen Erfolg erreichen.
Bei der oben erwähnten Patientin konnte die Analyse zwar auch Angst* und
Schuldgefühle abbauen und Verdrängungen beseitigen, die Arbeitshemmung
schien aber zunächst jeder therapeutischen Bemühung zu trotzen. Es gelang dann
erst nach vieljähriger Arbeit, den wahren Grund des Verzichtes auf die Mastur*
bation, die Unzufriedenheit mit der Klitoris, bewußt zu machen; auch die Um»
stände, unter denen diese Unzufriedenheit wirksam geworden war, wurden dann
ans Licht gebracht. Das kleine Mädchen hatte einen Spielkameraden, den sie sehr
intensiv um seinen Penis beneidete, den sie aber bei einem Verführungsversuch
zurückwies. Als sie dann mitansehen mußte, wie andere kleine Mädchen dem
Knaben sexuelle Angriffe erlaubten, bekam sie Reue und warb nun ihrerseits
um seine Gunst. Aber nun verschmähte der Knabe sie, und Eifersucht und Kran*
kung warfen sie in eine Periode intensiver, trotziger und auflehnender Masturba*
tion zurück. Dieser Onanieperiode wurde dann ein Ende bereitet durch den Neid
auf den Knaben, dem sie es ihrem Gefühl nach doch nicht gleich tun konnte, und
sie verzichtete auf die genitale Betätigung aus eigenem Antrieb ohne Hilfe von
außen. Im Unbewußten hieß es aber weiter: „Du kannst nicht onanieren, weil
du keinen Penis hast wie dieser Knabe", was später ersetzt wurde durch den
Satz : „Du kannst nicht arbeiten, weil du nicht das richtige Organ besitzest." Diese
8) Einer mündlichen Anregung Freuds folgend, möchte ich hier auf die Bedeutung
einer ungemein häufig auftretenden Phantasie hinweisen. Ich meine die Vorstellung des
kleinen Mädchens: ich habe einmal einen Penis besessen, er ist mir ab(er als Strafe für
die Onanie weggenommen worden. Es ist gut bekannt, daß diese Phantasie auch dort
auftritt, wo keine direkten Kastrationsdrohungen erfolgten, und daß sie nach Abbau von.
Angst und Schuldgefühlen in der Analyse noch lange und hartnäckig festgehalten werden
kann. Die Erklärung dafür ist die, daß Angst und Schuld offenbar leichter zu ertragen
sind als das Eingeständnis eigener, immer dagewesener Unzulänglichkeit. Die narzißtische
Kränkung scheint schwerer bewältigbar zu sein als die Qual masochistischer Kastrations*
Vorstellungen. Vielleicht eröffnet sich von hier aus ein Weg zum besseren Verständnis des
noch immer ungeklärten Problems des Masochismus.
Hemmung und Narzißmus 211
Erkenntnis an sich genügte noch nicht, um die Arbeitshemmung der Patientin
zu beseitigen. Sie mußte innerhalb der Analyse nach mehr als 20 Jahren die
Masturbation wieder aufnehmen, obwohl das weibliche Liebesleben der Patientin
nach einem Stück Analyse normal geworden war und sie im Sexualverkehr
richtig empfand. Erst als es ihr gelang, durch die Masturbation ebenfalls einen
vollen Orgasmus zu erreichen, fiel die innere Überzeugung „Du kannst nicht
arbeiten, weil du keinen Penis hast und folglich nicht onanieren kannst" weg,
und der Weg zur Arbeitsleistung war freigelegt.
Es scheint aber, daß ein solcher Erfolg in manchen Fällen nicht erreichbar
ist; die Verlörung der Funktionshemmung mit der Unzulänglichkeit der
Genitalbetätigung bleibt dort unlösbar. Eine Beobachtung, die man bei diesen
Fällen machen kann, scheint mir noch von Interesse zu sein. Die Reaktion
des kleinen Mädchens auf ihre selbständig durchgeführte Onanieunter*
drückung scheint regelmäßig die einer starken Entwicklung von Stolz zu
sejn: „Ich habe diese großartige Leistung allein vollbracht". Dieser manchmal
bis zur Überheblichkeit gesteigerte Stolz dient wohl zur Reparation, zur Ver*
deckung der „Minderwertigkeit 4 ', und wechselt auch oft mit depressiv gefärb*
ten Minderwertigkeitsgefühlen ab, wenn die Sicherung durch Überheblich*
keit einen Bruch erleidet. Diese überhebliche Selbstzufriedenheit wird auch
durch die spätere Arbeitshemmung wieder zunichte gemacht.
Wir sehen also: Die zur Funktionsstörung des Ichs führende Triebunter*
drückung erfolgt nicht immer auf Geheiß des Über*Ichs (oder der Außen*
weltsforderungen), sondern kann unter bestimmten Umständen auch vom
Ich ausgehen, und zwar dann, wenn der Triebablauf das Ich an eine Störung
seiner libidinösen Besetzung, an eine Kränkung des Narzißmus, erinnern
würde. Der topische Gesichtspunkt erweist sich hier also weiter als wichtig.
Fassen wir nun zusammen: Freud gibt, wie bereits erwähnt, als Ursachen
für das Entstehen von Hemmungen (das sind Funktionseinschränkungen
des Ichs) zwei Gründe an: als ersten, allgemeinen, eine Energieverarmung
des Ichs, als zweiten die Vorsicht des Ichs. Diese Vorsicht wendet das Ich
dann an, wenn es einen Konflikt mit dem Es oder mit dem
Über*Ich zu vermeiden wünscht. 9 Wir können nun hinzufügen: das
Ich verwendet diese Verzichte außerdem, um sich der unliebsamen Er*
kenntnis der eigenen Unzulänglichkeit, einer Störung seines narzißtischen
Gleichgewichtes zu entziehen. Gerade im letzteren Fall scheint, wie die Er*
fahrung uns lehrt, die Funktionseinschränkung sich besonders hartnäckig der
therapeutischen Beeinflussung widersetzen zu wollen.
V. Störungen des narzißtischen Gleichgewichts.
Wir können nicht umhin, uns nun mit einigen Fragen zu befassen, die
sich uns nach den vorangehenden Erörterungen aufdrängen müssen. Die fol*
9) Freud: Hemmung, Symptom und Angst. Ges. Sehr., Bd. XL
212 Jeanne Lamphde Grooi
genschwere narzißtische Kränkung, die bei unserer Patientin zur Stillegung der
kindlichen Masturbation und damit zur späteren Arbeitshemmung geführt
hat, war die Entdeckung ihrer Penislosigkeit und die dadurch verursachte
Entwertung ihrer damaligen Genitalbetätigung. Die uns interessierenden Pro*
bleme müssen sich 1 nun erstens mit der Frage befassen: Ist dieses Ergebnis
unserer Untersuchung nur ein individuelles Schicksal jener Patientin, oder
darf man ihm eine allgemeine Bedeutung zumessen? Und zweitens: Findet
man ähnliche Zusammenhänge zwischen narzißtischen Kränkungen und Funk»
tionshemmungen auch bei Männern, und welcher Art sind diese Kränkungen?
Zur ersten Frage möchte ich folgendes bemerken:
Die tiefe Durchleuchtung der frühkindlichen Onanieperiode ist eine lang»«
dauernde, mühsame und schwierige analytische Arbeit. Freud wies un*>
längst darauf hin, wie wichtig die Einzelheiten dieses Kampfes zwischen den zur
Onanie drängenden Trieben und den (wohl selten fehlenden) Abwehrkräften
sind. Ob der Kampf Erfolg hat oder mißlingt, ob die Unterdrückung auf
äußere Verbote oder aus inneren Gründen erfolgt, ob sie ganz ohne oder mit
fremder Hilfe gelingt usw. — alle diese Details lassen ihre Spuren in der Ent*
wicklung des Ichs zurück, sie geben eventuell neurotischen Äußerungen, vor
allem aber Charakterbildungen ein bestimmtes Gepräge und können das
spätere Liebesleben des Erwachsenen entscheidend beeinflussen.
Es ist aber auf diesem Gebiet noch vieles unklar und ungesichert, gerade
weil das genaue Studium dieser Einzelheiten zu den schwierigsten Aufgaben
gehört. In mehreren Fällen konnte ich den Freudschen Fund, daß beim
kleinen Mädchen der Verzicht auf die Onanie häufig die Folge ihrer Un*
Zufriedenheit mit der Klitoris ist, bestätigen. Ich fand auch einige Male, daß
eine solche Hemmung der Masturbation zur Ursache einer späteren Arbeits«
hemmung wurde. Trotzdem sind diese Erfahrungen noch recht spärlich, und
die folgenden, aus ihnen hergeleiteten Vermutungen und Schlußfolgerungen
bedürfen gewiß noch der Nachprüfung, sollen also vorläufig bloß als An»
regung aufgefaßt werden.
Mein Eindruck geht nun dahin, daß man bei Frauen, bei denen (Arbeit
und andere) Hemmungen so lange und energisch' der analytischen Beem*
flussung trotzen, zutiefst immer eine solche tiefe Kränkung des Narzißmus
durch die Entdeckung der Penislosigkeit annehmen darf. Man dürfte bei
entsprechend langer und tiefgehender Analyse eine solche auch wohl immer
finden können. Der Ausgang des Kampfes des Ichs mit diesen Antrieben,
die es immer wieder an die Beschädigung seines Narzißmus erinnern, ent*
scheidet über die Entwicklung der Persönlichkeit. Siegt das Ich (und zeigt es
damit seine relative Stärke), dann gewinnt es einen höhen Grad von Selb«
ständigkeit, Energie und Entwicklungsfähigkeit. Der Sieg bleibt unvollkonv
men, wenn zwar die Unterdrückung der Triebforderungen gelingt, das Ich
sich aber eine Schädigung seiner Funktionsfähigkeit gefallen lassen muß.
Hemmung und Narzißmus 213
Diese Hemmung kann auf bestimmte Gebiete (etwa Arbeit, späteres Sexual
leben usw.) beschränkt bleiben oder sich auch nur periodisch bemerkbar
machen. Im letzteren Falle wechseln im späteren Leben Zeitabschnitte von
selbständiger Freiheit und Leistungsfähigkeit des Ichs mit Perioden von Stö*
rung oder sogar Lähmung seiner Funktionen ab, die sich stimmungsgemäß
unter dem Bilde der Depression äußern.
Wo der einmal aufgenommene Kampf mit den triebhaften Versuchungen
ganz mißlingt, ist eine große Abhängigkeit des Ichs vom Es auch für das
spätere Leben zu erwarten.
Es ist nur verständlich, daß der zweite Ausgang, der eine Kompromiß*
bildung zwischen Ich und Es darstellt, recht häufig ist, vorausgesetzt na*
türlich, daß ein starkes Triebleben und auch eine intensivere Aktivität (Mann*
lichkeit) vorhanden sind. Natürlich spielen die äußeren Umstände, Verbote
und Drohungen der Erziehungspersonen und dadurch geweckte Angst* und
Schuldgefühle, wie oben bereits erwähnt, eine zusätzliche, uns seit langem
gut bekannte Rolle, die in manchen Fällen vielleicht die praktisch gewich*
tigere wird. Wie ich schon mitteilte, sind nach meiner Erfahrung die so ge*
lagerten Fälle für die therapeutische Beeinflussung weitaus günstiger.
Wenn wir nun annehmen, daß Störungen des Narzißmus beim kleinen
Mädchen einen so großen Einfluß sowohl auf das Sexualleben als auch auf
die Ichentwicklung ausüben, wenden wir uns unsrer zweiten Frage zu: Wie
sind die Zusammenhänge zwischen Funktionshemmungen und narzißtischen
Schädigungen beim Mann?
Der Vergleich der Entwicklung bei Knaben und Mädchen hat uns manches
über die menschlichen Ähnlichkeiten zwischen Mann und Frau, manches
über die durch die Andersartigkeit der Geschlechter bedingten Verschieden*
heiten zwischen beiden gelehrt. Die Hemmungen, denen wir in den Analysen
männlicher Patienten begegnen, hängen natürlich ebenso wie die der Frauen
mit der Entwicklung des Sexuallebens, also auch mit dem Schicksale der
kindlichen Masturbation zusammen. Uns interessieren hier die Fälle, in denen
es nicht die übermäßige Onanie, sondern deren starke Unterdrückung ist,
die zur Hemmung geführt hat. Bei der vergleichenden Betrachtung dieser
Fälle mit den weiblichen fällt uns zu allererst auf, daß sie an Häufigkeit
zurückstehen. Es war eine sehr frühe Beobachtung Freuds, daß völlige
Unterdrückung der Masturbation beim jungen Mädchen viel häufiger vor*
kommt als beim Knaben in der Pubertätszeit. Der volle Verzicht auf die
Onanie ist beim Knaben seltener, zumindest weniger intensiv und nicht so
endgültig, als man es bei manchen kleinen Mädchen finden kann. Für den
Knaben ist die gefürchtete Kastration — sei es, daß diese von außen
angedroht, sei es, daß sie durch Beobachtung weiblicher Wesen erschlossen
wurde — eine ihm real erscheinende Gefahr; vielleicht ist die Angst vor
dieser Gefahr beim Knaben der häufigste Motor zum Verzicht auf die
214 Teanne Lampl=de Groot
Masturbation. Beim kleinen Mädchen kann man bekanntlich auch an die
Kastrationsangst des Knaben erinnernde Ängste beobachten. Diese sind aber
für es keine realen Gefahren, sondern Ausdruck der Abwehr des nie be*
friedigten Peniswunsches, später des Kastrationswunsches; sie kommen also
erst als ergänzende Verdrängungsfaktoren in Betracht. Der Unterschied zwi*
schien den Vorgängen beim Knaben und beim Mädchen ist also, grob ausge*
drückt, folgender: Beim Knaben ist es Angst vor der drohenden Gefahr
einer narzißtischen Schädigung, beim Mädchen die bestehende narzißtische
Störung, die zum Verzicht lauf die Genitalbetätigung führen. Ich meine, dieser
Unterschied drückt sich im späteren Leben im Fall der Erkrankung in der
Weise aus, daß die bei der Frau als Folgeerscheinung auftretende Hemmung
eine intensivere, zähere, schwerer zu beseitigende zu sein pflegt. Das mann*
liehe Ich kann sich sozusagen eher vor Beschädigung retten, resp. sich leichter
wieder regenerieren, weil die der Störung zugrunde liegende körperliche
„Minderwertigkeit" keine reale, sondern bloß eine befürchtete war. Man
findet für diese Auffassung eine Bestätigung in solchen Fällen, wo in den
ersten Lebenstagen eine Zirkumzision stattfand. Wenn einmal die Entdeckung
des Fehlens der Vorhaut erfolgt, kann diese als partielle „Kastration" wirken
und beim männlichen Kind ähnliche Auswirkungen haben wie die Ente
deckung der Penislosigkeit beim weiblichen Kind, obwohl sie an Intensität
gewiß nachzustehen pflegen. In demselben Sinne kann sich der traumatische
Schock eines in späteren Jahren vorgenommenen operativen Eingriffs am
Genitale auswirken.
Hier wird nun leicht ein Einwand zu erheben sein von denjenigen unter
den Analytikern, die die Bedeutung des Peniswunsches und somit auch die
der Kränkung über die Penislosigkeit beim kleinen Mädchen als eine geringe,
meist sekundär erworbene ansehen (Hörne y, Jones u. a.). Die
endgültige Entscheidung, wer hier im Recht ist, steht vorderhand wohl noch
aus. Ich meine aber, daß gerade das tiefgehende analytische Studium jener
Fälle von Hemmungen und sonstigen Funktionseinschränkungen, die von
dem Schicksal der kindlichen Genitalbetätigung bestimmt wurden, uns zeigt,
wie mächtig, dauerhaft und folgenschwer die narzißtische Kränkung durch
den Penismangel in die Entwicklung des Ichs eingreift. Wir dürfen nicht
die Tatsache vergessen, daß auch individuell vor oder während der Geburt
oder im zarten Säuglingsalter erworbene körperliche Schädigungen einen dau*
ernden Einfluß auf die Ichentwicklung ausüben, entweder zu starken Über*
kompensierungen oder zu Hemmungen führen können. Die Adler sehe
Theorie der Organminderwertigkeit ist auf dieser Erfahrung aufgebaut. Die
Beobachtungen lehren jedoch, daß die psychische Bedeutung dieser Schä*
digungen nicht im entferntesten an die der Kränkung durch den Penismangel
beim kleinen Mädchen heranreicht. Ich möchte an eine Aussage Freuds
erinnern: „Das einzige Organ, das wirklich als minderwertig betrachtet wird,
ist der verkümmerte Penis, die Klitoris des Mädchens." 10 Adler hat also,
pars pro toto, ein für die weibliche Entwicklung gültiges Motiv als das
Wesentliche für das ganze seelische Geschehen aufgefaßt.
Es taucht nun die Frage auf, ob es außer der Benislosigkeit beim kleinen
Mädchen noch andere Formen der narzißtischen Kränkung gibt, die zur
Entwertung der Genitalbetätigung und zur späteren Icheinschränkung führen
können. Selbstverständlich lautet die Antwort bejahend. Wir begegnen in den
Analysen von Individuen beiderlei Geschlechtes mit großer Monotonie
immer wieder denselben Klagen aus der Kindheit: Die kränkende Enttäu*
schung der Aussichtslosigkeit der libidinösen Beziehung zu den Objekten, die
Unvollständigkeit der genitalen Ausführung überhaupt, die das Kind beim
Vergleich mit dem Erwachsenen dumpf zu empfinden scheint. Das Kind
will „erwachsen" sein und erleben wie die Großen und stößt immer wieder
auf seine Ohnmacht, es ihnen gleich zu tun.« Diese Kränkung ist eine allge*
mein menschliche und hängt mit dem zweizeitigen Ansatz des Sexuallebens
beim Menschen zusammen. Die erste Blüteperiode der Triebe ist zur Ente
täuschung, zum Untergang bestimmt. Man findet in den Analysen mann?
licher Patienten diese entwertende Enttäuschung öfters hinter der Kastrat
tionsangst als auslösenden Faktor für die Abwendung von der Genitalbe*
tätigung wirksam. Je stärker sie ist, desto zäher ist die Veränderung der
Masturbation und desto unzugänglicher die sich darauf aufbauende neu*
rotische Störung. Bei den Frauen verquickt sich derselbe Vorgang mit der
Enttäuschung über den Penismangel und kann eng mit dieser verlötet sein.
Diese erste Enttäuschung scheint aber doch an Intensität und Wirksamkeit
der Bedeutung des Penismangels nachzustehen.
Immerhin haben wir in diesem allgemeinen Charakter der Aussichtslosig*
keit der kindlichen Sexualbemühungen einen Faktor vorgefunden, der auch
beim Manne als Schädigung seines Narzißmus wirksam ist und zur Funk*
tionshemmung führen kann. Auch hier also ein Verzicht des Ichs, um einer
Mahnung an seine eigene Unzulänglichkeit auszuweichen.
Aber es gibt gewiß noch eine Lebenserfahrung des kleinen Kindes, die
ebenfalls bei Kindern beiderlei Geschlechts zu einer narzißtischen Kränkung
mit schweren Folgeerscheinungen werden kann. Es ist eine alltägliche, gut
bekannte, banale Erfahrung, deren Erklärung uns trotzdem in Verlegenheit
bringen wird. Ich meine die Liebesversagung von seiten des Objektes, die
das Kind auch bei liebevollster und zärtlichster Pflege von seiten der Eltern
(oder Erziehungspersonen) tagtäglich und ununterbrochen empfindet. Die
10) Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse.
Ges. Sehr., Bd. XII.
n) Siehe auch Karen Horney: Die Angst vor der Frau. Int. Ztschr. f. Psa.,
Bd. XVIII, 1932. In dieser Arbeit legt Karen Horney besonderes Gewicht auf eine
Störung des Selbstgefühls beim kleinen Knaben. Ihre diesbezügliche Auffassung weicht
allerdings von der meinen wesentlich ab.
216 Jeanne Lampl=de Groot
Beobachtung dieses Phänomens ist jedem Analytiker, jedem Pädagogen
leicht zugänglich. Die Erklärung, weshalb dieser Liebesverlust (die Nicht*
befriedigung der Liebeswünsche wird tatsächlich als ein Verlust empfunden)
zur Schädigung des Narzißmus führen kann, verlangt unsre Aufmerksam*
keit„ Nach den älteren Schilderungen Freuds (z. B. in „Triebe und Trieb*
Schicksale") wird die zur Objektbindung benötigte Libido dem narzißtischen
Reservoir, in dem ursprünglich alle Libido untergebracht ist, entzogen und
auf das Objekt übertragen. Ein Aufgeben des Objekts hat einen Rückzug
der Libido vom Objekt zur Folge und diese fließt nun wieder dem nar*
zißtischen Reservoir zu. Man würde also bei flüchtiger Überlegung ver*
muten, daß eine Verfeindung mit dem Objekt zur sekundären Stärkung des
Narzißmus führen würde. Beim kleinen Kinde sehen wir aber gerade das
Gegenteil; eine Enttäuschung am Objekt und ein Rückzug von ihm stören
sein narzißtisches Gleichgewicht. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich
aber leicht, wenn wir uns überlegen, daß die Art der Objektbindung des
kleinen Kindes eine andere ist als etwa die des erwachsenen potenten Mannes,
der eine wirkliche aktive libidinöse Besetzung des Objektes vornimmt. Die
kindliche Objektbeziehung ist eine andersgeartete, sie entwickelt sich aus
der körperlichen Abhängigkeit des Säuglings von der Mutter und behält
diese Merkmale des passiven Sichgebenlassens bei. Das Kind läßt sich lieben,
so wie es sich vordem ernähren und pflegen ließ. In meiner Arbeit „Zu
den Problemen der Weiblichkeit" 12 versuchte ich zu zeigen, daß der Kampf,
der im Innern zwischen Libido und Destruktionstrieb geführt wird, das Indi*
viduum dazu nötigt, seinen Narzißmus ständig auf einem bestimmten Ni*
veau zu erhalten, um der Selbstdestruktion zu entgehen. Offenbar ist der
Narzißmus der kindlich noch schwach ausgebildeten Ichorganisation, ob*
wohl vielleicht quantitativ nicht gering, sehr ungefestigt, frei flottierend und
dadurch leicht durch Reize der Außenwelt zu stören. Ich versuchte weiter,
in obengenannter Arbeit auszuführen, daß die passive Zielsetzung des Sich*
liebenlassens zu einer Stärkung des Narzißmus führe und die ersten Objekt*
bindungen also derartiger passiver Natur seien. Jede Enttäuschung in diesen
Beziehungen müsse dann aber eine neue Schädigung des Triebgleichgewichtes
hervorrufen und nun von neuem das passive Sichliebenlassen anstreben. Um
Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich einfügen, daß dieses Sichlieben*
lassen mit starkem aktivem Benehmen von Seiten des Kindes angestrebt wer*
den kann. Die Zielsetzung bleibt aber trotz dieser aktiven Haltung eine
passive und dient zur Verstärkung des narzißtischen Reservoirs der Libido.
Ich meine nun, diese besondere Eigenart der kindlichen Liebe erklärt uns
manches an seinem speziellen Verhalten. Das Kind ist in besonderem Maße
abhängig von dieser Form des Sichliebenlassens und gleichzeitig damit von
ia ) Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XIX, 1933.
Hemmung und Narzißmus
217
dem ersten Objekt, das ihm diese Befriedigungen bei der Ernährung und
Pflege gewährt, also von Mutter oder Pflegeperson. Die Beobachtung des
Säuglings bestätigt diese Annahme; wo das Kleinkind eine Objektbindung
eingeht, ist das Ziel ein passives, ein Sichliebenlassen, Sichbewundernlassen,
Sichpflegenlassen, auch wenn es sich dabei sehr aktiv gebärdet. Die Bindung
ist aber leicht lösbar und wird schnell eingewechselt gegen eine andere, die
mehr von solchen Befriedigungen verspricht. Nur eine Bindung ist zäh und
schier unlösbar, die an die Mutter. Je schwächer die Ich^Organisation ist,
desto stärker muß diese Form der Objektbindung sein. Erst die allmähliche
Stärkung des Ichs läßt eine Lockerung dieser passiven Form der Liebe zu
und ermöglicht eine wirkliche aktive Objektbesetzung. Die endgültige Ge#
staltung dieser aktiven Objektliebe findet wohl erst in der Pubertät statt,
wo die aktive Form der Besitzergreifung des Liebespartners gleichzeitig mit
der körperlichen Reifung des Geschlechtsapparates zum ersten Male möglich
wird. Es drängt sich uns nun von selbst auf, daß die oben beschriebene Form
der kindlichen Liebe gleichzeitig die exquisit weibliche ist. Die banale, alte
Erkenntnis, daß die weibliche Frau in der Liebe so kindlich sei, findet hier
ihre Erklärung. Die Anatomie und die Funktion der Frau bei der Fort*
pflanzung bestimmen sie dazu, das passive Liebesverhalten beizubehalten,
sie findet dabei gleichzeitig einen Ausgleich für ihren geschädigten Nar*
zißmus. Natürlich findet man dort, wo ein Stück Männlichkeit in die
weibliche Entwicklung der Frau miteingeht, auch bei ihr aktive Liebe
zum Partner. Ebenso bleibt beim Manne mehr oder weniger von den pas«
siven Zielsetzungen in seinem späteren Liebesleben erhalten. 13
Ich kehre nun zur frühen Entwicklung des Kindes zurück und meine, daß
seine relative Ichschwäche die große, passiv gerichtete Abhängigkeit von
dem ihm Liebe spendenden Objekt verursacht und es gleichzeitig so emp*
findlich macht gegen Liebesenttäuschungen, die ihm untragbare Kränkung
des Narzißmus bedeuten müssen. Versagungen sind dem Kinde nicht nur
einfach schmerzvoller Liebesverlust, sondern sie können außerdem eine Stö*
rung im inneren Triebgleichgewicht durch die Beschädigung der narzißtischen
Besetzung des Ichs verursachen. Auf diesem Wege können also Triebabläufe,
die durch mangelnde Befriedigung von Seiten der Objekte gestört werden,
eine ähnliche Wirkung haben wie eine direkte narzißtische Kränkung, etwa
die Entdeckung des Penismangels beim kleinen Mädchen.
Nun dürfte für die Weiterentwicklung der Persönlichkeit viel davon ab*
hängen, wo der Angriffspunkt dieser nie fehlenden Triebversagungen liegt.
13) Es ist selbstverständlich, daß diese knappe Schilderung einiger Eigentümlichkeiten
des menschlichen Liebeslebens in keiner Weise der Kompliziertheit und Vielfältigkeit
der Liebes* und Verliebtheitserscheinungen gerecht wird. Es werden hier nur einige
Besonderheiten hervorgehoben, die uns das Verständnis für die Wirkung von Liebes*
enttäuschungen auf den Narzißmus erleichtern können.
218 Jeanne Lampl»de Grooi
Spielt sich die Störung der Triebbefriedigung hauptsächlich zwischen Ich
und Objektbeziehung ab, ist es also einfach Angst vor Liebesverlust, die
zu Verzicht oder Verdrängung führt, dann darf man andere, weniger tief«»
greifende und leichter rückgängig zu machende Auswirkungen erwarten, als
wenn die Störung mehr die narzißtische Ichbesetzung lädiert hat; etwa ahn«
lieh, wie wir es bei der Unterdrückung der kindlichen Masturbation gesehen
haben: geschieht diese aus Angst vor den Erziehungspersonen, also aus Angst
vor dem Verlust ihrer Liebe, oder aus Angst vor dem Übersieh (Schuldgefühl),
dann sind die nachfolgenden Hemmungen anders geartet und der Beein«
flussung leichter zugänglich, als wenn die narzißtische Kränkung des Penis«
mangels zu dieser Unterdrückung geführt hat. Wir bemerken, .„daß neben
der Bedeutung der im ersten Abschnitt hervorgehobenen Quantitätsfrage
auch der topische Gesichtspunkt von großer Wichtigkeit ist.
Dieser einfache Sachverhalt erscheint nun aber in der Praxis wieder kom«
plizierter, wenn man sich überlegt, daß es nur einige Anlässe narzißtischer
Kränkung gibt, die ein selbständiges Dasein unabhängig von der Notwendig«
keit der Objektbeziehungen führen. Es sind diejenigen, die auf der Un«
zulänglichkeit der Genitalbefriedigung des kleinen Kindes im allgemeinen
und der „Minderwertigkeit" der Klitoris des weiblichen Wesens im beson«
deren beruhen.
Die übrigen von uns beschriebenen Ursachen für narzißtische Störungen
sind eng mit den Objektbeziehungen verknüpft und praktisch oftmals
unlösbar mit ihnen verlötet. In der analytischen Behandlung äußert sich
das so, daß man den Eindruck erhält, die einen hätten erst durch die Unten»
Stützung der anderen ihre pathologischen Wirkungen entfalten können. Ich
greife noch einmal auf die Geschichte meiner Patientin mit der Arbeitshem*
mung zurück und erinnere daran, daß die Unterdrückung der Masturbation,
die sie infolge einer tiefen Verfeindung mit ihrem „minderwertigen" Organ
vornahm, erst nach einer Periode allerdings trotzig verstärkter Onanie
erfolgte in der Liebesenttäuschung und Schmähung von sehen ihres kleinen
Spielkameraden einen starken Einfluß ausüben mußten. Hier taucht nun so«
fort ein kritischer Einwand auf. Müssen wir nicht vielleicht den Gegnern
doch Recht geben, die behaupten, die Bedeutung des Penisneides sei für
das kleine Mädchen nur geringfügig, möglicherweise sekundär durch patholo«
gische Vorgänge verstärkt, aber als primärer Faktor von Freud und vielen
anderen weit überschätzt? Könnte es z. B. bei unserer Patientin vielleicht doch
bloß die nachträgliche Wirkung der Verschmähung gewesen sein, die zum
Verzicht auf die Masturbation führte, und weniger jene von mir beschrie«
bene, aus dem Penisneid entstandene Entwertung des eigenen Genitale? Diese
Frage erscheint umso berechtigter, als wir ja das Zusammentreffen beider
Faktoren so gut kennen in den Fällen, wo das kleine Mädchen ihren Penis«
neid bei der Beobachtung eines jüngeren Bruders, den sie entweder mit
Hemmung und Narzißmus
219
Recht oder mit Unrecht von der Mutter gerade wegen des Penisbesitzes mehr
geliebt glaubt, erwirbt. Hier verschmelzen Liebesenttäuschung und Eni»
täuschung über eigene genitale Minderwertigkeit wirklich so miteinander, daß
man die Wirkung beider Erlebnisse tatsächlich nicht mehr zu unterscheiden
vermag.
Beim Versuch, diese Frage zur Entscheidung zu bringen, muß ich trotzdem
wiederum für die Freudsche Auffassung Partei nehmen. Obwohl ich in
der Analyse meiner Patientin von der folgenschweren Wirkung der früh*
zeitig erfolgten Verschmähung durch den kindlichen Verführer stark be*
rührt wurde und mir auch die Bedeutung der narzißtischen Kränkung durch
diese Liebesenttäuschung nicht entging, zeigten die genauere Durchforschung
dieser Lebensperiode und last not hast die Reaktion der Patientin auf die
verschiedenen analytischen Enthüllungen meines Erachtens unzweideutig, daß
das ausschlaggebende ätiologische Moment für ihre neurotische Störung in
dem Penisneid und der daraus erwachsenen Verfeindung mit ihrem Genitale
zu suchen war. Der Periode der Verschmähung folgte ein Aufblühen ihrer
masturbatorischen Tätigkeit. "Gleichzeitig fand eine Verdrängung ihrer weib*
liehen Wünsche und eine Verstärkung ihrer Männlichkeit statt. Erst als die
Aussichtslosigkeit, je den Peniswunsch zu befriedigen, allmählich akzeptiert
werden mußte, erfolgte der Verzicht auf die Genitalbetätigung. Die therapeu*
tischen Resultate bestätigten diese Zusammenhänge vollauf. Die erste Periode
der Analyse deckte die völlig verdrängten Verführungs* und Verschmähungs*
szenen auf, deren Durcharbeitung die Patientin von ihren Sexualhemmungen
befreite und sie in ein normales weibliches Liebesleben einführte. Die Ar*
beitsstörungen aber trotzten, wie gesagt, anfänglich den therapeutischen Be*
mühungen; erst einer langdauernden und mühsamen Arbeit gelang es, die
Einzelheiten jener trotzig auflehnenden Masturbationsperiode ans Licht zu
bringen und die Erinnerung an die schmerzvoll kränkende körperlichte
Zurücksetzung, an die Wucht des Penisneides zu beleben. Erst nach Bewäl*
tigung dieser narzißtischen Kränkung gewann die Patientin die Fähigkeit zu
masturbieren zurück und verlor anschließend ihre Arbeitsstörung. Auch
andere Erfahrungen scheinen für die elementare Bedeutung des Penis*
Wunsches im Leben der Frau zu sprechen. Bei der Entwicklung zur aus*
schließlichen, vollen Weiblichkeit verliert der Peniswunsch alsbald seine
Wichtigkeit. Dort, wo eine starke Männlichkeit vorliegt, scheint er von über*
ragender Bedeutung zu sein. Der Penis ist der Träger männlicher, aktiver
Tendenzen, und das Fehlen dieses Organs erschwert die Abfuhr dieser Ten*
denzen und beeinträchtigt die Ichorganisation im Sinne einer unbewältig*
baren Schädigung des Narzißmus. Es darf hier nicht unerwähnt bleiben,
daß die der Aktivität so nahe stehenden aggressiven Regungen sich an*
scheinend ursprünglich auch eine Abfuhr mittels der Masturbation suchen.
In der „männlichen" kindlichen Onanieperiode meiner Patientin wurden in
220 Jeanne Lampl=de Groot
ihrer trotzig auflehnenden Genitalbetätigung und der begleitenden Phantasie
gewiß viele Rachegefühle und feindselige Regungen untergebracht. Der Ver*
zieht auf die Masturbation versperrte auch diesen Aggressionen den Weg.
Dem kleinen Kinde bleibt nichts anderes übrig, als solche gehemmte Aggres*
sionen nach innen zu wenden. Wie ich bereits in meiner Arbeit „Zu den
Problemen der Weiblichkeit" zu zeigen versuchte, stören solche gegen die
eigene Person gewendete aggressive Regungen das innere Triebgleichgewicht,
die libidinöse Ichbesetzung wird bedroht, die narzißtisch*passive Abhängig*
keit vom Objekt (oder Übersieh) nimmt wieder zu, und die Gefahr einer
neuerlichen narzißtischen Kränkung durch Enttäuschung (oder Schuldge*
fühl) wächst. N u n b e r g machte bereits auf diese Vorgänge in etwas anderem
Zusammenhang aufmerksam.
Eine letzte wichtige Frage scheint nun zu sein: Wann wirkt eine Versagung
von seiten des Objekts bloß als Liebesverlust, wann auch (oder mehr) als
narzißtische Schädigung?
Außer von den oben bereits erwähnten Intensitäten der Triebforderungen
dürfte das abhängig sein von dem Alter, in dem diese Versagungen in der je*
weils besonderen Art zur Auswirkung kommen. Treffen sie den Säugling in
den ersten Lebewochen oder *monaten, wo das Ich noch vollkpmmen unge*
festigt ist, so erscheint die narzißtische Störung fast unvermeidlich, sei es nun,
daß die Entbehrungen körperlicher Natur sind (Hunger, schwere Krankheiten,
mangelnder Kälteschutz usw.), sei es, daß sie sich bei dem ersten Auftreten see*
lischer Beziehungen zur Mutter als Mangel an Versorgung, Pflege, Zärtlich*
keit äußern. Wenn das frühe Säuglingsalter verhältnismäßig störungsfrei,
gesund und befriedigend verläuft, scheint die Möglichkeit, daß eine genügend
starke narzißtische Ichbesetzung und damit eine gesündere Ichentwicklung
erfolgt, größer zu sein. Im späteren Kindesalter auftretende Versagungen und
Traumata dürften eher als Liebesverlust empfunden und dann leichter und
schneller überwunden werden können.
VI. Zusammenfassung
Als Resultat unserer Untersuchung möchte ich nun folgende Zusammen*
hänge festhalten:
Es scheint bei jedem seelischen Triebablauf eine bestimmte (vorderhand
unmeßbare) Triebintensität zu geben, die eine optimale Wirkung auf das Ich
ausübt, d. h. dem Ich ein Maximum an Leistungsfähigkeit gestattet, wenn
sie zur Befriedigung gelangt.
Die Abfuhr einer über dieses Optimum hinausgehenden Triebquantität
verursacht eine „Vergiftung", eine Lähmung des Ichs, sie überflutet es derart,
daß seine sonstigen Funktionen lahmgelegt werden. Diese Wirkung findet
Hemmung und Narzißmus 221
ein Analogem in der Giftwirkung, die ein bestimmtes Quantum eines Phar*
makons auf den Körper ausüben kann.
Anderseits stößt man dort, wo die Abfuhr einer Triebregung auf eine
unter diesem Optimum gelegene Triebintensität beschränkt bleibt, auf eine
gleichartige lähmende Beeinflussung der Ichtätigkeit. Ein somatisches Ana*
logon zu diesem Vorgang findet man in der Tatsache, daß von manchem Stoff
ein bestimmtes Quantum in Wirkung treten muß, um eine optimale Körper*
leistung hervorzurufen. Störungen in der Ichfunktion wird man also dort er*
warten dürfen, wo diese optimale Intensität der Triebabfuhr nicht erreicht
wird. Ob dies geschieht, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
I. Der erste Faktor ist die absolute Triebintensität. Wird diese durch nor*
male oder pathologische körperliche Prozesse (Pubertät, Menopause, körper*
liehe Krankheiten) gesteigert, so wird eine Überschwemmung des Ichs und
eine Störung seiner Funktion die Folge sein. Bleibt die absolute Triebinten*
sität von vornherein unter einem bestimmten Niveau, so darf man annehmen,
daß dem Ich überhaupt die Möglichkeit zur normalen Entwicklung fehlt.
IL Der zweite Faktor ist die relative Triebintensität, d. h. das Verhältnis,
das zwischen Trieb* und Ichstärke besteht.
Steht einer bestimmten Triebquantität ein relativ schwaches Ich gegen*
über, so wird es vom Es überflutet (ähnlich wie bei der absoluten Trieb*
Steigerung).
Begegnet der Triebanspruch einem relativ starken Ich, so kann es zu
zweierlei Endresultaten kommen.
a) es gelingt dem Ich, die Triebbefriedigung bis auf jene Intensität zuzu*
lassen, die ihm eine optimale Leistungsfähigkeit verschafft;
b) das Ich schießt über sein Ziel hinaus und unterdrückt zu viel der Trieb*
intensität, wodurch Funktionsstörungen entstehen.
Das Ich wird zu dieser übermäßigen Kraftleistung veranlaßt:
1. um einem Konflikt mit dem Es auszuweichen, etwa dort, wo die in
Frage stehende Triebregung mit einer anderen schädlichen, verpönten oder
peinlichen Regung unlösbar verknüpft ist;
2. um einen Konflikt mit dem Über*Ich zu vermeiden (aus Schuldgefühl,
Gewissensangst) ;
3. um einer Störung des Narzißmus vorzubeugen oder eine narzißtische
Kränkung zu verleugnen.
Wir sehen, hier entscheidet nicht mehr lediglich die Frage der relativen
Intensitäten darüber, ob eine optimale Funktionsleistung des Ichs erreicht
wird oder nicht, sondern es kommt ein dritter Faktor zur Geltung, nämlich:
III. der topische Angriffspunkt der Triebwirkung.
Dieser Faktor ist wieder einem somatischen Vorgang zu vergleichen.
Manche Stoffe wirken nur auf bestimmte Körperpartien, etwa auf bestimmte
Gehirnregionen oder auf die Herzmuskulatur, vergiftend, während sie
222 Jeanne Lampkde Groot: Hemmung und Narzißmus
andere Körperteile unversehrt lassen. So kann es vorkommen, daß eine Trieb*
regung an sich quantitativ vom Ich schadlos bewältigt werden könnte, wenn
sie nur nicht gerade ihren Angriffspunkt an einer bestimmten Stelle der Ich*
Organisation ansetzen würde, z. B. an der Beziehung des Ichs zu seinem etwa
besonders strengen Übersieh, oder an einem Punkt, der die narzißtische Be#
setzung des Ichs besonders gefährdet. Gerade letzterer Möglichkeit haben
wir besondere Bedeutung beimessen müssen. Wir meinen, daß eine Trieb*
regung, die der übermäßigen Unterdrückung anheimfällt, gerade weil sie
dazu geeignet ist, eine narzißtische Kränkung hervorzurufen (oder eine be*
stehende zu unterstreichen), mit einem besonders starken Kraftaufwand vom
Ich verdrängt wird und daher besonders schwer wieder aus der Verdrängung zu
lösen ist. Das Ich muß aber diesen an sich so gut gelungenen Skg öfters jmit
einer außerordentlich zähen und schwer beeinflußbaren Beschränkung seiner
Fähigkeiten bezahlen. Es scheint, daß eine unbeschädigte libidinöse
Besetzung des Ichs die erste und wichtigste Bedingung für die psychische
Gesundheit ist. Allerdings darf dieser Narzißmus kein starrer, unbeweglicher
sein (wie etwa bei der Psychose). Das Ich muß über ein gewisses Quantum
frei flottierender Energie verfügen, weil eine solche die Voraussetzung für
den ungestörten Verkehr mit der Außenwelt bildet. Aber unter dieser Be*
dingung verschafft der unbeschädigte Narzißmus dem Ich eine innere und
äußere Freiheit und Unabhängigkeit, durch die es zur höchsten Leistungs*
f ähigkeit emporgeführt werden kann.
■
Ausnahmen von der analytischen Grundregel 1
Von
R. Laforgue
Paris
M.D.u.H. ! Es ist Ihnen allen bekannt, daß wir die „Grundregel" der psycho*
analytischen Behandlung jene Vorschrift nennen, die wir unseren Patienten
auferlegen, nämlich': alles mitzuteilen, was ihnen während der Behandlung
durch den Kopf geht, uns keinen ihrer Gedanken — welcher Art sie auch
sein mögen — zu verheimlichen.
Diese Vorschrift ist für uns unumgänglich notwendig, um alles, was den
Patienten — bewußt und unbewußt — erfüllt, gründlich zu erfassen.
Meine heutige Aufgabe besteht darin, Ihnen die Fälle vorzutragen, in denen
die strenge Anwendung der Regel unangebracht sein könnte. Zum Schluß
werde ich versuchen, die Richtlinien zu definieren, die uns unsere bisherige!
Erfahrung bei der allgemeinen Anwendung der Grundregel zu befolgen be*
fiehlt.
Sie werden wohl zugeben, daß die Anwendung jeder Behandlungsvor*
schrift eine kluge Anpassung des Therapeuten verlangt, wenn dieser nicht
das genaue Gegenteil des erstrebten Resultates erreichen will. Jede Regel kann
nämlich ad absurdum geführt werden. Bei der Befolgung der Grundregel
wählt der Patient, auch wenn er uns alles, was ihm in den Sinn kommt, sagen
will, selbstverständlich einigermaßen zwischen seinen Gedanken. Er begnügt
sich damit, nichts bewußt zu verschweigen; es passiert ihm aber, daß er, sogar
wider seinen Willen und ohne es sich vorgenommen zu haben, uns nicht alles
sagt. Manchmal merkt er erst später, daß er vergessen hat, uns einen Ge*
danken mitzuteilen, den er uns anzuvertrauen beabsichtigte. Dies ist aber be*
langlos und erlaubt uns sogar, den Widerstand, den manche Gedankenfolgen
bei dem Patienten verursachen können, zu verfolgen.
Durch' die allzu systematische Bemühung, uns alles, was ihn bewegt, zu
sagen, gerät der Analysand am Ende in den Bann dieser Verpflichtung und
befindet sich' nicht mehr in einer Stimmung, die das Aufblühen seiner Ge*
danken begünstigt: so beschäftigt ist er, jeden Gedanken, der ihm durch den
Kopf geht, festzuhalten. Die auf solche Weise durch den Analysanden ange*
wandte Grundregel würde also nicht zu dem von uns gewünschten Resultat
führen.
Es gibt zwei Arten von Patienten, welche uns bei der Anwendung der
Grundregel Schwierigkeiten verursachen können: einmal die Patienten, die
i) Vortrag, gehalten auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in
Luzern am 31. August 1934.
224 R. Laforgue
durch die Erscheinungen ihrer Neurose verhindert sind, der Grundregel zu
gehorchen; dann diejenigen, die ihr bewußt widerstreben.
Unter den ersteren finden wir gewisse Zwangsneurotiker, dann manche
Angst* und Gewissensneurotiker. Es ist Ihnen bekannt, daß die
Zwangsneurotiker bei der Anwendung der Grundregel diese oft illusorisch
machen. Sie versuchen, ihr buchstäblich zu gehorchen; sie wird ihnen zum
Zwang, wodurch jede normale Entwicklung der Gedankenfolgen gefährdet
wird. Ein an Zweifel leidender Zwangsneurotiker ist niemals ganz sicher,
ob er genau das gesagt hat, was er gedacht hat, und ob er wirklich das gedacht
hat, was er sagte. Der Gedanke, er könnte vielleicht nicht alles gesagt haben,
kann ihn tagelang quälen. Während der Behandlung übertreibt er seinen
Eifer, was, wie Sie wissen, nach Talleyrand schädlich ist, wenn man ein
Ziel erreichen will.
Sie kennen diesen Zustand unserer Analysanden. Diese Schwierigkeit ist
klassisch. Der einzige Ausweg besteht darin, auf die zu genaue Anwendung
der Grundregel zu verzichten und dem Patienten zu erlauben, nicht alles zu
sagen. Die Übergewissenhaften, die zwanghaften Zweifler wollen alles zu
gut machen. Wir müssen sie lehren, Zeit zu verlieren, und sie von dem Ge*
danken überzeugen, daß nur eine sehr freie Handhabung der Grundregel'
ihnen ermöglichen wird, ihr — wenn auch nicht dem Wort, so doch dem
Sinn nach — zu folgen.
Eine ähnliche Schwierigkeit macht sich bei manchen Zwangsneurotikern
bemerkbar, die sich fürchten, gewisse Worte zu denken oder auszusprechen,
und die, nachdem ein solches Wort einmal ausgesprochen ist, sich beeilen
müssen, seine von ihnen befürchtete Wirkung durch ein richtiges Zwangs*
ritual zunichte zu machen. Auch in diesen Fällen ist es nicht angebracht, auf
der strengen Anwendung der Grundregel zu beharren. Wenn der Patient von
gewissen Reaktionen befreit ist, wird es ihm möglich sein, seine Gedanken
leichter auszudrücken und die Worte auszusprechen, die ihm wie der
schlimmste Stein des Anstoßes vorkamen. Um ihn von seinen Reaktionen zu
befreien, ist es nicht notwendig, ihn dadurch zu foltern, daß man ihn zwingt,
Worte, die er fürchtet, auszusprechen. Der Analytiker kann die Schwierigkeit
genau so umgehen, wie man im Kriege eine von der Front unangreifbare Stel*
lung von der Flanke her stürmt.
Manchen Angstneurotikern, welche auf Grund ihres Zustandes übertrieben
gewissenhaft sein können, ist es ebenfalls unmöglich, der Grundregel zu
gehorchen. Handelt es sich darum, einen Namen zu nennen, dem gegenüber
sie sich zu einer absoluten Diskretion verpflichtet fühlen, so quälen sie sich
mit der Frage, ob sie das Recht hätten oder nicht, diesen Namen auszuliefern,
und zwar mit der Ausrede, niemandem schaden zu wollen. Sie unterliegen
einer Macht, von welcher sie sich nicht befreien können. Kennt der Psycho*
analytiker die Person, die eine Rolle in ihren Gedanken spielt, so werden sie
Ausnahmen von der analytischen Grundregel 225
plötzlich unfähig, gewisse Tatsachen zu erzählen, die diese Person betreffen,
— Tatsachen, die Assoziationen verursacht haben, welche im Laufe der Be*
handlung hätten erwähnt werden müssen. In solchen Fällen ist es manchmal
schwer zu entscheiden, ob man einen Druck auf den Patienten ausüben darf.
Die unbewußten Ursachen, die eine solche Schwierigkeit hervorrufen, sind ver*
schieden. Das merkt man am besten, wenn man dem Patienten erlaubt, eine
Ausnahme von der Grundregel zu machen, was beinahe immer möglich ist.
Man kann ihm sogar sagen, daß in seinem Falle die strenge Beachtung der
Regel nicht angebracht sei. Eine verständnisvolle Analyse kann in den meisten
Fällen sogar diese Schwierigkeit, die dann mehr den Charakter eines neuro*
tischen Symptomes trägt, zum Verschwinden bringen. Ähnlich ist es, wenn
sich die Patienten weigern, ihren Namen zu sagen. Niemals dränge ich in
solchen Fällen.
Es gibt aber andere Fälle, in welchen der Patient sich bewußt und will*
kürlich, sozusagen prinzipiell, weigert, gewisse Gedanken auszusprechen und
sich der Regel zu unterwerfen. Da befinden Sie sich nicht mehr einem Men*
sehen gegenüber, der gegen eine Hemmung kämpft oder unter einem Angst»
gefühl leidet. Nein, der Patient sagt einfach: „Das sage ich Ihnen nicht", ent*
weder, weil er annimmt, daß es Sie nichts angeht, oder aus irgend einem an*
deren Grunde. Oder er wird einfach die Regel ablehnen, ohne Sie im voraus
davon zu verständigen. Wir müssen gestehen, daß wir durch ähnliche Fälle
manchmal in große Verlegenheit geraten sind, und es sind gerade solche Erf ah*
rungen, die uns veranlassen, Ihnen die vorliegenden Gedankengänge vorzu*
tragen. Überzeugen, kämpfen, sich aufregen, Bedingungen stellen, den Pa*
tienten fortschicken: das alles haben wir versucht, ohne zu einem befriedigen*
den Resultat zu gelangen. Im Gegenteil, Diskussion führt zu keiner Lösung;
Zwang ist auch kein ideales therapeutisches Mittel . . . Also, was dann? End*
lieh, nach manchem unfruchtbarem Versuch und peinlichen Auseinander*
Setzungen, während deren wir oft Freud zur Hilfe riefen, haben wir eine
Taktik eingeschlagen, welche uns, selbst in diesen Fällen, einen gewissen
praktischen Erfolg sichert. Sie ist wohl nicht fehlerfrei und verlangt eine
gründliche Kenntnis der Reaktionen des Patienten, sie erlaubt uns aber,
Diskussionen, Stellung eines Ultimatums u. ä. zu vermeiden. Vor allem er*
Iaubt sie dem Analytiker, nicht aus der Rolle zu fallen.
Sie haben schon erraten, daß diese Schwierigkeiten meistens bei den söge*
nannten „Charakterneurosen" vorkommen. Die besonderen Merkmale dieser
Neurosen bestehen in folgendem: Ihre Widerstände sind nicht durch das
Ablehnen des Symptominhaltes durch das Über*Ich bedingt, wohl aber durch
Charakterwiderstände, d. h. durch das I c h, das es — gewöhnlich aus idealen
Gründen — ablehnt, gewisse Tatsachen der unbewußten Realität anzu*
erkennen.
Es ist also der Charakterwiderstand, der das Hindernis zur Anwendung
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXII/2 15
226 R- Laforgue ____
der Grundregel wird. Daher muß man, um die Schwierigkeit zu überwinden,
den Charakter selbst ändern. Und den Charakter ändert man im allgemeinen,
besonders bei einem stark narzißtisch und anal gerichteten Menschen, nicht
durch einen Befehl oder ein Ultimatum.
Immerhin kann man in vielen Fällen günstige Resultate erreichen. Die will*
kürliche Abneigung des Patienten gegen die Regel mag manchmal einfach ein
Symptom sein, das man durch die Analyse zu überwinden versuchen muß.
Dazu braucht man nicht dem Patienten rücksichtslos entgegenzutreten, son*
dem man muß erst das Symptom richtig erkennen. Und gerade dieses Ver*
ständnis kann uns den Weg zu einer erfolgreichen Behandlung weisen.
Dieses Verständnis zeigt uns vor allem, wie zahlreich die Ursachen sein
können, die sich bei dem Analysanden als ein Ablehnen der Grundregel
äußern. Ich kenne z. B. einen Fall, in welchem dieses Ablehnen das Resultat
eines Kompromisses zwischen dem Wunsch, die Behandlung zu beendigen,
und dem daraus entstehenden Schuldgefühl war. Der Analysand konnte sich
nicht entschließen, die Verantwortung für diese Entscheidung zu über.«
nehmen. Manche Paranoiker sowie manche Homosexuelle reagieren bei fort*
schreitender Behandlung auf diese Art. Das aus diesem Fortschreiten
entstehende Schuldgefühl und Strafbedürfnis kann sich dann bei ihnen in
einer Haltung äußern, die beim Analytiker Affektausbrüche und Verfol*
gungsmaßnahmen provozieren will.
Im Grunde genommen sind manche Patienten durchaus willig, sich Regeln
auferlegen zu lassen, und ihre Schwierigkeiten und Leiden fangen dann erst
an, wenn man versuchen will, sie von diesen Regeln zu befreien. Dies führt
uns zu einer speziellen Kategorie von Neurosen, und zwar zu den söge*
nannten masochistischen. Für diese Fälle gilt im allgemeinen: je strenger die
Regel, desto zufriedener der Patient.
Gewöhnlich wird da die Regel vor allem ein Leid* und Bußmittel der Pa*
tienten. Und gerade dieses Leiden ist nur zu oft das Lösegeld für ihre Weige*
rung, den Weg der Gesundung zu gehen. Oft sagt dann der Kranke mit einer
schamhaften Wollust alles, was ihn demütigt. Die Gedanken, die durch seinen
Geist ziehen, eignen sich prachtvoll dazu. Manchmal zögert er, errötet und
wartet nur auf den Augenblick, wo der Analytiker ihn brutal zwingen wird,
gegen seinen Willen seine Schandtaten zu bekennen. Überließe man ihn
seinem Unbewußten, so hätte er bald den Sprechraum des Analytikers zu
einer regelrechten Folterkammer gemacht. Der Analytiker muß also klug
genug sein, nicht mit seinem Analysanden zu spielen. In solchen Fällen kann
sich der Patient willkürlich weigern, seine Gedanken auszusprechen, nur
in der Hoffnung, den Analytiker soweit aus der Rolle zu bringen, bis dieser
ihn gleichsam mit Gewalt dazu zwingt, die Grundregel anzuwenden.
Es ist überflüssig, Ihnen zu sagen, wieweit dieses Spiel führen kann. Sie
wissen, daß ein Patient den Drang haben kann, eine strafbare Tat zu voll*
Ausnahmen von der analytischen Grundregel 227
bringen, einfach um sein Schuldgefühl zu rationalisieren und sein Strafbe*
dürfnis zu befriedigen. In einem solchen Falle kann, im Gegenteil, das Sich»
weigern, alles zu sagen, soviel wie ein Geständnis bedeuten, und dies mehr
als die längsten Reden. Es ist im allgemeinen wohl ein Fehler, die Behandlung
abzubrechen, nur weil der Patient die Anwendung der Grundregel verweigert;
gerade diese Ablehnung ermöglicht es oft dem Patienten, eine positive psy*
choanalytische Arbeit zu leisten.
Wir sind uns in folgendem Punkte einig: Man muß vermeiden, aus der An*
wendung der Grundregel ein Streitobjekt zu machen. Wirmüssen jedem Streit,
jeder Gewaltsamkeit aus dem Wege gehen. Oft dient nicht nur dieser Kampf
zur Befriedigung libidinöser Wünsche, die die Analyse bewußt machen sollte,
sondern er bildet oft einen unüberwindlichen Widerstand, wenn der Patient
ihn als Vorwand benutzt, um einem Thema oder einer Situation auszu*
weichen. Dadurch, daß man es dem Patienten überläßt, die Grundregel nicht
anzuwenden, wenn er keine Lust dazu zeigt, entzieht man ihm zugleich die
Möglichkeit, Schwierigkeiten zu schaffen und sein Schuldgefühl zu rationa*
lisieren. Durch das Verbot, die Grundregel zu genau zu* befolgen, entzieht man
ihm sogar ein wertvolles Mittel, sich zu quälen oder zu demütigen, und zwingt
ihn, Assoziationen auszusprechen, die er sonst verschweigen würde.
Wir können also manchmal gezwungen sein, Ausnahmen bei der An*
wendung der Grundregel zu gestatten, oder sogar zu empfehlen, ihr nicht
buchstäblich zu folgen, da ihre genaue Anwendung nachteilig sein könnte.
Selbstverständlich wird uns die jeweilige Handhabung der Grundregel
immer durch' das vom Patienten vorgebrachte Material diktiert. Ihre Orien*
tierung folgt dem Widerstand des Analysanden. Unter den Mitteln, durch
die wir den Patienten zur Annahme unserer Richtlinie bewegen, spielt das
Taktgefühl eine große Rolle. Dieses Taktgefühl ist Funktion nicht allein un*
seres Verständnisses der Probleme des Analysanden, sondern auch, des
Herzens — unserer eigenen Stellungnahme der menschlichen Not gegen*
über. Diese Stellungnahme wird nicht einzig durch intellektuelle Prinzipien
bedingt sein, die von manchen überschätzt werden, sondern auch durch das
menschliche Mitfühlen des Analytikers mit dem Leidenden.
Wenn man all diese Faktoren berücksichtigt, gelangt man, glaube ich, zui
einer ziemlich elastischen Anwendung der Grundregel. Schließlich ist die
Grundregel eine reine therapeutische Regel, und der Ehrgeiz des Analytikers
darf in keinem Sinne bei ihrer Anwendung mitspielen. Sie muß sehr locker
angewandt werden — nie engherzig wie ein orthodoxes Gesetz, sondern mit
Klugheit. Das heißt, daß wir uns entschlossen von ihr abwenden müssen,
wenn sie uns hindert, unser Ziel zu erreichen. M. E. kann man eine gute Ana*
lyse machen, auch wenn man dem Analysanden erlaubt, nicht alles zu sagen.
Auf diese Art habe ich eine Frau behandelt, die ein Verhältnis mit einem be*
rühmten Manne gehabt hatte. Das Verschweigen seines Namens hat dem
15*
228
R. Laforgue: Ausnahmen von der analytischen Grundregel
Fortschreiten der Behandlung keineswegs geschadet. Dies genügt, um uns
zu überzeugen, daß wir nicht alles zu wissen brauchen, um unser Ziel zu er*
reichen, und daß es gar nicht nötig ist, einen Patienten mit der genauen Anw
wendung der Grundregel zu quälen.
Blinder Gehorsam des Patienten wie das Beharren des Analytikers auf der
Notwendigkeit solchen Gehorsams können uns gleicherweise von dem ge*
wünschten Ziel entfernen.
Kurz zusammenfassend können wir sagen, daß die Regel weder für den
Patienten noch für den Analytiker unantastbar sein soll. Letzterer muß sich
von jedem Vorurteil frei halten. Er würde sich in den Augen des Patienten
erniedrigen, wenn er alles von der Grundregel abhängig machte, anstatt diese
dem eigenen therapeutischen Ermessen unterzuordnen.
Trotzdem darf man nicht leugnen, daß die systematische Weigerung des
Analysanden, sich der Regel zu fügen, den Fortschritt der Analyse voll*
kommen verhindern kann. Es kann vorkommen, daß man trotz allen Mitteln
die Schwierigkeit nicht überwinden kann und sich gezwungen sieht, die Be=
handlung aufzugeben. Aber solch ein Fall ist nach unserer Erfahrung nur
eine Ausnahme, und wir haben ihn eher bei Psychosen als bei Neurosen be*
obachtet.
Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben 1
Von
Fritz Witteis
New York
I.
Freud lehrt, daß Frauen drei Möglichkeiten haben, sich mit ihrem
Schicksal abzufinden: Sexualhemmung — Vermännlichung — Annahme der
weiblichen Rolle. Die dritte Möglichkeit wird — wie in psychoanalytischen
Arbeiten oft und ausführlich dargestellt — durch das Kind, das die Frau ge*
biert, bedeutend erleichtert; ja, die erste und die zweite Reaktion, die sich in
jeder Frau bis zu einem gewissen Grade entwickeln, werden über den Weg
der Mütterlichkeit zur dritten (normalen) Reaktion übergeführt und mit ihr
verschmolzen. Anderseits sehen wir in Fällen von konstitutioneller oder im
Leben erworbener Sterilität eine Regression zu den beiden ersten Reaktionen
eintreten, die sich in die Formel fassen lassen: Kinder kann ich nicht haben,
also will ich auch kein Weib sein.
Manche Frauen zeigen alle drei von Freud genannten Reaktionsmöglich*
keiten vereint, und das nicht etwa zu verschiedenen Zeiten ihres Lebens, son*
dem gleichzeitig. Gegen den einen, obgleich geliebten Mann kann ein deut*
liebes Sexual*Tabu bestehen, während ein anderer in durchaus weiblicher
Art angenommen wird. Trotz einer Art Treue und sogar masochistischer
Ergebenheit in der Beziehung zu diesem „wirklich"geliebten Manne, besteht
daneben eine messarina*artige Promiskuität mit einem dritten Typus von
Männern, die mehr oder weniger häufig gewechselt werden. Die Persönlich*
keit dieser Männer bedeutet nicht viel. Sie werden als unwichtiges An*
hängsei an einen Penis aufgefaßt. Verwendet werden sie, wie sonst
Prostituierte oder vorübergehende Beischläferinnen vom Manne ver*
wendet werden. Aus diesem Grunde und wegen des aggressiven Wagemutes,
mit dem diese auswechselbaren Männer erobert werden, wäre man geneigt,
diese komplizierten, meistens schönen Frauen maskulin zu nennen, sähe man
sie nicht anderseits vor einem Ehegatten oder die Rolle des Ehegatten aus*
füllenden Manne zittern und erlebte man nicht überdies hysterische Angst*
anfalle, sobald ein zum Tabu ernannter Mann, der gleichwohl eine bedeu*
tende Rolle im Leben der Frau spielt, sexuelle Ansprüche stellt. Der Tabu*
Mann wird ebenfalls gewechselt; aber das geschieht nicht aus dem Willen und
Entschluß der Frau, sondern aus dem des Mannes, der naturgemäß nach kür*
zerer oder längerer Versuchs* und Leidenszeit sein Glück anderswo versucht,
i) Vortrag, gehalten auf dem Kongreß der American Psychiatric and American Psycho*
analytic Associations in Washington, Mai 1935.
230 Fritz Witteis
wo er auf weniger Widerstand stößt. Manche Männer lassen sich dauernd von
solchen Frauen kastrieren, wobei sie noch die rätselhafte Tatsache in Kauf
nehmen müssen, daß die für sie unzugängliche Frau mit anderen scheinbar
hemmungslos sexuelle Beziehungen eingeht. Dem zur Kastration verurteilten
Tabu^Mann Schemen diese anderen weit unter seinem Wert zu sein. Die
geliebte Frau steht nicht an zu erklären, daß sie diesen einen Mann, den sie
sexuell nicht zuläßt, in ihrer besonderen Art mehr liebt als irgend einen
anderen.
Diese dreifältige Situation — Tabu^Mann, Gatte, Beischläfer — wird im Le*
bennoch durch Irrungen und Wirrungen kompliziert, so daß sie sich aus dem
Wust der Erscheinungen nur selten klar herausschälen läßt. Häufig verlieben
sich solche Frauen in einen der nur als Beischläfer gedachten und dem Prin*
zipe nach auswechselbaren Männer. Nennen wir den Tabu^Mann A, den
weiblich und treulich Geliebten B und den Beischläfer C. Wir sehen dann,
daß C zu B werden kann. Der Frau ist dann etwas zugestoßen, was sie nicht
vorausgesehen und sicher nicht beabsichtigt hat. Auch kann sie manchmal
nicht umhin, A zuzulassen, und dann wird A zu B und vorübergehend sogar
zu C. Sie muß ihn nämlich dann los werden, weil B dauernd besetzt ist, und
das geschieht auf dem Umwege über C. Wenn solche Frauen dem Ansturm
des ewig unbefriedigten A unterliegen, sind sie gewöhnlich ganz unglücklich
darüber und versuchen, so schnell wie möglich wieder Ordnung zu machen,
d. h. den seine Grenzen überschreitenden A wieder in seinen Bereich zurückzu*
drängen. Heftiges Schuldgefühl kann in solchen Zeiten bis zum Selbstmord
führen. Falls die Zurückversetzung nicht gelingt, wird der zu C gewordene
A dauernd beseitigt, und ein anderer Mann wird für die quälende Rolle des
A bestimmt. Denn es muß immer A, B und C geben, einer ist ohne die
anderen nicht möglich, wie die Gewehrpyramide aus drei Gewehren be*
stehen muß, wenn sie nicht zusammenstürzen soll.
Im Leben solcher Frauen spielt naturgemäß die Lüge, zu der sie durch ihr
Schicksal gezwungen sind, eine große Rolle. A soll von der Existenz der Kate*
gprie C womöglich nichts erfahren, weil er als Mitwisser schwer haltbar wird.
Wenn er alles weiß und trotzdem ergeben bleibt, — was öfter der Fall ist»
als man glauben sollte — , ist das auch keine richtige Lösung. Denn er spielt
eine Vaterrolle und soll entweder angelogen werden oder empört sein. B wird
ebenfalls in Unwissenheit gehalten, jedoch nur was die Kategorie C anbe*
langt. Auf A wird von der Frau mit Vorliebe hingewiesen, weil A ihre Treue,
Unnahbarkeit und relative Virginität beweist. B soll seinen durch keimenden
Verdacht erschütterten Narzißmus an dem Unglück A's wieder aufrichten.
Ein solches Lügengewebe fällt der Hysterika bekanntlich nicht schwer. Wenn
der beschriebene Typ aber zwangsneurotisch ist, was oft genug vorkommt,
dann muß er die Wahrheit sagen, was das Leben des A und B und natürlich
auch der Frau selbst bedeutend erschwert, während C, der meistens nicht
Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben 231
mehr als ein vorübergehendes Abenteuer sucht, es sich gefallen läßt. Nimmt
man hinzu, daß sich im allgemeinen weder A noch B noch C alles gefallen
lassen, sondern alle drei in ihrem Narzißmus gekränkt und zur Rache bereit
sind, so daß sie ihrerseits in das Leben der Frau eingreifen und sie mit Liebe
und Haß verfolgen, so erkennt man, daß die hier möglichen Kombinationen
unerschöpflich sind.
IL
Gloria F., 30 Jahre alt, aus dem Süden der Union. Vor zehn Jahren hat ,sie
dortselbst ihren Vetter geheiratet. Seit vier Jahren entzieht sie sich ihren „ehe*
liehen Pflichten" und reagiert mit Angstanfällen, sooft der Gatte sich ihr sexuell
zu nähern versucht. Dabei beteuert sie ihrem Manne, daß er ihr bester Kamerad
und auch als Mensch allen anderen überlegen sei. Sie könne ihre Hemmung
weder verstehen noch überwinden. Der Mann liebt seine Frau, kommt aber
dennoch dem Gedanken einer Scheidung immer näher. Bevor er sich endgültig
entschließt, will er alles tun, was möglich ist, um seine Ehe zu retten; deshalb,
soll die Frau analysiert werden.
Beide Eltern sind streng katholisch, das Mädchen wurde wie hinter Kloster«
mauern aufgezogen, so daß sie, als sie heiratete, von den Tatsachen des Sexual*
lebens angeblich nichts wußte. Zum Orgasmus kam es mit ihrem Manne niemals,
sie wußte auch nicht, daß es so etwas gibt. Der Mann war ebenfalls sexuell (recht
unwissend, die Defloration fand erst nach einigen Wochen ehelichen Lebens statt.
Nach etwa zweijähriger Ehe gab die Frau einem Knaben das Leben. Die Geburtwar
durch Hydrocephalus sehr erschwert, der Cervix wurde dabei so arg zuge*
richtet, daß die Ärzte auf künstlicher Sterilisierung (Tubenligatur) bestanden.
Als weitere zwei Jahre vergangen waren, zeigte sich, daß der kleine Georg
schwachsinnig war, nicht laufen, nicht sprechen konnte. Kurz darauf starb er
an einer Kinderkrankheit.
Als all dieses Leid überstanden war, fuhr Gloria zum Besuche ihrer Eltern
nach dem Süden. Auf dem Schiffe — nach Jahren zum erstenmal ohne ihren
Mann — fühlte sie ihren Kummer wie einen Mantel von sich abfallen 1 . Sie war
wieder jung und mädchenhaft, als ob nichts vorgefallen wäre, aber doch nicht
männerscheu wie damals, sondern hungrig nach Vergnügen und Abenteuern.
Die Eltern empfahlen ihr, ein oder zwei Kinder zu adoptieren, damit sie nicht,
kinderlos durchs Leben gehen müsse. Davon erzählte sie ihrem Manne nichts.
Hingegen teilte sie ihm mit, daß sie auf dem Schiffe von einem Manne geküßt
worden sei. Sie berichtete das mit heftigen Schuldgefühlen. Aber ihr Gatte
lachte nur und sagte, er sei froh zu hören, daß sie sich gut unterhalten habe.
Wenn das ein Fehler war, so beging der Gatte bald darauf einen zweiten, der
sich später als verhängnisvoll erwies. Auch er war auf die Idee verfallen, ein
Kind zu adoptieren, und überredete die Frau dazu. Sie bekamen ein Baby zu*
gewiesen, daß sie wie ihr eigenes, das gestorben war, Georg nannten. Zur Zeit
der Analyse war dieses Kind sechs Jahre alt. Gloria behauptete, daß sie den
kleinen Georg zärtlich liebe, daß sie ihn immer geliebt habe und seine Er*
Ziehung ihr eigentlicher Lebenszweck sei. Zu Beginn der Analyse sagte sie, daß
sie sich schon aus dem Grunde nicht scheiden lassen könne, weil ein adoptiertes
Kind viel empfindlicher sei als ein eigenes; sie könne ihrem Georg so etwas
nicht antun. Sie selbst bestehe ja auch sonst nicht auf Scheidung, sondern sei
mit dem Zusammenleben einverstanden, wenn ihr Mann nur die Bedingung
der ,,weißen Ehe" annehmen wollte.
232 Fritz Witteis
Wir nehmen ein Resultat der Analyse vorweg, wenn wir feststellen, daß
Gloria den Vorschlag ihres Gatten ein Kind zu adoptieren als Kränkung emp*
fand. Sie sah darin den Beweis, daß ihr Mann sie für einen Krüppel ansah, weil
sie steril war. Sie hatte erwartet, daß ihr Mann, sogar wenn sie selbst vor*
geschlagen hätte, ein Kind zu adoptieren — und vielleicht hat sie diesen Vor*
schlag wirklich gemacht — , ihr erwidert hätte: „Wir brauchen das nicht. Du
wirst mir Geliebte und Kind und alles sein". Das adoptierte Kind, das im Hause
aufwuchs, war ein stets gegenwärtiger Beweis ihrer Minderwertigkeit.
Kurz nach der Adoption begab sich der Gatte auf eine mehrmonatliche /Ge*
schäftsreise. Als er zurückkehrte, teilte ihm Gloria mit, daß sie einen Geliebten
habe. Er hieß Joe, war ganz jung, etwa acht Jahre jünger als Gloria. Im Ver?i
kehre mit ihm hatte sie zum erstenmal in ihrem Leben den Orgasmus kennengelernt.
Der Gatte ließ sich diesen Partner, den Gloria zärtlich liebte, gefallen — viel*
leicht hatte er Schuldgefühle wegen der Tragödie, die in Glorias Leben voran*
gegangen war, — und nahm auch mit in Kauf, daß Gloria von dieser Zeit an
ihn selbst sexuell nicht mehr zuließ. Im Anfang kam es noch hie und da zu
Geschlechtsverkehr zwischen den Ehegatten, dann gab es bei jedem Annähe*
rungsversuch des Gatten Ohnmachtsanfälle und Angstzustände, so daß der Mann
schließlich stillschweigend verzichtete. In den Beziehungen Glorias zu Joe war
von Anfang an ein mütterlicher Zug deutlich. Sie hatte nun zwei Kinder, von
denen keines ihr eigenes war.
Zwischen ihr und Joe wurde auch die Möglichkeit einer Eheschließung be*
sprochen, aber mit Rücksicht auf Joes Jugend wieder verworfen. Sie sagte ihm
aufrichtig, daß er sich von einer Ehefrau früher oder später Kinder erwarten
würde, und daß sie ihm diesen Verzicht nicht zumuten wolle. Heimlich litt sie dar*
unter, daß Joe die Stichhältigkeit ihrer Gründe scheinbar einsah, wenngleich er
schwach protestierte. Jahre vergingen, und er kam nur selten — und auch dann
ohne Nachdruck — auf den Gedanken einer Eheschließung zurück.
Als das Verhältnis zu Joe ungefähr fünf Jahre gedauert hatte, unternahm
Gloria wiederum eine Reise nach dem Süden und diesmal lernte sie auf dem
Schiffe einen Geschäftsmann kennen, der regelmäßig zwischen dem Süden und
New*York hin* und herfuhr, R o d r i g o, einen Landsmann, der sie in alle Ge*
heimnisse des Sexuallebens einführte, die ihr trotz ihrem Gatten und Joe bis
dahin unbekannt gewesen waren. Rodrigo bedeutete ihr als Mensch nicht viel,
sie liebte weder ihn, noch er sie. Aber er verschaffte ihr Sensationen, orale
Sensationen, die sie in Ekstase versetzten. Als sie nach Hause kam, erzählte sie —
aufrichtig und sadistisch wie immer — sowohl Joe als ihrem Manne von ihrem
Abenteuer, und daß sie es fortzusetzen gedenke, sooft Rodrigo nach Amerika
komme, was etwa einmal im Monat der Fall war. Joe war sehr gekränkt, konnte
aber von ihr nicht lassen, wenigstens nicht sofort, und der Gatte — in Leiden
geübt — hatte ebenfalls weiter nichts zu sagen.
So also hatte Gloria, als sie zur Behandlung kam, drei Männer, die sich im
Sinne der oben gegebenen Einteilung in die Gruppe A, B und C einordnen
lassen. Mit Rodrigo erlebte sie wilden Genuß ohne Liebe, ohne Scham, rein
körperlich; mit Joe blieb sie weiter in zärtlicher Liebe vereinigt, und jhr Mann
war ihr bester Kamerad, jedoch Tabu.
In der Analyse erklärte Gloria, von deren asketischer Erziehung äußerlich
nicht viel übrig geblieben war, daß ihr wegen ihrer Sterilität auch andere Rechte
zustünden als anderen Frauen. Sie sei entschlossen, ihr Leben zu genießen, sie
mache sich keinerlei Gewissensbisse, sie sei frei. Zwischen ihr und ihrem Vater
Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben 233
liege ein Ozean. Schon als Mädchen habe sie ihn gehaßt wegen seiner tyrannischen
Verständnislosigkeit. Jetzt hasse sie ihn nicht mehr oder höchstens deshalb, weil
er ihre Mutter quäle, die sich von ihm alles gefallen lasse. Fast gar nicht sprach
sie von dem, was man wohl mit Recht ihre Tragödie nennen könnte: von der
Sterilisierung nach der Geburt, von Schwachsinn und Tod des so schwer er*>
worbenen Kindes. Sie hatte die Trauerarbeit, die „unter stärkster Beteiligung
des Ichs" hätte durchgemacht werden müssen, nie geleistet. Sooft ich ihr Augen*
merk darauf richten wollte, lenkte sie ab und tat, als ob an dieser Sache nicht
viel daran wäre. Dementsprechend war sie unbewußt ganz durchbraust von dem
Wunsch nach einem Kinde. Ihr Unbewußtes hatte die unabänderliche Tatsache
ihrer Sterilität überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. In ihren
Träumen wurde sie jede Nacht geschwängert, hatte Kinder, viele Kin*
der, aber die Träume waren so entstellt, daß wir sie im Anfang nicht
verstanden. So träumte sie immer wieder von Essen und Kochen und
wunderte sich darüber. In ihren Träumen stand sie in der Küche
wie ihre Mutter und zeigte Freundinnen, wie man kochen müsse. In
Wirklichkeit konnte sie gar nicht kochen. Wir fanden Zeichen starker Oralität,
sie hatte als Kind lange gelutscht, auch Papier gegessen, und Rodrigos orale
Praktiken machten besonders tiefen Eindruck. Schließlich blieb kein Zweifel,
daß sie in ihren Träumen oral geschwängert wurde. Mit großer Hartnäckigkeit
träumte sie von rosa (pink) Gegenständen. Sie zerlegte und aß Lachs, strickte
rosa Sweaters und sah anderes mehr, das rosafarben war. Schließlich brachte sie
als Aufklärung, daß die Mutter ihres adoptierten Kindes Pinker ton hieß. Sie
identifizierte sich mit dieser Frau, um an Stelle eines adoptierten Kindes ein
eigenes zu haben. Diese Identifizierung kam im Sinne des primitiven Ichs oral
zustande, wenn sie z. B. Lachs aß.
Ihren Mann, von dem sie im Anfang behauptete, daß sie ihn als Kameraden liebe,
haßte sie als Kastrator, übertrug ihre Beziehung zum Vater auf ihn, und das nicht
erst nach ihrer Tragödie, sondern seit Beginn der Ehe. Aus diesem Grunde war sie
von Anfang an frigid. Der Mann war ja, wie eingangs erwähnt, ihr Vetter, was
einerseits der Übertragung Vorschub leistete; anderseits war sie der Meinung,
die nahe Verwandtschaft erkläre die Degeneration des Kindes v Vom Vater darf
man kein Kind haben. Wenn man es versucht, wird man furchtbar bestraft,
man wird kastriert. Im Falle Glorias war die Kastration vielfach: Frigidität,
Zerreißung der Geschlechtsteile bei der Geburt, operative Sterilisierung,
Schwachsinn und Tod des Kindes. Der Zusammenhang zwischen diesen mul*
tiplen Traumen und der sexuellen Ablehnung ihres Mannes war ihr vor der
Analyse völlig unbewußt. Sie wollte und konnte ihre Tragödie nicht als so
schwerwiegend anerkennen. Lieber gab sie zu, daß sie und ihr Mann von Anfang
an nicht zusammengepaßt hätten. Sogar sein Geruch sei ihr unangenehm. Sie
bedauerte alle Freundinnen, die heirateten, wegen der Hochzeitsnacht, die ihnen
bevorstand. Endgültig stieß sie ihren Mann zurück, als sie in der Person Joes
Ersatz für ein Kind gewonnen hatte. Die Unwirklichkeit auch dieses Ersatzes
untergrub im Laufe der Jahre die Position Joes. Sie rächte sich an ihm, der
nicht Miene machte, sie zu heiraten, indem sie mit Rodrigo schlief, und glitt
so in die Stellung C, die ihr den Anfang der maskulinen Promiskuität bedeutete.
Sie träumte von Promiskuität sehr häufig, wobei sie sich gerne mit Frauen von
zweifelhaftem Rufe identifizierte, für die sich ihr Vater — angeblich nur vor
seiner Eheschließung — interessiert hatte.
Nach etwa sechs Monaten Analyse hatte sie folgenden Traum:
234 Fritz Witteis
1) Sie sah Clara Dolores, eine ehemalige Schulkollegin, fiel vor ihr auf die
Knie und sagte in heftiger Bewegung: „Du, die du weißt, was Liebe ist, wirst
mich verstehen!" Clara zieht eine Schublade heraus und darin liegt eine Nadel,
die Patientin wieder erkennt. —
Zu diesem Traum berichtet Gloria erstens, daß er nach einem Liebesabend
vorfiel, den sie mit Joe, dem Kind^Geliebten, verbracht hatte. Zweitens: Clara
Dolores hatte ihr in den Schulzeiten erzählt, daß ihr Vater sie geschlechtlich
mißbrauche. Einmal mußte Clara operiert werden und kam weinend, weil sie
nunmehr infolge dieser Operation niemals Kinder haben könne. Sie heiratete
später und hatte in ihrer Ehe zu Glorias Verwunderung drei Kinder. Nach
dieser Mitteilung ist die Deutung des Traumes nicht schwer: man kann Kinder
bekommen, auch wenn man operativ sterilisiert worden ist. Solche Sterilisierung
ist die Strafe für Inzest. In Wirklichkeit mag die Operation, von der Clara
berichtete, eher eine Abtreibung als eine Sterilisierung gewesen sein, wenn das
Ganze nicht etwa Claras Lügengewebe war. Die Schublade und die Nadel darin
zeigen sehr schön Freuds Gleichung: Kind = Penis (Nadel, englisch: pin).
Der erste Traum in der Analyse:
2) Mein Mann will mit mir schlafen. Ich fühle meinen gewöhnlichen Wider'
willen. Ich sage: der Bub wird kommen und was bemerken.
Man sieht aus diesem ersten Traum, daß wir in dem adoptierten Kinde den
Stein des Anstoßes zu sehen haben. Jedoch erkennen wir auch die maskuline
Tendenz dieser in ihrer Weiblichkeit aufs tiefste verwundeten Frau, ihren re*
aktivierten Brunhildkomplex. Vor ihrer Ehe war sie immer ein „Bubenmädel"
gewesen, besonders aus Trotz gegen den Vater und eine ältere Schwester, die
ganz ohne seelisches Rückgrat war, auch sonst nicht viel taugte und an einen
minderwertigen Mann verheiratet wurde. Diese verachtete Schwester hatte dann
zwei Kinder. Gloria berichtet das ohne Affekt. Unbewußt haßt sie ihre Schwer
ster und träumt, daß sie sie vergiftet. Entsprechend ihrer oralen Veranlagung
vergiftet sie in ihren Träumen auch ihren Vater, ihren Mann und ihr Adoptiv*
kind. Sie versteht sehr gut, was wir den Brunhildkomplex nennen. Sie lebte
auch nach ihrer Verheiratung weiter in diesem Sinne, bis sie Joe kennen lernte.
Dann erst fühlte sie sich weiblich. Ihre Heldin war Jeanne d'Arc. Sie erinnert
sich an einen immer wiederkehrenden Tagtraum aus ihrer Kindheit: eines Tages
werden sie herausfinden, daß ich ein Bub bin.
Sie identifiziert alle drei Männer mit ihrem Vater und sich selbst mit der
Mutter; z. B. in ihren Träumen:
3) Ein Schiff kommt nach New Orleans (ihre Mutter ist dort geboren und
aufgezogen worden). Ich weiß, daß Rodrigo angekommen ist und schreibe ihm
einen Brief, daß ich da bin (in Wirklichkeit war sie nie dort). Anschließend ein
Traum, daß ich Kinder habe. —
4) Dinner party auf dem Schiffe. Ich sehe Rodrigo. Meine Mutter ist auch da,
beklagt sich über etwas. Rodrigo sagt, er könne ihr helfen, er werde mit ihr
schlafen. Meine Mutter nimmt das an. Ich bin einverstanden und sage ironisch,
es werde mich sehr freuen, Rodrigo zum Stiefvater zu bekommen. —
Im Anfang der Analyse gibt ein Traum in schattenhaften Umrissen die Be*
dingung bekannt (die unerfüllbare), unter der sie den ehelichen Verkehr mit
ihrem Manne wieder aufnehmen könnte:
5) Freunde (ein allgemein beliebtes Ehepaar; die Frau hat weiße Haare) schicken
mir eine Coiffeuse. Es ist als Ausgleich irgendeiner Schuld gedacht, welche diese
Freunde mir abzuzahlen haben. (Sie bekommt ein neues Genitale? Von ihren
Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben 235
Eltern.) Joe hat etwas mit der Schuld zu tun. Die Coiffeuse wird in ein Zimmer
gestellt, das die Wände wie meiner Mutter Zimmer hat. Hernach liege ich mit
meinem Mann (Vaterimago) auf dem Sofa und er schläft mit mir.
Gloria übertrug im Anfang der Analyse ihre Beziehung zum Vater
auf mich, was durch eine Namensähnlichkeit ihres Vaters mit mir er*
leichtert wurde. Ich deutete ihr an, daß wir vielleicht im Laufe der
Analyse den einen oder den anderen ihrer Liebhaber temporär auszu*
schließen haben würden, um an der Libidostauung ihre psychische Situation
deutlicher zu erkennen. Diese konditionale Andeutung genügte, um Gloria zu
veranlassen, beide Liebhaber vom Geschlechtsverkehr auszuschließen. Sie ist stolz
auf ihren Verzicht, sogar vergnügt, besonders wegen der Reaktion von Seiten
der Liebhaber, von denen Rodrigo zum erstenmal erklärt, daß er sie liebe, was
ihr komisch vorkommt. Joe macht ihr einen Heiratsantrag — zu spät. Von mir
verlangt sie, daß ich sie wegen ihres Verzichtes belobe.
Ich stand unter dem Eindruck, daß ich als Vaterimago das Tabu auf meine
Person gezogen hätte, und schlug vor, daß sie den Versuch eines Verkehrtes
mit ihrem Manne mache. Auch das tat sie mir zuliebe, führte es ohne Angst
aber auch ohne Orgasmus durch und hatte in der nämlichen Nacht den fol*
genden Traum:
6) Viele Frauen: meine Schwiegermutter, deren Mutter, meine eigene Mutter.
Sie geben mir einen rosafarbigen Kimono (Deutung von rosa — pink, siehe
oben: Mütterlichkeit) — Massenet ist auch da (die Muttersprache der Mutter
ist französisch. Massenet ist der Lieblingskomponist ihrer Mutter. Assoziativ
zerlegt in masse und nes — eine Menge Kinder). Ich verliere meine Haarnadeln
(Siehe die Nadel in Traum 1).
Dieser Traum, so kurz er ist, ist eigentlich ein Traumpaar. Zuerst Hoffnung
und Schwängerung, hernach Kastration. Übersetze: Wenn er mich doch zur
Mutter machen könnte; da er das aber nicht kann, verliere ich nur die Illusion
meiner Männlichkeit, wenn ich mich ihm hingebe. Sie hat diesen Versuch nicht
wiederholt, hingegen mir durch Monate Vorwürfe gemacht, daß ich sie dazu
veranlaßt habe. Der Vater hätte ja auch nicht zugeben sollen, daß sie ihren
Mann heirate. Rationalisierend sagte sie, daß durch meine Schuld falsche Hoff*
nungen in ihrem Manne erweckt worden seien.
Nach einigen Monaten nahm Gloria den Geschlechtsverkehr mit Joe wieder
auf. Aber sie liebte ihn nicht mehr und drängte ihn zu Beziehungen mit anderen
Frauen, bis er sich schließlich in eines dieser Mädchen verliebte, die auch im
Alter besser zu ihm paßten, und das Verhältnis mit Gloria abbrach. Seit dem
Auftreten Rodrigos war er ja bewußt bestrebt, von ihr loszukommen. Obgleich
sie selbst in dieser Angelegenheit die Drähte gezogen hatte, weinte sie viel,
ertappte sich aber mehrmals in ungewöhnlich heiterer Stimmung. Ihre Träume
zeigten, daß die Tränen um Joe in tieferer Schichte dem Verluste des Kindes
galten. Sie hatte in dieser Form Gelegenheit, verspätete Trauerarbeit zu leisten.
Sie wollte durchaus nicht mehr zu Joe zurück und vereitelte Annäherungsver*
suche des ehemals Geliebten, der ihr Kind war und durch seine Jugend auchf sie
zum Kinde machte.
Im Laufe der Analyse wurde ihr auch klar, daß sie mit ihrem Manne nicht
zusammen leben könne. Sie beide hatten einander zu viel angetan; sie war an
ihm schuldig geworden. Waren doch schon zu Lebzeiten des Kindes Todes*
236 Fritz Witteis
wünsche da, die im Sinne der psychischen Realität Gloria zur Kindes*
mörderin machten. Die beiden lösten ihre Ehe. Mit Rodrigo schlief sie
auch nach ihrer Scheidung hie und da, bis die Beziehung versandete.
Das Adoptivkind überließ sie unter allerlei Rationalisierungen dem Adoptiv*
vater, der es bald darauf in ein Pensionat schickte. Sie selbst übersiedelte in
eine andere Stadt und war sich bewußt, daß sie in ihrer Lage als sterile junge
Frau mit normalen Sexualfunktionen sozial gefährdet war. Ihr dreifach aus*
gebautes Sexualleben ist in der Analyse in seinen Grundlagen erschüttert worden.
Gloria ist ein in asketischem Milieu erzogenes Mädchen mit starken
maskulinen Tendenzen, die wegen der weit über die Pubertät hinaus wir*
kenden Sexualunterdrückung zu bedeutender Ausbildung kamen und zwar
zunächst in der desexualisierten Form heroischer Ideale. Bewußt haßte sie
ihren Vater und bedauerte ihre Mutter. Unbewußt waren der einfache und
umgekehrte Ödipuskomplex in ihr so lebendig geblieben, daß sie in der Ehe
frigid blieb. Dennoch würde ihr Sexualleben sich kaum in der beschriebenen
dreifachen Form entfaltet haben, wenn ihre maskulinen und mütterlichen
Tendenzen nicht durch die als Kastration aufgefaßte Operation eine außer.*
ordentliche Neu* und Übersetzung erfahren hätten. So wurden das Vater*
Tabu (Inzestschranke, Sexualhemmung), die Liebesbedingungen der Mütter*
lichkeit (Joe) und die maskuline Promiskuität (Rodrigo) aus der virginalen
Zeit reaktiviert und bestanden nebeneinander.
III.
In einem anderen Falle einer kinderlosen Frau, deren Analyse ich nicht aus*
führlich mitteilte, war nicht der Gatte Tabu, wenigstens nicht immer, sondern
nur in vorübergehenden Perioden von Frigidität. Dazwischen wurde er zärtlich
und mütterlich geliebt, und das Geschlechtsleben war befriedigend. Hiezu
war aber nötig, daß ein anderer Mann, von dem sie sich umworben fühlte,
zum Tabu ernannt wurde. Wenn diese beiden Pfeiler ihres Liebeslebens fest*
standen, gab es dann noch häufig die Klasse C. Schließlich vereinfachte ;sie
ihr Leben, indem sie in eigenartiger zeitlicher Vermengung die Rollen A und
B von ihrem Gatten spielen ließ und auch in ihrer Promiskuität nicht strenge
im Schema blieb.
In einem dritten Falle, einem ledigen Mädchen, war ein Mann, der sie hei*
raten wollte und durch Jahre reichlich aushielt, tabu. Ein anderer Mann, der
im Westen lebte und nur gelegentlich nach New York kam, wurde mit einer
Art Ehrfurcht geliebt. Sie hatte noch einen Geliebten, der im Süden lebte,
und den sie nur einmal im Jahr sah. Er war viel jünger als sie, ein Tauget*,
nichts, dem sie Geld schicken mußte, Geld, das sie von ihrem Tabu*Freund
erhielt. In diesem Falle war also die Kategorie B durch zwei Männer ver*
treten, einen im Westen, vor dem sie Angst hatte, und einen im Süden, den sie
Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben 237
.bemutterte. Beide bestanden mehr in der Imagination als in Wirklichkeit.
Diese Frau fuhr auch auf Kosten des Tabu*Mannes mindestens einmal im
Jahre nach Europa und gab sich dort mit vorübergehenden Bekanntschaften,
darunter auch Negern, wilden Orgien hin. Sie akquirierte eine Gonorrhöe,
an der sie jahrelang litt, und die schließlich mit bleibender Sterilität ausheilte.
Von allen diesen Erlebnissen sprach sie wie im Traume, als ob sie nicht
wirklich seien. Sterilität erklärte sie für unwichtig. Einmal sprach sie von der
Tragödie ihres Lebens, meinte aber damit, daß sie — zu mager sei. Kein;
Mann könne sie lieben. Einen Wunsch nach Kindern konnten wir in ihreri
Träumen nicht finden. Allerdings sprach sie von ihren vielen Geliebten als
„the kids". Sie war für eine erfolgreiche Analyse zu narzißtisch und schizoid.
Eine lesbische Tendenz war in diesem Falle unverkennbar. Sie hatte eine
jüngere Schwester, von deren großer Schönheit sie immer wieder sprach. Sie
identifizierte sich in Träumen mit dieser Schwester, und dann war sie nicht
die Tochter ihres Vaters, weil der Vater, ein Trunkenbold, immer behauptet
hatte, diese Schwester sei nicht sein Kind, und die Mutter sei eine Dirne. Das
Familienleben war auch sonst unerfreulich: Ihr Bruder schlug den Vater
zu Boden, wenn er in Trunkenheit die Mutter bedrohte. Mit diesem Bruder
hatte Patientin im Alter von zwölf Jahren mutuell masturbiert.
Der Mann, von dem sie lebte, war nicht immer tabu gewesen. Er wurda
es, als seine Mutter sich heftig der Ehe mit Patientin widersetzte, was ihn
veranlaßte, seine Werbung tatsächlich bis zum Tode der Mutter zu ver=*
schieben. Diese narzißtische Kränkung löste das Tabu aus.
Wenn man einmal auf die beschriebene Dreiteilung aufmerksam geworden
ist, findet man sie häufig. Manche Frauen, mit denen ich darüber gesprochen
habe, sahen mich mißtrauisch an und fragten: „Meinen Sie vielleicht mich?"
Auch in der Literatur findet man die Dreiteilung, z. B. in Somerset Maug*
hams Meisterwerk „Of Human Bondage". Die Kellnerin, in die sich der
Held des Romans verliebt, hat einen Geliebten, der sie betrügt, will den sie
heiß umwerbenden Helden durchaus nicht zulassen und ergibt sich ander*»
seits der Prostitution. Eine ähnliche Dreiteilung fand ich in dem vor einigen
Jahren in Amerika viel gelesenen Roman „Der Werwolf von Paris" von
Guy Endor.
Eine der Ursachen dieser merkwürdigen Form des Liebeslebens sehe ich
in der Sterilität. Zwei Drittel meiner Beobachtungen betrafen sterile Frauen
oder solche, die nach der Geburt eines Kindes aus pathologischen Ursachen
weitere Kinder nicht haben konnten. Die Psychologie der sterilen Frau könnte
mythologisch (Lilith), welthistorisch (die „jungfräuliche Königin"), anthro*
pologisch (die „freudlose Witwe") und literarhistorisch studiert werden.
Unter günstigen Umständen wird die sterile Frau schöpferisch. Vergleiche
Nietzsches vielzitiertes Wort: „Alles am Weibe ist ein Rätsel und alles
am Weibe hat eine Lösung: sie heißt Schwangerschaft."
Bemerkungen über eine Zwangsneurose
in ultimis
(Vier Mechanismen des narzißtischen Lustgewinns im Zwang)
Von
Edmund Bergler
Wien
Ich hatte vor einigen Jahren Gelegenheit, vier Wochen lang eine 58jährige Dame
zu beobachten, die an einer allerschwersten, seit einem halbenjahrhundert
bestehenden Zwangsneurose litt. Die Patientin war infolge ihrer Dauerzwänge
sozial völlig unangepaßt, mußte wie ein kleines Kind an* und ausgekleidet wer*
den, konnte ohne ständige Begleiterin nicht auskommen und war bereits wieder*
holt in Sanatorien und Anstalten interniert gewesen.
Der Zwangsgedanke der Patientin lautete: Sie durfte an eine bestimmte Person
— es war ein alter Mann, ein Diener in einer Kaserne — , die sie im Alter von
sechs oder sieben Jahren einige Male gesehen hatte, ohne mit ihr zu sprechen,
eine Person, die sie damals als völlig indifferent empfunden hatte, nicht denken.
„Leider" — dies die Worte der Patientin — „fiel er mir immer ein." Der Ge*
danke an den Mann war Tabu, sie hatte ein großartiges System von Vermei*
düngen aufgestellt, um nur ja nicht in Kontakt mit ihm zu kommen. Schon ,als
Kind litt sie an einem quälenden Waschzwang, der sich um die Pubertät ver*
schlimmerte; in ihrer mißglückten Ehe lebte sie nur mehr ihren Zwängen, die sich
im Verlauf der letzten 15 Jahre zu der zu beschreibenden Höhe steigerten und
stabilisierten.
Patientin vermied es vorerst, in die betreffende Straße, in der sie den Mann zu*
erst gesehen hatte, zu gehen, dann mied sie — in typischer Ausbreitung des Ra*
dius der Zwangsneurose — alle nahen Lokale, die der Mann besuchen könnte,
dann den Stadtteil, die Stadt, die Provinz, endlich das ganze Land. Patientin lebte
seit Jahren im Ausland. In diesem Entschluß, ihre Heimat zu verlassen, wurde
sie durch den ablehnenden Bescheid des Magistrats ihrer Heimatstadt wesentlich
bestärkt, in welchem der Patientin ihre Bitte, die Fäkalien ihres Hauses nicht in
den Fluß, an dem die Stadt lag, zu leiten, abgeschlagen wurde. Sie fürchtete,
auf dem Umweg über die Fische, die von den Fäzes essen könnten, mit „jenem
Mann" (der Name wurde von der Patientin nie ausgesprochen) in Verbindung
zu kommen, da Fische ein beliebtes Völksnahrungsmittel waren. Auch ging sie
aus der Heimat, da sie sich weigerte, Geldnoten und Geldstücke ihrer Heimat*
Währung zu berühren, mit der Begründung, „jener Mann" hätte gerade diese
Note in der Hand haben können.
Ich sah die Patientin in folgendem Zustand: Waschen und Anziehen dauerten
stundenlang. Patientin litt zwar unter ihrer Unreinlichkeit, konnte sich aber
trotzdem an manchen Tagen kaum waschen. Wenn sie Wasser ins Waschbecken
schüttete, mußte sie es so oft ausleeren, bis es ihr gelang, das Wasser, ohne dabei
an den Mann gedacht zu haben, ins Waschbecken zu gießen. Das Anziehen der
Strümpfe z. B. mußte aus den gleichen Gründen von der verzweifelten Kranken*
schwester hunderte Male wiederholt werden. Patientin aß wenig und gierig und
es dauerte stundenlang, bis sie sich entschloß, in ein Restaurant zu gehen. Die
fast unerfüllbare Bedingung blieb immer die gleiche: während der Vorbereitung
Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ultimis 239
einer Handlung nicht an den Mann zu denken. So wurde Patientin einmal von
einer der Begleiterinnen (keine hielt es länger als einige Wochen aus) regelrecht
verprügelt, da diese um 5 Uhr nachmittags infolge der chronischen Weigerung
der Patientin, die mit ihren Zwängen noch nicht fertig war, das Gasthaus zu be*
treten, noch nicht einmal gefrühstückt hatte. Das Essen selbst war mit einer Serie
von Zwängen belegt: war Patientin bereits nach stundenlanger Qual in ein Gast*
haus eingekehrt, mußte sie vor Beginn des Essens ein Stück Brot in den Mund
nehmen, es zerkauen, den Brei in drei Teile teilen und diese ausspucken. Die
Rationalisierung der Patientin lautete: sie dürfe nichts aufnehmen, ohne auch
etwas „herzugeben", d. h. die Aufnahme rückgängig zu machen. Dies führte
dazu, daß sie ständig den Wunsch zu urinieren und zu defäzieren hatte. Eine der
Begleiterinnen, die die Aggressionen der Patientin nicht ertrug und davonlief,
sagte empört, sie könne mit einem Menschen, der vor jedem zweiten Haus ein
Glas Wasser und einen Klosettbesuch verlange, nicht auskommen. Tatsächlich
gab Patientin an einem Tag als Eintrittsgeld für öffentliche Bedürfnisanstalten,
in denen sie urinierte, nicht weniger als sechs Schilling aus. Auch
nahm Patientin ständig Abführmittel in großen Dosen, nicht nur weil sie obsti*
piert war, sondern weil sie den Stuhl zu Zwangsformeln, resp. zum
„Ungeschehenmachen" des vielleicht doch stattgehabten Kontaktes mit „jenem
Mann" benötigte. Dieser Kontakt war keineswegs bloß in Form einer Be=
rührung gedacht, zutiefst konnte der Kontakt durch jede Hautpore des Kör*
pers, vor allem auch durch Essen, vorgenommen werden. Die Stuhlmengen
mußten kopiös und flüssig sein. Unbewußt sollte dabei sowohl ein Zer*
stückeln des Mannes, als auch ein Rückgängigmachen der oralen
Aufnahme vorgenommen werden. Patientin war in der Ehe völlig frigid gewesen
und wurde von ihrem Manne angeblich zur Fellatio gezwungen.
Eine der Komplikationen des Zwanges bestand darin, daß die Situation, in
welcher der Zwangsgedanke kam, verändert werden mußte: kam dieser im Sitzen,
mußte sie gehen, war er im Gehen gekommen, bestand der Drang zu laufen etc.
Neben den bereits beschriebenen Leistungen der „Isolierung" und des „Unge*
schehenmachens" erfand Patientin folgende Form, die sie „Übertragung" nannte.
Sah sie den eigenen Schatten und hatte sie an den Mann gedacht (was praktisch
zusammenfiel), „übertrug" sie den Gedanken auf andere Personen und wurde
dadurch selbst schuldfrei. Dieses „Übertragen" hatte zwei Stadien: Vorerst über*
trug sie ihren Gedanken an den Mann auf einen fremden Mann, d. h. sie stellte
sich vor, n i ch t s i e habe an den Mann gedacht, sondern ein mit „jenem Mann"
identifizierter fremder Mann hätte den Zwangsgedanken
gehabt. Wenn sie ihren eigenen Schatten sah, konnte sie zunächst nicht in der
gleichen Richtung weitergehen. Sie schwankte nun zwischen dem Entschluß, auf
der gleichen Stelle der Straße stehen zu bleiben oder einen anderen Weg zu
gehen. Nach langem Schwanken ging sie weiter, suchte sich eine Imago des
Mannes; dabei schwankte sie stundenlang bei der Wahl des „passenden" Mannes.
Dieser Mann mußte ihr entgegenkommen (Abwehr des Analen, von rückwärts
Kommenden); wenn sich nun der eigene Schatten und der Schatten, resp. der
Körper des Mannes „deckten", machte sie rasch eine „Wendung" und folgte
diesem wie einem Führer und spielte selbst die Geführte. Später komplizierte sich
der Vorgang der „Übertragung", indem nicht der eigene Schatten zur Deckung
gebracht wurde, sondern statt der Patientin auch eine Ersatzperson gewählt
wurde, was umso schwerer wurde, als der gleiche Gedanke auf eine zweite, dritte,
vierte, ja manchmal fünfte Person übertragen werden mußte. Da sie manchmal bis
240 Edmund Bergler
zu 25 Gedanken an den Mann einzeln durch „Übertragung" zu erledigen hatte,
litt die Patientin, wie sie sarkastisch hinzufügte, niemals an Langweile, ja der
Tag wurde für diese Zwangsarbeiten zu kurz, und halbe Nächte mußten „als
Draufgabe" hinzugenommen werden. Bezeichnenderweise enthielt der Zwang
der „Übertragung" selbst schon eine unerfüllbare Bedingung: den Gedanken an
den Mann zu übertragen, ohne an ihn zu denken. Dieses „Wasch' mir den Pelz,
aber mach' mich nicht naß"*Prob!em war unlösbar und war selbst Quelle
ständiger Zweifel. Sie ging deshalb auch, um dem ganzen Übertragen auszu*
weichen, mit halbgeschlossenen Augenlidern, weil sie sich vor dem Anblick des
eigenen Schattens „fürchtete", da dieser Anblick die imperative Forderung nach
„Übertragung" enthielt.
Der Gedanke an den Mann war im Verlaufe der letzten 5 Jahre mit einem
hysterischen Konversionssymptom in den Backenknochen verbunden. Patientin
beschrieb dieses Gefühl: „Es ist so, wie wenn das Sturmband eines Helmes fester
angezogen würde." Dieses Gefühl konnte gemildert werden, wenn die Patientin
eine andere Person an den Backenknochen von rückwärts faßte. Patientin tat
dies in ihren Anfällen wiederholt bei ihrer Enkelin und bei Begleiterinnen und
wurde deshalb der Homosexualität beschuldigt. Auch war die Gefahr, mit „jenem
Mann" von der Seite in Kontakt zu kommen, gefährlicher als von vorne.
Dieses „von der Seite" erwies sich als Verschiebung von Analem: aus „auf die
Seite gehen", was die der Patientin geläufige Ausdrucksform für Urinieren und
Defäzieren darstellte.
Wir sehen, daß in der für Zwangssymptome typischen Weise die abge*
wehrten Triebregungen sich in immer größerem Umfang einschmuggeln: Das
Zur*Deckung*Bringen der Personen — die „Übertragung" — läßt gerade das
geschehen, was offiziell vermieden werden soll: Kontakt, resp. anale Berührung.
Die von den Analbacken auf die Backenknochen hysterisch verschobene Be*
rührungslust wird in Form einer magischen Geste durchgeführt. Das stunden*
lange Sich*Anziehenlassen von einer Frau, das Ganz* oder Halbnacktdastehen
vor ihr, gestattet auf einem Umwege das Ausleben der Exhibition. Das ständige
Denken an die Deckfigur des alten Mannes — eine Vaterimago — bewirkte ein
ständiges Verbundensein mit diesem. Die aggressiven Regungen zeigen sich
darin, daß Patientin sich ständig dagegen verwahrte, die Menschen, die sie zutf
Übertragung benützte, schädigen zu wollen: die „Schattenspielerei" war ein Äqui*
valent des Tötens, was auch daraus ersichtlich war, daß es im Belieben der ,Pa*
tientin stand, die Schatten „zum Verschwinden zu bringen", d. h. zu töten, etwa
dadurch, daß sie ihre Stellung wechselte. Die Verwendung des Stuhls zu Zer*
stückelungstendenzen wurde bereits erwähnt.
Der Abwehr der oralen Einverleibung entsprach im Psychischen eine ständige
Abwehr der Identifizierung mit dem Mann. So vermied Patientin z. B. das
Schneuzen, da sie dabei das „breite, aufgedunsene Gesicht des Mannes" zu haben
fürchtete. Bei dieser Abwehr des Flatus bestand noch ein direkter Zusammenhang
mit dem Pressen beim Stuhlgange: stärkeres Pressen rief jenes Gefühl im Gesicht
hervor.
Endlich sei noch die Hauptzwangsformel der Patientin genannt: „Immer wieder
einmal ist normal. Flüssig, wässrig, ganz normal und langsam. Sauerstoff." Die
Erklärungen der Patientin lauteten: „Immer wieder einmal" beziehe sich auf das
Denken an den Mann. Eine Modifikation dieser Formel lautete: „Immer wieder
einmal ist so gut wie keinmal." Erinnert man sich der Angaben der Patientin, sie
benötige die flüssigen Fäzes zu ihren Zwangsformeln, dann wird es wahrschein*
Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ultimis 241
lieh, daß der zweite Satz der Zwangsformel sich auf das Zerstückeln des Mannes
durch Essen und Stuhl bezieht. Die Patientin selbst bezog die Worte auf den
Mund: Sie wolle, sagte sie, alles ganz klein kauen, weil dies gesund sei. Das
Schlußwort der Zwangsformel bedeutete, nach Angabe der Patientin, daß sie, da
sie beim Sprechen etwas abgegeben hatte — Kohlensäure — nun berechtigt sei,
Sauerstoff aufzunehmen. Da sich das „Abgeben" auf Anales bezog, d. h. den
Feind vernichtet hatte, und die Patientin durch Abgeben, das heißt Verzicht auf
denselben das orale Aufnehmen gesühnt hatte, konnte sie nun wieder oral auf*
nehmen, d. h. den ganzen Prozeß von vorne beginnen ad infinitum. Der ganze
Vorgang erinnert in seiner unbewußten Bedeutung an Nunbergs Auffassung
des Schuldgefühls. Somit war die Zwangsformel letzten Endes ein Berechtigungs*
nachweis zur anakoralen Befriedigung, all dies unter dem Schein des Erlaubten.
Es ist klar, daß vieles an den Zwängen der Patientin in der kurzen Beobach*
tungszeit nicht durchschaut werden konnte. Auch war die Differentialdiagnose
zwischen zwangsneurotischem Delir 1 und paranoider Schizophrenie
nur mit Wahrscheinlichkeit zugunsten der Zwangsneurose zu entscheiden.
Ich will an diese Beschreibung einige Bemerkungen über den vielfach nicht
genügend scharf hervorgehobenen narzißtischen Lustgewinn des
Zwangsneurotikers anknüpfen. Daß in der Allmacht der Gedanken
„ein gut Stück infantilen Größenwahns getreulich aufbewahrt", also hoch*
wertige narzißtische Lust genossen wird, hat Freud schon vor drei Jahr«
zehnten betont. Er hat auch darauf hingewiesen, daß die Zwangsneurotiker
aus ihrem komplizierten Gedankengebäude ein Stück sekundären Krank*
heitsgewinnes in narzißtischer Befriedigung schöpfen.
Was im Folgenden beschrieben wird, gehört m. E. wesentlich zum
Mechanismus des Zwanges.
Die grundlegenden Arbeiten von Freud, Jones und Abraham ha*
ben den Fragekomplex der Zwangsneurose weitgehend aufgehellt. Die pes*
simistische, in „Hemmung, Symptom und Angst" geäußerte Meinung, die
Zwangsneurose sei „als Problem noch immer unbezwungen", ist nicht ganz
begründet. Damit soll keineswegs bestritten werden, daß noch viele Details
der Zwangsneurose erklärungsbedürftig und weitere Arbeiten möglich und
notwendig sind. Auf Grund genauer phänomenologischer Beobachtung for*
mulierte z. B. kürzlich Federn die „Frongesetze" des Zwanges. 13 Fe*
dem kommt zur Aufstellung von vier Gesetzen:
i) Anläßlich der Diskussion des Vortrages von Dr. Stengel „Die zwangsneurotische
Persönlichkeit im schizophrenen Prozeß" in der Wiener Psychoan. Vereinigung (19. VI.
1935) sagte Dr. Walde r, es sei ihm immer als eines der ungelösten Probleme der New»
rosenlehre erschienen, weshalb die Zwangsneurose trotz tieferer Regression besseren Re«<
alitätskontakt aufrechterhalte, als die Hysterie. Zumindestens seien keine Fälle publiziert,
die das Gegenteil beweisen. Dr. Hartmann und Verf. widersprachen diesen Auf*
f assungen unter Hinweis auf das sog. zwangsneurotische Delir. Daß eine Lücke in der Literatur
besteht, sei zugegeben.
i») Int. Ztschr. f. Psa. Bd. XIX, 1933, S. 616 ff.
Int. Zeitichr. f. Psychoanalyse, XXII/2 16
242 Edmund Bergler
, 1. Erfüllung der Determinierungen, d. i. inhaltliche Exaktheit.
2. Freiheit von inhaltlichen Ablenkungen, d. h. gelungene Isolie*
rung.
3. Gebot des einheitlichen Affekts: Freiheit von Zweifel, Gegen*
willen, Furcht oder libidinöser Besetzung.
4. Gebot der Beteiligtheit des ganzen Ichs, d. h. ganzdabeisein.
Federn macht mit Recht darauf aufmerksam, daß so ziemlich jedes dieser
Gesetze dem andern widerspricht, woraus sich z. T. die Unlösbarkeit der
Zwänge erklärt. So steht das erste Gesetz der exakten Durchführung mit dem
zweiten und dritten, die als das innere Gebot, den Zwang ohne Ablenkung
inhaltlicher und affektiver Art auszuführen, erscheinen, im Widerspruch.
„Um dies zu erleichtern, werden die Zwänge immer mehr der besonderen In*
halte beraubt und von Affekt entleert", womit zwar eine Erleichterung ein*
tritt, aber bloß auf Kosten des Konfliktes mit Gesetz No, 1. „Jede Erleichte*
rung ist ein Wagnis und gelingt meistens nur auf Kosten des sonstigen Ak*
tionsradius der Persönlichkeit, d. h. aktuelle Quellen möglichen Schuldgefühls
werden immer mehr vermieden, dann erst kann versucht werden, die Zwangs*
rituale zu vereinfachen und zu typisieren."
„Schön die ersten zwei Regeln widersprechen einander und sind deshalb
schwer zu erfüllen, denn die Exaktheit verlangt Aufmerksamkeit, und dem
Aufmerksamen fällt leicht auch das andere ein. Ein Ausweg daraus wäre, den
Zwang zum Automatismus werden zu lassen, worauf Landauer hinge*
wiesen hat. Diese Möglichkeit untersagt die Verpflichtetheit des Zwangs*
neurotikers, ganz mit seinem Ich dabei zu sein. Erst, wenn er das , Wissen'
davon hat, ist sein .Gewissen' beruhigt, und es tritt ein zwangsfreies Intervall
ein. Beim Gesunden erfolgt die Zuwendung des Ichgefühls gleichzeitig mit
der Zuwendung der Aufmerksamkeit, ohne aber zwangsweise sich auf die
ganze Ichgrenze erstrecken zu müssen. Der Zwangsneurotiker muß ganz da*
bei sein und vermeidet doch dabei, allzu aufmerksam zu sein, damit er nicht
abgelenkt werde. So entsteht ein gequältes Ringen zwischen den bei*
den Tendenzen, zwischen Konzentration und vager Aus*
f üh'rung. Die Konzentration muß aber an allen Punkten vollkommen sein,
wo inhaltlich' eine Ablenkung möglich würde. Im Verlaufe einer lange
dauernden Zwangsneurose werden Teile des Zwangs verwischt, verschleiert
oder die Übergänge der zweizeitigen Zwänge abgerundet und unübersichtlich
gemacht, das Ich des Kranken scheint mit dem Symptom zu spielen — all das
hat aber die Aufgabe, einem Bedürfnis nach richtiger Verteilung der Be*
Setzungen gerecht zu werden, und ist nur möglich, wenn die Vorschrift, daß
das Ich ungeteilt dabei sei, ständig befolgt wird. An die Verletzung dieses
Gebotes knüpfen sich die größten Zweifel, auch wenn so viele Käutelen den
Zwang kompliziert haben, daß inhaltlich seine Erfüllung gelingen muß.
Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ulthnis 243
Anderseits darf ein Zwang nur dann vorläufig in abgekürztem Ausmaß er*
ledigt werden, wenn die Ichbesetzung besonders intensiv dabei ist."
1. In Ergänzung dieser minutiös beobachteten „Frongesetze" muß die Frage
aufgeworfen werden, weshalb die einzelnen Gebote des Zwanges ^eine
Summe von contradictiones in adjecto darstellen, die weit über die Ämbi*
valenz hinausgehen. So sahen wir z. B. bei unserer Patientin, daß sie beim
Anblick ihres Schattens einerseits den Zwang verspürte, auf die „Deckfigur"
am gleichen Ort zu warten, während ein anderes Gebot sie zwang, die Posi*
tion, in welcher sie an „jenen Mann" gedacht hatte, sofort zu verdrängen
etc. Der Einwand, daß es sich eben um beide Teile der Ambivalenz handelte,
genügt nicht, denn beides — Weglaufen und Verharren an der gleichen Stelle
— dient ja der Abwehr des Zwangsgedankens. Dagegen ist es interessant,
daß beide Impulse historisch verschiedenen Zeiten der Ente
wicklung des Zwanges angehören: das Weglaufen ist älteren
Datums als die „Schattenspielerei", was auch daraus ersichtlich ist, daß bloß
in letzterer ein Einschmuggeln der abgewehrten Wünsche („zur Deckung
bringen" = berührt werden) sich durchsetzt. Es ist eine reizvolle, bisher noch
nicht geleistete Arbeit, im fertigen Zwang die einzelnen historischen Schichten
aufzudecken, die in der Weiterentwicklung des Zwanges automatisch' mite
geschleppt werden. Bei jedem lange bestehenden Zwang gibt es Rudimente
verschiedener Entwicklungsperioden des Zwanges, wie etwa in einem mo*
dernen Fabriksbetrieb gewisse Überbleibsel aus der Zunftzeit (etwa Namen
der Werkzeuge etc.) sich' erhalten haben.
Darüber hinaus sei auf die Aufstellungen Alexanders verwiesen, der
zeigte, daß der Zwangsneurotiker ständig die Tendenz hat, die Forde*
rungen des Ober*Ich's ad absurdum zu führen. „Das Ich hat zwar
Angst vor seinem Übersieh', trachtet aber seine Abhängigkeit von ihm aufzu*
heben. Dies erreicht es dadurch, daß es das Über*IchzuUngerechtig*
keitenprovoziert, um dadurch' seine moralische Abhängigkeit von ihm
lösen zu können. Durch' das Erdulden ungerechter Strafen erreicht
auch dann das Ich die volle Berechtigung, den verpönten Tendenzen des Es
nachzugeben". 2
Ein Patient Alexanders, „der lange Zeit zu jeder Arbeit unfähig war, fing
während der Kur plötzlich eine merkwürdige Tätigkeit an. Der Sohn eines aka*
demisch gebildeten Vaters, selbst auf einen geistigen Beruf sich vorbereitend,
nimmt eine Anstellung als Handwerkslehrling an. Der bisher Nichtstuende steht
jeden Tag um sechs Uhr auf und arbeitet im Arbeitskittel acht Stunden lang, um
dann todmüde täglich zur psychoanalytischen Behandlungsstunde zu erscheinen.
Hinterher nimmt er noch täglich eine Unterrichtsstunde. Er übertrieb die Arbeit
in einer unglaublichen Weise, anstatt Arbeit leistete er Zwangsarbeit. Der Sinn
der Verzerrung der Aktivität war deutlich: er persiflierte die Forde*
2) F. Alexander: Psychoanalyse der Gesamtpersönlichkeit. Int. Psa. Verl., Wien,
1927, S. 105.
16*
244 Edmund Bergler
r u n g der Analyse, die identisch mit der Forderung seines Über*Ichs war, —
nämlich das bisherige Nichtstun aufzugeben, — führte sie ad absurdum, um dann
jede Tätigkeit mit dem Gefühl der Berechtigung ablehnen zu dürfen." 3
Ähnlich verhielt sich einer meiner Patienten, ein junger Rechtsanwalt, der u. a.
den Zwang hatte, sämtliche ausländischen juristischen Blätter zu lesen. Er ver*
schaffte sich diese leihweise und leistete die Fronarbeit bis zur Erschöpfung, denn
er setzte nach seiner Berufsarbeit die „Zusatzarbeit" des sinnlosen Studiums bis
in die frühen Morgenstunden fort, bis er vor Erschöpfung einschlief. Als er
wegen der Unmenge des Materials und der Sprachschwierigkeiten beiläufig um
den 10. jedes Monats mit Verzweiflung einsah, daß er „nicht fertig" werden
könne, gab er das Lesen auf und faßte den Vorsatz, die nächste Folge der an
jedem Monatsersten erscheinenden Zeitschriften „gründlich" durchzuarbeiten.
Anders ausgedrückt: nachdem er die Forderung seines Über*Ichs ad absurdum
geführt hatte, gestattete er sich sexuelle Phantasien gerade in der Zeit, in welcher
er zwangsweise gelesen hatte.
Nun wird dieses ad a&surdum*Führen des Über*Ichs meist bloß sub specie
der Abwehr des überstrengen Über*Ichs angesehen. Ein anderes Motiv ist
aber der große narzißtische Lustgewinn, der durch dieses zeitweise Schach*
mattsetzen des Über^Ichs für den Zwangsneurotiker erreicht wird. Somit ist
dieser „M echanismus desinneren Widerspruchs aller Fron*
ge setze" nicht bloß Ausdruck der Ambivalenz des Zwangsneurotikers so*
wie seiner Tendenz des ad absurdum' Führens des Über*Ichs, sondern ge*
radezu höchster narzißtischer Lustgewinn. Allerdings erinnert die Art dieses
Lustgewinns an die Anekdote von der Bäuerin, die mit ihrem Mann einen
Streit darüber hat, ob die Blumen im Garten mit einem Messer oder eine«
Schere geschnitten werden sollen, wobei die Bäuerin die Schere, der Bauer
das Messer empfiehlt. Im Verlaufe des Streites ertränkt der Mann die Frau
im nahen Fluß, und diese macht noch im Ertrinken triumphierend die Be*
\vegungen der Schere mit den Fingern nach . . .
2. Es ist bekannt, daß sich' Zwangsneurotiker eine Art „Sklaven" (offiziell:
Herren) halten, d. h. „eine Instanz außer sich zu gewinnen trachten, der der
Zwangsneurotiker die Autorität einräumt, ihn von Zweifelangst und Zwangs*
panik zu befreien. Dem Analytiker wird vom Patienten diese Rolle nach
Möglichkeit übertragen" (Federn). Die Freudschen Erklärungen, daß
dem Zwangsneurotiker infolge seines Hin*und*Her=*gezerrt*werdens von den
einzelnen Ambivalenzen am Schluß jede Entscheidungsmöglichkeit fehlt, daß
er ferner die Verantwortung jemand anderem, nur nicht sich selbst zuschieben
will, sind analytische Axiome. Es ist mir aber aufgefallen, daß der Zwangs*
neurotiker seine „Sklaven" als tief unter ihm stehend ansieht, sie v e r a c h t e t.
Daß er sie trotzdem zu autoritativen Entscheidungen heranzieht, ist einer
Aggression gegen das eigene Über*Ich gleichzusetzen etwa nach
dem Motto: Was ist das für ein Über*Ich, das durch Krethi und Plethi ver*
tretbar ist! Man sieht also, daß der Zwangsneurotiker, der den Analytiker in
3) A. a. O., S. 104.
Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ultimis 245
diese Rolle hineinzudrängen sucht, diesen bloß zu Aggressionen gegen sein
Übersieh verwendet. Deshalb ist die alte analytische Regel, dem Zwangs*
neurotiker keine Ratschläge zu geben und dabei bloß die Motive zu unter*
suchen, die ihn diese Ratschläge verlangen lassen, ergänzungsbedürftig im
Sinne der Forderung, die in diesem Ratsuchen liegende Aggression und die;
Herabsetzung des Analytikers (Übersieh) zu analysieren. („Mechanis*
mus der personellen Herabsetzung des Über*Ichs.")
3. Die Zwangsneurotiker schließen ganz sonderbare Kompromisse
mit ihren divergierenden Über*Ich*Geboten und Verboten. (Man denke etwa
an die Mechanismen des Isolierens und Ungeschehenmachens). Trotz ihrer
Kompliziertheit liegt zutiefst etwas Kindliches und Primitives in diesen Kom*
promissen. Sie enthalten zugleich eine maßlose Aggression .gegen das eigene
Idvldeal. So war der früher beschriebene Mechanismus der „Übertragung",
den die Patientin praktizierte, auf die plumpeste Ableugnung eingestellt. 4
Diese Minderbewertung des Gegners läßt — bei einem so schwächlichen Ich
— auf eine geheime Herabsetzungstendenz schließen, deren Befriedigung
einen narzißtischen Lustgewinn bringt. Übrigens gehört auch der Einbruch
des Verdrängten ins zwangsneurotische Symptom zum Teil zu diesem in*
fanrilen Gehaben.
Fast jeder Zwangsneurotiker stellt sich vor „Z w a n g s a 1 1 e r n a t i v e n",
wie sie Freud beim „Rattenmann" beschrieben hat.
Ein Patient hatte z. B. folgende Zwangsalternative, die er vor einer Sprach*
Prüfung, zu der er sich monatelang nicht entschließen konnte, aufstellte: „Ent*
weder werde ich bei der Prüfung „schwindeln" (durch Benützung eines Wörter*
buchs, resp. einer Übersetzung) oder die Analyse wird mißlingen."
Den Zusammenhang mit der Analyse stellte er auf folgendem Wege her: Es sei
zwar richtig, daß der Analytiker ihm keine Ratschläge gebe, da dies der analy*
tischen Technik widerspreche. Wenn aber der Analytiker Ratschläge gäbe,
würde er vom Schwindeln abraten, dieses als Selbstschädigungstendenz aufzeigen
und den Mißerfolg des „Schwindeins" prophezeien. Da diese Prophe*
zeiung nicht eintreffen müßte, d. h. das „Schwindeln" vom Professor nicht ent*
deckt werden und er die Prüfung vielleicht gerade wegen des abgeratenen
„Schwindeins" bestehen könnte, wäre der Beweis geliefert, daß auch die anderen
Behauptungen der Analyse falsch seien, und damit wäre die ganze Kur zum Miß*
erfolg .verurteilt . . .
Die ganze Argumentation der „Zwangsalternative" beruht auf einer f al*
sehen Prämisse, auf der „Prophezeiung" des Mißerfolges. Sie ist aber
4) Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit mit dem von mir beschriebenen „anonymen
Koitus" („Über einige noch nicht beschriebene Spezialformen der Ejakulationsstörung",
Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XX, 1934). Der Patient konnte bloß unter der Bedingung
koitieren, daß ihm die Partnerin vom Koitus anderer Männer mit ihr erzählte, mit denen
sich Patient identifizierte. Er verwandelte damit den realen eigenen Koitus scheinbar in
eine Erzählung vom Koitus eines Fremden, mit der unbewußten Phantasie: nicht ich,
der Fremde macht etwas Verbotenes, und ich habe, da ich selbst weder handle noch
rede, keine Verantwortung.
246 Edmund Belgier
für die kindlichen Ubertölpelungsversuche, die der ubw.
Ich^Anteil gegen das Übersieh unternimmt, bezeichnend und
kann bloß durch Zurückführung auf den Ambivalenzkonflikt und infantiles
Material gelöst werden. Es sei daran erinnert, daß beim „Rattenmann" eine
ähnliche falsche Prämisse die Basis des „Schwurs" bildete:
„ . . . Dieser Offizier erzählte ihm, als er seinen Namen hörte, er sei vor kurzem
auf dem Postamt gewesen und vom Postfräulein befragt worden, ob er einen
Leutnant H. (eben unseren Patienten) kenne, für den ein Paket mit Nachnahme
angekommen sei. Er erwiderte verneinend, aber das Fräulein meinte, sie habe
Zutrauen zu dem unbekannten Leutnant und werde unterdes die Gebühr selbst
erlegen. Auf diese Weise kam unser Patient in den Besitz des von ihm bestellten
Zwickers. Der grausame Hauptmann beging einen Irrtum, als er bei der Ein*
händigung des Pakets mahnte, die Kronen 3.80 dem A. zurückzugeben. Unser
Patient mußte wissen, daß dies ein Irrtum sei. Trotzdem 1 e i*
stete er den auf diesen Irrtum gegründeten Schwur, der ihm
zur Qual werden mußte . . ." fi
Ein anderes Beispiel dieser Kindlichkeit beim Zwang liegt im „Suchen
der Indifferenz", einem Lösungsversuch des Ambivalenzkonfliktes. Ich
entnehme einem Tagebuchabschnitt eines Zwangsneurotikers folgende Stelle:
„Schon zeitlich erwacht, die Eltern noch nicht aufgestanden. Obwohl ich mich
ganz munter fühle, hält mich doch irgendeine Kraft an das Bett gebannt. Doch
will ich sobald als möglich aufstehen. Da überfällt mich die Frage: .Wozu?' . . .
,Um die Zeit zu benützen und zu arbeiten . . .' Gefühl von grenzenlosem Ekel
und Trostlosigkeit. .Aber ich muß ja doch aufstehen, um meine Arbeit zu be*
sorgen', sage ich mir und diesen Gedanken energisch festhaltend, bin ich schon
im Begriffe, mich vom Lager herunterzuschwingen. .Doch nein, wenn ich mit dem
Gedanken an mein Studium (etwa durch die Vorstellung der Physiognomie
meines Professors konkretisiert) den Fuß zu Boden setze, so bedeutet dieses Auf*
stampfen Vernichtung des Prüfungserfolges'. Ich bleibe also weiter liegen. (Als
ich dieses Tagebuch zum erstenmal niederschrieb, überkam mich Furcht, daß ich
wegen des im vorigen Satze kollektiv gebrauchten ,Fuß' statt ,Füße' als Strafe für
diese Ignorierung meines normalen Körperzustandes einmal wirklich nur einen
Fuß haben könnte. Bei der gegenwärtigen Umschrift erkenne ich einen grauen*
haften mystischen Zusammenhang: am Tage der oben erwähnten Prüfung ver*
unglückte nämlich der Sohn unserer Hausbesorgerleute beim Motorradfahren,
und es mußte ihm ein Bein mit dem Oberschenkel abgenommen werden). Doch
um auf die Stadien meines Auf Stehens zurückzukommen: nachdem der erste Auf*
raffungsversuch gescheitert ist, denke ich einen Augenblick daran, daß ja alle
diese Ängste nur Zwangsbefürchtungen seien, und es schwebt mir das Bild
meines Arztes vor. Dabei aber wage ich es erst recht nicht, die Füße mit jener
unvermeidlichen ruck* und schlagartigen Bewegung auf den Boden zu setzen, da
hiedurch der Erfolg der Analyse vernichtet würde. Als letztes Aufmunterungs*
mittel denke ich an meine Freundin. Wenn ich in diesem Augenblicke auf*
stampfe, setze ich wohl nichts Lebenswichtiges aufs Spiel, da ich schon so weit
zu sein glaube, — wollte schreiben: bin, doch fürchte ich, daß eine so bestimmte
Ausdrucksweise als lästerliche Überhebung vom Schicksal bestraft werden
könnte, — leicht Ersatz zu finden. Auch habe ich schon öfters, wenn sie zum
5) Ges. Sehr. Bd. VIII., S. 285.
Bemerkungen übe* eine Zwangsneurose in ultimis 247
Stelldichein zu spät kam, in der Ungeduld des Wartens ausgerauchte Zigaretten
mit dem Gedanken an sie weggeworfen, ohne daß ich dadurch ihre Liebe ver*
loren hätte. Da aber kommt mir in den Sinn, daß ich vor kurzem ohne Schutz*
mittel mit ihr verkehrt habe und ich nun für die anmaßende Meinung,
gegen jene symbolisch gesetzmäßige Macht des Wegwerfens, Aufstampfens
und Aufklopfens gefeit zu sein, mit unehelicher Vaterschaft bestraft
werden könnte. Nunmehr versuche ich, da das Denken an Aufmunterndes sich
als nutzlos erwiesen hat, es mit der Vorstellung von etwas gesucht Unange*
nehmen, etwa der Physiognomie eines ehemaligen Bürochefs von mir: in diesem
Falle könnte das vernichtende Auftreten praktisch keine Wirkung haben, da es
sich auf etwas ohnehin schon Aufgegebenes, meine Bürolaufbahn, bezöge. Doch
ein peinlicher Gedanke wie dieser ermuntert erst recht nicht zum Aufstehen.
Endlich suche ich mir etwas möglichst Gleichgültiges vorzustellen
(etwa die Gesellschaft von gestern abends, in der ich mich sehr gelangweilt habe)
und diesen Gedanken bis zum kritischen Augenblick des Aufstampfens krampf*
haft festhaltend, erhebe ich mich vom Lager."
Endlich sei in Ergänzung dieses „Suchens nach Indifferenz" auf einen Me*
ch'anismus desselben Patienten verwiesen, den er in späteren Stadien der
Kur drastisch: „seinem Übersieh etwas zum Fraß hinwerfen" nannte.
Nachdem er nämlich, um sich vor den immer neu in die Zwangsformeln
einmengenden Blasphemien zu schützen, seine Zwangsformeln zu einem in rasen*
dem Tempo vorgebrachten Murmeln abgekürzt hatte, fügte er noch hinzu: „Ma*
thematik" oder „Mauermacher". Nach dem Sinn befragt, meinte Patient, es sei
dies ein „Aufopfern". Warum er aber gerade diese zwei Worte sage und nachher
eine Beruhigung empfinde, könne er nicht angeben. Die Analyse ergab, daß
„Mauermacher" ein Verzicht auf anaUexhibitionistische Wünsche war und sich
auf kindliche Spielereien („auf die Mauer machen", d. h. defäzieren) bezog.
„Mathematik" war der Verzicht auf Erfolg im Leben, der in Zahlen, d. h. ma*
teriell iausdrückbar wäre.
Man könnte geradezu behaupten, daß die relative Plumpheit, mit der das)
Übersieh ad absurdum geführt wird, für die Zwänge typisch ist. Je
plumper die Falle, in die das Übersieh geht, desto höher die Befriedigung
durch narzißtischen Lustgewinn des unbewußten Anteils des Ichs. („M echa*
nismus der relativen Plumpheit beim Zwang".)
4. Es ist bekannt, daß den Zwangsneurotikern ständig Dinge zustoßen, die
die Allmacht ihrer Gedanken zu bestätigen scheinen. Ich nannte diese Er*
eignisse „lenkbare Wunder". 6
Ein Patient beschäftigte sich seit langem mit dem Projekt einer landwirtschaft*
liehen Düngerschule, für welche er, obwohl er von diesem Fach nichts verstand
und in seinem Vorschlag unbewußt lediglich die Sublimierung seiner analen Ten?
denzen anstrebte, mit einigem Geschick verschiedene landwirtschaftliche In*
stanzen zu interessieren versuchte. Nach monatelangen Bemühungen gelang es,
eine Sitzung einiger Interessenten in einer Provinzstadt zusammenzutrommeln.
Auf dem Wege zur Sitzung — natürlich war schon die Fahrt von verschiedenen
ominösen Vorzeichen begleitet gewesen — beschließt Patient in gehobener Stirn»
6) Siehe die Arbeit des Verf. „The Psycho*Analysis of the Uncanny", Int. Journal pf
Psycho*Analysis (London) 1934.
248
Edmund Bergler s Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ultimis
mung, sich eine Freude zu gönnen und nicht wie gewöhnlich 3 „Damen'zigaret*
ten ä 4 Groschen zu kaufen, sondern sich etwas besseres zu gönnen. Eine kost*
spieligere Zigarette wäre aber eine Herausforderung des Schicksals, auf dessen
Protektion er bei der bevorstehenden Sitzung dringend rechnet, und so beschließt
Patient nach langem Schwanken ein Kompromiß und kauft 2 „Damen'zigaretten
ä 4 Groschen und eine „Dames"zigar ette zu 5 Groschen. Beim Zahlen ist er aber
völlig niedergeschmettert, als ihm die Trafikantin die Summe nennt: 13 Groschen!
Ein solches „Wunder" ist durch die Ambivalenz zu erklären; da sie
dauernd wirkt, ist auch die zur Abwehr erfolgte Projektion der negativen
Strebung stets vorhanden, umsomehr, als diese „Schicksals s c h 1 ä g e" se*
kundär sexualisiert und unbewußt wollüstig erwartet werden. Man kann
hinzufügen: im unbewußten Anteil des Ich wissen die Zwangsneurotiker,
daß sie selbst die Manager dieser Wunder sind. Somit ist es die
Betätigung der eigenen Allmacht, die dabei vom Schicksal schein*
bar von außen inszeniert wird. Daß das Schicksal ständig den „Aufpasser"
spielt und sich so auffallend viel mit dem Zwangsneurotiker abgibt, ist für
den Zwangsneurotiker ein neuerlicher Beweis dafür, daß er vom Schicksal
geliebt werde und somit über das Schicksal Macht habe. (Mechanismus
der „lenkbaren Wunder" bei der Zwangsneurose.)
*
Die hier aufgestellten vier Eigenschaften des Zwanges — der innere Wider*
spruch der Frongesetze, die „personelle" Herabsetzung des Über*Ichs,
die „relative Plumpheit" und das Herstellen „lenkbarer Wunder" — be*
weisen, daß trotz allem auch beim Zwang der Narzißmus siegreich sich durch*
setzt, sie ergänzen daher die Fe dem sehen „Frongesetze". Inhalt und Form
der Zwänge werden nicht nur durch jene Gesetze bestimmt, welche der
Angst vor dem Mißlingen der Zwänge entspringen, sondern auch durch
die narzißtische Lust, welche zum Teil spielerisch, aber immer auf früh*
infantilem Niveau, dadurch erreicht wird, daß das Über*Ich sich Überlegen*
heit, Trotz, Zum*Besten*Halten seitens des Ichs gefallen lassen muß.
Über die Bedeutung
des psychischen Traumas in der Epilepsie
Von
Daniel K. Dreyfuß
Jerusalem
Die Versuche, durch psychologische Betrachtung einem Verständnis der
Epilepsie näherzukommen, sind nicht mehr selten, wenngleich „in der Frage
der Epilepsie Physiologisches und Psychologisches schwer zu sondren ist"
(F e r e n c z i). Für die nur physiologische Betrachtungsweise ist die psychische
Eigenart des Epileptikers Begleiterscheinung und Folge des organischen
Krankheitsprozesses. Obwohl auch das künstlerisch introspektive Schaffen
z. B. eines Dostojewski dem Analytiker manche Anhaltspunkte zum
Verständnis gibt, wollen wir zur klinischen Auseinandersetzung unsere Er*
fahrungen nur am Kranken sammeln und begründen.
Einer Forschungsrichtung, die das Wesen der Krankheit aus organischem
Geschehen allein erklären wollte, ist von psychopathologischer Seite das
schwer und selten zugängliche Material gegenüberzustellen, auch wenn es,
wie die folgende Krankengeschichte, fragmentarisch blieb. Wenige ana#
lytisch#hypnotische Sitzungen ließen Einblicke gewinnen, von denen aus
einige Mechanismen des Leidens betrachtet werden sollen. Der Bericht hat
also weder eine eingehende Analyse noch einen therapeutischen Erfolg zu
verzeichnen. Wenn es gelungen ist, Gesichtspunkte zu entwickeln, die für
die analytische Untersuchung anderer Kranker von Wert sind, ist der Zweck
dieser Ausführungen erreicht. — Die Schwierigkeit, die sich dem Versuche ent*
gegenstellt, überzeugende Eindrücke aus Analysen objektiv darzustellen,
möge mir als Entschuldigung dienen, wenn ich manchmal den Boden der
•Tatsachen zu verlassen scheine. Die vorliegende Arbeit stützt sich z. T. auf
jüngst mitgeteilte Erfahrungen bei einem Falle von traumatischer psychi*
scher Epilepsie. 1
Theodor Kindermann hatte mit 19 Jahren — Ende Februar 1924 — in einer
Kokerei einen Unfall. Einige Wochen später machte er der Berufsgenossenschaft
folgende Angaben: „Ich war an einem Lösch wagen beschäftigt. Um die Schieber
der Retorten einhängen zu können, mußte ich eine Leiter benutzen. Ich machte
den Hilfsmeister O. darauf aufmerksam, daß die Leiter keine Einhängehaken
habe. Er gab mir aber zur Antwort, daß ich die Leiter nur benutzen solle. Ich
stand etwa 2 Meter hoch, als die Leiter ausrutschte und ich herunterfiel. Zuerst
fiel ich mit dem linken Arm auf ein gespanntes Drahtseil und von da mit dem
Hinterkopf auf den Boden. Ich mußte die Arbeit sofort einstellen. Ich konnte
mich allein in ärztliche Behandlung begeben. Wegen einer Sehnenzerrung am
linken Arm und eines nachträglich eingetretenen Nervenleidens beanspruche
i) Dreyfuß: Der Fall Wieland. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XX, 1934.
250 Daniel K. Dreyfuß
ich eine Unfallsrente." Der Hilfsmeister dagegen erklärte, er sei weder an der
Unfallstelle zugegen gewesen, noch hätte es an vorschriftsmäßigen Leitern ge*
fehlt. K. hätte weiterarbeiten wollen und sich erst nach Aufforderung zum
Arzt begeben. Diese einander widersprechenden Angaben werden später noch
unser Interesse finden.
Der behandelnde Nervenarzt berichtete in seinem Gutachten, daß der Kranke
bei der Untersuchung eine Woche nach dem Unfall über heftige Kopfschmerzen
klagte, die erst 2—3 Tage nach dem Fall aufgetreten seien. Außerdem kam
es 2—4 Tage danach zu Krampfanfällen mit Bewußtlosigkeit. Es dauerte
oft 3 — 4 Stunden, bis er wieder ganz klar war und sprechen konnte. Einmal
beobachtete der Arzt einen postparoxysmalen Dämmerzustand, häufiger Zun*
genbisse und im Gesicht Blutunterlaufungen. Der Kranke litt zu jener Zeit
fast täglich unter Anfällen und Kopfschmerzen, fiel häufig im Anfall nachts
aus dem Bett und taxierte sich dabei den linken Arm. — Die Versicherungs*
behörde forschte damals bei Nachbarn, Lehrern, Arbeitgebern und Mitarbeitern
nach früheren Anfällen, erhielt jedoch nur verneinende Antworten.
Im Juni 1925 stellte die Chirurgische Klinik Heidelberg habituelle Schulter*
luxation auf beiden Seiten und erhebliche arthritische Veränderungen fest. Wir
folgen nun einem Gutachten der Psychiatrischen Klinik: Der Kranke und ein
Bruder seiner Mutter sind Linkshänder. Sonst bietet die Familienanamnese nichts
Bemerkenswertes. Als Kind träumte er nachts viel und schrie oft im Schlafe
angstvoll auf. Nach einer 2% jährigen Lehre als Schriftsetzer hatte er zuerst in
einer großen Maschinenfabrik gearbeitet; dann war er ein halbes Jahr lang
arbeitslos gewesen, fand aber gegen Ende 1923 in dem Werke Beschäftigung,
wo sich Anfang 1924 der Unfall ereignete. Seine Angaben über dessen Her*
gang entstammten gar nicht eigener Erinnerung. Mitarbeiter hatten ihm
nachträglich erzählt, er sei auf das gespannte Drahtseil, dann gegen eine Wand
und nochmals auf ein Seil gefallen, sei mit dem Arm hängen geblieben, und sie
hätten ihn herabgehoben und auf die Erde gelegt. Die Angabe, er sei auf den
Hinterkopf gefallen, müssen wir also in Frage stellen. K. selbst hatte eine Amnesie
und erinnerte sich erst wieder, mit verrenkter Schulter zum Arzt gegangen
zu sein. Auch den Eltern war nichts Besonderes aufgefallen, K. hatte weder)
erbrochen, noch war er längere Zeit bewußtlos gewesen; die Beschwerden traten
erst einige Tage später auf. Der erste Anfall stellte sich unterwegs ein, als er
das zweite oder dritte Mal den Arzt aufsuchte, und K. wurde im Wagen nach
Hause gebracht. Nach seiner Schilderung sei er plötzlich zusammengebrochen,
als hätte er die Herrschaft über sich verloren. Seitdem kehrten die Anfälle
trotz Luminalbehandlung in Zwischenräumen von einigen Wochen oder auch
von 2—3 Tagen wieder, meist einzeln, nicht selten aber auch 3 bis 4mal ,nach*
einander. Nach Mitteilung der Eltern schrie er plötzlich laut auf, schnarchte
tief und zuckte am ganzen Körper. Meist biß er die Zunge; oft fiel er aus dem
Bett und verrenkte sich die Schulter, die der Vater dann wieder einrichtete.
Nachher fühlte er sich müde und abgeschlagen und hatte keine Erinnerung
an das Vorgefallene. Oft befiel ihn auch nur eine Absence, in der er Gegen*
stände fallen ließ. Im Laufe jenes Jahres hatte er sich ferner deutlich verändert.
Die Eltern fanden ihn schwerfälliger, nicht mehr so frisch und lebendig wie
früher, das Gedächtnis hatte nachgelassen und er war leichter erregt. Er selbst
fand, daß er leichter ermüde und sich bei jeder Arbeit — nun wieder als Schrift*
setzer — lange besinnen müsse. Bei einem Scheltwort werde er unsicher, ver*
wirrt, und leicht kämen ihm Tränen. Dieser Rückgang der Leistungsfähigkeit
Über die Be deutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 251
war zwar durch eine Prüfung noch nicht objektiv festzustellen, doch fielen eine
gewisse Armut des Sprachschatzes, Umständlichkeit im Ausdruck, Weitschweifig*
keit und Langsamkeit auf. Auch verfügte er nur über ungenaue Daten seines
Lebenslaufes.
In der Klinik konnte man „einen ganz elementaren, ungewöhnlich schweren
Anfall beobachten, der zweifellos organisch*epileptisch bedingt war: Er stürzte
mit lautem Schrei bewußtlos aus dem Bett und bekam tonisch*klonische Zuckun*
gen des ganzen Körpers Schulterluxation rechts, Gesichtscyanose, tief schnar*
chende Atmung und Zungenbiß, Fuß* und Patellarklonus, beiderseits das Ba*
binskische Phänomen. Nach dem Anfall bestand noch eine Viertelstunde ,ein
Dämmerzustand, in dem er weinte, stöhnte und angstvoll ächzte."
Dieser Anfallstypus, der nicht in einer Muskelgruppe begann, sondern blitz*
artig den ganzen Körper erfaßte, war ganz derjenige, den man bei genuiner
Epilepsie zu sehen gewohnt ist. Der Gutachter erwog zwar den Verdacht auf
genuine Epilepsie, für den auch die Linkshändigkeit, der Pavor nocturnus in der
Kindheit und die Leichtigkeit des Traumas sprachen, glaubte jedoch einen Zu*
sammenhang mit dem Unfall nicht ablehnen zu dürfen, — wie wir sehen werden,
mit vollem Recht, — da epileptische Zeichen vorher fehlten und die Anfälle erst
nach dem Unfall auftraten. Im Hinblick auf gewisse Kriegserfahrungen, wo diffuse
Hirnblutungen nach geringen Gewalteinwirkungen beobachtet wurden, stellte
man klinisch die Wahrscheinlichkeitsdiagnose einer traumatischen Epilepsie. Die
Prognose erschien schlecht, das Leiden progredient; die Erwerbsminderung wurde
mit 50 Prozent eingeschätzt.
Zu einer anderen Auffassung kam 2 Jahre später ein Obergutachten von
Professor Reichard t, Würzburg. Inzwischen hatte sich herausgestellt, daß
K. schon einmal 1923, also vor dem Unfall, wegen einer Schulterluxation behandelt
worden war. Der Gutachter hielt deshalb frühere, nichtbeobachtete Anfälle für
wahrscheinlich und betrachtete den zeitlichen Zusammenhang zwischen Unfall
und Anfällen als nicht maßgebend. Die Art der Anfälle, das Auftreten von
Dämmerzuständen, die Progredienz, die typische Charakteränderung und eine
schon vorgeschrittene Demenz wurden als kennzeichnend für genuine Epilepsie
aufgefaßt. Invalidität (70 Prozent) wurde bejaht.
Die nächsten Jahre arbeitete K. weiter als Schriftsetzer. Die Anfälle bestanden
in unregelmäßigen Abständen weiter, obwohl alle medikamentösen Möglich*
keiten versucht wurden. In anfallsarmen Zeiten litt er mehr an kleinen „so
schlagartigen" Zuckungen und klagte über stärkeres Angstgefühl. Im Anfall
fiel er immer wieder aus dem Bett und luxierte sich unzählige Male vorwiegend
das linke Schultergelenk.
Sehr bemerkenswert ist die Schilderung eines Anfalls, die wir einem Gutachten
der Heilanstalt Köppern verdanken, wo der Kranke 1928, im fünften Krank*
heitsjahre, einige Wochen zur Erholung war: „. .. fast täglich wurden Anfälle
beobachtet, die sich während des Aufenthaltes noch häuften, u. a. ein Status
epilepticus von drei Anfällen im Laufe von dreiviertel Stunden. Er war in der
Sonne gelegen, hatte plötzlich aufgeschrien und bekam klonische Zuckungen
im ganzen Körper, starke Cyanose, weite reaktionslose Pupillen. Babinski und
Oppenheim positiv. Die linke Hand war krampfhaft eingeschlagen, mit der
rechten schlug er ziemlich rhythmisch von der Sürnauf die Unter*
läge. Der Kopf wurde mäßig nach der linken Seite gedreht. Nach den Anfällen
Schwerbesinnlichkeit und weitgehende Amnesie."
252 Daniel K. Dreyfuß
Diese Schilderung verdient schon jetzt besondere Aufmerksamkeit, da wir
später in jener als organischer Krampf aufgefaßten rhythmischen Bewegung
eine sinnvolle Ausdrucksbewegung kennen lernen werden.
Vier weitere Gutachten der letzten Jahre betonen die vorgeschrittene Demenz,
Schwerfälligkeit und Stumpfheit. Bei sämtlichen körperlichen Untersuchungen
wurde intern und neurologisch nie ein krankhafter Befund festgestellt; es wird
nur erwähnt, daß das Genitale klein und hypoplastisch sei.
Analytische Hypnosen.
Anfang 1933 — im neunten Krankheits jähre — lernte ich K. gelegentlich
der Vertretung seines Arztes kennen, einen großen, kräftigen, etwas
beleibten jungen Menschen von 28 Jahren. Sein Gesicht war glatt und eben*
mäßig, die Züge etwas unentwickelt und kindlich. Im Auftreten war er ein
wenig schwerfällig, langsam und unentschlossen. Er ist seit einigen Jahren
verheiratet und lebt gut mit seiner Frau. Die Ehe ist kinderlos. Trotz der
laufenden Broms>Luminalbehandlung traten die Anfälle auch jetzt noch, zeit*
weise allnächtlich, selten auch während der Arbeit auf. Gewöhnlich begannen
sie kurz nach dem Einschlafen. Die Frau bestätigte die Mitteilung des
Kranken, daß sie manchmal bis zu 2 Stunden dauerten. Oft gelinge es ihm
noch, sie durch einen Zuruf aufmerksam zu machen, damit sie ihn festhalte
und er nicht aus dem Bett falle. Er sei bewußtlos, mache mit Armen und
Beinen krampfartige Bewegungen und beiße auch manchmal die Zunge.
Beim Erwachen sei er ohne Erinnerung, matt und zerschlagen und fände oft
Abschürfungen an den Beinen. In der Setzerei sei man unzufrieden und
schimpfe mit ihm, wenn er das Geringste falsch mache oder zu spät komme.
Deshalb möchte er am liebsten aufs Land. Er fühle sich nur als halben Men*
sehen und möchte die Anfälle loswerden, schon deshalb, weil er den vollen
Lohn nicht verdiene. Meist sei er verstimmt und traurig. (Der Meister erklärte
in einem Brief an die Versicherungsbehörde, er behalte K. nur aus Mitleid.)
Als ein gewisser Kontakt hergestellt war, setzte ich mit den Medikamenten aus
und schlug ihm eine hypnotische Behandlung vor, worauf er bereitwillig einging.
Es gelang immer leicht, ihn in Hypnose zu versetzen, nur bedurfte es ziemlich
langen Abwartens (durchschnittlich 15 Minuten). Suggestionen völliger Entspann
nung, gleichmäßig tiefer Atmung, eines Schwergefühls der Beine, des Körpers, der
Lider, Müdigkeit, Schlaf genügten. Gewöhnlich versank er mit einem ruckar*
tigen Zusammenzucken, wie nach einem Schrecken, in so tiefen
Schlaf, daß es — wie mir zunächst schien — fast unmöglich war, sich zu ihm in
Beziehung zu setzen. Auf Fragen reagierte er nur mit einem ratlosen und ge*
spannten Gesichtsausdruck und bewegte gelegentlich die Lippen, als suche er nach
Worten. Sein Gesicht war gerötet, die ganze Haltung gespannt und abweisend,
so daß ein heftiger Widerstand nicht zu übersehen war. Nach dem Erwachen
erzählte er, er erinnere sich wohl noch, wie ich zu ihm gesprochen hätte, doch t sei
es ihm unmöglich gewesen, ein Wort herauszubringen. In den beiden ersten
Sitzungen war so über seine inneren Vorgänge nichts zu erfahren.
In der dritten Sitzung wiederholte sich jenes Zusammenzucken zwei oder drei*
mal, während er, sich selbst überlassen, dalag. Nach ziemlich langer Zeit mur*
Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 253
melte er auf die Frage, wo er jetzt sei, undeutlich etwas von einem „Ofen".
Danach: „Franz! Auf dem Platz bleib' ich nur solang', bis ich soviel beisammen
hab', daß ich was anderes anfangen kann". Wenige Sekunden später erfolgte
nochmals jenes Zusammenzucken und einige abrupte ausfahrende Bewegungen
der Beine. Dann faßte er — das Gesicht schmerzhaft verzerrt — mit der rechten
Hand in die linke Achselhöhle, riß und zerrte am Ärmelloch der Weste und
stieß stöhnende Laute aus. [Unansprechbar.] Etwas später lallte er mit ver*
waschener Sprache: „Blutet's noch? Blut 's immer noch?" Er hatte den Kopf
dabei nach links gedreht und strich sich, während er die Ffage noch einigemal
wiederholte, dauernd mit der rechten Hand über die linke Stirnseite oberhalb
der Augenbraue gegen die Unterlage zu, als wolle er etwas abwischen. Einige
Worte konnte ich nicht verstehen, dann murmelte er, auf die Frage, was los sei:
„Bin runterg'falle". Nun lag er wieder einige Zeit ruhig da. Plötzlich fuhr er
hoch, richtete den Oberkörper halb auf und sah mit weitaufgerissenen Augen
um sich. [Jetzt?] „Eben hab' ich mei' Mutter g'sehe! (erstaunt:) War mei'
Mutter nit eben da?" Darauf legte er sich ganz ratlos wieder hin und schien
einige Zeit wie wach. Bald schloß er aber wieder die Augen und schlief weiter.
(Posthypnotischer Auftrag: Erinnern und aufschreiben!) Lange nach dem ge*
setzten Termin erwachte er ziemlich benommen, und war, wie das Gespräch
ergab, völlig amnestisch.
Als er sich am Tage darauf wieder einfand, war er sehr ungehalten, weil er
„die Anfälle schlimmer als je zuvor" gehabt hätte. Gleich nach dem Zubettgehen
sei ein Anfall gekommen, und am Morgen hätte ihm seine Frau erzählt, daß er
dauernd nach einem Zettel verlangt und schließlich „erbrochen
hätte, was er in sich hatte".
Daß er sich erbricht, da das Material, dessen er sich schriftlich „entäußern"
soll, zu tief verschüttet ist, weist auf die symbolische Bedeutung eines Kon*
versionsymptoms hin. Jener Vorgang scheint mir auch eine Bestätigung da*
für zu sein, wie der epileptische Anfall von exogenen Momenten sehr wohl
ausgelöst werden kann. Diese Hypnose zeigt, daß das Unfallserlebnis im
Ubw. des Kranken noch heute eine große Rolle spielen und, der Stärke des
Widerstands nach zu urteilen, außerordentlich tief verschüttet sein muß. Daß
dieses Material noch starke Besetzung hat, ist auch aus dem regelmäßigen
Erschrecken der ersten Sitzungen zu erschließen, das vermutlich von dem
Unfallmoment mitdeterminiert ist.
Die anfängliche Bemerkung, in der er Franz einen Stellenwechsel ankündigt,
ist, wie er mir später erklärte, an den Kameraden gerichtet, der kurz vor dem
Unfall mit ihm gearbeitet hat. Da diesen Worten der „Unfall" auf dem Fuße
folgt, denken wir an eine unbewußt motivierte Fehlhandlung. Der Vorwurf
gegen den Hilfsmeister (s. o.), er hätte den Unfall verschuldet, rückt damit in
ein besonderes Licht. Er hatte den Wunsch, jene Tätigkeit loszuwerden. Aus der
dumpfen Ahnung, daß der Unfall eine Ursache habe, hat er wohl die Vorstel*
lung auf den Vorgesetzten projiziert und ihm vorgeworfen, er hätte ihn zu dex
Benutzung jener schadhaften Leiter angehalten. — Auch das Verhalten in der hyp*
notischen Wiederholung des Unfalls ist unschwer verständlich: Das Zerren am
Westenrand erinnert uns an das Drahtseil, über dem er damals mit der linken
Achselhöhle hing. Am meisten interessiert uns aber die Wischbewegung an der
Stirn, da in der Schilderung jenes spontanen Anfalles in Köppern eine
254 Daniel K. Dreyfuß
ganz übereinstimmende Bewegung enthalten ist. K. konnte mir nun erzählen, daß
er nach dem Fallen an der gleichen Stelle ein leichte blutende Schramme hatte.
Das Erscheinen der Mutter am Ende konnte er mir nicht erklären, da es ihm
selber ganz unverständlich war; wir schließen daraus, daß es einer tieferen
Schicht angehörte, die dem Bewußtsein noch nicht zugänglich war. Wir kommen
darauf noch zurück.
Während einiger Tage war K., als er im Wachen assoziieren sollte, sehr gesperrt
und brachte kaum einen Einfall. Ebenso wie in Hypnose setzte er hin und wieder
zum Sprechen an, doch ohne Erfolg. Nur einmal war er über eine Deutung
seiner Angst merkwürdig stark gekränkt und kam nicht von der Idee
los, ich traue ihm bösen Willen zu. Am folgenden Tage erklärte er
mir, seine Anfälle seien jetzt jede Nacht so heftig und dauerten „die
ganze Nacht" hindurch, so daß ich ihm versprechen müsse, daß es nicht noch
schlimmer würde, sonst mache er Schluß. Meine Antwort, daß er sich durch eine
vorübergehende Verschlimmerung nicht abschrecken lassen dürfe, leuchtete ihm
zunächst noch ein. Die Vorstellung, daß die Behandlung etwas Bedrohliches sei,
wird uns noch beschäftigen.
Am nächsten Tage — in der vergangenen Nacht hatte er wieder einen Anfall
gehabt — schlief er, wie immer, unter mäßigem Widerstand ein. Gleich danach
fuhr er wieder erschrocken in die Höhe und blickte mit erhobenem Kopfe und
weit aufgerissenen Augen um sich, wie in der letzten Sitzung bei der illusionären
Wahrnehmung seiner Mutter. [Unansprechbar.] Mehrere Minuten lag er
dann ruhig da, nur ein Zucken an der Nasenwurzel und Lidflattern verrieten, daß
ihn innerlich etwas erregte. Eine halbe Stunde schlief er dann ganz ruhig, ohne
auf vereinzelte Fragen nach Erlebnissen, Träumen, Einfällen oder Erinnerungen
zu reagieren. Der Gesichtsausdruck zeigte die bekannte Spannung. Ich suchte
nun durch Gegensuggestionen dem Auftreten von Anfällen in den fol*
genden Nächten zu begegnen und die Amnesie zu lockern. Die anschließenden
Wecksuggestionen waren zunächst erfolglos. Als er 10 Minuten später nach
intensiveren Wecksuggestionen die Augen aufschlug, richtete er sich auf meine
Frage: „Munter?" halb auf und sah mich starr und ausdruckslos eine Weile an.
Plötzlich verfärbte sich sein Gesicht tiefdunkelrot, fast cyanotisch, er sank unter
Schmerzlauten zurück und begann wie das letztemal wütend mit der rechten
Hand am linken Westensaum zu zerren, so daß er diesen beinahe zerrissen hätte.
Dann wälzte er sich auf die linke Seite und stürzte — unbeeinflußt durch einige
warnende Worte — rücksichtslos vom Diwan. Er fiel auf die linke Schulter. Es
kam nun zu einigen ausfahrenden Strampelbewegungen der Beine, dann wälzte
er sich stöhnend auf den Bauch und preßte mit seiner rechten Hand die linke
Schulter. Ich hatte den Vorgang mit einigen Worten, die dem Trauma galten, und
Suggestionen gegen die Amnesie begleitet. Das Ganze hatte kaum mehr als
2—3 Minuten gedauert. Jetzt drehte er sich um und lag noch kurze Zeit ruhig
da; dann richtete er sich etwas auf, stützte sich auf den rechten Ellbogen und
starrte dumpf vor sich hin. Auf meine Aufforderung stand er jetzt auf und sah mir
vielleicht eine halbe Minute benommen, ratlos, starr, fast etwas drohend ins Ge=
sieht, ohne auf Fragen zu antworten. Ich sah nun, daß die Pupillen sehr iweit
waren. Das weitere Verhalten bestätigte meine Vermutung, daß er sich noch in
einem Dämmerzustand befand. Erst auf einige nachdrückliche Einladungen legte
er sich sehr zögernd wieder auf den Diwan und schloß sogleich die Augen. Nach
Ablauf einiger Zeit war er nur langsam und unter protrahierten Wecksugges*
tionen aufzuwecken. Er war immer noch etwas benommen, fühlte sich schlapp
Über die Be deutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 255
und müde und meinte dann nachdenklich, „das sei genau so ein Anfall gewesen,
wie zu Hause . . . auch da stemme er so die Beine an — nur hielte ihn die Frau
immer fest." Für das Erlebte hatte er wieder keine Erinnerung.
Was wir hier beobachteten, war eindeutig ein epileptischer Anfall, durch Hyp*
nose ausgelöst und modifiziert. Den Anlaß suche ich in jener Suggestion, die
sich gegen die Amnesie gerichtet und wohl bewirkt hat, daß ein im Anfall an
die Schwelle des Bewußtseins drängendes Material, das sich schon in den Schreck*
erlebnissen der vorhergehenden Sitzungen angekündigt hat, nicht mehr in seine
frühere Tiefe verdrängt werden konnte. Wäre jenes Erschrecken (= den erwähnten
„schlagartigen Zuckungen") im Wachzustand aufgetreten, hätten wir es wohl
als Schreckaura zu bezeichnen. Die Aura ist sowohl als Vorläufer des Anfalls wie
auch als selbständiges Phänomen nichts anderes als das Alarmzeichen .einer
inneren Wahrnehmung, die dem Kranken das „Hochdrängen" eines ubw. An*
fallsmaterials und damit das Kommen des Anfalls ankündigt. Der Anfall in der
Hypnose selbst war unverkennbar eine Wiederholung jener traumatischen Szene,
die sich auch in einem klinisch beobachteten epileptischen Anfall durch die
Wischbewegung angedeutet hatte. Das Zerren am Westensaum entsprach dem
Zerren an einem Seil, das Fallen vom Diwan (und früher aus dem Bett) Idem
Fallen von der Leiter. Der nachfolgende Dämmerzustand entspricht wohl in
einer Hinsicht der posttraumatischen Schockwirkung, die eine kurzdauernde Be*
nommenheit oder leichte Bewußtlosigkeit gewesen sein wird. Außerdem mag er
auch als Erschöpfungssymptom und letztlich auch als Zeichen der Verminderung
der Regression, nach erfolgter Entspannung im Anfall, anzusehen sein. Trotz
diesen Übereinstimmungen könnte man sich fragen, ob nicht bei einem anfällst
reichen Epileptiker auch einmal in der Sprechstunde ein Anfall vorkommen kann,
ohne daß man eine andere als die gewöhnliche „endogene" Auslösung an*
nehmen dürfte. Da dies aber in der langjährigen Behandlung sonst nie vorge*
kommen war, ist es wohl richtig, die hypnotische Situation im allgemeinen und
die erwähnte Suggestion im besonderen verantwortlich zu machen. Der Einwand,
es handle sich doch nur um einen hysterischen Anfall bei einem Epileptiker,
findet eine Stütze in der langen Dauer bis z.u zwei Stunden. Doch wird
im Volk das postparoxysmale Stadium gewöhnlich dem Anfall zugerechnet.
Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, daß hysterische Mechanismen während der
langjährigen Krankheitsdauer die Epilepsie — wie man so sagt — „überlagert"
haben. Mehr als das fast nur nächtliche Auftreten der Anfälle ließe etwa das
Bedürfnis nach Hilfe durch die Frau daran denken. Ganz frei von hysterischen
Mechanismen ist wohl überhaupt kein Epileptiker. Jedenfalls war jener Anfall
so völlig von epileptischem Gepräge und, zum Unterschied vom hysterischen, so
arm an Ausdrucksmitteln und von so kurzer Dauer, daß ich — ganz abgesehen,
von seiner Übereinstimmung mit dem klinisch beobachteten Anfall — seine epi*
leptische Natur für überzeugend halte, obgleich die Prüfung der Pupillen oderi
der Reflexe unterblieben ist. Auch das Fehlen charakteristischer tonisch*
klonischer Krämpfe oder eines initialen Schreies etc. spricht nicht etwa
gegen die epileptische Natur gerade dieses Anfalles. Kleine Anfälle lassen oft
jene Zeichen vermissen. Sicherlich hat die Hypnose den Anfall modifiziert.
Sie stellt künstlich eine Bewußtseinslage her, die sowohl mit dem natürlichen
Schlaf (Simmel, Schilder) als auch mit dem Dämmerzustand ver*
wandt ist. Die Hypnose ist eine künstliche Regression, eine „Massenbildung zu
Zweien" (Freud). Der gewöhnliche Anfall dagegen erfolgt aus scheinbar
normalem Bewußtsein oder eher aus dem getrübten, leicht regressiven der Ver*
25« Daniel K. Dreyfuß
Stimmung, führt also erst zu weiterer Regression, die dann allerdings immer
eine tiefere ist als die der Hypnose. Der postparoxysmale Dämmerzustand nach
erfolgter Entspannung mag ungefähr die gleiche Bw*Stufe wie die der Hypnose
darstellen. Bekanntlich kommt die Hypnose von außen her dem Durchbruch un*
bewußter Strebungen entgegen und erleichtert ihn. Die scheinbar Unverstand*
liehe Gestaltung des spontanen epileptischen Anfalls hängt wohl damit zu*
sammen, daß im spontanen Anfall jene Bewußtseinsschichten, welche die Hyp*
nose ausschaltet, erst zu durchbrechen sind. Eine Parallele sind die
unverständlichen Aktionen Wielands 2 im Dämmerzustand, hinter denen sich, wie
die Katharsis zeigte, ein wohlverständliches Agieren von Kriegserlebnissen ent-
hüllte. Dieser hypnotische Anfall brachte aber m. E. nur die „oberste" und jüngste
Schicht unbewußten traumatischen Materials, die durch Gegensuggestionen der
Wiederverdrängung vorübergehend entzogen war. Der spontane epileptische An*
fall dagegen, von dem G r u h 1 e erklärt, er sei „ohne Sinn, elementar, nicht ab*
leitbar, nicht verstehbar", enthält vermutlich das gesamte Material aus allen Er*
lebnisschichten der Entwicklung verdichtet.
Erst drei Tage nach diesem Zwischenfall kam der Patient wieder. Er hatte mit
seiner Frau gesprochen und war jetzt fest entschlossen, die Behandlung abzu*
brechen: Er habe jetzt jeden Abend — oft schon um sieben Uhr — seine Anfälle
so stark, daß sogar seine Eltern im unteren Stockwerk sein Fallen hören und
herbeieilen. Auch sie seien dagegen. Er könne kaum seine Arbeit versehen, und
wenn das so weitergehe, könne er überhaupt nichts mehr schaffen. Durch meine
Erklärungen, daß eine zeitweilige Verschlimmerung vorauszusehen gewesen sei,
und daß ich ihn auch während der Dauer der Kur krank melden könne, ließ ( er
sich nicht umstimmen, sondern erklärte entschieden: „Eine innere Stimme sagt
mir, daß ich recht hab', Herr Doktor! Ich werd' ja die Angst nit los, mein Zu*
stand bleibt so wie jetzt. Die Sach' mit dem Unfall geht mir ja überhaupt mit
mehr aus'm Kopf! Schließlich wird mir das bissei Lebensfreude noch genommen,
was ich noch hab, und dann kann ich überhaupt nix mehr leisten. Mein Ent*
schluß ist fest: Ich will unbedingt meine Brombehandlung wieder, damit ich
Ruh krieg'."
Wir halten fest, daß K. die Behandlung, in der ihm eine Besserung seiner An*
fälle in Aussicht gestellt war, abbrach, weil die Lockerung eines traumatischen
Materials zu viel Angst ausgelöst hatte. Die Zunahme der Anfälle ist kaum
allein durch das Aussetzen der Medikamente zu erklären, sondern mit Sicherheit
zu einem wesentlichen Teil einer Übertragung zuzuschreiben, die eine Ver*
Stärkung der spezifischen Reaktionsweise mit sich brachte. Nach Simmel
wirken ja Sedativa desensibilisierend auf Ansprüche des Ubw. Die Angst,
der Zustand könnte so bleiben, darf man als eine Rationalisierung ansehen;
denn es ist auffallend, daß K., der bewußt nichts mehr ersehnt hat, als von seinen
Anfällen frei zu werden, jetzt plötzlich fürchtet, seiner „Lebensfreude" beraubt
zu werden und nichts mehr „leisten" zu können, ein Ausdruck der dortzulande
übrigens gern auch im Sinne von „potent sein" gebraucht wird. Wenn wir
annehmen, daß der Anfall im libidinösen Haushalt die Funktion hat, unbewußte
aggressive Spannungen zur Erledigung zu bringen, müssen wir diese
instinktive Befürchtungen sogar als berechtigt gelten lassen. Wäre der
Versuch gelungen — bei der traumatisch überdeterminierten Entstehung —
die Anfälle durch ein „Abreagieren" des Traumas zu vermindern, so wäre es noch
. 3) t C
Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 257
fraglich, ob dem Kranken damit geholfen gewesen wäre. Vielleicht wäre er nur
eines „Abzugsventils" beraubt gewesen, und die aggressiven Impulse hätten sich,
wie im Mechanismus der Melancholie oder der epileptischen Verstimmung, gegen
das Ich gewendet. Es ist unsicher ob er einer solchen raschen Umstellung ge*
wachsen gewesen wäre. 3
Wir nehmen also an, daß jene Angst in einer tieferen Schicht von Kastrations*
angst unterbaut ist. Deren Stärke zeigt sich auch in einigen Träumen, die er schon
vor der Behandlung sehr zögernd, verlegen und etwas widerwillig preis*
gegeben hatte.
I. „Ich bin mit meiner Frau auf Rädern nach W. gefahren. Auf einmal stieg
meine Frau ab und meinte, eben wäre sie beinahe überfahren worden. Dann ist
ihr" (lächelt verlegen) „der Schlauch geplatzt. Auf der Rückfahrt tranken wir
in einer Wirtschaft Kaffee. (Ich trinke nämlich nie Bier.) Da hat meine Frau
gesagt: Du könntest doch auch mal Bier trinken! (Wir haben nämlich nur Kaffee
in einer Thermosflasche mitgehabt)."
II. „Ein andermal hab' ich mit meiner Frau zusammen im Rhein gebadet . . .
Auf einmal war ich drin. Da hat die Frau alles in Bewegung gesetzt! . . . (?) die
Leut' gerufen; da war ich aber schon drüben — auf der anderen Seite." (Ob er
baden dürfe? Die Frau sagte ihm, er solle mal fragen, ob er nicht Angst zu haben
brauche, er bekäme mal einen Krampf.)
III. „Oft träume ich auch vom Geschäft, von Streitigkeiten mit meinem Meister.
Das letztemal — wie ich aufwachte — merkte ich, daß es gar nicht so schlimm
<c
war.
Die Symbolik dieser Träume ist deutlich. Über sein Sexualleben berichtete
er, daß er fast nie spontan Bedürfnis zum Verkehr habe. Gewöhnlich ermuntere
ihn seine Frau. 4 Obwohl sie ein* bis zweimal wöchentlich Verkehr hätten, habe
er morgens lang anhaltende Erektionen, Herzklopfen und Beklemmungsgefühl.
Es besteht also erhebliche orgastische Impotenz (Reich), wie überhaupt
in der Anamnese von Epileptikern, auch wenn sie nicht mit Sedativa behandelt
sind, Sexualstörungen, bisweilen schwersten Grades, kaum je fehlen. 5
Vergegenwärtigen wir uns nochmals, daß bei K. im Anschluß an ein relativ
leichtes Trauma eine schwere, progredient verlaufende Epilepsie vom Typus einer
„genuinen" aufgetreten ist. Bei der Geringfügigkeit des Unfalls und dem Fehlen
postkommotioneller Symptome kann die Annahme einer organisch*trauma*
tischen Epilepsie kaum befriedigen. Anderseits deutet nichts außer einer Schulter*
luxation vor dem Unfall, über die wir nichts erfahren haben, auf früheres Be*
stehen von Anfällen. Vergleichen wir damit, daß der hypnotische Anfall ein*
deutig ein traumatisches Erlebnis wiedergibt, dann kommen wir zu folgenden
Überlegungen:
3) Zwei Monate später schrieb er mir u. a., daß sich die Anfälle nicht geändert hätten.
Sein allgemeines Befinden sei z. Zt. unter Luminalbehandlung sehr gut, und er hoffe nur
auf dauernden Bestand. Unser Versuch einer Lockerung des Verdrängten hatte also nur
eine vorübergehende negative therapeutische Reaktion zur Folge gehabt.
4) Vgl. Traum I.
5) Die gründliche Studie Maeders beschäftigt sich leider ausschließlich mit An*
staltsfällen, deren Sexualität natürlich völlig verzerrt ist. Die Untersuchung der Sexu*
alität „des" Epileptikers unter den Bedingungen der Internierung muß wohl zu ähnlichen
Ergebnissen führen, wie eine Untersuchung der Sexualität „des" Strafgefangenen, wo auch
primäre Fehlanlage und regressives Kunstprodukt kaum zu trennen sein dürfte.
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXII/2 17
^ Daniel K. Dreyfuß
Erstens könnte schon der Unfall - wie auch der Obergutachter erwogen hat -
ein -erster Anfall gewesen sein: dann wäre die Epilepsie die Ursache des Un,
falls. Um dann aber zu verstehen, daß der Anfall klar die traumatische Szene
wiedergibt müßten wir annehmen, daß die Bewußtseinslage des Anfalls eine
psychische Rezeption traumatisch.neurotischen Materials begünstigt. Ein bisher
latentes Anfallssubstrat wäre dann durch neues Material erweitert worden f An-
Position) und dieses hätte den Anfällen nur das Gepräge gegeben. Ähnliches
kssen aUS YSe WklandS fÜt dk StmktUr d< * DI^S»Wto£SeSS
Eine zweite Möglichkeit wäre, daß durch das Trauma eine latente epileptische
„Disposition manifest geworden wäre, daß also der Unfall die Anfälle nur
ausgelost hatte (Pavor, Linkshändigkeit). Auch in diesem Falle können wir
die Annahme nicht entbehren, daß erst mit einer Rezeption neueren traumatisch,
neurotischen Erlebnismaterials eine Toleranzgrenze überschritten worden, ein
Uetaß zum Überlaufen gekommen wäre.
Gleichviel welche der beiden Überlegungen zutrifft, für unsere Erörterung
ist nur wesentlich, daß eine traumatische Neurose in höherem Alter die letzte
notwendige Voraussetzung einer epileptischen Erkrankung gewesen sein muß
da ihr Ausdruck die Form der Anfälle mitgestaltet hat. Der jüngste Insult im
IX Lebensjahre ist vermutlich nur als sekundäres Trauma anzusehen, das sich
auf älteres psychisches Material aufpfropfte. Die Analyse Wielands ergab
auch, daß die sekundären Traumen mit älteren verwandt waren, daß gewisser,
maßen eine Komplexaffinität bestand. Ähnlich berichtete auch Simmel aus
der Analyse der Kriegsneurotiker, daß in dem „raschen und tiefen Aufriß" der
Hypnose emigemale ein Kindheitstrauma als Kern jener narzißtischen Neu.
rosen zutage getreten sei Aus der Kindheitsgeschichte unseres Kranken wissen
wir leider nicht mehr, als daß eine infantile Neurose (Pavor nocturnus L Phobie)
ebenso wie bei vielen anderen Epileptikern, vorausgegangen war. Obwohl wir
mcht entscheiden können, ob die illusionäre Wahrnehmung der Mutter in der
Hypnose einer frühinfantilen oder einer jüngeren Schicht angehört, erinnern wir
uns doch an die Genese solcher Phobien, die häufig auf das Vermissen der
Mutter oder die Beobachtung des elterlichen Verkehrs 6 zurückgehen. Auch der
Verlauf der Hypnosen gibt uns noch einen kleinen Hinweis. Der Umstand daß
die beiden ersten Sitzungen keine anderen Erscheinungen als das „Erschrecken"
boten, daß sich erst in der dritten Sitzung ein ubw. Material angekündigt hat,
welches m dem „Anfall der vierten Hypnose verständlich zu Tage trat legt
die Annahme nahe, ein solches stufenförmiges Manifestwerden ubw. Inhalte
sei zugleich auch eine historische Darstellung des Krankheitsaufbaues. Man darf
den Gedanken erwägen, jenes Erschrecken sei nicht allein von dem jüngsten
traumatischen Insult her, sondern schon aus der älteren Schicht des Pavor noc
turnus determiniert.
Wir begnügen uns hier mit diesen Streiflichtern, da unser Material nicht hin*
reicht, die schon von Ferenczi angedeutete Auffassung (s. u.) zu begründen,
daß eine Fixierung auf narzißtischer Stufe die Krankheitsstruktur der Epilepsie
entscheidend bestimmt. Die Bedeutung sekundärer Traumen erkennt man auch
an anderen Fallen So berichtet Gruhle von einem epileptisch belasteten
™ c f?' dessen A £ fäl h in der Nacht nach einem ziemlich rohen sexuellen
Attentat begannen. Ruf f in erwähnte einen zwölfjährigen Jungen, dessen
6) Vgl. Anm. 7, S. 264.
Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 259
Anfälle, drei Tage nachdem ihm ein Kaplan einen heftigen Schlag auf
den Kopf versetzt hatte, auftraten. Da dieser Junge außer Kopfschmerz
zen keine postkommotionellen Erscheinungen hatte, ist die Annahme
eines psychischen Traumas (Lehrer, Vaterimago) der Annahme eines
zerebralen Traumas wohl vorzuziehen. In der Mehrzahl der Fälle, bei
denen die Epilepsie schon in früher Kindheit manifest wird, ist der
Krankheitskern wohl schon vor der Latenzzeit vollendet und bedarf nur noch
des nicht abführbaren Triebüberschusses der Reifezeit, damit das Leiden in seiner
typischen Form manifest werde.
Die analytischen Hypnosen haben mir nicht den Eindruck hinterlassen, als
ob sich mit so aktivem Vorgehen eine Therapie der Epilepsie durchführen
ließe. Sie brachten die Gefahr überstarker Reaktionen, die wohl ubw. Material
leicht zugänglich machen, zugleich aber auch so viel Angst entbinden, daß die
Fortsetzung der Therapie gefährdet wird. Ein solches Vorgehen muß wohl
auf die frischen Fälle mit klar traumatisch bedingter Genese beschränkt bleiben
— wie z. B. bei den traumatischen Kriegsneurotikern (S i m m e 1) — , wo
Symptome noch nicht allzulange mit Hilfe von Widerstand und Reaktions*
bildungen (Reich) in die Persönlichkeit eingebaut sind. Dagegen
scheint es mir nach diesen Erfahrungen durchaus sinnvoll, Epileptiker — wie
S t e k e 1, Reich u. a. es versucht haben — einer Analyse zu unterziehen,
in der ein systematischer Abbau des Widerstandes möglich ist und Angst*
reaktionen nicht in gleichem Maße drohen. Auch wo es gelingt, mit
analytischer Hypnose viel weiter vorzudringen, gelangt man schließlich an
einen Punkt, wo die „Dicke" der Schicht eines nicht bewältigbaren Wider*
Standes die Analyse zum Stocken bringt. Dennoch ist es nicht ausgeschlossen,
daß innerhalb einer Analyse der Epilepsie — vor allem traumatischer Epi*
lepsie — eine gelegentliche Anwendung der Hypnose ihren Platz finden wird.
Am besten würden sich wohl die frischen, gerade erst erkennbaren Fälle
bei Jugendlichen zur Behandlung eignen.
Der anscheinend besondere Verlauf der Hypnose bei narzißtischen Neu*
rosen läßt noch einige Schlüsse über die Lagerung des verdrängten Materials
zu. Der Schlaf war, wie geschildert, so tief, daß es zuerst den Anschein hatte,
als fehle jeder Rapport. Wir schlössen daraus auf einen besonders heftigen
Widerstand, der zunächst auf eine tiefe Verdrängung und wahrscheinlich'
auch dementsprechend auf frühzeitige Fixierung hinwies. Auf ähnliche
Gesperrtheit und Unzugänglichkeit stieß ich bei einem hvsteroepileptischen
und außerdem rentenneurotischen Anfallskranken, dessen Krankheit mit einer
Verschüttung im Felde begonnen hatte. Er war in Hypnose geradezu stu*
porös, war auch nur schwierig zu wecken, erwachte benommen und bot noch
eine Viertelstunde lang einen völligen Starrezustand; danach klagte er über
Kopfschmerzen und über Schlaflosigkeit in der folgenden Nacht. Beim nach»
sten Versuch, ihn wach assoziieren zu lassen, kam er jedoch spontan in tiefe
Hypnose und war zu guter Letzt ebenso schwierig zu wecken. Ein anderer
17*
260 Daniel K. Dreyfuß
traumatischer Kriegsneurotiker litt seit dem Kriege an stundenlang dauernden
hysterischen Anfällen. In der Hypnose erlebte er (1933) seine Verwundung
durch eine Handgranate, bei der er unter den Kadaver seines Pferdes zu
liegen gekommen war, wieder. Auch bei ihm stieß der Weckversuch auf so
energischen Widerstand, daß er schließlich erst nach 2V 2 Stunden aus seinem
Erleben herauszureißen war und noch Erscheinungen eines leichten hyste*
rischen Dämmerzustandes, Desorientiertheit, Benommenheit, schwankenden
Gang, Schlaftrunkenheit bot. Dieser Kranke war in zwei, mehrere Jahre
zurückliegenden Aufenthalten in der neurologischen Universitätsklinik (Prof.
v. Weizsäcker) zuerst noch als Hysteroepilepsie, und erst
später- als Hysterie diagnostiziert worden.
Man macht vielleicht für ein solches Verhalten in der Hypnose die Demenz
verantwortlich; dies ist aber keine Erklärung. Die Annahme liegt nahe, daß in
der Hypnose sowohl, wie im Anfall das empordrängende Material einer
so tiefen Schicht des Ubw. angehört, daß der überlagernde Widerstand eine
unmittelbare Entäußerung auf kathartischem Wege verhindert. — Ein
tiefer Grad der Hypnose kommt m. E. umso leichter ganz ohne
Zutun des Leiters zustande, je mehr ausgebreitet und tiefgreifend pathogenes
Verdrängungsmaterial selbst bei äußerlich intakter Persönlichkeit vorhanden
ist. Das Gegenteil ist bekanntlich bei akuten psychotischen Durchbrüchen
der Fall, in denen Kranke überhaupt nicht zu hypnotisieren sind, weil ihre
Realitätsbeziehung und ihre Übertragungsfähigkeit auf ein Mindestmaß redu*
ziert sind. Verdrängtes besitzt erfahrungsgemäß eine Anziehungskraft auf
die Besetzungen des Wahrnehmungsbewußtseins, wie besonders introver*
tierte Charaktere, Dämmerzustände und ganz allgemein jede Neurose und
Psychose mit ihren typischen Regressionen erkennen lassen. Jene Fälle, wo
in Hypnose „Spontankatalepsie", Stupor oder hysterische Anfälle u. ä.
Zwischenfälle aufgetreten sind (Schilder und Kauders), sind m. E.
sicher latent Kranke, die dank charakterologischen Reaktionsbildungen im
Ich (Reich) als gesund imponierten. Solche Erscheinungen können aller*
dings zu einem geringen Teil durch die Hypnose als regressiven Vorgang
begünstigt werden, sind aber nicht als zum Wesen der Hypnose gehörig
anzusehen. Die gefürchteten Nachwirkungen — wie Benommenheit, Kopf*
schmerzen oder Erregungszustände — sind bei einem Vorgehen, das mög*
liehst vieles dem freien Willen des Kranken überläßt, in der Regel zu vert*
meiden. Wo sie aber auftreten, sind sie Erscheinungen tiefgehender Fixie*
rungen und des Widerstandes: entweder des Widerstandes des Patienten, der
durch ihn an einer Katharsis verhindert ist, oder vielleicht auch des Hypno*
tiseurs, der ihn daran hindert. Jener erwähnte Hysteroepilepsiekranke hatte
die geschilderten Nachwirkungen nicht von der Hypnose, sondern durch
seinen immensen Widerstand, der dem empordrängenden Material nur den
Ausweg der Organverschiebung freigab. Der Gefäßspasmus, der die Kopf*
Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 261
schmerzen hervorrief, ist vielleicht nur der gleiche Vorgang am Vasomotoren««
apparat, wie das Erbrechen unseres Kranken, als er sich schriftlich eines Er*
lebnismaterials nicht entäußern konnte. Man erinnere sich hier auch der vaso*
neurotischen Symptome, unter denen Wieland bis zur Katharsis gelitten hat.
Es bedarf wohl einer Begründung, weshalb wir bisher den Begriff der
Katharsis, den Freud eliminieren wollte, nicht entbehren konnten. Freud
ist jener Formel Ranks, Neurotiker werde der, dem es wegen der Stärke
des Geburtstraumas niemals gelinge, dieses „abzureagieren", entgegengetreten:
„Man weiß nicht recht, was mit dem Abreagieren des Traumas gemeint ist.
Versteht man es wörtlich, so kommt man zu dem unhaltbaren Schluß, daß
der Neurotiker sich umsomehr der Gesundheit nähert, je häufiger und inten*
siver er den Angstaffekt produziert. Wegen dieses Widerspruches mit der
Wirklichkeit, hatte ich ja seinerzeit die Theorie des Abreagierens auf*
gegeben, die in der Katharsis eine so große Rolle spielte." (Hemmung,
Symptom und Angst, Ges. Sehr., S. 92 f.) In diesem Zusammenhang wäre
zu erörtern, ob nicht ein „Abreagieren" im alten Sinne nur unter
den Bedingungen der phallischen Libidostufe möglich sei und eine
weitgehende Zentrierung der Libido am Genitale zur Voraussetzung habe.
Jede ältere traumatische Fixierung und vor allem eine vorzeitige Triebente
mischung auf vorwiegend narzißtischer Stufe verurteilt dagegen m. E. die
Intention zur Katharsis zum Mißlingen. Mag der Versuch auch miß«
lingen, so ist doch der Mechanismus — wie ich meine — kein anderer als bei
gelungener Katharsis: Ein Agieren in regressiver Bewußtseinslage wie
beim Kinderspiel (vgl. Freud, Jenseits des Lustprinzips); ihr Zweck
ist die affektvolle Bewältigung des traumatischen Erlebnisses durch
nachträgliche Besetzung des psychischen Reizschutzapparates, dessen vorbe*«
reitende Besetzung nach Freud die Traumatisierung verhindert hätte. Damit
dürfte jener Widerspruch zu erklären sein. Ein solcher kathartischer Fehl«
versuch ist wohl auch der epileptische Anfall. Wenn erfahrene Anstaltsärzte,
wie Gruhle berichtet, den Anfall bei reizbaren Epileptikern oft wie eine
Erlösung herbeisehnen, weil auf ihn erfahrungsgemäß eine Zeit größerer Um«=
gänglichkeit folgt, so erhoffen sie in gewissem Sinne auch eine „Katharsis".
Bekanntlich fühlt sich auch ein Teil der Kranken nach dem Anfall freier,
unter Luminalwirkung dagegen oft erheblich in ihrem Allgemeinbefinden
beeinträchtigt. Die Auffassung der Psychosen als mißlungener Reparations*
versuche ist dem Analytiker nicht fremd. Das periodische Auftreten von
Schüben oder von Anfällen ließe sich durch Ausbleiben einer Absättigung er««
klären, weil der kathartische Versuch auf dieser Libidostufe sein Ziel nicht
erreichen konnte.
Eine dynamische Betrachtung der Hypnose bei narzißtischen Neurosen
führt uns zu Überlegungen über das Wesen der Demenz. Wir sahen, daß die
ständige Ichabwehr unbewußter Ansprüche die freie Verfügbarkeit affektiver
I
262 Daniel K. Dreyfuß
Valenzen beeinträchtigt. Sobald in Hypnose von außen her eine regressive
Herabsetzung der Besetzungen des Wahrnehmungsbewußtseins begünstigt
wird, erscheinen diese Kranken von unbewußten Vorgängen völlig absorbiert.
Wenn es sich weiter bestätigt, daß der Epileptiker ein wohlisoliertes, g&
schichtetes, in verschiedenen Entwicklungsphasen aufgebautes Erlebnismate*
rial verdrängt hat, dann verstehen wir, daß der für diese Verdrängungsarbeit
erforderliche Energiebetrag nicht für intellektuelle Leistung verfügbar ist. Die
vorliegende kurze Analyse lieferte nur wenige Bestätigungen für die sadistisch*
anale Triebfixierung des Epileptikers, die andere Autoren (St ekel,
Maeder, Binder, Ruffin, Reich u. a.) hervorheben. Andeutungen
fanden sich in den Träumen und in dem Verhalten im hypnotischen Anfall.
Wieland dagegen ließ ein ganz außerordentliches Maß davon er*
kennen. Wir dürfen wohl annehmen, daß das ständige Bemühen, solche
sadistische Ansprüche in Schach zu halten, jene Affektvalenzen aufsaugt,
die die Denkfunktion normalerweise unterbauen, ein Vorgang, der auch in der
Denkhemmung des Depressiven in leichterem Grade auftritt. In der epilep*
tischen Demenz sehen wir also einen Ausdruck des latenten Aggressions*
triebes, dessen Bewältigung die Beziehung des Kranken zur Umwelt ganz
allgemein und den Intellekt im besonderen beeinträchtigt und eine fort*
schreitende Lähmung zur Folge hat. Dabei erinnern wir uns, wie B o r n s t e i n
in ihrer Studie zur Psychogenese der Pseudodebilität eine sadistische Uberbe*
setzung der geistigen Funktionen als Ursache eines Defektes schwersten
Grades herausstellen und rückgängig machen konnte. Das Fehlen hirnpatholo*
gischer Befunde — außer in vorgeschrittenem Endstadium, wo sie auf An*
fallswirkung zurückgehen (Spielmeyer) — muß davor warnen, die Ur*
sache der beginnenden Demenz in einem zerebralen Abbau zu suchen. Auch
die Ergebnisse der üblichen Intelligenzzprüfungsmethoden, die an die
Fähigkeit eines psychisch Kranken, das Gefragte mit Aufmerksam*
keit zu besetzen, appellieren, können nicht als Ausdruck eines
irreparablen Dauerzustandes zerebraler Genese angesehen werden.
Die Umständlichkeit und Weitschweifigkeit weist viel eher auf
hemmende oder störende Faktoren im affektiven Unterbau des
Denkens als auf primär organischen Ausfall. Der Epileptiker verfügt im
anfallsfreien Intervall — wenigstens im Frühstadium — über eine relativ
intakte Ichpersönlichkeit und, im Gegensatz zu den Psychosen, über gute
Realitätsbeeziehung und Ubertragungsfähigkeit. Während in der Schizo*
phrenie das Unbewußte die Ichfunktionen weitgehend erfaßt und durchsetzt,
erlaubt diese Krankheitsstruktur nur kurzdauernde Durchbrüche im Anfall.
Die Prognose der Epilepsie mag deshalb bei analytischem Vorgehen vielleicht
günstiger sein. Auch eine gerade erst erkennbare Demenz ist keine Indikation
gegen einen therapeutischen Versuch, solange jene Zugänglichkeit eine Basis
für die Übertragung abgibt. In der Stekel sehen Auffassung, als versänke
Übet die Bedeutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 263
der demente Kranke „aus der Flucht vor der Realität in seine embryonale
Existenz" (n. Binder), können wir vorläufig noch nicht eine befriedigende
analytische Erklärung des Vorganges sehen. Wenn sie richtig ist, gilt es zu
erfahren, wie das zugeht. Auch der Tod ist einem Nichtgeborensein ähnlich,
bei einer pathologischen Untersuchung kommt es jedoch darauf an, die
Zwischenstationen kennen zu lernen, deren eine wir in einer sadistischen
Uberbesetzung suchen wollen. Ohne Berücksichtigung der Beziehungen zwi*
sehen Aggressions* und Todestrieb, wird diesem Problem schwerlich beizu*
kommen sein.
Wir wollen nun versuchen, die epileptischen Symptome und besonders den
Anfall triebpsychologisch zu verstehen. Zunächst folgen wir einem Hinweis
Ferenczis in seiner Abhandlung „Entwicklungsstufen des Wirklichkeits*
sinnes". Es sei kurz wiederholt, daß die erste Stufe nach der Geburt eine
„Periode bedingungsloser Allmacht" sei, da alle Wünsche eines Neuge*
borenen unter normalen Bedingungen erfüllt sind. Auf einer zweiten Stufe
werde die vermißte Befriedigungssituation halluzinatorisch besetzt, Fe*
renezi nennt sie die „Periode magisch*halluzinatorischer Allmacht". Der
normale Schlaf und der Traum seien eine „periodisch sich wiederholende
Regression" zu dieser Stufe. „Das pathologische Pendant dieser Regression
sei die halluzinatorische Wunscherfüllung bei Psychosen". Schon auf dieser
Stufe, noch mehr aber auf der dritten „einer Periode der Allmacht mit Hilfe
magischer Gebärden" verstehe es das Kind, durch „unkoordinierte mo*
torische Entladungen bei Unlustaffekten" (Schreien, Zappeln) die Pflege*
person zur Wiederherstellung der vermißten Befriedigung zu veranlassen.
An dieser Stelle erklärt Ferencziin einer Fußnote:
„Wenn ich in der Pathologie nach einem Analogon dieser Entladungen
suche, muß ich immer an die genuineEpilepsie, diese problematischste
unter den großen Neurosen denken* Und obzwar ich ohne weiteres zugebe,
daß in der Frage der Epilepsie Physiologisches und Psychologisches schwer
zu sondern ist, erlaube ich mir doch darauf aufmerksam zu machen, daß die
Epileptiker als ungemein „empfindliche" Menschen bekannt sind, hinter;
deren Unterwürfigkeit beim leisesten Anlaß furchtbare Wut und Selbst*
herrlichkeit zum Vorschein kommt. Diese Charaktereigenschaft wurde bisher
meist als sekundäre Entartung, als Folge oft wiederholter Anfälle gedeutet.
Man muß aber auch an eine andere Möglichkeit denken: an die nämlich, o b
denn die epileptischen Anfälle nicht als Regression in die
infantilePeriodederWunscherfüllungmittelsunkoordi*
nierter Bewegungen zu betrachten sind. Die Epileptiker wären
dann Wesen, bei denen sich die Unlustaffekte aufhäufen und sich periodisch
in Paroxysmen abreagieren. Erwiese sich diese Erklärung als brauchbar, so
müßten wir die Fixierungsstelle für eine spätere Erkran*
I
264 Daniel K. Dreyfuß
kungan Epilepsie in dieses Stadium der unko ordinierten
Wunschäußerungen verlegen. — Das irrationelle Strampeln mit
den Füßen, das Ballen der Fäuste, das Zähneknirschen etc. bei Zornes*
ausbruch wäre eine mildere Form derselben Regression bei sonst ge*
sunden Menschen." In Einklang damit stände das klinisch*statistische Ergeh*
nis, daß das Erkrankungsmaximum im ersten Lebensjahre 7 liegt. (Wol*
fen stein, nach Gruhle.) Als Ferenczi dieses Problem später noch
einmal streifte, schloß er sich der Erklärung Freuds, der epileptische An*
fall „sei Produkt und Anzeichen einer Triebentmischung", an: „In der Sym*
ptomatik der Epilepsie äußere sich das Toben einer von den Hemmungen
des Lebenwollens fast freien Tendenz zur Selbstvernichtung."
Da wir bisher unser Augenmerk vorwiegend auf die Äußerungen des
Unbewußten im Anfall gerichtet haben, können wir hier über die Funktion
der Ichinstanzen nur wenig aussagen. Im hypnotischen Verhalten des Kran*
ken war uns die starke Abwehr des Ichs gegen unbewußte Ansprüche auf«
gefallen, und wir müssen wohl annehmen, daß auch im Normalzustande das
Ich der Zensur Herr sei. In Wielands Analyse fanden wir, daß eine wichtige
Funktion des Über^Ichs im Dienste des Narzißmus darin bestand, der Re*
gressionstendenz zu widerstreben. Nur selten gab die Zensur dem Ubw,
soweit nach, daß der regressive Durchbruch eines großen Dämmerzustan*
des mit schweren Gewalttaten auftrat. Die meiste Zeit bestand vielmehr zwi*
sehen Ich und Ubw. ein Gleichgewichtszustand, der höchstens durch Schwan*
kungen in Form leichterer Äquivalente, Verstimmungen, phobischer Fugue*
zustände oder kurzdauernder, aktionsloser „kleiner" Dämmerzustände ge*
stört wurde. Gehen wir von der Vorstellung aus, daß die epileptischen Sym*
ptome eine Stufenfolge gleichen Geschehens darstellen, 8 dann ist der Schluß
7) In diesem Zusammenhang wird man mit Interesse den talmudischen Satz lesen:
„Liegt ein Kind, das jünger als ein Jahr ist, zu den Füßen der Konkubenteh, so wird
dieses epileptisch". Tract. Pes. 112. b. cit. nach Preuß, Bibl. talmud. Medizin, Berlin
1923, S. 343.
8) Die Einheitlichkeit jener Erscheinungen hat Gruhle in Anschluß an W. Fuchs,
Heveroch und M ö r c h e n treffend gekennzeichnet :
„Läßt man aus dem großen motorischen Anfall die Motorik weg, so entsteht die kurz«
Bewußtlosigkeit ohne Krämpfe, die Ohnmacht. Vermindert man noch die Tiefe des Bewußt*
seinsverlustes, so bleibt noch die kurze Geistesabwesenheit, die absence übrig. Ja zuweilen
kommt es nur zu kurzem Gedankenstocken oder Schwindel. Vermindern sich die klinischen
Zuckungen oder Krämpfe, so entsteht der kleine Anfall, das petit mal. Fügt man schließlich
noch die endogene (motivlose) Gemütsverstimmung von kurzer Dauer und den Dämmei*
zustand hinzu, so hat man alle jene „kleinen" Anfälle aufgereiht, die angeblich einen Ersatz
(Äquivalent) des großen Anfalls darstellen. Freilich kann man sich bei diesem Begriff
nicht allzuviel denken. Inwiefern eine irgendwie geartete Rindenreizung
bald einen motorischen Anfall, bald eine längere Bewußtlosigkeit hervorbringen soll,
läßt sich schlechterdings kaum begreifen. Aber es ist unbezweifelbare Tatsache, daß
diese Äquivalente neben den großen motorischen Anfällen selbständig vorkommen, daß
sie gelegentlich mit jenen alternieren und daß sie sie oft zu „ersetzen", bezw. zu „vertreten"
scheinen." (Sperrg. v. Verf.)
Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 265
nicht allzu gewagt, daß auch im Anfall die Ichinstanzen zwar nicht mehr
stark genug seien, die hervorbrechenden aggressiven Strebungen ganz zu un*
terdrücken, aber immer noch mächtig genug, deren hemmungslosen Ablauf
zu verhindern.
Stekel faßt „nicht nur den Dämmerzustand, sondern auch den großen
epileptischen Anfall als ein Überfallenwerden durch regressive Phantasien"
auf und ist der Ansicht, „daß sich im großen Anfall sexuelle, viel häufiger
aber noch kriminelle Phantasien ausleben" (nach Binder, S. 270/71). „Der
Epileptiker begeht im Anfall ein Verbrechen". Den regressiven Charakter
der epileptischen Symptomatik betont Stekel nachdrücklich, gelegentlich
erwähnt er auch die Bedeutung der Ichabwehr. Reich wendet ein, daß
Inhalte des Anfalls wie „Todesangst, Grausamkeit, Inzestwünsche,
Homosexualität u. ä.", die Stekel verantwortlich macht, nicht als
Ursache des Anfalles anzusehen seien, und daß derartige Erlebnisse
oder Phantasien, sofern sie im Anfall vorkommen, die Genese und den Me*
chanismus nicht erklären. Da Phantasien immer Impulsen entsprechen, die
sich in der Realität nicht ausleben lassen, ist es vorzuziehen zu sagen, im
Anfall werde eine bisher ubw. Phantasie als Impuls manifest. So sehen wir
bei Wieland, daß die „kleinen" Dämmerzustände schon durch die gleichen
ubw. Impulse verursacht wurden, die in den großen zu realen Aktionen
wurden. Wir möchten also im Anfall und seinen Äquivalenten gleich»
falls Regressionen verschiedenen Grades sehen, von denen der Anfall
und der Dämmerzustand wohl die tiefste Stufe darstellen, während
sich die leichteren Äquivalente jüngeren und bewußtseinsnäheren Ent*
wicklungsstufen des Wirklichkeitssinnes annähern. Die jeweilige Symptom*
wähl und der Grad der Regression mag wohl vom Grade der vegetativen
Stauung (Ferenczi, s.o., und Reich) abhängen. Auch wir sehen im
Anfall eine, allerdings zielgehemmte, brutale Aggression und halten diese
Auffassung mit Ferenczis „Regression in die infantile Periode der
Wunscherfüllung mittels unkoordinierter Bewegungen" für gut vereinbar.
Je heftiger die gestauten und schließlich hervorbrechenden Ansprüche des
Ubw. sind, desto stärker muß der Widerstand der Ichinstanzen ihnen ent*
gegenwirken, und umso tiefer ist dann die Regression. Die An*
sieht von Weizsäckers, daß im Anfall Angsterlebnisse der Kind*
heit affektvoll reproduziert werden, steht der unsrigen gleichfalls nicht
entgegen; denn wir wissen, daß solche Erlebnisse immer Gegenaggressionen
im Ubw. auslösen, die sich auf jener Stufe nicht auswirken können.
Beim bloßen Anblick mancher schwerer Anfälle drängt sich einem, auch
wenn man ihren Inhalt nicht kennt, das Bild auf, als sei ein Mensch, der in
infernalischer Wut rasen möchte, von unsichtbaren Kräften gefällt und fest*
gehalten. Der bekannte Schrei — klingt er nicht wie ein Aufbrüllen in uni*
266 Daniel K. Dreyfuß
sinniger Wut? Man versuche einmal, sich das Zorngeschrei eines Kleinkindes
in die Stimmlage des Erwachsenen übersetzt vorzustellen! — Es ist als söge*
nannte Epilepsia procursiva die Tatsache beschrieben, daß Kranke noch einige
Schritte vorwärtsgehen, bevor sie im Anfall zu Boden stürzen (nach G r u h 1 e).
Man sollte meinen, sie hätten gleichsam wie in einem Dämmerzustande noch
versucht, auf ein imaginäres Ziel loszugehen, als jene zügelnde Macht den Däm*
merzustand in .einen Anfall hinüberleitete. Wenn der Gegensatz von Destruk*
tionstrieb im Ubw. und hemmender Funktion der sozial angepaßten Ichinstan*
zen den Anfall gestaltet, könnte das tonische Stadium ein Zeichen der Vorherr*
schaft hemmender Kräfte sein. Der intendierten Innervation der Muskulatur
als Werkzeug dieser destruktiven Absichten, hielte die Innervation der Ant*
agonisten die Waage. Infolgedessen bliebe die Erregung maximal auf das
vegetative System zurückgedrängt (vgl. Reich), wo sie an den be*
kannten Zeichen der Pupillenenge, Cyanose, Dyspnoe, Broncho* und
Laryngospasmus etc. erkenntlich ist. In der klonisch*tonischen Phase fände
ein rhythmischer Wechsel zwischen aggressiver und reaktiver Innervation
statt, so daß eine gewisse Abfuhr sadistischer Libido ermöglicht ist. 9 Nun
kann mit der Verminderung der vegetativen Stauung der Anfall abklingen
(Pupillenweite, tiefe röchelnde Atmung). Für die Entleerungen von Blase
und Mastdarm könnte man gleichfalls die vegetative Stauung verantwortlich
machen. Welche Bedeutung diese Organe als erogene Zonen der frühen
Kindheit im Anfall haben, läßt sich noch nicht übersehen. Im Zungenbiß wie
im Anfall überhaupt hätten wir nach alledem eine masochistische Selbst*
Schädigung an Stelle einer aggressiven Handlung zu sehen. 1 '
Hier müssen wir uns über einen Einwand Rechenschaft geben. Da wir
die Funktion der Ichinstanzen, insbesondere des Über*Ich, für die Gestaltung
des Anfalls verantwortlich machen, scheint die Tatsache, daß schon die An*
fälle des ersten Lebensjahres in ihrer Motorik denen des Erwachsenen sehr
ähnlich sein können, schwer verständlich, denn ein Über*Ich besteht auf
dieser Stufe noch gar nicht, ist mindestens noch nicht differenziert. Wir
müssen annehmen, daß die Entstehung des Uber*Ichs, die F r e u d in die phal*
lische Entwicklungsstufe (Ödipuskonflikt) verlegt, schon eine Vorstufe in
jener frühnarzißtischen Phase hat, wo eine physiologische Konstellation von
Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit gar keinen anderen Weg offen läßt,
9) Nachträglich finde ich einen ähnlichen Gedanken bei Franklin erörtert. (Die
bedingten Reflexe bei Epilepsie und der Wiederholungszwang, Imago, Bd. XIV, 1928, S. 364) :
„Vielleicht bedeutet das tonische Stadium eines großen Anfalles ein äußerstes Bemühen
den Todestrieb aufzuhalten, bevor er in der Explosion der unkoordinierten Konvulsion zur
vollen Herrschaft gelangt, die dann in Erschlaffung und Koma, gelegentlich zum Tode,
meist zum Schlafe führen." — Vgl. ferner Ferenczi: Über zwei Typen der Kriegs»
neurose, Int. Ztschr. f. Psa., Bd. IV, 1916/17, besd. S. 142, oben.
10) Ähnliches auch bei S te k e 1.
Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 267
auf einen erregenden Eindruck oder eine konstante Versagung anders zu
reagieren als mit einer Introversion sadistischer Libido. Diese Vorstellung
findet in Erfahrungen von Melanie Klein bei Kinderanalysen eine Stütze.
„Die Bildung des Über*Ichs, weit entfernt ein einzelner seelischer Akt zu
sein ... ist vielmehr mit allen Entwicklungsphasen verbunden, hat seine tief«!
sten Wurzeln in o r a 1 e n Erlebnissen und durchläuft alle emotionalen Ver*
änderungen des Kindes von der Brust an bis zur Latenzperiode" (I s a a c s).
Die Beziehungen von „Entbehrung und Schuldgefühl" die I s a a c s darlegt,
werden auch zur Erklärung des ungeheuren Schuldgefühls der Epileptiker
heranzuziehen sein.
Wenn unsere Annahme, daß die Ichinstanzen im Anfall eine hemmende
Funktion haben, richtig ist, müssen wir nun feststellen, daß eine solche Lei*
stung mit jener, die Freud uns an der Depression gezeigt hat, auffallend
übereinstimmt. Hier wie dort stoßen wir auf einen untragbaren sadisti*
sehen Überschuß. Die Spannung zwischen Übersieh und Ubw. erreicht
in der Depression ein Maximum, das sich in psychischer und motorischer
Lähmung im Ich, in der Manie ein Minimum, das sich in physischer und
motorischer Erregung zu erkennen gibt. Während diese Phasen in individuell
verschiedener zeitlicher Folge wechseln, haben wir im epileptischen Anfall
gleichzeitig Erregung und Lähmung. Diese Übereinstimmung in der Dynamik
beider Erkrankungstweisen ist selbstverständlich nur bei der Betrachtung des
Anfalls aufrechtzuerhalten. Im erregten Dämmerzustand haben wir ein Bild,
das der Manie schon nähersteht, während die epileptische Verstimmung Ver*
gleiche mit der Depression nahelegt. Der Vergleich soll auch nur für eine
tiefere Libidostufe gelten, als der Fixierungsstelle des zirkulären Irreseins
entspricht, und nicht etwa die beiden Krankheitsformen einander gleich*
setzen. Der diffusen und langdauernden Überflutung der Ichinstanzen in der
Manie entspricht bei der Epilepsie ein zirkumskripter und kurzdauernder
Durchbruch einer durch Reaktionsbildungen gefestigten Ichinstanz. Die Wir*
kungsweise dieser Reaktionsbildungen zeigt eine gewisse innere Verwandt*
schaft mit der Funktion des Über*Ichs in der Depression. Ein solcher Durch*
bruch auf tieferer Regressionsstufe bedient sich naturgemäß auch einer on*
togenetisch alten Motorik. Dem entspricht es wohl, daß im Frühkindesalter
zielstrebige Innervationen der Muskulatur von nur geringer Exkursions*
breite möglich sein dürften, die einem aggressiven Anspruch gar keinen
anderen Ausdruck geben können, als den der Ambivalenz des klonischen
Krampfes. Die größere Brutalität der epileptischen Aktionen und die tiefere
Regression des Bewußtseins stimmen mit dem Versuch, ihnen eine ältere
Fixierungsstelle als den maniseh*depressiven Erkrankungen zuzuschreiben,
gleichfalls überein.
Diese Hypothese widerspricht nicht der Annahme Reichs (1928), daß
der zentrale Mechanismus des epileptischen Anfalls ein extragenitaler mus*
268 Daniel K. Di-eyfuß
kulärer Orgasmus ist." R. hat die auffälligen aktualneurotischen Mechanis*
men des Epileptikers in den Vordergrund gestellt und eine libidinöse Über*
besetzung der Muskulatur infolge vegetativer Stauung angenommen. So
kam er dann zu einem Vergleiche der epileptischen Motorik mit einer orgasti*
sehen Motorik bei Coitus interruptus, die gesteigert sein soll. Ich habe eher
den Eindruck, daß beim Epileptiker die vegetative Stauung und die mo*
torisch*aggressiven Abfuhrmöglichkeiten umgekehrt proportional sind
(vgl. oben, F e r e n c z i). Diese vegetative Stauung wächst im Intervall und
entlädt sich, sobald ein untragbarer Grad erreicht ist, im Anfall. Die Ansicht
Reichs läßt sich mit der unsrigen in Einklang bringen, wenn wir einen sol*
chen extragenitalen muskulären Orgasmus als die Abfuhr der frühnarzißtischen
Libidostufe nach erfolgter traumatischer Triebentmischung ansehen. — Aber
die Erkenntnis, daß der epileptische Anfall einen orgastischen Me*
chanismus enthält, genügt nicht, uns die Gesamtmotorik verstehen
zu lassen, da sich diese — wie jeder Beobachter eines Anfalls zugestehen
wird, mit genitaler orgastischer Motorik nicht deckt. Reich hat den be*
kannten Freud sehen Mechanismus einer „Verschiebung nach oben" heran*
gezogen, um zu erklären, daß die Erregungsquanten vorwiegend an der Mus*
kulatur der oberen Körperhälfte zum Ablauf kommen. Zunächst wäre daran
zu erinnern, daß die oberen Extremitäten das bevorzugte Werkzeug des sadi*
stischen Bewältigungstriebes sind. Jeder Anfall zeigt außerdem Züge, die
auch an die Motorik frühester Lebensphasen erinnern (Pierce Clark). Die
Frage bleibt also, auf Grund welcher Fixierung der Anfallsablauf einen extra*
genital*muskulären Orgasmus enthält, der jedoch, — was Reich vernach*
lässigt — prägenitale Form beibehalten hat und die Zeichen vorzeitiger
Triebentmischung an sich selbst aufweist. Wir können mit Ferenczi nur
annehmen, daß das fixierende Moment den Epileptiker in einer Entwicklungs*
phase getroffen hat, in der ein Libidokreislauf Körper— Genitale— Körper
noch gar nicht angelegt sein konnte.
Diese Überlegungen hindern mich nun, Reich in der Annahme zu folgen,
der epileptische Anfall sei „ein besonderer Typus eines aktualneurotischen
Symptoms" und „die gleiche libidinöse Erregung, die unter normalen Um*
1 1) In einer Arbeit „Beiträge zur infantilen Sexualität" (Zentralblatt für Psychoanalyse,
1912) schildert Wulff Kinderanfälle und ihre Inhalte, von denen die des ersten Falles,
teilweise epileptische waren, wenngleich der Verf. glaubte, diesen Fall als Pseudoepilepsie
im Sinne S t e k e 1 s ansehen zu sollen. Zum Schlüsse formuliert er seine Auffassung über jene
Anfälle insgesamt: „Die Anfälle kann man sich auch ganz gut als einen momentanen,
plötzlich auftretenden Orgasmus vorstellen. Auf der Höhe des Orgasmus tritt, wie bekannt,
eine momentane Bewußtseinstrübung sehr oft auf. Der die Anfälle begleitende Gesichts*
ausdruck mit den weit aufgerissenen Augenlidern, nach oben gerollten Bulbi und der stark,
bis zum Auftreten von leichten Zuckungen gespannten Gesichtsmuskulatur ist auch eigenfe*
lieh derjenige der höchsten Ekstase, die wiederum im Orgasmus ihren Höhepunkt er»
reicht." (S. 17.)
Über die Bedeutung des psychisch en Traumas in der Epilepsie 269
ständen im genitalen Orgasmus abgeführt wird, entlade sich nach vorher*
gegangener mächtiger Aufstauung im Muskelapparat". Gerade die „gleiche"
Erregung kann es nicht sein, dagegen sehr wohl ihre unreife, entstellte, noch
überwiegend sadistische Vorstufe. Wäre es schon die gleiche Erregung, würde
sie auch zum Genitale vorgedrungen sein und nicht extragenital muskulär
ablaufen. Man wird auch zugeben, daß die Beimengung sadistischer Libido
im Anfall ein Ausmaß erreicht, das kaum noch in vergleichbarem Verhältnis
zu dem Aggressionstrieb steht, der sich abgeschwächt auch in der genitalen
Sexualität des Gesunden nachweisen läßt. Auch wir wollen den sadistischen
Charakter des Epileptikers aus der Tatsache zu verstehen suchen, daß Stauung
und Abfuhrbehinderung der Libido ganz allgemein zu einer Steigerung der
Aggression führen. Solche aktualneurotische Mechanismen werden im Ver*
lauf der Krankheit und der epileptischen Charakterbildung eine Rolle spielen
— aber durchaus sekundär. Das Primäre wäre die frühinfantile Fehlentwick*
lung und Triebentmischung, die eine analsadistische Triebfixierung
im Gefolge hat, — eine Basis, auf der sich später orgastische Impotenz und
aktualneurotische Mechanismen leicht aufbauen können.
Weiterhin erörtert Reich, anknüpfend an die Ansicht S c h i 1 d e r s, nach
der ein epileptischer Anfall eine Geburt darstellt, die Möglichkeit, daß ein sol-
cher extragenitaler Orgasmus innersekretorisch bedingt sei, und spricht
von einer „Absperrung libidinöser Motorik" vom Genitale, durch die der
Körper die Rolle des Genitales „übernommen" hätte. Infolge dieser Absper*
rung sei der Körper genitalisiert. Nun möchte Reich die Schilder sehen
Befunde von Mutterleibs* und Wiedergeburtsphantasien im epileptischen
Dämmerzustand mit jener analytischen Beobachtung erklären, „daß die Mut*
terleibs p h a n t a s i e an die Stelle der Coitus phantasie tritt, wenn der Kör*
per psychisch die Bedeutung Penis bekomm t". Zu der Auffassung S c h i 1*
ders und Clarks kann ich hier, mangels einschlägiger Erfahrungen keine
Stellung nehmen. Die Darlegung Reichs scheint mir jedoch nicht stichhaltig,
da mir seine eigenen Einwände gegen Stekel zu einleuchtend schienen, als
daß ich der Phantasie eine solche Wirkung zuschreiben könnte. Da schließ*
lieh jeder Mensch in seiner narzißtischen Frühzeit auf einer Stufe steht, wo
der ganze Körper noch „genitalisiert", d. h. narzißtisch libidinös besetzt
und traumatischer Trieb entmischung zugänglich ist, brauchen wir unsere Zu*
flucht nicht in der Auskunft zu suchen, eine solche „Genitalisierung" sei ein
„in seiner physiologischen Bedeutung noch ungeklärter organischer Prozeß"
(Reich [d]). Der Körper bekommt nicht „genitale Bedeutung", weil
ein Orgasmus muskulär im Körper abläuft, sondern der Orgasmus kann
meines Erachtens nur dann an der Muskulatur zum Ablauf kommen, wenn
der Körper noch erotisiert ist, d. h. seine narzißtische libidinöse Besetzung
noch nicht aufgegeben hat. Eine libidinöse Zentrierung am Genitale kann
eben noch gar nicht erfolgt sein, das Genitale hat seine orgastische Funktion
270 Daniel K. Dreyfuß
gar nicht oder nicht genügend übernommen — eine Absperrung dürfte wohl
nur ein sekundärer Vorgang sein.
Jene vielfach interpretierte Aussage Freuds, der epileptische An*
fall „sei Produkt und Anzeichen einer Triebentmischung" ist kaum
anders zu verstehen, als daß solche Triebentmischung die Folge eines
traumatischen Erlebnisses oder einer Erlebniskette in jener frühnarziß*
tischen Phase ist, in der auch Ferenczi die Fixierungsstelle der
Epilepsie angenommen hat. Bei unserem Kranken fanden wir als
ausschlaggebendes Sekundärtrauma eine traumatische Neurose in höherem
Alter, die die Regression und das Auftreten von Anfällen verursacht hat.
Nach dem Grundsatz, daß das traumatische Material im Wesen verwandt
sein muß, dürfen wir auf eine traumatische Neurose im Frühkindesalter
schließen, die eine großartige Erregung mit sich gebracht hat, die der Be*
Setzungsbereitschaft und *fähigkeit des psychischen Reizschutzapparates
inadäquat war. Von der traumatischen Neurose des Erwachsenen sagte
Freud, „die mechanische Gewalt des Traumas" mache „das Quantum Se*
xualerregung frei, welches infolge mangelnder Angstvorbereitung traumatisch
wirkt". Für das Kleinkind, das nur in geringem Maße fähig sein wird,
starke Gegenbesetzungen des Reizschutzapparates vorzunehmen, können wir
ein beliebiges, mechanisches oder psychisches Trauma voraussetzen und als
„Sexual"erregung, die Erregung der entsprechenden narzißtischen Libido*
Vorstufe, an der sich eine Triebentmischung vollzieht; denn es ist kaum
anzunehmen, daß die Bedingungen für die traumatische Schädigung des
Kleinkindes im Prinzip andere seien als für den Erwachsenen, der aller*
dings, je nach dem Grade der Disposition, einen funktionstüchtigen Reiz*
schutzapparat besitzt. Von einer gewissen Stärke des Traumas an fällt die
vorbereitende Besetzung, wie Freud sagt, auch beim Erwachsenen nicht
mehr ins Gewicht.
Es ist verständlich, daß eine traumatische Neurose in einem Entwicklungs*
Stadium, in dem Soma und Psyche wenig differenziert sind und noch eng
ineinander übergehen, ihre Wirkung auch im Bereich des Organischen ent*
falten muß und je nach der Reaktionsweise ihres Trägers in den bekannten
Symptomen von Pavor, Spasmophilie, Tetanie oder Krämpfen zum Aus*
druck kommt. Wir wissen, daß sogar beim Erwachsenen psychische Stö*
rungen am vegetativen System angreifen können und umgekehrt. Wir setzen
also voraus, daß jene traumatische Neurose mit einem Konversionsmecha*
nismus einhergeht, der, ähnlich dem der Hysterie auf einer späteren Libido*
stufe, in frühnarzißtischer Zeit den neurotischen Kern der epileptischen Er*
krankung gesetzt hat. Vermutlich gibt der gleiche Kern die „dispositionelle"
Grundlage zur symptomatischen Erkrankung in höherem Alter ab, wenn
eine organische Schädigung (Arteriosklerose, Alkoholismus, Syphilis, ze*
rebrale Traumen etc.) eine regressive Wiederbesetzung älterer Fixierungen
Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der Epilepsie 271
herbeiführt, die dank geeigneter Reaktionsbildungen bisher latent blieben.
Die Untersuchung innersekretorischer und organpathologischer Fragen kann
m. E. nur eine zweite oder dritte Stufe des Krankheitsgeschehens, also Folge*
zustände eines letztlich psychischen Geschehens klären; dies gilt auch für
die Vergiftungstheorie.
Für die Aufstellung eines narzißtischen Konversionsmechanismus könnten
wir die Ansicht v. Weizsäckers anführen, der zu dem Ergebnis kam,:
„Der Anfall steht im neurotischen Zusammenhang wohl an ähnlicher Stelle,
wie die hysterische Konversion eines Affektes in ein Symptom oder in einen
hysterischen Anfall". Diese mit der obigen Auffassung im wesentlichen über*
einstimmende Ansicht schränkt v. Weizsäcker jedoch erheblich ein und
will damit nur sagen, „daß es auch bei der Epilepsie zur neurotischen Le*
bensform komme, nur daß die Neurose des Epileptikers mit viel eingehen*
deren Organprozessen gekoppelt sei". Ich ziehe vor, in der Epilepsie nicht
ein Nebeneinander von Neurose und Organprozeß zu sehen, sondern möchte
gerade die Bildung von Organprozessen als spezifisch für die narzißtische
Konversion auffassen.
Die Ansicht Ferenczis, daß Schlaf, Traum und Epilepsie eine Re*
gression auf die gleiche libidinöse Entwicklungsstufe bedeuten, verdient
unsere besondere Aufmerksamkeit, da die frühere Erörterung der Dynamik
des Dämmerzustandes uns zu ähnlichen Ergebnissen geführt hat. Wir haben
für die verschiedenen Stufen des Anfalls und der Äquivalente eine einheit*
liehe Quelle in den Ansprüchen des Ubw. angenommen und in ihnen graduell
verschiedene Reaktionsweisen der Ichinstanzen erblickt. Bezeichnend schien
uns für diese Reaktionsweise, daß die Besetzungen des Wahrnehmungsbe*
wußtseins nicht mehr oder nicht voll aufrechterhalten werden, sobald ein
Übermaß jener Ubw.*Impulse gebieterisch zur Abfuhr drängt. 12 Wir nahmen
an, daß ein primärer Impuls im freien Intervall (= Wachzustand) unterdrückt
und erst im Anfall manifest geworden sei : allerdings nicht in seiner rohesten
Form, sondern erst, nachdem er die sekundäre Bearbeitung einer Zensur
der sozial angepaßten Ichinstanz durchlaufen hat. Einen wichtigen Unter*
schied vom normalen Traummechanismus sehen wir in dem unvergleichlich
größeren Ausmaß antisozialer Ansprüche des Epileptikers, zu deren Be*
wältigung die im Traum zu beobachtende sekundäre Bearbeitung durch Ver*
dichtung, Verschiebung, Entstellung etc. nicht mehr hinreicht. Eine Ab*
Schwächung ist nur noch mit Hilfe einer Organverschiebung möglich, die
12) Werfen wir einen Seitenblick auf die entsprechenden Verhältnisse beim Gesunden.
Hier veranlaßt die physiologische Müdigkeit die Abwendung von der Außenwelt und
Abzug der Besetzungen des Systems WBw. Wohl jeder kann auch an sich selbst gesteigerte
Reizbarkeit bei Ermüdung beobachten. Hochgradige Erschöpfung, Hunger befördert gleich*
falls aggressive Handlungen, ebenso wie sie umgekehrt den Selbsterhaltungstrieb schwächt.
(Krieg, Schiffbruch, eingeschlossene Bergarbeiter, Polarnacht etc.). Hier berühren wir
wieder das Problem der Triebentmischung, nun beim Gesunden.
272 Daniel K. Dreyfuß
auch eine Entlastung des Libidohaushaltes bringt, indem sie einen Teil der
Erregung bindet und unschädlich macht. Der aggressive Dämmerzustand
geht, wie wir gezeigt haben, den umgekehrten Weg. Man könnte dies so
formulieren: der Anfallskranke ist sozial auf Kosten seiner Gesundheit, der
Dämmerzustand*Kranke asozial im Interesse seiner Gesundheit.
Im normalen Traum dürfen wir umgekehrt eine psychische Funktion der
gesunden Persönlichkeit von analoger Dynamik sehen. Vielleicht hat die
traumatische Triebentmischung, ebenso wie die allgemeine Entspannungs*
fähigkeit, auch die Entwicklung dieser Funktion beeinträchtigt, so daß wir
den Anfall als Ausdruck einer Entwicklungshemmung der Traumfunktion
auffassen müßten.
Gemäß unserem Ziele, das Problem psychologisch zu betrachten, haben
wir bisher organische Gesichtspunkte kaum gestreift. In diesem Vorgehen
sah ich mich besonders durch das Zugeständnis Gruhles bestärkt,
daß es sich kaum begreifen läßt, wie eine irgendwie geartete Rindenreizung
die verschiedenen epileptischen Symptome erklären sollte. G r u h 1 e erachtet
selbst die mannigfachen und zum Teil konträren Ergebnisse chemisch*phy*
sikalischer Untersuchungen nach gründlicher Zusammenfassung (S. 706) als
wenig belangvoll für das Verständnis der Krankheitsgenese. Auch konstitu*
tionelMiereditäre Forschungen haben uns diesem Ziele noch wenig näher
gebracht. Im Gegensatz zu Gruhle, der dessen ungeachtet an der Auf*
fassung einer organischen oder toxischen Genese festhält, glaubten wir des*
halb auf die „Theorie der Epilepsie und des epileptischen Anfalls als eines
verständlichen Symptomes" eingehen zu müssen. Die autoptischen Be*
funde entzündlicher, degenerativer, sklerotischer Erscheinungen oder Tu*
moren an Gehirnen, die zeitlebens unter vasoneurotischen Funktionsstö*
rungen und spastischen Attacken des Anfalls gestanden haben, durften uns
nicht an einer psychologischen Betrachtung des epileptischen Mechanismus
hindern, da wir ja der Meinung sind, daß Psychisches auch im Organischen
seinen Ausdruck findet. Zur Theorie der geburtstraumatischen Verursachung
(Pierre Marie, Schwarz u. a.) bliebe uns noch zu sagen, daß ein so
schlechter Start allerdings die spätere Empfänglichkeit zu weiterer Traumati*
sierung und zum Eingehen von Fixierungen verstehen ließe. Da nicht jedes
geburtstraumatisch geschädigte Individuum Epileptiker wird, muß man je*
doch auf der Bedeutung der erwähnten intravitalen Faktoren bestehen.
Literaturverzeichnis.
Binder: Kausale und verständliche Zusammenhänge in der Epilepsie. Schweiz. Arch. f.
Neur. u. Psych., 1926.
Bornstein: Zur Psychogenese der Pseudodebilität. Int. Ztschr. £. Psa., Bd. XVI, 1930.
Dostojewski: Die Brüder Karamasoff, Der Idiot u. a.
Dreyfuß: Der Fall Wieland. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XX, 1934.
Über die Bedeutung des ps ychischen Traumas in der Epilepsie 273
F e r e n c z i : Entwicklungsstufen des Wirklichkeitssinnes. Ibid., Bd. I, 1913.
— Das unwillkommene Kind und sein Todestrieb. Ibid., Bd. XV., 1929.
Freud: a) Hemmung, Symptom und Angst. Ges. Sehr., Bd. XL
b) Jenseits des Lustprinzips. Ges. Sehr., Bd. VI.
c) Zur Einführung des Narzißmus. Ges. Sehr., Bd. VI.
d) Das Ich und das Es. Ges. Sehr., Bd. VI.
e) Massenpsychologie. Ges. Sehr., Bd. VT.
f) Trauer und Melancholie. Ges. Sehr., Bd. V.
G r a v e n: zit. nach R e i c h d), s. u.
Gruhle: Epileptische Reaktionen und epileptische Krankheiten. Handb. f. Geisteskrank«
heiten, 1930.
Isaacs: Entbehrung und Schuldgefühl. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XV, 1929.
Mae der: Sexualität und Epilepsie. Jahrb. f. psa. u. psychopath. Forschung, 1909.
Reich: a) Über Charakteranalyse. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XIV, 1928.
b) Der genitale und der neurotische Charakter. Ibid., Bd. XV, 1929.
c) Die Funktion des Orgasmus. Int. Psa. Verlag, Wien, 1927.
d) Über den epileptischen Anfall. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XVII, 1931.
Ruf f in: Über die Gewinnung von Erlebnisinhalten des epileptischen Anfalls und Aus*
nahmezustandes mit Hilfe von Wachsuggestion und Hypnose. Deutsche Ztschr. f. Ner*
venheilk., 1928.
Spielmeyer: Zum gegenwärtigen Stand der Epilepsieforschung. Ztschr. f. d. ges. Neur.
u. Psych., Bd. 84.
Simmel: Die psychoanalytische Behandlung in der Klinik. Int. Ztschr. f. Psa.,
Bd. XIV, 1928.
— Zur Psychoanalyse der Kriegsneurosen. Int. Psa. Verlag, 1919.
Schilder: Zur Lehre von den Amnesien Epileptischer usw., Arch. f. Psychiatr., 1924.
Schilder u. Kauders: Lehrbuch der Hypnose. Verl. Springer, Wien, 1926.
S t e k e 1 : zit. nach Reich u. Binder, s. o.
Schwarz: Die geburtstraumatische Schädigung. Monatsschr. f. Kinderheilk., 1926.
v. Weizsäcker: Epileptische Erkrankungen, Organneurosen d. Nervensystems usw.
in:Krehl*Mehring, Lehrbuch der Inn. Medizin. 16. Aufl., Bd. IL
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXII/2 18
REFERATE
Aus der Literatur der Grenzgebiete
RITTERSHAUS, E.: Konstitution oder Rasse? 170 Abb. Verlag J. F. Lehmann
München, 1936.
Ein Versuch, aus der Rassenfrage eine wissenschaftliche Frage zu gestalten. Zugleich
erfährt die Typenlehre Beleuchtung. Wie aus dem Titel schon zu vermuten, sieht Verf.
in Rasse und Konstitutionstyp nicht Gegensätze, sondern nach seiner Auffassung (S. 183)
sind Konstitutionstypen und Rassen Gen*Koppelungen. „Der Konstitutionstyp ist der ur*
sprünglichere, primitivere, zeitlich früher entstandene, Rasse der später entstandene, höhere,
umfassendere Begriff. Der Konstitutionstyp ist gewissermaßen der Vorläufer der Rasse und
ist dann zum Rassenmerkmal geworden."
Warum ich trotz der Unsumme von Hypothesen empfehlen möchte, das Buch anzu*
sehen, hat zweierlei Gründe. Erstens hat der Verf. ein wirklich interessantes Material ge*
sammelt. Und zweitens ist es zwar nicht angenehm, aber nützlich, aus Inhalt und Tenor
solcher Bücher Geschichte weniger im Sinne dessen, was geschehen ist, als in demjenigen
des unmittelbaren Geschehens an sich herantreten zu lassen.
Der Verlag kündigt das Werk unwissenschaftlich als Forschung in einer Richtung an,
wie sie zur Zeit, als Kretschmers Darlegungen über Körperbau und Charakter Epoche
machten, „den damaligen Machthabern unerträglich" gewesen sei.
H. Christoffel (Basel)
WENGRAF, F.: Psychotherapie des Frauenarztes. Verlag der psychotherapeutischen Praxis,
Wien. Leipzig, Bern. 1934.
W e n g r a f will die Psychotherapie für den Frauenarzt auswerten. Der Frauenarzt trifft
in seiner Praxis zahllose Fälle, die wegen funktioneller, psychogener Beschwerden seine
Hilfe suchen. Pharmazeutische Mittel oder operative Eingriffe pflegen in solchen Fällen
zu versagen, die therapeutische Ratlosigkeit, mit der der Arzt solchen Fällen gegenüber«
steht, soll durch die Anwendung psychologischer Erkenntnisse und Beeinflussungsmethoden
überwunden werden. W. bedient sich dabei der Methode S t e k e 1 s, der „Symptomanalyse",
die er als „eine eminente Notwendigkeit allgemein* und spezialärztlicher Therapie" an«
sieht. In seinem Buche behandelt er eine Fülle von klinischen Bildern aus der Gynäkologie
und Geburtshilfe unter einem für den Frauenarzt neuen Gesichtspunkt, nämlich als psycho*
pathologische Phänomene. Daß Frigidität weniger aus pathologisch*anatomischen als aus
psychischen Bedingungen zu verstehen ist, dürfte zwar heute auch unter Frauenärzten
nicht ganz unbekannt sein, dagegen ist der psychogene Ursprung vieler Menstruations*
Störungen, genitaler Blutungen, die psychische Bedingtheit des Abortus gewiß nicht Allge*
meingut frauenärztlichen Wissens. Deshalb ist es ein Verdienst Wengrafs, durch reiches
klinisches Material auf die Psychogenese vieler Frauenkrankheiten hingewiesen zu haben.
Die Frage, ob die sachlichen Erkenntnisse der Neurosenlehre, wie sie von der Psycho*
analyse erarbeitet worden sind, vom Autor richtig verstanden wurden, kann man keines*
wegs bejahen. W. übernimmt nur die leeren Begriffe aus der psychoanalytischen Theorie,
ohne ihren Sinn richtig zu entwickeln und ohne die wirkliche Dynamik der Neurose auf*
zuzeigen. Als Beispiel für die nicht gerade tiefe Auffassung des Autors sei angeführt, wie
er etwa die Phänomene Übertragung und Widerstand, die zwei Tragpfeiler der analy«
tischen Technik, behandelt. Unter Übertragung, die nach W. besser als „Übertragungsliebe"
bezeichnet werden sollte, soll die Gesamtheit aller gefühlsmäßigen positiven Einstellungen
Referate 275
des Patienten auf den Arzt verstanden werden (S. 44). W. vertritt also die vulgäre AufS>
fassung, daß die Übertragung darin besteht, daß der Patient sich in den Arzt verliebt.
Zu dieser Auffassung paßt gut der Satz Wengrafs, daß die Übertragung sich
am ehesten mit der Narkose vergleichen lasse. Von negativer Übertragung scheint W. keine
Kenntnis genommen zu haben. Offenbar ist für ihn negative Übertragung mit Widerstand
gleichbedeutend. Denn Widerstand verrät sich nach W. vor allem dadurch, daß der
Kranke sich dem Arzt gegenüber aggressiv verhält. Was aber dann, wenn der Widerstand
sich gerade darin äußert, daß der Kranke seine Aggressionen, die in der Übertragung her*
auskommen sollten und vor dem Bewußtwerden stehen, unterdrückt? In einer solchen
Situation kann sich der Widerstand gerade in einer übertriebenen Höflichkeit, Gefügigkeit
des Analysanden äußern. Wie W. die Traumdeutung auffaßt, soll ein Zitat zeigen: „Die
sogenannte funktionale Deutung, die nichts anderes als eine Übersetzung des Symbols,
weiter einige Funktionen des Symptoms zum Charakter des Kranken ausdrückt, ist von
besonderer Wichtigkeit, indem sie den parapathischen Konflikt darstellt ... Da aber das
Symptom meist einen Selbstmord symbolisiert und im Sinne der Selbstbestrafung erledigt,
müßte durch seine zu energische Abschaffung theoretisch die Möglichkeit gegeben sein, daß
dem Kranken nunmehr sein Selbsttötungstrieb bewußt werde, daß er ihn infolge Aufgebens
des Symptoms verwirklicht. Diese Kontraindikation der Symptomabschaffung ist lediglich
aus dem Traum zu erkennen . . ." Die Möglichkeit, daß durch die Beseitigung eines
Symptoms eine Selbstmordgefahr entstehen könnte, müßte präzisiert werden, da sonst leicht
ein Mißverständnis entstehen kann. Wenn eine solche Möglichkeit besteht, so ließe sie
sich übrigens sicherlich nicht nur aus dem Traum feststellen.
Für die Technik der „aktiven" oder Symptomanalyse, wie W. sie im Anschluß an
S t e k e 1 ausübt, ist charakteristisch, daß einer Patientin, die wegen dysmenorrhöischer Be*
schwerden die Behandlung aufgesucht hat, in der ersten und einzigen Sitzung die sexuelle
Bindung an den Vater „angedeutet" wurde. Den „Erfolg" dieser Deutung charakterisiert
W. folgendermaßen: „Den Psychotherapeuten wird es nicht wundern, daß die Patientin
die Besprechung ihres Leidens im Zusammenhang mit der Dysmenorrhöe so schnell abge*
brochen und der Erkenntnis die Heilung vorgezogen hat . . . Solche Fälle aus der Praxis
sind einer richtigen Durcharbeitung ihrer Krankheit fast nie zugänglich. Es genügt ihnen,
von einem quälenden Symptom befreit zu werden, von der eigentlichen Krankheit wollen
sie nicht lassen. Um aber diese zu halten, geben sie unter dem Einflüsse einer analy*
tischen Sitzung, von der sie ,Böses' ahnen, jenes auf und gelangen so zu einem billigen
Motiv, den Abbruch der Behandlung begründen zu können" (S. 73).
G. Gero (Kopenhagen)
Aus der psydiiatrisdx-neurologisdien Literatur
HEYER, R.: Praktische Seelenheilkunde. Eine Einführung in die Psychotherapie für Ärzte
und Studierende. Lehmann Verlag, 1935.
Im Bewußtsein weltanschaulicher Ablehnung besonders der Psychoanalyse, nimmt der
Verfasser eine Haltung ein, die sich nicht in eine der üblichen Kategorien psychotherapeu*
tischer Schulen einordnen läßt. Freuds Methode wird in wenig sachlicher Weise kurzer«
hand als „Sexualanalyse" bezeichnet, und bei aller Anerkennung für Freuds historische
Verdienste, wird er doch als dogmatisch, im System erstarrt und aus der rationalistischen
Ära stammend abgetan. Dabei wird übersehen, daß das Triebhafte keineswegs nur den
Begriff des Geschlechtlichen umfaßt und in diesem weiteren Sinne die hauptsächliche. Kraft
auch für die höheren eigengesetzlichen geistigen Gestaltungen abgibt. Einem allgemeinen
Überblick über ärztliches Verhalten seelisch Kranken gegenüber folgt eine Kasuistik der
18*
276 Referate
verschiedenen nervösen Leiden und ihrer Behandlung durch Überredung und Entspannung,
autoritatives und konziliantes Vorgehen, Suggestion, Selbstbeherrschung, Katharsis und
Bewußtwerdung. M. G r o t j a h n (Berlin)
KCNKEL, F.: Grundzüge der praktischen Seelenheilkunde. Hippokrates Verlag, Stuttgart,
Leipzig. 1935. 168 S.
Das Buch dient der Aufgabe, dem praktischen Arzt und dem Medizinstudenten die
notwendige Kenntnis der neueren Seelenheilkunde zu vermitteln. Es dient aber auch zwei*
tens der Aufgabe, „quer durch die Schulstreitigkeiten der verschiedenen Psychotherapeut
tischen Systeme hindurch zu einer einheitlichen Auffassung sowohl der seelischen Krank*
heiten wie auch der Heilungsprozesse vorzustoßen". In diesem Sinne werden erst systema*
tische Darstellungen der verschiedenen Erkrankungen („Charakterpathologie") gegeben und
dann die seelischen Heilverfahren („Charaktertherapie") geschildert. Ihre Bedingungen,
Wege und Hindernisse, „harter und weicher Widerstand", Erziehungs* und Lebensberatung
werden veranschaulicht, sodann geht es in den „Kampf gegen den äußeren Feind (Methode
Adler)", zum „Kampf gegen den inneren Feind (Methode Freud)" zum siegreichen
„Friedensschluß innen und außen (Methode Jung)". Der „Materialismus Freuds und
der Rationalismus Adlers" mußten wegfallen, am wenigsten brauchte der Jung sehe
Standpunkt verändert zu werden: er scheint den gestellten Ansprüchen am ehesten zu ente
sprechen. Die Grundbegriffe der „dialektischen Charakterkunde" stammen vom Verfasser
selbst und sind bereits in seinen Büchern, wie „Einführung in die Charakterkunde" (8. Auf*
läge) und „Die Arbeit am Charakter" (18. Auflage), enthalten. Sie gipfeln in der besonderen
Auffassung und Betonung von „Subjekt" und „Objekt", Ichhaftigkeit und Wirhaftigkeit.
Hingewiesen sei auf die Ausführungen über „Wirbruch" und „Wirfindung", „Urwir" und
„Scheinurwir". Die Bücher Freuds werden bedingt empfohlen, denn „wichtig ist doch
auch die Verselbständigung des eigenen Urteils und die Übernahme der persönlichen
Verantwortung, ohne die die ärztliche Arbeit niemals gedeihen kann."
M. Grotjahn (Berlin)
Psychotherapeutische Praxis, Vierteljahrsschrift für praktische ärztliche Psychotherapie.
Herausgeber Dr. Wilhelm St ekel. — Schriftleitung Dr. Ernst Bien, Wien. Band
2, Heft 2 u. 3.
W. Morgenthaler (Bern) erscheint an erster Stelle mit einem Artikel, betitelt
„Schwangerschaftsunterbrechung und Psychotherapie". Darin beschäftigt sich der Autor in
erster Linie mit der „Abklärung der Indikation zur Unterbrechung" und den daraus fol*
genden Maßnahmen. Für die Indikation läßt der Verfasser nicht nur den rein gesetzlichen
Standpunkt gelten, daß eine Unterbrechung nur dann vorgenommen werde, wenn auf
keine andere Weise eine Lebensgefahr oder eine ernsthafte gesundheitliche Schädigung ab*
gewendet werden könne. Eugenetische, soziale, ökonomische Gesichtspunkte neben der
Befürchtung, daß die Patientin den Weg zur Abtreibung über den Kurpfuscher finden
könnte, sollen nach dem Verfasser ebenfalls eine indikatorische Rolle spielen. Für die
Frage der Suizidgefahr bei Abweisung ist ihm in erster Linie die Heredität maßgeblich.
Er hält die nachträgliche Befürsorgung bei Abgewiesenen für die wichtigste therapeutische
Maßnahme. Die Therapie der Schwangerschaftsdepression besteht für ihn in Kontakt*
nehmen, autogenem Training nach Schultz, Setzen von allgemeinen und speziellen Ein*
Stellungen, Probeablehnung mit Beobachtung der Reaktion und, wenn die Ablehnung
endgültig beschlossen ist, in sofortigem Anschließen einer psychotherapeutischen Behand*
lung, „die nun nach bekannten Grundsätzen zu erfolgen hat". Welches die „bekannten
Grundsätze" sind, darüber spicht sich der Verfasser nicht aus.
Fritz Meyer (Berlin) berichtet über „Träume von Morphinkranken". Der Verfasser
beginnt seine Ausführungen mit einer Apotheose auf das Genie Freuds, nur emge»
Referate 277
schränkt durch die entschiedene Wendung gegen diejenigen, die „allzu starr und stur" auf
eine Lehre und auf einen Meister schwören. Die zwei von zwei Patienten nach der
Entziehungskur geträumten Träume, die der Verfasser berichtet, sind für Süchtige völlig
uncharakteristisch. Charakteristisch sind hingegen die Deutungsergebnisse für den Ver*
fasser, obwohl er darauf hinweist, daß er an der Deutung des Traumes nur vorsichtig
mitgewirkt habe, ohne etwa seine Ansicht dem Kranken irgendwie aufgezwungen zu haben.
Die Deutungen der Träume sind rein anagogisch und nach Jung schem Schema, so wenn
die Tochter des einen Träumers, die im Traum auftritt, als „anima", ein Seehund als
„Unterbewußtsein" angesprochen wird. Vom psychoanalytischen Standpunkt aus sind die
Traumdeutungen als wertlos zu bezeichnen.
„Anagoge Übertragungsträume" ist ein Artikel von Max Friedmann (Königstein
i. Taunus) überschrieben. Die Träume stammen aus jener Phase der Analyse, in der nach
des Verfassers Meinung „positiv aufbauende Kräfte" einsetzen müssen, die „aus dem ur«
eigensten Gehalt der Persönlichkeit stammen". Dazu dienen dem Verfasser „anagoge
Traumdeutungen", deren Aufgabe es ist, „von dem Prozeß der Sublimation Rechenschaft
zu geben und vor allem Selbsttäuschungen und Fehlentwicklungen aufzudecken, die für
das Ergebnis der Analyse und damit für den Kranken sehr verhängnisvoll sein können".
Die angeführten Träume, die also aus dem „anagogischen Abschnitt" der Analyse einer
Patientin stammen, sollen die Sublimationstendenzen der Patientin demonstrieren, wozu
freilich „archetypische Deutungen im Sinne Jungs notwendig sind". Ihre Durchsetzung
mit Sexualsymbolik wird dabei allerdings weniger berücksichtigt. Der Verfasser schließt
mit den Worten: „Die klassische Psychoanalyse geht davon aus, daß nach Aufhebung
der Verdrängung die Sublimierung automatisch durch das Spiel der dynamischen Kräfte
erfolgt. Dem gegenüber sollte gezeigt werden, daß gerade die Technik der Sublimierung»'
träume eine besondere Berücksichtigung verdient. Indem uns diese Träume ein Kriterium
für die Echt« und Unechtheit der Entwicklung bieten, erkennen wir, auf welchem Stand*
punkt der Patient sich jeweils befindet und welche Entwicklungsmöglichkeiten für ihn
bestehen."
Goodwin W a t s o n (New York) liefert eine rein statistische Übersicht über die
psychologischen Themen, Schulen, Methoden und Bücher in Deutschland bis zum
Jahre 1934.
Curt Boenheim (Berlin) schreibt „Über Psychotherapie bei motorischen Störungen
im Kindesalter". Er führt zunächst einiges Allgemeine über die Bedeutung der motorischen
Störungen im Kindesalter aus, wobei er darauf hinweist, daß die Motorik ein überaus emp*
findliches Ausdrucksorgan ist und daß sich aus dieser ihrer Funktion mannigfache Störungen
erklären. Er unterscheidet zwei Formen der motorischen Unruhe, die eine durch mangels
hafte Ökonomie der Kräfte und Unterentwicklung des willkürlichen Bewegungsapparates
bedingt, die andere durch allgemeine Ubererregbarkeit und erhöhte Ansprechbarkeit. B e>»
wegungsarmut findet er als Ausdruck geistig*seelischer Leere einerseits, als Aus*
druck einer allgemeinen Gesamthaltung, die wenig nach außen gerichtet ist, anderseits.
Ferner unterscheidet er eine Disharmonie in der Bewegung, die mit Mangel an
motorischer Begabung und mit Ungeschicklichkeit zusammenhänge. An lokalisierten Bewe*
gungsstörungen nennt er den Tic, die choreatische Bewegungsstörung,
rhythmische Bewegungsvorgänge, besonders im frühen Kindesalter, A xv>
fälle im Kindesalter, und zwar neben den epileptischen durch Wut anfalle, respi*
ratorische Affektkrämpfe, hysterische Zuckungen und schließlich das
Stottern. Als Therapie kommt nach dem Verfasser neben Berücksichtigung des Körper»
liehen die Kinderpsychotherapie in Form von Mit* und Nacherziehung in Be<
tracht. Auch empfiehlt er Ruhigstellungen und Ruheübungen. Für eine Psychoanalyse
278 Referate
fehle dem Kind die Voraussetzung, nämlich Krankheitseinsicht, Gesundheitswille, kritische
Instanz.
Paul Karger (Berlin) berichtet über „Die psychoref lektorische Azetonurie der Kinder"
und findet, daß solche nach Aufregungen, wie etwa durch Warten auf eine Tonsillektomie
im überfüllten Wartesaal, in dem das Schreien von Leidensgenossen zu hören ist, durch
Aufnahme ins Spital, in Narkose mit starkem Exzitationsstadium u. dgl. eintritt. Meist
verschwinde die psychoreflektorische Azetonurie nach einem Tag.
Wilhelm Stekel (Wien) schreibt über „Prophylaxe des Inzests". An reiches Erfahr
rungsmaterial angelehnt, kommt er zu dem Schluß, daß zwecks Verhütung des Inzests die
Ärzte darüber wachen sollten, daß der Unfug des Zusammenschlafens mit erwachsenen
Familienmitgliedern von frühester Jugend an abgestellt werde.
Josef K. Fried jung (Wien) erscheint mit einem Artikel „Der Kinderarzt als Er«
Ziehungsberater". An Hand von Fällen versucht er zu zeigen, wie der Kinderarzt einerseits
Erziehungsberatung als sozusagen alltägliche, zusätzliche Leistung an seinem Kranken«
material auszuüben habe, anderseits aber direkt als Berater in Erziehungsfragen aufgesucht
werde, wenn Eltern und Lehrer mit ihrem Latein zu Ende sind. Er findet als von enite
scheidender Wichtigkeit eine taktvoll angebahnte, gesonderte Aussprache mit Erzieher und
Kind, ferner die Empfehlung der Teilnahme an Kindergärten, Horten, eventuell die
Empfehlung eines vollen Umweltwechsels, in geeigneten Fällen der Kinderanalyse.
R. Sterba(Wien)
SCHNEIDER, KURT: Pathopsychologie der Gefühle und Triebe. Ein Grundriß, Georg
Thieme Verlag, Leipzig, 1935.
Gefühle sind Zustände des Ichs, sie sind „unmittelbar erlebte Ichqualitäten oder Ich«
zuständlichkeiten." Von ihnen abzugrenzen sind die Empfindungen, von denen
ein Teil ebenfalls zuständlich ist (Schmerz«, Lage«, Gleichgewichts«, Vitalempfindungen),
während andere Empfindungen gegenständlich und zuständlich zugleich zu sein ver«
mögen (Geruchs«, Geschmacks«, Tast«, Kälte« und Wärmeempfindungen). Nur die Ge«
sichts« und Gehörsempfindungen sind überwiegend gegenständlich. Gefühle sind gegenüber
den Empfindungen durch ihre Eigenschaft des Angenehmen und Unangenehmen gekenn«
zeichnet. Man unterscheidet angenehme Z us tan dsg e f üh le wie Freude, Behagen,
Leichtigkeit, Beglücktheit, Jubel, Ruhe, Zufriedenheit, Zuversicht von unangenehmen Zu«
Standsgefühlen wie Traurigkeit, Sorge, Angst, Furcht, Unbehagen, Unheimlichkeit, Ver«
zagtheit, Hilflosigkeit, Heimweh, Zerrissenheit, Verzweiflung, Grauen, Schreck, Ärger,
Zorn, Wut, Neid, Eifersucht, Langeweile. Den Zustandsgefühlen stehen die W e r t g e«
fühle gegenüber. Bejahende Selbstwertgefühle sind Kraft, Stolz, Eitelkeit, Selbstgefühl,
Trotz. Verneinende Selbstwertgefühle sind Schuld, Reue, Verlegenheit, Demut und . . . Be«
scheidenheit! Zu den Fremd wer tgefühlen werden Liebe und Zuneigung, Vertrauen,
Mitleid, Achtung, Interesse, Billigung und Bewunderung gerechnet, dazu kommen die
verneinenden Fremdwertgefühle (bei denen wieder Charaktereigenschaften als Gefühle auf«
geführt werden): Haß, Abneigung und Mißtrauen, Verachtung, Feindseligkeit, Spott,
Mißfallen, Entrüstung. Akute Gemütsbewegungen heißen Affekte, chronische dagegen
Stimmungen. Gefühle und Triebe lassen sich nicht scharf trennen, es sei denn man be«
trachte Gefühle als auf etwas Seiendes, Gewesenes oder Zukünftiges gerichtet, Triebe aber
auf etwas Seinsollendes. Aus der allgemeinen Triebhaftigkeit lassen sich die leiblichen
Triebe hervorheben. Unter ihnen entscheidet der Wille, daß heißt die Möglichkeit,
zwischen zwei Strebungen zu entscheiden.
Eine deskriptive Psychologie ist eine Illusion, und auch dieser Versuch einer gegen«
ständlichen Beschreibung fußt auf den immer spürbaren Ansichten einer physiologisch
gerichteten Psychologie. Der Analytiker begrüßt jeden Versuch zur Gründung einer rein«
Referate 279
liehen Deskription, aber auch in dieser Beziehung erscheint die Freud sehe Terminologie
überlegen. Die analytische Trieblehre wird in dieser absichtlich diskussionslosen Arbeit
nicht erwähnt. M. G r o t j a h n (Berlin)'
SCHORSCH, G.: Eigenständigkeit, Fremdhalt und Haltlosigkeit. Ein charakterologischer
Beitrag zum Problem: Führertum und Gefolgschaft. Aus der Sammlung psychiatrischer
und neurologischer Einzeldarstellungen. Georg Thieme Verlag, Leipzig. 1936.
Unter den Charakteranlagen entscheiden die gefühlsmäßige Ansprechbarkeit, die Art
der Erlebnisfähigkeit und die gesinnungsmäßige Artung über die Gemeinschaft*»
fähigkeit des Einzelwesens. Für die Rangordnung innerhalb eines gegliederten
Ganzen ist neben den geistigen Fähigkeiten der Persönlichkeit das ihr eigene Ausmaß an
Eigenständigkeit von ausschlaggebender Bedeutung. Diese Seite des Charakters soll, nach
den einleitenden Worten des Verfassers, den Gegenstand der vorliegenden Arbeit bilden.
Der Eigenständigkeit wird die Haltlosigkeit entgegengesetzt. Es gibt aber dazwischen noch
eine Fremdhaltbedürftigkeit, deren Träger in Gegenüberstellung zu den Eigenständigen
auch als Fremdständige bezeichnet werden können. Entscheidend für den Menschen ist
seine „Haltkomponente", das Rückgrat des Charakters. Derartig erstaunliche Resultate
wurden erzielt durch die entschlossene Anwendung der „dynamischen" und „Struktur*
analyse", kombiniert mit einer überzeugten subjektiven Wertung und gewürzt mit einer
kräftigen Portion eigenwilliger Terminologie. M. Grotjahn (Berlin)
STEKEL, WILHELM: Erziehung der Eltern. Weidmann u. Co., Verlag der Psychothera«
peutischen Praxis, Wien«*Leipzig*Bern, 1934. 215 S.
St. wendet sich in seinem mit Kasuistik reich belegten umfangreichen Werke an Ärzte,
junge Menschen, daneben wohl auch an alle „Verantwortlichen", um der kranken Gesell*
schaft den Spiegel ihrer fehlerhaften Erziehungsarbeit vorzuhalten. „Eine vollkommene:
Regeneration des Familienlebens" ist sein Ziel, sein Buch soll „ein erster Versuch sein,
diesem Problem auf den Grund zu gehen." Leider entspricht die Ausführung nicht ganz
diesem Vorhaben, bleibt vielmehr bei der oft affektvollen, der Sachlichkeit aber schlecht
dienenden Beschreibung der Oberfläche stehen. Die Überschriften der Kapitel lauten: Die
Erziehung der Eltern, eine nervöse Mutter, ein nervöser Vater, das nervöse Kind, die
frigide Mutter, das Mannweib und Kindweib als Mutter, die unbefriedigte Mutter, die
allzu junge und die überreife Mutter, die leicht erregbare und apathische Mutter, leicht»
sinnige Eltern, die puritanische Mutter, geschiedene Eltern, sadistische Eltern, Trinker und
Trinkerinnen, abnorme Eltern, der Lear«Komplex, zwangskranke Eltern, zwischen zwei
Generationen, Folgen einer hypermodernen Erziehung, Adoptiveltern, Fehlerziehung zur
Homosexualität, eine hartnäckige Trotzreaktion, egoistische Eltern, schwer erziehbare Eltern.
Es ist keine systematische Gliederung der Probleme, die aus diesem Verzeichnis spricht,
sondern die Kapitel scheinen fast zufällig aneinander gereiht. Die Voraussetzung, um
„den Problemen auf den Grund zu gehen", die Schilderung des kindlichen
Trieblebens, um daran zu verfolgen, wie es auf typische Milieuformen antwortet,
ist leider versäumt. Der Ref., der vor 19 Jahren ein Büchlein unter dem gleichen Tjtejl
erscheinen ließ, ist auch heute noch der Meinung, daß jeder Reformversuch im Er«
Ziehungswesen von den grundlegenden Einsichten, die wir Freud verdanken, ausgehen
müsse. Jede Abschwächung oder gar Verniedlichung dieser Erkenntnisse macht einen
solchen Versuch aussichtslos. S t e k e 1 s Darstellung des nervösen Kindes befriedigt den
Kenner nicht; er schildert wohl bedeutsame nervöse Erscheinungen schon des Säuglings» 1
alters — im Leben sehen die Dinge doch anders aus — , sagt aber dann, des Kindes „Ner*
vosität setze erst ein, wenn es sich seiner Schlechtigkeit bewußt wird und dagegen zu
kämpfen anfängt." An einer anderen Stelle meint er, „eine vernünftige Erziehung könne
280 Referate '
sehr großen Segen stiften, und aus unzähligen nervösen, ja selbst erblich schwer be*
lasteten Kindern seien gesunde Menschen geworden. Wenn es nur die Regel und nicht die
Ausnahme wäre!" Unzählige können doch wohl keine Ausnahme sein. Diese Art der
Darstellung verstimmt den kritischen Leser des öfteren. Daß Stekels Buch nur die
Erziehungsnot wohlhabender Kreise bespricht, ist ein Mangel, der vermieden werden sollte.
Und darin, daß „das Recht des Kindes übertrieben werde", hat er de jure und de facto
Unrecht.
Endlich muß auch ein Wort über Stekels Stil gesagt werden. Für ein ernstes Werk
scheint er mir zu wenig straff, zu weitschweifig; schiefe Bilder („eine Klaviatur zum
Schwingen bringen"), sprachliche Unebenheiten („gebärt" für gebiert, „törichste" als Super*
lativ) stören den Leser, ebenso eine gewisse Sorglosigkeit bei Zitaten. („Dein Wort sei Jal
Ja! — Nein! Nein! usw." stammt nicht von Grillparzer, sondern steht im Evange*
lium Matthaei 5./37.) Trotz all dieser Einwendungen wird der Erfahrene das Buch nicht
ohne Gewinn lesen; hat doch der Verf. mit scharfen Sinnen viel gesehen und gehört und
seiner Menschenkenntnis eingefügt. J. K. Fri ed j ung (Wien)
Aus der psychoanalytischen Literatur
KLEIN, MELANIE: A Contribution to the Psychogenesis of ManioDepressive States.
Int. Journal of PsA., XVI, 2.
Auf ihren bisherigen Forschungen über die Psychologie der ältesten Ich*Stadien, über
die Konflikte des Oralsadismus, der ihm entsprechenden Angstinhalte und der projektiven
und introjektiven Angstabwehrmethoden basierend, versucht Frau Klein die Psycho*
logie der frühkindlichen Fixierungsstellen von Depression und Manie zu erfassen. Eine
Würdigung und eventuell Kritik dieses Versuchs läßt sich nicht von einer Würdigung oder
Kritik ihres gesamten Gedankengebäudes loslösen. Ich will deshalb zunächst versuchen,
nur ihre Ansichten wiederzugeben, was bei der von unserer gewohnten Nomenklatur viel*
fach abweichenden Ausdrucksweise der Autorin nicht leicht ist.
Ihre bisherigen Forschungen faßt Frau Klein selbst etwa folgendermaßen zusammen:
In den allerersten Lebensmonaten gehe das Kind durch ein intensiv sadistisches Sta*
dium. Es mache Angriffe nicht nur auf die Mutterbrust, sondern auch auf das Innere des
Mutterleibs, gleichzeitig sei seine erste psychische Entwicklung beherrscht durch die Mecha*
nismen Introjektion und Projektion: „von Beginn an" introjiziere das Kind „gute" und
„böse" Objekte (für beides ist die Brust das Vorbild); letztere erhalten ihre Wucht durch
eine Projektion der eigenen sadistischen Impulse und wirken — nach der Introjektion —
auch von innen her. Dadurch entstehen frühe Ängste, die wieder spezifische Abwehr*
mechanismen notwendig machen. So entstehen Bilder, vergleichbar den späteren Psychosen
der Erwachsenen.
Die primitivste Abwehrmethode sei die Verleugnung der Realität überhaupt. Sehr früh
schon versuche das Ich sich auch gegen verinnerlichte Angstobjekte durch Ausstoßung
und Projektion zu wehren, müsse aber dann auch noch Schutzmaßnahmen gegen äußere
Objekte errichten, die durch diese Projektion schreckhaft geworden sind. Das sei die Basis
der Paranoia. Die paranoide Angst wieder könne dann gebunden und modifiziert werden
durch die Mechanismen der Zwangsneurose.
Wo ist nun, so lautet die Fragestellung der vorliegenden Arbeit, hier die Basis der
späteren Depressionen eingeschaltet? Auch die Paranoia setzt eine Introjektion voraus.
Was ist der Unterschied zwischen der paranoiden und der zur Depression führenden
Introjektion? .
Die Antwort Frau Kleins ist folgende: In frühen Stadien gibt es noch kein ein*
heitlich organisiertes Ich, sondern verschiedene Tchkerne ; noch keine einheitlichen Ob*
Referate 281
jekte, sondern „Partialobjekte", die unbewußt dem Kote gleichgesetzt sind. Das sei noch,
bezw. wieder der Fall bei der Paranoia. In der Depression aber setze die „Identifizierung"
des Ichs mit dem introjizierten Objekt schon ein einheitlicheres Ich und ein einheitlicheres
Objekt (ein „gutes" Objekt) voraus. Die Verfolgungsdrohung, die im Stadium, das die
Basis der Paranoia darstellt (Frau Klein nennt es die paranoide „Position"), lediglich dem
Ich gilt, wird in der „depressiven Position" schon als auch dem „guten" Objekt geltend
empfunden; „Erhaltung des guten Objekts" und „Selbsterhaltung" seien nicht mehr zu
unterscheiden. Damit hänge zusammen die Entwicklung von der „Partialobjekte
beziehung" zur echten Objektbeziehung, die erst das Erlebnis eines „Objektver»
lustes" ermögliche. Während vorher die Introjektion von Partialobjekten dem
Ich gefährlich erscheine („Eß*Schwierigkeiten kleiner Kinder haben immer eine para*
noide Wurzel"), steige mit der Identifizierung mit dem ganzen und guten Objekt das
libidinöse Niveau, und die Introjektion werde „freundlicher"; sie müsse immer wieder««
holt werden, teils weil das Kind befürchte, durch seinen „Kannibalismus" das gute Objekt
beschädigt zu haben, teils weil es „gute Objekte" in seinem Innern als Gegengift gegen
vermeintliche dort wirkende „böse Objekte" brauche. Auch spiele die Phantasie mit, durch
ein Verschlingen das in der Außenwelt gefährdete „gute Objekt" zu schützen. Aber auch
im Körperinnern bleibe es durch „böse Objekte" weiter gefährdet. Das Ich, identifiziert
mit dem „guten Objekt" in seinem Innern, fürchtet nun für es und für sich die Gefahren
der „bösen verfolgenden Objekte und des Es." In solcher Lage wendet das Ich gewiß auch
noch oder wieder die Mechanismen der projektiven Ausstoßung an — die ja auch nach'
Abraham im Beginn jeder Depression zu beobachten sind; aber aus Angst, dabei
das „gute Objekt" wieder zu verlieren, überwiege doch bei weitem der Mechanismus
weiterer Introjektionen guter Objekte und verschiedene Mechanismen der „Wiedergut«
machung", der Wiederherstellung zerstörter Objekte. Das Ich sucht „gute Objekte" wieder«
herzustellen, jedes Detail seines Sadismus dabei wieder „ungeschehen machend".
Je besser das Kind „gute" und „böse" Objekte unterscheiden gelernt hat, umso besser
gelingt es ihm, seinen Haß nur gegen die „bösen", seine Liebe und die Wiederherstel*
lungsversuche nur gegen die „guten" Objekte zu richten; aber je stärker Sadismus und
Angst, umso schwerer gelinge diese Unterscheidung. Jede Steigerung des Sadismus oder
der Angst könne die Differenzierung wieder aufheben und dadurch das „gute" Objekt
wieder gefährden. Das sei der Grund der ständigen Angst um das „gute" Objekt und das
mit ihm identifizierte Ich. Aber auch die Liebe gefährde das Objekt, da in diesem Sta*
dium Liebe und Zerstörung noch identisch seien. Deprimiertsein heiße: fürchten, daß
dem guten Objekt im Innern etwas zustoßen könnte. Dabei bleibe das introjizierte gute
Objekt und das äußere Objekt verbunden. Man fürchte auch, die wirkliche Mutter könnte
sterben, und verlange deshalb dauernd nach ihrer Gegenwart. „Angst vor Liebesverlust"
heiße ebenfalls „Angst um gute introjizierte Objekte", bedingt durch die Unfähigkeit,
die paranoide Angst vor schrecklichen bösen Introjekten durch den vollkommenen Fort«
schritt von der Partialobjektbeziehung zur Objektbeziehung gänzlich zu überwinden.
Nun sei weiter von Bedeutung, daß schon die allerersten Introjekte den Grundstein
zum „Übersieh" legen. Nur das mache uns die Strenge des Über*Ichs in der Melancholie
verständlich. Die ersten Gewissensbisse entsprechen den Gefühlen des Verfolgtseins durch
„böse" introjizierte Objekte.
Das Bedürfnis, alle Forderungen des introjizierten „guten" Objekts zu erfüllen (um es
zu schützen), machen nur einen Teil der vielen inneren Forderungen aus, denen das Ich
des Melancholikers ausgesetzt sei; man müsse auch die Rolle des „bösen Objekts" be«
rücksichtigen. Das Ich bemühe sich, „gute" und „böse" Objekte auseinanderzuhalten, was
die „guten" Objekte als ganz besonders „gut", d. h. moralisch und streng erscheinen lasse.
282 Referate
Da das Bemühen aber mißlinge, erhalten die „guten" Objekte etwas von der GrausamW
keit der „bösen".
So setze die Depression im Gegensatz zur Paranoia eine „Total"ein Verleihung und eine
schon bestehende Beziehung zu wirklichen Objekten voraus, die erst den Sadismus als so
gefährlich erleben lasse. In diesem Stadium erst sei dem Ich die Erkenntnis, das Objekt
sei nicht mehr als Ganzes, sondern nur mehr in einzelnen Bissen erhalten, erschreckend,
und so entstehen vielfache dem Streben nach Wiederherstellung entsprechende Sorgen
und Ängste. Solche Ängste finde man aber nicht nur bei Depressiven, sondern auch bei
allen Arbeitshemmungen, etwa bei den „Wiederherstellungstendenzen" der künstlerischen
Sublimierungen. Sehnsucht nach einem „ganzen" Objekt, verbunden mit Angst vor diesem
Objekt, ein Streben danach, es zu schützen oder wieder herzustellen, verbunden mit einem
gewissen Schuldgefühl ihm gegenüber, seien Regungen, die im Grunde jeder „Liebe"
wirksam seien. Das Gefühl, daß im Es ein unbeherrschbarer Haß bleibe, der durch*
brechen könnte, sei für die Selbstvorwürfe von weit mehr ausschlaggebender Bedeutung
als die Vorwürfe gegen das Objekt.
Im Gegensatz dazu habe der Paranoiker keine richtigen Identifizierungen mit ganzen
Realobjekten. Der Depressive wolle die „desintegrierten" Teile des Objektes wieder zu
einem Ganzen zusammenbringen, der Paranoiker sehe in ihnen nur vervielfältigte Ver*
folger. Entsprechend sei die Angst, vergiftet zu werden, paranoisch, die Angst, andere
durch orale Aggression zu beschädigen, und die, innere gute Objekte durch Zufuhr äußerer
schlechter Substanzen zu gefährden, depressiv. Der Paranoiker introjiziere, um
einen Verfolger dadurch unschädlich zu machen, der Depressive introjiziere,
um eine „gutes" Objekt immer bei sich zu haben. Hypochondrische Ängste,
durch ein „böses" Objekt zugrunde gehen zu müssen, seien paranoid, hypo*
chondrische Ängste, den Organen, die mit „guten" Objekten identifiziert sind, könnte
etwas geschehen, depressiv. (Eine mitgeteilte Krankengeschichte soll dies illustrieren.) Para*
noide Ängste können als Abwehr der depressiven Position wieder mobilisiert werden.
Der Selbsmord diene nicht nur der Absicht, ein introjiziertes schlechtes Objekt zu töten,
sondern auch ein introjiziertes gutes Objekt eben dadurch zu retten. (Vgl. die Ansicht
Rad os über den depressiven Selbstmord. 1 )
Die Manie sei ein Versuch, den der paranoiden und der depressiven Position ent*
stammenden Gefahren zu entfliehen. Das manische Verhaften suche diese Gefahren zu
verleugnen; es verleugne also weniger phallische Schwierigkeiten, wie Helene Deutsch
meinte, sondern spezifisch prägenitale; nämlich die, daß das Ich gleichzeitig sich seine
»i/guten" Objekte erhalten, und doch sowohl seiner Abhängigkeit von ihnen, als auch
seinen „bösen" Objekten entgehen wolle. Das manische Ich benutze das Gefühl der All*
macht, um die introjizierten Objekte zu meistern. Unter „meistern" sei die Herabsetzung
der Drohungen der „bösen" Objekte, die Wiederherstellung der zerstörten „guten" Ob*
jekte, die Vermeidung des „gefährlichen Koitus" und des Sterbens der verinnerlichten
Eltern zu verstehen. Das Auseinanderhalten der Eltern spielt die Hauptrolle in dem zur
Ulustiierung mitgeteilten Material. Dementsprechend spielen Tötungs* und Wiederbe*
lebungsphantasien in der Manie die Hauptrolle. Der manische „Objekthunger" sei ein
Hunger nach Introjektion weiterer „guter" Objekte (warum tritt er so genital in
Erscheinung? Ref.), bei Leugnung der Wichtigkeit derselben; der Manische sage sich:
„Es ist sicher nicht so sehr wichtig, ob dieses eine Objekt zerstört wird; es gibt noch viele
andere, die man sich einverleiben kann".
Die Beispiele, die Frau Klein zur Illustrierung ihrer Ansichten über Manie mitteilt,
leiden wieder durch den Umstand, daß uns über die Persönlichkeit und die weniger tiefen
i) Rado: Das Problem der Melancholie, Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XIII, 1927.
Referate 283
Schichten der Kranken garnichts mitgeteilt wird, was das Verständnis sehr erschwert; man
weiß auch nicht, wie weit zur Deutung Einfälle der Patienten benutzt wurden, so etwa,
wenn ein Patient von einem offenen Eisenbahnwagen träumt, in dem er seine Eltern betreut,
wobei der Eisenbahnwagen den eigenen Leib des Patienten darstellt, und Frau Klein
hinzufügt: „Der Wagen war offen — im Gegensatz zu seinem Gefühl, das der Einver*
leibung entspricht, daß er sich von seinen verinnerlichten Objekten nicht befreien könne,
indem das Offensein des Wagens dies verleugnet." Man hätte gerne etwas von der Situa*
tion des Patienten zur Zeit des Traumes und von seinen Einfällen zum offenen Wagen:
gehört.
Das normale Kind könne die depressive und die manische Position auf verschiedene
Weise überwinden. Durch die Liebe, die es von seiten der Eltern erfährt, steige der Glaube
an gute Objekte, was die Überwindung der paranoiden Position erleichtere. Frau Klein
geht dabei so weit, zu schreiben, wir hätten immer gewußt, daß die frühen Erlebnisse des
Kindes für seine Entwicklung von Bedeutung sind, aber „erst seit wir mehr über die
Natur und Inhalte seiner frühesten Ängste und über das ständige Zusammenspiel zwischen
aktuellen Erlebnissen und dem Phantasieleben wissen, sind wir ganz imstande zu be*
greifen, warum der äußere Faktor so wichtig ist." Die Erfassung „guter Objekte" und
die Identifizierung mit ihnen sei dann die Voraussetzung für die „depressive Position".
Gegenüber Rado, mit dessen Gedankengängen es hier Berührungspunkte gibt, glaubt
Frau Klein, daß Schuldgefühle schon vom Säugling als solche empfunden werden, der
es nicht fertig bringe, sein Verhältnis zu seinen „introjizierten guten Objekten" gut zu
regeln. Erst mit dieser Regelung der Gefühle gegenüber dem als ganzen erkannten Ob*
jekt entstehe die Ambivalenz, mit deren Hilfe der ursprünglichere Haß überwunden wer*
den könne, und die daher ein Mittel sei gegen den eigenen Haß und gegen hassende böse
Objekte. (Die Libido erscheint als ein Mittel zur Angstüberwindung. Ref.).
Es gebe verschiedene Wege, um der depressiven Position zu entgehen: eine Flucht zu
den „guten verinnerlichten" Objekten, die zur tiefen Psychose führen könne; oder eine.
Flucht zu „guten äußeren" Objekten, die Flucht zur Realität.
Es ist nicht einfach, zu den Funden und Theorien von Frau Klein Stellung zu
nehmen. Im ganzen bleibt der Eindruck bestehen, der auch ihre früheren Arbeiten charak*
terisierte: Die Funde erscheinen im ganzen richtig und wichtig, zumindest un*
bedingt nachprüf enswert; gegen ihre Formulierung und gegen die daran ge*
knüpften Theorien bleiben aber gewichtige Einwände bestehen. Es sind dieselben
Einwände, die von Ref. und anderen Analytikern schon anläßlich der früheren
Arbeiten von Frau Klein wiederholt geäußert worden sind: Die Schwierigkeit,
die wortferne Erlebniswelt der prägenitalen Zeiten in Worte anzufangen, kann
wohl am ehesten überwunden werden, wenn es gelingt, in der Wiedergabe — wie in
der Analyse selbst — von der Gegenwart und dem verständlichen Bewußtsein aus, all*
mählich in die Tiefe dringend, die Welten der archaischen Denkweisen allmählich
miterleben zu lassen. Diese Allmählichkeit fehlt bei der Lektüre der vorliegenden
Arbeit. Es ist, als hätten die Patienten kein Bewußtsein, sondern nur ein Unbewußtes.
Trotzdem berücksichtigt die Art, in der dieses Unbewußte beschrieben wird, nicht die unge*
heure Integriertheit dieser Schichten, indem Termini gebraucht werden, die Differenziertes
aus höheren Schichten meinen. Die Erlebniswelten vor fertiger Ausbildung von Ich und
Realität müssen von den Begriffen „Spannung" und „Entspannung" her erfaßt werden,
und man muß sich hüten, Worte aus späteren Zeiten in diese frühen, noch undifferenzierten
zu retrojizieren. Daß und warum die Ausdrücke „Übersieh" und „Ödipuskomplex" für jene
„piäödipalen" Zeiten uns inadäquat erscheinen, haben wir an anderer Stelle ausgeführt.
Trotz alledem erscheint uns die vorliegende Arbeit wichtig. Sie weist vielfach Überein*
284
Referate
Stimmungen mit der Arbeit von Rad o „Das Problem der Melancholie" auf; um dies
festzustellen, muß man allerdings die Kleinschen Termini an vielen Stellen übersetzen.
O. Fenichel (Prag)
OBERNDORF, C. P.: The Genesis of the Feeling of Unreality. Int. Journal of Ps.A.,
XVI, 3.
In einer früheren, von uns referierten und kritisierten Arbeit » entwickelte der Autor
eine eigene Theorie der Depersonalisation: diese beruhe stets auf einer Sexualisierung des
(abstrakten) Denkens, und zwar erfolge diese Sexualisierung bei einem Denken, das nach
der Art des gegengeschlechtlichen Elternteiles erfolge; empfinde das Individuum dann diese
sexualisierte Denk«Identifizierung mit dem ihm gegengeschlechtlichen Elternteil als einen
Widerspruch gegen die eigene Geschlechtlichkeit und suche es, sie zu verdrängen, so entw
stehe das Gefühl der UnwirkÜchkeit der eigenen psychischen Vorgänge. Charakteristisch
sei, daß solche Patienten hohe Intellektualität (des andern Geschlechtes) als vom Übersieh
gefordertes Ziel erleben, und einerseits als Angstschutz, anderseits aggressiv als Waffe zu
benutzen suchen.
Die vorliegende Arbeit bringt eine ausführliche und interessante Krankengeschichte zur
Stutzung dieser Theorie. Wir hören, wie ein Mädchen, das viele frühe Liebesversagungen
ertragen mußte und im Zusammenhang damit schon früh starke sadistische Impulse enfc
wickelte, einen Ausweg in einer Identifizierung mit dem sehr intellektuellen Vater fand die
sich als Sexualisierung des Denkens (Kopf = Penis) manifestierte. In der Schule glänzte
die Patientin durch ihre Klugheit, wobei sie sich männlich fühlte, zu Hause, wo die An«
Wesenheit des wirklichen Vaters ihr Vater«Spielen verhinderte, begannen Unwirklichkeits«
gefuhle und Depersonalisationssymptome. Sie floh davor in ein starkes Tagträumen, in
dem sie stets einen männlichen denkerischen Ehrgeiz entwickelte. An den Fund von Miß
Searl, daß bei der Depersonalisation die Identifizierungen des Kindes mit toten Gegen«
standen eine Rolle spielen, erinnert der Fetischismus, den die Patientin Zeit ihres Lebens
mit einem bestimmten Kissen betrieb, das offenbar ihr männliches Ich darstellte aber auch
ihren Vater und dessen Penis (in tieferer Schicht: ihre Mutter und deren Brust), durch
deren Introjektion ja ihr männliches Ich entstanden war. Die Unwirklichkeitsgefühle
kehrten in stärkstem Ausmaße wieder, als die Patientin sich mit 19 Jahren verlobte Da«
mals und auch nach der Heirat fühlte sie sich „real" beim Studium, „unwirklich" zu
Hause und im Sexualleben. Dort phantasierte sie sich als Mann, hier versuchte sie die
weibliche Rolle zu Übernehmen. Die Analyse machte von der Aufdeckung ihrer unbe«
wußten Männlichkeit und Homosexualität an große Fortschritte, wurde aber dann auf Ver«
anlassung des Gatten, dem ihre sich einstellende Weiblichkeit unbewußt nicht paßte, ab«
gebrochen, in neuester Zeit allerdings wieder aufgenommen.
Oberndorf diskutiert im Anschluß daran einige mit dem Falle zusammenhängende
technische Probleme. Wenn ein Patient gegenüber den Deutungen des Analytikers ,,Un«
Wirklichkeitsgefühle" entwickelt, so bedeute dies ein schweres Hindernis der Analyse. Da
dieser Widerstand nur ein Spezialfall der „Isolierung von Denken und Fühlen" ist, die
in einer andern Form die Analyse einer typischen Zwangsneurose so sehr erschwert, meint
Ref. daß Oberndorfs Anweisung, „die einzige Hoffnung, die Verteidigungsmauer
der Unwirklichkeit zu durchdringen, ist die Analyse jedes einzelnen verfügbaren Sym«
ptoms im Versuch, libidinöses Denken zur affektiven Reaktion abzulenken" kommentiert
werden muß. Es geht doch darum, v o r und s t a 1 1 der Analyse der übrigen Symptome das
Oeiunl der Irrealität, das die ganze Analysenstunde begleitet, als solches zu analysieren, es
of PsA b XV n i934 f: DepersonaIisation in Relation to Erotization of Thought, Int. Journal
Referate 285
dem Patienten in seinem Vorhandensein, in seiner Tendenz, in seiner Genese zu demon*
strieren. Es gilt, zu verhindern, daß die Analysenstunde statt eines affektiven Erfassens
der Wirklichkeit ein Denkakt und damit ein entstellter sexueller Genuß werde. Der Um*
stand, daß die Lage auf dem Sofa das Gefühl der Unwirklichkeit verstärken könnte, scheint
Ref. demgegenüber weniger erheblich, wenn auch sicher richtig.
Eine Vermutung Oberndorfs, daß der Wechsel der Neurosenbilder in der Gegen*
wart (Zurücktreten der Hysterien, Deutlicherwerden der Beteiligung des Ichs) allgemein
einer stärkeren Notwendigkeit, sadistische Impulse zu verdrängen, und einer Steigerung
der Libidinisierung des Denkens zuzuordnen sei, hält Ref. für nicht stichhaltig. Ver*
änderte soziale und pädagogische Verhältnisse rufen in ganz anderen Beziehungen stärkere
Veränderungen der psychischen Reaktionen auf dieselben hervor.
O. Fenichel (Prag)
YATES, SYBILLE: Some Aspects of Time Difficulties and their Relation to Music. Int.
Journal of Ps.A., XVI, 3.
Das Kleinkind erlebt den Zeitablauf anders als der Erwachsene. Er entsteht durch Er*
lebnisse, die sich wiederholen und dabei allmählich bekannt werden. Wenn ein solches,
Erlebnis ausbleibt, so daß das Kind warten muß, d. h. wenn „die Zeit des Kindes" und'
„die Zeit der Mutter" nicht mehr korrespondieren, so tritt eine Störung im Zeitablauf ein.
Das Kind beginnt zu schreien. Bzgl. der Psychologie des Schreiens und der Erschöpfung,
zu der es führt, beruft sich die Autorin auf Miß S e a r 1 und meint, daß solche Er*
Schöpfung die Zeit sozusagen außer Funktion setzen und das Gefühl bringen könne, alle
Befriedigung, die dann doch noch erfolge, komme zu spät. Zeitkontrolle könne nach
solchem Erleben eine Maßnahme (neben andern) sein, um die Wiederholung solcher
Warte* und Erschöpfungserlebnisse zu verhindern. Nach dem Erleben des Gestilltwerdens
sind dabei besonders die Exkretionsfunktionen ausschlaggebend.
Die Analyse einer arbeitsgehemmten Musikerin bot in dieser Hinsicht interessantes
Material. Sie empfand sich als kleines Kind von der Mutter vernachlässigt und meinte
(woran das reale „zeitlose" Verhalten der Mutter schuld war), daß die Mutter allen Zeit
schenke, nur nicht ihr. Die „Zeit" war dabei konkret und substantiell gedacht, so wie das
primitive Denken ja überhaupt keine Abstrakta kennt und alles konkret nimmt. Die Mutter,
so empfand sie, brauche alle Zeit auf und gebe ihr keine, so daß für sie nichts übrig bleibe.
Es galt die symbolische Gleichung: Zeit = konkrete Substanz = Essen. Hinter ihrer zeit*
liehen Desorientiertheit steckte orale Begehrlichkeit, die durch Versagung besonders sadistisch
geworden war. Infantile Wartezeiten (letzten Endes wohl: auf die Stillung) waren ver*
dichtet mit Urszenenerlebnissen. Die Patientin phantasierte u. a., sie möchte alle Minuten
und Stunden, die ihre Mutter sie hatte warten lassen, sammeln und sie ihr auf einmal ins
Gesicht schleudern. Eine solche Rachegelegenheit gab ihr vor allem die Reinlichkeit*»
erziehung. Die dabei obwaltenden Zeitkonflikte hatte sie dann später auf ihre eine Subli*
mierung der Analerotik darstellende musikalische Tätigkeit verschoben, was die Grund*
läge ihrer Neurose abgab. Ihr Musikinteresse und ihre Musikstörungen entsprachen der Er*
gänzung der zitierten symbolischen Gleichung: Zeit = konkrete Substanz = Essen =
Schreie = Töne. Eine Ohrenkrankheit, die sie als Kind mitmachte, erleichterte die unbe*
wußte Gleichsetzung von Tönen und Fäzes. Erst Schreie, dann Defäkationstrotz, dann
Musik waren ihr unbewußte Mittel, um zu verhindern, daß man sie warten lasse. Die
Gleichsetzung der musikalischen Tätigkeit mit der Defäkation ihrer Kinderjahre ging bis
in minutiöse Einzelheiten. Hier wie dort empfand sie, daß ihr ursprünglicher Ausdruck,
der bewegt, tanzend, warm war, durch regelnde Einflußnahme der Erwachsenen, besonders
der Mutter, kalt und tot geworden war. Jener ursprüngliche lebendige Ausdruck, den
sie in der Musik suchte, war die Fortsetzung von Spielen (Finger tanzen lassen), die sie
286 Referate
gespielt hatte, während die Mutter sie hatte warten lassen. Dieses Fingerspiel selbst war
stark überdeterminiert.
Der Verdichtung des Wartens mit der Urszene war es zu verdanken, daß dieses Spiel
Ausdruck der Erregung des Kindes wurde, und in tieferer Schicht der Absicht diente, auf
magische Weise die Eltern voneinander zu trennen. Rhythmysierung von Tönen bedeutete
dabei Kampf gegen Angst vor Tönen und gegen die im Warten und Schreien tobendq
Aggression. Das gegen solche Aggression gerichtete Wiedergutmachungsmoment — so
meint Yates offenbar im Anschluß an die Theorie von Sharpe, daß künstlerische
Betätigung vor allem eine Rekonstruktion des vom Oralsadismus Zerstörten sei — müsse,
damit Sublimierung in der Musik erfolgreich sei, die ursprünglichen unbeherrschten Krisen
übertreffen, die in Schreianfällen des kleinen Kindes zuerst zutage traten.
O. Fenichel (Prag)
KORRESPONDENZBLATT
DER
INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN
VEREINIGUNG
Redigiert vom Zentralsekretär Edward Glover
Mitteilung der Redaktion
der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse
Die British Psycho*Analytical Society und mit ihr die Internationale Psycho*
analytische Vereinigung haben am 30. März 1936 durch das Hinscheiden
ihres Mitgliedes Dr. M. D. Eder einen großen Verlust erlitten.
Wir werden in der nächsten Nummer unserer Zeitschrift einen Nachruf aus
der Feder von Dr. Ernest Jones veröffentlichen.
I. Mitteilungen der Internationalen
Unterrichtskommission
Lehrinstitut der Deutschen Psychoanalytischen
Gesellschaft, Berlin
Januar — März 1936
Carl Müller* Braunschweig: Systematische Darstellung der analyti*
sehen Psychologie, II. Teil. (Die Bedeutung der Familie, Ödipuskomplex, Trieb*
lehre u. a.) Vorlesung, 6 Abende, Hörerzahl 7.
Werner Kemper: „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie" (Fortsetzung).
Seminar, 7 Abende, Hörerzahl 4.
Werner Kemper: Spezielle Neurosenlehre, II. Teil. (Perversionen, Charak*
terstörungen, narzißtische Neurosen, Psychosen, Süchte.) Vorlesung, Hörer*
zahl 7.
Felix Boehm: Seminar über Werke der Romanliteratur. 5 Abende, Hörer*
zahl 13.
Felix Boehm: Technisches Seminar, Hörerzahl 9.
^8 KorrespondenzWatt
Felix Boeh m: Besprechungen über die Aufgaben der poliklinischen Arbeit,
Horerzahl 14.
Ada MüIler*Braunschweig: Seminar über Anwendung der Analyse
bei neurotischen und schwererziehbaren Kindern, 14tägig, Hörerzahl 5.
Carl M üller*Braunschweig: Arbeitskreis zum Studium der frühkind*
liehen Entwicklung. Wöchentlich, Hörerzahl 15.
Leseabende (Leitung E. R o e 1 1 e n b 1 e c k), Hörerzahl 4.
Ambulatorium der Ungarischen Psychoanalytischen
Vereinigung, Budapest
Bericht über dasjahr 1935:
Nach den Neuwahlen setzte sich der ärztliche Stab des Instituts wie folgt pu*
sammen: M. Bälint, Leiter; L. Revesz, Leiterstellvertreter; F. K. Hann, I. Her*
mann, I. Hollös, S. Pfeifer, ordinierende Ärzte; M. Dubovitz, K. G. Läzär, Leiter
der Erziehungsberatung. Im Berichtsjahr erhielt das Institut von der Gräfin
H. Sigray eine Unterstützung zur Honorierung von therapeutischen Analysen
Unbemittelter. Zum selben Zweck hat auch die Vereinigung einen gleichgroßen
Betrag aufbringen können, so daß neben den Pflichtanalysen der Mitglieder und
der Kandidaten einige weitere bezahlt werden konnten.
Zahl der Neuanmeldungen:
Erwachsene männlich: 56, weiblich: 40 = 96
Kinder „ 21, „ 6 = 27
zusammen
riB
Am 31. XII. standen in Behandlung:
Erwachsene männlich: 20, weiblich: 33 = 53
Kinder „ 4, 1=5
zusammen: 58
mit 189 Wochenstunden.
Am31. XII. standen auf der Vormerkliste:
Erwachsene männlich: 42, weiblich: 30 = 72
Kinder —
Im Jahre 1935 aus der Analyse entlassen:
männlich — 2 2 1 1 = 6
weiblich 1 — 1 = 2
zusammen: 8
Korrespondenzblatt 289
DieinBehandlungstehendenFälle, nachDiagnosen:
männlich weiblich
Potenzstörung 4 —
Frigidität (Zwangsohanie) — 1
Homosexualität 1 1
Exhibitionismus 1 —
Hysterie ............... 3 16
„ (mit psychopathischen Zügen) . . . -y 1
„ (mit Zwangssymptomen) — 2
Zwangsneurose 2 —
„ (mit psychotischem Einschlag) . — 1
Depression, Melancholie 3 1
Hypochondrie m. Angstsymptomen .... — 1
Paranoide Psychopathie 1 —
Charakterstörung 4 5
Pavor nocturnus . . . .... . . . . . 1 (Kind) —
Enuresis u. Stottern 1 „ —
Pseudologie 1 „ •*■
Verwahrlost 1 „ 1 (Kind)
Imbezillität min. grad — 1
Didaktische Analyse — 1
Vorläufig ohne Diagnose 1 2
24 34
Psychoanalitickä skupina v C.S.R. (Psychoanalytische
Arbeitsgemeinschaft in Prag)
Oktober 1935 -März 1936
Bericht über die Lehrtätigkeit.
A) Stand der Kandidaten: am Beginn und am Ende der Berichtsperiode 9,
hinzugekommen oder abgegangen ist keiner. Es handelt sich um 3 männliche
und 6 weibliche Kandidaten, 3 sind Ärzte, 6 Nichtärzte, davon 2 Pädagogen und
2 Psychologen. Noch in Lehranalyse befinden sich 8 Kandidaten, Kontrollana*
lysen führen derzeit schon 6 Kandidaten durch. Entlassen wurde während der
Berichtsperiode kein Kandidat.
B) Liste der Lehr* und Kontrollanalytiker: Steff Bornstein; Otto Fe*
nichel; Annie Reich.
C) Unterrichtstätigkeit: Alle Kurse und Seminarien wurden über beide Quar*
tale fortlaufend abgehalten, und zwar:
1. Fenichel: Allgemeine Neurosenlehre, zusammen 13 Stunden, Hörer*
zahl 25.
2. Annie Reich: Freud*Seminar, Krankengeschichten („Rattenmann" und
„Studien über Hysterie"). 9 Abende, Hörerzahl 15.
3. Technisches Seminar, 12 Abende.
4. Kinderanalytisches Seminar (Leitung Steff Bornstein), 11 Abende. Teil*
nehmerzahl an den beiden technischen Seminaren 6 — 9.
Int. Zeitschi. f. Psychoanalyse, XXII/2 19
290 Korrespondenzblatt
D) Öffentliche Veranstaltungen:
1. Steff Bornstein: Arbeitsgemeinschaft für Kinder* und Jugend* Psycho*
logie, offen für einen größeren Kreis von Pädagogen, fortlaufend, vierzehn*
tägig, Teilnehmerzahl zirka 40.
2. M. Olden: Kurs über die Psychologie des Kleinkindes vom 1. bis zum
6. Lebensjahr (für Eltern, Lehrer und pädagogisch Interessierte), 7 Abende, Teil*
nehmerzahl zirka 30.
E) Publikationen: Außerhalb der offiziellen analytischen Publikationen er*
schien in der Zeitschrift „Pritomnost": Löwenfeld, Historie Psychoanalysi.
Wir haben für Unterrichtszwecke die Zentralisierung der Anmeldung und
Verteilung der in Prag zur Behandlung kommenden Gratisanalysen durchge*
führt. Es sind derzeit in Prag 21 Gratisfälle in Behandlung, davon 8 Männer,
8 Frauen und 5 Kinder. Der Diagnose nach ist die Verteilung folgende:
Erwachsene :
Angsthysterie (— 1 w.)
Charakterschwierigkeiten (2 m.» 3 w.)
Depression ( — 2 w.)
Erythrophobie ....(Im. — )
Hysterie (— 1 w,)
Potenzstörungen (4 m, — )
Pseudologie ( — 1 w.)
Zwangsneurose (1 m. — )
Kinder :
Angsthysterie (— 1 w,)
Enuresis (Im. — )
Schwererziehbarkeit ( — 2 w.)
Zwangsneurose ( — 1 w.)
Vorgemerkt sind 4 Fälle.
IL Berichte der Zweigvereinigungen
New York Psychoanalytic Society
28. Jänner 1936. Jahresversammlung. Der Vorstand wird wie folgt gewählt:
Präsident: Dr. Bertram D. Lewin; Vizepräsident: Dr. Leonard Blum gart;
Sekretär: Dr. George E. Daniels; Kassier: Dr. Monroe A. Meyer. In den
Vorstand werden gewählt: Drs. Dorian Feigenbaum, Smith Ely Jelliffe
und Z. Rita Parker. In den Unterrichtsausschuß der American Psychoanalytic
Association werden als Vertreter entsendet: Drs. Bertram D. Lewin, Sando,r
R a d o und Bernard G 1 u e c k. In den Exekutivausschuß wird als Vertreter ent*
sendet: Dr. Adolph Stern.
George £. Daniels
Secretary
Chewra Psychoanalytith b'Erez Israel
Oktober— Dezember 1935
Nach den Sommerferien haben wir erst im November mit unseren Sitzungen
begonnen. Auch im kommenden Arbeitsjahr 1935 — 1936 werden die Sitzungen
einmal monatlich abgehalten.
Korrespondenzblatt 291
Erste Sitzung, am 15. November in Jerusalem: 1. Vortrag von Dr. E. Hirsch
(a. G.): Technische Probleme einer Hysterieanalyse. Diskussion: Eitingon, Pap*
penheim, Schalit, Wulff. 2. Geschäftliches: Frau Dr. G. Brandt wird als a. o.
Mitglied aufgenommen.
Zweite Sitzung, am 21. Dezember in TekAviv: D. Idelson (a. G.): Bericht
über die Arbeit des „Heims für verwahrloste Jugend" in Tel* Aviv. Diskussion:
Hirsch, Eitingon, Obernik*Reiner, Pappenheim, Strauß, Schalit. Anschließend
fand die Besichtigung des Heimes statt.
Dr. I. Schalit
Sekretär
Nederlandsche Vereeniging voor Psychoanalyse
Für 1936 wurden gewählt in den Vorstand: Präsident: Dr. S. J. R. de
Monchy, Vizepräsident: Dr. F. P. Mull er, Kassier: P. H. Versteeg,
Schriftführer: A. Endtz; in den Unterrichtsausschuß: Dr. S. J. R. de
Monchy (Präsident), A. Endtz (Schriftführer), Dr. F. P. Muller, Dr. H.
G. van der Waals, Dr. A. J. Westerman*Holstijn.
A. Endtz
Schriftführer
Wiener Psychoanalytische Vereinigung
Januar — März 1936
15. Januar. Dr. Paul Federn: Zur Unterscheidung des gesunden und krank*
haften Narzißmus (I. Teil). Diskussion: E. Kris, R. Wälder, Hartmann, Eidel*
berg, M. Bonaparte (Paris, a. G.), E. Bibring, Anna Freud.
29. Januar. Dr. Paul Federn: Zur Unterscheidung des gesunden und krank*
haften Narzißmus (II. Teil). Diskussion: R. Wälder, Anna Freud, J. Lampl*de
Groot, Hitschmann, Hartmann, E. Kris, Sperling.
12. Februar. Dr. Ludwig Eideiberg: Zur Genese der Platzangst und des
Schreibkrampfes. Diskussion: Hartmann, J. Wälder, Federn, Anna Freud,
Hitschmann, G. Bibring, Bergler, Angel.
11. März. Dr. Ludwig Eideiberg: Zum Studium des Versprechens. Dis*
kussion: R. Wälder, Stengel, Schikola (a. G.), Bergler, Schur, Anna Freud,
Federn. — Dr. Paul Federn: Ein technischer Rat. Diskussion: E. Bibring,
J. Lampl*de Groot, Angel, Eideiberg. — Dr. Paul Federn: Über das Schlangen*
symbol. Diskussion: E. Bibring, Schur, R. Sterba, Steiner.
25. März. Dr. Robert Wälder: Über die Voraussagbarkeit in der Psychologie.
Diskussion: Federn, Hartmann, Stengel, E. Kris, Anna Freud, Hoffmann. —
Dr. Jeanne Lampl*de Groot: Über die Wendung der Aggression nach
innen. Diskussion: Federn, R. Sterba, Hartmann, Anna Freud.
Geschäftliches: Neues a. o. Mitglied: Dr. Heinrich W i n n i k, Bukarest,
III. str. Armenescu 19.
Dr. Robert Wälder
Schriftführer
19*
292 Korrespondenzblatt
Psychoanalytikä skupica v C.S.R. (Psychoanalytische
Arbeitsgemeinschaft in Prag)
Oktober 1935 -März 1936
14. Oktober 1935. Dr. Fenichel: Über Selbstironie als Angstabwehr.
29. Oktober 1935. Referatenabend über Lewin: „The Body as Phallus" und
„Claustrophobia".
11. November 1935. Frau Karpe: „Psychoanalytisches über den tschechischen
Karikaturisten Dr. Desiderius."
23. November 1935. Gastvortrag von Dr. Federn (Wien) : „Beobachtbare Be*
Setzungsvorgänge am Ich".
24. November 1935. Gastvortrag Dr. Federn (Wien): „Über Psychoanalyse
bei Psychosen".
25. November 1935. Referatenabend über Mosonyi: „Die irrationalen Grund*
lagen der Musik."
9. Dezember 1935. Annie Reich: „Klinischer Beitrag zum Verständnis der
paranoiden Persönlichkeit."
16. Dezember 1935. Dr. Jakobssohn (Guebwiller) als Gast: „Über Miß*
bildungen und Schaubuden".
18. und 19. Dezember 1936. Gastvortrag Dr. Kris (Wien): „Über die Me*
thodologie der Anwendung der Psychoanalyse auf andere Wissenschaften."
2C. Dezember 1935. Referatenabend über die Gestalttheorie.
3. Februar 1936. Löwenfeld: „Zur Massenpsychologie des Faschismus."
17. Februar 1936. Diskussion über den Todestrieb.
29. Februar und 1. März 1936. Gastvortrag Aichhorn (Wien): „Über die
Handhabung der Übertragung in der Erziehungsberatung."
2. März 1936. Referatenabend über Klein: „Die Psychoanalyse des Kindes".
16. März 1936. Referatenabend über Teschitz: „Religion, Kirche und Religio
onsstreit in Deutschland."
30. März 1936. Ol den: „Über Dummheit."
O. Fenichel
III. Mitgliederverzeichnis der Internationalen
Psychoanalytischen Vereinigung
(Nachtrag zu der auf Seite 121 dieses Jahrganges veröffentlichten
Mitgliederliste.)
Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft 1
I. In Deutschland wohnende Mitglieder:
a) Ordentliche Mitglieder:
Boehm, Dr. med. Felix, Berlin N. W. 87, Lessingstraße 1 (Vorsitzender,
Schriftführer und Leiter des Ambulatoriums).
E k m a n, Lektor, Tore, Berlin W. 50, Spichernstraße 3, bei Neumann.
Im ersten Heft der Zeitschrift erschien versehentüch eine veraltete Mitgliederliste;
dieses Verzeichnis ist als das offizielle anzusehen.
Korrespondenzblatt 293
G o e b e 1, Frau Gertrud, Berlin N. W. 87, Königin>»Augusta*Allee 96.
Grab er, Dr. phil. G. Hans, Stuttgart 13, Stälinweg 29.
Herold, Dr. med. Karl Maria, Berlin W. 62, Landgrafenstraße 2.
K e m p e r, Dr. med. Werner, Berlin*Schmargendorf, Schlangenbaderstraße 95
(Kassenwart).
Müller*Braunschweig, Ada, Berlin*Schmargendorf, Sulzaerstraße 3.
Müller*Braunschweig, Dr. phil. Carl, Berlin*Schmargendorf, Sulzaer*
straße 3 (Stellvertretender Vorsitzender, Leiter des Lehrwesens).
Schottlaender, Dr. phil. Felix, Stuttgart*Degerloch, Löwenstraße 123.
Schultz*Hencke, Dr. med. Harald, Berlin«" Wilmersdorf, Hohenzollern*
dämm 26.
Stegmann, Dr. med. Margarete, Dresden A., Sidonienstraße 18.
Witt, Dr. med. Gerhard, Berlin*Charlottenburg, Fredericiastraße 4 a.
b) Außerordentliche Mitglieder:
Baumeyer, Dr. med. Franz, Dresden, Bismarckstraße 14.
M a r c h, Dr. med. Hans, Berlin W. 30, Bayreutherstraße 12.
Roellenbleck, Dr. phil. Ewald, Berlin*Charlottenburg 9, Bayernallee 19 a.
2. Auswärtige Mitglieder:
a) Ordentliche Mitglieder:
H o r n e y, Dr. med. Karen, 160 Central Park South, New York City (U. S. A).
WeigertsVowinckel, Dr. med. Edith, Ankara* Yenischir, Atatürk*
Bulvar 54 (Türkei).
b) Außerordentliche Mitglieder:
G a r m a, Dr. med. Angel, Madrid 53, Francisco Giner (Spanien).
Es traten aus der Gesellschaft aus im Juni 1935 Dr. Spitz, im Oktober Drs. Kalau
vom Hofe, Mette und Simmel, im Dezember Drs. Benedek, Haas, Jakobsohn,
Kempner, Kluge, Kraft, LiebecksKirschner, Simson, Irene Hänel*Guttmann,
Fromm, Groß, Hoffmann, Lantos*Schneider, Lowtzky, Staub und Kamm. Im
März 1936 wurde Herr Tore Ekman von der Svenska*Finska Psykoanalytiska
Föreningen übernommen.
Chewra Psychoanalytith b'Erez4srael
Ehrenmitglied:
Freud, Anna, Wien.
Ordentliche Mitglieder:
B 1 u h m, Dr. med. Kilian, Jerusalem=Rechawia B., Abarbanel Str.
Eitingon, Dr. med. Max, Talbye, Jerusalem (Vorsitzender).
Pappenheim, Prof. Dr. med. Martin, Tel* Aviv, Bd. Rothschild 119.
S c h a 1 i t, Dr. med. Ilja, Haifa, Hadar Hacarmel, Jerusalem Street 16 (Sekretär).
Smeliansky, Dr. med. Anna, Tel=Aviv, Balfour Street 57.
W u 1 f f, Dr. med. M., TeLAviv, Bd. Rothschild 38.
294 Korrespondenzblatt
Außerordentliche Mitglieder:
Brandt, Frau Dr. G., c/o. Palestine Psychoanalytic Society, Jerusalem, Abes*
synianstreet 138.
Hirsch, Dr. Erwin, Jerusalem, Hachabaschim Street 134.
Obernik*Reiner, Frau M., TekAviv, Melchett Street 24.
Peller*Roubiczek, Lili, Jerusalem, Alfassi Str., Rechawia.
SvensküFinska Psykoanalytiska Föreningen
Ordentliche Mitglieder:
Kulovesi, Dr. med. Yrjö, Tampere, Finnland.
Sandström, Dr. phil. Tora, Stockholm, Jungfrugatan 56.
T a m m, Dr. med. Alfhild, Stockholm, Narvavägen 21 (Vorsitzende).
Außerordentliche Mitglieder:
Ekman, Lektor, Tore, Berlin W. 50, Spichernstraße 3 (bei Neumann).
Nielsen, Dr. med. Nils, Stockholm, John Ericssonsgatan 6.
Nycander, Dr. med. Gunnar, Stockholm, Humlegardsgatan 13.
Törngren, Dr. med. Pehr Henrik, Stockholm, Ulricagatan 5.
Palm stiem a, cand. med. Vera, Stockholm, Pilgatan 3.
j
THE
THE
PSYCHOANALYTIC
INTERNATIONAL
QUARTERLY
JOURNAL OF
Fifth year of publication
PSYCHO-ANALYSIS
THE QUARTERLY
is devoted to original contributions
'
in the field of theoretical, clinical and
Directed by
applied psychoanalysis, and is
published four times a year.
SIGM. FREUD
!
The Editorial Board of the QUAR-
TERLY consists of the Editors: Drs.
Edited by
" : ' ' i
DorianFeigenbaum.BertramD. Lewin
'■
and Gregory Zilboorg. Associate Edi-
ERNEST JONES
tors: Drs. Henry Alden Bunker, Jr.,
"
Raymond Gosselin and Lawrence S.
■
Kubie.
,
CONTENTS FOR JANUARY 1 9 U:
This Journal is issued quarterly.
'
Sigm. Freud : Inhibition^, Symptoms and Anxiety.
— Karen Horney: The Problem of the Negative
Besides Original Papers, Abstracts
.
Therapeutic Reaction. — Robert Wälder : The
Principle of Multiple Function. — Eduard Kronen-
and Reviews, it contains the
gold and RichardS terba: TwoCases ofFetishism.
— Margaret Ribble; Ego Dangers and Epilepsy.
Bulletin of the International
— R. G. Hoskins: An Endocrine Approach to
Psychodynamics. — Clarissa Rinaker: A Psycho-
Psycho - Analytical Association,
'
analytical Note on Jane Austen. — Book Reviews.
— Current Psychoanalytic Literature. — Notes.
of which it is the Official Organ.
Editorial Communications should be
sent to the Editor-in Chief: Dr. Dorian
Editorial Communications should be
Feigenbaum, 60 Gramercy Park, New
sent to Dr. Ernest Jones, 81 Harley
York, N. Y.
Street, London, W. 1.
Foreign subscription price is $ J.JO.
The Annual Subscription is 50s per
A limited number of back copies are
volume of four parts.
j
available ; volumes in original binding
i
$ 6.;o.
The Journal is obtainable by sub-
:
scription only, the parts not being
Business correspondence should be sent
sold separately.
to:
Business correspondence should be
THE PSYCHOANALYTIC
addressed to the publishers, Balliere,
QUARTERLY PRESS
Tindall & Cox, 8 Henrietta Street,
372-374 BROADWAY, ALBANY,
Covent Garden, London, W. C. 2.,
NEW YORK
who can also supply back volumes.
, ' : 1
/
Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Band XXII, Heft 2
(Ausgegeben Ende Mai 1936)
INHALTSVERZEICHNIS
Seite
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung
für Penisneid und Weiblichkeit . . 137
Eifersucht als Abwehrmechanismus .... .... 177
Hemmung und Narzißmus i98
Ausnahmen von der analytischen Grundregel .... 223
Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben 229
Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ultimis. Vier
Mechanismen des narzißtischen Lustgewinns im Zwang 238
Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der
Epilepsie 24.9
Carl Müller- Braunschweig:
Joan Riviere:
Jeanne Lampl-de Groot:
R. Laforgue:
Fritz Witteis:
Edmund Bergler:
Daniel K. Dreyfuß :
REFERATE
Aus der Literatur der Grenzgebiete
Rittershaus: Konstitution oder Rasse? (Christoffel) 274. — Wengraf: Psychotherapie des Frauen-
arztes (Gero) 274
Aus der psychiatrisch-neurologischen Literatur
Heyer: Praktische Seelenheilkunde (Grotjahn) 275. — Kunkel: Grundzüge der praktischen Seelen-
heilkunde (Grotjahn) 276. — Psychotherapeutische Praxis (R. Sterba) 276. — Schneider: Pathopsycho-
logie der Gefühle und Triebe (Grotjahn) 278. — Schorsch: Eigenständigkeit, Fremdhalt und Halt-
losigkeit (Grotjahn) 279. — Stekel: Erziehung der Eltern (Friedjung) 279
Aus der psychoanalytischen Literatur
Klein: A Contribution to the Psychogenesis of Manie-Depressive States (Fenichel) 280. — Obern-
dorf: The Genesis of the Feeling of Unreality (Fenichel) 284. — Yates: Some Aspects of Time
Difficulty and their Relation to Music (Fenichel) 285
KORRESPONDENZBLATT DER INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN VEREINIGUNG
Mitteilung der Redaktion der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse 287. — I. Mitteilungen
der Internationalen Unterrichtskoinmission 287. — II. Berichte der Zweigvereinigungen 290.
III. Mitgliederverzeichnis der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung 292
Preis des Heftes Mark 7.50. Jahresabonnement Mark 28. —
Jährlich 4 Hefte im Gesamtumfang von etwa 600 Seiten
Einbanddecken zu dem abgeschlossenen XXI. Band (1955), sowie zu allen
früheren Jahrgängen: in Leinen Mark 2.50, in Halbleder Mark 5. —
Eigentümer und Verleger: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Ges. m. b H., Wien IX, Berggasse 7
Herausgeber: Prof. Dr. Sigm. Freud, Wien. —Verantwortlich für die Redaktion: Dr. Edward Bibring, Wien VII, Siebersterngasse 31
Druck: Jakob Weiß, Wien II, Große Sperlgasse 40
F
Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Band XXIT, Heft 2
(Ausgegeben Ende Mai 1956)
INHALTSVERZEICHNIS
Seite
Carl Müller- Braunschweig:
Joan Riviere:
Jeanne Lampl-de Groot:
R. Laforgue:
Fritz Witteis:
Edmund Bergler:
Daniel K. Dreyfuß :
Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Bedeutung
für Penisneid und Weiblichkeit . . 137
Eifersucht als Abwehrmechanismus 177
Hemmung und Narzißmus i98
Ausnahmen von der analytischen Grundregel .... 223
Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben . . .' 229
Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ultimis. Vier
Mechanismen des narzißtischen Lustgewinns im Zwang 238
Über die Bedeutung des psychischen Traumas in der
Epilepsie 249
REFERATE
Aus der Literatur der Grenzgebiete
Rittershaus: Konstitution oder Rasse? (Christoffel) 274. — Wengraf: Psychotherapie des Frauen-
arztes {Gero) 274
Aus der psychiatrisch-neurologischen Literatur
Heyer: Praktische Seelenheilkunde (Grotjahn) 275. — Kunkel: Grundzüge der praktischen Seelen-
heilkunde (Grotjahn) 276. — Psychotherapeutische Praxis (R. Sterba) 276. — Schneider: Pathopsycho-
logie der Gefühle und Triebe (Grotjahn) 278. — Schorsch: Eigenständigkeit, Fremdhalt und Halt-
losigkeit (Grotjahn) 279. — Stekel: Erziehung der Eltern (Friedjung) 279
Aus der psychoanalytischen Literatur
Klein: A Contribution to the Psychogenesis of Manie-Depressive States (Fenichel) 280. — Obern-
dorf: The Genesis of the Feeling of Unreality (Fenichel) 284. — Yates: Some Aspects of Time
Difficulty and their Relation to Music (Fenichel) 285
KORRESPONDENZBLATT DER INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN VEREIN IGUNG
Mitteilung der Redaktion der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse 287. — I. Mitteilungen
der Internationalen Unterrichtskornmission 287. — II. Berichte der Zweigvereinigungen 290. —
III. Mitgliederverzeichnis der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung 292
Preis des Heftes Mark 7.50. Jahresabonnement Mark 28. —
Jährlich 4 Hefte im Gesamtumfang von etwa 600 Seiten
Einbanddecken zu dem abgeschlossenen XXI. Band (1955), sowie zu allen
früheren Jahrgängen: in Leinen Mark 2.50, in Halbleder Mark 5. —
Eigentümer und Verleger: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Ges. m. b H„ Wien IX, Berggasse 7
Herausgeber: Prof.Dr.Sigm. Freud, Wien. —Verantwortlich für die Redaktion: Dr. Edward Bibring, Wien VII, Siebersterngasse 51
Druck: Jakob 'Weiß, Wien II, Große Sperlgasse 40
Printed in Austria
CM
XXII. Band
1936
Heft 2
Internationale Aeitschrift
iür Psychoanalyse
Offizielles Organ der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung
Herausgegeben von
bigm* Freud
Unter Mitwirkung von
Felix Boehm
Berlin
J. E. G. van Emden
Ha*g
Karl Menninger
Topeka
G. Böse
Kalkutta
S. Hollös
Budapest
SJ. R. de Monchy
Rotterdam
Harald Schjelderup
Oslo
Edward Bibring
Wien
A. A. Brill
New York
Ernest Jones
London
M.W.Peck
Boston
Alf hild Tamm
Stockholm
redigiert von
Heinz Hartmann
Wien
Lucile Dooley
Washington
J. W. Kannabich
Moskau
Edouard Pichon
Paris
M. Eitingon
Jerusalem
Kiyoyasu Marui
Sendai
Philipp Sarasin
Basel
Y. K. Yabe
Tokio
Sandor Rado
New York
Carl MüllersBraun schweig • • Die erste Objektbesetzung des Mädchens in ihrer Be«
deutung für Penisneid und Weiblichkeit
Joan Riviere Eifersucht als Abwehrmechanismus
Jeanne Lamphde Groot • • • Hemmung und Narzißmus
R. Laforgue Ausnahmen von der analytischen Grundregel
Fritz Witteis Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben
Edmund Bergler • . ..... Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ultimis. "Vier
Mechanismen des narzißtischen Lustgewinns im Zwang
Daniel K. Dreyfuß Über die Bedeutung des psychischen Traumas in. der
Epilepsie
Referate