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Full text of "Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse XIX 1933 Heft 4"

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XIX. Band 


1933 


Heft 4 


Internationale Zeitschrift 
für Psychoanalyse 


Offizielles Organ der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung 


Herausgegeben von 

Sigm* Freud 


Unter Alitwirkung von 


Girindrashekhar Bose 

Kalkutta 


A. Borei N. L. Blitzten 

Paris Chicago 

Lucile Dooley M. Eitingon I* Hollos Ernest Jones 

Washington Berlin Budapest London 

J. H. W. van Ophuijsen Philipp Sarasin y. K. Yabe 

Haag Basel Tokio 

redigiert von 

Paul Federn, Heinz Hartmann, Sandor Rado 

Wien Wien New York 


A. A. Brill 

New York 

J. W. Kannabich 

Moskau 


S m i t h E l y Je 11 i f f e. 

Die Parkinsonsche Körperhaltung 

Felix B o e h m. 

Beiträge Zur Psychologie der Homo* 
Sexualität 

Therese Benedeie. 

über die psychischen Prozesse hei 
Basedow*Psy chosen 

A. Kielhol? .. 

Edmund Bergler 

VYeh’ dem, der lügt! 

und Ludwig Eidelherg . 

Der Mammakomplex des Mannes 

M. Wulff. 

über den hysterischen Anfall 


Vorläufige Mitteilungen — Referate 









1) Die in der „Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse“ veröffentlichten Beiträge werden 
mit Mark 25.— per sechszehnseitigen Druckbogen honoriert. 

2) Die Autoren von Originalbeiträgen sowie von Mitteilungen im Umfange über zwei Druck¬ 
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Verfügung stellen, werden vom Verlag getragen; die Autoren solcher Beiträge erhalten kein Honorar. 

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6 ) Separata werden nur auf ausdrücklichen Wunsch und auf Kosten des Autors angefertigt. 
Die Kosten (einschließlich Porto der Zusendung der Separata) betragen für Beiträge 



bis 

8 Seiten für 

25 

Exemplare Mark 


für 50 Exemplare 

Mark 

20.— 

von 9 


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Mehr als 50 Separata werden nur nach besonderer Vereinbarung mit dem Verlag angefertigt. 


Wir machen hiemit unsere Autoren auf folgendes aufmerksam: 

Nach den gesetzlichen Bestimmungen kann bis zum Ablauf von zwei dem Erscheinungsjahr 
einer Arbeit folgenden Kalenderjahren über Verlagsrechte (Wiederabdruck und Übersetzungen) nur 
mit Genehmigung des Verlages verfügt werden. Auf Grund eines generellen Übereinkommens, das 
wir mit dem »International Journal of Psychoanalysis« getroffen haben, steht es jedoch jedem 
Autor frei, ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages der letztgenannten Zeitschrift das Recht 
der Übersetzung und des Wiederabdrucks einzuräumen. 

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Die Redaktion 


Redaktionelle Mitteilungen und Sendungen aus allen Rändern mit Ausnahme der U. S. A. 
bitten wir zu richten an Dr. Paul Federn und Dr. Heinz Hartmann/ p. A. Internationaler Psychoanaly» 
tischer Verlag, Wien, I., Börsegasse 11. 

Redaktionelle Mitteilungen und Sendungen aus den U. S. A. an Dr. Sandor Radö, 324 West, 
80 th Street, New York City. 

Bestellungen und geschäftliche Zuschriften aller Art an 

Internationaler Psychoanalytischer Verlag, V^ien, I v Börsegasse !!♦ 







Internationale ^eitsc Krift 
für P sydioaoalyse 

Herausgegeten von Sigm. Freud 


XIX. Band 


1933 


Heft 4 


Die Parldnsonscke Körperhaltung 

t Einige Betrachtungen über unbewußte Feindseligkeit 

Von 

Smith Ely Jelliffe 

New York 

Das Verständnis für den Sinn und die Bedeutung der Bewegungsvorgänge 
charakterisiert den gegenwärtigen langsamen und beinahe unmerklichen Über¬ 
gang der mehr statischen zu einer dynamischen Neurologie. Im folgenden will 
ich zu zeigen versuchen, wie man aus den verschiedenen sinnvollen Elementen, 
welche die charakteristischen Körperhaltungen des Parkinsonismus kenn¬ 
zeichnen, als ein spezifisches Element die Feindseligkeit hervorheben kann, 
deren Abwehr sich ausgesprochenermaßen in dem am meisten hervortretenden 
Bewegungsbild dieses Syndroms ausdrückt. Wenn man von der Beschreibung 
eines Bewegungsbildes zu seinem Verständnis fortschreiten will, wird man die 
äußere Beobachtung durch die Erfassung der die Motorik beeinflussenden 
Faktoren ergänzen müssen, die in der Tiefe der Persönlichkeit wirken, nämlich 
im Unbewußten im Sinne Freuds. 

Es soll hier zwar keine rein psychoanalytische Studie gegeben werden, 
doch wird der Versuch gemacht, die psychoanalytische Methode beim Studium 
des Parkinsonismus, sowohl des arteriosklerotisch-senilen als auch des met- 
enzephalitischen Typs, anzuwenden. Die Ergebnisse führen nicht nur zu einem 
Verständnis der Parkinsonschen Körperhaltung, sondern sind auch von be¬ 
sonderem Nutzen für eine psychische Behandlung des Parkinsonismus. Der 
Gedanke an solch eine Psychotherapie bedeutet nicht den Verzicht auf die 



INTERNATIONAL 

PSYCHOANALYTIC 

UNIVERSITY 


DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN 












4 86 


Smith Ely Jelliffe 


Anwendung bewährter Medikamente. Medikamentöse Mittel mag die Psycho 
therapie als vorbereitende oder ergänzende Maßnahmen gebrauchen. Aber wir 
vertreten hier die Ansicht, daß es heute nicht mehr angeht, ohne die psycho 
logischen Faktoren, die hier so stark mit hineinspielen, zu berücksichtigen 
sich allein auf Drogen ohne richtige Kenntnis ihrer Pharmakodynamik zu 
verlassen, wenn deren Anwendung auch empirisch gerechtfertigt ist. 

An anderer Stelle haben wir die Beschreibung motorischer Erscheinun^s- 
typen sinnvoller Art, besonders auf dem Gebiet der Enzephalitis und der 
Schizophrenie, zusammengefaßt. Es ist nicht nötig, hier zu wiederholen, was 
wir dort in Übereinstimmung mit anderen Autoren über den „motorischen 
Haushalt“ (Schaltenbrand) dieser Patienten gesagt haben. Ebenso er¬ 
übrigt sich eine Beschreibung der Dyskinesien des Parkinsonismus. Uns liegt 
daran, die Auffassung zu rechtfertigen, die in der spezifischen Parkinson- 
Haltung eine unwillkürliche Verteidigungsstellung sieht, vergleichbar etwa der 
lauernden Annäherung des Boxers oder Ringers an seinen Gegner oder auch 
der erwartungsvollen schleichenden Haltung so vieler primitiv-religiöser Tanz¬ 
rituale. Man könnte die Übereinstimmungen des Parkinsonkranken mit dieser 
motorischen Mimik durch den Nachweis der Tätigkeit derselben funktionellen 
Muskeleinheiten zu belegen suchen und dabei etwa besonders auch das Zittern 
und seinen bereits häufig kymographisch untersuchten Verlauf heranziehen; 
es wäre auch interessant, die Genese der Körperhaltung in Verbindung mit 
den Tonusproblemen vom Gesichtspunkt der Fortschritte der physiologischen 
Chemie, der Reflexologie und der Lehre von den willkürlichen Bewegungen 
aus zu betrachten; auch das ist schon von anderer Seite gut und eingehend 
geschehen. Wir werden uns aber hier mit einer kurzen Klarstellung unseres 
Standpunktes begnügen. 

Nach der Formulierung von Whitehead (in seiner Arbeit „Science and 
the Modern World“) sind die konkreten Lebewesen, insofern sie sich am 
Leben erhalten (enduring entities), Organismen in dem Sinne, daß die 
dem Gesamtorganismus innewohnende „Ganzheitsidee“ (the plan of the 
whole) die Funktionen der untergeordneten Organisationen bestimmt. Beim 
Tier erscheint die Ganzheit (mentality) als Grundrichtung des Gesamtorga¬ 
nismus, die alle untergeordneten Organisationen: Organe, Gewebe, Zellen, 
Biomoleküle und die letzten kleinsten Einheiten, beispielsweise die Elektronen, 
beeinflußt. So unterscheiden sich Elektronen innerhalb eines lebendigen Kör¬ 
pers von solchen außerhalb desselben durch dessen „Ganzheitsidee“. Ohne 
diese zu kennen, kann man nicht verstehen, was in den Organen und in den 
Elektronen innerhalb der Organe vor sich geht. 




















Die Parkinsonsche Körperhaltung 


487 


Will man motorische Äußerungen Schizophrener oder irgendwelcher ande¬ 
rer Kranker verstehen, so muß man auch in ihnen die Auswirkung einer 
Grundidee, der „Persönlichkeit“, erkennen; deshalb ist ein psychologisches 
Vorgehen nicht nur wünschenswert, sondern direkt geboten. So gelangt man, 
um Sokrates 5 Worte aus seinem berühmten Dialog mit Charmides zu ge¬ 
brauchen, „zum Körper nur über die Seele“. Eine neusokratische Formulierung 
^äre etwa: Man versteht das körperliche Verhalten, wenn man seine psy¬ 
chische Bedeutung versteht. 

In einem Vortrag der amerikanischen Gesellschaft zur Erforschung der 
Nerven- und Geisteskrankheiten im Jahre 1929 wählte ich zum Verständnis 
dieses Stoffes einen Ausdruck von Henry H e a d, nämlich vigilance (Span¬ 
nungszustand). Ich versuchte zu zeigen, warum meine Auffassung als Anti¬ 
these oder besser als Gewichtsverlagerung zu Fr. von Kraus 5 „Tiefen¬ 
person“ bezeichnet werden kann. Man könnte die Wirksamkeit seiner „Tiefen¬ 
person“ und des „Ionenmilieus“ anerkennen und deren Beziehungen zum 
„Spannungszustand“ dann noch ergänzend hinzufügen. Dies erforderte zu¬ 
nächst die Darstellung des Materials über die physiologischen Vorbedingungen 
der Muskelerregbarkeit, wovon erst ein recht dürftiger Bruchteil gesichert, 
eine unübersehbare Menge jedoch noch unverarbeitet oder umstritten ist. 
Besonders wäre die Frage nach Entstehung und Ablauf der Muskelbewegung, 
nach dem Wesen der „Reizbarkeit“ zu erörtern, die als physiologische Ge¬ 
gebenheit trotz aller physikalisch-chemischen Erkenntnisse, Hypothesen und 
Theorien unnahbarer bleibt als je. Ejs erforderte weiter die Klarstellung des 
umstrittenen Gebietes der vegetativen Innervation der glatten sowie des un¬ 
gelösten Problems der doppelten Innervation der quergestreiften Muskulatur, 
ungelöst besonders im Hinblick auf die Probleme der Beteiligung der ver¬ 
schiedenen Zentren bei kataleptischen und katatonen Erscheinungen. Dafür 
wiederum wäre die Phylogenie der Reflexe entscheidend. Dieser ganze Fragen¬ 
komplex soll hier nicht ausführlicher behandelt werden. Im Lichte des „Span¬ 
nungszustands“, der „ vigilance “ gesehen, enthält er aber äußerst wichtige 
Momente. 


Wir wollen nun H e a d s Untersuchungen über den „Spannungszustand“ 1 
bei spinalen Phänomenen heranziehen. 2 Bekanntlich folgt auf die Durch¬ 
trennung des Rückenmarks ein schlaffer, atonischer Zustand mit Verlust der 


1) H e a d, Vigilance, British Journal of Psychology, 14, S. 126 (1926). 

2) He ad and R i d d o c h, Brain, 40, S. 188 (1917); H e a d, Neurological Studies, 
^20, II, S. 467. 













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Smith Ely Jelliffe 


Blasen- und Rektumkontraktionen und Aufhebung tiefer und oberflächlich 
Reflexe. Bei jungen und gesunden Individuen kehren nach Ablauf des spinalen 
Schocks die tiefen Reflexe wieder, erst der Achillessehnenreflex, dann der 
Patellarreflex und schließlich entwickelt sich ein Babinskireflex. Danach er 
scheinen automatische Blasen- und Rektumkontraktionen und schließlich die 
typische „Massenreflex*‘-Bewegung. In diesem Stadium ruft der geringste 
äußere Reiz ausgedehnte automatische Reflexbewegungen hervor, und beinahe 
jeder äußere Reiz unterhalb der Läsionsstelle kann diese erstaunlich empfind¬ 
lichen Reaktionen auslösen. 

Bei dem dezerebrierten Tier höherer Ordnung besteht eine ähnliche hoch¬ 
wertige physiologische Leistung im erhöhten Stellungstonus der Extensoren 
und in fein differenzierten Reaktionen. „Wenn wir nicht wüßten“, schreibt 
H e a d, „daß das ganze Gehirn entfernt worden ist, möchten wir meinen, 
daß die Aktionen des dezerebrierten Tieres vom Bewußtsein geleitet werden. 
Es leitet keine Spontanbewegungen ein, aber die Reaktion zeigt immer eine 
zweckmäßige Anpassung.“ Diese „zweckmäßige Anpassung“ erfordert, da 
höhere Differenzierung der Handlung auch einen differenzierteren und wirk¬ 
sameren Bereitschaftszustand der Muskulatur verlangt, ein relativ hoch organi¬ 
siertes Funktionieren auch der niederen Zentren. Wenn ein Reiz die Bewegung 
erst einmal ausgelöst hat, scheint deren weitere Durchführung keinerlei be¬ 
wußter Mitarbeit zu bedürfen. 

„Jede automatische Handlung ist eine Übung des physiologischen Ge¬ 
dächtnisses“, wie He ad sich ausdrückt; oder nach Semon: Jede auto¬ 
matische Handlung „ekphoriert“ die phylogenetischen und ontogenetischen 
„Engramme“. (Vgl. Schilders „Entwicklung des Gedankens“ vom Kern 
zur Peripherie der Persönlichkeit.) 3 Dieser Mneme der Schemata, nach denen 
automatische Handlungen ablaufen, entsprechen unbewußten „Gestalten“. Es 
ist bekannt, daß diese Engramm-Muster oder Schemata durch neue Erlebnisse, 
die die Persönlichkeit in den verschiedensten Schichten angreifen können, 
allmählich modifiziert werden. Die von M a r s h a 11 Hall in so be¬ 
stechender Weise begonnenen, von Sherrington, Magnus und de 
K 1 e i j n weitergeführten und kürzlich von F u 11 o n so geschickt zu¬ 
sammengefaßten Arbeiten darüber stehen so sehr im Vordergrund des In¬ 
teresses, daß wir uns hier auf sie beziehen dürfen, ohne näher auf sie einzu¬ 
gehen. Ihr Eindringen ins Gebiet der Psychiatrie wurde schon durch H u g h- 
lings Jackson angebahnt, W e r n i c k e legte sie der Psychiatrie zu- 


3) Schilder: Über Gedankenentwicklung. 



















Die Parkinsonsche Körperhaltung 


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gründe und Kleist, Goldstein, Schilder und andere, mögen ihre 
Ansichten auf den ersten Blick auch stark divergieren, nähern sich doch 
einer Betrachtungsweise, die die in Frage stehenden Phänomene zu verstehen 
^stattet. Nimmt man nun noch psychoanalytische Erkenntnisse zu Hilfe, 
so gelangt man zu einem tieferen Verständnis der Vorgänge, die im Körper 
jls Ganzem wirksam sind. 

Wenn Head (S. 136) sagt, „daß jede Läsion, die die automatischen Ab¬ 
läufe stört, den Stellungstonus beeinflußt“, hätte er weitergehen und das Wort 
y$ Reiz“ statt „Läsion“ gebrauchen können. Denn jeder Reiz, der einmal die 
perzeptionsschwelle überschritten hat, ruft eine Dauerspur hervor, die bewirkt, 
daß die Reaktion auf spätere ihm ähnliche Reize prompter und angepaßter 
erfolgt. Hemmung höherer Stufe kann der angepaßten Reaktion einer niederen 
Stufe entsprechen. Das Bild, das eine Handlung schließlich bietet, kann teil¬ 
weise durch von höheren Zentren veranlaßte dynamische Hemmung primi¬ 
tiverer Reaktionsweisen ermöglicht sein. 

Es wird in der vorliegenden Arbeit angenommen, daß alles biologische Ge¬ 
schehen von diesen allgemeinen Reaktionsgesetzen abhängt und Beziehungen 
hat zum „Spannungszustand“ mit seinen Hemmungen und angepaßten Reak¬ 
tionen. Nun aber müssen wir uns von Head trennen, für den „Bewußtsein“ 
und „Regulierung des Spannungszustandes“ identisch sind. „Ich lasse solche 
geistigen Zustände, die unbewußt genannt werden, völlig außer acht“, schreibt 
er, „die einst einen Teil des Geisteslebens gebildet haben und die, obschon 
für den Augenblick verdrängt oder außerhalb der Aufmerksamkeitssphäre 
stehend, unter günstigen Bedingungen einen direkten psychischen Einfluß aus¬ 
üben können.“ Ist dies möglich? Ist es nicht ein Unding, zu glauben, daß 
irgend ein kleines Stück Geschehen oder Verhalten, und sei es auch nur 
ein spinaler Reflex, richtig verstanden werden kann, wenn das Unbewußte 
außer acht gelassen wird? 

Wir müssen annehmen, daß die physikalisch-chemische Stabilität eines 
Organismus, wie sie in der Unversehrtheit des Ionenmilieus zutage tritt und 
hauptsächlich durch das kortiko-dienzephale vegetative Zusammenspiel kon¬ 
trolliert wird, ferner Reflexautomatismen mit ihren kortiko-striären senso- 
motorischen Bahnen unter der Kontrolle der fronto-kortikalen Assoziations¬ 
bahnen stehen, die niederere Reaktionen unterdrücken können. Dasselbe Prin¬ 
zip findet man in der von der Psychoanalyse festgestellten Tatsache wieder, 
daß das Ich mit Hilfe der Verdrängung und anderer Abwehrmechanismen 
vom Es intendierte Abläufe hemmen kann (wobei es den ihm vom Über-Ich 
auf erlegten Anforderungen folgt). Die Aufgabe des psychischen Apparates ist 











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Smith Ely Jelliffe 


die Reizbewältigung; sie wird einerseits durch die Überfülle äußerer Reiz 
anderseits durch die triebhemmende Tätigkeit des Ichs, die dem Uber Ich 
und letzten Endes der Außenwelt gehorcht, kompliziert. 

Während des Wachzustandes dringen unaufhörlich Reize auf die Rez 
toren des Menschen ein; aber nur ein kleiner Teil derselben löst bewußte R e 
aktionen des Ichs aus. Würde diese fortwährende Engraphie nicht in ver 
schiedener Weise nachträglich bearbeitet, so müßte ein Zustand d~r 
Überspannung entstehen, wie ihn die humoristische Frage charakterisiert: Was 
würde ein Chamäleon tun, wenn man es auf ein schottisches Plaid setzte? 
Die relative Reizlosigkeit des Schlafzustandes ermöglicht die Vermeidung 
einer solchen Überspannung, indem sie eine nachträgliche Verarbeitung der 
unbewältigten Reize gestattet. Diese Verarbeitung muß dann noch mit der 
anderen Komplikation, der triebhemmenden Tätigkeit des Ichs, fertig werden 
Die Traumarbeit verwebt die verschiedenen an den psychischen Apparat ge¬ 
stellten Ansprüche nach Mustern aus der frühen ontogenetischen Erfahrung 
der Kindheit zu einem Ganzen. Aber auch tagsüber ringen Abfuhrtendenzen 
und Triebhemmungen miteinander. Ein starkes Über-Ich macht die Arbeit 
der Verdrängung verhältnismäßig leicht, ein schwaches Über-Ich erlaubt den 
Trieben des Es, das Ich mit sich fortzureißen. Alle die feineren kaleidoskop¬ 
artigen Variationen der menschlichen Haltung entsprechen Kompromissen 
zwischen den widerstreitenden Tendenzen. 

Geradeso wie der Massenreflex oder die Automatismen dezerebrierter Tiere 
in der Norm in ihren Manifestationen gehemmt werden können, so können 
auch Hemmungen dieser Art gestört werden und es kann die modifizierte 
Motorik entstehen, die wir beim Parkinsonismus vor uns sehen. 

Wenn man von der pathologisch-anatomischen Seite aus feststellt, daß 
etwa beim Enzephalitiker ausgesprochene Läsionen vorhanden sind, so ist 
dies zwar zweifellos von allergrößter Bedeutung im Hinblick auf mancherlei 
Problemstellungen; es enthebt uns aber nicht der Aufgabe, beim Studium der 
Bedeutung des motorischen Verhaltens in erster Linie auf die Kontrolle der 
Triebregungen durch das Ich zu achten. In der psychoanalytischen Forschung 
sind immer noch genug Probleme über den Kampf zwischen Trieb und Trieb¬ 
abwehr unerforscht. Es gilt nicht nur, die Mechanismen der Verdrängung und 
der anderen Abwehrarten eingehend zu erforschen, sondern auch den Schick¬ 
salen der Besetzung der abgewehrten Triebe im einzelnen nachzugehen. Wie 
im Somatischen erhöhte Temperatur, beschleunigte Atmung und Leukozytose 
sich verbünden, um dem Angriff einer Infektion zu begegnen, so können auch 
die Triebabwehrkämpfe verschiedener Art als Versuche zur Anpassung an 






















Die Parkinsonsche Körperhaltung 


491 


r 

eine durch Anforderungen der Außenwelt oder des Über-Ichs neu entstan¬ 
dene Situation, d. h. als wiederherstellende und heilende Faktoren betrachtet 
werden. 

Wenn wir uns mit der Motorik des Enzephalitikers naher befassen wollen, 
tun wir gut, ein besonders ausgesprochenes Beispiel zu wählen. Ein solches 
stellt die Parkinsonsche Haltung mit Bradykinesie, Akinesie, Gedankenträgheit 
usw. dar. Wir wissen zunächst nur, daß die ganze Krankheit mit einem infek¬ 
tiösen Insult beginnt, und welches motorische Bild sie schließlich bietet. Den 
Forschungen über die Lokalisation der Attacken des Virus, die uns in diesem 
Zusammenhang nur von sekundärer Bedeutung sind, wird vielfach deshalb 
Gewicht beigelegt, weil der Verlauf des klinischen Krankheitsbildes als ein 
Fortschreiten des enzephalitischen infektiösen Prozesses gedeutet wird. Es ist 
gewiß richtig, daß im Sinne der H e a d sehen Auffassung des Spannungs¬ 
zustands angenommen werden muß, daß jedes neue Aufleben der Infektion 
das Fortschreiten der motorischen Störung begünstigt. Aber die durch die 
Krankheit mobilisierten Triebkonflikte, die schon für sich allein schwere Pro¬ 
bleme stellen, genügen vielfach zum Verständnis und brauchen nicht durch 
die durchaus zugegebene Möglichkeit eines Fortbestehens der Infektion kom¬ 
pliziert zu werden. Und dieser Verdrängungskampf, mag er nun durch infek¬ 
tiöse Schädigung bedingt oder nur das Resultat eines Persönlichkeitsdefektes 
sein, ist ein großes Problem von außerordentlicher Bedeutung. 

Beim Parkinsonkranken ist sowohl eine reale als auch eine neurotische Be¬ 
drohung seines Gleichgewichts vorhanden. Erstere, weil der Bewegungs¬ 
apparat mehr oder weniger gestört ist, letztere, weil die Krankheit alte Trieb¬ 
konflikte mobilisiert. Die gesamte dynamische Situation ist verändert. Zum 
Verständnis möchte man der Entwicklung des Charakters des einzelnen 
Kranken besondere Aufmerksamkeit schenken, besonders der Gestaltung seines 
Über-Ichs. Man trifft Patienten, welche eine Enzephalitis mit deutlichen 
„Herdsymptomen“, das heißt mit Symptomen, die durch bestimmte, lokali¬ 
sierbare Läsionen des Nervensystems hervorgerufen werden, durchgemacht 
haben und doch wieder völlig geheilt sind. Hier handelt es sich also um Indi¬ 
viduen mit einer starken Heilungstendenz, der vielleicht ein in gewissem Sinne 
starkes Uber-Ich entsprechen mag, denen Konstitution und wohl auch frühes 
Erleben ermöglichten, Schwierigkeiten durch Anerkennung der Realität zu 
überwinden, statt zu Phantasien, Tagträumen oder Selbsttäuschungen ihre 
Zuflucht zu nehmen. Eine solche Fähigkeit zur Anpassung ist imstande, das 
Ich sozusagen von der unumgänglichen Realität zu überzeugen und so Regres¬ 
sionen zu verhindern; das Ich bleibt in der Lage, den Apparat auch in be- 








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Smith Ely Jelliffe 


schädigtem Zustande vorteilhaft zu handhaben und ihn trotz des Defekts zu 
normalen Funktion zurückzuführen. 

Bei einem „schwachen Uber-Ich“ aber, wie man es entweder bei Kindern 
(man beobachte die Wirkung der Enzephalitis auf die Haltung des Kindes!) 
oder bei Leuten mit schwächerer Konstitution antrifft, wird die tatsächliche 
Funktionsbeeinträchtigung in neurotischer Weise beantwortet und das Problem 
wird komplizierter. 

Es war schon vor Jahren, sogar bevor Parkinson sein Syndrom auf- 
stellte, bemerkt worden, daß bei präsenilen Parkinsonkranken ziemlich häufig 
„eigenartige“ Geisteszustände auftreten. Schon lange vor Parant (1888) 
sprach man von Modifikationen der humeur. Mendel führt eine reiche 
Literatur bis zum Jahre 1912 auf. Bei deprimierten, euphorischen, paranoiden 
und auch anderen pathologischen Ausdrucksformen des Charakterbildes kann 
man beinahe immer, besonders in frühen Fällen, eine auffallende Tendenz zur 
Entwicklung einer Art von Überspannung entdecken. Brissauds Scharf¬ 
sinn bemerkte diese Tendenz schon lange auf motorischem Gebiet und nannte 
sie „muskuläre Ungeduld“. G u t m a n n betonte kürzlich die starke Tendenz 
zu paranoider Reaktionsweise bei Enzephalitikern und Parkinsonkranken. Oft 
ist der Triebkonflikt, der sich in solchen Haltungen spiegelt, hinter der äußeren 
Maske größter Liebenswürdigkeit verborgen, gelegentlich auch hinter einer 
Euphorie, aber meistens gelingt es nicht so leicht, ihn zu kompensieren. 

Aus vielen Gründen kann man zu der Meinung kommen, daß die Parkin- 
sonschen Zustände ebenso auf unbewußte Faktoren in bezug auf ihre motori¬ 
schen Haltungen untersucht werden können wie die verwandten Erscheinungen 
bei katatonen Schizophrenen. Erste Versuche zu solchen Sondierungen wurden 
bereits anderweitig publiziert. 4 Über die motorische Starre ist bereits reiches 
Material vorhanden. Einige andere bemerkenswerte Symptome wurden in 
früheren Arbeiten über die Atmungsphänomene, okulogyrischen und kephalo- 
gyrischen Krisen diskutiert und werden heute noch bei postenzephalitischen 
Tics und Zwangsphänomenen weiter untersucht. Von anderer Seite liegen 
ebenfalls viele Studien über die motorischen Phänomene vor. Wenn hier nicht 

4) J e 11 i f f e, S. E. Psychopathology and Organic Disease, Arch. of Neur. & Psych. 
8, 639 (1922). The Neuropathology of Bone Disease, Trans. Am. Neur. Assoc., 49, 4 J 9 
(1923). Unconscious Dynamics and Human Behavior, Prince Memorial Volume, 1925» 
S. 331. Somatic Pathology and Psychopathology at the Encephalitis Crossroads, Jl. Nerv. 
& Ment. Dis. 61, 561 (1925). Psychoanalyse und organische Störungen, Int. Ztschr. f- 
Psa. XII, 1926, S. 51 7. The Mental Pictures in Schizophrenia and in Epidemie Ence¬ 
phalitis, Am. Jl. Psych. VI, S. 413 (1927). Jelliffe u. W. A. White, Diseases of the 
Nervous System, Ed. I—V, Lea & Febiger, Philadelphia, 1915—1929. 





























Die Parkinsonsche Körperhaltung 493 

weiter auf sie eingegangen wird, so hauptsächlich deshalb, weil dies in anderen 
Arbeiten in genügendem Maße geschehen ist. 5 

Nur einiges Wenige, was für diese Studie von besonderer Bedeutung ist, sei 
aus diesen Arbeiten angeführt. W i n k 1 e r s Diskussion der akustischen und 
Sprechapparate in einem Handbuch arbeitete zuerst die spezifische Proble¬ 
matik der motorischen Haltung der Kranken gegenüber ihrer Umgebung her¬ 
aus. Spater lenkte Schaltenbrand 6 in seinen bereits erwähnten Arbeiten 
die Aufmerksamkeit auf die motorische Reaktion „als Ganzest Er spricht vom 
„motorischen Haushalt“ und von der „Stimmung der Motorik“ auf Grund 
der jeweiligen Reize der Außenwelt, deren Objekte im Anschluß an Dar- 
w i n und U e x k ü 11 in „Feinde, Beute und Sexualobjekte“ eingeteilt werden. 
So verändere z. B. ein Raubtier, das seine Beute erblickt, augenblicklich seine 
Motorik; es vermeide vor allen Dingen, gesehen oder gehört zu werden; es 
gehe gebückt, vermeide Mitbewegungen oder halte sich regungslos. Damit 
kommt Schaltenbrand dem nahe, was hier ausgeführt wird. Auch für 
uns ist die „Stimmung der Motorik“ ein grundlegender Begriff, und wir be¬ 
haupten nur, daß sie beim Menschen komplizierter ist als beim Raubtier und auf 
psychoanalytischem Wege dem Verständnis näher gebracht werden kann. Es 
ist ja unserer Meinung nach gerade das Bild des „Spannungszustandes“, welches 
der Analyse bedarf und als Komplex von Affekthaltungen verstanden werden 
soll. Schon Schaltenbrand selbst machte auf das Parkinsonsche Syn¬ 
drom aufmerksam und meinte, daß wir denselben Tremor, der in diesem 
Syndrom auftritt, auch bei Angst und Wut in Erscheinung treten sehen; er 
sagte auch, der Mensch befinde sich, ohne es zu wollen, in einer Lauerhaltung, 
Angst- oder Wuthaltung. „Ohne es zu wollen“, darauf kommt es uns an. Es 
sind die unbewußten Gefühlseinstellungen, die diese ambivalente Haltung des 
Zurückweichens und der Herausforderung, des Angriffs und des Rückzugs 
verursachen. Endlich seien noch die zahlreichen Beiträge von Goldstein 
hier angeführt, sowie die aufschlußreiche und wertvolle Studie von Z u 11, 7 
dessen Begriff „innere Haltung“ viele Analogien zu Schaltenbrands 
»Stimmung des motorischen Haushalts“ sowie auch zur vorliegenden 

5) Jelliffe, S. E. Mental Picture in Schizophrenia and in Epidemie Encephalitis, 
Am. Jl. Psych. VI, S. 413 (1927). 

6) Schaltenbrand, G., Die Beziehungen der extrapyramidalen Symptomen- 
omplexe zu den Lage- und Bewegungsreaktionen, zum motorischen Haushalt und zu 
en Stammganglien, Deut. Zeit. f. N., 108, 209 (1929) (parti V). Siehe auch K e m p f s 
ürzlich erschienene ausgezeichnete Ausführungen über das „Anhalten des Atems“ bei 

Katatonien, Med. Jl. Record, 1930. 

7 ) Zutt, J., Die innere Haltung, Monat, f. Ps. und Neur., 73, 52, 243, 330 (1929). 
















494 


Smith Ely Jelliffe 


Diskussion der motorischen Symptome und des „Spannungszustands“ auf 


weist. 


Als ich einen enzephalitischen Patienten mit ausgesprochenem respiratori 
sehen Syndrom beschrieb, 8 der später auch ein okulogyrisches Spasmen-Syn 
drom entwickelte, wies ich darauf hin, daß ein weiterer Beitrag über diesen 
Patienten zum Problem des Tremors, der motorischen Starre und der psycho¬ 
genen Faktoren folgen werde. Ich gebe hier die Erweiterung der Kranken¬ 
geschichte nach dieser Richtung. 

Es handelt sich um einen jungen Mann, der mit achtzehn Jahren eine typh 
sehe Attacke von Enzephalitis lethargica durchmachte. Nachdem er sich von 
der akuten Phase erholt hatte, blieb ein ausgesprochen respiratorisches Syn¬ 
drom. Zwei Jahre nach der akuten Phase zeigte er: 

1. Paroxysmale dyspnoische Anfälle, nasale und buccale Tics, Ausnahme¬ 
zustände, Speichelfluß und tetanoide Krämpfe. 

2. Parkinsonsche Haltung mit paroxysmalem oder interkurrentem Tremor, 
rechts ausgesprochener als links. 

3. Charakteranomalien, die besonders im zweiten Jahre nach der akuten 
Attacke deutlich wurden. 

4. Leicht fettglänzendes Gesicht. 

5. Polydipsie und Polyurie. 

Der junge Mann kam 1924 in analytische Behandlung. Es trat Besserung 
ein. Später entwickelte er einige okulogyrische Krisen, die auch beschrieben 
und veröffentlicht wurden ( 1 . c.). Während der Analyse eines Traumes kam 
ein interessanter Punkt zum Vorschein. Hier folge zuerst der Traum: 

Ich träumte, daß Jerry und ich auf einen Zug warteten. Ein Polizist rannte 
auf Jerry zu. Jerry schlug den Polizisten. Der Beamte packt Jerry. Ich stehe 
Jerry bei. Der Polizist (ein kräftiger, sechs Fuß langer, blonder Kerl) packt 
mich auch beim Kragen. Ich heule wie ein kleines Kind. Jerry heult auch. Er 
wandert mit uns eine Weile herum und nimmt uns dann in eine alte Hütte. 
In der Hütte ist ein alter, schmutziger Raum. In dem Raum ist ein altes 
italienisches Ehepaar. Im benachbarten Zimmer ist eine junge italienische 
Frau. (Während der Polizist mich festhält und zur Hütte nimmt, bedrohe 
ich ihn.) Unterdessen geht der Polizist in der Hütte ans Telephon. Wie er 
geht, sage ich zu Jerry: „Laß uns davonrennen “ Jerry zögert einen Moment , 
dann stimmt er zu. Wir rennen in den Hof und verstecken uns hinter einem 
Schneehaufen. An dieser Stelle des Traumes wache ich auf. 




8) Jl. Nerv. & Ment. Dis. 63, S. 357 (1926); Arch. of Neur. & Psych., 17, S. 627 
(1929); Nervous & Mental Disease Monograph Series, Nr. 45, 1927. 


- 
















Die Parkinsonsche Körperhaltung 495 

Ich will hier nebenbei bemerken, daß die Niederschrift des Traumes auf- 
fällig erwe ^ se an der Stelle: „ shack , I am threatening “ (Hütte, ich bedrohe) 
einen ausgesprochenen Tremor zeigt. Ich besitze noch eine Menge anderen 
Materials, das bestätigt, daß der Tremor im Parkinson-Syndrom einem ver¬ 
drängten Sadismus entspricht. Doch dies nur nebenbei. 

So interessant und bedeutsam es ist, daß der Tremor uns die „innere Hal¬ 
tung“ oder „Stimmung der Motorik“ als durch Reaktionen auf unbewußte 
feindselige Impulse beherrscht nachweist, die sich im Zustande der Stauung 
befinden, noch charakteristischer ist die gebeugte Parkinsonsche Haltung der 
„Verteidigung“, die man mit Verteidigungsstellungen bei antiken und mo¬ 
dernen Statuen von Boxern, den Radierungen von B e 11 o w e s usw. ver¬ 
gleichen kann. 

Daß auch sie einer Abwehr von Feindseligkeit entspricht, wurde deutlich, 
als ich gelegentlich seine Schultern aufrichtete und ihm sagte, er solle sich ein 
wenig zusammennehmen. Der Gesichtsausdruck wie auch die nun einsetzende 
Starrheit der Haltung zeigten sofort an, daß die „motorische Stimmungs¬ 
reaktion“ des Patienten eine aktualisierte Regung plötzlich zu unterdrücken 
hatte. Die Abwehr war genügend stark, um irgendeinen äußeren Ausbruch 
der Wut zu verhüten; aber der Gedanke der Wut war dennoch da. Am Schluß 
der Stunde fragte ich ihn, was ihm in den Sinn gekommen sei, als ich ihn 
aufrichtete. Erst zögerte er, aber dann brach er los: '„Ich wollte sagen: ,Hör 
auf — Gott verdamm 5 dich! Ich hasse dich!* Sie waren so wie mein Vater, 
der mich morgens immer aus dem Bett zu ziehen versuchte, der gottver¬ 
dammte Hund.“ Und er verließ mich in sichtlicher Erregung. 

Beim nächsten Besuch, sechs Tage später, erzählte er mir, daß er eine 
schreckliche Zeit durchgemacht habe. Er wollte nicht mehr zu mir kommen, 
wollte morgens überhaupt nicht aufstehen. Er war meistens im Bett geblieben 
und hatte sich scheußlich gefühlt. Wiederholt hatte er nach seiner Mutter 
gerufen, sie solle sich an sein Bett setzen und seine Hand halten. Er dachte 
an ihren Tod. Er war sehr bekümmert um sie. Sonntag blieb er den ganzen 
Tag im Bett. Er rief häufig nach seiner Mutter. Er hatte verschiedene Aus¬ 
nahmezustände mit kalten Händen, Kontraktionen, starrem Gesicht und ver¬ 
krampfter Kiefermuskulatur. Als er wieder zu Bewußtsein kam, hatte er ein 
warmes Gefühl der Freundschaft für mich. Augenscheinlich teilte er mir die 
Rolle der Mutter zu. In seiner Haltung zeigte sich übertriebene Unterwürfig¬ 
keit, wie sie Abraham als oralen Ursprungs gekennzeichnet hat. 9 Er er¬ 
innerte stark an die extreme Zutunlichkeit gewisser Präseniler sowie auch an 


9) Abraham, Psychoanalytische Studien zur Charakterbildung. Int. psa. V. 












496 


Smith Ely Jelliffe 


die große Freundlichkeit gewisser normaler Individuen mit starken über 
kompensierten sadistischen Tendenzen. (Merkwürdigerweise finden sich ähn 
liehe Haltungen häufig bei Arthritis deformans, worauf ebenfalls schon auf 
merksam gemacht wurde.) 

Ein Beispiel für den Hyper-Spannungszustand bietet die bewußt als un¬ 
begründet erkannte paranoide Empfindung, daß er beobachtet werde. Oft 
macht er eine rasche Bewegung, um jemanden, der ihn beobachtet, zu er¬ 
tappen. 

Ein anderer Enzephalitis-Patient zeigt dieselbe Art von Hyper-Spannungs¬ 
zustand im Traum. Er macht Grimassen vor einem Spiegel und wechselt 
sein Gesicht schneller als der Spiegel. Sein Parkinsonismus war deutlich aus¬ 
geprägt. 

Einige Träume des ersten Patienten sind geeignet, noch mehr Licht auf 
die verborgene sadistische Bedeutung der motorischen Haltung zu werfen: 

Ich stehe im Ring als Boxer. Ich bin fertig gerüstet. Eine Menge Menschen 
herum. In der anderen Ecke ist ein Italiener. Er steht auf und spricht mit 
seinem Sekundanten. Ich stehe da, vor Furcht gelähmt. Ich setze mich, gerade 
bevor die Glocke ertönt. Wie sie ertönt, wache ich auf. 

Ein anderer Traum: 

Ich war im hinteren Teil eines Straßenbahnwagens und rauchte eine Ziga¬ 
rette. Der Schaffner nahm mich fest. Er führte mich am Arm zum vorderen 
Teil, und ich machte einen Versuch, mich loszureißen, aber er hielt mich 
fest. Dann bestand ich darauf, meinen Vater aufzusuchen, und er brachte 
mich in unseren Laden. Dann gingen Vater, der Schaffner und ich zum 
Richter in ein Zimmer wie dieses Sprechzimmer. Der Richter sagte meinem 
Vater , er solle die Geldstrafe in dem großen schwarzen Buch nach sehen. Es 
waren $ Dollar 25. Er sagte dann dem Richter, er könne den Betrag nicht 
finden und der Richter ließ mich laufen, wobei er sagte, ich solle es nicht 
wieder tun. 

Auch dieser Traum spiegelt die Notwendigkeit, die Neigung zu heraus¬ 
forderndem Benehmen aus Strafangst zu unterdrücken. — Ein dritter Traum: 

Ich war Zeuge einer Hinrichtung im elektrischen Stuhl. Zwei Männer und 
eine Frau waren steif an den Stuhl gebunden. Es war ein großer, vergitterter 
Raum. Die Lichter wurden nach und nach schwächer. Ich schien gefesselt 
und konnte mich nicht rühren. 

Dazu bemerkte der Patient: „Es war eine Art Alpdrücken. Ich hatte 
Angst. Es sah aus wie ein Unglück. Vielleicht dachte ich an den Snydei- 
Fall.“ (Sensationsfall, in dem eine Frau und ihr Liebhaber deren Ehemann 




















Die Parkinsonsche Körperhaltung 


497 


ermordeten und dann nach einem sensationellen Prozeß hingerichtet wurden.) 
„Die Frau war groß und schlank. Die Männer waren klein. Wie ich die Frau 
näher betrachte, gleicht sie einer mir bekannten Lehrerin. Die Lehrerin war 
eine Freundin meines Bruders, er hatte mit ihr ein Verhältnis. Zu dem einen 
der beiden Männer fällt mir B. B. ein, ein guter Freund von uns. Wenn ich 
sagen sollte, wer der andere war, so war es mein Bruder. Komisch, daß sie 
beide hingerichtet werden sollten. — Mord.“ 

Elektrische Schläge: „Ich ließ mich oft von einem Automaten elektri¬ 
sieren, wo man einen Penny hineinwirft. Ich wollte sehen, was ich aushalten 
kann. Einmal packte ich m,t beiden Händen zu. Wie man versucht, einen 
Penis zu halten. Masturbation. Wie wenn man Hände und Füße gefesselt 
hätte. Wie wenn man ein Rennen mit gefesselten Füßen laufen sollte.“ 

Das waren einige der Assoziationen zu diesem Thema. Sie zeigen, daß es 
sich in ihm um grausame, sadistische Strafphantasien für ödipuswünsche han¬ 
delt, besonders, wenn man sie im Zusammenhang mit andern ausgesprochenen 
ödipusträumen desselben Patienten betrachtet. Ein Traum derselben Nacht 
zeigte deutlich das Verlangen, das gleiche Liebesobjekt zu besitzen wie der 
ältere Bruder. Er seifte die Lehrerin am ganzen Körper weich ein und er¬ 
wachte, wie er dabei war, sein Glied einzuführen. Dieses Einseifen stammte 
aus seinen Masturbationsgewohnheiten. Der Zusammenhang der Geliebten des 
Bruders mit der Mutter wurde in einem weiteren Traumfragment derselben 
Nacht klar. Er demonstrierte, wie gut die Matratzenfedern eines Bettes waren, 
indem er mit einer fünfzig Jahre alten Frau lebhaften Verkehr hatte. Die 
Assoziationen zeigten, daß es sich um die Mutter handelte. 

Die feindseligen Impulse gegen den Bruder-Rivalen und eine kompensie¬ 
rende, von Schuldgefühl getragene Liebe zu ihm waren offenbar. Dieser 
Bruder hatte sich jahrelang mit äußerster Aufopferung der Pflege des Patienten 
gewidmet. Sein Bedürfnis nach Strafe für die als schuldhaft empfundene un¬ 
bewußte Feindschaft sowie auch sein Verlangen nach Abwehr der Homo¬ 
sexualität waren die hervortretenden Elemente seines Charakterbildes. 

Das aktuelle Trauma — die enzephalitische Infektion — hatte einen Zu¬ 
stand der Hilflosigkeit hervorgerufen; die Idee, er sei an Händen und Füßen 
gefesselt, war nur eine der zahlreichen Erscheinungsformen dieser Hilflosig¬ 
keit; und daher seine von Schuldgefühlen in Schach gehaltene Regression in 
. e Zeiten der frühen Kindheit, da man sich von der Außenwelt versorgen 
ieß und jede Versagung mit extremem Haß beantwortete. Diese Regression 
trat besonders klar zutage in den perversen Phantasien, die seine nunmehr 
zessiv betriebene Masturbation begleiteten: Fellatio, Cunnilingus, Kanni- 

kt. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIX—4 


32 









498 


Smith Ely Jelliffe: Die Parkinsonsche Körperhaltung 


balismus, Sodomie und sadistische Triebziele traten in seinen Phantasien auf 
Ein gut Teil der dieser Regression auf prägenital-sadistische Phasen entspre* 
chenden Fixierungen konnten anläßlich der Analyse seiner respiratorischen 
Symptome und der dyspnoischen Attacken erkannt und aufgelöst werden 
Aber einige der tieferen Fixierungen blieben immer noch in gewissem Grade 
wirksam und lagen den Angsterlebnissen der mitgeteilten Träume zugrunde 
Das Studium der Konflikte zwischen altem, objektzerstörerischem Triebver¬ 
langen und angstvoll-schuldbeladener Abwehr des Ichs im Zusammenhang 
mit solchen Enzephalitis-Fällen ist sehr empfehlenswert. 

Es ist unmöglich, im Rahmen der vorliegenden Arbeit genauer darzulegen 
inwieweit die Reaktion des psychischen Apparats auf den Krankheitsprozeß 
der Enzephalitis in einer regressiven Umgestaltung des Ichs und seiner Reali¬ 
tätsprüfung und inwieweit sie in einer Änderung der Funktion des Über-Ichs 
besteht. Jedenfalls werden die Triebabwehrkonflikte außerordentlich ver¬ 
stärkt. Das Schwanken zwischen objektfeindlichem und reaktivem Verhalten 
wird exzessiv. Die „Stimmung der Motorik“ nimmt wieder primitive Formen 
an. Der Spannungszustand des Individuums beginnt, sich denjenigen gewisser 
toxischer Zustände zu nähern, wie sie als Begleiterscheinung mancher mystisch¬ 
religiöser Kulte oder unter der Einwirkung bestimmter Pharmaka auftreten. 
Das extreme Schwanken zwischen Liebe und Haß führt auch zu Extremen 
des motorischen Verhaltens. Beim hyperkinetischen Enzephalitiker, der sich 
im Zustande der Überspannung befindet, ist der Konflikt zwischen Trieb und 
Schuld wenigstens eine Determinante für einen Teil des motorischen Ver¬ 
haltens. 

















Beiträge zur Psychologie der Homosexualität IV. 

Ober zwei Typen von männlichen Homosexuellen 1 2 

Von 

Felix Boelim 

Berlin 

„Der Wegfall eines starken Vaters in der Kindheit begünstigt nicht selten 
die Inversion“; 3 das ist eine Erfahrung, welche seit vielen Jahren von allen 
Analytikern immer wieder bestätigt worden ist. Hingegen hat Härnik 
auf der Dresdner Tagung der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft 
darauf hingewiesen, daß männliche Homosexuelle zuweilen einen starken, 
vielleicht brutalen Vater haben. Der erste Patient, bei welchem ich zu Beginn 
meiner analytischen Praxis ein ungewöhnlich hohes Maß von, ihm freilich 
nicht bewußter, Zuneigung zum eigenen Geschlecht bemerken konnte, hatte 
einen ungewöhnlich egoistischen und brutalen Vater gehabt, welcher sich im 
Familienleben jede Freiheit und ein häufiges Sichhinwegsetzen über die 
Schranken der in seinen Kreisen sonst üblichen gesellschaftlichen Formen 
gestattet, aber von seinen Familienangehörigen unbedingte Pflichterfüllung 
und ein ständiges Einhalten aller Gebote von Zucht und Ordnung verlangt 
hatte. Er hatte sich fast gar nicht um meinen Patienten gekümmert, ihn aber 
mit drakonischen Mitteln angehalten, seine Schulaufgaben zu erledigen. Auf 
diesen Patienten traf zu, was ich in meiner Studie über „Kindheitskonflikte 
und Homosexualität“ 4 gesagt habe: „Wenn dem Sohn jeder Lebensgenuß vor¬ 
enthalten wird, ihm nur Arbeiten und Pflichten vom Vater gepredigt werden, 
so kann in ihm die Freude am Leben, auch am sexuellen Genuß ertötet 
werden. Der Sohn kann in dem Maße eingeschüchtert werden, daß er sich 

1) Vergl. Int. Ztschr. f. Psa., VI, 1920; VIII, 1922, u. XII, 192 6 . 

2 ) Nach einer am 12. I. 1932 in der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft vor¬ 
getragenen „Kleinen Mitteilung“. 

3 ) Freud : „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“, Ges. Sehr., Bd. V, S. 19. 

4) Ztschr. f. psa. Pädagogik, VI, 1932. 


32* 








joo 


Felix Boehm 


an kein Mädchen herantraut und in der Entwicklung seines geschlechtliche 
Empfindens auf einer frühen Entwicklungsstufe stehenbleibt“; d. h. in diesem 
Falle hatte der Patient eine größere Zuneigung zu Männern als zu Frauen 
beibehalten. Zwar hatte er seinen Vater bewußt gründlich gehaßt und gleich 
nach seinem Tode viele Gegenstände desselben zerhackt und verbrannt, 
jedoch überwog die Angst vor seinem Vater. Derselbe Patient fiel mir an¬ 
derseits durch eine besonders entwickelte Analerotik auf; z. B. war seine 
ganze Lebensführung davon abhängig, ob er eine ihm zusagende Toilette 
vorfand. — Ein charakteristischer Traum dieses Patienten lautet folgender¬ 
maßen: ,Ich befand mich auf einer kastenförmigen Kindertoilette und rutschte 
mit derselben , die Mutter suchend, hin und her; schließlich fand ich die 
Mutter auf einer Bank und stellte meinen Kasten hocherfreut daneben hin 
Ich hatte die stille Hoffnung } daß die auf steigenden Düfte bis zu ihr dringen 
und ihr einen Gruß von meiner Anwesenheit übermitteln würden / 

Das Auftreten von Analerotik und Homosexualität bei derselben Person fiel 
mir auf; obgleich die Homosexualität dem Patienten nicht bewußt geworden 
war und sich nie in manifesten Handlungen geäußert hatte, mußte ich an 
Freuds Worte 5 denken: „Bei den Inversionstypen ist durchweg das Vor¬ 
herrschen archaischer Konstitutionen und primitiver psychischer Mechanis¬ 
men zu bestätigen. Die Geltung der narzißtischen Objektliebe und die Fest¬ 
haltung der erotischen Bedeutung der Analzone erscheinen als deren wesent¬ 
lichste Charaktere.“ 

Tiefere Zusammenhänge zwischen Analerotik und Homosexualität habe 
ich später durch die Behandlung eines manifest homosexuellen jüngeren Pa¬ 
tienten erkannt. Er berichtete: „Soweit ich mich erinnern kann, habe ich selten, 
d. h. nur alle zwei bis drei Tage mit Mühe Stuhlgang gehabt“ — darauf be¬ 
schreibt er ausführlich seine anale Onanie: — „dadurch habe ich meinen 
Kot zum Penis gemacht und bin zum passiven coitus per anum vorbereitet 
worden“. Als Jüngling hatte er mit sehr vielen Männern kürzer oder länger 
dauernde manifeste homosexuelle Beziehungen, in welchen jede Art von 
homosexueller Betätigung aufgetreten war, mit Ausnahme eines coitus per 
anum. Nachdem er von einem etwas älteren und erfahreneren Manne, in 
den er heftig verliebt war, gezwungen worden war, an sich die paedicatio 
vornehmen zu lassen, hatte sich sein ganzes Leben verändert; „mich per anum 
koitieren zu lassen, war Gewissermaßen ein Selbtsmord, eine vollkommene 
Aufgabe der Persönlichkeit“. Er hatte nach seinen eigenen Schilderungen 
alle Ideale und alle Interessen vollständig verloren, mit Ausnahme eines ein- 


5) Ges. Sehr., Bd. V, S. 19. 


















Beiträge zur Psychologie der Homosexualität IV 


501 


z igen: möglichst schnell in seinem Beruf vorwärts zu kommen, angesehen, 
mächtig und reich zu werden. 6 In dieser Beziehung hatte er es auch trotz 
seiner Jugend ungewöhnlich weit gebracht, dabei einen ausgesprochen analen 
Charakter entwickelt. Während dieser Lebensperiode betätigte er sich seinen 
homosexuellen Freunden gegenüber, auch wenn die Beziehungen nur in 
gegenseitiger Masturbation bestanden, ausgesprochen sadistisch. Von da ab 
ließ sich in seinen Beziehungen zu Männern ein bestimmter Typ klar heraus¬ 
schälen: Ein jüngerer, geistig unter ihm stehender, schwächlicher, in seiner 
Heterosexualität labiler Jüngling. Einen solchen verführte er in verschiedenen 
Fällen mit Erfolg zu verschiedenen gegenseitigen homosexuellen Betätigungen, 
machte ihn der Frau untreu und verfolgte ihn gleichzeitig mit starkem 
Sadismus. Gegenüber diesen jüngeren Freunden hatte er die verschiedensten 
Kastrationsphantasien; er berichtete mir auch, daß der ihm geläufige Aus¬ 
druck für homosexuelle Betätigungen das Wort „schwächen“ wäre. In 
Berliner homosexuellen Kreisen sagt man für „jemanden onanieren“ auch 
„jemanden unschädlich machen“. — Zusammenfassend kann ich sagen, daß 
dieser Patient, seitdem er zum erstenmal per anum koitiert worden war, 
einen ausgesprochen analsadistischen Charakter enwickelt hatte. 

Daß bei männlichen Homosexuellen ihren sogenannten Freunden gegen¬ 
über unverhüllte Kastrationstendenzen vorhanden sind, habe ich schon in 
meinem Würzburger Vortrag über „Homosexualität und Ödipuskomplex“ 7 
dargelegt. — Nachdem mein Patient nach einem längeren Stück Analyse 
bei mir mit Recht konstatiert hatte, die Analerotik sei ihm gleichgültig ge¬ 
worden, manifestierte sich seine Homosexualität hauptsächlich in einem weit¬ 
gehenden Interesse für die männlichen Genitalien, insbesondere in einem Be¬ 
schauen derselben. 

Diesem jugendlichen Patienten, welcher während seiner analsadistischen 
Entwicklungsepoche seinen Freunden gegenüber gelegentlich einen ausge¬ 
sprochenen Sadismus gezeigt hatte, möchte ich einen anderen jugendlichen 
Patienten gegenüberstellen, welcher zwar auch ausgesprochen geizig und 
trotzig war und auch jede Art von homosexueller Betätigung kennengelernt 
hatte, dessen Hauptschwierigkeit in der sehr langen Behandlung aber die 

6) S a d g e r betont in seinem Aufsatz „Ketzereigedanken über Homosexualität“, 
Archiv für Kriminalanthropologie und Kriminalistik, herausg. v. Hans Gross, 1914, 

59, die Wichtigkeit des Schutzes Minderjähriger vor sexuellen Verführungen und tritt 
für denselben nochmals in seinem Werke „Die Lehre von den Geschlechtsverirrungen“ 
(S. 156) ein. 

7 ) Int. Ztschr. f. Psa., XII, 1926, S. 66. 










502 


Felix Boehm 


Überwindung des Narzißmus war. Er stellte große Anforderungen an mein 
Persönlichkeit, meine Opferwilligkeit, fühlte sich von mir nicht genügend 
gefördert, tadelte an mir, ich entspräche seinem Ideal nicht, könnte ihm als 
Lehrer nicht genug bieten. Seine Beziehungen zu allen seinen Lehrern waren 
daran gescheitert, daß sie seinen überspannten Anforderungen nicht ent 
sprochen hatten. Auch in diesem Fall tauchten in der Analyse wiederholt 
aktive Kastrationsphantasien auf, aber im Vordergrund des Bildes stand doch 
die grenzenlose Selbstverliebtheit, welche ihm jede wirkliche Verbindung mit 
einem Manne auf die Dauer unmöglich gemacht hatte. 

Noch lange nachdem er schon zu ihn sehr befriedigenden psychischen und 
körperlichen Relationen zu Frauen gekommen war, besuchte er nach jeder 
geringfügigen psychischen Erschütterung Örtlichkeiten, in welchen er Männer 
beim Urinieren beobachten, d. h. sich deren Genitalien ansehen konnte. Ich 
bemerke nebenbei, daß es männliche Homosexuelle gibt, deren einziges 
Sexualziel das Beschauen der männlichen Genitalien ist, insbesondere wenn 
sie vermuten können, daß deren Träger heterosexuelle Beziehungen haben. 

Wenn ich diese Gegenüberstellung verallgemeinere — und ich darf es 
wohl auf Grund eines größeren Beobachtungsmaterials —, so komme ich zu 
dem Resultat, daß man in extrem entwickelten Fällen zwei verschiedene 
Typen von männlichen Homosexuellen unterscheiden kann, nämlich einen 
analsadistischen und einen narzißtischen. 

Meine Beobachtungen lehren mich ferner, daß der analsadistische Typ 
gewöhnlich unter dem Einfluß eines brutalen Vaters stand, der narzißtische 
unter dem eines femininen, häufig in sich selbst oder in andere Männer ver¬ 
liebten Vaters, welcher der Frau gegenüber eine geringe Aggression besaß. 
Für diese Behauptung will ich einige Beispiele aus meiner Praxis bringen: 

Der Vater des eben erwähnten narzißtischen Patienten hatte frühzeitig 
seine Potenz verloren; er war stark in seinen Sohn verliebt, verweichlichte 
ihn sehr und behandelte ihn allzufrüh als gleichberechtigten Kameraden, 
z. B. pflegte er seinen kleinen Sohn zu animieren, mit ihm zusammen im 
W. C. zu urinieren. Die offenbar vorhandene Begabung des Sohnes betete 
er frühzeitig an und fand sie einzigartig. 

Ein Patient, welcher sich seit vielen Jahren mit starken Hemmungen 
homosexuell zu betätigen versucht hatte, berichtete mir, daß er von frühester 
Kindheit an getrennt von seiner Mutter leben mußte und ganz der Willkür 
seines schrullenhaften und pedantischen Vaters ausgeliefert war, welcher ihn 
je nach seiner Laune körperlich oder psychisch quälte, wenn er sich nicht 
allen wechselnden Anschauungen seines Vaters fügen konnte. Ich. möchte nun 






















Beiträge zur Psychologie der Homosexualität IV 503 

einig e Einzelheiten aus seiner Analyse erwähnen, welche seine Fixierung an 
(Jie analsadistische Entwicklungsstufe beweisen: 

Unter größten Schwierigkeiten förderte er in langer analytischer Arbeit 
tlie Erinnerung zutage, daß er als kleines Kind von seiner Hausdame klistiert 
worden war; durch diese Aufdeckung verlor sich seine Angst vor bestimmten 
Verkehrsmitteln. Später gelang es ihm, mühsam und konsequent den für 
ihn sehr bedeutungsvollen Sachverhalt herauszuarbeiten: eine Erzieherin hatte 
ihn zur Reinlichkeit angehalten, ihm seine Exkremente weggenommen, aber 
ihm ihrerseits kein entsprechendes Geschenk gemacht. Nach einiger Zeit be¬ 
richtete er, daß er sich zum erstenmal in einem ihm bekannten Kreise von 
Homosexuellen frei und hemmungslos betätigen konnte, zum erstenmal in 
seinem Leben aktiv und mit Genuß koitieren konnte; „neulich habe ich einen 
Mann per anum koitiert; es tat ihm weh, er zuckte zusammen, ich hatte die 
Empfindung, ihn defloriert zu haben; ich dachte aber: das ist recht so, es soll 
ihm wehtun! Einen Genuß bei diesem Akt hatte ich wahrscheinlich, weil 
mein Penis eng von einer Körperöffnung umschlossen wurde. Aber auch die 
Vorstellung, mit Exkrementen in Berührung zu kommen, muß sehr anziehend 
sein“. Patient berichtete etwas später, daß er manchmal in angeheitertem 
Zustand versucht hat, mit seinen Händen den Bauch seiner Freunde zu 
drücken; alle Männer wehrten ab und hatten kein Verständnis für diese Nei¬ 
gung. Er knüpfte daran folgende Phantasien: „"Wenn ich einen Mann per 
anum koitiere, gleichzeitig seinen Bauch mit den Händen drücke und knete, 
so habe ich die Vorstellung, auf diese Weise einen Kotwiderstand gegen meinen 
Penis zu erzeugen oder ein anales Kind mit meinem Penis zu erstechen.“ Die 
Einfälle zu einem späteren Traum faßte er folgendermaßen zusammen: „Das 
weibliche Genitale, welches auch eine Körperöffnung ist, ist minderwertig und 
weniger anziehend, weil in demselben keine Exkremente sind.“ 

Von einem späteren Verkehr berichtete er: „Ich suchte eine Öffnung, und 
die hatte ich gestern bei einem jungen Mann gefunden, der mir an sich ganz 
gleichgültig war; daß der Mensch auch an der Öffnung hing, interessierte 
mich gar nicht.“ Hier erscheint der coitus per anum als eine fast autoerotische 
Betätigung, was ich für diese Art der sexuellen Vereinigung von Männern 
nicht verallgemeinern möchte; aber jedenfalls pflegt die gefühlsmäßige Bin¬ 
dung unter Männern, welche die gegenseitige Masturbation bevorzugen, viel 
intensiver zu sein. Ein besonderes Interesse für die Genitalien anderer Männer 
habe ich bei diesem Patienten, welcher von seinem Vater, wie gesagt, in 
sklavischer Abhängigkeit erzogen worden war, in langer und gründlicher 
Analyse nie bemerkt. Sein früher versteckter Haß gegen seinen Vater wurde 







j 










unter anderm bei folgenden Gelegenheiten manifest: Einmal berichtete er • 
ausgesprochener Schadenfreude, einen pedantisch-sadistischen Vorgesetzten^ 
einem homosexuellen Lokal angetroffen zu haben; einer der ersten Männ 
die er per anum koitiert hatte, war ein älterer Herr, welcher in einem 
früheren Stück Analyse als deutliche Vaterersatzfigur vorgekommen war 
Ein anderer homosexueller Patient berichtete mir, daß sein Vater ’ 
praktischer, erfolgreicher, aber engherziger Mann war, der ihm noch als 
langst erwachsenem Manne strengste Vorschriften über sein Sexualleben zu 
machen versuchte. In das Liebesieben seines Sohnes hatte er mehrfach kate¬ 
gorisch eingegriffen. Die Angst des Patienten vor seinem Vater kommt in 
einem heterosexuellen Traum deutlich zum Ausdruck: „Im Schlafwagen ist 
es so heiß. Es kommt ein dürftig bekleidetes Mädchen herein. Ich gehe auf sie 
zu und will ihr meinen erigierten Penis zeigen. Dabei veranlaßt sie mich, eine 
Stellung einzunehmen, bei welcher die Szene dem im Hintergrund schlafenden 
Vater verhüllt wird,“ 


Nachdem Patient als fast erwachsener Mann in seinem Gefühlsleben von 
seinem Vater aufs heftigste schockiert worden war, ging er seine erste homo¬ 
sexuelle Beziehung ein, und zwar zu einem kräftigeren Mann, von dem er an 
sich wiederholt die paedicatio ausüben ließ. Während dieser Periode seines 
Lebens hatte er Phantasien, sich von einer großen Schar Männer koitieren zu 
lassen. In seinen Träumen tauchten wiederholt Exkremente in reichem Maße 
auf, z. B., daß er in einer Wanne voller Exkremente baden mußte; ein an¬ 
derer Traum lautete: „Da ist eine Badeeinrichtung , es baden ältere Leute; 
ich bade auch; es kommt sehr bald eine braune Flüssigkeit aus der Leitung. 
Der Blick aus dem Fenster zeigt , daß das Badehaus in einer Mulde liegt; der 
Kaffeesatz kommt aus den Abwässern hoch“ 

Eine andere Einzelheit aus einem Traum: „Ich bin in einer schneebedeckten 
Waldlichtung; da wird es an den Seiten des verschneiten Bodens lebendig; es 
sind kleine , wie aus braunem Stoff zusammengesetzte Männer, die in einzelne 
Teile zerfallen und dann liegenbleiben.“* 

Soweit in seinen Träumen Symbole für genitale Vorgänge vorkamen, 
waren alle mit Einzelheiten aus der analen Entwicklungsstufe durchmischt. 
Ein Traum lautet: „Ich gehe eine Kellertreppe hinunter. Unten ist ein großer 
Abort. Hier kauert sich ein junger Mann in einer Nische zusammen , ist ganz 
klein geworden und will von mir per anum koitiert werden. Ich uriniere in 
einen Schleimhauttrichter , wie in einen After , der mit meinem eigenen Kör - 

8) In Boas „Indianischen Sagen“ von der Nordwestküste Amerikas ist die Ent¬ 
stehung von Menschen aus Exkrementen mehrfach beschrieben, z. B. auf S. 172. 















Beiträge zur Psychologie der Homosexualität IV 



5 °S 


per zusammenhängt und der in ansehnlicher Breite wie ein Riesenpenis vor 
meinen Oberschenkeln hängt“ 

Nach diesen Einzelheiten aus dem intimen Leben invertierter Männer 
erlaube ich mir einige theoretische Feststellungen abzuleiten: Wenn Freud 
in seinen „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ 9 sagt: „Die Geltung der 
narzißtischen Objektwahl und die Festhaltung der erotischen Bedeutung der 
Analzone erscheinen als deren wesentlichste Charaktere“ (bei den Inversions¬ 
typen), so ist das sicher richtig, aber die beiden Charaktere brauchen meines 
Erachtens durchaus nicht vereint aufzutreten — und das betont ja auch 
Freud selber, wenn er sagt: 10 „Die wichtige festzustellende Tatsache ist, 
daß das Sexualziel bei der Inversion keineswegs einheitlich genannt werden 
kann, bei Männern fällt Verkehr per anum durchaus nicht mit Inversion 
zusammen; Masturbation ist ebenso häufig das ausschließliche Ziel, und Ein¬ 
schränkungen des Sexualzieles — bis zur bloßen Gefühlsäußerung — sind 
hier sogar häufiger als bei der heterosexuellen Liebe.“ 

Weiter heißt es bei Freud i * 11 „Zwei Gedanken bleiben nach diesen Er¬ 
örterungen immerhin bestehen; daß auch für die Inversion eine bisexuelle Ver¬ 
anlagung in Betracht kommt, nur daß wir nicht wissen, worin diese Anlage 
über die anatomische Gestaltung hinaus besteht, und daß es sich um Störungen 
handelt, welche den Geschlechtstrieb in seiner Entwicklung betreffen.“ Diese 
Störungen können nach meinen Beobachtungen vorzugsweise entweder auf 
der analsadistischen Entwicklungsstufe oder in der narzißtischen Phase auf- 
treten. Berücksichtigt werden muß für die Invertierten, welche die paedicatio 
bevorzugen, die besondere Rolle der Exkremente. Ein homosexueller Patient 
erzählte nach längerer Analyse, durch welche er zeitweise zu genußreichem 
heterosexuellen Verkehr gekommen war, von einer Wiederaufnahme der Be¬ 
ziehungen zu einem früheren Freunde: „Nach längeren vergeblichen und 
qualvollen Versuchen gelang es mir schließlich, durch Berühren des Afters 
mit meiner Zunge zum Orgasmus zu kommen.“ Ein anderer erzählte: „Wenn 
ich Husaren sah, welche eine kurze Jacke mit einem Schlitz trugen, der sich 
ab und zu öffnete, mußte ich zwangsweise an deren Exkremente denken.“ 

Über Autoerotismus und Narzißmus sagt Freud in seiner Arbeit „Zur 
Einführung des Narzißmus“: 12 „Ehe ich weitergehe, muß ich zwei Fragen 
berühren, welche mitten in die Schwierigkeiten des Themas leiten. Erstens: 
Wie verhält sich der Narzißmus, von dem wir jetzt handeln, zum Autoero- 

9/10) Ges. Sehr., V. Bd.,'S. 19. 

11) Ges. Sehr., V. Bd., S. 16. 

12) Ges. Sehr., Bd. VI, S. 158 u. 159. 


j 








tismus, den wir als einen Frühzustand der Libido beschrieben haben? 2 u 
Frage... bemerke ich: es ist eine notwendige Annahme, daß eine dem Ich 
vergleichbare Einheit nicht von Anfang an im Individuum vorhanden ' 
das Ich muß entwickelt werden. Die autoerotischen Triebe sind aber Uran ’ 
fänglich; es muß also irgend etwas zum Autoerotismus hinzukommen eine 
neue psychische Aktion, um den Narzißmus zu gestalten.“ 

Es gibt meines Erachtens also zwei Arten von männlichen Homosexuellen- 
solche, bei denen die narzißtische Phase noch nicht erreicht ist oder eine 
weitgehende Regression in das autoerotische Stadium stattgefunden hat, und 
solche, bei welchen die Fixierung an die narzißtische Phase ausschlaggebend 
die Fixierung an die analsadistische Entwicklungsstufe aber von geringerer 
Bedeutung ist. 

Selbstverständlich werden in allen Analysen beider Typen auch frühere 
Ödipussituationen aufgedeckt; auch die in denselben entstandene Angst 
vor dem Vater, insbesondere die Kastrationsangst, welche zur Regression 
auf frühere Entwicklungsstufen geführt hat, und weitere, die Regressionen 
begünstigende Einflüsse, wie Vorstellungen von der Männlichkeit der Frau, 
und die Angst, welche sie durch ihr mächtiges Genitale einflößt. Die Bezie¬ 
hungen zwischen ödipuswünschen und Kastrationstendenzen zeigt eine häu¬ 
fig aufgetretene Phantasie eines homosexuellen Patienten: „Mein sexueller 
Partner, ein jüngerer Mann, will eine Frau mit seinem enormen Penis koi- 
tieren; ich fahre im letzten Augenblick mit der Hand dazwischen, um ihn 
zu stören, oder ich onaniere denselben, um ihm den Koitus unmöglich zu 
machen ; im Verlauf der Analyse änderte sich die Phantasie in der Weise, 
daß sein Partner ein älterer, starker Mann war. Die Kastrationsangst dieses 
jugendlichen Patienten bedarf wohl keiner weiteren Erklärung, ebensowenig 
die aus letzterer resultierenden Tendenzen zur Regression der Libido. 

Alle Einzelheiten der hier mitgeteilten Analysen stammen von Homo¬ 
sexuellen des analsadistischen oder des narzißtischen Typus; in allen mir 
bekanntgewordenen Fällen hatte der erste Typus einen brutalen Vater, 
welcher die Lebensfreude des Sohnes mit Gewalt zu unterdrücken versucht 
hatte; der narzißtische Typus einen in seinen Sohn verliebten Vater mit 
schwacher Potenz, welcher den Narzißmus des Sohnes weitgehend gefördert 
hatte. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die hier mitgeteilten Ergebnisse 
aus Analysen einer naturgemäß beschränkten Zahl von Patienten mit den 
Erfahrungen anderer Forscher verglichen würden. 
















Dter 

die psychischen Prozesse bei Basedow^Psychosen 

Von 

Therese B enedek 

Iyeipsig 

Ich müßte zuerst einiges als captatio benevolentiae sagen, weil ich Ihre Zeit 
für zwei Krankheitsfälle in Anspruch nehme, die als organisch-funktionell be¬ 
dingte Zustände nicht in das engere Arbeitsgebiet der Psychoanalyse gehören 
und auch nicht psychoanalytisch behandelt worden sind. Es sind zwei Fälle 
von Thyreotoxicosen, die aber durch ihren in kurze Zeit gedrängten Ablauf 
und durch die relative Übersichtlichkeit ihrer Mechanismen so vieles boten, 
was auch den Psychoanalytiker interessieren kann, daß ich mich entschlossen 
habe, sie hier zu veröffentlichen. 

Die Literatur der Thyreotoxicosen ist schier unendlich; aber die Angaben 
und Veröffentlichungen über die psychischen Zustände bei denselben bewegen 
sich meistens in allgemeinen Beschreibungen. Es ist bekannt, daß thyreotoxische 
Zustände, also Zustände, die als Folge der gesteigerten Funktion der Schild¬ 
drüse anzusehen sind, mit verschiedenen nervösen und seelischen Verände¬ 
rungen einhergehen. Psychische Unruhe, Steigerung des psychischen Tempos, 
gesteigerte Reaktion auf seelische Eindrücke mit raschem Gedankenablauf, mit 
Ideenflucht, Neigung zu plötzlichem Stimmungswechsel, bald unmotiviert 
heitere Euphorie, bald Melancholie und Depression sind die Charakteristika 
der hyperthyreotischen Zustände. Es gibt auch echte psychotische Zustände, 
von denen eine sehr große Prozentzahl der Fälle das manisch-depressive Zu¬ 
standsbild zeigt. Nach den Angaben von Par hon * 1 waren von 86 Basedow - 
Psychosen 57 manisch-depressiv. Es besteht eine gewisse Unklarheit darübe r, 

*) Nach einem Vortrag, gehalten in der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft am 
26. November 1932. 

1) P a r h o n : Uber das Vorkommen von verworrener Manie bei einer Kranken von 
Schilddrüsenhypertrophie. (Wien. klin. Wchschr., Bd. 6 5, 1915.) 







jo8 


Therese Benedek 


ob und inwiefern man der Hyperthyreose selbst eine ätiologische Bede 
bei diesen Zuständen beimessen soll. Für die Auffassung sprechen Beobaclf 
tungen, nach denen diese Zustände durch die Behandlung des Grundleidens 
weitgehend gebessert worden sind, und auch die Beobachtung, daß solche 2 iT 
stände durch Zufuhr von Schilddrüsenpräparaten ausgelöst werden kön 
Dagegen sprechen wiederum die Beobachtungen, die zeigen, daß in den meisten 
Fällen psychische Motive nicht auszuschließen sind. Es ist bekannt, daß nicht 
nur der Hyperthyreoismus eine gesteigerte nervöse Erregbarkeit zu schaffen 
vermag, sondern auch umgekehrt, daß starke psychische Erregungen Thyreo- 
toxicosen aktivieren und akut, schockartig Morbus Basedow hervorrufen 
können. Der kausale Zusammenhang zwischen Morbus Basedow, Hyper¬ 
thyreosen und Psychosen ist noch keinesfalls geklärt; trotzdem schreibt 
Ewald: „Es ist mehr als Zufall, daß sich die Kombination gerade von 
manisch-depressivem Irresein und Basedow so häufig findet.“ 

Ich möchte hier über zwei Fälle ausführlicher berichten, die meines Er¬ 
achtens geeignet sind, den Ablauf des psychischen Prozesses in dem depres¬ 
siven Krankheitsbild zu zeigen und auch vielleicht einige Anhaltspunkte dafür 
zu liefern, warum die manisch-depresssiven Zustands¬ 
bilder als Folge und Begleiter der Thyreotoxicosen so 
häufig entstehen. 

I. Bei dem ersten Fall äußerte sich die depressive Verstimmung als eine Phobie. 
Es handelte sich um eine 33 Jahre alte Patientin, die im Juli 1931 plötzlich nach 
einer seelischen Erschütterung an Morbus Basedow erkrankte. Wegen dieser Krank¬ 
heit, die alle klassischen Symptome aufwies und durch Stoffwechseluntersuchung 
auch kontrolliert wurde, war sie in der Medizinischen Poliklinik in Leipzig in Be¬ 
handlung und wurde von dort zu mir gewiesen, weil sie an maßlosen Angstzu¬ 
ständen litt, deren Inhalt folgender war: sie wagte nicht, in ihre Küche zu gehen, 
weil sie Angst vor der Balkontüre hatte. 

Als die Patientin zu mir kommt, ist sie ängstlich erregt, weint, ist gesperrt und 
spricht ganz verworren. Auf die Frage, ob sie Kinder hätte, antwortet sie: „Drei 
Stück , und beschuldigt sich verworren, daß sie an dem Tod ihres einzigen Sohnes 
schuld sei, ebenso wie sie das Leben ihrer ältesten Tochter, die schwer krank in der 
Klinik liegt, auf dem Gewissen hätte. Aber das alles interessierte sie nicht. Ihc 
momentaner psychischer Zustand wird beherrscht und ausgefüllt allein durch die 
Angst. Sie hat Angst vor der Balkontür, und deswegen kann sie auch nicht allein 
in ihrer Wohnung bleiben. 

Die oberflächliche Geschichte dieser Balkontürphobie ist folgende: In dem Hause, 
in dem die Patientin wohnte, wohnte eine Familie B.; Frau B. war krank, ver¬ 
einsamt, melancholisch und suchte die Freundschaft der Patientin. Diese Frau B. 

2) G. Ewald: Psychosen bei endokrinen und Stoffwechselerkrankungen. (Handbuch 
der Geisteskrankheiten. Herausgegeb. von Bumke. Bd. 7, Spez. Teil 3. Springer, Berlin.) 


















Über die psychischen Prozesse bei Basedow-Psychosen 


509 

beging zuerst im Frühling 1931 einen Suizidversuch. Auf Veranlassung der Patientin 
w urde Frau B. damals in die Nervenklinik gebracht, aber bald entlassen. Kurz 
danach erhängte sich Frau B. in ihrer Küche an der Balkontür. Die Patientin war 
Über diesen Todesfall sehr erschrocken; aber bald fühlte sie, wie in ihr eine Abwehr 
aufstieg- Sie wollte von Frau B. nichts mehr hören, nichts mehr wissen, sie wollte 
m it dem Ehemann der Verstorbenen nicht sprechen, ihr verwaistes Kind konnte 
sie nicht mehr ansehen. Es lastete schwer auf ihr, nur wußte sie nicht was, und 
sie sagte zu sich und zu ihrem Manne: „Hätte ich nur die Frau B. nie gekannt.“ 
Sie fing an, die Menschen zu meiden, die Frau B. gekannt hatten, weil sie befürchtete, 
man würde sie nach ihr fragen; zugleich fahndete sie ständig nach Selbstmord¬ 
vorfällen, und fand sehr viele solche. Plötzlich hatte ihre Unruhe und Angst feste 
Formen angenommen. Sie hatte Angst, in die Küche zu gehen, sie hatte Angst vor 
der Balkontür. Sie will nicht mehr in der Wohnung bleiben. Sie reist in ihre Hei¬ 
mat, wo ein Arzt den Verdacht auf Basedow ausspricht. Als sie zurückkommt, 
findet sie in der neuen Wohnung auch keine Ruhe; ihre Symptome steigern sich, 
so daß sie sich in Behandlung begeben muß. 

Wir haben hier den Eindruck, daß ein psychischer Schock den Morbus Basedow 
aktivierte. Bei genaueren anamnestischen Nachforschungen ergeben sich einige 
Anhaltspunkte, die auf eine eventuell frühere Dysfunktion der Schilddrüse schließen 
lassen könnten. (Patientin war frigid und hatte eine kleine inaktive Struma gehabt, 
die Menses waren gering und von sehr kurzer Dauer.) 

Aus der psychischen Anamnese der Patientin will ich kurz nur folgendes er¬ 
wähnen: sie stammt aus einer kleinbürgerlichen Familie und war das jüngste von 
zehn Geschwistern. In der Familie „stimmte nicht alles“. Die Mutter war hysterisch, 
drohte oft mit Suizid und litt wahrscheinlich an Morbus Basedow. Die Patientin 
hing mit Liebe an der Mutter. Sie war ein sehr lebenslustiges, frohes Mädchen, das 
bewußt aus diesem Milieu herausstrebte und die Sicherheit einer guten Ehe er¬ 
sehnte. Sie heiratete mit 19 Jahren ihren jetzigen Mann. 

Sie war eine lebenslustige, flotte Frau, die sich wenig Kummer über etwas 
machte, das Geld gern und leicht ausgab, ein bequemes Leben liebte und sich nicht 
allzuviel um ihren Haushalt kümmerte, also ohne besondere Pflichtgefühle und 
Schuldgefühle lebte. Einen auffallenden Zug hatte sie aber immer gehabt. Sie konnte 
nicht ertragen, daß jemand krank war, daß jemand Schmerzen hatte. Wenn ihr 
ältestes Kind, das schwer herzleidend war, einen Anfall hatte, mußte sie aus dem 
Zimmer laufen, ebenso wenn ihr Mann oder sonst jemand krank wurde; sie ist 
von einer solchen Angst gequält worden, daß sie Weggehen mußte. Wir sehen, daß 
die Patientin auf jede Krankheit mit Identifizierung reagierte. Aber sie galt immer 
als gesund bis zu dieser Erschütterung bei dem Suizid der Frau B. 

Nach dieser Erschütterung entwickelte sich ein depressiv erregtes Zustandsbild 
mit dem Inhalt einer Phobie. Es ist unschwer zu erkennen, daß hinter dieser Phobie 
eine echte depressive Idee steckt: „Ich werde mich erhängenwieFrauB. 
Ichmuß mich erhängen wie Frau B.“ Diese Idee, die durch die Identifi¬ 
zierung ausgelöst wurde, wird aus dem Bewußtsein ausgesperrt. Die Patientin erlebt 
eine Erschütterung und Überraschung, als ich ihr den Sinn ihrer Balkontür-Phobie 
so deute. Die Aggression, die als Folge dieser Identifizierung in der Patientin frei wird, 










5 io 


Therese Benedek 


verändert die Beziehung zwischen Über-Ich und Ich. Die Patientin, die bisher U 
Gewissensschwierigkeiten durch das Leben ging, empfindet auf einmal alles das ° ** 
sie bisher leicht ertragen konnte, als schwere Schuld und leidet darunter. Ihre Selh^ 
beschuldigungen erweisen sich als akut übertrieben. Die Abwehr gegen diese Sch U 
gefühle zeigt sich auch schon darin, daß sie in ihrem Bewußtsein die Schuldgefühl' 
und die Angst nicht in einen kausalen Zusammenhang bringt. Die Angst vo r A ^ 
Balkontür lebt in ihrem Bewußtsein ganz isoliert, und die weinend verzweifelten 
Selbstbeschuldigungen kommen ihr nicht als Grund zum Suizid ins Bewußtse^ 
Dieses Absperren der Schuld, die Verdrängung der eigenen Selbstmordgedanken ^ 
eine Form der Abwehr, mit welcher das Ich gegen die freigewordene Aggression an¬ 
kämpft. Die Angst (die bei diesem Prozeß entsteht) wird nach außen, auf die 
Balkontür, projiziert, und sie versucht, die Balkontür zu meiden, um der inneren 
Nötigung zum Selbstmord zu entfliehen. 

II. Der zweite Fall, den ich nun ausführlich schildern will, bot viel mehr Auf¬ 
schluß über die physiologische und psychologische Genese und über den Ablauf 
der depressiven Zustandsbilder bei Hyperthyreosen. 

Es handelt sich hier um eine 34 Jahre alte Patientin. Nach ihren eigenen An¬ 
gaben ist sie erst seit 5 V* Monaten krank, als sie mich aufsucht. Sie ist eine magere 
Frau von sehr erregtem Aussehen. Die Augen sind ziemlich weit geöffnet, aber ohne 
besondere basedowoide Merkmale. Sie erzählt, daß sie vor 5 V* Monaten in eine 
neue Wohnung umgezogen ist. Schon während des Umzuges und noch mehr in 
der neuen Wohnung wurde sie von einer großen Unruhe befallen. Die Unruhe 
kristallisierte sich in dem depressiven Gedanken, daß sie ihre Wohnung gesetz¬ 
widrig besäße; sie hätte ein Zimmer mehr, als ihr nach den Bestimmungen der 
Wohnungszwangswirtschaft zukäme. Sie fühlt sich deswegen schuldig und hat 
große Angst; sie ließ sich nicht damit beschwichtigen, daß die Wohnung ihr durch 
das Wohnungsamt rechtmäßig zugebilligt worden war. Sie ist sogar einmal auf das 
Wohnungsamt gegangen und hat sich dort selbst angezeigt. Sie wurde beruhigt; 
aber ihre Unruhe, die Angst und die Schuldgefühle hörten nicht auf, sie zu quälen. 
Sie verreiste, um sich zu erholen. Da steigerte sich die Angst, aber sie hatte auf 
einmal den Inhalt gewechselt. Die ganze Schuld und Sorge um die Wohnung war 
plötzlich wie weggewischt, und sie bekam die Idee, daß sie an der Ermordung eines 
jungen Mädchens schuld sein könnte, das im Erzgebirge durch einen Lustmörder 
ermordet worden war, den Mörder hatte man aber nicht gefunden. Es war in ihr 
ein ständiger Kampf, etwas schrie in ihr: „Du bist d i e M ö r d e r i n, d u h a s t 
das junge Mädchen e r m o r d e t.“ Sie versucht dann, sich gegen diese 
Vorwürfe zu verteidigen, sich selber zu beweisen, daß sie doch nicht der Mörder 
sein könnte. Sie hörte nie Stimmen, die depressive Wahnidee war ebenso wie ihre 
Selbstverteidigung immer ohne Halluzinationen, ein Kampf zwischen Über-Ich und 
Ich, den sie selbst auch als solchen empfand und oft sagte: „sie müßte sich 
gegen den Richter verteidige n“. Ihre Gegenbeweise konnten sie 
aber nur für eine ganz kurze Zeit beruhigen. Die Angst und die Selbstvorwürfe 
kamen immer wieder; sie mußte ihre Gegenbeweise entwerten, indem sie sich vor¬ 
stellte, sie hätte den Mord in einer absence verüben können. Zuerst versuchte sie 
ihren Zustand zu verheimlichen und nahm sich sogar vor ihrem Manne zusammen. 











Über die psychischen Prozesse bei Basedow-Psychosen 511 

schämte sich wegen ihrer Angst und wollte nicht als verrückt gelten. (Bezeich¬ 
nenderweise hatte sie ihre Gedanken und ihre Angst nicht deshalb verheimlicht, 
we Ü s ie dachte, daß man sie wegen des Mordes festnehmen könnte, sondern weil sie 
annahm, man würde sie für verrückt erklären, man würde vor ihr Angst haben. Es 
wa r also nicht die ganze Realitätsprüfung verschwunden, aber die rasende Angst 
brauchte Gründe, Rationalisierung. 

Sie konnte die Angst nicht lange verheimlichen und suchte zuerst Hilfe bei 
einem Heilmagnetiseur; dann offenbarte sie sich ihrem Manne, und so kam sie zu 
mir. Sie berichtet zunächst, daß die Zustände nicht immer von gleicher Intensität 
seien. Sie habe einen auffallenden Zusammenhang mit der Menstruation beobachtet. 
Ihre Periode kommt sehr regelmäßig, und zwar immer schon am 23. Tag (Männ¬ 
liche Periodizität, Fließ). Die Blutung ist sehr schwach, das Blut hell und 
serös, die Dauer nur eineinhalb bis zwei Tage. Ihre Ideen beherrschen sie zwar 
dauernd, aber die Angst fängt 10 bis 14 Tage vor der Periode zu steigen an. 
Kurz vor dem Durchbruch der Blutung erfährt der Zustand seinen Höhepunkt; 
nach der Blutung fühlt sie sich erleichtert; kurz nach den Menses ist sie ungefähr 
eine Woche lang angst- und depressionsfrei, um nachher wieder 14 furchtbare 
Tage zu verleben. 

Als auffallendstes Symptom ihrer Sexualität berichtet sie, daß sie seit Jahren 
frigid ist. Sie hatte eine konfliktvolle Einstellung zu dem Sexualakt: nicht so, wie 
andere frigide Frauen, die sich entweder ihren Männern versagen oder, wenn nicht, 
den Akt mit mehr oder minder großer Gleichgültigkeit über sich ergehen lassen. 
Sie wollte sich ihrem Manne nicht versagen, um ihn nicht zu veranlassen, zu 
anderen Frauen zu gehen (wohl eine Rationalisierung); aber es war ihr auch nicht 
gleichgültig, ob sie zum Orgasmus kam oder nicht, sondern sie regte sich darüber 
während des Koitus ängstlich auf. Sie strengte sich an (anscheinend, um zum Or¬ 
gasmus zu kommen) und lehnte einen Verkehr, in welchem sie nicht zu befriedigen 
war, ab. Ihre Erregung drehte sich um zwei Punkte: „Werde ich befriedigt?” — war 
die eine mit einer narzißtisch-hypochondrischen Selbstbeobachtung bewachte Frage, 
— und die andere war eine krankhaft übersteigerte Angst vor einer Konzeption. 
Sie gibt selbst schon bei der ersten Unterredung zu, daß sie eigentlich keinen Grund 
zu Befürchtungen hätte, da ihr Mann die Konzeption sicher verhüten würde, so¬ 
lange sie keinen Wunsch nach einem Kinde äußere, und es bestand auch objektiv 
kein Grund, so große Angst vor einem Kinde zu haben, da sie ihr einziges Kind 
wirklich liebte, und sonst ihre Verhältnisse ihr erlaubt hätten, auch ein zweites 
Kind zu haben. Diese Angstzustände während des Koitus — ihre Frigidität — 
bestanden schon seit fünf Jahren, als die jetzige Krankheit auftrat. Diese ersten 
Symptome hätten sie nie zur Behandlung geführt, nur die neuen Symptome reiben 
sie ganz auf, obwohl, wie sie stolz hinzufügte, sie früher immer großes Interesse für 
Mordangelegenheiten gehabt hätte; in der Zeitung hätte sie immer zuerst die Mord¬ 
prozesse gelesen, und auch jede Gelegenheit ergriffen, um im Gerichtssaal zu sitzen: 
»So sehr hat mich das angereg t.“ So bezeichnend für den Analytiker 
auch ihr stolzer Ausspruch war, so war es doch unmöglich, der Patientin in diesem 
Zustand analytische Zusammenhänge klar zu machen. Jede Aussprache, die auf die 
überstarke Aggression der Patientin hingewiesen hätte, hätte ihre Schuldgefühle nur 








5^ 


Therese Benedek 


gesteigert und die Patientin eventuell zum Suizid getrieben. Die Therapie n 
andere Wege einschlagen. 

Aus der Anamnese der Patientin möchte ich kurz noch folgendes anführe 
Patientin stammt aus einer kleinbürgerlichen Familie. Der Vater war depressiv und 
betrank sich manchmal. Die Mutter mißtrauisch, streng, unnachgiebig, nicht 
ihren beiden Töchtern gegenüber, von denen Patientin die jüngere war, sonder 
auch ihrem Manne gegenüber. Sie bestrafte auch den Mann irgendwie, so daß die 
Patientin mit dem Vater oft Mitleid hatte. Die Kinder wurden mit harten Strafen 
zu einer demütigen Liebe und Verehrung der Mutter erzogen. Die Patientin ent 
wickelte sich als ein allzu braves Mädchen zu einem zwangsneurotischen Charakter 
Sie war ordentlich, pedantisch, in der Schule übergewissenhaft; sie wagte nie, an 
den Dummheiten der Schulkameradinnen teilzunehmen, nicht aus Angst vor der 
Strafe, sondern, weil sie sich nach ihren kleinen Missetaten, auch wenn sie nicht 
ertappt wurde, sehr beunruhigt fühlte. Ihr Wesen war aber nie auffallend. Sie 
gehörte ihrem Manne schon vor der Ehe an — trotz strengsten elterlichen Verbotes 

— und bekam nach dem ersten Koitus Schmerzen in der Urethra, ein Zustand, der 
jahrelang als Cystitis behandelt wurde. Sie bekam Hunderte von Blasenspülungen, 
sie litt zehn Jahre lang, bis diese Schmerzen plötzlich auf einen Schlag und endgültig 
aufhörten, als sie die Angstzustände vor 5K Monaten bekam. 

Die Ehe der Patientin war trotzdem in den ersten Jahren glücklich. Sie war nie 
sexuell leicht zu befriedigen gewesen; aber sie war auch nicht von der Vagina aus 
frigid. Im fünften Jahre der Ehe wurde sie schwanger. Während der Schwangerschaft 
erlebte sie eine große Erschütterung. Sie erfuhr, daß ihr Mann mit der Haustochter, 
mit einem noch nicht 14jährigen Mädchen, sexuelle Spiele trieb. Damals war sie von 
Eifersucht, Empörung, aber auch von Schuldgefühl gepackt. Sie fühlte sich für das 
Mädchen verantwortlich. Aber sie konnte nichts gegen ihren Mann unternehmen, 
weil sie gravid war. Sie wollte auch nicht hassen, wegen des Kindes, das sie trug, 
und kämpfte gegen ihren Haß bewußt an. Sie hat ihr Töchterchen normal und zur 
Zeit geboren, das sie von Anfang an sehr liebte, ohne Konflikte und ohne Aggression 
betreute. Sie stillte ihr Kind sieben Monate, aber sie erholte sich nicht danach. Ob 
die seelische Erschütterung oder die Schwangerschaft und Laktation dafür verant¬ 
wortlich zu machen sind oder der Konflikt mit ihrem Manne oder alle diese Motive 

— sie wurde nach dieser Zeit frigid und ihre oben schon erzählte konfliktvolle Ein¬ 
stellung während des Sexualaktes datiert von dieser Zeit. Die Patientin magerte ab, 
sie wurde appetitlos, sie litt an Kopfschmerzen und an hartnäckiger Obstipation. 
(Symptome, die mich zuerst davon abhielten, den Zustand für eine Thyreotoxicose 
zu halten, da die auffallendsten Symptome eines Basedows fehlten.) 

Wie ich schon erwähnt habe, war die Patientin, als sie zu mir kam, in 
einem äußerst erregten Zustande, so daß vorläufig eine psychoanalytische 
Behandlung nicht in Frage kommen konnte, sondern nur eine Vorbereitung 
dazu. Diese vorbereitende Behandlung wollte ich mit Hormontherapie kombi¬ 
nieren, da der Zusammenhang der akuten Angstzustände und der Depression 
mit den Menses so auffallend war. Zur Unterstützung dieser Behandlung ließ 










Über die psychischen Prozesse bei Basedow-Psychosen 513 

ich eine interferometrische Hormonuntersuchung nach Prof. Hirsch durch 
ihn selbst machen. Das Blut zu der Untersuchung war sieben Tage vor den 
Menses entnommen worden. Die Patientin war damals sehr erregt und ängst¬ 
lich. Die interferometrische Untersuchung ergab einen stark erhöhten Abbau 
der Schilddrüse und der Ovarien. Der Abbau der Testes war fast ebenso hoch¬ 
gradig wie der Abbau der Ovarien. Ein weiterer beachtenswerter Befund dieser 
Untersuchung war der außergewöhnlich erhöhte Abbauwert des Pankreas 
(22*40). Ich will hier nur diesen hormonalen Nachweis der Bisexualität be¬ 
tonen und darauf hinweisen, daß dieser Befund nicht vereinzelt, sondern all¬ 
gemein vorzukommen pflegt. 3 


3) In der D. Psa. G. wurde in der Diskussion gegen meine Ausführungen eingewendet, 
daß sie den Eindruck erwecken, als basierten sie allein auf der Hirsch sehen Unter¬ 
suchung, und so ständen sie auf tönernen Füßen, da diese Untersuchungsmethode noch 
sehr umstritten sei. Es ist wahr, die mterferometrische Methode des Nachweises der Hormon¬ 
abbauprodukte ist noch sehr umstritten. Während einige Forscher, z. B. Hermann- 
Witz 1 e b e n, 4 * von dieser Methode sagen, sie sei wissenschaftlich von großem Interesse, 
aber diagnostisch noch nicht verwertbar, arbeiteten andere 6 durch detaillierte Untersuchun¬ 
gen die Methode so aus, daß sie annehmen, die Methode weise sogar für die einzelnen 
Phasen des Krankheitsprozesses charakteristische Merkmale auf. 6 Dies braucht uns aber 
hier weniger zu interessieren. Für uns ist es nur wesentlich, daß hier die Bisexualität 
einen gewissen physiologischen Nachweis erfährt. In seinen außerordentlich interessanten 
Arbeiten benützt W. Petterson, 7 der die Bisexualität als das „Zweikräfte-System“ 
(männlich-weiblich) zur Grundlage seiner Betrachtungen und therapeutischen Versuche 
macht, auch die Methode von Hirsch zum hormonalen Nachweis der Bisexualität. Es 
scheint so, daß die Bisexualität in jedem Falle durch Abbauprodukte von weiblichen und 
männlichen Hormonen nachzuweisen ist. Pathognostisch ist nur eine gestörte Relation 
zwischen den männlichen und weiblichen Abbaustoffen. Zum Beispiel bei einem besonders 
erhöhten Abbau der gegengeschlechtlichen Hormonstoffe können wir von einer Störung 
der Relation sprechen. Dies scheint bei Morbus Basedow oder bei sonstigen Störungen der 
Keimdrüsenfunktion der Fall zu sein. 

Die Bisexualität als ein allgemeines Phänomen wurde von der Psychoanalyse immer als 
ein Motiv der Symptombildung anerkannt. Der biologische Nachweis der Bisexualität gibt 
eine weitere Unterstützung für die Auffassung der Psychoanalyse. In einem Zustand des 
bisexuellen Gleichgewichtes stört die eine Wirkung (Männlichkeit) die andere (Weiblichkeit) 
nicht. Entsteht aber eine Störung des Gleichgewichtes, dann ist der gegengeschlechtliche 


4) Hermann-Witzleben: Zum diagnostischen Wert der Interferometrie in 
der Psychiatrie. (Wien. Klin. Wchschr., 1928.) 

j) Zimmer, Lende 1 , Fehlow: Zur Kritik der interferometrischen Methode 
der Abderhalden’schen Reaktion: Untersuchungen bei der Basedowschen Krankheit. (Fer- 
mentforschg., Bd. 11.) 

6) W. Petterson: Feminismus und Geist. (Arch. Frauenkunde u. Konstit. 
Forschg., Bd. 17, H. 3.) 

7) W. Petterson: Endokrine Behandlung mit andersgeschlechtlicher Keimdrüsen¬ 
substanz. (Arch. Frauenkde. u. Konstit. Forschg., Bd. 18, H. 3.) 


Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIX—4 


33 









Therese Benedek 


514 


Jetzt möchte ich die wesentlichen Etappen dieser Behandlung und den Verla 
der psychischen Prozesse schildern. Da die Untersuchung einen erhöhten Abbau de 
Ovarien zeigte und die psychische Störung mit den Menses und mit Frigidität * * 
bunden war, wollte ich zuerst auf die Ovarien einwirken (und hoffte, damit auch 
den Antagonisten der Ovarien, die Schilddrüse, mit zu beeinflussen). Am 27 N 0 
vember 1930 haben wir mit der Hormontherapie angefangen. Die Patientin bekam 
zuerst pro Tag ein bis zwei Horpantabletten (Hypophysen-Vorderlappen mit 
Ovarienhormon) und eine Ostranintablette. Die Patientin reagierte plötzlich Sie 
wurde fröhlich-libidinös gestimmt. Aber diese Stimmung war zuerst keineswegs an 
haltend. Symptomfreie Zustände wechselten schnell mit ängstlich erregten Zu¬ 
ständen, deren Inhalt weiterhin unverändert war. Die Patientin bekam während 
dieser Zeit keine anderen als nur hormonale Mittel, und es wurde versucht, ihre 
Stimmung auf diese Weise und durch die psychotherapeutischen Aussprachen zu 
balancieren. In der siebenten Woche der Behandlung meldete sich die erste, wesent¬ 
liche Veränderung. Die Patientin erzählte mir, daß sie ihren Mann in den 
letzten Tagen intensiv hasse. Das erstemal wagte dieses von Schuld¬ 
gefühlen gequälte Wesen einen Haßaffekt bewußt zu erleben. An der Hand des 
Materials, das die Patientin in diesem Zustande hervorbringt, ist es nicht schwer, 
ihr zu erklären, daß sie ihren Mann als den Lustmörder empfindet wegen der Ver¬ 
fehlungen, die er sich während ihrer Schwangerschaft zuschulden kommen ließ. 

Dies war das erste, analytisch zu bewertende Resultat, das 
auch in diesem Falle zeigt, daß die Klagen der Depressiven eigentlich A n- 
klagen sind. Sie richten sich gegen das introjizierte Objekt. Der gehaßte Mann, 
der sie betrog, wurde introjiziert, der Haß und die Aggression, die ursprünglich 
dem Manne gegolten hatten, richteten sich gegen das eigene Ich. Dieser Haß war 
jahrelang verdrängt. Die Patientin hing in dankbarer Liebe an ihrem Manne und 
war die beste Frau, die im täglichen Leben sehr wenig Vorwürfe und Schwierig¬ 
keiten machte. Nur während des Koitus äußerte sich dieser verdrängte Haß. Die 
unruhige, haß volle, neidisch-narzißtische Stimmung während des Koitus besagt: 
„Er denkt nur an die eigene Lust, er ist ein Mörder, er vergiftet mich, er gibt mir 
ein Kind.“ 

Von diesem Bewußtwerden des Hasses gegen den Mann wollen wir die zweite 
Phase der Behandlung rechnen. In dieser Zeit der Behandlung hatte sich der typische 

Triebanspruch unbefriedigt und verlangt nach Abfuhr. Die unbefriedigten Triebansprüche zu 
bewältigen, ist die Aufgabe des psychischen Apparats, und die psychoanalytische Forschung 
hat bis jetzt eine ganze Anzahl der Mechanismen dieser Bewältigung beschrieben. Zu 
ihnen gehört z. B. die Symbolisierung, die Projektion usw. (Gr od deck). Ist aber die 
Stauung so groß, daß sie durch diese Mechanismen, die noch zum normalen Seelenleben 
gehören, nicht abgeführt werden kann, dann wird die Stauung als Angst fühlbar, und diese 
wird ihrerseits den psychischen Apparat wieder vor die Aufgabe ihrer Bewältigung stellen. 

In unserem Falle handelt es sich nicht allein darum, daß wir die Bisexualität mit einer 
physiologischen Methode nachweisen konnten, sondern darum, daß die psychischen Repräsen¬ 
tanten der Bisexualität als Symptome beobachtet worden sind (Angst wahrend des 
Koitus, Angst vor Schwangerschaft, verdrängter Haß gegen den Mann), und die Symptome 
verschwanden, als der hormonale Ausgleich therapeutisch erreicht wurde. 




















Über die psychischen Prozesse bei Basedow-Psychosen 





Ablauf der depressiven Erregungen dahin geändert, daß die höchste Erregung nicht 
vor der Periode, sondern nach der Periode auftrat. Außerdem wurde diese Phase 
charakterisiert durch die gesteigerte heterosexuelle, libidinöse Spannung, die sich 
verschieden bemerkbar machte. Zuerst in einer größeren Lust zur genitalen Hin¬ 
gabe, und bald berichtet die Patientin, daß sie während des Koitus keine 
Angst mehr vor der Konzeption habe. Diese Angst vor der Konzep¬ 
tion war also das erste Symptom, das verschwand, und auch das einzige, das ohne 
Rezidiv endgültig wegblieb. Die ängstliche Aufregung, ob sie zum Orgasmus 
kommt oder nicht, bleibt etwas länger erhalten als die Angst vor der Konzeption. 
Die größere heterosexuelle, libidinöse Spannung äußert sich außerdem auch noch 
in den Träumen und Phantasien der Patientin. Die Patientin, die bisher nur an 
ihre Schuldgefühle denken konnte, phantasiert von fremden Männern. 

Die bisherige Hormontherapie diente zur Hebung der Ovarienstoffe und scheint 
dadurch die heterosexuelle Libido gesteigert zu haben. Mit dieser Wirkung parallel 
erfolgt auch eine Veränderung des Ichs, das so weit erstarkt, daß die Patientin 
den Haß ihrem Gegenüber bewußt erleben und zugeben kann, wodurch sie sich 
eigentlich schon vor den eigenen Schuldgefühlen wehrt. 

In der nächsten depressiven Phase, die nach den Menses (10. Februar 1931) mit 
großer Angst eingetreten ist, produziert die Patientin eine neue Idee: sie sieht zwar 
ein, daß sie keine Mörderin sei, aber sie hat Angst, daß der Heilmagneti¬ 
seur, bei dem sie einmal in Behandlung war, sie anzeigen 
könne und von ihr behaupten werde, daß sie eine Mörderin 
sei. Die Angst ist jetzt ebenso intensiv, sie ist ebenso verzweifelt, als wenn sie 
sich mit dem Gedanken abquält, daß sie im Dämmerzustand jemanden ermordet 
hätte. Trotzdem ist diese Idee in ihrer Struktur wesentlich verändert. Hier ist der 
Träger des Über-Ichs ein Mann, an dem sie einige Zeit mit heftiger Übertragungs¬ 
liebe hing. Bis dahin war nur ein Verfolger: das quälende, nie ruhende Über-Ich. 
Der Kampf wurde in ihr zwischen den zwei seelischen Instanzen ausgetragen. Jetzt 
ist das Über-Ich nach außen projiziert, das einstmalige Liebesobjekt wird ein Stück 
objektiviertes Über-Ich. Wir sehen hier eine paranoide Idee in statu nascendi und 
können sie in ihrer Entstehung und ökonomischen Bedeutung klar verfolgen. Sie 
entsteht als ein Nachkomme der melancholischen Idee, nachdem der melancholische 
Identifizierungsprozeß schon überwunden war und die Objektbeziehungen wieder 
entstanden sind (Heilungsversuch, Freud). 

Es ist interessant, die Periodizität der Angst und die Veränderung der psychischen 
Inhalte hier zu beobachten. Wir können vorderhand annehmen, daß in diesem Falle 
infolge der Hormonstörung eine physiologische Angst vorlag. Diese Angst hatte in 
einer Zeit, als die Bisexualität hormonal nachweisbar zu stark, die Aggression sehr 
groß und die heterosexuelle libidinöse Spannung zu klein war, ein eindeutig melan¬ 
cholisches Krankheitsbild begleitet oder vielleicht ausgelöst. Der Inhalt dieser 
Melancholie war: „Ich bin eine Mörderi n.“ Als die heterosexuelle Libido 
infolge der hormonalen Veränderung größer wurde, entstand eine andere libidinöse 
Struktur. Der verdrängte Haß gegen den Mann wurde geringer, die Angst vor 
der heterosexuellen Hingabe fiel weg, die Patientin wurde befriedigt. Als in diesem 
Zustande dann die physiologische Angststeigerung kam, traf diese schon veränderte 


33 * 








5i 6 


Therese Benedek 


seelische Bedingungen: ein stärkeres Ich und besser fundierte objektlibidinöse Bi 
düngen. Die Idee, die nun entsteht, ist zwar noch immer krankhaft, aber sie h’-T 
die objektlibidinöse Bindung aufrecht, und dem erstarkten Ich entsprechend ents V 
eine Projektion, die eine günstigere seelisch-ökonomische Lage schafft. 

Die ökonomische Bedeutung der Projektion zeigt sich in diesem Fall einesteils 
darin, daß das Über-Ich, nach außen projiziert, quasi entfernter ist und dem Ich 
eine bessere Abwehrmöglichkeit verschafft, anderenteils sehen wir hier ganz deutlich 
noch eine ökonomische Funktion der Projektion: Die Reaktion auf diese Idee: De 
Heilmagnetiseur wird mich anzeigen“, ist: ich liebe den Heil- 
magnetisieur nicht, er verfolgt mich doch. Und diese sehr heftige Ich-Reaktion steht 
wiederum im Dienste des Uber-Ichs, wehrt die verbotenen Wünsche ab, die ent¬ 
standen sind, als die heterosexuelle Libido größer wurde. So sehen wir auch in 
diesem Falle bestätigt, daß die Projektion eine Art Triebabwehr ist, um die un¬ 
liebsamen Triebe, deren Wahrnehmung sich nicht unterdrücken läßt, an äußeren 
Objekten wahrzunehmen. Die wieder aufgenommenen Objektbeziehungen werden 
die Träger der Triebimpulse, von denen das Ich entlastet werden muß. Nach 
dieser Entlastung kann behauptet werden: „Ich bin schuldlos, nur mein 
Feind hält mich für schuldi g.“ Zugleich wird das Ich von der neuen 
Schuld der verbotenen Wünsche entlastet. 

Im weiteren Verlauf steigerten sich die verbotenen Wünsche; die Patientin be¬ 
schäftigte sich sehr oft in ihrer Phantasie mit anderen Männern, so erweiterte sich 
auch der Kreis der Projektionen in der folgenden Zeit. Die Patientin hatte nicht nur 
Angst, daß der Heilmagnetiseur sie wegen einer Tat anzeigen könnte, die sie nie 
begangen hat, sondern sie befürchtete, daß sie auch sonst in eine solche Affäre 
verwickelt werden könnte, z. B. durch Herrn R. (auch eine positive Übertragung) 
oder auch durch Fremde, durch Nachbarn, die eventuell gehorcht hätten, als sie 
mit ihrem Manne über ihre Krankheit sprach. (Bezeichnend für die gute, nicht zu 
heftige Übertragung war, daß ich selbst von diesen Ideen während der ganzen Zeit 
der Behandlung verschont blieb.) Die paranoiden Vorstellungen bezogen sich haupt¬ 
sächlich auf Männer. 

In dieser Phase der Behandlung merken wir die Besserung wieder von zwei 
Seiten. Die Heterosexualität der Patientin hatte sich weiter günstig verändert. Nicht 
nur, daß sie ohne Angst verkehrt, sondern sie kommt auch immer zum Orgasmus, 
was auf sie in jeder Weise beruhigend wirkt. Sie wird (im fünften Monat der Be¬ 
handlung) den paranoiden Ängsten gegenüber auch freier, und meint: „Wenn die 
in der Nachbarschaft etwas gehört haben, dann kann ich auch nichts dafür.“ 

In den folgenden Wochen erlebt die Patientin kleinere und größere Remissionen 
in ihrem Zustand. (Ein Rezidiv als Folge einer schweren Grippe, die aber bald 
abklingt.) Die angstfreie Zeit wird immer länger, die Depressionen immer weniger 
intensiv; die Wahnideen tauchen aber immer wieder auf, so daß die Patientin sich 
einmal gegen die Mordideen, ein anderes Mal gegen die Verfolgungsideen verteidigen 
muß. Sie benützt dazu ein Zettelsystem. Sie schreibt sich alle Beweise auf, die ge¬ 
nügen müßten, die Vorwürfe zu entkräften. Wenn eine Idee sie befällt, nimmt sie 
einen Zettel vor und liest ihn durch. So entwickelt sie als Abwehr des paranoiden 
Systems ein zwangsneurotisches System. Solange die Angst sehr groß war, nützte 













Über die psychischen Prozesse bei Basedow-Psychosen 


517 

dieses System nicht; und als die Angst nachließ, genügte es ihr, an den Zettel zu 
denken, um die Idee und die Angst abzuwehren. Die Patientin ist nach einiger Zeit 
so weit, daß sie sagt: „Die Ideen ärgern mich blo ß.“ 

Dieser Zustand scheint sich zu stabilisieren. Ich habe den Eindruck, daß diese 
Hormonbehandlung, die allein die Stützung der Ovarienfunktion erstrebte, keine 
weiteren Erfolge bringen würde, und ich entschließe mich, mit dieser Behandlung 
auszusetzen und der Patientin einen anderen Antagonisten der Schilddrüse zu 
geben in Form von Insulin in kleinen Dosen. Die Patientin bekommt drei¬ 
mal wöchentlich fünf bis zehn Einheiten Insulin (Stur m * 8 , P. S c h m i d t 9 ), und 
damit fängt eine neue, dritte Phase der Behandlung an. 

Die paranoiden Ideen blässen ab; allerdings zuerst noch nicht spurlos. Es ent¬ 
steht eine neue Stufe der Projektion. Diese sieht folgendermaßen aus: „D i e Leute 
könnten sagen: ,wenn Sie so große Angst hatten, da mußten 
Sie ein schlechtes Gewissen haben, und andere Leute würden 
dann nicht wissen, daß Ihr schlechtes Gewissen krankhaft 
w a r £ .“ Die Angst und Verzweiflung, die diese Idee begleiten, sind keinesfalls so 
groß, wie sie früher waren. Es ist ihr p e i n 1 i c h, daß die Leute von ihr sagen 
könnten, sie hätte ein schlechtes Gewissen, aber sie sagen nicht mehr, daß sie eine 
Mörderin sei, sie sind auch nicht mehr aggressiv ihr gegenüber, sie hat keine Unan¬ 
nehmlichkeiten mehr zu befürchten. So sehen wir, daß das Schuldgefühl, das in 
dieser Idee projiziert wurde, wesentlich weniger aggressiv ist, als das ursprüngliche 
war. Die Patientin selbst sieht ein, daß sie ihr eigenes Gewissen nach außen proji¬ 
ziert und ihrer Umgebung in den Mund legt. Die projizierte Aggression ist quanti¬ 
tativ geringer und so auch die Angst und die zur Bewältigung verwendete Ratio¬ 
nalisierung. 

Die Besserung, die jetzt in ihrem Zustande erfolgt, ist viel anhaltender als bisher. 
Sie fühlt sich längere Zeit hindurch wesentlich erleichtert, ohne Angst und ohne 
Depression. Sie lebt aber noch immer nicht ohne Selbstvorwürfe, und als diese Pro¬ 
jektion abklingt, dann leidet sie noch unter der Erinnerung an die 
Krankheit, und sie macht sich Vorwürfe, daß sie sich selbst krank gemacht 
hätte, also sie selbst schuld an ihrer Krankheit wäre: „Jetzt rege ich mich darüber 
auf, daß ich mich mit unnötigen Gedanken krank gemacht habe.“ In diesem Selbst¬ 
vorwurf sehen wir noch die Spuren der ursprünglichen Wahnidee, aber sie ist jetzt 
ganz entwertet und bagatellisiert. Sie sagt selbst: „Ich kann mir die Krankheit nicht 
verzeihen“, aber die Krankheit in ihren ursprünglichen Formen ist überwunden. 
Sie liest ohne Angst Zeitung, sie liest die Gerichtsverhandlungen, Mordberichte und 
Polizeinachrichten ohne Angst. Sie identifiziert sich nicht mehr mit dem Mörder. 
Ihr jetziges strenges Über-Ich entspricht ihrem früheren zwangsneurotischen Cha¬ 
rakter, ihrer Strenge zu sich selbst, die ihr jede Verwöhnung und jedwede be¬ 
sonderen Ansprüche verbietet. Manchmal taucht in ihr eine vage Unruhe auf und 


8) Sturm: Der heutige Stand der internen Therapie der Hyperthyreosen. (Med. 

Welt > Jg- L Nr. 40.) 

9 ) Paul Schmidt : Über Organtherapie und Insulinbehandlung bei endogenen Geistes¬ 
störungen. (Wien. Klin. Wschr., 1928, H. 18.) 








Therese Benedek 


518 


dann muß sie sich sagen: 
gelingt ihr aber immer. 


„Du hast aber ein reines Gewissen“; 


diese Beruhigung 


In dieser Zeit der Behandlung hatte die Patientin vorübergehend ein Zwangs 
neurotisches Symptom produziert. Sie berichtet, sie habe Angst, daß 
sie sich verschreiben könne. Einige Tage muß sie jeden Brief, j e d e 
Karte liegenlassen, um sie noch ein paarmal durchlesen zu können, um zu kontrol 
lieren, ob sie sich verschrieben hat oder nicht. In diesem zwangsneurotischen 
Symptom sehen wir einen interessanten neuen Mechanismus der Angstbewältigung 
Wir merken darin auch das Schuldgefühl, dem aber die Patientin nicht mehr mit 
der Identifizierung erliegt: „Ich bin eine Mörderin.“ Die Beziehung zwischen Über¬ 
leit und Ich entspricht hier einem Zweifel: Was ist stärker? Über-Ich oder Ich? 
Bin ich eine Mörderin oder nicht? Dieser Zweifel wird nicht mehr nach außen auf 
Objekte projiziert, die Objektbeziehungen bleiben ganz unberührt davon, der 
Zweifel wird auf eine „Lappalie“ verschoben, auf die Schrift, die einen ver¬ 
raten könnte. Dieses Symptom dauert nur 2 bis 3 Tage, dann klingt es ab, rezidiviert 
manchmal ganz vorübergehend. 

Die anderen Symptome der Patientin klingen auch ab, z. B. ihre chronische 
Obstipation kommt in Ordnung. Am 13. November 1931 bekommt sie die letzte 
Insulinspritze. Während des ganzen Winters bleibt sie ohne Behandlung, 
symptomfrei bis auf den obengenannten, kurz auftauchenden Gewissenszweifel. Im 
Frühjahr 1932 wird prophylaktisch noch eine Insulinkur gemacht, 20 Injektionen. 
Die kleineren Verdächtigungssymptome, Selbstvorwürfe wegen ihrer Krankheit sind 
auch abgeklungen; die Patientin hat viel an Gewicht zugenommen und ist geheilt 
entlassen worden. 


Was gibt mir die Berechtigung, diesen nichtpsychoanalytischen therapeuti¬ 
schen Versuch hier so ausführlich mitzuteilen? 

Zuerst der Ablauf des psychischen Prozesses, der in diesen beiden Fällen 
im wesentlichen sehr viel Ähnliches bot. 

Im ersten Falle, der sich viel akuter entwickelte, wurde bei einer Patientin, 
die sonst einem hysterischen Charakter entsprach, die depressive Idee sofort 
als Projektion nach außen erledigt. Diese depressive Idee entstand durch die 
Identifizierung mit der Freundin, die Suizid begangen hatte. Während der Be¬ 
handlung 10 des Morbus Basedow wurden die Angst- und die Schuldgefühle 
geringer und die Phobie klang ab. 

Viel komplizierter liegt unser zweiter Fall. Hier hatte sich die hormonale 
Störung einer Hyperthyreose bei einer Frau, die einen zwangsneurotischen 
Charakter hatte, chronisch entwickelt. Ursprünglich sucht das Schuldgefühl 
die Rationalisierung in einer kleineren Schuld und findet zunächst die Erledi¬ 
gung in der für die Patientin akuten Wohnungsfrage. Aber diese Rationali- 


10) Die Patientin wurde in der Klinik mit Phosphorpräparaten und von mir mit 
Hormonpräparaten behandelt, und zwar mit Thymoglandol und mit Insulin* 
















Über die psychischen Prozesse bei Basedow-Psychosen 


5i9 

sierung scheint der freigewordenen Aggression nicht zu genügen und, der In¬ 
tensität entsprechend, entsteht die Wahnidee: 

!. Ich bin eine Mörderin. Wir haben gesehen, daß diese Idee 
sich während der Behandlung ändert, und in der zweiten Phase heißt es: 

2. ich bin keine Mörderin, man hält mich nur dafür. 
Wir haben angenommen, daß diese Projektion entstand, als die Libido 
gesteigert wurde und dementsprechend eine andere Ich-Struktur zustande 
gekommen ist. Als die physiologisch durch Thyreotoxicose bedingte Angst 
auch nachläßt, verblaßt der schuldhafte Wahn und mit ihm die paranoide 
Projektion. In der dritten Phase heißt es: 

j.ich bin keine Mörderin, aber man könnte fragen, 
warum ich ein schlechtes Gewissen habe, und nachher 
4. es ärgert mich, daß ich michmit solchen unnötigen 
Gedanken abgequält habe. 

Hier ist das Schuldgefühl wieder auf das eigene Uber-Ich zurückgezogen, 
das nun weniger streng ist und nicht mehr wegen eines Mordes, sondern nur 
wegen der Krankheit Vorwürfe macht. 

Wir konnten hier bei derselben Patientin nacheinander in kurzer Zeit drei 
verschiedene Abwehrmechanismen beobachten: 

I. Die Identifizierung = melancholische Idee, 

II. die Projektion = paranoide Idee und 

III. die Verschiebung = zwangsneurotischer Zweifel. 

Ich habe den Eindruck, daß der Ablauf des eben geschilderten Krankheits¬ 
prozesses uns zeigt, daß diese drei verschiedenen Abwehrmechanismen ver¬ 
schiedenen Ichbesetzungen entsprechen. Je größer die Aggression und die 
Angst war, um so schwächer war das Ich. So erliegt das ganz schwache Ich 
in der Identifizierung; das libidinös stärker besetzte Ich kann sich durch 
Projektion erwehren; bei einer besseren Ich-Struktur entsteht eine bessere 
Beziehung zur Umwelt; die Objektbeziehung wird nicht mehr durch Pro¬ 
jektion gefährdet, sondern das Ich erträgt die Vorwürfe des Über-Ichs; der 
Kampf zwischen Ich und Über-Ich spielt sich innerhalb des Individuums ab 
und er entspricht dem Mechanismus einer Zwangsneurose. 

Noch überzeugender glaube ich diese Verschiebung in dem Gleichgewicht 
zwischen Es — Ich — Über-Ich gesehen zu haben, in den Äußerungen des 
Widerstandes gegen das Verdrängte. Am Anfang der Behandlung war es 
unmöglich, der Patientin die eigenen aggressiven Tendenzen bewußt zu 
machen. Das erste analytische Resultat war, daß die Patientin bewußt zu 
hassen wagte. Solange sie aber immer mit schweren Angstzuständen reagierte, 











520 


Therese Benedek 


konnte sie kaum ein anderes Material als aktuelles bringen. Die An»st w 
zu groß und diese Angst hatte auch den unbewußten Widerstand genahn 
Nachdem die Angst während der Insulinkur wegfiel, brachte die Patient^ 
auch sehr viel analytisch verwertbares Material, d a s ganz eindeutig fl” 
Entstehung der Aggression und des Hasses gegen die Mutter schon in der 
frühen Kindheit bewies. 2. B. ein Traum: „ Meine Mutter hat etwas Schlecht 
getan und man wollte sie verhaften. Die Mutter hatte Angst und versteckte 
sich. Sie hörte Schritte und sagte: Jetzt kommen sie / Ich merke, daß 
es die Aufwartefrau sei und beruhige meine Mutter und sage ihr: I c [ } 
werde sie schon zurückhalten ‘ Dann kommt der Vater meiner Mutter und 
ich sage ganz erfreut zu ihm: ,Ich bin ganz schuldfrei, ich habe immer das 
beste Gewissen, nur meine Mutter nicht 1 . Ich träumte nachher, ich sei schwanger 
der Arzt käme zu mir, ich erlebte die Entbindung und bekam einen Jungen “ 

Es ist in diesem Traum auch für die Patientin ganz klar ersichtlich, was 
sie sich bisher nicht eingestehen konnte, daß sie nun die Mutter beschuldigt, 
und sie weiß, wieviel Schuld die Mutter an der Entwicklung ihres Ambivalenz- 
konfliktes hat. 11 

Nun haben wir die ganze Entwicklung ihrer Krankheit rekonstruieren 
können. Das ursprüngliche Gefühl war: die Mutter haßt mich, sie schlägt 
mich usw. Die reaktive Aggression gegen die Mutter wurde verdrängt. Nicht 
ich hasse die Mutter, sie haßt mich; ich liebe sie. Dann: Ich muß 
sie lieben, obwohl ich Grund genug zum Haß hätte. 
Aus diesem Ambivalenzkonflikt entwickelte sich der zwangsneurotische Cha¬ 
rakter der Patientin. Auf der Basis des zwangsneurotischen Charakters wuchs 
später diese akute, depressive Psychose infolge einer Störung des Hormon¬ 
haushaltes. 

So sehen wir, daß das Symptom, welches das Zustandsbild beherrscht, sich 
aus der Art der Abwehrmechanismen ergibt, die das Ich gegen die destruktiven 
Kräfte des Über-Ichs in Bewegung setzen kann (H. Deutsch). Meine 
Patientin, die von dem Kampf zwischen Ich und Über-Ich sehr genau zu be¬ 
richten wußte, die genaue Verteidigungsvorschriften und Formeln für sich aus¬ 
gearbeitet hatte, die oft erzählte: ,,mein Ich ist heute schwach und kann sich 
nicht verteidigen , empfand es als eine Befreiung und Stärkung des Ichs, als 
sie sich selbst nicht mehr des Mordes bezichtigen mußte. 

n) Freud schreibt in der Arbeit „Uber die weibliche Sexualität“ (Int. Ztschr. f« 
Psa., 1931), „daß die überraschende, aber regelmäßig angetroffene Angst, von der Mutter 
aufgefressen, umgebracht zu werden, wohl den Keim zu der weiblichen Paranoia bildet“. 
Die Analyse dieses Traumes ergibt tatsächlich diese ursprüngliche Angst vor der Mutter. 











Über die psychischen Prozesse bei Basedow-Psychosen 


521 

Wovon hängt aber die Ab Wehrfähigkeit des Ichs ab? 

Die hier geschilderten zwei Fälle erwecken in uns den Eindruck, daß 
eS von der Intensität der frei flottierenden und zu 
bewältigenden Angst abhängt, wieviel Abwehrkräfte 
das Ich gegen die Aggression des Über-Ichs mobili¬ 
sieren kann. 

Wovon hängt die Intensität der frei flottierenden Angst ab? 

Besonders aufschlußreich scheint mir in diesem Zusammenhang unser 
zweiter Fall zu sein. Fiier können wir nämlich die Ängste in verschiedenen 
Phasen getrennt studieren. Auf dem Höhepunkt der Krankheit ist die Ag¬ 
gression gegen das eigene Ich gewendet; die Ober-Ich-Angst ist sehr intensiv. 
Zu gleicher Zeit besteht aber noch die Angst vor der Konzeption und die 
narzißtische, ängstliche Selbstbeobachtung während des Koitus. In der Angst, 
die diese zwei Symptome begleitet, erkennen wir noch die Reaktion auf die 
nach außen gewendete Aggression. Dieser an das Objekt gebundene Haß und 
die damit verbundene Angst schwinden zuerst auf die hormonale Behandlung, 
die die weibliche heterosexuelle Libido gesteigert hat. (Wir waren bereit, diese 
Symptome mit der Bisexualität in direkte Verbindung zu bringen.) Es scheint 
uns, als ob die heterosexuelle Libido, die dem Ich zur Verfügung steht, die 
Aggression und damit zusammen die Angst gleichsam neutralisierte. Dadurch 
wurde die Position des Ichs von zwei Seiten her gestützt: einerseits wurden 
die Angst und die Aggression geringer (die Belastung des Ichs weniger) und 
anderseits die libidinöse Ich-Besetzung quantitativ größer. Das Schick¬ 
sal der Aggression und der A n g s t b e w ä 11 i g u n g hängt 
also nicht allein von der Intensität der Aggression 
und Angst ab, sondern auch von der libidinöse n, 
heterosexuellen Spannung des Organismus. Ist diese be¬ 
friedigend, dann steht der Aggression und der Angst ein starkes Ich entgegen 
und dadurch eine andere Struktur der Abwehr. 

In unseren Fällen ist es gelungen, die Steigerung der heterosexuellen 
Libido durch Hormonmedikation experimentell zu dosieren und so die 
neue Ich-Struktur zu erreichen. Wir haben gesehen, daß dieses biologische 
Experiment die Einsichten der Psychoanalyse, die auf anderem Material und 
mit anderer Beobachtungstechnik mühsam gewonnen worden sind, in kurzer 
Zeit im gedrängten Ablauf des Krankheitsprozesses bewies. 

Wir haben in dem weiteren Verlauf dieses Falles gesehen, daß die Steige- 
nmg der heterosexuellen Libido, und sogar die Möglichkeit zum normalen 
Orgasmus doch nicht die ganze Angst hatte binden können. Von Zeit zu 







5 22 


Therese Benedek 


Zeit entstand eine Überflutung des Organismus mit Angst. Diese Angst hatt 
auch den psychischen Inhalt des nach innen gewendeten Aggressionstriebes 

Woher stammt diese kaum zu bewältigende Angst? 

Die Psychoanalyse hat nie behauptet, daß die Angst allein aus psychischen 
Quellen entstehe, im Gegenteil, wir waren gewöhnt, die Quelle der Angst 
ganz allgemein in der Libidostauung zu suchen. Ein somatischer Faktor wurde 
also bei der Angstentstehung immer an erster Stelle in Erwägung gezogen 
(Ursprünglich hatte Freud angenommen, daß sich die Libido direkt in 
Angst verwandle. Er hat seinen Standpunkt dahin modifiziert, daß sich die 
Libido nicht direkt in Angst verwandeln kann, sondern daß sich die Angst 
im Ich als eine Reaktion auf die Störung des Trieblebens entwickelt.) Aber 
wir wissen nicht, was eigentlich die Libidostauung bei einer genaueren Unter¬ 
suchung darstellt. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird der Zustand, den wir 
im allgemeinen bisher als „Libidostauung“ zu bezeichnen pflegten, in ver¬ 
schiedenen Fällen verschiedene hormonale Grundlagen haben, bezw. solche 
auslösen. Wir dürfen wohl annehmen, daß wir in diesem zweiten Fall unserer 
Beobachtung eine spezifische Form der Libidostauung genauer nachweisen 
konnten, als es bisher der Fall war. 

In diesen hier veröffentlichten Fällen könnten wir uns damit begnügen, 
zu wissen, daß die Hyperfunktion der Schilddrüse durch die Irritation des 
vegetativen Nervensystems, und zwar durch die Irritation des Sympathikus, 
Angst und nervöse Symptome primär verursachen kann, aber genauere Unter¬ 
suchungen zeigen, daß die direkte Wirkung der Schilddrüsenfunktion auf das 
Nervensystem auch nicht eine eindeutige und auf eine einzige Ursache zurück¬ 
zuführende Reaktion ist. Neuere Forschungen haben ergeben, daß es sich bei 
dem Morbus-Basedow nicht allein um die Störung der Schilddrüsenfunktion 
handelt, sondern daß immer eine komplexere Störung von mehreren Drüsen 
vorliegt, was bei der Wechselbeziehung im Drüsensystem kaum anders vor¬ 
stellbar ist. 

In diesem Zusammenhang interessiert uns am meisten, daß die Ovarien 
und die Schilddrüse physiologische Antagonisten sind (Peritz). 12 Dieser 
Antagonismus kann sich klinisch verschieden äußern. Wir kennen Thyreo- 
toxicosen mit gehemmter Sexualität, Frigidität, ebenso wie Fälle mit großer 
sexueller Erregbarkeit bei vaginaler Frigidität und Fälle mit verschiedenen 
dysmenorrhoischen Symptomen. 

Neuere experimentelle Arbeiten scheinen den physiologischen Vorgang, der 

12) Peritz: Uber Beziehungen zwischen Schilddrüse und Eierstock. (Z. ärztl. Fort- 
bildg., Jg 25, Nr. 6 .) 












Über die psychischen Prozesse bei Basedow-Psychosen 525 

bei Hyperfunktion der Schilddrüse zu der Dysfunktion der Ovarien führt, 
näher zu erklären. Die Arbeiten von L u n d b o r g 13 zeigen, daß die Ovarien 
normalerweise ein thyroxinhemmendes Hormon enthalten und dementsprechend 
Jie Schilddrüse und das sympathische System hemmen. Die Versuche von 
L e u p o 1 d und L u n d b o r g 13 ergeben, daß eine Wechselwirkung zwischen 
Schilddrüse und Keimdrüse vorhanden ist. Die Untersuchungen von Zawa- 
ü o w s k y 13 zeigen, daß das Thyroxin im Eierstock, und zwar in den 
Gonaden gebunden wird und dadurch bei einer Überproduktion von Thyroxin 
eine auffallende Lähmung der Ovarien zustande kommt. Dieser Befund könnte 
genügen, um die Lähmung der weiblichen Sexualfunktionen und damit im 
Zusammenhang manche seelischen Symptome zu erklären. Unsere Fälle haben 
gelehrt, daß diese Hemmung der Eierstockfunktion das Hormonbild so 
verändert, daß das Gleichgewicht der Bisexualität gestört — und die 
Wirkung der männlichen Hormonstoffe auf irgendeine Art spürbarer wird. 
Es ist vorläufig noch nicht entschieden, wo die männlichen Hormonstoffe in 
dem weiblichen Organismus produziert werden, ob im ganzen eine Steigerung 
der Hormonproduktion entsteht oder ob die männlichen Stoffe eben „die sich 
stauenden“ sind, da sie direkt nicht befriedigt werden können. Wir wissen aus 
anderen genaueren psychoanalytischen Untersuchungen, welche seelischen 
Symptome direkt durch die sich stauende Bisexualität hervorgerufen werden 
können, und wir waren immer bereit, eine gewisse Steigerung der Aggression 
und Angst mit der Bisexualität in direkte Verbindung zu bringen. 

Wir sind gewöhnt, aktiv gleich männlich, passiv gleich weiblich zu setzen. 
In der Fortsetzung dieser Gedankengänge würde vielleicht die Annahme liegen, 
daß in Fällen einer nachweisbaren, starken, männlichen Hormonproduk¬ 
tion eine Steigerung der Aktivität zugleich eine Steigerung der Aggression 
mit sich bringen könnte. Oder aber käme die Steigerung der Aggression doch 
nur in den Fällen zustande, in welchen zu der Bisexualität eine durch irgend¬ 
welche Ursachen her vor gerufene Triebentmischung noch dazukommt? 

Ich möchte hier den folgenden Fall kurz mitteilen. 

Eine Patientin war lange in psychoanalytischer Behandlung, weil sie unter dem 
Zwangsimpuls litt, daß sie irgendeinen Mann oder ihren zukünftigen Mann er¬ 
würgen müßte. Die psychoanalytische Behandlung hatte ihr weitgehende Besserung 
gebracht; sie heiratete und fühlte sich leidlich gut, obwohl sie frigid war. Dann 
bekam sie ein Kind und nach der Entbindung noch eine sehr schwere organische 
Krankheit. Durch diese Umstände körperlich total erschöpft, bekam sie ein schweres 
Rezidiv ihrer psychischen Krankheit: sie hatte aggressive Impulse nicht nur gegen 


13) Zitiert nach P e r i t z. 








Therese Benedek 


H4 


ihren Mann sondern auch gegen ihr Kind. Sie empfand die Aggression mit g ro ß 
Schreck und bekam Angst vor sich selbst und hatte schwere Schuldgefühle 
Prozeß, der jedem Analytiker ganz geläufig ist. 

Die Hormonuntersuchung nach Hirsch ergab in diesem Falle einen höhe 
Wert der männlichen Abbauprodukte als der weiblichen. Die Therapie ging von 
der Erwägung aus, hier einen Ausgleich durch bessere Funktion der Ovari^ * 
schaffen. n Zu 

Die Behandlung brachte viel interessantes psychoanalytisches Material zutage 
das in einem anderen Zusammenhang veröffentlicht zu werden verdiente. Es wurde 
zugleich klar, daß die libidinöse Steigerung für die Patientin nicht immer eine 
Erleichterung brachte. Mit der libidinösen Steigerung zusammen erfolgte ein auf¬ 
gelockerter, schnellerer Ablauf der psychischen Inhalte, und es geschah sehr oft 
daß in diesem Zustande der Auflockerung auch aggressive Tendenzen frei wurden' 
Die genauere Beobachtung hatte gezeigt, daß die Patientin dann Angst bekam 
wenn die libidinöse Spannung durch aggressive Tendenzen durchkreuzt, gestört 
wurde. — Man hat den Eindruck, daß in diesem Falle eine quantitative Steigerung 
sofort eine Triebentmischung hervorgerufen hatte, und die so freigewordene 
Aggression sich in Impuls und Angst umsetzte. 

Es erscheint uns auffallend, daß relativ so kleine Dosen von Hormonmitteln 
solche Reaktionen hervorrufen, und die Frage ist berechtigt, ob zwischen Hor¬ 
mon und psychischem Inhalt eine direkte quantitative und qualitative Bezie¬ 
hung besteht. Freud äußert in der „Neuen Folge der Vorlesungen“, S. 215, 
die Hoffnung: „daß die Kenntnis der Hormonwirkungen uns die Mittel leiht, 
mit den quantitativen Faktoren der Erkrankungen erfolgreich zu ringen.“ Diese 
hier angeführten Beispiele geben vielleicht eine Probe dafür. Freud mahnt 
uns auch, daß die Hormonforschung, dieser biologische Nachbar der Psycho¬ 
analyse, uns auf den Fersen folge und mit ihren neuen Erkenntnissen die 
Psychoanalyse einholen würde. Eben diese Beobachtungen zeigen, daß die gute 
Beziehung zwischen Hormonforschung und Psychoanalyse erst in den Kinder¬ 
schuhen steckt, und noch lange müßte diese Nachbarschaft von beiden Seiten 
sehr gepflegt werden, um wertvolle Resultate für beide Disziplinen zu er¬ 
reichen. Besonders würde davon, vorläufig, die Hormonforschung profitieren. 
Es zeigt sich nämlich, daß die genaue Beobachtung des dynamischen Ablaufes 
des psychischen Geschehens, wie er sich allein dem psychoanalytisch geschulten 
Beobachter offenbart, die feinste Methode für die Beobachtung der Hormon¬ 
wirkungen ist. Es ist eine distinguiertere und genauere Beobachtungsmethode 
als jedes Laboratoriumsexperiment. 

Aber auch in dem soeben geschilderten Falle konnte es uns nicht gelingen, 
nachzuweisen, ob die Angst oder die Aggression das Primäre ist. Wir können 
nur feststellen, daß Angst und Aggression zusammen auf- 










Über die psychischen Prozesse bei Basedow-Psychosen 


S 2 S 


getreten sind und den seelischen Apparat vor die Aufgabe ihrer Be¬ 
wältigung stellen. 

Angst ist nach den neueren Definitionen von Freud das Gefahrsignal, 
wodurch für das Ich die Gefahr der eigenen Triebspannung, auch die Gefahr 
der aggressiven Triebspannung, signalisiert werde. Dieser Theorie würden 
wir gerecht, wenn wir annehmen würden, daß infolge der hormonalen Span¬ 
nung ■— bezw. der vegetativen Reizbarkeit — eine Triebentmischung statt¬ 
findet, Aggression frei wird und diese Aggression die Angst als Gefahrsignal 

auslöst. 

Wir wissen, daß hinter allen psychischen Symptomen die Angst als Motor 
steht. Es gehörte zu den frühesten Erkenntnissen der Psychoanalyse, daß in 
jedem hysterischen und zwangsneurotischen Symptom Angst gebunden ist, und 
die neueren Forschungen über Phantasie und Sublimierungsprodukte zeigen 
ebenso, daß die Angstbewältigung die Aufgabe des seelischen Apparates ist. 
Trotzdem könnte man eben an Fland dieser Fälle fragen, ob es sich nicht 
allein um die Bewältigung der Aggression handle. 

Es muß die Aufgabe ganz genauer metapsychologischer Untersuchungen 
sein, festzustellen, ob in Phantasien, Symptomen usw. die Angst nur sekundär 
abnimmt, weil die Aggression gebunden wird oder aber, ob die Angst selbst 
als Trieb in der neuen seelischen Struktur gebunden wird. Die beiden: 
Angst und Aggression bleiben quasi als Funktion 
voneinander abhängig. 

Dieses von uns dargestellte Gegenpaar, Libido — Aggression, wird in den 
Symptomen Schritt für Schritt gebunden, wie wir in unserem zweiten Fall 
gesehen haben, zuerst in dem paranoiden Symptom und nachher in den 
zwangsneurotischen Symptomen. In diesen neuen seelischen Strukturen ist 
Aggression durch Libido gebunden und damit zusammen auch die Angst. 14 


14) Reich macht mir den Vorwurf („Der masochistische Charakter“, Int. Ztschr. 
f. Psa., 1932), den strukturbildenden Prozeß mit dem Todestrieb gleichgesetzt zu haben. 
Nach diesen Darstellungen ist es aber wohl eindeutig klar, daß in unserer extrem dualisti¬ 
schen Auffassung seelische Strukturen keinesfalls allein aus einem Faktor entstehen können. 

Reich meint, ich hätte in meiner Arbeit „Todestrieb und Angst“ (Int. Ztschr. f. 
Psa., XVII, 1931) die Angst mit der entstandenen Struktur, mit dem Symptom gleich¬ 
gesetzt, obwohl schon meine damaligen Ausführungen beweisen wollten, daß die Angst 
als Motor zur Symptombildung dient und keinesfalls das Symptom selbst sei. Es ist hier 
überflüssig, über die Angst als Affekt, über ihren drängenden Charakter usw. zu reden, 
um die Unwahrscheinlichkeit einer starren Angst zu erklären. Viel eher hat man 
die Neigung anzunehmen, daß die Angst selbst wie ein Trieb wirkt. Deswegen 
erschien mir die Angst als psychische Repräsentanz oder als 
innerpsychische Wahrnehmung des Aggressionstriebes. 










Zusammenfassung. 

Die hier veröffentlichten zwei Fälle von hyperthyreotischen Psychos 
zeigen, daß die auf direkten organischen Reiz hin entstandene Angst seelisch 
mit den Symptomen und Erscheinungen des Aggressionstriebes auftritt. 

Diese Fälle können auch nicht entscheiden, was primär ist, die Angst oder 
die Aggression. Sie zeigen nur, daß die beiden zusammen auftreten. 

In beiden Fällen haben wir gesehen, daß die Steigerung der heterosexuellen 
Libido die Aggression und die Angst gebunden hat, also Libido und Ag¬ 
gression als Gegensatzpaar aufgetreten sind. 

Für die allgemeine Theorie der hyperthyreotischen Psychosen glauben wir 
auch einen Beitrag geliefert zu haben, indem wir zeigten, daß die durch die 
Thyreotoxicose entbundene Angst und Aggression in dem psychischen Apparat 
so zur Wirkung kommen, daß durch die freigewordene Aggression die Strenge 
des Uber-Ichs gesteigert wird und dementsprechend ein depressives Zustands¬ 
bild zustande kommt. 

Der Ablauf der seelischen Prozesse geschieht in der Weise, wie wir es in 
der Psychoanalyse an anderen Fällen kennengelernt haben. Es gelingt uns 
hier, das Analytische in der grellen Beleuchtung des organischen Geschehens 
zu erfassen. 




















Wein dem, der lügt! 

Beitrag ;um Problem der Pseudologia phantastica* **) 

Von 

A. KidKoU 

Königsfelden 

In der Sommerversammlung 1929 der Schweizer Psychiater in Rheinau, 
in der Blum 1 '*'' 1 ' und Behn 2 über die Vorurteile gegen Psychiatrie und 
Irrenanstalten referierten, hatte ich Gelegenheit, mit dem Vater des Begriffes 
der Pseudologia phantastica, Prof. ID e 1 b r ü c k aus Bremen, persönliche 
Bekanntschaft zu machen, und es war von großem Interesse, zu erfahren, 
wie sich heute der Schöpfer zu seinem geistigen Kinde stellt. Ist doch gerade 
die Diagnose der Pseudologia phantastica, durch die eine große Zahl von 
Schwindlern und Betrügern vom Psychiater als unzurechnungsfähig oder 
doch vermindert zurechnungsfähig erklärt und damit vor einer Strafe für 
ihre Delikte geschützt wird, eine jener irrenärztlichen Begutachtungen, die 
wie wenige sonst das Laienvorurteil nähren, der Psychiater sei darauf bedacht, 
gewisse Übeltäter, die es gar nicht verdienten, dem Arme der Gerechtigkeit 
zu entreißen. 

Delbrück 3 weist in den Sohlußbemerkungen seiner Abhandlung über die 
pathologische Lüge einmal darauf hin, daß sich deren beste Schilderungen bei den 
Dichtern, z. B. Daudet, Keller, Goethe finden, und dann darauf, daß die hysteri¬ 
schen Anfälle etwas der phantastischen Pseudologie ganz Analoges seien (S. 124, 
US). 

In zwei kleinen Schriften zur Neurosenlehre aus dem Jahre 1903 hat sich 
Freud 4 mit dem Ursprung der hysterischen und dichterischen Phantasien befaßt. 
Die Tagträume seien die Quelle der phantastischen Schöpfungen der Paranoia, der 
sexuell Perversen, der Hysterien. Sie können sowohl bewußt als unbewußt sein, im 
letzteren Fall pathogen werden. Es komme zur Verlötung des Tagtraumes mit 
Onanie, dann zur Abstinenz und Verdrängung, zum Unbewußtwerden der Phan- 

*) Vortrag, gehalten in der Sitzung der Schweiz. Gesellschaft für Psychoanalyse am 
2< März 1933 in Königsfelden. 

**) Die Ziffern im Text beziehen sich auf das Literaturverzeichnis am Schlüsse des 
Aufsatzes, S. 545. 








5*8 A. Kielholz 


tasie. Durch das hysterische Symptom werde dann eine Annäherung an die primäre 
Sexualbefriedigung erreicht. Praktisch bedeutsam sei der Fall, daß Hysteriker ihre 
Phantasien in bewußter Realisierung durch Fingierung von Attentaten, Mißhand 
lungen und sexuellen Aggressionen in Szene setzten. Das Verhältnis der Phantasie 
zum Symptom sei mehrfach kompliziert und determiniert. Es handle sich um einen 
Kompromiß von zwei gegensätzlichen Triebregungen. Ein hysterisches Symptom 
sei häufig der Ausdruck einerseits einer männlichen, anderseits einer weiblichen 
unbewußten sexuellen Phantasie. 

Die ersten Spuren dichterischer Betätigung 5 finden sich im Spiel der Kinder mit 
Anlehnung an greifbare Dinge der Wirklichkeit und mit Verwendung großer Affekt¬ 
beträge. Der Heranwachsende schämt sich des Spiels, statt dessen phantasiert er 
Das Kind, das groß sein will, agiert das Spiel und schämt sich seiner nicht 
Die weiblichen Wünsche sind mehr nach erotischen, die männlichen nach ehr¬ 
geizigen Zielen gerichtet. Das Überwuchern der Phantasie führt in Neurose und 
Psychose. Der Held der Tagträume und der Romane ist das Ich. Auch die Dich¬ 
tung wurzelt in Kinderlebnissen; sie wird durch ein starkes, aktuelles Erlebnis aus¬ 
gelöst und stellt die Erfüllung in der Zukunft dar. So schwankt die Phantasie 
zwischen drei Zeiten. In der Dichtung kann der Hörer oder Leser seine eigenen 
Phantasien ohne Scham genießen. 

Helene Deutsch 6 kommt in einem Aufsatz über die pathologische Lüge (1922) 
zu folgenden Formulierungen: Pseudologie ist der den anderen als Realität mit¬ 
geteilte Tagtraum. Immer steht die eigene Person im Mittelpunkt der Phantasie. 
Zum Unterschied vom gewöhnlichen Tagträum, der geheimgehalten wird, wird die 
pathologische Lüge den anderen aufdringlich als Realität mitgeteilt. Der Dichter 
findet für seine Phantasie kraft seiner Begabung die ästhetische Form, die dem Pu¬ 
blikum den Mitgenuß ermöglicht. Die Pseudologie ist die Wiederbelebung der unbe¬ 
wußten Erinnerung des einst wirklich Erlebten. Weil damals verpönt, wird es auch 
jetzt nicht voll realisiert. Die pathologische Lüge versucht die Befreiung von einer 
drückenden Last der Erinnerung. Sie ist eine Zwischenstufe zwischen psychischer 
Gesundheit und Neurose. In Fällen von anhaltender Pseudologie ist der Befreiungs¬ 
versuch mißglückt, die Neurose stabilisiert. 

In seinem Buch über gemeinsame Tagträume hat Hanns Sachs (1924) 7 ver¬ 
sucht, die psychologischen Unterschiede zwischen Künstler und Führer zu erfassen. 
Der Künstler bleibe nicht, wie der Tagträumer, bei seinen engen persönlichen Wün¬ 
schen stehen, er müsse alles Nebensächliche und Zufällige seines Materials beiseite 
schleudern. Der Künstler könne nie Massenführer sein. Dieser müsse seinen Nar¬ 
zißmus uneingeschränkt beim eigenen Ich erhalten, vom Schuldgefühl ungebeugt. 
Der Dichter aber leide mehr als die übrigen unter dem Schuldgefühl. Er müsse 
unter dessen Druck den Narzißmus von der eigenen Person ablösen und auf das 
Werk verschieben. Er müsse den Rückweg von der Vereinzelung zur Brüder¬ 
gemeinschaft mit diesem Opfer zu erkaufen bereit sein. Daher eigne er sich nicht 
zum Führer, sondern sei ein besonders differenziertes Massenindividuum. Der Dich¬ 
ter werde nicht vom Narzißmus, sondern vom Schuldgefühl dazu getrieben, Bei¬ 
fall und Zustimmung verwandter Seelen zu suchen, nicht für sich, sondern für sein 
Werk (op. cit. S. 35—3 6 ). 













Weh’ dem, der lügt! 


S 2 9 

Abraham ist in der letzten von ihm publizierten Arbeit der Geschichte eines 
Hochstaplers im Lichte psychoanalytischer Erkenntnis nachgegangen (1925). 8 Er 
(jat darin anschaulich gezeigt, wie bei einem vielfach vorbestraften Schwindler und 
Betrüger dadurch eine viele Jahre andauernde Heilung der Pseudologie zustande 
kam, daß er eine Witwe mit mehreren Kindern und einem guten Geschäft heiraten 
konnte, in dem er einen gut bezahlten Vertrauensposten fand. Die Libidoübertra¬ 
gung auf einen Mutterersatz ermöglichte also nach Auffassung des Autors eine Pro¬ 
zession von narzißtischer Gebundenheit zur Objektliebe, ohne daß dabei Schuld¬ 
gefühle auftraten. Am Schlüsse seines letzten Vermächtnisses verweist Abraham 
auf die große Bedeutung der Psychoanalyse für die Kriminologie. Er begrüßt Aich- 
h 0 r n s eben damals erschienenes Buch „Verwahrloste Jugend“ und unterstreicht 
die darin betonte Bedeutung der positiven Übertragung des Zöglings auf den Er¬ 
zieher in den Besserungsanstalten. 

A i c h h o r n hat 1930 in unserer Gesellschaft über die Psychoanalyse Verwahr¬ 
loster einen Vortrag gehalten. Er hat uns darin den Hochstaplertypus umschrieben 
als feminin, homosexuell, mit ursprünglicher starker Bindung an die Mutter, dann 
mit Enttäuschung durch sie, mit der Schaffung eines Idealbildes von ihr, das ver¬ 
drängt und dann gesucht wird.. 

Zum Schlüsse dieser Übersicht, die auf Vollständigkeit keinerlei Anspruch macht, 
sei noch auf die kürzlich erschienene Abhandlung Melitta Schmidebergs : 
„Zur Psychoanalyse asozialer Kinder und Jugendlicher“ 9 verwiesen, in der uns fol¬ 
gende für unser Thema speziell in Frage kommende Formulierungen wertvoll er¬ 
scheinen: Das Lügen gewährt eine halluzinatorische Befriedigung, eine Flucht aus 
der unangenehmen Realität, eine Vermeidung der durch die Versagung ausgelösten 
Konflikte, der Angst und Aggression. Die Tat wird durch das Wort ersetzt. Es 
findet eine Flucht in die Realität des Wortes vor der Phantasie statt. Der Lügner 
unterscheidet sich von der Realitätsverleugnung des Psychotikers nur durch das 
Ausmaß. Die Realitätsverfälschung wird ihm in gewissem Ausmaße bewußt. Die 
erste Kindheit asozialer Kinder ist meist entbehrungsreich. Die ungünstige Realität 
erschwert die Flucht in die Realität. In vielen Fällen bedeutet das asoziale Ver¬ 
halten eine Flucht vor den paranoiden Phantasien in die Realität, den Versuch 
der Selbstheilung einer initialen Psychose. Für die asoziale Charakterbildung ist ein 
wichtiges Problem die Identifizierung mit bösen Vorbildern. 

Wenn ich nun dazu übergehe, kurz einige Fälle von Pseudologia phan- 
tastica zu schildern, die wir im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte in Königs- 
felden beobachten konnten und begutachten mußten, so möchte ich einen 
Hauptzug ihrer Wesensart mit den Worten Freuds 10 hervorheben: „Es 
gibt Menschen, die in ihrem Leben ohne Korrektur immer die nämlichen 
Reaktionen zu ihrem Schaden wiederholen oder die selbst von einem unerbitt¬ 
lichen Schicksal verfolgt erscheinen, während sie sich dieses Schicksal un¬ 
wissentlich selbst bereiten. Wir schreiben dann dem Wiederholungszwang 
dämonischen Charakter zu.“ 

Wir können unsere Krankengeschichten nur auszugsweise bringen, wie- 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIX—4 34 













wohl für solche Extrakte der Einwand gilt, den Freud zusamt 
drängten Analysen entgegensetzt, daß sie niemals den beweisenden Eindru 
machen können, dessentwegen man sie herangezogen hat. 

Jos. Walter Schlosser* das drittälteste von n Kindern eines Taglöh 
ist seit dem zehnten Jahre bei einem Wirt gegen Kostgeld untergebracht."x? 
18 Jahren wird er wegen unsittlicher Betastungen eines neunjährigen Mädchens * 
erstenmal verurteilt, wobei die als Zeugin einvernommene Mutter erklärt, der 
ratene Sohn sei ein Hallunke, den die Eltern verjagt hätten und nicht mehr"^ 
Hause sehen wollten. Er verdiene eine Strafe schon wegen der Ärgernisse die ^ 
ihnen beständig antue. Innerhalb vier Jahren kommen dazu sieben weitere Straft 
wegen Betrügereien und Diebstahl. Der frühere Paukenschläger stiehlt einen Takt" 
stock und eine Damenphotographie, um sich als Musikdirektor und glücklichen 
Bräutigam ausgeben zu können, näht auf seine Uniform Korporalschnüre und be¬ 
fördert sich sogar zum Instruktionsoffizier, ist angeblich Kompagnon bei einer 
Orgelfabrik und Absolvent eines deutschen Technikums, läßt eine seit Jahrzehnten 
verstorbene Patin wieder auferstehen und knüpft mit ihr eine Korrespondenz 
an usw. 

Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Königsfelden hält er sich fünf Jahre 
lang einwandfrei mit guter Übertragung speziell auf einen der hiesigen Ärzte, dann 
heiratet er, begeht neuerdings Diebstähle, äußert Drohungen gegen die Behörde, 
wird deswegen wieder interniert und stirbt ein Jahr später an einer perforativen 
Appendizitis. Die Frau gab an, er habe sie beständig angelogen und sie habe des¬ 
wegen auf Scheidung geklagt. 

S c h 1 o s s e r hat in Königsfelden behauptet, er habe die erste Strafe nicht ver¬ 
dient, sei damals unschuldig gewesen und wegen dieser ungerechten Bestrafung sei 
ihm nachher alles gleichgültig gewesen. 

Im Gegensatz zum Falle A b r a h a m s hat hier die Ehe keine Heilung ge¬ 
bracht, sondern im Verhalten zur Frau ist er nach Jahren korrekter Auf¬ 
führung wieder in die lügenhafte und diebische Einstellung zurückverfallen, 
die er der Mutter gegenüber einnahm, welche durch ihre gerichtliche Zeugen¬ 
aussage mit zur ersten angeblich ungerechten Bestrafung des Jugendlichen 
beigetragen hat. Einen ähnlichen Mechanismus wie bei Abrahams Hoch¬ 
stapler könnte man eher beim nächsten Fall vermuten. 

Walter B ä u m 1 e r s Vater war ein arbeitsscheuer, großmannssüchtiger Dieb, der 
Unterschlagungen beging, die Mutter eine Schmugglerin, die ihre sechs Kinder, von 
denen Walter das Zweitälteste war, zum Betteln anhielt und sich selbst überließ, 
da sie als Kellnerin diente. Die Eltern hielten sich gegenseitig Ehebruch vor. Beide 
wollten von dem Knaben, der sich in allen Beziehungen ihrer würdig erwies, nichts 
mehr wissen. Mit 17 Jahren wird er wegen verschiedener Diebstähle in eine Erzie¬ 
hungsanstalt eingewiesen, wo er sich zwei Jahre tadellos hält und vorzeitig entlassen 
wird, um sofort wieder zu stehlen, zu betrügen und zu vagabundieren. Er spielt 


0 Alle Namen sind entstellt. 















Weh’ dem, der lügt! 


53 1 


den Studenten, den reichen Amerikaner nach dem Vorhild des Vaters, fälscht Unter¬ 
schriften und Telegramme. Als er mit 25 Jahren zur Begutachtung kommt, hat er 
sechs Vorstrafen hinter sich. Nach einjähriger Internierung in Königsfelden unter 
Schutzaufsicht entlassen, vermag er sich während sechs Jahren ohne Delikte zu halten. 

In einer bald nach der Entlassung aus der Anstalt eingegangenen Bekanntschaft, 
die zu einer glücklichen Ehe führte, könnte die Ursache dieser Besserung vermutet 
werden, wenn nicht daneben gleichzeitig ein Freundschaftsverhältnis zu einem 
homosexuellen Psychopathen bestanden hätte, den Bäumler als Insassen von Königs¬ 
felden kennengelernt hat. Dieser lebte nachher beständig in seiner Nähe, ver¬ 
schaffte ihm Arbeit und unterstützte ihn. Auch wurde Bäumler in dem Momente 
wieder rückfällig, als sich dieser Freund von ihm abwandte und ihn im Stiche ließ. 
Jetzt entwendet er der Zimmervermieterin 10.000 Franken aus geschlossener Kom¬ 
mode und verbraucht das Geld für kostspielige Reisen und in Luxushotels, wo er 
wie früher den vornehmen Exoten spielt — ohne seine Frau. Zu zwei Jahren Zucht¬ 
haus verurteilt, will er den Namen wechseln und dann die Frau, die sich von ihm 
scheiden lassen soll, wieder heiraten. Gleichzeitig beklagt er sich, daß er auch seinem 
Freunde Unannehmlichkeiten bereitet habe. Er bringe eben allen Leuten nur Unglück.— 

Der siebenmal wegen Diebstahls und Betrugs vorbestrafte Dekorationsmaler Jean 
Säckler kam deswegen zur psychiatrischen Begutachtung, weil er durch drei 
Jahre eine ganze Reihe von Schweizer Künstlern dadurch geschädigt hatte, daß er 
sich ihnen unter hochklingenden Namen vorstellte und sich einige Werke zur Aus¬ 
wahl erbat. Mit den so erhaltenen Bildern verschwand er dann. Bei anderen Kunst¬ 
malern entwendete er in unbewachten Momenten kleinere Stücke. Bei sich zu Hause 
signierte er die meisten dieser Bilder mit seinem Namen und gab sich seiner Frau 
und seiner Verwandtschaft gegenüber als deren Urheber aus. 

Er war von klein auf furchtsam und schüchtern gewesen und hatte Angst vor 
dem überstrengen, unnachsichtigen Vater gehabt, der den Knaben seiner Phantasie¬ 
lügen wegen viel prügelte. Er stahl im Walde Holz, weil er beim Sammeln Angst 
hatte, zu wenig heimzubringen und dann gestraft zu werden. Im Militärdienst 
genoß er als gemeiner Soldat eine Vorzugsstellung, weil er sich als Karikaturen¬ 
zeichner hervortat. Er stahl dabei bald aus einer Kassette. Als ihm die erste Frau 
im ersten Wochenbett starb, legte er an ihrem Grab einen Kranz nieder, auf dessen 
Schleife er als Feldwebel signierte. Seinen Bekannten suchte er mit goldenen Bechern 
und Lorbeerkränzen als Olympiasieger zu imponieren. Die zweite Frau, bei deren 
Verlobung er mit seinen Bilderschwindeleien begonnen hat, ist ihm geistig über¬ 
legen und ein deutlicher Ersatz für die weichherzige Mutter. Sie bezeichnet ihn als 
sexuell sehr wenig anspruchsvoll. Die Ehe ist kinderlos. Trotzdem sie von seinen 
Vorstrafen bei der Heirat nichts wußte und trotz seiner Schwindeleien mit den 
Bildern, für die er wegen Verhältnisblödsinns und Pseudologia phantastica als un¬ 
zurechnungsfähig erklärt wurde, hat sie ihn nicht fallen lassen und ihn bei seinen 
Bemühungen, nach % jähriger Anstaltsinternierung wieder im bürgerlichen Leben 
Fuß zu fassen, mütterlich unterstützt. Der Mann ist bevormundet und steht unter 
Schutzaufsicht. Er hält sich seit bald 4 Jahren einwandfrei und bezeugt seinen 
ehemaligen Ärzten seine Dankbarkeit durch gelegentliche Zusendung von authenti¬ 
schen Aquarellen. — 


34 * 







53* 


A. Kielholz 


Der aus vornehmer und begüterter Familie stammende Max Specke ist als 
jüngstes Kind und einziger Sohn wegen vieler Kinderkrankheiten, darunter einem 
universellen Ekzem und einer Diphtherie mit Tracheotomie, von klein auf ver¬ 
zärtelt und verwohnt worden. Nach dem frühen Tod des Vaters, den er als Neun¬ 
jähriger verlor, bekam er seinem Vormund und Onkel gegenüber eine recht feindselig 
Einstellung, zum Teil deshalb, weil er von ihm wegen seiner früh aufgetretenen 
Neigung zu verschwenderischen Einkäufen und Aufschneidereien viel getadelt und 
zurechtgewiesen worden war. In den verschiedenen Schulen, in denen man es mit 
ihm versuchte, versagte er überall, lebte auf großem Fuße, sammelte einen Kreis 
von Schmeichlern um sich und vergeudete sein Vermögen. Mit dem Strafgesetz kam 
er nur deswegen nie in Konflikt, weil seine Schulden und Unregelmäßigkeiten jeweils 
von den Angehörigen gedeckt und auf gütlichem Weg geregelt wurden. Er knüpfte 
wiederholt platonische Verhältnisse mit Mätressen seiner Bekannten, mit verheira¬ 
teten, sogar schwangeren Frauen an, die er mit Pelzen und Schmuck beschenkte. 
Er gab sich als Sohn eines schweizerischen Gesandten, als Ingenieur, als Offizier 
aus und bestellte eine entsprechende Uniform. Er Unterzeichnete Schecks im Betrag 
von mehreren tausend Franken auf eine Bank, bei der er keinen Rappen deponiert 
hatte. Er spielte auch den Erfinder und benutzte seine wertlosen Projekte, um sich 
Geld zu verschaffen, das er dann wieder zum Ankauf von Uhren, Ringen und 
Automobilen verwendete. Er meldete sich angeblich zweimal ohne Erfolg bei der 
Fremdenlegion und war längere Zeit Steuermann auf Mittelmeerdampfern. Die In¬ 
ternierung und Beobachtung in verschiedenen Sanatorien und Irrenanstalten ergab, 
daß es sich um einen haltlosen Psychopathen mit unbezwingbarer Neigung zur 
Pseudologie handelte, der urteilsschwach, aber ziemlich gewandt, sich äußerlich 
anzupassen und einzuschmeicheln wußte, aber leicht zu beeinflussen und zu über¬ 
tölpeln war, ohne Einsicht und Verantwortlichkeitsgefühl. Specke hat es trotz des 
Widerstandes der Angehörigen durchgesetzt, die Tochter einer ehemaligen Zimmer¬ 
vermieterin, die ihm geistig überlegen ist und ihn zu lenken weiß, zu ehelichen. 
Ob er durch diese Heirat auf andere Bahnen kommt, kann heute noch nicht gesagt 
werden. 

Wir haben Specke einmal aufgefordert, seine Phantasie dichterisch zu 
verwerten. Die so entstandene Novelle spielt in Marokko; der Held wird 
dabei auf geheimnisvolle Art umgebracht und zerstückelt. Seine Geliebte gibt 
sich dem Mörder hin, um ihn dabei durch einen Schlangenbiß zu vergiften. 
Sie wird vom Sterbenden erdolcht. Also ein typisches Fragment eines Schund¬ 
romans! 

Walter H o f m a n n ist der Sohn eines rohen und liederlichen Trinkers, der 
die Familie mißhandelt und von sich gestoßen hat, und einer zeitweise schwer¬ 
mütigen und körperlich kranken Mutter. Im Alter von 17 Jahren verliert er sie. 
Als Kind war er brav, weichherzig und ein schlechter Schüler; später wechselte er 
öfters die Arbeitsstellen, angeblich, um mehr zu verdienen, damit die Mutter nicht 
mehr in die Fabrik gehen müsse. Er war mit 20 Jahren noch Bettnässer. Bei einem 
trunksüchtigen Bauern und im Militärdienst kam er selber ins Trinken. Einem 
Kameraden entlieh er eine Uhr, die er nicht mehr zurückgab. Einmal desertierte 












Weh’ dem, der lügt! 


533 


im Rausch und zog sich dadurch die ersten Strafen zu, die er selber auf Mädchen- 
t>ekanntschaften zurückführt, welche ihn aus dem Geleise gebracht hätten. In der 
jdaft beging er wiederholte Selbstmordversuche, wenn er jeweils von seiner Braut 
keine Antwort auf seine Briefe bekam. Nach einer Abstinenzkur, die er wegen 
IsTeigung zu Depressionen und Selbstgefährlichkeit in der geschlossenen Heilanstalt 
absolvierte, knüpfte er ein Verhältnis mit einer älteren Witwe an, die ihn angeblich 
wieder zum Trinken verführte. Er begeht Schwindeleien, indem er sich als Ope¬ 
rationswärter, als Chefmonteur, als Sohn eines Regierungsrates ausgibt, brennt mit 
einer neuen Braut und dem Velo von deren Bruder durch, bestellt bei einem Möbel¬ 
händler eine große Ausstattung, zeigt ihm einen Neubau in einem Landstädtchen 
als sein Eigentum, läßt sich von ihm im Auto zur Braut führen und für seine 
Bestellungen von Möbeln, Wäsche und Kleidern im Betrage von Fr. 12.000—, die 
er mit falschem Namen unterzeichnet, ein Darlehen aushändigen. Er besichtigt ein 
zum Verkauf ausgeschriebenes Heimwesen und läßt sich vom Besitzer Geld vor¬ 
schießen. In der Untersuchungshaft, in die er wegen dieser Delikte gerät, verfaßt 
er eine Beschwerde gegen den Staatsanwalt, die vom Verwalter und Geistlichen 
des Gefängnisses unterstützt wird, droht mit Selbstmord und schreibt ein Testament, 
in dem er seine „Ehefrau“ als Erbin einsetzt. Wegen Nahrungsverweigerung muß 
er nach Königsfel den gebracht werden. Er behauptet, eine Krawattennadel ver¬ 
schluckt zu haben, fängt aber doch wieder zu essen an. Die Braut sucht er mit 
Suiziddrohungen zu bestimmen, wieder mit ihm anzuknüpfen. Schließlich bemüht 
er sich, ihr und sein außereheliches Kind als seinen Sohn anerkennen zu lassen. Er 
möchte in der Heilanstalt bleiben, da .das Leben in der Freiheit keinen Wert mehr 
für ihn habe, wenn die Braut nichts mehr von ihm wissen wolle, und da er auch 
Angst hat, draußen wieder rückfällig zu werden. — 

Albert Weich müller verlor seine Mutter an Lungenschwindsucht mit fünf 
Jahren. Eine seiner Schwestern ist schwachsinnig; ein Bruder erhängte sich mit 
16 Jahren aus Angst vor einer Blinddarmoperation, zwei sollen ertrunken sein. Er 
habe von seiten des Vaters, der ihn gegen die strenge Stiefmutter zu wenig in 
Schutz nahm, Enttäuschungen erlitten, deswegen fühle er sich berechtigt, andere 
zu täuschen. Als er seinem Wunsche entsprechend in einer Schneider lehre war, 
habe man ihn ungenügend mit Kleidern ausgestattet und ihm nie geschrieben. Die 
Logisfrau mußte ihm sogar während der Grippezeit ein Hemd kaufen. Er läuft 
deshalb aus der Lehre davon, wird Hausbursche, verlangt nach acht Tagen Vor¬ 
schuß, um ein Hemd zu kaufen, leiht sich einen Waschkorb aus, stiehlt einen 
Spazierstock, verkauft beides und verschwindet. An sieben Orten erhebt er darauf 
unter unwahren Angaben 34 Hemden, die er zum Teil selber braucht, zum Teil 
zu Schundpreisen wieder verkauft. Bei der Verurteilung wegen dieser Delikte wird 
sein jugendliches Alter — 18 Jahre — als Milderungsgrund, sein heller Kopf, die 
große Phantasie und der starke verbrecherische Wille als strafverschärfend ange¬ 
nommen. Später sucht er Unterkunft bei Trödlerinnen, wo man immer genügend 
Kleider haben könne, bettelt bei Pfarrern und Klosterfrauen, stiehlt bei solchen 
Geld und Uhren, gibt sich als Theologiestudent aus, der wegen Lungenkrankheit 
das Studium habe aufgeben müssen, unterzeichnet Briefe als Vikar, will angeblich 
zur Mission gehen, ein Muttergut von einigen tausend Franken in Aussicht haben. 


j 








Er übernachtet mit Homosexuellen, hat Verhältnisse mit verheirateten Frauen he 
hauptet auch, von Dirnen ausgehalten worden zu sein. Eine ältere Trödlerin' d~ 
wie eine Mutter zu ihm gewesen sei, für die er hausierte und bei der er Ko^ 
und Logis hatte, bestiehlt er und motiviert später vor Gericht seine Betrügereien damT 
daß er ihr habe seine Schulden abzahlen wollen. Nur aus diesen macht er sich e* * 
Gewissen. Er kehrte auch später wiederholt zu ihr zurück, ließ sich von ihr mi 
Kleidern, Essen und Geld unterstützen und dann wieder einklagen. Nach Königs 
fei den, wo er mit 22 Jahren als moralisch defekter Psychopath begutachtet wurde 
ka.m er einmal freiwillig, nachdem er wieder überall Schulden gemacht und Geld' 
mit Vorliebe bei Geistlichen, entliehen, auch vorübergehend in einer anderen Irren¬ 
anstalt als Wärter sich betätigt hatte. In der Strafhaft verweigerte er die Arbeit 
machte Hungerstreike, drohte mit Suizid und demolierte Geschirr und Scheiben' 
Einmal spielte er den Bischof, behauptete, nachts Stimmen zu hören, benahm sich 
aber sofort wieder normal, als er aus der Strafanstalt nach Königsfelden versetzt 
wurde und behauptete, er habe sich dort nur verstellt. Beim letzten Aufenthalt im 
Zuchthaus zog er sich in selbstmörderischer Absicht wiederholt Schnittwunden 
am linken Handgelenk zu, die eine Sehnennaht notwendig machten. — 

Emil S c h u 1 d 1 i n g ist der Sohn eines Polizisten, der jedes dritte Jahr seinen 
Wohnort wechseln mußte, was einen entsprechenden Wechsel der Schule und des 
gesamten Milieus bei dem Knaben bedingte. Er konnte so nirgends recht verwurzeln, 
nirgends Kameradschaften schließen; so kam von klein auf etwas Unstetes in seine Le¬ 
bensführung. Er sagt von sich selber aus, daß er als Knabe schon wegen seiner Schwin¬ 
deleien unbeliebt gewesen sei, mit denen er sich offenbar an jedem neuen Wohnort 
Geltung zu schaffen versuchte. Reagierten die Kameraden mit Spott und Hohn auf 
seine Lügen, so zog er sich verletzt und beleidigt von ihrer Gesellschaft zurück und ge¬ 
wöhnte sich daran, in der Einsamkeit seinen Phantasien nachzuspüren. Der frühe Tod 
der Mutter, als er neun Jahre alt war, und der darauffolgende häufige Wechsel von 
Haushälterinnen, Stiefmüttern und Anstaltserziehung begünstigte diese Fehlentwick¬ 
lung noch, der Knabe konnte sich niemandem längere Zeit gemütlich anschließen 
und stieß statt auf Verständnis auf Gleichgültigkeit, Abneigung und Ungeduld. 
Nach seiner Behauptung spielte das Prügeln unter den Erziehungsmethoden eine 
große Rolle. Man habe ihn z. B. geschickt, für die Kaninchen in fremden Wiesen 
Gras zu holen, dann habe ihn zuerst der Bauer, nach der Rückkehr die Stiefmutter 
und am Abend der Vater durchgehauen. 

In der Zwangserziehungsanstalt, wo er den Schreinerberuf erlernte, hielt er sich 
während drei Jahren tadellos. Er machte eine gute Lehrlingsprüfung. 

Nach einer unglücklichen Liebschaft mit einem unehelichen Mädchen wird er 


vom Vater aus dem Haus fortgejagt; er ist vorübergehend im Spital wegen Neu¬ 
rasthenie und Magenneurose; dort raten ihm die Ärzte, den Beruf eines Nacht¬ 
wächters aufzugeben, den er offenbar nur ergriffen hat, weil er nachts keine Ruhe 
und keinen Schlaf findet. Er macht dann einen Suizidversuch mit einem Revolver, 
und kurz nachher erfolgt beim 23jährigen die erste Bestrafung, der sich in der 
Zeit von fünf Jahren zehn weitere anschließen. Er hat seinen Logisgebern aus der 
geschlossenen Kommode 200 Frs. entwendet, gleichzeitig aber auch ein vierjähriges 
Mädchen derselben auf die Hobelbank gelegt, entblößt und vor ihm exhibitioniert. 
















Weh’ dem, der lügt! 


535 


£r umarmte auch die Mutter desselben, zog sich deren Unterhose an und onanierte 
darin. Er war schon mit neun Jahren deswegen gestraft worden, weil er versucht 
hatte, der Lehrschwester in der Erziehungsanstalt unter die Röcke zu blicken. Später 
hatte er Wälder und Parks auf gesucht, um geschlechtliche Sachen beobachten zu 
können, und auch die Wahl des Nachtwächterberufs war durch sein Voyeurtum 
bestimmt worden. Als er zum fünftenmal vor den Schranken des Gerichtes steht, 
ist er in der Lage, ein spezialärztliches Gutachten vorzulegen. Er ist wegen Schlaf¬ 
losigkeit vom Arzt an einen Nervenarzt gewiesen worden, der ihm eine Kur in 
einer nahen Pension anrät und ihn während derselben psychotherapeutisch be¬ 
handelt. Der Patient beschafft sich die Mittel zu dieser Kur durch Schwindeleien 
gegenüber dem Pensionsinhaber, vertrauensseligen Wirtinnen und Kellnerinnen. Der 
Staatsanwalt ließ sich durch das Gutachten nicht davon überzeugen, daß Schutz¬ 
aufsicht bei dem vermindert zurechnungsfähigen, pseudologischen, haltlosen Psycho¬ 
pathen nicht genüge, sondern nur ein möglichst langer Anstaltsaufenthalt. So wurde 
Schuldling innerhalb kürzester Zeit wieder rückfällig, beging Velo- und Uhren¬ 
diebstähle, lockte den Leuten unter allerlei Schwindeleien das Geld aus der Tasche, 
verübte Zechprellereien, gestand meist sofort, zeigte sogar Delikte an, die gar nicht 
bekannt worden waren, nur um, wie er sagte, endlich einmal reinen Tisch zu 
machen. Auch in einer Arbeiterkolonie machte er sich nach kurzer Zeit durch seine 
Schwindeleien und sein unaufrichtiges Verhalten unmöglich. Er behauptete dort, 
er sei in der Fremdenlegion gewesen und habe Reisen nach Rußland und Asien 
gemacht. Das letzte Delikt, das zur Begutachtung in Königsfelden führte, hatte 
wieder deutlich sexuelle Wurzeln. Schuldling hatte sich ganz in der Nähe des 
Ortes, wo er sein erstes Delikt begangen, in die Nichte seiner Logisgeberin, ein 
schwerhöriges, uneheliches Mädchen, verliebt, sich mit ihr unter lügnerischen An¬ 
gaben über sein Vermögen verlobt und war, als sein Vater nicht sofort erschien, 
um dem neuen Bund seinen Segen zu geben, unter Zurücklassung von Schulden und 
unter Mitnahme von zwei Zwanzigernoten der Logisgeberin und von einem Ge¬ 
schenk, das die Braut von einem früheren Liebhaber erhalten hatte, und das er 
gegen eine goldene Uhrkette umgetauscht hatte, verschwunden. Auch diesmal wieder 
hatte er sich vor Begehung der Tat wegen nervöser Störungen an einen Arzt ge¬ 
wendet und sich, natürlich gratis, behandeln lassen und nach dem Delikt bei einem 
anderen Arzt Hilfe gesucht. 

Dem Begutachter versicherte er immer und immer wieder, daß er seinen Drang 
zum Lügen und Stehlen für unüberwindbar halte, daß er Angst habe, in die Freiheit 
zurückzukehren, weil er nicht die Kraft besitze, ihn zu beherrschen und daher 
wieder rückfällig und strafbar würde. Er begehe seine Delikte nicht absichtlich und 
überlegt, sondern komme erst nachträglich zur Klarheit darüber. Er war auch 
wahrend der Beobachtungszeit nicht imstande, bei der Wahrheit zu bleiben. Durch 
die völlig unwirksamen Strafen erschien er zunehmend verbittert, und wir hielten 
cs mit seinem Vater nicht für ausgeschlossen, daß er bei weiterer Bestrafung in 
eine so antisoziale Einstellung geraten könnte, daß er dann auch zu schweren 
Verbrechen fähig würde. Seine Einstellung zu den Angehörigen, speziell zur Stief¬ 
mutter, war jetzt schon derart, daß sie an Verfolgungswahn grenzte. Er fühlte sich 
überall von ihr benachteiligt und beobachtet, glaubte, daß ihre bösen Wünsche ihm 


j 









53 * 


A. Kielholz 


gegenüber die Kraft hätten, ihn zum Verbrechen zu verleiten und seine Um» k 
gegen ihn einzunehmen. Un 8 

Als nach unserem Gutachten die Untersuchung gegen ihn eingestellt und ih 
der Beschluß eröffnet wurde, er sei dem Heimatskanton zu dauernder Verwahru *** 
in einer geschlossenen Heilanstalt zu übergeben, sah er in der folgenden Nartf 
einen Totenraum, darin ein Gestell mit des Vaters Kopf und aufgehängten Leichen¬ 
teilen und äußerte die Vermutung, man wolle ihn mit solchen Visionen zum Mord 0 
machen. Die Stiefmutter wolle den Vater beseitigen, weil dieser ihm helfen möchtT 
Mit starkem Affekt erzählte er dann von einem Sittlichkeitsdelikt, das er während 
seines Spitalaufenthaltes an einem zwölfjährigen Mädchen begangen — er zog es 
aus, berührte seine Genitalien und exhibierte vor ihm. — Er habe oft solchen 
Mädchen nachgestrichen mit dem Verlangen, sie zu zerstückeln. Er habe auch oft 
solche Träume. Weil ihm der Drang dazu auch bei seiner letzten Braut gekommen 
sei, habe er sich geflüchtet. Als Zwölfjähriger hatte er eine Freundschaft mit einem 
Metzgerburschen, habe oft beim Schlachten zugesehen, trotzdem ihm das vom Vater 
und vom Metzgermeister streng verboten worden sei. Einmal sah er auch, wie eine 
trächtige Kuh mit zwei Kälbern im Leib geschlachtet wurde. Es habe ihn selber 
gelüstet, so zu töten und zu metzgen. Kurz darauf begann er mit seiner damals 
neunjährigen Schwester die gleichen Schweinereien wie später mit dem zwölfjährigen 
Mädchen. Er habe damals auch die blutige Wäsche der Stiefmutter im Schlaf¬ 
zimmer entdeckt und vermutet, das sei etwas Geschlechtliches vom Vater her. Dann 
beobachtete er auch einen Nachbarn mit seiner Frau im Walde halbnackt. Als er 
dem Vater davon erzählte, bekam er einen Verweis, aber keine Aufklärung. Die 
Logisfrau am Orte seines ersten Deliktes habe ihm von ihren Geburten erzählt 
und in einem Arztbuch entsprechende Abbildungen gezeigt. Dadurch sei er in 
sexuelle Erregung geraten, habe bei dem kleinen Kinde nachsehen und die Frau 
selber umarmen wollen. Bei allen seinen Delikten sei so etwas mit im Spiel gewesen. 
Einmal wollte er auf dem Heimweg von einem Ball, wo er nur zusah, weil er 
nicht tanzen könne, ein Mädchen überfallen und sei im letzten Augenblick durch 
Passanten daran verhindert worden. Als Knecht habe er mit einem dreimonatigen 
Kalb Sodomie getrieben und es dann erwürgt. Als an einem anderen Ort die 
Meisterin niederkam, haben ihm deren zwei Buben erzählt, daß die Nachgeburt 
im Keller vergraben sei. Er grub sie wieder aus und sei so erregt geworden, daß 
er mit einem zehnjährigen Knaben onanierte. An einem Ort lernte er ein 19jähriges 
Dienstmädchen kennen und überwältigte es abends außerhalb des Dorfs. Er floh 
dann unter Zurücklassung des Lohnes. Wenn er halbwüchsige Mädchen sehe, 
komme der Drang über ihn, sie zu töten. Er fliehe dann meist in der Absicht, 
sich selber das Leben zu nehmen. Das wäre noch besser, als an seinem Vater zum 
Mörder zu werden. Er hätte sich schon wegen einer Kastration an einen Arzt 
gewendet, wenn er nicht Angst hätte, den Grund angeben zu müssen und dann 
eine Anzeige befürchten würde. 

Auch nachdem Schuldling in die Heilanstalt seines Heimatkantons versetzt 
worden war, bestätigte er uns in verschiedenen Briefen seine immer wiederkehrenden 
Gelüste nach Blut, nach einer richtigen Menschenmetzelei. Gerade Menschen, die 
er liebe, stehen vollständig zerlegt und blutig vor seinen Augen, besonders nachts. 













Weh’ dem, der lügt! 


537 


pann werde er unruhig, und früher habe er darum die schönsten Stellen verlassen 
u nd neue Delikte begangen. Oft sei er schon an irgendeinen Ort gereist mit dem 
einzigen Gedanken, einen jungen Menschen völlig zu zerstückeln. An solchen Ge¬ 
danken finde er tagelang volle Befriedigung, bis er dann merke, mit was für ge¬ 
meinen Gedanken er sich eingelassen habe. Dann komme der Gedanke an Selbst¬ 
mord, und er bekomme Verdauungsstörungen, Darmkrämpfe und Durchfall. — 

Frieda Kocher, die mittlere von sieben Geschwistern, war von früher Kind¬ 
heit an scheu und unlenksam. Als die Vierjährige vom Vater einmal körperlich 
gezüchtigt wurde, kam sie zwei Jahre lang nicht mehr zum Essen an den Tisch, 
solange der Vater da war. Sie hinterging die Eltern beständig, lief oft mittags fort, 
um erst in der Nacht wieder heimzukommen. Man gab sie daher einige Jahre zu 
Verwandten in Erziehung. Mit zwölf Jahren stahl sie Geld in der Küche, dem 
Vater aus den Kleidern und verwendete es für Süßigkeiten. Einem Bruder ent¬ 
wendete sie eine Uhr und verkaufte sie. Sie verleumdete die Eltern, sie bekomme 
zu wenig zu essen, und bettelte Fremde an. Als Schülerin strich sie viel den 
Burschen nach; gleich nach der Konfirmation hatte sie den ersten Geschlechts¬ 
verkehr in einer Scheune nahe dem Elternhaus, dann mit einem Nebenarbeiter in 
einer Färberei. Einen Chauffeur, dem sie sich hingab, bestahl sie. Sie wurde des¬ 
wegen von ihrer Mutter der Polizei angezeigt. Dann reist sie unter fremdem Namen 
herum, bettelt Mitreisende an, läßt sich in einer Metzgerei Fleisch aushändigen, 
bestiehlt Beischläfer, kauft sich aus dem gewonnenen Geld Kleider. Für zwei Jahre 
in eine Besserungsanstalt eingewiesen, entweicht sie nach drei Monaten, indem sie 
die Verwalterin bestiehlt. Sie erhebt unter falschen Angaben Jacke, Ledertasche, 
Hut, Bluse, erbricht Koffer und Kasten mit Stemmeisen, gibt sich als Verwandte 
des Ortspfarrers aus. Die erlisteten Objekte werden teils wieder verkauft, teils 
einer Bekannten geschenkt. Vor Gericht entschuldigt sie sich damit, daß sie von 
der Mutter verstoßen sei und kein Heim mehr habe. Wegen Haftpsychose mit 
22 Jahren nach Königsfelden verbracht, behauptet sie, sie höre seit langem nachts 
die Mutter weinen und ihr Vorwürfe machen; es träumt ihr auch, sie habe ihre 
Mutter erschossen, zwei Männer mit Gewehren verfolgen sie, die Patientin, auf den 
Friedhof und erschießen sie dort. Sie behauptete, im Besitz fremder Dinge habe sie 
Angst, die durch das Verschenken wieder schwinde. 

Nach eineinhalbjährigem Aufenthalt in der Anstalt an eine Stelle unter Schutz¬ 
aufsicht entlassen, entweicht sie dort nach einigen Tagen nachts, erhebt in be¬ 
trügerischer Weise in einem Geschäft Kleiderstoff; in der Haft versucht sie sich 
zweimal zu erhängen. Sie gab an, mit zwei Freundinnen Beziehungen gehabt zu 
haben, von denen sie eine im Zuchthaus kennenlernte. Die eine habe mit ihrer 
sexuellen Veranlagung eine unwiderstehliche Macht auf sie ausgeübt, sie finanziell 
ausgebeutet und zu Delikten veranlaßt. An einem Ort habe sie auch einen Betrug 
im Namen ihrer „armen“ Eltern begangen. Sie verübte dann Schwindeleien in 
größerem Maßstab, erhob goldene Herrenarmbanduhren auf Rechnung eines Pfar¬ 
rers, auf die eines anderen gestickte Westen, dann Sportgeräte. Mit 22 Vorstrafen 
wegen Debilität als unzurechnungsfähig erklärt, kam sie vor drei Jahren zum 
drittenmal in unsere Anstalt. Sie hat jetzt deutliche homosexuelle Liebeleien mit 
anderen Patientinnen, schreibt ihnen Liebesbriefe, sagt einer, sie wolle zu ihr 








kommen, um Blut zu lecken, wenn sie menstruiere. Wenn ein Mädchen ihr 
Willen sei, brauche sie keine Burschen. Abgesehen von den gelegentlichen E’f* 1 * 
süchteleien und Zänkereien ist das Mädchen geordnet und fleißig; sie soll d h 
nächstens unter der Obhut eines Vormunds in ein Frauenheim versetzt werd ** 
wo sie einen Teil der Kosten durch eigene Arbeit decken kann. ^ 


Wenn wir die acht kurz skizzierten Fälle überblicken, so stellen wir i n 
drei Fällen, bei Bäumler, Weichmüller und Kocher, manifeste homosexuelle 
Tendenzen fest. Schlosser und Schuldling erweisen sich durch ihr erstes 
Delikt als pädophil, der zweite zudem als Transvestit. Zum Problem der 
Pädophilie hat unseres Erachtens Wittels in seiner Umschreibung der 
Lilithneurose 11 einen wertvollen Beitrag geleistet. Er führt darin aus, daß von 
Natur jeder Mensch bisexuell veranlagt sei und daß dieses biologische Prin¬ 
zip als solches vom Kind zuerst erlebt werde, nachdem es die Zwiegeschlech- 
tigkeit des Elternpaares erfaßt habe. Männer mit starker weiblicher Kompo¬ 
nente identifizierten sich mit der Frau und suchten in ihrer masochistischen 
Haltung das Mutterideal, das für sie sorge. Wenn sie dieses nicht fänden 
und kurz vor der Homosexualität angelangt seien, suchten sie ihr Ideal 
in der Schönheit der Puppe. Lilith ist nach der Sage die erste Frau Adams 
mit den Eigenschaften des Kind-Weibes. 

Hofmann und Säckler zeigen ausgesprochen feminine Charakterzüge. 
Specke hat mehrfach platonische Verhältnisse zu verheirateten Frauen und 
Mätressen seiner Freunde. Bei allen acht Fällen vermissen wir somit den ein¬ 
deutig heterosexuellen Trieb. 


Ziehen wir dazu noch die sieben Patienten in Betracht, die D e 1 b r ü c k in 
seiner Abhandlung beschrieben hat, so stoßen wir da auf eine homosexuelle 
Transvestitin, ferner auf zwei Paranoide, bei denen die Homosexualität nach 
Freuds Auffassung der Psychose zugrunde liegt, und schließlich auf zwei 
weitere Kranke mit deutlichen homosexuellen Zügen. Solche sind ebenfalls 
unverkennbar bei dem Kranken, den J. J ör g er sen. 12 in ausführlicher und 
anschaulicher Weise schilderte. Und aus der Pathographie, die Paul B j e r r e 13 
dem zur Zeit berüchtigtsten Pseudologen, nämlich Kreuger, gewidmet hat, 
vernehmen wir von dessen stark ausgeprägter Jünglingserotik, einer unglück¬ 
lichen Verlobungsaffäre und einer sehr merkwürdigen Güte und Hilfsbereit¬ 
schaft, die der Autor aus der sozialen Unbefriedigtheit des immer Einsamen 
in seinem Muttertrieb, letzten Endes aus seiner psychischen Zweigeschlechtig¬ 
keit ableitet. 

Daß sich unter unseren acht Fällen nur eine weibliche Patientin findet, 














Weh’ dem, der lügt! 


539 


ist kein zufälliges Verhältnis. W u 1 f f e n macht in seiner Kriminalpsycho¬ 
logie 14 darauf aufmerksam, daß die weiblichen Hochstapler seltener sind, 
und erklärt es damit, daß sie von ihren Geschlechtsgenossinnen schneller ent¬ 
larvt werden. Er verweist auch in diesem Zusammenhang auf die weibliche 
Komponente im Wesen des phantasiebegabten Dichters und erinnert an die 
Aufschneidereien des Jägers, des Studenten und Reisenden. Wenn wir für 
diesen präziser den Seefahrer einsetzen, so können wir erkennen, daß die 
phantastische Erzählung sich als Produkt einer vorwiegend mann-männlichen 
Gesellschaft entpuppt. Wir haben an anderer Stelle gezeigt, wie diese mann¬ 
männliche Gesellschaft zur Trinksitte und zur Trunksucht neigt. Unter un¬ 
seren Pseudologen ist nur bei einem, bei Hofmann, diese Neigung zur Sucht 
vorhanden, wohl aber auch bei zwei Patienten Delbrücks. 

Wenn W u 1 f f e n von einem rauschartigen Zustand des Dichters und 
Schwindlers spricht, so können wir nach den Beobachtungen an den meisten 
unserer Kranken bestätigen, daß sie dann, wenn sie ihre Tagträume produ¬ 
zieren, sich in einem oft objektiv feststellbaren Dämmerzustand befinden, an 
den sie sich nachher nur mangelhaft erinnern und den wir uns als eine Art 
Orgasmus deuten müssen, entstanden aus jener von Freud hervorgehobenen 
Verlötung von Tagtraum mit Onanie. 

Wir möchten also als erstes Ergebnis unserer Untersuchung die Sätze auf¬ 
stellen: 

Die krankhaften Lügner lügen wie Kinder, die über die Art 
ihresGeschlechtesnochnichtinsKlaregekommensind. 
Sie suchen ihr Leben lang eine sie schützende Mutter und ein 
Heim. 

Da nie die ganze Persönlichkeit beteiligt ist an ihren Bestrebungen, sich 
der Wirklichkeit und den Objekten anzupassen, sondern entweder nur der 
männliche aktive oder der weibliche passive Teil ihres Wesens, so bleibt jede 
Betätigung nur ein Spiel, von dem sie unbefriedigt bleiben und bei dem sie 
ein schlechtes Gewissen haben. 

Freud kommt in seiner Untersuchung über die weibliche Sexualität 15 — 
wobei er auch auf die für die menschliche Anlage behauptete Bisexualität 
hinweist — auf die allgemeine Tendenz zu sprechen, einen passiv erhaltenen 
Eindruck durch aktive Reaktion zu bewältigen, und erwähnt, daß auch das 
Kinderspiel in den Dienst dieser Absicht gestellt wird. Wälder, der spe¬ 
ziell die psychoanalytische Theorie des Spiels 16 bearbeitet hat, erinnert daran, 
daß Freud bei der Lehre vom Wiederholungszwang ausdrücklich Bezug 
nimmt auf Beobachtungen beim Kinderspiel, daß dieses zur Verarbeitung 









540 


A. Kielholz 



von peinlichen Erlebnissen diene, die nicht auf einmal bewältigt werden 
könnten. Auch er hebt als wichtig hervor die Vertauschung der Rollen die 
Wendung von der Passivität zur Aktivität. Das Verschwimmen von Realität 
und Phantasie sei eine Voraussetzung dafür, daß es zum spielerischen Abrea 
gieren der Erlebnisse kommen könne. Er nennt das Spiel einen Urlaub von 
der Realität und einen Urlaub vom Überich. 

Erinnern wir uns an die schwierigen und ungünstigen Umweltverhältnisse 
in denen unsere acht Phantasielügner aufgewachsen sind — auch der ver¬ 
hätschelte, einzige Sohn Specke mit seinem universellen Ekzem und seiner 
Tracheotomie bildet da keine Ausnahme — so dürfen wir annehmen, daß 
es bei keinem an peinlichen Erlebnissen gefehlt hat, die er in spielerischer 
Weise zu verarbeiten suchte. 

Er gibt in diesem Spiel ein Stück seiner Tagträume preis und sucht für 
diese Wahl durch Betrug oder Diebstahl einen Ersatz zu gewinnen. 

Wenn wir vernehmen, daß Schlosser den Taktstock seines Kapellmeisters 
Weichmüller einen Spazierstock entwendet oder dann aus dem geschlossenen 
Schrank seiner mütterlichen Logisgeberin sich Geld aneignet, so ist in solchen 
Delikten die symbolische Bedeutung einer Kastration oder eines Inzestes un¬ 
verkennbar. 

Er schädigt und betrügt dabei nicht nur seine Umgebung, deren Zutrauen 
er durch raffinierte Einfühlung in ihre Bedürfnisse und Wünsche gewonnen 
hat, sondern auch sich selbst. 

Dieser Einfühlung ist er deswegen in höherem Maße fähig, weil er durch 
seine bisexuelle Veranlagung und Triebrichtung sich mit Personen beiderlei 
Geschlechts besser zu identifizieren vermag als der Normale, bloß hetero¬ 
sexuell gerichtete. 

Hinter diesem Spiel, das ihn nie befriedigen kann, stecken primitive, 
prägenitale Triebe, durch eine verkehrte, brutale Erziehung angeregter Sado¬ 
masochismus, orale Zerreißungs- und Zerstückelungstendenzen, analer Be¬ 
schmutzungsdrang — unsere Mundart hat ja für den Betrug eine bezeich¬ 
nende, daher stammende Umschreibung — exhibitionistische und dem Schau¬ 
trieb frönende Tendenzen. Weil die direkte Befriedigung dieser Perversionen 
zu wenigstens teilweise schweren Verbrechen führen müßte, empfindet der 
mit den Lügen Spielende Angst vor seinen eigenen Trieben, Angst vor der 
Freiheit. Seine Lügen und Betrügereien stellen somit i. im Vergleich mit den 
Triebwünschen relativ harmlose Ersatzbefriedigungen dar, 2. Selbstbestra¬ 
fungen für die dahinter verborgenen Triebe, 3. Versuche, den strengen Vater 
in seinen verschiedenen Imagines durch Bekenntnis und Sühnebereitschaft zu 


















Weh’ dem, der lügt! 


54i 


versöhnen. Solche Imagines sind in erster Linie die Untersuchungsbeamten, 
die Richter und die Strafvollzugsbeamten. Sie werden das eine Mal mit den 
oft ungeheuerlichsten Lügengespinsten bedacht, das andere Mal wieder be¬ 
gegnen sie den vollständigsten und umfassendsten Geständnissen und einer 
Unterwürfigkeit, einer Dienstbereitschaft und einem Gehorsam, wie sie ver¬ 
eint nur die Ambivalenz des Sohnes dem Vater gegenüber zu schaffen ver- 
m ag. Eine zweite Vaterimago, der sich der Phantasielügner mit Vorliebe 
nähert, ist der Geistliche. Wir erinnern an den Kranken Weichmüller, der 
nicht nur überall Pfarrherren anbettelt, betrügt und bestiehlt, sich als Theo¬ 
logiestudenten und Missionszögling ausgibt, sondern sich auch in seiner Haft¬ 
psychose mit einem Bischof identifiziert. Die Kocher spielt mit Vorliebe die 
Besucherin in Pfarrhäusern und hat es auf leichtgläubige Geistliche abge¬ 
sehen. Schuldling kauft sich religiöse Schriften, schließt sich Sekten an, grübelt 
über Glaubensprobleme nach. Von Delbrücks Fällen beschreiten zwei die 
Laufbahn der Theologie; auch Jörgers Patient arbeitet stark mit religiösen 
Fiktionen. Und nun erscheint es uns in diesem Zusammenhang nicht ohne In¬ 
teresse, von einigen in letzter Zeit erschienenen Publikationen Kenntnis zu 
nehmen, die von verschiedenen Standpunkten aus in bezug auf religiöse Ent¬ 
wicklung der Welt zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommen. Krane¬ 
feld t, 17 ein Schüler Jungs, konstruiert einen Rhythmus im Wandel von der 
Verehrung Gottvaters zum Marienkult, dann in der Reformation wieder 
zum Vatergott zurück und heute nach dem Weltkrieg wieder zurück zur 
Suche nach dem weiblichen Prinzip. Das zentrale Geheimnis der religiösen 
Sublimierung sei die verschiedene Gestaltung des Mann-Weiblichen. Die nor¬ 
dischen Mitglieder unserer Vereinigung Schjelderup schreiben über drei 
Haupttypen der religiösen Erlebnisformen 18 , wobei bei Uberwiegen der Sehn¬ 
sucht nach dem Göttlichen die Mutter, bei Vorherrschen der Schuldgefühle 
und der Furcht der Vater und bei Phantasien der eigenen Göttlichkeit das 
Kind zum Gott erhoben werde. Und schließlich behandelt Colin Roß in 
seinem Buch „Der Wille der Welt“ 19 die drei großen Wellen in jenem kleinen 
Ausschnitt aus dem unendlichen und nirgends begrenzbaren Weltgeschehen, 
den wir als historische Realität zu überblicken vermögen: Die Welle des 
Totem und Tabu mit dem Primat des weiblich-intuitiven Fühlens im Mutter¬ 
recht; die Welle des Glaubens und Geldes, in welcher der männliche indi¬ 
vidualistische Geist zur Vorherrschaft gelangt ist, und schließlich die neue 
heransteigende Welle, die das Wesen der beiden vorhergehenden zu einer 
Einheit eines androgynen Wesens verschmelzen wird. Bei dieser Phantasie 
des Weltenbummlers Roß ist mir eingefallen, daß mir seinerzeit die erste 









5 42 


A. Kielholz 


Bekanntschaft mit Jakob B o e h m e 20 und dessen Idealgestait des androg yne 
Adam durch einen alten, pseudologen Globetrotter vermittelt wurde, de"*-" 
Rheinau das Asyl seines Alters gefunden hatte und von da aus mit konfus 1 " 
Schriften über den schlesischen Mystiker von Geistlichen Almosen und Unter" 
Stützungen herauszulocken verstand. 

Der androgyne Adam verkörpert den sich selbst genügenden und sich 
selbst befriedigenden infantilen Narziß, der mit der Welt, die ihn umgibt 
und die er in seiner Phantasie beherrscht, nur sein Spiel treibt. 

Kehren wir nach diesem Exkurs auf den Ozean der Spekulation und 
Illusion zu unseren Kranken zurück. 

Selbstverständlich bekommt auch die dritte Kategorie der Vaterimagines 
mit denen der Phantasielügner in Berührung kommt, d. h. der Arzt, speziell 
der begutachtende Psychiater, die ihm entgegengebrachte Ambivalenz des 
Patienten ausgiebig zu spüren. Immer und immer wieder wird er mit den 
wunderbarsten Tagträumereien beschenkt, und muß er nach den Akten fest¬ 
stellen, daß es dem Kranken trotz aller Versicherung seiner Aufrichtigkeit 
und trotz aller Bestrebung, bei der Wahrheit zu bleiben, einfach unmöglich 
ist, diese von seinen Märchen zu scheiden. 

Aus dieser Beobachtung können natürlich schwerwiegende Zweifel an der 
Zuverlässigkeit unserers Materials abgeleitet werden, so sehr wir uns auch 
in allen Fällen bemüht haben, uns auf Angaben objektiver Drittpersonen und 
auf behördliche und gerichtliche Akten zu stützen. Wenn die meisten Gut¬ 
achter mit Rücksicht auf diese Unzuverlässigkeit der Angaben und die Täu¬ 
schungsversuche dieser Exploranden das Thema der Simulation und Aggra¬ 
vation ausgiebig behandeln, so beweist auch das, daß sie das Gefühl, der 
Kranke treibe lediglich sein Spiel, nicht los werden. 

Da die Außenwelt auf diese gefährlichen Spiele in der Regel mit Mi߬ 
trauen und Feindschaft reagiert, so stellen die Lügen in vierter Linie 
einen Versuch dar, einen Schutz zu gewinnen vor der feindlichen Rea¬ 
lität. 

In fünfter Linie können wir aber ihr ganzes Gebaren auch als eine 
Flucht von der stets drohenden Psychose, d. h. vor einer Überflutung des 
Ichs durch die gefährlichen und stets unbefriedigten Strebungen des Es be¬ 
trachten. Die Phantasielügner stehen tatsächlich beständig an der Grenze, am 
Rande des Abgrunds. Bleuler 21 beobachtete, — wie er sagt, merkwürdiger¬ 
weise zweimal die Pseudologia phantastica als Vorläufer einer progressiven 
Paralyse und einer Schizophrenie in so ausgesprochener Weise, daß er die 
Grundkrankheit längere Zeit übersah. Von unseren Fällen haben Kocher und 














Weh* dem, der lügt! 


543 


Weichmüller ausgesprochene Haftpsychosen durchgemacht, Hofmann und 
Schuldling Depressionen mit Suizidversuchen. Daß bei diesen Wendungen 
des Sadismus gegen die eigene Person die Nahrungsverweigerung eine große 
Rolle spielt, erhellt die Bedeutung des oralen Zerreißungs- und Zerstücke¬ 
lungstriebes. Auch der Tod Schlossers an einer Perforationsperitonitis gehört 
wohl in das Gebiet eines larvierten Selbstmords. In Gottfried K e 11 e r s an¬ 
mutiger Seldwyler Geschichte „Kleider machen Leute <c legt sich der Schneider 
Strapinsky, die dichterische Verklärung einer Pseudologia phantastica, von 
Hohn und Schmach getrieben, in den nächtlichen Schnee des Waldes, um 
den Tod zu suchen, aus dem ihn die Liebe seines Nettchens rettet. 

Die Pseudologia phantastica ist keine Krankheit sui generis, sondern nur 
ein Symptomenkomplex oder ein Syndrom, das bei verschiedenen Krank¬ 
heiten Vorkommen kann. In den von uns skizzierten Fällen handelt es sich 
wohl ohne Ausnahme um haltlose Psychopathen mit ausgesprochener erb¬ 
licher Belastung, bei denen also nicht nur das ungünstige Milieu und die 
mangelhafte Erziehung als ätiologische Faktoren in Betracht zu ziehen sind. 
Bei den einen ist von einzelnen Gutachtern mehr der intellektuelle, bei an¬ 
deren vorwiegend der moralische Defekt hervorgehoben worden. Man 
könnte auch die Mehrzahl unserer Kranken zu den sogenannten kriminellen 
Heboiden (vergl. Lang e 22 ) zählen, womit ihre nahe Verwandtschaft mit 
eigentlichen Prozeßpsychosen stärker betont würde. Die Prognose ist nach 
der einen wie nach der anderen Auffassung keine rosige. 

Auf jeden Fall ist stets eine möglichst frühzeitige psychiatrische Beob¬ 
achtung zu fordern. Dabei wird auch von nicht psychoanalytischer Seite 
genaue anamnestische Untersuchung besonders der Kindheit und ersten Ju¬ 
gend gefordert (vergl. Glase r 23 ), die um so fruchtbarer und klarer aus- 
fallen wird, je mehr sie mit psychoanalytischem Verständnis und unter Be¬ 
rücksichtigung analytischer Gesichtspunkte erfolgt. Eine eigentliche thera¬ 
peutische Analyse aber erscheint uns nicht indiziert. 

Zur Ehe werden wir kaum einmal raten können, denn nur unter ganz 
besonders günstigen Konstellationen, wie im Falle Abrahams, kann da¬ 
durch eine weitgehende Besserung erzielt werden. Ähnlich verhält es sich mit 
der Kastration, die ja beispielsweise von Schuldling selber erwogen wurde. 
Theoretisch erscheint damit eine Umstimmung und Harmonisierung des 
Trieblebens ermöglicht werden zu können, praktisch setzt erfahrungsgemäß 
der operativ bewirkte körperliche Defekt zu den bestehenden psychischen 
noch einen neuen schwerwiegenden hinzu. Der- scheinbar gelungene Fall D. 
aus Hans Binders 25 interessanter Abhandlung: „Das Verlangen nach Ge- 










544 


A. Kielholz 


schlechtsumwandlung“ kann deswegen hier nicht in Frage kommen, weil bei 
ihm keine ausgesprochenen pseudologischen Züge vorhanden sind. 

Nur wenigen ist gegeben, ihre Phantasie als Seefahrer, als moderner 
Odysseus auszuleben, im Meer ihre Heimat und im Schiff .ihre Mutter zu 
finden, wie es der zum Engländer gewordene Pole Conrad vermochte. Auch 
der Versuch, die Aggressionen in der eisernen Disziplin der Fremdenlegion 
zu bändigen und im Kampf mit Wilden als zivilisatorische Tätigkeit zu 
rechtfertigen, gelingt nur wenigen und ist verpönt. 

So werden wir versuchen, unseren Phantasielügnern in einem verständ¬ 
nisvollen und wohlorientierten Vormund einen Ersatz für den fehlenden oder 
unfähigen Vater zu geben. 

Die besten Erfolge bei solchen Menschen sind bisher nach unserer Erfah¬ 
rung in Arbeiterheimen erzielt worden, wie K e 11 e r h a 1 s 24 eines in vor¬ 
bildlicher Weise in Witzwil geschaffen hat. Es wird da nicht nur der Drang 
nach einem Heim mit der Möglichkeit zur Verwurzelung befriedigt, nicht 
nur durch die vorwiegend gleichgeschlechtliche Kameradschaft das Trieb¬ 
leben polarisert und beruhigt, sondern es werden in produktiver Arbeit — 
vorwiegend Meliorationen und Feldbau — die aggressiven und inzestuösen 
Tendenzen sublimiert und das Schuldgefühl abreagiert. Das kann nicht im 
Zuchthaus mit seiner scharf begrenzten Strafzeit geschehen, wie die Rück¬ 
fälligkeit und Unverbesserlichkeit solcher Elemente beweist. Aber auch die 
Heil- und Pflegeanstalt ist auf die Dauer nicht der richtige Aufenthaltsort, 
weil sie sich hier entweder im Gefühl, für ihre Handlungen nicht als ver¬ 
antwortlich taxiert zu werden, gehen lassen und ihre Umgebung plagen oder 
aufhetzen oder aber sich in psychotische Zustände, die sie hier beobachten 
können, einfühlen, sie kopieren und schließlich darin versinken. Zu dieser 
Erfahrung ist eben auch Delbrück gelangt, der anfänglich, als er den 
Begriff der Pseudologia phantastica schuf, die Tendenz hatte, diese Leute als 
Unzurechnungsfähige in Heilanstalten dauernd zu internieren. 

Zusammenfassung. 

Nach einem flüchtigen Rückblick speziell auf das psychoanalytische 
Schrifttum über die krankhafte Lüge werden acht in Königsfelden und 
außerhalb der Anstalt während vieler Jahre beobachtete Fälle von Pseudo¬ 
logia phantastica auf dem Boden haltloser Psychopathie kurz skizziert. Sieben 
davon sind Männer. 

Bei allen vermissen wir eine eindeutig heterosexuelle Erotik; dafür läßt 









Weh* dem, der lügt! 


545 


sich eine mehr oder weniger ausgesprochene bisexuelle Veranlagung und 
Triebrichtung feststellen. 

Sie lügen wie Kinder, die über die Art ihres Geschlechts noch nicht ins 
Klare gekommen sind. Da nie die ganze Persönlichkeit an ihren Bestrebungen, 
sich der Wirklichkeit und den Objekten anzupassen, beteiligt ist, sondern 
entweder nur der männlich-aktive oder der weiblich-passive Teil ihres We¬ 
sens, so bleibt diese Betätigung stets nur ein Spiel, von dem sie ewig unbe¬ 
friedigt bleiben und bei dem sie stets ein schlechtes Gewissen haben, weil 
weder Über-Ich noch Es dabei auf ihre Rechnung kommen. Da sie bei diesem 
Spiel ein Stück ihrer Tagträume als Gabe ausliefern, halten sie sich für 
berechtigt, durch Betrug oder Diebstahl eine Gegengabe, die meist sym¬ 
bolische Bedeutung hat, zu gewinnen. 

Die unbefriedigten Triebe sind vorwiegend prägenitaler Natur, orale 2 er- 
reißungs- und Zerstückelungs-, anale Beschmutzungs-, Exhibitions- und 
Voyeurtendenzen. Weil deren direkte Befriedigung zu schweren Delikten 
führen würde, empfindet der statt ihrer mit Lügen Spielende Angst. 

Seine Lügen bedeuten somit: i. relativ harmlose Ersatzbefriedigungen, 
2. Selbstbestrafungen, 3. Versuche, den strengen Vater und seine Vertreter 
durch sofortiges Bekenntnis und durch Sühnebereitschaft zu versöhnen, 

4. Schutz vor der feindlichen Realität, 5. Schutz vor der drohenden Über¬ 
flutung des Ichs durch die gefährlichen Strebungen des Es, also vor der 
Psychose. 

Der krankhafte Lügner gehört weder ins Zuchthaus noch in die Irren¬ 
anstalt, sondern dauernd in Arbeiterheime, wo er in kameradschaftlicher 
Gesellschaft verwurzeln, seine aggressiven und inzestuösen Tendenzen in 
produktiver Arbeit an der Mutter Erde sublimieren und sich so vom Schuld¬ 
gefühl befreien kann. 

Literatur. 

1) Blum: Geisteskrankheit und Gesellschaft. Schweiz, med. Wochenschrift, 59. Jg., 

5. 1129. 

2) Behn-Eschenburg: Ursachen und Bekämpfung der Vorurteile gegen die 
Psychiatrie und die Irrenanstalten. Schweiz, med. Wochenschrift, 59. Jg., S. 1385. 

3) Delbrück, A.: Die pathologische Lüge und die psychisch abnormen Schwindler. 
Verl. Enke. Stuttgart 1891. 

4) Freud: Hysterische Phantasien und ihre Beziehungen zur Bisexualität. Ges. 
Sehr., Bd. V, S. 246. 

5) Freud: Der Dichter und das Phantasieren. Ges. Sehr., Bd. X, S. 229. 

6 ) Deutsch, Helene: Uber die pathologische Lüge. Int. Ztschr. f. Psa., VIII, 1922. 

7) Sachs, H.: Gemeinsame Tagträume. Imagobücherei, V, Wien 1924. 

8) Abraham: Die Geschichte eines Hochstaplers im Lichte psychoanalytischer Er¬ 
kenntnis. Imago, XI, 1925, S. 355. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse XIX—4 


35 








54 6 A. Kielholz: Weh* dem, der lügt! 

9) Schmideberg, Melitta: Zur Psychoanalyse asozialer Kinder und Tueen^l* l 

Int. Ztschr. f. Psa., XVIII, 1932, S. 474. Sicher. 

10) Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psa. Int. D sa v 
lag, Wien 1933, S* 147. 

11) Wittels, F.: The Lilith neurosis. Projection of the female component in 
Psa. Rev., ref. in Zeitschr. f. Neurologie und Psychiatrie. Jg. 6$, S. 420. 

12 ) Jörger, J.: Beitrag zur Kenntnis der Pseudologia phantastica. Vierteljahrssch ’f 
f. ger. Medizin u. öff. Sanit.-Wesen. 3. Folge 27, Suppl.-Heft. 

13) Bjerre, Paul: Kreuger. Ref. Zentrabi, f. Psychotherapie, Bd. V, S. 625. 

14) Wulffen, E,: Kriminalpsychologie. 1926, S. 366 , 352. 

15) Freud: Über die weibliche Sexualität. Int. Ztschr. f. Psa., XVII, 1931, 5 x 

16 ) Wälder, Rob.: Die psa. Theorie des Spiels. Ztschr. f. psa. Pädagogik, VI, 

17 ) Kranefeld t, W. H.: Bericht über das Jogaseminar von Prof. Dr. J. W. Hau 
Ztschr. f. Psychotherapie, Bd. V, S. 705. 

18) Schjelderup, H. u. K.: Über drei Haupttypen der religiösen Erlebnisformen 
und ihre psychologischen Grundlagen. Ref. i. Ztschr, f. Psychoth., Bd. V, S. 695. 

19) Roß, Colin: Der Wille der Welt. Verl. Brockhaus, Leipzig. Ref. N. Z. Z. 

20) Kielholz, A.: Jakob Boehme. Ein pathographischer Beitrag zur Psychologie 
der Mystik. Schrftn. z. angewandten Seelenkunde, H. 17, S. 82. 

21) Bleuler, E.: Lehrbuch der Psychiatrie. 4. A., 1923, S. 447. 

22) Lange, J.: Das Heboid. Münchn. med. Wochenschr., Bd. 80, S. 92. 

23) Glaser, J.: Zum gegenwärtigen Stand der Frage vom moralischen Defekt. Z. 
Neur., Bd. 138, S. 93. 

24) Protokoll der Sitzungen der Schweiz, Gesellschaft für Psychiatrie vom 28. bis 
30. Juli 1931 in Bern. Art. Inst. Orell Füssli, Zürich 1932, S. 6 . 

25) Binder, H.: Das Verlangen nach Geschlechtsumwandlung. Z. Neur., Bd. 143, 
S. 84. 
















Der AAammakomplex des Alarmes 

Von 

Edmund Bergler und Ludwig Eidelkers. 

Wien 


Nach einer Bemerkung des alten Kinderarztes L i n d n e r ent¬ 
deckt das Kind die lustspendende Genitalzone — Penis oder Klitoris 
— während des Wonnesaugens (Lutschens). Ich will es dahingestellt 
sein lassen, ob das Kind diese neugewonnene Lustquelle wirklich zum 
Ersatz für die kürzlich verlorene Brustwarze der Mutter nimmt, 
worauf spätere Phantasien (Fellatio) deuten mögen. Kurz, die Genital¬ 
zone wird irgendeinmal entdeckt. . . 

Freud, „Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechts¬ 
unterschiedes“. Ges. Sehr., Bd. XI, S. 12. 

Die orale prägenitale Organisationsstufe wurde — wie alle großen Funde 
in der Analyse — von Freud entdeckt. Der Sinn derselben ist, daß die 
Mamma für das Kind nicht nur ein kalorien-, sondern auch ein lustspendendes 
Organ darstellt. 1 

Abraham 2 unterteilte die orale Stufe in zwei Teile: 

Wir werden somit genötigt, ganz wie zuvor im Bereich der analsadistischen, jetzt 
auch im Bereich der oralen Entwicklungsphase eine Stufung anzunehmen. Auf der 
primären Stufe ist die Libido des Kindes an den Saugeakt gebunden. Dieser ist ein 
Akt der Einverleibung, durch welchen aber die Existenz der nährenden Person nicht 
aufgehoben wird. Das Kind vermag noch nicht zwischen seinem Ich und einem 
Objekt außerhalb desselben zu unterscheiden. Ich und Objekt sind Begriffe, welche 
dieser Stufe überhaupt nicht entsprechen. Das saugende Kind und die nährende 
Brust stehen in keinem Gegensatz zueinander. Auf seiten des Kindes fehlen sowohl 
die Regungen der Liebe wie des Hasses. Der seelische Zustand des Kindes auf dieser 
Stufe ist somit frei von den Erscheinungen der Ambivalenz. Die sekundäre Stufe 
ist von der primären unterschieden durch die Wendung des Kindes von der sau¬ 
genden Mundtätigkeit zur beißenden. 

In seiner Arbeit „Beiträge der Oralerotik zur Charakterbildung“ hat 


1) Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Ges. Sehr., Bd. V. 

2) Karl Abraham : Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Libido, S. 38 ff. 


35 * 










*4& 


Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg 


Abraham aus beiden Stufen eine Reihe interessanter charakterologischer 
Unterschiede herauskristallisiert. 

Der erste psychoanalytische Autor, der auf die Idee kam, die orale Stufe 
der Libido mit dem Kastrationskomplex in Verbindung zu bringen, war 
S t ä r c k e, offenbar angeregt durch die drei Jahre früher erschienene Arbeit 
Freuds über „Triebumsetzungen, insbesondere der Analerotik cc . Dort sagt 
Freud: 

„Ein anderes Stück des Zusammenhanges ist weit deutlicher beim Manne zu er¬ 
kennen. Es stellt sich her, wenn die Sexualforschung des Kindes das Fehlen des 
Penis beim Weibe in Erfahrung gebracht hat. Der Penis wird somit als etwas vom 
Körper Ablesbares erkannt und tritt in Analogie zum Kot, welcher das erste Stück 
Leiblichkeit war, auf das man verzichten mußte. Der alte Analtrotz tritt so in die 
Konstitution des Kastrationskomplexes ein.“ 

S t ä r c k e 3 behauptet folgendes: 

„Gewöhnlich wird der Kastrationskomplex von einer seitens der Eltern ge¬ 
äußerten Kastrationsdrohung abgeleitet... Jetzt signalisiere ich gleicherweise das 
Entziehen der mütterlichen Brustwarze an dem noch nicht vollkommen befriedigten 
Kinde als Urkastration ... Die mammäre und papilläre Erotik gehört ihrer Eigen¬ 
art nach zu Freuds frühester prägenitaler Organisationsstufe der Sexualität... 
Die Ableitung der infantilen Theorie, als die vom ,Weibe mit dem Penis* bekannt, 
folgt auf sehr einfache Weise aus der Saugsituation. Es ist sehr natürlich, daß das 
Kind, dessen erste Beziehung zu einer Frau gerade von ihrem penisartigen Organe, 
der Brustwarze, abhängig ist, die Erinnerung daran behält. Die Gewißheit und 
Kraft dieser Erinnerung werden es in erster Linie sein, die den Glauben an einen 
Penis beim Weibe stützen ... Die mütterliche Brustwarze im Munde des Säuglings 
ist gewiß nicht weniger ein Teil seines eigenen Körpers als seine Kotstange und sein 
Urin. Die Brustwarze jedoch muß wohl eher mit dem Penis gleichgesetzt werden, 
wie sie auch in ihrer Beziehung zur Flüssigkeit ihm mehr gleicht.“ 

Alexander 4 äußerte sich zum Problem wie folgt: 

„Der heranwachsende Mensch lernt, daß jede Lust durch Unlust ausgelöst (offen¬ 
bar ein Druckfehler: abgelöst. Die Verf.) wird, und zwar bei den Urkastrationen: 
Verlust der lustspendenden Brustwarze nach der Lust des Saugens (orale Urkastra¬ 
tion nach S t ä r c k e) und später Verlust der lustspendenden Kotsäule nach der Lust 
des Zurückhaltens (anale Urkastration nach Freud). Für die Entstehung der 
Kastrationsfurcht oder -erwartung ist also die affektive Grundlage gut vorbereitet. 
Als die allerfrüheste affektive Grundlage der Kastrationserwartung könnte man die 
Geburt auffassen... Der heranwachsende Mensch hat gelernt, daß jede Lust durch 
den Verlust des lustspendenden Körperteils (Mutterleib, Brustwarze, Kot) abgelöst 
wird und ist bei der Onanielust schon affektiv darauf eingestellt, das lustspendende 
Organ, den Penis, zu verlieren, nimmt also die Kastrationsdrohung als eine affektive 

3) August Stärcke: Der Kastrationskomplex. Int. Ztschr. f. Psa., VII, 1921, S.9f?* 

4) Alexander: Kastrationskomplex und Charakter. Int. Ztschr. f. Psa,* VIII, 1922, 
S. 132. 












Der Mammakomplex des Mannes 


5 49 


Selbstverständlichkeit leicht an. Das zeitliche Nacheinander der unbewußten affek¬ 
tiven Eindrücke wird kausal verarbeitet (rationalisiert) und die Kastration wird zur 
kausalen Folge der Onanie. Die affektive Grundlage erklärt es auch, warum der 
Kastrationskomplex auch ohne nachweisbare Kastrationsdrohung eine bedeutende 
Rolle spielen kann, ohne daß man phylogenetische Erklärungen herbeiziehen müßte.“ 

Helene Deutsch 0 stellte die Behauptung auf, daß für das Unbewußte 
Vagina gleich Mund ist: 

• • So übernimmt jetzt im Koitus die Vagina unter der Reizleitung des Penis 
in der Verlegung ,von oben nach unten 4 die passive Rolle des saugenden Mundes in 
der Gleichsetzung Penis = Mamma. Diese orale, saugende Tätigkeit der Vagina 5 6 ist 
im ganzen anatomischen Bau vorgezeichnet. .. Die wirklich passive, feminine Ein¬ 
stellung der Vagina liegt in ihrer oralen, saugenden Tätigkeit. In dieser Funktion 
bedeutet der Koitus für die Frau eine Herstellung jener ersten Relation des Menschen 
mit der Außenwelt, in der das Objekt auf oralem Wege einverleibt, introjiziert 
wird... Im Verhältnis zum Partner ist die Einverleibungssituation eine Wieder¬ 
holung des Saugens an der mütterlichen Brust, also eine Wiederholung und Bewäl¬ 
tigung des Entwöhnungstraumas. In der Gleichsetzung Penis = Mamma und in der 
Saugetätigkeit der Vagina realisiert der Koitus die Erfüllung der Phantasie des 
Saugens am väterlichen Penis.“ 

Otto Rank 7 führt eine Reihe von Urkastrationen an: Trauma der Ge¬ 
burt, Durchschneidung der Nabelschnur, Entwöhnungstrauma, Milchzahn¬ 
ausfall, genitale Kastrationsdrohungen. Rank stellt sich die Frage, wie der 
„schäbige Rest“ der Libido von der oralen auf die genitale Stufe verschoben 
wird. Seiner Meinung geschieht dies auf dem Umwege der Hand: 

„Ich möchte als Resultat analytischer Untersuchungen voranstellen, daß der bio¬ 
logisch vorgezeichnete Mechanismus dieser Verschiebung die Masturbation des Säug¬ 
lings ist: der Weg, der über das Lutschen am Finger, das bekanntlich von rhythmi¬ 
schem Zupfen an anderen Körperteilen begleitet ist, bald zu rhythmischen Rei¬ 
zungen der Genitalzone mit der Hand führt. . . Denn es handelt sich um mehr als 
ein bloßes Wecken der biologischen Erogeneität dieser Zone, was ja durch die ure¬ 
thralen Funktionen plus den unvermeidlichen Reizungen bei der mütterlichen Pflege 
besorgt wird; vielmehr um die meines Erachtens für die Genitalfunktion wichtigste 
Verschiebung von oral-sadistischer Libido, die mittels des Mechanismus der Mastur¬ 
bation aufs Genitale gebracht wird... Beim Knaben wird nun der die Brustwarze 
ersetzende Lutschfinger beim Spielen am Penis bald durch die Hohlhand abgelöst, 
welche zunächst die Mundhöhlung ersetzt, wie B e r n f e 1 d jüngst sehr hübsch 


5) Helene Deutsch : Psychoanalyse der weiblichen Sexualfunktionen. Int. psychoana¬ 
lytischer Verlag, 1925, S. 54 ff. 

6 ) Eine interessante indirekte Bestätigung der Annahme Vagina = Mund ist die von 
Röhe im (Die Psychoanalyse primitiver Kulturen, Imago, XVIII, 1932, S. 412) mitge¬ 
teilte Tatsache, daß in der Sprache der Primitiven Zentralaustraliens „Koitieren“ gleich¬ 
bedeutend ist mit: „Aus der Vagina trinken.“ 

7) Rank : Zur Genese der Genitalität. Int. Ztschr. f. Psa., XI, 1925, S. 411 ff. 










55° 


Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg 


ausgeführt hat, allerdings in einer mehr als bloß symbolischen Weise. In der Reife 
zeit tritt dann noch der Samen als Milchersatz hinzu (S t e k e 1 s »Symbolische 
Gleichung'), so daß man die spätere Masturbation als vollwertigen Ersatz des Saug 
aktes auf der narzißtischen Stufe der Genitalität beschreiben kann. Der durch die 
Verschiedenheit des Genitales bedingte Unterschied im Mechanismus der Mastur¬ 
bation — beim Knaben voller Ersatz des Saugaktes: Penis = Brust, Hohlhand = 
= Mund, Samenerguß == Milchstrom ... wird nicht nur den späteren Kastrations¬ 
komplex bei beiden Geschlechtern verschieden gestalten... Wird dagegen (auf 
Grund eigener starker Oralerotik) am Penis als Brustersatz festgehalten, so führt 
dies, abgesehen von den typischen Phantasien oraler Befruchtung, die in der Bio¬ 
logie ihr reales Vorbild finden (Maulbrüter), zur aktiven Perversion der Fellatio 
und zwar sowohl bei der (maskulinen) Frau als beim (homosexuellen) Manne, bei 
dem in Umkehrung des weiblichen Vorganges sozusagen der Mund zur Vagina ge¬ 
macht wird." 


Felix Böhm 8 meint: 

„Hinter dem Haß gegen weibliche Eigenheiten der Frauen steckt der Wunsch, 
selber diese Eigenheiten zu haben; dahinter auch ein Neid auf den vermeintlich 
größeren Penis der Frauen. Die hängende Brust der Frau hat im Unbewußten des 
Mannes die Bedeutung eines größeren weiblichen Penis ... Einer besonderen Form 
des Neides des Mannes (neben dem Gebärneid) auf weibliche Attribute muß ich 
noch gedenken: es ist der Neid auf die Mammae .. ." 

F e n i c h e l 9 stellte die Punkte zusammen, in welchen alle psychoanalyti¬ 
schen Autoren in dieser Frage einig sind: 

a) Die Angst vor der Kastration ist gefärbt von dem Verlust der Mutterbrust 
und des Kotes. 

b) Die Vorstellung des Penis ist beeinflußt von der der Mutterbrust und des 
Kotes. 


* 


Wir sind unabhängig voneinander bei einer Reihe von jahrelang dauernden, 
kasuistisch differenten Analysen auf Tatsachen gestoßen, deren zusammen¬ 
hängende Darstellung eine Ergänzung und Erweiterung der oben zitierten 
Ergebnisse zu ermöglichen scheint. Wir berichten zunächst kurz das Ge¬ 
fundene und geben dann einige Beispiele aus dem analysierten Material an 
Hand von Krankengeschichten. 

Es handelt sich um Fälle, in denen die Reaktion auf die Brustentwöhnung 
quantitativ gegenüber den anderen Traumen eine dominierende Stellung ein¬ 
nahm. Wir nennen die Gesamtheit der Reaktionen, die als Folge der Brust- 


8) Böhm: Über den Weiblichkeitskomplex des Mannes. Int. Ztschr. f. Psa., XVI, 
1930, S. 185. 

9) Fenichel: Zur prägenitalen Vorgeschichte des Ödipuskomplexes. Int. Ztschr. f- 
Psa., XVI, 1930, S. 319. 














r 

Der Mammakomplex des Mannes 551 

entwöhnung in der Psyche entstehen, Mammakomplex. Die männ¬ 
lichen Patienten, bei denen der Mammakomplex pathologisch war, zeich¬ 
neten sich regelmäßig durch folgende Eigenschaften aus: 

1. Intensiver Haß gegen die Mutter. 2. „Orale Charakterzüge“ (z. B. Gier 
nach Essen, Lutschen, Saugen, Beißen, Trinken), resp. deren Reaktionen und 
Kompensationen, mit hypothetischer oraler Triebkonstitution. 3. Der Haß 
gegen den Vater fällt quantitativ schwächer aus. 4. Das Interesse für die 
Brust ist verdrängt. 5. Erhöhter sekundärer Narzißmus. 6. Erhöhte Neigung 
zU r Identifizierung. 10 

In der Analyse sind diese Fälle technisch schwierig zu behandeln: ihr Nar¬ 
zißmus, die geringe Krankheitseinsicht, eine ernste Suizidgefahr bedeuten für 
den Analytiker schwer zu bewältigende Probleme. 

Der Mammakomplex hat in unseren Fällen folgende Entstehungsgeschichte: 
Auf die Brustentwöhnung reagierte das Kind mit einer heftigen Erschütte¬ 
rung. Nachdem alle Versuche, die Brust wieder zu erhalten, gescheitert waren, 
mußte das Kind diese Versagung ertragen. Zunächst trat eine heftige Ag¬ 
gression auf, bezw. wurde die vorhandene Aggression, die bisher ungestört 
(frühere orale Stufe) befriedigt wurde (Saugen an der Mutterbrust), gehemmt. 
Durch diese Stauung entstand also eine quantitative Vermehrung der Ag¬ 
gression. Ein Teil dieser Aggression wurde gemeinsam mit einem ent¬ 
sprechenden Anteil der Libido in der Identifizierung mit der Mutter, die von 
Beginn ambivalent ist, verwendet. Ein anderer wurde auf den Penis ver¬ 
schoben. Ein Teil blieb bei der Mutter als Objekt. Endlich wurde die anale 
Zone auf dem Wege der oralen Einverleibung der Brust besetzt. 

In diesem Stadium war die Brust mit dem Gemisch der beiden Triebe: 

10) Robert Wälder: „Das Prinzip der mehrfachen Funktion/* Int. Ztschr. f. Psa., 
XVI, 1930, F. 295: ...„ist die der Psychoanalyse vor allem durch Abrahams Arbeiten 
vertraute Beziehung von oraler Triebeinstellung und Identifizierung. Die Identifizierung ist 
ein Lösungsversuch in einer bestimmten Aufgabesituation. Es kann als Charaktereigenschaft 
bezeichnet werden, wenn ein Mensch in einer bestimmten. Konstellation von Trieb, Über- 
Ich-Forderungen und Außenweltsschwierigkeiten regelmäßig den Ausweg in die Identifi¬ 
zierung findet, als die für ihn spezifische Lösungsmethode in einer vielfältigen Aufgabe¬ 
situation. Nun wissen wir, daß diese Identifizierung vornehmlich beim oralen Charakter aus¬ 
gebildet ist... Die Lösungsmethode der Identifizierung wird eben innerhalb der verschie¬ 
denen Lösungsmethoden, die in der gleichen, vielfältigen Aufgabesituation möglich wären, 
vorzugsweise von den Menschen gewählt werden, bei denen starke orale Triebkräfte lebendig 
sind, weil nebst allem anderen, wofür sie Lösungsversuch ist, die Identifizierung zudem 
noch zufolge ihrer Bedeutung als Einverleibung die Befriedigung eben dieser oralen Trieb- 
Einstellung miterfüllt. In diesem Falle wirkt also die orale Triebeinstellung auswählend auf 
die möglichen Lösungsmethoden, insoferne die die oralen Wünsche befriedigenden innerhalb 
der möglichen immer zustande kommen/* 










552 


Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg 



Eros und Thanatos, besetzt. Es bedeutet die Befriedigung, bezw V er 
sagung immer die Befriedigung, bezw. Versagung beider Triebgruppen. I n 
einer Abänderung der Formulierung von Abraham vermuten wir, daß 
nicht im Zeitpunkt des Durchbruchs der ersten Zähne die Aggression ent¬ 
standen ist, sondern meinen, daß durch dieses Ereignis die bereits vorhandene 
aber für die Brust der Mutter bisher harmlos gewesene Aggression eine Ände¬ 
rung ihrer Ausdrucksweise erfahren hat. Auf dieser Stufe kann wohl noch 
nicht von Liebe und Objektwahl, sondern nur von Besetzung oder Bindung 
gesprochen werden. 

Das Problem ist nun folgendes: Auf welchem Wege wird der Übergang 
von der Mamma auf den Penis bewerkstelligt? Hier setzen nun unsere Be¬ 
obachtungen ein. Wir meinen, daß das Kind im eigenen Penis einen Ersatz 
für die vermißte Mutterbrust entdeckt und im Sinne des Wiederholungs¬ 
zwangs wie im kindlichen Spiel aktiv wiederholt, was es passiv erlebt hat. 11 
An Stelle der passiven Aufnahme der Muttermilch ist das Kind jetzt durch 
die psychische Besitzergreifung des Penis zum aktiven Spender von Urin ge¬ 
worden. (Ursprünglich ist psychologisch Milch = Urin.) So manche spätere 
Inkontinenz ist das Agieren der ewig fließenden Mutterbrust am eigenen Kör¬ 
per, gewissermaßen eine „magische Geste“, die demonstrieren soll, was man 
gerne möchte. Das „Entdecken des Penis c< geht auf dem Umweg über die Onanie 
vor sich, wofür wir auf die früher zitierten Ausführungen Ranks verweisen. 

Die aktive Reproduktion des passiv Erlebten als 
W i e d e r h o 1 u n g s z w a n g wie im kindlichen Spiel spielt 
demnach die entscheidende Rolle beim Versuch der 
Erledigung des Mammakomplexes. 

Freud hat sich an drei verschiedenen Stellen zum Wiederholungszwang 
ausgesprochen: 

„Das Ich, welches das Trauma passiv erlebt hat, wiederholt nun aktiv eine abge¬ 
schwächte Reproduktion desselben, in der Hoffnung, deren Ablauf selbsttätig leiten 
zu können. Wir wissen, das Kind benimmt sich ebenso gegen alle ihm peinlichen 
Eindrücke, indem es sie im Spiel reproduziert; durch diese Art, von der Passivität 
zur Aktivität überzugehen, sucht es seine Lebenseindrücke psychisch zu bewältigen.“ 12 

„Es ist leicht zu beobachten, daß auf jedem Gebiet des seelischen Erlebens, nicht 
nur auf dem der Sexualität, ein passiv empfangener Eindruck beim Kind die Ten¬ 
denz zu einer aktiven Reaktion hervorruft. Es versucht das selbst zu machen, was 
vorhin an oder mit ihm gemacht worden ist. Es ist das ein Stück der Bewältigungs- 


n) Es ist klar, daß das Kind schon vor der Entwöhnung diesen Mechanismus spielerisch 
erlebte, der aber erst nach der Brustentziehung zur gebieterischen Notwendigkeit wird. 

12) Hemmung, Symptom und Angst. Ges. Sehr., Bd. XI, S. 110. 












Der Mammakomplex des Mannes 553 

arbeit an der Außenwelt, die ihm auferlegt ist, und kann selbst dazu führen, daß es 
sich um die Wiederholung solcher Eindrücke bemüht, die es wegen ihres peinlichen 
Inhalts zu vermeiden Anlaß hätte. Auch das Kinderspiel wird in den Dienst dieser 
Absicht gestellt, ein passives Erlebnis durch eine aktive Handlung zu ergänzen und 
es gleichsam auf diese Art aufzuheben. Wenn der Doktor dem sich sträubenden 
Kind den Mund geöffnet hat, um ihm in den Hals zu schauen, so wird nach seinem 
Fortgehen das Kind den Doktor spielen und die gewalttätige Prozedur an einem 
kleinen Geschwisterchen wiederholen, das ebenso hilflos gegen es ist, wie es selbst 
gegen den Doktor war. Eine Auflehnung gegen die Passivität und eine Bevorzugung 
der aktiven Rolle ist dabei unverkennbar. Nicht bei allen Kindern wird diese 
Schwenkung von der Passivität zur Aktivität gleich regelmäßig und energisch aus- 
fallen, bei manchen mag sie ausbleiben.“ 13 

„Man sieht, daß die Kinder alles im Spiele wiederholen, was ihnen im Leben 
großen Eindruck gemacht hat, daß sie dabei die Stärke des Eindrucks abreagieren 
und sich sozusagen zu Herren der Situation machen. Aber anderseits ist es klar 
genug, daß all ihr Spielen unter dem Einflüsse des Wunsches steht, der diese ihre 
Zeit dominiert, des Wunsches, groß zu sein und so tun zu können wie die Großen. 
Man macht auch die Beobachtung, daß der Unlustcharakter des Erlebnisses es nicht 
immer für das Spiel unbrauchbar macht.“ 14 

In diesem Stadium sieht die Situation so aus, als würde der Penis geliebt 
und gehaßt, die Onanie bedeutet sowohl den Penis als geliebtes Objekt mit 
der Hand empfangen als ihn gleichzeitig vom Körper abtrennen (gehaßtes 
Objekt). Der Stuhl wird ähnlich geliebt und festgehalten, gehaßt und ausge¬ 
stoßen. Die Identifizierung bedeutet, daß das eigene Ich mit Liebe und Haß 
besetzt ist. Am unangenehmsten erscheint die Beziehung zur Mutter, die ja 
ebenfalls gleichzeitig geliebt und gehaßt wird. Hier lernt das Kind die Nach¬ 
teile der ambivalenten Einstellung und versucht die Schwierigkeiten durch 
Trennung beider Triebarten zu beseitigen und verschiebt (wie Freud es in 
seiner Arbeit über die weibliche Sexualität vermutungsweise ausgesprochen 
hat) seinen Haß auf den Vater. An Stelle der Brust ist also der Penis getreten, 
der allerdings mit ihr verglichen eine Reihe von Nachteilen besitzt. Er ist 
kleiner, nicht paarig angelegt, kann nicht vom Mund erreicht werden, spendet 
keine Nahrung, der spielenden Hand wird er durch die Pflegepersonen ver¬ 
boten, aber er ist da, gehört anscheinend wirklich dem Kinde, das durch 
seinen Besitz von der Mutter unabhängig geworden ist. Der Versuch, größere 
Mengen von Haß auf den Vater zu übertragen, gelingt nicht. Die erste 
Bindung an die Mutter war bei Kindern, die später am Mammakom¬ 
plex scheiterten, zu intensiv, ferner war in manchen Fällen der Vater 
als schwächere Persönlichkeit unfähig, größere Beträge von Libido an sich zu 


13) Uber die weibliche Sexualität. Int. Ztschr. f. Psa., XVII, 1931, S. 326. 

14) Jenseits des Lustprinzips. Ges. Sehr., Bd. VI, S. 202 f. 











554 


Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg 


ziehen. Der Ödipuskomplex erreicht infolgedessen nicht die normale Intensität 
Die Kastrationsangst bleibt vorwiegend an die Mutter fixiert, die Identifizie 
rung mit dem Vater fällt schwach aus. Kommt es im Verlaufe der weiteren 
Entwicklung zu Versagungen und Regressionen, so fließt die Libido viel 
weiter zurück, und zwar auf die orale Stufe. Der geringere Haß gegen den 
Vater sowie die geringere Angst vor der Kastration durch ihn treten beim 
„Untergang des Ödipuskomplexes“ ebenfalls in Erscheinung. Die Identifizie¬ 
rung mit der Mutter gelingt nur durch die Ersetzung der Brust durch den 
Penis. Um die bei einem Vergleich der beiden Objekte entstehenden Nachteile 
zuungunsten des Penis zu vermeiden, wird die Brust aus dem Bewußtsein 
eliminiert, der Penis mit großen Libidoquantitäten ausgestattet. Es wirkt fast 
wie Hohn, wenn in der Erinnerung die Mutter der oralen Stufe nicht als die 
Frau mit der Brust, sondern als Frau mit dem Penis erscheint (phallische 
Mutter). Durch diese Metamorphose wird die Identifizierung mit der Mutter 
ermöglicht. Dieser „Brust-Penis“ wird sehr geliebt und sorgsam gehütet, vor 
allem vor Wesen, die keinen Penis haben. Da die Vagina der Frau an den 
eigenen Mund, der die Brust der Mutter abbeißen wollte, erinnert (vagina 
dentata), wird hier die Gefahr am größten empfunden. 

Der Mammakomplex beim Normalen spielt sich vermutungsweise wie 
folgt ab: Auf die Brustentwöhnung kommt es zu ähnlichen Reaktionen, wie 
oben geschildert, doch fallen sie quantitativ schwächer aus, der Vater wird 
in einem viel stärkeren Maße mit Libido und Aggression besetzt, weil eben 
durch quantitativ schwächere Reaktionen auf die Brustentwöhnung mehr 
Libido zur Verfügung steht und weil hier der reale Vater meistens auch eine 
stärkere Persönlichkeit ist. Mit dem Auftreten des Ödipuskomplexes, der hier 
seine normale Intensität erreicht, wird der Mammakomplex in seiner Wirk¬ 
samkeit zerstört. Zunächst wird der Haß auf den Vater verschoben, während 
die Liebe bei der Mutter verbleibt; dieser sekundäre Haß ist weniger gefährlich, 
ferner führt seine Bewältigung zu Reaktionen, die für das spätere Leben des 
Kindes von großer Bedeutung sind: es identifiziert sich mit dem Vater nach 
den von Freud formulierten Gesetzen. 

Normalerweise muß der Penis vom Unbewußten als Penis perzipiert wer¬ 
den, wenn er auch psychologisch-genetisch die Mutterbrust darstellt. Bei den 
am Mammakomplex fixierten oder zu ihm regredierenden Männern behält 
der Penis die Bedeutung der Brust nicht nur in der psychologisch-genetischen 
Bedeutung (Fall III) oder wird durch ein Symptom ersetzt (Fall II), oder das 
Festhalten an der phallischen Mutterbrust äußert sich in einer Perversion 
(Fall I und III). Die Vagina muß normalerweise ein Aufnahmeorgan für 












Der Mammakomplex des Mannes 


555 


Glied und Samen sein, wenn sie auch psychologisch-genetisch den Mund dar¬ 
stellt. Bei den an den Mammakomplex fixierten oder zu ihm regredierenden 
Männern begnügt sich die Vagina nicht mit der psychologisch-genetischen 
Färbung des Mundes, sie ist entweder wirklich der Mund, der unbewußt an die 
eigenen aggressiven Impulse gegen die Mutterbrust erinnert (wobei die daraus 
resultierende Angst entweder bewußt oder hinter einem scheinbaren Des¬ 
interessement verborgen ist), oder die Vagina birgt einen supponierten weib¬ 
lichen Penis. 

Wir bringen zur Illustration unserer Darlegungen drei Krankengeschichten. 
Fs ist, um überflüssige Mißverständnisse zu vermeiden, notwendig, zu betonen, 
daß wir natürlich nicht der Meinung sind, daß jede Homosexualität und jeder 
Schreibkrampf auf orale Elemente zurückgehen. Es handelt sich offenbar um 
einen bestimmten Typus innerhalb dieser Krankheitsgruppe, dagegen 
glauben wir, daß die orale Komponente, wie einer von uns in einer 
früheren Arbeit nachzuweisen versuchte, für die Pseudodebilität pathogno- 
monisch sei. 

Fall I: Homosexualität. 

Analytiker: E i d e 1 b e r g. 

Ein 21 jähriger Patient erscheint in meiner Ordination, um mich wegen seiner 
Homosexualität zu konsultieren. Eine eingehende Aussprache ergibt folgenden Tat¬ 
bestand: Der Patient, der äußerlich keinen femininen Eindruck macht, ist stark 
deprimiert. Er fühlt sich außerstande, Vorlesungen an der Hochschule zu besuchen, 
um zu den Prüfungen zu lernen. Schon das Betreten des Hochschulgebäudes ist mit 
großer Angst verbunden. Die Gründe für diese Angst sind ihm unbekannt; er glaubt, 
daß homosexuelle Vorstellungen, die in den letzten Monaten besonders intensiv 
geworden sind, damit Zusammenhängen. Er habe versucht, sie los zu werden und 
sich zur Heterosexualität zu zwingen, doch vergebens. In seiner Verzweiflung ver¬ 
traute er sich dem Hausarzt an, der ihm den Rat gab, zu einer Prostituierten zu 
gehen, allein er war nicht imstande, diesen Rat zu befolgen. Nach einer neuerlichen 
Rücksprache schickte ihn der Hausarzt zu einem Psychiater, der dem Patienten den 
Rat gab, eine psychoanalytische Behandlung bei mir zu versuchen. 

So sehr er unter den homosexuellen Vorstellungen leidet (in diesem Zeitpunkt 
hatte ein homosexueller Verkehr niemals stattgefunden) und so gern er normal wäre, 
kann er sich doch nicht vorstellen, daß diesbezüglich jemals eine Änderung eintreten 
wird. Der Körper eines jungen Mannes versetzt ihn in starke sexuelle Erregung, ein 
weiblicher dagegen läßt ihn gleichgültig. Patient onaniert viel, hauptsächlich vor 
dem Spiegel ohne jede Vorstellung. Da er nicht mehr die Kraft habe, diese häufige 
Onanie zu unterdrücken, müsse er immer mehr „verfallen“. 

In den ersten Wochen der Behandlung spricht Patient sehr viel, ich erfahre, daß 
er sich mit ernsten Selbstmordgedanken trägt, und in seiner Umgebung, vor allem 







Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg 


556 


mit seinem mittleren Bruder, aber auch mit Vater, Mutter und Hausgehilfin 
Streitigkeiten hat. Mir gegenüber ist er reserviert und leicht mißtrauisch. 
Mitteilungen haben ihn ein wenig beruhigt, vor allem die Anerkennung sein^ 
Schwierigkeiten als Krankheit. Er ist bereit, auf meine Vorschläge einzugehen 
ängstlich, kritisch, jederzeit entschlossen, die Analyse aufzugeben. Durch Eingeh ^ 
auf seine negative Übertragung und durch mein Verhalten seinen Eltern gegenüber 
wird meine Position fester. Patient entschließt sich zu intimeren Mitteilungen ich 
erfahre, daß er seinen Vater haßt und fürchtet, er erscheint ihm als grausamer 
Tyrann, der den Patienten zum Hochschulstudium zwingen will, weil er „für sein 
Büro eine billige Kraft benötigt". Aus Schwäche und Angst hat Patient, trotz seines 
Widerwillens gegen diesen Beruf, den Wunsch des Vaters ausgeführt und Vorle¬ 
sungen belegt. Er ist aber außerstande zu lernen, schon der Anblick der Bücher er¬ 
zeugt große Angst. Dem Rat eines Kollegen folgend, hat er sein Meldungsbuch 
einem Hochschuldiener zur Einholung der Testuren gegeben, er traut sich aber 
nicht, es abzuholen. Die gleiche Angst hat Patient vor allen Behörden; aus dem 
Traummaterial ergeben sich deutliche Zusammenhänge zwischen Behörde und Vater 
Mit dieser Erkenntnis nimmt die Angst an Intensität ab, ohne aber ganz zu ver¬ 
schwinden und erreicht während der Analyse noch einige Male ihre ursprüngliche 
Höhe. 

Die Mutter wird vom Patienten zärtlich geliebt. Hier ist er angstfrei und fühlt 
sich glücklich. Während er mit dem Vater kaum spricht, hat er der Mutter gegen¬ 
über diesbezüglich keine Hemmungen. Er kann mit ihr streiten, schimpfen, ohne 
Angst zu haben. Im Gegenteil, es zeigt sich, daß der Streit mit der Mutter für 
ihn eine gewisse Befriedigung bedeutet, ohne daß er das Bewußtsein hätte, ihr 
wehgetan zu haben. Wird er deshalb zur Rede gestellt, ist ihm der Erfolg seiner 
Aggression unverständlich. Die meisten Streitigkeiten mit der 
Mutter oder der Hausgehilfin hängen mit dem Essen zusammen. 
Fleisch wird von ihm nicht vertragen, vor allem die Fasern des Fleisches erzeugen 
Ekel. Fettes Rindfleisch wird vom Tisch gewiesen mit den Worten: „Räumt 
doch die Leichenteile weg.“ Wenn überhaupt, so ißt der Patient faschiertes Fleisch. 
Leidenschaftlich gerne trinkt er Kaffee und Milch. Zum Nachtmahl nimmt er seit 
vielen Jahren Yoghurt, und kann sehr böse werden, wenn man ihm dieses Getränk 
nicht in der besten Qualität liefert. Obst und Zuckerln ißt er sehr gerne, häufig muß 
er zwischen den Mahlzeiten naschen. Zuckerln möchte er gerne langsam lutschen, 
doch gelingt es ihm nie; kaum hat er ein Bonbon in den Mund gesteckt, wird es 
zerbissen. 

Als die Angst vor dem Vater etwas geringer geworden ist, teilt mir der Patient 
mit, daß er auf keinen Fall das dem Vater gegebene Versprechen, das Studium zu 
beenden, einlösen werde. Er habe großes Interesse für Malerei und möchte gerne auf 
die Kunstakademie. Ich erkläre dem Patienten, warum man während der Analyse 
keine endgültigen Beschlüsse fassen soll, bin aber bereit, vorläufig beim Durchsetzen 
seiner Wünsche gegenüber dem Vater behilflich zu sein. Es ergibt sich, daß der 
Vater ohne den von ihm erwarteten Widerstand auf diese Idee eingeht und der 
Patient macht die Aufnahmsprüfung mit gutem Erfolg. Die Schwierigkeiten, die 
Patient früher beim Betreten der Hochschule hatte, sind nicht verschwunden, zahl- 

















Der Mammakomplex des Mannes 


557 


reiche Bedenken treten auch jetzt auf, doch gelingt es schließlich mit Hilfe der Ana¬ 
lyse, ihrer Herr zu werden. 

Wesentlich intensiver als sein Haß gegen den Vater und die Liebe zur Mutter 
ist sein Haß gegen die Gouvernante Erna. Obwohl schon einige Jahre seit ihrer 
Entlassung verflossen sind und er in keiner Verbindung mit ihr steht, spricht er 
doch mit großem Affekt von ihr. Dieser Haß ist ihm vor Beginn der Analyse voll¬ 
kommen bewußt. Im zweiten Lebensjahre des Patienten kam Erna in das Haus 
seiner Eltern und blieb dort bis zu seinem neunten Jahr. Sie war streng, abweisend, 
ungerecht, besonders dem Patienten gegenüber. Alle Versuche, sie gütig zu stimmen 
und ihre Liebe zu erwerben, mißlangen. Flucht zur Mutter und Klagen gegen sie 
schlugen fehl. Hier macht der Patient seiner Mutter den Vorwurf, daß sie sich zu 
W enig um ihn gekümmert habe. Viele Stunden erzählt Patient mit gleichbleibendem 
Affekt von den Mißhandlungen, die er von Erna erdulden mußte. Obgleich er ruhig 
und folgsam war, wurde er immer wieder beschimpft und geschlagen. Einmal ist er 
mit seinem Bruder und der Gouvernante im Freibad; der kleine Bruder fallt wäh¬ 
rend einer kurzen Abwesenheit der Gouvernante ins Wasser. Patient rettet ihn und 
berichtet es ihr, er bekommt dafür eine Ohrfeige. Seit frühester Kindheit litt Patient 
an Enuresis nocturna, alle medizinischen Maßnahmen blieben ergebnislos. 
Patient bekam Strychnininjektionen, wurde katheterisiert und elektrisiert, bis schlie߬ 
lich im Alter von 13 Jahren das Symptom von selbst verschwand. Aus Einfällen 
und Träumen ergibt sich in diesem Zeitpunkt folgende Bedeutung der Enuresis: 
1. Hinter der bewußten Abneigung und Unlust sexuelle Befriedigung. 2. Da diese 
Befriedigung im Schlaf stattfindet, fällt ein Teil der Verantwortung weg. Es handelt 
sich bei diesem Symptom um ein Onanieäquivalent, wobei der Patient sich an Stelle 
des Vaters setzt und mit der Mutter verkehrt. 

Da dieser Haß durch die Aussprache nicht geändert wird, mache ich den 
Patienten darauf aufmerksam, daß der Haß vielleicht nicht allein auf Erna 
konzentriert ist, sondern auch anderen Personen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit 
Erna haben, gilt. In diesem Zusammenhänge erinnert sich der Patient an einige 
Zusammenstöße mit Hausgehilfinnen. Einmal kommt es sogar zu Handgreiflich¬ 
keiten. Patient würgt das Mädchen und wird deswegen vor Gericht zitiert. Er 
erinnert sich, daß dieser Haß oft aus geringfügigen Anlässen mit großer Intensität 
hervorbrach und daß er dann nur sehr schwer seiner Herr wurde. Hier verweise 
ich darauf, daß seine gleichgültig desinteressierte Haltung den Frauen gegenüber 
doch nicht ganz echt ist, daß er im Gegenteil eine Reihe von Frauen heftig haßt 
und daß die Homosexualität vielleicht mit dieser Einstellung zusammenhängt. „Viel¬ 
leicht", sagt der Patient, ist aber nicht bereit, auf diese Gedankengänge einzugehen. 

Ein paar Monate der Analyse sind vergangen, die Depression, die Angst und die 
Arbeitsunfähigkeit sind geringer geworden, die Suizidabsichten zurückgetreten, der 
Patient ist ruhiger und freier, die Homosexualität aber hat an Bedeutung gewonnen. 
Da die Angst vor den Behörden schwächer geworden ist, beschränkt sich der Patient 
nicht mehr auf Phantasien, sondern macht Bekanntschaften, und hat die Absicht, 
ein homosexuelles Verhältnis zu beginnen. Ich erinnere ihn, daß es unzweckmäßig 
wäre, vor Beendigung der Analyse wichtige Entscheidungen zu treffen, erkläre ihm 
den Begriff des Agierens und versuche ihm zu zeigen, daß er auf diese Weise die 








}J8 


Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg 


Analyse stört. Das Traummaterial dieser Zeit zeigt deutlich eine Trotzeinstellu 
im Zusammenhang mit der Versagungssituation, der Hinweis auf die reale Gefah^ 
(§ 129 b) bleiben wirkungslos. Patient wird mißtrauisch und ablehnend, befürchte/ 
ich könnte ihn dem Gerichte anzeigen oder mich mit dem Vater in Verbindu * 
setzen; er macht mir den Vorwurf, daß ich mein Benehmen geändert habe* zu 
Beginn der Analyse hätte ich ihm erklärt, daß prinzipiell die Homosexualität nichts 
Böses sei. Er erinnert mich, daß ich früher bezüglich des Berufswechsels auf seine 
Wünsche schon vor dem Ende der Analyse eingegangen bin. Die Situation wird 
kritisch, doch gelingt es mir schließlich, dem Patienten zu zeigen, daß seine Vorwürfe 
unrichtig sind. Mein Benehmen sei unverändert geblieben, ich habe weiter prinzipiell 
nichts gegen die Homosexualität, der Unterschied in meinem Verhalten bei seinem 
Eintritt in die Malschule hängt mit realen Dingen zusammen. Der Schaden, den er 
hier empfangen könne — im Falle er nach Beendigung der Analyse wieder zum ur¬ 
sprünglichen Studium zurückkehre — sei wesentlich geringer als die Gefahr bei 
einem homosexuellen Verhältnis. 


In dieser Zeit kann wenig gedeutet werden, der Patient versucht vielmehr, aus 
der Analyse eine logische Diskussion zu machen. Ich habe die Empfindung, daß sie 
nicht abgebrochen werden wird und das Vertrauen des Patienten wiederkehrt, weil 
ich auf ein Verbot der Homosexualität verzichte und in Ton und Wort eine objek¬ 
tive Haltung bewahre. Im Schwimmbad lernt Patient einige junge Männer kennen; 
mit einem von ihnen freundet er sich näher an. Beide Burschen verlieben sich inein¬ 
ander und nach einigen Tagen kommt es zu gemeinsamer Onanie. Küsse und Zärt¬ 
lichkeiten sind mit großer Befriedigung verbunden. Patient ist glücklich, aber der 
Orgasmus verläuft unbefriedigend. Damit sind die Aussichten der Analyse wieder 
gebessert. Ich teile dem Patienten mit, daß der Mangel eines befriedigenden Orgas¬ 
mus ein Zeichen einer neurotischen Störung ist, daß beim Normalen gerade der 
Orgasmus den höchsten Grad der Befriedigung bedeutet. 

Träume und Einfälle gestatten nun einen Zugang zum Ödipuskomplex. Patient 
erinnert sich, daß er Angst hatte, mit der Mutter im selben Zimmer zu schlafen, 
er hatte die Befürchtung, er könnte die Mutter im Schlaf vergewaltigen. Bis zu 
seiner Pubertät gab es einige Frauen, die ihm gut gefallen haben und bei deren 
Anblick er Erektionen bekam. Er erinnert sich, daß er einmal von dem Fenster 
seiner Wohnung aus eine nackte Frau beobachtet hat; er erschrak heftig, als er dann 
den Vater in seiner Nähe bemerkte. Obgleich er heute weiß, daß sein Vater zu¬ 
frieden wäre, wenn er mit Frauen verkehren würde, bekommt er bei diesen Gedanken 
heftige Angst vor dem Vater. Einige Verletzungen am Finger, sein Interesse für 
alle Scheren (es kommt vor, daß er sie bei Bekannten, ohne es zu wissen, einsteckt), 
bringen Einfälle, deren Deutung dem Patienten den Kastrationskomplex bewußt 
machen. Bei seiner ersten Pubertätsonanie (1 6. Lebensjahr) stand er, nur mit 
Schwimmhose bekleidet, vor dem Spiegel und versuchte, sein Genitale zum Ver¬ 
schwinden zu bringen. Durch den Druck kam es schließlich zu einer Ejakulation. 
Patient erschrak darüber, er glaubte, daß der Samen vom Rückenmark komme. 
Diese Angst war so groß, daß er durch zwei Jahre nicht onanierte. 

Ich deute wenig und lasse den Patienten selbst die Bedeutung und den Sinn 
seiner Einfälle finden. Langsam ergeben sich folgende Formulierungen: 1. Er liebt 












Der Mammakomplex des Mannes 


559 


die Mutter und möchte sie besitzen; aus Angst vor der Kastration durch den Vater 
gibt er diesen Wunsch auf. 2. Andere Frauen hängen mit der Mutter zusammen, 
sind Mutter-Imagines und deshalb verboten. 3. Bei der realen Mutter wird das 
Verbot durch die Angst vor dem Vater gestüzt. 4. Homosexualität schützt ihn vor 
der Angst bei anderen Frauen, denn wenn sie ihm nicht anziehend erscheinen, ist 
die Angst zur Unterdrückung seines Triebes entbehrlich. Ich zeige dem Patienten 
zunächst, daß dieser Schutz gegen die Angst nicht mehr aktuell ist. Er hat doch 
nur eine Berechtigung, wenn wirklich alle Frauen seine Mutter wären, wenn also 
bei jeder Frau die Gefahr der Kastration durch den Vater bestünde. Diese Lösung 
hat früher, in seiner Kindheit, Berechtigung gehabt, damals war ja die Mutter das 
einzige Liebesobjekt. Patient erzählt nun, daß er sich häufig wie ein Baby vorkomme 
und benehme und für sich eine besondere Pflege und besonderes Interesse seitens der 
Mutter beanspruche. Dieses Verhalten kommt noch viel deutlicher in seiner homo¬ 
sexuellen Beziehung zum Vorschein. Er möchte von seinem Freunde immer wieder 
kleine Geschenke, wie Blumen und Bonbons, empfangen, von ihm geküßt, umarmt 
werden. Manchmal macht er sich Vorwürfe, daß er zu viele Geschenke annimmt, 
er kommt sich wie eine Dirne vor, die sich aushalten läßt, kann aber auf diese 
Befriedigung nicht verzichten. 

Ich mache den Patienten aufmerksam, daß die Befriedigung des Kastrations¬ 
wunsches in der Identifizierung mit der kastrierten Mutter ihn von seiner Angst 
vor der Kastration befreie. Er verzichte dann auf sein Genitale und damit auf die 
Liebe zur Mutter und sei nicht mehr ein lästiger Rivale des Vaters. Vielleicht 
könnte dann eine Aussöhnung mit dem strengen Vater stattfinden? Der Patient 
bringt einige Erinnerungen, die eine positive Einstellung zum Vater erkennen lassen. 
Im vierten Lebensjahr liegt er im Bett des Vaters und spielt mit dessen Uhr, die 
Mutter ist darüber böse, doch der Vater läßt ihn gewähren. Im siebenten Lebensjahr 
liest er ein Gedicht von Heine, in welchem von „der Brüstlein Rosenknospen“ die 
Rede ist, wieder will die Mutter ihm das Buch abnehmen, wieder ist es der Vater, 
der seine Partei ergreift. Patient gibt zu, daß hinter dem Haß gegen den Vater auch 
eine schüchterne Liebe verborgen ist, doch sieht er darin keinen Zusammenhang mit 
seiner Homosexualität. Nie würde er zu einem älteren Herrn, also zu einer Vater- 
Imago, eine Beziehung wünschen, nur junge, hübsche Burschen locken ihn. Sein 
Vater ist alt, häßlich und sieht sehr jüdisch aus. Diese so affektbetonte Ablehnung 
des Judentums ist dem Patienten selbst verdächtig, und er ist bereit, auf diesen 
Punkt näher einzugehen. Es ergibt sich, daß er im zweiten Lebensjahr zum zweiten¬ 
mal beschnitten werden mußte und daß diese Beschneidung und die seiner Brüder 
sehr deutlich in seiner Erinnerung haftengeblieben sind. In seinem neunten Lebens¬ 
jahr ist er bei dieser Zeremonie bei seinem jüngsten Bruder auf Wunsch des Vaters 
anwesend. Er hat Mitleid mit dem Kleinen und möchte ihm die Prozedur ersparen, 
doch schließlich siegt der Gedanke: „Was ich habe erdulden müssen, soll auch der 
andere erdulden.“ Diesen jüngsten Bruder hat er sehr gerne, sorgt um ihn, während 
er mit dem mittleren in ständigem Kampf lebt. Er bedauert, daß er keine Schwester 
hat: „Vielleicht wäre ich nicht homosexuell, wenn ich eine Schwester gehabt hätte.“ 
Er ist mit einer entfernten Cousine, die im Auslande lebt, sehr befreundet, und hat 
manchmal die Phantasie, daß diese Cousine ihn von seiner Homosexualität befreien 











Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg 


560 


könnte. Das schlechte Verhältnis zu seinem mittleren Bruder, der drei Jahr jü 
ist, begann erst nach der Geburt des Jüngsten (Altersdifferenz neun Jahre), vorher 
hat er ihn ebenfalls geliebt und behütet. 

Das Durchbesprechen dieser Einstellungen ändert aber nichts an der horno 
sexuellen Einstellung des Patienten, sie bleibt auch weiter unberührt. Als wir im Zu 
sammenhang mit „Bauchschmerzen“, die sich während der Analysestunde einstellen 
auf die Analerotik eingehen, erinnert sich Patient, daß er eine Zeitlang an die anale 
Geburt geglaubt hat. Die Existenz der Vagina war ihm damals unbekannt gewesen 
Längere Zeit hat ihm sein Stuhl große Sorgen bereitet, er war häufig obstipiert und 
litt an Flatulenz. Um sich dagegen zu schützen, steckte er Papierpfropfen in seinen 
After. Besonders schmerzlich war es für ihn, als seine kleine Cousine davon Notiz 
nahm und mit der verächtlichen Bemerkung: „Du stinkst“, ihn verließ. 

Das Material wird benützt, um die bereits begonnenen Deutungen seiner Homo¬ 
sexualität zu ergänzen: 1. Wenn der Mastdarm zur erogenen Zone erklärt wird, so 
sind damit die Konsequenzen der Kastrationsangst vollzogen, er hat seinen Penis 
aufgegeben und ist bereit, mit seinem Anus den Penis des Vaters zu empfangen. 
Der Patient sieht diesen Zusammenhang ein, betont aber, daß er seinen Penis doch 
nicht aufgegeben hat, da in der homosexuellen Beziehung die Onanie am Penis und 
nicht der Coitus per anum die Hauptrolle spielt. Der Haß gegen die Frauen be¬ 
ginnt nach der Besprechung des Kastrationskomplexes umschriebene Formen anzu¬ 
nehmen. Patient möchte ihnen den Bauch spalten, die Brust abbeißen (bei diesem 
Einfall hat er ein unangenehmes Gefühl in der eigenen Brust). Ich meine, daß soviel 
Aggression gegen die Frau zwangsläufig eine Revanche erwarten läßt. So ergeben 
sich als weitere Gründe seiner Homosexualität: 2. beim Verkehr mit der Frau die 
Gefahr der eigenen Aggression, daher 3. Angst vor der Revanche; 4. bedeutet die 
Homosexualität gleichzeitig die Befriedigung der Aggression: „Ich brauche die Frau 
nicht.“ 

Die Cousine aus dem Ausland kommt für einige Wochen nach Wien und verliebt 
sich in den Patienten, doch bleibt dieser kühl, seine Homosexualität ist unverändert. 
Durch ausführliche Besprechung seiner Beziehung zur Gouvernante Erna ist Patient 
zur Überzeugung gekommen, daß die realen Quälereien dieser Person nicht den 
einzigen Grund seines Hasses gegen die Frauen bedeuten können. Die Intensität 
dieses Hasses und seine Ausdehnung auf so zahlreiche Objekte rechtfertigen die Ver¬ 
mutung, daß noch andere, unbewußte Motive dahinterliegen. Der Hinweis auf seine 
Empfindlichkeit bei kleinen Verstößen der Mutter oder der Hausgehilfin gegen seine 
Diät bringen eine Fülle von Erinnerungen aus seiner Kindheit. Im dritten Lebens¬ 
monat, so wurde ihm berichtet, bekam Patient eine Amme, da die Milch der Mutter 
zu knapp wurde und nach Ansicht des behandelnden Arztes bereits eine Störung 
seiner Gesundheit eingetreten war. Auch für seine beiden Brüder mußten Ammen 
aufgenommen werden. Patient erinnert sich deutlich, daß er seine Brüder beneidete, 
einmal schaute er dabei so gierig die Amme an, daß es ihr auffiel und sie ihn zum 
Scherz mit ihrer Milch anspritzte. Da durch den Krieg die Lebensmittel knapp ge¬ 
worden waren, erregte es seinen besonderen Ärger, daß die Amme täglich zum 
Frühstück einen halben Liter Milchkaffee bekam. Ein ausgesprochen freudiges Er¬ 
eignis dagegen war es, als einmal die Amme des Bruders „nicht richtig funktio- 











Der Mammakomplex des Mannes 


S6i 

nierte“. Dieser orale Neid wurde dann zum Teile überkompensiert, als Patient, für 
seine Brüder mütterlich sorgend, täglich in einen entlegenen Bezirk fuhr, um Milch 
zu holen. Zweimal passiert ihm ein Unglück, die Flasche fällt ihm aus der Hand, 
worauf er mit heftigen Schuldgefühlen reagiert. Der Zusammenhang 
zwischen seiner Gier beim Essen und vor allem beim Trinken 
und jener frühen oralen Versagung leuchtet dem Patienten ein. Er 
gibt zu, daß sein Benehmen häufig an den unersättlichen Säugling erinnert. Sein 
Haß g e g e n Frauen hängt also mit dieser ersten Enttäu¬ 
schung zusammen. Eigentümliche Sensationen im Bereiche des Mundes und 
der Fingerspitzen, über die Patient schon früher berichtet hat, werden jetzt ver¬ 
ständlich. Es handelt sich um ein unangenehmes Trockenheitsgefühl in diesen Re¬ 
gionen. Um sich dagegen zu schützen, fettet Patient die Haut, die Lippen und den 
Anus häufig ein. Zusammenhänge zwischen Mund, Hand und Anus werden hier 
erörtert. Die Vorliebe für Milch und Molkereigeschäfte bedeutet eine Fixierung 
an die erste glückliche Zeit, während sein Abscheu vor Fleisch und 
Fleischgeschäften mit dem Beginn des Beißens und der darauffolgenden Entwöhnung 
zusammenhängt. Er bestellt im Restaurant nie eine Fleischspeise. „Das wäre zu 
teuer.“ Einfälle beweisen, daß es sich nicht um zu teuer im realen Sinne, sondern 
um den Verlust der Mutterbrust nach dem Durchbruch der ersten Zähne handelt. 
Es sieht so aus, als ob der Patient sagen möchte: solange ich auf Fleisch, 
also B eißen, verzichte, darf ich ungestört an der Mutter¬ 
brust bleiben. Daß dieser Verzicht nur partiell gelungen ist, illustriert sein 
Verhalten beim Essen von Zucker. Er ist ja nicht wirklich in toto ein Säugling 
geblieben, sozusagen gegen seinen Willen hat er Zähne bekommen und kann ihre 
Betätigung nur zeitweise hemmen. Da seine Libido auf diesem kleinen Abschnitt 
(orale Zone) nicht restlos befriedigt werden kann, kommt es zu Stauungen und 
Konflikten. 

Wir erblicken jetzt die nächste Schichte der Enuresis nocturna. Nach der oralen 
Versagung, Haß gegen die Mutter, Identifizierung mit ihr, wird der Penis zum 
Brustersatz; was bisher passiv empfangen wurde, wird aktiv gegeben. Die gegen¬ 
seitige Onanie bei dem homosexuellen Verhältnis, das Saugen an den Brustwarzen 
und am Penis bedeuten: Kind-Mutter spielen. Er repräsentiert die phal- 
1 i s c h e M u 11 e r, ist aktiv seinem Freund gegenüber, der an seinem Penis saugt 
oder es übernimmt umgekehrt der Freund die Rolle der phallischen Mutter. Patient 
erinnert sich, daß im achten Lebensjahr plötzlich seine Brust größer wurde und 
seine Mutter deswegen einen Frauenarzt konsultierte. Wir verstehen jetzt, warum 
er bei der Onanie seinen Penis von unten beleuchtet: „Der Schatten soll auf die 
Brust fallen.“ Der Haß gegen die Gouvernante hängt also mit dem Haß gegen die 
Mutter zusammen. Dieser Haß bei gleichzeitig bestehender Liebe war sehr quälend; 
durch die Identifizierung wurde ein Teil auf genommen, der übriggebliebene Anteil 
wurde auf andere Objekte verschoben: Erstens auf Erna, Patient erinnert 
sich jetzt, daß er selbst manche Quälereien provoziert hatte; so hatte er Erna 
vorgeschlagen, ihn nur alle vier Stunden urinieren zu lassen, um die Blase wider¬ 
standsfähiger zu machen. Als sie auf diesen Vorschlag einging, litt er sehr darunter, 
zweitens auf den Vater. Daher versuchte Patient immer wieder den Vater 


Int. Zeitsdhr. f. Psychoanalyse, XIX—4 


36 







Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg 


562 

als strengen Tyrannen zu erleben, während er in Wirklichkeit ein schwächlicher 
und ängstlicher Neurotiker war. Die Milde des Vaters war für ihn eine Ent¬ 
täuschung, doch war die phantasierte Strenge nicht imstande, wirklich größere 
Mengen von Haß auf sich zu ziehen. Das Beißen an der Nagelhaut der Finger 
und an den Lippen, das zu energische Zähneputzen, erweisen sich als Onanie¬ 
äquivalente, wobei die eigene Haut an Stelle der Mutterbrust tritt, der Mund aber 
nicht beim harmlosen Saugen verbleiben kann, sondern die von den Zähnen aus¬ 
gehende Aggression befriedigt. 

Die Onanie bedeutet: Die Wiederholung der ersten Lusterlebnisse an der 
Mutterbrust, wobei auf die Mutter verzichtet wird und an ihre Stelle ein Teil 
des eigenen Körpers rückt. Der Mund, beziehungsweise die Hand verkörpern die 
Libido mit passiven, der Penis die mit aktiven Triebzielen. So bedeutet die Onanie 
Kastration, die aber nicht mehr passiv empfangen, sondern aktiv — allerdings am 
eigenen Körper — ausgeführt wird. 

Während der Analyse der oralen Phase hat sich die homosexuelle Einstellung 
wesentlich geändert. Die Bindung an den Freund wurde immer geringer, 
die homosexuelle Beziehung aufgegeben, die Gleichgültigkeit, beziehungsweise der 
Haß gegen die Frauen begann einem erotischen Interesse Platz zu machen. Es traten 
Träume auf, in denen Patient mit einer nackten Frau im Bett liegt und an ihrer 
Brust saugt. 

Fall II: Schreibkrampf. 

Analytiker: Bergler. 

Ein 41 jähriger, pensionierter höherer Beamter suchte die Analyse wegen eines 
seit acht Jahren bestehenden Schreibkrampfes auf. Der Schreibkrampf setzte plötz¬ 
lich ohne erkennbare äußere Ursache ein. Patient sollte seine Unterschrift unter 
ein Schriftstück setzen (es war im Augenblick niemand in seinem Zimmer), da 
bemerkte er zu seinem Entsetzen, daß er nicht mehr schreiben könne. Der Schreib¬ 
krampf schwankte in der Folgezeit, wie das typisch ist, in seiner Intensität und 
nahm alle Grade an, beginnend von Zittern, Ausfahren, Unsicherheit des Armes 
(die sich manchmal bis zu schmerzhaften Versteifungen steigerte) bis zur gänz¬ 
lichen Unfähigkeit zu schreiben. Die Funktion des rechten Armes ist sonst keines¬ 
wegs eingeschränkt, ausgenommen sind Schwierigkeiten beim Essen und Trinken 
flüssiger Speisen (Kaffee, Suppe, Wasser usw.). Das Schreiben mit Tinte war 
schwieriger als mit Bleistift. Wenn jemand dem Patienten beim Schreiben zusah, 
war das Schreiben völlig unmöglich. 

Patient hatte alle möglichen Kuren — elektrische, sedative und die Zeileis- 
Methode — erfolglos versucht, lernte schließlich um und wurde Linkshänder, wobei 
aber zeitweise auch am linken Arm die gleichen Störungen auftraten. 

Aussehen und Gehaben des Patienten erinnerten ein wenig an das eines aktiven 
Offiziers mit aristokratischen Allüren. Dieser Eindruck wurde bestätigt, als aus 
der Lebensgeschichte zu erfahren war, daß Patient — die Mutter war Haus¬ 
besorgerin, der Vater ursprünglich Gendarm, dann Postunterbeamter — in einem 
Milieu von Aristokraten auf ge wachsen und aus diesem seine Identifizierungen her- 








Der Mammakomplex des Mannes 


5* 3 

leitete. Der Zufall wollte, daß Patient Gespiele eines im Hause wohnenden Aristo- 
kratensöhnchens war, die Familie nahm sich des Knaben sehr an, einige im Hause 
verkehrende Aristokraten versuchten, den hübschen Knaben zu homosexuellen 
Akten zu benützen. 

An den Vater hat Patient anfangs nur eine Erinnerung: er sieht ihn — Patient 
war damals knapp vier Jahre alt auf der Totenbahre liegen, ohne daß dies 
scheinbar tieferen Eindruck auf den Patienten machte. Die Mutter wird als 
energische, resolute Person geschildert, die den Patienten vor seinem zwei Jahre 
älteren Bruder bevorzugte. Als einer der beiden Knaben in eine Waisenanstalt ab¬ 
gegeben werden sollte, entschied sich die Mutter dahin, den jüngeren im Hause zu 
behalten. Vom 'er „verflucht“, blieb Patient bei der Mutter und dies legte 
die schon früher I Mene Abwehr des Älteren fest: es entstand eine lebens¬ 
längliche Feindschaft de* -ren gegen den Jüngeren. Der Entschluß, den Patienten 
im Hause zu belassen, wurde durch zwei Momente bestimmt: durch die Freund¬ 
schaft des Knaben zum Baron X. und das Bettnässertum des Patienten, das vom 
dritten bis siebenten Lebensjahr dauerte. Patient bleibt nach Abschiebung des 
Bruders in die Waisenanstalt mit der Mutter allein zurück. Es ist dies „die glück¬ 
lichste Zeit seines Lebens ; dieses Glück wird lediglich durch den ständigen Kampf 
gegen das Bettnässen getrübt. Die Mutter versuchte, dem Patienten vergeblich diese 
„Unart durch Güte, dann Geduld, endlich durch Drohungen abzugewöhnen. Der 
Patient hatte den „besten Willen“. Er kam auch auf recht originelle Ideen in diesem 
Kampfe: so zum Beispiel montierte er den Gasschlauch ab, befestigte ihn an seinem 
Glied und führte das Ende direkt in einen Kübel, oder er improvisierte ein Suspen¬ 
sorium, wobei er sich das Abfließen des Urins offenbar etwas zu mechanisch vor¬ 
stellte, oder er legte Watte und Leinwandbauschen zwischen Vorhaut und Penis 
ein usw. Patient litt außerdem an einer Phimose. Auch da versuchte er mit radikalen 
Mitteln eine Selbstheilung. In Analogie zu den Dehnungsversuchen des Arztes um¬ 
wickelte er die Spitzen eines Zirkels mit Watte und „dehnte“. Patient war über¬ 
haupt in dieser Zeit ein recht mutiger, scheinbar unerschrockener Junge (wie sich 
später erwies: auch aus seinem Strafbedürfnis). Er wurde der „verrückte Hans“ 
genannt: beim Zahnarzt fürchtet er sich nicht vor Schmerzen, ist überhaupt gegen 
Schmerzen besonders tolerant, wird bald ein prämiierter Radfahrer, fährt z. B. mit 
dem Rad vom ersten Stock über die Treppe usw. In diese Zeit fallen Tierquälereien, 
Rattenschießen usw. Etwas später tritt eine Wandlung ein: Patient wird ängstlich, 
zurückhaltend, scheu. Im vierzehnten Lebensjahr ereignet sich ein sonderbarer 
Unfall: Patient, der preisgekrönte Radfahrer, fährt in einen mit zwei Pferden 
bespannten Postwagen (der Vater war Postbeamter gewesen!) so ungeschickt hinein, 
daß er stürzt. Daran schließt sich ein langes Krankenlager, die Folge eines Bruches 
und einer Coxitis; am Ende bleibt eine Versteifung des Gelenkes und eine Ver¬ 
kürzung des Beines zurück. Mit 17 Jahren beginnt Patient seine Beamtenlaufbahn. 
Es kommt nun zu einer Umkehrung der Kindheitssituation: der Bruder bleibt zu 
Hause bei der Mutter und studiert zur Matura, Patient muß die Familie erhalten. 
Dabei rächt sich der Bruder für seine Zurücksetzung in früheren Jahren: rück¬ 
sichtslos tyrannisiert er die Mutter, versetzt alles, was nicht niet- und nagelfest ist, 
und Patient muß mitansehen, wie die Mutter aus Angst vor dem „mißratenen 


36* 











5 64 


Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg 


Buben“ selbst das vom Patienten verdiente Wirtschaftsgeld dem Älteren zusteckt 
Die Konflikte zwischen den Brüdern spitzen sich immer mehr zu: da stirbt die 
Mutter. Im Verhalten des Patienten erfolgt wieder eine scheinbar jähe Wendung- 
er beginnt, den Bruder zu bemuttern, kocht für ihn, kurz, bezieht eine direkt 
weibliche Position. In diese Zeit fällt eine wichtige Episode: Patient erwartet 
den Bruder spät nachts (der Bruder kommt um diese Zeit regelmäßig 
betrunken nach Hause), schleppt ihn zum Fenster, steckt dem 
Bruder den Finger in den Mund, um ihn zum Erbrechen 
zu bringen. Die Rationalisierung lautet: der Bruder würde sonst den Teppich 
durch „Ankotzen“ beschmutzen... Dieses Idyll dauert nicht allzu lange, der 
Bruder heiratet trotz dem schärfsten Protest des Patienten. Kurze Zeit hierauf hei¬ 
ratet Patient ebenfalls. Er wählt eine um zehn Jahre ältere, sexuell desinteressierte 
Frau — Typus Mannweib — die lange Jahre hindurch eine Beziehung zu einem 
hohen Beamten der bewaffneten Macht gehabt hatte (der Vater des Patienten war 
Gendarm gewesen!) und deren einziges Interesse Pferde waren. Es war, wie Patient 
behauptete, keine Liebesheirat, es ist mehr ein Nebeneinanderleben. Nach zwei¬ 
jähriger Ehe wird dem Patienten klar, daß die Frau frigid ist. Knapp darauf be¬ 
kommt Patient seinen Schreibkrampf. Patient glaubt ursprünglich, der Krampf 
hänge mit dem sexuellen Verkehr zusammen, schränkt die sexuellen Beziehungen 
auf ein Minimum ein und gibt sie später ganz auf. Er hat bei Beginn der Analyse 
mit der Frau seit sieben Jahren nicht mehr verkehrt, ohne daß diese dagegen 
protestiert hätte. Das seit der Kindheit bestehende Symptom des Nägelbeißens ver¬ 
stärkt sich. Patient läßt sich widerstandslos wegen seines Schreibkrampfes pensio¬ 
nieren und findet keinen Posten, obwohl er ganz gute Beziehungen hat. In den 
nächsten Jahren widmet er sich der Behandlung seines Schreibkrampfes, hat, da 
alle Behandlungen wirkungslos sind, ernste Selbstmordideen und versucht als letztes 
Verzweiflungsmittel die Analyse. 

Der Patient macht den Eindruck eines sexuell völlig desinteressierten Menschen. 
Er habe, behauptet er, sexuell verkehrt, „weil’s sein muß“, ohne Bedürfnis und 
ohne Befriedigung. In den letzten Jahren habe er „pausiert“, in den letzten 
Monaten vor der Analyse habe er eine Freundin, mit der er „alle paar Wochen“ 
koitiert. Sein Bekanntenkreis war auffallend: er bestand aus lauter ausübenden 
Homosexuellen. Patient selbst lehnte die Homosexualität ab, verbat sich das Er¬ 
zählen der Abenteuer seiner Freunde, erfuhr aber alles auf dem Umweg über seine 
Frau, die die Vertraute dieses Kreises wurde. 

Die Analyse ergab vorerst eine starke unbewußte Homosexualität des Patienten, 
die sich in der Übertragung unter schwersten Widerständen klar zeigte. Diese un¬ 
bewußte Homosexualität war sekundär und baute sich auf einer verdrängten, aggres¬ 
siven Haßeinstellung gegen den Vater (Bruder) auf nach dem so häufigen Entste¬ 
hungsmodus: Aus Kastrationsangst verzichtete er auf den Penis, wollte aber dafür 
vom Vater (Bruder) wie -eine Frau geliebt werden. Eine Reihe von Momenten bewies 
seine unbewußte Homosexualität: sein Bekanntenkreis, seine Beziehung zum Bruder, 
mit dem er schwere Konflikte wegen dessen Heirat — Eifersucht! — hatte (Patient 
kochte und führte dem Bruder nach dem Tode der Mutter die Wirtschaft), seine 
ständige Angst, als Geschworener in einem Homosexuellenprozeß mitwirken zu 


J 








Der Mammakomplex des Mannes 565 

müssen, sein al 1 -ifriges Streben, Bekannte von der Homosexualität abzubringen 
(er reiste deshalb Tahren in eine entfernte Stadt, um einen dort wohnenden 
Bekannten von der ^ ''Sexualität durch Abreden zu „heilen“) und — nicht 
zuletzt — die Wahl seinei Frau. Diese Homosexualität — die nur teilweise das 
sexuelle Desinteressement des Patienten erklärte — war genährt durch eine lange 
Reihe von Verführungen, die selbst bei Berücksichtigung der „traumatophilen Dia- 
these“ (Abraham) noch immer ein beträchtliches Material ergaben. Es waren 
dies vor allem Szenen, die sich auf einen Baron Z. und seinen Jockey bezogen. 
Beide haben sich am Knaben zwischen seinem vierten bis sechsten Jahre homo¬ 
sexuell vergriffen. Diese Szenen waren vollkommen verdrängt. Die Mutter des 
Patienten, der das verstörte Wesen des Knaben auf fiel, verbot ihm den Umgang 
mit dem Jockey. (Vergleiche die späteren Versuche des Patienten, seinen homo¬ 
sexuellen Freunden die Homosexualität zu verbieten. Er spielt darin Mutter.) Ganz 
unschuldig dürfte der Knabe an diesen Verführungen nicht gewesen sein, da sich 
die homosexuellen Verführungen auch nach dem Verbot wiederholten: seine Spiel¬ 
kameraden waren die Verführer. 

Zu Lebzeiten des Vaters entwickelte Patient einen starken Haß gegen diesen, 
der äußerlich an folgende Erinnerung anknüpfte: der Vater hatte einmal den 
Patienten — als Bestrafung für seine Enuresis — in den Keller gesperrt. Dort be¬ 
schloß der Knabe — die Szene muß vor dem vierten Lebensjahr spielen, da der 
Vater in diesem Alter des Knaben an einem Sarkom starb — aus Rache in der 
Nacht seine Kinderpistole abzuschießen, „damit der Vater erschrecke“. Als der 
Vater kurz darauf starb, schob sich der Knabe unbewußt die Schuld am Tode 
des Vaters zu. Auf der Oberfläche war bloß ein starkes Strafbedürfnis sicht¬ 
bar. Dieses Strafbedürfnis leitete sich aus dem Ödipuskomplex ab. In der Analyse 
gelang die Rekonstruktion der Urszene bis auf eine Lücke: Patient erinnerte, wie 
der Vater, im Bette liegend, die Lampe auslöschte, wie die Mutter ins Nachtgeschirr 
urinierte — hier war eine Lücke in der Erinnerung — und in der Frühe tastete 
der Knabe das Gesicht der Mutter ab und fragte, ob sie Narben habe. Die Analyse 
ergab, daß der Knabe eine sadistische Koitusvorstellung gehabt haben müsse, wobei 
das Schlagen der Frau den ersten, das gegenseitige Anurinieren (vielleicht Hinein¬ 
urinieren in Mund und After) den zweiten Akt darstellte. (So verglich Patient 
regelmäßig seine eigenen Urinmengen mit denen der Mutter.) Weitere Erinnerungen 
aus der Zeit vor dem Tode des Vaters (viertes Lebensjahr des Patienten) lassen 
deutlich erkennen, daß seine aggressiven Tendenzen schon an den Penis gebunden 
waren und daß er konsekutiv eine große Kastrationsangst vor dem Vater ent¬ 
wickelte und diesen auch direkt provozierte. So stocherte er zum Beispiel mit einem 
Messer in der Sparbüchse der Eltern herum, um Geld herauszubekommen, obwohl 
er wußte, daß der Vater im Nebenzimmer war: er bekam auch die gewünschten 
Prügel, der Anlaß dieser Provokation war symbolisch ein sexuelles Geständnis. 
Im Sinne seiner Kastrationstendenzen sprechen auch die ständigen schmerzhaften 
Prozeduren am Penis, die Patient teils selbst vollführte, wie das Dehnen der 
Phimose mit dem Zirkel, teils gerne an sich geschehen ließ (Phimosendehnung und 
Operation). Er blieb auch späterhin ein freudiges Operationsobjekt, wurde auch 
wiederholt operiert. Bezeichnend ist auch, daß er, obwohl er schlechte Erfahrungen 









$66 


Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg 


mit den Ärzten gemacht hatte (Prof. Lorenz erklärte ihm, daß seine Hüftgelenks 
krankheit unsachgemäß behandelt worden war, die Verkürzung hätte vermieden 
werden können; jahrelange erfolglose Behandlung beim Schreibkrampf und viele 
andere Beispiele), er es den Ärzten nicht nachtrug. Diese bei Patienten ungewöhn¬ 
liche Milde, das Fehlen jedes Ressentiments, war nur aus seinem Strafwunsch 
klärlich. 

Seine E n u r e s i s hatte folgende Komponenten: In der ersten — aktiven 
— Phase war sie ein Versuch, mehr zu urinieren als der Vater, dem 
Vater also sexuell (Urin = Sexualprodukt) überlegen zu sein. In diesem Sinne 
spricht auch seine groteske Verlängerung des Penis mittels des Gasschlauches zu 
einem Riesenpenis. In einer Ubergangsphase war die Enuresis ein P r o t e s t 
gegen die Kastration. In der dritten Phase, nach Verzicht auf 
den Penis, war es ein weibliches Fließenlassen, eine Phase, der die weibliche 
Identifizierung mit der Vorstellung zugrunde lag, das weibliche Genitale 
sei ein Behälter, aus dem ständig Urin abfließt. 15 (Der Knabe wurde einmal mit 
dem kleinen Baron von dessen Bruder, einem Studenten der Medizin, beim Ansehen 
medizinischer Atlanten ertappt; auf die ironische Frage, was sie denn so interessiere, 
kam nach langem Zögern die Bitte um Aufklärung, ob das Mädel ununterbrochen 
urinieren müsse.) Daneben hatte das Enuresissymptom eine Reihe von Neben¬ 
bedeutungen: es war Trotz gegen die Eltern, zugleich ein Mittel, die Mutter zu 
zwingen, bei der Reinigung sein Genitale in die Hand zu nehmen, endlich ein 
erfolgreiches Mittel gegen die Abschiebung in die Waisenanstalt usw. 

Von der Besprechung seiner Enuresis führte ein Weg zu seinem Schreibkrampf. 
In der bekannten Arbeit von J o k l 16 wird das Symptom auf die urethrale 
Komponente zurückgeführt. Tatsächlich bestätigte der Fall Jokls Befunde: die 
urethrale Komponente spielte eine große Rolle. 

Zusammenfassend ergaben sich folgende Determinanten des Schreibkrampfes: 

1. Das Symptom trat auf, als Patient erfuhr, daß seine Frau frigid sei. Der 
Schreibkrampf diente in oberflächlicher Schichte vorerst der Rache an der Frau: 
ein Beamter muß schreiben können. Der andere häufig beschrittene Weg der Rache 
durch Impotenz war nicht gangbar, da die Frau sich daraus nichts gemacht hätte. 
Tatsächlich hatte er die Frau am empfindlichsten Punkt zielsicher getroffen: er 
wurde mit einer kleinen Pension in den Ruhestand versetzt. 

2. Die Versteifung des Armes bedeutete Hemmung seiner aggressiv-sadistischen 
Mordimpulse gegen die Frau mit konsekutiver Selbstbestrafung. (Dahinter verbarg 
sich die Wiederholung von Aggressionen gegen Vater und Mutter — aktive Kastra¬ 
tionswünsche.) 

3. Die Enttäuschung an der Frau führt zur Regression zu infantilen Befriedi- 


15) Auf die Bedeutung dieser dritten Phase hat H. Deutsch aufmerksam gemacht. 
Ich glaube, daß für die männliche Enuresis die Kombination aller drei Phasen 1 typisch 
ist. Dies konnte ich an einer Reihe von Fällen sehen. Einen dieser Fälle publizierte ich: 
„Zur Psychoanalyse eines Falles von Prüfungsangst“, Zentralblatt f. Psychotherapie, 1933» 
H. 2. Die tiefste und wichtigste Schichte der Enuresis ist aber oral. (Siehe später.) 

16) „Zur Psychogenese des Schreibkrampfes“, Int. Ztschr. f. Psa., VIII, 1922. 










Der Mammakomplex des Mannes 


567 


gungsarten, vor allem zu urethralen Wünschen, die innerlich kaum verlassen waren, 
per Schreibkrampf bedeutete also Enuresis plus Hemmung derselben. (Die Enuresis 
war auf beiden Stufen wiederholt: auf der männlichen und auf der weiblichen.) 

4. Der ganze Arm wird sexualisiert und verweigert die Funktion; die schmerz¬ 
hafte Versteifung entspricht neben der Aggression auch der Abwehr einer homo¬ 
sexuellen Komponente: eine der typischen „Verführungen“ bestand in der Auf¬ 
forderung, den Penis des Partners (Baron Z., Jockei) in die Hand zu nehmen und 
bis zur Ejakulation Friktionen auszuführen, respektive den Finger in den After 
zu stecken. In einer Schichte war die Hand After, die Feder Penis. 

5. Das Symptom war bisexuell angelegt: die Hand hatte auch die Bedeutung 
der Vagina, die Feder die des Penis; das Ganze war aber auch die Darstellung 
eines Koitus mit Schuldgefühl und konsekutiver Hemmung. Die Hand wird ver¬ 
krampft, damit die Feder (Penis) nicht fließen (Harnlassen = Ejakulieren) kann. 

6. Endlich war ein exhibitionistisches Motiv im Symptom enthalten, das sich 
mit dem Straf wünsch verband: er demonstrierte förmlich, was er zu verbergen 
wünschte. (Man denke an die Szene mit der Sparbüchse.) 

Das Symptom hatte Zuflüsse aus analen, urethralen undphal- 
lischen Wünschen und war zugleich Ausdruck seiner aktiven und passiven 
Strebungen. 

Soweit war die Analyse fortgeschritten, als sich einige Tatsachen als Einwand 
gegen diese Aufstellungen (zumindest gegen deren Vollständigkeit) ergaben: die 
sonderbare Tatsache, daß Patient bei Besprechung seiner urethralen Tendenzen in 
einem späteren Zeitpunkt der Analyse Gähnkrämpfe bekam. Aus dem ganzen 
Verhalten des Patienten waren die Gähnkrämpfe als bloßer Widerstand nicht zu 
verstehen. Um dieselbe Zeit traten schwere Eßstörungen auf. Endlich be¬ 
friedigte der therapeutische Erfolg nicht — es war im siebenten Monate der Analyse 
— da der Zustand des Patienten trotz gelegentlicher starker Schwankungen zum 
Positiven im wesentlichen unverändert blieb. Vor allem ergaben die Gähnkrämpfe 
und die Eßstörungen den Verdacht auf orale, bisher nicht auf gedeckte Triebschick¬ 
sale. Näheres Eingehen ergab ein eindeutiges Material: Im Alter von vier Jahren 
wurde Patient von einem Psychopathen, der im selben Hause wohnte, zu oral¬ 
homosexuellen Praktiken gezwungen. Eine Erinnerung lautete: „Dr. C. nahm mich 
zu sich in die Wohnung, zog mich und dann sich aus und zwang mich, sein Glied 
in den Mund zu nehmen. Er ejakulierte, mir wurde übel, ich erbrach, der Doktor 
gab mir hierauf saure Milch zu trinken ...“ 

Nun gibt es eine Situation im Leben des Patienten, in welcher er diese Szene 
buchstäblich wiederholte: als er nach dem Tode der Mutter dem Bruder die Wirt¬ 
schaft führte, wollte er ihn vom Trinken abbringen und propagierte sein Lieblings¬ 
getränk: saure Milch. Als der Bruder betrunken nach Hause kam, zerrte er ihn 
zum offenen Gangfenster, steckte ihm den Finger in den Mund, um den Bruder 
zum Erbrechen zu reizen, mit der Rationalisierung, der Bruder beschmutze sonst 
beim Erbrechen den Teppich. Der Gähnkrampf in der Analyse entpuppte sich also 
als Abwehr dieser auftauchenden Fellatiowünsche. 

Nun konnte man einwenden, es war eben eine der allzu vielen „Verführungen“, 
denen der Knabe ausgesetzt war. Das Problem lautet aber, warum unter so vielen 










568 


Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg 


und so vielartigen Verführungen gerade diese so entscheidenden Einfluß hatte, und 
es ergab sich die Frage, ob nicht auch die Enuresis eine Wiederholun 
der oralen Wünsche darstellte. Schon im ersten Teil der Analyse war die 
starke Identifizierung des Patienten mit dem Weibe auf gef allen. Der Vorstoß i n 
die phallische Phase mißlang beim Knaben aus übergroßer Kastrationsangst; die 
weibliche Identifizierung konnte um so leichter vor sich gehen, als Patient letzten 
Endes auf die ursprüngliche Brustbedeutung des Penis zurückgehen konnte. Er ver¬ 
zichtete also bloß auf den gefährdeten Penis und konnte dafür den ewig fließenden 
weiblichen Penis = die Brust der phallischen Mutter, eintauschen. Somit hatte 
seine Enuresis nicht bloß die Bedeutung einer Identifizierung im landläufigen Sinne 
sondern war Ausdruck seiner frühesten Sehnsucht: selbst eine 
Brust (= Penis) zu besitzen; letzten Endes also etwas Aktives. Es wurde klar, 
welchen Sinn die früher angeführte, an und für sich unverständliche Erinnerung 
hatte, die besagte, er hätte sich die Urinmengen der Mutter 17 genau angesehen 
und einmal vom Topfe nicht aufstehen wollen mit der Begründung, er hätte zu 
wenig uriniert. Die Verführung durch Dr. C. wirkte deshalb so 
nachhaltig, weil sie bloß etwas nie Erledigtes, unwillig 
Verlassenes aktivierte: den Wunsch, selbst phallische 
Mutter zu sein. 

Der hier geschilderte Fall wurde vom Verfasser im Mai 1929 im technischen 
Seminar der Wiener psychoanalytischen Vereinigung referiert. Referent stellte als 
wichtigsten Punkt zur Debatte: die Beziehung der urethralen zur oralen Kompo¬ 
nente, ohne daß die Debatte darauf eine plausible Antwort hätte geben können. 
Die Analyse dauerte noch einige Monate (im ganzen etwa ein Jahr) und ergab 
immer mehr die zwingende Vermutung, daß Patient passiv Erlebtes aktiv ver¬ 
arbeitete, daß also Patient die Situation: Säugende Mutter — sau¬ 
gendes Kind in seinem Schreibkrampf wiedererlebte. An¬ 
ders ausgedrückt: D i e tiefste und wichtigste Bedeutung seines 
S c h r e i b k r a m p f e s war folgende: Die Hand bedeutete den 
Mund, die in Tinte getauchte Feder bedeutete die Brust, 
Patient spielt also zugleich säugende Mutter und saugendes Kind, die Schreib¬ 
hemmung ergab sich aus dem Uber-Ich-Verbot, das das Ganze 
— mit Recht — als etwas Sexuelles auffaßte. 18 

Im Verlaufe der Analyse wurde — bei Besprechung seiner haßvoll-ängstlichen 
Beziehung zur Gattin — klar, daß Patient zur Mutter eine höchst ambivalente 
Beziehung gehabt haben mußte, welche er in der Ehe wiederholte. Neben der Liebe 
war stärkster Haß zu konstatieren, der — wie aus seinen Symptomen geschlossen 
werden mußte — zutiefst auf die orale Enttäuschung zurückging. Es 
war ja bezeichnend, daß er nach Entdeckung der Frigidität der Gattin sich sozu¬ 
sagen sexuell selbständig machte mit einem Symptom, das mit einem Anteil der 


17) Tendenzen ähnlicher Art waren natürlich auch dem Vater gegenüber vorhanden. 

18) Diese tiefste Schichte färbte auch auf die homosexuelle Tendenz des Patienten ab: 
zutiefst war es gar nicht der männliche Penis, sondern die p h a 1 - 
lische Frau (Mutter mit Brust), die er suchte. 









Der Mammakomplex des Mannes 569 

Frau zu sagen schien: Ich brauche dich nicht, ich habe selbst eine ewig fließende 
Brust. Die Tatsache, daß Patient auf eine genitale Enttäuschung 
oral reagierte, beweist auch, wie seine tiefste Sehnsucht beschaffen war: 
oral. Die früher erwähnte exhibitionistische Note im Symptom des Bettnässens 
(Schreibkrampfes) wäre vom Standpunkt des Mammakomplexes auch folgender¬ 
maßen zu ergänzen: Patient demonstrierte der Mutter, daß auch er eine Mamma 
hatte. — 

Die Deutung des Kastrationskomplexes auf der phallischen Stufe führte zu 
keinem therapeutischen Ergebnis; dagegen stellte sich eine wesentliche Änderung 
erst ein, als der — wie wir jetzt zu sagen vorschlagen — „M ammakom* 
plex“ durchgearbeitet wurde. Dabei ergab sich auch ein Hinweis auf 
die ständigen Kastrationswünsche des Patienten: sie waren (neben Bestrafungen aus 
Schuldgefühl, etwa: orale Kastrationswünsche) Wiederholungen des Entwöhnungs¬ 
traumas, wobei der Wiederholungszwang dazu führte, daß Patient das peinliche 
Erlebnis immer wieder reproduzierte, um es psychisch zu bewältigen. Dabei war — 
wie Freud bei Besprechung des Wiederholungszwanges wiederholt hervorhob — 
das Unlustvolle des Erlebnisses kein Hindernis gegen die Wiederholung. 

Gewiß hatte Patient die späteren Stufen (anale, urethral-phallische) andeutungs¬ 
weise erreicht; er schleppte aber auf jede dieser Stufen so viele „Restanzen“ aus 
der Mammasituation mit, daß er — unter dem Druck seiner akzidentellen Erlebnisse 
und der allzu großen Kastrationsangst, wobei die Frau immer deutlicher (vor allem 
in einer ganzen Serie von Träumen) zur Kastratorin 19 wurde — immer wieder 
regredieren mußte. — Die Buntheit des Bildes war etwa der chaotischen Währungs¬ 
situation eines Landes vergleichbar, in dem fünferlei Währungen zugleich in Geltung 
sind (etwa Schillinge, neuösterreichische Kronen, altösterreichische Kronen, Gulden 
und Taler), die Bevölkerung aber nur zur ältesten Währung Vertrauen hat: zum 
Taler; wobei — um das Komplizierte der Situation halbwegs wiederzugeben — 
angenommen sei, daß nach einem bestimmten Umrechnungsmodus die einzelnen 
Währungen in der nächstfolgenden mitenthalten sind. 

Als Bestätigung der oben angeführten Aufstellungen seien die einzelnen Selbst¬ 
mordarten, die Patient im Verlauf der Analyse für sich propagierte, der Reihe nach 
genannt: in der ersten Zeit wollte er sich erschießen (siehe Szene im Keller), dann 
ertränken 20 und endlich verlangte er Gift von mir. 

Leider mußte die Analyse aus äußeren, hier nicht wiederzugebenden Gründen 
vor drei Jahren nach einjährigem Verlauf unterbrochen werden. Das Symptom hat 
sich wesentlich gebessert: der Patient, der jahrelang nicht schreiben konnte, hat seit¬ 
her wiederholt Posten als Beamter, Buchhalter, Kassier usw. eingenommen und 
konnte seinen Schreibarbeiten nachkommen. Die Unvollständig¬ 
keit der Analyse erklärt zum Teil den Teilerfolg. Bezeichnend ist aber, daß Patient, 

19) Auch hätte die Kastrationsangst und der Kastrationswunsch niemals solche Folgen 
erzielt (Patient war täglich dutzende Male in Gefahr, aus eigenem Verschulden überfahren 
zu werden), wenn die Kastrationsdrohung nicht durch die ursprüngliche Kastration, die 
Entwöhnung, unbewußt verstärkt worden wäre. 

20) Interessant ist, daß Patient vor Jahren einen Samariterkurz Rettung Ertrin¬ 
kender) trotz seiner Fußverkürzung ohne besondere Veranlassung mitgemacht hatte. 









570 


Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg 


der der Analyse freundlich gegenübersteht, wiederholt Patienten in Analyse zu 
bringen versuchte und mich von Zeit zu Zeit besucht, seither nicht mehr den 
Wunsch geäußert hat, den „Rest“ des Symptoms „wegzuanalysieren“. Gewiß rnag 
dahinter auch ein Stück Widerstand verborgen sein, es beweist aber auch die 
wesentliche Besserung und die jetzige Belanglosigkeit des Restsymptoms. Die schwere 
masochistische Charakterveränderung des Patienten wurde begreiflicherweise bloß 
gemildert. 

Fall III: Pseudodebilität. 

Analytiker: Bergler. 

Diese Krankengeschichte wurde in dieser Zeitschrift publiziert . 21 Ich hebe hier 
die Punkte heraus, die sich auf den Mammakomplex direkt beziehen. 

Das ganze Sexualleben, ja fast alle Handlungen des Patienten sind lediglich unter 
dem Gesichtswinkel des Strebens nach der mütterlichen Brust, resp. 
der Rache für die Verweigerung derselben verständlich. Der Patient kannte über¬ 
haupt nur ein sexuelles Organ: Mutterbrust und Milch, resp. deren Ersatzprodukte. 
Diese waren seine ausschließliche „neurotische Währung“. So erklärt sich die bei 
Prostituierten ausgeübte Perversion des Urintrinkens, in der eine Szene 
aus seinem siebenten bis elften Lebensjahr wiederholt wurde: als er Zusehen mußte, 
wie Frauen ihre Kinder stillten, erregte ihn dies sexuell und er spielte selbst die Kind- 
Mutter-Situation, indem er einen langen Strohhalm in den eigenen Penis steckte, das 
Endstück an die Lippen setzte und seinen eigenen Urin trank. Seinen eigenen Penis 
betrachtete Patient unbewußt ebenso als Brust wie das Genitale der Frau. Seine 
sexuelle Wunschsituation bestand darin, daß die Prostitutierte ihm einen Cunni- 
lingus mit späterer Urolagnie in obszönen Worten befahl. Cunnilingus, Urolagnie, 
obszöne Worte 22 — immer wieder ist der Patient der passiv Empfangende. 
In jeder Situation, in welcher Patient aktiv geben soll, versagt er, z. B. im Beruf 
und als Liebender. Seine intellektuelle Störung ist ebenfalls oral bedingt: da Patient 
unbewußt die Aufnahme von Gedanken anderer beim Lernen als eine Wiederholung 
des Einsaugens der Muttermilch auffaßt, muß er in der Schule versagen. Dem 
Patienten wird zugemutet, Wissen aufzunehmen — oral aufzunehmen — und da 
ergibt sich die Konfliktssituation: das Kind regrediert infolge der 
Aktivierung der alten, nicht erledigten oralen Enttäu¬ 
schung auf die ursprüngliche orale Stufe und verweigert 
die Aufnahme. Dieser Mechanismus kombiniert sich mit der Rachetendenz 
gegen die Mutter zu einer Einheit und stellt meines Erachtens den Kernpunkt 
der Pseudodebilität dar. 

Die Ejakulationsstörung erwies sich als Rache für die orale Enttäu¬ 
schung 23 an der mit der Mutter jeweils identifizierten Frau. „Warum soll ich ihr 

21) Bergler : „Zur Problematik der Pseudodebilität.“ Int. Ztschr. f. Psa., XVIII, 1932. 

22) Ich verweise auf meine Arbeit: „Über obszöne Worte.“ Erscheint in „Imago“. 

23) Verfasser hat eine Reihe ähnlicher Fälle in seiner Arbeit „Über einige noch nicht 
beschriebene Spezialformen der Ejakulationsstörung“ zusammengestellt. Die Arbeit erscheint 
demnächst. 








Der Mammakomplex des Mannes 571 

etwas geben, gibt sie mir was?“ fragte der Patient in einem späteren Stadium der 
Analyse. Bezeichnenderweise sagte er einmal, er könnte vielleicht auch bei „anstän¬ 
digen“ Mädchen, bei denen er impotent war, koitieren, wenn er mit einem Präser¬ 
vativ verkehren würde: „Da kriegt sie ja nichts“, meinte er triumphierend. Die 
groteske Idee des Präservativs als Strafinstrument ist nur oral erklärlich. 

In einer geradezu raffinierten Weise versteht es der Patient, die Frau immer 
wieder zur Gebenden zu machen: er zahlt z. B. bei Prostituierten mit einer 
größeren Geldnote und läßt sich den Rest heraus geben. (Zugleich ist dies eine 
„magische Geste“.) Oder er provoziert durch sein Verhalten die Mutter zu Schimpf - 
orgien: er bekommt Worte. Seine Geldkonflikte mit der Mutter sind ebenso zu 
erklären. Seine ständige Klage, die Mutter gebe ihm kein Geld, resp. wenn sie es 
gebe, gebe sie es ungern, sind als Verweilen auf der oralen Vorstufe des Geldinter¬ 
esses zu verstehen. In allem und jedem spielt er das kleine Kind, das erhalten, 
gesäugt und ernährt werden muß. Er lebt in der ständigen Angst, die Mutter 
könne ihn verhungern lassen, es ist eine Kastrationsangst auf oraler 
Stufe. Seinen Lohn im Betriebe betrachtet er nicht als Äquivalent für die Arbeit. 
Er behauptet nirgends, außer bei der Mutter, arbeiten zu können, es hänge nur von 
der Mutter ab, ob er verhungern werde oder nicht. 24 Auch seine maßlose Ge¬ 
schwätzigkeit (Logorrhoe) ist oral determiniert („magische Geste“). 

Auch sonst war beim Patienten das Vorherrschen oraler Triebelemdite in einem 
geradezu grotesken Ausmaß feststellbar. Patient war ein großer Esser und Trinker. 
Er mußte — auch außerhalb der Mahlzeiten — immer etwas lutschen, zuzeln, 
saugen. Er rauchte 30 bis 40 Zigaretten täglich. Im Kaffeehause bestellte er stets 
Soda mit Himbeer, wobei er mit Wonne am Strohhalm saugte. Jeden Gegenstand 
nahm er in den Mund. Im Betrieb „kostete“ er ununterbrochen von den zu verar¬ 
beitenden Lebensmitteln. „Auf den Saft kommt es an“, war sein Motto. In diese 
Gruppe gehören die Vorliebe für Zungenküsse (das Saugen des Speichels führte beim 
Patienten — auch dort, wo er impotent war — zu einer sofortigen Erektion) und 
Cunnilingus. Er haßte Prostituierte mit trockener Vagina, eine „nasse“ Vulva war 
für ihn die Vorbedingung seines sexuellen Genusses. Aus diesem Grunde interessierte 
er sich, soweit es ihm bewußt war, gar nicht für die Brust der Frau: „Da kommt 
nichts heraus.“ Doch war das ursprüngliche Interesse nur verdrängt worden. Der 
Patient war ein Flaschenkind gewesen und niemals an der Brust gelegen. Im Kino 
bestand seine sexuelle Betätigung im Lutschen des Fingers seiner Partnerin. „Glaubst 
du, daß da was herauskommt?“ fragte ihn bei einer solchen Gelegenheit eine seiner 
Freundinnen lächelnd. — Diese Beispiele oraler Triebkonstitution ließen sich beliebig 
vermehren. Immer wieder versucht Patient unbewußt die Mutterbrust zu erlangen, 
er ist im wahrsten Sinne passiv, will immer nur aufnehmen. Die normale Erledigung 
des Mammakomplexes ist in der Kindheit nur andeutungsweise versucht worden, 
um nach der Regression vollkommen verlassen zu werden. Seine masochistischen 


24) Dieser orale Pessimismus färbte auch auf die übrigen Ansichten des Patienten ab. 
Den Fragenkomplex des oralen Pessimisten hat Verfasser in einer längeren Arbeit behandelt: 
»Zur Problematik des oralen Pessimisten. Demonstriert an Ch. D. Grabbe.“ Erscheint in 
»Psychoanalytische Bewegung“. 











57 2 Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg 

Aktionen geschehen unter dem Druck des Wiederholungszwanges, um das Trauma 
der Brustentziehung psychisch zu erledigen. 

* 

Auf Grund unserer Untersuchungen des Mammakomplexes ergeben sich 
einige Gesichtspunkte, die sich auf die Probleme: A. Aktivität-Passivität 
B. Angst des Mannes vor der Frau, C. Männlicher Penisstolz beziehen. 

A. Aktivität und Passivität. 

In der psychoanalytischen Literatur werden die Begriffe aktiv-passiv in 
ganz verschiedenen, einander teilweise widersprechenden Bedeutungen ver¬ 
wendet: Das eine Mal im Sinne der von F r e u d in den „Drei Abhandlungen“ 
formulierten These, ein anderes Mal nach der grammatikalischen Bedeutung 
und endlich auch im Sinne: aktiv = mehr, passiv = weniger Libido enthal¬ 
tend. Daraus ergibt sich eine Schwierigkeit wesentlicher Art. 

Freud sagt in den „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ (Ges. Sehr., 
Bd. V, S. 95): „Trieb ist immer aktiv, auch wenn er sich ein passives Ziel 
gesetzt hat.“ In seiner letzten Arbeit „Uber die weibliche Sexualität (Int. 
Ztschr. Psa., XVII, S. 329) wird die Formulierung wiederholt: „Die Psycho¬ 
analyse lehrt uns, mit einer einzigen Libido auszukommen, die allerdings aktive 
und passive Ziele, also Befriedigungsarten, kennt.“ 

Versuchen wir diese Definition auf ein koitierendes Paar zu übertragen: 
Der Mann gibt den Samen, das Triebziel und die Triebbefriedigung wird er¬ 
reicht, wenn der Samen das Subjekt verlassen hat und in das Objekt einge¬ 
drungen ist, ist zentrifugal vom Subjekt zum Objekt. Die Frau empfängt den 
Samen des Mannes, Triebziel und Triebbefriedigung wird erreicht, wenn der 
Samen das Objekt verlassen und das Subjekt erreicht hat. Die Richtung ist 
zentripetal vom Objekt zum Subjekt. In diesem Beispiel ist der Mann aktiv, 25 
die Frau passiv. Demnach wäre Trieb mit aktivem Ziel mit dem Worte 
„gebe n“, Trieb mit passivem Ziel mit dem Worte „aufnehmen“ zu 
klassifizieren. Tatsächlich wird diese Nomenklatur nicht eingehalten. In 
„Triebe und Triebschicksale“ (Ges. Sehr., Bd. V, S. 453) sagt Freud: „Für 
das aktive Ziel: quälen, beschauen wird das passive: gequält werden, beschaut 
werden eingesetzt.“ 

25) Jekels machte 1913 in der Arbeit „Einige Bemerkungen zur Trieblehre“, Int. 
Ztschr. f. Psa., I, 1913, S. 441, die Entscheidung über die Aktivität oder Passivität eines 
Triebzieles von der Form des entsprechenden Organs abhängig. Federn („Beiträge zur 
Analyse des Sadismus und Masochismus“, Int. Ztschr. f. Psa., I, 1913) hat die „spezifische 
motorische Impulsität (Drang) des männlichen) Zeugungsgliedes“ her vor gehoben. 


- 









Der Mammakomplex des Mannes 


573 


Beim Quälen und Gequältwerden ergibt sich volle Übereinstimmung mit der 
früheren These, bei Schauen und Beschautwerden ergeben sich aber Schwierig¬ 
keiten: Beim Exhibitionismus ist Triebziel und Triebbefriedigung erreicht, 
wenn das Objekt den Anblick des Subjekts empfangen hat. Also ist die Rich¬ 
tung vom Subjekt zum Objekt verlaufend, der Exhibitionist gebend, aktiv. 
Bei Schaulust ist Triebziel und Triebbefriedigung erreicht, wenn das Subjekt 
den Anblick des Objekts empfangen hat. Also ist die Richtung vom Objekt 
zum Subjekt verlaufend, der Voyeur nehmend, passiv. 

Offenbar entsteht diese Schwierigkeit dadurch, daß das Wort aktiv und 
passiv nicht im Sinne der von Freud formulierten analytischen Bedeutung 
gebraucht, sondern nach der grammatikalischen Bedeutung verwendet wird. 

Wir schlagen vor, zur Vermeidung von Mißverständnissen diese Begriffe 
lediglich im Sinne der oben formulierten Bedeutung zu verwenden: a k t i v = 
= geben, passiv — aufnehmen, wobeider Ausgangspunkt 
die Situation: säugende Mutter — saugendes Kind ist. 
Die grammatische Verwendung der Begriffe aktiv und passiv ist irreführend, 
wie folgendes Beispiel zeigt: Das Subjekt gibt dem Objekt den Samen, also 
ist das Subjekt aktiv, doch kann derselbe Tatbestand wie folgt ausgedrückt 
werden: dem Subjekt wird der Samen entnommen. Hier wäre das Subjekt 
passiv. 

Manche Autoren verwenden aktiv und passiv in dem Sinne, daß die 
Aktivität ein „mehr“, die Passivität ein „weniger“ an Libidoquantität be¬ 
deutet. So vor allem Ferenczi, ohne es expressis verbis zu sagen, im „Ver¬ 
such einer Genitaltheorie“. Die Bezeichnung ist irreführend. Mit aktiv und 
passiv sollten lediglich die Triebziele, nicht aber die Quantität des Triebes 
charakterisiert werden. Eine andere Verwendung würde bedeuten: aktiv = 
= libidoenthaltend, passiv = ohne Libido. 

Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich bei der Verwendung von aktiv und 
passiv im Sinne von männlich und weiblich. 

Freud sagt in den „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“, Ges. Sehr., 
Bd. V, S. 95, Anmerkung i: 

„Es ist unerläßlich, sich klar zu machen, daß die Begriffe ,männlich und weib¬ 
lich*, deren Inhalt der gewöhnlichen Meinung so unzweideutig erscheint, in der 
Wissenschaft zu den verworrensten gehören und nach mindestens drei Richtungen 
zu zerlegen sind. Man gebraucht männlich und weiblich bald im Sinne von Aktivi¬ 
tät und Passivität, bald im biologischen und dann auch im soziologischen Sinne. 
Die erste dieser drei Bezeichnungen ist die wesentliche und die in der Psychologie 
zumeist verwertbare. Ihr entspricht es, wenn die Libido oben im Text als männlich 
bezeichnet wird, denn der Trieb ist immer aktiv, auch wo er sich ein passives Ziel 









574 Edmund Bergler und Ludwig Eideiberg - 

gesetzt hat. "Die zweite biologische Bedeutung von männlich und weiblich ist die 
welche die klarste Deutung zuläßt. Männlich und weiblich sind hier durch die 
Anwesenheit von Samen- resp. Eizelle und die von ihnen ausgehenden Funktionen 
charakterisiert. Die Aktivität und ihre Nebenäußerungen, stärkere Muskelent 
Wicklung, Aggression, größere Intensität der Libido, sind in der Regel mit der bio¬ 
logischen Männlichkeit verlötet, aber nicht notwendigerweise verknüpft, denn es 
gibt Tiergattungen, bei denen diese Eigenschaften vielmehr dem Weibchen zugeteilt 
sind. Die dritte soziologische Bedeutung erhält ihren Inhalt durch die Beobachtung 
der wirklich existierenden männlichen und weiblichen Individuen. Diese ergibt für 
den Menschen, daß weder im biologischen noch im psychologischen Sinne eine reine 
Männlichkeit oder Weiblichkeit gefunden wird. Jede Einzelperson weist vielmehr 
eine Vermengung ihres biologischen Geschlechtscharakters mit biologischen Zügen 
des anderen Geschlechtes und eine Vereinigung von Aktivität und Passivität auf 
sowohl insofern diese psychischen Charakterzüge von den biologischen abhängen, 
als auch insoweit sie unabhängig von ihnen sind.“ 

In der gleichen Arbeit sagt F r e u d (S. 94): 

„Ja, wüßte man den Begriffen ,männlich und weiblich' einen bestimmten Inhalt 
zu geben, so ließe sich auch die Behauptung vertreten, die Libido sei regelmäßig 
und gesetzmäßig männlicher Natur, ob sie nun beim Manne oder beim Weibe vor¬ 
komme und abgesehen von ihrem Objekt, mag dies der Mann oder das Weib sein.“ 

Wir haben vorhin auf das Beispiel des koitierenden Paares die Begriffe 
aktiv und passiv angewendet. In diesem Falle entspricht die bisherige Nomen¬ 
klatur den Tatsachen. Eine Änderung tritt aber ein, wenn wir uns einem an¬ 
deren Beispiele zuwenden: der Mutter und dem saugenden Kind. Hier ist 
Triebziel und Triebbefriedigung der Mutter erreicht, wenn ihre Milch vom 
Säugling aufgenommen wird. Die Richtung ist vom Subjekt zum Objekt ver¬ 
laufend, die Mutter ist gebend, also aktiv. Triebziel und Triebbefriedigung des 
Säuglings wird erreicht, wenn die Milch der Mutter von ihm aufgenommen 
wird, die Richtung ist vom Objekt zum Subjekt verlaufend, der Säugling 
nimmt auf, ist also in dieser Situation passiv. 

Die Überlegung, daß jeder Mann einmal auch Säugling und jede Frau 
(potentiell) auch Mutter ist, beweist, daß der Satz: aktiv ist gleich männlich, 
passiv ist gleich weiblich, nicht zutreffen kann. 26 Da die Psychoanalyse nicht 
die Psychologie des erwachsenen Menschen, sondern die des ganzen Lebens ist, 
erscheint der Vorschlag einer Korrektur der bisherigen Nomenklatur zulässig. 

In seiner letzten Arbeit „Über weibliche Sexualität“ (Int. Ztschr. f. Psa., 
XVII, S. 327) schreibt Freud: 

26 ) Siehe dazu Helene Deutsch : „Der feminine Masochismus und seine Beziehung 
zur Frigidität.“ Int. Ztschr. f. Psa., XVI, 1930, S. 182: „Kein analytischer Beobachter 
kann leugnen, daß im Mutter-Kind-Verhältnis, begonnen in der Schwangerschaft, fortgesetzt 
im Geburtsakt und in der Laktation, libidinöse Kräfte im Spiel sind, die dem Verhältnis 
Mann-Weib ganz nahe verwandt sind.“ 










_ Der Mamm akomplex des Mannes 575 

„Die Bevorzugung des Spiels mit der Puppe beim Mädchen im Gegensatz zum 
Knaben wird gewöhnlich als Zeichen der früh erwachten Weiblichkeit aufgefaßt. 
Nicht mit Unrecht, allein man soll nicht übersehen, daß es die Aktivität der Weib¬ 
lichkeit ist, die sich hier äußert, und daß diese Vorliebe des Mädchens wahrschein¬ 
lich die Ausschließlichkeit der Bindung an die Mutter bei voller Vernachlässigung 
des Vaterobjektes bezeigt.“ 

Dieser Hinweis gestattet, die Konsequenzen der vorgeschlagenen 
Nomenklatur zu verfolgen. SieliegeninderpräödipalenPha se 
des Mädchens und des Knaben, also in der Zeit der 
Mutterbindung und ihrerFolgen. Wir erkennen, daßdie 
Identifizierung mit der präödipalen Mutter (p h a 1 li¬ 
sch e n Mutter) zur aktiven Betätigung führt. 

Zusammenfassend meinen wir: Trieb mit aktivem Ziel = ge¬ 
ben, Trieb mit passivem Ziel = aufnehmen. 

B. Die Angst vor der Frau. 

In der analytischen Literatur ist die Angst des Neurotikers vor der Frau 
auf Grund von zahlreichen Analysen beschrieben worden. Versuchen wir nun, 
die bisherigen Ergebnisse schematisch zur leichteren Übersicht zu ordnen: Die 
Angst vor der Frau tritt bei allen möglichen Neurosen auf, ist einmal dem 
Patienten schon vor Beginn der Behandlung bewußt oder wird — was häufiger 
ist — Laufe der Behandlung bewußt gemacht. Diese Angst wird unbewußt 
in Zusammenhang mit der Vagina gebracht. Dort, wo die Angst bewußt ist, 
wird sie manchmal mit realen Gefahren, wie Geschlechtskrankheiten, Schwän¬ 
gerung der Frau usw., begründet. Die Analyse zeigt aber, daß hinter diesen 
realen Gründen regelmäßig irreale, unbewußte Gründe vorhanden sind, welche 
die Intensität dieser Angst und ihre Unkorrigierbarkeit, es sei denn durch 
Analyse, bedingen. Diese Gründe sind nur genetisch zu verstehen, sie stammen 
aus den ersten Lebensjahren des Patienten. Damals waren sie real, sie wurden 
aus dem Bewußtsein verdrängt, der Kritik und der Beeinflussung durch das 
Ich entzogen. Gelingt es in der Analyse, sie bewußt zu machen und lange Zeit 
durchzuarbeiten, so verlieren sie ihre angsterregende Wirkung. 

Das Vorhandensein der Vagina ist dem Knaben zunächst unbekannt, ihre 
Entdeckung bedeutet, sobald sie zur Kenntnis genommen wird, immer eine 
peinlich-angstvolle Überraschung. „Damit ist auch der eigene Penisverlust 
vorstellbar geworden, die Kastrationsdrohung gelangt nachträglich zur Wir¬ 
kung/* (Freud, Ges. Sehr., Bd. V, S. 425.) 

Die Gruppierung der Angst vor der Vagina erfolgt am besten im Zu- 











57* 


Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg 


sammenhang mit den Entwicklungsphasen: In der phallischen Phase fürchtet 
das männliche Kind den Verlust seines Penis, die Vagina wirkt als kastriertes 
Organ, als Mahnung und Zeichen der vollzogenen Strafe. Die Intensität dieser 
Wirkung wird erklärt durch die Tatsache, daß das Kind in diesem Zeitpunkte 
bereits eine Reihe von ähnlichen Strafen an seinem eigenen Körper hat er¬ 
dulden müssen, auf der analen Stufe die Abtrennung des Darminhaltes, auf 
der oralen die Brustentziehung, möglicherweise wirkt auf der embryonalen im 
gleichen Sinne die Ausstoßung aus dem Mutterleib und die Durchtrennung der 
Nabelschnur. So bedeutet die Vagina, auf die anale Stufe bezogen, wieder ein 
kastriertes (seines Darminhaltes beraubtes) Organ, auf der oralen Stufe da¬ 
gegen den Mund, dem die Brust entzogen wurde , 27 auf der embryonalen hypo¬ 
thetischerweise die Mutter, die das Kind ausgestoßen hat. 

Die Vagina ist aber nicht nur ein kastriertes, sondern auch kastrierendes 
Organ. Die Loslösung vom Mutterleib war mit unangenehmen Sensationen ver¬ 
knüpft, der eigene Mastdarm hat zögernd und ungerne seinen Inhalt preis¬ 
gegeben, der Mund wollte auf die Brust nicht verzichten; der rohen Gewalt 
mußte das Kind weichen, aber die Feindseligkeit und der Wunsch auf Wieder¬ 
herstellung ist geblieben. 

Schematisch dargestellt ergäbe dies folgende Bedeutungen der Vagina für 
das Unbewußte des Knaben: 

Phallische Stufe: Kastriertes Organ: Das Fehlen des Penis wirkt als Zei¬ 
chen und Beweis für die Realität der 
Kastrationsdrohung. 

Kastrierendes Organ: An Stelle des fehlenden Penis wird 
die Vagina den eigenen Penis rauben. 

Anale Stufe: Kastriertes Organ: Unbewußte Erinnerung an den eige¬ 

nen des Darminhaltes beraubten 
Anus. 

Kastrierendes Organ: Unbewußte Erinnerung an die eigene 
Aggression bei der Abwehr der Ab¬ 
trennung des Darminhalts. 

Orale Stufe: Kastriertes Organ: Erinnerung an den eigenen 

Mund, dem die Brust ent¬ 
zogen wurde. 

27) In F e r e n c 2 i s „Versuch einer Genitaltheorie“ wird die Vermutung ausgesprochen, 
daß das strenge Verbot der Juden, „Fleischiges“ und „Milchiges“ gleichzeitig zu essen, nur 
eine Einrichtung sei, die die Entwöhnung sichern soll. (S. 30.) 










Der Mammakomplex des Mannes 577 

Kastrierendes Organ: Erinnerung an die Aggres¬ 
sion des Mundes vor und 
während der Entwöh- 
n u n g . 28 

Diese Gefahren würden wohl ausreichen, um eine endgültige Abwendung 
von der Vagina zu erzielen, wenn im Patienten selbst nicht eine Tendenz 
wäre, die ihn immer wieder in Berührung mit der Gefahr bringen würde. 
Diese Tendenz, bezw. dieser Trieb hat auf der genitalen Stufe ein aktives 
Triebziel: Eindringen des Penis und Ausstoßung des Samens in die Körper¬ 
höhle der Frau. Auf der analen und oralen Stufe ist das Triebziel vorwiegend 
passiv: Aufnahme der Kotstange und der Mutterbrust. 

Für eine Reihe von Menschen gibt es in dieser Situation nur einen Ausweg, 
das ist die Flucht in die Neurose. Sie setzt die Patienten in die Lage, mit rela¬ 
tiv wenig Angst weiterzuleben, allerdings muß dafür ein hoher Preis bezahlt 
werden, der sich im Verzicht auf die Genüsse der Realität äußert. 

Es ist ein Problem, wie der Gesunde den oben geschilderten Gefahrsitua¬ 
tionen begegnet, die sich zwangsläufig im Laufe der Entwicklung ergeben, ohne 
die Flucht in die Neurose zu ergreifen. Der Gesunde kann ohne Angst an die 
Befriedigung seines Triebes schreiten. Er kann es tun, weil er zum Unter¬ 
schiede vom Neurotiker alle Entwicklungsstufen passiert hat, ohne daß Fixie¬ 
rungen oder Regressionen stattgefunden haben. Deshalb sind die überwun¬ 
denen Gefahrsituationen nur in quantitativ schwachem Ausmaße vorhanden. 
Wenn diese Behauptung stimmt, müßten wir auch beim Gesunden eine aller¬ 
dings schwächere Angst vor der Frau finden. Karen H o r n e y, die als erste 
in der analytischen Literatur das Problem auf gezeigt hat, zitiert Groddeck 
(„Natürlich hat der Mann Angst vor der Frau“), und meint, daß es eigentlich 
merkwürdig ist, daß diese Angst so wenig erkannt und beachtet wurde. In 
ihrer Arbeit „Die Angst vor der Frau“ sucht sie zunächst das Vorhandensein 
dieser Angst zu beweisen. Sie findet sie in der Kunst, in der Wissenschaft, in 
der Kultur und Religion und schließlich auch in allen Analysen ihrer männ¬ 
lichen Patienten. Wir stimmen bezüglich der Tatsache der Angst vor der Frau 
mit H o r n e y überein und sind der Ansicht, daß das vorgebrachte Material 

28) Wollte man bis auf die embryonale Stufe zurückgehen, ergäbe dies folgende Ergän¬ 
zung der unbewußten Bedeutung der Vagina: 

Embryonale Stufe: Kastriertes Organ: Unbewußte Erinnerung an die Mutter, die das 

Kind ausgestoßen hat. 

Kastrierendes Organ: Erinnerung an die unlustvollen Sensationen wäh¬ 
rend der Geburt. 


Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XIX—4 


37 











5 78 Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg 

noch einer eingehenden Erweiterung bedarf. Dagegen können wir uns den 
zweiten Teil der Arbeit, in dem die Erklärung dieser Tatbestände versucht 
wird, nicht zu eigen machen. Die dort angegebene Formulierung: „Die ur¬ 
sprüngliche Angst des Mannes vor dem Weibe ist keine Kastrationsangst, son¬ 
dern eine Reaktion auf die Bedrohung seines Selbstgefühls“, erscheint uns 
vom analytischen Gesichtspunkte nicht haltbar. Selbstverständlich finden wir 
in unseren Analysen Angstinhalte, wie sie H o r n e y aufzeigt („Der Knabe 
dagegen, der fühlt oder instinktiv abschätzt, daß sein Penis viel zu klein ist 
für das mütterliche Genitale, reagiert mit Angst, nicht zu genügen, abgewiesen, 
ausgelacht zu werden“), doch glauben wir nicht, daß dies die letzten entschei¬ 
denden Gründe seines Verhaltens sein können. Wir meinen, daß diese zum 
Teil im Kastrationskomplex, zum Teil im Mammakomplex zu finden sind. 
Wir sind der Ansicht, daß die Angst vor der Frau beim Gesunden dieselben 
Gründe hat wie beim Neurotiker , 29 daß sie aber quantitativ geringer ist und 

29) C. D. Daly bringt in seiner ausgezeichneten Arbeit: „Hindu-Mythologie und 
Kastrationskomplex“ eine Reihe interessanter Beobachtungen. Es ergeben sich Zweifel an 
der Behauptung D a 1 y s, daß die Charakterzüge der Hindu fast ausschließlich dem analen 
Reaktionstypus angehören. Gerade auf Grund seiner Arbeit kann vermutet werden, daß 
die orale Komponente mindestens genau so wichtig ist. Eine Reihe von Gebräuchen be¬ 
weisen, daß die Hindus von einem sehr heftigen, unbewußten Haß gegen die Frau 
beherrscht werden: ,,a) Mädchenmord; b) Sati. Die Sitte, nach welcher die Weiber 
der Hindu sich selbst auf dem Begräbnishaufen ihrer Männer opfern müssen; 
c) J o h u r. Eine Sitte, nach der die Hindu bei Kriegen der Stämme untereinander eher 
ihre Weiber selbst opfern, als sie Gefahr laufen zu lassen, durch den Feind befleckt zu 
werden.“ (S. 9.) Die andere Seite dieses Hasses ist die große Verehrung der Kuh als 
eines heiligen Tieres, das nicht getötet werden darf, und der Göttin des Schreckens 
und der Zerstörung Kali. Es handelt sich hier um eine Muttergottheit, die, nach einer in 
„Totem und Tabu“ geäußerten Vermutung Freuds, vielleicht allgemein den Vatergott¬ 
heiten vorangegangen ist. Man könnte die Vermutung vertreten, daß dieser große Haß und 
die Angst vor der Frau ähnlich dem Haß und der Angst unserer Patienten aufgebaut sind, 
also in Zusammenhang mit der oralen Stufe zu bringen wären. Folgende Stellen der Arbeit 
D a 1 y s sprechen für diese Vermutung. Im Mythos vom Knaben Vicha-Rasarman 
heißt es: „Der Knabe gießt Milch auf das Symbol des S i w a.“ Vielleicht dürfen wir dies als 
Bestätigung ansehen für die Übertragung früherer Libidobefriedigung von der Brustwarze 
zum Penis... „Die Ohren können so entweder den Anus oder die Vagina symbolisieren 
im Sinne der Verschiebung von unten nach oben, obwohl der Mund noch öfters Symbol der 
Vagina ist.“ (S. 33)... „In der hinduistischen Mythologie wird das Kuheuter oft als Leben 
enthaltend dargestellt, das sich a) auf die assoziative Verbindung zwischen Milch, Samen 
und Urin bezieht, b) auf die Tatsache, daß beide einem hervortretenden Körperteil ent¬ 
springen, c) auf die Kuh als Symbol der Frau mit dem Penis, d) auf die natürliche Asso¬ 
ziation von Euter und Brustwarze.“ (S. 35.) 

Vielleicht kann man in diesem Zusammenhang ganz allgemein auf die lebensverneinende 
und die Triebunterdrückung erstrebende Einstellung der Hindu hinweisen. Die Neigung zum 
Hungerstreik, wie sie in letzter Zeit als Waffe gegen den Fremden bei Vertretern dieses 









r 


I 


Der Mammakomplex des Mannes 579 

den befriedigenden Koitus nicht verhindert. Die Angst ist geringer, weil die 
Libido des Gesunden die Entwicklungsstufen ohne größere Fixierungen 
passiert hat und weil keine Regressionen stattgefunden haben. Doch wird 
diese geringe Angst nicht ohne weiteres vom Gesunden überwunden. Da wir 
über kein entsprechendes Material (Analysen Gesunder) verfügen, können wir 
auf dieses Problem nur hinweisen. Die Beobachtungen an nicht analysierten 
Gesunden gestatten die Vermutung, daß auch hier Angst vor der Frau vor¬ 
handen ist und daß erst der gelungene Koitus, offenbar dadurch, daß damit 
die gefürchtete Situation aufgesucht und ohne Schaden verlassen wurde, diese 
Angst lost. F e r e n c z i (Versuch einer Genitaltheorie, S. 43) sagt: 

„ ... man könnte meinen, daß der Geschlechtsakt als Tendenz zur vollen Los¬ 
lösung des Genitales, also als eine Art Selbstkastrationsakt beginnt, dann aber 
sich mit der Loslösung des Sekretes begnügt. <c 

Der gesunde Mann hat die genitale Stufe erreicht, hier bedeutet Vagina 
nur ein Organ, das seinen Samen aufnimmt. Im Koitus gelingt es endlich dem 
Mann, in der Identifizierung mit der phallischen Mutter, durch aktive Re¬ 
produktion des passiv Erlebten das Entwöhnungstrauma psychisch zu be¬ 
wältigen, wobei er die Frau zum Kinde macht. Durch Verzicht auf den 
Samen hat er sozusagen den Penis gerettet. Hier hat der vom Todestrieb 
stammende Anteil des Triebgemisches bereits eine so weitgehende Änderung 
erfahren, daß seine Befriedigung ohne Gefahr für das Individuum stattfinden 
kann. Nur der Neurotiker glaubt, daß der Samenverlust schädlich ist, weil 
er an der Identität von Penis und Samen festhält. 

C. Der Penisstolz des Knaben. 

Die psychoanalytische Auffassung des Penisstolzes beim Knaben besagt, 
daß der Knabe narzißtisch seinen Penis mit Libido besetzt und mit Verachtung 
auf die penislosen, das heißt kastrierten Mädchen herabsieht, wobei im Penis¬ 
stolz die Elemente der Abwehr der Kastrationsangst mitenthalten sind. 
Freud (Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechtsunterschieds. 
Ges. Sehr., Bd. XI, S. 12) formuliert: 

„Ein interessanter Gegensatz im Verhalten beider Geschlechter: Im analogen 
Falle, wenn der kleine Knabe die Genitalgegend des Mädchens zuerst erblickt, be- 

Volkes beobachtet werden konnte, scheint ebenfalls dazuzugehören. Die Einrichtung des 
emtruationstabus, das nach Ansicht von D a 1 y, mit der wir übereinstimmen, durch den 
Mann aufgerichtet und der Frau aufgezwungen wurde, scheint uns der Ausdruck des Hasses 
und der Angst zu sein, die der oralen Stufe angehören. 

Wir erinnern an die Stelle im täglichen Morgengebet der Juden, in dem der Gläubige 
seinem Schöpfer dafür dankt, daß er ihn nicht als Frau geschaffen hat. 

37* 


- 












j8o Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg 

nimmt er sich unschlüssig, zunächst wenig interessiert; er sieht nichts oder er ver¬ 
leugnet seine Wahrnehmung, schwächt sie ab, sucht nach Auskünften, um sie mit 
seiner Erwartung in Einklang zu bringen. Erst später, wenn eine Kastrations¬ 
drohung auf ihn Einfluß genommen hat, wird diese Beobachtung für ihn bedeutungs¬ 
voll werden; ihre Erinnerung oder Erneuerung regt einen fürchterlichen Affekt¬ 
sturm in ihm an und unterwirft ihn dem Glauben an die Wirksamkeit der bisher 
verlachten Androhung. Zwei Reaktionen werden aus diesem Zusammentreffen her¬ 
vorgehen, die sich fixieren können und dann jede einzelne oder zusammen mit 
anderen Momenten sein Verhältnis zum Weibe dauernd bestimmen werden: Abscheu 
vor dem verstümmelten Geschöpf oder triumphierende Geringschätzung desselben.“ 

Nun meinen wir, daß der Penisstolz, den man bei jedem Mann kon¬ 
statieren kann, selbst schon sekundär und kompensatori¬ 
scher Natur ist: der erste Penis, der dem Knaben geraubt wurde, war 
die Mutterbrust. Der Knabe entdeckt im eigenen Penis 
einen Ersatz für die Mutterbrust und wiederholt nun 
aktiv, was er an der Mutterbrust passiv erlebte. Die 
Ursache dieser Wiederholung ist der unbewußte Wiederholungszwang zum 
Zwecke der psychischen Bewältigung des Entwöhnungstraumas. Die Frage, 
ob diese Überleitung erfolgt oder unterbleibt, ob also der Penis als vollwertiger 
Ersatz der Mutterbrust akzeptiert wird, ist von weitesttragender Bedeutung. 30 

Die Lust am Urinstrahl, das Demonstrieren und Betasten des Penis, all 
das, was sich im erweiterten Sinne um den Penisstolz gruppiert, ist letzten 
Endes für den Knaben die Bestätigung der Tatsache: Ich habe die 
Mutterbrust (= mütterlicher Phallus) nicht verloren, 
habe im Penis selbst eine. 31 Die Abwehr des penislosen Weibes 
ist somit nicht nur Abwehr der Kastrationsangst des Knaben auf der phalli- 
schen Stufe, sie erhält die entscheidenden Elemente vom Mammakomplex. Es 
wäre zu untersuchen, ob nicht vieles von dem, was in der analytischen 
Literatur unter der Marke „Sich nicht-abfinden-können mit der Penislosigkeit 
der Frau“ figuriert, zutiefst auf den Mammakomplex zurückgeht. Dabei 
meinen wir nicht ein vages „Gefärbtsein“ (F e n i c h e 1 ) im historischen Sinne 
— wie etwa die für uns heute bedeutungslose Tatsache, daß vor den Flabs¬ 
burgern die Babenberger regierten —, sondern vertreten die Ansicht, daß 

30) Nach Abschluß dieser Arbeit finden wir in der vor kurzem erschienenen „Neuen 
Folge der Vorlesungen“ Freuds folgende Stelle, die wir als Beleg für unsere Annahme 
verwenden zu dürfen glauben: „Ein großes Stück Analerotik wird so in Penisbesetzung 
übergeführt, aber das Interesse an diesem Körperteil hat außer der analerotischen eine 
vielleicht noch mächtigere orale Wurzel, denn nach der Einstellung des Saugens erbt er 
Penis auch von der Brustwarze des mütterlichen Organs.“ (S. 139.) 

31) Man könnte auch sagen: Im Penisstolz des Knaben sind Elemente der Verleugnu g 
des Mammaverlustes enthalten. 










Der Mammakomplex des Mannes 


S«x 


da s Erledigen des Mammakomplexes auf dem oben geschil¬ 
derten Wege die erste Voraussetzung psychischer Ge¬ 
sundheit für den Mann darstellt. Denkt man diesen Ge¬ 
danken durch, so gelangt man zum Resultat, daß die Stärke der Kastrations¬ 
angst zu wichtigen Teilen auch von der präödipalen Mutterbindung abhängt, 
respektive von der Tatsache, ob der Penis als voller Ersatz der Mamma 
(mütterlicher Penis) akzeptiert wurde oder nicht. 

Der Penisneid des Mädchens entstünde nach dieser Auffassung dadurch, 
daß das kleine Mädchen am eigenen Körper keinen Penis als Mammaersatz 
vorfindet, respektive nur eine „verstümmelte“ Klitoris. Es wäre eine müßige 
Doktorfrage, wie sich der Penisneid des Mädchens entwickeln würde, wenn 
es die vollausgebildeten Brüste nicht erst im Pubertätsalter 
bekäme. 

Es ist interessant, daß Karen H o r n e y, die seit zehn Jahren gegen das 
Primat des Penis für den weiblichen Kastrationskomplex ankämpft, die ent¬ 
scheidende Wichtigkeit des Mammakomplexes entgangen ist und daß die 
Autorin höchst unbestimmt vom Neid des Knaben auf die Frau spricht und 
offenbar annimmt, daß der Knabe der Frau alles, aber auch alles neide. Das 
Hauptargument Horneys besteht darin, daß ein bewußtseinsnaher Penis¬ 
neid beim Mädchen dazu dient, den verdrängten Ödipuskomplex abzuwehren. 
Freud hat den präödipalen Penisneid beschrieben, der rein narzißtisch 
ist und den weiblichen Ödipuskomplex erst einleitet und ermöglicht, während 
Horney die Verwendung des Penisneides im Dienste der Abwehr meint. 
Unsere Annahme bezieht sich auf die Vorgeschichte des präödipalen Penis¬ 
neides. 

Vom Standpunkt des Mammakomplexes aus gesehen, erhält der Ausspruch 
Freuds, „Er (der Knabe) benimmt sich, als ob ihm vorschwebte, daß dieses 
Glied größer sein könnte und sollte“, eine weitere Fundierung: es handelt sich 
um den Vergleich des Penis des Knaben mit der als Riesenpenis empfundenen 
Mutterbrust. Es ist auch klar, weshalb in Phantasien, Träumen und neuroti¬ 
schen Ängsten so häufig die Frau mit dem Penis (als phallische Mutter) und 
als Kastratorin erscheint und immer wieder zutiefst die Mutter für den 
Penismangel, respektive die Kleinheit des Penis verantwortlich gemacht wird. 
Daraus ergibt sich auch, weshalb der Haß der am Mammakomplex Fixierten 
in tiefster Schicht immer wieder der Mutter gilt: sie hat durch die Brust¬ 
entziehung kastriert, das heißt „enttäuscht“. Deshalb fällt auch die ganze 
Entwicklung des Ödipuskomplexes viel schwächer aus: die „Restanzen“ aus 
dem Mammakomplex lassen den Ödipuskomplex sich nicht voll entfalten. 








582 


Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg 


Zusammenfassung. 

1. Für die Gesamtheit der Reaktionen, die als Folge der Brüstentwöhnuno i n 
der Psyche entstehen, wird die Bezeichnung „Mammakomplex“ vorgeschlao-en 

2. Bei einer Gruppe von Patienten (es werden in dieser Arbeit lediglich 
Männer untersucht) ist der Mammakomplex quantitativ stärker ausgebildet 
Diese Patienten zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus: 

a) Intensiver Haß gegen die Mutter. 

b) Orale Charakterzüge (z. B. Gier nach Essen, Lutschen, Saugen, Beißen 
Trinken, respektive Reaktionen und Kompensationen) mit hypothetischer 
oraler Triebkonstitution. 

c) Der Haß gegen den Vater fällt quantitativ schwächer aus. 

d) Das Interesse für die Brust ist verdrängt. 

e) Erhöhter sekundärer Narzißmus. 

f) Erhöhte Neigung zur Identifizierung. 

3. Besprechung der Folgen der Brustentziehung. Aufstellung der Theorie, 
derzufolge das männliche Kind im eigenen Penis einen Ersatz für die ver¬ 
mißte Mutterbrust findet und als Wiederholungszwang wie im kindlichen 
Spiel aktiv wiederholt, was es passiv erlebt hat. An Stelle der passiven Auf¬ 
nahme der Muttermilch ist das Kind durch die psychische Besitzergreifung 
des Penis zum aktiven Spender von Urin (Urin = Milch) geworden; der 
Zweck dieser Wiederholung ist das psychische Bewältigen des Entwöhnungs¬ 
traumas und Aufrechterhalten der gefährdeten kindlichen Allmacht. 

4. „Untergang“ des Mammakomplexes: Normalerweise muß der Penis 
vom Unbewußten als Penis perzipiert werden, wenn er auch psychologisch¬ 
genetisch die Mutterbrust darstellt. Bei den am Mammakomplex fixierten oder 
zu ihm regredierten Männern behält der Penis die Bedeutung der Brust und 
begnügt sich nicht mit der psychologisch-genetischen Bedeutung, oder wird 
durch ein Symptom ersetzt, oder das Festhalten an der phallischen Mutter¬ 
brust äußert sich in einer Perversion. Die Vagina muß normalerweise ein Auf¬ 
nahmeorgan für Glied und Samen sein, wenn sie auch psychologisch-genetisch 
den Mund darstellt. Bei den am Mammakomplex fixierten oder zu ihm 
regredierenden Männern wird die Vagina nicht nur in psychologisch- 
genetischer Hinsicht als Mund aufgefaßt, sondern wirklich als Mund, der un¬ 
bewußt an die eigenen aggressiven Impulse gegen die Mutterbrust erinnert 
(wobei die daraus resultierende Angst entweder bewußt ist oder hinter einem 
scheinbaren Desinteressement verborgen bleibt), oder die Vagina birgt einen 
supponierten weiblichen Penis. 








Der Mammakomplex des Mannes 


58 3 


5. Kritik der bisherigen Verwendung der Begriffe „Aktiv-Passiv“ und Vor¬ 
schlag einer exakten Definition im Sinne: aktiv = geben, passiv = aufnehmen. 

6 . Die Angst vor der Frau wird unter anderem auf das Trauma der Brust¬ 
entwöhnung zurückgeführt. 

7. Auf zeigen der sekundär-kompensatorischen Momente beim Penisstolz des 
Knaben und Zurückführen derselben auf den Mammakomplex. 

8. Darstellung dreier Krankengeschichten als Paradigmen, in welchen ein 
Typus von Homosexualität und ein Typus des Schreibkrampfes auf den 
Mammakomplex zurückgeführt werden (unter besonderer Berücksichtigung 
der oralen Komponente des Bettnässertums), an einem dritten Falle von 
Pseudodebilität wird der Mammakomplex als pathognomisch für die Pseudo¬ 
debilität angenommen. — Der therapeutische Effekt trat in allen drei Fällen 
erst nach Durcharbeitung des Mammakomplexes ein. 











Ober d en Kysterisdien Anfall 

Von 

M. Wulff 

TeI=Aviv 


Die Bewegungssprache . 

Über den psychologischen Inhalt der hysterischen Anfälle hat uns Freud 
schon vor Jahren Aufklärung gegeben. Er hat bewiesen, daß diese Anfälle 
„nichts anderes sind, als ins Motorische übersetzte, auf die Motilität proji¬ 
zierte, pantomimisch dargestellte Phantasien“. 1 Bei der Analyse solcher An¬ 
fälle kann man leicht feststellen, daß neben den Phantasien nicht selten auch 
wirkliche, wenn auch oft phantastisch ausgeschmückte Erlebnisse im Anfall 
motorisch zum Ausdruck kommen, wiederholt und agiert werden. Dafür 
spricht nicht nur das allerdings dem Inhalt nach ziemlich unzuverlässige, 
aber dem subjektiven Gefühl nach oft durchaus sichere Erinnern und Erkennen 
des im Anfall Erlebten durch den Patienten, wenn man den Vorgang des An¬ 
falls deutet und analysiert, sondern auch die Tatsache, daß die Patienten 
während der Deutungsarbeit und auch später sich an viele weitere, im Anfall 
nicht wiederholte oder nicht angedeutete Details des Milieus, der Kleidung 
usw. erinnern können. Manchmal können nach einem Anfall ganze Perioden 
im Leben des Kranken, die bis dahin der Amnesie verfallen waren und im 
Anfall zuerst aufgerollt oder berührt wurden, schon im normalen Zustand 
mit einer erstaunlichen Genauigkeit, Klarheit und Deutlichkeit in der Erin¬ 
nerung wieder auftauchen. Übrigens ist auch Kräpelin der Ansicht, daß 
es „vielfach wirkliche Vorkommnisse sind, die sich mit allen Einzelheiten in 
der Einbildung des Kranken wiederholen“. Damit ist aber noch nicht das 
Phänomen selbst erklärt, weder das für den Anfall typische motorische Dar¬ 
stellen, noch die pantomimische Art der Darstellung. 

i) S. Freud: Allgemeines über den hysterischen Anfall. Ges. Sehr., Bd. V, S. 255. 







Über den hysterischen Anfall 585 

Eine in psychoanalytischer Behandlung stehende Patientin (A) teilt mir mit, daß 
sie vor Jahren während einer hypnotischen Behandlung eigenartige Zustände be¬ 
kommen hatte , 2 in denen sie Bestimmtes erlebte, merkwürdige Bewegungen dabei 
ausführte, nachher aber nichts von dem Erlebten wußte. Eines Tages, während der 
analytischen Stunde, hört sie plötzlich auf zu reden, bleibt eine kurze Zeit ganz 
ruhig und unbeweglich liegen; ihre Augen schließen sich, sie schläft scheinbar ein 
und — nach einigen Minuten — bekommt sie einen Anfall, in dem sie in charakte¬ 
ristischer Weise pantomimisch ein Erlebnis vorführt. Dem folgte eine lange Reihe 
von ähnlichen Anfällen, die täglich in der Stunde auftraten. Die weitere Analyse 
bestand im Bewußtmachen des Inhaltes dieser Anfälle. Das geschah zu Anfang so, 
daß ich mir jede Bewegung, Geste, Äußerung der Patientin nach Möglichkeit merkte 
und notierte und sofort nach dem Erwachen ihr das Beobachtete schilderte, und 
sie veranlaßte, mit Hilfe von Einfällen zu deuten und zu erklären, was sie wohl 
dabei erlebt haben könnte. Anfangs gelang es ihr nur mit schwerer Mühe. Sie 
mußte dabei selbst alle Bewegungen und Gesten ausführen und manchmal dieselbe 
Bewegung mehrere Male wiederholen, bis ihr Sinn und Inhalt auftauchten. Dabei 
stellte sich heraus, daß die einmal in Gang gesetzte Teilbewegung einer kompli¬ 
zierten Handlung von der Patientin nicht mehr aufgehalten werden konnte, son¬ 
dern aufs genaueste wiederholt werden mußte und selbst der Versuch unmöglich 
war, mit Absicht die Bewegung irgendwie willkürlich zu beeinflussen, sie im Sinne 
einer vermuteten Deutung oder sonst zu ändern. Die Bewegungen behielten diesen 
zwanghaften Charakter, solange der Sinn und die richtige Deutung von der Pa¬ 
tientin nicht erfaßt waren. Erst nach der richtigen Deutung fiel das Zwanghafte in 
den Bewegungen weg. Diese Fähigkeit, die Bewegung bei Erhaltung des Bewußt¬ 
seins zu wiederholen und zu deuten, hatte die Patientin aber nur gleich nach dem 
Erwachen. Dann schwand die Fähigkeit schnell, zusammen mit der Erinnerung an 
den Anfall, wenn dieser nicht analysiert wurde. 

Im weiteren Verlauf der Behandlung änderte sich allmählich das Bild. Schon 
nach einigen analytischen Sitzungen begann die Patientin während des Agie¬ 
re ns auch zu sprechen, die pantomimische Vorstellung verwandelte sich allmäh¬ 
lich in eine dramatische und zu gleicher Zeit verlor die Bewußtseinstrübung immer 
mehr an Tiefe; Patientin wachte schon bei leichten Geräuschen auf, schlief aber 
gleich wieder ein. Es hat sich also gezeigt, daß die Bewußtseinsveränderung um so 
tiefer ist, je mehr bloße Bewegungen ohne Sprache in den Vordergrund treten. 
Außerdem waren die ausgeführten Gesten und Bewegungen nicht nur Wieder¬ 
holungen von schon früher einmal ausgeführten Handlungen, sondern sie wurden 
eine richtige symbolische Gestensprache, in der auch Gegenstände und Ereignisse 
geschildert werden konnten. So führte die Patientin z. B. in einem Anfall wieder¬ 
holt sonderbare Bewegungen mit beiden Händen aus, als ob sie einen runden Ge¬ 
genstand umfassen und ihn in die Länge ziehen wollte. Die Deutung dieser Bewe¬ 
gung machte zuerst große Schwierigkeiten, und gelang erst, nachdem der Patientin 


2) Es stellte sich nachher heraus, daß diese Angabe ergänzungsbedürftig war, indem 
nämlich Patientin schon im Alter von 8 bis 10 Jahren hypnoide Zustände mit Bewußtseins¬ 
trübung gehabt hat. 












p 


586 M. Wulff 


eine Zeichnung einfiel, die sie seit Jahren immer zwanghaft zu machen pflegte 
wenn sie allein im Zimmer war und Papier und Bleistift in die Hand bekam. Sie 
skizzierte sofort die Zeichnung und dann fiel ihr auch der Sinn des Gezeichneten 
ein und zugleich auch der Sinn der Handbewegungen im Anfall. In diesem Anfall 
handelte es sich um ein (wirkliches oder teilweise phantasiertes?) Erlebnis in einem 
Pferdestall. Patientin, damals 4 bis 5 Jahre alt, beobachtete ganz dn der Nähe das 
Urinieren eines Hengstes und war dabei von der Größe seiner Hoden und seines 
Penis überrascht. Die Bewegung der Hände im Anfall ebenso wie die Zeichnung 
stellten die Genitalien des Hengstes dar. (Siehe nachstehende Zeichnung.) 




Ein anderes Mal kündigte sich z. B. das Auftauchem einer Erinnerung an einen 
Frosch im Anfall durch eine zwanghaft angenommene sonderbare Stellung der 
Hand an, die in einer merkwürdig charakteristischen Weise die Froschpfote nach¬ 
ahmte. Nach dem Anfall aber konnte Patientin mit aller Mühe die eigenartige Stel¬ 
lung der Hand nicht wieder hersteilen. 

Mit welcher mathematischen Genauigkeit die Bewegungen dabei wieder¬ 
holt werden, soll der folgende Fall zeigen: 

Eine andere Patientin (B) legte sich im hysterischen Anfall im „anderen“ Bw- 
Zustand auf den Bauch und führte mit der rechten Hand Bewegungen aus, als ob sie 
schreiben würde. Ich lege ihr ein Blatt Papier vor, sie nimmt es aber sichtlich nicht 
wahr. Ich muß die Hand direkt auf das Papier hinlegen, dann schreibt sie richtig 
eine Zeile nach der anderen, bis das Blatt zu Ende geschrieben war, fährt aber mit 
den Schreibbewegungen weiter fort. Ich muß das Blatt schnell umwenden und ihre 
Hand wieder auf das Papier legen — dann schreibt sie wieder richtig. Aus dem 
Inhalt des Geschriebenen war zu ersehen, daß inzwischen einige Worte ausgefallen 
waren, es war eine Lücke im Zusammenhang entstanden, während ich das Papier 















Über den hysterischen Anfall 


587 


umgewendet hatte. So schrieb sie eine Zeitlang Tag für Tag und stellte auf diese 
Weise ein vor Jahren geschriebenes Tagebuch wieder her. Leider ist das Original 
inzwischen verlorengegangen, so daß der Vergleich unmöglich war. Die Hand¬ 
schrift war dabei die gewöhnliche Handschrift eines erwachsenen intelligenten 
Mädchens. Aber eines Tages gab sie im Tagebuch, in einem Zusammenhang mit 
den damaligen Ereignissen, einen Brief wieder, den sie noch als Kind von fünf 
Jahren geschrieben hatte. Im Augenblick veränderte sich die Handschrift, wurde 
unbeholfen, die Buchstaben groß und mit sichtbarer Mühe ausgeführt, wie bei 
einem kleinen Kinde, das eben zu schreiben anfängt. 

Wie man sieht, ist es eine wirkliche „Bewegungssprache“, in der die panto¬ 
mimische Darstellung im hysterischen Anfall ausgeführt wird. Anderseits liegt 
es nahe, diese pantomimischen Aufführungen mit dem uns aus der Psycho¬ 
analyse wohlbekannten „Agieren statt Erinnern“ zu vergleichen, ja beides 
als dasselbe anzusehen. Der hysterische Anfall ist somit ein extremer Fall 
eines solchen Agierens. Aber nicht in jedem Fall von „Agieren statt Erinnern“ 
muß es zu der extremen Form des hysterischen Anfalls mit Bewußtseinsverlust 
oder -trübung kommen, es kann sich — wie wir aus der Analyse wissen — 
auf Handlungen bei vollem Bewußtsein beschränken, die aus unbewußten 
Motiven geschehen und dann rationalisiert oder aber vom Bewußtsein igno¬ 
riert werden. Daß ein ähnlicher Vorgang sogar tief ins normale Seelenleben 
Vordringen und in Form von Symbol- oder Fehlhandlung ausgeführt werden 
kann, soll die folgende Beobachtung zeigen: 

Eine junge Frau wacht früh am Morgen auf, kurz darauf kommt ihr sechs¬ 
jähriges Töchterchen ins Schlafzimmer und legt sich zu ihr ins Bett. Sie schlafen 
dann beide wieder ein. Eine Stunde später wird die Frau durch das Klingeln eines 
Lieferanten an der Haustür geweckt. Sie muß für einen Augenblick aufstehen und 
wird durch häusliche Angelegenheiten abgelenkt. Als sie sich nachher an den Traum 
erinnern will, den sie eben kurz vor dem Erwachen gehabt hatte, ist er aus ihrem 
Gedächtnis ganz entschwunden. Nachdenkend bleibt sie im Bett liegen und plötz¬ 
lich ertappt sie sich bei einer sonderbaren Bewegung: sie streift mit der Hand leise 
die Oberschenkel des neben ihr schlafenden Kindes, und bemerkt die Bewegung 
des Armes erst im Augenblick, als dieser die Genitalien des Kindes berührt. Sofort 
erinnert sie dabei auch den vergessenen Traum: sie hat nämlich im Traum die¬ 
selbe Bewegung am Schenkel ihres zu jener Zeit verreisten Mannes ausgeführt und 
seinen Penis in die Hand genommen. 

Der psychische Vorgang ist hier derselbe wie beim Agieren im hysterischen 
Anfall und in der üblichen psychoanalytischen Behandlung: Das Verdrängte, 
das nicht erinnert werden kann, setzt sich in Bewegung um. 

Freud hat die enge Verbindung zwischen dem System Bw und der Mo¬ 
torik besonders unterstrichen und auf die psychologische und biologische Be¬ 
deutung der Überwachung der Motorik durch das Bewußtsein hingewiesen. 


* 











588 


M. Wulff 


Aber gerade diese Beziehung zwischen der Motilität und dem System muß 
gelöst werden, damit die motorische Ausdrucksweise und die „motorische 
Sprache“ zum Vorschein kommen. Hier scheint der Kern des Problems zu 
liegen. 

Eine russische Ärztin, Tatjana Simson, hat neuerdings darauf hinge¬ 
wiesen, daß motorische Reaktionen, ähnlich wie im hysterischen Anfall, in 
der frühesten Kindheit gar nicht selten sind: „Im Säuglingsalter und überhaupt 
im Kindesalter besitzen die Kinder im großen Ausmaß die Tendenz, auf 
äußere Reize mit hysterischen Erscheinungen zu reagieren. Besonders charak¬ 
teristisch, ungemein verbreitet, in einem gewissen Stadium der Entwicklung 
des Kindes fast unausbleiblich ist das Symptom der primitiven motorischen 
Reaktion des Protestes. Wird einem Kind ein Wunsch nicht erfüllt, so wirft 
es sich — um seinen Willen durchzusetzen — auf den Fußboden, schlägt 
chaotisch mit Händen und Füßen um sich herum, schreit, zappelt, weint usw. 
In diesem ,motorischen Sturm c des Protestes können wir den Prototyp des zu¬ 
künftigen hysterischen Anfalls beim Erwachsenen sehen. Übrigens, auch im 
Säuglingsalter nehmen diese ungeordneten motorischen Protestäußerungen 
manchmal bestimmte klare Formen an. So z. B. Julia B., i Jahr 5 Monate 
alt: wenn sie unzufrieden ist, ,fällt sie um c , ,beugt sich im Bogen vor c (Are 
de Cercle), ,macht Bewegungen, als ob sie schwimme'... Manchmal treten 
bei Kindern die hysterischen Anfälle in der Nacht auf. Bei Lida K., 2 Jahre 
und 2 Monate alt, waren bei hoher Temperatur während einer Grippe fol¬ 
gende Erscheinungen zu beobachten: ,Sie schreit, die Pupillen sind erweitert, 
sie beugt sich im Bogen, indem sie nur mit dem Hinterkopf und den Fersen 
das Bett berührt, spricht dabei, bittet um Essen und Trinken, dann fängt sie 
plötzlich an, alle zu überfallen, um sich zu schlagen.' Der Anfall dauerte 
eine volle Stunde.“ 

Auch „Prodromalsymptome'' wurden beobachtet, z. B. lautes Lachen: 
Walja, 1 Jahr, 9 Tage alt, „lacht vor dem Anfall laut auf, das Lachen ist 
rauh, grob, wie bei einem erwachsenen Mann. So lacht sie anfallsweise drei¬ 
mal auf und beugt sich dann im Bogen aus“ (Are de Cercle). Simson macht 
dabei die Bemerkung, daß die verschiedensten monosymptomatischen hysteri¬ 
schen Erscheinungen im frühesten Kindesalter „buchstäblich bei 
allen Kindern ohne Ausnahme“ beobachtet werden können und 
daß „in der Mehrzahl der Fälle die hysterischen Sym¬ 
ptome bei Kindern im Alter von P/2 bis 4Jahren auf¬ 
trete n“. 

Bei diesem Sachverhalt scheint mir die Frage berechtigt zu sein, ob man 








r 


Über den hysterischen Anfall 589 

Erscheinungen, die bei allen Kindern im Alter von 1V2 bis 4 Jahren aus¬ 
nahmslos auftreten können, noch als hysterische Reaktionen, als Hysterie, be¬ 
zeichnen kann. Es ist vielmehr wohl richtiger, diese Reaktionen im zarten 
Kindesalter als zur Norm gehörende, dem Entwicklungszustand entsprechende 
Ausdrucksweisen zu betrachten. Die motorische Gebärdensprache (des hysteri¬ 
schen Anfalls) gehört anscheinend zum normalen Bestand der Reaktions¬ 
weisen des frühesten Kindesalters. Erst die weitere Entwicklung bringt es mit 
sich, daß das Kind seine Motorik immer mehr einschränken und beherrschen 
lernt. Das geschieht in der Weise, daß bei ihm mit der Zeit verschiedene 
Hemmungen zur Ausbildung gelangen, die die ursprünglich vorhandene 
Fähigkeit zu Irradiationen seiner Erregungen einschränken. Die Ausbreitung 
der motorischen Reaktionen bis zu dem von Dr. S i m s o n beschriebenen 
chaotischen Motilitätssturm wird dadurch verhindert und ihre Einschränkun¬ 
gen auf das minimale Maß der notwendigen zielgerechten Handlung auch bei 
größter Erregung sichergestellt. Die Hemmungen, die die Handlungen über¬ 
wachen und regulieren, obliegen mit verschiedenen Anteilen den psychischen 
Systemen Ubw, Vbw und Wbw. Ihre Entwicklung und Scheidung ist be¬ 
kanntlich gleichzeitig mit der Ausbildung und Gliederung der Struktur der 
Persönlichkeit als Es, Ich und Über-Ich gerade im vierten Lebensjahr (der 
von Dr. S i m s o n angegebenen Altersgrenze) lebhaft im Gange. Bis dahin 
aber ist das Agieren, die motorische Reaktion, die Gebärdensprache, die 
hauptsächliche Abfuhrmöglichkeit der Erregungen und Reize und die wich¬ 
tigste Ausdrucksweise in den anfänglichen Objektbeziehungen des Kindes. 

Das kommt am deutlichsten auf einem Gebiet zum Ausdruck, das im 
Seelenleben des Kindes eine besonders große Rolle spielt, nämlich im kind¬ 
lichen Spiel. Das Spielen des Kindes ist eigentlich ein Agieren par excellence, 
im Spielen äußert das Kind seine eigensten und innigsten Gedanken, es denkt 
handelnd. Es genügt das wunderbare Beispiel des eineinhalbjährigen Kindes 
zu erwähnen, das Freud in „Jenseits des Lustprinzips" gebracht hat. Wie 
Freud sagt, hat das Kind im Spiel seine passive Rolle aufgegeben und 
sich in eine aktive gebracht, und bemerkt dazu: „Aber anderseits ist es 
klar genug, daß all ihr (der Kinder) Spiel unter dem Einfluß des Wunsches 
steht, der in dieser ihrer Zeit dominiert, des Wunsches groß zu sein und s o 
tun zu können wie die Großen/' „Sein" bedeutet eben für das Kind 
„tun, handeln". Besteht denn nicht die Methode der Kinderanalyse eigentlich 
darin, daß man das Kind im Spiel zu handeln, zu „agieren statt zu erinnern" 
veranlaßt und dieses Agieren, seine Handlungen zum Gegenstand einer analy¬ 
tischen Deutung macht? Dieses Agieren des kleinen Kindes im Spiel ist oft 












M. Wulff 


*90 

ein richtiges Experimentieren, ein Versuchen und Überlegen, ein For¬ 
schen, ein Denken in Form von Handlungen, eine Art 
motorischen Denkens möchte man sagen. Mit dem Fortschritt der 
geistigen Entwicklung kann es in einsames Wachträumen übergehen. 

Auch im Schlaf scheint eine dem Agieren ähnliche Art von Träumen 
ausgedrückt in der „motorischen Sprache“, vorzukommen. Bekanntlich be¬ 
sitzen manche gesunde Menschen die Eigenart, im Schlaf ziemlich komplizierte 
Handlungen auszuführen, ohne davon nachher im Wachzustand eine Ahnung 
zu haben. S i m s o n erzählt von Beobachtungen dieser Art bei kleinen Kin¬ 
dern: „Nicht abreagierte Eindrücke werden allmählich in Träumen, ver¬ 
bunden mit komplizierten Handlungen, abreagiert. Meistens wird dabei ge¬ 
wissermaßen die Wiederholung eines unlustvollen Erlebnisses dargestellt. In 
zwei Fällen haben wir die Neigung zur Wiederholung der traumatischen 
Situation genau in derselben Form oder in einer veränderten Variation be¬ 
obachten können: So, ein Kind von 6 Jahren, das ein schweres Trauma — 
das Erdbeben in der Krim — im Jahre 1927 erlebt hatte, sprang nachts vom 
Bett auf, machte Bewegungen, die dem Anziehen von Strümpfen und Schuhen 
usw. ähnlich waren, und legte sich dann wieder zurück ins Bett, um weiter 
ruhig zu schlafen. 

Ein anderer Fall: Das Mädchen Sina K., 2 Jahre alt, wurde vom betrunkenen 
Hauswirt erschreckt, der in die Wohnung plötzlich eindrang, laut schrie, Geschirr 
zerbrach und drohte, jemanden zu morden. Einige Zeit nach dem Trauma, jede 
Nacht, zu der Stunde, in der das traumatische Erlebnis stattgefunden hatte, stand 
das Kind vom Bett auf, zitternd vor Angst und schreiend: „Da kommt P.“, trat 
dann an den Tisch, wo der Betrunkene das Geschirr zerbrochen hatte, leckte den 
Tisch und bat: „Onkelchen, tu mir nichts!“ 

Die Patientin, von der hier hauptsächlich die Rede ist, sagte mir eines 
Tages nach einem Anfall: „Aber dasselbe erlebte ich schon seit vielen Jahren 
wiederholt nachts im Traum und dachte immer, daß ich es nur träume.“ 
Aber besonders merkwürdig ist die folgende Beobachtung bei derselben Frau: 

Wiederholt hatte sie früher vorübergehend von Zeit zu Zeit einen sonderbaren 
Zwang, mit den Händen Bewegungen auszuführen, als ob sie* etwas modellieren 
würde, obgleich sie sich nie derart betätigt hatte. Den Vorschlag, dem Zwang in 
der Weise nachzugeben, daß sie wirklich den Versuch machen würde, ihre Einfälle 
in Plastilin zu modellieren, lehnte sie mit Entrüstung und der sonderbaren Be¬ 
gründung ab: „Es würde dabei etwas ganz Verrücktes und Unanständiges heraus¬ 
kommen, etwas, was weder Frau noch Mann sei.“ Bei den zwanghaften Handbewe¬ 
gungen stellte sie sich immer ebenso zwanghaft runde weibliche entblößte Nates 
vor. In einem Anfall, in dem sie auf Erlebnisse aus ihrem neunten Lebensjahr zu¬ 
rückkam, reproduzierte sie eine Szene vor dem Einschlafen. Dann bleibt sie eine 






Über den hysterischen Anfall 591 

Zeitlang ganz ruhig liegen, den Schlaf selbst jetzt in der Wiederholung darstellend, 
und endlich wiederholt sie anscheinend einen Traum, den sie damals erlebt hatte. 
Der Traum besteht aber nur aus einer Szene: sie sieht ihre nackten, runden Nates, 
erkennt gleich, daß es die eigenen sind, die sie der Mutter, die daneben steht, zu¬ 
wendet. Und nun beginnt sie, den Traum anschaulich fortsetzend, Bewegungen 
der Hände, die den oben erwähnten Zwangsbewegungen gleichen und das Erlebnis 
der Kindheit im Schlaf darstellen. Es gelingt jetzt, die Bewegungen zu analysieren, 
zu deuten, und es stellt sich heraus, daß diese Handbewegungen eine kindliche 
Wunschphantasie verwirklichten: sie modellierte einen großen Penis, den sie an die 
Pubes der Mutter anheftete, dann koitierte die Mutter mit dem Penis mit ihr in 
ano, dann weiterte die Mutter bei ihr etwas aus, anscheinend die Vagina, koitierte 
mit ihr in vaginam und schloß das „Loch“ wieder zu. Alles das war in den 
„Traumbewegungen“ motorisch dargestellt. Das war ihre Wunschphantasie in 
jenem Alter, die an einen belauschten Koitus der Eltern und die danach erfolgte 
Aufklärung durch ein Dienstmädchen anknüpfte — diese Wunschphantasie ver¬ 
wirklichte sie agierend im Schlaf. 

Nun hat Zutt vor kurzem eine Studie über Phantasieren und Wach¬ 
träumen veröffentlicht, in der er nachweist, daß beim Wachträumen gerade 
die Vorstellung des Handelns eine viel größere Rolle spielt als der sinn¬ 
lich-vorstellungsmäßige Anteil: „Wir stellen den weiteren Betrachtungen 
hierüber die eigene Definition voraus, in der das Moment des Handelns, das 
bei Jaspers Erwähnung fand, besondere Bedeutung gewinnt und von der 
wir glauben, daß sie die als Wachträume charakterisierten Zustände erfaßt. 
Der Wachträumer handelt in der vorgestellten Si¬ 
tuation eines erlebten und erreichten Zieles.“ 3 

In einem neuen Licht erscheinen die hier angeführten Tatsachen, wenn 
man die experimentellen Untersuchungen von Sabina S p i e 1 r e i n 4 über die 
„Kinderzeichnungen bei offenen und geschlossenen Augen cc in Betracht zieht. 
S p i e 1 r e i n kommt auf Grund dieser Untersuchungen zum Schluß, daß das 
Denken im frühkindlichen Alter in sehr hohem Maße durch die ältesten Er¬ 
fahrungen des Kindes, die von den kinästhetischen Empfindun¬ 
gen der Muskeln, der Sehnen und Gelenkflächen stammen, beeinflußt und 
beherrscht wird. Sie behauptet, daß die kinästhetischen Erfahrungen und 
„Empfindungsbereitschaften“ die tiefste Schicht und die älteste Form des 
„organischen“, das heißt unbewußten Denkens bilden und mit ihnen ver¬ 
schmelzen sich die aus anderen, späteren Sinnesgebieten stammenden Erfah¬ 
rungen, vor allem die Gerichtserfahrungen. 

3) J. Zutt: Über Wachträume. Eine psychologische Studie. Mehr. Psychiatr. Jahrb. 
188 (1930). 

4) Sabina S p i e 1 r e i n : Kinderzeichnungen bei offenen und geschlossenen Augen. 
Imago, XVII, 1931. 











M. Wulff 


S 9 2 

Die „motorische Sprache“ des hysterischen Anfalls, von dem hier die Rede 
ist, entspricht eben diesem aus den kinästhetischen Empfindungen und Erfah¬ 
rungen des motorischen Apparates entstammenden Denken. In den Anfängen 
des psychischen Lebens und in dessen tiefsten und primitivsten Schichten 
werden also die kinästhetischen Erfahrungen zur Abfuhr der Reize nach 
außen benutzt und ihnen entsprechend die Erregungen in dieser Weise auf 
kürzestem Wege auf die Motorik abgeführt. Freud hat zuerst über das 
Zwangsgrübeln die Ansicht geäußert, daß dieses Grübeln einen Ersatz für 
gehemmte, zur Abfuhr nicht gelangte Zwangshandlungen darstellt. Später hat 
er diese Ansicht auf das Denken überhaupt ausgeweitet und betrachtet das 
Denken als „ein probeweises Handeln mit kleinen Energiemengen“ 5 . Man 
kann also sagen: im psychischen Leben war zuerst die Tat. Die Entwicklung 
geht weiter dahin, daß, wie oben schon erwähnt, immer neue Hemmungen 
der direkten motorischen Abfuhr entgegengesetzt werden. Im ausgebildeten 
psychischen Apparat des erwachsenen Menschen kommen die stärksten Hem¬ 
mungen aus dem System Bw. Bei Ausschaltung des Bw-Systems erhalten diese 
Anfänge des Denkens in Form von Kinästhesien die Möglichkeit, sich den 
kürzesten Zugang zur Motorik zu erzwingen und sich so zur „motorischen 
Sprache“ als Ausdrucksmittel zu gestalten. 

Von den wichtigen Einzelheiten, die sich bei diesen Untersuchungen er¬ 
geben, will ich noch folgendes erwähnen: 

„Mehrere Psychologen“ — sagt S p i e 1 r e i n — „die sich mit der Er¬ 
forschung der Form und der" Raumbegriffe befaßten, mußten selbstredend auf 
das Problem der kinästhetischen Empfindungen stoßen. Stanley Hall, 
B e a u n i s und andere halten kinästhetische Empfindungen, nämlich die Emp¬ 
findungen der Muskeln, Sehnen, Gelenkflächen, für die Grundlage unserer 
Form- und Raum Vorstellungen.“ Diese Ansicht gewinnt durch meine Beob¬ 
achtung der Bewegungen im Anfall, z. B. jener, die den Hoden des Hengstes 
oder den Frosch darstellen sollten, ziemlich an Sicherheit. Wir sehen hier, wie 
im primitiven unbewußten Denken die Form der Dinge — d. h. in der 
psychoanalytischen Terminologie die Sach Vorstellung einfachster Art — wirk¬ 
lich kinästhetischen Empfindungen und Vorstellungen entsprechen. Zieht man 
den automatischen, zwanghaften Charakter dieser Bewegungen in Betracht, 
so sind sie nur durch die in der Regression wiederbelebten kinästhetischen 
Empfindungen zu erklären. 

Fassen wir das Gesagte zusammen, so glauben wir behaupten zu dürfen, 
daß im hysterischen Anfall, bei Beseitigung der Funktion des Bw-Systems 


5) Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psa. Ges. Sehr., Bd. VII. t 








Über den hysterischen Anfall 593 

im „anderen Bewußtseinszustande“ — aber ebenso auch bei manchem „A g i e- 
ren statt Erinnern“ in der gewöhnlichen Analyse — eine sehr tiefe 
Regression der psychischen Vorgänge auf die früheste und primitivste Form 
des auf kinasthetischen Erfahrungen und Empfindungen aufgebauten organi¬ 
schen Denkens stattfindet und in der „Bewegungssprache“ zum Ausdruck 
kommt. 

Es muß aber betont werden, daß die Regression im hysterischen Anfall 
sich nur auf die Form und Art des Denkens bezieht, während die Gedanken¬ 
inhalte einem viel höher entwickelten und komplizierteren Seelenleben ent¬ 
sprechen. Diese Denkart äußert sich im Anfall in Form von: 

1) Wiederholungen von Bewegungen und Handlungen, die der Kranke 
selbst in einer schon früher erlebten oder phantasierten Situation ausgeführt 
hatte, oder 

2) Reproduktion von Bewegungen und Handlungen anderer Personen, 
ebenfalls in einer früher schon erlebten oder phantasierten Situation (Freud). 

Der Erregungsvorgang dabei ist aber keine progressive Abfuhr auf die 
Motilität wie beim normalen Handeln, sondern eine unter Ausschaltung des 
Bw-Systems stattgefundene Regression auf kinästhetische Erinnerungsspuren 
aus dem reproduzierten Erlebnis. Dafür ein Beispiel: 

Eine Patientin (B) bekommt eines Tages ganz plötzlich bei einer ganz unge¬ 
schickten, aber ziemlich gewöhnlichen Bewegung eine Luxation des Schultergelenks. 
Beim Einrenkungsversuch macht die starke Spannung der Muskulatur Schwierig¬ 
keiten. In dem danachfolgenden Anfall reproduziert die Patientin eine Szene, in 
der sie mit einem starken Mann kämpft, und erleidet dabei wirklich eine neuerliche 
Luxation des Schultergelenks. Nach dem Anfall renkt sich der Arm ohne Spannung 
der Gelenksmuskulatur leicht von selbst ein. Dieser Vorgang wiederholt sich in den 
folgenden Tagen: bei der einfachsten Armbewegung tritt die Luxation wieder auf, 
so daß bei mir ernste Besorgnis aufkam, daß es doch vielleicht sekundär zu einem 
Schleudergelenk kommen könnte. Als wir aber das ganze Ereignis durchanalysiert 
hatten — was mehrere Tage erforderte — schwand das Symptom, um nicht wieder¬ 
zukommen. Dieses Beispiel zeigt, daß auch die Muskelfunktion bei der Reproduktion 
von den unbewußten kinästhetischen Erinnerungsspuren geleitet wird. 

3) In Form einer (oft symbolischen) Darstellung von Dingen (Sachvor- 
stellungen), Vorgängen in der Außenwelt oder eigenen Gedanken Vorgängen, 
Wünschen usw. So z. B. die obengeschilderte Darstellung des Frosches durch 
die besondere, charakteristische Haltung der Hand oder die Darstellung des 
Genitales des Pferdes durch eine spezielle Bewegung der Hände oder endlich 
die Darstellung der homosexuellen Koitusphantasie mit der Mutter. In einem 
anderen Anfall hielt die Patientin lange Zeit ihren nach oben in vertikaler 
Richtung ausgestreckten Arm. Im weiteren Verlauf des Anfalls reproduzierte 


Int. Zei tsdir.f. Psychoanalyse, XIX—4 


38 









594 


M. Wulff 


die Patientin eine ihrer Phantasien, in der sie den Vater von hinten über¬ 
fällt und mit einem Dolch ermordet. Dabei erinnert sie sich an die Worte 
eines Dienstmädchens, daß dem Elternmörder nach seinem Tode der Arm aus 
dem Grabe wächst. Der nach oben gerade ausgestreckte Arm symbolisiert 
also den zur Strafe für den in der Phantasie begangenen Vatermord aus dem 
Grabe wachsenden Arm. 


Die Wiederholung. 

Die Wiederholung im hysterischen Anfall ist nicht nur auf die Motilität 
beschränkt. Auch die Sinneseindrücke des wiederholten Erlebnisses, die Emp¬ 
findungen und Wahrnehmungen aller Sinnesorgane werden mit derselben Ge¬ 
nauigkeit wiederholt. Nicht nur Stimme, Geste, Mimik und Körperhaltung 
entsprechen vollkommen der wiederholten Situation, sondern auch der psycho¬ 
logische Zustand des ganzen wahrnehmenden und reizempfangenden Appara¬ 
tes, wie Sinnesorgane, Haut, Schleimhäute usw., ist mehr oder weniger den 
normalen Veränderungen der reizempfangenden und Wahrnehmungsfunktio¬ 
nen ähnlich, wenn nicht ganz identisch, wie sie wohl beim primären Erlebnis 
stattgefunden hatten. Wird z. B. im Anfall ein Hitzegefühl erlebt, so wird 
die Haut rot und mit Schweiß bedeckt, bei Durst — die Schleimhaut der 
Lippen und Mundhöhle trocken, es treten Geruchs-, Geschmacks-, GehÖrs- 
und Gesichtshalluzinationen auf. Statt vielen nur ein bemerkenswertes Beispiel: 

Eine Patientin (Fall B) reproduzierte im Anfall ein Erlebnis, in dem sie „ohn¬ 
mächtig und bewußtlos“ umgefallen war. Ein bei dem wirklichen Vorfall anwesend 
gewesener Mann hat sie beim Fallen mit seinem Arm um die Schulter gefaßt und sie 
zum Sofa getragen, das im Zimmer stand. Dabei drückte sein Manschettenknopf, 
der sein Monogramm trug, auf die Haut in der Gegend der Scapula. (Während des 
im Anfall wiederholten Ereignisses trug die Patientin ein offenes Ballkleid.) Schon 
einige Stunden vor dem Anfall machte sich die Stelle der Haut durch Rötung und 
Juckreiz bemerkbar, und im Anfall selbst konnte man an dieser Stelle ganz deut¬ 
lich die Buchstaben I. M. des Monogramms sehen. Der Fall ist wegen dieser hysteri¬ 
schen Art und deshalb besonders erwähnenswert, weil Patientin schon im primären 
Erlebnis vor Jahren anscheinend in einem hysterischen Anfall das „Bewußtsein ver¬ 
loren hatte“ und vom Druck des Knopfes auf die Haut ebenso wie, selbstverständ¬ 
lich, vom Monogrammabdruck auf der Haut auch damals keine bewußte 
Wahrnehmung empfangen hatte. 

Freud hat alle halluzinatorischen Erscheinungen bei der Hysterie auf 
einen Regressionsvorgang im psychischen Apparat zurückgeführt. 
Der normale psychische Prozeß verläuft im allgemeinen wie der Reflexbogen 
vom Wahrnehmungssystem zum Motilitätsende. Im Traum und bei gewissen 
pathologischen Zuständen nimmt aber die Erregung, nach Freud, einen 





__ Über den hysterischen Anfall 595 

regressiven Verlauf und verpflanzt sich anstatt gegen das motorische 
gegen das sensible Ende des seelischen Apparates. „Für die Halluzinationen 
der Hysterie, der Paranoia, die Visionen geistesnormaler Personen kann ich 
die Aufklärung geben, daß sie tatsächlich Regressionen entsprechen, d. h. in 
Bilder verwandelte Gedanken sind und daß nur solche Gedanken solche 
Verwandlung erfahren, welche mit unterdrückten oder unbewußt gebliebenen 
Erinnerungen im intimen Zusammenhang stehen.“ 6 Was hier Freud von 
dem halluzinatorischen Vorgang bei verschiedenen pathologischen Zuständen 
sagt, stimmt auch für alle anderen Wiederholungsvorgänge im hysterischen 
Anfall. In allen diesen Erscheinungen haben wir es mit einer Regression zu 
tun, mit einer auf das Wahrnehmungssystem zurückflutenden Erregung in¬ 
folge der Absperrung des Zuganges zum Bw-System und zur Motilität. Mit 
derselben treuen Genauigkeit wie die Halluzinationen wird auch jedes andere 
Erlebnis, jeder somatische Zustand des Organismus wiederholt. 

So erklärt z. B. dieselbe Patientin eines Morgens nach dem Erwachen, sie sehe 
gar nichts, sie sei vollkommen blind. Sie benahm sich auch wirklich wie eine 
Blinde, mußte gewaschen und angezogen werden, stieß sich beim Gehversuch an 
die Möbel und Wände im Zimmer. Ihre Pupillen waren dabei stark erweitert und 
starr, das Gesicht gerötet, sie sprach viel, lachte laut, war stark erregt und machte 
den Eindruck einer Manischen. Das Zustandsbild war einer Atropin Vergiftung ähn¬ 
lich, aber die Patientin befand sich in einem Sanatorium und war Tag und Nacht 
unter strenger Überwachung. Die Aufklärung über diesen Zustand kam einige 
Stunden später, als Patientin im Anfall einen im Alter von 12 Jahren wirklich 
stattgefundenen Vergiftungsversuch wiederholte. Damals fand sie im Schlafzimmer 
ihrer Mutter ein Fläschchen mit Augentropfen und trank den Inhalt aus. Darauf¬ 
hin war sie, wie sie sich nach dem Anfall genau erinnern konnte, wirklich vergiftet 
und von Ärzten deswegen behandelt. 

Die Regression der Erregung von den unbewußten Erinnerungsspuren zur 
Peripherie, zu den Sinnesorganen ist hier deutlich. Es kann aber auch Vor¬ 
kommen, daß das Bild des somatischen Zustandes in der Wiederholung da¬ 
durch erhebliche Komplikationen erfährt, daß diese Wiederholung selbst einen 
tiefgehenden Eingriff in die normalen Lebensvorgänge im Organismus be¬ 
deutet. Dieser reagiert dann auf die durch die Wiederholung entstandenen 
Veränderungen im Verlauf seiner Funktionen seinerseits nach den ihm eigenen 
organischen Gesetzen seines Lebens. 

Freud hat auf die strukturelle Verwandtschaft des Affektes und des 
hysterischen Anfalles hingewiesen und die Behauptung aufgestellt, daß beide 
Niederschläge von Reminiszenzen an bedeutungsvolle Erlebnisse sind. Nur 


6 ) Die Traumdeutung. Gesammelte Schriften Freuds, Band II, S. 465. 


38* 











596 M. Wulff 

handelt es sich beim hysterischen Anfall um ein individuelles ver¬ 
drängtes Erlebnis, beim Affektzustand — um ein traumatisierendes Erlebnis 
der Species, das vererbt wird. Zieht man das in Betracht, was Freud über 
den von ihm am eingehendsten untersuchten Angstaffekt gesagt hat 7 , so muß 
man das charakteristische und entscheidende ursächliche Moment für den 
Affektzustand ebenso wie für die somatischen Vorgänge im hysterischen An¬ 
fall (soweit nicht bereits pathologische Erscheinungen wiederholt werden) 
darin erblicken, daß der Organismus überstarken somatischen Reizen aus¬ 
gesetzt und nicht mehr imstande ist, diese Reizmengen in adäquater Weise 
nach außen abzuführen — was zu einer Stauung und zur Abfuhr auf die 
„inneren Bahnen“ im Organismus selbst führen muß. Bei den Affekten sind 
es wahrscheinlich die durch die phylogenetisch entwickelten Zustände und 
Verhältnisse im Organismus (im Falle der Angst z. B. der Hergang des Ge¬ 
burtsvorganges) oder äußere Lebensbedingungen, die die Abfuhr nach außen 
überhaupt unmöglich machen; beim hysterischen Anfall ist es die pathologi¬ 
sche Absperrung des Erregungsvorganges vom normalen Weg zur Motorik 
über das Bw-System. Wir haben es also auch im Affektzustand des hysteri¬ 
schen Anfalles eigentlich mit einem Regressions vor gang zu tun, nämlich mit 
einer Wiederherstellung einer primitiven Arbeitsweise des psychischen Appa¬ 
rates, bei der neue Reizmengen wieder auf die inneren organischen Bahnen 
abgeleitet werden — auf eine Arbeitsweise, die einer phylogenetisch früheren, 
heute überwundenen Entwicklungsstufe entspricht. 

Bei der Regression der vom Bw-System zurückgedrängten Erregung wer¬ 
den also die physiologischen Begleiterscheinungen der im Anfall wiederholten 
Affekte mit von der Regression betroffen und dabei verändert und verstärkt. 
Das führt zu einer Hyperfunktion 8 der inneren Organe und bei allen 
Hohlorganen, wie Magen, Darm, Blase, Bronchien, Herz, Blutgefäße usw., 
zu einem Krampf und zu spastischen Erscheinungen. Häufen sich die Anfälle 
in kurzen Zeitintervallen nacheinander und spielen sich die die Funktion 
störenden Vorgänge immer wieder ab, so kann es zu einer Summation der 
Wirkung der Erregung kommen, die das ursprüngliche physiologische Bild des 
primären affektiven Erlebnisses bis zur Unkenntlichkeit verändern kann. Da¬ 
für ein lehrreiches Beispiel: 

7) Es würde zu weit führen, hier den Inhalt der Untersuchungen Freuds über die 
Angst wiederzugeben, und ich muß den Leser auf sein großartiges Werk „Hemmung, 
Symptom und Anost“ und auf das Kapitel XXXII, „Angst und Triebleben“, in der 
„Neuen Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Analyse“ verweisen. 

8) Wenn wir es manchmal mit einer Hypofunktion zu tun haben, so ist in Wirklichkeit 
die Tätigkeit des Organs doch erst infolge eines Krampfes herabgesetzt. 









Über den hysterischen Anfall 


597 


Die Patientin, von der hier zuerst die Rede war (A), unterbrach in den Sommer¬ 
ferien in einem bedeutend gebesserten Zustande die Behandlung. Nach fünf Wochen 
ungefähr erhalte ich von ihr einen alarmierenden Brief: sie hatte Herzbeschwerden, 
ging zu einem Internisten, der bei ihr ein Aortenaneurysma diagnostizierte — 
wahrscheinlich auf luetischer Basis. In der Anamnese der Patientin war aber dafür 
kein Anhaltspunkt gegeben und die wiederholte serologische Untersuchung fiel ganz 
negativ aus. Zur Klärung der Diagnose wollte sich die Patientin in eine Klinik 
begeben und fragte um meinen Rat. Selbstverständlich war ich für die klinische 
Untersuchung. Die letztere dauerte über zwei Monate. Hier wurde sie wiederholt 
röntgenisiert, man hat aber nur eine geringe Aortenerweiterung, aber kein Aneu¬ 
rysma gefunden. Das Krankheitsbild, das man hier beobachten konnte, war ein 
sehr kompliziertes: Im Vordergrund standen Zirkulationsstörungen, Gefäßkrämpfe, 
Atemnot, schwere Opressionen, sehr hoher Blutdruck, dabei der Puls zeitweise 
sehr schwach und verlangsamt, ohnmachtsähnliche Anfälle und Kopf Schwindel, 
Urinmangel, dunkelbraune Flecken an der Gesichtshaut, die vorübergehend schwan¬ 
den und wiederkamen. Die Herzerscheinungen und Zirkulationsstörungen waren 
morgens gewöhnlich gering, verstärkten sich aber am Nachmittag und es traten 
dann noch Erregungszustände hinzu mit starkem Kopf druck, Rötung des Gesichts, 
Angstausbrüchen und Halluzinationen; Patientin sah eine große Ratte und schrie 
laut: „Nehmen Sie die Ratte weg!“ Diese Anfälle dauerten bis spät in die Nacht. 
Danach beruhigte sich die Patientin, litt aber die ganze Nacht unter hartnäckiger 
Schlaflosigkeit, Atemnot, Opressionen usw. Von der Patientin selbst habe ich nach¬ 
her erfahren, daß sie beim Anfall nicht ganz klar beim Bewußtsein war und wahr¬ 
scheinlich kurze Dämmerzustände hatte. 

Während der Menstruation ließen die Krankheitserscheinungen etwas nach und 
die Beruhigung hielt dann noch einige Tage nachher an. Aber schon zwanzig Tage 
vor der nächsten Menstruation stellte sich das frühere Krankheitsbild wieder in 
derselben Intensität ein. Im übrigen war, was die inneren Organe anbetrifft, das 
Ergebnis der klinischen Untersuchung ganz negativ. Die Diagnose der Kliniker 
war: Störung der inneren Sekretion, kompliziert durch Erscheinungen einer Niko¬ 
tinvergiftung. (Die Patientin hat vor kurzem eine Nikotinentziehungskur durchge¬ 
macht.) Die Verursachung dieser Störung blieb unaufgeklärt, und man war schlie߬ 
lich geneigt, die Sekretionsstörungen durch eine Veränderung in den Ovarien bei 
einer der Menopause nahestehenden Frau zu erklären. Die Erregungszustände und 
Halluzinationen wurden auf Zirkulationsstörungen im Gehirn als einer Folge der 
inneren Sekretionsstörungen zurückgeführt. 

Da der Zustand der Patientin während des Aufenthaltes in der Klinik sich 
durchaus nicht besserte, entschied sich der Mann der Patientin für die Wiederauf¬ 
nahme der Analyse. Nach einigen Tagen ging die Analyse weiter in der oben ge¬ 
schilderten Weise und dabei ergab sich folgendes: 

Im Alter von 8 bis 9 Jahren hat die Patientin mit ihren Eltern den zweiten 
Stock einer kleinen Villa bewohnt, in die manchmal Ratten von dem in einem 
Nebenbau im Erdgeschoß sich befindenden Pferdestall eindrangen. Eines Tages 
um 4 Uhr nachmittags wollte das Mädchen ins Eßzimmer der Wohnung eintreten, 
blieb aber an der Schwelle wie gelähmt vor Schrecken stehen: auf dem zum Kaffee 










598 


M. Wulff 


gedeckten Tische bemerkte sie eine Ratte. Gleich darauf kam dann noch der Vater 
hinzu und blieb ebenso daneben stehen. Das vergrößerte noch die Angst des Kindes: 
der Vater, ein früherer Offizier, forderte von den Kindern mutiges Auftreten, 
Selbstbeherrschung, Unerschrockenheit und scheute sich nicht, dabei Feldwebel¬ 
methoden anzuwenden. Als die Kleine den Vater bemerkte, zuckte sie bei dem 
Gedanken zusammen: „Der Vater wird mich zwingen, -die Ratte in die Hand zu 
nehmen, wenn er merkt, daß ich Angst habe.“ Das war für die Kleine um so 
unmöglicher, als sie bereits im Alter von vier Jahren ein schwer traumatisches 
Erlebnis mit einer Ratte gehabt hatte. Zum Glück trat die Befürchtung des Kindes 
nicht ein, der Vater verjagte selbst das Tier. Aber dieses Erlebnis rührte an einen 
schweren kindlichen Konflikt, bei dem der Vater die Hauptrolle spielte, den ich 
aber hier nicht bringen kann. Tatsache ist, daß nach drei bis vier Wochen Analyse 
alle die oben angeführten Symptome mit Ausnahme einer schon seit Jahren vorhan¬ 
denen geringen Herzschwäche vollkommen schwanden. Das Ganze war also 
Wiederholung eines schweren Schreckerlebnisses. In der Gegenwart wurde dieses 
verdrängte Erlebnis noch besonders durch eine andere Schrecksituation aktiviert, 
welche die Patientin während einer Autofahrt erlebt hatte. Der Ehemann der 
Patientin spielte dabei eine dem Vater im primären Erlebnisse ähnliche Rolle, in¬ 
dem er sie zwingen wollte, die an sich nicht ganz unbegründete Angst durch eine 
Willensanstrengung zu überwinden. So stellte sich auch in der Gegenwart bald 
eine psychologisch ähnliche Konfliktsituation ein, die eine Affektübertragung vom 
despotischen Vater auf den Ehemann begünstigte. 

Der Zustand in den Nachmittagsstunden (zeitlich mit dem primären Kind¬ 
heitserlebnis übereinstimmend) war zweifellos ein hysterischer Anfall mit 
Dämmerzustand, in dem das primäre traumatische Kindheitserlebnis repro¬ 
duziert wurde. Weil der Zustand mit Hilfe der Analyse nicht aufgelöst 
wurde, steigerte sich die Spannung immer mehr und entsprechend veränderte 
sich auch das ursprüngliche Bild. Durch die Häufung der Anfälle in kurzen 
Zeitintervallen verstärkten sich die Erscheinungen des primären Schreckens, 
bis die vielfache Vergrößerung das Bild bis zur Unkenntlichkeit veränderte. 
Die Erregung und Spannung wuchsen, die Angst quälte die Patientin stunden¬ 
lang, die Gereiztheit, die im infantilen Erlebnis dem Vater gegolten hatte 
und unterdrückt worden war, brach mit elementarer Wucht in Wutanfällen 
aus. Aber in noch höherem Grade veränderte sich das Bild der physiologischen 
Begleiterscheinungen des Schreckens. Durch Kumulation der Wirkung der 
täglichen, viele Stunden andauernden Funktionsstörungen entwickelte sich ein 
wirklich schweres Krankheitsbild mit Zirkulations- und innersekretorischen 
Störungen. (Braune Flecken infolge der Adrenalinansammlung im Blut; be¬ 
kanntlich tritt Adrenalin im Blute auch beim Schrecken, bei Angst in kleinen 
Mengen auf.) Die Physiologen hatten daher eigentlich mit ihrer Diagnose des 
Zustandes recht. Sie verkannten bloß seine hysterische Ätiologie, die Tat- 





Über den hysterischen Anfall 


599 


sache, daß das Psychische sich im Organischen ebenso auswirken kann wie 
umgekehrt. 

Die Wahrnehmung. 

Ein eigenartiges Bild zeigt im hysterischen Anfall und im „anderen“ 
Bw-Zustand die Wahrnehmungsfunktion. Sie ist in dreifacher Weise ver¬ 
ändert: Objekte der wirklichen Realität werden meistens nicht wahrgenom¬ 
men, während in Wirklichkeit nicht vorhandene Erscheinungen halluziniert 
werden. Schließlich können zu gleicher Zeit auch wirklich vorhandene Ob¬ 
jekte oder Situationen teilweise in einer unvollkommenen Art wahrgenommen 
und dem im Anfall wiederholten Erlebnis durch Illusion angepaßt werden. 
Es sind also manchmal zur selben Zeit Halluzinationen, negative Halluzina¬ 
tionen und Illusionen anzutreffen. 

Oben habe ich schon die Patientin erwähnt, die im anderen Bw-Zustand im 
Anfall ihr Tagebuch wieder geschrieben hat. Sie hat den ihr in die Hand ge¬ 
drückten Bleistift wahrgenommen und richtig zum Schreiben verwendet; hingegen 
nahm sie mich, der ihr den Bleistift in die Hand gedrückt hatte, nicht wahr, 
ebensowenig das Papier. Als aber ihre Hand aufs Papier gelegt und der Bleistift 
an die richtige Stelle angesetzt wurde, schrieb sie Zeile für Zeile sauber, in der 
richtigen Ordnung und gut lesbar. Sie hat sogar an manchen Stellen im Geschrie¬ 
benen Korrekturen vorgenommen, einzelne Worte ausgestrichen und darüber andere 
geschrieben. Ob das auch eine Wiederholung primärer Ausbesserungen war — 
weiß ich nicht. Jedenfalls zeigten das Geschriebene und das Ausgebesserte einen 
sinnvollen Zusammenhang. Aber als das Blatt zu Ende geschrieben war, merkte 
sie es anscheinend nicht, wahrscheinlich weil es im primären Erlebnis nicht der 
Fall war, und setzte mit dem Schreiben auf dem Kissen fort. Ähnliche Beobach¬ 
tungen habe ich bei dieser Patientin unzählige Male gemacht. Während ihrer 
Anfälle und in dem, manchmal lang andauernden „anderen“ Bw-Zustand habe 
ich in der verschiedensten Weise versucht, mich bemerkbar zu machen, aber sie 
nahm mich sichtlich nicht wahr, merkte mich nicht. Gelang es mir aber, mich 
ihren Erlebnissen irgendwie anzupassen und die entsprechende Rolle einer Person 
zu spielen, die in den sich gerade wiederholenden Ereignissen auf trat, so schien 
sie mich sofort zu merken und danach zu behandeln. Fiel ich aus der Rolle oder 
versuchte etwas zu sagen oder zu machen, was der wiederholten Situation nicht 
entsprach, so hat sie es einfach nicht wahrgenommen. 

Am schönsten zeigt diese Sachlage der folgende Versuch, den ich mit der 
Patientin angestellt habe. Während eines dreiwöchentlichen Dämmerzustandes saß 
ich eines Tages auf einem Sofa neben ihr in ihrem Zimmer, als sie in großer 
Erregung auf stand und überlegte; dann schritt sie zum Schreibtisch, der an der 
entgegengesetzten Wand stand (dieses Möbelstück schien zufällig ungefähr an der¬ 
selben Stelle im Zimmer zu stehen wie im Zimmer damals vor Jahren, als sich 
die Szene in Wirklichkeit abspielte), schrieb etwas auf ein Stück Papier, klingelte 
scheinbar an einer Schreibtischglocke — nur die Bewegung wiederholend, denn 




J 











6oo 


M. Wulff 


in Wirklichkeit war keine Glocke da — drehte sich dann um und sagte nach 
einer Weile, mir das Papier überreichend (ich ging ihr zum Tisch nach, um sie 
zu beobachten): „Schicken Sie mir, bitte, das Telegramm sofort ab.“ Ich nahm 
ihr das Papier ab — es war ein Telegramm an die Mutter mit einer richtigen 
damaligen Adresse der Mutter in einer ausländischen Sprache. (Dieses Telegramm 
war damals wirklich von der Patientin abgeschickt und von der Mutter empfan¬ 
gen worden.) Patientin gab mir das Telegramm, ohne mich zu erkennen, setzte 
sich wieder aufs Sofa, wischte sich die schweißbedeckte Stirn mit ihrem Taschen¬ 
tuch ab mit der Bemerkung: „Mein Gott, ist eine Hitze hier, ich habe so einen 
Durst.“ Dann geht sie wieder auf den Tisch zu, sucht, findet aber gar nichts. 
Vielleicht stand damals vor Jahren wirklich ein Glas Wasser auf dem Tisch, 
aber jetzt war es nicht der Fall. Aber auf der Veranda daneben stand wirklich 
auf einem Tisch ein Glas Wasser. Ich wollte sehen, inwiefern die Patientin die 
Wirklichkeit wahrnimmt und stellte den folgenden Versuch an: Ich nahm die 
Patientin bei der Hand und führte sie auf die Veranda. Sie ging widerstrebend, 
verwirrt, abwesend, wie im Nachtwandeln. Ich führte sie zum Tisch, aber sie 
schien das Glas mit dem Wasser nicht wahrzunehmen und nicht zu sehen. Dann 
führte ich ihre Hand zum Glas und brachte die innere Handfläche mit dem Glas 
in Berührung; die Patientin blieb aber unbeweglich, ohne zu reagieren und ohne 
das Glas zu nehmen. Dann nahm ich selbst das Glas und brachte zuerst nur das 
Glas — und als auch darauf keine Reaktion kam — auch das Wasser mit ihren 
Lippen in Berührung. Aber auch jetzt blieb jede Reaktion seitens der Patientin 
aus. Nun führte ich die Patientin zurück zu der früheren Stelle am Tisch, nahm 
aber das Glas Wasser mit und stellte es auf den Tisch, dorthin, wo sie es früher 
suchte. Mit einer schnellen sicheren Handbewegung ergriff Patientin das Glas und 
trank gierig das Wasser aus. 

Dieser Versuch zeigt eindeutig, daß die Patientin nur diejenigen Reize und 
Objekte im Anfall und im „anderen“ Bw-Zustand wirklich wahrnimmt, die 
denjenigen aus einem früheren, jetzt wiederholten Erlebnis entsprechen oder 
ähnlich sind, während andere zu gleicher Zeit auf sie einwirkende Reize nicht 
wahrgenommen werden. 

Man könnte vielleicht sagen, daß die Patientin nichts aus der gegebenen 
Realität wahrnimmt, nur eine frühere Situation genau wiederholt und dabei 
früher ausgeführte Bewegungen und Handlungen agiert, unabhängig davon, 
ob sie dabei zufällig mit einem realen Objekt in Berührung kommt oder nicht. 
So machte sie z. B. die Bewegung mit dem Arm, als ob sie klingeln würde, 
obgleich sie gar keine Glocke auf dem Tisch fand und nichts in der Hand 
hatte. Für den Fall, daß kein entsprechendes Objekt in der Wirklichkeit vor¬ 
handen ist, kann man diese Annahme nicht ab weisen; vieles spricht aber da¬ 
für, daß die Patientin in diesem Falle halluzinierte und eine Glocke wirklich 
sah, hörte und in ihrer Hand fühlte. Bei dem Versuch mit dem Glas Wasser 
ist aber die Sachlage doch eine andere. Auf der Veranda, in der veränderten, 







Über den hysterischen Anfall 


601 


dem wiederholten Erlebnis nicht entsprechenden Situation schien die Patientin 
das Glas nicht wahrgenommen zu haben; auch bei der unmittelbaren Berüh¬ 
rung des Glases mit der Handoberfläche und mit den Lippen und sogar vom 
Naßwerden der Lippen bei der Berührung mit dem Wasser hat sie anscheinend 
die taktilen Empfindungen nicht wahrgenommen, — sie bemerkte aber sofort 
das Glas, faßte es mit einer Handbewegung und führte es selbst zum Mund, 
als die Situation am Schreibtisch wie vor Jahren wieder hergestellt wurde. 
Im letzten Fall war es keine Halluzination mehr, sondern eine echte Wahr¬ 
nehmung eines realen Objektes, obgleich sich der Bw-Zustand der Patientin 
gar nicht verändert hatte. Der Schluß, den wir aus dieser Tatsache ziehen 
müssen, könnte so formuliert werden: i. Im „anderen“, hysterischen Bw-Zu¬ 
stand werden bestimmte Wahrnehmungen so erlebt, als ob die entsprechenden 
Reizquellen in Wirklichkeit in der Gegenwart vorhanden wären, obgleich das 
nicht der Fall ist und diese Reizquellen nur in den früheren, jetzt sich wieder¬ 
holenden Erlebnissen gewirkt hatten; 2. die andern, in der Realität vorhan¬ 
denen Reizquellen werden dagegen nicht wahrgenommen, mit der Ausnahme, 
daß 3. auch in der gegebenen Realität wirklich vorhandene Reizquellen wahr¬ 
genommen werden, wenn sie der früheren, jetzt wiederholten Situation irgend¬ 
wie entsprechen oder in ihrem Sinne durch Illusion umgedeutet werden können. 

Dieser eigenartige Zustand der Wahrnehmungsfunktion ist eigentlich einer 
befriedigenden Erklärung schwer zugänglich. Aber eines müssen wir in Be¬ 
tracht ziehen: Unsere bisherigen Erfahrungen haben uns immer wieder ge¬ 
zeigt, daß Störungen einer psychischen Funktion immer eine Regression der¬ 
selben auf eine frühere, weniger entwickelte Stufe zur Folge haben. Haben 
wir es dann vielleicht auch in diesem Falle mit einer Regression zu tun? 
Soll denn auch dieser Zustand der Wahrnehmungsfunktion einem früheren 
Entwicklungsstadium entsprechen? 

Es ist wirklich vorstellbar, daß dieses Durcheinander von Halluzinationen, 
Wahrnehmungen und Illusionen zu gleicher Zeit eine frühe, noch unent¬ 
wickelte Stufe dieser Funktion wieder herstellt. Wir können uns wohl vor¬ 
stellen, daß in der ersten Zeit der Anfänge des psychischen Lebens Reize, 
die von außen an die Sinnesorgane gelangen, als Vorgänge am eigenen Kör¬ 
per, nämlich an diesen Organen, empfunden und erlebt werden und mit den 
Reizquellen der Außenwelt nicht immer direkt in Verbindung gebracht 
werden. Die Wahrnehmung bedeutet dann noch kein Erkennen, der Unter¬ 
schied zwischen den Halluzinationen und wahrgenommenen Bildern wird 
noch kaum klar erfaßt. Erst die weitere Entwicklung bringt es mit sich, daß 
die Sinnesreize mit den Reizquellen in Verbindung gebracht werden und 









6oz 


M. Wulff 


Wahrnehmungen wirklich zum Erkennen der Außenwelt führen. In dieser 
Entwicklungsperiode wirken auch Reize, die von Triebregungen stammen 
und im Innern des psychischen Apparats entstehen, in derselben Richtung. 

Freud nimmt einen primitiven Zustand der psychischen Tätigkeit in 
einem gewissen Entwicklungsstadium des Kindes an, in dem der Versuch 
zuerst gemacht wird, ein Bedürfnis auf Grund einer schon vorhandenen Er¬ 
fahrung vom Befriedigungserlebnisse, nur durch Wieder verstär¬ 
ken von Erinnerungsspuren dieser die Befriedigung bringenden Wahrnehmung, 
zu befriedigen. So wird die Situation der ersten Befriedigung wieder her¬ 
gestellt, das halluzinatorische Wiedererscheinen der Wahrnehmung wird zur 
Wunscherfüllung und „die volle Besetzung der Wahrnehmung von der Be¬ 
dürfniserregung her — der kürzeste Weg zur Wunscherfüllung“. Das Wün¬ 
schen läuft also ins Halluzinieren aus. „Diese erste psychische Tätigkeit zielt 
also auf eine Wahrnehmungsidentität, nämlich auf die Wieder¬ 
holung jener Wahrnehmung, welche mit der Befriedigung des Bedürfnisses 
verknüpft ist.“ 9 Und diese Wiederholung entsteht auf halluzinatorischem 
Wege. Spiel rein spricht daher mit Recht, sich auf Freud stützend, 
von einem Stadium des halluzinatorisch-organischen Denkens. Erst später, 
mit der zunehmenden Erfahrung, nach erlebten Enttäuschungen und Richtig¬ 
stellungen, werden die Empfindungen und die wahrgenommenen Sinnesreize 
mit den äußeren Reizquellen, den realen Objekten in Verbindung gebracht 
und von den halluzinierten Wahrnehmungen der Erinnerungsspuren genau 
unterschieden. Auch dazu bedarf es einer Entwicklung, und es ist fraglich, 
ob mit einem Schlage das Stadium erreicht wird, in welchem immer jede 
Halluzination von der wirklichen Wahrnehmung unterschieden werden kann. 
Wir dürfen vielmehr auch beim kleinen Kind eine Entwicklungsphase an¬ 
nehmen, in der Wahrnehmungen, Halluzinationen und Illusionen zu gleicher 
Zeit bestehen können. Dann würden wir es bei dem hysterischen Anfall und 
im „anderen“ Bw-Zustand doch mit einer Regression der Wahrnehmungs¬ 
funktion auf dieses primitive Stadium in der Entwicklung zu tun haben. 


Bewußtseinsveränderung und „Ich“. 

Außer der „motorischen Sprache“ ist eine andere Erscheinung für den 
hysterischen Anfall charakteristisch, nämlich die Bewußtseinsver¬ 
änderung. 


9) Freud: Traumdeutung. Gesammelte Schriften, Band II, S. 483. 








r 


_ Über den hysterischen Anfall 603 

Den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Veränderung des Bewußt¬ 
seinszustandes, bezw. dem Bewußtseinsverlust und der Verdrängung zeigt 
eine Beobachtung an der Patientin A. 

Diese Frau begann gewöhnlich die psychoanalytische Sitzung mit den üblichen 
freien Einfällen, bis sie zu einem Punkt kam, in dem das Sprechen plötzlich 
stockte, die Patientin ruhig liegenblieb und in einen „Schlaf“ versank. Wurde 
sie gleich geweckt und auf gef ordert weiterzusprechen, so fiel ihr zunächst nichts 
ein, dann griff sie irgendein oberflächliches Thema auf und kam dann nie zu 
einer Deutung oder Lösung des Materials, das sie vor dem Einschlafen gebracht 
hatte. Wurde sie aber nach dem Einschlafen sich selbst überlassen, dann fing sie 
nach einer mehr oder weniger kurzen Pause zu „agieren“ an — und nun kam 
gerade das Material, das zur Lösung und Deutung des vor dem „Einschlafen“ 
Gebrachten nötig war oder die Fortsetzung des vorher angeknüpften Themas. 
Das Bild blieb aber im Verlaufe der ganzen Behandlung, die, wie gesagt, in der 
Analyse der reihenweise täglich auftretenden Anfälle bestand, nicht das gleiche. 
Die psychologischen Bedingungen und Verhältnisse im Augenblick des „Einschla¬ 
fens“, das heißt der Bewußtseinsveränderung, haben sich mit der Zeit grundsätz¬ 
lich geändert. Zu Anfang der Behandlung unterschied sich der dem Anfall un¬ 
mittelbar vorangegangene Zustand kaum von dem Vorgang, wie er sich ge¬ 
wöhnlich bei den hysterischen Anfällen auch ohne Behandlung abspielt. Die Er¬ 
regung der Patientin beim Sprechen und Erzählen stieg dauernd an, die Affekte 
kamen immer heftiger zum Ausdruck, bis der Augenblick eintrat, in dem das 
Bewußtsein plötzlich ganz erloschen war und die Patientin im bewußtlosen Zu¬ 
stand dalag, um nach einer kurzen Pause in das Stadium des „Agierens“ über¬ 
zugehen. Im Laufe der Behandlung veränderte sich aber das Bild in dem Sinne, 
daß die Widerstandsfähigkeit des Ichs gegen das vordrängende unbewußte Material 
sichtlich immer größer wurde. Man hatte den sicheren Eindruck, daß die Patien¬ 
tin eigentlich immer mehr imstande war, dem Anfall erfolgreich Widerstand zu 
leisten. In der letzten Zeit der Behandlung gab es sogar einzelne, wenn auch sel¬ 
tene, Stunden, in denen es nicht zum „Einschlafen“ kam, nämlich dann, wenn 
dieser Widerstand besonders stark war. In der Überwindung dieses Widerstandes 
zeigte sich dann mit Deutlichkeit die Wirkung der Übertragung. 

Der Ubertragungsaffekt in jeder einzelnen Stunde war vor dem Anfall voll¬ 
kommen durch den affektiven Inhalt des im Anfall wiederholten Erlebnisses 
determiniert; er schwand aber -spurlos sofort nach Erledigung des Anfalls, so daß 
die Einstellung zum Analytiker vor und nach dem Anfall gewöhnlich grundver¬ 
schieden war. Bei dieser Patientin mit einem sehr affektbesetzten „weiblichen 
Kastrationskomplex“ und einer hauptsächlich „negativen“ Übertragung mußte 
zuerst jedesmal der Übertragungswiderstand beseitigt werden, damit das „Ein¬ 
schlafen“ und die Bewußtseinsänderung zustande kommen konnten. Meist ver¬ 
setzte sich die Patientin dann selbst (gegen Ende der Behandlung) durch intensives 
Nachdenken in diesen Zustand und damit wurde der Vorgang zur Selbst¬ 
hypnose. 

Diese Änderung zeigt, daß das Auftreten der Bewußtseinsveränderung 












6 o 4 M. Wulff — 

einerseits von der Intensität des Vordrängens des im Ubw angestauten 
Materials abhängt, andererseits von der Stärke des Widerstandes seitens des 
„Ich“. Uber die Natur des Materials im Ubw hat Freud schon 1909 
festgestellt, daß es infantilen erotischen Phantasien entstammt, die mit auto- 
erotischen Befriedigungen verbunden waren und dann verdrängt wurden. Uber 
den Vorgang der Bewußtseinsänderung sagt Freud: „Der Bewußtseins¬ 
verlust, die Absence des hysterischen Anfalls geht aus jenem flüchtigen, aber 
unverkennbaren Bewußtseinsentgang hervor, der auf der Höhe einer jeden 
intensiven Sexualbefriedigung (auch der autoerotischen) zu verspüren ist. 
Der Mechanismus dieser Absence ist ein relativ einfacher. Zunächst wird alle 
Aufmerksamkeit auf den Ablauf des Befriedigungsvorganges eingestellt, und 
mit dem Eintritt der Befriedigung wird diese ganze Aufmerksamkeitsbesetzung 
plötzlich aufgehoben, so daß eine momentane Bewußtseinsleere entsteht. Diese 
sozusagen physiologische Bewußtseinslücke wird dann im Dienste der Ver¬ 
drängung erweitert, bis sie all das aufnehmen kann, was die verdrängende 
Instanz von sich weist.“ 10 

Da dieses Material sich nicht von dem unterscheidet, das sich bei der 
analytischen Durchforschung jeder Neurose als pathogene und symptom¬ 
bildende Quelle im Es findet, so sind wir berechtigt, die Bedingungen der 
Bewußtseinsveränderung im Ich, in seiner Eigenart und Organisation zu 
suchen. 

Nun ist die große Neigung der Hysterischen zu Tagträumereien schon 
längst bekannt. Ebenso sicher ist die Verwandtschaft dieser Tagträume mit 
dem hysterischen Anfall, auf die Freud in der oben zitierten Arbeit noch 
besonders hingewiesen hat. In diesem Überwiegen des Phantasielebens und der 
damit verbundenen Introversion der Libido hat man sogar viel¬ 
fach die besondere Disposition zur hysterischen Erkrankung erkennen wollen. 
Andererseits aber bilden bekanntlich die Erlebnisse aus dem Ödipuskomplex 
in der Kindheit den Kern dieser autoerotischen Phantasien. Die Folge ist, daß 
der Hysterische seinen Ödipuskomplex nicht genug überwunden hat, daß es 
bei ihm nie zu einer richtigen Zerstörung des Ödipuskomplexes gekommen ist. 
Das führt zur weiteren Frage: wie weit gelang beim Hysteriker die Ausbildung 
des Uber-Ichs? Mußte diese Ausbildung unter der mangelhaften Zerstörung 
des Ödipuskomplexes nicht leiden? Freud legt die Bejahung dieser Frage 
nahe, indem er sagt: „Eingehende Untersuchung belehrt uns auch, daß das über- 
Ich in seiner Stärke und Ausbildung verkümmert, wenn die Überwindung des 


10) Freud : „Allgemeines über den hysterischen Anfall.“ Ges. Sehr., Bd. V, S. 258-9. 












_ Über den hy sterischen Anfall 605 

Ödipuskomplexes nicht vollkommen gelingt.“ 11 Aber auch die anderen be¬ 
kannten, typischen Charakterzüge der Hysterischen sprechen für die Schwäche 
ihres Über-Ichs, nämlich ihre Verlogenheit, die Halt- und Hemmungslosigkeit 
in ihrem Wesen und oft in der Verfolgung ihrer Wünsche und Ziele u. a. m. 
Andererseits muß die starke Erotisierung des psychischen Lebens des Hysteri¬ 
schen in Betracht gezogen werden, die dominierende Rolle, die die erotischen 
Stimmungen und die Sexualerlebnisse in ihrem Seelenleben spielen. Freud 
hat in seiner Typologie die Hysteriker zum erotischen Typus zuge¬ 
rechnet, von dem er sagt: „Die Erotiker sind Personen, deren Hauptinteresse 
— der relativ größte Betrag ihrer Libido — dem Liebesieben zugewendet 
ist... Sozial und kulturell vertritt dieser Typus die elementaren Trieb¬ 
ansprüche des Es, dem die anderen psychischen Instanzen gefügig sind.“ 12 
Wir können also sagen: die Schwäche des Uber-Ichs und der hohe Grad 
von Erotisierung des Ichs (in seiner bewußten, wie vorbewmßten Seelen¬ 
tätigkeit) haben zur Folge, daß das aus dem Es vordrängende stark libido¬ 
besetzte Material des Anfalls den ganzen psychischen Apparat mit seiner 
Libido in einer organischen Intensität überschwemmt und die Bw-Funktion 
des Ichs fast zum vollen Auslöschen bringt. Dadurch erzwingen sich die im 
Anfall wiederholten Erlebnisse den Zugang zu der Motilität und teilweise 
auch eine Abfuhr nach außen, die dann für eine mehr oder weniger kurze 
Zeit gewöhnlich eine gewisse Beruhigung und Befriedigung bringt, — auch 
dann, wenn die Verdrängung durch die Analyse nicht aufgehoben wird und 
das Verdrängte dem bewußten Ich nach dem Anfall noch weiter unzugäng¬ 
lich bleibt. Dieser Lustprämie wegen, glaube ich, läßt sich das Ich den An¬ 
fall gefallen, denn wie wir aus der oben angeführten Beobachtung sehen, ist 
beim Anfall immer ein gewisses Nachgeben des Ichs dem Es gegenüber (bei 
schwachem Uber-Ich) im Spiel. 

Als schönes Gegenstück zum hysterischen Anfall kann in diesem Zusam¬ 
menhang der phobische Anfall bei der Angsthysterie betrachtet werden. Was 
im ersten durch das motorische Ausleben des Verdrängten vom schwachen 
Über-Ich zugestanden wird, das wird gerade im phobischen Anfall durch 
lokomotorische Hemmung und Angstentwicklung verhindert. Das läßt manches 
über den Unterschied in der psychologischen Struktur und der Disposition zu 
jeder der beiden Formen der Hysterie erkennen. Verschiedene Autoren haben 
schon längst hervorgehoben, daß die Phobiker vor ihrer manifesten Erkran- 

11) Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Wien 1933, 
S. 90. 

12) Freud: Uber libidinöse Typen. Int. Ztschr. f. Psa., XVII, 1931, S. 314. 











606 M. Wulff — 

kung eine starke Bewegungslust und Muskelerotik aufweisen und haben in der 
Verdrängung dieser Lust eine der Quellen der lokomotorischen Angst gesehen 
Ich habe vor Jahren in einem Kinderheim die Möglichkeit gehabt, die Beob 
achtung zu machen, daß Kinder, die schon ganz früh, vom ersten Gehversuch 
an, sehr lebhaft und bewegungslustig sind, im phobischen Alter zur Angst¬ 
entwicklung und Phobienbildung besonders neigen. Andererseits ist die Muskel¬ 
erotik eine Komponente des Sadismus, und gerade in dieser sadistischen Dis¬ 
position ist eine Vorbedingung zur Ausbildung eines herrschsüchtigen, ge¬ 
bieterischen und mächtigen Über-Ichs gegeben. Jedenfalls führt der Vergleich 
der Hysterischen mit den Phobikern leicht zur Feststellung, daß bei den 
Phobikern das Uber-Ich in viel höherem Maße das Seelenleben beherrscht als 
bei den Konversionshysterikern. In dem strengeren Über-Ich und in der 
sadistischen Disposition möchten wir also die Momente sehen, die bei der 
Neurosenwahl zugunsten der Angsthysterie von entscheidender Bedeutung 
sind. Die Angsthysterie nimmt auch in dieser Beziehung eine Mittelstellung 
zwischen Konversionshysterie und Zwangsneurose ein. 13 

Eine weitere Frage in diesem Zusammenhang ist folgende: Was geschieht 
mit dem Ich im hysterischen Anfall, wird es etwa aufgelöst oder zerfällt es? 14 

Das im Anfall zum Vorschein Gebrachte ist aber auch nur ein verdrängter 
und jetzt wieder agierender Teil des Ichs, der in der vergangenen Entwicklung 

13) In diesem Zusammenhang fällt ein gewisses Licht auf die merkwürdige, vielfach 
konstatierte Tatsache, daß Fälle von typischer Hysterie seit ungefähr Ende des vorigen 
Jahrhunderts unter der städtischen Bevölkerung Europas immer seltener werden, während 
Zwangsneurosen entschieden an Zahl zunehmen. Ich glaube die Ursache dieser Erscheinung 
in den veränderten Familien-, Milieu- und ErziehungsVerhältnissen, besonders in den Gro߬ 
städten, sehen zu dürfen. In den modernen Großstadtverhältnissen leben die kleinen Kinder 
viel mehr mit und unter Erwachsenen, es wird ihnen zwar entschieden mehr Aufmerksam¬ 
keit und Liebe geschenkt, sie werden aber (besonders beim Einkindersystem) viel mehr 
überwacht, „erzogen , und besonders die Erziehung zu Reinlichkeit und „Anstand“ wird 
früher und energischer durchgeführt. So werden vom Kind immer mehr Anpassungen, Über¬ 
windungen und Triebveränderungen gefordert, denen seine schwachen Kräfte oft nicht ge¬ 
wachsen sind. Das führt zu verschärften Konflikten, zur Gefühlsambivalenz und zur Aus¬ 
bildung eines strengen Uber-Ichs, was bekanntlich für die Zwangsneurose entscheidend ist. 
Früher, besonders in kinderreichen Familien, waren die Kinder viel mehr sich selbst über¬ 
lassen, sie wuchsen mehr in der Kindergesellschaft ihrer Geschwister auf, erzogen sich 
gegenseitig; die Erziehung zur Reinlichkeit setzte später ein und wurde nicht so energisch 
durchgeführt. Dafür lernte schon früh das Kind seine Wünsche im Spiel und in der Phan¬ 
tasie befriedigen, darunter auch sein Zärtlichkeits- und Liebesbedürfnis und das stärkte 
die Introversionneigung und das Phantasieleben. Die moderne Erziehung macht die Kinder 
allzuoft altklug und nüchtern. 

14) Einzelne Teile der vorliegenden Arbeit wurden von mir in einer Sitzung der 
Berliner Psychoanalytischen Gesellschaft vorgetragen und in der nachfolgenden Diskussion 
wurde die Ansicht geäußert, daß das „Ich“ im Anfall aufgelöst wird. 


















Über den hysterischen Anfall 607 

real durchlebt oder phantasiert war. In jedem einzelnen Fall wird so ein 
kleiner Abschnitt der Ich-Entwicklung vorgeführt. Wenn man eine Analyse 
der reihenweise auftretenden Anfälle so verfolgt, hat man den Eindruck, als 
ob jemand in dramatischer Form den Inhalt eines sein ganzes Leben lang 
geführten Tagebuches wieder vorführt, in dem jede seiner Handlungen, jede 
Äußerung, jeder Gedanke und jede Phantasie, alle Wünsche, Träume, Tag¬ 
träume genau und worttreu eingeschrieben sind. Dabei wird aber nicht in 
derselben Ordnung und Reihe, hintereinander, wie es im Buch steht, wieder¬ 
holt, sondern als ob das Buch durchgeblättert und je nach Verweisungen 
einmal die eine Stelle aus dem Anfang herausgegriffen wurde, am nächsten 
Tag eine Stelle aus der Mitte, dann ein Stück am Ende usw. So werden die 
einzelnen Schichten des Ichs wechselnd in horizontaler und vertikaler Folge 
vorgeführt. Trotzdem ist eine gewisse Ordnung in der Auswahl der Stücke 
doch zu bemerken: entweder sind es bestimmte inhaltlich gemeinsame Kom¬ 
plexe, z. B. der Kastrationskomplex in seiner ganzen Entwicklung und Äuße¬ 
rung aus verschiedenen Lebensabschnitten oder ein bestimmtes Ereignis, das 
eine Lebensperiode umfaßt und in Anfällen vorgestellt wird. In einem beob¬ 
achteten Fall dauerte der nach einem Anfall aufgetretene Dämmerzustand 
mehrere aufeinanderfolgende Wochen ohne Unterbrechung an. Durch volle 
Identifizierung mit einer realen oder phantasierten Person kann es dabei zu 
dem bekannten Bild der multiplen Persönlichkeit kommen. 

Man kann also die Auffassung vertreten, daß im hysterischen Anfall die 
psychische Tätigkeit nicht bloß formal in ihrer Arbeitsweise in 
einem Zustand tiefster Regression sich befindet, sondern daß sie auch 
inhaltlich, in Form des Erlebens, auf einen in der Vergangenheit er¬ 
lebten vor- oder unbewußten Teil des Ichs regrediert. 


Die Vorbereitung des Anfalls und seine Entstehung. 

Oben ist schon betont worden, daß dem einzelnen Anfall eine gewisse Vor¬ 
bereitungsperiode, ein Prodromalstadium vorausgeht. Oft kann man die An¬ 
zeichen des kommenden Anfalls schon viele Stunden oder sogar Tage vor 
dem Anfall erkennen. 

Zur Vorbereitung des Anfalls nehmen die aus dem kommenden Anfall 
vorweggenommenen Symptome und Erscheinungen an Zahl und Intensität 
zu. Alle Symptome dieser Prodromalperiode kommen im Anfall selbst in 
verstärkter Form als Bestandteile des wiederholten Erlebnisses sinnvoll zum 
Vorschein. Eine Ausnahme bilden nur diejenigen Symptome, die eigentlich 


. 

L 












6o8 


M. Wulff 


Ausfallserscheinungen darstellen, nämlich die Anästhesien. Sie können sich 
im Anfall in besonders starke Empfindungen und Sensationen verwandeln, 
z. B. bei sexuellen Anästhesien an den erogenen Zonen in Schmerzen. 

So hatte z. B. Patientin A. seit vielen Jahren anästhetische Stellen an der 
Innenfläche der Oberschenkel. In einem Anfall wiederholte sie einen mehr oder 
weniger erzwungenen Koitus, bei dem der Partner durch eine ungeschickte Be¬ 
wegung sie mit seinen Knien an dieser Stelle stark drückte und ihr Schmerzen 
zufügte. Nach diesem Anfall verschwanden die Anästhesien. Ein anderes Mal ent¬ 
sprachen plötzlich vor dem Anfall aufgetretene Anästhesien an den Zeigefingern 
beider Hände einer im Anfall selbst wiederholten kindlichen Phantasie, bei der 
die Patientin mit einem Messer kastriert werden und diese Finger ihr abgeschnitten 
werden sollten. 

Die an die Erlebnisse des Anfalls gebundenen Affekte beherrschen das 
Affektleben des Kranken die ganze Prodromalzeit hindurch und werden un¬ 
mittelbar auf die Umgebung, auf alle Personen, mit denen der Kranke in 
Berührung kommt, übertragen. Das führt zu unzähligen unbegründeten, un¬ 
verständlichen Konflikten mit der Umwelt, zur Störung aller Beziehungen — 
der ehelichen, familiären, freundschaftlichen usw. Selbstverständlich ver¬ 
schonen solche Übertragungserscheinungen auch nicht die Person des Analyti¬ 
kers und müssen in der üblichen Weise behandelt werden. 

Das ganze Handeln und Denken des Patienten in der Zeit vor dem Anfall 
wird von den Erlebnissen des herannahenden Anfalls in höchstem Grad be¬ 
herrscht. Es wird wohl kaum eine Übertreibung sein zu sagen, daß jede Hand¬ 
lung, jede Bewegung und Äußerung des Kranken, auch die scheinbar gleich¬ 
gültigste, geringste, ganz auf die Gegenwart gerichtete, vom Inhalt des 
nächsten Anfalls in hohem Maße beeinflußt wird. Die wichtigsten Bezie¬ 
hungen, Lebensereignisse und Entscheidungen werden in gleicher Art von 
dem Inhalt des reifenden Anfallserlebnisses in entscheidender Weise beein¬ 
flußt. Man kann ferner behaupten, daß der Charakter und die Per¬ 
sönlichkeit des Kranken sich nicht nur im Anfall dem in ihm er¬ 
neuerten Erlebnis entsprechend verändern, sondern auch in der Prodromal¬ 
zeit in gleicher Weise auf die Lebensperiode dieses _ Anfalls vollkommen 
regredieren können. 

Es wäre vielleicht nicht nötig, sich über diese, eigentlich meist bekannten 
Erscheinungen zu verbreiten, wenn nicht andere wichtige Fragen damit ver¬ 
bunden wären. Die Erscheinungen und die Vorgänge, die sich in der Vor¬ 
bereitungsperiode des Anfalls abspielen, gehören eigentlich zu dem typischen 
Bild der Hysterie und treten in gleicher Weise auch in denjenigen Fällen auf, 
bei denen es nicht zu Anfällen kommt. Lassen wir das letzte Stadium, den 









_ Über den hysterischen Anfall 609 

Anfall selbst, weg, wie er der überwiegenden Mehrzahl von Hysterien tat¬ 
sächlich fehlt, so unterscheidet sich das hier geschilderte Bild des Prodromal¬ 
stadiums in keiner Weise von dem gewöhnlichen, typischen Bild der Hysterie 
und man kann eigentlich jeden einzelnen Zustand in der Vorbereitungsperiode 
als eine selbständige kurze Hysterieattacke betrachten. 

In den modernen klassischen psychiatrischen Schulen „wird aber eine 
Krankheit ,Hysterie 4 nicht mehr anerkannt und die Bezeichnung ,hysterisch* 
im Sinne ,zweckneurotisch* gebraucht. Im ,hysterischen Charakter* sehen 
wir eine Unterform seelischer Entartung, bei der ein maßloser Egoismus bei 
disharmonischer Trieb-, Gefühls- und Willensstruktur in einer labilen Per¬ 
sönlichkeit hysterische Wunschmechanismen zur Erreichung seiner oft 
asozialen Ziele benutzt “. 15 „Man spricht von einer Anlage zu psychogenen 
Mechanismen, von einer gesteigerten Suggestibilität, von einer nervösen, 
psychopathischen hysterischen Konstitution. Das Leben kann solche Anlagen 
verstärken oder abschwächen, ausnahmsweise sie sogar erst hervoi rufen.“ 
Und dann weiter: „Halten wir fest: eine hysterische Reaktion ist eine 
psychogene, meist körperliche, nicht selten aber auch rein psychische Stö¬ 
rung, bei der ein abnormer Seelenzustand einer labilen Persönlichkeit einen 
(mehr oder weniger bewußten) Krankheitswunsch in körperliche oder seeli¬ 
sche Symptome umsetzt. Der Kranke vollzieht eine „Flucht in die Krank¬ 
heit . Die Symptome haben den Sinn, das Verstehen des Leidens zu be¬ 
weisen; sie haben den Zweck, aus diesen so erzielten Leiden einen Vorteil 
zu ziehen . Abgesehen von dem sehr zweifelhaften wissenschaftlichen Wert 
solcher Begriffsbildungen, wie „Unterform seelischer Entartung“, „dishar¬ 
monische Trieb-, Gefühls- und Willensstruktur“, „labile Persönlichkeit“ usw., 
muß auch die Berechtigung dieses strengen Auseinanderhaltens von „hysteri¬ 
schem Charakter*, als Grundlage und Nährboden und der „hysterischen 
Wunschmechanismen nicht minder zweifelhaft erscheinen. Denn, wie die 
Psychoanalyse und die hier angeführten Tatsachen ganz sicher beweisen, 
liegen beiden dieselben Vorgänge im Ubw und „Mechanismen“ zugrunde. 
Vollkommen unrichtig ist aber die Behauptung, daß die Wunschmechanismen 
und die aus ihnen entstandenen Symptome nur teleologisch zu verstehen 
sind und nur den Sinn haben sollen, „das Bestehen einer Krankheit zu 
beweisen , und nur den Zweck, „aus diesem so erwiesenen Leiden den 
Vorteil zu ziehen “. 16 


1 j) Gaupp : Die medizinische Welt, Nr. 44, 1932. Zur Lehre von den Neu¬ 
rosen. 

16) Siehe Gaupp : Die medizinische Welt, Nr. 45, November 1932. 

Int. Zeitsdir. f. Psychoanalyse, XIX—4 


39 












6 io 


M. Wulff 


Die Oberflächlichkeit dieser „teleologischen“ Auffassung der „Flucht in 
die Krankheit“ hat Freud (von dem übrigens dieser Terminus auch 
stammt) treffend durch den Vergleich mit dem unfehlbaren „Instinkt“ des 
Pferdes gekennzeichnet, das aus Angst vor dem Löwen sich in den Abgrund 
stürzt . 17 Eine größere Bedeutung gewinnt aber die theoretische Begründung 
dieser Teleologie. So wird gesagt: „Die Gesetze von Ursache und Wirkung 
gelten unbestritten und lückenlos in der anorganischen Welt; in der 
organischen Welt wird ihre Allgemeingültigkeit bestritten, in der see¬ 
lischen Welt als unzureichend empfunden. Im Reich des Lebendigen setzt 
die moderne Forschung den Zweck gedanken neben die rein kausale 
Betrachtung. Mit dieser teleologischen Denkweise entsteht die Auf¬ 
gabe, das lebendige Geschehen nicht bloß zu beschreiben und kausal zu er¬ 
klären, sondern auch — nach einem Wort von Dilthey — zu ver¬ 
stehen. Organische Form und lebendige Bewegung haben Sinn und 
Zweck. Diese gilt es, einfühlend zu erfassen und zu 
deute n .“ 18 

Es wäre eigentlich gegen das Nebeneinander dieser beiden Auffas¬ 
sungen gar nichts einzuwenden, wenn nicht in der praktischen Anwendung die 
kausale Betrachtungsweise durch die „verstehende“ einfach ersetzt würde — 
wie die oben angeführte Auffassung des Sinnes und des Zweckes der Hysterie 
beweist. Die Zeit ist noch nicht lange her, als man „psychisch“ und „bewußt“ 
gleichgesetzt hat und das unbewußte Seelenleben, zugleich aber auch die 
Gültigkeit des Kausalgesetzes für das Psychische verneinte. Die Psychoanalyse 
hat viel gegen diese Auffassung gekämpft und trotz starker Widerstände — 
nicht ohne Erfolg. Jetzt kommt die moderne teleologische, „verstehende“ Auf¬ 
fassung des psychischen Geschehens und wird für viele, wenn nicht für alle 
ihre Anhänger, zu einem mehr oder weniger verkleideten Rückfall in die alte 
Sünde der Bewußtseinspsychologie. Denn die teleologische Zweckeinstellung 
des Denkens oder richtiger — das zielgerichtete Denken ist eine Eigentümlich¬ 
keit nur des bewußten Denkens, im Gegensatz zum unbewußten Denken, 
dem jede Zweckeinstellung fehlt. Die „verstehende“ teleologische Psycho¬ 
logie kann also nur für die bewußten oder vorbewußten Denkvorgänge 
Geltung haben. Diese teleologische Auffassung der psychischen Vor¬ 
gänge führt notwendigerweise letzten Endes zur Verneinung des unbe- 


17) Siehe Freud : Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Ges. Sehr., 
Bd. VII. 

18) Gau pp: Zur Lehre von den Neurosen. Die medizin. Welt, Nr. 44, I 93 2 * 








r 


Über den hysterischen Anfall 611 

wußten Seelenlebens. Zugleich sind bei der „verstehenden“ Einfühlung und 
teleologischen Deutung Möglichkeiten gegeben, nicht nur zu einer subjektiven 
Auffassung und Rationalisierung der Seelenvorgänge des anderen, sondern 
auch zur Projektion der eigenen Seelenzustände auf ein fremdes Ich. Das 
beste Beispiel dafür ist A. Adler und seine individualpsychologische Schule. 
Auch die oben erwähnte moderne teleologische Auffassung des Sinnes und 
Zweckes der hysterischen Symptome und Krankheitserscheinungen bedeuten 
tatsächlich zugleich einen vollen Verzicht auf die von der psychoanalytischen 
Forschung auf gedeckten kausalen Zusammenhänge und unbewußten Vorgänge 
bei der Hysterie. 

Die zielgerichtete Denktätigkeit ist, wie gesagt, eine Eigentümlichkeit des 
Bw-Systems, das mit der zusammenfassenden vereinigenden Funktion des 
Ichs auf engste verbunden ist. Der zielgerichteten Einstellung des Ichs ent¬ 
sprechend, werden die bewußt wahrgenommenen Symptome und Krankheits¬ 
erscheinungen von ihm im Sinne der gegebenen Realität sekundär ver¬ 
arbeitet und umgedeutet oder rationalisiert. Dadurch wird eine psychologische 
Verbindung zwischen der Realität und dem Symptom hergestellt und das 
letzte bekommt seitens des Ichs noch neue, wenn auch meistens nicht klar 
bewußte Tendenzen, die aber für sich allein, ohne ihre unbewußten Wurzeln, 
nie zur Symptombildung führen könnten. Das ist einer der Gründe, weshalb 
der Kranke auch auf Erscheinungen der Gegenwart mit Produktion von 
Symptomen reagieren kann. So geschieht es auch mit den hysterischen An¬ 
fällen, die als eine Reaktion auf eine reale Situation der Gegenwart plötzlich 
auftreten können, obgleich sie nur eine Wiederholung eines Erlebnisses aus der 
Vergangenheit darstellen. Auch die psychoanalytische Behandlung selbst schafft 
solch eine begünstigende Situation. So ist das hier geschilderte tägliche wie 
absichtliche Auftreten der Anfälle während der analytischen Sitzung eine 
Reaktion auf die gegenwärtige sogenannte „psychoanalytische Situation“. Be¬ 
sonders muß noch eine zielgerichtete Tendenz erwähnt werden, die bei der 
neurotischen Symptombildung häufig eine große, manchmal sogar eine aus¬ 
schlaggebende Bedeutung hat, nämlich die Tendenz, dem Strafbedürfnis des 
Über-Ichs zu entsprechen. 

Nun entsteht aber eine wichtige Frage: wodurch wird diese Reaktionsweise 
auf eine reale Situation, wie z. B. auf die Behandlung, mit hysterischen Anfällen 
und anderen Krankheitssymptomen zu antworten, ermöglicht? Welches sind 
die Mittel und Wege, deren sich die symptombildenden Vorgänge zu diesem 
Zwecke bedienen? Die Psychoanalyse deckt sie auf und zeigt, daß sie von dem 
Ubw-System des „Es“ stammen, nämlich in Form von Affektübertragung. 


39* 










M. Wulff: Über den hysterischen Anfall 


612 

Der Kranke kann nur dann mit Krankheitssymptomen auf eine gegenwärti e 
reale Situation reagieren, wenn er zu den Objekten dieser Situation in einer 
Übertragungsbeziehung steht. Durch die Übertragungssituation mobil gewor¬ 
dene, im Es fixierte Affekte erwerben, weil sie selbst Regressionen sind, auch 
den psychischen Mechanismus (keine 'Wunschmechanismen!) der Regression 
von den Erinnerungsspuren zu den Erlebnissen der Vergangenheit, welche 
einerseits zur Symptombildung führen und anderseits gesteigert, in Form von 
Anfällen, zum Wiedererleben kommen. Die hier geschilderte systematische 
Analyse reihenweise täglich auftretender Anfälle ist nur durch die Über¬ 
tragung möglich geworden. 

Auch der oben geschilderte Zustand der Patientin A. während ihres zwei¬ 
monatigen Aufenthaltes im Krankenhaus ist ein Produkt der Übertragung. 
Der Zustand kam zum Ausbruch im Anschluß an eine Autofahrt, während 
der die Patientin Angst bekam, weil sie der Geschicklichkeit des am Steuer 
sitzenden Mannes nicht vertraute. Sie bat ihn, langsam zu fahren, er hielt 
aber ihre Befürchtungen für grundlos und fuhr im üblichen Tempo weiter. 
Dadurch wurde für die Patientin dieselbe angstvolle Zwangssituation her¬ 
gestellt wie beim Rattenerlebnis in der Kindheit. Das wurde noch dadurch 
besonders begünstigt, daß die Übertragung vom Vater auf den Mann schon 
früher durch viele Motive und Erlebnisse der Gegenwart hergestellt war. 
„Der Krankheitsgewinn“, „die Flucht in die Krankheit“ aus der konflikt¬ 
reichen, leidvollen realen Gegenwart kamen hinzu, aber sie könnten höchstens 
das Festhalten an dem schon bestehenden Krankheitszustand begünstigen, 
nicht dessen letzte Ursache und schöpferische Quelle sein. 









VORLÄUFIGE MITTEILUNGEN 

In dieser Rubrik erscheinen die Beiträge in der 
Reihenfolge ihres Einlaufes hei der Redaktion. 

EITSINN UND TRAUM 

r on Alfred Groß (Mailand) 

Im Traum einer Patientin stehen an einem Abhang mehrere kleine Knaben 
in verschiedener Höhe des Abhangs. Unter den Traumerregern dominiert 
ne bestimmte vaginale Sensation, deren Auftauchen bei dieser Patientin mich 
•us dem Zusammenhänge der Analyse) zur Deutung nötigt, daß die am Ab- 
ing stehenden Knaben das H e r u n t er g 1 ei t e n des Glieds in der 
:heide versinnbildlichen. 

Ich versuche, das Phänomen dadurch zu erklären, daß die Träumerin den 
raum in einem frühen Stadium der Sekundärbearbeitung erfaßt hat: Es ist 
»ch nicht das — im Ubw nicht vorhandene — Z e i t m o m e n t hinein- 
ar eitet, vielmehr stehen zum Ausdruck der erstrebten lustvollen Be- 
'gungssituation — die Knaben (anstatt eines einzigen) an verschiedenen 
eilen des Berghanges, wie ein Filmstreifen, der denselben Gegenstand in 
direren aufeinanderfolgenden (vielmehr für den Beschauer folgen sollen¬ 
in) Zustanden zeigt. Es zeigt also der Traum hier eine primitive Erlebnis- 
i e, in der der Zeitsinn fehlt — und mit ihm die Aufeinanderfolge von Zu- 
inden, das heißt: — die Bewegung. 

Der Vergleich mit dem Filmstreifen (zu dem der Traum der Patientin 
radezu herausforderte) erinnert an den Bau unseres Auges, welches ja gar 
:ht rn der Lage ist, „Bewegungen“ zu sehen, sondern nur Zustände, und 
ar ln be § renzt schneller Aufeinanderfolge. Daß wir die schnell aufeinander- 
genden Zustände eines Objekts zum Erlebnis einer „Bewegung“ verbinden, 
ein sekundärer Vorgang gegenüber dem primären optischen Akt: das Auf- 
imen von Bildern auf der Netzhaut. Ein sekundärer Vorgang gegenüber 
n Sinnesakt, und somit wohl eine „höhere“ psychische Leistung als dieser. 
Der Traum hat — nach F r e u d — den Schlaf zu schützen. Offenbar ist 








6 14 


Vorläufige Mitteilungen 


letzterer ein Zustand, in dem neben anderen Leistungen des WBv auch 
diejenige wegfällt, vermöge deren wir uns das Erlebnis (fast hätte ich gesagt: 
„die Illusion“) der Bewegung verschaffen. Ist uns das neu? — Keineswegs! 
Denn wir wissen ja, das Ubw ist „zeitlos“, und ohne den Zeitsinn ist uns 
das Bewegungserlebnis bekanntlich versagt. Wo also Zeitlosigkeit herrscht, 
wie im Ubw, wie — vielleicht — im Schlafe, müsse sich Bewegung auflösen 
in ein Nebeneinander von Zustandsbildern (Filmstreifen), — so könnte 
man folgern. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß die „Zeitlosigkeit“ des 
Ubw ein empirischer Fund ist, dessen Bedingungen noch problematisch sind. 

erfolgreiche; Behandlung einer schweren, 

MULTIPLEN KONVERSIONSHySTERIE DURCH KATHARSIS 

Vortrag von Emil Simons on (Ber!m=HaIensee), 

gehalten in der Deutschen psychoanalytischen Gesellschaft am 13. Dezember 1932. 

In der Allgemeinpraxis wurde ich im November 1926 zu einer 58jährigen 
Portiersfrau wegen angeblichen Schlaganfalles mit Lähmungen der linken 
Körperhälfte, starken Schmerzen, besonders im Arm und der Herzgegend, 
Blindheit und Verlust des Geruchssinnes gerufen. Die Untersuchung ließ alle 
Erscheinungen als hysterische Konversionen erkennen. Da die unerträglich 
schmerzhaften Paraesthesien sofortiges Eingreifen verlangten, versetzte ich 
sie in tiefe Hypnose, was leicht gelang, zunächst nur zwecks suggestiver 
Beeinflussung. Dadurch konnten die Schmerzen, die Amaurose und der Ge¬ 
ruchsverlust in der ersten Woche beseitigt werden, allerdings unter Neigung 
zu Rezidiven. Einerseits die Empfänglichkeit für tiefe Hypnose, anderseits 
die aus dem Lebensalter und dem niedrigen Bildungsgrade der Patientin sich 
ergebende Unmöglichkeit einer Psychoanalyse bewogen mich zu dem Versuch 
einer Katharsis nach dem alten Breuer-Freud sehen Muster. Hierbei 
kam im Laufe des nächsten halben Jahres eine ungeheure Anzahl von Er¬ 
lebnissen und eingeklemmten Affekten zum Vorschein, die ganz wie bei der 
alten Katharsis mimisch und dramatisch dargestellt wurden und von der 
Gegenwart bis in die frühe Kinderzeit zurückreichten. Z. B. wurde ein 
53 Jahre zurückliegender Ödipustraum aus dem sechsten Lebensjahre neu 
erlebt. Eine zehn Jahre zurückliegende Erfrierung beider Unterschenkel wurde 
für einen aktuellen Zweck reproduziert. 

Das Besondere des Falles liegt aber darin, daß es nicht, wie bei der alten 
Katharsis, bei einer kaleidoskopartigen Aneinanderreihung von Erlebnissen mit 
dem Ergebnis der Beseitigung von Symptomen sein Bewenden hatte, sondern 







Vorläufige Mitteilungen 


615 

daß das Verfahren durch Benutzung der durch die Psychoanalyse gewon¬ 
nenen Erkenntnisse weit mehr in die Tiefe führte. Die Frau arbeitet seit sechs 
Jahren wieder. Durch Aufdeckung der infantilen Situation und Ermittlung 
des aktuellen Konfliktes konnte ein Verlauf erzielt werden, der dem einer 
klassischen Psychoanalyse sich bemerkenswert näherte, zumal ein vorsichtiges 
aktives Eingreifen bei diesem Verfahren weniger gefährlich ist als bei der 
klassischen Psychoanalyse. 

Bemerkenswert sind auch die mehrfachen Träume, durch die das Unbe¬ 
wußte einen Tag vorher das Programm der nächsten kathartischen Sitzung 
gewissermaßen festlegt. Hitschmann hat schon 1919 einen solchen Fall 
berichtet („Uber eine im Traume angekündigte Reminiszenz an ein sexuelles 
Jugenderlebnis“). Nicht häufig wird sich auch in der Literatur eine solche 
Wirkung des Wiederholungszwanges finden, daß eine Frau zweimal in ihrem 
Leben einen ungeliebten Mann heiratet, nur weil die Angehörigen dagegen sind. 

Die Schuldgefühle gegen den Vater bewirkten, daß sie nach dem jus 
talionis von ihm durch dieselben Leiden, an denen er gestorben war (linke 
Körperseite), bestraft werden muß, um dann nach der Sühne im Tode wieder 
mit ihm vereint zu sein. 

Das ist keine Psychoanalyse, aber in geeigneten Fällen, in denen Psycho¬ 
analyse aus inneren oder äußeren Gründen nicht möglich ist, können wir 
durch Zuhilfenahme der in den letzten 40 Jahren erworbenen psychoanaly¬ 
tischen Einsichten mehr erreichen als durch die damalige Katharsis. Das gilt 
auch besonders in Fällen wie dem vorliegenden, in dem ein Ich schnellste 
Hilfe und ein Über-Ich (Krankenkasse) möglichste Beschleunigung verlangt. 

ZUR METAPSyCHOLOGIE DES MASOCHISMUS 

Vortrag von Ludwig Eideiberg (Wien)/ 

gehalten im Technischen Seminar des Wiener psychoanalytischen Ambulatoriums am 
1. Februar 1933. 

Bei einem 30jährigen Patienten finden wir als Äußerungen seiner maso¬ 
chistischen Perversion auf dem Liebesgebiete: den Sexualverkehr mit besonders 
schmutzigen Prostituierten, wobei außer dem Koitus Beschmutzungen und 
Schläge auf den Penis stattfinden; bei hübschen Mädchen wird kein Sexual¬ 
verkehr ausgeübt. Im Berufe erleidet Patient diverse Erniedrigungen von 
seinen Vorgesetzten, seine Arbeit ist eintönig, seine Fähigkeiten werden nicht 
ausgenützt. Dieser Zustand wird vom Patienten geduldig und ohne jede Ab¬ 
wehr ertragen. Daß es sich um ein Erleiden handelt, ist ihm bewußt, er weiß, 












6i6 


Vorläufige Mitteilungen 


daß andere Menschen ein anderes, glückliches Leben führen. In der Analyse 
gelingt es dem Patienten zu beweisen, daß dieses Leid nicht, wie er behauptet 
ohne sein Zutun über ihn von der Außenwelt verhängt wurde, sondern daß 
er selbst durch sein Benehmen dieses Leid provoziert hat. Nur dieses selbst¬ 
erzeugte Leid wurde von ihm genossen, während das reale sorgfältig 
gemieden wurde. Den Mechanismus, der dem Patienten erlaubt, äußere 
Versagungen unschädlich zu machen, indem er statt 
sie passiv zu ertragen, selbst aktiv welche schafft, 
nenne ich den „masochistischen Mechanismu s“. Durch Be¬ 
wußtmachen und langes Durcharbeiten dieses Mechanismus wird seine Wir¬ 
kung gelähmt. Offenbar konnten selbsterzeugte Niederlagen an Stelle der 
realen nur unter der Bedingung gesetzt werden, daß sie dem Bewußtsein des 
Patienten als reale erscheinen. Dieser „masochistische Mechanis¬ 
mus“ ist metapsychologisch den bereits bekannten 
Mechanismen wie Projektion, Konversion, Introjek- 
tion und Reaktionsbildung gleichzusetzen. Ich konnte 
diesen Mechanismus bei einigen Patienten beobachten; ob er bei allen Maso¬ 
chisten vorliegt oder nur bei einer Gruppe, wird erst auf Grund von Ana¬ 
lysen zahlreicher Fälle entschieden werden können. 


DIE VIER FRONGESETZE DER ZWANGSNEUROSE 

Vortrag von Paul Federn (Wien), 

gehalten in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung im Juni 1931. 

Vorbemerkung: Daß ein psychischer Akt gegen den Willen des 
Individuums einfällt und ihm fremd und überraschend erscheint, ja von 
ihm abgelehnt wird, erschöpft nicht das Wesen des Zwanges (das kann 
triebhaft, gewohnheitsmäßig, automatisch, unabsichtlich, auch ticartig 
oder hysterisch geschehen sein). Der Zwang ist zu charakterisieren als 
eine vom Ich zwar nicht gebilligte, aber doch als ichzugehörig akzeptierte, 
wenn auch vom Ich als aufgezwungen gefühlte Leistung. Daß der 
Zwang eine Leistung ist, ist wesentlich und gilt auch für die einfachste 
Zwangsvorstellung, die eine Denkleistung, nicht eine bloße, passiv er¬ 
lebte Denkphase ist. Eine Halluzination ist, obgleich aufgedrungen, 
kein Zwangssymptom. 

Da der Zwang eine Leistung ist, muß die Leistung gelingen, damit 
der Zwang erledigt sei. 

Jede Leistung hat bestimmte Bedingungen zu erfüllen, um zu gelingen. 
Diese Bedingungen sind in jedem Falle verschieden, hängen vom Inhalt des 








Vorläufige Mitteilungen 


617 


Zwanges ab; alle diese Bedingungen haben aber gemeinsam, daß sie sich auf 
die Art des Vorganges der Leistung beziehen. Dieses Gemeinsame sind die 
Gesetze des Zwanges. Es sind die Frongesetze, die der Zwangsneurotiker bei 
jedem Zwange erfüllen muß, um von der ihm auferlegten Leistung für 
einige Zeit befreit zu werden. Gelingt ihm die Erfüllung des durch diese 
Bedingungen erschwerten Zwanges nicht, so wird aus dem Einzelzwang ein 
Dauerzwang. Wir können zwei Arten des Dauerzwanges unterscheiden: das 
von Freud beschriebene „Zwangsdeli r“, in welchem immer neue in¬ 
haltliche Aufgaben mit fortdauernden formalen Bedingungen auferlegt wer¬ 
den, und den gleichsam strafweise vervielfachten Zwang, wofür 
Waschzwänge ein häufiges Beispiel sind. Es können auch Einzelz'/äi^ge so 
oft und leicht ausgelöst werden, daß sie einem Dauerzwang gleichen. Es ist 
aber wahrscheinlich, daß alle Zwänge als Einzelzwang beginnen und erst, 
weil sie nicht genügend gelungen sind, zu Dauerzwängen werden. Das würde 
z. B. bedeuten, daß selbst der einfache Zwang, etwa eine bestimmte Zahl 
mehrmals zu wiederholen, nicht der erste Keim dieser Art Zwänge ist, son¬ 
dern dadurch zustande kam, daß es zuerst nicht gelang, es einmal richtig 
zwangsgemäß zu tun. Eine Ausnahme von dieser Regel besteht scheinbar für 
die dreimalige Wiederholung, welche als primäre Zwangsaufgabe so häufig 
auftritt. In Wirklichkeit ist aber auch diese Wiederholung die Folge davon, 
daß zwischen zwei ambivalent empfundenen Entscheidungen doch eine ge¬ 
wählt wurde, aber nur um den Preis, daß die erste Handlung noch nicht 
endgültig gilt, die zweite an Stelle der entgegengesetzten treten muß und 
dann die dritte erst den Zweifel endgültig erledigt. Wir sehen an diesem Bei¬ 
spiel, daß die Wiederholung von Zwangsleistungen diesseits und nicht jen¬ 
seits des Lustprinzips erfolgt, also nicht durch das Wiederholungsprinzip 
erklärt werden darf. Das gilt für alle Dauerzwänge und zwanghafte Wieder¬ 
holungen. Deshalb hätte die Bezeichnung „Wiederholungs p r i n z i p“ oder 
„Trägheitsprinzip“ manchen Vorteil vor dem von Freud gewählten Ter¬ 
minus „Wiederholungs z w a n g“, zumal „Zwang“ schon allgemein für „dem 
Ich sich aufdrängende“ Vorgänge gebraucht wird. 

Wir wollen die vier Gesetze nennen: 

1. Erfüllung der Determinierungen, das ist inhaltliche Exaktheit. 

2. Freiheit von inhaltlichen Ablenkungen, das ist gelungene Isolierung. 

3. Gebot des einheitlichen Affekts: Freiheit von Zweifel, Gegen willen, 
Furcht oder libidinöser Besetzung. 

4. Gebot der Beteiligtheit des ganzen Ichs, d. h. ganz dabei sein. 

Alle diese Gebote betreffen sowohl den ganzen Zwang als auch seine ein- 












6 18 


Vorläufige Mitteilungen 


zelnen, oft zweizeitig einander widersprechenden Teile. Der ganze Zwang 
muß wiederholt werden, wenn auch nur ein Teil in bezug auf eines der 
Gesetze mißlang. Die einzelnen Bedingungen in bezug auf Inhalt, Affektlage 
und Isolierung stehen untereinander in einer Rangordnung, die bei verschie¬ 
denen Kranken verschieden ist. Ist z. B. das inhaltliche Gebot der vorge¬ 
schriebenen Zahl das Wichtigste, dann muß der Gesamtzwang, so oft dieser 
Zahlbefehl es vorschreibt, wiederholt werden, auch wenn eine andere Bedin¬ 
gung bei einem Zwangteil verletzt wurde. Das oberste Gebot scheint aber 
meistens das vierte zu sein, obgleich gerade dieses dem Kranken nicht bewußt 
und bekannt ist. Der Kranke meint nur, er sei nicht befriedigt gewesen und 
müsse den Zwang wiederholen. 

Bemerkungen zu den einzelnen Gesetzen: 

Zu i.: Die inhaltliche Richtigkeit verlangt nicht nur das vorschriftsgemäße 
Ausführen der Zwangshandlung oder das vorschriftsmäßige gedankliche 
Durchführen der Zwangsaufgabe; es sind dabei auch ökonomische Vor¬ 
schriften zu erfüllen, die sich auf die Verteilung der Wichtigkeit auf die 
einzelnen Phasen des Zwanges beziehn. Ich sollte das eigentlich als beson¬ 
deres, fünftes Gesetz formulieren, weil wir auch sonst den inhaltlichen vom 
ökonomischen Gehalt zu trennen pflegen. Anderseits ist aber Inhalt und 
Wichtigkeit desselben genetisch so eng verknüpft, daß sie immer zusammen 
erklärt werden müssen. Der ökonomische Index beeinflußt besonders das 
Tempo und den Schwung der einzelnen Zwangshandlungen. 

Zur inhaltlichen Exaktheit gehört auch die Berücksichtigung 
aller Möglichkeiten bei der Ausführung des Zwanges. Überhaupt 
verhält sich der Zwangsneurotiker zur Möglichkeit und Wirklichkeit ganz 
anders als der Normale. Das bloß Mögliche schaltet dieser aus der gedank¬ 
lichen Erledigung oder den Gründen der Entscheidung aus und muß erst 
durch Erfahrung lernen, daß das gefährlich werden kann. Der Normale hat 
genug damit zu tun, dem Wirklichen zu begegnen. Jedenfalls ist die Kate¬ 
gorie der Wirklichkeit von der Möglichkeit für den Normalen selbstver¬ 
ständlich und sicher unterscheidbar. Er wird je nach der Wirklichkeit ent¬ 
scheiden und gegen bloß eventuelle Wirklichkeiten und nach Regeln der 
Klugheit Vorbeugen. 

Hingegen bleibt die Wirklichkeit eines Eindrucks oder einer Handlung 
für den Zwangsneurotiker im Gebiete des Zwanges sehr zweifelhaft; ander¬ 
seits könnte das nur Mögliche doch wirklich sein. Nur die völlig exakte 
Befolgung der Zwangsregeln erspart solche Zweifel; jedes Abweichen gibt 
Grund zu neuen Zweifeln und Zwängen. 








Vorläufige Mitteilungen 


6 19 


Theoretisch ist diese Übermacht der Möglichkeit sehr interessant. Sie fußt 
auf der Regression zur magischen Welterfassung. Auf magischem Wege 
kann alles, was möglich wäre, auch Wirksamkeit haben. Es muß daher als 
Wirklichkeit behandelt werden und im Zwange, dieser magischen Antwort, 
seine Berücksichtigung finden. 

Zu den Gesetzen 2 und 3: Diese können auch zusammengefaßt werden 
in das eine innere Gebot, den Zwang ohne Ablenkung inhaltlicher und affek¬ 
tiver Art auszuführen. Um dies zu erleichtern, werden die Zwänge immer 
mehr der besonderen Inhalte beraubt und von Affekt entleert. Das erste 
Gebot, das der exakten Durchführung, widerspricht aber dieser Tendenz. 
Jede Erleichterung ist ein Wagnis und gelingt meistens nur auf Kosten des 
sonstigen Aktionsradius der Persönlichkeit; d. h. aktuelle Quellen möglichen 
Schuldgefühls werden immer mehr vermieden, dann erst kann versucht 
werden, die Zwangsrituale zu vereinfachen und zu typisieren. 

Alle solchen sekundären Bearbeitungen der ursprünglichen Zwänge lassen 
als das Wesentliche unangetastet, daß ein inneres Bedürfnis nach Befreiung 
vom Druck des Zwanges besteht und nur bei Befolgung der Gesetze schwin¬ 
det. Uber die Richtigkeit dieser Befolgung — also als Fronvogt, um das 
Gleichnis fortzusetzen — wacht aber nicht das Uber-Ich, sondern der Signal¬ 
apparat der Angst des Ichs. Dieser Signalapparat wird von subtilen Ver¬ 
letzungen der Zwangsbedingungen schon ausgelöst, der Zwang wird abge¬ 
brochen und gleich oder unter Gewährung eines Aufschubs von vorne angefan¬ 
gen. Wiederholte Störungen können zu einer Zwangspanik führen, aus der oft 
nur eine Begnadigung durch eine andere Person befreien kann. Es ist nämlich 
die Regel, daß der Zwangsneurotiker, so wie es Freud vom Rattenmann 
berichtet, eine Instanz außer sich zu gewinnen trachtet, welcher er die 
Autorität einräumt, ihn von Zweifelangst und Zwangspanik zu befreien. 
Dem Analytiker wird vom Patienten diese Rolle nach Möglichkeit über¬ 
tragen. 

Zu 4.: Schon die zwei ersten Regeln widersprechen einander und sind deshalb 
schwer zu erfüllen, denn die Exaktheit verlangt Aufmerksamkeit, und dem 
Aufmerksamen fällt leicht auch das andere ein. Ein Ausweg daraus wäre, 
den Zwang zum Automatismus werden zu lassen, worauf Landauer 
hingewiesen hat. Diese Möglichkeit untersagt die Verpflichtetheit des Zwangs¬ 
neurotikers, ganz mit seinem Ich dabei gewesen zu sein. Erst wenn er das 
„Wissen“ davon hat, daß er die Zwänge mit ungeteilter voller Hingabe 
erfüllt hat, ist sein „Gewissen“ beruhigt und es tritt ein zwangfreies Intervall 
ein. Beim Gesunden erfolgt die Zuwendung des Ichgefühls gleichzeitig mit 









620 


Vorläufige Mitteilungen 


der Aufmerksamkeit, ohne aber zwangsweise sich auf die ganze Ichgrenze 
erstrecken zu müssen. Der Zwangsneurotiker muß ganz dabei sein und ver¬ 
meidet doch dabei, allzu aufmerksam zu sein, damit er nicht abgelenkt werde 
So entsteht ein gequältes Ringen zwischen beiden Tendenzen, zwischen Kon¬ 
zentration und vager Ausführung. Die Konzentration muß aber an allen 
Punkten vollkommen sein, wo inhaltlich eine Ablenkung möglich würde. 
Im Verlauf einer lange dauernden Zwangsneurose werden Teile des Zwangs 
verwischt, verschleiert oder die Übergänge der zweizeitigen Zwänge ab¬ 
gerundet und unübersichtlich gemacht, das Ich des Kranken scheint mit dem 
Symptom zu spielen — all das hat aber die Aufgabe, einem Bedürfnis nach 
richtiger Verteilung der Besetzungen gerecht zu werden und ist nur mög¬ 
lich, wenn die Vorschrift, daß das Ich ungeteilt dabei ist, ständig befolgt 
wird. An die Verletzung dieses Gebotes knüpfen sich die größten Zweifel, 
auch wenn so viele Kautelen den Zwang kompliziert haben, daß inhaltlich 
seine Erfüllung gelingen muß. Anderseits darf ein Zwang nur dann vorläufig 
in abgekürztem Ausmaß erledigt werden, wenn die Ichbesetzung besonders 
intensiv dabei ist. 

Die ökonomische Genauigkeit betrifft besonders das Bedürfnis nach Un¬ 
geschehenmachen eines Fehlers im Zwangsritual. Man könnte daraus noch 
ein f ü n f t e s Frongesetz formulieren. Wenn der Zwang einer Störung unter¬ 
lag und doch fortgesetzt wird, so muß diese Störung inhaltlich und ökono¬ 
misch in völlig symmetrischer Umkehrung, wie an einem Ariadnefaden im 
Labyrinth der Assoziation und Impulse, zurückgegangen werden, ein 
Musterbeispiel des magischen Ungeschehenmachens, das Freud als die eine 
Aufgabe des Zwanges aufdeckte. 

Als sechstes Frongesetz kann die schon erwähnte Notwendigkeit 
gelten, jeden Zwang als ein Ganzes zu beurteilen und auszuführen. Das 
fünfte ist dann eine allerdings sehr schwer zu benützende — Ausnahme¬ 
bestimmung des sechsten Gesetzes. 

ZUR THEORIE UND KLINIK DER PERVERSION 

Vortrag von Ludwig Eidelberg (Wien), 

gehalten in der Wiener psychoanalytischen Vereinigung am 5. April 1933. 

1. Das Problem der Bejahung des perversen Partialtriebes durch das Ich des 
Perversen erscheint durch die bisherigen Formulierungen nicht befriedigend 
gelöst. 















T 


Vorläufige Mitteilungen 


621 


2. Bei den mitgeteilten Fällen (Masochismus und männliche Homosexualität) 
zeigt die Analyse, daß das Bejahen einer perversen Handlung nicht eine Be¬ 
jahung der bei Neurosen abgewehrten Partialtriebe bedeutet. Das was bejaht 
wird die perverse Handlung —, ist nicht mit dem Partialtrieb identisch; sie 
bedeutet nicht eine einfache Bejahung desselben. Es zeigt sich vielmehr, daß 
der Partialtrieb eine weitgehende Veränderung und Maskierung erfahren muß, 
um durch die perverse Handlung befriedigt zu werden. Diese Maskierung 
ist durch die Abwehr des Ichs des Perversen bedingt, das sich gegen eine Be¬ 
friedigung eines Partialtriebes genau so energisch wehrt wie das Ich eines 
Neurotikers. 

3. So ist die perverse Handlung, ähnlich wie ein neurotisches Symptom, das 
Ergebnis eines Konfliktes zwischen Ich und Es. Sie bedeutet ein Kompromiß 
und enthält in sich sowohl Momente der Triebbefriedigung als auch 
der Triebv ersagung. Gleichzeitig befriedigt sie die Forderungen des 
Über-Ichs. Ähnlich wie beim Symptom erfolgt die Triebbefriedigung in mas¬ 
kierter Form, ihr wahrer Inhalt bleibt unbewußt. Sie unterscheidet sich vom 
neurotischen Symptom erstens durch die Art der Befriedigung der Es-Strebung, 
die hier im Orgasmus erfolgt, zweitens durch eine weitgehende Berücksich- 
tigung der Allmachtswünsche des Ichs durch eine willkürliche ichgerechte 
Handlung. 

4. Perverse und Neurotiker wehren also den Partialtrieb ab. Der Unter¬ 
schied zwischen beiden besteht nicht in der Bejahung, bezw. der Abwehr 
eines Partialtriebes, sondern in dem Verhalten des Ichs zu den 
Abwehrmechanismen. Während aber in jeder Neurose das Ich das 
Symptom, das ein Ergebnis seiner Abwehr ist, als Fremdkörper betrachtet und 
in allerdings quantitativ verschiedenem Ausmaße verneint, wird in der Per¬ 
version die perverse Handlung, die ebenfalls ein Ergebnis der Abwehr des 
Ichs ist, von dem Ich bejaht. 

5. Dieser Unterschied im Verhalten des Ichs ist dadurch bedingt, daß bei 
der Bildung der perversen Handlung der kindliche Größenwahn 
des Ichs in weit größerem Ausmaße berücksichtigt wird als beim neu¬ 
rotischen Symptom. 

6. Für die Genese der Perversion wie auch der anderen psychischen Er¬ 
krankungen müssen ferner zwei Momente berücksichtigt werden, die Art 
der Regression auf eine der drei Entwicklungsstufen und die jeweilige Zuge¬ 
hörigkeit zu einem der drei libidinösen Typen. 













622 


Vorläufige Mitteilungen 


MUTTERSCHAFT UND BISEXUALITÄT 

Vortrag von Fritz V/ittels (New York)/ 

gehalten in der psa. Vereinigung in Chikago am 27. Januar 1933. 

Im Anschluß an eine kurze Mitteilung im Almanach der Psychoanalyse 
1933 („Das Überich in der Geschlechtsentscheidung“) wird an Hand von vier 
analysierten Fällen der Nachweis versucht, daß Freuds Gleichung (Kind = 
Penis) von gewissen maskulinen Frauen dahin erlebt wird, als wären sie 
nun wirklich männlich geworden. Sie verlieren während ihrer Schwangerschaft 
und im Besitze von Kindern das sexuelle Interesse an Männern, werden 
manchmal manifest lesbisch, häufig die lesbische Tendenz auf das Kind über¬ 
tragend. Dieses Kind ist gelegentlich gar nicht wirklich das eigene Kind, 
sondern illusioniert. Sie betrachten Schwangerschaft — paradox genug — 
als eine männliche Leistung. 


MONA LISA UND WEIBLICHE SCHÖNHEIT 

Vortrag von Fritäf Wittels (N ew York), 

gehalten im Freud-Seminar der New School for Social Research in New York am 10. Fe¬ 
bruar 1933. 

Ausgehend von Freuds Studie über Lionardo da Vinci wird der phal- 
lische Charakter des berühmten Lächelns deduziert. Um diesen Gedanken zu 
erhärten, werden Resultate aus den Analysen von drei auffallend schönen 
Frauen mitgeteilt, aus denen hervorzugehen scheint, daß Schönheit in manchen 
Fällen als Konversionssymptom aufgefaßt werden muß, da5 den Willen, 
maskulin zu sein, gleichzeitig verdeckt und manifestiert. 








R E F E RAT E 


sfas der ]Liter&tur der Grenzgebiete 

Bra&töy, Trygve: Die psychoanalytische Methode. Beitrag zu der me¬ 
thodologischen Problematik in der Psychologie. Ztschr. f. d. ges. Neur. 
u. Psych. 13 9/ £. 

Die Arbeit enthält eine bemerkenswerte methodologische Apologie der psycho¬ 
analytischen Technik. Der Autor geht von der speziellen Frage aus, ob es wissenschaft¬ 
lich korrekter wäre, die Äußerungen analytischer Patienten, bezw. Versuchspersonen 
mitzustenographieren, die er im Sinne von Freud verneint. Ein Mitschreiben errege 
nicht nur in der Seele des Patienten unnötige Widerstände, behindere nicht nur die 
Aufmerksamkeit des Analytikers, den es zwinge, eine unerwünschte Auswahl unter den 
Worten des Patienten zu treffen, sondern es bedinge auch, daß alles Interesse sich in 
unerlaubter Weise nur den sprachlichen Äußerungen des Patienten zuwende, 
die keineswegs immer die wichtigsten seien. Mimik, Gebärden und Bewegungen aber 
könne man nicht vollständig registrieren. Tatsächlich begnüge sich aber auch keine 
Wissenschaft mit bloßem Registrieren. Registrieren ohne Deuten könne nirgends brauch¬ 
bare Problemlösungen bringen: „Die Objektivität des Registrierungsapparats ist... 
gar nicht allein entscheidend, sondern das Entscheidende ist die Zentrierung des Re- 
gistrierens, ob in bezug auf das Problem wesentliche oder unwesentliche Dinge notiert 
werden. In Verbindung mit... psychologischen Problemen ist... der objektive Apparat 
oft tendenziös, weil er wegen seiner konsequenten unbeeinflußbaren Objektivität wesent¬ 
liche Phänomene ausschließt." 

Die Richtigkeit dieses Standpunktes wird nun demonstriert am Beispiel eines Ver¬ 
gleiches der tierpsychologischen Experimente von Thorndike und Köhler. Jener 
registrierte exakt, aber er nahm in seine Versuchsordnung Vorurteile herein, die die 
Experimente wertlos, das Registrierte der Problemstellung gegenüber irrelevant machten. 
Dieser bringt in „kühner Vernachlässigung der sogenannten exakten Methode“ zur 
Entscheidung der Fragen nach der Intelligenz der Tiere wirklich Relevantes. Am gleichen 
Beispiel läßt sich sehen, wie es mit dem Einwand bestellt ist, der nichtregistrierende 
Analytiker werde sich seines Materials nicht zuverlässig erinnern können: „Wir können 
jetzt einen prinzipiellen Standpunkt dem Erinnerungsproblem gegenüber einnehmen. 
Wenn wir an die Beschreibung der unruhig umherirrenden Hühner von dem Gitter 
(bei Experimenten von Köhler) zurückdenken, dann ist es einleuchtend, daß es 
unmöglich wäre, zu erinnern, daß eine Henne z. B. iymal in der Richtung Ost-West 
flog, schneller gegen Ost als gegen West, mit n Schritten in der Minute gegen Osten 









624 


Referate 


und mit p Schritten gegen Westen; nachher irrte sie in einer schiefen ellipsoiden Be¬ 
wegung hin und her; die eine Achse der Ellipse lag in der Richtung Nord-Nord-Ost 
die andere lag usw. usw....! Eine solche Detaillierung ist ohne sehr komplizierte 1 
Registrierungsapparate unmöglich zu erinnern oder wiederzugeben... Woran aber 
Köhler oder sonst jemand sich leicht erinnern kann, wenn man nur darauf eingestellt 
ist, ist die Bedeutung der Bewegungen in bezug auf das vorliegende Problem.“ Ein¬ 
ordnung in Sinn und Ganzheit garantieren die Erinnerung. Die erst unverständlichen 
Äußerungen analytischer Patienten tauchen im Gedächtnis des Analytikers von selbst 
auf, sobald sie sich einem Zusammenhang einfügen lassen. Von hier rechtfertige sich die 
Forderung nach „gleichschwebender Aufmerksamkeit“ des Analytikers, die nur bei 
einer gewissen identifizierenden Gegenübertragung möglich sei. Nur die Einfühlung in 
den Patienten bringe jenen Zusammenhang, jenen Sinn. Alles, was geäußert werde 
müsse deshalb aus der momentanen analytischen Situation heraus verstanden werden! 
Das bedinge eine gewisse Einseitigkeit, ohne die man nicht analysieren könne, die aber 
störend werde, wenn sie von manchen Analytikern auch außerhalb der analytischen 
Stunden beibehalten werde: „Daß viele Analytiker diese Forderungen nicht erfüllen, 
sieht man oft als eine theoretische Gefahr, wenn sie sich außerhalb des Rahmens ihres 
eigentlichen Arbeitsgebietes betätigen und z. B. über soziologische Probleme schreiben. 
Sie gehen dann an die Probleme in einer Weise heran, als ob die Faktoren, die in der 
analytischen Situation ausschlaggebend sind, auch außerhalb dieser Situation von der¬ 
selben problematischen Relevanz wären....“ 

Wir werden dem Autor sicher in seiner Zusammenfassung recht geben — und uns 
freuen, daß in neurologisch-psychiatrischer Umgebung, wo so oft die Psychoanalyse 
als „unexakt“ „abgetan“ wurde, solche Einsicht sich Bahn bricht —: „Da der Analytiker 
analysiert ist und prinzipiell keine distrahierenden Fixierungen (Registrierungsapparate 
oder ähnliches) in die Situation mitbringt, hat er die Möglichkeit, den Konflikt¬ 
situationen des Patienten zu jeder Zeit zu folgen, indem die Identifikation, seine eigene 
Analyse und sonstige technische Voraussetzungen ihm die Einsicht schaffen sollen, die 
dem Patienten dazu verhelfen, seine Konflikte zu artikulieren und dadurch auf dem 
bewußten (sozialen) Plan zu lösen.“ Q. Fenichel (Berlin) 


A-us der psychia.trisch=neurologischen Literatur 

BretscKneider: Psychogene (»oneirogene«) Krankheitsbilder. Arch. f. 

Kinderheilkunde/ 98 Bd. 7 S. 52, 1932. 

Der Referent ist seit vielen Jahren bemüht, die reichen Erträgnisse der psycho¬ 
analytischen Forschung der Kinderheilkunde nutzbar zu machen. Man soll nicht verzagen: 
Der Verfasser bringt aus dem Kindersolbad Raffelberg, Mühlheim-Ruhr, eine Mitteilung 
über fünf Kinder in der Ausdrucksweise der Psychoanalyse, etwas oberflächlich zwar, 
aber ohne Freuds Namen auch nur in der Klammer zu nennen. Bei allen fünf Kindern 
soll die Erkrankung an das erste Erscheinen eines in der Tat immer sehr durchsichtigen, 
wiederkehrenden Traums angeknüpft haben. — Zwei Mädchen, 11 % und 11 Jahre alt, leiden 
an rezidivierenden Nabelkoliken (neurotisches Syndrom, von Friedjung beschrieben), 
Traum: Koitus- und Geburtsphantasie, in den Nabel verlegt (frühinfantil). — i2jähriger 
Knabe träumt von einer Defäkation, bei der er schließlich bis an den Bauch im Kot 













Referate 


625 


sitzt. Folge: Hartnäckiges Ekzem des Gesäßes. — 13jähriges Mädchen träumt von einem 
Rauchfangkehrer, der ihren Rücken rhythmisch streicht. Folge: Kreuzschmerzen, 
„Ischias“. — 12jähriger Knabe hat einen Geburtstraum. Folge: Asthmatische Anfälle. — 
Es ist sehr fraglich, ob die Dinge so einfach lagen, wie Bretschneider sie sieht. 
Daß er sie sieht und von ihnen berichtet, ist das Erfreuliche. Von der Behandlung wird 
nichts mitgeteilt. J. Friedjun S (Wien) 

Dreikurs, Rudolf: Das nervöse Symptom. Wr. med. Wochenschrift. 1932 

Eine auf Gemeinverständlichkeit angelegte Darstellung des Neurosenproblems, für 
den Laien wie für den nicht speziell unterrichteten Arzt bestimmt, final auf die Be¬ 
währung individualpsychologischer Anschauungen gerichtet. Es findet sich eine Anzahl 
von treffenden Bemerkungen und Hinweisen des psychotherapeutischen Praktikers, aber 
im ganzen scheint es fraglich, ob eine Darstellung wie diese gerade ihrem informativen 
Zweck gerecht wird. Die psychoanalytische Neurosenlehre findet eine nicht nur ganz 
unzulängliche, sondern auch arg entstellende Erwähnung. Da steht, daß „gerade von 
der Psychoanalyse gegenwärtig der stärkste Widerstand gegen das psychologische Ver¬ 
ständnis nervöser Störungen ausgeht“. Und wenn es vollends heißt, daß „wahrscheinlich 
alles, was der Mensch als triebhaft empfindet, nichts mit dem Triebleben, das wir aus 
der Tierwelt ableiten, zu tun hat,... daß jede Triebhaftigkeit nur eine Auflehnung 
darstellt gegen Anforderungen der menschlichen Gemeinschaft.. “, so beschwichtigt das 
jeden Gedanken an eine ernsthafte Auseinandersetzung. Q. feakowcr (Wien) 

J&cobsohn, L,. J.: Die Frigidität der Frau. (Für Är^te und Studierende.) 
Verlag: »Bildung«, Leningrad, (russisch) 

Unter der Frigidität (dyspareunia) der Frau versteht der Verfasser eine partielle 
oder vollständige Anästhesie (bis Vaginismus einschließend) der Sexualität der Frau bei 
dem Geschlechtsverkehr („naturae frigidae", „femme de marbre“, „femme de glace“). 

Die Frigidität der Frau, meint der Autor, führt zur Zerstörung des Familienlebens, 
hat also eine wichtige soziale Bedeutung und ist deshalb ein sehr großes Übel, dessen 
Bekämpfung von außerordentlicher Bedeutung ist. Die Ursachen der Frigidität sind 
oft somatisch, meistenteils aber haben sie, den Erfahrungen des Verfassers gemäß, einen 
psychogenen Ursprung und sind deshalb, seiner Meinung nach, mit psychotherapeutischen 
Mitteln zu bekämpfen. Außer anderen psychotherapeutischen Behandlungen der Frigidi¬ 
tät wird von dem Verfasser auch die Psychoanalyse empfohlen, unter der Bedingung 
aber, daß sie sich mehr an die Realität halte (156). Die Monographie Stekels er¬ 
scheint ihm künstlich, unreal. Dasselbe behauptet der Verfasser von Sadger (m). 

Als Mittel der Bekämpfung der Frigidität wird von dem Autor die Schonung der 
jungen Frau bei dem ersten Geschlechtsverkehr empfohlen, das wichtigste Mittel der 
Bekämpfung des Übels ist aber ein anderes: die Einsicht des Mannes, daß die Frau 
ebenso ein Recht auf den Genuß (Lust) während des Geschlechtsaktes hat wie er selbst. 
„Der Orgasmus ist eine schöne Prämie der Natur für die Fortpflanzung aller Lebe¬ 
wesen dieser Worte Freuds, meint der Verfasser, sollen alle Ehemänner ge¬ 

denken. Die Aufgabe der Männer, für die Lustgefühle der Frau bei Geschlechtsvor¬ 
gängen zu sorgen, ist ein Mittel, die Frau zur Ehe zu erziehen, das Familienleben vor 
Zerstörung zu bewahren. 

Als Prophylaktikum der Frigidität wird von dem Autor unter anderem die ratio¬ 


int. Zeitsdir. f. Psychoanalyse, XIX—4 


40 













6z6 


Referate 


nelle Erziehung der Mädchen im Sinne der sexuellen Aufklärung derselben durch die 
Eltern empfohlen. F* Lowt^ky (Berlin) 

Jacobsohn/ L,. J.: Die Onanie beim Mann und bei der Frau* (Für 
Artete und Studierende). Akademischer Verlag/ Leningrad (russisch) 

„Die Onanie beim Mann und bei der Frau“ ist eine umfassende Arbeit, die eine 
erschöpfende Darstellung der verschiedenen Onanieformen bei verschiedenen Völkern 
in verschiedenen Zeitaltern gibt: die Onanie beim Säugling, bei Jugendlichen, bei Er¬ 
wachsenen (beim Mann so wie bei der Frau) und die Onanie im vorgeschrittenen 
Alter; die Verbreitung derselben bei Tieren, bei Primitiven und bei Kulturvölkern, im 
Mittelalter und in der Gegenwart. Eingehend werden die Folgen der Onanie, ihr Ein¬ 
fluß auf das Organische, besonders auf das Psychische, die Prophylaxis und die Therapie 
(Organotherapie und Psychotherapie) in dieser Arbeit behandelt. 

Das wichtigste therapeutische Mittel der Bekämpfung der Onanie ist, der Meinung 
des Verfassers nach, die Psychotherapie. Was die Psychoanalyse als Therapie betrifft, 
so meint der Verfasser, daß die Analyse der Onaniefälle deshalb oft überflüssig ist, 
weil die Kenntnis der Ursachen der Onanie nicht zur Heilung derselben führt: es 
sind ihm Fälle bekannt, bei welchen der Kranke die Ursachen seines krankhaften Trie¬ 
bes ganz genau wußte und doch sich von demselben nicht befreien konnte. Außerdem 
nimmt der Verfasser mit Moll an, daß die Anhänger Freuds einen gemeinsamen 
Fehler machen, indem sie der Sexualität überhaupt und den Erinnerungen der Erwach¬ 
senen eine zu große Bedeutung beilegen: Die Kranken verfälschen ihre Kindheitserin¬ 
nerungen, legen ihnen die nie vorhandene sexuelle Bedeutung bei; die Analytiker glauben 
den Patienten und ziehen aus ihren Mitteilungen wichtige Schlüsse. Bei dieser Beurtei¬ 
lung entgeht dem Verfasser eine den Analytikern wohlbekannte Tatsache, daß selbst 
in den Fällen der Fälschung der Erinnerungen diese Fälschung von Bedeutung ist, weil 
sie eine Phantasie, also eine Realisierung eines unbewußten Wunsches des Patienten ist 
und als solche einen Zugang zu den unbewußten Erlebnissen des Kranken gibt. Was 
die Onaniefälle betrifft, bei welchen die analytische Behandlung überflüssig ist, weil die 
Ursachen seines krankhaften Triebes dem Onanierenden bekannt sind, so übersieht der 
Verfasser die ihm sicherlich nicht unbekannte Tatsache, daß es auch unbewußte Ur¬ 
sachen der Erkrankungen gibt und daß die Unkenntnis derselben dem Kranken un¬ 
möglich macht, sich von abnormen Triebregungen zu befreien. In dieser Hinsicht ihm 
behilflich zu sein, ist wohl keine andere Therapie so berufen als die Analyse. 

Die Freud sehe Theorie sowie die psychoanalytische Schule ist dem Verfasser 
bekannt, mit vielen Behauptungen derselben ist er aber nicht einvestanden, so findet der 
Verfasser zum Beispiel die Erklärung der Analyse, daß die mit der Onanie verbundenen 
Schuld- und Sündhaftigkeitsgefühle eine Folge der sie begleitenden Inzestphantasien 
sind, stark übertrieben. Es gibt schon Fälle, meint er, bei welchen die Inzest¬ 
bindung zu den Eltern, „sehr selten“ (!) zu den Geschwistern, vorhanden ist, aber unter 
dem Einfluß der Gewohnheit und der Erziehung befreien sich die Kinder von der¬ 
selben. Die Schuldgefühle, meint er, sind die Folgen der christlichen Kultur und der mit 
dieser Kultur verbundenen asketischen Ideale. Der Verfasser bringt einen Fall von einem 
zwanzigjährigen Badeangestellten vor, der täglich drei- bis fünfmal mit Badegästen 
mutuelle Onanie betrieb, manchmal als aktiver Päderast tätig war und trotzdem blü¬ 
hend und gesund aussah und gar keine Schuldgefühle hatte. Diese Tatsache erklärt der 
Verfasser dadurch, daß der Jüngling, weil er keine Bücher gelesen hatte, auch nicht 
wissen konnte, daß die Onanie sündhaft ist und deshalb keine Schuldgefühle hatte. 










Referate 


617 


. D f r Var ^ asser leugnet auch die Möglichkeit eines Zusammenhanges der Onanie mit 
Kriminalität. Er führt einen Fall von St ekel an, der als Beweis für die Möglichkeit 
eines solchen Zusammenhanges dienen sollte: Ein Patient phantasiert beim Onanieren, 
daß er seinen Vater ermordet hätte. Der Penis ist der Vater, die Ejakulation das Blut, 
das Schlaffwerden des Gliedes — das Symbol des Todes. Dieser Phantasie, meint der Ver¬ 
fasser, kann man keine ernste Bedeutung beilegen: Die ungeheuere Verbreitung der 
Onanie bei den Menschen, das Vorhandensein derselben bei den Tieren schaltet jede 
Diskussion der Frage des Zusammenhanges der Onanie mit dem Verbrechen aus. Nun 
übersieht der Verfasser, daß es sich in diesem von St ekel angeführten Fall um eine 
Realisierung bei dem Patienten in der Phantasie seiner Todeswünsche gegen den Vater 
handelt. Diese Aggressionsgefühle gegen Inzestobjekte können entweder direkt gegen 
dieselbe oder infolge der Identifizierung und Übertragung auf fremde Personen ge¬ 
richtet werden und so zu einem Verbrechen führen. Unter gewissen Umständen also, 
wenn die Onanie einen bestimmten Sinn hat, durch gewisse Phantasien begleitet wird, 
kann sie verbrecherische Handlungen verursachen, so daß bei manchen Fällen der Zu¬ 
sammenhang der Onanie mit den verbrecherischen Instinkten zweifellos vorhanden ist. 
Aus dem Dargestellten, um auf die Frage, woher die die Onanie begleitenden Schuld- 
und Sundhaftigkeitsgefühle stammen, zurückzukommen, geht klar hervor, daß sie eine 
Folge der Inzestbindungen und der mit ihnen verbundenen aggressiven Gefühle sind 
In oben zitiertem Falle von S t e k e 1 ist der Onanieakt eine Realisierung des Todes¬ 
wunsches des Kranken gegen den Vater. Hätte der Patient keine Gelegenheit gehabt, 
durch die Lektüre zu erfahren, daß die Onanie sündhaft ist, so hätte er trotzdem 
Schuldgefühle gehabt, weil die Ursache derselben in seiner Inzestbindung an den Vater 
und seinen gewaltigen Aggressionen gegen denselben liegen. Dem jungen Bademeister 
fehlten die Schuldgefühle nicht deshalb, weil er von der Sündhaftigkeit der Onanie nie 
gehört hatte, sondern weil seine Onanie nicht mit Inzestphantasien verbunden war und 
deshalb von pathogener Wirkung frei war. 

Eine andere psychologisch interessante Frage, ob die Onanie zur Charakteränderung 
und Lügenhaftigkeit führen kann, beantwortet der Autor negativ. Die Lügenhaftigkeit, 
die bei exzessiver Onanie oft beobachtet wird, bedeutet noch nicht, meint er, daß 
diese beiden Erscheinungen kausal verbunden sind (iji). Einen gewissen moralischen 
Einfluß kann die Onanie auf den Menschen in dem Sinne ausüben, daß der Mensch 
durch beständige Verheimlichung seines Lasters sich an Unaufrichtigkeit gewöhnt. Der 
Verfasser bestreitet die Behauptung Ranks, daß ein mißlungener Kampf mit der 
Onanie zur Lügenhaftigkeit in den Fällen führen kann, wenn der verdrängte, unbewußt 
gewordene Onaniewunsch den Betreffenden zur Onaniebetätigung veranlaßt und das 
Bewußte täuscht, indem er das Vorhandensein dieser Betätigung leugnet: dieses Leugnen 
der Wahrheit ist der Sinn der Lügenhaftigkeit. Wenn das wahr wäre, meint der Ver¬ 
fasser, daß ein mißlungener Kampf mit der Onanie zur exzessiven Lügenhaftigkeit 
führte, so müßte man auch annehmen, daß ein gelungener Kampf mit derselben zur 
fanatischen Wahrheitsliebe führen müsse. „Wenn die Onaniegewohnheit infolge der 
bewußten Forderungen, ,ich muß nicht onanieren“, verdrängt ist“, sagt er, „so entsteht 
eine neue, unbewußte Forderung: ,ich muß nicht mehr lügen“, die sich bewußt in einem 
hartnäckigen fanatischen Streben nach der Wahrheit äußern müßte.“ (182.) Wie logisch 
die Schlußfolgerung auch klingen mag, ist sie doch falsch. Die pathologische Lüge, die 
mit der Onanie verbunden ist, ist ein Krankheitssymptom, ein Symptom, das infolge 

Verdrängung entstanden und dessen Sinn das Leugnen der Onaniebetätigung ist _ 

jede Lüge hat diesen Sinn, wenn sie auch auf andere Dinge verschoben ist. In Fällen 
der wirklichen Bekämpfung der Onanie, wenn der Kranke von dem Onaniewunsch 


40 « 











628 


Referate 


befreit ist, wenn er bei ihm nicht mehr besteht, auch im Unbewußten nicht, findet die 
Verdrängung nicht statt, also auch keine Symptombildung, es kann also auch kein 
Drang nach der fanatischen Wahrheitsliebe entstehen. 

Der Verfasser teilt die Annahme der Freud sehen Schule, daß die Onanie beglei¬ 
tende Angstgefühle — bei Knaben die Kastrationsangst, bei Mädchen die Angst, daß 
ihnen „die Haare abgeschnitten werden“ — zur Folge haben kann. Richtig ist auch die 
Behauptung der Analyse, daß viele Fälle der Zwangserscheinungen und der Hysterie 
Folgen dieser infantilen Angst sind, doch oft, meint er, haben die Zwangserscheinungen 
und die Angstgefühle gar keinen Zusammenhang mit der Sexualität. Sie sind durch 
einen Durchbruch der unbewußten Komplexe, die einen ganz anderen Ursprung haben, 
bedingt (176). 

Der Verfasser beschäftigt sich auch mit dem jetzt so aktuellen Problem des Zu¬ 
sammenhanges der Liebe mit der Religion. Der autoerotische Trieb als der primitivste 
und grundlegendste überträgt seine unverbrauchte Energie auf das religiöse Gefühl, 
hier findet er eine für ihn sonst unerreichbare Verbreitung. Auf diese Weise verwandelt 
sich, meint der Verfasser, die Liebe zum Menschen zur Liebe zur Gottheit. In einem 
dem Autor bekannten Falle hat sich ein vierzehnjähriger Jüngling, der sehr gläubig war, 
auf seiner Brust in die Haut das Bild der Mutter Gottes eingeschnitten. Der Jüngling 
unterwarf sich einer schmerzlichen Operation, um das Bild der Mutter Gottes, also die 
Mutter Gottes, bei sich zu haben. Wenn man bedenkt, daß es sich bei ihm um die 
Pubertätszeit, das heißt um die Zeit der Auffrischung des Ödipuskomplexes handelt, 
so wird dieser sein Wunsch, die Mutter bei sich zu haben, verständlich. Es handelt 
sich bei ihm nicht um eine Verwandlung der autoerotischen Liebe in eine Objektliebe, 
wie es der Verfasser annimmt, sondern seine Objektliebe, die Liebe zur Mutter, ver¬ 
wandelt sich in der Übertragung und Identifizierung in die Liebe zur Mutter Gottes, 
wird zu einem religiösen Gefühl. Die religiösen Gefühle (Weltanschauungen) sind somit 
symbolische Äußerungen der unbewußten Erlebnisse im Anschluß an den Ödipuskomplex 
und nicht Verwandlungen des autoerotischen Triebes in eine Objektliebe oder der 
Liebe zum Menschen zur Liebe zur Gottheit. 

Interessant ist die vom Verfasser angeführte Literatur des Einflusses der Onanie auf 
die Sinnesorgane, besonders auf die Augen und die Nase. Das Augenleiden (Pholopsie) 
bei ganz gesunden Augen, der Zusammenhang der Schwellungen der Geschlechtsorgane 
mit der Nasenschleimhautentzündung und dergleichen mehr bringen eine Bestätigung 
für die von der Analyse angenommene symbolische Bedeutung dieser Organe. 

Die beiden Arbeiten „Die Onanie bei der Frau und beim Mann“ sowie „Die 
Frigidität der Frau“ sind zwei wertvolle Handbücher für Ärzte und Studierende. Die 
erste umfaßt die Stellungnahme zum Onanieproblem von mehr als 300 Fachleuten, 
die zweite — zur Frigidität der Frau — von 170. Der Verfasser ist der erste in der 
russischen medizinischen Literatur, der sich mit Sexualproblemen befaßt hat, und dieses 
Verdienst in bezug auf die Sexualforschung sowie auf das Verständnis der psycho¬ 
logischen Bedeutung der aufgestellten Probleme muß besonders betont und ihm sehr 
angerechnet werden. F* Lowtzky (Berlin) 

Meng, Heinrich: Konstitutionsumstellung durch Arznei, Hormon, Psyche* 
Aus: Bericht über den VI. Allgemeinen ärztlichen Kongreß für Psycho« 
therapie in Dresden/ 14. bis 17. Mai 1931 

Meng geht von der Voraussetzung aus, daß es kein psychisches oder medikamen¬ 
töses Eingreifen gibt, das imstande ist, eine bestimmte Krankheit mit Sicherheit zu 










Referate 


629 


heilen. Es handle sich bei dem Versuch zu heilen darum, das Zusammenwirken von 
Leiblichem und Seelischem bei der Symptomgestaltung zu durchschauen, und vor allen 
Dingen darum, den Widerstand, der dem natürlichen Heilungsprozeß widerstrebt, zu 
erkennen, zu bewältigen und auszunutzen. Körperliche und seelische Behandlung des 
Menschen können also als Versuch einer Widerstandsbehandlung aufgefaßt werden. Der 
schwierigste Teil des Widerstandes gehe von der Konstitution aus. Das Wissen über 
die Beziehung zwischen Konstitution und Arzneiwirkung sei gering und am fruchtbarsten 
erwiesen sich auf diesem Gebiet die Theorien von Hahnemann, der den Organismus 
als ein Energiewechselsystem auffaßt. Versuche von D a 11 n e r, der Neurotiker mit 
kleinen Jod-Thyreoidendosen behandelt, lägen in dieser Richtung. Versuche, mit be¬ 
stimmten Arzneistoffen Angst hervorzurufen und Angst zu bekämpfen, lassen es z. B. als 
möglich erscheinen, zu einer somatischen Angsttherapie zu gelangen. — Die Frage der 
psychischen Umstimmung des Organismus sei nur durch die Anwendung der Psycho¬ 
analyse zu lösen, das heißt, soweit eine Erkrankung von der psychischen Seite her 
angehbar ist, wird nur die Analyse imstande sein, die unbewußten Mechanismen zu 
durchschauen und die psychischen Widerstände zu beseitigen. — Die Frage einer kom- 
binierten Therapie sei noch nicht spruchreif. K. Misch=Frankl (Berlin) 


Aus der psychoanalytischen Literatur 

Bergler, Edmund: Psychoanalyse eines Falles von Prüfungsangst. Arbeiten 
aus dem Wiener psychoanalytischen Ambulatorium. Zentralblatt für 
Psychotherapie 1933, H. 2, S. 65 ff. 

Ausführliche Darstellung eines geheilten Falles von Prüfungsangst, die den nichtanalyti¬ 
schen, psychotherapeutisch interessierten Lesern des Zentralblattes den Gang einer Psycho¬ 
analyse demonstrieren will. Ein Patient, der bei zwei harmlosen Teilprüfungen seines Hoch¬ 
schulstudiums durchfiel, war in der Folgezeit jahrelang nicht zu bewegen, sich der Prüfungs¬ 
kommission zu stellen und suchte deshalb die psychoanalytische Behandlung auf. Die Ursache 
der Störung war das unbewußte Austragen seiner Ödipuskonflikte beim jeweiligen Prüfer, 
wobei der unbewußte Haß gegen den Vater und unbewußtes Bestraft-werden-wollen die 
wesentliche Rolle spielten. 

Für den Analytiker sind zwei Details des Falles von Interesse. In einer bestimmten 
Phase der Analyse fand Patient das T a g e b u c h des verstorbenen Vaters. In der Arbeit 
werden Auszüge des Tagebuches (das von der Geburt des Patienten bis zum fünften 
Lebensjahre fortgeführt wurde) publiziert, die eine Reihe von Bestätigungen der von 
der Analyse behaupteten Zusammenhänge ergaben. 

Neu ist die Darstellung einer infantilen Lampenphobie, an der Patient vom 
dritten bis siebenten Lebensjahre litt. Im Kinderzimmer hing eine einfache Gaslampe, 
der Patient allerlei magische Kräfte zuschrieb, und vor der er große Angst hatte. Die 
Eltern glaubten zuerst, das Kind habe vor dem zischenden Geräusch Angst, der Knabe 
verneinte dies sehr entschieden. Die besondere Zauberei der Lampe bestand darin, daß 
sie Gegenstände und Personen (z. B. die Schwester) zum Verschwinden bringen konnte; 
die magische Bewegung zu diesem Zwecke war ein aktives Hin- und Herschwingen. 
Die Fähigkeit des Verschwindenlassens nannte das Kind „e i n k 1 i m p e r n“. Alle Ver¬ 
suche der Eltern, dem Knaben die Angst „auszureden“, scheiterten. Er war jahrelang 











Referate 


630 


davon überzeugt, daß, wenn ein Taschentuch, ein Bleistift usw. verschwanden, die Lampe 
sie „eingeklimpert“ hatte. Den Beweis, daß die Lampe sich bewegen könne, erhielt das 
Kind auf dem Wege der Überlistung der Lampe. Patient beobachtete — wie unabsicht¬ 
lich — das Bild der Lampe im Spiegel, und glaubte wahrzunehmen, wie sie schwingt. 
„Die Lampe bewegt sich doch“, konstatierte der Knabe triumphierend. — Obwohl in 
der Analyse der Verdacht berechtigt war, daß die Lampe einen Zusammenhang mit den 
Kastrationsängsten des Patienten haben werde, blieb diese Symbolwahl lange unklar. 
Ein Einfall des Patienten erklärte dann den Zusammenhang. Patient erinnerte folgende 
Szene: Er sieht als drei- bis vierjähriger Bub den Vater im Zimmer auf und ab gehen, 
die eine Hand hält er in der Hosentasche und klimpert mit den Schlüsseln. Für die 
Vorstellung des Kindes hieß das: der Vater onaniert ebenfalls. Dabei identifiziert er 
Penis und Schlüssel. Eine besondere Vorliebe des Kindes, Schlüssel abzuziehen und sie 
in den Ofen zu stecken, gewinnt von hier aus einen sexualsymbolischen Sinn. Die Lampe, 
die einklimpern kann, ist demnach der kastrierende väterliche Penis. Die Allmacht, 
die der Lampe zu geschrieben wird, ist von der supponierten 
väterlichen Allmacht erborgt. Daß sich die Lampe bewegen kann (aber 
nur im Dunkeln oder, wenn sie sich unbeobachtet glaubt), beweist, welchen Eindruck 
die Erektion des Penis auf das Kind gemacht haben muß. Bemerkenswert ist, daß 
Patient sein Interesse für die Überwindung der Schwerkraft später in einem intensiven 
Interesse für Flugprobleme sublimierte, mit welchen Fragen er sich ernstlich auch 
technisch beschäftigte. Ein Hinweis findet sich auch im Tagebuch des Vaters, der vom 
2 ^jährigen Knaben berichtet, er hätte lange Zeit von Lokomotiven geträumt, und als 
er eine am Bahnhof sah, vor ihr Angst bekommen und gesagt: „Ich geh 5 lieber weg 
von der Lokomotive.“ Patient erinnert sich übrigens auch eines mechanischen Spielzeugs 
— eines Reckturners —, vor welchem er davonlief, als es sich ohne sichtbare äußere 
Ursache zu bewegen begann. Dabei darf keineswegs angenommen werden, die Lampe 
sei in der Vorstellung des Knaben bloß der väterliche Penis, das heißt das Kastrations¬ 
instrument gewesen. Die Lampe war nicht nur der gefürchtete, auch der begehrte 
väterliche Penis, eine Annahme, für die viele Träume sprachen. Darüber hinaus sym¬ 
bolisierte die Lampe auch das Auge des Vaters, das alles sieht. Von hier aus ergab sich 
ein Zugang zu den starken Voyenur- und Exhibitionstendenzen des Patienten. Inwieweit 
auch der von jedem Kinde supponierte weibliche Penis beim Lampensymbol gemeint 
war und die Kastrationsangst mit der freudigen Feststellung, die Lampe bewege sich 
trotz aller Ableugnungsversuche (das heißt der Penis sei vorhanden), rückgängig gemacht 
werden sollte, ist nicht mit Sicherheit festzustellen gewesen. Autofeferat 

Hay&s&ka, Ch.: Psychoanalytische Studien über neurotische Angst, — 
Angsthysterie. Arbeiten aus d. Psychiatr. Inst. d. Kaiserl. Japanischen 
Universität %u Sendai. Jg. I. 1933/ Heft 1 

In der I. Mitteilung, die eine Patientin mit dem Symptomenkomplex der Angstneurose 
betraf, stellte ich fest, daß alle, einschließlich der feineren Eigentümlichkeiten der Sym¬ 
ptome, den normalen Koitus als Symptom — das heißt als Folge eines psychischen Kon¬ 
flikts zwischen dem strengen Über-Ich und ihrem unbewußten Koituswunsch — nachahmten, 
und daraus schloß ich, daß dieser Fall, wenn es sich dabei auch um einen Symptomen¬ 
komplex der Angstneurose handelte, doch eine psychische Ableitung zulasse. Weiter er¬ 
wähnte ich, daß eine bei diesem Falle gefundene spezifische Ursache der Angstneurose als 
Energiequelle für die Symptomenbildung in Betracht kam, mir also die Annahme von 
Freud bezüglich der Existenz der Angstneurose als Krankheit sui generis zweifelhaft er- 










Referate 


631 


schien. Hier teile ich den Fall eines 25 jährigen Witwers mit allgemeiner Ängstlichkeit, 
besonders Agoraphobie, und Taumeln nach links und anderes mit; die Ergebnisse sind 
folgende: 

1 . Aus der Tatsache, daß er vom Taumeln stets in der Situation befallen wird, wo 
er in Begleitung seiner Geliebten geht, oder bei der Möglichkeit, ihr begegnen zu können, 
und daß das Liegen auf der linken Seite die einzige lusterregende Lage beim Koitus ist, 
müssen die Symptome als Konversionssymptom aus einem Partialtrieb — sozusagen „Hal¬ 
tungslust ‘ — (in genitalem Sinne!) beurteilt werden. 

2. Weil Agoraphobie der Angst vor demselben Ort entspricht, wo er vom Taumeln 
befallen wird, ist die Agoraphobie eine typische Phobie vor Versuchungssituationen. Daß 
der Patient nicht nur das Konversionssymptom, sondern auch das Angstsymptom ent¬ 
wickelt hat, bedeutet doppeltes Mißlingen der Verdrängung. 

3. Da sich beide Symptome aus genitaler Regung gebildet haben, so ist im psycho- 
sexuellen Leben des Patienten eine Konstitution anzunehmen, die solche Reaktionen er¬ 
weisen müßte. Jedoch zeigt uns das sexuelle Leben des Patienten, daß er polygam ver¬ 
anlagt war und in der Kindheit große Erfahrung in Inzesthandlungen gehabt hat. Danach 
ist anzunehmen, daß seine polygame Tendenz aus seinem stetigen Verlangen nach Mutter- 
und Schwesterimago (das schließlich auf Mutterimago zu reduzieren ist) stammt, und daß 
der Grund der neurotischen Reaktionen auf genitale Regungen im früh verdrängten infan¬ 
tilen Ödipuskomplex zu suchen ist. 

4. In der Ödipuseinstellung dieses Patienten trat seine Haßregung gegen den Vater 
nicht deutlich in Gegensatz zu seiner vorwiegenden Mutterbindung; darüber klärt besser 
sein zügelloses sexuelles Leben sowie sein geringer Widerstand bei der Analyse auf. Daß die 
Mutterbindung den Vaterkomplex über wiegt, das möchte ich als einen Typus der Ödipus¬ 
einstellung bei Angsthysterie ansehen. Dies bietet einen guten Grund für die Annahme, 
daß Angsthysterie zur Erkrankung genitaler Phasen gehört. 

5. Bei diesem Fall, der weder infantile Erinnerung an Kastrationsbedrohung noch 
die als Kastrationssymbol angesehenen Eigenschaften in den Symptomen außer vorhan¬ 
dener Angst vor Trennung aus der Gesellschaft hat, bleibt es zweifelhaft, ob die Angst 
bei den Symptomen aus der Kastrationsangst stammt. 

6 . Daß der Patient unter verschiedenen Versuchungssituationen die Straße aus¬ 
gewählt hat, ist durch Annahme exhibitionistischer Tendenz leicht zu erklären, dadurch 
auch die nur ausnahmsweise auftretende Eigentümlichkeit, daß sich die Symptome 
verschlimmern, wenn irgendeine Person ihn begleitet. 

7. In diesem Fall ist eine spezifische Ursache der Angstneurose (erzwungene Ab¬ 
stinenz) nachgewiesen; auch sind die Symptome gewissermassen für Angstneurose gültig. 
Doch liegt die Bedeutung dieser Ursache darin, daß sich um diesen aktualneurotischen 
Kern psychoneurotische Symptome bilden. Zur Klärung der Frage, ob Angstneurose als 
Krankheit sui generis besteht oder nicht, kann dieser Fall nichts beitragen. Nur ist 
daraus zu erlernen, daß Vorsicht geboten ist, einen solchen Fall als Aktualneurose zu be¬ 
urteilen, auch wenn die spezifische Ursache sowohl wie aktualneurotische Symptome dabei 


nicht fehlen. 


Autoreferat 



medis. Wochenschr. 1933 , Nr. 4 

Der Autor weist unter Zitierung der psychoanalytischen Bemerkungen über Sperma- 
torrhöe mit Neurasthenie (Reich, Schilder) auf alle Fälle hin, die ohne neurasthenische Sym¬ 
ptome verlaufen. Psychologisch bedingte Mißbräuche, wie frustrane Erregungen, Surmenage 


/ 











6 3 2 


Referate 


mit folgender Abstinenz, mögen das — sonst nur durch Sexualerregung und Friktion zeit¬ 
weilig zur reichlichen Entleerung von Sexualsekret geöffnete — Ventil undicht ge¬ 
macht haben, so daß das Sexualsekret bei jeder banalen Stuhl- oder Urinentleerung 
tropfenweise abgeht. 

Aber dieser in seinem Entstehungsmechanismus nicht eben klare Zustand der Sper- 
mato- und Prostatorrhoe kann eine längere Dauer erst dadurch gewinnen, daß die 
psychische Einstellung des Betroffenen narzißtisch geworden ist: daß 
er sich vom Sexualobjekt abgewendet hat, z. B. durch Enttäuschung oder Haß oder 
aus Gründen der Selbstbestrafung oder der Entwertung der Sexualität, enthaltsam leben 
will und von dem sang- und klanglosen Abgang seines Samens nicht unbefriedigt ist. 
Unbewußte feminine Einstellung verzichtet auf jede Aktivität auf sexuellem Gebiet. 
Manchmal schließen sich hypochondrische, der Kastrationsangst angehörige Gefühle an. 

Obstipation mit starkem Pressen zum Stuhl, auch Pressen beim Urinieren werden 
sonst als hinreichende Ursache des Samenabganges bei den Entleerungen angenommen, 
aber beim Gesunden ist solches Pressen nie von Samenabgang gefolgt. Andere Patienten 
scheinen oft durch nächtliches Auf-dem-Bauche-Liegen chronische Ersatzerregungen zu 
betreiben. 

Jedenfalls handelt es sich bei der Sperma- und Prostatorrhoe um einen Zustand, 
der durch Psychoanalyse mit Aufklärung zu heilen ist und nicht 
etwa durch physikalische Mittel. 

Die narzißtische Regression, in der die Störung zustande kommt, kann 
in manchen Fällen auch einen psychotischen Grad angenommen haben. Autoreferat 

Kimura, R.: Psychoanalytische Untersuchungen über die Wahnhildung 
hei Paranoia, Arbeiten aus d. Psychiatr. Inst. d. Kaiserl. Japanischen Uni« 
versität Sendai. Jg. I. 1933. Heft 1 

I. Mitteilung. An zwei Paranoiafällen angestellte psychoanalytische Versuche zeigten, 
daß die Patienten Söhne strenger Väter waren und also der Ödipuskomplex bei ihnen ganz 
ausgeprägt war. Unter dem Druck der Schwierigkeit des realen Lebens und auf dem 
Wege der Regression wurde nun bei beiden Ödipuseinstellung wachgerufen, und Über¬ 
tragung der Ambivalenzgefühle auf den Vaterersatz, und zwar auf den Schwiegervater 
bei einem Patienten und auf den Leiter der Fabrik beim anderen, war die Folge. So¬ 
dann wurden ihre feindlichen Regungen nach außen projiziert und von ihnen als Ver¬ 
folgung seitens der Gegner wahrgenommen. 

Der dritte Fall mit Eifersuchtswahn ließ erkennen, daß er, um der Spannung zwischen 
dem Uber-Ich und seiner unbewußten polygamischen Tendenz zu entgehen, den unbe¬ 
wußten Wunsch auf seine Frau projizierte und einen Eifersuchtswahn bildete. 

Kurz, alle drei Fälle bildeten ihren Wahn durch den Mechanismus der Projektion 
und statt des beseitigten inneren Drucks erlitten sie die Qual von außen. Der Wahn des 
Paranoikers ist also als ein nach außen gespiegelter Schatten eines inneren Bildes zu be¬ 
trachten. Außerdem stellte Verfasser bei allen Fällen starke Fixierung der Libido auf nar¬ 
zißtischer Stufe fest. 

II. Mitteilung. In dieser Mitteilung bespricht Verfasser weitere Ergebnisse der Psycho¬ 
analyse bei der Wahnbildung der Paranoia. 

Der vierte Fall, ein Student, litt an Beziehungs- und Verfolgungswahn. Die Psycho¬ 
analyse ergab, daß er heftige moralische Konflikte wegen eines Sexualakts bestand, den 
er ohne Verantwortlichkeitsgefühl mit einem Mädchen ausgeführt hatte; als Ausdruck der 














Referate 


<>33 


Spannung durch diesen Konflikt projizierte das Ich des Kranken den Vorwurf des strengen 
Über-Ichs nach außen und nahm ihn als Verfolgung von außen wahr. 

Der fünfte Fall, ein junger Bauer, litt an Verfolgungswahn, kombiniert mit Besessenheits¬ 
und hypochondrischem Wahn. Er klagte über Hodenschmerz und glaubte, daß ein Mann 
ihn durch Magie an Gonorrhöe habe erkranken lassen, so daß er nicht mehr mit Frauen 
verkehren könnte; er wünschte, daß sein rechter Hoden kastriert werde. Daß dieser Pa¬ 
tient ausgeprägte homosexuelle Tendenz hegte, war aus der Psychoanalyse deutlich er¬ 
sichtlich; er projizierte diese unbewußte Homosexualität und bildete so wie in Schrebers 
Fall von Freud (1911) den Verfolgungswahn. Autoreferat 

Lew in, Bertram D.: Anal Eroticism and the Mechamsm of Undomg. 

(The Psycha. Quarterly l/£) 

Ein Patient hat — wie die Analyse nachweist — Selbstkastrationstendenzen aus 
Strafbedürfnis. Ein Traum, der offenkundig den Patienten über die Gefährlichkeit 
seiner innerlich wahrgenommenen Selbstschädigungstendenzen beruhigen will, stellt den 
Penisverlust als Kotverlust dar. Dieser regressive Ausdruck ist deshalb eine Beruhigung, 
weil das Kind ja die Erfahrung gemacht hat, daß der Kotverlust täglich wieder unge¬ 
schehen gemacht wird, indem neuer Kot produziert wird. Von der Ichseite aus ge¬ 
sehen scheint diese Bannung der Kastrationsgefahr durch den Hinweis auf die Möglich¬ 
keit eines „Ungeschehenmachens“ die ökonomisch ausschlaggebende Determinante der 
Regression. Das schließt natürlich nicht aus, daß sie gleichzeitig die anal-sadistischen 
Wünsche des Es befriedigt. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß die Triebabwehr 
des Ungeschehenmachens besonders bei Patienten mit anal-sadistischem Triebleben 
(Zwangsneurotikern) auftritt. Fenichel (Berlin) 

Mar ui/ Kiyoyasu: Psychoanalytische Studie über einen Fall hysterischer 
Amaurose. Arbeiten aus d. Psychiatr. Inst. d. Kaiserl. Japanischen Uruver= 
sxtät 3u Sendai. Jg. I. 193 3 , Heft 1 

In dieser Abhandlung will Verfasser das Ergebnis seiner psychoanalytischen Studie 
über einen Lehrer mitteilen, den Verfasser Gelegenheit zu untersuchen gehabt hat, 
bald nachdem er eine hysterische Amaurose durchgemacht hatte. Die Anamnese 
dieses Leidens, dessen Beginn, Verlauf und Ausgang manche nicht uninteressante 
Data darbieten, läßt sich ganz kurz zusammenfassen. Der Lehrer fiel eines Tages vor 
den Augen des Volksschuldirektors um und wurde bewußtlos; als er mehrere Tage nach 
diesem Vorfall wieder zu sich kam, bot er das typische Bild hysterischer Amaurose, das 
trotz allen therapeutischen Versuchen etwa vier Monate lang fortbestand. Eines Tages 
aber, als der hysterische Blinde, von zweien seiner Schulkinder geführt, den Shintotempel 
mit dem Schutzgott seines Dorfes besuchte, was er in dieser Zeit so gut wie täglich zu 
tun pflegte, fiel er zufällig den steilen Abhang hinunter und wurde wieder bewußtlos; 
bald darauf wachte er auf und schaute nach der Richtung hin, aus der Stimmen, Schreien 
und Weinen der Schulkinder zu kommen schienen, und seltsamerweise sah er die Kinder 
auf dem Abhang stehen und auch alles in seiner Umgebung. 

Die Psychoanalyse dieses Falles ergab einen heftigen (sicher pathogenen) Konflikt, den 
der Patient aus Liebe, vor allem durch Anschauen einer Kollegin gehabt hatte. Die 
Tatsache, daß Patient vor den Augen des Schuldirektors umfiel, ist daraus zu erklären, 
daß er heftige Angst vor dessen scharfen Augen spürte, seitdem dieser sich einst in das 








634 


Referate 


Liebesverhältnis zwischen ihm und der Kollegin eingemischt hatte und der Schuldirektor 
sozusagen das gestrenge Über-Ich in seinem Seelenleben darstellte. 

Nach der psychoanalytischen Auffassung psychogener Sehstörungen Freuds ist 
unseres Erachtens die Genese dieser hysterischen Amaurose so zu deuten, daß das Ich 
des Kranken seine Herrschaft über das Auge, das ganz im Dienst des verdrängten 
sexuellen Triebs, insbesondere des Partialtriebs des Anstarrens stand, verlor, oder mit 
anderen Worten, daß als Ausdruck der Rache oder der Entschädigung von seiten des 
verdrängten Schautriebs dieser von weiterer psychischer Entfaltung abgehalten, seine 
Herrschaft über das ihm dienende Organ (Auge) zu steigern befähigt wurde. Die Be¬ 
wußtlosigkeit, die der Amaurose voranging, erklärt Verfasser als Ausdruck der Zurück¬ 
ziehung aller Energiebesetzungen (sowohl Libido als auch Ichtriebenergie) ins Ichreser- 
voir, und deutet die nach dem Erwachen des Patienten beobachtete Amaurose in der 
Weise, daß das Auge, bezw. das Sehen bei der Wiederherstellung der Energiebesetzungen 
seiner Besetzung beraubt war. Nach der Meinung des Verfassers könnte der dabei sich 
abspielende Vorgang so erklärt werden, daß infolge von Schuldgefühl oder Strafbedürf¬ 
nis des Ichs des Kranken gegen sein strenges Uber-Ich das Auge, bezw. das Sehen durch 
den Konversionsmechanismus vom Ich ausgeschlossen wurde... ein Schutzvorgang im 
Geistesleben, der in Analogie zum Prozeß der Autonomie oder Selbstverstümmelung bei 
Tieren zu setzen ist. 

Der Heilungsmechanismus der Amaurose bei diesem Falle ist so aufzufassen, daß das 
Ich des Kranken, als ihm durch „zufälliges“ Hinabstürzen am steilen Abhang gewisser¬ 
maßen Lebensgefahr drohte, seine Herrschaft über das Auge wiederherstellte, indem der 
Ichtrieb das Übergewicht über den verdrängten Sexualtrieb (Schautrieb) wieder gewann. 
Man kann sich den Vorgang auch so vorstellen, daß im kritischen Moment der Lebens- 
bedrohung das Ich des Kranken die Rache (Entschädigung) von seiten des verdrängten 
Schautriebs oder das Schuldgefühl (das Strafbedürfnis) gegen sein Über-Ich ignoriert 
und die Herrschaft über das Auge oder das Sehen wieder erlangt oder das Auge, das 
einmal vom Ich ausgeschlossen war, wieder in sich aufnimmt. Mir erscheint die Tatsache 
bemerkenswert, daß auch beim Verschwinden der Amaurose kurze Zeit dauernder Bewußt¬ 
seinsverlust eintrat, eine Tatsache, die deutlich zeigt, daß alle Energiebesetzungen wieder 
einmal ins Ichreservoir zurückgezogen waren, bevor das Auge oder das Sehen seine Be¬ 
setzung wiederbekam. 

Daß die Amaurose bei diesem Falle als Ausdruck der „Flucht in die Krankheit“ zu 
deuten ist, liegt auf der Hand; daß die Krankheitsdauer von etwa vier Monaten dem 
Patienten Gelegenheit zur Wiederanpassung an den pathogenen Konflikt, bezw. zur Vorbe¬ 
reitung der Genesung gab und gerade da das „zufällige“ Trauma der Krankheit ein Ende 
gemacht haben mag, liegt nahe zu vermuten; die Ergebnisse der Untersuchung und der 
Traumdeutung bei dem Patienten haben tatsächlich gezeigt, daß im Verlaufe des Leidens 
erhebliche Veränderungen im Seelenleben, insbesondere im unbewußten Geistesleben statt¬ 
gefunden haben. 

Dieser Fall hysterischer Amaurose erscheint dem Verfasser insofern sehr interessant, 
als er als einzig psychoanalytisch erforschtes Beispiel die Freudsche Theorie psychogener 
Sehstörung bestätigt, daß er uns Einsicht in den Heilungsvorgang erlaubt und daß er 
in mancher anderen Hinsicht interessante und bemerkenswerte Data darbiete. 

Autoreferat 

Pe ck 7 Martin W.: The Meaning of Psychoanalysis. London/ Jarrolds 1931 

Es ist dem Autor gelungen, in diesem verhältnismäßig kleinen Bande eine klare 
Darstellung der Psychoanalyse zu geben, die Ärzten, Medizinstudenten und auch dem 
allgemeinen Publikum von Nutzen sein dürfte. 
















Referate 


6 3 5 


Zweckmäßigerweise hat er es vermieden, die noch umstrittenen Probleme der Analyse 
durchzudiskutieren und sich darauf beschränkt, dem Leser eine allgemeine Vorstellung 
der Einsichten zu vermitteln, die der analytischen Theorie und Praxis zugrunde liegen. 
Besonders sorgfältig arbeitet er den Begriff des Widerstandes und den der Übertragung 
heraus, die für die Technik der analytischen Behandlung eine so große Bedeutung 
haben. Auf S. 98 sagt der Verfasser, daß Schuldgefühl und Angst ein Ergebnis der 
Ödipussituation seien. Ich vermute, daß der Verfasser hier nur manche neurotische Angst 
(z. B. vor dem eigenen Über-Ich) meint, da Angst ja schon vor dem Zustandekommen der 
Ödipussituation auftritt. 

Leider spricht der Verfasser von „verschiedenen Methoden der psychoanalytischen 
Therapie" (S. 154). Dies könnte beim Leser eine falsche Vorstellung erwecken. Üblicher¬ 
weise bleibt der Terminus „psychoanalytische Therapie“ der von Freud und seinen 
Schülern entwickelten Behandlungsmethode Vorbehalten. £), (London) 









KORRESPONDENZBLATT 

DER 

INTERNATIONALEN PSyCHO AN ALYTISCHEN 

VEREINIGUNG 


Redigiert von Zentralsekretärin Anna Freud 


I) Abteilungen der Internationalen UnterricKtsleommission 
Leitinstitut der Magyarors^agi Ps^idioanalitikai Egyesület, Budapest 

II. Quartal 1933 
A. Kurse 

Dr. Klara G. Lazar : Was bietet die Psychoanalyse für diejenigen, die mit 
Kindern zu tun haben? Vier Vorträge. Hörerzahl 30. 

Dr. Fanny K. Hann: Die Psychoanalyse der Entwicklung der weiblichen 
Seele. Zwei Vorträge. Hörerzahl 25. 

Dr. M. B ä 1 i n t : Uber hysterische Reaktionsformen. Für Ärzte und Pädagogen. 
Drei Vorträge. Hörerzahl 20. 

B. Seminare für Ausbildungskandidaten 

Vilma Kovacs: Technisches Seminar. Drei Abende. Teilnehmerzahl 10. 

Dr. I. Hermann: Theoretisches Seminar. Vier Abende. Teilnehmerzahl 15. 
Dr. Zs. Pfeifer : Psychoanalytische Trieblehre. Fünf Abende. Teilnehmer¬ 
zahl 15. 


New York Psydhoanalytic Institute 

Studienjahr 1931/32 
A. Lehrkurse 

(unter der Aufsicht des Lehrkomitees der New York Psychoanalytic Society) 

1. Dr. Sändor Radö: Principles of Psychoanalytical Theory. 20 Stunden. 
Hörer zahl 32. 







Korrespondenzblatt 


*37 


2. Dr. Sändor R a d ö : The Technique of Psychoanalytic Therapy. 20 Stunden. 
Hörerzahl 20. 

3. Dr. Sändor R a d 6 : Technisches Seminar (für Anfänger). 30 Sitzungen. 
Teilnehmer zahl 24. 

4. Dr. Sändor R a d 6 : Technisches Seminar (für Fortgeschrittene). 30 Sitzun¬ 
gen. Teilnehmerzahl 40. 

Dr. Adolf Stern : Freud-Seminar. — «The Interpretation of Dreams.“ 
6 Sitzungen. Teilnehmer zahl 19. 

6 . Dr. Dorian Feigenbaum : Freud-Seminar. — „Freuds Krankengeschich¬ 
ten.“ 6 Sitzungen. Teilnehmerzahl 19. 

7. Dr. Gregory Z i 1 b o o r g : Freud-Seminar. — „Drei Abhandlungen zur 
Sexualtheorie.“ 6 Sitzungen. Teilnehmerzahl 19. 

8. Dr. Bertram D. Lewin : Freud-Seminar. — „Freuds Theoretische Schrif¬ 
ten.“ 6 Sitzungen. Teilnehmerzahl 19. 

(Seminare Punkt 3 bis 8 je zweistündig.) 

B. Populäre Kurse 

(unter der Aufsicht des „Committee on Ways and Means and Public Relations c< 
des New York Psychoanalytic Institute) 

1. Seminar für Fürsorger (Fortgeschrittene). „Psychoanalysis in Social Work.“ 
Geleitet von Drs. Levy, Radö, Stern und Zilboorg. 10 Sitzungen. Teilnehmer¬ 
zahl 34. 

2. Einführungskurs für Fürsorger. Gehalten von Drs. Brill, Feigenbaum, Glueck, 
Lewin, Oberndorf, Shoenfeld, Stern, Williams und Meyer. 10 Sitzungen. Teil¬ 
nehmerzahl 87. 

3. Einführungskurs für Ärzte. Gehalten von Drs. Brill, Feigenbaum, Hinsie, 
Lehrman, Lewin, Lorand, Meyer, Oberndorf, Radö und Stern. 10 Sitzungen. Teil¬ 
nehmerzahl 17. 

4. Populäre Vorträge über Psychoanalyse. Vortragende: Drs. Brill, Glueck, 

Kenworthy, Levy, Oberndorf, Stern, Williams, Radö. 8 Vorträge. Teilnehmerzahl 
durchschnittlich 33. Dr. Sändor R a d d 

Sekretär der I. U. K. 

II) Berichte der Zweigvereinigungen 

Deuts die Psychoanalytische Gesellschaft 
II. Quartal 1933 

25. April: Dr. Fenichel: Kritisches Referat über Dr. Nunbergs „All¬ 
gemeine Neurosenlehre auf psychoanalytischer Grundlage.“ — Diskussion: Müller- 
Braunschweig, Lampl de Groot, Jacobssohn, Hoff mann. 

6. Mai. Außerordentliche Generalversammlung. — Nach einer lebhaften Dis¬ 
kussion wird mit Stimmenmehrheit beschlossen, keine Änderungen in den Be¬ 
setzungen der Ämter in der Gesellschaft und im Institut eintreten zu lassen. 










638 


Korrespondenzblatt 


23. Mai. Vortrag Dr. Berliner (a. G.): „Melancholie mit Konversion in eine 
tätliche Organerkrankung.“ — Diskussion: Fenichel, Simmel, Jacobssohn. 

30. Mai. Kleine Mitteilungen. Dr. Fenichel: „Merkbefehl und Fetischismus.“ 
— Diskussion: Eitingon, Simmel, Boehm. — Dr. Paula Heimann (a. G.): „Ein 
Beitrag zum Problem der Mütterlichkeit.“ — Diskussion: Fenichel, Müller-Braun- 
schweig, Jacobssohn, Lampl de Groot, Steff Bornstein. — Frau Edith Glück 
(a. G.): „Einleitung einer Kinderanalyse.“ — Diskussion: Fenichel, Eitingon, Steff 
Bornstein, Lampl de Groot, Müller-Braunschweig. — Dr. Kemper (a. G.): „Ein 
Fall ungewöhnlicher inzestuöser Beziehung.“ — Diskussion: Fenichel, Jacobssohn, 
Lampl, Müller-Braunschweig, Levy-Suhl (a. G.), Lampl de Groot, Berliner (a. G.). 

13. Juni. Wissenschaftliche Sitzung zu Ferenczis Gedächtnis. — Dr. Eitin¬ 
gon: Abschiedsworte an Sändor Ferenczi. — Dr. Simmel: Gedenkrede für 
Sändor Ferenczi. 

20. Juni. Vortrag Frau Edith Glück (a. G.): „Ein Fall von Pseudogenitalität 
bei analer Fixierung.“ — Diskussion: Fenichel, Jacobssohn, Lampl de Groot, Boehm, 
Simmel. 

24. Juni. Vortrag Dr. Baumeyer (a. G.): „Schaulust und Exhibitionismus 
bei der Straßenangst.“ — Diskussion: Lampl, Kempner, Fenichel, Levy-Suhl, Boehm. 

4. Juli. Vortrag Else Fuchs (a. G.): „Zur Psychoanalyse des Stotterns.“ — 
Diskussion: Fenichel, Jacobssohn, Eitingon. — Verlesen wird ein Vortrag von 
Frau Dr. Nie FI o e 1 (aus Oslo): „Feuerlöschen und Homosexualität.“ 

11. Juli. Vortrag Dr. Kemper (a. G.): „Weibliche Geschlechtssensationen beim 
Manne in vergleichender entwicklungsgeschichtlicher Betrachtung.“ — Diskussion: 
Fenichel, Müller-Braunschweig, Boehm, Kamm (a. G.), Simmel. — In der ge¬ 
schäftlichen Sitzung werden Frau Nie Hoel, Frau Edith Glück, Fräulein Else Fuchs, 
Fräulein Gertrud Göbel, Dr. Werner Kemper, Dr. Franz Baumeyer und Dr. Max 
Levy-Suhl als außerordentliche Mitglieder auf genommen. 

Dr* Felix B o e h m 

Schriftführer 


Adagyarors^agi Ps^icFioanalitikai Egy^siilct 

II* Quartal 1933 

7. April. 1. Frau Dr. K. G. Läzär: Fälle aus der Erziehungsberatung. — 
2. Generalversammlung. Der Vorstand wird wiedergewählt. Frau Dr. Lilly 
G. Hajdu wird zum ordentlichen Mitglied gewählt (Adresse: Budapest, IV., 
Maria Valeria u. 1). Auf Vorschlag des Präsidenten wird Frau Vilma Koväcs 
für ihre erfolgreiche Lehrtätigkeit der Dank der Vereinigung ins Protokoll ge¬ 
nommen. 

21. April. Frau K. Levy: Über die weibliche Sexualität auf Grund eines 
Falles. I. Beschreibung des Falles. 

5. Mai. Frau K. Levy: Fortsetzung ihres Vortrages. II. Theoretische Folge¬ 
rungen. 











Korrespondenzblatt 


639 

19. Mai. Frau Dr. L. K. R o 11 e r : Über formelle Eigentümlichkeiten der 
freien Assoziation. 

Am 22. Mai verlor die Vereinigung ihren Begründer und Präsidenten Doktor 
Sandor Ferenczi. Dr. Imre Hermann 

Societe Psychanalytique de Paris 

II. Quartal 1933 

23. Mai. Wissenschaftliche Sitzung: Diskussion des Vortrags über den „Zwang“, 
den Drs. B o r e I und M. Cenac auf der 7. Jahresversammlung französischer 
Psychoanalytiker hielten. Das Thema der Diskussion war überdies die Reue und 
ihre Beziehungen zum Zwang. Teilnehmer: Pichon, Mme. Bonaparte, Odier, Leuba, 
Loewenstein, Staub, Cenac, Borei. 

16. Juni. Wissenschaftliche Sitzung: Dr. Parcheminey : „Der Begriff der 
Regression in der Genese neurotischer Störungen“. Verfasser bemüht sich in dieser 
besonders interessanten Arbeit um die Aufklärung gewisser neurotischer Mechanismen 
an Hand der Arbeiten P a v 1 o v s über die bedingten Reflexe. Diskussion: Pichon, 
Odier, Mme. Bonaparte, Laforgue, Th. Schiff, Loewenstein, Codet, Mme. Morgen¬ 
stern, Borei. S. Nacht 

Sccretairc 













Inhalts Verzeichnis 

des XIX. Bandes (1933) 

Michael B alint: Zwei Notizen über die erotische Komponente der 
Ichtriebe.. 

Therese Benedek: Uber die psychischen Prozesse bei Basedow- 
Psychosen . 

E. Bergler und L . Eidelberg: Der Mammakomplex des Mannes 
Felix B o eh m : Beiträge zur Psychologie der Homosexualität IV. 

Uber zwei Typen von männlichen Homosexuellen. 

Gustav Bychowski: Aktivität und Realität. 

Felix Deutsch: Biologie und Psychologie der Krankheitsgenese . 
Helene Deutsch: Zur Psychologie der manisch-depressiven Zu¬ 
stände, insbesondere der chronischen Hypomanie. 

L. Eidelberg: s. E. Bergler und L. Eidelberg. 

Paul Federn: Sändor Ferenczi. Gedenkrede. 

S. Ferenczi: Sprachverwirrung zwischen dem Erwachsenen und 
dem Kind. 

Sigm. Freud: Sändor Ferenczi. 

Edward Glov er : Zur Ätiologie der Sucht. 

Fanny Hann-Kende: Über Klitorisonanie und Penisneid . 

J. H är nik : Die postnatale erste Entwicklungsstufe der Libido . . 

Karen Horney: Die Verleugnung der Vagina. Ein Beitrag zur 

Frage der spezifisch weiblichen Genitalängste. 

Smith Ely Jelliffe: Die Parkinsonsche Körperhaltung. Einige Be¬ 
trachtungen über unbewußte Feindseligkeit. 

Ernest J o n e s : Die phallische Phase. 

A. Kielholz: Weh’ dem, der lügt! Beitrag zur Pseudologia phan- 
tastica. 

Jeanne L am p l de Gr o o t: Zu den Problemen der Weiblichkeit . 
Edoardo W ei s s : Körperschmerz und Seelenschmerz. 






















Inhaltsverzeichnis 


Viktor v. Weizsäcker: Körpergeschehen und Neurose. Ana¬ 
lytische Studie über somatische Symptombildungen.jg 

M. Wulff : Uber den hysterischen Anfall. ^4 


KASUISTISCHE BEITRÄGE 

Heisaku K o s aw a : Eine schizophrene Gesichtshalluzination . 

Melitta Schmideberg: Ein Prüfungstraum. 

Alexander S z al ai: Die „ansteckende“ Fehlhandlung . . . 


434 

198 

440 


VORLÄUFIGE MITTEILUNGEN 


Endre A 1 m a s y : Daten zur manischen Assoziation und Affektübertragung .... 205 

Michael B a 1 i n t : Über die Psychoanalyse des Charakters.449 

Therese B e n e d e k : Über die psychischen Prozesse bei Basedow-Psychosen . . . 203 

Ludwig Eidelb erg: Zur Metapsychologie des Masochismus. 61 j 

— Zur Theorie und Klinik der Perversion.. 

Paul Federn : Die Psychosenanalyse.. u. 444 

— Die vier Frongesetze der Zwangsneurose.. 

Otto Fenichel: Neue Determinanten zweier bekannter neurotischer Haltungen . 450 
Alfred Groß: Zeitsinn und Traum. < TX 


L. S. Kubie: Die Beziehung des bedingten Reflexes zur psychoanalytischen Technik 213 

Sandor Lorand: Reaktivierte infantile Traumen in der Analyse. 21 1 

— Ein Beitrag zur Psychologie des Erfinders.. 

Melitta Schmideberg : The Mode of Psychotherapeutic Measures . " .450 

Emil Simonson : Erfolgreiche Behandlung einer schweren, multiplen Konversions¬ 


hysterie durch Katharsis.6x4 

Fritz Wittels : Mutterschaft und Bisexualität.622 

— Mona Lisa und weibliche Schönheit.622' 

Gregory Zilboorg: Angst ohne Affekt.210 


REFERATE 

Aus der Literatur der Grenzgebiete: 

B r a a t ö y : Die psychoanalytische Methode. (Fenichel) 623 


Aus der psychiatrisch-neurologischen Literatur: 

Aschner : Die Krise der Medizin. (M. Bdlint) 452 

— Klinik und Behandlung der Menstruationsstörungen. (Jacobsohn) 453 

Birnbaum: Methodologische Prinzipien der Pathographie . , . (Hitschmann) 454 

Boenheim: Kinderpsychotherapie in der Praxis . . . . (Lieheck-Kirschner) 215 

Bretschneider: Psychogene („oneirogene“) Krankheitsbilder (Friedjung) 624 

Dreikurs: Das nervöse System. (Isakower) 62 5 

Heyer: Seelenräume. (R. Sterha) 215 





























Inhaltsverzeichnis 


Seite 

Jacobsohn: Die Frigidität der Frau. (Lowtzky) 61 5 

— Die Onanie beim Mann und bei der Frau. (Lowtzky) 626 


Kauders: Zur Klinik und Analyse der psychomotorischen Störung (Haenel) 21 6 
Levy-Suhl : Die Funktion des Gewissens in den neurotischen Krankheiten 

(Isakower) 455 

Meng: Konstitutionsumstellung durch Arznei, Hormon, Psyche (Misch-Frankl) 629 


Peritz: Die Nervenkrankheiten des Kindesalters. (Meng) 455 

Rosenfeld: Die Störungen des Bewußtseins. (Hartmann) 218 

Unger: Ein Versuch sozialer klinischer Therapie. (Misch-Frankl) 218 

Aus der psychoanalytischen Literatur: 

Bergler: Psychoanalyse eines Falles von Prüfungsangst .... (Autoreferat) 629 

Coriat: A Note on Symbolic Castration. (Fenichel) 219 

Glover : The Therapeutic Effect of Inexact Interpretation .... (Fenichel) 457 
Hayasaka : Psychoanalytische Studien über die neurotische Angst. — Angst¬ 
hysterie . (Autoreferat) 630 

Hitschmann: Die Psychoanalyse der Zwangsneurose .... (Autoreferat) 219 

— Über die Psychoanalyse einer hypochondrischen Angst .... (Autoreferat) 459 

— Zur Psychoanalyse der Spermatorrhoe. (Autoreferat) 631 

Kauf man: Some Clinical Dates on Ideas of Reference .... (Fenichel) 460 
K i m u r a : Psychoanalytische Untersuchung über die Wahnbildung bei Paranoia 

(Autoreferat) 6 32 

Klein: Die Psychoanalyse des Kindes. (Alexander) 219 

— The Psycho-Analysis of Children. (Glover) 227 

Lew in: Anal Eroticism and the Mechanism of Undoing .... (Fenichel) 6 33 


M a r u i : Psychoanalytische Studie über einen Fall hysterischer Amaurose 

(Autoreferat) 6 33 

N u n b e r g : Allgemeine Neurosenlehre auf psychoanalytischer Grundlage 

(S arasin) 460 

Oberndorf: Analysis of Disturbances in Speech. (Fenichel) 235 

Peck: The meaning of Psycho-Analysis. (D.B.) 635 

Schmideberg : The Role of Psychotic Mechanisms in Cultural Development 

(Fenichel) 23 6 

Searl: A Note on Depersonalization. (Fenichel) 237 

Slutsky: Interpretation of a Resistance .. (Fenichel) 463 

Thompson: Toothache and Masturbation. (Fenichel) 238 

KORRESPONDENZBLATT DER 

INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN VEREINIGUNG 


Mitteilungen des Zentralvorstandes 

Bericht über den XII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß.239 

Mitteilungen der Internationalen Unterrichtskommission 

Berliner Psychoanalytisches Institut.275, 464 


Budapest, Lehrinstitut der Magyarorszägi Pszichoanalitikai Egyesület 278, 468, 636 




























Inhaltsverzeichnis 


Chicago Institute for Psychoanalysis. 

Frankfurter Psychoanalytisches Institut. 

London Institute of Psycho-Anaylysis. 

New York Psychoanalytic Institute. 

Wien, Lehrausschuß der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung . . 

Berichte der Zweigvereinigungen 

The American Psychoanalytic Association. 

Chicago Psychoanalytic Society. 

New York Psychoanalytic Society. 

Washington-Baltimore Psychoanalytic Society. 

British Psycho-Analytical Society. 

Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft. 

Hamburger Arbeitsgemeinschaft. 

Leipziger Arbeitsgemeinschaft. 

Lehrkurs in Stuttgart. 

Südwestdeutsche Arbeitsgemeinschaft. 

Indian Psycho-Analytical Society . 

Magyarorszagi Pszichoanalitikai Egyesület. 

Nederlandsche Vereeniging voor Psychoanalyse. 

Societe Psychanalytique de Paris. 

Schweizerische Gesellschaft für Psychoanalyse. 

Wiener Psychoanalytische Vereinigung.. . . . 


Seite 

• ... 465 

. ... 276 

• ... 467 

. ... 636 

• . 278, 468 


. . 279, 469 

.... 471 
.... 472 
.... 474 
. . 281, 475 

282, 476, 637 
. ... 283 

. ... 283 

. . . . 284 

. . . . 284 

. ... 477 

284, 480, 638 

. . 284, 480 

285, 480, 639 

. . 285, 481 

. . 286, 482 


Bericht der Verlags-Kommission der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung 286 
Mitgliederverzeichnis der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung .... 288 






























THE 

PSVCHOANALYTIC 

QUARTERLY 

Second year of publication 


THE QUARTERLY 

is devoted to original contributions in 
the field of theoretical, clinical and 
applied psychoanalysis, and is published 
four times a year. 

The Editorial Board of the QUARTERLY 
consists of: Drs. Dorian Feigenbaum 
(Managing Editor , 60 Gramercy Park, 
New York City), Bertram D. Lewin, 
Frankwood E. Williams and Gregory 
Zilboorg. Associated with the Editorial 
Board is a group of distinguished Ameri¬ 
can and European psychoanalysis. 

Among the contributors to the first volume 
(1932) were: Sigm. Freud, A. A. Brill, Helene 
Deutsch, Paul Federn, Dorian Feigenbaum, 
Otto Fenichel, J. C. Flügel, Eugen J. Harnik, 
Abraham Kardiner, M. R. Kaufman, Bertram 

D. Lewin, Sandor Rado, Geza Roheim and 

Frankwood E. Williams. 

CONTENTS FOR JANUARY i 933 : 

The Psychoanalysis of Pharmacothymia (Drug 
Addiction), I. The Clinical Picture, San¬ 
dor Rado; The Body as Phallus, Ber¬ 
tram D. Le w in; Anxiety without Affect, 
Gregor y Zilboorg; Pregenital Anxiety 
in a Passive Feminine Character, I v e s 
H e n d r i c k; Outline of Clinical Psycho¬ 
analysis, Pregenital Conversion Neuroses, 
Otto Fenichel; Turning Points in the 
Analysis 0 i a Case of Alcoholism, George 

E. Daniels; Abstracts; Book Reviews; 
Current Psychoanalytic Literature; Notes. 

Subscription price is five dollars; 
single issues one dollar and fifty cents. 
A limited number of Volume I (1932) 
copies are still available; Volume 1 in 
original binding t six dollars. 

THE PSYCHOANALYTIC 
QUARTERLY PRESS 

372-374 BROADWAY, ALBANY, 
NEW YORK 


THE INTERNATIONAL 
JOURNAL OF 
PSYCHO-ANALYSIS 

Directed by 
SIGM. FREUD 

Edited by 

ERNEST JONES 

This JOURNAL is issued 
quarterly. Besides OriginalPa- 
pers, Abstracts and Reviews, 
it contains the Bulletin of the 
International Psycho-An alyti- 
cal Association, of which it is 
the Official Organ. 

Editorial Communications should be 
sent to Dr. Ernest Jones, 81 Harley 
Street, London, W. 1. 

The Annual Subscription is 30 s per 
volume of four parts. 

The JOURNAL is obtainable by 
subscription only, the parts 
not being sold separately. 

Business correspondence should be 
addressed to the publishers, Balliere, 
Tindall & Cox, 8 Henrietta Street, 
Covent Garden, London, W. C. 2., 
who can also supply back volumes. 





Internationale Zweitschrift für Psychoanalyse, Band XJX, Heft 4 


(Ausgegeben im Dezember 1933) 

INHALTSVERZEICHNIS 

Seite 

Smith Ely Jelliffe: Die Parkinsonsche Körperhaltung. Einige Betrachtungen über unbe¬ 


wußte Feindseligkeit.4^5 

Felix Boehm: Beiträge zur Psychologie der Homosexualität IV. Über zwei Typen von 

männlichen Homosexuell.4 99 

Therese Benedek: Über die psychischen Prozesse bei Basedow-Psychosen. 507 

A. Kielholz: Weh’ dem, der lügt! Beitrag zum Problem der Pseudologia phantastica . . . 527 

Edmund Bergler und Ludwig Eideiberg: Der Mammakomplex des Mannes. 547 

M. Wulff: Über den hysterischen Anfall.5^4 

VORLÄUFIGE MITTEILUNGEN 

Alfred Groß : Zeitsinn und Traum.613 

Emil Simonson: Erfolgreiche Behandlung einer schweren, multiplen Konversionshysterie durch Katharsis 6 14 
Ludwig Eidelberg: Zur Metapsychologie des Masochismus.615 


Paul Federn : Die vier Frongesetze der Zwangsneurose . . 

Ludwig Eidelberg: Zur Theorie und Klinik der Perversion 

Fritz Wittels : Mutterschaft und Bisexualität. 

Fritz Wittels : Mona Lisa und weibliche Schönheit .... 

REFERATE 

Aus der Literatur der Grenzgebiete: 


Braatöy: Die psychoanalytische Methode (Fenichel) .623 

Aus der psychiatrisch-neurologischen Literatur: 

Bretschneider: Psychogene („oneirogene“) Krankheitsbilder (Friedjung) . 62 4 

D r e i k u r s : Das nervöse Symptom (lsakower) .625 

Jacobsohn: Die Frigidität der Frau (Lowtzky) . 62$ 

Jacobsohn : Die Onanie beim Mann und bei der Frau (Lowtzky) . 626 

Meng: Konstitutionsumstellung durch Arznei, Hormon, Psyche (Misch-Frankl) .628 

Aus der psychoanalytischen Literatur: 

Bergler: Psychoanalyse eines Falles von Prüfungsangst (Autoreferat) . 629 

Hayasaka: Psychoanalytische Studien über neurotische Angst, — Angsthysterie (Autoreferat) . 6 30 

Hitschmann: Zur Psychoanalyse der Spermatorrhöe (Autoreferat) .631 

Kimura : Psychoanalytische Untersuchungen über die Wahnbildung bei Paranoia (Autoreferat) . 6yz 

L e w i n : Anal Eroticism and the Mechanism of Undoing (Fenichel) .633 

Mar ui : Psychoanalytische Studie über einen Fall hysterischer Amaurose (Autoreferat) .633 

Peck: The meaning of Psychoanalysis (D. B.) ... 6 34 

KORRESPONDENZBLATT DER INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN VEREINIGUNG 

I. Mitteilungen der Internationalen Unterrichtskommission.636 

II. Berichte der Zweigvereinigungen .637 


Preis des Heftes Mark 7»50. Jahresabonnement Mark £8.— 

Jährlich 4 Hefte im Oesamtumfang von etwa ÖOO Seiten , 

Einbanddecken %\x dem abgeschlossenen XIX. Band (1933)/ sowie %u allen früheren 
Jahrgängen: in Leinen Mark £.5o, in Halbleder Mark 5.— 


Eigentümer und Verleger: Internationaler Psydioanalytischer Verlag, Ges. m. b. H., Wien, I., Börsegasse 11. — Herausgeber: Prof. Dr. Sigm. Freud, 
Wien. — Verantwortlich für die Redaktion: Dr. Paul Federn, Wien, VI., Köstlergasse 7. — Drude: Elbemühl Papierfabriken und graphische 

Industrie A. G., Wien, IX., Berggasse 31.