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2209
BEES-VP-
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INTERNATIONALE ZEITSCHRIFT
PSYCHOANALYSE
OFFIZIELLES ORGAN
DER -
INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN VEREINIGUNG
HERAUSGEGEBEN VON
PROF. DR. SIGM. FREUD
WIEN
UNTER MITWIRKUNG KON:
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BERLIN HAAG BUDAPEST
DR. EDUARD HITSCHMANN DR.ERNEST JONES DR. EMIL OBERHOLZER
WIEN LONDON ZÜRICH
REDIGIERT VON
DR. OTTO RANK
WIEN
HEFT 4
VI. JAHRGANG
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Die
„Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse“
erscheint 4mal jährlich im Gesamtumfang von ‘24 bis 32 Druckbogen als
Offizielles Organ
der r
„Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung“.
Neben den bisher bestehenden Auslieferungs- und Expeditionsstellen
in Leipzig, bzw. Wien, von denen die Ortsgruppen Berlin, Budapest
und Wien auch weiterhin beziehen, werden vom VI. Jahrgang 1920
angefangen für unsere
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in der Schweiz und in Holland 20 Franken, bzw. 10.holl. Gulden,
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Das Präsidium der Die Leitung des
Internationalen Psycho- Internationalen ae
analytischen Vereinigung analytischen Verlags m
in London, in Wien.
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analyse“ bestimmten Zuschriften und Sendungen ‚sind an
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zu richten.
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‚ Von den „Originalarbeiten“ und „Mitteilungen“ erhalten die Mit.
arbeiter je 25 Separatabzüge gratis. geliefert. d
Copyright 1920 by „Internat. Psychoanalytischer VerlagGes.m.b.H.“
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Originalarbeiten.
Beiträge zur Psychologie der Homosexualität.
Von Dr. Felix Boehm (Berlin).
I. Homosexualität und Polygamie!).
Ein längerer Aufenthalt in einer nordischen Stadt hat mich
folgende Beobachtungen machen lassen:
Die Angehörigen der gebildeten Kreise wiesen auffallend viele
Züge von psychischem Infantilismus auf, was wohl zum Teil auf
eine lange politische Unmündigkeit zurückzuführen sein dürfte,
Anderseits waren dieselben Kreise streng protestantisch. Ich habe
oft die Redewendung gehört: „Da. könnte man ja katholisch werden“,
statt: „Da kann man verrückt werden.“ Der protestantische Geist
schränkte älle sinnlichen Vergnügungen in höherem Maße ein, als
das in katholischen Ländern der Fall ist. Die Frauen sahen ihren
Ehrgeiz darin, möglichst dunkle, unauffällige Kleider zu tragen;
ein tiefes Dekollete in Gesellschaften war verpönt; der fußfreie
1) Nach einem am 11. März 1920 in. der Berliner Ortsgruppe der Internatio-
nalen Psychoanalytischen Gesellschaft gehaltenen Vortrag. In der dem Vortrage
gefolgten Diskussion wurde ich auf Stekels zwei Aufsätze „Masken der Homo-
sexualität“ im Zentralblatt für Psychoanalyse, II. Jahrg., S. 367, und III. Jahrg.,
8. 259, hingewiesen. Diese beiden Aufsätze enthalten im wesentlichen alles in
meinem Vortrage Gesagte. Stekel hat diese Gedanken in seinem Werke „Ona-
nie und Homosexualität“ (Wien 1917) wesentlich erweitert und an einem umfang-
reichen Krankenmaterial erläutert; infolgedessen enthält mein Aufsatz im Prin-
zip nichts Neues; ich übergebe denselben trotzdem der Öffentlichkeit, da ich
von den hier geschilderten, von mir, unabhängig von Stekel, seit Jahren be-
obachteten Erscheinungen ausgehend, zu, wie mir scheint, mehr in die Tiefe
gehenden Beobachtungen gelangt bin, welche ich in einem späteren Aufsatz
schildern will und zu deren Verständnis ich die hier geschilderten Zusammen-
hänge als bekannt voraussetzen muß. Um keine Mißverständnisse aufkommen
zu lassen, will ich jedoch bemerken, daß ich wohl Stekels großes Material
und seine glänzende Darstellung der hier geschilderten Beziehungen anerkenne,
keinesfalls aber seine Ansicht teile, daß die Homosexualität die Ursache der
Polygamie ist.
Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse. VI/4. ® INTERNATIONAL 20
1 PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
298 Dr. Felix Boehm.
Rock und der kragenfreie Hals der Damen konnten sich nur lang-
sam durchsetzen.
Von Ausnahmen abgesehen, lernten die Geschlechter sich vor
der Verlobung nur im Ballsaal, später auch auf der Schlittschuh-
bahn und auf dem Tennisplatz kennen. In dem von den besseren
Kreisen besuchten Garten gingen Knaben und Mädchen, Herren und
Damen, stets streng nach Geschlechtern gesondert, auf und ab. Nie-
mals durfte ein Herr eine Dame seines Bekanntenkreises auf der
Straße ansprechen, sich nach ihrem Befinden erkundigen.
Bei Einladungen unterhielten sich die Damen für sich, die
Herren: spielten in einem anderen Raume Karten. Bei Tisch saßen
die Herren um den. Hausherrn gruppiert an dem einen Ende der
Tafel, die Damen an dem anderen; alle Herren, einer nach dem
andern, küßten nach einer Mahlzeit der Dame des Hauses die Hand
— und die Herren zogen sich wieder zum Kartenspiel zurück. Daß
Mädchen vor ihrer Verlobung einen Mann geküßt hatten, gehörte
zu Beginn dieses Jahrhunderts zu den Ausnahmen; eine aufgelöste
Verlobung galt als Schande für das Mädchen; es hatte kaum Aus-
sicht, sich wieder zu verloben. *
Der allgemeine psychische Infantilismus einerseits, die strenge
Verpönung aller heterosexuellen Genüsse anderseits brachte ein
starkes, fast allgemeines und unbekümmertes Ausleben der homo-
sexuellen Komponente des Wesens der geschilderten Kreise mit
sicht). Schülerinnen höherer Töchterschulen küßten sich nach
dem Unterricht vor dem Nachhausegehen fast regelmäßig, auch
auf belebter Straße; dasselbe taten die Frauen vor und nach
einen Kaffeekränzchen; wenn sie stark verfeindet waren, um die
Form zu wahren, auf die Wange. Mädchen- und Frauenfreundschaften
trugen ungemein häufig einen außerordentlich stürmischen und zärt-
lichen Charakter. Koseworte, wie „Vogelchen“, „Herzchen“, „Lieb-
line“, wurden häufig auch von Frauen, welche mehrere Jahrzehnte
alt waren, ganz offen gebraucht. Daß zwei Damen eng befreundet
waren und sich offen vor einer kurzen, manchmal nur wenige Stun-
den: dauernden Trennung zärtlich küßten, ohne daß jemand daran
Anstoß genommen hätte, habe ich oft beobachtet.
1) Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, bemerke ich, daß es
sich fast immer um eine vollkommen unbewußte Homosexualität handelte; die
auch dem Laien offen zu Tage liegende Homosexualität war noch mehr verpönt
als die Heterosexualität; überhaupt mache ich in den folgenden Ausführungen
keinen Unterschied zwischen bewußter und unbewußter Homosexualität, zwischen
bewußten und unbewußten polygamen Neigungen und abstrahiere ganz davon,
ob Homosexualität und polygame Neigungen den einzelnen Individuen und Ge-
sellschaftskreisen bewußt waren oder nicht, da dieser Umstand, obgleich von
größter Bedeutung, den Sinn meiner Ausführungen nicht beeinflußt.
Beiträge zur Psychologie der Homosexualität, I. 299
Im öffentlichen Leben spielten die früheren Angehörigen der
Studentenverbindungen der zwei Hochschulen des Landes eine große
Rolle. Ihre Zahl war eine sehr kleine; die Mitgliederzahl der ein-
zelnen Verbindungen aber eine sehr große. Infolgedessen kannte
man ihre Farben im ganzen Lande; hatte jemand studiert, so hing
seine fernere Existenz im beruflichen und gesellschaftlichen Leben
zum großen Teil davon ab, ob er es vermocht hatte, sich als Stu-
dent in einer Verbindung dauernd die Anerkennung der Kommilitonen
zu erringen. Aktiv war man nicht bloß zwei Jahre, sondern so
lange, als man studierte, trug während der ganzen Zeit die Far-
ben, .auch in den Ferien. Das Zusammenleben war in den Verbin-
dungen so eng und wurde von vielen so angenehm empfunden, daß
sie sich nur sehr schwer vom Studentenleben trennen konnten; viele
von ihnen studierten acht bis zehn Jahre; ein zwölfjähriges Stu-
dententum war nicht selten; ich habe einen Fall von achtzehn-
jährigem Studententum erlebt. Viele dieser älteren Studenten sahen
voller Verachtung auf solche Angehörige ihrer Verbindung herab,
welche viel tanzten; einen Ball statt der offiziellen Kneipe zu be-
suchen, war verpönt. Das „Du“ in der Anrede war innerhalb einer
Verbindung zwischen den jüngsten aktiven und den ältesten alten
Herren selbstverständlich; oft waren viele Glieder einer Familie,
mehrere Generationen derselben Angehörige einer Verbindung. Mehr-
mals im Jahre wurden Kommerse abgehalten; bei dem Landesvater
wurden Küsse von einer Feurigkeit und Innigkeit ausgetauscht,
nicht bloß unter ganz jungen Studenten, sondern auch unter den
alten Herren, auf die manche Braut hätte stolz sein können. Bei
den Kneipereien hatte eine Gruppe von Zechenden immer nur ein
Bierglas, welches der Reihe nach in folgender Weise benutzt wurde:
der erste trank die Hälfte des Inhalts aus, füllte das Glas mit
Bier, gab es dem Zunächstsitzenden, welcher wieder die Hälfte
austrank, vollgoß, das Glas weitergab. Auf diese Weise benetzte
eine gewisse Quantität Bier die Lippen aller im Kreise. Von die-
sem Usus durfte unter keinen Umständen abgewichen werden, auch
wenn einzelne schon schwer betrunken waren, kaum noch trinken
konnten, nur noch am Glasrande lutschten — oder in vereinzelten
Fällen, selbst dann nicht, wenn bekannt war, daß jemand an Lues
litt; der Einspruch mancher alter Herren gegen diesen unappetit-
lichen Gebrauch wurde immer als Zeichen: einer unkameradschatt-
lichen Gesinnung mit Halloh abgelehnt. Von diesem Usus wurde
auch in frühen Morgenstunden nicht abgewichen, wenn schon der
eine oder andere erbrochen hatte; ja auch, wie ich es selbst erlebt
habe, in der Gesellschaft eines auf der Bierbank ergrauten, bei
den jüngsten Jahrgängen sehr beliebten Korpsbruders, welcher in
20*
300 Dr. Felix Boehm.
der Trunkenheit gelegentlich einen zu sich genommenen Schluck
Bier wieder in das Glas zurückgleiten ließ. Die jüngsten Ange-
hörigen konnten von den älteren Jahrgängen mit Trinkstrafen be-
legt werden; eine Form derselben war folgende: Eine zum Teil
gefüllte Bierflasche wurde mit einer Hand ergriffen, der Hals mit
dem Daumen geschlossen und die Flasche energisch geschüttelt; der
Inhalt mußte hierauf ohne Benützung eines Glases getrunken wer-
den. War bei einer vorgeschrittenen Zecherei der Daumen schmutzig
gewesen, so wurde der abgespülte Schmutz eben mitgetrunken. Das
wiederholte sich täglich, da es auch Mittagskneipen gab. Bei ge-
legentlichen Einladungen von Damen in eine Korpskneipe wurde
manchmal auch mit den Damen zusammen aus einem feierlichen
Gefäß getrunken; den echten Korpsbrüdern aber waren solche Ein-
ladungen von Damen sehr zuwider. Von den vielen von mir er-
lebten Szenen, welche die starke homosexuelle Wesenskomponente
der Verbindungsglieder deutlich zeigten, schildere ich nur eine:
Nach einem Kommers saßen zwei Studenten mehrere Stunden lang
sich unterhaltend einander gegenüber, die Enden ihrer Slipse hatten
sie aus den Westen herausgenommen und zu einem gemeinsamen
Knoten verschlungen. In der Regel teilten zwei Kommilitonen eine
Bude, oft jahrelang, angeblich aus pekuniären Rücksichten. Dieses
jahrelange Studententum fand gewöhnlich ein sehr schnelles Ende
durch eine Verlobung, welche den Anstoß zu einem energischen
Studium gab. Viele aber gingen in den Interessen der Verbindung
ganz auf, konnten sich nicht von der Bierbank trennen und ver-
bummelten vollständig oder kamen in einem untergeordneten Berufe
unter. Ich habe einen Fall erlebt, in welchem ein junger Student
schwankte, ob er sich verloben und studieren, oder sich der Er-
ziehung des ersten Jahrganges widmen sollte — und das letztere
wählte. Manche der alten Herren, welche in ihrer Ehe nicht glück-
lich waren, verbrachten einen großen Teil ihrer freien Zeit zechend
im Kreise der älteren und jüngeren Angehörigen der Verbindung,
die jüngsten väterlich-freundlich behandelnd, für sie die Zeche be-
zahlend. Die Frauen sahen gar nichts Ungewöhnliches darin, daß
sie sich mit der Verbindung in den Besitz des Mannes teilen mußten,
waren stolz auf die Zugehörigkeit des Mannes zur Verbindung,
fanden es selbstverständlich, daß der Mann, wenn er vor ihnen
starb, mit dem Farbenband um die Brust beerdigt wurde.
Die absolute Keuschheit der Mädchen bis zur Ehe war, wie
ich schon sagte, fast immer selbstverständlich. Verhältnisse mit
Mädchen untergeordneter sozialer Kreise gehörten zu den Selten-
heiten. Dafür war das Bordellwesen im Lande um so ausgeprägter;
jedes auch noch so kleine Städtehen hatte ein oder mehrere öffent-
Beiträge zur Psychologie der Homosexualität. I. 301
liche Häuser. Für die Angehörigen der Hochschulen kamen nur
ganz wenige Bordelle in Betracht; von einer Verbindung wurde ge-
wöhnlich eine Zeitlang ein bestimmtes Bordell frequentiert; Knei-
pereien fanden häufig mit einem gemeinsamen Besuch eines Bordells
ihren Abschluß. So ließ es sich gar nicht vermeiden, daß dasselbe
Mädchen von befreundeten Studenten benützt wurde, über gemeinsam
bekannte Bordellmädchen gesprochen wurde, ja auch mit den Bordell-
mädchen über Angehörige derselben Verbindung, gelegentlich über
deren Qualitäten als Mann; bestimmte Mädchen wurden von einem
Studenten dem anderen empfohlen. In bestimmten Kreisen wurden
Gelegenheitsprostituierte bevorzugt, in der Weise, daß zu einem
bestimmten Kreise, welcher viel zusammen zechte, bestimmte Mäd-
chen gehörten, welche oft untereinander gewechselt wurden. Auch
bestimmte Varietesängerinnen wurden häufig von ein- und demselben
Kreise von Studenten zum Geschlechtsverkehr benützt. Es kam vor,
daß zwei Studenten mit zwei Mädchen in demselben Hotelzimmer
übernachteten. Eine ähnliche Erscheinung ist die häufige Einrich-
tung an einer mitteldeutschen Hochschule, an welcher das Korps-
studententum von altersher blüht: Mehrere Angehörige desselben
Korps halten sich auf gemeinsame Kosten eine Maitresse, angeb-
lich, um sich vor Geschlechtskrankheiten: zu schützen. Dabei habe
ich ‘sehr häufig beobachtet, daß Studenten sich nach jedem der-
artigen Verkehr starke, ja sich bis zu Suieidideen steigernde Selbst-
vorwürfe machten, trotzdem vom Besuch von Bordellen nicht ab-
lassen konnten; darunter auch Herren, welche jahrelang verlobt
waren. Das deutet auf den Zwangscharakter dieser Handlungen
und einen dahinter versteckten Trieb hin. Eine der Hochschulstädte
war Hafenstadt, wodurch das Bordellwesen begünstigt wurde.
Eine Reihe von Jahren habe ich in einer süddeutschen Hoch-
schulstadt mit vorwiegend katholischer Bevölkerung verbracht.
Hier ist mir von vornherein eine viel- größere Freiheit der Sitten,
welche sich im ganzen öffentlichen Leben, insbesondere in allem,
was mit Heteroerotik zusammenhing, aufgefallen: Der Karneval
dauerte jedes Jahr viele Wochen, so daß manche Kreise, insbesondere
Studentenkreise, wochenlang nicht aus dem Tanzen herauskamen ;
dabei tanzte sehr häufig während eines Karnevals ein junger Mann
regelmäßig mit demselben Mädchen. Das Korpsstudentenwesen spielte
eine im Vergleich zu meinen früheren Erfahrungen verschwindend
geringe Rolle. Dafür zeigte sich im ganzen öffentlichen Leben,
besonders im Studentenleben, eine andere Erscheinung: Fast jeder
junge Mann hatte vorübergehend oder dauernd ein Verhältnis zu
einem Mädchen, das gar nicht oder nur in geringem Maße auf
pekuniären Interessen von seiten des Mädchens aufgebaut war; fast
302 Dr. Felix Boehm.
jedes junge Mädchen der kleinbürgerlichen Kreise hatte, sehr häufig
mit Wissen der Eltern, ein Verhältnis, das jedenfalls von seiten
des Mädchens auf Liebesgefühlen basierte. Aber auch Angehörige
der besseren Kreise, wie Lehrerinnen, Studentinnen usw. hatten sehr
häufig ein Verhältnis. Die gegenseitige Treue war, solange das
Verhältnis dauerte, Voraussetzung, wurde zum mindesten von dem
Mädchen verlangt. Ich habe Kommilitonen gekannt, welche für mehr-
jährige Verhältnisse auch nicht einen Pfennig ausgegeben haben,
viele der in Betracht kommenden Mädchen hätten auch das ge-
ringste Geschenk mit Entrüstung zurückgewiesen. N atürlich gab
es von diesen Mädchen bis zu den Straßendirnen alle Abstufungen.
Aber die Stadt von 600000 Einwohnern hatte kein Bordell und
nur gegen 70 eingeschriebene Kontrolldirnen. In den Kreisen von
Korpsstudenten kam es häufig vor, daß eine Kellnerin, welche im
Stammlokal einen bestimmten Kreis bediente, zur Befriedigung der
erotischen Bedürfnisse ihrer Gäste während eines Semesters diente,
bis ein anderer Kreis kam; ein häufiger Wechsel der Universität
war, wenigstens in Medizinerkreisen, die Regel. Die Zugehörigkeit
zu einer Studentenverbindung beschränkte sich auf wenige Semester.
Die Verhältnisse der jungen Leute beruhten sehr häufig nicht bloß
auf erotischen Beziehungen, sondern gemeinsame Ausflüge in
die schöne Umgebung, gemeinsamer Sport, gemeinsamer Besuch von
Konzerten, Theatern, Galerien, Vorträgen, gemeinsame Lektüre
spielten häufig eine große Rolle. Manche Verhältnisse trugen fast
den Charakter einer glücklichen Ehe. Ein Assessor, welcher während
eines Heimaturlaubes von seiner früheren Geliebten, mit welcher
er vor Ausbruch des Krieges zwei Jahre lang ein Verhältnis gehabt
hatte, mit einer Gonorrhoe infiziert worden war, gab mir auf meine
Frage nach dem Ursprung seiner Krankheit in einem Kriegslazarett
die Antwort: „Ich habe absolut keine Erklärung dafür, es sei denn
Ehebruch.“ Wieso Ehebruch? „Nun: durch Ehebruch meiner
früheren Geliebten, während meines Aufenthaltes im Felde.“
So habe ich zwei Endtypen einer Reihe und unzählige da-
zwischenliegende Abstufungen und Variationen nach der einen und
anderen Richtung kennen gelernt: Auf der einen Seite den Bierbank-
studenten, welcher nicht ausstudieren konnte, fast gar keine Be-
ziehungen zum anderen Geschlecht kannte und nur gelegentlich ein
auch von Bundesbrüdern frequentiertes Bordell aufsuchte; auf der
anderen Seite den nicht inkorporierten Studenten, welcher ohne Ver-
hältnis zu einem Mädchen nicht leben konnte und neben den rein
erotischen Beziehungen noch alle möglichen anderen gemeinsamen
Berührungspunkte mit seiner Geliebten hatte.
Es war mir von vornherein klar, daß es in jeder Beziehung
Beiträge zur Psychologie der Homosexualität. I. 303
billiger und bequemer ist, ein Bordell zu besuchen, als eine Ge-
liebte zu haben; daß jeder Gedanke an die Zukunft, an eine Ver-
antwortlichkeit, jede stärkere Erregung eines erotischen Gefühls,
jede gefühlsmäßige Bindung an das andere Geschlecht bei dem Be-
suche eines Bordells fortfällt, die Gefahr der Akquisition einer Ge-
schlechtskrankheit aber um so größer ist. Auf diesen Punkt komme
ich noch besonders zu sprechen. Ich drückte das ungefähr so aus:
Je größer die Liebesfähigkeit eines Mannes ist, desto mehr wird
er von dem Besuche eines Bordells zurückschrecken und desto inten-
siver wird er ein auf gegenseitige Treue basierendes Verhältnis
suchen. Ich fand, daß es eine stetige Entwicklung des jungen
Mannes ist, wenn sich sein polygamer Trieb allmählich in einen
monogamen verwandelt. Der wahre Zusammenhang wurde mir erst
durch den Aufsatz von Sadger in dem IX. Jahrgang des „Jahr-
buches für sexuelle Zwischenstufen“, die Schriften von Hans Blüher
und durch Gespräche mit dem Kollegen Abraham klar.
Ich kam zu folgendem Satze, den ich in der Form einer geo-
metrischen Proportion auszudrücken versuchen will. Ich bin mir
dessen wohl bewußt, daß es mißlich ist, die Größe eines Triebes
eines Menschen mit einer Zahl zu vergleichen, aber ich erlaube
mir doch diese schematische Darstellung zur Veranschaulichung meiner
Ansicht vorzutragen:
Die Größe des heterosexuellen Triebes eines Men-
schen verhält sich zur Größe seinermonogamen Neigung
wie sich die Größe des homosexuellen Triebes eines
eines Menschen zur Größe seiner polygamen Neigung
verhält, }
Oder kurz ausgedrückt:
Heterosex. : Monogam. = Homosex. ;: Polygam.
Diese Formel läßt sich auch auf Völker, Bevölkerungsschichten,
Kreise anwenden; also die Größe des heterosexuellen Triebes eines
Volkes verhält sich zur Größe der Neigung zur Monogamie, wie
die Größe des homosexuellen. Triebes dieses Volkes sich zur Größe
seiner Neigung zur Polygamie verhält.
Dafür will ich einige Belege zu bringen versuchen:
Zuerst verweise ich auf das alte Griechenland, in welchem die
Ehefrauen in der Gesellschaft eine ganz untergeordnete Rolle
spielten, ein Beweis dafür, daß die alten Griechen keiner ausge-
sprochenen Heteroerotik fähig waren; die Homosexualität spielte
eine große Rolle, ebenso aber auch. das Hetärentum; der Verkehr
mit Hetären. galt nicht als anstößig, viele Hetären haben es zu
einer großen Berühmtheit gebracht.
304 Dr. Felix Boehm.
Ein sogenannter Zerfall der Sitten, wie der Ausdruck in Schul-
geschichtsbüchern lautet, das heißt eine Verwandlung der Neigung
zur Monogamie in polygame Gebräuche, ging gewöhnlich mit einer
Steigerung der Homosexualität einher, z. B. im alten Rom der
späteren Jahrhunderte, in gewissen Kreisen moderner Großstädte.
Die alten Germanen sollen in weitgehendem Maße monogam ge-
wesen sein, von einem Ausleben der Homosexualität bei ihnen ist
m. W. nie etwas bekannt geworden.
Alle Analysen von Verheirateten, insbesondere von unglück-
lich Verheirateten, zeigen mir immer deutlicher, wie groß die homo-
sexuelle Komponente des Wesens von Neurotischen ist; ich komme
immer mehr zur Überzeugung, daß diese Seite des Wesens der
Neurotischen in Analysen, soweit sie bekannt geworden sind, nicht
in dem wirklich vorhandenen großen Umfang gewürdigt worden
ist; Analysen von Ehepaaren haben mich zur Überzeugung gebracht,
daß eine Ehe um so unglücklicher ist, je stärker die homosexuelle
Komponente des Wesens eines der Ehegatten; da aber ein aus-
gesprochen heterosexuell empfindender Mensch niemals einen aus-
gesprochen oder vorzugsweise homosexuell empfindenden Menschen
heiraten wird, so sind in unglücklichen Ehen gewöhnlich beide Teile
mehr oder weniger stark homosexuell veranlagt. Die homosexuelle
Seite des Wesens der Gatten in unglücklichen Ehen kommt ja ge-
nügend in den typischen Witzblattfiguren der Cafes besuchenden
Ehefrauen, der sogenannten Kaffeeschwestern und der gegen den
Wunsch ihrer Frauen die Kneipe besuchenden Ehemänner zum Aus-
druck. Besonders die „Fliegenden Blätter“ haben ja den "Typus
des Pantoffelhelden, welcher gegen den Willen der Frau die Kneipe
besucht, vor der Frau deswegen furchtbare Angst, wohl auch ein
schlechtes Gewissen hat und beim Nachhausekommen von der Frau
verprügelt wird, immer wieder dargestellt. Der Zusammenhang
dürfte wohl der sein, daß die Ehe unglücklich ist, weil der Mann
homosexuell fühlt und deshalb die Kneipe aufsucht, nicht aber, daß
er wegen der unglücklichen Ehe gezwungen ist, die homosexuelle
Gemeinschaft aufzusuchen. Ich bringe ein Beispiel einer solchen
unglücklichen Ehe aus dem Leben:
Eine ungemein männlich veranlagte, tatkräftige und geistig
hochstehende Frau von sehr häßlichem Äußeren ist in den Führer
einer geistigen Bewegung verliebt, kann seine Gegenliebe aber nicht
erringen; ein kleiner, schmächtig gebauter, wenig zielbewußter und
geistig unbedeutender Mann schwört auf jedes Wort desselben
Führers dieser Geistesrichtung, welche die Menschen verbessern soll;
der Mann und die Frau heiraten einander, das erste Kind bekommt
den Vornamen des erwähnten Führers. Die Ehegatten gründen zu-
Beiträge zur Psychologie der Homosexualität, I. 305.
sammen ein Institut, welches den Menschen Glück bringen soll;
dasselbe ist mit zwei großen Luftbädern verbunden, in welchem
beide Geschlechter vollkommen nackt Luftbäder nehmen, und das
in einem Lande, in welchem sonst der Gebrauch einer Schwimm-
badehose für Männer selbstverständlich ist. Die Frau umgibt sich
mit einem Stabe junger Mädchen, welche ohne pekuniäres Entgelt
ihr bei der Führung der Wirtschaft behilflich sind. Der Mann
interessiert sich lebhaft für diese jungen Mädchen und knüpft
mit verschiedenen derselben erotische Beziehungen an. Die Frau
schwärmt weiter für ihren unerreichten Geliebten und liest un-
entwegt mit dem Manne zusammen dessen Schriften. So kommen die
heterosexuelle, die homosexuelle und. die polygame Neigung Beider
auf ihre Rechnung. Die Ehe wird nach einigen Jahren geschieden.
Der Mann verkehrte also im Geiste, wenn er mit seiner Frau ver-
kehrte, mit dem geistigen Führer, seinem geistigen Vater. — Ich
schildere noch einen anderen Fall ganz kurz:
Ein Mann, welcher seine Frau ursprünglich heiß geliebt, aber
ihre Gegenliebe nie zu erringen vermocht hat, verweilt sehr gerne
im Kreise von Männern und beweist immer wieder in zahlreichen
Aussprüchen seine große Mißachtung des ganzen weiblichen Ge-
schlechtes. Seine Frau betrügt er gelegentlich durch den Besuch
von öffentlichen Häusern. Nachdem verschiedene Kinder zur Welt
gekommen sind, verweigert die Frau den weiteren ehelichen Ver-
kehr; der Mann verbringt von da ab fast ständig einen großen
Teil der Nächte zechend im Kreise von Männern und hält sich
eine Maitresse nach der andern. Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie
in dem Augenblick, da dem Manne die heterosexuelle und zugleich
monogame Betätigung verweigert wird, die homosexuelle und zu-
gleich polygame Neigung dieses Mannes zum Durchbruch kommt.
Ich glaube, daß der Zusammenhang der sein dürfte, daß der Mann
infolge seiner Homosexualität die Frau nie ganz für sich zu ge-
winnen vermocht hatte. ’
Natürlich war auch die Frau stark homosexuell veranlagt; sie
hatte mehrmals die Äußerung getan, daß sie sich in ihrem ganzen
Leben in einem Laden immer nur von der hübschesten Verkäuferin
hatte bedienen lassen.
Im Felde lernte ich einen Kollegen kennen, welcher längere _
Zeit hindurch Schiffarzt gewesen war. (Ich brauche es wohl nicht
weiter zu betonen, daß es die homosexuelle Komponente des Wesens
der Männer ist, welche sie auf die hohe See, fort von der Frau,
treibt) Er war ein gläubiger Katholik und verurteilte Goethe
wegen seiner vielen erotischen Beziehungen zu Frauen auf das
schärfste. „Goethe war doch ein Schwein.“
-306 Dr. Felix Boehm.
Er benützte aber jede Möglichkeit, in die nächste Stadt zu
kommen, um dort ein Bordell zu besuchen; im übrigen war er
ein guter Kamerad, welcher gerne im Kollegenkreise zechte und
‚dabei viele gesellige Talente zeigte. Er erzählte gerne und oft,
daß bei seinen Reisen der erste Gang in Hafenstädten ihn mit
seinen Kameraden in das beste Bordell der Hafenstadt geführt hatte.
Er kannte alle internationalen Berühmtheiten auf diesem Gebiete.
Also vollkommene Unfähigkeit feinere erotische Beziehungen zu
verstehen, dabei Neigung zur Homosexualität und ausgesprochene
Polygamie.
Während des Krieges hatte ich im Kreise von Regiments-
kameraden reichlich Gelegenheit, Polygamie und Homosexualität zu-
gleich zu beobachten. Ich kann wohl auf Grund vieler Beobach-
tungen sagen: je mehr der Geist der Kameradschaftlichkeit bei
den Offizieren ausgeprägt war und damit oft zugleich auch
ein freundschaftlich-väterliches Wohlwollen für die Untergebenen,
desto stärker war auch der polygame Zug. Ein. Offizier, ein vor-
züglicher Regimentskamerad und brillanter Vorgesetzter, welcher
jede nur erdenkliche Gelegenheit benützte, um in der Etappe oder
in der Heimat ganz flüchtige sexuelle Beziehungen, häufig auf
‚der Straße oder in Bordellen, anzuknüpfen, sagte: „Ich habe noch
nie Wert auf ein Jungfernhäutchen gelegt, würde es auch bei
meiner Braut nicht tun; ich war npch nie der Erste bei einem
Mädchen.“ Länger dauernde sexuelle Beziehungen hatte er nur
zweimal gehabt: einmal mit einem Mädchen, das er einem ihm
persönlich bekannten Kameraden ausgespannt hatte, und einmal mit
einem Mädchen, das noch Beziehungen zu einem anderen hatte. Bei
seinen unzähligen sexuellen Abenteuern legte er Wert auf den
Cunnilingus.
Ein anderer, unverheirateter Offizier in reiferem Alter hatte
eine verdrängte, sehr starke Homosexualität; er lag in ständigem
Kampf mit allen seinen Vorgesetzten und Untergebenen, kam
:aus den Reibereien. nicht heraus, vertrug sich aber ausgezeichnet
mit seinem Adjutanten und protegierte seine nächste Umgebung in
überreichem Maße. Alle seine vielen sexuellen Erlebnisse waren
(durchaus flüchtiger Natur, oft in verschiedenen europäischen Bor-
.dellen. Einmal sagte er mir: „Am schönsten ist doch der Verkehr,
wenn man sich sofort nach dem Koitus in ein nebenbei stehendes
Bett legen und sofort einschlafen kann, ohne sich um das Mädchen
weiter zu bekümmern.‘“ Alle feineren erotischen Beziehungen waren
ihm also unausdenkbar, das Sexualobjekt diente also fast nur zur
‚Entleerung der Geschlechtsdrüsen.
Ein anderer Kollege fuhr jahrelang auf dem Schiff, besuchte
Beiträge zur Psychologie der Homosexualität. I. 307
auch alle internationalen Spezialitäten auf dem Gebiete des Bordell-
wesens. Nach seiner Niederlassung suchte er jedes Jahr, obgleich
verheiratet (natürlich von der Familie getrennt lebend), ein Ver-
hältnis mit einer anderen Assistentin, welcher er dann folgende Art
zu verkehren beibrachte: Er lag unbeweglich auf dem Rücken, sie
über ihm und mußte die Koitusbewegungen ausführen. Als eine
Assistentin bereits sexuelle Beziehungen zu einem anderen Manne
hatte, versuchte er sie mit allen nur erdenklichen Mitteln von
ihrem Liebhaber zu trennen, zum weiteren Verkehr mit ihm zu
veranlassen; als ihm das nicht gelang, wurde er vor Wut und
Schmerz halb wahnsinnig.
Ein" weiterer Kollege war auch längere Zeit Schiffarzt ge-
wesen; während dieser Zeit hatte auch er viele europäische und
außereuropäische Einrichtungen des Bordellwesens kennen gelernt.
Zu einer verheirateten Frau in einer Hafenstadt unterhielt er seit
Jahren sehr innige Beziehungen, welche aber zu keiner Scheidung
ihrerseits und zu einer Ehe führten; nur bei Besuchen in der Hafen-
stadt verkehrte er mit ihr. Er verkehrte trotz seines ziemlich
vorgeschrittenen Alters viel in Animierkneipen; festere erotische
Beziehungen konnte er aber nur zu verheirateten Frauen finden,
welche nebenbei mit dem Manne verkehrten. Infolgedessen war es
ihm schon zweimal passiert, daß seine Geliebte geboren hatte, ohne
genau den Vater zu kennen. In beiden Fällen war er als guter
Freund der Familie, der auch auf gute Beziehungen zum Manne
Wert legte, Taufpate des Neugeborenen geworden. Das heißt, die
Grundbedingung zu einer festeren erotischen Bindung war der
gleichzeitige Verkehr seiner Geliebten mit einem ihm gut bekannten
Manne. Wir sehen hier ganz deutlich Homosexualität und Poly-
gamie bei einer Persönlichkeit.
Noch deutlicher tritt diese Verknüpfung in folgendem Falle
zu Tage: Ein junger Mann hatte eine Frau geheiratet, welche ihn
wenig erotisch reizte, von welcher er aber wußte, daß sie in ziem-
lich regen Beziehungen zu einem nahen Verwandten gestanden
hatte. Sie war jahrelang seine intime Freundin, mit welcher er
stets seine viele Untreuen durchsprach. Sie hatte mehrere Jahre
hindurch mit seinem Wissen neben ihm ein Verhältnis mit einem
Bekannten von ihm; er war eng’ befreundet mit dem Liebhaber seiner
Frau und besuchte mit ihm zusammen Vorträge. Er war in sein |
Äußeres stark verliebt: „Ehe ich nicht seine schönen Augen gesehen
und seinem strahlenden Blick im Vortragssaal begegnet war, hatte
ich keine Ruhe und konnte dem Vortrag nicht folgen“, erzählte |
er mir.
Dieselbe Vorliebe mehrerer Männer für eine Frau habe ich
308 Dr. Felix Boehm.
in anderer Form während des Krieges immer wieder beobachten
können. Sobald in der Etappe von einem Offizier irgendwo ein
bestimmtes, aus irgend einem Grunde anziehendes, manchmal auch
noch so primitives und kleines Bordell ausgespäht war, drängte
es alle Regimentskameraden wie mit Gewalt immer wieder zum
Besuche gerade dieses Lokals, es gehörte einfach zum guten Ton,
gerade hier gewesen zu sein. Ein Fall ist mir besonders deutlich
in Erinnerung: Jemand hatte eine Gelegenheitsprostituierte von reich-
lich über 45 Jahren ausfindig gemacht. „Das ist was noch nie Da-
gewesenes, das muß man erlebt haben“, war daraufhin die Parole.
Nachdem ein Arzt eines Regiments sie koitiert hatte, verbrachten
alle Ärzte des Regiments gemeinsam einen Abend bei ihr; um sie
hintereinander zu koitieren. Die in der Etappe für Offiziere reser-
vierten Bordelle waren gewöhnlich sehr primitiv, mit sehr wenig
Insassinnen und wenig verlockend, aber gewöhnlich sehr begehrt
von den Angehörigen eines Armeeteiles. In einer kleinen Etappen-
stadt erlebte ich es, daß vor dem einzigen, schnell für Mannschaften
hergerichteten öffentlichen Hause, welches nur sechs Mädchen ent-
hielt, Schildwachen standen, welche die in langer Reihe angestellten
Soldaten immer zu sechs abzählten und hineinließen, wenn die letzten
Besucher herauskamen. Es zeigte sich hier auch ein starker Drang
zum Verkehr mit denselben Mädchen. Ähnliches hat sich auf einem
großen Turnfeste abgespielt: Am Tage hatten die Turner sich in
wenig bekleidetem Zustande gegenseitig bewundert, ihre Kräfte
miteinander gemessen, am Abend prügelten sie sich vor den Türen
der Bordelle, um durchaus in Gruppen in die überbesetzten Häuser
hineinkommen zu können.
Ein Kollege teilte mir gesprächsweise mit, daß er einmal eine
Notiz folgenden Inhaltes gelesen hätte: In Belgien gingen früher
die neu zum Militärdienst ausgehobenen jungen Leute in kleinen
Gruppen in Bordelle, an den Türen mußten sie anstehen, wurden
abgezählt und darauf in so starken Häufchen hineingelassen, als
in den Häusern Mädchen waren; wie wenn sie erst richtige Soldaten
werden konnten, nachdem sie gemeinsam mit denselben Mädchen
verkehrt hatten. Ohne den Zusammenhang zu kennen, hat man sich
dieses Mittels bedient, um den Geist der Kameradschaft zu erhöhen.
Die so oft gelesene Behauptung, daß Matrosen homosexuell
würden, weil sie so lange ohne heterosexuellen Verkehr auskommen
'|müßten, scheint mir falsch zu sein. Auf das Schiff geht man,
wie mir Beobachtungen an allen mir bekannten Kollegen, welche
Schiffärzte geworden sind, bestätigt haben, um heteroerotischen
Beziehungen auszuweichen. Wenn ein junger Mann die Wahl hatte,
Offizier der Landarmee oder Marineoffizier zu werden, und wählte
Beiträge zur Psychologie der Homosexualität. I. 309
letzteren Beruf, von welchem er ganz genau vorher wußte, daß
der Beruf ihn zwingen würde, im Falle-einer Ehe monate-, ja
jahrelang von seiner Frau getrennt zu leben, so ist es doch klar,
welche Motive ihn dazu trieben. Ein homosexueller, sehr stark
polygamer Patient, welcher in meine Behandlung kam, weil er nicht
wußte, ob er sich scheiden lassen solle oder nicht, sagte mir in
bezug auf eine mehrmonatige Reise auf einem Frachtdampfer zu
einer Zeit, während der er sich nicht verloben, aber auch nicht
von dem geliebten Mädchen lassen konnte: „Es war die schönste,
die einzig schöne Zeit meines Lebens, wenn ich das noch einmal
haben: könnte, würde ich sofort alles aufgeben!“ Frage: Warum?
„Weil auf dem Schiff keine Frauen waren!“ Bei Besuchen von
Hafenstädten hatte er verschiedene Bordelle besucht. In allen Hafen-
städten der Welt floriert das Bordellwesen weit mehr als in Land-
städten; in der Regel besuchen Mannschaften eines Schiffes bei
wiederholtem Besuch derselben Hafenstadt dasselbe Bordell, doch
offenbar um zusammen mit den Kameraden dieselben Mädchen zu
koitieren. Wir sehen somit das Bordell im Dienste der Homo-
sexualität: Ü
Das Bordell dient u. a. zur versteckten Befriedi-
gung des homosexuellen Triebes (wobei ich es dahinge-
stellt sein lasse, ob und in welchem Maße die Homosexualität be-
wußt ist),
Hier könnte mir der Einwand gemacht werden, daß doch nicht
alle Männer, welche mit Bordellmädchen verkehren, homosexuell
sind. Darauf hätte ich zu erwidern, daß ich nur diejenigen Männer
für vorzugsweise homosexuell halten würde, welche im reifen Alter
vom Verkehr in Bordellen bzw. einer ausgesprochen polygamen Be-
tätigung nicht loskommen; in bezug auf die anderen möchte ich
bemerken:
Freud hat uns gelehrt, daß das kleine Kind polymorph per-
vers ist. Die Neigung zum eigenen Geschlechte, welche in der
Jugend in gleicher Weise wie die homosexuelle Neigung existiert,
verliert sich normalerweise nur ganz allmählich bis auf geringe
Reste. Daß junge Mädchen, Schüler und Studenten noch sehr starke
homosexuelle Neigungen besitzen, ist ja allgemein bekannt. So weit
der homosexuelle Trieb eine größere Rolle spielt, herrschen bei jün-
geren Menschen polygame Neigungen. Das ist in der Regel ein
normales Entwicklungsstadium.
Dafür, daß sich das hier Gesagte auch auf das weibliche Ge-
schlecht bezieht, nur ein Beispiel aus dem Leben: Eine reichbe-
gabte, stattliche und hübsche junge Dame besserer Gesellschafts-
kreise hat eine kluge und energische Mutter und einen unbedeu-
ex
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Er Et,
310 Dr. Felix Boehm.
tenden Vater. Sie lebt sehr zurückgezogen im Freundinnenkreise
ihren reichen und vielseitigen Interessen, besucht nie Bälle oder
andere Vergnügungen, welche sie in Berührung mit anderen Männern
bringen könnte. Ein sehr tüchtiger, kluger und stattlicher Mann
interessiert sich lebhaft für sie. Sie erwidert seine Neigung sehr
stark, weicht aber unter Aufbietung aller Kräfte einer Zusammen-
kunft, welche zu einer Erklärung führen könnte, aus — und ver-
lobt sich mit einem ganz unbedeutenden, verlebten Manne, welcher
als Besucher von: Lokalen mit Weiberbedienung niederen Ranges
stadtbekannt ist.
Ich bringe nun einige Beispiele aus der analytischen Praxis:
Ein Patient (y), von dem der oben zitierte Ausspruch über
seine angenehmen Empfindungen während einer Seereise stammt,
war als Kind seiner Mutter sehr zugetan. In dieses Verhältnis trat
ein Bruch, als er mit ungefähr 31/, Jahren ein Schwesterchen be-
kam. Seine ersten sexuellen Erlebnisse hatte er mit ungefähr zehn
Jahren in der Form von Cunnilingus und Fellatio mit den beiden
jüngeren Schwestern. Bald darauf Beginn von während der ganzen
Gymnasialzeit fortgesetzten homosexuellen Beziehungen zu Mit-
schülern in der Form von gegenseitiger Masturbation, auch gele-
gentlicher Fellatio, mit einem Mitschüler auch in der Form,
daß der Partner ihn während der Masturbation mit einem Finger
im Anus rieb. Nach langem Widerstreben ziemlich spät Verkehr
mit einer Dirne, nach dem Anblick eines Koitus eines Kameraden
mil einer anderen Dirne mit sichtbar gewesenen Auf- und Nieder-
bewegungen des nackten männlichen Gesäßes. Darauf steter Wechsel
von Verhältnissen mit verschiedenen Mädchen größtenteils mit kna-
benhaften Zügen. Dabei Vorliebe für Cunnilingus und Fellatio,
gelegentlich Coitus per anum und Koitus in eigener Rückenlage.
Einmal wurde der Verkehr mit einem Mädchen besserer Kreise
erst möglich, als er auf seine Frage kurz vor dem ersten. Koitus
erfahren hatte, daß sie nicht mehr Jungfrau sei. Jahrelanges
Schwanken, sich mit einer ausgesprochen homosexuellen, stark virilen
Kollegin zu verloben; dabei jahrelang gegenseitige Masturbation;
nach der Heirat mehrjährige Unfähigkeit, die Frau zu entjung-
fern; außerordentliches Wohlbehagen im Felde; Abkürzung der
Heimaturlaube; viele polygame Beziehungen während der ersten
Ehejahre, häufige Frequenz von Bordellen. Später Ermöglichung
des Verkehres nach Kenntnisnahme von der Entjungferung der
Frau durch einen andern, ihm persönlich bekannten, von ihm sehr
geschätzten Kameraden. Vorher Beginn, denselben zu duzen, trotz
der Kenntnis von den eigenen freundschaftlichen Beziehungen jenes
Beiträge zur Psychologie der Homosexualität. I. ölt
zu seiner Frau. Einmal ein länger dauerndes Verhältnis mit einem
Mädchen, nachdem ein Freund dasselbe in seinem Beisein koitiert
hatte. Den gemeinsamen Besitz eines Mädchens mit einem anderen
Manne bevorzugte er angeblich wegen der „exceptio plurium“. Nach-
dem die Polygamie und die Homosexualität in ziemlich. weitgehendem
Maße analysiert worden waren, hinterging er die Frau noch ein-
mal mit einer Straßendirne, nachdem er den Nachmittag und Abend
in Herrengesellschaft verbracht hatte, dabei schon den ganzen Tag
"in großer Erregung gewesen war. Zum Schlusse einer Stunde
stellte ich die Frage, warum eine Scheide für ihn erst dann be-
nützbar sei, wenn ein anderer Penis darin gewesen wäre? Spon-
tane Antwort: „Das hängt mit der Homosexualität zusammen.“
Nächste Stunde: Hinweis meinerseits auf die letzte Antwort. Dar-
auf seine spontane Antwort: „Weil ich homosexuell an den Vater
gebunden bin und auf diese Weise in der Scheide der Mutter mit
dem Penis des Vaters in Berührung gelange. Weil mir die Be-
rührung der Scheide der Mutter schon früh verboten worden ist,
suchte ich die Berührung des Gliedes des Vaters. Das dürfte auch
die Ursache der Polygamie sein, ich verkehre auf diesem Wege
mit Männern — ein Verkehr, den ich mir in anderer Form ver-
biete aus moralischen und ethischen Gründen. Ich habe beim Ver-
kehr mit einer polygamen Frau die Vorstellung, als ob zwei Penisse
einander begegnen, oder wie wenn der Muttermund auch ein Penis
wäre, wie wenn die umhüllende Scheidenwand die Hand ist, mit der
beide Penisse zusammen onanieren.“ In der nächsten Stunde brachte
er einen Traum von einem Ritt mit seinem Hunde, dem jahrelangen
treuen Begleiter im Felde. Darauf folgende Assoziationen: „Ich
habe gelesen, daß man in Amerika die eingefangenen wilden Pferde
anhaucht, ihnen in den Rachen spuckt, um sie anhänglicher zu
machen; dasselbe habe ich mit meinem Pferde und insbesondere mit
meinem Hunde getan, welcher mich nie verlassen hat. Mehrmals
habe ich mir die Glans von dem Hunde ablecken lassen. Vor einem
onanistischen Akte habe ich mir gelegentlich die feuchte Flüssigkeit
aus der Spitze des Penis mit dem Finger an die Nase gehalten,
um mich mehr zu reizen; gelegentlich habe ich auch mein Smegma
berochen und gegessen. Als Kind habe ich ein großes Interesse
für die Wäsche, besonders die Hosen: der Mutter, gehabt; als Schüler
habe ich die Hosen verschiedener Dienstmädchen, in die ich verliebt
war, in der Genitalzone ausgesogen. Dasselbe habe ich noch vor
kurzem heimlich mit den Hosen meiner Frau getan. Einmal habe.
ich beim Cunnilingus bei einer Straßendirne die Nase zwischen
ihren Oberschenkeln in die Nähe des Anus gebracht. Ich habe den
Cunnilingus immer wieder bei nicht mehr unschuldigen Mädchen
312 Dr. Felix Boehm.
ausgeführt; bei meiner Braut bzw. Frau aber nicht, dazu stand
sie zu hoch, nur bei Straßenmädeln konnte ich es tun.“
Drängt sich hier nicht der Gedanke auf, daß der Geruch, Über-
bleibsel von Smegma etc. eines anderen, letzten Endes des Vaters
es sind, welche ihn: zum Cunnilingus bei einer Dirne gereizt haben,
denselben bei einem unschuldigen Mädchen reizlos erscheinen ließen ?
Ich bringe weitere Assoziationen aus derseiben Stunde: „Als Knabe
habe ich leidenschaftlich gerne gebadet; vor dem Baden habe ich
oft die geliehenen Badehosen in der Genitalzone berochen — viel-
leicht habe ich den Wunsch gehabt, die Badehose des Vaters zu
beriechen? Die zum Trocknen aufgehängten Badehosen habe ich
daraufhin beobachtet, ob dort, wo der Penis liegt, ein feuchter
Fleck liegt.“ Aus anderen Stunden: „Nachdem ich mehrere Wochen
(als Erwachsener) bei M. (zu dem er eine starke homosexuelle Nei-
gung hatte) und seiner Frau gewohnt hatte, wobei ich M. einmal
vollkommen nackt im Badezimmer gesehen hatte, und mir aus Rück-
sichtnahme auf die Gastgeber jeden sexuellen Verkehr verboten hatte,
konnte ich es eines Abends nicht länger aushalten, ich verabschiedete
mich unter einem Vorwande und suchte heimlich ein sehr bekanntes
Bordell der Stadt auf. Ich denke, ich hatte die Hoffnung, mit
einem Mädchen: verkehren zu können, mit dem M. vor seiner Heirat
verkehrt haben konnte. Als ich neulich in S. war, begegnete ich
M.s früherer Geliebten. Da durchzuckte mich der Gedanke: Mit
der möchte ich zu gerne verkehren! Damen der Gesellschaft reizen
mich. überhaupt nicht, sie scheiden absolut aus. Wenn ich aber ein
‚kleines Mädchen‘ sehe, dem man ansieht, daß es die Liebhaber
leicht wechselt, so muß ich unbedingt in seine Nähe gehen. Wie
mit magischer Gewalt zieht es mich zu demselben, wobei ich es
in der großen Mehrzahl der Fälle nicht anspreche; nur in seiner
Nähe muß ich gewesen sein.“ Dasselbe berichtete mir ein. anderer,
stark homosexueller Patient. Derselbe litt an gelegentlicher psy-
chischer Impotenz, auch an gelegentlicher Ejaculatio praecox. Ein-
mal konnte er ein Mädchen ohne die geringste Potenzstörung stun-
denlang ohne Unterbrechung koitieren. Es war die frühere Ge-
liebte eines von ihm sehr geschätzten und bewunderten, körperlich
sehr schönen Freundes. Ein außerordentlich polygamer Zwangs-
neurotiker berichtete folgendes: Die Frau, zu welcher er viele
Jahre lang in Beziehungen gestanden hatte, hatte während einer
längeren Trennung ein längeres Verhältnis und eine Reihe anderer
Beziehungen zu Männern gehabt. Er ließ sich alle Beziehungen
mit allen, allen Details immer wieder erzählen, sich einzelne Inti-
mitäten vormachen, machte dieselben nach. Gegenstände des ehe-
lichen Schlafzimmers, in dem der Geliebte der Frau oft über-
Beiträge zur Psychologie der Homosexualität. I. 313
nachtet hatte, erinnerten ihn noch jahrelang immer wieder an den
Hautgeruch, an Smegma und Ejakulationssekrete des Nebenbuhlers.
Selbst in die oft gereinigte Emailwanne konnte er sich nicht setzen
aus Angst, irgendwelche Überreste des Nebenbuhlers berühren zu
müssen. Ja selbst auf die spiegelblanke Glasplatte des Nacht-
kästehens konnte er seine Uhr nicht legen, weil er vermutete, daß
der Nebenbuhler seine Uhr vor Jahren daraufgelegt haben könnte.
Und doch war es ihm trotz fortwährender Vorsätze immer wieder
unmöglich, auch nur das Geringste an dem Schlafzimmer zu ändern.
Aber nicht bloß die Riechlust kommt auf ihre Kosten bei
dem Verkehr eines Homosexuellen mit einem andern durch eine
gemeinsame Frau, sondern auch der aktive und passive Schautrieb.
Aus unzähligen Anzeichen konnte der zuletzt erwähnte Patient
immer wieder schließen, daß seine Frau ihm untreu sei. Da er
aber die Trennung nicht abkürzen konnte, blieb ihm nichts anderes
übrig, als bewußt fest von der Treue seiner Frau überzeugt zu
sein. Er bat sie aber wiederholt flehentlich in Briefen, beim näch-
sten Urlaub die Schamlippen zu spreizen und ihm das Innere
ihres Genitales zu zeigen. Die ebenso ausgesprochen homosexuelle,
wie ausgesprochen polygame, aber dabei in manchen Dingen sehr
schamhafte Frau, welche das Verhältnis längst abbrechen wollte,
aber den Mut zur Beichte nicht hatte, ging in Briefen immer wie-
der auf diese merkwürdige Bitte ein. Kam er aber zum Urlaub
nach. Hause, so kam es trotz verschiedener Anläufe von beiden
Seiten nie zur Ausführung des beiderseitigen Wunsches. „Ich bin
heute fest davon überzeugt, ich wollte mich durch irgendwelche
Überbleibsel vom Nebenbuhler von der Untreue meiner Frau über-
zeugen, brachte es aber nicht fertig, da ich in der schwierigen
äußeren Situation an die Treue der Frau glauben mußte, meine
Frau aber wollte mir ihre, durch den Verkehr mit dem Neben-
buhler veränderte Scheide zeigen, wie wenn an derselben. Über-
bleibsel vom Nebenbuhler gewesen wären, um auf diesem Wege
eine Beichte abzulegen.“
Ein ausgesprochen homosexueller, zwangsneurotischer Patient
(@) kam zu mir, weil er sich unfähig fühlte, sich von seiner lang-
jährigen Geliebten, welche eine reiche sexuelle Vergangenheit als
Weinkellnerin hinter sich gehabt hatte, zu trennen und sich mit
einem Mädchen ohne Vergangenheit zu verloben. Nach mehrmona-
tiger Analyse, während welcher ich u. a. erfahren hatte, daß er
bei seiner Geliebten jeden Koitus durch einen Cunnilingus einzu-
leiten, pflegte, sich denselben aber bei seiner zukünftigen Frau
nicht vorstellen konnte, brachte er folgenden Traum: „Ich gehe
Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse. VI/4. 21
314 Dr. Felix Boehrn.
eine Treppe hinunter mit einem Hunde.“ Darauf folgende Asso-
ziationen: „Gestern habe ich E..y auf der Chaiselonge koitiert;
E...s Hund sprang darauf auf die Chaiselonge und leckte den.
entstandenen Samenfleck ab. Der Hund hat sich neulich selbst
den Penis vor dem Urinieren abgeleckt. Ob sich andere Männer
auch selbst den Penis ablecken können?“ Darauf folgte eine Reihe
von Assoziationen über geschmückte Uniformen der Offiziere, über:
seinen eigenen, sehr engen Waffenrock als Einjähriger, über das
Soldatenleben, das er schr stramm mitgemacht hatte. Mit meiner
Hilfe kam er leicht auf das bis dahin mit keinem Worte von
mir berührte Thema der Homosexualität, welches daraufhin monate-
lang von ihm bearbeitet wurde. In diesem Falle kam ein Patient
“ über seine Neigung zum Cunnilingus bei einer polygamen Frau
zur Analyse der Homosexualität. Außerordentlich stark entwickelt
und fein differenziert war sein Geruchsinn. Seine Riechinteressen
bezogen sich besonders auf alle Absonderungen des weiblichen Kör-
pers. Es ist nach allem Gesagten klar, daß die Scheide der poly-
gamen Frau wegen des Geruches der Vorgänger für ihn besonders
anziehend war. Beim ersten Versuch, ein junges, anziehendes Mäd-
chen zu koitieren, bog sich, was sonst nie vorkam, sein Penis um,
was ihn sehr deprimierte. Die Beziehungen zu diesem Mädchen
brach er nach einem Jahr ab, obgleich sie ihm, dessen Sparsamkeit
an Geiz grenzte, nie Ausgaben verursachte. Späterhin richtete er
der oben erwähnten Weinkellnerin mit großen Mitteln eine eigene
Weinstube ein und unterhielt, trotz der ständigen Eifersucht auf
die anderen Gäste, jahrelang ein Verhältnis mit ihr. Beim ersten
Verkehr koitierte er sie gleich zweimal hintereinander (ganz gegen
seine Gepflogenheit), weil sie eine weite Scheide hatte, weil der
Genuß in der weiten Scheide größer, der Verkehr in einer solchen
ungewöhnlich angenehm war. „Was fällt Ihnen zu einer weiten
Scheide ein?“ „Infolge des Verkehrs mit anderen Männern ist sie
so weit geworden.“
Ein stark homosexueller Patient (ß) mit ungewöhnlich stark
entwickeltem Geruchsinn, welcher immer in eigener Rückenlage
regungslos, ohne eine Spur von Genuß, den Verkehr mit Mädchen
über sich hatte ergehen lassen, bewarb sich um die Hand eines
außerordentlich virilen Mädchens. Sie lehnte seinen Antrag ab und
erzählte dabei, daß sie bereits die Geliebte eines anderen sei. „Jetzt
habe ich Sie nur noch lieber“, war seine prompte Antwort. Darauf
beschäftigte er sich längere Zeit zwangsmäßig mit den Fragen,
mit welchen Prozeduren, wie lange (das heißt wie viele Wochen,
wie viele Monate lang) sich ein Mädchen, das man aus „zweiter
Hand“ heirate, waschen müsse, um die Spuren des Verkehrs mit
Beiträge zur Psychologie der Homosexualität. IL 315
dem ersten Liebhaber fortzubringen, während er sich mit erhöhtem
Eifer um ihre Hand bewarb. :
Ein Zwangsneurotiker (a) mit sehr starker, aber vollkommen
'verdrängter Homosexualität konnte seine Analyse nur mit größeren
Unterbrechungen machen. Vor der Analyse hatte er viele Jahre
hindurch ein sehr starkes Interesse für alles, was mit Prostitution
zusammenhing. Dabei litt er häufig an Ejaculatio praecox und
an psychischer Impotenz, und unter anderem machte er immer
wieder Scheinversuche, sich Prostituierten zu nähern. Zum ersten-
und zweitenmal in seinem Leben wurde er durch die Bemühun-
gen gänzlich reizloser, aber raffinierter Bordellmädchen zu einer
Erektion mit darauffolgendem genußlosem Koitus gebracht. Zum
drittenmal im Leben: versuchte er den Koitus bei einem \un-
gewöhnlich hübschen und ihn stark reizenden Bordellmädchen, von
dem er wußte, daß kurze Zeit vorher ein guter Bekannter sie
koitiert hatte. Es kam bei den Bemühungen des Mädchens, ihn
zu einer Erektion zu bringen, nicht zu einer solchen, wohl aber
sehr schnell zu einem Ejaculatio ante portas. Seine Frau hatte er
nicht entjungfern können, sondern hatte diesen Akt einer Frauen-
ärztin überlassen müssen. Nachdem durch eine längere Analyse
die psychische Impotenz vollständig und die Neigung zur Bjaculatio
praecox fast ganz beseitigt worden war, passierte folgendes: In
einem Hotel lernte er eine ungewöhnlich hübsche junge Kellnerin
kennen, von der er wußte, daß sie längere Zeit hindurch die Ge-
liebte eines jüngeren Feldzugskameraden, welcher einen Stern mehr
als er auf der Achselklappe trug, gewesen war. Diesen ganz un-
gewöhnlich schneidigen, aber gänzlich unkultivierten, fast beispiel-
los polygamen und selten potenten Kameraden mit mädchenhaften
Zügen verachtete, liebte und fürchtete er zugleich. Mit ungewöhn-
licher Gewalt zog es ihn zu dem Mädchen. Mit ihrem Einverständnis
logierte er sich im Hotel ein und verbrachte, zitternd vor Begierde,
zwei schlaflose Nächte, auf das Mädchen wartend, dabei von einer
seit Jahren nicht mehr gekannten Furcht vor Impotenz geplagt.
„Diese Furcht ist ja ein Unsinn,“ sagte er sich immer wieder,
„dieser junge Mann ist doch wegen des Sternes auf den Achsel-
stücken absolut nicht dein Vater!“ Als es dann schließlich zur
Hingabe des hübschen Mädchens kam, kam es zu einer Ejaculatio
ante portas. In dem nächsten Stück Analyse kam es zu vielen
Aussprachen über seine Abneigung gegen das weibliche Genitale
und über seine Homosexualität. Darauf koitierte er ohne erheb-
liche Schwierigkeiten eine ziemlich unsaubere, unansehnliche Straßen-
dirne in einer unsauberen Umgebung, welche ihn stark an die
Mutter erinnerte. „Sie haben die Abneigung gegen den Schmutz
3 21*
316 Dr. Felix Boehm.
des weiblichen Genitals überwunden,“ sagte der Analytiker. Heute
weiß ich, gegen welchen Schmutz er die Abneigung überwunden
hatte: gegen den Schmutz infolge des Verkehrs mit anderen Männern.
Die Neigung zur Polygamie, insbesondere zur Annäherung an Pro-
stituierte, aber trotzte allen therapeutischen Bemühungen, bis die
Homosexualität noch einer gründlichen, bis in die frühe Jugend
gehenden Analyse unterzogen worden war und der Patient von
selbst darauf gekommen war, daß er in einer Frau mit polygamen
Neigungen nur die Annäherung an Männer suche.
Infolge dieses Zusammenhanges zwischen Polygamie und Homo-
sexualität erklärt es sich auch, daß Homosexuelle so gute, ver-
stehende Freunde von polygamen Frauen sind, ihre Erzählungen
über ihre Liebeserlebnisse so gut verstehen können. Sie selbst be-
gehren ihre Freundinnen ja nicht wirklich, werden daher nicht
eifersüchtig, können sich aber bei den Erzählungen in Gedanken
an den Reizen von deren Liebhabern erfreuen. Was von Patienten
als Beweis für ihre Heterosexualität angeführt wird, ist der Be-
weis für das Gegenteil.
Daß bei Frauen die Verhältnisse natürlich ebenso liegen, da-
für nur einige kurze Beispiele:
Ein ebenso polygamer wie homosexueller Mann hat ein in
körperlicher und seelischer Beziehung für beide Teile sehr reiz-
volles Verhältnis zu einer ebenso veranlagten Frau. Gelegentliche
‚Untreuen von beiden Seiten wurden ausführlich gebeichtet und ver-
ziehen. Einmal kehrte er vor ihrem Hause, während sie am Fenster
stand, um und ging mit einer Prostituierten fort. Nach mehreren
Stunden kam es zu einer sehr erregten Szene, welche fast zum
Bruch führte, aber mit einer Verzeihung im Bett endigte, wobei
es wenige Stunden nach seinem Verkehr mit einer Straßendirne
zur Fellatio kommt, welche sonst fast nie, und nur während sie
menstruierte, ausgeübt wurde.
Eine stark homosexuelle und ausgesprochen polygame Frau, die
in den ersten Jahren der Ehe vor der Analyse an Vaginismus
litt, ist als ganz kleines Mädchen von einem offenbar homosexuellen
Kindermädehen hinter dem Rücken der Eltern oft ins Bett ge-
nommen worden, hat mit nacktem Gesäß auf den Brüsten des '
Mädchens reiten, dieselbe im Kostüm einer Tänzerin bewundern
dürfen. Sie war hochblond, stark gebaut und vollbusig. Von
da. ab datierte eine ambivalente Einstellung der Patientin diesem
Typus von Frauen gegenüber. Nachdem es nach mehrjähriger
Ehe zum Verkehr gekommen war, begann der Mann von seinen
sehr zahlreichen Beziehungen zu anderen Frauen als Bräutigam
und als Mann zu erzählen und von den vielen Bildern dieser Frauen
Beiträge zur Psychologie der Homosexualität. I. 317
Abschied zu nehmen. Nachdem er fast alle vernichtet hatte, kam
die Frau, welche die Bilder genau kannte, dazu, nahm sie mit
einem Ausdruck des Bedauerns aus dem Papierkorb, legte die
Flicker noch einmal zusammen und bewahrte das Bild einer voll-
busigen, hochblonden Frau auf: „Gerade das schönste zerreißt du!“
— „Das wäre doch im Alter sehr angenehm gewesen zu sehen,
mit welchen Frauen mein Mann außer mir verkehrt hat,“ sagte
sie zu mir. Sie hatte ein auffallendes Interesse für Chirurgie und
einen starken Abscheu vor Geschlechtskrankheiten. Jahrelang war
der Umstand, daß der von ihr geliebte Mann ihr nicht treu sein
konnte, ein Hindernis für sie gewesen, ihm ihr Jawort zu geben.
An demselben Tage, an dem sie mit größtem Erschrecken erfahren
hatte, daß er während der Beziehungen zu ihr eine Geschlechts-
krankheit durchgemacht hatte, gab sie ihm ihr Jawort. Der Um-
stand, daß er eine vielleicht noch nicht ausgeheilte Geschlechts-
krankheit durchgemacht hatte, hatte seinen Reiz erhöht, seine Er-
krankung mußte sie immer wieder, stärker als bloße Erzählungen,
an seinen früheren Verkehr mit anderen Frauen erinnern !!).
Als er sie nach der Generalbeichte, zu einer Zeit, zu welcher
sie es absolut nicht mehr für möglich gehalten hatte, noch einmal
hintergangen hatte, war sie ganz besonders stark erschüttert, feierte
aber nach einer Woche, nachdem sie sich dieses Erlebnis ganz de-
tailliert hatte erzählen: lassen, die Versöhnung mit ihm in einem
ganz außergewöhnlich leidenschaftlichen Verkehr, welchem eine
Fellatio vorausgegangen war, welche sie bis dahin trotz seines drin-
genden Wunsches stets verweigert hatte. „Jetzt gehört mein Mann
wieder ganz mir,“ sagte sie glücklich.
In einer Ehe zweier ausgesprochen homosexueller ‚Menschen
kam es immer wieder zu Treubrüchen auf beiden Seiten, Beich-
ten, Versöhnungen. Nach einer solchen war die Frau dann in
der Regel leidenschaftlicher als sonst im Verkehr. Ja, so eine
Beichte des Mannes war eine Vorbedingung für sie für ein leiden-
schaftliches Empfinden. Als ich nach längerer Analyse von ihr
diesen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Polygamie mit
ihr durchsprach, hörte sie sehr gespannt zu; darauf rief sie be-
stürzt aus: „Ja, aber wenn dann bei beiden die Homosexualität
1) Die eben erwähnte Einzelheit ließ mich vermuten, warum homosexuelle
Männer oft so auffallend nachlässig in der Behandlung erworbener Geschlechts-
krankheiten sind, warum sie so gerne Öffentliche Häuser aufsuchen, von denen
sie wissen, daß Bekannte von ihnen dort verkehren, ein Teil derselben sich dort
infiziert hat. Es scheint der Wunsch nach einer direkten, dauernden körper-
lichen Vereinigung mit den Freunden zu sein, welcher den Besitz einer Ge-
schlechtskrankheit wünschenswert erscheinen läßt.
318 Dr. Felix Boehm.
fortanalysiert wird, wo bleibt denn dann der Reiz der Ehe? Was
hat eine Ehe dann noch für einen Sinn?“ 3
Eine ausgesprochen homosexuelle Patientin, welche einen ak-
tiven, polymorph perversen Offizier geheiratet hatte, erzählte mir
von ihrer Hochzeitsreise folgendes: Sie gingen zusammen auf der
K...gasse (welche wegen des sich dort abspielenden Prostituierten-
getriebes in ganz Europa bekannt ist) auf und ab, und hatten zuerst
geweitet, wer von ihnen öfter von einer Prostituierten bzw. einem
Herrn angesprochen werden würde. Wurde sie von einem Herrn
angesprochen, so gab sie sich den Anschein, eine Prostituierte zu
sein, unterhandelte mit dem Herrn wegen des Preises, des Hotels
usw.; er kam dann in ihre Nähe und hörte zu. Ebenso machte
sie es, wenn er von einer Prostituierten angesprochen wurde. Man
sieht, wie in der Polygamie des einen Ehegatten ein Reiz für den
andern lag. Die Patientin hatte irgendwelche Beziehungen immer
nur mit Herren anknüpfen können, welche wegen ihrer reichen
sexuellen Vergangenheit bekannt waren.
Eine Schauspielerin erzählte mir: Im Laufe von zwölf Jahren
hatte sie Beziehungen mit regelmäßigem Verkehr zu drei Männern.
Dabei war sie immer frigide — mit einer Ausnahme —, das war,
nachdem ihr letzter Geliebter ihr ausführlich von einem Verhältnis
erzählt hatte, das er halb mit ihrem Wissen mit ihrer in derselben
Etage wohnenden Freundin gehabt hatte.
Der Versuch, eine homosexuelle Spannung durch heterosexuelle
Beziehungen zur Lösung zu bringen, ist etwas ganz Alltägliches,
das ich besonders häufig und stark während des Krieges zu beob-
achten Gelegenheit hatte. Ich denke an einen ebenso ausgesprochen
(unbewußt) homosexuellen, wie ausgesprochen polygam-heretosexu-
ellen Patienten, welcher — kaum ins Feld gekommen — anfing,
seiner polygam empfindenden Frau glühende, von Sinnlichkeit über-
strömende Liebesbriefe zu schreiben. Täglich, in jedem Graben, in
jedem Unterstande, auch bei stärkstem Geschützfeuer, insbesondere
aber nach jeder etwas länger ausgedehnten Mahlzeit im Kreise
der Kameraden mußte er seiner Frau Briefe schreiben, in welchen
der Verkehr mit ihr in: allen nur möglichen Einzelheiten, mit allen
.der menschlichen Sprache irgendwie zu Gebote stehenden Ausdrücken
geschildert wurde; bis früh in den Morgen saß er und schrieb seiner
Frau Liebesbriefe, welche den Umfang von Broschüren erreichten.
Diese Glut sank auf ein normales Maß, als er aufhörte sich im
Kreise von Männern zu bewegen. Ich denke ferner an eine Pa-
tientin, die vor ihrer Ehe eine ziemlich umfangreiche polygame
Vergangenheit hatte; der Krieg brachte es mit sich, daß sie in
Gesellschaft anderer, ihr sehr zugetaner Frauen leben mußte; sie
Beiträge zur Psychologie der Homosexualität. I. 319
waren in ihren Ausdrücken zärtlich zueinander, mußten in einem
Zimmer schlafen, tanzten halb ausgezogen (in Reformhosen) mit-
einander. Sie führte während diesen Zusammenlebens ein so aus-
‚gesprochen heterosexuell-polygames Leben, wie nie zuvor, bis sie
aus dem Kreise der Frauen: ausschied.
‚Ich komme zu folgenden Feststellungen: r
Der homosexuelle Mann verkehrt mit Hilfe
einer polygamen Frau mit einem anderen Manne;
letzten Endes mit Hilfe der Mutter mit dem Vater.
‚ Die homosexuelle Frau verkehrt mit Hilfe eines
polygamen Mannes mit einer anderen Frau; letzten
Endes mit Hilfe des Vaters mit der Mutter.
Ich bin mir sehr wohl bewußt, mit diesen Ausführungen kein
Rätsel gelöst, sondern nur Tatsachen beschrieben zu haben. Da
sich mir aber die Kenntnis der hier geschilderten Zusammen-
hänge für viele Analysen sehr nützlich erwiesen hat, habe ich mir
erlaubt, das Augenmerk auf diese Tatsachen zu richten. Warum
der Homosexuelle ein so starkes Begehren nach dem durch die
Scheide der Mutter berührten Penis des Vaters hat, bzw. die homo-
sexuelle Frau nach der durch den Penis des Vaters berührten
Scheide der Mutter, ist mir nicht klar. Ich vermute aber, daß
hier die Vorstellung von dem Penis der Mutter eine große Rolle
spielt. Der.Patient, an welchem ich die hier geschilderten Zu-
sammenhänge am genauesten zu studieren Gelegenheit hatte, leitete
nach längerer Unterbrechung ein Stück Analyse mit folgendem
„sehr interessanten“ Traume ein: „Ich koitiere in einen Penis, wel-
cher bedeutend größer ist als meiner.“ Wie dieser Traum aufgelöst
worden ist, will ich in einer späteren Arbeit beschreiben.
Eine Symptomanalyse.
Von Dr. Georg Groddeck, Baden-Baden.
Einer meiner Klienten litt unter anderem seit Jahren an an-
fallsweise auftretenden Schmerzen in den Beinen, die angeblich so
heftig waren, daß während des Anfalls jedes Denken aufhörte.
Die Analyse wurde von mir mit der Aufforderung eingeleitet,
anzugeben, wodurch man Schmerzen in den Beinen bekomme.
Die Antwort war: „Vom langen Gehen. Der ewige Jude wan-
dert ohne Unterlaß, Ahasver. Der Name wird zerlegt in ‚haßlos‘
und ‚verhaßt‘ («a privativum—has —= haßlos; ver—has = verhaßt);
die Silben der Zerlegung werden übers Kreuz zusammengestellt.
Haßlos und verhaßt ist Christus am Kreuz. Christus ist der Ge-
salbte, das Kreuz ein Mensch mit ausgebreiteten Armen, ein um-
fangendes Weib, an das der Mann, die Mutter, an die der Sohn
genagelt ist. Der Gesalbte ist der Phallus, der in der Umarmung
des Weibes erschlafft, stirbt; um den: Phallus zu töten, bewegt
das Weib das Kreuz, das os sacrum. Das Kreuz ist das Leid, alles
Leid kommt von dem Weibe, von der Mutter, von dem Inzestwunsch
des Sohnes, der in den Schoß der Mutter zu dringen begehrt. Durch
Wehen, die vom Kreuz ausstrahlend arbeiten, wird der Sohn in
das harte Leben getrieben; er will zurück in den Leib der Mutter,
zurück zum Kreuz, dort festgenagelt sein. Christus ist die Mensch-
heit, die an der Mutter leidet, an. dem Mutterproblem.“
Da ich aus Erfahrung wußte, daß mein Klient den Inzest-
komplex oder, wie er es nannte, das Mutterproblem als Mittel zum
‚Widerstand benützt, unterbrach ich ihn und forderte ihn auf, wie-
der zu dem Worte Kreuz zurückzugehen.
„Kreuzschmerzen. Mein Vater hatte Kreuzschmerzen. Einige
Wochen vor seinem Tode habe ich meine Ferien bei ihm, von dem
ich getrennt lebte, zugebracht. Vorher war ich bei meinen Groß-
eltern zu Besuch. Ich habe damals mit einem Knaben verkehrt,
der im Bett lag, weil er irgend etwas am Bein hatte; vielleicht
hatte er es gebrochen. Der Vater dieses Knaben war ein Freund
meines Großvaters, war rückenmarkskrank.“
—
Eine Symptomanalyse, 321:
Der Patient wurde unruhig, was mich nicht wunderte, da mir
bekannt war, daß sein Vater gleichfalls rückenmarkskrank gewesen.
war. Ich hoffte jetzt rasch zu einer Lösung zu kommen, aber ler
Kranke wich aus.
„Nein, jetzt weiß ich es, dem Jungen war das Bein 3.mpu-
tiert, er hatte nur noch einen Stumpen. Das Bein amputieren, das
ist die Kastration. Impotenz. Ich habe jetzt so wahnsinnige Bein-
schmerzen, daß ich nicht mehr weiter reden kann.“ :
Ich machte den Kranken darauf aufmerksam, daß er die
Schmerzen nur bekomme, um der Behandlung auszuweichen, was
schon daraus hervorgehe, daß er den Kastrations- und Impotenz-
komplex vorgeholt habe, der ja, wie wir beide wüßten, stets von
ihm als Widerstandsmittel gebraucht werde. Er solle nochmals mit
dem Worte Kreuz beginnen, mir angeben, wie er wohl das Wort
Kreuz zuerst kennen gelernt habe.
„Kreuz, Kreuzschmerzen. Nur Frauen haben Kreuzschmerzen.
Schon als Knabe sei es ihm aufgefallen, daß seine Mutter ab und
zu über Kreuzschmerzen klagte. Später habe er entdeckt, daß das.
mit ihrer Periode zusammenhing. Meine Mutter ist das Kreaz
meines Lebens.“
Der Patient sprach nur noch stockend, seine Worte waren von
Stöhnen unterbrochen, sein Gesicht verzerrt, die Hände kalt und
feucht. Da er wieder zu dem Mutterproblem abbog, griff ich von:
neuem ein mit der Frage, was sich wohl ein Kind unter Kreuz-
schmerzen vorstelle.
„Ich wußte, was sie mit Kreuzschmerzen meinte. Sie pflegte
auf die Stelle hinzudeuten, die ihr weh tat, eben auf das Kreuz.“
„Gewiß. Aber was mag sich denn ein Kind darunter denken,
wenn diese Körpergegend als Kreuz bezeichnet wird? Finden Sie
eine Ähnlichkeit zwischen dem Kreuzbein und einem Kreuz
„Nein. Es ist auch unwahrscheinlich, daß ich das Wort Kreuz.
zuerst mit dem Begriff Kreuzschmerzen verbunden habe. Eher-
könnte ich über den Begriff Schmerz hin das Kreuz Christi irgend-
wie mit den Kreuzschmerzen der Mutter in Verbindung gebracht
haben.“
„Wie alt waren: Sie wohl, als Sie zuerst mit der Kreuzigung:
Christi bekannt wurden
„Vier bis fünf Jahre. Ich muß schon vorher die Kreuzschmerzen
der Mutter gekannt haben und wohl auch ein Kreuz, z. B. ein
Fensterkreuz, ein Wegkreuz. Oder vielmehr einen Kreuzweg.“
322 Dr. Georg Groddeck.
Ehe ich fragen konnte, wie er zu dieser Verwechslung komme,
fuhr er fort:
„Ich habe es jetzt: Das erste Kreuz, das ich kennen lernte,
muß ein Schmuckstück meiner Mutter oder meines Kindermädchens
gewesen sein. Ich habe als Kind einmal irgend etwas verschluckt,
irgend eine Münze oder so was, es kann auch ein Kreuz gewesen
sein. Vielleicht habe ich die Vorstellung gehabt, daß meine Mutter
ein solches Kreuzchen verschluckt habe und daß es ihr im Bauch
oberhalb des Popos stecken: geblieben sei und nun dort drücke. Ich
besinne mich, daß ich mich an einem Kreuzchen einmal geritzt
habe; die pflegen Verzierungen mit scharfen Spitzen zu haben.
Vielleicht habe ich die Idee gehabt, daß so ein scharfspitziges
Kreuz in der Mutter stecke und ihr beim Bücken den Rücken ver-
letze, so daß eine Blutung einträte.‘“
Angaben, die mit dem Wörtchen „vielleicht“ eingeleitet wer-
| den, sind verdächtig. Sie werden vorgebracht, um die Analyse zu
verhöhnen. Hinter dem Hohn steckt aber doch das Richtige, man
muß nur geduldig weiter suchen. Auch hier zeigte sich später
der wahre Sachverhalt. Zunächst schien sich der Spott noch zu
steigern.
„Noch früher, als dieses Schmuckstück habe ich natürlich den
Lutscher gekannt, so ein rotes Gummiding mit einem Hornreifen
darum; der hat ja auch eine Kreuzform. Vielleicht habe ich solch
ein Ding mal verschluckt oder meine Mutter hat sich geängstigt,
daß ich es verschlucken könnte.“
Ich machte den Kranken, dessen Schmerzen ununterbrochen an-
dauerten, darauf aufmerksam, daß er nicht dazu hier sei, um sich
lustig zu machen, sondern um behandelt und von seinen Schmerzen
befreit zu werden. Ich bäte sich auf die Schmerzen einzustellen
und mir irgend etwas zu sagen, was ihm dazu einfiele.
„Ahasver.“
Die Wiederholung des Namens fiel mir auf und ich kombi-
nierte sie mit der Beobachtung, daß die Schmerzen bei Erwähnung
der Rückenmarkskrankheit begonnen hatten.
„Ahasver“, sagte ich, „verhöhnte den haßlosen verhaßten Chri-
stus. Passen Sie mal auf.“
Ich stand auf, und mit den Worten „lustige Beine“ — es
ist ein Berliner Ausdruck für die Schritte der Tabiker — ahmte
ich den ataktischen Gang nach. Im el Augenblick fing der
Kranke an zu lachen und rief:
|
|
1
Sanhöe g
Eine Symptomanalyse. j 323
„Ja, der Christus ist mein. Vater und ich habe ihn verhöhnt.
Meine Schmerzen sind übrigens fort.“
Ich habe diese Symptomanalyse nicht des Erfolges wegen mit-
geteilt, der ja zu den gewöhnlichen Ereignissen der Freudschen
Behandlung gehört, sondern einmal, weil der Kranke im Anschluß
daran eine eigentümliche Geburtstheorie entwickelte, und dann weil
ich einige Bemerkungen über den Wert oder Unwert psychoanaly-
tischer Lektüre für den Kranken daran anknüpfen möchte.
Der Patient teilte mir folgendes mit: Das erste Kreuz, das
er kennen gelernt habe, müsse ein Medaillonkreuz seiner Groß-
mutter gewesen sein, in dem sie die Haare ihres verstorbenen
Mannes aufhob. Aus diesem Aufbewahren des Andenkens eines
Toten im Kreuz habe er, wie ihm jetzt klar geworden sei, als
Kind die Idee abgeleitet, daß seine wenige Monate nach der Geburt
verstorbene Schwester in dem Kreuz stecke, das auf ihrem Grab
stand. Daran müsse er gedacht haben, als er den Ausdruck Weg-
kreuz statt Kreuzweg brauchte. Es sei gemeint: Weg mit dem
Kreuz, weg mit der Schwester, weg mit allem, was unbequem ist.
„Die Geburt meiner Schwester und ebenso ihr Tod — ich
war damals drei Jahre alt — müssen einen sehr starken Eindruck
auf mich gemacht haben, und da meine Mutter mir erzählt hat,
daß sie lange Zeit nach der Geburt unterleibskrank war, nehme
ich an, daß damals viel von. Kreuzschmerzen gesprochen wurde.
Ich habe bei meiner Schwester jedenfalls einen solchen Lutscher
‚gesehen, wie ich ihn neulich erwähnte, einen mit einem Ring darum,
und von dem ich behauptete, er habe Kreuzesform. Er wird in
mir um so stärkere Gemütsbewegungen hervorgerufen haben, als
ich bis in mein verhältnismäßig spätes Alter an den Fingern ge-
sogen habe. Die Idee, daß ein Zulp verschluckt werden könne,
ergibt sich schon aus dem Schutzring, mit dem er versehen ist;
bei der Ängstlichkeit meiner Mutter hat es gewiß nicht an Mah-
nungen für Wärterin und Kind gefehlt. Ich habe nun, denke ich
mir, aus dem Worte Kreuzschmerzen: die Folgerung gezogen, daß
meine Mutter irgend etwas Kreuz- oder Zulpähnliches verschluckt
habe und daß das im Bauch an der Rückseite feststecke. Nur
habe ich einen ganz anderen Zulp, einen Lutscher für Erwachsene
gemeint. Sie behaupten, und ich glaube dieser Behauptung, daß
Kinder sich die Geburt wie eine Kotentleerung vorstellen. Dann
müssen sie sich aber auch eine Idee darüber machen, wie das
Kind in den Bauch hinein kommt, und da verfallen sie darauf,
daß die Mutter an dem Gliede des Vaters saugt. Mit dem Kennen-
lernen des Hühnereis und der Küken wird die Theorie modifiziert.
324 Dr. Georg Groddeck.
Jetzt tritt, da die Eiform der Hoden dem Knaben aus eigener Er-
fahrung bekannt ist, die Idee auf, daß die Genitalien des Mannes
von der Frau abgebissen und verschluckt werden und daß aus
den Eiern die Kinder entstehen. Dieser Gedanke kreuzt sich nun
mit der Beobachtung der Periode und der Entdeckung, daß die
Mutter statt des Gliedes etwas hat, was wie eine große Wunde
aussieht. Daraufhin wird die Theorie geändert; das Kind nimmt
an, daß die Mutter ebenfalls Penis und Eier hat und daß die
ihr von Zeit zu Zeit vom Vater abgeschnitten und zu essen ge-
geben werden. Der Schnitt verursacht die Blutung. Damit hat
das Kind die unerwünschte Dankesschuld. gegen den Vater so gut
wie beseitigt, da er ja nur Kastrator, nicht Erzeuger ist. Ab und
zu entsteht daraus ein Kind, das dann .auf dem natürlichen Wege
entleert wird. Meist aber kommt der Erfolg nicht, dann bleibt
das Ding stecken und verursacht Schmerzen, die nach der Ketten-
bildung Zulp-Genitalien-Kreuz Kreuzschmerzen benannt werden, und
die dauern an, bis die Eier usw. verfault und entleert sind. Ich
glaube, daß dieser Theorie, bei mir wenigstens, die Idee zu Grunde
gelegen hat: solange die Mutter Kreuzschmerzen hat, kommt kein
Kind. Sie ist also aus einem Wunsch entstanden. Übrigens hat
ja wohl der Zulp mit dem Ring symbolische Beziehungen zu Penis
und Scheide.‘
Wenn ich die eben entwickelte Theorie meines Kranken kri-
tisch behandle, kann ich ihm eine innere Logik nicht absprechen,
ja ich weiß sogar, daß sie bei Kindern existiert. Nur — und da-
mit komme ich auf den Wert oder Unwert psychoanalytischer Vor-
kenntnisse — ist es sehr fraglich, ob sie gerade diesem Kran-
ken selbständig zugehört. Sein sicheres Eigentum ist die Ableitung
der Kreuzschmerzen von dem Verschlucken eines Kreuzchens, die
Gleichstellung von Lutscher und Kreuz, die Kombination von der
Geburt der Schwester, ihrem Grabkreuz und den Kreuzschmerzen
der Mutter. Die Idee jedoch, daß der Vater die Mutter periodisch
kastriert und ihr die abgeschnittenen Organe mit den Eiern zu
essen gibt, woraus dann unter Umständen Kinder werden, kann
er ebenso gut aus Mitteilungen anderer Kranken, die von mir be-
handelt wurden, haben, ja es ist möglich, daß ich sie ihm selbst
irgendwann einmal aufgetischt habe.
Ganz sicher ist das bei der Identifikation von Kreuz und
Mutter und Christus und Phallus so. Ich habe vor einigen Jahren
im Kreise meiner Kranken Vorträge gehalten, die nachgeschrieben
worden sind und die der Kranke kennt. Ich setze die Stelle, aus
der mein Patient die Vergleiche genommen hat, dem Inhalt nach
hieher.
2
Eine Symptomanalyse. 325
„Nimmt man an, daß das Kreuz das umarmende Weib ist,
so ergibt sich das andere von selbst. Der Phallus stirbt im Weibe,
er senkt sein Haupt und stirbt; Finsternis herrscht dabei, die Erde
bebt und der Vorhang des Tempels vor dem Allerheiligsten zerreißt.
Die Symbolik der Nacht, der Erschütterung und des Hymen-
zerreißens ist deutlich. Die Kreuzabnahme ist die Trennung nach
der Begattung, während das Begräbnis und das dreitägige Ver-
weilen im Grabe Befruchtung und Schwangerschaft sind. Die Drei-
zahl der Tage ist als Vertretung der neun (drei mal drei) Monate
gewählt, weil eine Verdichtung des Schwangerschaftssymbols neun
zu Gunsten des im christlichen Mythus fest verankerten Phallus-
symbols drei im Interesse der Einheitlichkeit nötig war. Die Drei-
zahl, Penis und Testikel, ist in der Dreieinigkeit enthalten, die
in dem charakteristischen umstrahlten Dreieck mit dem Auge darin
altes Besitztum des christlichen Mythus ist, sie kehrt in den, drei
Kreuzen Golgathas, von denen das mittlere Christuskreuz das
höchste ist, wieder und spiegelt sich in den drei Marien, die in
Erzählung, Kunst und Legende so oft zusammen gebracht werden.
Das andere Phallussymbol sieben: tritt in den sieben Stationen der
Passion auf, in den sieben Schwertern, die Marias Herz durch-
bohren und in den sieben Tagen der Karwoche. Das Niederfahren
zur Hölle ist eine Verdoppelung des Beischlafssymbols; die
Hölle ist ja nichts anderes als die Projizierung des weiblichen
Genitals in die Religion. Die Auferstehung ist die Geburt und
das neueinsetzende Geschlechtsvermögen, das in der Himmelfahrt
die Erektion darstellt. Charakteristisch ist das Auftreten. Christi
als Gärtner, als einer, der den Garten des Weibes gräbt. Daß
der Auferstandene den beiden Marien erscheint, ist aus der Ver-
drängung des Inzestwunsches und der Libidoübertragung von der
Mutter auf Frauen mit ähnlichen Namen abgeleitet. Die Dornen-
krone, in der das blutige Haupt des Gemarterten steckt, der Purpur-
mantel, mit dem er umkleidet wird, das Rohr in seiner Hand, all
das sind Häufungen, durch die das Symbol überdeterminiert wird.
Das Kreuz als Weib und weiterhin als Mutter scheint unbewußt
— vielleicht auch bewußt — allgemein bekannt zu sein, was
ebenso aus der üblichen Darstellung des mit blutrotem Rosenkranz
umwundenen Kreuzes wie aus der Benennung des typischen Weiber-
leides, der Kreuzschmerzen, hervorgeht. Daß es sich dabei nicht
schlechthin um das Weib, sondern um die Mutterimago handelt,
spricht sich in der Betonung der Sohnschaft Christi aus, ebenso
wie das Einssein von Gottvater und Gottsohn aus dem Wunsche
des Sohnes, der Vater, der Gatte der Mutter zu sein, herzuleiten
ist. Das Wort Erlöser deutet auch auf den Phallus hin, und daß
326 Dr. Georg Groddeck.
die Bezeichnung Menschensohn unbewußt als Symbol des Phallus
benützt wird, beweist fast jeder Traum. Die Dreieinigkeit ist neben
Vater, Mutter und Kind Mann, Glied und schaffender Samen. Die
eigentümliche Verschränkung des Mutterkultus der Maria mit dem
Kultus des Gekreuzigten, wie die katholische Kirche sie hat, wird
durch die Deutung des Kreuzes als Mutter und des Gekreuzigten
als Sohn verständlicher, indem der ganze Mythus aus dem Inzest-
wunsch hervorgegangen sein mag. Dieser Inzestwunsch scheint mir
übrigens damit zusammen zu hängen, daß ein jeder sich in den
schützenden Leib der Mutter zurücksehnt, und davon würde sich
leicht das Verlangen nach Schlaf und Tod ableiten lassen, da ja
Bett und Grab Symbole des Mutterschoßes sind. Die Frage ließe
sich wohl am ehesten an Mädchen studieren. Ist bei denen der
Inzestwunsch außer auf den Vater auch auf die Mutter gerichtet
und wie sind die Bedingungen dieses Inzestwunsches!)? Ganz klar
ist mir aber, daß das erotische Verlangen des Menschen in innigstem
Zusammenhang mit dem vorgeburtlichen Aufenthalt im Mutter-
leibe steht, daß also in gewissem Sinne jede Geschlechtsregung dem
Inzestwunsch entspringt, ein Verlangen nach dem Schoße der
Mutter ist.“ nn.
Daß der Kranke mir beine eigenen Spekulationen als die seinen
vortrug, kann ich mir nur daraus erklären, daß er sich in einer
starken negativen Übertragung gegen mich befand und mich ver-
höhnen wollte.
Dasselbe gilt von folgender Auskunft des Kranken: „Als Sie
mich neulich fragten, was das bedeute: haßlos und verhaßt, habe
ich zuerst Ahasver gesagt und dann erst Christus, als ich merkte,
daß Sie meine Antwort Ahasver für ein Mißverständnis, für eine
Wiederholung der vorhergehenden Auseinanderlegung hielten. Ich
sagte aber Ahasver mit vollem Bewußtsein: und glaube noch jetzt,
daß die Definiton haßlos-verhaßt auf ihn ebenso gut paßt wie
auf Christus. Ich habe ihn zuerst genannt, weil ja Ahasver ich
bın, Christus aber mein Vater. In jedem Menschen stecken beide
Mythenbilder, ebenso wie in jedem Judas und Christus enthalten
sind. Es ist das auch ein Beispiel für Ihre Ambivalenzlehre, das
ich Ihnen zur Veröffentlichung abtreten will; fügen Sie hinzu,
daß Christus sowohl wie Ahasver ewige Juden sind, daß Judas
ebensogut als Dreizehnter, der dem Tode verfallen ist, am Abend-
1) Ich bin einem solchen Phänomen, das ich als einen Inzestwunsch der
ganzen Sachlage nach aufgefaßt habe, mehrfach bei Frauen begegnet. Der Aus-
druck: ich möchte in dich hineinkriechen, kommt meines Wissens auch bei
Frauen vor .
Eine Symptomanalyse. 327
mahlstisch gelten kann wie Christus, so wird es des Eindruckes
nicht ermangeln.“ 3
Ich brauche meinen Mitteilungen nicht ausdrücklich hinzuzu-
fügen, daß ich in der theoretischen Verwertung von Ideen he-
lesener und begabter Kranken für allgemeine Schlußfolgerungen
längst: vorsichtig geworden bin. Für die Behandlung des Einzelnen
hat es wenig Bedeutung, ob dieses oder jenes direkt aus seinem
Kopf kommt oder angelesen ist. Den von außen stammenden Fremd-
körpern kristallisiert sich stets so viel verdrängtes Material an,
daß der Nutzen doch evident wird.
Quelques r&ves, au sujet de la signification symbolique
de l’eau et du feu.
Par le Dr. H. Flournoy, Privat-docent & la Facult6 de medeeine de Geneve,
- Voiei d’abord un bref resume de l’histoire d’une malade que j’ai
‚eu l’occasion de traiter:
Mme C., 45 ans, maride, mere de trois enfants, est atteinte presque
subitement, vers la fin de fövrier, d’une rötention d’urine absolue; quel-
ques jours auparavant elle avait perdu un sac avec une assez forte somme
(d’argent, ce qui lui avait valu des reproches de la part de son mari.
Comme la r&tention persiste pendant plus d’une semaine, et que la ma-
lade ne peut uriner que par regorgement, on la fait entrer, le 11 mars,
dans une clinigue gynecologique. Un sondage immeödiat permet de vider
la vessie, qui contenait entre 3 et 4 litres de liquide. Mais ensuite on
est oblig& de renouveler les sondages röguli&rement trois fois par jour,
la rötention ne voulant pas c6der. Une seule fois, ’infirmiere &tant en-
tr6e brusquement dans la chambre qu’oceupait la malade, il arriva que
‚celle-ei, sous l’influence de l’&motion, se mouilla tout & coup sans le
vouloir; mais cet effet ne dura pas. d
A la fin de mars, le mödeein de service soupgonnant un spasme
fonetionnel rebelle & toute thörapeutique medicamenteuse, me demande
(de soumettre Mme C. & un traitement psychotherapique. Je lui fais le
31 mars une s&eance de suggestion. Le lendemain, ler avril, la malade se
dit tres d6courag6e et met en doute P’efficacit6 de ce traitement; elle me
raconte aussi avoir r&v6 la nuit pröcödente „qu’il n’y avait plus d’eau
dans le Rhöne, et elle regrettait que son mari, qui aime la p&che, füt
de&ja couche, au lieu de profiter d’aller prendre les poissons dans la ri-
viere & sec.“
Le 2 avril dans l’apres-midi, elle se mouille involontairement; mais
le soir, peu apres la troisieme ssance de suggestion, elle a enfin, pour
la premiere fois depuis cing semaines, une miction normale. D&s lors
‚elle continue & uriner d’une fagon röguliere et spontande. Le 3 avril je
la soumets & une quatrieme et derniere s6ance, et quelques jours apres
PRO
Quelques r&ves, au sujet de la signification symbolique de l’eau et du feu. 329
Mme C. quitte la elinique. J’ai pu m’assurer, au bout de plusieurs mois,
quelle n’avait pas eu de rechute.
Des signes organiques certains permettent d’afirmer qu’il y a chez
cette malade une l&sion medullaire; mais ’apparition subite du trouble
vesical & la suite d’un choc &motif, et sa disparition soudaine, sont de
fortes pr&somptions en faveur de la nature fonetionnelle de ce symptöme.
Cela n’a du reste pas une grande importance au point de vue de la
signification symbolique du r&ve.
Le röve eut lieu le lendemain de la premiere seance de suggestion,
alors qu’aueun rösultat ne s’ötait encore fait sentir. La malade, pr&occupde
par ce nouveau traitement, et se sentant toujours incapable d’uriner, vit
que le Rhöne ötait & sec. Le symbolisme urinaire des r&ves de fleuves
est bien connu. Chacun se rappelle le dessin d&couvert par Ferenezi dans
une feuille humoristigue hongroise, intitul& „Le songe de la bonne fran-
gaise“, et qui est devenu elassigue gräce A sa reproduction dans divers
ouvrages psychanalytiques !). J’ajoute que Mme C. ne s’en est pas inspiree ;
ses yeux ne sont sans doute jamais tomb6s sur ce dessin, bien qu’elle
soit marchande de journaux!
Mais ce qui nous intöresse davantage, ce sont les pr6oceupations
sexuelles que traduit probablement le röve. Quelques donndes ana-
mnestiques supplöeront & l’absence d’assoeiations. Mme C. , dont les enfants
proviennent d’un premier mariage, redoute d’avoir avec son second mari
des relations conjugales parce que, dit-elle, elles la font souffrir. Et
lorsqu’elle en a, elle prend les prscautions les plus minutieuses pour
$viter tout risque de devenir enceinte,
Or on sait par les travaux de Freud que les röves d’eau, comme
les röves vösicaux, sont souvent en relation, chez les femmes, avec les
eomplexes de la grossesse et de la f6condit6. Rank a rapport6 A ce
sujet une des plus interessantes versions de la lögende eoncernant la
naissance de Cyrus: alors que la möre du heros, Mandane, 6tait pres de
le mettre au monde, elle vit en r&ve un &norme fleuve s’&chapper d’elle
et envahir l’Asie2). Chez notre malade, la vision du fleuve & sec, tout
comme la rötention d’urine survenue apres une querelle conjugale, ne
pourraient-elles pas symboliser, inversement, le desir de rester sterile?
Que fait ensuite Mme ©. dans son reve? Elle döplore que son mari,
au lieu d’aller prendre des poissons puisqu’il aime la peche, soit dejä
couche. Il est dangereux de faire trop de suppositions; mais je me
demande si notre malade n’exprime pas ainsi, dans sa fantaisie onirique,
le desir d’&carter son &poux, et de le voir chercher satisfaction ailleurs
!) Freud, Traumdeutung, 4me &d., p. 271.
?) Rank, Die Symbolschichtung im Wecktraum und ihre Wiederkehr im mythischen
Denken. Jahrb. f. Psychoanal., 1912, p. 114.
Internat, Zeitschr. f. Psychoanalyse, VI/. 22
»
330 Dr. H. Flournoy.
et autrement que dans le lit eonjugal? Il est inutile d’insister sur le
symbolisme du poisson.
Un autre point me semble confirmer l’hypothese que le fleuve, l’eau
qui s’&coule, reprösentent bien chez elle l’id&e de la f6condit6. Lorsque
le 2 avril au soir, apres la troisitme seance de suggestion, Mme C.
recommenga, & sa grande surprise, & pouvoir uriner, elle r&va la nuit
suivante „qu’elle donnait le sein & un bebe“.
* *
*
Les 8 r&ves suivants sont extraits d’une serie que m’a remise un
6tudiant en medeeine qui se plaint d’©tre impuissant, et qui n’a du reste
jamais essay& d’approcher une femme. es röves se sont &chelonnes sur
une p6riode de plusieurs mois. Ils n’ont pas &t6 analyses par la möthode
des associations, en sorte que leur ötude reste tr&s incomplete; n&anmoins.
leur symbolisme est si transparent, qu’il m’a paru valoir la peine de les
publier. L’ordre dans lequel je les presente ici n’est pas celui de leur
suceession chronologigue; mais un num6&ro indique, pour chacun d’eux, la
place r&elle quw'il occupe parmi les 8.
Indöpendamment de ses r&ves, de nombreux indices montrent que
le sujet est en proie & un violent complexe d’Oedipe, et qu’il a des
tendances homosexuelles marquees. Dans son enfance il lui arrivait tr&s
souvent de mouiller son lit pendant le sommeil, jusque vers sa 1l2me
annee. En fait de fantaisies infantiles, il se demandait entre autres si
les femmes ne devaient pas, pour avoir des enfants, boire l’urine de leurs
maris. Et vers l’äge de 7 ans il se souvient s’ötre amus6 & „pisser &
quatre pattes“, pour imiter les chevaux dont il admirait la puissance
dans l’exereice de cette fonction.
Parmi ses röves, il y en a d’abord un bon nombre dans lesquels le
malade, ayant öprouv& la sensation d’uriner, s’est apergu au röveil avoir
eu en r6alitö une &mission spermatique. Ües r&ves urinaires de l’adulte
couvrent done une activit6 6rotique sous-jacente, comme Rank l’a montr&
par une sörie d’exemples'). Nous admettons de möme, en nous basant
sur les travaux de Freud, de Jung, de Sadger et d’autres, que l’ineontinence
noeturne d’urine, si nettement en rapport avee les fantaisies infantiles
dans notre cas, avait une signification analogue, et ne faisait qu’exprimer
le desir d’ineeste avee la mere?).
La liaison subjeetive entre les fonctions urinaires et gönitales est
bien elaire dans le fragment de r&ve suivant, ol transperce encore
l’ambition sexuelle:
1) Rank, loe. eit., p. 95.
2) Voir ä ce sujet: Jung, Die Bedeutung des Vaters für das Schicksal des Einzelnen.
Jahrb. f. Psychoanal., 1909, p. 168. Sadger, Über Urethralerotik. Ibid., 1910, p. 409.
Quelques röves, au sujet de la signification symbolique de Feau et du fen. 331
I. Röve No. 6.
Je monte une legere pente en pleins champs, en suivant M. X., qui est
cense aller faire un discours. Je tiens sous le bras un immense objet eylindrique,
long de plusieurs mötres, large comme un tuyau de cheminde, qui est & la
fois la hampe d’un drapeau et une gerbe d’immenses pissenlits.
M. X. represente le pere qui, en sa qualit& d’homme politique, fait
en effet des discours, — tandisque le vrai M.X. n’en fait pas. Mais ce
dernier passe pour ötre un excellent cavalier; il a done d’habitude entre
les jambes un organisme dont notre malade envie les capaeites urinaires,
car on se rappelle son jeu d’enfant consistant A „pisser comme les chevaux“.
L’image de M. X., que le röveur suit, synthötise done les attributs du
pere et ceux de la puissance urogönitale. Quant A la signifieation du
volumineux objet eylindrique et de la gerbe d’immenses fleurs commundment
appel&es „pissenlits“, elle se comprend sans diffieult6. Le sujet a eu la
möme nuit une pollution en ayant l’impression d’uriner.
IL. Reve No. 1.
J'avais enlev& mes organes sexuels et les avais mis dans un bocal avee
la solution physiologique, pour traitement.
Au premier abord il semble que le malade ne fait qu’exprimer ainsi
son desir d’ötre trait& au point de vue sexuel; l’image du bocal et la
solution physiologique, le liquide indispensable ä toute vie cellulaire, devait
facilement se prösenter ä& lesprit d’un &tudiant en mödeeine. Mais il
Sagit aussi d’un aete d’exhibition, et surtout de castration; le sujet a
enlev& ses organes pour les plonger dans l’eau salde, en vue d’une
restauration. Le sens symbolique de cet acte devient plus elair si nous
ötudions le reve suivant, dont le contenu manifeste est tout autre, mais
dont le contenu latent est tres rapproch£.
=
III. Röve No. 5.
Je monte dans un petit escalier ötroit et sombre. Arrivd en haut, je suis
oblige de me pencher et de m’aplatir comme dans un galetas pour pouvoir
passer, ce qui S’accompagne d’un l&ger sentiment d’angoisse. Je me trouve alors
deboucher dans le sud de la Suöde, olı je remarque de jolies prairies, des bois et
de jolies maisons de campagne. De lä j’apercois dans le lointain la cöte de
la Suede, et je erois remarquer une mysterieuse ligne de chemin de fer qui
s’enfonce vers le nord. Je fais en möme temps la remarque quil y a trois
pays, la Norvöge ne se trouvant pas ä l’exterieur comme en realite, mais com-
prise entre les deux autres, — image dont la nature sexuelle m’apparait
immediatement au reveil. ;
Le malade a ajout6 & son röeit n’avoir rien vu dernierement qui
lui eüt rappel6 la p&ninsule scandinave, et il a dessin& celle-ei telle quelle
lui est apparue dans son röve (Fig.).
Le passage dans l’escalier ötroit et sombre, s’aceompagnant d’un
sentiment d’angoisse, reprösente le coit. Les bois, les maisons, le chemin
de fer mystörieux, figurent souvent aussi dans les röves de notre malade
R 22%
332 Dr. H. Flournoy.
comme symboles f6minins. Mais ce qui frappe surtout, e’est l’adjonetion
imaginaire d’un troisitme pays, qui donne & toute la contröe une forme
dont le röveur lui-m&me a immediatement saisi le sens, et le fait quil
s’agit d’une presqu’ile dont les cötes baignent dans la mer.
Sous son döguisement göographique, cette image est en somme la
möme que celle du röve precödent; dans les deux cas nous voyons des
parties viriles immergees dans un liquide sale: la
solution physiologique ou l’eau de mer. La riche
symbolique du sel, sur laquelle Jones a attire
V’attention, n’est peut-&tre pas ötrangere au choix
de ces liquidest). Dans le premier des deux r&ves,
la castration et le bain des organes a un but
th&rapeutigue: donner au sujet sa capaecit6 sexuelle.
Dans le second, l’acte sexuel lui-m&me cherche
& s’accomplir sous forme symbolique: le passage
dans l’escalier, et exhibition de la monstrueuse
ins eonstituse par deux testieules et un p£nis,.qui s’enfoncent dans
l’oc6an.
Je n’ai pas besoin d’insister sur la signification de l’eau, de l’oesan,
pour faire admettre que ces fantaisies d’immersion ont, chez notre malade,
le sens d’un retour aü sein maternel. L’önuresis infantile, qui avait aussi
pour eonsöquence de baigner les organes genitaux dans un liquide sale,
6tait d&ja Vexpression du complexe incestueux. Il en est de m&me de
ces figures oniriques de l’adulte, qui montrent les parties viriles rendues
au liquide nourricier, & l’eau vivifiante 2).
Mais il y a plus. De la part d’un impuissant fortement empetre
dans ses attaches maternelles, cette fantaisie de la castration en vue d’une
rögensration future offre un inter&t partieulier. Elle est & considerer
sans doute aussi comme une döfense, une rö6action instinetive contre
lineeste lui-m&me, et doit &tre mise en paralllle avec certains rites
d’initiation pratiguss dans les peuplades sauvages. Au moment de la
puberte, avant de s’affranchir, le novice doit subir tout un e&r&monial
accompagnsd de mutilations corporelles — comme la circoneision — qui
1) Jones, Die Bedeutung des Salzes in Sitte und Brauch der Völker. Imago, 1912,
I, p. 361 et 454.
.?) Des racines infantiles ou oniriques du möme genre se trouvent probablement
ä la base du mythe de la noyade — ou mieux de l’exposition sur les flots — qui, dans
les legendes heroignes, pröcdde la renaissance. (Voir: Rank, Der Mythus von der Geburt
des Helden, Leipzig et Vienne, 1909. Spielrein, Die Destruktion als Ursache des
Werdens. Jahrb. f. Psychoanal., 1912, p. 465.) — Le feu peut remplir un röle symbolique
analogue & celui de l’eau: andantir pour ressusciter. Au fur et a mesure qu’il se consume,
Phenix renait de ses cendres; aussi son bücher en flammes a-t-il regu, dans la savoureuse
langue heraldique, le nom d’„immortalite“.
Quelques r&ves au sujet de la signification symbolique de l’eau et du feu. 333
ne sont, d’aprös Freud, que des symboles de eastration. Etudi6 & la
lumiere de la psychanalyse, le sens de ces s6vices exercös sur le jeune
candidat par son pere ou par ses aieuls, serait eelui d’une mise en garde,
ou peut-tre möme d’une expiation pour les vell&it6s incestueuses et les
tendances parricides !).
IV. Röve No. 4.
Sur une gröve au bord de la mer, avec trois maisons au bord de Veau.
Ma m£re, qui se trouve lä, voit le devant de ma chemise entiörement mouille;
Jai la sensation d’y avoir urind, mais ma m£re fait la remarque que ce doit
avoir et une pollution. La maison du milieu est probablement un etablissement
de bains, Tout pres de moi, au bord de l’eau, sont assises deux dnormes au-
truches. Je m’approche d’elles; elles se lövent, et sous chacune d’elles se trouve
une pefite autruche. Ce ne sont donc pas un couple, mais deux femelles;
Jessaie de toucher le poil de l’extremite de T’aile de l’une d’elles, mais elle se
sauve en avant. Toutes deux entrent dans l’eau et y font de superbes plongees.
J’ai Pimpression tres vague que Mme. T., ou ma m£re, qui est dans la maison,
me gronde d’avoir fait partir les autruches. A la fin de ce röve je sens qu’une
de mes dents tombe; j’y mets le doigt, et c’est le capuchon d’&mail tout
entier qui se detache, sans du reste me faire aucun mal.
Le chiffre fatidique des trois maisons au bord de l’eau, dont l’une
est un 6tablissement de bains, a sans doute le möme sens sexuel que les
trois pays scandinaves; cela est confirm& par l’ineident de la mietion ou
de la pollution en prösence de la mere, ineident intereald & ce moment
du röve, et qui trahit le complexe d’inceste. Les deux 6normes autruches
qui en couvent chacune une plus petite, repr6sentent & la fois la f&con-
dit föminine et vraisemblablement les deux testieules, gräce A la bi-
sexualitö du symbole. (Comparer les „enormes“ volatiles & 1’ „immense“
objet eylindrique qui figurait le p6nis dans le premier r&ve.) La plongse
des autruches dans l’oc&an exprime de nouveau l’immersion des organes
dans le sein maternel. Quant aux reproches de la mere, de mä&me que
V’ineident du doigt sur la dent qui tombe, ils se rattachent & des fantai-
sies onanistes et & la pollution; celle-ci a effeetivement eu lieu la m&me
nuit, dans un r&ve ultörieur que je ne puis relater iei, parce qu’il nous
$loignerait trop de notre sujet ?).
V. Röve No. 3.
Je me trouve dans une chambre avec quelques autres personnes, dont
une dame (Mme T.?). Elle et moi arrangeons une esp&ce de brosse, et je me
vois badigeonnant cette brosse au moyen d’un pinceau avec de la glycerine ou
du mastisol, pour en assouplir les poils. Puis on &teint tout, et quand on refait
!) Sur le complexe de castration, voir: Rank, Das Inzestmotiv in Dichtung und
Sage. Leipzig et Vienne, 1912, p. 283. — Reik, Die Pubertätsriten der Wilden. Imago,
1915, IV, p. 125 et 189.
?) Sur le symbolisme des chiffres et des r&ves dentaires, voir: Freud, Traum-
deutung. Stekel, Die Sprache des Traumes. Wiesbaden, 1911. — Sur celui des oiseaux:
Maeder, Interpretation de quelques r&ves. Archives de Psychologie, 1907, VI, p. 372.
Rank, Traum und Mythus, in Traumdeutung de Freud, 4me ed., p. 399.
334 ö Dr. H. Flournoy.
la lumiere, la dame se trouve avoir arrange, „police* cette sorte de brosse, de
facon & la transformer en un petit objet rectangulaire ray& de bandes verti-
cales alternativement vertes et noires — comme le raban de la medaille de 1870.
Mme T. est la m&me personne qui 6tait confondue avec la mere
dans le röve pröc6dent. En sa compagnie, le badigeonnage des poils de
la brosse avec un liquide visqueux, la glye&rine ou le mastisol (une sorte
de collodion), se passe de commentaire; nous retrouvons iei, sous une
autre forme, le motif de l’inceste. Quant au r&sultat de cette operation,
effectuse par un jeune homme que son impuissance rend honteux, e’est
le ruban de la medaille de 1870, e’est-A-dire linsigne que l’on delivre
aux braves, & ceux qui ont röussi & accomplir un acte me£ritoire. Le
röle de l’extinetion et de la lumiere fait une transition entre cette pre-
miere ssrie de röves et la suivante, ol le sens sexuel du feu apparait
nettement.
VI. Reöve No. 8.
Nous sortons d’un tramway, & sa station terminale, mon onele, ma tante
et moi, pour faire une promenade dans les bois, C'est un endroit sauvage. Ces
beaux bois me rappellent ceux oü j’ai vu brüler une maison dans un reve
preeedent. Il doit aussi y avoir du feu quelque part dans ce bois. A peine
sortis du tramway, seul avec eux deux, je m’informe pourquoi leur fils n’est
pas venu, et ma tante me repond: „Il n'est pas venu, car il pratique la re-
strietion volontaire.*
L’ineendie dans le bois otı se promenent l’oncle et la tante (e’est-
a-dire le pere et la mere), symbolise & coup sür leur union conjugale.
Et si leur fils, avec lequel le sujet s’identifie, n’est pas venu, e’est quil
pratique la „restrietion volontaire“. Oette expression ayant un sens nette-
ment sexuel, cela veut dire que la continence de notre malade le prive,
preeisement, de la jouissance du feu.
VII. Räve No. 2.
Je me trouve au bord d’une sorte de puits, le long d’une maison. Sur ce
puits, qui a peut-ötre cing mötres de profondeur, donnent deux ou trois fend-
tres superposdes. Je remarque qu'il sort de la fumde de la fenötre inferieure,
comme un commencement d’incendie; j’en avertis des personnes qui sont pre&s
de moi. L’une d’elles, une servante — une vierge — descend dans le puits,
puis disparit sans avoir arröt6 la fumee, Je m’inquiete, et je vois sortir de cette
fenätre une jeune fille enti&rement nue, et apparemment idiote. Je trouve äma
gauche deux petits arrosoirs pleins d’eau, que je verse sur la jeune fille. Elle
monte le long du puits comme attirde en l’air. Arrivde au haut du puits, je la
vois de tr&s prös, je remarque que son dos est tout mouill€ de l’eau que j'y
ai versde; je suis frappe par la splendeur de ses cheveux noirs, Epars sur ses
&paules blanches, et je ne puis resister de lui donner une legere tape avec la
main sur les epaules; & cet instant j’&jacule contre le mur du puits, et je me
reveille.
Dans ce röve &rotique — la pollution röv&e s’est en effet produite
au m&me moment — l’eau a une double signification. Renfermde vraisem-
Quelques röves au sujet de la signification symbolique de l’eau et du feu. 335
blablement au fond du puits, elle symbolise d’abord l’organe f&minin.
En sortant ensuite des deux arrosoirs que tient le malade (les testicules),
elle represente ’aspersion naturelle ä laquelle le mäle se livre sur la fe-
melle. Quant aux autres &l&ments du reve — la jeune fille idiote sur le
dos de laquelle l’eau s’scoule, les cheveux noirs, la tape sur les &paules
le manque d’assoeiations ne permet malheureusement pas de les inter-
prter. L’essentiel pour notre sujet, c’est la coexistenee, dans ce röve
passionnel, de l’incendie et de l’arrosage destins & l’6teindre,
Le feu et !’eau constituent un couple de contraires qui s’&voquent
r6ciproquement et figurent souvent dans la symboliqgue &rotique, comme
Freud !’a montr6 entre autres dans son analyse du cas de Dora !). Cette
association se retrouve sous forme d’,acte symptomatique“ chez certains
incendiaires. L’un d’eux, un impuissant dont les impulsions semblent
s’etre substitudes A l’exereice des functions gendsiques, avait mis le feu
& douze fermes, en quelques anndes, sans aucun motif conseient. Chaque
fois qu’il avait commis son crime, il s’&tait senti poussö par une force
irresistible & manoeuvrer lui-möme la pompe, pour &teindre l’incendie dont
il 6tait la cause — et son zele lui avait valu, malgr& lui, diverses röcom-
penses dont il &tait fort g&n& 2).
Terminons par un röve d’angoisse dont la source dörive sans doute
de certaines fantaisies d’onanisme, et qui montre d’une fagon plus nette
encore cette- association du liquide et du feu.
VIII. Röve No. 7.
Je suis & cöte de la fontaine, en train de faire une obsorvation ä quel-
qu’un qui est en face de moi. En m&me temps, je tiens dans ma main mon
penis qui est en dreetion, et a des proportions enormes; il expulse du liquide
& jet continu, et j'ai evidemment une impression de ma force et de ma virilite,
bien qu'il n’y ait aueune sensation voluptueuse. L’organe prend de telles pro-
portions qu’il ecommence ä m’inquidter, et son extremite se transforme en une
tete de serpent; elle se meut dans tous les sens, et je commence & avoir peur,
car elle risque de me mordre la main; j’ai aussi l’impression que ce niest plus
du liquide, mais du feu qu’elle erache par la bouche. Reveil. Je vois instineti-
vement l’image de certaine töte de femme & la chevelure faite de serpents,
(Il n’y a pas eu de pollution.)
L’ambition de la puissance sexuelle — la protestation virile — ne
saurait s’exprimer d’une maniere plus saisissante. En outre, la similitude
symbolique du liquide et du feu comme €löments göndrateurs, ne pour-
rait recevoir une d&monstration plus nette.
Qu’on me permette, pour conelure, de faire une digression et de
rapprocher du eontenu de ce röve certaines figures du blason, que l’on
!) Freud, Bruchstück einer Hysterieanalyse. Neurosenlehre, 1909, II. Folge, p- 63.
?) J’ai publi ce cas dans „Notes sur quatre cas d’obsessions et impulsions A debut
instantand“. Communic. & la Soeiete medicale de Gen&ve, fevrier 1917.
nenne
336 Dr. H. Flournoy.
rencontre parfois dans les armoiries les plus aneiennes: une couleuvre qui
vomit des flammes ou qui engloutit un enfant. J’imagine que les heral-
distes commettent une erreur dans leur fagon d’interpreter cette derniere
figure ; ’animal n’avale pas la petite er6&ature humaine comme ils le croient,
il la degorge. Cette explication me semble la plus simple; elle est done
preförable aussi & celle qui voudrait assimiler la couleuvre ä la böte
monstrueuse dont le röle, dans les mythes d’avalement, est d’engloutir le
höros. Si le serpent qui erache le feu repr&sente fort bien, gräce & sa
signification ithyphallique, l’idee de la puissance er&atrice, on comprend
que cette id&e soit symbolisee, mieux encore, par limage du serpent
qui expulse un enfant.
* ®
*
Dans ces r&ves, ce sont tantöt des sentiments d’inf6riorit6 (II) ou
d’ambition sexuelle (I, VIII), tantöt des tendances &rotiques (III, VII) ou
nettement incestueuses (IV, V), qui se manifestent sous forme symbolique
en empruntant, & cet effet, les images de l’eau, du liquide ou du feu.
Dans plusieurs d’entre eux, la pollution confirme, d’une maniere objec-
tive pour ainsi dire, la nature sp6ciale des tendances inconseientes. Sous
leur diversitö apparente, les röves ne font done quw’exprimer les complexes
fondamentaux qui sont & la base de la psychonsvrose; mais nous nous
gardons de dire que ces complexes, d’origine infantile, doivent &tre con-
sid&r6s comme les „causes“ des r&ves de l’adulte et de ses autres symp-
tömes morbides. Il nous suffit d’avoir montr6 que ces diverses mani-
festations psychologiques prösentent entre elles des rapports intelligibles,
et se laissent eoordonner !).
Plus d’un leeteur ne sera pas convaincu; les interprstations lui
sembleront tires par les cheveux, ou m&me absurdes. Aussi cet artiele
n’a-t-il pas pour but de convainere; il s’adresse seulement & ceux qui
auraient observ6, chez des malades du möme genre, des symboles ana-
logues. Les r&ves qui font l’objet de ce travail paraitront alors suffisam-
ment clairs, malgr& l’absence des assoeiations qui, seules, auraient donn6
& leur &tude toute la rigueur seientifigue desirable.
1) Nous faisons cette remarque parce que Jaspers reproche aux theories de Freud
de confondre, dans l’enchainement des faits psychologiques sur lesquels elles s’appuient,
les relations purement „intelligibles* avec des relations „eausales*. Cette eritique, la plus
forte peut-&tre qu’on ait adressee & I’Ecole de Freud, doit ätre prise en consideration;
mais elle est passible elle-m&me de serieuses objections qui ont «te exposdes, entre autres,
par Binswanger. (Kausale und „verständliche“ Zusammenhänge, etc. Internat. Zeitschr.
f. Psychoanal., 1913, I, p. 383.)
Mitteilungen.
Beiträge zur Traumdeutung.
1.
Die Urszene im Traume.
Von Dr. G&za Röheim (Budapest).
Das hier beigebrachte Material schien mir als Bestätigung der Ergeb-
nisse einer unlängst veröffentlichten tiefschürfenden Analyse Freuds!)
und als Beitrag zur Frage der sexuellen Eindrücke der frühesten Kinder-
jahre einer Mitteilung wert. Es handelt sich um eine Dame, die man gar
nicht oder höchstens nur in ganz geringem Maße neurotisch nennen kann
und die dem Verfasser seit etwa zwei Monaten regelmäßig ihre Träume
erzählt und auch mit bemerkenswert geringem Widerstand analysieren läßt.
Sie hat schon von Kindheit auf ein reges Interesse derlei Dingen entgegen-
gebracht und immer die BerEn Ursachen ihres eigenen Tun und Lassens
erfahren wollen.
Im Verlaufe einer Traumanalyse mache ich die Bemerkung, eine De-
tektivszene im Traume deute auf verdrängte infantile Triebe irgend wel-
cher Art, deren Enthüllungen sie zu befürchten hätte. Traummaterial
und Assoziationen lassen die Vermutung in mir auftauchen, es handle sich
um Analerotik. Sie denkt einige Minuten nach und antwortet darauf mit
Assoziationen, die zwar diese Vermutung nicht direkt bestätigen, aber
Material zur infantilen Apperzeption der Koitusszene liefern. Als Kind
von drei Jahren pflegte sie mit großem Schreck aus einem Traume zu er-
wachen und zu schreien (die Geschichte erzählt ihre Mutter auch heute
noch): „Der Löwe, der Löwe!“ Sie beruhigte sich nur, wenn der Vater
sie aus ihrem Bettchen hob und ins Bett der Mutter legte, wo sie nun
ruhig einschlief. Aber schon früher, mit eineinhalb Jahren, hatte sie
ähnliche Alpträume. Sie schlief im Schlafzimmer der Eltern und be-
merkte durch das Fenster, wie der Wind die Wipfel der Bäume weht
und wie die Schatten im Zimmer herumhuschen. Weiter erzählt sie von
einem Lehrer, den sie (zu sechs Jahren) sehr lieb hatte und von dem
sie träumte: er hebt sie, die ganz nackt ist, aus ihrem Bett und hält
Sie so am Arm. Zur selben Zeit hatte sie die Zwangsvorstellung, Kindern,
die rote Höschen trugen, auf den Hinterteil schlagen zu müssen, und war
sie auch von Gerüchen (unangenehmer Körpergeruch einer Lehrerin) ge-
8. Freud: Aus der Geschichte einer infantilen Neurose. Sammlung
kleiner Schriften zur Neurosenlehre. 1918. Vierte Folge, 578.
338 Mitteilungen.
plagt. Dann erzählt sie, daß ungefähr in ihrem sechsten Lebensjahr die
Hebamme, die gewöhnlich diese Dienste in der Familie zu leisten pflegte
und von den Kindern „Tante Storch“ genannt wurde, zu ihr kam und
ihr die Ohrläppchen durchbohrte. Der heftige Schmerz, den sie bei dieser
Operation verspürte, ließ dauernde Spuren in ihrem Seelenleben zurück,
so daß sie sich später, sobald als möglich, ihrer Ohrgehänge entledigte
und den Haß gegen die „Frau Storch“ nie überwinden konnte. Weiter
erzählt sie von verschiedenen Phobien, die sie als Kind hatte, kleine
Hunde (von (denen sie sich aber jagen ließ), Indianer mit großen Feder-
kronen (im Bilderbuch). Ich mache sie aufmerksam auf den Zusammen-
hang zwischen den Federkronen der Indianer und der Löwenmähne (jetzt
füge ich hinzu: auch die Baumkrone), worauf sie sich dann eines Aus-
flugs erinnert, wo sie Arm in Arm mit ihrem Vater ging (dies sei eng-
lische Sitte, fügt sie hinzu, wo es auch oft vorkomme, daß der Vater
sich als Ritter seiner Tochter gebärdet) und den Halleyschen Komet sah.
Also einen Stern mit einem Schweif. Nun führe ich die Traumszene an,
die zum Ausgangspunkt der ganzen Gedankenreihe diente. Sie geht durch
eine enge Tür in einen plötzlich sich erweiternden Saal, wo ein ge-
flüchteter Verbrecher, genannt Stern, unmittelbar hinter ihr durch die
Tür schlüpft. Die Detektivs dringen ein und verlangen von jedem eine
schriftliche Legitimation. Ich deute ihr diese Szene als Coitus a tergo
mit darauffolgender Flucht in den Mutterleib, worauf sie dann das oben
beigebrachte Material liefert. Alles deutet darauf hin, daß der Löwe im
Traum den Vater vertritt, der (nach der infantilen Auffassung des Koitus)
die Mutter bedrängt. Im Traume setzt sich das kleine Kind an die Stelle
der Mutter, sie wird nun vom Löwen bedrängt und erreicht es auch, in
der Wirklichkeit die Stelle der Mutter einzunehmen, d. h. vom Vater ins
Ehebett gebracht zu werden. Daß der Ursprung dieses Traumes in noch
jüngere Jahre verlegt werden muß, beweist, der andere Traum mit den
sich bewegenden Baumkronen und Schatten, in welcher die große Be-
wegung genau dieselbe Deutung zuläßt wie die große Stille (und der
Baum) in der Geschichte einer infantilen Neurose. (8. 623.) Baumkrone,
Löwenmähne, Federkrone und Schweif des Kometen sind wohl sämtlich
Symbole der väterlichen Genitale. Der Traum mit dem Lehrer ist eine
Neuauflage des Löwentraumes und holt auch das im Löwentraum fehlende
(dort aber in der nachfolgenden Wachhandlung vertretene) Traumstück
nach: sie befindet sich nackt in den Armen des Vaters. Auch hier
scheint die Phantasie auf phylogenetisches Material!) rückgreifend den
Koitus in einen Coitus a tergo umgeformt zu haben, worauf außer dem
„Stern“, der ihr von hinten durch die Tür folgt, auch noch der Anlaß
hindeutet, der zur Erzählung des rezenten Traumes und dann des infan-
tilen Materials führte, Seit zwei Tagen, sagt sie nämlich, muß sie fort-
während an das Sprichwort denken: „Post equitem sedet atra cura“,
und im Traum frägt man sie, was „Höhle“ englisch heißt, worauf sie
„cave“ sagt, aber mit lateinischer Aussprache. (Gib acht! Eine Abwehr
.der analerotischen Gelüste. Sie assoziert dazu das Haus in Pompeii mit
cave canem Pompeii — verschüttete Stadt — sexuelle Perversion.) Es
‘wird wohl als Reaktionsbildung auf die passiv-analerotische Einstellung
(„männlicher Protest“) zu deuten sein, wenn sie mit sechs Jahren nun
ihrerseits den Wunsch verspürt, Kinder mit roten Hosen zu schlagen.
1) 8. Freud: loc, cit. 688.
Dr. Siegfried Bernfeld: Zwei Träume von „Maschinen“. 339
In dieselbe Epoche fällt auch die Episode mit den durchbohrten Ohr-
läppchen, die, wie es scheint, den Kastrationskomplex stark erregte und
deren Mitteilung in Anknüpfung an den Löwentraum vielleicht so zu
deuten wäre, daß das Kind eben durch den Geschlechtsverkehr mit dem
Vater (Löwe) kastriert, das heißt zum Weib gemacht wird. Die „Tante
Storch“ führt die Operation aus (‚Der Storch beißt der Mutter ins Bein“),
eine reelle Tatsache, aus welcher aber das Kind unbedingt den Zusammen-
hang zwischen Koitus (= kastriert werden) und Gebären herausgespürt
haben muß. Zur Analerotik weiß sie nichts von sich selbst zu berichten,
wohl aber von einer jüngeren Schwester, die mit dreieinhalb Jahren noch
nicht gelernt hatte, diese Funktionen zu regulieren, und die von dem Vater
durch den Einfall abgewöhnt wurde, daß er ihr einen Kreuzer für den Fall,
daß ihr Bett morgen rein blieb, versprach, zugleich aber sagte, die
Schwester erhalte zwei, so oft sie sich beschmutzt. Die vorbewußte Be-
deutung des „Post equitem sedet atra cura“ waren Sorgen materieller
Art; nun ergibt sich ein unmittelbarer Hinweis auf deren analerotischen
Hintergrund, indem sie ja aus den Fäzes ihrer Schwester ein regel-
mäßiges Einkommen bezog. Wir müssen zugleich den unbewußten psycho-
logischen Scharfsinn des Vaters bewundern, der durch diese Kur, indem.
er die analerotischen Triebe in ihre normalen Sublimationsbahnen leitet,
auch einen vollen Heilerfolg erreicht. Zur Annahme, daß es sich im
Urtraum um einen Coitus a tergo hanldelt, sei noch ein Motiv aus dem
ausführlich analysierten ‚„Lebenstraum“ der Dame angeführt. Auf einem
langen Weg folgt ihr der Tod (der Vater), nachdem sie sich nicht um-
blicken darf, sonst ist sie des Todes. Im Traum war aber der Wunsch
nach einer inzestuösen Vereinigung mit dem Vater ausgedrückt.
2.
Zwei Träume von „Maschinen“.
Mitgeteilt von Dr. Siegfried Bernfeld.
Frau Dr. med. X., die mir einige ihrer Träume aus wissenschaftlichem
Interesse unter Befolgung der psychoanalytischen Grundregel erzählte,
verdanke ich die folgenden zwei, wie mir scheint nicht uninteressanten,
Deutungen von merkwürdigen Maschinen im manifesten Trauminhalt.
I. „....Der Bauer zeigt mir darauf eine merkwürdige Maschine, so
eine Art Turbine, und erklärt sie mir. Es war eigentlich keine Turbine,
sondern eine große Art Schüssel, und dabei war ein Rad mit Stricken,
an dem Steine befestigt waren. Er sagte mir, daß man in dieser Ma-
schine aus Milch Rotwein machen kann. Ich dachte, daß das eine groß-
artige Erfindung ist, und warum der dumme Kerl sie nicht ausnützt....“
Das hier Angeführte ist ebenso wie Traum II ein Bruchstück eines
Traumes, der von mir ausführlich analysiert wurde, bis zur Formulierung
der Traumgedanken, und bis zur Aufdeckung einzelner infantiler Ver-
stärkungsquellen. Im folgenden wird nur jener Ausschnitt aus dem Ma-
terial gebracht, der zur Deutung der Maschine nötig ist.
Der Bauer. ist eine Sammelperson, in der mehrere männliche Per-
sonen vereinigt sind, für die das Gemeinsame der Vorwurf der Träumerin
ist, sie wären ihr gegenüber nicht rücksichtsvoll gewesen. Erst spät in
der Analyse zeigt sich, daß eine wichtige mitverdichtete Person, ihr
340 Mitteilungen.
Gatte, Maschineningenieur ist, „er erklärte ihr die Maschine“. Zur Tur-
bine fällt ihr ein: sie ist glänzend wie eine Badewanne; ich habe noch
nie eine so glänzende Schüssel gesehen. Rund, nicht oval wie eine Bade-
wanne. Zu Rotwein und Milch will gar nichts einfallen. Erst von
einer anderen Stelle des Traumes, an der er als Wunsch sich erweist,
die Menstruation möge erst acht Tage später eintreten (damit nämlich
die Zeit bis dahin ausgenützt werden könnte), ergeben sich plötzlich
die Einfälle: Rot — Blut; und Turbine ist wie ein großes Pessar.
Der Gatte gestattet das Tragen eines Pessars nicht, was sie rücksichts-
los findet, da sie vorläufig kinderlos bleiben möchte. Und nun wird
klar, was die Maschine ist, sie ist nichts anderes als das Pessar, das
tatsächlich die große Erfindung ist, die aus Milch (Gravidität) Rot-
wein (Menstruation als Symptom nicht eingetretener Gravidität) macht.
Der Gatte ist der dumme Bauer, der diese Erfindung nicht ausnützt.
Das Rad mit Stricken und Steinen erinnert an mittelalterliche Folter-
instrumente und führt von hier in sadistische Themen, deren aktueller
Repräsentant im Traumgedanken die Absicht ist, ein etwa keimendes Kind
zu töten.
IE yereren Frau X. will mir ihre schwedische Küche zeigen.....
Dann kommen wir zu einem Viadukt, in dem glühende Eisenstangen auf-
geschichtet sind: das ist die schwedische Küche....“ Zu schwedischer
Küche fällt zugleich zweierlei ein, beides Tagreste: schwedisches Tur-
nen, im Zusammenhang mit dem am Vortag in Gesellschaft von
mehreren Damen und der Frau X. genommenen Sonnenbad; und eine
am Vortag gehörte Scherzfrage: Wodurch unterscheiden sich Schweden
von Dänen? Die Schweden können sich zwar dehnen, aber die Dänen
nicht schweden. Zu Küche fällt nach einigen Widerständen ein: „Daß
ich eine bessere Wirtschafterin bin, als die Frau X., die sich viel dar-
auf einbildet; auch daß ich die Wirtschaft von Frau X. besser, weniger
kleinlich, und mit mehr Rücksicht und Liebe für meine Gäste führen
würde.“ Von hier aus eröffnet sich dann rasch das Verständnis eines
großen Teiles des Traumes, in dem die Träumerin bemüht ist, die Frau
X in allen Beziehungen herabzusetzen und sich selbst auf ihre Kosten
zu erhöhen. Nur einen Vorteil läßt sie ihr, sie habe ein hübscheres
Gesicht. Das Verständnis der schwedischen Küche ergibt sich erst aus
einem späteren Traumstück, in dem viel von den nackten Beinen der
Träumerin die Rede ist, und von ihrem vergeblichen Bemühen, ihre
Strümpfe bei Annäherung von gewissen Personen anzuziehen. Hiezu fallen
allerhand Bade-, Turnerinnerungen und dergleichen Gelegenheiten ein,
die Körper, insbesondere die Beine und Hüftengegend nebeneinander und
mit sich selbst zu vergleichen, Vergleiche, die völlig zu Gunsten der Träu-
merin ausfallen. Plötzlich ergibt sich: es war kein Viadukt, sondern so
wie das Aquädukt in Mauer bei Wien oder die Bahnüberführungen am
Semmering (an den sich erotisch befriedigende Erlebnisse anknüpfen).
Und schließlich: Richtig, die Frau Y. (Freundin von Frau X. und mit
dieser von der Träumerin in einem gemeinsamen Vorwurf erotischer Art
verdichtet) hat Hüften und Beinumrisse wie jener Aquädukt (stark aus-
ladende Hüften). Der Unterleib, der nicht mit Unrecht ein Aquädukt
genannt werden kann, und zwar der weibliche, insbesonders der der Träu-
merin, ist also jeme Maschine, die beim schwedischen Turnen (u. 2.)
dem Manne in ihrer wahren Gestalt sichtbar wird. Er kann insofern eine
Küche genannt werden, als von ihm die Sexualwärme ausgeht, durch ihn
Voyeur-Traum einer Patientin. 341
die Männer erwärmt, in ihnen Liebesbegehren zur Hitze gebracht wird,
sie ins Kochen kommen. Da ergibt sich dann eine Überdeterminierung
der Strümpfe: sie sind Symbole für Kondome, die dem Manne, wenn
die schwedische Küche nur richtig funktioniert hat, anzuziehen nicht
immer richtig gelingt. (Ihre eigenen Strümpfe zog sie im Traume einmal
verkehrt.an, ein andermal blieben immer Falten, oder sie gingen nicht
bis hinauf!) Zum Schlusse wurden schließlich für die Sicherheit der
Deutung die scheiterhaufenförmig aufgeschichteten Eisenstangen, die in
der Öffnung des Viaduktes lagen, als erigierte Penisse von der Träumerin
agnosziert.
Die beiden Träume scheinen zu zeigen, daß die Maschine neben ihrer
Bedeutung als Koitussymbol und als Darstellung der Genitalien (in beiden
Träumen übrigens als Überdetermination deutlich) auch noch dazu dienen
kann, Traumgedanken, in denen gewisse Kausalbeziehungen komplizierter
Natur enthalten sind, zur Darstellung zu briugen. In unseren Fällen lauten
diese, auf die einfachste Formel gebracht und bereits als Wunscherfül-
lung: Ich trage ein Pessar, darum bekomme ich keine Kinder und: ich
habe eine schöne Hüftengegend, darum errege ich die Männer, trotz meines
unschönen Gesichtes.
3.
Voyeur-Traum einer Patientin.
Der Traum: Ich gehe durch die X-Straße und am Fenster des
Hochparterre, im Hause, wo mein einstiger Bräutigam jetzt mit seiner
Frau wohnt, sehe ich sie beide mit den Köpfen intim aneinander gelehnt.
Sie merken mich gar nicht oder schenken mir so wenig Aufmerksamkeit,
als ob sie mich gar nicht bemerkt hätten. Eine Sekunde lang sehe ich
„wei Köpfe in ganz derselben Situation am Fenster des zweiten Stockes,
die des Herrn X. und seiner Frau, dann schaue ich nicht mehr hinauf,
oder verschwinden sie? Ich will ins Haus hinein, um aber die Treppe
zu erreichen, muß ich dicht vor dem Parterrefenster vorbeigehen, und
ich zögere, weil mir das Gefühl peinlich ist, sie werden mich sehen. Ich
tue es doch, aber sie bemerken mich weiter nicht. Ich steige die Treppe
hinauf, — die an der Seite des Fensters gelegen ist, wo ich zuerst stand,
brauchte also gar nicht vor dem Fenster vorbeizugehen — und sehe doch
die ganze Zeit das Ehepaar im Parterreinnern vor mir (nicht von oben,
sondern mit mir selbst parallel). Ich sehe, wie sie ihm etwas erzählt,
wie sie beide lachen. Dann stehen sie auf und gehen in den Hintergrund
(des Zimmers. Sie setzt sich auf einen Stuhl vor dem Spiegel, er steht
in ihrer Nähe. Sie hebt die Hand bis zu seinem Gesicht, als ob sie da
etwas entfernte, dann beugt er sich vor dem Spiegel und verrichtet selbst
etwas an seinem Gesichte. Plötzlich entnehme ich aus ihrer Mimik, daß
jemand geläutet hat, sie gehen beide hinaus, wahrscheinlich um die Tür
zu Öffnen, und da setze ich eine Handlung anstatt ihrer fort, indem ich,
den Stuhl in der einen Hand, den Spiegel in der anderen, an der Decke
schwebe und auf den Boden springen soll. Dabei denke ich mir: zuerst
lass’ ich den Stuhl fallen, er befindet sich ja ganz wenig über dem Boden,
‚er wird keinen starken Lärm machen. Ich führe es aus und der Stuhl fällt
mit einem großen Krach nieder, wonach ich ganz leicht mit dem Spiegel
in der Hand auf den Boden herabsinke.
342 - Mitteilungen.
Einfälle:
Das Haus, in dem wirklich der einstige Bräutigam lange Zeit nach
seiner Ehe gewohnt hat, ist in der Straße gelegen, wo ich vom dritten
bis zum neunten Lebensjahre gewohnt hatte, wo viele wichtige, in der
Analyse besprochene Erlebnisse sich ereignet haben.
“ Der einstige Bräutigam wohnte im zweiten Stock, wo ich
eben einen Moment lang die anderen zwei Köpfe gesehen habe. Nach
seiner Heirat, als mich der Zufall in die Straße führte, pflegte ich oft
hinaufzuschauen; die Wohnung hat er eigentlich für uns beide gemietet,
ich habe ihm aber abgesagt, und ich war neugierig, wie „meine“ Woh-
nung aussieht.
Der Mann im zweiten Stock ist jemand, den ich seit Jahren
liebe und von ihm geliebt wurde; der mich aber verließ, um eine andere
zu heiraten, da er mit mir wegen meiner neurotischen Hemmungen nicht
glücklich war. (Dieses Problem ist in der Analyse auf dem Wege zu
einer Lösung.)
Ich bin so neugierig zu wissen, wie Herr X. mit seiner Frau lebt,
wie er sich in seinem neuen Familienleben benimmt; oft dachte ich,
ich möchte wie eine Fliege unbemerkt ihr Leben beobachten.
Die Angst, von ihnen bemerkt zu werden, bezieht sich dar-
auf, daß ich sie oft in der Straße, wo sie wohnten, spionierte, als sie
zusammen ausgingen ihnen-folgte, wie er sich ihr gegenüber benimmt,
beobachtete. Einmal hat er — er ging damals allein — mich wahrschein-
lich bemerkt, da er auf der Straße stehen blieb und sich nach allen Seiten
umschaute. j
Es wunderte mich, wieso ich auf die Treppe stieg und sie doch immer
auf demselben Niveau sah, dabei ins Zimmer selbst sah, als ob
Glaswände vorhanden wären.
Der Spiegel erinnert mich an den Zauberspiegel aus dem Märchen.
Mein Wunsch war immer, einen Spiegel zu besitzen, der in den Gedanken
und Gefühlen anderer auf Wunsch zu lesen erlaubt hätte.
Als junges Mädchen stellte ich so leicht die Menschen auf ein für
mich unerreichbares Piedestal (II. Stock), ich durfte kaum hinauf-
schauen, erhob sie zu Göttern.
Deutung.
Der Traum greift tief in die Schichten des Unbewußten hinein und
stellt die frühesten Kindheitswünsche als erfüllt dar.
Ich bin eine Fliege (kann auch unter der Decke schweben, auch
unter die Bettdecke hineinschauen), besitze einen Zauberspiegel dazu,
kann also unbemerkt alles beobachten; im Traume findet eine Umkeh-
rung statt: sie sehen mich nicht. Vielleicht ist es auch Wut, beiseite
geschoben zu werden. Im Traume habe ich Angst, bemerkt zu werden,
dann gehe ich doch unbemerkt an dem Fenster vorbei, dann stellt es
sich heraus, daß es überflüssig war, um die Treppe zu erreichen.
Da das, Treppensteigen ein typisches Sexualsymbol ist, kann es sich
nur um Beobachtung sexueller Vorgänge handeln, nämlich bei den El-
tern, die, als ich kleines Kind war, lange Zeit in der im Traume ver-
meinten Straße wohnten, dann anderer, nur nahe stehender verheirateter
Leute, bei denen ich Ursache hatte, sehr eifersüchtig zu sein (das flüchtig
gesehene, dann verdrängte Ehepaar im II. Stock). Im Traume ist das
Dr. Karl Weiß: Ein Pollutionstraum. 343-
Sexuelle einer starken Entstellung unterworfen: das Ehepaar benimmt.
sich ganz unschuldig, schaut schön durch das Fenster hinaus (also doch
exhibitioniert!), redet, lacht. Dann schaut der Mann in den Spiegel
und entfernt etwas vom Gesichte, was vorher wahrscheinlich die Frau
entfernen wollte. Wenn wir eine Verlegung von unten nach oben an-
nehmen, dann wird das Gesicht zum Gesäß und das Staubkorn am Ge-
sichte wird einen anderen „Schmutz“ bedeuten. Es können ja im Zauber-.
spiegel auch andere Teile als das Gesicht erblickt werden.
Eben in dem Moment, wo sie sich mit den sexuellen Teilen beschäf-
tigen, läutet die Glocke (Darstellung des Pochens in den Genitalien des.
erregten Kindes, das den elterlichen Koitus beobachtet und dabei selbst
onaniert: Parallelismus — das sich gleichbleibende Niveau des Beob-
achters während des Hinaufsteigens über die Treppe). Und da führe
ich selbst in Vertretung des Ehepaares eine höchst befremdende
Handlung aus, die verständlich wird nach der Deutung des
Doppelsinnes des Wortes Stuhl — Stuhlgang. Im Moment der höch-
sten Erregung benützt das Kind das höchste Zaubermittel: ver-
richtet den Stuhlgang im Bett und macht dabei einen großen Lärm
(Krach des Stuhles), der die Eltern stört und die Mutter von der Um-
armung des Vaters zum Kinde führt. Im Traume ist auch ein aktueller
Wunsch enthalten: den geliebten, aber verlorenen Mann zu vergessen,
ihn vom Piedestal (vom zweiten Stock ins Parterre) zu stürzen, wie es
einst mit dem Bräutigam — und auch wahrscheinlich nach dem sehr
frühen Vorbilde mit dem Vater — geschah.
4.
Ein Pollutionstraum.
Mitgeteilt von Dr. Karl Weiß, Wien.
Von einem Offizier, Hauptmann X., den ich im Kriege kennen ge-
lernt hatte, wurde mir ein Traum erzählt, den ich im folgenden berichten
will. Er scheint mir, obwohl nicht analysiert, der Mitteilung wert, weil
er in Symbolik und Aufbau einiges Interessante enthält. Seine Vor-.
geschichte ist diese: Der Träumer hatte am Abend des T'raumtages
nach einem Zwist mit seiner Frau das Gasthaus aufgesucht, dort ziemlich
viel getrunken und war dann heimgekehrt. Er empfand den starken
Wunsch nach einem Koitus, versuchte sich seiner Frau zärtlich zu nähern,.
wurde aber von ihr, die den vorausgegangenen Streit noch nicht ver-
gessen hatte, entschieden abgewiesen. Er schlief übelgelaunt ein und
träumte: .
I. Es ist wie an einem Wasser, See oder Meer, ein schief absteigender,
aus Holzplanken bestehender Strand, wie ein Landungssteg in großem
Maßstabe. Ich bin von einer Gesellschaft, die weiter oben stand und
in der sich — für meine Erinnerung deutlich — Hauptmann A. befand,
hinunter gelaufen an das Wasser, weil ich von dort her einen Tumult.
gehört hatte. Ich finde unten eine Menge kleiner, wie Schiffsjungen
oder Matrosen gekleideter Buben, die in großer Erregung sind. Es ist.
wie ein Aufruhr, wie eine Meuterei, die im Begriffe ist, loszubrechen..
Einen schon erwachsenen Menschen sehe ich, ein Messer in der erhobenen
Hand, gegen eine undeutliche Erscheinung — wie Kapitän oder dgl. —
losstürmen und ihn unter dem Rufe „Nimm das!“ bedrohen. Immer-
un = e
Seen
344 Mitteilungen.
mehr Jungen laufen die schiefe Ebene des Landungssteges herab, an mir
vorbei, einer auch mit einem Messer. Ich ergreife einen neben mir lie-
genden, langen Ast, um mich nötigenfalls mit ihm zu verteidigen. Er
bricht ab. Immerhin greift mich niemand an. Ein kleiner Junge neben
mir ruft etwas in slawischer Sprache. Ich stelle ihn und mache ihm,
gleichfalls slawisch sprechend, heftige Vorwürfe über sein und seiner
Kameraden Verhalten. „Es ist ein Skandal, daß ihr so auseinanderläuft,
das ist unmilitärisch“, oder etwas Ähnliches. Dabei habe ich im Traum
die Empfindung, daß es mir schwer wird, die richtigen Ausdrücke in der
slawischen Sprache zu finden. Dann bin ich wieder bei der Gesellschaft.
Von ihr spricht wieder nur Hauptmann A., der mit höhnischem Unterton
in der Stimme, als wolle er meine Neugierde verspotten, sagt: „Na, was
hast du da unten gehabt?“ Ich antworte — und fühle Stolz dabei —:
„Ich habe dein Leben gerettet.“
II. Unvermittelt bin ich in einem Gang, eine Tür steht offen; in
einer Ecke ein Bett. In Stockhöhe ein Garten mit Zaun und Sträuchern.
Dort sehe ich eine alte Frau mit den Zügen der Mutter der Frau X,,
die herabsieht. Auf dem Bette bin ich mit meiner Frau ante coitum.
Ich sage: „Schließe doch die Tür,“ wie wenn dies nötig wäre, damit die
alte Frau nicht zusehen könne. Diese schaut trotzdem, halb entrüstet,
halb neugierig in den Hof. (Nachtrag: die Lokalität war doch eher wie
ein Hof.) Meine Frau antwortet: „Dazu — nämlich zum Türschließen —
ist keine Zeit mehr.“ Sie ist sehr erregt. Ich bemühe mich noch, ein
Kondom aufzurollen. Erwachen mit Pollution.
Soweit der Traum. Was zunächst die Symbolik anlangt, so ist, wenn
wir von der Häufung phallischer Symbole absehen, auffallend die Er-
scheinung der kleinen, wie Schiffsjungen gekleideten Buben. Wir gehen
nicht fehl, wenn wir sie als Spermatozoen auffassen, zumal wenn wir uns
erinnern, daß Silberer in einer Arbeit über „Spermatozoenträume“1) über
ganz ähnliche Darstellungen von Spermatozoen durch dünne und zarte
Gestalten oder durch Menschlein berichtet hat.
Die Traumsituation kommt in unserem Falle dieser Auffassung noch
ein Stück weiter entgegen, indem sie die Szene an einem Wasser (Samen-
flüssigkeit) spielen läßt. Die Richtigkeit der Annahme vorausgesetzt,
läßt sich der manifeste Trauminhalt unschwer als plastische Darstellung
des Pollutionsvorganges erkennen, oder richtiger gesagt, er verarbeitet die
Sensationen, die beim Träumer dem Eintritt der Pollution unmittelbar
vorausgehen. Verschiedene Traumdetails weisen darauf hin: ‚es ist
wie eine Meuterei, die im Begriffe ist, loszubrechen“, „immer mehr Jun-
gen laufen den Landungssteg hinab“; dann aus der Rede des Träumers:
„es ist ein Skandal, daß ihr so auseinander läuft“. Endlich scheinen mir
besonders beweiskräftig die Worte, die er nach seiner Rückkehr zur Ge-
sellschaft: zu Hauptmann A. spricht, der offenbar eine Doublette des
Träumers ist: „ich habe dein Leben gerettet“. Es scheint also der Traum
hier eine besondere Funktion zu erfüllen, nämlich den Eintritt der Pollu-
tion zu verhindern, vielleicht zu dem’ Zwecke, um dem Schläfer das Auf-
wachen zu ersparen. In diesem Sinne wäre er, ähnlich wie wir es von
den Bequemlichkeits- oder Weckträumen her kennen, als „Hüter des Schla-
fes“ anzusehen. Daß die libidinöse Spannung, die bei dem Schläfer durch
den Alkoholgenuß hervorgerufen und durch die Ablehnung des 'Koitus
1) Jahrbuch für psychoanalytische Forschung, IV. Bd., 1912, 8. 141.
Dr. Josef K. Friedjung: Weckträume, 345
durch die Frau verstärkt worden war, im stande sein konnte, einen geni-
talen Erregungszustand zu erzeugen und so die Pollution vorzubereiten,
ist obne weiteres anzunehmen. Welche Gründe, neben dem bereits er-
wähnten der Schlaferhaltung, noch mitwirken konnten, um die Bjakula-
tion, vorläufig wenigstens, zu verhindern, bleibt, da keine Analyse vor-
liegt, besser unerörtert. Daß die Verhinderung keine endgültige ist, er-
fahren wir aus dem zweiten Traumstück, das in Erwachen mit Pollution
ausgeht. Offenbar ist der unbewußte Sexualwunsch so stark, daß
er sich schließlich doch gegen die Zensur durchsetzt und er erreicht
seinen Zweck, indem er, wie es in Pollutionsträumen die Regel ist, die
ursprünglich indifferente Situation in eine unverhüllt sexuelle umwan-
delt. Freilich dient diese Verwandlung zugleich dem Bedürfnis des Träu-
mers, sich an seiner Frau für ihre Weigerung zu rächen, indem er jetzt
den Koituswunsch auf sie überträgt, sie als sehr erregt darstellt. Zu-
gleich schafft er sich damit ein Motiv mehr, die Zensur zu überrumpeln
und den Endzweck des unbewußten Wunsches, Orgasmus und Pollution,
zu erreichen.
5.
Weckträume.
Von Dr. Josef K. Friedjung, Wien.
Die Fähigkeit mancher Menschen, zu jeder beliebigen Zeit zu er-
wachen, ist ein ebenso fesselndes, wie vorläufig unklares seelisches Ver-
mögen. Die Annahme, unser im Schlafe fortarbeitendes, waches Unter-
bewußtsein sei im stande, den Zeitaublauf zu kontrollieren, ist natürlich
keine Erklärung, sondern nur eine Umschreibung des Tatbestandes. Ich
habe keine Kenntnis darüber, wie die Dinge bei anderen Menschen dieser
Art liegen, und möchte nur einige Selbstbeobachtungen mitteilen, da mir
jene Fähigkeit in hohem Maße eignet.
Die Sache liegt nicht so, daß es sich dabei etwa um schlechte Schläfer
handelt, die überhaupt oft, also auch leicht zu der gewünschten Zeit er-
wachen. Ich bin vielmehr ein sehr guter Schläfer, der zu jeder beliebigen
Zeit einzuschlafen fähig ist. Mein Schlaf ist aber nicht tief: ich erwache
bei einem differenten Geräusch fast unfehlbar und bin sofort vollständig
orientiert.
Zur gewohnten Zeit oder zu einer ungewohnten, aber gewünschten
erwache ich zuverlässig, meist ganz automatisch. Meine Fähigkeit, rasch
einzuschlafen, und meine Zuversicht, pünktlich zu erwachen, geht so
weit, daß ich, wenn ich um 15, 10 ja 5 Minuten zu früh erwache, mich
nochmals schlafen legen kann, sicher, im richtigen Augenblick zu er-
wachen, -
Zuweilen aber versagt die Automatie, die Gefahr, nicht rechtzeitig
zu erwachen, rückt nahe, und da stellt der Wecktraum zur rechten Zeit
sich ein. Es ist das zumeist dann der Fall, wenn die natürlichen Vor-
aussetzungen zum Verschlafen gegeben sind: große Ermüdung, zu kurze
Schlafenszeit. Scheinbar wollen sich diese Träume der Freudschen
Regel, Wächter des Schlafes zu sein, nicht fügen, da sie ja anscheinend
den Zweck, sicher den Erfolg haben, den Schlaf zu unterbrechen. Und
dennoch sind sie Wächter meines Schlafes: dank ihnen kann ich meinen
Schlaf bis an die letzten zulässigen Grenzen ausdehnen.
Internat. Zeitschr. £. Psychoanalyse. VI/4. 23
346 Mitteilungen.
Der Bau dieser Weckträume ist meist einfach, der manifeste Traum-
inhalt steht in durchsichtigem Zusammenhange mit seiner Funktion, die
Folge ist unvermitteltes Erwachen zur — wie der rasche Blick auf die
Uhr lehrt — „zum Glücke“ noch rechten Zeit. Dabei gibt es natürlich
der Varianten genug. Drei Beispiele mögen diese Mitteilung veranschau-
lichen:
1. Am voraufgehenden Tage habe ich mich etwas eingehender mit
dem französischen Unterricht meiner Söhne beschäftigt. Zu sehr später
Stunde schlafen gegangen. Wecktraum: Ich gehe des Morgens durch
eine stille Gasse. Ein Fremder tritt auf mich zu und fragt mich fran-
zösisch: „Was ist die Zeit?“ Ich will nach meiner Uhr sehen — und
erwache.
2. Spät schlafen gegangen, zur Zeit des Krieges, kurz nachdem ich
vom Balkan zurückgekehrt war. Wenige Tage vorher hatte ich am Abend
in Gesellschaft meiner Frau das ‘Wiener „Graben-Caf6“ betreten, aber
sofort, angewidert von der dort schwelgenden Gesellschaft und ihrem
Treiben, wieder verlassen. Wecktraum: Ich sehe mich zur Frühstücks-
zeit in einem großen Kaffeehause ähnlicher Art. Tisch an Tisch ge-
drängt und dicht besetzt. Die meisten Gäste lassen sich etwas munden,
einzelne lesen Zeitungen. Ich sitze an einem der Tische und suche mit
den Augen nach einer Zeitung. Da reicht mir vom Nachbartisch. ein
fremder Herr ein großes Zeitungsblatt, auf dessen Kopf großgedruckt
„Times“ zu lesen ist. „Es ist Zeit“, durchzuckt es mich — und ich
erwache.
3. Ich habe, im Vertrauen auf meine Fähigkeit, einem Freunde, der
wegen einer Abreise um 4 Uhr morgens geweckt sein will, und dessen
Wecker verdorben ist, versprochen, ihn telephonisch zu wecken. Ich gehe
etwa um 12 Uhr, ein wenig gedrückt von der Verantwortung, die ich mir
aufgeladen habe, schlafen. Mein Schlaf ist nicht so ruhig wie sonst.
Um 1/2 Uhr erwache ich und schaue auf die Uhr. Bald schlafe ich
wieder ein. — Wecktraum: Ich bin erwacht, mache Licht, sehe nach
meiner Uhr und erkenne zu meinem Schrecken, daß sie um 11 Uhr abends
stehen geblieben ist. Ich kleide mich halb an und sehe nach der Pendel-
uhr in meinem Zimmer, dann nach der in meinem Wartezimmer: beide
stehen gleichfalls auf 11 Uhr. Wie werde ich meinen Freund jetzt wecken,
da ich die Zeit nicht weiß? — Da drängt sich eine mir unbekannte junge
Frau mit einem etwa zehnjährigen Mädchen in mein Zimmer. Ich will
sie, empört über diesen Besuch zu so ungewohnter Zeit und im Gefühle
‚meiner unzulänglichen Kleidung, wieder zur Tür hinausdrängen, wogegen
sie höflich Einspruch erhebt: sie habe doch ein Kleid für meine Frau
abzuliefern. Also offenbar eine Schneiderin! Ich sehe, daß sie eine be-
scheidene Armbanduhr trägt und frage also in meiner Not, ob sie mir
sagen könne, wieviel Uhr es sei. Nach einem Blicke auf die Uhr sagt
sie bedauernd: „Meine Uhr ist leider um 11 Uhr stehengeblieben.“ Dar-
auf ich, peinlich erstaunt: „Wenn man Neigung dazu hätte, könnte man
wirklich abergläubisch werden.“ — Szenenwechsel: Ich sehe mich mit
derselben Frau im Gespräche in einer mir unbekannten Vorstadtstraße
mit kleinen Häuschen. Es ist früher Morgen. Es kommen zwei Männer
die Straße herab, der eine in mittleren Jahren, besser gekleidet, trägt
einen hellen Ulster, in beiden Händen ein kleines Paket. Der zweite,
jüngere, gleicht in der Kleidung einem Arbeiter. Ich denke: „Wenn
ich den Mann frage, wieviel Uhr es sei, so ist es für ihn eine arge Be-
Friedrich S, Krauss: Ein Traum König Karls. 347
lästigung, da er ja in beiden Händen etwas trägt. Aber ich muß es
ja tun, um meinen Freund wecken zu können. Ich frage also den Mann,
‘er reicht das Päckchen aus der rechten Hand seinem Begleiter, greift
nach seiner Uhr und — ich erwache. Es ist in 9 Minuten 4 Uhr.
An dem Baue des Traumes ist auffällig die Mengung von Traum-
elementen, die erst einer tieferen Deutung bedürfen, mit solchen, die den
manifesten Trauminhalt beherrschend, in den Dienst der Weckung ge-
stellt sind. Das Zweckvolle dieser Träume könnte uns verlocken, der
Meinung einzelner Autoren beizutreten, die den Träumen etwas mystisch
eine führende Rolle für den künftigen Lebensplan zuweisen wollten. Ich
meine indes, daß auch sie sich in das Schema der Wunscherfüllung un-
gezwungen fügen. Es sind im wesentlichen Ehrgeizträume: der Wunsch,
von der Hilfe anderer unabhängig zu sein, vor anderen eine fast unheim-
liche Fähigkeit voraus zu haben, findet in ihnen seine Erfüllung.
6.
Ein Traum König Karls.
Mitgeteilt von Friedrich S. Krauss.
Vor zweieinhalb Jahren war ich daran, den nachfolgenden Traum aus
seiner Vergessenheit und Verborgenheit hervorzuholen, um ihn unseren
Fachgenossen zur Erörterung anheimzugeben, doch hielten mich davon
politische Erwägungen ab. Wie leicht hätte nämlich irgend wer einen
Wunsch des Psychoanalytikers herausdeuteln können und es wäre zu-
mindest mir meine philanthropische und pädagogische Tätigkeit in den
Spitälern sehr erschwert oder gar fernerhin verwehrt worden. Es han-
delt sich nämlich um einen vor etwa einem Jahrtausend aufgezeichneten
Traum des nachmaligen. Kaisers Karl des Großen. In den Tagen eines
anderen Karls sollte sich eben dieser Traum erfüllen, das aber war schon
vor zwei Jahren deutlich vorauszusehen, war ja unabwendbar, hörte man
auf die Reden der aus dem Felde in die Spitäler geschafften Verwundeten
und Siechen. Mit dem Herrscherhaus und seinem Troß von Schergen
und Würdenträgern ging es jählings und unaufhaltsam abwärts, aber
noch im Sturze rissen die Sinkenden und Fallenden so manchen Unschul-
digen mit ins Verderben; denn sie konnten es bis zu ihrer bösen Letzt
nicht glauben, daß die Völker ihrer überdrüssig geworden waren. Inner-
halb ihres, der Machthaber, Machtbereiches, der Spitäler nämlich, schal-
teten und walteten so manche Hinterlandstrategen derart verblendet grau-
sam, daß schon ein leiser Verdacht ausreichte, um einen wegen Mangels
an knechtischem Gehorsam zu verderben.
W. H. Riehl, der seinerzeit berühmte Kulturforscher, verdient durch
die Tiefe und den Scharfsinn seiner Auseinandersetzungen ebenso den
Namen eines der Begründer der Volksforschung und vielleicht auch der
Psychoanalyse. Er wäre ein solcher tatsächlich auch geworden, hätte er
sich nicht auf die Beobachtung der in Büchern vorhandenen Angaben
beschränkt, sondern wäre wie der Volksforscher und Psychoanalytiker
in unmittelbarste und regste Verbindung mit den noch lebenden und schaf-
fenden Zeitgenossen getreten. Das Ergrübeln ist höchst verdienstlich und
die stilistische Vollendung sehr erwünscht, über alles jedoch geht die
eigene Beobachtung, die neue Tatsachen des Seelenlebens beibringt und
den. Zusammenhang zwischen Wirkungen und Ursachen zu erschließen
23*
348 Mitteilungen.
hilft. Dieser bedeutendsten Forderung der Wissenschaft konnte er als
Büchermensch nicht gerecht werden. Er sah das Problem wohl klar vor
sich, es blieb ihm jedoch unlösbar, und wohl nur darum griff er zur Dar-:
stellung in der Novellenfassung, die es ihm erlaubte, das Rätsel geistvoll
und spannend aufzurollen und seinen Leser über den wahren Sinn der
Geschehnisse und der Geschichte im ungewissen zu belassen.
An elfter Stelle unter seinen gesammelten 50 Geschichten und No-
vellen aus alter Zeit!) ist die im Jahre 1863 verfaßte, die vom König
Karl und dem strafweise zum Hofnarren Morolf ernannten rätsel-
haften Angelsachsen, dem hochgelehrten und hochweisen Menschenseelen-
forscher, dem kaiserlichen Hochschullehrer Edmund. Wie Riehl den
geheimnisvollen Fremden zu einer vor König Karls Augen unheimlichen
Gestalt werden läßt, beweist die vollendete psychologische Kunst des Er-
zählers, dem es offenbar nur darum zu tun ist, die Spannung aufs äußerste
zu treiben, um den aus der grauen Vorzeit überlieferten Traum als Schluß-
wirkung mitzuteilen. Als Psychoanalytiker erweist sich aber Riehl mit
der Forderung, die er Edmund in den Mund legt: der König habe als
der Träumer selber seinen Traum auszulegen. Es genügt hier die Wieder-
holung der Hauptstellen des fünften Abschnittes, die den Traum ein-
leiten, und der Auslegung des Traumes.
„König Karl hielt in stiller Nacht auf einsamem Lager Rückschau
über die Erlebnisse des Tages; er konnte keinen Schlaf mehr finden.
„Dieser Edmund, welchen er so sicher zu demütigen gedachte,
hatte ihn vielmehr gedemütigt, ja, er hatte jene verruchte Moral, wofür
er bestraft werden sollte, zuletzt noch benützt, um den König selbst aus
viel schlimmerer Verlegenheit zu reißen. Karl mußte ihm wohl gar
noch danken für die Trugschlüsse seiner höchst brauchbaren Sophistik.
.„Doch war Karl durch Edmund, diesem Teufel von einem
Heiligen, wenigstens um eine Erkenntnis reicher geworden, welche ihm
wit aller Seelenqual nicht zu teuer erkauft schien. Was Edmund die
höchste Kunst des Weisen genannt, sündigend im Geiste erhaben zu blei-
ben über der Sünde, das erkannte Karl jetzt vielmehr als den Fallstrick
zur wahren Todsünde. Sündhafter noch als die Tat der Sünde dünkten
ihm die Gedanken, mit welchen wir jene entschuldigen. Und je weiser
einer ist, um so ärger sündigt er durch solche Gedanken. Wird es dem
hellsten Verstande leichter, die Sünde zu durchschauen und zu fliehen,
als dem dämmernden Geiste gewöhnlicher Menschen, so wird es ihm auch
leichter, den Mantel der Sophistik über dieselbe zu breiten und sich im
Geiste erhaben zu wähnen über die eigene schlechte Tat. Und so hat
der Weise doch wiederum nur die größere Gefahr voraus, wie sich’s auch
gebührt. Karl aber, der sich bis dahin vor allen im Geiste erhaben
gewußt über die Fehltritte, welche er dennoch beging, erschien sich jetzt
vor allen als der ärgste Sünder.
„Seine innere Angst aber wuchs, als er sich von dieser Selbstschau
menschlicher Schwächen zu den politischen des Königs wandte, wie sie
Morolf heute leise und doch so kühn zu berühren gewagt. Überall
erblickte er den ähnlichen Selbstbetrug: große Zwecke und schlechte
Mittel. Edmunds Moral war ihm zum Gespenst geworden, welches ihm
fast aus jeder seiner Herrschertaten drohend entgegenstieg. Und in
diesem steten Widerspruch halber Lüge und halber Wahrheit begann ihm
1) J. @. Cotta, Stuttgart 1878, I, S. 279—307.
Friedrich S. Krauss: Ein Traum König Karls. 349
aller fester Boden unter den Füßen zu wanken und sein mächtiges Fran-
kenreich däuchte ihm zuletzt nur noch ein windschiefer Bau, den er allein
mit gespanntester Kraft mühsam noch im Sturze stützte. Doch die Faust
ward ihm im wachen Traume schwächer und immer schwächer und ver-
gebens sah er sich nach den Söhnen um, die ihm die ungeheure Last ab-
nehmen könnten, wenn jene Faust im Tode erstarrte.
„Da fiel er in Schlaf und sah im Traume das seltsame Bild, von
welchem ein Mainzer Mönch geschrieben hat. Ein Mann mit Edmunds
finsteren, kalten Zügen trat vor ihn und übergab ihm ein blankes Schwert,
worauf vier deutsche Worte geschrieben standen,: und forderte ihn auf,
die Schrift zu lesen und fest im Gedächtnis zu halten, denn sie werde
sich erfüllen zur bestimmten Zeit. Unter dem Griff des Schwertes stand:
‚Raht‘, in der Mitte der Schneide erst: ‚Radoleiba‘, dann: ‚Nasg‘
und an der Spitze: ‚Enti‘ Als aber Karl erwachte, wußte er die vier
Worte noch ganz genau.
„Am frühen Morgen ließ er Edmund rufen, erzählte ihm den Traum
und forderte, daß er, dessen Gestalt ihm in jenem Nachtgesicht das
Schwert gegeben, nun auch den Rätselsinn der Inschrift lösen solle.
Edmund beteuerte, es nicht zu können, und wenn.je ein Mensch die
dunklen Worte zu deuten vermöge,, so sei es König Karl selber. ‚Denn
die tiefsten Träume‘, so schloß er, ‚steigen auf aus unseres eigenen Geistes
heimlichsten Gedanken, und nur in unseren heimlichsten Gedanken finden
wir darum auch den Schlüssel ihres Sinnes.‘
„Diesem Winke folgend, dachte Karl lange nach über die vier Worte.
Dann aber berief er die Großen und Weisen seines Hofes, legte ihnen
den Traum vor und forderte sie auf, ihn zu deuten. Doch alle verstummten.
Da nahm der König das Wort und sprach: ‚Der Herr, welcher mir im
Schlaf den Mann mit dem Schwerte geschickt, hat auch im Wachen
meinen Geist erleuchtet, daß ich den Zusammenhang jener Worte fand.
Sie verkünden das Schicksal unseres Reiches. „„Raht“‘ — Vorrat und
Fülle — bezeichnet die Gegenwart, welche uns im Überflusse der Güter
und der Macht sieht. „„Radoleiba““ — Erbteil — wird meinen Söh-
nen zufallen; aber wer bloß erbt und nicht auch erarbeitet, der mindert
Gut und Macht. Unter den Enkeln schon kommt darum „„Nasg“:
naschen und rauben wird man an den Trümmern des Erbes; und sind auch
diese raubenden und beraubten Enkel dahingegangen, dann wird sich er-
füllen, was an der Spitze des Schwertes steht: es nahet „„Enti““‘, ob
aber das Ende der Welt oder bloß unseres Stammes und Reiches, das weiß
Gott der Herr allein.‘“
Wie sich König Karl des weiteren mit Edmund auseinandersetzt
und wie der rätselhafte Mann spurlos verschwindet, ist eine wirkung-
volle Zutat Riehls, der ja, wie immer sonst quellenmäßig wie ein offi-
zieller Geschichtschreiber arbeitete, doch unbedingt wahrheitgetreuer,
belehrender und unterhaltlicher. Weil es mir während meiner freiwilligen
Kriegdienstleistung in den Spitälern nicht möglich war, abzukommen, um
in den Bibliotheken Riehls Quelle zu ermitteln, wandte ich mich an
meinen vortrefflichsten Freund, den Ägyptologen Prof. Alfred Wiede-
mann in Bonn um Auskunft. Mit gewohnter Liebenswürdigkeit, für die
ich ihm hier nochmals bestens danke, erfüllte er meine Bitte, und so
haben wir den erwünschten Aufschluß, der uns allerdings nur den literar-
historischen Teil des Traumes erhellt.
350 Mitteilungen.
Visio Caroli Magni, angeblich um, bzw. kurz nach 850 geschrieben,
publ. Jaffe, Bibliotheca Rerum Germanicarum IV, S. 101—104. Berlin 1867.
Die Visio geschildert: Quadam nocte, cum membra, ad quiescendum
in lectulo collocasset ac se sapori dedisset, vidit quandam personam ad
se venientem, evaginatum gladium in manu habentem. Quem cum metuens
interogasset, quis esset vel unde venisset, audivit ab eo in responsione
huiuscemodi verba: Accipe, inquit, gladium istum pro munere tibi a Deo
transmissum. Et scripturam in eo digestam lege et memoriter retine;
quoniam statutis temporibus implebitur. Quem cum accepisset formam-
que illius diligenter inspexisset, vidit quatuor loca in eodem, litteris
exarata. In primo quidem loco iuxta capulum eiusdem mucronis erat
scriptum. „Raht“; in secundo vero „Radoleiba“; in tertio „Nasg“;
in quarto iuxta cuspidem eiusdem ensis „Enti“. Evigilans vero, iussit
sibi lucernam et tabulas afferri; et eadem verba eodem tenore conscripsit.
Dann folgt eine Karl selbst in den Mund gelegte, sehr breite Deu-
tung des Traumes auf die ubertas frugum und omnium rerum habundantia
(„Raht“) unter Karl; die geringere habundantia rerum und den Abfall
von quaedam gentes, modo subactae (Radoleiba) unter seinen Söhnen;
die Ankunft und Bedrückung durch Fremde, die Beraubung der Stiftun-
gen und Geschenke, die er mit seinen Söhnen den Geistlichen gemacht
hätte, welche die perigrini sive minis sive blandimentis tollent suis-
que satellitibus more beneficii dabunt (Nasg) unter Karls Enkeln; und
dann käme das Ende (Enti), was man auf zwei Weisen verstehen könne:
Aut enim finis seculi tunc erit aut stirpis nostrae; scilicet quod nullus
de progenii nostra deinceps in gente Francorum regnaturus sit.
Endlich wird auseinandergesetzt, wie das alles eingetroffen sei.
Das Ganze habe Einhart dem Mönch und späteren Erzbischof Ra-
banus (in Mainz 847—856) und dieser dem Verfasser erzählt.
Andere Ausgaben verzeichnet August Potthast, Bibliotheca historica
Medii Aevi II (zweite Auflage, Berlin 1896), $S. 1098, darunter auch eine
deutsche Übersetzung ‚Kaiser Karls Traum“ in Einhards „Leben Karls
des Großen“, übersetzt von Abel. Anhang 2, S. 63—65. [Das wird die Quelle
von Riehl sein!] Potthast benützt zu der Schrift „Im 9. Jahrh. zu Mainz
entstanden; gegen die Ausbeutung der Kirchengüter durch Karls Nach-
folger gerichtet“,
7.
Völkerpsychologische Parallelen zum Traumsymbol des Mantels.
Mitgeteilt von Th. Reik.
Die stärkste Bestätigung der sexuellen Traumsymbolik, deren Bedeu-
tung die Psychoanalyse erkannt hat, wird noch immer durch die ver-
gleichende Sprachwissenschaft, Mythenforschung und Folklore geliefert.
Gerade in den Fällen, in denen wir das Tertium comparationis zwischen
den zwei für einander eintretenden Objekten nur schwer erkennen kön-
nen, bringt oft das mythologische und volkskundliche Material über-
raschende Aufklärungen. Es ist deshalb wertvoll, völkerpsychologische
Parallelen zu Traumsymbolen, deren sexuelle Bedeutung unserem Wach-
denken ferne liegt, zu sammeln. Als ein solches, seiner Herkunft nach
dunkles Traumsymbol erscheint der Mantel, den Freud unter den Bei-
Th. Reik: Zum Thema „Traum und Nachtwandeln“. 351
spielen typischer Sexualsymbole anführt und der sehr häufig mit Sicher-
heit als männliches Genitale gedeutet werden kann.
Einige schöne Parallelen dieses Traumsymbols aus religiösem und
mythologischem Material findet man in Robert Eislers: ‚„Welten-
mantel und Himmelszelt!)“: Bei den spaniolischen Juden der Levante
wird noch heute der Trauhimmel (,„Huppah“) aus dem ausgespannten
Gebetsmantel (,„Talith“) des Mannes errichtet. In dem höchst altertüm-
lichen Brautzeremoniell der Beduinen bedeckt der Bräutigam die Braut
mit einem besonderen, „Aba“ genannten Mantel und spricht dazu die
rituellen Worte: ‚es soll dich fortan niemand bedecken als nur ich“.
Die rituelle Bedeckung der Braut kennt Ezechiel, der Jahwe Israel (als
Weib gedacht) heiraten läßt (16,): „Da ging ich an dir vorüber und
siehe, deine Zeit war die Zeit der Minne und ich breitete meinen |Gewand]
Zipfel über dich und bedeckte deine Blöße und schwur dir zu und ging
einen Bund mit dir ein — Spruch des Herrn Jahwe — und du wurdest
mein....“ Dieselbe Sitte ist, was Eisler übersieht, im Buche Ruth
(82) bezeugt: Ruth legt sich zu Füßen des schlafenden Bo’az nieder:
„Da um Mitternacht erschrak der Mann, beugte sich vor und siehe ein
Weib lag zu seinen Füßen. Und als er sagte: wer bist du, antwor-
tete sie: ich bin Ruth, deine Magd; so breite denn deinen Zipfel über
mich, denn Löser bist du.“ Nach Eisler bedeckt auch Zeus in der
Zeremonie des tepös yduos Hera mit dem Mantel. Der geistreiche
Autor deutet diesen Mantel als ein kosmisches Symbol. Es ist auch sicher,
daß er in späten Phasen der religiösen Entwicklung wirklich zum Welten-
mantel wurde, wie aus dem von Eisler überreich beigebrachtem Ma-
terial erhellt; seine ursprünglich grob-sexuelle Bedeutung wird aber da-
durch nicht berührt.
8.
Zum Thema „Traum und Nachtwandeln“.
Von Th. Reik.
J. Sadger hat in einer wertvollen Studie „Über Nachtwandeln und
Mondsucht“ (Schriften zur angewandten Seelenkunde, 16. Heft, Deuticke,
1914) das Nachtwandeln zum Objekt einer analytischen Studie gewählt.
Zur Unterstützung seiner Anschauung, derzufolge das Nachtwandeln einen
motorischen Durchbruch des Verdrängten darstelle und wie der Traum
der Erfüllung heimlicher verpönter Wünsche, zunächst der Gegenwart,
die hinter sich aber ganz regelmäßig kindliche bergen, diene, sei ein von
Brillat-Savarin?2) erzähltes Beispiel von Nachtwandeln wiederge-
geben. Von der dem Analytiker naheliegenden Deutung des Falles sei
abgesehen. Dom Duhaget, Priör der Karthause von Pierre-Chatel
berichtet Brillat-Savarin: „In N. wo ich Prior war, bevor ich
nach Pierre-Chatel kam, hatten wir einen Mönch von melancholischer
Gemütsart und düsterem Charakter, der als Nachtwandler bekannt war.
Bisweilen verlies er während seiner Anfälle seine Zelle und kehrte allein
dahin zurück, bisweilen aber verirrte er sich auch und mußte dann zu-
rückgeführt werden. Man hatte die Ärzte zu Rate gezogen und einige
Heilmittel angewendet, dann aber, da die Anfälle seltener geworden, sich
nicht weiter mit ihm beschäftigt. Eines Abends hatte ich mich nicht
1) I. München 1910, II. Bd., S. 599 £.
2) Brillat-Savarin, Physiologie des Geschmackes. Leipzig, 3. 246—248.
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352 Mitteilungen.
zur gewöhnlichen Stunde niedergelegt, sondern saß mit der Durchsicht
einiger Papiere beschäftigt, noch an meinem Schreibtisch, als ich hörte
wie die Tür meines Zimmers, die ich beinahe niemals abzuschließen
pflegte, geöffnet wurde, und gleich darauf den Mönch im vollkommenen
Zustand des Nachtwandelns eintreten sah. Seine Augen standen offen,
aber der Blick war starr und stier. Er war nur mit dem Untergewand be-
kleidet, in welchem er sich der Regel gemäß niedergelegt hatte. In der
Hand trug er ein großes Messer. Er ging geradewegs auf mein Bett zu,
dessen Stellung ihm bekannt war, tastete mit der Hand darüber hin,
als ob er sich vergewissern wollte, daß ich wirklich darin liege, und
führte dann drei so starke Stöße dagegen, daß die Klinge nicht bloß die
Decken durchbohrte, sondern auch noch tief in die Matratze oder vielmehr
in die Strohmatte eindrang, die die Stelle einer Matratze vertrat. Als
er zuerst an mir vorüberging, waren seine Gesichtszüge verzerrt und
seine Stirn gerunzelt. Als er die Stöße ausgeführt hatte, drehte er sich
um und nun bemerkte ich, daß sein Gesicht sich geglättet und einen
Ausdruck von Befriedigung angenommen hatte. Das helle Licht der
beiden Lampen auf meinem Schreibtische machte auf seine Augen nicht
den geringsten Eindruck: er ging wie er gekommen war, schloß bedachtsam
beide Türen, die zu meiner Zelle führten, und bald überzeugte ich mich,
daß er sich friedlich geradenwegs in die seine zurückzog. Sie können sich
denken, in welchem Zustand ich mich während dieser schrecklichen Er-
scheinung befand. Ich zitterte vor Entsetzen beim Anblick der Gefahr,
der ich entronnen war, und dankte der Vorsehung aus tiefstem Herzen,
war aber so gewaltig erregt, daß ich den ganzen übrigen Teil der Nacht
kein Auge schließen konnte. Am andern Morgen ließ ich den Nacht-
wandler rufen, und fragte ihn in durchaus unauffälliger Weise, was er
in der letzten Nacht geträumt habe. Bei dieser Frage wurde er betreten.
‚Ehrwürdiger Vater,‘ gab er zur Antwort, ‚ich habe einen so seltsamen
Traum gehabt, daß es mich wirklich einige Überwindung kostet, ihn Euch
mitzuteilen: es war vielleicht ein Werk des Bösen und....‘ — ‚Ich be-
fehle es dir,‘ erwiderte ich. ‚Ein Traum ist immer etwas Unwillkürliches
und ein Hirngespinst. Sprich dich offen aus.‘ — ‚Ehrwürdiger Vater, ‘
erzählte er mir nun, ‚ich hatte mich kaum niedergelegt, als mir träumte,
Ihr hättet meine Mutter getötet, ihr blutiger Schatten wäre mir erschienen,
um Rache zu fordern, und bei diesem Anblicke hätte mich eine solche
Wut ergriffen, daß ich wie ein Rasender nach Eurer Zelle stürzte und
Euch, da ich Euch im Bette fand, erdolchte. Kurz darauf erwachte ich
in Schweiß gebadet, mein Attentat verabscheuend, und dankte Gott, daß
ein so entsetzliches Verbrechen nicht begangen worden war‘.... — ‚Es
ist mehr begangen worden als du meinst,‘ erwiderte ich ihm ernst und
ruhig. Dann erzählte ich ihm, was vorgegangen war, und zeigte ihm die
Spuren der Stiche, mit denen er mich zu durchbohren geglaubt hatte.
Bei diesem Anblick warf er sich mir zu Füßen, brach in Tränen aus,
beklagte das Unglück, das er unfreiwilliger Weise beinahe angerichtet
hätte, und bat mich, ihm jede Buße aufzuerlegen, die mir angemessen
scheinen würde. — ‚Nein, nein,‘ rief ich, ‚ich würde dich nicht für eine
unfreiwillige Tat strafen. Für die Zukunft aber entbinde ich dich vom
Nachtgottesdienst und teile dir hiedurch zugleich mit, daß man deine
helle nach dem Abendessen von außen verschließen und erst bei Tages-
anbruch wieder öffnen wird, damit du an der gemeinschaftlichen Messe
teilnehmen kannst.‘“
Joh. Heinrich Pestalozzi und der Traum. 353.
9.
Joh. Heinr. Pestalozzi und der Traum.
In der illustrierten schweizerischen Schülerzeitung ‚Der Kinderfreund“,
im Auftrag des Schweiz. Lehrervereines von der Jugendschriftenkommission
herausgegeben, 30. Jahrg. (1914), Nr. 12, steht das folgende Geschichtchen
von Joh. Heinr. Pestalozzi, welches zeigt, daß dieser tiefe Geist, der
wie kaum ein zweiter in die Geheimnisse der Menschennatur eingedrungen
ist, direkt als Vorläufer wichtigster psychoanalytischer Erkenntnisse be-
zeichnet werden darf:
Der Schneidertraum.
„Wollt Ihr mich heute nicht als Lehrling annehmen?“ — Also sagte
Jakob Trüb zum Schneider Mellhorn.
Meister Mellhorn antwortete: „Jakob! Was hast du letzte Nacht
geträumt?“ — „Mir hat geträumt,“ erwiderte Jakob, „ich habe in eine
Lotterie gesetzt und vieles gewonnen.“
Der Meister versetzte: „Jakob, heute nehme ich dich nicht an.“
Am anderen Morgen fragte der Junge wieder das nämliche, und so
fünf Tage nacheinander. Aber allemal, wenn er seinen Traum erzählt
hatte, antwortete der Meister: „Ich nehme dich heute nicht an.“
Am sechsten Tage erzählte Jakob:‘ „Heute träumte mir, ich sitze
auf einem Schneiderstuhl und schwitze den ganzen Tag bei meiner Arbeit,
daß mir die Tropfen von Stim und Wange auf meine Kleider herabfallen,
und am Abend, da ich endlich meine Nadel hingelegt hatte, fand ich sie
ganz golden.“
„Gut!“ sagte der Meister, „das ist der Schneidertraum, wie ihn ein
Junge träumen muß, ehe man ihn annimmt.“
*
In der gleichen Zeitschrift, Jahrg. 36 (1920), Nr. 2, findet sich nach-
folgendes Gedichtehen, welches ebenfalls das Thema: „Der Traum als
Wunscherfüllung“ behandelt.
Der Traum.
Von Viktor Blüthgen.
Es war ein niedlich Zeiselein,
Das träumte nachts im Mondenschein:
Es säh am Himmel Stern bei Stern,
i Davon wär’ jeder ein Hirsekern,
Und als es geflogen himmelauf,
Da pickte das Zeislein die Sterne auf.
Piep —
Wie war das im Traume so lieb!
Und als die Sonne beschien den Baum,
Erwachte das Zeislein von seinem Traum.
Es wetzte das Schnäbelchen her und hin
Und sprach verwundert in seinem Sinn:
„Nun hab’ ich gepickt die ganze Nacht
Und bin doch so hungrig aufgewacht!
Ping —
Das ist mir ein närrisches Ding!“
(W. Hofmann-Zürich.)
354 Mitteilungen.
10.
Victor Hugo über den Traum.
N
....$il etait donns A nos yeux de chair de voir dans la conscience
d’autrui, on jugerait bien plus sürement un homme d’apres ce qu’il r&ve
que d’aprös ce quil pense. Il ya de la volont& dans la pensee, il n’y en
a pas dans le röve. Le röve, qui est tout spontane, prend et garde,
m&me dans le gigantesque et lideal, la figure de notre esprit. Rien ne
sort plus directement et plus sincerement du fond möme de notre äme que
nos aspirations irröflöchies et d&mesurdes vers les splendeurs de la destinee.
Dans ces aspirations, bien plus que dans les idees composees, raisonn6des
‚et coordonnees, on peut retrouver le vrai caractere de chaque homme.
Nos chimöres sont ce qui nous ressemble le mieux. Chacun reve Vinconnu
‚et l’impossible selon sa nature. (Les Miserables. T. III. L. V. ch. 5., 1862.)
Bovet-Genf.
Das Entwertungsprinzip in den menschlichen
Liebesbeziehungen.
Von W. Blumenthal (Berlin).
Man hat den Augenblick des Eintretens der Verliebtheit mit einer Be-
rührung durch einen elektrischen Strom verglichen, der das liebende Indi-
viduum trifft und in ihm eine Spannung erzeugt. Ist dieser Vergleich
richtig, so wäre die geliebte Person der elektrische Stromschalter, der seine
magnetische Kraft zum Partner überströmen läßt.
_ Wir ersehen hieraus bereits, daß im Beginn der Liebesbeziehung zu-
nächst in dem Liebenden eine Spannung erzeugt wird, eine Erwartung also,
der notwendigerweise eine Entspannung, eine Erfüllung folgen muß. Die
Zeitdauer der Spannung, das vulgäre „Verliebtsein“, ist stark mit Unlust
verknüpft. Der Erzeuger dieser Spannung, das Liebesobjekt, wird im
weiteren Verlauf der Liebesbeziehungen von der übrigen Umwelt isoliert,
‚die auf dieses Objekt von seiten des Verliebten konzentrierten Energie-
mengen (Begehrungsvorstellungen) machen es zu einem ununterbrochenen
Gegenstand des Interesses. Die geliebte Person wird zu einem Macht-
faktor, sie erhält einen Wert, der unabhängig von ihren sonstigen Quali-
täten besteht. Das Streben des Verliebten richtet sich nun darauf, das
plötzlich so: stark in seinen Augen im Wert gestiegene Liebesobjekt zu
.entwerten, das heißt das durch Spannung von Energie- und Wunsch-
mengen (vermehrt noch durch eigenes Minderwertigkeitsgefühl) angesam-
melte Unlustempfinden auf dem Wege der Entspannung abzureagieren und
‚dadurch das Liebesobjekt durch bestimmte psychisch-physische Vorgänge,
“ auf die später die Rede kommt, wieder zu entwerten.
In dem Kreislauf zwischen dem zur ungewöhnlichen Werterhebung
kommenden Liebesobjekt bis zu dessen erfolgter Entwertung spielen sich
‚die menschlichen Liebesbeziehungen ab.
Die Zeitdauer des Verliebtseins ist von Anfang an ausgefüllt mit den
Versuchen, die geliebte, zu immer unerträglicherer Werterhöhung schrei-
W. Blumenthal: Das Entwertungsprinzip in den menschl. Liebesbeziehungen. 355
tende Person in den Staub, das heißt zum gewöhnlichen Erdenwesen herab-
zuziehen.
Warum das Objekt in den Augen des Liebenden zu solcher Wert-
schätzung gelangt, ist letzten Endes noch dunkel. Immerhin kann man
vatürlich manche Gründe angeben.
Am natürlichsten ist der Fall, daß das Liebesobjekt durch innere
oder äußere Vorzüge a priori einen gewissen Wert in sich trägt, der nur
noch ad. infinitum durch die Liebesempfindungen gesteigert zu werden
braucht. Der in Spannung Versetzte versucht die Vollkommenheit der
geliebten Person, die störend in seinen Lebensweg eingreift oder wie wir
in solchem Falle sagen, ihn ergreift, auf irgend welche Weise aus der
Welt zu schaffen, ein Bestreben, das in der Erscheinung des Lustmordes
eine schauerliche letzte Steigerung erfahren kann.
Wie geht nun der Entwertungsprozeß vor sich? Zunächst ist erfah-
rungsgemäß die Werterhöhung des Objektes um so stärker, je fremder es
dem Liebhaber ist, je unkörperlicher es erscheint, (Thomas Mann: „Der
Mensch achtet den Menschen nur solange er ihn nicht kennt, und die Sehn-
sucht ist ein Erzeugnis mangelhafter Erkenntnis.“) Es gilt also zunächst,
der geliebten Person sich zu nähern, sie aus dem erhabenen Dunstkreis
der Ferne in die eigene Umgebung zu ziehen. Der niederdrückende Glaube
an die Göttlichkeit der geliebten Person ist oft so stark, daß es schon
genügt, diese beim Essen, Schlafen, Gähnen zufällig zu beobachten, um
eine gewisse Entwertung und Ernüchterung eintreten zu lassen. Auch
genügt manchmal schon die Betrachtung der Zähne, der Fingernägel, zu-
fälliges Berühren der Hände, die Entdeckung eines Males, kleine Här-
chen usw., das Lustgefühl des Entwertens beim verliebten Beschauer aus-
zulösen. (Berühren der Schuhe, des Schirmes, Erscheinung des Fetischis-
mus). Daß besonders die körperlichen Vorgänge und Verrichtungen der
geliebten Person zur Entwertung beitragen, ist gleichfalls eine vielbeach-
tete Erscheinung, die auch zu dem Gebaren der sogenannten „Voyeurs“
geführt hat, die in Klosetts, besonders in Hotels, Löcher bohren oder sich
in Bedürfnisanstalten aufhalten und sich durch dieses Beschauen Befrie-
digung verschaffen. Hier erstreckt sich der Liebestrieb meist nicht mehr
auf eine einzelne Person, sondern das ganze Geschlecht ist je nach der
Veranlagung des Voyeurs Gegenstand der Sexualspannung und daher Objekt
der Entwertung. Heine erzählt übrigens in seinen „Memoiren“, wie ein
vom Liebeswahn für eine Schöne befallener Jüngling von einer Hexe ein
Mittel erhält, das nach ihrer Angabe geeignet ist, die Liebesglut des Jüng-
lings ‚endlich zu stillen. Er gibt es der Geliebten heimlich ein, weiß
aber nicht, daß die Alte ein Purgativmittel gegeben hat, das gerade im
besten Tete-a-tete seine Wirkung beginnt, so daß der Verliebte allerdings
abgekühlt wird, wenn auch nicht auf die Weise, die er erhofft hatte.
Die Tatsache der doch im Grunde ekelhaften Perversionen der Voyeurs
und ihrer Auswüchse läßt sich unseres Erachtens auch nur auf den Trieb,
Entwertung zu erzielen, zurückführen. Hier möge auch ein Vers aus einem
Gedicht Werfels Erwähnung finden, das in diesem Zusammenhang inter-
essant ist. Es heißt da in einem „Anruf an die Geliebte“ (aus: „Ein-
ander“):
Auch dir bewegt sich süß im Schuh ein Fuß,
Und unser Müdewerden ist das gleiche.
Wenn sich dir leicht die Wimper hebt zum Gruß,
Dein Auge trägt mein Ebenbild im Teiche.
356 Mitteilungen.
Und gestern, als wir saßen im Cafe,
Entgingst du lächelnd auf die Toilette,
Und mich durchwallte Menschlichkeit und Weh
Des tief Gemeinsamen in einer Kette.
Hier hat der Dichter treffend ein Gefühl zum Ausdruck gebracht, das
in der Entwertungstheorie eine große Rolle spielt. Die Beobachtung, daß
auch die geliebteste, in den Himmel gehobene Person an so materielle
Dinge, wie körperliche Bedürfnisse, gebunden ist, hat etwas Erschütterndes,
Befriedigendes, Entspannendes, das geeignet ist, einen Teil der höchsten
geschlechtlichen Befriedigung vorwegzunehmen. Überhaupt ist das Stre-
ben nach Sehen und Berühren der Genitalien, das besonders im homo-
sexuellen Verkehr eine große Rolle spielt, auf dieses Gefühl zurückzu-
führen.
Es gibt Invertierte, die ihr ganzes Leben keine andere sexuelle Be-
friedigung brauchen, als die Geschlechtsteile ihres Lieblings von Zeit zu
Zeit zu berühren, ja schon ihr bloßer Anblick vermag sie zu beruhigen. So
bekommen auch diese Menschen, die von vornherein nicht zu dem Liebes-
glück der anderen zugelassen sind, doch ihren Teil an der allgemeinen
Sexualbefriedigung ab, ohne meist allzusehr als soziale Schädlinge zu
erscheinen.
Hier kommen wir nun zu der sonderbaren und kulturell und sozial
höchst wichtigen Erscheinung der Sublimierung, die entdeckt oder doch
in ein System gebracht zu haben, eines der vielen Verdienste Sigmund
Freuds ist. Das Abreagieren der Sexualspannung braucht, wie wir
gesehen haben, nicht bloß durch den rohen Sexualgenuß selbst zu erfolgen;
neben die anderen natürlichen Ersatzmittel tritt die Sublimierung, das
heißt die Einordnung der ursprünglich sozial gleichgültigen Sexualtriebe
in den Kulturgang des Weltganzen. Hauptsächlich geschieht dies durch
die Berufswahl.
Die Tatsache der Übereinstimmung von Berufswahl und 'Triebrichtung
ist jetzt aufgeklärt, wenngleich im Leben nicht gern davon gesprochen
wird. Es sei hier nur daran erinnert, daß häufig Personen mit sadistischen
Neigungen den Beruf des Arztes, besonders des Chirurgen ergreifen, daß.
sie ferner Erzieher, Richter werden, ebenso Invertierte oft Lehrer, Ex-
hibitionisten Schauspieler, körperlich vernachlässigte Mädchen Kranken-
pflegerinnen usw. Solche Menschen, die unbewußt durch die Veranlagung
ihrer Libido sich zu einem Beruf hingezogen fühlen, sind oft gute Ver-
treter ihres Faches. Sie haben Aussicht, etwas zu erreichen, sind, wie
man sagt, mit Leib und Seele bei der Sache und oft glücklicher als die
vielen anderen, die Stumpfsinn oder Zufall einem Beruf zugeführt hat,
in dem sie sich unglücklich fühlen.
Wir sehen also auch hier in Gebieten, die bereits ins Soziale hinüber-
führen, das Entwertungsprinzip am Werke, das alle unsere Lebensbeziehun-
gen durchzieht, die ja letzten Endes, wie die Psychoanalyse erschöpfend
nachgewiesen hat, in unserem Triebleben wurzeln.
Hermann Goja: Halluzinationen eines Sterbenden. 357
Halluzinationen eines Sterbenden.
Von Dr. Hermann Goja (Wien).
Die Berichte von Menschen, welche in Lebensgefahr gestanden, ergänze
ich durch die Niederschrift eines eigenen Erlebnisses aus der elften Isonzo-
schlacht, die sich von allen früheren Aufzeichnungen dadurch unter-
scheidet, daß sie gleichzeitig eine Analyse der erlebten Halluzinationen
gibt und somit einen tieferen Einblick in das Seelenleben eines Sterbenden
gewährt. Gleichzeitig gestattet sie einen Blick in den Mechanismus der
Halluzinationen. Ich gebe ‚den
Vorbericht. Nach einem dreistündigen schweren Trommelfeuer,
das unsere Nerven stark hergenommen hat, setze ich mich in den Unter-
stand, ein Häuschen aus Fußbodenbrettern, das an eine 2 Meter hohe
Felswand angebaut ist. Der Unterstand ist von Verwundeten gefüllt, die
ich hineinschaffen habe lassen. Ich kauere mich in einen Winkel der
Bude, ein Kamerad, der keinen Platz mehr findet, hockt sich auf mich.
Es ist einbrechende Nacht. Der Feind wirft zahllose leichte Minen. Der
Rest der Kompagnie steht draußen an die Wand gedrückt. Plötzlich
fällt eine Mine auf den Kalkfelsen, kollert herab und stürzt auf das Dach
der Bude. Ich höre das Aufschlagen des Eisenstückes und während mich
die Erkenntnis des Sachverhaltes durchblitzt, schreien draußen die Leute
schon auf und ergreifen die Flucht. Ich suche mich aufzurichten, den
Kameraden wegzudrücken, da wendet sich dieser um und sagt: „Was
willst du noch, wir sind doch verloren!“ Darauf antworte ich: „Recht
hast du!“ und sinke zurück an die Wand. Gleichzeitig beginnen die
Halluzinationen. Ich kehre vom Felde zurück. Meine Schwester steht
im erleuchteten Zimmer, den Knaben am Arm, der Freudentränen im Auge
hat. Während Mutter mich begrüßt und sagt: „Nun bist du wieder da-
heim,“ werfe ich einen Blick durch das Zimmer und denke: „Die haben
recht, die es bewundern,“ und gebe dann Antwort auf die Bemerkung der
Mutter: „Ja, aber diesmal ist es knapp gegangen.“ Eine Erinnerung geht
durch mein Bewußtsein, daß eine brennende Mine 50 Zentimeter über
meinem Haupte liegt. Beinahe packt mich die Angst, doch verschiebt
sie sich gleich, während das Bild der Halluzination ungeschwächt weiter-
dauert, in ungeheures Mitleid mit meinen Hinterbliebenen, die ich sogleich
als Vater, Mutter und Schwester mit Neffen definiere. Besonders Mutter
tut mir sehr leid. Ich weiß, daß sie mein Ende nicht überleben wird.
Nun verblaßt das Bild, mich beginnt das Entsetzen zu fassen. Ich fühle
plötzlich heftigen Schmerz in der Wirbelsäule hinter dem Herzen, der sich
dem Gehirn zu bewegt. Ich fürchte eine Ohnmacht und suche mich unter
Aufwand aller übrigen Kraft bei Bewußtsein zu erhalten. Gleichzeitig
denke ich: „Schrecklich, immer hast du gewünscht, durch eine Gewehr-
kugel zu fallen, nicht zerrissen zu werden, und jetzt mußt du gar das Ende
erwarten!“ Da fällt mir folgendes ein: Minen brennen nach dem Auf-
schlag höchstens vier bis fünf Sekunden. Es müssen aber (ich schätze
genau und im Bewußtsein, daß sich in der Erregung Sekunden dehnen),
es müssen schon sechs Sekunden verstrichen sein: dann ist die Mine
ein Blindgänger. Ich ziehe diesen Schluß und denke: „Unglaubliches
Glück! Fällt eine Mine aufs Dach und krepiert nicht!“ Ich will mich
aufrichten, dem Kameraden dies sagen, in diesem Augenblick bin ich
von Feuer eingeschlagen, sehe deutlich das rotgelbe Licht, höre nicht
oder wenigstens nicht deutlich die Detonation, weiß (ich denke nicht
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358 Mitteilungen.
mehr in Worten, habe nur mehr ein wortloses, deutliches Bewußtsein):
die Mine ist losgegangen, und starre nach einer Pause hinaus in die Nacht,
während fernes Schreien verklingt. Das Weitere ist nicht mehr inter-
essant.
Der Zweck dieser Halluzinationen offenbart sich so deutlich, daß
sie in die Klasse der Halluzinationen gezählt werden können, welche
sich selber deuten. Offenbar ist es die Größe der zu Grunde liegenden
Unlust, der Todesangst, welche ein so starkes Herausarbeiten der lust-
bringenden Wunscherfüllung bedingt. Interessant ist an der Halluzination
das Verblassen derselben in Verbindung mit dem Bewußtwerden der Sach-
lage und der Angstverwicklung. Da diese Angst nichts anderes ist als
die Toodesangst, welche durch die Halluzination verdrängt werden sollte,
zeigt sich, daß der Zweck derselben der gleiche ist, wie der des Traumes.
Träume dienen ja nach Freud der Verhinderung der Angstentwicklung.
Verdrängung der Unlust durch Einführung von Lust ist, psychologisch
gesprochen, der Zweck der Halluzination. Ich gehe nun an die nähere
Analyse.
Die letzte Bewegung, die ich vor dem Eintreten der Halluzinationen
machte, war eine Fluchtbewegung: ich suche mich aufzurichten, den
Kameraden fortzuschieben. Der Bewegung liegt also der Wunsch zu Grunde,
fort zu sein. Die einsetzende Halluzination erfüllt diesen Wunsch und
gleichzeitig den latent immer in der Bewußtseinslage enthaltenen, daheim
zu sein. So beginnt sie mit einer Heimkehrszene. Die Szene selbst ist
eine genaue Erinnerung an die Szene meiner ersten Heimkehr nach elf-
monatlicher Felddienstleistung. Die Worte der Mutter sind damals ge-
fallen. Auffallend ist das Motiv: Ich werfe einen Blick durch das Zimmer,
denke: sie haben recht, die es bewundern usw., und zwar deshalb, weil
die Beschäftigung mit Möbeln im Augenblicke des Wiedersehens, das
intensivst lustbetont erscheint, nicht mit der Ergriffenheit, von der ich
erfüllt bin, übereinstimmt. Wohl sind die Möbel schön (es sind echte
Biedermeiermöbel); aber diese Schönheit allein hätte ihnen keinen Raum
in der Halluzination gegeben. Hinter diesem Bilde liegt die Erinnerung an
einen väterlichen Freund, einen Wiener Künstler, der als Erster dem
Knaben die außerordentliche Schönheit der Einrichtung bestätigt hatte,
und vor allem das Liebesproblem, das ich nicht näher erörtern will.
Der Seitenblick ist also ebenso lustbetont wie die Hauptszene.
Dennoch ist die Unlust größer als die durch die Halluzination erzeugte’
Lust. Die letztere wird daher von der ersteren verdrängt, die Halluzina-
tion teilweise überwunden. Die Folge ist der Ausbruch der Todesangst.
Sie wird aber sofort umgedeutet, verschoben. Ich beziehe sie nicht auf
mich, sondern auf meine Angehörigen. Bestätigt wird diese Analyse durch
den Umstand, daß ich mir in dem Augenblicke der Verschiebung, wenig-
stens dunkel, des wahren Sachverhaltes bewußt werde. Ich habe außer-
dem während dieser Szene deutlich das Gefühl, daß sich die widerstreiten-
den Gefühle in einem labilen Gleichgewichte in mir befinden.
Bald ist jedoch die geschwächte Halluzination ganz überwunden,
Die Angst bricht aus. Ich fürchte einen Ohnmachtsanfall und biete meinen
ganzen Willen auf, ihn zu verhindern. Und dann beginne ich zu rechnen.
Dieses Rechnen in der Halluzination ergänzt das Kapitel „Rechnen im
Traume“, Wohl ist nämlich richtig, daß sie höchstens vier bis fünf
Sekunden nach dem Aufschlage brennen, aber nicht die Minen, sondern
— die Handgranaten. Die ganze Berechnung beruht auf einem „Irrtum“,
Dr. M. J. Eisler: Über autoerotische Mitbewegungen bei Onanie. 359%
auf einer Verwechslung von Minen und Handgranaten. Durch diesen
„Irrtum“ gelange ich aber wieder zur Wunscherfüllung: die Mine geht.
nicht mehr los, ist ein Blindgänger, ich bin gerettet. Ich brauche nicht
zu erwähnen, daß dieser rettende Irrtum wieder eine Verschiebung ist.
Warum aber zur Wunscherfüllung die Form des Rechnens gewählt wurde,
ist ebenfalls klar. Damit das Bewußtsein überwunden werden konnte,
mußte eine Form gewählt werden, welche selbst den Schein höchster Be-
wußtheit und daher größter Wahrscheinlichkeit erregte, und das ist die
mathematische. Tatsächlich wird durch diese Form der Zweck der Hallu-
zination erreicht. Als das Unheil einbricht, hatte ich die Gefahr längst
beseitigt, richte ich mich auf, dies meinem Kameraden zu sagen.
Damit ist die Halluzination analysiert. Sie diente der Verdrängung.
einer Unlust durch Einführung einer Lust in die Bewußtseinslage, sie ist,
psychoanalytisch gesprochen, Wunscherfüllung und dient der Verhinde-
rung eines Angstausbruches.
Über autoerotische Mitbewegungen bei Onanie.
Von Dr. M. J. Eisler, Budapest.
Ein an hartnäckiger Schlaflosigkeit leidender Mann, dessen psycho-
analytische Behandlung in der ersten Phase nur langsame Fortschritte
machte, erlangte später eine gewisse Schulung in der Selbstbeobachtung,
die ihn befähigte, genauere Einblicke in seine Symptome und in die Zu-
sammenhänge seiner Neurose zu gewinnen. Dieser tätigen Mitarbeit ver-
danke ich folgenden Ausschnitt aus seiner Krankheitsgeschichte, die für:
sich ein gesondertes Interesse beanspruchen kann.
Das Syndrom, welches die Behandlung zu lösen hatte, war nebst.
der Schlaflosigkeit eine labile Potenz, migränartige Kopfschmerzen und
ein weit über die Pubertätsjahre hinausreichender Zwang zur Onanie,
insbesondere nach einem unbefriedigenden Beischlaf. Ich nehme hier
das Ergebnis der Analyse vorweg mit der Bekanntgabe, daß der Ursprung
der Neurose in einer tiefgehenden Dissoziation der autoerotischen Be-
tätigungen in der prägenitalen Entwicklungsphase aufgefunden wurde,
was in einem anderen Zusammenhang des Näheren beleuchtet werden soll.
An dieser Stelle beschränke ich mich auf die Onanie und deren Neben-
erscheinungen, die das Krankheitsbild beherrschten und auch die übrigen
Symptome beeinflußten. Zur Erläuterung will ich eine Parallele aus der
Kinderbeobachtung heranziehen !).
Wir sehen den Säugling an der Mutterbrust — während der Nahrungs-
aufnahme — eigenartige Bewegungen ausführen, welche man durchaus
als lustbetonte Aktionen auffassen muß. Er streckt und krümmt einmal
die oberen, das andere Mal die unteren Extremitäten in verschiedenen
Abständen und in den einzelnen Gelenken; ebenso auch den Rumpf. Diese
Bewegungen kennzeichnen sich durch eine gewisse Langsamkeit und Träg--
heit, so daß man sie mit dem „Räkeln“ der Großen vergleichen kann.
Auch bei Tieren läßt sich ein ähnlicher Vorgang beobachten. Die Nah-
rungsaufnahme spielt hiebei nur die untergeordnete Rolle eines Anlasses,
der durch einen beliebig anderen leicht zu ersetzen ist. So z. B. sehen,
1) Den ganzen Komplex der autoerotischen Mitbewegungen hat der von
Freud so rühmlich zitierte Kinderarzt Lindner lange vor Einführung der
Psychoanalyse ausführlich beschrieben. (Jahrbuch für Kinderheilkunde, Neue
Folge, XIV, 1879.) :
360 Mitteilungen.
wir ein ähnliches Bild beim Fingerlutschen der kleinen Kinder, wobei
die schon entwickelte Muskulatur kompliziertere Bewegungen schaffen
kann.
In geradezu überraschender Weise schilderte der Patient ähnliche
Zustände aus der Geschichte seiner masturbatorischen Betätigungen. Er
onanierte, wie alle Erwachsenen, unter Zuhilfenahme von libidinösen Vor-
stellungen, die den normalen Sexualakt als Schema beibehielten, und
begleitete diese mit den entsprechenden körperlichen Innervationen. Er
spannte die Streckmuskulatur an, imitierte das Pressen und Drücken, wie
er es auch in Wirklichkeit ausübte, innervierte die Kaumuskulatur, die
Kopfhaut, hielt den Atem an, usw. Alle diese Innervationen erlangten mit
‚der Zeit eine weitgehende Selbständigkeit und Unabhängigkeit, so daß sie
nicht mehr in Verbindung mit der Masturbation allein, sondern auch für sich
auftraten. Hiezu genügte schon das flüchtige Auftauchen eines libidinösen
Gedankens im Vorbewußten. Insbesondere die unteren Extremitäten eig-
neten sich stereotype Lagerungen und Bewegungen an. Sowie der Pa-
tient sich zum Schlafen legte, preßte er unwillkürlich die Schenkel an-
‚einander, kreuzte die Füße und rieb mit einem Fußrücken die andere Fuß-
fläche. ‘Ich mußte ihm wiederholt ausführlich den Begriff des „Onanie-
äquivalents“ erklären), ehe er diese Verhältnisse an sich beobachten und
beschreiben konnte. Einmal in die Richtung dieser Einsichten gebracht,
begann er unter williger Selbstbeobachtung den ganzen Komplex der
‚autoerotischen Muskelbetätigungen an. sich wahrzunehmen. Das Reiben
mit den Füßen war bei ihm geradezu zur zwangsartigen Handlung ge-
worden. Er trieb es stundenlang und konnte dann natürlich nicht ein-
schlafen. Auch bei seiner sitzenden Arbeitsweise am Tage führte er es
‚aus, wovon übrigens sein Schuhwerk ein beredtes Zeugnis ablegte. Auf
der Straße beim Gehen vollführte er ebenfalls eine Reihe von ganz un-
auffälligen, doch zwangsartigen Muskelhandlungen mit dem Spazier-
stock, der Straßenbahn-Fahrkarte usw. Eine Zeit lang litt er an Zahn-
schmerzen, die der behandelnde Spezialarzt schon damals auf eine
übermäßige Anspannung der Kiefermuskulatur — auch im Schlafe
— zurückführte. Sie hinderte ihn übrigens an der Fortsetzung seiner
musikalischen Studien. Ein besonderes Vergnügen bereitete ihm, mit der
Zunge im Mund herumzufahren und die Zähne zu scheuern. Schließlich
fand sich auch die Erklärung für den migränartigen Kopfschmerz.
Freud?) definiert diesen als „Befriedigungsersatz für eine ganze Reihe
von libidinösen Phantasien oder Erinnerungen“ Diese Annahme läßt
sich in dem vorliegenden Falle dahin ergänzen, daß der Patient dabei
tatsächlich die Kopfhaut und deren Muskelgruppe fast ununterbrochen
innervierte, wie ein Mensch, der seine Aufmerksamkeit dauernd auf einen
Punkt heftet. Um sich zu erleichtern, erlangte er eine gewisse Schu-
lung darin, nachdem er den Sachverhalt erkannt hatte, die Kopfhaut be-
wußt zu entspannen und sich zu zwingen, für eine Weile an nichts zu
‚denken. Dieses Experiment, nämlich die kontinuierliche Anspannung zur
Aufmerksamkeit bis zum Einstellen eines Kopfschmerzes, und ebenso die
gewollte Entspannung bis zum Schwinden des Kopfschmerzes, kann man
1) Die allgemeine Bedeutung dieses Phänomens, sowie dessen Beziehung
zur Pathologie der Hysterie hat Ferenczi erst jüngst hervorgehoben. (,„Tech-
nische Schwierigkeiten einer Hysterieanalyse“, Intern. Zeitschr. für ärztliche
Psychoanalyse, V. Jahrg., 1. Heft, 1919.) i
2) Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, 1917, p. 454.
Dr. S. Spielrein: Verdrängte Munderotik. 361
leicht an sich selbst erproben. Man wird dabei erstens eine Ahnung von
der immensen Energievergeudung in solchen Fällen bekommen, dann aber
auch die oft qualvolle Natur dieses Zustandes begreifen. Dieses sukzessive
Freiwerden der autoerotischen Muskelbetätigungen von der Onanie ist
durch eine konstitutionell festgelegte Muskelerotik erklärbar, die in weit-
gehendstem Maße ein Auslangen ohne Objekt fand. (Es ist die Stufe etwa
vor dem Sadismus.) Ein solcher Schluß, auf Grund unserer bisherigen
theoretischen Einsichten ohne weiteres zulässig, ließ sich noch durch.
folgende Beobachtung am Patienten stützen. Dieser legte, abgesehen von
den oben beschriebenen, fast unbewußt verlaufenden Muskelaktionen, einen
starken Hang zur Trägheit an den Tag. Jeder bewußte, von der Realität
geforderte Bewegungsimpuls wurde unter deutlichem Mißbehagen ausge-
führt und auf das notwendigste Mindestmaß beschränkt. Er war eine
ausgesprochen faule Natur geworden, dafür aber zeigten seine geistigen
Fähigkeiten eine merkwürdige Versatilität und Beweglichkeit, so daß
man den Eindruck hatte, diese sei ein gelungenes Sublimierungsprodukt
‚der teilweise unterdrückten Muskelerotik.
Leute, in deren Sexualkonstitution eine ähnliche Richtung vorherrscht,
klagen oft über zwei lästige Symptome, die den dargestellten Zusammen-
hang gut ergänzen. Sie leiden an gesteigerter Wärmeproduktion, erhitzen
sich also rasch, und geraten selbst bei geringer Bewegung in Schweiß.
Dieses letztere Beispiel zeigt uns schon den innigen Konnex der ein-
zelnen Autoerotismen mit verschiedenen biologischen Funktionen, die ebenso
wie das Psychische, aus dem Unbewußten ihre wirkende Kraft schöpfen.
Verdrängte Munderotik.
Von Dr. S. Spielrein (Lausanne).
Viele, wahrscheinlich die Mehrzahl der normalen Erwachsenen aus
„besseren Ständen“ sind beim Essen und Trinken an eigenes Tafelgedeck
gewöhnt und würden es als unangenehm empfinden, das gleiche Geschirr
mit einer anderen Person teilen zu müssen. In der Regel sind diese Abwehr-
gefühle eigenen Familiengliedern gegenüber geringer, und wir würden uns
nicht wundern, bisweilen Eltern, Kinder und Geschwister aus einem und
demselben Glase trinken zu sehen. Dies ist ebenso „natürlich“ wie die
Tatsache, daß man eigene Angehörige gern küßt, während man es bei
der großen Anzahl der Bekannten mindestens gleichgültig, wenn nicht
direkt unangenehm empfinden würde. Die Freude am Küssen und gemein-
samen Essen stehen im gleichen Verhältnis und in direkter Beziehung
zum erotischen Empfinden einer Person gegenüber. Dort, wo die normale
Munderotik von Abwehrgefühlen begleitet wird, was meistens eine Teil-
‚erscheinung der Abwehr von inzestuösen Regungen ist, da finden wir das
umgekehrte Verhältnis. Mir stehen zwei Fälle von jungen Mädchen als
Beleg zur Verfügung. Beide gelten im gewöhnlichen Sinne für normal,
‚aber „nervös“, Beide haben starke, verdrängte, inzestuöse Regungen dem
Vater gegenüber. Beide sind keine „Küsserinnen“ und eine mag überhaupt
keine „Zärtlichkeiten“ leiden. Beiden gemeinsam ist, daß der Abscheu am
größten ist, wenn es sich um Essen oder Trinken aus gleichem Geschirr
nach eigenen Familienangehörigen, namentlich nach dem Vater, handelt.
Auch beim Küssen sind Widerstände dem Vater gegenüber die stärksten.
Beim väterlichen Kuß sind es mehr „Arollige“ Gefühle des „Genierens“,
Internat, Zeitschr, f. Psychoanalyse. VI/. 24
362 Mitteilungen.
welche den Widerstand und die „nach oben verlegten“ inzestuösen Re-
gungen verraten.
Eines der Mädchen fand das Objekt für ihre Liebessehnsucht. Das
Küssen und Trinken aus einem Glase mit dem Geliebten (auch das Essen)
ist für sie die größte Wonne.
Dies ist ein Beweis dafür, wie stark die Munderotik dort ist, wo
sie sich in bezug auf das mit „tabu“ gestempelte Objekt, den Vater,
durch das Negativ äußert.
Gleichzeitig ist es einer der vielen Fälle, wo wir positive oder negative
erotische Gefühle an den Eßakt geknüpft sehen).
Ägyptologisches zu Leonardos Geierphantasie.
Mitgeteilt von Dr. J. Härnik.
In einem uralten ägyptischen, sogenannten Pyramidentext findet sich
eine Stelle, welche gleichsam eine Parallele darbietet zu Leonardos
Geierphantasie, hinter der ja — wie Freud in seiner „Kindheitserinne-
rung des Leonardo da Vinci“ überzeugend dargestellt hat — sich nichts
anderes als eine Reminiszenz an das Saugen — oder Gesäugtwerden —
an der Mutterbrust verbirgt. Ich zitiere aus dem V. Kapitel von Ermans
„Die ägyptische Religion“, welches die religiösen Anschauungen der alten
Ägypter über das Schicksal der Verstorbenen, das Leben nach dem Tode
und den Wohnort der Seligen behandelt.
Daß man sich diese Paradiese nach der Art des eigenen
Landes dachte, versteht sich von selbst; sie haben Gewässer, die man
wie die Nilkanäle zur Zeit der Überschwemmung öffnet, sie werden mit
Wasser gefüllt und grünen dann, um den Toten ihre Nahrung zu ge-
währen. Denn ohne Nahrung können auch die Götter und die Verklärten
des Himmels nicht bestehen; im Osten des Himmels steht jene hohe
Sykomore, auf der die Götter sitzen, der Lebensbaum,
von dem sie leben; dessen Früchte ernähren auch die Seligen. Und
die Göttinnen, die am Himmel sind, gewähren dem Toten noch unschul-
digere Kost. Kommt er zur Nut?) oder zu der Schlange, die die Sonne
hütet, so begrüßt ihn jede als ihren Sohn; sie hat Mitleid mit
ihm und reicht ihm ihre Brust, daß er sie sauge, und so
lebt er und ist wieder ein Kind. Er kommt zu jenen seinen
beiden Müttern, den Geiern mit langem Haar und strot-
zenden (?) Brüsten, die auf dem Berge Sehseh sitzen;
1) Vgl. z.B. Ferencsi, „Ekel vor dem Frühstück“, Int. Zeitschrift für
Psychoanalyse, Jahrg. 1919, Heft 2, und andere.
2) Nut ist die Himmelsgöttin (der personifizierte Himmel) und nicht
schlechtweg identisch mit der geierköpfigen Göttin Mut, deren Gestalt von
Freud in seiner Leonardo-Studie (II. Aufl, S. 27 ff. und 8. 33 ff.) zum Aus-
gangspunkt der Deutungsarbeit genommen wurde. Doch ist Nut zweifellos
ebenfalls eine mütterliche Gottheit: so heißt es z. B. in einem anderen Text
(Erman, l.c. 8. 113), daß der Tote „geht fort zu seiner Mutter Nut“.
Dr. J. Härnik: Ägyptologisches zu Leonardos Geierphantasie. 363
sie reichen ihre Brust seinem Munde und niemals ent-
wöhnen sie ihn)“
») A. Erman: „Die ägyptische Religion“, II. Aufl., S. 109, Berlin 1909.
Alle Hervorhebungen stammen vom Verfasser und bezeichnen die wörtlich über-
setzten Teile der altägyptischen Texte. [Nachtrag bei der Korrektur: J ung
hat in „Wandlungen und Symbole der Libido“ die wundersame, doch, wie ımir
scheint, sehr ansprechende Vermutung ausgesprochen, daß der ägyptische Geier
seine Symbolbedeutung als Mutter seiner „Funktion des Leichenfraßes verdankt“,
da „der Tod als Eintreten in den Mutterleib (zur Wiedergeburt) aufgefaßt wird“.
wird. Auch in Freuds Arbeit „Das Motiv der Kästchenwahl“ (abgedr. in
Samml. kl. Schr. IV.) dominiert ein ähnlicher Gesichtspunkt, nämlich die
psychologische Gleichstellung der Gebärerin-Mutter mit der todbringenden Ver-
derberin (‚Mutter Erde“).
24*
Bee
Baze=
essen, en
en
Kritiken und Referate.
u
Otto Groß, Drei Aufsätze über den inneren Konflikt. Ab-
handlungen aus dem Gebiete der Sexualforschung. Bd. II, Heft 3.
(A. Marcus & E. Webers Verlag, Bonn.)
Gleich die ersten Sätze dieser kurzen, aber von Ideen strotzenden Ar-
beit verkünden mit axiomatischer Sicherheit die These, daß „der sexuelle
Grundecharakter der Neurose nicht im eigentlichen, am wenigsten im
angeborenen — Wesen der Sexualität liegt, sondern in der Tatsache, daß
das Gebiel der Sexualität von äußeren Faktoren zum eigentlichen
Gebiet des hoffnungslosen inneren Kampfes gemacht wird“, — Nun, wir
wissen alle von dem uralten Streit zwischen den Anhängern der Endo-
geneität und der Exogeneität in der Pathologie; wir wissen auch, daß
die Anfänge der Psychoanalyse im Zeichen der Traumatheorie der Neurosen
standen, einer Lehre, die mit der Berücksichtigung der äußeren Verur-
sachung auskommen zu können glaubte. Es ist uns aber allen bekannt,
daß Freud, indem er seine Erkenntnisse über die Neurosenätiologie ver-
tiefte, sich gezwungen sah, die in der Traumatheorie steckende Einseitig-
keit durch die Berücksichtigung der konstitutionellen (endogenen) Fak-
toren zu korrigieren, ja, daß er es war, der den fadenscheinigen Begriff
der „erblichen Anlage“ mit biologischem Inhalt erfüllte. Mit nicht ge-
ringer Neugierde erwarten wir also die Aufzählung der Gründe, die den
scharfsinnigen O0. Groß zur Rückkehr zum verlassenen Standpunkte des
Exogeneismus bewegen konnten. Die prinzipielle Wichtigkeit dieser Stel-
lungnahme ist unzweifelhaft. Mag sich der Autor noch so enthusiastisch
für die sexualpathologischen Entdeckungen Freuds über die exogenen
sexuellen Noxen erwärmen, sobald er seine Annahmen über das Wesen
der sexuellen Anlage, über die Art der angeborenen Sexualität
verwirft, stellt er sich allen Erfahrungen und Fortschritten gegenüber, die
das Lebenswerk des vom Autor gapriesenen „großen Meisters“ ausmachen.
0. Groß versteht unter Perversion die Übertragung sexueller
Triebenergie auf etwas seinem Wesen nach nicht Sexuelles. Dieser Satz,
der nichts weniger bedeutet, als die wieder einmal versuchte Leugnung
der infantilen Sexualität, bleibt einstweilen nur eine kühne Behauptung.
Der zweite Satz, wonach. der Ichtrieb die eine, der Sexualtrieb die
andere Komponente des im Seelischen wirksamen Triebkräftepaares ist,
zwischen denen der krankmachende innere Konflikt sich abspielt, ist
keineswegs eine Entdeckung von O0. Groß, wie er es merkwürdigerweise
darzustellen versucht, sondern die von Anfang an vertretene Anschauung
von Freud selbst, und das ist jedem Kenner der Literatur so gut be-
Kritiken und Referate. 365
kannt, daß es überflüssig ist, die zahllosen Stellen aus seinen Werken an-
zuführen, die das belegen. Dieser zweite Satz ist also nicht — wie Groß
schreibt — die von ihm zu stande gebrachte Synthese der Freudschen
und Adlerschen Ansicht, sondern einfach die Wiederholung der Freud-
schen These, von der Adler — indem er die eine Komponente (das Ich)
über Gebühr betonte, die andere (die Sexualität) dialektisch verleugnete
— abgefallen ist.
Am überraschendsten kommt aber ein dritter Satz, der folgendermaßen
lautet: „Es ist nicht möglich anzunehmen, daß in der ursprünglichen
Anlage, artgemäß prädisponiert, zwei Triebe angelegt sein könnten, deren
naturgemäße Bestimmung es wäre, miteinander in einen unlösbaren, krank-
machenden Konflikt zu geraten.“ Woher der Autor sein Vertrauen zur
prästabilierten Harmonie in der Natur, z. B. in der Natur des Menschen,
hernimmt, wird nicht gesagt. Wir, die wir nicht so glücklich sind, uns
in eine so optimistische Weltanschauung wagen zu können, sehen überall
— auch in den Anlagen — nichts als solchen Kampf zwischen Trieben;
es genügt wohl, wenn wir auf den zwischen Selbst- und Arterhaltungs-
trieb hinweisen. „Krankmachend“ ist aber dieser Konflikt nur unter
ganz bestimmten Verhältnissen, die wir hier nicht näher anzugeben brau-
‚chen. Man kann aber beim Lesen solcher Sätze, wie der eben zitierte,
sein Staunen darüber nicht unterdrücken, daß auch ein so scharfsinniger
Forscher wie Groß plötzlich alles vergessen und sich so gebärden kann,
als hätte er von Freud nie eine Zeile gelesen, und als ob Erkenntnisse,
die bereits mühselig zu stande gebracht wurden, noch der Entdeckung
harrten.
„Der eigentliche Konflikt ist der des Eigenen und des Fremden in
uns.“ Auch das ist nur die epigrammatische Abkürzung der Freudschen
Trieblehre, nach der die angeborenen Triebe selbst nur Niederschläge der
Erfahrungen (wenn man will: der Traumata) der Vorfahren sind; diese
brauchen aber im Individualleben nur mehr geweckt, nicht aber er-
zeugt zu werden. Nun stellt sich aber heraus, daß sich der Autor zur
Leugnung der infantilen Sexualität nicht entschließen kann. Er beläßt
dem Kinde den „Trieb nach Kontakt“ als angelegten sexuellen
Trieb; dieser bilde mit dem anderen großen Triebe (dem nach Erhal-
tung der eigenen Individualität) eine harmonische Einheit.
Doch bewirke der Druck der Umgebung, indem sie dem Kinde den Kon-
takt versagt, die „Vereinsamung des Kindes“, und die dabei entstehende
Angst sei der Ursprung der Neurose überhaupt. — Wir sehen: wieder
eine Menge von Wiederholungen aus Freuds Werken: Entstehung der
Neurose aus der Versagung, die Angst, die bei der Versagung entbunden
wird, als Grundsymptom der Neurose. Das einzig Neue an den Groß-
schen Behauptungen bleibt die Reduktion der infantilen Sexualität auf
den Trieb nach „Kontakt“ Ob mit dieser Namengebung, einem Sur-
vival des „Kontrektationstriebes“ viel gewonnen ist, bleibe einstweilen da-
hingestellt.
Interessant ist die Auffassung des Autors über den aus dem Konflikt
sich ergebenden „Ichtrieb als antisexuellen Protest“, der nunmehr „auf
die Erhaltung der großen Einsamkeit um einen herum durch eigene Kraft“
zielt. Bekanntlich hat die Psychoanalyse den „männlichen Protest“ als
pathologischen Spezialfall nie geleugnet, nur glaubt sie, dieser Erschei-
nung, wie überhaupt den Ichneurosen, durch das Wechselspiel der Ich-
und der Objektlibido besser gerecht worden zu sein als Groß mit seiner
ne
BER ne
=
366 Kritiken und Referate.
Formulierung, wonach dieser vergrößerte Ichtrieb „auch die Hingabe des
eigenen Ich an andere ..... in sich aufgenommen hat“. Es ist recht
zweifelhaft, ob diese neue Fassung der „narzißtischen Neurosen“ einen
Fortschritt bedeutet.
Sehr beachtenswert ist die nun folgende Definition des infantilen
Masochismus als Unterwerfung zwecks Vermeidung der Angst vor
der Vereinsamung; demgegenüber sei der Sadismus des Mächtig-
und Erwachsenseinwollens eine Reaktionsbildung gegen die
masochistische Erniedrigung, „ein Kompromißgebilde aus Angst vor der
Einsamkeit und Willen zur Erhaltung der Einsamkeit“. Bisher waren
wir gewohnt, den Sadismus eher als das Primär-Aktive, den Masochismus
als das Sekundär-Reaktive aufzufassen; aber auch die Möglichkeit der
umgekehrten Genese läßt sich nicht von der Hand weisen. Die Beweise
für die Ausschließlichkeit und Allgemeinheit der Groß-
schen Anschauung bleibt uns dieses Heftchen allenfalls schuldig, gleich-
wie es uns nicht angängig erscheint, fast die ganze Libidopsychologie und
Neurosenpathologie auf das Gegensatzpaar Sadismus — Masochismus zu
reduzieren.
Dem teleologistischen Standpunkt des Verfassers verdanken wir die
bemerkenswerte Idee, wonach der „normalen“ Homosexualität die Funk- -
tion eigne, „die Einfühlung in die sexuelle Einstellung des anderen Ge-
schlechtes zu ermöglichen“1). Erst die Verschränkung dieser „primären“
Homosexualität mit Sadismus, Masochismus und Analerotik stemple sie
zur „Perversion“,
Bei dieser Gelegenheit versucht Groß die Analerotik selbst als etwas
Sekundäres, der Versagung anderer Kontaktmöglichkeiten Entstammendes
hinzustellen, während die Analfunktion ursprünglich jedes sexuellen An-
striches bar sei.
Wir aber glauben nach wie vor, daß es keine Zufälligkeit ist, wenn
die Libido bei Versagung anderer „Kontaktmöglichkeiten“ gerade auf
die sogenannten erogenen Zonen regrediert. Diese Zonen dienen eben,
infolgeihrereigenen Exogeneität, als Leitzonen, wenn es gilt,
anderswo versagte Sexualität unterzubringen. Der Verfasser legt auf die
von Freud doch scharf genug gefaßte Distinktion zwischen Sexualität
und Genitalität zu wenig Gewicht. Was er von der „primären“ und
„sekundären“ Homosexualität sagt, ist gewiß richtig, dieselbe Unterschei-
dung zwischen primärer (infantil-autoerotischer) und sekundärer (bereits
mit verlegter Genitalität durchsetzter) Perversion gilt aber für alle
Perversionen ohne Ausnahme, so daß diesbezüglich der Homosexualität
keineswegs die von Groß behauptete Sonderstellung zukommt. Und wenn
wir schließlich den Großschen infantilen „Trieb nach Kontakt“ in seine
Elemente zerlegen, so langen wir wieder dort an, daß wir die Freudsche
infantile (perverse, extragenitale) Sexualität restlos rekonstruieren müssen.
Sind doch die erogenen Zonen des Kindes im Sinne Freuds nichts
anderes, als die „Kontaktstellen“ des Kindes mit der Umgebung, beson-
ders die Aufnahms- und Ausscheidungsstellen des Körpers. Nur muß die
objektive Beobachtung sich mit der Tatsache abfinden, daß diesen Körper-
stellen schon ab origine, auch ohne vorausgegangene „Versagung“ anderer
1) Von der „Funktion“ der Bisexualität hat sich übrigens bereits Fließ
in ähnlichem Sinne geäußert.
Kritiken und Referate. 367
Kontaktmöglichkeiten (von denen wir übrigens von Groß gar nicht er-
fahren, wie sie gemeint sind), ein gewisses Maß von Sexualität eignet.
Da Groß an der ursprünglichen „Kontaktsexualität“ des Kindes
festhielt, wäre es möglich, daß er den Weg zur Anerkennung der infan-
tilen Perversionen 1!) gefunden hätte, wenn er der Wissenschaft nicht zu
früh entrissen worden wäre.
Seinen Gedankengang fortführend, sucht dann Groß nach der Ur-
sache der regelmäßigen Verknüpfung der männlichen Heterosexualität mit
Sadismus, der weiblichen mit Masochismus, der männlichen Homosexuali-
tät mit Masochismus, der weiblichen mit Sadismus. Er findet sie im
Adlerschen „Symbolgesetz“, nach dem die Begriffe „Mann“ und „Weib“
als unbewußte Abspiegelungen der bestehenden Institutionen in Sozietät
und Familie, die Bedeutung von „überlegen“ und „unterliegend“ anzu-
nehmen pflegei. Doch schon der einfache Hinweis auf die wechselnden
Verhältnisse dieser Triebverschränkungen im Tierreiche genügt, um
die Unhaltbarkeit dieser Begründung einleuchtend zu machen. Es han-
delt sich hier um viel tieferliegende biologische Ursachen, die von anthro-
pischen „Institutionen“ oft ganz unabhängig sind. Daß unter Umständen
die äußeren ‚Verhältnisse die (in der Anlage bei jedem vorhandene) homo-
erotische Komponente verstärken können, ist für den Psychoanalytiker
gewiß nichts neues. Bezüglich des komplizierten Gedankenganges, nach
dem der Sadomasochismus durch „Rückinversion“ in die Heterosexualität
aufgenommen wird, muß aufs Original verwiesen werden. Unseres Er-
achtens befindet sich hier der Autor fernab von jeder Empirie auf dem
Gebiete der reinen Spekulation. Jedenfalls ist es eine sehr kühne und einst-
weilen ganz unbewiesene Behauptung, daß die „psychologischen Typen
‚Männlichkeit‘ und „Weiblichkeit‘, so wie wir sie heute kennen, ein künst-
lich geschaffenes Produkt, ein Resultat der Anpassung an be-
stehende Verhältnisse“ sind, während den sich häufenden Fällen von
männlichem Masochismus (Weiblichkeit des Mannes) und weiblichem Sa-
dismus (Männlichkeit ‚der Frau) eine wohltätige Ausgleichs-
tendenz, also wieder biologische Zweckmäßigkeit, innewohne.
Das zweite Kapitel des Heftes beschäftigt sich eingehender mit der
bereits erwähnten ‚„‚Vereinsamung“ des Kindes und betont die Bedeutsam-
keit des infantilen Kontakttriebes, dessen kategorischer Imperativ u. a.
die infantile Suggestibilität und die Erziehbarkeit erklärt. Die Alter-
native: „Einsamkeit oder Persönlichkeitsopfer“ sei die am stärksten ans
Leben rührende Gewalt, die die Schicksale der Menschen bestimmt. In
wohltuendem Gegensatz zu den von Groß zum Teil anerkannten Adler-
schen Prinzipien, in denen für Liebe kein Raum übrig bleibt, sagt der
Autor: „Dem Kind muß Liebe absolut bedingungslos gegeben werden,
befreit von jeden, auch nur scheinbaren Forderungen welcher Art auch
immer, als reines Bejahen der Individualität um ihres Eigenwertes willen
und jeder keimenden Eigenart.“ Dieser idealen Forderung wird wohl
nie entsprochen werden können; unseres Erachtens sollte man sich mit
dem — immerhin möglicheren — Anspruch an die Kindererziehung be-
gnügen, daß man hier das Minimum an Forderungen mit dem Maximum
an individueller Freiheit zu verknüpfen trachte. Doch gilt auch dies nur
1) Die Auffassung der Homosexualität (d.h. gewisser Fälle dieser Perver-
sion) als Ausdruck der Feindseligkeit gegen das Weib und der Flucht zum eigenen
Geschlecht wird übrigens vom Autor mit Unrecht Stekel zugeschrieben.
Diese Ansicht ist von mehreren von uns längst geäußert worden.
368 Kritiken und Referate.
für die allerersten Kinderjahre; in den späteren muß der Erzieher sich
damit begnügen, Mittel und Wege zu suchen, seine Forderungen durch-
zusetzen, ohne dem Kinde unheilbare seelische Wunden zu schlagen.
Das Kapitel über das Problem des Wahnes geht von der psycho-
analytischen Erklärung der Paranoia aus, läuft aber dann in eine —
mit einigen Krankengeschichten (ungenügend) belegte — Hypothese über
das Wesen der Paranoia und der Schizophrenie aus. Der Paranoiker wird
— nach O0. Groß — durch den Sadismus dazu getrieben, die eigenen
Wahngebilde mit der (zu beherrschenden) Realität zu einem lückenlosen,
logischen System zu formen, während in der Schizophrenie, deren
gestaltendes Prinzip der Masochismus ist, der Kranke sich den
aus dem Unbewußten überwältigend auftauchenden Impulsen willenlos
überläßt.
Im ganzen zeigt diese letzte Arbeit von O0. Groß alle Vorzüge dieses
ungewöhnlich begabten Kopfes, dem es leider nicht gegeben war, seinen
überwuchernden Ideenreichtum kritisch zu sichten. "8. Ferenczi.
Adolf Gerson, Die Scham. Beiträge zur Physiologie, zur Psychologie
und zur Soziologie des Schamgefühles. Abhandlungen aus dem Ge-
biete der Sexualforschung, Bd. I, Heft 5. (A. Marcus & E. Webers
Verlag, Bonn.) ö
Gerson geht von den zwei charakteristischen äußerlichen Sym-
ptomen des Schamgefühles aus, vom schamhaften Augenschluß und vom:
Erröten. Er stellt sich die Aufgabe, die Phylogenese der Scham zu ent-
decken. Der schamhafte Augenschluß soll beweisen, daß das Schamgefühl
„wesentlich auf einer Hemmung des Selbstbewußtseins beruht“. Warum?
Unsere Neugierde wird getäuscht, wenn wir erfahren, daß deshalb, weil auch
beim Schlaf die Augen geschlossen sind und während des Schlafes unser
Selbstbewußtsein auch gehemmtist. Was soll das Selbstbewußtsein bedeuten.?
In einer Note gesteht der Autor selbst, daß ‚‚die Lehre vom Selbstbewußtsein
bei Psychologen und Psychiatern noch in der Entwicklung, und die Aus-
sichten über dasselbe sind wenig geklärt“. (?) Von einer psychoanaly-
tischen Betrachtung des Unbewußten keine Spur. Der Augenschluß ist
aber nur dann als ein Zeichen der Scham zu betrachten, wenn dabei auch
das Erröten entsteht. Zur Erklärung des Errötens benützt Gerson
die durch Darwin konstruierte Urhorde, wo das Oberhaupt, der stärkste
Mann, die schwächeren in Gehorsam hält und sie unterdrückt. Diese
müssen ihm dienen und er hat das Recht über alle Weiber. „Die
jüngeren Männer benützen widerrechtlich seine Waffen und Geräte und
seine Weiber geben sich heimlich den jüngeren Männern hin.“ Da es
noch keine Sprache gab, mußte das Oberhaupt ein äußeres Kennzeichen
haben, um den Sünder feststellen zu können. Beim Verdacht oder Er-
tappen des Schuldigen wurde der Betreffende zornig und sein Gesicht —
eventuell entstand auch ein Kampf — errötete. Im Laufe der Zeit wurden
die übrigen Zeichen des Zornes unterdrückt und das Erröten blieb.
Und da der Schuldige dabei erschrak, so haben wir die Hemmung des
Selbstbewußtseins in Assoziationsverbindung mit dem Erröten. So ent-
stand nach Gerson aus dem Zornreflex der Schamreflex. Und
damit meint der Autor die Phylogenese der Scham angegeben zu haben.
Der Verfasser bespricht gesondert die Psychologie, die Physiologie
und gesondert die Soziologie des Schamgefühles. Er unterscheidet das
Kritiken und Referate. 369%
„geschlechtliche“ Schamgefühl von dem „sozialen“, da er der Scham eine
sozialteleologische Bedeutung zuschreibt.
Bei der Besprechung der Entstehung der Schamhülle kommt Gerson
zu dem Resultat, daß die Männer den Schamschurz erfunden haben, „um
die Erektion des Schamgliedes vor ihresgleichen zu verbergen. Die Weiber
haben sich den Schamschurz vorgebunden, um zu verdecken, daß an der:
betreffenden Stelle nichts zu verdecken ist“. Diese Stelle wäre die einzige,
die zu verwerten ist, da hier die Scham — selbstverständlich kommt dies
bei Gerson nicht in Betracht — mit dem Kastrationskomplex in Be-
rührung gebracht werden kann. Der unbewußte „Penisneid“ bei den Frauen
und die „Penisangst“ der Männer (Freud) können auf Grund psycho-
analytischer Untersuchungen die Grundlagen des Schamgefühles sein. Das
Eırröten des Gesichtes ist eine Genitalisierung desselben, durch Verschie-
bung von unten nach oben. Die „Hemmung des Selbstbewußtseins“ könnte
mit der Kastrationsdrohung identisch sein. Und da das Ich im Stadium
des Narzißmus sich um den Penis ausbildet (Ferenczi: Hysterie und
Pathoneurosen), so haben wir die Brücke von der geschlechtlichen Scham
zur gesellschaftlichen. Jede Schädigung, jede Drohung gilt eigentlich
dem Penis und bewirkt die „Hemmung des Selbstbewußtseins“, Das Er-
röten kann nicht als ein generelles Symptom des Schamgefühles betrachtet
werden, weil es auch ohne Schamgefühl vorkommt.
Dr. S. Feldmann.
M. Reichardt, Über den Unterricht der Medizinstudieren-
den in der Psychologie. (Psychiatr.-neurol. Wochenschrift.
22. Jahrg., Nr. 9—10.)
Reichardt führt aus, daß es gegenwärtig drei Arten von Psycho-
logie als Lehrfach gibt: 1. die von Philosophen gelehrte Psychologie ;,
2. die „offizielle“, vorwiegend experimentelle physiologische Psychologie
und 3. die sogenannte medizinische Psychologie. Nur den Unterricht in
der letztgenannten findet der Autor für den praktischen Arzt wirklich
nützlich und notwendig und beruft sich ausführlich auf Bleulers grund-
legende Schrift „Über die Notwendigkeit eines medizinisch-psychologi-
schen Unterrichtes“ Er nennt es mit Erich Meyer ein Unglück, wenn
beim medizinischen Studium keine Zeit bleibt für die in der Praxis so.
notwendige Neurosenlehre. Die oft aufgeworfenen Fragen, wann der Me-
diziner Psychologie hören soll, und wer sie vortragen soll, beantwortet
Reichardt dahin, daß die medizinische Psychologie vom Psychopatho-
logen und erst nach der psychiatrischen Klinik zu lehren sei. Die medi-
zinische Psychologie werde wohl am besten von der psychiatrischen Klinik
zu trennen, vielleicht mit der Poliklinik für Psychisch-Nervöse zu ver-
binden sein. — Referent glaubt, diesen guten Vorschlägen folgendes hinzu-
fügen zu sollen: Die berührten Fragen werden für den Unterricht in der
Psychoanalyse am bedeutsamsten sein, und es kann nicht mehr auf-
geschoben werden, daß außer der beschreibenden Psychopathologie
eine verstehende gelehrt werde. Die Psychologie des Unbewuß-
ten, des Traumes usw. ist zum Verstehen der Psychosen und Neurosen
unentbehrlich! Das müssen alle Reformer des medizinischen Unterrichtes
berücksichtigen. Dr. E. Hitschmann.
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370 Kritiken und Referate.
Dr. med. Wilhelm Bergmann, Die Seelenleiden der Nervösen.
(Herder & Co,, Freiburg i. B. 1920.)
Hinter diesem allgemeinen Titel verbirgt sich eine die Zwangs-
erscheinungen im Zusammenhang mit der Ohrenbeichte
behandelnde Arbeit eines Arztes, der mit geistlichen Kreisen in Beziehung
steht. Er kennt also sehr genau die entsetzlichen Qualen dieser Kranken,
deren unberuhigbares Schuldgefühl im Beichtstuhl die sonderbarsten Ex-
zesse aufführt, steht aber, was das analytische Verstehen und Behandeln
‚des Zwanges anlangt — auf dem reaktionären Standpunkt Hoches.
Von dem Italiener Gemelli, der dasselbe Thema behandelt hat, könnte
er sich belehren lassen, welchen Fortschritt Freud auf diesem Gebiete
gebracht hat. Bergmann, der mit einem anderen Autor gemeinsam eine
Pastoralmedizin herausgegeben hat, erörtert nun hier die Frage der Be-
handlung der Skrupel- und Grübelsucht und scheint sie teilen zu wollen
zwischen dem Arzt und dem Seelsorger. Für die leichteren Fälle gibt
‚er den Seelsorgern Ratschläge, aber sowohl die pastorale wie die ärztliche
Methodik bestehen nur im Zureden. Dem Priester wird geraten, sich
bei der Beichte nicht in Details einzulassen, nur eine formale Beichte ab-
zunehmen u. dgl.
-Hoche wird sich einmal herostratisch rühmen können, durch seine
Verleumdung der Psychoanalyse die Unwissenheit deutscher Ärzte und
die Leiden unglücklicher Kranker um lange Jahre verlängert zu haben!
Denn gerade auf dem Gebiete der Zwangszustände ist die Disposition
und die Psychogenese so geklärt worden, sind die so variablen Symptome
so eindeutig auf ihren Grundtypus zurückgeführt und ist die auf all dies
gegründete Therapie anderen Methoden so überlegen und wirksam, daß
die Ignorierung der Analyse hier ein Verbrechen ist.
Das Buch weist mit größter Deutlichkeit auf die Unentbehrlichkeit
‚gerade sexualpsychologischer und psychoanalytischer Kenntnisse für den
Seelsorger hin — obwohl der Autor nichts von diesen besitzt. Pfisters
Schriften haben in dieser Hinsicht noch viel Gutes zu stiften! Eine Frage
bleibt, wie eine tiefer gehende Analyse es vermeiden kann, den Glauben
‚selbst zu erschüttern, denn diese Forderung wird natürlich von gläu-
biger Seite gestellt sein. Die Technik der Analyse wird hier sehr be-
hutsam sein müssen. — Beweisend für die Bedeutung des Themas des
Buches ist die aus verschiedenen Sprachen zitierte Literatur: über die
Skrupel, den geistlichen Kampf, eine Anleitung für fromme Seelen zur
Lösung der Zweifel im geistlichen Leben u. v. a.
- Dr. E. Hitschmann.
M. Friedmann, Über die Natur der Zwangsvorstellungen
und ihre Beziehungen zum Willensproblem. (J. F.
Bergmann, Wiesbaden 1920.)
Eine vollkommen wertlose Arbeit, die so recht zeigt, wie blind im
Kreise derjenige sich umtreibt, der die Arbeiten Freuds über die Zwangs-
neurose nicht verstehen, oder wie es für Friedmann richtiger heißt:
nicht lesen will. Denn der Autor hat die Fortschritte der Psychoanalyse
‚der Zwangsphänomene seit 1909 vollkommen ignoriert, die uns in so aus-
‚gezeichneter Weise das Wesen der Zwangsneurose klargelegt haben.
Der Autor vermischt Angst- und Zwangszustände, zieht auch senile
Beeinträchtigungsideen u. dgl. irrtümlich. heran und kann dann ein so
Kritiken und Referate. 37
heterogenes Material natürlich nicht unter einen Hut bringen — möchte
man glauben: aber was ist philosophischen Spekulationen nicht mög-
lich!? Hören wir nur ein „Resultat“ dieses Neurosenforschers an, das
freilich ohne Beachtung libidinöser Triebkräfte, mit souveräner Verach-
tung des Unbewußten und der individuellen Analyse „gefunden“ ist: „Das
Wesentliche der Zweifel- und Skrupelsucht ist die Schwäche der
aktiven Denk- und Willensenergie, und durch sie kommt es,
daß hier der Ablauf und besonders die Vollziehun g von Denk-
und Willensentscheidungen mit geringer aktiver Kraft betrie-
ben und daher besonders leicht durch Gefühlsbedenken
aller Art gestört und behindert werden kann.... In allen Fällen aber
muß sich zu der angeborenen oder zeitigen Schwäche der aktiven Denk-
kraft ein zweites erregendes Moment hinzugesellen, das indessen hier
von allgemeinerer Art und als eine allgemeine psychische Über-
empfindlichkeit zu bezeichnen ist, dabei bald den Charakter der
persönlichen Ängstlichkeit und Verzagtheit besitzt, bald den
der Hyperästhesie gegen Körpergefühle und Sinnesreize....“
Nichts als Wortvorstellungen! Die Psychoanalyse aber, beruhend
auf Individualanalyse, Beobachtung, Empirie, zeigt Tatsachen auf und
hat so alle Arten von Zwangsphänomenen zu den relativ verständlichsten
neurotischen Erscheinungen gemacht. Darf sie 1920 noch ignoriert wer-
den!? Dr. E. Hitschmann.
Wolfgang Bohn, Die Selbstheilung derkranken Seele durch
Erkenntnis und Vertiefung. (Max Altmann, Leipzig 1920.)
Der Verfasser empfiehlt Einsamkeit, Askese, Selbstbetrachtung, Be-
wußtatmen u. a., kurz die Lehren des Buddha gegen Nervosität, die er
immerhin als seelische Krankheit auffaßt. Die Psychoanalyse kennt er
zwar und schätzt ihre Wirksamkeit: die nervöse Anlage aber verschwinde
„weder durch Aus- noch durch Einfragen“. Dr.,.E.H:
Dr. Walter Fuchs, Stereopsychiatrie — Vitalre ihenpsy-
chiatrie. (Psychiatr. neurol. Wochenschr. Nr. 11/12, 1920—21.)
Die offizielle Psychiatrie hat sich seit einiger Zeit bekanntlich zur
Selbstkritik entschlossen. Die Selbstkritik hier lautet mit Recht wie
folgt: „Die Klinik hat über der Sucht nach Systematik
an Verständlichkeit und Lebensnähe ihre Ergebnisse
verloren; sie hat den Faktor der Persönlichkeit, der
Individualität vernachlässigt; ihre Experimentalpsy-
chologie arbeitet nicht voraussetzungslos, sondern be-
schwert von Hypothesen, schablonenhaft seelenlos, und
die klinisch-psychiatrische Betrachtungsweise der Gei-
steskrankheiten leidet an Einseitigkeit, an Symptomen-
sucht, ermangelt der allseitigen Einfühlung, erfordert
eine Reform in der Richtung des Individuellen, des seelisch
Intentionalen, des Mehrdimensionalen. Die Längsschnittpsychiatrie soll
durch eine Psychopathologie des individuellen Querschnittes ergänzt oder
gar ersetzt werden. Nicht mehr das ungeschriebene Gesetz
eines schulgerechten Krankheitsprozesses, sondern viele
Faktoren (Konstitution, Erlebnis, Trauma, Chok, Situa-
en Ze Da
Seren,
ee al
372 Kritiken und Referate.
tion, Milieu, Lebensepisode und Reaktion auf alle diese
zusammen) diktieren das seelische Schicksal des ein-
zelnen Falles.“ Diese psychiatrische Neuorientierung kann nur
eines heißen, nämlich: Psychoanalyse! Der Autor aber geht noch
seine eigenen Wege; er rühmt sich der von ihm angegebenen „Analyse-
bögen“ zum Eintragen gewisser Beobachtungen, gibt aber zu, daß sie
erst durch eine „Auflösung der Starre ihrer Rubrikenstruktur“ erhöhte
Verwendbarkeit erhielten. Die Affektverhaltung, -verdrängung, -ver-
edelung ist ihm wohlbekannt, doch zitiert er nur Adler, Jung, Hell-
pach, Kretschmer u. a, nicht aber Freud, der seit Jahrzehnten
schon die weitreichendste und tiefgehendste Analyse übt und empfiehlt.
Nicht neue Schematisierungen und Schlagworte helfen hier, wie z. B. die
Feststellung: „Die Summierung zahlreicher psychischer Querschnitte er-
gibt den multidimensionalen Längsschnitt.“ Nicht Analysebögen, nicht
Stereopsychiatrie u. dgl., nicht psychologische Provokationen (indem der
Kranke durch Zumutungen, Aufforderungen, Verbote, Verhimmelung und
Aksprechung zu Reaktionen provoziert wird) geben den wahren psychi-
schen Status, führen zur verstehenden Psychologie, sondern nur die regel-
rechte Psychoanalyse. Dr. E Hitschmann.
Dr. med. A. Kielholz, Symbolische Diebstähle. (Zeitschr. f. d.
ges. Neur. u. Psych. Bd. 55, S. 304 ff. 1920.)
Mitteilung dreier Fälle von Diebstählen, die sich weder aus Charakter
und Milieu des Täters erklären lassen, noch vom Täter selbst in zureichender
Weise begründet werden können, deren Motivierung aber in unbewußten
Mechanismen zu finden ist.
Eine 36jährige, leichtimbezille Jungfer stiehlt einem Gemeinderat
ihres Dorfes einen Stier, zwei Paar Militärhosen und einen Sack Zucker.
Sie wird dafür bestraft; zwölf Jahre später aber erkrankt sie an einem
Paranoid und wird nun in ihren Halluzinationen vor allem von dem damals
bestohlenen Gemeinderat verfolgt, der mit ihr mache, was er wolle. „Die
im Klimakterium aufgetretene Psychose erfüllte ihr also halluzinatorisch
den Wunsch, dem sie durch ihren Diebstahl symbolisch Ausdrück ge-
geben hatte.“
Ein 21jähriger psychopathischer Leutnant stiehlt ohne jeden zurei-
chenden bewußten Grund einem Kameraden den Geldbeutel: nebst zwei
Schlüsseln. Am Abend zuvor hatten die beiden sich wetteifernd um die
Gunst einer Kellnerin beworben, wobei der Leutnant den kürzeren gezogen
hatte. Der Diebstahl ist eine Rachetat: eine symbolische Kastration des
erfolgreichen Nebenbuhlers.
Der dritte Fall, in dem Gelddiebstähle als Ersatzbetätigungen auf-
treten, ist komplizierter.
Die symbolischen Diebstähle zeigen nahe Verwandtschaft mit den
Vergehen gewisser Perverser, anderseits auch mit gewissen Betätigungen
Zwangsneurotischer und mit den Fehlhandlungen des täglichen Lebens.
Verfasser verlangt, daß ein Diebstahl, der sich psychologisch als sym-
bolische Handlung erweist, „als Delikt eines für diese Tat Unzurechnungs-
fähigen zu taxieren sei“. Rorschach.
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Kritiken und Referate. 373
L. Scholz, Seelenleben des Soldaten an der Front. (J. CB.
Mohr, Tübingen 1920.)
Beiträge zur Psychologie des Krieges.
Paul Plaut: Psychographie des Kriegers; Walter Ludwig: Bei-
träge zur Psychologie der Furcht im Kriege; E. Schiche: Zur Psycho-
logie der Todesahnungen. (J. A. Barth, Leipzig 1920.)
Die genannten Arbeiten beschreiben den Soldaten in verschiedenen
Lagen und Stimmungen, ohne Einzelanalysen zu machen oder das Unbe-
wußte wesentlich zu berücksichtigen. — Das Sexualleben sei an der
Front, berichtet Plaut, so gut wie geschwunden, nur in ganz seltenen
Ausnahmen kamen sexuelle Verirrungen oder Onanie vor. Hinter der
Front tritt die „eingesperrte Brunst“ oft mit elementarer Gewalt hervor.
— Nur Schiche betont in seiner Arbeit über Todesahnungen die Bedeu-
tung unbewußter Schuldgefühle und Selbstmordabsichten; zu näheren
Analysen kam er nicht. Die Beobachtung, daß Todesahnungen im Felde
scheinbar auffallend häufig in Erfüllung gegangen sind, erklärt der Autor
aus der Tatsache, daß die Betreffenden dann durchaus nicht mehr so
aufmerksam bei der Vermeidung der alltäglichen Gefahr sind, wie der
Normale. Ferner lassen sich dieselben nicht selten widerstandslos bereit
finden, besonders gefährdete Wege zu gehen und besonders gefährliche Auf-
gaben freiwillig zu übernehmen. Dr. E Hitschmann.
Julius Pikler, Hypothesenfreie Theorie der Gegenfarben.
A. Barth, Leipzig 1919, VIII, 104. (Erstes Heft der Schriften zur An-
passungstheorie des Empfindungsvorganges.)
Die hier entwickelte, sich den „Sinnesphysiologischen Untersuchungen“
anschließende, weder hypothesen- noch irrtumfreie Theorie gliedert sich
in zwei Teile, und zwar: 1. Theorie der tonfreien (schwarzen, d. h. dunklen
und. weißen, d. h. hellen) Farben, 2. Theorie der bunten Farben.
1. Nach P. gibt es keine Schwarz-Weiß-Substanz, wie sie die Hering-
sche Theorie annimmt, sondern es gibt einen mittleren Normalpunkt inner-
halb des der Helligkeit entsprechenden Geschehens; die E ntspannung
der eingestellten Anpassung an diesen Normalpunkt bildet die Grund-
lage der Dunkelheits-Empfindung, die weitere Anspannung entspricht
der Helligkeits-Empfindung. Infolge des Eingestelltseins verlangt eine
gewisse Lichtmenge keine Anpassungstätigkeit. Wäre die Anpas-
sungstheorie folgerichtig, so hieße das, daß diesem mittleren Zustand
keine Helligkeits-Empfindung oder eine qualitativ andersartige ent-
spricht; entspricht ihm aber ein gewisses Grau, wie es der Fall ist, so
paßt die Anpassungstheorie eigentlich nur die Feststellungen des Budapester
Professors Rev&sz über das „kritische Grau“ den eigenen Zwecken an,
ohne aber alle Erfahrungen bezüglich der Schwarz-Weiß-Empfindung er-
klären zu können.
2. Die bunten Farben will P. aus der tonfreien Helligkeit entstehend
wissen (die Idee stammt von Goethe). P. sagt: „Langwelliges Licht
ruft Rot, Gelbrot und Gelb hervor, indem es eben durch seine Langwellig-
keit, durch die Größe der Zeiträume, welche seine einzelnen Stöße auf
das Sehorgan voneinander trennen, oder überhaupt durch die Langsamkeit
der Folge seiner Schwingungen den Drang erweckt, Schwarz zu sehen,
wir aber diesen Drang wegen der Stärke, der großen Energie dieser Stöße
oder Schwingungen überwinden.“ Entsprechendes wird mit Hilfe der Be-
ar
Fe u Se ee ee ee NEE EIENERUEEREFDIEUEARIR
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374 Kritiken und Referate.
griffe „Drang Schwarz bzw. Weiß zu sehen“, „Überwindung des Dranges“
bezüglich aller Farben ausgesagt. Wieso kann aber in der Theorie der
spontanen Anpassung der Begriff eines durch äußere Ursache erzwungenen
Dranges (s. Seite 70) vorkommen, wieso der Begriff eines Dranges zur
falschen Anpassung, wieso der Begriff der Überwindung des Dranges?
Warum folgt aus der Anpassungstheorie, daß gerade die Folge der
Schwingungen zur falschen Anpassung drängt, nicht aber die Energie?
Die hier entwickelte Theorie der bunten Farben erklärt außerdem noch
zuwenig und zuviel: zuwenig, denn wir hören gar nichts’ dar-
über, warum die Qualitätsunterschiede Rot-Gelb, resp.
Grün-Rot vorhanden sind; nach der Theorie könnten einerseits
unter den den langwelligen, anderseits unter den den kurzwelligen Schwin-
gungen entsprechenden Farben nur Intensitäts(Helligkeits-)unterschiede
bestehen; die Anerkennung der evidenten Tatsache, daß rein Gelb
wesentlich anders aussieht, als rein Rot, ist der sich aufzwingende Drang,
dem nicht aus dem Wege zu gehen ist. Anderseits erklärt die Theorie
zuviel, denn ebenso wie es eine Überwindung gibt, die mit besonderer Qua-
lität einhergeht, müßten bei Mischungen Überwindungen von Überwin-
dungen usw. entstehen, die neue Qualitäten aufweisen sollten. — Die
experimentellen Beweise kranken sehr. P. versäumt den Einfluß der Be-
lichtung und Tourenzahl systematisch zu erforschen (die von Helm-
holtz stammenden diesbezüglichen Beobachtungen „wollen [ihm] nicht
gelingen“); seine „Experimente“ beweisen nur so viel, daß die erwartete
Farbe bei der Mischung Hell-Dunkel auch, nicht aber, daß nur diese
erscheint; eben das letztere wäre jedoch nachzuweisen.
Bezüglich des Schlafes hören wir die Behauptung, daß der Schlaf
Übung (nämlich Einübung der reinen Erhaltung des Ichs) sei; Wachsein
sei angepaßter Schlaf.
Zusammenfassend kann behauptet werden, daß die Anpassungstheorie
P.s im Gebiete der Farben vollständig fehlgeschlagen hat.
Dr. Imre Hermann, Budapest.
Paul Häberlin, Prof. a. d. Universität Bern, Das Zielder Erziehung.
(Kober, C. F. Spittlers Nachfolger, Basel 1917.)
Der Inhalt des Buches gliedert sich in zwei Hauptteile, leren erster
die Bedeutung der Zielfrage, die möglichen Standpunkte bei der Problem-
stellung, den Begriff der „Idee“ und des göttlichen Willens, der Frömmig-
keit, ihre Rolle für die Kultur und für die Bestimmung des Einzelnen
erörtert. Der zweite Teil handelt vom Begriff und Sinn der Erziehung,
von den Formen des Zieles, der Grundlegung des „rechten Willens“, der
Hingabe des Zöglings an die Pflicht.
Erstes Ziel einer „rechten“ Erziehung ist Häberlin, einen ‚„from-.
men und freien Menschen zu bilden“, wobei er Frömmigkeit als die Er-
kenntnis „der Hingabe an das Absolute“, die den Menschen sich als
„Mitarbeiter Gottes“ fühlen läßt, bezeichnet. Auch in dieser Arbeit unter-
sucht der Autor den Begriff des „Gewissens“, und zwar nennt er ihn den
„psychologischen Ort der Berufseinsicht“, das ist ‚der persönlich ge-
wendeten Einsicht in die Idee selber“. Die Forderung, im Zögling „Ur-
teilsfähigkeit“ und „Berufstüchtigkeit“ mit ihren beiden Komponenten
„Gesund-“ und „Berufsgeschicklichkeit oder Talent“ zu wecken und zu
Kritiken und Referate. ‚37T
bilden, beschließt die Arbeit, die dem Leser den hohen sittlichen Ernst,
mit dem der Autor an das Erziehungsproblem herantritt, in jeder Zeile
kündet. - Dr. H. v. Hug-Hellmuth.
E. Wolfram, Gegen Psycho-Analyse. Imagination: Zerr-
bild und Angesicht. (M. Altmann, Leipzig 1918.)
Die Anthroposophie Dr. Rudolf Steiners — gegen die Psychoanalyse.
Philosophische Auseinandersetzung mit Freud, Marcinowsky, Jung
und — Hermann Bahr. Das kindliche Sexualleben — ein Wahn. — Der-
Mensch stammt nicht vom Tierreich ab. — Der Geist der Plazenta ; die
Plazenta die Zeusinsel Hesiods. — Abstammung aller Kreaturen vom Men-
schen. — Der astralische Leib als Prinzip der Bewegung usw. usw.
Dr. E. H.
Korrespondenzblatt
der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
Nr. 4. 1920.
Bericht über den VI. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß
im Haag,
8. bis 11. September 1920.
Vorbericht.
Die auf dem V. Budapester Kongreß, September 1918, von der
kurz zuvor gegründeten Niederländischen Zweigvereinigung ergan-
gene Einladung zur Abhaltung des-nächsten Kongresses in Holland,
die damals ziemlich utopistisch klang, konnte dank besonderer Gunst
der Verhältnisse durch Abhaltung dieser Tagung im Haag ver-
wirklicht werden. Nach dem letzten Kongreß, der wesentlich
ein Kongreß der Mittelmächte gewesen war, empfahl sich ein neu-
traler Boden zur Veranstaltung des ersten Kongresses nach dem
Kriege ganz besonders, und die Psychoanalyse darf sich rühmen,
zum erstenmal nach der Kriegszeit einen wirklich internationalen
Kongreß zu stande gebracht zu haben, an dem sich Vertreter von
bis vor kurzem noch feindlichen Nationen zu gemeinsamer wissen-
schaftlicher Arbeit zusammenfanden.
Der Kongreß, der sich wissenschaftlich wie auch gesellschaft-
lich zu einem der glänzendsten gestaltete, wurde von der provi-
sorischen Zentralleitung in London (Präsident Dr. Ernest Jones,
Schriftführer Mr. 'J. C. Flügel) im Zusammenwirken mit dem
vorbereitenden holländischen Empfangskomitee, bestehend aus (en
Funktionären der Niederländischen Gruppe: dem Vorsitzenden Dr.
J. E. G. van Emden, dem Schriftführer Dr. A. F. Meijer und
dem Schatzmeister Dr. J. H. W. van Ophuijsen in vorbildlicher
Weise organisiert und vorbereitet.
Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. 377
Am Vorabend des eigentlichen Kongresses, Dienstag den 7. Sep-
tember um halb 9 Uhr abends, fand eine inoffizielle Zusammen-
kunft, der Kongreßteilnehmer statt, bei der Dr. van Emden namens
der holländischen Gruppe die Gäste begrüßte und herzlich will-
kommen hieß,
Kongreßbericht.
Der VI. Internationale Psychoanalytische Kongreß fand unter
Vorsitz des letzten gewählten Präsidenten der Vereinigung, Dr. 8.
Ferenczi (Budapest), vom 8. bis einschließlich 11. September im
Saale Louis XV. des Gebäudes der Künstlervereinigung „Pulchri
Studio“ statt. Als Kongreßsekretär fungierte der derzeitige provi-
sorische Zentralsekretär der Vereinigung Mr. J. C. Flügel (London).
Kongreßteilnehmer:
1. Mitglieder:
Dr. Karl Abraham, Berlin.
Dr. Ludwig Binswanger, Kreuz-
lingen.
Dr. Felix Boehm, Berlin.
Prof. Dr. G. Jelgersma, Leiden.
Dr. Ernest Jones, London.
Dr. Sala Kempner, Rheinau.
Melanie Klein, Budapest.
Dr. K. H. Bouman, Amsterdam. Miss Barbara Low, London.
Dr. Douglas Bryan, London. Dr. Hans Liebermann, Berlin.
Dr. A. van der Chijs, Amsterdam. Dr. B. van der Linde, Hilversum.
Dr. H. W. Cox, Den Dolder. Dr. A. F. Meijer, Haag.
Dr. Helene Deutsch, Wien. Dr. Fred Muller, Haarlem.
Dr. M. Eitingon, Berlin. Dr. F. P. Muller, Leiden.
Dr. J. E. G. van Emden, Haag. Dr. J. W. H. v. Ophuijsen, Haag.
Dr. H. Endtz, Leiden. Pfarrer Dr. O. Pfister, Zürich.
Dr. Dorian Feigenbaum, Lugano. Dr. Otto Rank, Wien.
Dr. S. Ferenezi, Budapest. Dr. Stanford Read, Salisbury.
Mr. J. C. Flügel, London. Dr. A. W. van Rentherghem,
Dr. David Forsyth, London. Amsterdam. R
Dr. R. H. Foerster, Hamburg. Dr. Theodor Reik, Wien.
Prof. Dr. S. Freud, Wien. Dr. R. M. Riggall, London.
Dr. GeorgGroddeck, Baden-Baden. Mrs. Joan Riviere, London.
Dr. U. Grüninger, Zürich. Dr. Geza Röheim, Budapest.
Dr. v. Hattingberg, München. Dr. I. M. Rombouts, Leiden.
Mr. Eric Hiller, London. Dr. Hanns Sachs, Wien.
Dr. Eduard Hitschmann, Wien. Dr. Raymond de Saussure, Geneve.
Dr.I.H.vanderHoop, Amsterdam. Dr. Philipp Sarasin, Rheinau.
Dr. Karen Horney, Berlin. Dr. Ernst Simmel, Berlin.
Dr. HermineHug-Hellmuth, Wien. Eugenia Sokolnicka, Warschau.
Internat, Zeitschr. f. Psychoanalyse. VI/4. 25
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378 Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
Dr. Sabina Spielrein-Scheftel,
Lausanne-Geneve.
Dr. A. Stärcke, Den. Dolder.
Dr. MargareteStegmann, Dresden.
Dr. Adolph Stern, New York.
Dr. W. H. B. Stoddart, London.
Dr. A. J. Westerman: Holstijn,
Leiden.
Dr. W. Wittenberg, München.
2. Außerordentliche Mitglieder (Assoeiate Members der „British
Society‘):
Dr. Estelle Maude Cole, London.
Dr. W. J. Jago, London.
Mrs. S. ©. Porter, London.
Dr. T. W. Mitchell, Hadlow
(Kent).
Dr. M. B. Wright, London.
3. Gäste:
Prof. Dr. L. Bouman, Amsterdam.
Dr. G. D. Cohen Tervaert, Haag.
Frau M. Cohen Tervaert-Israels.
Frau A. van Emden, Haag.
Frl. K. van Emden, Haag.
Frau J. Fazer, Haag.
Frau Gisella Ferenezi, Budapest.
Dr. Henri Flournoy, Geneve.
Mrs. Ingeborg Flügel, London.
Frl. Anna, Freud, Wien.
Prof. Dr. phil. W. Frost, Bonn.
Frau Maria Frost, Bonn.
Frau M. de Graag, Haag.
. Dr. Chr.. A. van Geuns, Haag.
Dr. James Glover, London.
Dr. P. Bierens de Haan, Utrecht.
Frau E. van Hall-(van Panhujjs),
Haarlem.
Pfr. A.H. de Hartog, Amsterdam.
Mrs. E. B. M. Herford, Reading.
Frau L. A. van der Hoop, Amster-
dam.
Dr. A. W. Mulock Houwer, Am-
sterdam.
H. Hushahn, Scheveningen.
Dr. S. Jacobs, Haag.
Dr. G. J. B. A. Janssens,
Oegstgeest.
Dr. A. Kiewiet de Jonge, Leiden.
Frau A. F. J. W. Keiser, Haag.
Dr. jur. J. Kunst, Haag.
Dr. Hans Lampl, Wien.
A. P. H. de Lange, Alkmaar.
Dr. J. J. Lantingh, Groningen.
Mr. Th. J. Libbin, z.Z. Zürich.
van Lier, Haag.
Frau G. A. J. Posthumus Meyjes,
Aerdenhout.
Dr.8.J. R. de Monchy, Amsterdam.
Dr. phil. C. Müller-Braunschweig,
Berlin-Schmargendorf.
Dr. R. van Ommen, Amsterdam.
Frau A. van Ophuijsen, Haag.
Dr. Ada Potter, Utrecht.
Frits van Raalte, Amsterdam.
Frau Beata Rank, Wien.
John Rickman, Cambridge.
Mrs. Riggall, London.
Dr. Olga Ripke, Utrecht.
Dr. H. ©. Rümke, Amsterdam.
Mme. Ariane de Saussure, Genöve.
W. Schuurman, Amsterdam.
Mrs. E. H. Sickert, London.
Dr. H. P. A. Smit, Haag.
Dr. J. van de Spek, Den Dolder.
Dr. H. W. Stenvers, Utrecht.
Mrs. Stoddard, London.
Dr. H. van der Hoeven, Utrecht.
Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. 379
Dr. jur. J. H. van der Vies, Am- Frau Dr. L. Wenninger-Hulsebos.
sterdam. Dr. phil. ©. J. Wymnaendts
S. M. Truetzschler, Haag. Francken, Leiden.
Dr. phil. J. Varendonck, Gent. :
Das Programm:
Mittwoch, 8. September. Vormittag: Vorsitzender Dr. 8. Fe-
renczi. — Einleitende Reden von Dr. Ferenczi und Dr. Ernest
Jones (mit Hinweisen auf Agenden für die Geschäftssitzung). —
Nachmittag: Vorsitzender Dr. van Emden. — Dr. Abraham:
Über den weiblichen Kastrationskomplex. — Dr. Helene Deutsch:
Über das Mißtrauen. — Dr. Stärcke: Der Kastrationskomplex. —
Dr. v. Hattingberg: Übertragung und Objektwahl; ihre Bedeu-
tung für die Trieblehre. — Mr. Flügel: On the Biological Basis
of Sexual Repression.
Donnerstag, 9. September. Vormittag: Vorsitzender Dr. Abra-
ham. — Prof. Jelgersma: Psychoanalytischer Beitrag zur
Theorie des Gefühles. — Dr. Hanns Sachs: Gemeinsame Tagträume.
— Dr. Th. Reik: Ein Beitrag zur analytischen Religionspsycho-
logie. — Dr. G. Röheim: Central Australian Totemism. -— Dr.
Simmel: Zur Psychoanalyse des Spielers. — Nachmittag: Vor-
sitzender Dr. O. Pfister. — Prof. Freud: Ergänzungen zur
Traumlehre. — Dr. Ferenezi: Weiterer Ausbau der aktiven
Technik in der Psychoanalyse. — Eugenia Sokolnicka: Zur Sym-
ptomatologie und Diagnostik in der psychoanalytischen Neurosen-
lehre. — Dr. Groddeck: Über die psychoanalytische Behandlung
organischer Krankheiten.
Freitag, 10. September. Vormittag: Vorsitzender Dr. Adolph
Stern. — Thema: Psychoanalyse und Psychiatrie. Referenten:
Dr. Binswanger und Dr. Stärcke.
Samstag, 11. September. Vormittag: Vorsitzender Dr. 8. Fe-
renczi. — Geschäftssitzung. — Nachmittag: Vorsitzender Doktor
Ernest Jones. — Pfarrer O. Pfister: Die Bedeutung der Freud-
schen Psychoanalyse für die Staats- und Gesellschaftslehre. — Dr.
Sabina Spielrein-Scheftel: Zur Frage der Entstehung und
Entwicklung der Lautsprache. — Dr. Margarete Stegmann: Über
Form und Inhalt der Psychoanalyse. — Dr. Hermine Hug-Hell-
muth: Zur Technik der Kinderanalyse.
Sitzungsberichte.
Präsident Dr. S. Ferenczi eröffnet als Vorsitzender den von
der Leitung der „Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung“
25*
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380 Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
einberufenen VI. Kongreß mit einer warmen Begrüßung der aus
den verschiedenen Ländern zusammengekommenen Mitglieder wie
der Gäste und konstatiert, daß die Zweigvereinigungen Berlin, Hol-
land, New York, Uhgarn und Wien vertreten sind.
Vor Eingang in die weiteren Verhandlungen sei die erfreuliche
Tatsache zu berichten, daß seit dem letzten Kongreß in Budapest
im Jahre 1918 zwei neue Zweigvereinigungen sich konstituiert hätten,
die um Angliederung an die Internationale Vereinigung ansuchen:
die „British Psycho-Analytical Society“ und die
„Schweizerische Gesellschaft für Psychoanalyse“,
die beide bereits eine stattliche Mitgliederzahl aufweisen. Die Zen-
tralleitung hat diesen: beiden Gruppen, unter deren Mitgliedern sich
altbewährte Mitarbeiter befinden, interimistisch die Aufnahme zuer-
kannt und beantragt nunmehr, diese provisorische Angliederung offi-
ziell zu machen, so daß die — besonders von der britischen Gruppe —
zahlreich erschienenen Mitglieder bereits als vollberechtigte Kongreß-
mitglieder an dieser Versammlung teilnehmen können. Nach er-
folgter Abstimmung konstatiert der Vorsitzende den formellen An-
schluß der beiden genannten Zweigvereinigungen und drückt den
betreffenden Vorständen für die vorbereitende Tätigkeit den Dank
der Vereinigung aus.
Sodann hebt der Vorsitzende die auch während des Krieges
unerschüttert gebliebene Solidarität der Psychoanalytiker hervor und
betont, daß nicht nur unsere Zeitschriften anscheinend die einzigen
gewesen seien, die ihren internationalen Charakter trotz verschie-
dener Schwierigkeiten nicht einen Augenblick fallen ließen, sondern
daß auch dieser Kongreß die erste wirklich internationale wissen-
schaftliche Zusammenkunft von Angehörigen ehemals feindlicher
Nationen sei. Bei dieser Gelegenheit gedenkt der Vorsitzende auch
dankbar der hilfsbereiten Vermittlung der Kollegen in den neutralen
Ländern, durch die eine Kommunikation der im Kriege voneinander
abgeschnittenen Ortsgruppen ermöglicht wurde.
Nach einem längeren Rückblick auf die Schicksale der Ver-
einigung seit ihrer Gründung kommt der Vorsitzende auch auf die
Schwierigkeiten und hemmenden Einflüsse der Kriegszeit zu spre-
chen und rechtfertigt die im Laufe des vorigen Jahres unter dem
Zwang der Verhältnisse erfolgte Übergabe seiner Agenden als Prä-
sident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung zunächst
an die Wiener Gruppe, sodann an Dr. Ernest Jones in London, dem
er an dieser Stelle den Dank für die geleistete Hilfe und seine
unermüdliche Tätigkeit ausspricht.
Auf die bedeutsamsten Vorgänge seit dem letzten Kongreß
übergehend gedenkt der Vorsitzende zunächst derer, die heute in
Korrespondenzblatt der. Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. 381
unseren Reihen fehlen müssen: zuvörderst des Nestors der Psycho-
analytiker James Jackson Putnam, Emer. Professors der Harvard
University, der, eine der Hauptstützen unserer Vereinigung in den
Vereinigten. Staaten, seine ganze Autorität für die Analyse ein-
setzte und bis zuletzt ein eifriger Anhänger und Förderer unserer
Bestrebungen blieb. Seine gesammelten Arbeiten zur Psychoanalyse
sollen bald in Buchform erscheinen. Des weiteren seien drei Opfer
zu beklagen, die der Weltkrieg aus den Reihen unserer Mitarbeiter
forderte: der Präsident der „American Psychoanalytie Society“
Reginald Allen, Neurologe aus Philadelphia, und das Mitglied der
New Yorker Gruppe Morris Karpas, fanden im Dienste der ame-
rikanischen Armee auf dem europäischen Kriegsschauplatz in Frank-
reich den Tod. Endlich der in theoretischer und didaktischer Hin-
sicht gleich begabte Wiener Analytiker Dr. Viktor Tausk, der
sich, nachdem er jahrelang im Felde seinem Beruf entrissen, einer
schweren körperlichen Krankheit verfallen und auch seelisch zusam-
mengebrochen war, das Leben nahm. Persönlich am schwersten be-
trauert der Vorsitzende schließlich das Hinscheiden des letzten
Zentralsekretärs Dr. Anton v. Freund in Budapest, der eben im
Begriffe war, seinen sozialen und materiellen Einfluß sowie sein
persönliches Organisationstalent in den Dienst der Psychoanalyse
zu stellen, als eine bösartige Krankheit ihn in wenigen Monaten
dahinraffte.
Ihm war es leider nicht mehr vergönnt, im Sinne seiner sozialen
Hilfsbereitschaft für die Psychoanalyse zu wirken, aber einen Teil
seiner Absichten gestattete ihm ein günstiges Schicksal doch noch
zu verwirklichen. Bereits auf dem letzten Kongreß in Budapest
hatte Dr. v. Freund eine für die damaligen Verhältnisse recht
beträchtliche Summe zu humanitären Zwecken in einem Fonds ge-
sammelt, über dessen Verwendung er selbst im Einvernehmen mit
dem Bürgermeister von Budapest zu verfügen hatte. Ein Teil der
Summe wurde damals Prof. Freud mit der Bestimmung über-
geben, sie in seinem Sinne zur Förderung psychoanalytischer Zwecke
zu verwenden. Prof. Freud bestimmte einen großen Teil dieser
Summe zur Subventionierung unserer beiden offiziellen Zeitschriften,
und zwar im Rahmen eines mit diesem Kapital gegründeten „Inter-
nationalen psychoanalytischen Verlages“, der gleichzeitig nit der Her-
ausgabe von Büchern: begann, von denen bereits eine ganze Anzahl
erschienen sind. Der Vorsitzende würdigt dann die Tätigkeit des
Verlagsleiters Dr. Otto Rank und spricht ihm den Dank der Ver-
einigung für seine aufopferungsvolle Tätigkeit aus. Im Zusammen-
hang damit verweist der Vorsitzende darauf, daß Prof. Freud
bei Übernahme des Budapester Fonds auch literarische Preise aus-
-
382 Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
setzte, die bei der ersten Verteilung Dr. K. Abraham, Berlin,
Dr. Ernst Simmel, Berlin, und Dr. Th. Reik, Wien, zugesprochen
wurden.
Um dem großen Interesse, das sich in den englisch sprechenden
Ländern für die Psychoanalyse kundgab, entgegenzukommen, be-
schloß der Verlag, neben den beiden deutschen offiziellen Zeitschriften
auch die Ausgabe eines „International JournalofPsyceho-
Analysis“, dessen Herausgeber Prof. Freud mit der proviso-
rischen Redaktion Ernest Jones in London betraute. Der Vor-
sitzende begründet die Herausgabe dieser neuen Zeitschrift und
spricht allen daran beteiligten Kräften den Dank aus.
Ein weiterer Markstein in der psychoanalytischen Bewegung
ist die Gründung der ersten PsychoanalytischenPoliklinik
in Berlin. Auf dem Budapester Kongreß hatte Prof. Freud die
Anregung zur Schaffung derartiger poliklinischer Anstalten für
psychoanalytische Behandlung gegeben. Der erste Plan zur Grün-
dung einer solchen Anstalt, verbunden mit einer psychoanalytischen
Zentralstelle, stammte von dem leider viel zu früh dahingeschie-
denen Dr. v. Freund und war für Budapest bestimmt. Doch
griff ein anderes unserer Mitglieder die Idee auf, sammelte die
nötigen Mittel und übergab die alsbald fertiggestellte Anstalt der
Berliner Psychoanalytischen Vereinigung. Heute ist diese Poli-
klinik bereits in voller Tätigkeit und scheint sich rasch zu einer
bedeutsamen Institution zu entwickeln. Möge dieses Beispiel auch
in den anderen großen Städten Nachahmer finden.
Schließlich weist der Vorsitzende noch darauf hin, daß der
Krieg für die Psychoanalyse einen großen Erfolg gebracht habe,
indem die bei allen Kriegführenden gewaltige Zahl von Kriegs-
neurosen endlich auch die maßgebenden offiziellen Persönlichkeiten
auf medizinischem Gebiete von der Psychogeneität, wenigstens der
traumatischen Neurosen, überzeugte. Die deutschen, österreichischen
und ungarischen Heeresverwaltungen begannen sich bald nach dem
Budapester Kongreß ernstlich mit der Schaffung eigener psycho-
analytischen Stationen bei ihren Armeen zu beschäftigen und
wurden nur durch das eintretende Kriegsende an der Verwirk-
lichung dieser Absicht gehindert. Auch in England sollen sieh
übrigens im Laufe des Krieges die Anschauungen über die Kriegs-
neurosen immer mehr den von der Psychoanalyse vertretenen ge-
nähert haben. Jedenfalls haben die Erfahrungen im Kriege die
Verbreitung und das Interesse an der Psychoanalyse in der ganzen
Welt mächtig gefördert.
Was die inneren Fortschritte der psychoanalytischen Erkennt-
nisse betrifft, verweist Vorsitzender auf das englisch-amerikanische
Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. 383
Sammelreferat in der’ ersten Nummer des „Journal“ und das deutsche
Sammelreferat über die Fortschritte der Psychoanalyse seit 1914,
das demnächst als Beiheft zur Internationalen Zeitschrift für Psycho-
analyse erscheinen wird.
Nach diesem kurzen Überblick über die wichtigsten. Ereig-
nisse und Fortschritte der Psychoanalyse lenkt der Vorsitzende die
Aufmerksamkeit wieder auf die Agenden dieses Kongresses, um
dessen Zustandekommen sich die niederländische Zweigvereinigung
besonders verdient gemacht habe. Ganz besonderer Dank des Kon-
gresses gebühre dem holländischen Komitee, bestehend aus dem
Vorsitzenden der niederländischen Gruppe Dr. van Emden, dem
Schatzmeister Dr. van Ophuijsen und dem Schriftführer Dr. A.
F. Meijer, für die glänzende Vorbereitung des Kongresses und
den überaus gastfreundlichen Empfang.
Begrüßungstelegramme sind eingelangt: von der Poliklinik in
Berlin, ferner aus Wien von Dr. Jekels und Dr. N unberg,
die nicht erschienen waren. Dr. Paul Federn, Wien, war durch
eine schwere Erkrankung in seiner Familie am Kommen verhindert,
Dr. Bernfeld, Wien, durch einen nahen Todesfall, und Dr. Ober-
holzer, Zürich, hatte in einem ausführlichen Schreiben sein Be-
dauern ausgesprochen, daß es ihm als Präsidenten der neuen Schwei-
zerischen Gruppe nicht vergönnt sei, am Kongreß teilzunehmen.
Schließlich macht der Vorsitzende noch Mitteilungen über die
Geschäftsordnung der Sitzungen sowie über die Tagesordnung der
geschäftlichen Beratung, zu der nur ordentliche Mitglieder Zutritt
haben.
Der Vorsitzende ersucht hierauf den stellvertretenden Präsi-
denten Dr. Ernest Jones, das Gesagte für die englisch sprechen-
den Mitglieder zu verdolmetschen und seinerseits einen Überblick
über die psychoanalytische Bewegung in den anglo-amerikanischen
Ländern zu geben.
Dr. Ernest Jones (London) übermittelt zunächst den fest-
ländischen Mitgliedern die Grüße der englischen Kollegen und gibt
in ihrem Namen der Freude Ausdruck, daß der Kongreß die eng-
lische Gruppe endgültig angegliedert habe.
Sodann erstattet er kurz Bericht über die Bewegung in Ame-
rika und England während der letzten Jahre. In Amerika be-
stehen zwei Ortsgruppen. Die eine, die National-Amerika-
nische Gesellschaft, deren jetziger Präsident Dr. Brill ist, tritt
nur einmal jährlich, und zwar im Mai, zusammen. Sie ist ein
ERS nenne
==
Sesssezeen
a
384 Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
locker zusammengefügter Verband, dessen Mitglieder von weit ent-
fernten Orten in regelmäßigen Abständen zusammentreten.
In New York selbst, wo die zweite Ortsgruppe sich be-
findet, deren Präsident Dr. Oberndorf ist, bleiben manche Ana-
lytiker der Ortsgruppe fern, so daß sie eigentlich nur einen Teil
der dortigen Bewegung bildet. Wie aber die Berichte in den Zeit-
schriften zeigen, ist die Tätigkeit dieser Ortsgruppe hoch zu
schätzen.
Der Vorschlag, eine dritte Gruppe in Boston zu gründen, ist
leider an einem traurigen Ereignis gescheitert, nämlich am Tode
einer hochgeschätzten Persönlichkeit, die wir sehr vermissen: Prof.
Putnams.
In London hat sich 1914 eine kleine Ortsgruppe geformt,
die aber infolge von Meinungsverschiedenheiten nur zwei Jahre be-
stand. Im März des vorigen Jahres wurde dann eine neue britische
Gruppe ins Leben gerufen, die heute auf dem Kongreß stark ver-
treten ist. Die Zahl der Mitglieder der drei genannten Gruppen
beträgt zurzeit etwa 70, von: denen mehr als die Hälfte zu Amerika
gehören !).
Die Hauptschwierigkeit dieser Ortsgruppen bestehe darin, die
richtige Zusammensetzung der Mitglieder zu erzielen. Diese Schwie-
rigkeit zeige sich auf zweierlei Art. Erstens darin, daß einige,
die auf dem Gebiete der Psychoanalyse arbeiten, nicht den Wunsch
haben, der Ortsgruppe beizutreten, und anderseits darin, daß viele
diesen Wunsch haben, die eigentlich auf diesem Gebiete nicht ar-
beiten. Beide Schwierigkeiten weisen aber immerhin auf ein fort-
schreitendes Interesse an unserer Bewegung hin. Auf dem Festland
habe man strengere Bedingungen zum Eintritt in die verschiedenen
Ortsgruppen aufgestellt, als dies in Amerika und England ratsam
zu sein scheint. In Amerika insbesondere sei man mit den Eintritts-
bedingungen ziemlich nachsichtig. In England sei ein Kompromiß
gefunden worden, der darin bestehe, daß zwei Grade von Mitgliedern
unterschieden werden: members und associate members — etwa or-
dentliche und außerordentliche Mitglieder. Die Unterschiede zwi-
schen den beiden sind: 1. daß die außerordentlichen Mitglieder nur
für je ein Jahr gewählt werden, und 2. daß sie den Geschäfts-
sitzungen nicht beiwohnen dürfen. Diese außerordentliche Mitglied-
schaft wird also quasi als ein Provisorium angesehen.
1) Während des Druckes erreicht uns die traurige Nachricht, daß eines der
in Indien lebenden Mitglieder der britischen Gruppe, Lt. Col. Sutherland,
im heurigen Sommer in Kalkutta gestorben ist.
Korrespondenzblatt der Internationalen Psyehoanalytischen Vereinigung. 385
Diese Schwierigkeit in der Auswahl von Mitgliedern häbe ihren
Ursprung in der umfassenderen Frage der Einstellung der Außen-
welt zur Psychoanalyse.
Während die letzten Ursachen der Widerstände gegen die
Psychoanalyse im großen und ganzen überall die gleichen sind,
zeigen sich gewisse Unterschiede in den Formen, in denen diese
in verschiedenen Ländern zu Tage treten. In Amerika z. B.
scheint nun das herrschende Charakteristikum zu sein, daß man
die Ergebnisse der Psychoanalyse annimmt und schlechthin als
Gemeingut betrachtet, ohne mehr gegen sie zu polemisieren, aber
auch ohne sich weiter viel um sie zu bekümmern. Mit anderen
Worten: die Bedeutung der Psychoanalyse scheint dort etwas ver-
blaßt; sie ist ein wenig aus der Mode gekommen.
Auch in England hat die offene, heftige Kritik stark nach-
gelassen, obgleich die Bedeutung der Psychoanalyse — im Gegen-
satz zu Amerika — ziemlich allgemein anerkannt ist. Hier ist
der Widerstand auf einem anderen Gebiete hervorgetreten, und
zwar auf dem therapeutischen. Dies mag teilweise in dem prak-
tischen Charakter der Engländer liegen, teilweise in dem Umstand,
daß so viele unserer Ärzte durch das Studium der Kriegsneurosen
zur Psychoanalyse gekommen sind, das heißt, durch Fälle, die zur
Erlernung und Erprobung der regelrechten Analyse schlecht ge-
eignet sind und in denen irgend eine Modifizierung der Analyse
sicherlich am Platze ist. Das Resultat ist, daß man oft eine
Mischung von Psychoanalyse, Suggestion und der Breuerschen
abreagierenden Katharsis findet; eine genügend strenge Grenzlinie
zwischen diesen drei Methoden wird nicht gezogen. Man empfindet
ein starkes Bedürfnis nach einer abgekürzten Analyse und hat die
größte Schwierigkeit, darauf hinzuweisen, daß Modifizierungen der
regelrechten psychoanalytischen Technik einer genauen Kenntnis
derselben nur folgen, nicht aber ihr vorangehen können. Hier, wie
oftmals anderswo, gilt der Satz, daß ein scheinbarer Umweg oft
der kürzeste Weg ist.
Aus mehreren Gründen, von denen einer insbesondere die Not-
wendigkeit war, diesen und anderen Irrtümern entgegenzutreten, ist
vor kurzem von dem „Internationalen Psychoanalytischen Verlag“
ein englisches Journal gegründet worden, und wir hoffen,
daß wir das Einverständnis des Kongresses erlangen werden, es
als offizielles Organ der Vereinigung fungieren zu lassen. Es soll
als Schwesterblatt der „Zeitschrift“ und der „Imago“ erscheinen,
ebenfalls unter der Leitung von Prof. Freud, und auch das
Korrespondenzblatt der Vereinigung veröffentlichen. Es ist ferner
geplant, daß ausgewählte Artikel und Referate zwischen den beiden
x
een
386 Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
deutschen und dem englischen Organ ausgetauscht werden. Auf
solche Weise gedenken wir die zentripetalen Kräfte, welche das
Gemeinsame unserer Bewegung hervorheben, zu festigen.
Nunmehr erteilt der Vorsitzende Dr. Ferenczi den Vor-
ständen. der einzelnen Zweigvereinigungen das ‚Wort zur Mitteilung
bedeutsamer Vorgänge in ihrer Gruppe.
Abraham (Berlin) berichtet kurz über die Tätigkeit der
Berliner Poliklinik und wird dabei von Dr. Eitingon und Dr.
Simmel ergänzt.
Van Emden (Haag) berichtet über das zunehmende Interesse
der offiziellen psychiatrischen Kreise in Holland sowie über das
erfreuliche Anwachsen der Mitgliederzahl trotz rigoroser Aufnahme-
bestimmungen.
Frewd (Wien) berichtet, daß nach dem Vorbild des allzufrüh
dahingegangenen Dr. von Freund durch die Mwnifizenz eines
anderen Mitgliedes ein neuer, psychoanalytischen Zweeken gewid-
meter Fonds zu stande gebracht worden sei, der die weitere Tä-
tigkeit des Verlages sichert. Zum Berichte über dieselbe wird das
Wort an Dr. Rank erteilt, der eine kurze Übersicht über das
bisher vom Verlag Geleistete gibt und die für die nächste Zeit
geplanten Unternehmungen ankündigt.
Pfister (Zürich) dankt im Namen der bereits auf 35 Mit-
glieder angewachsenen Schweizerischen Gruppe für die Aufnahme
in den Internationalen Verband und
Ferenczi (Budapest) berichtet über die unter den ungünstig-
sten und schwierigsten Verhältnissen fleißig fortgeführte Arbeit der
ungarischen Gruppe.
Stern (New York) gibt einen kurzen Bericht über die Be-
wegung in Amerika und besonders über die Tätigkeit der New Yorker
Gruppe. Er führt aus:
Wie in anderen Ländern, so hat auch in Amerika die Psycho-
analyse während und nach dem Kriege große Fortschritte gemacht.
Allerdings darf dabei der Ausdruck „Psychoanalyse“ nicht in
dem streng Freudschen Sinne genommen werden. Die Ergebnisse
der Psychoanalyse werden auch von solchen angewandt, die einige
ihrer wichtigsten Grundsätze ablehnen, sie aber doch unter an-
(deren Namen einführen. Großes Interesse zeigt sich nicht nur
auf dem Gebiete der Neurosen und Psychosen, sondern auch in
Hinsicht auf Erziehungsfragen und soziale Probleme.
Einen guten Maßstab zur Beurteilung des Fortschrittes bildet
jedenfalls die wachsende Zahl von Artikeln über Psychoanalyse in
.den Zeitschriften, welche vorher solche Artikel entweder nur in
Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. 387
kleiner Anzahl gedruckt oder sie überhaupt zurückgewiesen haben.
Dies mag allerdings nicht so sehr auf die Zustimmung dieser Zeit-
schriften den psychoanalytischen Funden gegenüber hinweisen, als
auf die Nötigung, das zu publizieren, wonach ein steigendes Ver-
langen deutlich ist.
Es wird viel „wilde“ Psychoanalyse in Amerika getrieben und
bis jetzt hat man noch kein wirksames Mittel dagegen gefunden.
Was nun die New Yorker Psychoanalytische Orts
gruppe betrifit, so ist ihre Mitgliedschaft in: den letzten Jahren
bedeutend angewachsen und die neuen Mitglieder zeigen großes
Interesse. Es ist allerdings abzuwarten, ob der erste Enthusiasmus
zur Überwindung der langwierigen Lernzeit ausreichen wird. Man-
che halten die gegenwärtig geübte Technik für zu zeitraubend und
drängen auf ein abgekürztes Verfahren.
Außer der New Yorker gibt es bis jetzt keine anderen Orts-
gruppen in Amerika. Allerdings gibt es Ärzte in anderen Städten
der Vereinigten Staaten, die gute Psychoanalytiker sind. Im ganzen
macht die Bewegung in Amerika gute Fortschritte.
Geschäftliehe Sitzung.
Vorsitzender Dr. Ferenezi beantragt, daß die Statuten-
änderungen, die seit dem Nürnberger Statut (1910) provisorisch
von den Internationalen Präsidentschaften instituiert wurden, auch
formell vom jetzigen Kongreß verifiziert werden mögen. Diese Än-
derungen seien abgedruckt im „Korrespondenzblatt“ des Jahres 1919,
und zwar in Nr. 2 vom April und Nr. 4 vom Oktober.
Dr. Ophuijsen (Haag) beantragt vor Annahme dieser Ab-
änderungen den Artikel I durch stilistische Verbesserung sinnge-
mäßer zu fassen. Nach seinem Vorschlag wird nachstehende Fassung
angenommen.
„Die Vereinigung trägt als Zentralverband der bereits be-
stehenden und in der Zukunft sich bildenden nationalen oder ört-
lichen psychoanalytischen Vereinigungen (Zweigvereinigungen) den
Namen ‚Internationale Psychoanalytische Vereinigung“‘.“
Es werden sodann vom Kongreß die seit dem Nürnberger Statut
vorgenommenen Änderungen (einschließlich der zuletzt vorgeschla-
genen des Art. I) angenommen, insbesondere aber das von Ernest
Jones (London) und Dr. Otto Rank (Wien) begründete zeitge-
mäße Zurückgreifen auf die ursprüngliche Fassung des Artikels V,
der von den Beiträgen der Mitglieder handelt, einstimmig gebilligt;
auf den Vorschlag von Dr. Ernest Jones wird dann noch dieser
Punkt durch Einfügung des Äquivalents von acht Schillingen als
388 Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
Beitrag für die Britische Gruppe ergänzt. Auch die im Zusammen-
hange damit von den beiden genannten Referenten begründete Fest-
setzung des Abonnementspreises der beiden offiziellen Zeitschriften
in der Valuta des betreffenden Gruppenlandes wird vom Kongreß
einhellig gutgeheißen.
Pfarrer Pfister (Zürich) stellt folgenden Antrag: Die Lei-
tung der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung wird auf-
gefordert zu prüfen und dem nächsten Kongreß Vorschläge darüber
zu unterbreiten, ob und eventuell unter welchen Bedingungen Di-
plome für Psychoanalytiker ausgestellt werden sollen.
Sachs (Wien) beantragt die Annahme dieses wichtigen und
vorsichtig formulierten. Antrages.
Liebermann (Berlin) möchte, daß sich der Kongreß jetzt
über diese Frage schlüssig werde.
Eitingon (Berlin) hält den Antrag in dieser Form für nicht
akzeptabel, gesteht aber die Wichtigkeit zu, einen Weg zu finden,
der das Diplom dann nicht mehr nötig mache.
Freud (Wien) erklärt das Thema für so kompliziert und
wichtig, daß es ohne Vorbereitung nicht Gegenstand der Beratung
werden könne und schließt sich darum dem Antrag an, es dem
nächsten Kongreß vorzubehalten.
Abraham (Berlin) stimmt zu, hält aber den angegebenen
Weg nicht ohne weiteres gangbar.
Bryan (London) schlägt vor, daß jede Gruppe den Vorschlag
für sich diskutiere und das Ergebnis an die Zentrale weiterleiten
möge.
Nachdem schließlich Ferenezi (Budapest) noch für Pfisters
Antrag eingetreten war, wurde derselbe vom Kongreß angenommen.
Dr. Hans Liebermann (Berlin) stellt den Antrag, der Kon-
greß möge sich dahin einigen, nach welchen Gesichtspunkten bei
der Aufnahme .neuer Mitglieder verfahren werden solle.
Jones (London) stellt hierauf einen Antrag, der schließlich
in folgender, von Prof. Freud vorgeschlagenen Fassung ange-
nommen wird:
„Die Aufmahme in eine ortsfremde Gruppe bedarf
der Einwilligung der Zentralleitung‘“,
wozu Abraham (Berlin) den: Zusatz fügt, daß sich bei jeder
ortsfremden: Neubewerbung die Schriftführer der betreffenden Grup-
pen in Verbindung setzen sollen.
Dr. v. Hattimgberg (München) möchte die Bedingungen
für die Mitgliedschaft überhaupt festgestellt sehen.
Ferenezi (Budapest) ist für Beibehaltung des bisherigen
Modus.
Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. 389
Freud (Wien) möchte diese wichtige Frage im Zusammenhang
mit der eng dazugehörigen Diplomfrage auch auf den nächsten
Kongreß vertagen.
Dieser Antrag wird einstimmig angenommen.
Vorsitzender Dr. Ferenezi schlägt nun vor, das „Inter-
national Journal of Psycho-Analysis“ zum offiziellen
Vereinsorgan der englisch sprechenden Gruppe zu machen und er-
teilt zur Begründung dieses Vorschlages Dr. Rank das Wort, der
einen kurzen Überblick über die Motive gibt, die zur Gründung
des englischen Journals geführt haben sowie über seine Ziele und
Absichten.
R. de Saussure (Genf) möchte für die französiech sprechen-
den Kollegen in der Welschschweiz die Möglichkeit offen sehen,
statt der beiden deutschen Zeitschriften die englische zu abon-
nieren, welchen Vorschlag Pfister dahin ergänzt, daß es allen
nicht deutsch sprechenden Mitgliedern frei stehen solle, das eng-
lische Journal zu wählen.
Dieser Antrag wird vom Kongreß angenommen.
Dr. Adolph Stern (New York) stimmt als Sekretär der New
Yorker Gruppe dafür, das Journal zum offiziellen Organ zu
machen.
Bryan (London) stimmt als Sekretär der „British Society“
gleichfalls dafür.
Hierauf erhebt der Kongreß den Antrag, das „International
Journal of Psycho-Analysis“ zum offiziellen Vereinsorgan neben der
„Zeitschrift“ und „Imago“ zu machen, einstimmig zum Beschluß.
Prof. Freud dankt als Herausgeber des englischen Journals
den englisch sprechenden Gruppen und möchte deren Wünsche be-
züglich der Redaktionsführung Rechnung tragen. Vorläufig sei
Dr. Emest Jones (London) provisorisch alleiniger Redakteur; die
anglo-amerikanischen Gruppen mögen sich äußern, ob dies so blei-
ben solle oder ob und wie viele Mitredakteure und wie viele aus
jeder Gruppe zu bestimmen! seien.
Pfister schlägt vor, auch einen Amerikaner zum Redakteur
zu wählen.
Jones setzt die Nachteile eines mehrköpfigen Redaktions-
komitees auseinander und begründet die Notwendigkeit einer Zen-
tralstelle.
Bryan (London) meint, es genüge ein Editor für England.
Im übrigen habe die Frage der Redakteurschaft der Verlag zu ent-
scheiden. :
Stern (New York) schlägt vor, die Gruppen sollen ihre Re-
dakteure wählen.
mann in mn nun ngarrnen
SE
einen
H
iu
!
390 Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
Der Kongreß beschließt, Jones als Hauptredakteur zu be-
stätigen und eine vorzuschlagende Liste von Subredakteuren aus
England und Amerika einzuholen.
Präsident Dr. Ferenezi bringt hierauf die Frage des näch-
sten Kongresses zur Sprache mit dem Bemerken, daß bereits
zwei Einladungen, und zwar eine nach Berlin von Dr. Abraham
unterbreitete, und eine nach der Schweiz von Dr. Pfister über-
brachte, vorliegen.
Nachdem Jones in längerer Rede die nach verschiedenen Rich-
tungen zu begründende Priorität Berlins hervorgehoben hat, zieht
Pfister die Einladung zurück, worauf noch Prof. Freud (Wien),
Stern (New York) und Stoddart (London) für Berlin eintreten,
das einstimmig als nächster Kongreßort gewählt wird.
Liebermann (Berlin) dankt als Sekretär namens seiner
Ortsgruppe.
Die vom Vorsitzenden hierauf angeschnittene Frage des Zeit-
punktes für den nächsten Kongreß möchte Prof. Freud jetzt
noch nicht entscheiden. Abraham stimmt ihm zu, hält es aber
für wissenswert, die Stimmung des Kongresses darüber einzuholen.
Die Abstimmung hierüber ergibt eine große Mehrheit für die Ab-
haltung des Kongresses möglichst schon im kommenden Jahr.
Rank (Wien) fordert zur Organisierung des Refe-
ratenwesens in allen Ortsgruppen nachdrücklich auf.
Jones schlägt vor, eigene Referatensekretäre für diesen Zweck
in den einzelnen Gruppen zu bestimmen, wie dies bereits ‘Wien
in Dr. Hitschmann und New York in Dr. Stern, dem Cor-
responding Secretary der New Yorker Gruppe, besitzen.
Der Vorsitzende schreitet nunmehr zur Präsidentenwahl
und übergibt die stellvertretende Präsidentschaft Dr. Stoddart
(London).
Dr. Abraham (Berlin) schlägt die Wahl des zeitweiligen
provisorischen Präsidenten Dr. Ermest Jones (London) zum Prä-
sidenten vor.
Prof. Freud unterstützt diesen Vorschlag, nicht ohne sein
Bedauern auszusprechen, daß es dem bisherigen Präsidenten Dr. Fe-
renezi in Budapest durch die Ungunst der Verhältnisse verwehrt
war, sein Amt voll zu erfüllen. Er habe jedoch in der Zeit seiner
Präsidentschaft die erste ordentliche Professur für Psychoanalyse
während der kurzen Zeit der Räteherrschaft innegehabt.
Eitingon (Berlin) teilt mit, daß Ferenezi zum Ehren-
mitglied der Berliner Gruppe gewählt wurde.
Ferenezi dankt für die Ehrung.
Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. 391
Hierauf wird Dr. Ernest Jones (London) einstimmig zum
Präsidenten der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung
gewählt.
Jones dankt für die Wahl, übernimmt das Präsidium und
nominiert Mr. J. CO. Flügel als Zentralsekretär.
Frau Dr. Spielrein (Lausanne) teilt mit, sie beabsichtige
nach Genf zu übersiedeln, um dort am Institut Jean Jaques Rous-
seau zu arbeiten und trägt ihre Mitwirkung bei der Wieder-
anknüpfung literarischer Beziehungen zu Rußland an. Sie schlägt
u. a. vor, den Kongreßbericht ins Russische zu übersetzen und auch
russische Beiträge zur Psychoanalyse zu sammeln und eventuell zu
publizieren.
Reik (Wien) meint, daß die Druckkosten zur Publikation
dieser russischen Literatur heute noch zu groß wären, um dieses.
Unternehmen zu lohnen.
Eitingon (Berlin) möchte den Vorschlag unterstützen, das.
russische Material wenigstens zu sammeln und das Wichtigste zu
übersetzen.
Prof, Freud weist darauf hin, daß eine eventuelle Subven-
tionierung dieser Aktion eine Angelegenheit des psychoanalytischen
Fonds sei, der sich dafür interessieren werde.
Autoreferate der Vortragenden,
Dr. K. Abraham (Berlin), Äußerungsformen des weiblichen Ka-
strationskomplexes.
Es gibt verschiedene Ausgangsmöglichkeiten des weiblichen Kastrations-
komplexes. Die von Freud so genannte normale oder kulturelle Form besteht
darin, daß das Weib sich mit seiner Weiblichkeit aussöhnt; das Begehren nach
dem Besitz eines männlichen Genitalorgans wird aufgegeben, und an seine Stelle:
tritt der Wunsch, ein Kind (eigentlich als Geschenk des Vaters) zu erhalten..
Damit ist es dem Weibe ermöglicht, in der weiblichen Sexualrolle Befriedigung
zu gewinnen und mütterliche Gefühle zu entwickeln.
Diesem Ausgang entgegengesetzt ist der ambivalente (archaische). Neben
der Liebe zu dem Manne, welchem sie zuerst angehört hat, produziert die Frau
im Zusammenhang mit der Defloration Haßgefühle, weil die Verletzung ihrer kör--
perlichen Integrität den Kastrationskomplex neu belebt. Vortragender weist
nach, daß diese Form der Reaktion auch unter unseren Kulturverhältnissen noch
in Spuren erkennbar ist.
Ein dritter Ausgang ist die Wendung zur Homosexualität. Diese Möglich-
keit gründet sich auf die bisexuelle Anlage des Menschen. In einem Teil der:
Fälle äußert sich die Homosexualität hauptsächlich in sublimierter Form.
Äußerst vielgestaltig sind die neurotischen Ausgangsformen, denen der
Vortrag in erster Linie gewidmet ist; manche unter ihnen sind bisher kaum
beachtet worden.
Die hieher gehörigen neurotischen Symptome drücken zum Teil den Wunsch
aus, männlich zu sein, zum Teil richten sie sich gegen den Mann im Sinne
der Rache (Kastration, Tötung). Eine Reihe von Symptomen und von Träumen,
die mit den Symptomen inhaltlich übereinstimmen, wird besprochen. In den
zunächst mitgeteilten spielt die Patientin unbewußt die männliche Rolle, oder:
sie erwartet, Mann zu werden. Gewisse neurotische Symptome spielen sich an.
Körperteilen ab, die als Surrogat des männlichen Genitale verwandt werden.
Andere Symptome stellen die völlige Ablehnung des Mannes dar, zugleich
aber eine aktive Kastrationsabsicht (Vaginismus usw.). Oder sie enthalten die
392 Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
Angst vor einer solchen Handlung. Wieder andere Symptome dienen der Herab-
setzung oder Enttäuschung des Mannes.
Gewisse Frauen, die sich besonders schwer an die ihnen mit der Geburt
zugefügte Benachteiligung gewöhnen konnten, wollen unter keinen Umständen
an das Peinliche erinnert werden. Sie weichen überempfindlich allem aus, was
diese Wirkung haben könnte. Die Scheu vor Wunden ist ein besonders bezeich-
nendes Symptom dieser Art (Wunde = weibliches Genitale).
Wie überall in der Neurosenpsychologie begegnen wir auch hier der Neigung
zu Kompromißbildungen. Manche Frauen sind bereit, sich mit ihrer weiblichen
Rolle zufrieden zu geben, falls sie selbst die Schönste, Begehrteste unter allen
wären, oder falls ein Mann sie begehrte, der alle an Männlichkeit in den Schatten
stellte. Eine andere Äußerung des weiblichen Kastrationskomplexes liegt darin,
daß der Mann in seiner männlichen (das heißt genitalen) Funktion anerkannt
wird; nur das eigene Genitale wird der Verwendung entzogen und die Libido
dementsprechend auf die Mund- oder Analzone verschoben. Es kommen dann
Perversionen oder Konversionserscheinungen zu stande, welche mit diesen ero-
genen Zonen in Zusammenhang stehen.
Frauen mit solcher Einstellung verpflanzen ihren Kastrationskomplex auf
ihre Kinder. Sie erschweren es den Mädchen, ihre Weiblichkeit zu akzeptieren,
während sie den narzißtischen Männlichkeitsstolz der Knaben dauernd verletzen.
Der Kastrationskomplex der Mütter, insbesondere ihre Analerotik ist ein ätio-
logisch wichtiges Moment für die pathologischen Äußerungen des Kastrations-
komplexes bei den Kindern. Die Behandlung der Frauen bietet also eine Mög-
lichkeit, die Nachkommenschaft vor dem Verfall in Neurose zu behüten; hier
liegt ein besonders fruchtbares Wirkungsfeld der Psychoanalyse.
Dr. Helene Deutsch (Wien), Zur Psychologie des Mißtrauens.
Referentin beschäftigt sich mit den psychischen Mechanismen des Miß-
trauens als neurotisches Symptom, als Charaktereigenschaft, als psychische Er-
scheinung bei Schwerhörigkeit und als massenpsychologisches Phänomen.
Das Verhalten des Mißtrauischen seiner Umgebung gegenüber zeigt, daß
er sich in steter Erwartung eines feindlichen Angriffes befindet und daß er sich
vor diesem Angriff zu schützen sucht.
Da diese ihm drohende Gefahr irreal, in der Außenwelt nicht verstanden
ist, ergibt sich für das psychoanalytische Denken, daß sie ihre Quelle im Un-
bewußten haben wird.
An vier analysierten Fällen werden die für das Mißtrauen als pathologisches
Symptom geltenden Mechanismen erörtert. Im ersten Fall entsprach das Miß-
trauen der Projektion der endopsychischen Wahrnehmung einer dem Ich vom
Unbewußten drohenden Triebgefahr. Referentin weist auf gewisse Analogien
zwischen diesem Mechanismus der Projektion und den bei der Angsthysterie
wirkenden Mechanismen hin.
Inı zweiten Fall ließ sich das Symptom aus dem Ambivalenzkonflikt er-
klären, indem das Mißtrauen die Projektion der verdrängten Haßtendenzen in
die Außenwelt darstellte.
Hier beschäftigt sich Referentin mit Beziehungen, die zwischen dem Miß-
trauen und dem Zweifel bestehen.
Das Mißtrauen im dritten Fall hatte seine Ursache im fortwährenden Pen-
deln der Libido zwischen der hetero- und homosexuellen Objektwahl. Diese
psychische Formation ergab, daß ‘jeder Versuch einer Objektwahl mit stark
negativen Tendenzen begleitet war. Die endopsychische Wahrnehmung der dem
Ich feindlichen Tendenzen der homosexuellen und der Inzestliebe wurde nach
außen projiziert, ebenso unterlag der gegen das Weib und gegen den Mann
gerichtete Haß der Projektion und wurde als Mißtrauen empfunden.
Der vierte Fall, eine beginnende Paranoia, zeigte noch vor dem Ausbruch
der Psychose ein großes Mißtrauen, an dem sich jedoch noch hysterische Me-
chanismen nachweisen ließen.
Referentin beschäftigt sich mit den Beziehungen des Mißtrauens zur
Paranoia, weist die Unterschiede und Analogien nach.
Das Mißtrauen bedient sich wie der Verfolgungswahn der Projektion, muß
aber im Unterschied zur Paranoia nicht immer die Homosexualität zur Grund-
lage haben, auch fehlt hier die, für Paranoia charakteristische Affektverwandlung.
Beim Entstehen des Mißtrauens als Charaktereigenschaft werden dieselben
Mechanismen der Projektion, der endopsychischen Wahrnehmung einer Trieb-
Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. 398
gefahr gelten. Nur, daß sich hier das Individuum endgültig der Gefahr auf diese
Weise entledigt hat.
Besonders günstige Bedingungen bietet für das Entstehen des Mißtrauens
die konstitutionelle Verstärkung der anal-sadistischen Triebkomponente, wobei .
die eigene Feindseligkeit nach außen projiziert wird und das Gefühl der drohenden
Gefahr erzeugt.
Beim Entstehen des Mißtrauens bei der Taubheit nimmt Referentin die
Verstärkung des jedem eigenen Sadismus durch Schwächung des Ich an —
auch bedarf scheinbar der Mensch der Kontrolle aller seiner Sinne, um sich des
aus.eigener Feindseligkeit herrührenden Gefühles der Unsicherheit in der Außen-
welt zu erwehren.
Referentin bemerkt, daß das Mißtrauen eine Allgemeinerscheinung nach dem
Kriege geworden ist, und führt dies auf die Tatsache des durch den Krieg aus-
gelösten Sadismus zurück, dessen letzten Ausläufer das Mißtrauen bildet.
Eine andere wichtige Ursache des Mißtrauens sieht Referentin in den Ent-
täuschungen, die das Kind an seinen ersten Liebesobjekten erfahren hat. Diese
ersten Enttäuschungen hinterlassen eine Narbe, die zur Mißbildung des Cha-
rakters im Sinne des Mißtrauens beitragen, oder unter geeigneten Bedingungen
zum Auftreten dieses Symptoms bei der Neurose führen kann.
Dr. A. Stärcke (den Dolder), Der Kastrationskomplex.
Zusammenfassung: Der Kastrationskomplex ist ein Teil einer Ambivalenz-
einstellung, deren anderer Teil, Wünsche und Strebungen verschiedener Natur,
und di» infantile Sexualtheorie von dem Weibe mit dem Penis, die gleiche Ab-
stammung zeigt.
Diese Ambivalenzeinstellung erwirbt das Kind sich beim Saugen an der
Mutterbrust oder Flasche; die exkrementellen Funktionen sind, wie Prof. Freud
beschrieben hat, auch „dabei einbezogen, und vielleicht noch sonstige, früh ver-
lorene Attribute.
Es wird das Interesse auf die Abweichungen des normalen Stilleas gelenkt,
weil diese auf die keimende Psyche einen nicht groß genug zu veranschlagenden
Einfluß üben müssen. Es wird die Vermutung ausgesprochen, daß Schmerzen
der Mutter beim Stillen für die Entstehung oder Fixierung sadistischer Tendenzen
von Wichtigkeit sein können, und daß die Saugesituation den Vorgang der Pro-
‚ jektion einleitet. Die Brustwarze im Munde des Kindes ist, seinem Nntwick-
lungsgrade gemäß, ein Teil seines eigenen Körpers. Das Entziehen derselben
und die exkrementellen Funktionen erzeugen die ersten Vorstellungsspuren einer
gesonderten Außenwelt. Der Wunsch, die Trennung zwischen Ich und Außenwelt
ungeschehen zu machen, welcher dem Streben nach Glück gleichzusetzen ist, be-
deutet das Zurückwünschen der Saugesituation. Die Bildung der Umwelt ist
die Urkastration; das Entziehen der Brustwarze bildet davon einen Kernbegriff,
Dr. v. Hattingberg (München), Übertragung und Objektwahl. Ihre
Bedeutung für die Trieblehre.
Der Lehre von der Übertragung wie der von der Objektwahl liegt der Ge-
danke zu Grunde, daß Gefühl und Trieb von ihrem Gegenstand, vom Objekt,
weitgehend unabhängig sind. Diese Behauptung Freuds, für die sich aus dem
Triebleben der Tiere zahlreiche Belege beibringen lassen, ist ein Schlüsselpunkt
für die gesamte Trieblehre. Von den überhaupt möglichen Auffassungen der
Triebhandlungen werden so alle jene ausgeschieden, welche das Objekt, den
Gegenstand als wesentlich für den Trieb ansehen, sei es nun als Reiz, wie die
Tropismenlehre und die Reflextheorie der Instinkte, oder als Ziel resp. Zweck-
vorstellung, wie die Bewußtseinspsychologie. Möglich bleiben dann nur zwei
Auffassungen, nämlich einmal eine solche, welche als Beziehungspunkt für die
„Richtung“, das eigentlich wesentliche an den Triebhandlungen, einen Zu-
stand des Individuums selbst in Anspruch nimmt. Triebhandlungen sind dann
Änderungen des Gesamtverhaltens, die in typischen Situationen auftreten. Sie
sind Zusammenhänge von Funktionen und Funktionsänderungen, die von einem
typischen Anfangszustand des Individuums (dem Bedürfnis) ausgehen und zu
einem typischen Endzustand (der Befriedigung) hinführen. Triebe sind dann
Richtungen solcher Abläufe. — Die andere Anschauungsweise ist die dynamische,
. Ihr Darstellungswert ist unzweifelhaft sehr groß, wenn das Trieberlebnis an sich
in seinen verschiedenen Ablaufsformen beschrieben werden soll. Sie versagt jedoch
gegenüber der Vielfältigkeit des Trieblebens in seinen verschiedenen Richtungen.
Internat. Zeitschr. f. Psychoanalyse. VI/4, 26
394 Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
Jede dynamische Auffassung drängt notwendig zur Annahme einer einzigen
Kraft, der ‚einen Libido“ (Jungs desexualisierte Libido). Ist es aber dieselbe
Libido, die sich in allen Trieben äußert, dann wird eine nähere Bestimmung
ihrer besonderen Richtung nötig, wenn wir verstehen wollen, nicht nur daß ein-
mal Hassendes, einmal Liebendes geschiest, sondern auch, daß sich etwa feind-
liche Tendenzen in freundlichen Handlungen äußern können. Wenn nicht die
Affekte und Triebe durch die Vorstellungen, sondern umgekehrt die Vorstel-
lungen durch die Affekte und Triebe geführt werden, wenn also die Triebe die
Richtung der Assoziationsabläufe bestimmen, dann müssen sie vor allem durch
eine besondere Richtung charakterisierbar sein. Diese aber läßt sich vorteil-
hafter durch die Beziehung auf die für jeden Teil typischen Endzustände dar-
stellen als durch die Libidotheorie, die alles auf den Grundvergleich einer
Flüssigkeit bezieht.
J. C. Flügel (London), On the biological basis of sexual Te-
pression.
Der psychologische Gegensatz, der sich in der Sexualverdrängung ausdrückt,
läßt sich als Sonderfall eines allgemeineren biologischen Gegensatzes auffassen,
Dieser Gegensatz gestattet zwei miteinander eng verbundene Auffassungs-
weisen: 1. Die psychologische. Es besteht notwendigerweise eine Umkehrungs-
beziehung zwischen der Größe der höheren Zusammengesetztheit und der Aktivität
des individuellen Organismus einerseits und seiner Fortpflanzungskraft auf der
anderen Seite. 2. Die ökonomische. Infolge der beschränkten Menge von ver-
fügbaren Nahrungsmitteln hat ein hohes Niveau des Einzellebens die Kontrolle
der Zahl von Einzelwesen zur Folge und somit auch der Fortpflanzungstendenzen.
Die natürliche Auslese bestimmte im Laufe der Entwicklung das Verhältnis
der für die Individuation und für die Genesis verwendbaren Energie. In der
Hauptsache hat die Entwicklung eine fortwährende Vergrößerung der Individua-
tion auf Kosten der Genesis mit sich gebracht, jedoch bestehen wichtige Ein-
flüsse, welche den Fortschritt in dieser Richtung langsam und schwierig
gestaltet haben. ,
Im Geistesleben entspricht der Gegensatz zwischen Sexualität und Arbeit
(Sublimierung) diesem biologischen Gegensatz zwischen Genesis und Indivi-
duation.
Die sexuellen Triebkräfte stellen bis zu einem gewissen Grade eine ältere
und primitivere Form der Lebensenergien dar. Die Menschheit ist ständig
bemüht, sich einer Bedingung anzupassen, in welcher die Sublimierung eine
größere und die sexuellen Triebkräfte eine geringere Rolle spielen. Aber gegen-
wärtig existiert eine sehr ernste „Disharmonie“ in dieser Hinsicht, da die
Sexualtriebe des Menschen einen größeren Anteil seiner Gesamtenergie an sich
ziehen als es seine gegenwärtige Umwelt fordert.
Die Beziehung zwischen Sexualität und Sublimierung (das ist zwischen der
psychologischen Seite von Genesis und Individuation) ist jedoch kompliziert;
dieselbe Energie wird in letzter Linie für beide verbraucht, so daß es ohne
starke Libido keine adäquate Sublimierung gibt. Ferner entstehen Komplika-
tionen durch gewisse Faktoren, welche die Verwendung gewisser Anteile von:
libidinöser Energie für sexuelle Zwecke das ganze Leben hindurch nötig machen:
1. Die aktuelle Notwendigkeit der Fortpflanzung, 2. die langsame und stufen-
weise Ausbildung des Sublimierungsprozesses, 3. bestimmte Beziehungen zwischen
sexueller und individueller Entwicklung, infolge deren eine befriedigende An-
passung an die nichtsexuellen Seiten der Existenz unmöglich ist, solange ein
entsprechender Grad von sexueller Entwicklung fehlt.
Die physiologische und biologische Betrachtungsweise des Gegensatzes:
zwischen Individuation und Genesis läßt sich unmittelbar bloß auf die sexuellen
Triebkräfte anwenden, insoweit dieselben im Dienste der Fortpflanzung stehen,
aber vom psychologischen Gesichtspunkte aus äußert sich der Gegensatz auch
in beziehung zu nicht der Fortpflanzung dienenden Elementen der Sexualität,
da die ihnen gewidmete Energie in umgekehrtem Verhältnis zu der der Sublimie-
rung gewidmeten Energie steht. Nichtsdestoweniger unterliegen die allo-eroti-
schen Elemente in mancher Hinsicht einem größeren Grad der Verdrän-
gung als die auto-erotischen, mit dem Erfolg, daß die letzteren auf Kosten der -
ersteren verstärkt werden. :
Die höheren Stufen der Individuation sind eng verbunden mit dem Prozeß.
Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. 395
der Sozialisierung. Es scheint daher, daß die Sexualverdrängung bis zu einem
gewissen Grad auf den Einfluß sozialer Mächte zurückzuführen ist.
Ein gewisser Grad von Hemmung scheint ein Teil des menschlichen
Sexualinstinkts selbst geworden zu sein. Zwei wichtige Faktoren lassen sich
dabei unterscheiden: 1. die Tatsache, daß eine starke Sexualverdrängung nicht
mit einem Schlage, sondern nur langsam und gradweise überwunden werden
kann, 2. der sekundäre Lustgewinn, der durch die Erleichterung der größeren
Spannung, welche die Verdrängung mit sich bringt, gewonnen werden kann.
Die allgemeine Anerkennung der Tatsache, die mit der biologischen Seite
der Sexualverdrängung verbunden ist, würde sehr erheblich dazu beitragen,
die größten Schwierigkeiten des menschlichen Daseins zu beseitigen, und zwar
sowohl in der Sphäre des Psychologischen (die sexuellen Konflikte) als auch
in der Sphäre des Ökonomischen (der Druck der Bevölkerungsmenge auf die
Subsistenzmittel).
Prof. G. Jelgersma (Leiden), Psychoanalytischer Beitrag zur
Theorie des Gefühles.
Die Psychoanalyse hat bis jetzt wenig Beiträge zur Theorie des Gefühles
geliefert. Freud hat sich gelegentlich in einer Arbeit über einen anderen
Gegenstand darüber kurz geäußert. Sonst ist nichts zu finden. In der wissen-
schaftlichen psychologischen Literatur nimmt die Untersuchung nach der Theorie
des Gefühles eine breite Stelle ein.
Aber auch die Psychoanalyse kann wertvolle Beiträge dazu geben. Redner
gibt eine kurze Skizze seiner Theorie, die derjenigen von Ebbinghaus am
nächsten steht und erläutert seine Ansichten an Symptomen der Übertragungs-
neurosen und der Schizophrenie,
Dr. Hanns Sachs (Wien), Gemeinsame Tagträume.
Daß der Tagtraum eine Vorstufe der Dichtung sei, gehört zu den seläu-
figsten Sätzen der Psychoanalyse. Unaufgeklärt blieb aber bisher, wo die Ver-
anlassung des Überganges von dem streng egozentrischen, an kein Formprinzip
gebundenen Tagtraum zu dem, durch die Anziehungskraft der ästhetischen Forın
den Mitgenuß anderer, Unbeteiligter, ermöglichenden Kunstwerk zu suchen sei.
Man mußte sich mit dem psychologisch unzugänglichen Moment der erblich
überkommenen Veranlagung begnügen.
Als Übergangsstadium zwischen Tagtraum und Dichtung kommen die „ge-
meinsamen Tagträume“ in Betracht, an welchen zwei oder mehrere Personen,
also unter Aufgabe der Beschränkung auf die engsten Ich-Interessen, mitarbeiten.
Die Analyse zweier solcher Fälle ergab, daß es ein gemeinsames Schuldgefühl
war, das nach Erleichterung suchte und sie in der Ausarbeitung des Tagtraumes
fand, da darin ein unbewußtes Geständnis der gleichen Schuld des anderen
Teiles lag. Das Schuldgefühl ließ auch die eigene Person minder stark in den
Vordergrund treten.
Was bei den gemeinsamen Tagträumen die Wurzel ist, das ist beim
Kunstwerk das — unbewußt — angestrebte Ziel. Die künstlerische Illusion be-
ruht ja nicht auf Sinnestäuschung, sondern darin, daß der Empfangende die
Affekte des Werkes — bewußt, wie unbewußt — miterlebt. Erreicht der Dichter
diese Illusion, das heißt erreicht: ar, daß das Publikum sein Werk als Kunstwerk
empfindet — so sagt ihm sein Publikum damit: „Ja, deine verbotenen Wünsche
sind auch die unseren; wir begehren dasselbe, was du begehrst und in der
Phantasie ausgeführt hast“; es erklärt sich also als mitschuldig und mildert
das Schuldgefühl des Künstlers.
Die eigene Person des Künstlers muß der Wirkung des Werkes zuliebe in
den Hintergrund treten. Der dabei aufgeopferte Narzißmus wird von dem
Urheber auf das Werk — ein ideales Stück seines Selbst — verschoben und
kehrt als Formschönheit wieder. Auf diesem Umweg findet der Narzißmus auch
zu seiner ursprünglichen Befriedigung zurück, denn der Künstler findet nun per-
sönliche Anerkennung und Interesse, die dem tatfremden Phantasiemenschen
sonst versagt bleiben.
Es ist ein Postulat der Psychoanalyse, daß jedem großen Kulturfortschritt
die Wiederholung des Urverbrechens zu Grunde liegen müsse. Dieses Postulat
wird durch die oben skizzierte Hypothese erfüllt. Der Tagtraum baut sich, wie
wir wissen, in letzter Linie auf dem Ödipuskomplex auf. Indem der Tagträumer
sich seinen Phantasien ergibt, wiederholt er das Urverbrechen — aber allein,
26*
”
396 Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
und dies ist ein Verstoß gegen das älteste Menschheitsgesetz, demzufolge dieser
nur von der ganzen Brüdergemeinschaft miteinander begangen werden darf.
Der Künstler findet aus der unerträglichen Isolierung den Weg zu den Brüdern
und ihrer Mitschuld zurück.
Dr. Theodor Reik (Wien), Der fremde und der eigene Gott.
Der Vortragende geht davon aus, daß fremde Gottheiten und ihr Kult
manchmal einen unheimlichen Eindruck machen. Er bemüht sich, diese Wirkung
durch das Fortleben der animistischen Überzeugungen zu erklären und parallele
Fälle aus der Symptomatologie der Zwangsneurosen zum Vergleiche heran-
zuziehen. Die Geschichte der Religionen gibt dann die letzten Aufklärungen
dieser eigenartigen Gefühlsreaktion. Der Henotheismus des Bruderclans kannte
nur einen Gott; durch die Differenzierung und örtliche Verbreitung der Mensch-
heit kam es dazu, daß jeder Clan seinen Gott hatte, der dem des anderen glich,
und ebenso wie jener als lebendig und wirksam vorgestellt wurde. Erst spät
wurde die Identität des fremden Gottes und des eigenen Gottes nicht mehr
anerkannt. Durch den kulturellen Fortschritt des einen Stammes und das
Zurückbleiben anderer, erschien der fremde Gott als ein karikierter Doppelgänger
der eigenen Gottheit. Das Unheimlichwerden ist also durch ein Rückgreifen
auf einzelne Phasen in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit bedingt. Als
zweite Quelle des Unheimlichkeitsgefühles werden in Analogie mit den infantilen
Komplexen die Gefühlsregungen aus den Eindrücken und Erlebnissen der Prä-
historie angeführt. Das Unheimliche aus den in der Menschheitsgeschichte er-
worbenen vorzeitlichen Komplexen erweist sich als hartnäckiger als jenes des
überwundenen. Hieher gehören z. B. der Kastrations- und Inzestkomplex sowie
jene Gefühle, die den verdrängten revolutionären Regungen entstammen. Die
daher rührende Präexistenz des Schuldbewußtseins gegen den eigenen Gott wird
bestimmend für religiöse Verfolgungen (Judenpogroms, Armeniermetzeleien). Der
fremde Gott war einmal der eigene, der den Massen durch Entwicklungsschübe
und kulturelle Fortschritte entfremdet wurde und der in seiner roheren und
primitiveren Gestalt nun als unheimlich erscheint.
Dr. G6za Röheim, Central Australian Totemism.
Alcheringa als Traumzeit. Eine primitive Phase des Totemismus, als reine
Wunscherfüllung, spiegelt sich in den Überlieferungen der Arunta. Das Essen
des Totem und totemistischer Inzest. Die inapertwa als mythische Embryos,
der Alcheringaheros als Projektion der Allmacht im Mutterleib auf die Vater-
imago.
Die Unkenntnis der Arunta von der Zeugung: eine kruziale Frage der
sozialen Anthropologie und eine Probe für die psychoanalytische Untersuchungs-
methode. Unbewußte sexuelle Kenntnisse, die sich in Mythen über die Zeugung
erweisen. Essen als Heiratszeremonie und als die Ursache der Schwangerschaft.
Das Schwirrholz in Zeugungsmythen und Liebeszauber als Penis. Der pränatale
Zweikampf mit dem Vater als Ursache der Geburt. Mit anderen Worten, jede
Geburt wird unbewußt auf einen Inzest zurückgeführt. Die Ursache der Un-
kenntnis der Arunta ist Verdrängung. Diese richtet sich gegen die Sexualität
im allgemeinen, weil dieselbe unbewußt mit dem Ödipuskomplex identifiziert
wird. Das Totemzentrum als Projektion des Mutterleibes in die Außenwelt.
Der Churinga als „anderer Leib“ oder „äußere Seele“ — ein Symbol des Embryo
im Mutterleib; deshalb wird ihm die Kindererzeugung zugeschrieben. (Wie bereits
-bemerkt, bedeutet der Churinga übrigens auch den Penis.) Die Aruntabheorie
über die Kinderzeugung eine unbewußte, infantile Wunscherfüllung; durch sie
wird das Kind zum eigenen Vater und übernatürlichen Gatten der Mutter.
Das Zeremoniell des zentralaustralischen Totemismus, die Intichiumariten.
Ihre Abhaltung beim Herannahen der Zeit der allgemeinen Fruchtbarkeit in der
Natur: figuriert in der Überlieferung als Stellvertretung und Äquivalent für den
Beischlaf. Das magische (zeugende) und das imitative Element im Intichiuma
werden analysiert. Die anthropische Bedeutung des Intichiuma ist der Alche-
ringa: Ursprüngliches Ziel die Vermehrung der menschlichen, nicht der tie-
rischen Mitglieder des Totem-Clans. Intichiumas der Kindertotem. Das Inti-
chiuma ist das Fortleben einer vormenschlichen Brunstzeit. Junge Männer als
Zuschauer beim Intichiuma statt der Weiber: der Beginn der Verdrängung
und des homoerotischen Elements im Intichiuma. Die Brunstzeit ist auch die
Kampfzeit: der Kampf zwischen jungen und alten Männchen muß in der Brunst-
Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. 397
zeit stattgefunden haben. Das Essen des Totems als Vermehrungsritus ist ein
Symbol dieser Rebellion, aber auch ein Symbol des Vertrages zwischen alten
und jungen Männchen. Verbindung zwischen dem Ursprung der Verdrängung
und dem Verschwinden der Brunstzeiten. Verdrängung ursprünglich gegen den
Ödipuskomplex gerichtet. Versuch, die Entwicklungsphase zu bestimmen, die
sich im Intichiuma darstellt. Fortsetzung der Analyse der Zeugungsriten:
Das Schlagen des Felsens des Alcheringaheros, eine symbolische Wiederholung
des Vatermordes. Unbewußter Zusammenhang zwischen Vatermord und Zeugung:
da jeder Geschlechtsverkehr mit der Mutter geschieht, kann er nicht vollzogen
werden, ohne zuerst den Vater zu töten. In Stücke reißen und Vermehrung:
Parallelzüge bei Initiationsriten. Das Ego und die Libido leisten beide ihren
Beitrag zur Entwicklung der Intichiumariten.
Dr. Ernst Simmel (Berlin, Zur Psychoanalyse des Spielers.
Die Behandlung eines jungen Mannes, der infolge seiner Spielleidenschaft
völlig zu verwahrlosen drohte, und sich bereits zahlreiche strafwürdige Delikte
hatte zu Schulden kommen lassen, eröffnete neben der erfolgten Heilung einen
charakteristischen Einblick in die Genese und die unbewußte Struktur der Spiel-
leidenschaft selbst.
Sie dient der Entfaltung bzw. der Ersatzbildung der im Unbewußten noch
exzessiv wirksamen prägenital anal-sadistischen Libido.
Dabei erweist sich das Vermögen, das im Spiel erworben und verloren
wird, als mehrfach überdeterminiert.
Die unersättliche Gier, die im endlosen circulus vitiosus nicht ruht, bis
Verlust Gewinn und Gewinn wieder Verlust wird, entspringt dem narzißtischen
Drang in analer Geburtsphantasie, sich selbst zu befruchten, den eigenen Kot,
Geld — zu verschlingen, und sich aus sich heraus zu gebären, in unermeßlicher
Steigerung, Vater und Mutter ersetzend und überflügelnd. — Die Spielleiden-
schaft befriedigt also letzten Grundes den Hang nach dem bisexuellen Ideal,
das der Narziß in sich selbst findet; es gilt der Kompromißbildung aus Mann
und Frau — aktiv und passiv — Sadismus und Masochismus — und schließlich
der unerledigten Entscheidung zwischen genitaler und analer Libido, um die
der Spieler in den bekannten Symbolfarben „rouge et noir“ ringt. Die Spiel-
leidenschaft dient so autoerotischer Befriedigung, wobei das Spielen Vor-
lust, das Gewinnen Orgasmus, das Verlieren Ejakulation, De-
fäkation und Kastratiou ist.
An einem kurzen Überblick über die historische Entwicklung des Glücks-
spieles wird gezeigt, daß in der individuellen Entwicklung des Hazardeurs gleich-
sam ontogenetisch die phylogenetische Ausbildung des Glücksspieles wiederholt
wird, das heißt, daß auch das Glücksspiel auf dem Entwicklungsweg der Mensch-
heit ein Reservoir für die im Stadium der Verdrängung erhaltenen analsadisti-
schen Triebe ist.
Zum Schlusse wird ein kurzer Rückblick über die Psychogenese der Kri-
minalität des Patienten gegeben; und, ausgehend von dem bekannten De-
fäkationsdrang des Verbrechers am Orte seiner Tat, hingewiesen auf das hier
in gleichsinniger Weise wirksame anal-sadistische Triebleben, wobei der vom
Vater verschmähte und geschmähte Narziß zum Herostrat wird. Maß-
gebend für den Hang zum Kriminellen ist dann nicht mehr der Ödipuskomplex
des Täters, sondern der Laioskomplex des rächenden-strafenden Vaters
und seiner Imagines, z. B. des Staatsanwaltes.
Prof. Sigm. Freud (Wien), Ergänzungen zur Traumlehre.
Der Vortragende beschäftigte sich in seinen kurzen Ausführungen mit drei
Punkten der Traumlehre. Die ersten zwei betrafen den Satz, daß der "Traum
eine Wunscherfüllung sei, und brachten notwendige Modifikationen desselben ;
der dritte Punkt bezog sich auf eine volle Bestätigung seiner Ablehnung der
sogenannten prospektiven Tendenz des Traumes. Der Vortragende führte aus,
daß man Grund habe, neben den bekannten Wunschträumen, und den. Angst-
träumen, die sich der Theorie leicht fügen, eine dritte Kategorie anzuerkennen,
die er „Strafträume“ nennt. Nimmt man Rücksicht auf die berechtigte An-
nahme einer besonderen selbstbeobachtenden kritischen Instanz im Ich (Ich-
ideal, Zensor, Gewissen), so sind auch diese Strafträume der Wunscherfüllungs-
theorie zu subsummieren, denn sie stellen die Wunscherfüllung dieser kritischen
Instanz dar. Sie haben etwa dasselbe Verhältnis zu den glatten Wunschträumen,
398 Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
wie die aus Reaktionsbildung hervorgegangenen Symptome der Zwangsneurose
zu hysterischen Symptomen. Eine ernsthaftere Ausnahme von der Regel, daß
der Traum eine Wunscherfüllung sei, erblickt Redner in den sogenannten
„traumatischen“ Träumen, wie sie bei Unfallskranken vorkommen, aber auch
in den Psychoanalysen Neurotischer die vergessenen psychischen Kindheitstraumen
wiederbringen. In betreff ihrer Vereinigung mit der Wunscherfüllungstheorie
verwies er auf eine bald zu veröffentlichende Arbeit des Namens „Jenseits des
Lustprinzips“. ;
Den dritten Punkt seiner Mitteilungen bildete die Erwähnung einer noch
ungedruckten Untersuchung des Dr. Varendonck aus Gent, dem es ge-
lungen ist, das unbewußte Phantasieren in Zuständen von Halbschlaf („autisti-
sches Denken“ von diesem Forscher genannt), in großem Umfang seiner bewußten
Beobachtung zuzuführen. Es stellte sich dabei heraus, daß das Vorsehen der
Möglichkeiten des nächsten Tages, die Vorbereitung von Lösungs- und An-
passungsversuchen u. dgl. durchaus in den Bereich dieser vorbewußten Tätig-
keit fällt, welche auch die latenten Traumgedanken schafft, und, wie der Vor-
tragende immer behauptete, nichts mit der Traumarbeit zu tun hat.
Dr. S. Ferenezi (Budapest), Weiterer Ausbau der aktiven Technik
in der Psychoanalyse.
„Aktive Technik“ ist nur ein neuer Name für etwas, was in der Psycho-
analyse stets angewendet wurde. Die kathartische Therapie war ausgesprochen
aktiv; die Freudsche Psychoanalyse verlangt vom Arzt und dem Patienten
vor allem ein passives Sich-Überlassen der freien Assoziation. Doch schon
die Deutung’ist ein aktives Eingreifen seitens des Arztes. Die einzige Aktivität,
die man bisher vom Patienten verlangte, war: die Überwindung der Wider-
stände gegen die Einfälle Eine andere Art Aktivität wurde in gewissen
Fällen von hy. Phobien angewendet. Die Patienten wurden veranlaßt, die angst-
auslösende und phobisch gemiedene Situation aufzusuchen, was eine Förderung
der Analyse (der Reminiszenzen etc.) zur Folge hatte. Nach Freud ist
Hauptregel der Aktivität, daß die Kur in der Versagu ng durchgeführt werden
muß. Referent wendete in mehreren Fällen die Aktivität in Form von Ge-
boten und Verboten, immer gegen die L:.strichtung an. Er veranlaßte
die Patienten, unlustvolle Situationen aufzusuchen; wurden ihnen diese Situa-
tionen endlich lustvoll, wurden sie untersagt. Die therapeutische (Erinnerungs-
material fördernde) Wirkung war auffällig.
Die Indikationsstellung der aktiven Technik wird auf gewisse Ausnahmsfälle
resp. auf Stockungen in der Analyse eingeschränkt und die Anwendungsart bei
den: einzelnen Neurosen, bei Charakteranalysen, am Ende der psychoanaly-
tischen Kuren usw. einzeln besprochen. Schließlich macht Referent auf die
Unterschiede dieser Aktivität von therapeutischen Maßnahmen anderer (Jung,
Adler, Bjerre) aufmerksam und versucht, die theoretischen Grundlagen
dieser Technik zu konstruieren.
Eugenia Sokolnicka (Warschau), Zur Diagnostik und Symptomato-
logie der psychoanalytischen Neurosenlehre.
Vergleich der voranalytischen und analytischen Diagnostik und Sympto-
matologie. .
Referat über einen Fall, der einen solchen Vergleich besonders gerechtfertigt
erscheinen läßt. Die Bedeutung der richtigen Diagnosenstellung für die Therapie
der funktionellen Neurosen.
Kurzer Überblick über die Art, wie vor der Psychoanalyse die Diagnostik
und Symptomatologie getrieben wurden. Als Beispiel: Hysterie, die sogenannte
Neurasthenie. Die früheren Neurosenlehren. Uniformität der angewandten Heil-
mittel. Kritik der Begriffe, auf denen die frühere funktionelle Neurosenlehre
begründet wurde. Mangel an präzisen psychologischen Begriffen,
Freudsche Trieblehre. Schaffung einer neuen Psychologie, die nicht
auf den künstlichen Laboratoriumanalysen beruht, sondern die elementaren
Seelenphänomene an ihrer Arbeit in der Wirklichkeit erforscht. Schaffung
neuer Begriffe, auf denen die neue Diagnostik und Symptomatologie gegründet
werden kann. Verlegen des Hauptgewichtes auf die Ergründung der Ontogenese
anstatt wie früher auf die Phylogenese (Erblichkeit). Schaffung der objektiv
psychologischen Untersuchungsmethoden für die funktionellen Neurosen an Stelle
der früheren scheinexakten physikalischen. Demzufolge ist die kleinliche Be-
Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. 399
schreibung einzelner Symptome ersetzt durch eine äußerst feine Nuancierung
der Diagnosenstellung und Symptomatologie, die den Blick in die Struktur
der Psyche des Kranken ermöglicht.
Drei Beispiele, die die Schwierigkeiten einer sofortigen richtigen und voll-
ständigen Diagnosenstellung in vielen Fällen veranschaulichen, und in derselben
Zeit die Lösung dieser Schwierigkeiten durch die Psychoanalyse. Grenzfälle
mit den im früheren Sinne nicht ausgebildeten Symptomen, die durch Psycho-
analyse geklärt und als heilungsfähig erkannt wurden. Beispiel.
Eine Analyse ist vom Anfang bis zum Ende die fortschreitende Ent-
deckung und Deutung der Symptome. Beispiel. Der neue Begriff des Wortes
„Symptom“. Charakter als Symptom. Ein Beispiel, das als Beitrag zur Frage
der Rolle der Ichtriebe in der Symptombildung dienen kann.
Allgemeine Schlüsse aus dem Material. Theoretischer und praktischer
Wert der durch die Analyse ermöglichten neuen Anschauungen über Symptomato-
logie und Diagnostik.
Dr. Georg Groddeck (Baden-Baden), Über die psychoanalytische
Behandlung organischer Krankheiten.
Vortragender sucht nachzuweisen, daß Zensurfaktoren existieren, die, um
Verdrängtes dem Bewußten fernzuhalten, organische Leiden entstehen lassen.
Man fordere Gesunde oder Kranke auf, sich die Gegenstände ihres Schreibtisches
anzusehen, die Augen zu schließen und die Objekte zu nennen; es wird dann
dieses oder jenes ausgelassen, und zwar Dinge, die mit dem Verdrängten zu-
sammenhängen. Ist das Verdrängte zu mächtig, so wird die Zensur verschärft,
der Organismus macht das Auge kurzsichtig und schränkt eventuell das Seh-
vermögen durch Netzhautblutungen ein. Der Vorgang ist derselbe auf visuellem
Gebiete, wie die Bildung der Antitoxine durch den Organismus bei Intoxikation
oder des Fiebers und der Eiterung bei Infektion.
Wird das Verdrängte zum Vorschein gebracht oder seines affektiven Ge-
halts entledigt, so werden die Netzhautblutungen unnötig und können aufgegeben
werden. Sie können; sie müssen nicht. Dasselbe gilt für alle Lebensgebiete
des Organismus. Referent gibt wmafür Beispiele.
I
L. Binswanger (Kreuzlingen), Psychoanalyse und klinische Psy-
chiatrie.
Versuch, die beiden Forschungsrichtungen einander in ihren Grundbegriffen
gegenüberzustellen. Dies geschieht zunächst an Hand der einzelnen Krankheits-
begriffe der Psychiatrie mit besonderer Berücksichtigung der neuesten Ansichten
auf dem Gebiete der Charakterologie (Kretschmer), so daß an Hand der
drei begrifflichen Schichten, welche das System der Psychoanalyse ausmachen,
nämlich der rein psychologischen oder Persönlichkeitsforschung, der dynamisch-
quantitativen und der biologisch-teleologischen Betrachtungsweise. Hierauf wird
auf die Unterschiede eingegangen, welche zwischen Psychoanalyse und Psychia-
trie hinsichtlich des Krankheits- und Gesundheitsbegriffes überhaupt, hinsicht-
lich des Begriffes der Heilung und hinsichtlich der Diagnostik herrschen. Zum
Schlusse wird die psychoanalytische Forschungsrichtung als ein das seelische
und organische Geschehen zu einem einheitlichen Leistungszusammenhang ge-
staltendes System der Psychiatrie als einem durch ihre praktische Aufgabe
verbundenen Konglomerat gegenübergestellt.
Dr. A. Stärcke (den Dolder), Die Beziehungen zwischen Neurosen
und Psychosen. Aa:
Zusammenfassung. Beide Kategorien erwachsen auf dem Boden der re-
lativen Libidostauung, der infantilen Fixierungen und der Ambivalenz, wie
Prof. Freud es für die Neurosen dargestellt hat.
Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen ist ein quantitativer. Die
Grenze ist von der Entwicklungs- oder Regressionsstufe der gesellschaftlichen
Kultur abhängig.
Das Kriterium von dem Laienbegriffe der Geisteskrankheit liegt in der
Überentwicklung der geisteskranken Gebärde (einschließlich der Sprache), welcho
die normale Verdrängung erschüttert. Bei beiden Gruppen kann die Regression
von Libido und Ich-Trieben bis zu den untersten Stufen gehen. Die Regression
betrifft bei den Neurosen im allgemeinen geringere Quanta. Die Rekonstruktion
400 Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
ist bei den Neurosen ein Kompromiß; ihr Ergebnis steht im allgemeinen bei
den Psychosen auf einer niedrigeren Stufe, sowohl der Libido, wie der Ich-Triebe.
Die Zwangsneurose nimmt zwischen Psychosen und Neurosen eine Mittel-
stellung ein.
Die Regression der Ich-Triebe geht derjenigen der Libido parallel. e
Nicht die narzißtische Regression an sich, sondern die Fixierung der
unteren Stufen, determiniert die konstitutive Veranlagung für Psychosen. Diese
Fixierung geht oft mit irgend einer libidinösen Befriedigung der unteren Stufen
zusammen.
Die Unterschiede zwischen den Symptombildern sind, außer durch die
Regressionstiefe, noch durch die Verteilung der Libido über die Körperteile
bedingt. Der psychotische Durchbruch der Zensur wird durch abnorm starke
Denklust bedingt.
Bei den Psychosen spielt organische Libidovermehrung eine größere Rolle.
Organische Libidoverarmung ist auch für die schizophrene Pseudodemenz
verantwortlich. Die vier Freudschen Typen der neurotischen Erkrankung
kommen auch bei den Psychosen vor. Daneben schließen Psychosen sich oft
an infantile Wunscherfüllungen an (z. B. Tod eines Verwandten, ermöglichte
perverse Betätigung), die oft von der Gesellschaft aufgenötigt sind.
Dem Freudismus gehört ein leitender Einfluß bei der Rekonstruktion der
Gesellschaft.
0. Pfister (Zürich), Die Bedeutung der Psychoanalyse für die
Staats- und Gesellschaftslehre.
Der Vortragende zeigt, wie die herrschende Völkerpsychologie, seitdem sie
den Totemismus als Ausgangsort der Staatsbildung anerkennt, vor ein mit ihren
Mitteln unlösbares Rätsel gedrängt wurde, während Freud durch seine Studien
am lebenden Menschen in die Lage kam, die verschiedenen Züge des Totemisınus,
namentlich die ambivalente Behandlung des Totems als Angstobjekt und als
Schutzgeist, das Tötungsverbot und sakrale Mahl, den Zusammenhang mit der
Exogamie von einem Punkte aus zu verstehen. Die Wahl von Pflanzen als Totem
wird illustriert durch Aversionen gegen den Genuß vegetabiler Speisen, durch
eine Phobie gegen das Pflücken von Blumen und durch Zeichnungen eines
14jährigen Knaben, der unbewußt seine Sexualwünsche in Zeichnungen von
Pflanzen ausdrückte.
Unbewußte Wurzeln der Staatsformen zeigt der Vortragende an den
Tagträumen zweier Brüder, von denen der eine sich dem Vater angleicht und
Monarchist wird, während der andere die Mutter nachahmt und die Republik
vorzieht. Der Vaterkomplex Bismarcks und Bebels wirkt in Monarchismus
und Staatssozialismus nach, aber auch der Anarchist blieb am Vater hängen,
Der Irländer haßt oft in England den Vater, wie er in Irland die Mutter liebt.
Die Trennung von Kirche und Staat wurde bei einem Patienten Ermst Schnei-
ders zum Angelpunkt des Denkens, seit die Ehescheidung der Eltern bren-
nend wurde.
Nur angedeutet wird die Wichtigkeit der Tiefenpsychologie für das normale
Staatsleben, für Krieg und Revolution.
Im zweiten Teil befaßt sich der Referent mit dem Gesellschaftsleben und
greift die Psychologie des Kapitalismus heraus. Max Weber findet
die Quelle des Kapitalismus hauptsächlich im Berufsgedanken Oalvins, er-
klärt aber nicht, wie diese Lehre sich im Widerspruch zum neuen Testament
und seinem Verbot des Reichtums durchsetzen konnte, und wie auch Calvins
Forderung, das Geld in den Dienst Gottes zu stellen, verlassen wurde. Aus
Analysen lebender Menschen wird nachgewiesen, daß der Geist des Kapitalismus
überall, auch im Calvinismus, Verdrängung der Liebe zur Voraussetzung hat.
Dabei lassen sich Ödipuseinstellung gegen den Vater, Narzißmus, Analerotismus,
Kastrationsreaktionen oder sadistisch-masochistische Regungen bei pathologisch
kapitalistischer Gesinnung analytisch aufdecken. Die Folgen für Religion, Ethik
und Gesellschaft entsprechen dem zwangsneurotischen Prozeß. Der religionslose
Kapitalismus, nicht selten als Desublimierung zu verstehen, trägt in sich die
Keime des Kampfes aller gegen alle, wie der politische Imperialismus.
So wiederholt sich im Gesellschaftsleben infolge der Mißachtung des Liebes-
gebotes die Tragödie des Peer Gynt, und der Fluch des Nibelungen geht in
Erfüllung.
—
Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. 401
Dr. Sabina Spielrein (Lausanne), Zur Frage der Entstehung und
Entwicklung der Lautsprache.
Referentin unterscheidet autistische Sprachen, welche es nicht auf Mit-
teilung und Verständnis seitens der Mitmenschen absehen, und „soziale Spra-
chen“. Die autistischen Sprachen seien die primären. Zu den ihrem Wesen
nach sozialen Sprachen rechnet Verfasserin Gesang und Wortsprache, also die
Lautsprachen. Ebenso gäbe es dem Wesen nach „soziale“ oder „gesellige“
Künste, wie Musik und Poesie, was die hohe Popularität dieser Künste erkläre.
Daraufhin werden Entstehungstheorien der Lautsprachen analysiert. Speziell
berücksichtigt Referentin die Frage, ob das Kind die Sprache selbst erfindet
und worauf die kindlichen „Wortumgestaltungen“ zurückzuführen sind. Es
werden die Entstehungsmechanismen der, wie man annimmt, ersten Worte,
Mama und Papa, untersucht, die Referentin, auf andere und eigene Beobach--
tungen gestützt, vom Saugakte ableitet. Diese Worte seien die Träger der
Lust, welche das Kind beim Saugakte empfindet, und ihnen käme die ungeheure
Bedeutung der ersten Wunscherfüllung in der Phantasie zu, weil hier der Wunsch,
auf ein außenstehendes Objekt gerichtet, nicht nach Belieben befriedigt werden
kann. Infolge der zuerst beim Saugakte durch ein anderes lebendes Wesen
vermittelten Lustempfindung, erhielte das Kind den Sinn für ein außenstehendes
lustbringendes Objekt, nach welchem man sich sehne und welches man durch
Rufen des vom Saugakte abgeleiteten Wunschwortes herbeiführen könne. Auf
diese Art entstünden die ersten Bildungen der sozialen Wortsprache, welche
zugleich Zeichen der Vermittlung zwischen Ich und Außenwelt seien, also auch
Ausdruckszeichen der keimenden Heteroerotik.
Referentin geht dann auf die Beziehungen der Wortbildung und des Gedächt-
nisses zum kindlichen Gefühlsleben ein und zeigt zum Schlusse an Beispielen,
daß die kindlichen Wort- resp. Satzgestaltungen oder -umgestaltungen unter
anderem aus der Anpassung an die neue psychologische Entwicklungsphase,
Assimilierung an das Alte und Ausfall, welcher der unterbewußten Verarbeitung:
entspricht, erklärt werden können.
e x
Dr. Margarete Stegmann (Dresden), Form und Inhalt in der Psycho-
analyse.
Inhalt sind die Komplexe, die Stofflichkeit der Erlebnisse, das Was
der Neurose.
Unter Form wird verstanden die Art, das Wie des Erlebens, die see-
lische Struktur, die sich darin äußert.
Die Inhalte sind nicht nur bei allen Neurosen dieselben, sie lassen sich
stets auch bei den Gesunden nachweisen. Die Form ist typisch verschieden
und innerhalb der Typen individuell anders, so daß trotz der Gleichartigkeit
der Inhalte jeder zu analysierende Fall etwas neues und einzigartiges ist.
Es ist wichtig, neben dem Inhalt auch der Form, dem seelischen Tätigkeits-
prinzip des Patienten volle Aufmerksamkeit zu schenken.
Mustergültig finden diese beiden Teile des Gegenstandes der Analyse Be-
rücksichtigung bei Freud, der nicht nur der Vater, sondern auch der Klassiker
der Analyse ist. Ist für die wissenschaftliche Forschung, für Weiterausbau der
Systematik der Lehren Freuds die Beobachtung der Inhalte, die Gruppierung
nach Komplexen wichtig und notwendig, so hat die Referentin für die thera-
peutische Praxis eine Mehrberücksichtigung des individuellen Formgesetzes sehr
fruchtbar gefunden. Zur Erläuterung werden einige Beispiele aus Analysen an-
geführt. Sie ist sich bewußt, auch damit nichts grundsätzlich neues zu geben;
es ist nur eine andere Form der aktiven Analyse, wie sie z. B. Terenczi
betreibt.
Die Aufdeckung der Inhalte bezweckt, durch das Heraufholen der Komplexe
aus dem Unbewußten, der Sphäre des Gefühls, des Irrationalen, diese der Ein-
wirkung der Vernunft, der Einsicht, zugänglich zu machen. Die Instanz dieser
ist das Bewußtsein.
Die Erkennung und Bewußtmachung des Formgesetzes hebt die Kräfte
(Triebe) von der niederen Stufe ihrer Objektivation auf die höhere der bewußten
Formung. Die Analyse muß den Patienten aus der stofflichen Gebundenheit
zu einer Geistigkeit erlösen, in der die Inhalte, das Materielle, nicht verneint
und vergewaltigt (unterdrückt) ist, sondern zur Organisierung geführt wurde.
‘402 Korrespondenzblatt der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
Dr. Hermine Hug-Hellmuth (Wien), Zur Technik der Kinderanalyse,
Die Eigenartigkeit der kindlichen Seele und ihr Verhältnis zur Umwelt be-
dingen eine besondere Technik ihrer Analyse. Eine solche ist überhaupt erst
bei Kindern über sechs bis sieben Jahren durchführbar; bei jüngeren kann nur
eine psychoanalytische Erziehung eingreifen. .
Es empfiehlt sich, Kinder und Jugendliche in ilırem Heim, dem gewohnten
Milieu, zu behandeln, sowie vom Liegen abzusehen, da für das Kind „Liegen“
mit Überwältigungs- und Verführungsphantasien verknüpft ist.
Bei Sieben- bis Achtjährigen muß oft das Spiel die Brücke zur Behandlung
bilden, bei älteren erweist sich der Kunstgriff, von den Streichen anderer Kinder
zu erzählen, als gute Einleitung zur Analyse. Da der Analytiker von den
Eltern über die „Unarten“ des Kindes orientiert ist, braucht man nicht fürchten,
@on Analysanden durch solche Mitteilungen zu ‚verderben“.
Die positive Übertragung vollzieht sich in der Regel schon in den allerersten
Stunden und wird sofort gegen die Eltern ausgespielt. Es ist daher notwendig,
die letzteren über die Bedeutung der Übertragung aufzuklären, damit ihre Eltern-
liebe nicht allzu sehr durch den scheinbaren Abfall ihres Kindes leide. Die
negative Übertragung kleidet sich in die Form steter Furcht vor Verrat seitens
des Analytikers an das Elternhaus. Besonderen Takt erfordert die Erörterung
sexueller Fragen; hiebei tritt neben einer starken vertrauensvollen Zuneigung
des Kindes oft die aus einer übergroßen Verdrängung stammende Tendenz, den
Analytiker zu erniedrigen, zu Tage.
Von der freien Assoziation läßt sich beim jugendlichen Patienten ebenso
fleißig Gebrauch machen, wie auch Träume wertvolles Material aus dem Un-
bewußten liefern. Die Kinderanalysen führen zur Erkenntnis, daß beim Kinde
eine andere Schichtung im Unbewußten, eine andere Verteilung der Systeme
Bewußt und Vorbewußt statt hat als beim Erwachsenen.
Ein schwieriges Kapitel in der Analyse Jugendlicher stellt das Verhältnis
des Analytikers zu den Eltern vor. Seine Hauptaufgabe ihnen gegenüber besteht
darin, sie von einer aktiven Teilnahme an der Behandlung abzuhalten und sie
dahin zu führen, daß ihre einzige Mithilfe in®Geduld und Duldsamkeit bestehe.
Die Eltern müssen zur Einsicht gelangen, daß sie an ihr seelisch erkranktes
Kind ebenso wenig Forderungen im Lernen stellen dürfen wie an ein physisch
leidendes.
Ich habe noch keine Kinderanalyse am Widerstande des jungen Patienten,
mehr als eine aber am Elternwiderstand scheitern gesehen.
INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG
Internationale Psychoanalytische Bibliothek
Nr. 1
Zur Psychoanalyse der Kriegsneurosen
Diskussion mit Beiträgen von Prof, Freud (Wien), Dr. Abraham (Berlin),
Dr. Ferenczi (Budapest), Dr. Jones (London), Dr. Simmel (Berlin)
6 Bogen Groß-Oktav,
Nr. 2
Dr. S. Ferenezi
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Nr. 9
Aurel Kolnai
Psychoanalyse und Soziologie
Zur Psychologie von Masse und Gesellschaft
10 Bogen Klein-Oktarv.
Nr, 10
Dr. Karl Abraham
Klinische Beiträge zur Psychoanalyse
Originalarbeiten. f NR
Ar Dr. FelixBoehm (Berlin): Beitige a Poyeholobibe Honideckanlitat.
Br Dr. 'Geörg Groddeck (Baden-Baden): Eine. Symptomanalyse ;
! Dr. H; Flournoy (Genöve):. Susan, Teves, & au a de, la s
syuibolique ‚de ke A du ER, I 4
Br | Mitteilungen.
Dr. Geza Röheim: Die ers im at; Da Ei N
Dr. Siegfried Bernfeld: Zwei Träume von chin LEERE
Voyeur-Traum einer Patientin , 2 v2... 0. nel
En . fr
Dr. Karl Weiß: Ein Pollutionstraum . 2... OR
Dr. Josef K, Friedjung: Weekträume ke at b
Friedrich 8. Krauß: Ein Traum König. Kalle) BEN DER v
Th. Reik: Völkerpsychologische. Parallelen zum Traumsymbol des Mantels 350. Je
Th, Reik: Zum Thema „Traum und Nachtwandeln“ . . . . Je
Joh. Heinr. Pestalozzi und der Traum . RRTER SC RRBV EN ERICH
Viktor Blüthgen: Der Traum ..... ... Nor eh or one
Vietor. Hugo über den Traum ; 2. . vn m eu Me
W. Blumenthal: ‚Das Bntwertungsprinzip in ı den menschlichen
beziehungen run. 2.0.74 RE
Dr, Hermann Goja: ‚Hallüzinationen eines Sterbenden . . %
Dr. .M. J, Eisler: Über autoerotische Mitbewegunien, "bei Onanie ,
Dr. 8. Spielrein: Verdrängte Munderotik .; REN Be
EN Dr, J. Härnik: Ägyptiologisches zu‘ Leonardos Geierphantasi Se
Kritikon und Referate.‘
Otto Groß: Drei Aufsätze über den inneren Konflikt 8. N
Adolf Gerson: Die Scham (Dr. 8. Feldinann) , .". 2 Pa zu
M. Reichardt: ‘Über den Unterricht der Medizinstudieren en; ‚in er
Ban (Dr. E. Ira
‘ RUHE, zum ante (Dr. E. Hitschmann) .. . » Ba
Weltgeng‘ Bohn: Die’Selbstheilung der kranken Seele aan ‚Erken a
Sund Vertiefung (DENE HA. N ca NR :
Dr. Walter Fuchs: Stereopsychiatrie — Vitalreihenpsyehiätrie
Dr. med. A. Kielholz: Symbolische Diebstähle (Rorschach) . »
L. Scholz: Seelenleben des Soldaten an der Front (Dr. E. Hitschmann) (3
Julius Pikler: Hypothesenfreie Theorie der Gegenfarben (Dr.I. Hermann) 3
Paul Häber A Das Ziel der ne Alpe H. ve ea u }
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