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Full text of "Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse XVI 1930 Heft 1"

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XVI. BAND 


1930 


HEFT I 


Internationale Zeitsdirift 
für Psychoanalyse 

Offizielles Organ dei Internationalen PsyAoanalytisdien Vereinigung 


Herausgegeben von ; ^ v 

Sigm. Freud 

Unter Mitwirkung von 

Girindrashekhar Bose A. A. Brill Paul Federn Ernest Jones J. W. Kannabich 

Kalkutta New York Wien London Moskau 

Rene Laforgue J, H. W. van Ophuijsen Philipp Sarasin Ernst Simmel 

Paris Haag Basel Berlin 

redigiert von 

M. Eitingon, S. Ferenczi, Sandor Radö 


Berlin 


Budapest 


Berlin 


Ernest Jones . . 
Otto Fenichel . 
Maxim, Steiner 

B, D. Lewin . . 
Melanie Klein . 
Th. M. F r e n c h 

A. S. Lorand . 
G6za Röheim . 
Susanne Hupfer 


Angst, Schuldgefühl und Haß 
Zur Psychologie des Transvestitismus 

Die Bedeutung der femininen Identifizierung für 
die männliche Impotenz 

Kotschmieren, Menses und weibliches Über-Ich 
Symbolbildung und Ichentwicklung 

Beziehungen des Unbewußten zur Funktion der 
Bogengänge 

Fetischismus in statu nascendi ' . 

Zur Deutung der Zwergsagen 
Über Schwangerschaftsgelüste 


W. V. Silverberg . Zur Phantasie: Ein Kind wird geschlagen 

Diskussionen — Referate — Korrespondenzblatt 
der IntemationoJen Psychoanalytischen Vereini^ng 


Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien 









INTERNATIONALE 
ZEITSCHRIFT FÜR 
PSYCHOANALYSE 

XVI. BAND 

1930 






a INTERNATIONAL 
PSYCHOANALYTIC 
UNIVERSITY 


DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN 










Internationale Zeitschrift 
für Psychoanalyse 

Offizielles Organ der 

Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung 


Herausgegeben von 

Sigm. Freud 


Unter Mitwirkung von 
Girindrashekhar Bose A. A. Brill Paul Federn Emest Jones J. W. Kannabidi 

Kalkutta New York Wien London Moskau 

Rene Laforgue J. H. W. van Ophuijsen Philipp Sarasin Ernst Simmel 

Paris Haag Basel Berlin 


redigiert von 

M. Eitingon S. Ferenczi Sändor Radö 

Berlin Budapest Berlin 


XVI. Band 
1930 


Internationaler Psydioanalytisdier Verlag 
Leipzig / Wien / Zürich 





ALLE RECHTE VORBEHALTEN 


COPYRIGHT 1930 BY „INTERNATIONALER 
PSYCHOANALYTISCHER VERLAG, GES. M. B. H.% WIEN 


Drude: Elbemühl, Wien, III., Rüdengasse 11 









Internationale Zeitschrift 
für Psychoanalyse 

Herausgegeben von Sigm. Freud 

XVI Band 1930 Heft 1 


Angst, Sdiuldgefuhl und Haß 

Vortrag auf dem XI. Internationalen Psychoanaljrtischen Kongreß in Oxford, am 2 *j. Juli 1^2^ 

Von 

, Ernest Jones 

London 

Aus dem englischen Manuskript übertragen von Editha St erb a 


I 

Wer jemals ernstlich versucht hat, die komplizierten Beziehungen zu 
entwirren, die zwischen je zweien dieser Gefühlseinstellungen bestehen, 
wird zugeben müssen, daß die darin enthaltenen Probleme außerordentliche 
Schwierigkeiten bieten. Ich hoffe dennoch durch die folgenden Über¬ 
legungen wenigstens einigermaßen das Wesen der in Rede stehenden 
Verwicklungen aufzuhellen und damit die Annäherung an dahinter¬ 
liegende tiefere Probleme fördern zu können. Wie uns unsere tägliche 
analytische Praxis zeigt und auch jede Form wissenschaftlicher Forschung 
erweist, ist die klare Problemstellung weder die leichteste noch die 
unwichtigste Aufgabe, 

Wir wollen zunächst die Beziehungen mehr vom klinischen Standpunkt 
aus betrachten. Die Hauptschwierigkeit wird dabei von selbst bald zutage treten. 
Sie besteht nämlich darin, daß — um sich einer statischen Ausdrucks¬ 
weise zu bedienen — merkwürdige Schichtenbildungen vorhanden sind, 
wobei eine Schichte mit der andern in klarer Beziehung steht; diese 
Beziehung ist oft reaktiver Natur. Dies gilt für jede einzelne der in 
Frage stehenden Gefühlseinstellungen, so daß man eine derselben auf 
einer bestimmten Stufe im Seelischen, eine andere auf einer tieferen, die 
erstere wieder in der nächsttieferen antreffen kann, usf. Diese schichten¬ 
weise Lagerung macht es so schwierig zu sagen, welches der primäre und 








6 


Ernest Jones 


der sekundäre Anteil innerhalb einer der beiden Gruppen ist. Dynamisch 
ausgedrückt, ist es die komplizierte Reihe der Wechselwirkungen zwischen 
diesen Einstellungen, die es so erschwert, die Genese ihrer Beziehung 
chronologisch zu bestimmen. 

Lassen Sie mich zuerst ein Beispiel für diese Allgemeinheiten geben. 
Wenn wir einen Patienten haben, der an irgend einer Form von Angst¬ 
neurose, Vim gebundener oder frei flottierender „krankhafterAngst leidet, 
wissen wk aus Erfahrung, daß bestimmt auch Schuldgefühl vorhanden 
sein muß. Oft ist es leicht, dieses nachzuweisen, oft außerordentlich 
schwierig, aber wir wissen, daß bei genügend tiefgehender Analyse diese 
Voraussetzung sich immer als richtig erweist. Ich will nicht die abstrakte 
Behauptung aufstellen, daß Angst nicht ohne Schuldgefühl Vorkommen 
kann, behaupte aber, daß hinter klinisch beobachteter Angst, etwa als 
neurotischem Symptom, immer Schuldgefühl verborgen ist. Schon Shakespeare 
sagt: „So macht Gewissen Feige aus uns allen.Allein so einfach liegt 
der Sachverhalt nicht. Es ist wohl nicht möglich, daß eine phylogenetisch 
so alte Gefühlsreaktion wie die Angst bloß auf einer späteren Erwerbung 
beruhen oder durch sie hervorgerufen sein soll, wie es das Schuldgefühl 
ist, dessen Vorhandensein — wenigstens in seiner ausgeprägtesten Form — 
bei andern Lebewesen als beim Menschen höchst zweifelhaft ist. Wir 
haben hier ein Beispiel dafür, wie ein biologischer Ausblick uns bei der 
klinischen Forschung als Orientierung dient und uns warnt, einen Weg 
zu betreten, der allzu leicht irreführt. Unsere Vorsicht erweist sich bei 
tiefergehender analytischer Forschung als begründet. Besonders durch die 
Aufdeckung der frühesten Stadien der kindlichen Entwicklung, die Gewi߬ 
heit dafür gibt, daß das Schuldgefühl selbst einem noch früheren Stadium 
von Angst seine Entstehung verdankt. Es ist wichtig, sich in diesem 
Zusammenhänge daran zu erinnern, daß das Schuldgefühl außerordentlich 
tiefliegend sein kann. Manchen Patienten gelingt es, unbewußte Schuld¬ 
gefühlskonflikte so sehr als Angst manifest werden zu lassen und so 
weitgehend davon überzeugt zu sein, daß ihre Schwierigkeiten nur aus 
dieser Angst stammen, daß es jahrelanger Analyse bedarf, um das dahinter 
befindliche Schuldgefühl bewußt zu machen. Wäre es nicht so, daß die 
Aufdeckung dieses Zusammenhanges nicht notwendigerweise mit der thera¬ 
peutischen Lösung Hand in Hand geht, könnte der Analytiker sich 
allerdings seiner Arbeit damit begeben und darüber befriedigt sein, eine aus¬ 
reichende Erklärung des Problems der Phobie gefunden zu haben, nämlich 
daß sie dem Schuldgefühl entspringt. 

Auch beim Haß liegt eine ähnliche Schichtung vor. Er ist gewöhnlich 
ein Deckmantel des Schuldgefühls und seine Funktion ist leicht verständlich. 
















Angst, Schuldgefühl und Haß 


7 


Haß gegen jemanden beinhaltet, daß dieser durch seine Grausamkeit und 
Lieblosigkeit die Leiden des Hassenden verursacht, daß diese also nicht 
von ihm selbst auferlegt oder irgendwie selbst verschuldet sind. Alle 
Verantwortung für das Elend, das durch das Schuldgefühl verursacht 
wird, wird so auf die andere als grausam angenommene Person abgewälzt, 
die eben darum von Herzen gehaßt wird. Dieser Mechanismus ist natürlich 
wohlbekannt aus der Übertragungssituation. Wir wissen, daß dahinter stets 
ein Schuldgefühl steckt, doch zeigt eine tiefere Analyse nach meiner 
Erfahrung immer, daß das Schuldgefühl von einer tieferen und völlig 
unbewußten Schichte von Haß ausgeht, wobei dieser Haß sich auffällig von 
dem der oberen Schichte dadurch unterscheidet, daß er nicht ichgerecht ist. 

Bei der letzten der möglichen Kombinationen, der von Angst und Haß, 
kann man das gleiche beobachten. Haß, besonders in der gemilderten 
Form von Übellaunigkeit, Reizbarkeit und Ärger, ist gewöhnlich ein 
Deckmantel für eine tiefer liegende Angst oder dient der Abwehr einer 
solchen. Dies kann in chronischer Verteilung z. B. bei einem unangenehmen 
und reizbaren Charakter oder aber akut auftreten, wenn ein plötzlicher 
Schreck einen Ausbruch von Ärger an Stelle einer panischen Reaktion 
erzeugt. Doch haben wir gute Gründe zur Annahme, daß die zugrunde* 
liegende Angst selten, wenn nicht überhaupt niemals auftritt, ohne eine 
noch tiefere Schichte von Haß, von demselben nicht ichgerechten Typus 
wie oben aufgezeigt, erkennen zu lassen. 

Es ist folglich nicht schwer, in allen diesen drei Fällen das Vorhandensein 
von drei Schichten festzustellen, von denen die erste und dritte gleicher 
Art sind. In einem der drei Fälle bildet die Angst die tiefste Schichte, in 
den andern beiden der Haß. Wir befinden uns hier aber erst am Beginn 
der Problemlösung, denn der vorgebrachte Tatbestand beleuchtet nur die 
Kompliziertheit der Verhältnisse; er vermag nichts über die entscheidenden 
chronologischen oder ätiologischen Beziehungen auszusagen. Dazu bedarf 
es einer tieferschürfenden Untersuchung, und ich halte es in diesem Falle 
für angezeigt, jede der drei Gefühlseinstellungen gesondert zu betrachten. 
Ich möchte mit der Untersuchung des Hasses beginnen, dessen Beziehungen 
am wenigsten kompliziert erscheinen. 

I 

n 

Wir haben gesehen, wie die verschiedensten Äußerungen des Hasses 
sowohl Angst wie Schuldgefühle überdecken können, und daß es berechtigt 
ist, anzunehmen, daß in allen diesen Fällen noch eine weitere, tiefere 
Schichte von Haß vorhanden ist. Es ist höchst wahrscheinlich, daß die 








8 


Emest Jones 


oberflächliche Schichte von dieser tieferen stammt, so daß man in gewissem 
Sinn von einem Durchbruch des Verdrängten sprechen könnte. Es ist 
natürlich nicht ein einfacher Durchbruch, da es zwischen den beiden 
Haßschichten bemerkenswerte Unterschiede gibt, so in bezug auf Richtung, 
Bedingung des Auftretens usf. Unter diesen Unterschieden ist zweifellos 
die Beziehung zum Ich die wichtigste. Was wir als oberflächliche, d. h. be¬ 
wußte Schicht bezeichnet haben, ist in den meisten Fällen wenigstens 
im Augenblick der Empfindung in ganz besonderem Ausmaß ichgerecht. 
Es gibt wenige Gefühlsvorgänge im Leben, die dem Träger eine derartige 
Überzeugung geben, im Recht zu sein, und die ein solches Gefühl von 
Eigenrechtfertigung mit sich bringen wie der Ärger, der im sogenannten 
gerechten Zorn seine Akme erreicht. Schon der Begriffsbestimmung nach 
ist es bei den tieferen unbewußten Schichten des Hasses ganz anders. Wenn 
wir nun versuchen, die genauere Beziehung der beiden Schichten zu 
ermitteln, kommen wir zu folgenden Ergebnissen: Der primäre Haß kann 
nur die instinktive Erwiderung des Kindes auf die Versagung seiner 
Wünsche, besonders der libidinösen, sein, gewöhnlich in Form des Wut¬ 
ausbruches erfolgend. Dieser primäre reaktive Impuls vereinigt sich ge¬ 
wöhnlich mit der sadistischen Komponente der Libido zu dem, was uns 
klinisch als Sadismus begegnet. In der Überwältigung des versagenden 
Objektes liegen demnach zwei Quellen libidinöser Befriedigung: die ur¬ 
sprüngliche frühzeitig versagte und die rein sadistische. Später allerdings 
wird auch diese Befriedigung durch das Schuldgefühl gehindert. Die 
sekundäre, bewußte Haßreaktion stellt einen Versuch dar, das Schuldgefühl 
oder besser die Hilflosigkeit, die durch dieses erzeugt wird, zu bewältigen. 
Die Auflehnung gegen das Schuldgefühl geschieht derart, daß man es nach 
außen projiziert, indem man die verbietende Instanz mit einer anderen 
Person identifiziert, die dann der ursprünglich versagenden Person, von 
der das Schuldgefühl seinen Ausgang genommen hat, gleichgesetzt wird. 
In diesem Sinne können wir den Haß der sekundären Schichte als eine 
Wiederkehr des Verdrängten bezeichnen. Möglich wird dieser Vorgang nur 
durch die Schaffung der phantasierten Annahme, daß die andere Person 
im Unrecht sei, oder durch ein Verhalten in der Realität, daß die Ver- 
wirklichung dieser Phantasie zur Folge hat. 

Es ist merkwürdig und klingt paradox, daß das Schuldgefühl nur durch 
das In-Erscheinung-Treten der Ursache seiner Entstehung, nämlich des 
Hasses, gemindert werden kann. Das Talionsprinzip ist uns in der Psychologie 
wohlvertraut und ebenso die Genauigkeit, mit der die Strafe zum Ver¬ 
brechen paßt. Wir haben hier ein Beispiel für ein ähnliches Prinzip, das 
man vielleicht als „isopathisches^^ Prinzip bezeichnen könnte, nachdem die 
























Angst, Sdiuldgefühl und Haß 9 

Ursache die Wirkung heilt.^ Wenn Haß Schuldgefühl erzeugt, dann kann 
nur Haß, oder vielmehr in geänderter Form geäußerter Haß das Schuld¬ 
gefühl beseitigen. Das bemerkenswerteste Beispiel hierfür ist die von jedem 
Neurotiker geäußerte unbewußte Meinung, teils Täuschung, teils Wahrheit, 
daß Liehe das einzige Heilmittel gegen das Schuldgefühl sei und daß er 
nur durch das Streben nach einem Sexualziel (und die Erlaubnis hiezu) 
von seinem Leiden erlöst werden könne. Diese Meinung setzt sich zusammen 
aus einer etwas pleonastischen Platitüde („wenn ich mich in einer sexuellen 
Situation frei und gutgeheißen fühle, werde ich kein Schuldgefühl haben“) 
und aus der fälschlichen Voraussetzung, daß Entbehrung oder Versagung 
notwendigerweise Strafe für eine Schuld bedeuten. Ich möchte noch ein 
anderes Beispiel für dieses isopathische Prinzip heranziehen, eines, das 
mit den hier in Diskussion stehenden Themen eng verknüpft ist. In einer 
früheren Arbeit über Ursprung und Aufbau des Über-Ichs legte ich be¬ 
sonderen Wert auf den Abwehrcharakter des Schuldgefühles, das entsteht, 
um das Individuum vor der Entbehrung, die charakteristischerweise als 
Versagung (z. B. von seiten des Vaters) aufgefaßt wird, zu schützen. Dieses 
Schuldgefühl beobachten wir klinisch bei Neurosen und immer in der 
Übertragungssituation, hauptsächlich aber in der indirekten Perspektive 
der Projektion; die verbietende, verurteilende und versagende Funktion 
der schuldgefühlerzeugenden Instanz des Über-Ichs spiegelt sich in der 
Vorstellung, die sich der Patient vom Analytiker macht. Besonders wenn 
die Selbstbestrafungstendenzen in hohem Maße ausgebildet sind, dürfen 
wir erwarten, daß der Patient Strafen von seiten der Außenwelt (d. h. von 
Vaterersatzpersonen) provozieren wird, und man kann leicht wahrnehmen, 
daß dies geschieht, um das Schuldgefühl zu vermindern; durch die Provokation 
einer Strafe von außen rettet sich der Patient wenigstens teilweise vor 
einer von innen kommenden (Selbst-)Bestrafung. Wir haben es hier also 
wieder mit drei Schichten zu tun, die in ihrer Reihenfolge den oben 
erwähnten sehr ähnlich sind: zuerst Angst vor äußerer Strafe (z. B. von 
seiten des Vaters), dann Schuldgefühl und Selbstbestrafung, die das Individuum 
von der von außen zu erwartenden Strafe schützen sollen, etwa nach Art 
der religiösen Buße; schließlich die Provokation einer Strafe von außen, 
nichts anderes als die ursprünglich gefürchtete in verhüllter Form, und 
dazu angetan, das Individuum vor der Strenge der Selbstbestrafungstendenzen 
zu schützen. So wird der Vater zu Hilfe gerufen, um das Individuum 

i) Beim Kongreß gebrauchte ich den Ausdruck „homöopathisches Prinzip“; 
Dr. Federn erinnerte mich aber daran, daß die Homöopathen den Terminus 
„Isopathie“ für das hier in Rede stehende, ihnen wohlbekannte Prinzip reserviert 
haben. 








Ki 


10 Emest Jones 


vor dem zu retten, wodurch es sich seinerzeit vor dem Vater rettete. Wie 
bei der Vakzinentherapie wird die Krankheit geheilt, indem man eine 
Dosis ihrer Ursache verabreicht, und ebenso wie dort hängt der Erfolg der 
Kur von der willkürlich kontrollierbaren Dosierung des Krankheitserregers ab. 

Das zuletzt Ausgeführte wird uns, wie ich hoffe, bei unseren weiteren 
Betrachtungen zu Hilfe kommen und führt uns zum zweiten Thema, zum 
Schuldgefühl. Man darf allgemeine Übereinstimmung unter den Analytikern 
hinsichtlich der klinischen und analytischen Beobachtung erwarten, daß das 
Schuldgefühl die verborgenste — wenn auch nicht unbedingt die zutiefst 
liegende der drei von uns untersuchten Gefühlseinstellungen ist. Meiner 
Erfahrung nach erträgt das menschliche Bewußtsein Angst oder Haß viel 
eher als Schuldbewußtsein. Das Gefühl der Minderwertigkeit oder allgemeinen 
Wertlosigkeit erreicht oft einen so hohen Grad, daß die Mehrzahl der 
Patienten es sehr schwer erträgt. Man kann aus der übermäßigen Empfind¬ 
lichkeit gegenüber dem bloßen Gedanken an eine Kritik nur folgern, daß 
die Gefahr wirklichen — nicht bloß wörtlichen — Zugeständnisses eines 
Unrechts eine ungeheure Bedrohung der Persönlichkeit bedeutet. Diese 
Intoleranz ist natürlich bei verschiedenen Individuen verschieden groß, und ich 
habe deutlich den Eindruck, daß die Intensität des vorhandenen Sadismus 
einer der Hauptfaktoren ist, von dem ihre Größe abhängt. Wenn sich diese 
Beobachtung als richtig erweist,^ — nämlich, daß die Intoleranz gegenüber 
dem Schuldgefühl direkt vom Ausmaß des vorhandenen Sadismus abhängt, — 
wohl mit Melanie Kleins Schlußfolgerung, daß der Ursprung 
des Über-Ichs eher in der sadistischen als in der phallischen Stufe zu suchen 
ist, zur Vereinbarung bringen. In diesem Zusammenhang muß man sich 
fragen, ob Schuldgefühl allein auf den Versuch hin, die primäre Angst 
aus unbefriedigter Libido zu bewältigen, — also als Abwehr — entstehen 
kann, und andrerseits, ob es immer und unvermeidlich mit dem Haßgefühl 
verknüpft ist. Ich wäre geneigt, diese beiden Fragen bejahend zu beantworten, 
doch mit der wesentlichen Einschränkung, daß man dabei zwei Phasen in 
der Entwicklung des Schuldgefühls unterscheiden muß. Im ersten Fall der 
Entstehung aus der primären Angst wäre es nicht ganz richtig, von Schuld¬ 
gefühl im vollen Sinn des Wortes zu sprechen: es bedürfe hier eines eigenen 
Ausdrucks wie etwa „vor-verbrecherisches“ (pre-nefarious) Stadium des 
Schuldgefühls. Dieses Stadium muß den Vorgängen bei Hemmung und 
Verzicht sehr ähnlich sein; die Formel dafür wäre ein kategorisches „ich 
darf nicht, weil es unerträglich ist Es ist ein Versuch, der primären 
Angst zu entgehen. Die Situation kompliziert sich aber durch das Auftreten 

i) Freud hat eine ähnliche Beziehung für die Zwangsneurose aufgezeigt (Hemmung, 
Symptom und Angst, S. 50). 






























Angst, Schuldgefühl und Haß 11 

einer Objektbeziehung. Hier bricht Sadismus mit Wut kombiniert auf die 
Versagung hin durch, Liebe^ zur anderen Person kämpft mit Angst vor 
Strafe, die von ihr ausgeht (Kastration und Liebesentzug durch die geliebte 
Person), woraus das zweite Stadium, das des vollentwickelten Schuldgefühls, 
resultiert. Hier können wir die Formel so fassen: Ich soll nicht, weil es unrecht 
und gefährlich ist. Liebe, Angst und Haß^ sind alle gleich notwendig für 
das endgültige Zustandekommen des Schuldgefühls, so daß es nicht unrichtig 
wäre, das Über-Ich als eine Zusammensetzung dieser drei zu bezeichnen, 
da seine Wesenheit darin besteht, eine früher nach außen gerichtete 
Einstellung zu einer nach innen gerichteten zu machen. Wie schon früher 
erwähnt, ist es wenig zweifelhaft, daß die selbstbestrafende Funktion des 
Schuldgefühls dazu dient, das Individuum vor der Gefahr einer Strafe von 
außen zu bewahren, ebenso wie dies bei der religiösen Buße der Fall ist. 

Wir stoßen hier auf eines der wichtigsten Probleme. Wie kommt es, 
daß der Vorgang, der das Individuum vor einer unerträglichen Situation 
schützen soll und den wir vorläufig als haßbedingte Angst bezeichnen 
wollen, selbst unerträglich wird, so unerträglich, daß das Individuum aus 
Selbstverteidigung gegen diese Rettung zu der ursprünglichen Einstellung 
von Angst und Haß zurückkehrt, vor denen es sich schützen wollte? Wie 
können diese gleichzeitig unerträglicher und weniger unerträglich sein als 
das Schuldgefühl? Dies ist nur dadurch möglich, daß wir zwei verschiedene 
Erscheinungen im Psychischen verwechseln und mit ein und derselben 
Bezeichnung „Schuldgefühl^^ benennen. Ich meine, daß diese beiden Zu¬ 
stände die oben erwähnten zwei Stadien sind, nämlich das des Verzichtes und 
das der Selbstbestrafung. Wenn dies tatsächlich der Fall ist, werden wir eine 
gewisse Wechselbeziehung zwischen beiden erwarten dürfen. Dafür besitzen 
wir viel Beweismaterial, und Reik und Alexander gehen sogar so weit, 
daß sie in den Selbstbestrafungstendenzen ein Mittel sehen, das dem Individuum 
die Notwendigkeit des Verzichtes ersparen soll, d. h. es bestraft sich selbst, 
um sich dadurch die nötige Bedingung zur Befriedigung zu verschaffen. 
Es sei ferner daran erinnert, daß, wie vorhin bereits erwähnt, das sekundäre 
Auftreten von Angst und Haß keineswegs mit Angst und Haß der tieferen 
Schichten identisch ist. In einer Hinsicht ist die Sachlage viel künstlicher: 
die Gefahr der Strafe von außen z. B., der sich das Individuum aussetzt, 
ist selten wirklich ernstzunehmen, jedenfalls nicht im Vergleich zur grausamen 


1) Es erscheint mir sehr unwahrscheinlich, daß Schuldgefühl in Zusammenhang mit 
einem nur gehaßten Objekt auftreten kann: Ambivalenz ist eine wesentliche Bedingung 
des Schuldgefühls. 

2) Es ist interessant, daß das Wort y^Innocmt^ ein Sich-Zurückhalten vom Wehetun 
bedeutet. 









12 Ernest Jones 

Tatsache, die das Unbewußte in der ursprünglichen Gefahr sieht. Die 
sekundären Schichten von Angst und Haß sind mit anderen Worten viel 
ichgerechter als die primären Schichten, viel mehr unter Kontrolle und 
Regulierung des Ichs. 

Wir müssen uns jetzt dem dritten und letzten Gegenstand unseres 
Themas zuwenden, nämlich der Untersuchung der Angst.^ Wir wollen 
zu Beginn die Frage aufwerfen: Beinhaltet Angst (vor Beschädigung) immer 
den Gedanken an Wiedervergeltung, d. h. ist sie immer mit einer vorher¬ 
gehenden Haßeinstellung verknüpft oder gar mit einer von Schuldgefühl 
zugleich? Theoretisch ist nicht einzusehen, warum es so sein sollte, und 
bei manchen furchtsamen Tieren, z. B. beim Hasen, erschiene diese Annahme 
geradezu grundlos. Doch müssen wir nach unseren klinischen Erfahrungen 
zugeben, daß wir in allen Altersstufen mit Ausnahme der frühen Kindheit 
das eine nie ohne das andere finden, so daß wir annehmen müssen, daß 
Haß und wahrscheinlich auch Schuldgefühl überall dort vorhanden sind, 
wo wir auf Angst stoßen. Dies ist vielleicht deshalb der Fall, weil die 
bloße Entbehrung so rasch die Bedeutung von Entzug und Versagung 
bekommt und daher Zorn und Haß erweckt. Wenn sich die Entbehrung 
als unerträglich erweist und infolgedessen Angst entwickelt wird, kann 
man sicher ein, daß auch Angst und Schuldgefühl vorhanden sind. Diese 
klinische Beobachtung aber ist kein Beweis dafür, daß die frühe Angst 
auf Haß oder Schuldgefühl hin entsteht, wie dies in den obersten Schichten 
oft zu sein scheint. Im Gegenteil, alles spricht dafür, so besonders die 
Befunde aus den Kinderanalysen, daß die Angst ihnen vorangeht. 

Was nun die Angst selbst betrifft, müssen wir unterscheiden zwischen Angst 
bei einer äußeren Gefahr, die durch ein äußeres Ereignis hervorgerufen 
wird, und Angst vor einer inneren Gefahr, die sich aus einer bestimmten 
inneren Situation entwickelt. Es besteht kein Zweifel, daß unsere Fort¬ 
schritte in der Erkenntnis der Tatsachen früher dadurch sehr verzögert 
wurden, daß wir die Bedeutung dieses Unterschiedes nicht erkannten. 
Dieser Unterschied ist von Freud so klar in „Hemmung, Symptom und 
Angst“ formuliert worden, daß ich Ihre Erinnerung daran durch das Zitat 
nur einer Stelle auffrischen möchte: (S. 120 ) „Der Angst wurden so im 
späteren Leben zweierlei Ursprungs weisen zugewiesen, die eine ungewollt, 
automatisch, jedesmal ökonomisch gerechtfertigt, wenn sich eine Gefahr¬ 
situation analog jener der Geburt hergestellt hatte, die andere vom Ich 
produzierte, wenn eine solche Situation nur drohte, um zu ihrer 

1) Es wird Ihnen klar sein, daß ich das Wort „Fear“ in diesem Vortrag im 
klinischen Sinn von Angst imd Besorgnis verwende, nicht im fein biologischen Sinn, 
etwa von erhöhter Wachsamkeit und dazugehörigen Reaktionen. 





































Angst, Sdnildgefühl und Haß 


13 


Vermeidung aufzufordern.“ Unsere Patienten liefern uns oft einen bewußten 
Hinweis darauf, wenn sie darüber klagen, daß „sie sich vor der Angst 
fürchten“. 

Bevor wir Wesen und Funktionen der Angstreaktion untersuchen, 
müssen wir uns über das Wesen der Gefahr klar werden. Freud bezeichnet 
als „traumatische Situation“ (a. a. O., S. 126) eine solche, die charakteri¬ 
siert” ist durch Hilflosigkeit, Unbestimmtheit und Objektlosigkeit des zu 
Befürchtenden, wobei das Individuum unfähig ist, das Übermaß an Er¬ 
regung, für die keine Abfuhrmöglichkeit besteht, zu bewältigen. Es ist 
evident, daß dies die Ursprungssituation ist, obwohl er meint, daß diese 
Situation im späteren Leben, speziell in der somatisch bedingten Angst¬ 
neurose, wiederkehren kann. Andererseits bezeichnet er die tjyische Angst 
der Psychoneurosen als Reaktion auf eine „Gefahrsituation“, wobei die 
Angst absichtlich vom Ich erzeugt wird, um das Individuum vor der 
Möglichkeit der Annäherung einer traumatischen Situation zu warnen und 
die Notwendigkeit von Abwehrmaßnahmen anzuzeigen. Diese beiden Situa¬ 
tionen entsprechen dem, was wir vorläufig als äußere und als innere Gefahr 
bezeichnet haben. Freud betont, daß die Angst der Psychoneurosen eine 
Angst vor äußerer Einwirkung ist, daß der Libidoimpuls nicht an und für sich 
als Quelle der Angst betrachtet werden kann, sondern nur insoferne, als er 
eine solche äußere Einwirkung veranlaßt (a. a. O., S. 67). Es scheint 
daraus zu folgen, daß grundsätzlich auf zweierlei Weise die äußere 
Gefahr in Kraft tritt, und wir sehen, daß beide zur Wiedereinsetzung der 
primären inneren Gefahr führen. Entweder wird das Objekt der Befriedi¬ 
gung, für den Knaben also die Mutter, entzogen, oder es droht ein Eltern¬ 
teil, beim Knaben der Vater, mit der Beraubung des zur Befriedigung 
nötigen Organs. In beiden Fällen ist das Resultat dasselbe: im ersten 
Falle tritt die Entbehrung direkt ein, im zweiten auf dem Weg über die 
Beraubung. Aber Entbehrung ist nur eine andere Bezeichnung für die 
ursprüngliche traumatische Situation, die sich als unerträgliche Reiz 
Spannung infolge Sperrung der Abfuhrwege darstellt. Wir können also 
sagen, daß die Gefahr, auf die Freud anspielt, wenn er von „Kastrations¬ 
angst des Ich“ spricht (a. a. O., S. 40), darin besteht, daß das Ich die 
Fähigkeit oder Möglichkeit erotischer Befriedigung einbüßen könnte. Die 
Angst vor einer Libidoerregung, die nicht die Möglichkeit noch Gestattung 
der Befriedigung hat, kann mit jener Libido, der eine Befriedigungs 
möglichkeit offen steht, in Interferenz treten; um es anders auszudrücken, 
die Libido, die nicht ichgerecht ist, stellt eine Gefahr für die ichgerechte 
Libido dar. Dies drückt sich klinisch als Impotenzangst aus, die inter¬ 
essanteste Variation aber finden wir in der Angst vor dem Verlust der 










Emest Jones 


t4 


Persönlichkeit, vor dem Verlust der erhabensten Ideale oder hochgeschätzten 
Genüsse. Die Analyse zeigt dann, daß es sich da bei diesen immer um 
unvollkommene Sublimierungen von Tnzestwünschen handelt, die 
den Kernpunkt im narzißtischen Gefüge des Ichs bilden. Daher kann die 
in Rede stehende Gefahr ebensowohl als Gefahr für das Ich oder für 
die Libido bezeichnet werden; genauer gesprochen ist es eine Gefahr 
für den libidinösen Bestand des Ichs, für seine Fähigkeit zu libidinöser 
Befriedigung in sinnlicher oder sublimierter Form. 

Dies aber entspricht genau dem, was ich seinerzeit als „Aphanisis“ 
bezeichnet habe. Einige Kollegen brachten ihr Erstaunen zum Ausdruck, 
daß gerade ich, der ich immer die konkrete Natur des Unbewußten, 
besonders im Zusammenhang mit der Symbolik, betonte, jetzt einen Teil 
seines Inhalts mit einem so abstrakten griechischen Terminus belegt habe. 
Ich hatte dafür zwei Gründe. Erstens finde ich es notwendig, die un¬ 
eingeschränkte Ausdehnung des zu Befürchtenden zu betonen, die in 
gewissem Sinne weiter geht und vollständiger ist als die der Kastration, 
das Wort im eigentlichen Sinn gebraucht. Denn auf den Penis kann vom 
Mann weitgehend Verzicht geleistet werden, — sogar im Uiiv, — da seine 
Stelle auch von andern erogenen Zonen übernommen werden kann, und 
bei Frauen ist seine Bedeutung ja überhaupt eine sekundäre. Die äußerste 
Gefahr, um die es sich hier handelt, droht nicht nur allen jenen Formen 
der Sexualität, die unerreichbar und verboten sind, sondern auch den ich- 
gerechten und ihren Sublimierungen. Sie bedeutet eine völlige Vernichtung 
der direkten und indirekten sexuellen Genußfähigkeit, eine Tatsache, auf 
deren Bedeutung wir noch bei Betrachtung der primären traumatischen 
Situation werden zurückgreifen müssen. Zweitens wurde damit der Ver¬ 
such einer intelligiblen Schilderung für einen Tatbestand unternommen, 
dem beim Kind weder bewußt noch unbewußt ein gedankliches Gegen¬ 
stück im Seelenleben entspricht. Hier unterscheidet sich dieser Versuch 
wesentlich von der analytischen Deutung des Unbewußten im gewöhn¬ 
lichen Sinn. In der Angstneurose z. B. gibt es nach Freud viel eher 
eine automatische Herstellung einer Angstsituation als eine bewußte oder 
unbewußte Furcht vor einer bestimmten Gefahr. Wie immer sich das 
verhalten mag, mir erscheint die Freudsche Annahme ziemlich wahr¬ 
scheinlich, — wir müssen zugeben, daß dies jedenfalls in der Kindheit 
so sein muß, in einem Stadium vor jeder gedanklichen Entwicklung. Ich 
meine damit nicht die Geburtssituation selbst, an der noch so vieles 
unklar ist, sondern den viele Monate später beobachtbaren Tatbestand 
einer als vorgedanklich und als primär zu bezeichnenden Angst (Urangst). 
Erst wenn diese Situation mit der Außenwelt in Verbindung gebracht 























Angst, Sdiuldgefühl und Haß 


15 


wird und die Angst vom Ich als warnendes „Signal(Freud) erzeugt 
wird, können wir von Angst mit einem bestimmten gedanklichen Inhalt 
sprechen. 

Da wir jetzt das Wesen der „Gefahr^^ einigermaßen geklärt haben, 
können wir uns nunmehr einer genaueren Untersuchung der Angst selbst 
zuwenden. Dabei stoßen wir auf den Begriff der primären „traumatischen 
Situation“. Es ist kaum zweifelhaft, wie Freud von Anfang an betonte, 
daß diese frühe Angstsituation direkt in Zusammenhang steht mit der ein¬ 
fachen Situation der libidinösen Versagung. Wir sagen „in Zusammenhang 
steht“, doch bildet gerade die Erforschung der genaueren Natur dieser 
Beziehung das zweite Grundproblem dieser Arbeit und führt uns in eines 
der dunkelsten Gebiete der gesamten Psychoanalyse. Ich habe seit vielen 
Jahren die Ansicht vertreten, daß Freuds Formulierung über die Kon¬ 
version verdrängter Libido in Angst psychologisch und biologisch unhalt¬ 
bar sei. Freud hat diese Formulierung kürzlich zurückgezogen (a. a. O. 
S. 40), obwohl er für den Fall einer primären, automatisch erzeugten und 
objektlosen Angst dabei eine Ausnahme macht (a. a. O. S. 41, 88). Es er¬ 
hebt sich also die Frage, ob die bekannte biologische Funktion der Angst 
als einer Abwehrmaßnahme im Zusammenhang mit der ebenso ausdrück¬ 
lich als Abwehrmaßnahme zu wertenden „Signal“bedeutung der Angst 
der Psychoneurosen nicht berechtigt, für den Fall der Urangst eine gleiche 
Funktion anzunehmen. Für diese kann die Situation folgendermaßen 
charakterisiert werden: Hilflosigkeit gegenüber unerträglicher Libidospan¬ 
nung, für die es keine Abfuhr, Erleichterung und Befriedigung gibt; 
Freud spricht von „Unbefriedigung, Anwachsen der Bedürfnisspannung, 
gegen die der Säugling ohnmächtig ist“ (a. a. O. S. 82), und sagt, daß der ei¬ 
gentliche Kern der „Gefahr“ „das Anwachsen der Erledigung heischenden 
Reizgrößen ist“ (a. a. O. S. 83). Ist diese Formulierung nicht erweiterungs¬ 
fähig? Warum ist die in Rede stehende Reizspannung unerträglich und 
warum gefahrdrohend? Bedeutet der evidente Hemmungscharakter der 
Angst in gewissem Sinn eine Abwehr des Unerträglichen oder ist er auf 
eine einfache, sozusagen mechanische Folge der von der Abfuhr abge¬ 
sperrten Reizspannung zurückzuführen? Ich meine, es ist beides der Fall. 
Wenn wir unsere Schwesterwissenschaft, die Physiologie, befragen, — 
vielleicht sind wir dazu berechtigt, wenn es sich um ein so tiefliegendes 
A^orgedankliches Gebiet handelt, — erfahren wir, daß es dort eine ähnliche 
Situation gibt, die man experimentell erzeugen kann, und die in der 
Reizerschöpfung selbst ein Ende findet; ein Hungriger hört auf, Hunger 
zu empfinden, wenn er lange Zeit Nahrungszufuhr entbehren muß, und 
Hungerkünstler sind wahrscheinlich Leute, die das Anfangsstadium des 








16 


Emest Jones 


Hungerreizes besser ertragen und eine gastrische Empfindungslosigkeit 
leichter erreichen als andere. Wenn es sich mit der Libido ähnlich ver¬ 
hält, müßte es in einem solchen Fall zur vollkommenen Vernichtung der 
Libido und jeder sexuellen Genußfähigkeit — der subjektiven Empfindung 
nach für immer — kommen. Es kann nun sein, daß die Urangst eben¬ 
falls eine Abwehr bedeutet, u. zw. gegen den Zustand der Aphanisis, welcher 
dem oben geschilderten äußeren Gefahrenzustand entspricht. 

Es gibt noch zwei andere Punkte, von denen aus Licht auf dieses 
Problem fallen kann. Wenn wir die konstituierenden Elemente der Angst 
betrachten, finden wir, wie ich an anderer Stelle ausführlich dargelegt 
habe, daß körperliche und seelische Erscheinungsformen der Angst in zwei 
Gruppen zerfallen, in solche der Hemmung und solche der Übererregung. 
Der Gegensatz zwischen Verminderung des Speichelflusses und Zunahme 
der Harnproduktion demonstriert dies deutlich. Dies muß eine Bedeutung 
haben. Eine zweite Überlegung führt uns zu folgendem. In Fortsetzung 
des früheren Gedankenganges ermöglicht sich die Annahme, daß auch die 
Urangst eine, wenn schon nicht im psychologischen Sinn zweckvolle 
Funktion hat. Es wäre ja nicht weiter verwunderlich, wenn das Ich in 
dem verzweiflungsvollen Zustand der Bedrohung durch die Aphanisis jeden 
erdenklichen Versuch macht, sich Erleichterung zu verschaffen. Ich glaube, 
man könnte diesen Versuch in zwei Gruppen teilen, die die Einteilung 
der beiden oben erwähnten Erscheinungsformen der Angst überdecken. 
Die eine Gruppe besteht in dem Versuch, das Ich von der Erregung zu 
isolieren; dieser würde — wenn er Erfolg hätte — einen der hysterischen 
Anästhesie verwarndten Zustand erzeugen. Er muß wohl den Beginn dessen 
darstellen, was Freud Urverdrängung nennt. Dem steht gegenüber 
der Versuch, auf direktem Wege die Reizspannung zu erledigen, u. zw. 
entweder durch Eröffnung beschränkter Abfuhrmöglichkeiten oder in einer 
mehr aggressiven Form durch Erdrückung der Erregung selbst. Die erste 
Gruppe bedarf keiner weiteren Erklärung, doch ist es nötig, die Darstellung 
der zweiten zu erweitern. Viele Erscheinungen der Übererregung, z. B. 
die Aufregung, Pollakisurie, müssen ein gewisses Maß an Libidoabfuhr 
bringen, und Freud meint (a. a. O. S. 129, Fußnote), daß selbst die durch 
Hemmung erzeugte Lähmung durch die Angst zur masochistischen Befrie¬ 
digung benutzt werden kann. Man erinnert sich daran, daß, was bisher 
noch nicht ausdrücklich formuliert wurde, dies in gleicher Weise für alle 
Abwehrmechanismen zutrifft. Reik und Alexander z. B. haben zwin¬ 
gend dargelegt, daß die Wirkung des Schuldgefühls nicht allein in der 
Hemmung der verbotenen Impulse besteht, sondern daß es in gewissem 
Ausmaß den Mechanismus der Bestrafung auch befriedigen könnte. In der 
































Angst, Sdmldgefühl und Haß 


17 


Regression, die, wie Freud klar gezeigt hat, eine Form der Abwehr ist, 
erfolgt ein Einbruch in tiefere, leichter zugängliche Stufen, auf die sich 
die Libido zurückzieht. Sogar die schuldgefühlsbedingte Selbstkastration 
eröffnet dem Individuum Befriedigungsmöglichkeiten in Form femininer 
Erotik. Was den Prozeß der Unterdrückung der Libido anbelangt, der den 
Kern jeder Hemmung bildet, so fasse ich ihn als frühestes Stadium der 
Verzichtleistung auf. Diese Verzichtleistung stellt andererseits den wesent¬ 
lichen Anteil jenes Prozesses dar, durch den die fruchtlosen Inzestwünsche 
in nützliche psychische Aktivität gewandelt werden. Aus der zentralen 
Bedeutung dieses Prozesses für die Neurosenentstehung soll er nun der 
Gegenstand unserer Aufmerksamkeit sein. 

Wenn unsere Annahme zutrifft, kommen wir zu folgendem Schluß: 
Was das Kind in der primären „traumatischen" Situation als so unerträg¬ 
lich empfindet und dem es sich so hilflos ausgeliefert fühlt, ist der Ver¬ 
lust der Herrschaft über die libidinöse Erregung und über die Möglichkeit, 
die libidinöse Erregung abzuführen und aus dieser Abfuhr Lust zu bezie¬ 
hen. Wenn diese Situation nicht beendet wird, muß sie unbedingt in den 
Erschöpfungszustand einer temporären Aphanisis übergehen, der zweifellos 
für das Kind die Bedeutung eines Dauerzustandes annimmt. Alle die kom¬ 
plizierten Abwehrmaßnahmen, die das Studienobjekt der Psychoanalyse 
bilden, sind im Grunde Versuche, diesem Endzustand zu entgehen. Urangst, 
nicht weniger als späteres „Angstsignal" gehören ihrem Wesen nach zu 
den Abwehrmaßnahmen. Di^^e Verdrängung, die, wie Freud kürzlich aus¬ 
führte, auch nur eine Form der Abwehr ist, ist eine der Folgen der 
Angst. 

m 

Es bleibt noch übrig, die zwischen Angst, Schuldgefühl und Haß 
bestehenden Beziehungen zu ordnen und die allgemeinen Einsichten zu 
formulieren, die sich aus den ausgeführten Details ergeben. 

Wir haben beobachtet, daß in der Entwicklung jeder der drei seelischen 
Reaktionen zwei Stufen feststellbar sind. Bei der Angst ist die erste Stufe 
die primäre Furcht vor der Aphanisis, die aus der ins Unerträgliche 
gesteigerten Bedürfnisspannung entsteht; die zweite finden wir dann, wenn 
die Entbehrungssituation mit einer äußeren Versagung identifiziert wird, 
als „Angstsignal" vor dieser Gefahr. Beim Haß ist die erste Stufe der 
Ärger über die Versagung, die zweite der aus der Sexualisierung des Ha߬ 
impulses entstehende Sadismus. Beim Schuldgefühl ist die erste Stufe die, 
welche wir als „vorverbrecherischen" Hemmungszustand bezeichnet haben. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XVI/i 2 









18 


Emest Jones 


dessen Funktion eine Unterstützung der früheren Angstreaktion darstellt 
und tatsächlich auch von dieser nur schwer zu unterscheiden ist, als 
zweites das Stadium des eigentlichen Schuldgefühls, dessen Funktion im 
Schutz vor äußeren Gefahren besteht. 

Es ist bemerkenswert, daß Hemmung nur bei Angst und Schuldgefühl 
auftritt. Wenn dabei im weiteren Verlauf auf Grund der Verzichtleistung 
die Wünsche in mehr Befriedigung versprechende Bahnen gelenkt werden, 
mag dieser Ausgang als zufriedenstellend bezeichnet werden. Möglicher¬ 
weise, weil der Hemmungsfaktor in der Haß- und Sadismusreaktion fehlt 
und weil diese von Natur aus die äußere Gefahr provoziert, hat gerade 
diese sozial wie pathologisch so ungünstige Wirkungen (Zwangsneurose, 
Paranoia, Melancholie). Klinisch erscheint dieser Ausgang gewöhnlich als 
einziger Ausweg zwischen Hemmung und Schuldgefühl, als Abwehr oder 
Protest dagegen; es kann aber auch das Gegenteil der Fall sein, daß 
nämlich Hemmung und Schuldgefühl abwechselnd als Abwehr gegen die 
Gefahren des Sadismus eintreten. 

Der kritische Punkt für die ganze Untersuchung liegt offenbar dort, wa 
die innere Situation nach außen verlegt wird, wo Entbehrung zur Ver¬ 
sagung wird. Weil die Außenwelt, leichter zugänglich, leichter beeinflußbar 
ist und eine willkommene Hilfe bei der Erstrebung der Befriedigung 
darstellt, muß das Kind den Eindruck gewinnen, daß die Situation sich 
zu seinem Vorteil geändert hat, obwohl es in Wahrheit nur alten Gefahren 
in neuer Form begegnet. Hier spielt die Phantasiegestalt des strengen 
Elternteils eine wichtige und unentbehrliche Rolle. Die Vergrößerung der 
äußeren Gefahr erhöht die Vorteile, die sich aus der Verlegung nach außen 
ergeben, und in der Entwicklung des Über-Ichs liegt ein Weg, die 
Schwierigkeiten in neuer Form zu bewältigen. Ebenso wie die Reaktionen 
der Pubertät durch die der infantilen Sexualphase bestimmt werden, müssen 
auch die Reaktionen der äußeren (Ödipus-) Situation der Kindheit unter 
dem Einfluß der vorhergehenden inneren Situation stehen. So z. B. jo 
größer die Urangst, um so strenger die Elternimago der Ödipussituation. 
Je sadistischer die erste Haßreaktion, desto schwieriger die Bewältigung^ 
des Schuldgefühls in der späteren usf. Wir sehen uns so veranlaßt, 
besonderen Nachdruck auf die Bedeutung der frühesten Reaktionen zu 
legen. Es war eine Offenbarung, als Freud die fundamentale Wahrheit 
verkündete, daß alle Angst letztlich Angst vor den Eltern ist. alles Schuld¬ 
gefühl, Schuldgefühl den Eltern gegenüber und aller Haß Haß gegen die 
Eltern. Wir beginnen aber einzusehen, daß auch die ganz frühen Ein¬ 
stellungen prähistorische Vorgänger haben müssen, ’ von denen sie aller 
Voraussetzung nach stark beeinflußt werden. 
































Angst, SdmldgefQhl und Haß 


19 


Um die Aufzählung unserer Schlüsse zu vervollständigen, sei wieder auf 
die am Anfang vorgebrachten Erwägungen hingewiesen. Dort machte ich 
auf die Schichten aufmerksam, innerhalb deren eine sekundäre Abwehr 
der drei Einstellungen, Angst, Haß und Schuldgefühl, erfolgt, und zeigte 
auf, daß diese Abwehrmechanismen selbst eine Art „Wiederkeh;: des Ver¬ 
drängten“ darstellen. Wir haben damals gesehen, wie tieflregend die 
primären Schichten dieser drei Einstellungen sein müssen und daß man in 
der Entwicklung jeder einzelnen zwei Stadien unterscheiden kann. Die 
Beziehung der sekundären Schichte scheint folgende zu sein. Jede dieser 
Grundeinstellungen kann sich auf der primären Stufe als unerträglich 
erweisen, so daß es zur Bildung sekundärer Abwehrreaktionen kommt, die 
wie eben erwähnt, sich aus einer anderen dieser Einstellungen entwickeln. 
So kann sekundärer Haß aus der Bewältigung von Angst oder Schuldgefühl 
hervorgehen, sekundäre Angst („Signal“angst) aus der Bewältigung schuld- 
gefühlerzeugendeu Hasses oder vielmehr der damit verbundenen Gefahr, 
und bisweilen sogar sekundäres Schuldgefühl aus der Bewältigung der 
beiden andern. Diese sekundären Reaktionen sind daher regressiver Natur 
und dienen der Abwehr wie jede andere Regression. 

Es ist wichtig, auf die Rolle der Libido im Zusammenhang mit diesen 
drei Gefühlseinstellungen hinzuweisen. Jede von ihnen kann sexualisiert 
werden. In der Angst ist es der masochistische Charakter von Lähmung 
und Hemmung und die somatische Abfuhr in der Angstreaktion selbst, 
beim Schuldgefühl ist es der moralische Masochismus und beim Haß die 
Entwicklung des Sadismus. 

Freud hat kürzlich auf die bemerkenswerte Tatsache hingewiesen, 
daß wir auch jetzt noch nicht in der Lage sind, die anscheinend so ein¬ 
fache Frage, warum eine Person neurotisch wird und eine andere nicht, 
zu beantworten. Ich bin überzeugt, daß es sich bei der endlichen Lösung 
dieser Frage heraussteilen wird, daß die Antwort in der Reaktion des 
Kindes auf die primäre „traumatische“ Situation sich ergeben wird und 
im weiteren in der Reaktion auf die Gefahren der Ödipussituation, die 
sich daraus entwickelt. Das Hauptergebnis dieses Vortrages ist, daß Angst, 
Haß und Schuldgefühl als Reaktionen auf diese Ursituation anzusprechen 
sind und daß sie deren Bewältigung versuchen. Als 'Wichtigstes erhebt 
sich die Frage, wie es möglich ist, einen hohen Grad libidinöser Reiz¬ 
spannung zu ertragen, ohne der Macht über die Situation verlustig zu 
gehen. Wenn das Kind so hilflos ist, daß es die Gefahr spontaner Aphanisis 
nicht bewältigen kann, wird es zu verzweifelten Maßnahmen greifen und 
in Gefahr geraten, zwischen zwei unvorteilhaften Situationen hin und her 
zu pendeln. Einerseits kann es zu sehr von der artifiziellen Aphanisis 







20 


Ernest Jones: Angst, Schuldgefühl und Haß 


durch die Hemmung abhängig sein, was seinerseits wieder den Verlust 
der Macht über die störenden Wünsche bedeuten kann, die damit selbst 
zum Schwinden gebracht werden. Anderseits mag es den leichtern Pfad 
betreten und in exzessivem Ausmaß Abwehrmaßnahmen in der Form von 
Angst, Haß und Schuldgefühl entwickeln, ein Weg, der sicher zur Neurose 
führt. Es wäre wahrscheinlich richtiger zu sagen, daß das Kind nicht 
zwischen den beiden Möglichkeiten hin und her schwankt, sondern daß 
die erstgenannte die primäre ist, die zweite aber ergriffen wird, wenn die erste 
fehlschlägt. Dies würde genügend erklären, woher die überragende Bedeu¬ 
tung der „Alles- oder Nichts“ Reaktion kommt, die für schwere Neurosen 
und für die offenkundige Angst vor dem Maßhalten, die die Neurotiker 
aufweisen, so sehr charakteristisch ist. Einen Wunsch in der Hand zu 
haben und zu lenken, oder mit ihm zurückzuhalten, wenn nötig, bedeutet 
für den Neurotiker die Schuldgefühlsreaktion spielen lassen, die für ihn 
den einzigen Grund darstellt, seine Wünsche zu zügeln. Davon nun hat 
er wohlbegründete Angst, da er niemals gelernt hat, die hemmende Tendenz, 
die das Wesen des Schuldgefühls ausmacht, und in der Gefahr artifizieller 
Aphanisis verbunden ist, zu beherrschen. Gerade das, worin er ursprüng¬ 
lich Rettung suchte, ist für ihn zur größten Gefahr geworden. 

Wenn der hier niedergelegte Gedankengang sich als richtig erweist, muß 
er bedeutende Folgen für die praktischen Probleme der Therapie haben. 
Das am schwersten zu erreichende Ziel der therapeutischen Analyse ist, 
Toleranz zuerst für das Schuldgefühl zu erreichen: und dann für den Haß und 
die Angst die ihm zugrunde liegen, und die größte Schwierigkeit die uns 
begegnet, ist der Mangel an Vertrauen in die Möglichkeit der Bewältigung 
der ursprünglichen Abwehrhemmung bei unseren Patienten. Der Kampf 
ist halb gewonnen, wenn der Patient einsieht, daß es andere als moralische 
Gründe gibt, Triebbefriedigungen einzuschränken; völlig gewonnen aber 
ist er, wenn der Patient die volle Überzeugung erlangt, daß seine Fähig¬ 
keit zur Einschränkung, statt, wie bisher stets eine Gefahr zu bedeuten, 
im Gegenteil die einzige Möglichkeit darstellt, das zu erlangen, was er 
5ucht, nämlich sichere Herrschaft über seine Persönlichkeit, besonders in 
libidinöser Beziehung zugleich mit Selbstbeherrschung in des Wortes voller 
Bedeutung. Nur dann ist er imstande, der Realität entsprechend gegen¬ 
überzutreten, innerhalb seiner eigenen Persönlichkeit wie in der Außenwelt. 



































Zur Psydiologie des Transvestitismus 

Vortrag auf dem XL Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Oxford^ Juli 1^2^ 

Von 

Otto F e n i c h e 1 

Berlin 

I 

Alle Autoren, die sich mit Transvestiten beschäftigt haben, sind sich 
darüber einig, daj 3 deren rätselhaftes Tun Berührungspunkte mit ver¬ 
schiedenen anderen perversen Praktiken aufweist. Erst 1910 wurde diese 
Erscheinungsform der Psychopathia sexualis von Hirschfeld mit Recht 
als eigene Perversionsart beschrieben,^ die früheren Autoren hatten ein¬ 
schlägige Fälle auf der Basis solcher Berührungspunkte anderen Perversionen 
subsumiert. Diese Verwandtschaft mit den anderen Perversionen erweckt 
die Hoffnung, daß die psychoanalytische Aufklärung des Transvestitismus 
auch zur Klärung der Perversionspsychologie überhaupt wichtige Beiträge 
wird liefern können. Diese Verwandtschaft wird uns aber auch — soweit 
verwandte Perversionen bereits analytisch durchforscht sind — den Weg 
zum Verständnis des Transvestitismus bahnen helfen. 

Wenn auch das Tun mancher Transvestiten durchaus als masochi¬ 
stisch imponiert (man denke etwa an den seiner Herrin Omphale in 
Frauenkleidern dienenden Herkules, der Idealfigur vieler Transvestiten), 
wenn viele auch nur zur Befriedigung kommen, wenn sie in der Ver¬ 
kleidung gesehen werden, also eigentlich Exhibitionisten sind, die 
weitaus deutlicheren Beziehungen, die auch Gegenstand wissenschaftlicher 
Kontroversen geworden sind, sind die zu Fetischismus und Homo¬ 
sexualität: Die Überschätzung der Kleidung und Wäsche und viele 
eigentlich fetischistische Züge bei einschlägigen Fällen, z. B. besondere 
Vorliebe für Schuhe oder Ohrringe, gaben Anlaß, die Transvestiten als 
eine besondere Art Fetischisten aufzufassen, wogegen Hirschfeld^ und 

1) M. Hirschfeld: „Die Transvestiten.Berlin, Pulvermacher und Co., loio- 

2) A. a. O. ’ ^ 








22 Otto Fenidiel 

Ellis^ mit Recht hervorhoben, daß der Transvestit ja durch einen dem 
Fetischismus fremden Zug charakterisiert ist, nämlich dadurch, daß der 
»Fetisch“ nur am Körper des Patienten selbst zu einem solchen wird, 
nicht (oder in nur sehr abgeschwächtem Maße) als Objekt an sich. — 
Die Transvestiten wollen aber nicht nur weibliche Kleidung tragen, sie 
wollen überhaupt weiblich leben, sind effemeniert; was Grund genug 
war, sie vielfach den passiven Homosexuellen zu subsumieren, wogegen 
Hirschfeld sehr energisch auftrat indem er bewies, daß die Trans¬ 
vestiten sich meist ausschließlich zu Personen des anderen Geschlechts 
erotisch hingezogen fühlen. Später teilte er^ und Näcke^ die Transvestiten 
je nach ihrer Sexualrichtung in heterosexuelle, homosexuelle, narzißtische 
und asexuelle ein. Dem Psychoanalytiker erscheint eine solche Einteilung 
bedeutungslos, weil sie sich nur an die manifesten Triebäußerungen hält 
und die unbewußten Triebabläufe ganz außer acht läßt. Diese einbe¬ 
ziehend, meinte S t e k e 1 ,^ den Transvestitismus doch nur als Maske der 
Homosexualität auffassen zu sollen. Das Problem ist aber, unter welchen 
Bedingungen gerade diese Maske gewählt wird. 

Zusammengefaßt: Mit dem Fetischisten hat der Transvestit die Über¬ 
schätzung der weiblichen Kleidung und Wäsche gemeinsam, mit dem 
passiv Homosexuellen (und dem femininen Masochisten) die feminine 
Einstellung. Von beiden weicht er in seinem spezifischen Sexualwunsch, 
die Kleidung des anderen Geschlechts anzulegen, ab. Der Psychoanalytiker 
argwöhnt, daß den manifesten Übereinstimmungen auch solche der zu¬ 
grunde liegenden unbewußten Mechanismen entsprechen werden. Und 
dieser Argwohn wird durch die Analyse von Transvestiten durchaus 
bestätigt. 

Fetischismus und passive Homosexualität des Mannes sind analytisch so 
weit durchforscht, daß man die Resultate dieser Durchforschung auf kurze 
Formeln bringen kann: Der Fetischist hat nach Freud aus Kastrations¬ 
angst die Penislosigkeit der Frau nicht akzeptiert und kann nur lieben, 
wenn er seinem weiblichen Objekt illusionär einen Penis verleiht.^ Der 
feminine Homosexuelle krankt ebenfalls an der Kastrationsangst. Er kann 
penislose Wesen überhaupt nicht lieben; er hat aus Kastrationsangst (und 
natürlich aus konstitutionellen Gründen) seinen Ödipuskomplex so erledigt, 
daß er seine Liebe zur Mutter durch eine Identifizierung mit ihr ersetzt 

1) „Eonisiii“ in „Studies in the Psychology of sex“, Vol VII, F. A. Davis Company, 
Philadelphia, 1928. 

2) Jahrbuch f. sexuelle Zwischenstufen, 1925. 

5) „Zum Kapitel der Transvestiten“, Archiv f. Kriminalanthropologie, XVII. 

4) S. „Der Fetischismus“ und „Onanie und Homosexualität“. 

5) Freud: „Der Fetischismus.“ Ges. Sehr., Bd. XI. 






































Zur Psydiologie des Transvestitismus 23 

hat Er ist nun selbst die Mutter, die Frau, und sucht nun als solche 
neue Objekte, je nachdem den Vater oder einen Vertreter seiner eigenen 

Person.^ _ Transvestit, der mit beiden verwandt ist, scheint nun der 

zu sein, für den beide Formeln gleichzeitig zutreffen: Er hat den Glauben 
an die phallische Natur der Frau nicht aufgeben können, sich aber außer¬ 
dem mit dieser phallischen Frau identifiziert. — Die Identifizierung mit 
der Frau an Stelle oder neben der Liebe zu ihr ist im manifesten Bild 
so deutlich, daß Ellis, wie wir noch hören werden, darin das Wesen 
des Transvestitismus gesehen hat.^ Daß aber die Frau, mit der der Trans¬ 
vestit sich identifiziert, phallisch gedacht ist, und daß gerade das das 
Wesentliche ist, konnte, weil es unbewußt ist, ohne Psychoanalyse <?nicht 
gefunden werden. 

Im transvestitischen Akt sind Objektliebe und Identifizierung vorhanden, 
beide in ihren Erscheinungsformen durch den Kastrationskomplex, durch 
das Festhalten am phallischen Glauben, modifiziert. Der transvestitische 
Akt hat einen doppelten Sinn, einen objekterotischen (fetischistischen) und 
einen narzißtischen (homosexuellen). /) Der Patient verkehrt statt mit der 
Mutter oder ihrer Ersatzfigur fetischistisch mit deren Kleidern, die er 
möglichst nahe an seinen Körper, an seine Genitalien heranbringt; daher 
erklärt sich die häufige „Liebesbedingung^^ daß es benutzte, womöglich 
vom Gebrauch durch eine Frau noch warme, den Geruch der Frau ent¬ 
haltende Kleidung oder Wäsche sein muß. Dieser Verkehr ist typischer¬ 
weise sadistisch gedacht. 2) Der Patient selbst stellt eine phallische Frau 
dar. Eine Frau — das schreit er ja überlaut heraus; eine phallische — 
das ergibt die Analyse. Der Penis ist dabei doppelt vertreten: a) im wirk¬ 
lichen unter den Frauenkleidern vorhandenen Penis des Patienten. — Ein 
Transvestit phantasierte sich immer wieder die Überraschung eines Lieb¬ 
habers, der ihn als Frau anspricht und dann beim Entkleiden seinen Penis 
entdeckt, b) Im Kleid, das den Penis symbolisch ersetzt, und das der 
Transvestit, auch wenn er nur geheim und onanistisch seiner Leidenschaft 
frönt, ja immer zur Schau stellen will, — ein verschobener Exhibi¬ 
tionismus, der, wie der echte, zum Zweck der Kastrationswiderlegung 
erfolgt. — Diese Formeln bedürfen nun noch einer Ergänzung, um das 
klinische Bild des Transvestitismus psychoanalytisch verständlich zu machen, 
der Beschreibung der sich — wie beim Homosexuellen — nach voll¬ 
zogener Identifizierung abspielenden neuen Objekt wählen. Diese haben 
wieder einen narzißtischen und einen objekterotischen Teil. Bezüglich des 

1) S. z. B. „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie.“ Ges, Sehr., Bd. V, S. 18, 
Fußnote. 

2) A. a. O 












24 


Otto Fenidiel 


ersteren ist zu. sagen, daß die Möglichkeit einer so weitgehenden Ersetzung 
einer Objektliebe durch eine Identifizierung nur gegeben ist bei besonders 
ausgeprägter narzißtischer Konstitution. Tatsächlich geht die narzißtische 
Regression, deren Ausdruck diese Identifizierung ist, weit über das hinaus, 
was wir bei Homosexuellen zu sehen gewohnt sind. Die Liebe zu sich 
selbst, Phantasien, daß der männliche Teil der Person mit dem weiblichen, 
also mit sich selbst, Geschlechtsverkehr haben könnte, sind nicht selten; 
die Liebe zur phallischen Mutter geht vielfach in eine Liebe zu dem 
durch die Identifizierung mit der phallischen Mutter veränderten Ich 
über, ein Zug, der auch schon nichtanalytischen Autoren aufgefallen ist, 
die neben einem hetero- und einem homosexuellen einen narzißtischen 
Transvestitentyp beschrieben haben. — Andererseits suchen sich die 
Patienten aus der femininen Identifizierung heraus auch neue Realobjekte, 
sie wollen als Frauen gesehen und geliebt werden, bzw. in Wendung des 
ursprünglichen Sadismus gegen das Ich, masochistisch gequält werden. 
(Auch hier zeigt sich im passiven Sexualziel, das trotz des p h a L 
lischen Charakters der dargestellten Frau das Rild beherrscht, der 
narzißtische Einschlag.) — Diese Objekttendenz des Transvestiten erweist 
sich analytisch als gerichtet auf j) in tiefer Schichte den Vater. Darin 
gleicht der Transvestit dem passiv Homosexuellen, nur daß ihm die homo¬ 
sexuelle Natur dieser Objektwahl selten bewußt ist. Er sagt gleichsam dem 
Vater: Liebe mich, ich bin ebenso schön (phallisch) wie die Mutter. Oder 
korrekter: Liebe mich wie die Mutter; es ist nicht wahr, daß ich durch 
solchen Wunsch meinen Penis gefährde! — Aber auch 2) auf die Mutter. 
Diese Beziehung ist die oberflächlichere und auffallendere. Um ihretwillen 
konnte der das Unbewußte nicht berücksichtigende Hirschfeld die 
Homosexualität der Transvestiten mit Recht leugnen. Solche Transvestiten 
haben bewußt ein besonderes Interesse für weibliche Homosexualität, 
wollen als Frau von einer Frau geliebt werden, als Sklavin einer Herrin 
dienen. Analytisch erklärt sich das durch das wichtigste akzidentelle 
Moment des Transvestitismus, nämlich dadurch, daß die Identifizierung 
mit der Mutter meist gleichzeitig in einer anderen, oberflächlicheren 
psychischen Schichte, eine solche mit einem kleinen Mädchen ist, 
was alle Vorteile einer Regression in die frühe Kindheit bringen soll. 
(Ein transvestitischer Patient näßt eines Nachts unter transvestitischem 
Traum das Bett, nachdem er tags zuvor mit einem weiblichen Säugling 
zu tun gehabt hatte.) Das kann geschehen, wenn, was häufig der Fall zu 
sein scheint, die Mutter frühzeitig weitgehend durch eine Schwester ab¬ 
gelöst werden konnte, so daß dann der Transvestit nicht nur in der oben 
charakterisierten Weise seinen Vater anredet, sondern gleichzeitig der 

















































Zur PsyAoIogie des Triinsvestitismus 


25 


Mutter sagt: Liebe mich, ich bin ebenso schön (phallisch) wie die Schwester. 
Oder korrekter: Liebe mich wie die Schwester! Es ist nicht wahr, daß 
ich durch solchen Wunsch meinen Penis gefährde! 

II 

Nun wäre es meine Aufgabe, diese Thesen am analytischen Material 
zu beweisen. Ich will mich darauf beschränken, aus einem gründlich 
analysierten Fall das Wichtigste mitzuteilen, was den dargestellten Sinn 
des Transvestitismus einleuchtend machen soll. 

Es handelt sich um einen 40 jährigen, verheirateten, trotz seiner Neurose 
erfolgreich berufstätigen Mann, Vater mehrerer Kinder, Zwangsneurotiker 
und Hypochonder mit einigen paranoiden Zügen. Er liebt seine Frau sehr, 
steht auch sehr gut und herzlich zu ihr, nur läßt ihn der Geschlechts¬ 
verkehr mit ihr unbefriedigt. Befriedigung findet er nur bei der Onanie, 
die entweder mit transvestitischen Phantasien oder — häufiger — mit 
realen transvestitischen Akten einhergeht, indem der Patient die Sachen 
seiner Frau anlegt. Die begleitende Phantasie lautet nur: „Ich bin eine 
Frau.“ Von den in der Analyse ermittelten Details sei erwähnt, daß eine 
wichtige Zusatzphantasie lautete: „und werde als solche gesehen,“ und 
daß die Bedingung existierte: Das Anlegen der Frauenkleider muß etwas 
Alltägliches sein, d. h., er geriet in die höchste Erregung, wenn er sich 
vorspielte, daß er die Frauenkleider nicht zum Zwecke der Erregung anzog, 
sondern weil es für ihn der natürliche Zustand sei, in solchen Kleidern 
zu gehen. — Daneben vielfache masochistische Phantasien vom Typus: 
Die Sklavin dient der Herrin, und Wünsche nach Frausein auch außer¬ 
halb des eigentlich Sexuellen. 

Aus der Kindheitsgeschichte: Die Mutter ist früh gestorben, der Vater 
heiratete bald ein zweitesmal. Der Vater war ein kleinlicher, nörgelnder 
Analcharakter, die Stiefmutter draufgängerisch, streitsüchtig und zu den 
Kindern sehr streng. Der Vater war an die Stiefmutter offenbar sehr sinn¬ 
lich (wahrscheinlich passiv-anal) gebunden, trieb aber daneben noch eine 
Art Kult mit dem Andenken an die erste Frau. Das Regiment im Hause 
führte durchaus die Stiefmutter — Schema „schwacher Vater“ —, so daß 
der Patient reichlich Gelegenheit bekam, an ihre phallische Natur zu 
glauben. Er stand zu ihr durchaus ambivalent, aber sowohl im Hassen 
(Furchten) als auch im Lieben durchaus passiv: Von ihr ging eine mächtige 
erbotsatmosphäre aus; die Kastratoren der Träume erwiesen sich als Deck 
■guren für sie. Sie hatte dem Jungen gegen die Onanie (bzw. zur Ver¬ 
meidung des Kratzens während einer Wurmkur) Handschuhe angezogen 
und die Hände festgebunden (was Ausgangspunkt späterer masochistischer 







26 Otto Fenidiel 

Phantasien wurde). Sie hat ihm aber auch, als er als kleiner Junge einen 
Rektumprolaps hatte, das Rektum nach jeder Defakation digital reponiert. 
Im Laufe der Analyse erinnerte der Patient noch das ungeheure Lust¬ 
gefühl, das er dabei hatte. 

Das wesentliche Sexualobjekt der Kinderjahre war eine um drei Jahre 
ältere Schwester, mit der es zu allen möglichen sexuellen Spielen, mutueller 
Onanie u. dgl. kam. Wahrscheinlich war die ältere Schwester ursprüng¬ 
lich der verführende Teil gewesen, so daß seine sexuelle Entwicklung 
durch diese Verführung in ähnlicher Weise gestört worden ist wie die 
des Wolfsmannes.^ Es gab allerdings auch eine Zeit, in der er gegenüber 
der Schwester aktiv eingestellt war; so erinnert er, sie einmal anuriniert 
zu haben. Auch dieses Verhältnis war sehr ambivalent. Er hat die Schwester 
auch als Rivalin gehaßt. Dieser Haß verband sich mit der Sinnlichkeit zu 
einer stark sadistischen Einstellung, die vielleicht ein üngeschehenmachen 
der Verführung bezweckte, und die eines Tages wieder verschwand und 
einer rein passiven Haltung Platz machte; wir werden noch darüber zu 
sprechen haben, wann und warum. Zur Zeit der Analyse zeigte sie sich 
nur noch in einer zwangsneurotischen Ängstlichkeit und in einer be¬ 
deutungsvollen Deckerinnerung, die behaupten wollte, er hätte der 
Schwester einmal einen Arm ausgerissen. Sonst war sie verdrängt und 
durch Wendung gegen das Ich in Masochismus verwandelt. 

Aus dem Verhältnis zur Schwester entwickelte sich auch der Trans¬ 
vestitismus. Die Schwester spielte „Puppenanziehen^^ und kleidete auch die 
lebendige Puppe, den kleinen Bruder, um, zog ihm Sachen von sich an. 
Das war etwa im vierten Lebensjahre des Patienten und war ihm zuerst 
unlieb, wahrscheinlich wegen der Degradation zur Puppe. Bei Wieder¬ 
holungen lernte er das Spiel schätzen, und zwar wegen des sexuellen 
Genusses, den ihm der an den Kleidungsstücken, besonders Haarschleife 
und Schürze, haftende Schwestergeruch verschaffte. Im achten und zehnten 
Lebensjahr gab es Theateraufführungen, bei denen die Kinder die Kleider 
tauschten. Das wurde dann im Spiel häufig wiederholt, wobei der Patient 
bei dem Gedanken, ein Mädchen zu sein und besonders als solches ange¬ 
sehen zu werden, schon eindeutig sexuellen Genuß mit orgasmusähnlichen 
Gefühlen hatte. Dann wurde das Spiel der Schwester langweilig, der Patient 
mußte immer mehr Überredungskunst aufwenden, um sie dazu zu bewegen. 
Schließlich zog er sich allein und heimlich ihre Kleider an, hatte auch 
wegen des Genusses durchaus schweres Schuldgefühl dabei. Mit etwa 
dreizehn Jahren geriet das Spiel in Vergessenheit und wurde im sieb- 


i') S. Freud: Aus der Geschichte einer infantilen Neurose. Ges. Sehr., Bd. VIII. 













































Zur Psydiologie des Transvestitismus 


27 


zehnten Jahr in eindeutiger sexueller Erregung wieder erinnert und auf¬ 
geführt. Von da an verband sich das Umkleiden mit manueller Onanie 
und von da an datiert die Perversion. Bemerkenswert ist, daß der Patient 
noch lange die Kleider der Schwester, später die von Schwester-Ersatz¬ 
figuren benutzte; der Gedanke, Kleider der Stiefmutter oder ihr ähnlicher 
Frauen anzulegen, hatte gar keinen Reiz. 

Was also ist der Sinn dieser Perversion? Der objekterotische war 
historisch leichter und eindeutiger zu eruieren. Der erste Genuß war vom 
Geruch der Kleider ausgegangen, Haarschleife und besonders Schürze 
waren gleichsam Körperteile der Schwester, mit der er onanierte. Eine 
Form der Onanie bestand darin, daß die Schwester auf seinem Schoß saß 
und hin und her rutschte. Wenn er die Schürze der Schwester anhatte, 
bewegte er sie in gleicher Weise. Die Schürze war eine Doublette des 
Körpers der Schwester. Wenn er später die Kleider der Schwester statt 
ihrer selbst nahm, so hatte er den Vorteil, sich im Sexualgenuß von der 
eigensinnigen und nicht immer geneigten Schwester unabhängig gemacht 
zu haben. Übrigens hatte ursprünglich die Benutzung desselben Bettes, 
desselben Badewassers gleiche Bedeutung wie die derselben Kleidungs¬ 
stücke. — Was war aber nun verantwortlich dafür, daß die Schwester 
selbst sexuell mehr und mehr bedeutungslos wurde und immer mehr 
durch ihre „Symbole“, die Kleider, ersetzt wurde? Die Analyse gab die 
eindeutige Antwort: Die Entdeckung ihrer Penislosigkeit. Wir erwähnten 
die merkwürdige Deckerinnerung vom ausgerissenen Arm, die die mutuelle 
Onanie, besonders seinen Sadismus, deckte. Er hatte das Genitale der 
Schwester anläßlich eines gemeinsamen Bades in der Badestube gesehen 
und eine noch ältere verdrängte Erinnerung an das Genitaile der Stief¬ 
mutter dabei reaktiviert. Da die Schwester zu derselben Zeit wegen Bett¬ 
nässens elektrisiert wurde und dabei furchtbar schrie (auch der Patient 
selbst war eine Zeitlang Bettnässer), gab es nur die zwei Möglichkeiten: 
Entweder das Elektrisieren war die Kastrationsstrafe für sexuelle Unarten, 
dann droht sie nach der Schwester auch ihm. Oder es war eine ärztliche 
Maßnahme wegen des schon fehlenden Penis, der seinem Sadismus zum 
Opfer gefallen ist, — dann erwartet ihn erst recht die Talionsstrafe der 
Kastration. In dieser Angst nun hat er den Sadismus ganz eingestellt und 
gegen sich selbst gewendet, mit der an das Unheil erinnernden Schwester 
nichts mehr zu tun haben wollen und sie durch ihre Kleider ersetzt, die 
die verräterische Nacktheit wieder aufhoben. Die Badewanne (übrigens 
später das Wasser überhaupt) blieb der Ort des Schreckens; daß die Angst 
die Form annahm, das abfließende Wasser könnte einen Finger oder den 
ganzen Körper mit sich reißen, daß sie sich auf das Klosett verschob, wo 







28 


Otto Fenidiel 


die Spülung mit den Stuhlmassen das ganze Kind mitreißen könnte, wird 
uns noch beschäftigen. So weit ging alles nach dem Schema, das Freud 
vom Fetischismus entworfen hat. 

Der Patient wurde aber Transvestit, weil zu diesem Festhalten am 
weiblichen Penis die Identifizierung mit der Frau trat. Daß der Patient 
selbst die Schwester spielte, sie sein wollte, wurde in den späteren Jahren 
überdeutlich. Er dachte sich immerfort in ihr Leben hinein, fühlte sich 
z. B. später an den Menstruationstagen seiner Frau unwohl. Von der Straf¬ 
seite her hieß es: Habe ich der Schwester Böses zufügen wollen, so muß 
ich jetzt Schwester werden, um mir Böses gefallen zu lassen. Von der 
Triebseite her gab es genug Grund, die Schwester zu beneiden. Sie war 
die ältere und wurde zweifellos von beiden Eltern bevorzugt; besonders 
auf ihre Beziehung zur Stiefmutter, die mit ihr „weibliche Geheimnisse^^ 
hatte, war er sehr eifersüchtig. Später erkrankte er neurotisch, als die 
Eltern die Schwester verheiraten wollten; die Analyse ergab den eifer¬ 
süchtigen Gedanken: Warum verheiraten sie sie und nicht mich? Für die 
tieferen Schichten bedeutungsvoll ist die Erinnerung an einen heftigen 
Neidanfall, als die Schwester einmal zu Weihnachten von der Mutter in 
besonders feierlicher Weise eine besonders schöne Puppe geschenkt bekam. 
Bei solcher Ambivalenz war nach innerem Verbot der Objektbeziehung 
durch Kastrationsangst die Regression zur Identifizierung vorgezeichnet. 

Diese Identifizierung mit dem Mädchen mußte aber erst recht auf die 
allerheftigste Kastrationsangst stoßen. Ihr Einfluß wirkt sich in der Ziel¬ 
setzung aus: Ich möchte meine Schwester sein und dennoch meinen Penis 
behalten. — Bei seiner transvestitischen Betätigung pflegt sich der Patient 
nach erfolgter Ejakulation die Kleider so rasch wie möglich wieder vom 
Körper zu reißen. Dazu fiel ihm ein: Man hatte gedroht, wenn man 
Grimassen schneide und die Uhr schlage, bleibe es stecken. So fürchtete 
er, er könnte im „Weibsein“ wirklich stecken bleiben, d. h. den Penis 
opfern müssen. Die transvestitische Aktion soll die Kastrationsangst wider¬ 
legen. Beweisend dafür ist die Erinnerung, daß er, als er einmal einen 
verkrüppelten Jungen sah, den Impuls verspürte, mit ihm die Kleider zu 
wechseln. Das hieß: Es ist nicht wahr, daß der Junge verkrüppelt ist. 
Der Patient verband seine Weiblichkeit mit einer naiv-narzißtischen Liebe 
zu seinem eigenen Penis, den er als Kind mit Kosenamen belegte; ja, der 
Mädchenname, den er als Mädchen führen wollte, hatte mit diesem Penis¬ 
kosenamen auffallende Ähnlichkeit. Als er zum erstenmal mit Frauen zu 
tun hatte, wußte er nicht, wo die Scheide zu suchen sei, und suchte am 
Oberschenkel. Auch jetzt noch hat er beim Sexualverkehr immer das 
Gefühl, er müsse erst etwas suchen, was er nicht finden könne. — Bei 






















































Zur Psydiologie des Transvestitismus 


29 


einer der Theateraufführungen, bei denen er ein Mädchen agierte, stellte 
er auch einen Osterhasen dar; er erinnert sich, daß er traurig war, weil 
ihm Ohren und Schwanz des Hasen nicht steif genug erschienen. — Die 
so erwiesene phallische Natur der von ihm agierten Frau wird verständ¬ 
licher, wenn wir uns vor Augen führen, unter welcher ungeheuren 
Kastrationsangst dieser Mann stand. Wir erwähnten die Kastratrixrolle der 
Stiefmutter. Für die zahllosen Kastrations-Deckerinnerungen ein einziges 
Beispiel: Der Patient mußte zwangsweise nach seinem Penis fassen (analy¬ 
tisch: ob er noch da ist), die Zahl der Zehen zählen (ob keine fehlt). 
Die Analyse deckte die Angst auf, die Mutter könnte ihm beim Reponieren 
des Rektumprolapses den Darm rauben, wie er damals überhaupt fürchtete, 
der Darm könnte ins Klosett fallen. Das Unheimliche an Klosett und 
Badewanne war, daß Stuhl und Wasser einfach verschwunden, nicht mehr 
da waren; so, fürchtete er, ist auch der Penis der Schwester verschwunden. 
Dieselbe Vorstellung vom „Wegsein“ hatte er aber vom Sterben. Und das 
schreckliche Geheimnis der Kastration verdichtete sich bei ihm völlig mit 
dem schrecklichen Geheimnis vom Tode der ersten Mutter, Die unbewußte 
Angst lautete nicht nur: Der Penis der Schwester ist durch sexuelle Be¬ 
tätigung verschwunden; sondern auch: Meine erste Mutter ist durch 
sexuelle Betätigung gestorben. Entsprechenderweise litt der Patient, besonders 
in seiner späteren Hypochondrie, unter der heftigsten Todesangst (besonders 
Infektionsangst, siehe später). Im Speziellen führte die analytische Ver¬ 
folgung dieser Angst über die Vorstellungen der schwarzen Farbe und der 
Haare (er selbst trug als Kind langes Haar, fürchtete das Haarschneiden, 
bewahrte seine abgeschnittenen Locken auf; seine Stiefmutter trug falsches, 
d. h. abnehmbares Haar, Kopfhaar stand für Schamhaar) auf ürszenen- 
träume, auf Gelegenheiten, bei denen er lange vor der Erfahrung an der 
Schwester von der Beschaffenheit des mütterlichen Genitales unter Angst 
und Protest Kenntnis genommen hatte.^ 

So erwies sich der Transvestitismus als ein Versuch, diese Ängste zu 
beschwichtigen. Es gibt phallische Mädchen: Ich selbst bin eines. 

Nun zur neuen Objektsuche nach vollzogener Identifizierung und damit 
zu der hinter der Schwester gelegenen Mutterbeziehung: 

überdeutlich war der Narzißmus. Er liebte nicht nur sich als Mädchen 
(Szenen, Stellungen vor dem Spiegel, Liebe zum langen Mädchenhaar), er 
liebte auch als Mädchen aktiv sich so, wie er von der Schwester gerne 


1) Das weibliche Genitale wird bei solchem Anblick nicht nur wegen seiner 
Ahfl' r"» drohende Waffe gefürchtet. (Klosett und Badewannen- 

T® als fressendes Maul.) S. meine Arbeit „Zur Angst vor dem Gefressen- 
werden«, diese Ztschft. Bd. XIV, (1928) S. 404. 










30 


Otto Fenichel 


geliebt worden wäre. So träumt er, daß er einen kleinen Jungen umarme 
und zu ihm zärtlich sage: „Mein Brüderchen!“ 

Auch zur eigentlichen neuen Objektsuche wollen wir mit einem Traum 
beginnen. Er lautet: „Meine Frau hat eine Lungenkrankheit, Eine große 
Frau macht ihr von hinten einen Stich in den Rücken, Dann hin ich mit 
nacktem Oberkörper in einem Theater,^ — Die Exhibitionssituation am 
Schluß bereitet uns darauf vor, daß der Traum ein transvestitischer ist. 
Tatsächlich leidet der hypochondrische Patient an der Angst vor Lungen¬ 
krankheiten. Er ist also die Frau, der eine andere von hinten einen Stich 
macht. Zu diesem Stich fallen ihm Zäpfchen, Phantasien von analer Gift¬ 
applikation und schließlich Klystiere ein, die ihm als Kind die Stiefmutter 
verabreicht hatte. Vor dem Einschlafen hatte der Patient transvestitiert. Also 
Deutung: Wenn ich in Frauenkleidern bin, möchte ich, daß die Stief¬ 
mutter mir etwas in den Popo steckt, ich habe aber auch Angst davor. 
— Die passiv-analen Wünsche in der Feminität waren in der Übertragung 
überdeutlich geworden, die Klystier- und Prolapserinnerungen zeigten, daß 
sie der phallisch gedachten Mutter galten. Hieher gehören die Sklavinnen¬ 
phantasien und der Sinn war: Ich möchte von der Stiefmutter wie ein 
kleines Mädchen behandelt werden, ich brauche aber die Kastration dabei 
nicht zu fürchten. — Dem entsprachen zwei Frauenimagines des Patienten, 
die streng unterschieden waren, das „kleine Mädchen“ und die „Amazone“, 
d. h. die Schwester und die Stiefmutter. Die Kleider wollte er nur von 
Frauen des ersten Typs anlegen, masochistisch behandelt sein wollte er 
nur vom zweiten maskulinen Typ. 

Als diese anale Abhängigkeit von der Frau eruiert war, schien es nahe¬ 
liegend, folgendermaßen zu denken: Der Patient hat insoferne einen nor¬ 
malen Ödipuskomplex, als auch er bei der Mutter die Stelle des Vaters 
einnehmen will. Nur war die Stellung dieses realen Vaters zu dieser Stief¬ 
mutter eine passiv-anale gewesen; ebenso will der Patient zur phallischen 
Mutter passiv-anal eingestellt sein. Tatsächlich ließ die Stiefmutter dem 
Vater anale Pflege angedeihen, tatsächlich wünschte der Patient seinem 
Vater auch aus diesem Grunde den Tod. — 

Aber nicht immer war der Vater dem Kinde so hilflos-passiv erschienen. 
Auch er war einmal mächtig und aktiv gewesen, und in tiefster Schichte 
galt die feminine Einstellung des Patienten doch dem Vater. 

Die Analyse der sozialen Gehemmtheit des Patienten brachte den Beweis, 
daß seine Passivität und Angst nicht den Frauen, sondern im Grunde den 
Männern galt. Auch die Exhibition, die Sehnsucht, von der unbestimmten 
Allgemeinheit als Frau bewundert zu werden, galt den Männern. Für den 
Vater der infantilen Frühzeit tauchte dann erst eine vergessene Deckfigur 



























































Zur Psydiologie des Transvestitismus 31 

in der Erinnerung auf, ein Tischler, der im Hause gearbeitet hatte, und 
von dem der Patient sich hatte bewundern lassen. Dann geschah es, daß 
der Patient den Drang spürte, sich vor dem Bilde des Vaters selbst um¬ 
zukleiden. Und endlich kamen die Erinnerungen an ängstliche und deut¬ 
lich sexuelle Erregungen, wenn er mit dem Vater im Bett gelegen hatte. 
Besonders eklatant war aber, wie viele Gehemmtheiten im realen Verkehr 
mit Männern dem Patienten jetzt plötzlich einsichtig wurden! — Unklar 
wurde das Bild noch einmal durch eine aus der späteren Kindheit auf¬ 
tauchende Erinnerung: Ich habe dem Vater etwas in den Popo stecken 
wollen. Wir konnten deuten: Ich will dich, Vater, genau so lieben, wie 
es die Stiefmutter tut, mußten aber doch annehmen, daß vor dem Wunsch, 
etwas in den Vater zu stecken, der bestanden haben muß, von ihm etwas 
hereingesteckt zu bekommen. Es stimmte doch, daß der Patient sich mit 
der Stiefmutter nicht identifiziert hatte; sondern hinter der Identifi¬ 
zierung mit der Schwester stand die mit der ersten, mit der echten Mutter. 
Vergiß nicht das Andenken an deine erste Frau, sie lebt ja in mir weiter, 
rief der Patient dem Vater zu, liebe mich, deine erste Frau, mehr als die 
Stiefmutter! Und die schreckliche Angst, die sich solchem Wunsche ent¬ 
gegenstellte, war die: Hat die Mutter nicht sterben müssen, weil sie sich 
vom Vater lieben ließ? So werde auch ich sterben müssen. Und jetzt 
wurde verständlich, daß die ungeheure Kastrationsangst, die im Trans- 
vestitismus aus der Welt geschafft werden sollte, letzten Endes eine Angst 
davor war, vom Vater geschwängert zu werden. Das war der Sinn der 
Infektions-, Vergiftungs- und Wasserangst und einer Anzahl Gebärneid- 
Deckerinnerungen. Das Kind muß phantasiert haben, daß seine Mutter an 
einer Schwangerschaft zugrunde gegangen sei, muß zu der Theorie ge¬ 
kommen sein: Kinderkriegen kostet den Penis — und im Transvestitismus 
einen Versuch machen, auch diese Angst zu leugnen: Ich darf mir Weib¬ 
sein, Gebärmöglichkeit wünschen und doch meinen Penis behalten!^ 

III 

Wir haben alle im ersten Teil behaupteten Thesen am Material be¬ 
stätigt. Fragen wir uns nun nach einer pathognomonischen Ätiologie des 
Transvestitismus, so müssen wir sagen, eine solche haben wir nicht auf- 

1) Die tiefere Analyse der narzißtischen Schichten ergab schließlich, daß die 
Identifizierung mit der toten Mutter (dem „Geist“ der Mutter) durch Introjektion 
(Einatmung) erfolgt ist, und daß im Unbewußten die introjizierte Mutter und der 
eigene Penis gleichgesetzt wurden. So galt die symbolische Gleichung: P. in Frauen¬ 
kleidern = Mutter mit Penis = Penis überhaupt. — Siehe die Ähnlichkeit des 
ersehnten Mädchennamens mit dem Kosenamen des Penis. 













32 Otto Fenidiel 


gedeckt. Eine besondere bisexuelle Anlage müssen wir jedenfalls annehmen, 
ohne sie hätte z. B. der Gebärwunsch nie eine solche Bedeutung gewinnen 
können, — obwohl wir nicht wissen, ob der starke Sadismus des Patienten 
bei anderen Erlebnissen nicht auch eine männliche Entwicklung ermög¬ 
licht hätte. Aber diese Konstitution ist beim Homosexuellen nicht anders 
als beim Transvestiten. — Auch die Erlebnisreihe Urszene—Kastrations¬ 
angst—Ausweichen in Femininität bei narzißtischer Grundlage kommt auch 
sonst vor und wir wissen noch nicht, unter welchen Umständen der phal- 
lische Glaube in spezifisch transvestitischer Weise festgehalten wird, denn 
diese Reihe kommt auch bei anderen Krankheiten vor. Allerdings tritt 
der Transvestitismus gerade mit diesen Krankheiten — narzißtische Neu¬ 
rosen, Hypochondrie, man denke an den Fall von Alexander,* andere 
Perversionen — häufig kombiniert auf. Unser Fall schien überdies deter¬ 
miniert durch spezielle Milieuverhältnisse, die Charaktere von Vater, 
Mutter und Schwester und deren Zusammenspiel schienen den Patienten 
in seine Rolle hineinzuzwingen. Aber auch solche spezielle Milieuumstände 
scheinen nicht selten zu sein, wenn man bei allen Autoren von Trans¬ 
vestiten liest, deren Mütter sich so sehr eine Tochter gewünscht hatten l 
Ellis führt sogar diesen Umstand fälschlich als Beweis für die rein 
hereditäre Ätiologie des Transvestitismus an. 

Was in der analytischen Literatur über Transvestitismus bisher mit¬ 
geteilt wurde, steht unseren Befunden außerordentlich nahe. Wir haben 
diese nur dank der inzwischen erschienenen Arbeiten von Freud theore¬ 
tisch einheitlicher beschreiben können als Sadger® und Boehm .3 Sadger 
kam für den Transvestiten zu folgender zusammenfassender Formel: „Als 
Weib werde ich von der Mutter, ja, eigentlich von allen, mehr geliebt; 
wenn ich den Kittel der Mutter anlege, ist mir, als wäre ich sie selbst 
und könnte als solche den Vater reizen oder sie sogar bei ihm ausstechen; 
endlich findet ein Dritter am Rock des Weibes das gleiche Gefallen wie 
an diesem selbst, erblickt also in dem Anlegen des Kittels einen Geschlechts¬ 
akt.“ In dieser richtigen Formel fehlt unseres Erachtens das so wichtige 
phallische Moment, das an anderer Stelle akzidentell allerdings auch mehr¬ 
mals von Sadger erwähnt wird, obwohl er wieder an anderer Stelle 
im Gegensatz dazu sagt, der Fetisch stelle die Vulva vor. B o e h m wieder 
betont isoliert eben diesen phallischen Charakter („Sie stellen in ihren 
Verkleidungen die Mutter, mit dem Penis versehen, dar“)* und den sadi- 

1) Alexander: Psychoanalyse der Gesamtpersönlichkeit. VII. Vorlesimg. 

2) „Die Lehre von den Geschlechtsverirrungen.“ Wien 1921. 

5) „Bemerkungen zum Transvestitismus.“ Diese Zeitschr., Bd. IX, S. 497. 

4) Dr. Boehm hatte die Freundlichkeit, mir mitzuteilen, daß weitere Analysen 
von Transvestiten ihn in dieser Ansicht noch weiter bestärkt haben. Einer seiner 

































































Zur Psydiologie des Transvestitismus 33 

stischen Charakter der ursprünglichen auf die Mutter gerichteten Wünsche. 
St ekel, allzu begnügsam, sagt nur, daß unbewußte Homosexualität und 
Mutterfixierung dem Transvestitismus zugrunde liegen. — Die voranaly¬ 
tische Literatur sagt dem Analytiker allzu wenig, und doch zeigt auch 
das manifeste Material der dort mitgeteilten Fälle allerhand Bestätigendes. 
Wir sehen neben dem Transvestitismus einherlaufende fetischistische, 
masochistische, exhibitionistische Tendenzen, Narzißmus, Herrin-Sklavin- 
Phantasien, Identifizierungen mit der Mutter, ältere verführende Schwestern, 
Abneigungen gegen körperliche Sexualität, besonders gegen Nacktheit, 
gegen den nackten weiblichen Körper, gegen Homosexualität, die y,retour 
a Venfance'^ (E 11 i s), aber auch Sehnsucht nach virilen Frauen (Hirsch¬ 
feld). Ein Fall von Hirschfeld kommt zum Transvestitismus dadurch, 
daß er als Kunstschützin auftritt, sich also öffentlich als „Frau mit Gewehr“ 
bewundern läßt.^ Ein Fall von Ellis scheint zu widersprechen, weil ihm 
die Kastration selbst allzu deutlich Sexualziel ist, aber gerade dieser Fall 
zieht Schuhe und Ohrringe der Frauen an, d. h. er wünscht zwar die 
Kastration, sie muß aber immer wieder ungeschehen gemacht werden.^ Fälle 
von realer Selbstkastration bei Transvestitismus oder von Ekel vor dem 
männlichen und Sehnsucht nach dem weiblichen Genitale müßten erst 
analytisch untersucht werden, bevor man über sie Aussagen machen 
könnte. Die Theorie von Ellis: In jeder normalen Liebe stecke ein 
Stück Identifizierung; hier sei dieses Stück hypertrophiert, ,,he has put 
too much of yme^ into the ^you that attracts hirriy'^ erscheint uns richtig, 
aber unvollständig. Wir glauben über Charakter und Ursachen dieser 
Identifizierung einiges ausgesagt zu haben. Ebenso richtig und unvoll¬ 
ständig ist seine Formel über die Beziehung zur Homosexualität, sie und 
der Transvestitismus seien „zwei allotrope Modifikationen der Bisexualität'', 
denn man kann auch differentiell die Charakteristik dieser Modifikationen 
angeben. 


IV 


Wenn wir so die Beziehung zum Kastrationskomplex als das spezifische 
Moment erkannt haben, fragen wir uns, ob dieses Resultat die Perversions¬ 
psychologie überhaupt etwas zu fördern imstande ist. Eine Untersuchung 
von Sachs zeigte uns, daß der Perverse dadurch charakterisiert ist, daß es 


Patienten pflege sich eine Flasche auf seinen Penis zu stülpen, dann Frapenkleider 
nzuziehen ^d so vor dem Spiegel zu tanzen und schließlich zu onanieren, 
ij »Die Transvestiten.“ Fall V. 


a) L. c., Ss. 65 ff. 
3) L. c., S. io8. 


Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XVI/i 


3 












34 Otto Fenidiel, Zur Psydiologie des Transvestitismus 

ihm gelingt, einen Teil seiner infantilen Sexualität auf die Seite des Ichs 
zu ziehen, sich zu gestatten und eben dadurch den Rest (den Ödipus¬ 
komplex) in der Verdrängung zu halten." Das Rätsel ist, wieso dieser 
Prozeß möglich ist, unter welchen Umständen perverse Partialtriebe 
Orgasmus Fähigkeit behalten oder erringen können. Seit wir nun wissen, 
daß alle Perversionen, inklusive des Transvestitismus, so eng mit dem 
Kastrationskomplex Zusammenhängen, wird eine hypothetische Antwort 
möglich: Normalerweise bedingt die Kastrationsangst das Schwinden der 
infantilen Sexualität (den Untergang des Ödipuskomplexes).Wenn nun 
der Homosexuelle penislose Wesen überhaupt nicht ansieht, der Fetischist 
ihre Existenz leugnet, der Exhibitionist, Voyeur und Transvestit sie fort¬ 
während zu widerlegen sucht, so sehen wir, daß diese Perversen durch 
Leugnung der Ursache ihre Angst zu überwinden suchen. Soweit ihnen 
die Illusion: Es gibt keine Penis]osigkeit, gelingt, ersparen sie Angst und 
können deshalb sich infantil-sexuell betätigen, weil ihre die infantile 
Sexualität sonst hindernde Kastrationsangst um so viel geringer ist, als die 
Leugnung ihrer Begründetheit wirkt. Allerdings aber auch nur so 
weit. D. h. diese Betätigung ist gebunden an eine gleichzeitige fort¬ 
währende neuerliche Leugnung des Angstgrundes, die die perverse Handlung 
darstellt. Der Perverse sagt in seinem Tun: Du brauchst dich nicht zu 
fürchten! — und darf, soweit er sich selbst glaubt, bei infantil-sexueller 
Betätigung zum Orgasmus kommen, der die Befriedigung seiner Ödipus¬ 
wünsche bedeutet. 

Allerdings werden dadurch die weiblichen Perversionen um so pro¬ 
blematischer, wie das Gesamtgebiet des weiblichen Kastrationskomplexes. 
Tatsächlich hat man den Eindruck, als ob sie zum Teil wirklich anderer, 
wenn auch verwandter Natur wären als die männlichen Perversionen. 
Wenn man etwa an weibliche Exhibitionisten denkt und an die Arbeit 
von Harnik über die Unterschiede des Narzißmus bei Mann und 
Frau,3 leuchtet das ein. Weibliche Fetischisten sind äußerst selten. Weib¬ 
liche Transvestiten scheinen einfach Penisneidige zu sein, die sich mit 
Männern um ihres Penisbesitzes willen identifiziert haben. 


1) „Zur Genese der Perversionen.“ Diese Zeitschr., Bd. IX, S. 172. 

2) S. Freud: „Der Untergang des Ödipuskomplexes.“ Ges. Sehr., Bd. V. 

5) H ä r n i k: „Schicksale des Narzißmus bei Mann und Weib.“ Diese Zeitschr. 
IX, S. 278. 





































































Die Bedeutung der femininen Identifizierung für 
die männliche Impotenz 

Vortrag auf dem XL Internationalen Fsychoanalytischen Kongreß in Oxford^ Juli 1929 

Von 

Maxim. Steiner 

Wien 

Ein Sexualarzt, der im Laufe der Jahre viele hunderte Fälle von männ^ 
lieber Impotenz gesehen hat, bekommt mit der Zeit eine gewisse Erfahrung 
und wird je nach seiner Einstellung zu gewissen Gesichtspunkten gelangen, 
die es ihm ermöglichen, den jeweils vorliegenden Fall in eine bestimmte 
Gruppe einzuordnen, vornehmlich um Anhaltspunkte für die Prognose und 
für das therapeutische Vorgehen zu gewinnen. Er wird dann, geleitet von 
diesem vorwiegend praktischen Gesichtspunkte, verschiedene Gruppen von 
Fällen unterscheiden können, beginnend von den leichtesten, die nur 
geringfügige Störungen zeigen, bis zu den schwersten, bei denen es sich 
um ganz ausgesprochene Schädigungen der Arbeits- und Genußfähigkeit 
handelt. Betrachten wir nun diese Fälle vom Standpunkte des Analytikers, 
so sind nur diese letzteren, wo die Potenzstörung ein Teilsymptom einer 
gewöhnlich schweren Neurose darstellt, für die richtige klassische Kur 
geeignet. Die ersteren sind weder geneigt, sich einer solchen Behandlung 
zu unterziehen, noch wäre es auch ratsam, sie bei ihnen durchzuführen, 
wenn sie dazu bereit wären. Ich wenigstens hätte dabei das Gefühl, mit 
Kanonen auf Spatzen zu schießen. Zwischen diesen ganz leichten und den 
ganz schweren Fällen steht aber eine große Schar von Männern, bei denen 
es sich schon nach oberflächlicher Fühlungnahme ergibt, daß nicht nur 
eine Beeinträchtigung der Genußfähigkeit, sondern auch eine Störung in 
der Struktur der Gesamtpersönlichkeit vorliegt — Männer, die ganz gut 
wissen, daß etwas bei ihnen nicht klappt und auch intelligent genug sind, 
ihren Defekt als vorwiegend psychisch zu erkennen, und von diesen 
^ wiederum ist es eine Gruppe, die durch Intelligenz und einen gewissen 
Charme ganz besonders hervortritt, und das ist die Gruppe, mit der sich 


5* 





36 


Maxim. Steiner 


mein heutiger Vortrag befaßt, nämlich die Männer, für deren Sexualstörung 
die feminine Identifizierung als ätiologisches Moment anzusprechen ist. 

Die feminine Identifizierung spielt schon beim normalen Manne eine 
bedeutende Rolle. Das Weib ist für ihn nicht nur Liehesobjekt, sondern 
er interessiert sich noch außerdem für ihr ganzes Tun und Treiben, das 
ihm eigenartig und geheimnisvoll erscheint. Er interessiert sich nicht nur 
für ihre Kleidung und ihre Allüren, sondern auch für ihre Gedanken- 
und Gefühlswelt. Männer sind es, die alle die tausend Dinge erfinden und 
erzeugen, die bestimmt sind, dem Weibe das Leben hienieden angenehm 
zu machen, Männer sind es großenteils, die das weibliche Lern- und 
Unterhaltungsbedürfnis decken, Männer sind es, die sich mit den spezifisch 
weiblichen Erziehungsfragen befassen, die sich um ihre körperlichen und 
seelischen Leiden mühen, und Männer sind es ja auch, die die Vorkämpfer 
der weiblichen Emanzipation gewesen sind. Diese sozusagen physiologischo 
feminine Identifizierung spielt eine große Rolle in unserer Gesellschaft 
und wird mit zunehmender Kultur und Zivilisation eine immer größere 
Rolle spielen. Sie hat gewisse Vorteile im Sinne einer Verfeinerung der 
ursprünglich rauhen männlichen Sitten, einer Unterdrückung so mancher 
Roheiten und Rrutalitäten, sie hat aber auch zweifellose Nachteile, denn 
sie führt zur Verweichlichung in körperlichen und seelischen Belangen,, 
vielleicht sogar zu manchen Verfallserscheinungen, die ich wohl nicht des 
näheren auszuführen brauche. Wir opfern, wie Freud sagt, für jedes 
Stück Kultur, das wir erwerben, auch ein Stück unserer Potenz. Die 
physiologische Identifizierung geht aber noch darüber hinaus, und wir 
Männer finden die Einfühlung nicht nur in das normale Tun und Lassen 
des Weibes, sondern auch in seine Launen, Kapricen und Extravaganzen,, 
nicht zuletzt auch in seine Perversionen. So spielen z. B. vielleicht infolge 
größerer Hilfsbedürftigkeit und eines gewissen Anlehnungsbedürfnisses 
homosexuelle Tendenzen beim Weib eine weit größere Rolle als beim 
Mann. Auch in diese vermag er sich recht gut einzufühlen; so findet er 
es z. B. ganz charmant, zwei weibliche Wesen miteinander kosen zu sehen, 
er findet es auch recht nett, wenn zwei Frauen miteinander tanzen,, 
während ihm ein analoges männliches Verhalten abstoßend erscheint. (lu 
parenthesi gesagt, bringen die Frauen der männlichen Homosexualität 
gegenüber eine ähnliche Toleranz nicht auf und ihre Einstellung ist in 
diesen und ähnlichen Fällen kein Spiegelbild, sondern eine Kopie des 
männlichen Verhaltens.) 

Wir sehen nun recht häufig, daß diese physiologische feminine 
Identifizierung ins Pathologische ausartel, und müssen uns fragen, aus 
welchen Gründen das geschehen kann. Die naheliegenden konstitutionellen 

































































Die Bedeutung der femininen Identifizierung für die männlidie Impotenz 37 


Momente, die zu so einer Anomalie führen und mit deren Studium die 
moderne biologische Forschung so intensiv beschäftigt ist, fallen, so interessant 
sie auch sein mögen, aus dem Rahmen dieses Vortrages^ da sie durch 
psychologische Methoden weder zu erkennen noch zu beeinflussen sind. 
Dagegen kommen für uns die psychischen Bedingungen in Betracht, die 
zur pathologischen femininen Identi/izierung des Mannes führen 
können. Aber auch beim Studium dieser Bedingungen werden uns Einsichten, 
die wir unserer Lebenserfahrung danken, wesentlich fördern. Das traurige 
Erlebnis des nun glücklicherweise hinter uns liegenden Krieges hat uns 
wie in einem Massenexperiment den Mechanismus aufgezeigt, wie die 
pathologische feminine Identifizierung zustande kommen mag. In wie vielen 
Männern hat sich wohl damals das intensive Verlangen nach weitestgehender 
femininer Identifizierung geregt! Und in analoger Weise wird dieser Wunsch 
in allen Fällen auftauchen, wo sich der Mann jedem anderen Kampf, 
namentlich dem Kampf ums Dasein, nicht gewachsen fühlt. Bei der Stärke 
der Motive, die zu dieser Flucht in die feminine Identifizierung führen, 
ist es nicht zu verwundern, daß sie, wenn einmal zustande gekommen, 
zähe festgehalten wird, namentlich wenn das Motiv wie in unseren Fällen 
stets unbewußt und aus einer frühinfantilen Konstellation hervorgegangen 
ist. Wie mag diese Ödipussituation aussehen? Der Knabe begehrt die 
Mutter, da er aber nicht den Mut aufbringt, mit dem Vater um das 
Liebesobjekt zu kämpfen, so sucht er seine Absicht durch List zu erreichen. 
Er bringt es zuwege, sich durch Hilfs- und Schutzbedürftigkeit die Intimität 
mit der Mutter zu erschleichen. Sie dauernd festzuhalten, wird ihm um 
so eher gelingen, je mehr er sich in allen Stücken ihr anpaßt, also je 
mehr er sich mit ihr identifiziert (siehe Jakob und Rebekka). Bei diesem 
atypischen Ablauf des Ödipuskonfliktes kommt es zu keiner ehrlichen 
Erledigung, also auch zu keinem Mutterverzicht. Diese Identifizierung ist 
dem Knaben ein Ersatz für das freiwillig geopferte Stück Männlichkeit. 
Er hat sich dadurch heimlich ein Kapital reserviert, das ihm für das 
ganze künftige Leben die Chance einer gewissermaßen weiblichen Sexual¬ 
befriedigung ermöglicht. Bei diesem Knaben verläuft auch die spätere 
Kindheit atypisch. Die Periode des Knabenstolzes, gepaart mit Mädchen¬ 
verachtung, fehlt bei ihm entweder ganz oder sie ist nur rudimentär. 
Dagegen trachtet er, sich dem weiblichen Idol möglichst anzugleichen, 
in die weiblichen Mysterien einzudringen, und genießt auf diese Weise 
wenigstens in der Phantasie ein Stück Sexualität in der Epoche, in die 
bei normalen Knaben die Latenzzeit fällt. Er verhält sich den heranreifenden 
Mädchen seines Kreises gegenüber nicht so verständnislos wie der Durch¬ 
schnittsknabe, sondern etwa wie ein Mädchen, das noch nicht entwickelt 







38 Maxim. Steiner 


ist, und sich von den anderen bereits in die Pubertät gelangten zurückgesetzt 
und von ihren Geheimnissen ausgeschlossen sieht.* Er onaniert mit weiblich 
homosexuellen Phantasien, meist masochistischen Charakters, läßt sich auch 
wahlweise in männlicher oder weiblicher Rolle vom Weibe schlagen oder 
vergewaltigen. Der aktuelle masturbatorische Akt wird in vielen Fällen 
durch Friktion der Mamilla eingeleitet, mitunter auch zu Ende geführt. 
Aber* auch wenn er am Genitale ausgeführt wird, spielt die Lustempfindung 
an der Brv stwarze oft eine gewisse Rolle. Die Masturbation am Genitale 
erfolgt meistens nicht durch Friktion des Penis, sondern durch Streichen 
am Damm, durch Quetschen des Penis zwischen den Schenkeln, durch 
Zuhilfenahme einer Kletterstange oder anderer Instrumente, oder durch 
alle möglichen Manipulationen in Rückenlage. Manche masturbieren vor 
dem Spiegel mit dem zwischen den Schenkeln eingepreßten und somit 
versteckten Penis, andere in Frauenkleidern, um die entsprechende Illusion 
herzustellen. Einer meiner Patienten, der nie zu einer genitalen Onanie 
gelangt war, fand seine Lust am bloßen Probieren von weiblichen 
Kleidungsstücken vor dem Spiegel, ein anderer im Beriechen getragener 
weiblicher Wäschestücke. Übrigens spielt der Spiegel fast bei allen eine 
große Rolle. Die meisten sind stark narzißtisch eingestellt, sehr soigniert 
und tun sich auf Kleidung, Manieren, Auftreten viel zugute. Bei manchen 
tritt der Narzißmus in einer betonten, selbstgefälligen Schönrednerei zutage. 
Sehr häufig wird vom Patienten an der Idee eines weiblichen Penis fest¬ 
gehalten, zu einer Zeit, da andere Knaben schon aufgeklärt sind; muß er 
sie aber notgedrungen aufgeben, so treten als Ersatz fetischistische Besetzungen 
aller prominenten weiblichen Körperpartien auf, während das Interesse für 
die weiblichen Kavitäten in den Hintergrund tritt. Treten solche Männer 
in aktuelle Sexualbeziehungen zu Frauen, so zeigen sie eine Vorliebe für 
mutuell masturbatorische Manipulationen, für Fellatio resp. Cunnilingus 
oder ähnliche Betätigungen, die ihnen die Realisierung ihrer Phantasien 
fast störungslos ermöglichen. Manche meiner Patienten erzielten die Lust¬ 
empfindung nur dadurch, daß sie das Eintreten des Orgasmus bei ihrer 
Partnerin feststellen konnten. Lassen sich solche Männer notgedrungen zu 
einem richtigen Koitus herbei, dann muß ihnen die Umkehrung der 
Position zur Lust verhelfen. Wenn auch dieser Ausweg unmöglich wird, 
bleibt ihnen nichts übrig, als bei Ausübung des Verkehres zu Hilfs¬ 
vorstellungen ihre Zuflucht zu nehmen. 


i) Einer meiner Patienten hatte diese Ideologie auf ein anderes Gebiet verschoben. 
Er war Christ, hatte aber den heißen Wunsch, den Juden zuzugehören, denen 
gegenüber er sich minderwertig fühlte und denen er Fähigkeiten und Geheimnisse 
zumutete, von denen er sich ausgeschlossen wähnte. 











































































Die Bedeutung der femininen Identifizierung für die männliche Impotenz 39 


Die Einstellung dieser Männer verleiht den Beziehungen zur Frau oft 
eine eigenartige Note. Sie haben angesichts eines schönen Weibes nicht 
den ausschließlichen Wunsch nach Besitzergreifung, sondern auch eifer¬ 
süchtige Regungen, wie sie eine Konkurrentin (Rivalin) empfinden würde. 
Sie haben daher immer auch die Tendenz, die Vorzüge des Weibes herab¬ 
zusetzen, ihre Koketterien und kleinen Tricks zu durchschauen. Dieses 
Verhalten ermöglicht es ihnen, beim unvermeidlichen Kampf mit männ¬ 
lichen Konkurrenten um die Gunst des Weibes zurückzutreten, ohne an 
Selbstachtung einzubüßen. Gelangt so ein Mann aber trotzdem zu einem 
Verhältnis mit einem Weibe, so ist er ihr gegenüber stets viel kritischer 
als ein Vollmann, er läßt sich nicht so leicht von ihr bluffen. Die Be¬ 
friedigung, wenn sie überhaupt zustande kommt, ist nicht nachhaltig und 
läßt jedenfalls Raum für eine oft feindselige Einstellung zur Partnerin, 
also ein Verhältnis, in dem Zu- und Abneigung oft wie Ebbe und Flut 
wechseln (Strindberg), wie es etwa bei Mädchenfreundschaften gang und 
gäbe ist. Solche Männer können mit der Frau kaum je auskommen, 
aber ohne sie auch nicht. Man könnte zur Charakterisierung ihrer Ein¬ 
stellung sagen, sie haben nicht das Verhältnis, sondern das Verhältnis hat 
sie, und sie verstricken sich darin wie in einem unentwirrbaren Problem. 
Gelingt es solchen Männern auf maskulin identifizierte Frauen zu stoßen, 
so können sie ihre Phantasien befriedigend realisieren. Normale Frauen 
stehen ihnen verständnislos gegenüber und der Konflikt wird manifest. 
Mitunter wird der Konflikt auf ein Nebengeleise verschoben. So flüchtete 
einer meiner Patienten in die Musik, in der er für seine Phantasie 
entsprechende Anregung fand und die auch die Scheidewand zwischen 
ihm und seiner nüchternen unmusikalischen Frau herstellte. Die weitest¬ 
gehende feminine Identifizierung tritt in manifest homosexuellen Neigungen 
und Beziehungen zutage, in denen der Patient seiner ganzen Struktur nach 
naturgemäß die passive Rolle spielt. 

Die Prognose aller dieser Fälle ist durchaus verschieden. Die schlechteste 
muß man dort stellen, wo nicht nur eine Genuß-, sondern auch eine 
Arbeitsstörung oder gar eine Charakterveränderung vorliegt. Man hat in 
solchen Fällen oft den Eindruck, daß der Patient das Sexualsymptom nur 
in den Vordergrund stellt, um seine eigentliche schwere Neurose vor dem 
Zugriff des Arztes zu bewahren. Oft spielen natürlich auch konstitutionelle 
und hormonale Faktoren mit, und man kann angesichts so mancher 
finsterer Gesellen nicht umhin, die Vorsehung zu preisen, die solche 
Menschen von der Fortpflanzung ausschließt. Die meisten Fälle, die man 
zu sehen bekommt, sind aber glücklicherweise viel leichterer Art. Namentlich 
solche, bei denen es sich um leichte Störungen mit erhaltenem Orgasmus 







40 


Maxim. Steiner 


handelt. Da genügt oft einfachste Suggestionstherapie, kombiniert mit 
organischen Behandlungsmethoden, die wohl nur als Unterstützung dieser 
Suggestionstherapie zu werten sind. Das Gros der Patienten, bei denen 
feminine Identifizierung vorliegt, bedarf nicht nur, sondern verlangt auch 
nach einer systematischen psychischen Kur, und dazu ist die Psychoanalyse 
durch Ihre Beziehung zu den Schicksalen der Libido prädestiniert. Doch 
habe ich mir mit Rücksicht auf die Natur dieser Fälle, die als leichteste 
Neurosen aufzufassen sind, eine Technik zurecht gelegt, die sich mir für 
meine praktischen Zwecke außerordentlich bewährt hat. 

Der Umstand, daß meist jüngere, arbeitsfähige Männer, die der Realität 
nicht ganz entfremdet sind, in Betracht kommen, bringt es mit sich, daß 
sie, obwohl überzeugt, daß bei ihnen ein psychischer Defekt vorliegt, und 
obwohl bereit, sich einer psychischen Behandlung zu unterziehen, meist 
nicht geneigt sind, eine allzulange Kur durchzumachen, abgesehen davon 
daß sie auch nicht in der Lage wären, die Kosten hiefür aufzubringen! 
Eine unentgeltliche Behandlung aber ist bei diesen Patienten noch viel 
eplacierter als bei schweren Neurotikern, da damit eines der wichtigsten 
timulantien für die Realitätsanpassung in Wegfall käme. Diese Erwägun 
gen haben mich dazu geführt, eine Methode zu suchen, durch die auch 
bei kürzeren Behandlungen der Heilzweck erreicht werden kann. Die Me- 
hode besteht in größter Aktivität des Analytikers, raschester Herstellung 
er Übertragung analog dem Vorgehen Anna Freuds bei der Kinder¬ 
analyse, geleitet von dem Bestreben, die Bedeutung der analytischen Situa¬ 
tion zu unterstreichen, ja sogar absichtlich ein wenig zu übertreiben. 

lesem Bestreben kommen diese feminin identifizierten, meist intelligenten 
und phantasiebegabten Männer willig auf halbem Wege entgegen, so daß 
ihnen schon meist in den ersten Stunden die Bedeutung der Analyse als 
dramatisches Erleben klar wird. Deutungen werden an der Hand des Traum 
und Assoziationsmaterials reichlich gegeben, aber nicht oktroyiert, die Be 
deutung der negativen Widerstände besonders hervorgehoben. Ge- und 
Verbote auferlegt — alles im Dienste der übermächtigen Situation. Dadurch 
wird einerseits eine möglichst große Konzentration in der Stunde erzielt, 
andererseits fällt es dem Patienten nicht schwer, das Gebot zu befolgen’ 
außerhalb der Stunde der Kur keine Gedanken zu widmen, da er dies 
ohne Mitwirkung seines lebhaft agierenden Gegenspielers gar nicht zu¬ 
wege brächte. So gelangt er in relativ kurzer Zeit nicht nur zum Ver¬ 
ständnis, sondern sogar zum Erleben der infantilen Situation, des Begriffes 
der Kastration und Gegenkastration, der Umkehrungstendenzen, des Wieder¬ 
holungszwanges. Er erlebt Schuldgefühl und Strafbedürfnis und nicht ohne 
Erschütterung das nochmalige Abrollen seines Lebensfilms in gedrängter 















































































Die Bedeutung der femininen Identifizierung für die männliche Impotenz 4t 


Kürze, schließlich auch Tod und Wiedergeburt. Ich möchte nicht un^ 
erwähnt lassen, daß ich nach mannigfachen Schwankungen dahin gelangt 
bin, dem Patienten während der Dauer der Kur sexuelle Abstinenz auf¬ 
zuerlegen, da auch ich finde, daß die Libidostauung die Analyse befruchtet. 
Das hat den Vorteil, daß auch die Übertretung des Verbotes durch Weckung 
von Schuldgefühlen der Analyse nicht minder wertvolles Material lieferti 
Der Patient begreift nach den eindringlichen Erlebnissen der Kur die rela¬ 
tive Bedeutungslosigkeit des Aktuellen im Vergleich zur Überwertigkeit 
der psychischen Realität. Er fühlt schließlich die Erstarkung seines Ichs, 
das die kriminellen Tendenzen des Es durchschaut und auch das strafende 
Über-Ich als Popanz erkannt hat. Immer mehr kommen Emanzipations¬ 
bestrebungen zum Durchbruch, die vor der Degradation des Analytikers 
und auch der Analyse nicht haltmachen. Die Träume ändern ihren Cha¬ 
rakter; ursprünglich angstvoll, werden sie später mehr reflektierend und 
kritisierend. Hand in Hand damit geht eine Änderung der Gesamtpersöm 
lichkeit, der Patient wird freier, heiterer, selbstbewußter. Aber auch ein 
wichtiges, unzweideutiges Symptom, beweiskräftiger als alles andere, ist 
wahrzunehmen. An Stelle der so häufigen anfänglichen Pollutionen und 
Pollutionsträume treten Träume, aus denen der Patient mit kräftigem 
Erektionen erwacht. An dieser Stelle will ich es ganz präzise aussprechen, 
daß ich in Anlehnung an die Auffassung Abrahams von der Ejaculatio 
praecox die namentlich im Anfang der Analyse auftretenden gehäuften 
Pollutionen bei schlaffem Gliede als organisches Korrelat der femininen 
Identifizierung, die Erektionen als das organische Korrelat der fortschrei¬ 
tenden maskulinen Identifizierungansehe. Das ist sehr bedeutungsvoll und 
wird auch vom Patienten so empfunden, der bei diesem Anlaß die seltene 
Gelegenheit hat, die Entstehung des organischen Symptoms aus dem 
psychischen Material sozusagen in statu nascendi zu beobachten. In diesem 
Stadium der Analyse^ tritt in Träumen und Assoziationen immer mehr 
die Tendenz der Angleichung an den Analytiker in den Vordergrund; er 
wird als Freund, Kollege usw. dargestellt, während er in der Anfangszeit 
in allen möglichen weiblichen Gestalten, nicht selten auch als Kokotte 
auftritt, anscheinend eine Anspielung darauf, daß er sich bezahlen läßt. 
Auf diese Art wird die homosexuelle Beziehung zwischen Analytiker und 
Analysanden ins Feminine transponiert. 

Wenn man’s recht überlegt, scheint die Leistung dieser Analyse darin 
zu bestehen, daß die perverse Phantasie auf das höhere Niveau der analy¬ 
tischen Situation verschoben und in ihrer ursprünglichen Form entwertet 
wird, und daß dem Patienten der verbleibende intellektuelle und ethische 
Gewinn eine hinreichende Entschädigung für diesen Verzicht gewährt. 










42 Maxim. Steiner, Die Bedeutung d. femininen Identifizierung f. d. männl. Impotenz 


Die Chancen der zustande kommenden Heilung sind insofern nicht un¬ 
günstig, als die aus der neurotischen Bindung nunmehr freigewordene 
feminine Identifizierung so mannigfache SuhlimierungsmÖglichkeiten zu¬ 
läßt. Welcher Art diese sind, habe ich schon eingangs erwähnt. Das hängt 
auch von der Orientierung des Patienten ab. Ist er Maler, Dichter oder 
Komponist, so kann er diese Identifizierung in vollstem Maße der künst¬ 
lerischen Verwendung zuführen. Aber auch der Beruf des Arztes, des 
Pädagogen, ja sogar der des Kaufmanns läßt für derartige Möglichkeiten 
hinreichenden Raum. Ich komme zum Ende. Um Mißverständnissen vor- 
zuheugen, will ich ausdrücklich betonen, daß ich meine Modifikation der 
analytischen Kur durchaus nicht für die Behandlung schwerer Neurosen 
empfehlen würde. Mein Verfahren bleibt ein Notbehelf, anwendbar für 
solche leichteste Neurosen, wo die genuine Sexualität zwar ins Groteske 
entstellt, aber noch nicht ins Neurotische verarbeitet ist. Und obwohl ich 
mir der Schwächen dieser Üherrumplungsanalyse durchaus bewußt bin, 
möchte ich sie nicht mehr missen, denn mit Hilfe dieses etwas ungera¬ 
tenen, aber legitimen Sprößlings der klassischen Analyse ist es mir doch 
im Laufe der Jahre gelungen, vielen wertvollen Menschen, die oft schwer 
deprimiert und durch Mißlingen allerverschiedenster Behandlungen ent¬ 
mutigt waren, zur Genuß- und Arbeitsfähigkeit zu verhelfen. 










































































Kotsdimieren, Menses und weibliches Über-Icb 

Von 

Bertram D. Lew in 

New York 

1) Die Beziehung zwischen Haut- und Analerotik 

Gewisse Befunde, über die ich in dieser Arbeit berichten werde, haben 
mich veranlaßt, die Beziehung zwischen Haut- und Analerotik zu erfor¬ 
schen. Diese Befunde wiesen darauf hin, daß unter gewissen Umständen 
die Haut als Ersatzorgan für die Befriedigung von passiv-analen Wünschen 
dienen konnte, und sie führten mich dazu, die Rolle, welche die Phan¬ 
tasie des Kotschmierens spielen könnte, zu untersuchen. Kurz gesagt, das 
Kotschmieren schien eine Analogie zu der Koprophagie zu bilden; der 
Schmiertrieb schien durch dieselben Motive belebt, die der Koprophagie 
zugrunde liegen, das heißt, durch den Wunsch, ein verlorenes Objekt wieder 
ei nzuverleiben. 

Um den Weg zu zeigen, auf dem diese Ergebnisse gefunden wurden, 
berichte ich zuerst ein Bruchstück einer Krankengeschichte. 

Der Patient A ist ein junger Mann von schwacher Genitalität, der sich 
durch die Exhibition seines nackten Körpers erotisch befriedigt. Diese 
Handlung bildet den unentbehrlichen Vorläufer zu einem lustvollen 
Koitus, sie ist der weitaus genußreichste Teil des ganzen Aktes. Die Ex¬ 
hibition des Penis hat für ihn wenig Interesse, dagegen kann das bloße 
Ausziehen der Kleider einen spontanen Orgasmus zustande bringen. 
Während der Pubertät onanierte er gar nicht, kam aber zum spontanen 
Orgasmus beim Baden, beim nackten Liegen auf dem Bett un^beim^ 
Turnen ohne Kleider. Während dieser Zeit beneidete er die Weiber, be¬ 
trachtete sie als schön, reizend, verlockend usw., weil sie keinen Penis 
besäßen, und verbarg den Penis zwischen den Beinen, um sein femini- 
siertes Aussehen im Spiegel zu bewundern. In seinem aktuellen Liebes¬ 
ieben ist er nach femininer Art narzißtisch: Er wünscht, geliebt zu werden 
und durch seine eigenen persönlichen Reize andere Menschen zu Liebes- 
anträgen zu verlocken. 








44 Bertram D. Lewin 

Dieser Mann hat zahlreiche Infantilismen beibehalten und gestattet sich 
eine Reihe geheimer analer Perversionen; so erteilt er sich täglich mit 
einem Meinen BabyMistier eine rektale Dusche. Früher benutzte er eine 
gewöhnliche Wachskerze, und er hat eine Reihe von rektalen Dilatoren 
für zukünftigen Gebrauch gekauft, die ihm für eine selbstverschriebene 
„Therapie einer Afterschrunde dienlich sein sollten. Er merkt gar nicht 
und bestreitet sogar entrüstet, daß diese Prozeduren ihm Befriedigung 
bringen. Seine Rationalisierung lautet einfach, daß er seinen Stuhl er¬ 
weichen und die Schrunde gestreckt halten muß, damit diese ordentlich heilen 
kann. Als er während seiner Analyse seine analen Gebräuche beschrieb 
und Einfälle brachte, die seine passiv analen Wünsche gegenüber dem 
Vater zeigten, träumte er: 

Er besuchte eine Demonstration in der Hautpoliklinik. Dr. X. demon¬ 
strierte einen Neger mit einem anulären Ausschlag, und in der Mitte eines 
jeden Herdes war eine weiße Flüssigkeit, wahrscheinlich Eiter. Dr. X. sagte: 
„Sie sehen natürlich, daß dies eine Psoriasis ist. Wir werden nur ein Stück¬ 
chen von seiner Zunge abschneiden; das cjuetscht die Schleimhäute, so daß 
die Haut heilt. Oder er sagte: „Es quetscht den Körper. Dann wird die 
Krankheit zum Rektum gehen.^ 

Ich teile nicht jene Assoziationen mit, welche sich auf die Übertragung 
bezogen (ein Arzt spricht medizinischen Unsinn), und erwähne nur 
diejenigen, die sich auf mein Thema beziehen: „Ein Ausschlag ist schmutzig 
wie Kot. Der Eiter in den wunden Stellen erinnert mich an Samen. 
Anulär ,anuli’ kleine Anusse. Der Dr. X. demonstrierte einmal einen 
Neger mit einem Schanker am Anus. Der Ausschlag sah aus wie ein syphi¬ 
litischer anulärer Ausschlag. Psoriasis — schmerzhafte Anusse'—die Lä¬ 
sionen waren wie wunde Anusse {,sore asses'). Eine mir bekannte Frau 
quetschte ihr Bein und verlor danach ihre Psoriasis. Das Quetschen eines 
Beines erinnert mich an einen kürzlichen Traum, worin ich eine 
Beinquetschung hatte. Mein Kindermädchen, das ich mit fünf Jahren hatte, 
hat mir einmal auf das Bein geklapst, wo diese Quetschung im Traum 
ist, und gesagt: ,Du hast Angst, daß ich dein Genitale sehe.‘ ,Das Be¬ 
schneiden der Zunge : Ich denke an das Ausschneiden der Zunge, um der 
Metastase eines Tumors vorzubeugen; ferner an eine Hautgeschwulst, die 
ausgeschnitten wurde, um eine Metastase zu verhüten.“ 

In diesem Traum bringt er also seine alte Idee, daß die Kastration 
(Zungebeschneiden, Körperquetschung) eine Verschönerung des Körpers 
(Heilung der Psoriasis, Vorbeugung der Metastase) bewirken kann. Aber 

i) Englisch: Psoriasis — sore asses, eine unübersetzbare scherzhafte Klangassoziation, 
üie den Studenten ganz geläufig ist. 


























































































Kotsdimieren, Menses und weiblidies Über-ldi 


45 


die Hautläsionen (anulär, syphilitisch, Psoriasis) setzt er analen Läsionen 
gleich (analer Schanker, „5ore assses"*). Die Haut wird dem Anus 
gleichwertig, ein passives Organ (z. B.: Eiter oder Samen in dem 
anulären Herd, Schanker im Anus), eine Ansammlung kleiner Anusse. 
Der Traum weist auch darauf hin, wie die Haut zum Anusersatz werden 
kann: Der Ausschlag ist schmutzig, fäkalisch; der syphilitische Aus¬ 
schlag ist dem analen Schanker untergeordnet; Tumore bilden sich in 
der Haut durch Metastase; Metastase ist aber nur das griechische Wort 
für Verschiebung. Die Haut wird zum erotischen Organ durch Ver¬ 
schiebung vom Anus, geradeso wie analer Schmutz (Herde) zu Haut¬ 
schmutz ward. Wir können auch sagen, das Schmieren überträgt libidinöse 
Lust vom Anus auf die Haut. 

Ich erzähle noch einen Traum desselben Patienten mit ähnlichem In¬ 
halt und ähnlicher Verarbeitung: 

Ich ziehe einen TFäschepfosten aus der Erde und lege ihn nieder. Dann 
lege ich mich rücklings auf einen Balkon; zahlreiche Insekten kommen und 
heißen mich am ganzen Körper. 

Das Ausziehen des Pfostens erinnert ihn an das Verschwinden einer 
Erektion, an ein Entwurzeln, an den Verlust des Penis. Auf dem Balkon 
des Traumes wurde, wie er wußte, einmal ein Notzuchtversuch gemacht. 
Das erinnerte ihn an die Phantasie, von dem Analytiker anal vergewaltigt 
zu werden, die er vor einigen Tagen hatte. Die beißenden Insekten 
erinnerten ihn an die Ratten in Freuds Arbeit („der Rattenmann“). 
Ein Insekt hatte die Größe des Klistiers, das er zum täglichen rektalen 
Ausspülen gebrauchte. Wir müssen noch erwähnen, daß eine allerfrüheste 
E'rinnerung des Patienten die Phantasie behandelt, vom Vater gefressen 
zu werden. 

Der Traum ist also leicht verständlich: Er ist ein passiv-homosexueller 
und masochistischer Traum auf drei Libidostufen. Er wird kastriert, dann 
sucht er masochistische Befriedigung auf der analen Stufe (im Anus koi- 
tiert oder gebissen zu werden). Indem er aber auf den Anus verzichtet, 
verschiebt er die Libido anf die Körperoberfläche und empfängt die Bisse 
am ganzen Körper. Die Beziehung zum Vater bleibt passiv-masochistisch; 
aber der Weg der Libido geht vom Genitalen über das Anale zur Körper¬ 
oberfläche. 

Eine Traumserie aus einer späteren Zeit der Kur hatte denselben latenten 
Inhalt. Zunächst träumte er, daß er zwischen den Schulterblättern von 
einer Biene gestochen werde. Später war es in der lumbalen Rückengegend; 
er unterwarf sich auch einer Lumbalpunktion. Schließlich wurden die 
Insekten zu einer Schlange, die ihn in den Anus zu beißen versuchte. 










Bertram D. Lewin 


In den beiden geschilderten Träumen scheint ein Punkt bemerkenswert, 
die zerstreute Verteilung der Hautlokalitäten und ihre Vielfältigkeit. Die 
Haut wird nicht als ein Organ, sondern als eine Vielheit von Organen 
dargestellt. Man wird dabei an Freuds Schizophrenen erinnert, der seine 
Hautporen als Scheiden betrachtete.» Zu einer Erklärung vermag uns viel¬ 
leicht unsere Kenntnis von der polyphallischen Symbolik verhelfen. Der 
Medusenkopf mit dem gehäuften Penisersatz bedeutet latent „keinen Pe¬ 
nis . Ähnlich scheint es sich hier um eine „polyanale“ Symbolik zu 
handeln; die vielen „anuli“ wären sodann die polyanale Kompensierung 
für den Verzicht auf den erotischen Gebrauch des Anus. 

Als Bestätigung der oben angeführten Deutungen schildere ich den 
Traum einer Patientin B., einer jungen Medizinerin: 

Ich lese einen Bericht eines Arztes, welcher behauptet, daß ich eine Pa¬ 
tientin mit Hautkrebs untersucht habe, ohne den Krebs zu entdecken. Dann 
gehe xch in ein anderes Zimmer, wo ich eine Negerin sehe, und denke: 
„Hat sie eine Geschwulst?“ Ich schaue hin und bemerke eine große blu¬ 
menkohlartige Masse, die von ihrem Anus ausgeht, eine eitrige Geschwulst, 
und sehe, daß die Wand zwischen Vagina und Rektum ganz ulzeriert ist. 
Ich sage; „Sie hat ein enormes Mastdarmkarzinom.“ 

Die Mastdarmgeschwulst erinnert die Patientin an eine Frau, die daran 
leidet, die Mutter einer intimen Freundin; dann daran, daß ihre eigene 
Mutter eine Fehlgeburt hatte, als die Patientin zehn Jahre alt war. Mast¬ 
darmkrebs und Hautkrebs erinnerten sie an einen Fall von Syphilis, der 
als Schanker in ano anfing und dann einen Hautausschlag entwickelte. 
Zu Hautausschlag fiel ihr Melanom ein, dann ein brauner Fleck (Naevus), 
den sie auf ihrer Haut hat, dann Kot. Es erschien dann eine Erinnerung 
aus der frühen Kindheit, ihre jüngere Schwester beschmiere sich mit Kot. 
„Keine Wand zwischen Vagina und Rektum“ führte zu Einfällen über 
Duschen, Klistiere usw., also die Gleichwertigkeit von Anus und Vagina. 

Unser Hauptinteresse richtet sich hier auf die Tatsache, daß auch diese 
Patientin eine rektale Masse (Schanker, Geschwulst, Kot) Flecken auf oder 
in der Haut gleichsetzt (Hautgeschwulst, syphilitischer Ausschlag, geschmier¬ 
ter Kot). Man beachte auch, daß die rektale Masse das „anale Kind“ oder 
vielmehr die „anale Fehlgeburt“ bedeutet. Ferner weiß die Patientin um 
das erotische Element beim Anus (keine Trennung zwischen Anus und 
Vagina). Kurz, auch hier kann die Haut wieder durch das Schmieren den 
Anus ersetzen, Stoffe auf oder in der Haut die Fäzes. 


1) Freud, Das Unbewußte, Ges. Sehr. V. 

2) Ferenczi, Int. Zsch. f. PsA., IX, 69, 1923. 

















































































Kotschmieren, Menses und weibliches Über-Ich 


47 


Beobachtung an derselben Patientin B.: Einige Monate nach dem 
obigen Traum wurde die Patientin, deren Charakter viele gegen anale 
Wünsche aufgerichtete Reaktionsbildungen aufweist, vom Sexualpartner 
zum analen Koitus aufgefordert. Er versuchte mit dem Penis in ihren 
Anus einzudringen, aber wegen ihres Widerstandes ohne Erfolg. Zwei 
Tage danach bekam die Patientin eine Impetigo und eine Angina 
V i n c e n t i. Da sie in ihrer Körper- und Mundpflege sehr sorgfältig war, 
wurde sie sehr verstimmt und fühlte sich „schmutzig“. In ihren Assozia¬ 
tionen betrachtete sie eindeutig das Impetigoexsudat als Kot auf der Haut. 
Die Vincentsche Krankheit führte durch die Assoziationen Spirochaete, 
Syphilis, „schmutzige“ Geschlechtskrankheit zu koprophagischen Phanta- 

_ es war, als ob sie Kot im Munde hätte, ihr Atem röche nach 

Kot usw. 

Die Analyse zeigte, daß die Schuld, für welche sie ihre Krankheiten 
empfing, sich auf unbewußte Versuchungsphantasien bezog, den Mann beim 
analen Koitus zu kastrieren und den Penis im Anus zu behalten. Der 
Ursprung dieser Wünsche in ihrer frühinfantilen Vaterbeziehung wurde 
auch klar. 

Unter Vernachlässigung der Probleme, die die „Flucht ins Organische“ 
betreffen, sehen wir mit Bezug auf unser Thema, daß die Patientin, nach¬ 
dem sie auf den sexuell-sadistischen Gebrauch des Anus verzichtet hat, 
ihre Haut erotisierte (und strafte). Durch Koprophagie und Sich-beschmie- 
ren versuchte sie das Aufgegebene wieder zu gewinnen. Die Libido war 
vom Anus auf die Haut verschoben. 

11. Menses = exkrementeile Inkontinenz. Kompensatorische 
Hauterotisierung 

Seit vielen Jahren hat die Psychoanalyse erkannt, daß die Menstrual- 
flüssigkeit oft bewußt, zuweilen unbewußt als eine Exkretion angesehen 
wird und die Menstruation als eine „schmutzige“ Funktion. Es sollte eine 
direkte Folgerung aus dieser Anschauung sein, daß das Weib den men¬ 
struellen Abfluß als eine Inkontinenz, als ein Versagen der Sphinkter¬ 
tätigkeit betrachtet. Daß dies auch der Fall ist, sollen einige Beobachtun¬ 
gen beweisen. 

Beobachtung: Patientin C., eine junge Frau mit auffallend vielen 
analen Charakterzügen, hat folgende Gewohnheit: Während der Menstrua¬ 
tion besucht sie öfter die Toilette, wo sie durch besondere Bewegungen 
der perinealen Muskulatur das Menstrualblut aus der Vagina auszustoßen 
versucht. Zwischen diesen Besuchen glaubt sie, gewissermaßen das Blut 












48 


Bertram D. Lewin 


in der Vagina zurückhalten zu können, indem sie eine sphinkterartige Be¬ 
tätigung der Scheidemuskeln übt. Während des ersten Teiles ihrer Analyse 
litt sie an schwerer Obstipation, welche am ersten Tag der Blutung ver¬ 
schwand. Diese wurde dann während der Blutung durch eine Diarrhöe 
ersetzt, kehrte aber am Ende der Blutung wieder. Während der Menstruation 
wurde auch ihre sonstige Sparsamkeit durch einen Einkaufszwang, haupt¬ 
sächlich von Kleidern, ersetzt. 

Diese Tatsachen führe ich nur an, um die bei dieser Patientin enge 
Beziehung zwischen Menstruation und Exkretion zu zeigen, die so weit 
geht, daß die Patientin eine Sphinkterkontrolle über ihre Blutung auszu- 
uben versucht; sie sollen auch für das Verständnis der folgenden analyti- 
sehen Beobachtung dienen: 

Zwei Tage vor einer ihrer Perioden drehten sich ihre Einfälle um ihre 
stark positive Übertragung; dann traten am ersten Tage der Blutung As- 
«iziationen mit Bezug auf ihren Kastrationskomplex zutage, hauptsächlich 
Kindheitserinnerungen von frühzeitigen Mahnungen bezüglich ihres Beneh¬ 
mens, Deckerinnerungen für Kastrationsdrohungen, bei denen es klar war 
daß für sie die Menstruation „einen Penis verlieren“ bedeutete. Am nächsten’ 
lag kam sie in mürrischer Laune, böse auf ihren Mann und auf andere 
Familienmitglieder in die Stunde, und klagte, daß das Leben für sie nichts 
enthalte. Gegen Ende der Stunde, welche hauptsächlich der Schilderung 
ihrer Verstimmung diente, erzählte sie die folgende Phantasie: 

„Ich war gestern so niedergeschlagen, daß ich mich im Spiegel ansah 
und dachte: ,Es gibt nur zwei Dinge in der Welt, wovon ich Befriedigung 
bekommen könnte. Entweder könnte ich eine große Schachtel Schokoladen¬ 
konfekt kaufen — nicht etwa beliebige, sondern wirklich gute, teure 
Schokolade und dann mich hinsetzen, um sie zu essen; oder, ich 
konnte mein ganzes Geld aus der Bank nehmen und es für Kleider ver¬ 
schleudern. * — Bei dieser Bemerkung machte sie eine unver¬ 

kennbare Bewegung, indem sie mit der inneren Handfläche über den 
ganzen Körper vom Hals bis zu den Knien strich. 

Eine zusammenfassende Deutung dieser Einfälle, die die Einstellung 
der Patientin gut wiedergeben, besagt, daß die Menstruation als Kastration 
angesehen wird, aber als eine „anale“ Kastration, als eine unerwünschte. 
Unwillkürliche Inkontinenz. Um sich dann für den Verlust des Kot—Penis 
zu entschädigen, kann sie zwei Mechanismen anwenden. Ihr narzißtischer 
Verlust (vergl. das Schauen im Spiegel) kann durch Koprophagie (teure 


i) Das Deutsche gibt den 
m on clothes /«. Das Wort hlow 
stoßen und Zerstreuen. 


englischen Ausdruck nur schwach 
(blasen) vermittelt den Eindruck 


wieder; y^and hlow it 
von explosivem Aus- 

















































































Kotsdimieren, Menses und weiblidbes Über-Idi 


49 


Schokolade essen) oder durch Schmieren kompensiert werden (ihre Gebärde, 
das Geld zu nehmen und in der Form von Kleidern auf den Körper zu 
streichen). Wenn ein verlorenes Objekt dem Kot gleichgesetzt wird, so 
kann es, wie wir aus Abrahams Arbeit wissen,^ auf koprophagische 
Weise wieder zurückgewonnen werden. Hier haben wir ein Beispiel für 
diese Methode, mit einem verlorenen Objekt umzugehen; wir sehen aber 
auch, daß es noch eine andere Methode gibt, die des Schmierens.^ 

Aus der oben geschilderten Szene und Phantasie scheint sich klar zu 
ergeben, daß die Menses regressiv einer unwillkürlichen Inkontinenz 
gleichkommen. Als Bestätigung dieser Auffassung sei erwähnt, daß diese 
Patientin regelmäßig wütend ist, wenn ihre Menstrualblutung zu früh auftritt, 
sich dagegen sehr freut, wenn sie verspätet ist. Die Patientin B, deren 
Träume ich oben erwähnt habe, hat dieselbe Einstellung, obschon bei 
ihr das herrschende Gefühl eher Demütigung als Wut ist. Ihre Erklärung 
lautet: „Der Gedanke ist mir zuwider, daß ich meine eigenen Funktionen 
nicht beherrschen kann. Zu diesem Satz assoziiert sie Erinnerungen an 
frühes Sphinkterversagen und an die Demütigung gelegentlich einer 
unwillkürlichen Exkretion. Besonders bemerkenswert ist, daß in der Pubertät 
die erste Blutung plötzlich und unerwartet eintraf und ihre Wäsche 
beschmutzte. Ihre damalige starke Demütigung war bestimmt mit Erinnerungen 
an frühkindliche, unwillkürliche Beschmutzung der Wäsche durch Exkretionen 
assoziativ verknüpft. Bei dieser Patientin spielten Erinnerungen an Enuresis 
und an unwillkürliche Miktion eine wichtigere Rolle als Erinnerungen 
an unwillkürliche Defakation, und während der Menstrualzeit versuchte 
sie wenigstens im Anfang ihrer Analyse, als sie vom Männlichkeitskomplex 
beherrscht war, zu leugnen, daß die Menstrualflüssigkeit Blut sei. Sie 
brachte zahlreiche Träume, worin das Blut an sich verleugnet wurde, und 
der Fluß dem Urin, manchmal selbst dem Samen zugeschrieben wurde. 3 Der 
folgende Traum soll als Beispiel dienen: 

Ein Haus üt von Wasser und Wellen umgeben. Die WelUn schlagen 
o er und hoher, so daß man fast von einer Flut sprechen könnte. 

Zu Flut sagte sie; „Ich habe eine Menstrualflut.“ (>/ am flooding 
menstrually:) Weiter: Eine ihrer Freundinnen erlebte einen Schiffbruch 
wahrend der Menstruation; das Blut durchnäßte ihre Kleider, so daß es 


^ u”;- Entwicklungsgeschichte der Libido, 

waren in ihr Blut und Kot gleichgesetzt 

(etnl rote anW^ T* oder Merkurochrom 

Ferner : sie ißt Schoko! Haut tun ? Sie entschied sich für Jod. 

3) Es scheint erwäh ^ auf Eis gern, kann aber Erdbeersaft nicht leiden. 

eitigen, sich ihr Menstruationszyklus von 28 auf 26 Tage änderte. 
Im. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XVI/i 


4 














50 


Bertram D. Lewin 


aussah, als ob sie eine starke Blutung hätte. Sie dachte dann an die 
Jamestown-Überschwemmung, an den Ausbruch des Aetna, an Lava, 
welche einen Berg hinunterfließt und Häuser niederwirft und an eine 
vom Erdbeben zerstörte Stadt. Dann fiel ihr ein Ford-Auto ein, bei dem 
der Deckel vom Kühler wegfliegt. Dann kam der Satz: „Es bereitet mir 
Lust, wenn ich das Tröpfeln der Menstruation verspüre. Es kommt mir 
wie Urin vor.^^ 

Offenbar wird der Versuch gemacht, das Menstrualblut in Urin 
u.mzuwandeln und davon Lust nach dem infantilen Vorbild des Urinierens 
(die Flut) zu gewinnen, ferner, die Menses einem männlichen (destruktiv 
nrinären) Orgasmus gleichzusetzen. 

Aus dem hier dargebotenen Material ziehe ich den Schluß, daß für das 
Unbewußte die Menstruation unter anderem ein unwillkürliches Versagen 
des Sphinkters bedeuten kann. Außerdem habe ich Beweise dafür angeführt, 
daß das Schmieren eine Kompensation für dieses Versagen darstellen kann, 
oder besser gesagt, für den Verlust der Fäzes (oder ihrer Äquivalente). Das 
heißt, das Objekt kann erhalten werden. Was bei der Kotentleerung verloren 
ging, kann durch anal-kutane Verschiebung vermittels Schmierens zum Ich 
wiederkehren. Wenn dann Objekte dem Kot gleichgesetzt werden, kann ein Ver¬ 
such gemacht werden, solch ein Schmieren in symbolischer Form vorzunehmen. 

III) Die Rolle des Sdimierens bei der Entwicklung des weiblidien 
Narzißmus und des Über-Icbs 

Wir haben gesehen, wie leicht die Menstrualblutung regressiv als eine 
unwillkürliche Inkontinenz angesehen, und wie das Kotschmieren dann als 
kompensatorischer Trost benutzt werden kann. Es entsteht nun die Frage: 
Hat dieser Mechanismus eine allgemeine Bedeutung? In einem Fall haben 
wir gesehen, wie dieser durch die Menstrualblutung entstandene Schmier¬ 
impuls in ichgerechter Weise in einer Phantasie zum Ausdruck kam, Geld 
zur Bekleidung des Körpers zu verwenden. In anderen Fällen trat dieser 
Schmierimpuls in einer Verschiebung der Libido vom Anus zur Haut 
zutage. Gibt es nun einen Zeitpunkt oder ein Erlebnis, wo die beiden 
Mechanismen, die regressive Behandlung der Menstruation und die Erotisierung 
der Haut, durch Verschiebung Zusammentreffen? 

Unser Material zeigt uns, daß die erste Menstrualblutung mit den 
regressiven Phantasien verknüpft, d. h. als eine unwillkürliche Inkontinenz 
betrachtet werden kann, und gewisse analytische Theorien sagen uns, daß 
es einen bestimmten Zeitpunkt in der weiblichen Libidoentwicklung gibt, 
wo ein Schub der Libido zur Körperoberfläche stattfindet — die Pubertät. 









































































Kotschmieren, Menses und weibliches Über-Icfa 51 

Ferner hat Harnik^ die wichtige Rolle der ersten Menstrualblutung bei 
diesem Vorgang betont; sie dient als Anlaß zu diesem Libidoschub. 
Zumindest aus zwei Gründen wird demnach unsere Aufmerksamkeit auf 
die weibliche Pubertät und auf das Auftreten der ersten Menstrualblutung 
gelenkt. 

Harnik vertritt mit guter Begründung die Ansicht, daß das x&wachsen 
des Körpernarzißmus beim jungen Weib in der Pubertät durch eine 
Verlegung der Libido von der Klitoris bewirkt wird. Nach seiner Darstellung 
werden die Libidoquantitäten, die früher an Klitorisaktivitäten gebunden 
waren, auf die Körperoberfläche verschoben, wo sie den dort schon 
vorhandenen Narzißmus vermehren und als Interesse an „Schönheit“, „Reiz“ 
und andere typisch weibliche Ideale zum Ausdruck gelangen. „Hinsichtlich 
der psychischen Motive bei diesem Vorgang zeigt die analytische Erfahrung, 
daß der letzte Anstoß zum Aufgeben der Klitorismasturbation normalerweise 
von einem einschneidenden Erlebnis, vom Eintreten der ersten Menstruations- 
blutung, herrührt.“ In Anlehnung an eine Bemerkung von Radö, daß die 
libidinöse Leitzone des Fötus die ganze Körperoberfläche sei, weist Hdrnik 
auf die regressive Bedeutung dieses Schubes hin und erblickt in der 
Regression eine Wiederbelebung des intrauterinen Zustandes, wobei der 
„ganze Körper ein Genitale“ ist. 

Meine Befunde stimmen mit den Ansichten von Harnik sehr gut überein. 
Außerdem aber scheinen sie die Annahme zuzulassen, daß es noch eine 
Etappe zwischen dem Verzicht auf die Klitorisbesetzung und der darauf¬ 
folgenden Besetzung der Körperoberfläche gibt, eine Zwischenstufe, wobei 
die betreffende Libido anal regrediert. Der Vorgang, der durch die erste 
Menstruation eingeleitet wird, könnte also folgendermaßen aufgefaßt werden: 
Die Menses setzen ein und werden im Unbewußten als Kastration betrachtet. 
Aber gleichzeitig wird die Kastration verleugnet und es erscheint die 
Phantasie: „Das ist nicht Blut. Es ist Kot (Urin).“ Mit anderen Worten, 
es wird eine anale (oder urethrale) Regression vorgenommen. Aber der 
Vorgang bleibt hierbei nicht stehen, denn wenn dies eine anale Kastration 
ist, so vermag der psychische Apparat die Situation gut zu meistern: der 
Verlust kann durch Schmieren oder Koprophagie wieder gutgemacht 
werden. Man darf also annehmen, daß mit dem Auftreten der Menstruation 
im heran wachsen den Mädchen ein Schmierbedürfnis entsteht. Aus meinen 
Beobachtungen wird auch ersichtlich, wie das Bedürfnis sich Ausdruck 
^rschafft, weil eine unsublimierte Handlung selbstverständlich tabu wäre, 
ir haben gesehen, daß in meinen Fällen das Kotschmieren eine Erotisierung 

1) Härnik, Schicksale des Narzißmus bei Mann und Weib. Zscli. IX, 278, 1923. 


4 * 
















52 Bertram D. Lewin 

der Haut bedeutet, eine Verschiebung der Libido vom Anus zur Haut. 
In dem Pubertätsvorgang hätten wir denselben Prozeß zu sehen. Die Libido,, 
die zuerst genital, dann anal ist, wird endlich auf die Haut verschoben. 
Die seit dem Auftreten der ersten Menstruationsblutung entstandenen 
Schmierimpulse kommen in dem Schub der Libido zur Körperoberfläche 
zum Ausdruck.^ 

Von einem etwas anderen Standpunkt könnte man auch sagen, daß, 
ebenso wie der Kotverlust eine „Vorstufe der Kastration“ bildet, auch das 
Kotschmieren eine „Vorstufe der narzißtischen Kompensation“ darstellt und 
in Fällen, wo die Kastration regressiv dargestellt wird, eine wichtige Rolle 
spielen kann. 

In den Pubertätsriten der Primitiven finden wir eine Andeutung des 
anal-kutanen Mechanismus, der für die narzißtischen Kompensationen eine 
Rolle spielt, bei der Tätowierung. Hier ist der Grundritus eine schmerzhafte 
Einführung in die Sippe, wobei der Schmerz öfters durch Vorhaut- oder 
Zahnverstümmelung vermehrt wird. Aber zugleich mit dieser symbolischen 
Kastration bekommt der junge Mann eine narzißtische Kompensation: seine 
Haut wird mit Pigment verschönert.® Diesem Pi gm ent gebrauch, oder der 
Berechtigung, sich mit Farben zu bemalen usw., scheint ein Schmierimpuls 
zugrunde zu liegen. Es ist interessant, in diesem Zusammenhang die 
Farbstoffverwendung der Primitiven mit der Gewohnheit gewisser Frauen 
zu vergleichen, die sich lediglich während der Menstruation schminken. 
Die Rationalisierung, daß sie dann blasser sind als sonst u. dgl., verhüllt 
nicht ganz die darunterliegende Lust am Schmieren, und sie gesteht 
auch zu, daß diese Gewohnheit eine Kompensation darstellt. 

Aus der Tatsache, daß meine Patienten so oft das Schmieren und die 
Koprophagie mit Bezug auf das Wiedergutmachen von Verlusten gleich¬ 
stellen, und aus dem, was wir über die Bedeutung von oralen Riten der 
Primitiven bei Trauerfällen (Nekrophagie, in späterer Zeit Leichenschmaus, 
usw.) wissen, möchte ich vermuten, daß die Zeremonie, sich als Trauer¬ 
zeichen mit Asche zu beschmieren, als ein Versuch gedeutet werden könnte,, 
das verlorene Objekt kutan zu introjizieren, ganz analog dem kannibali- 
stischen (d. h. koprophagischen) Vorgang. 

Zur nachfolgenden Erörterung möchte ich bemerken, daß ich nur An¬ 
deutungen und unzulängliche Beweise anführen kann, um meine Thesen 

1) Eine weitere Diskussion der urethralen Regression wird in dieser Arbeit nicht; 
versucht. Die Gleichsetzung, Menses = Harn, wie im oben angeführten „Fluttraum^^, 
scheint immer den Effekt zu haben, daß der Männlichkeitskomplex verstärkt wird, 
wie es nach K. Horneys Ansicht zu erwarten ist. 

2) von Sydow, Primitive Kunst und PsA., erkennt die Tätowierung als eine 
hauterotische Sublimierung. 












































































Kotscfamieren, Meuses und weiblidies Über-Idi 53 

bestätigen. Es ist aber sehr verlockend, die Frage aufzustellen, welche 
Rolle der kompensatorische Schmierimpuls, in dem wir eine Libidover^ 
Schiebung erblicken, am Anfang der Latenzperiode, d. h. zur Zeit der 
frühen Über-Ich-Bildung, spielen mag. Wir müssen zu allererst die ganz 
wahrscheinliche Annahme machen, daß dieser Vorgang, der Schmiermecha¬ 
nismus, im psychischen Apparat schon angelegt ist. Dies ist wahrschein¬ 
lich, weil wir glauben dürfen, daß dieser Mechanismus in einer Zeit 
entstanden ist, in der der Trieb, den Kot zu behalten und den verlorenen 
Kot dem Körper wieder zurückzuführen, in der Blüte war, nämlich in der 
vorangegangenen analerotischen Phase der Libidoentwicklung. Es ist auch 
offensichtlich, daß in der postödipalen Phase der Schmierimpuls in seiner 
krassen Form schon verdrängt oder auf eine ichgerechte Form gebracht 
worden ist. Es widerspricht also keinen psychoanalytischen Prinzipien, an¬ 
zunehmen, daß der Schmierimpuls, der als Versuch, den Verlust von analen 
Werten wettzumachen, entsteht, in der früh postödipalen Zeit vorhanden 
ist, und zwar in seiner späteren modifizierten Form, als Impuls, anale 
Werte auf die Haut oder Körperoberfläche zu verschieben. Wir wissen 
auch, daß das orale Analogon dieses anal-kutanen Vorganges zu dieser Zeit 
lebendig ist. 

Zuerst betrachten wir die Eigenschaften der spätinfantilen Sexualorgani¬ 
sation des Mädchens, bei dem die Akzeptierung der Kastration als voll¬ 
zogene Tatsache zum Verzicht auf die Klitorissexualität und zu einer 
regressiven Wiederbelebung von passiv-analen Wünschen führt. Diese 
kommen besonders in dem Wunsch nach dem „analen Kind“ zum Ausdruck 
(Freud, Deutsch). Nach Deutsch^ ist dies der erste Passivitätsschub, 
der die Vorgänge in der Pubertät bereits vorzeichnet. Aber der Kindes¬ 
wunsch wird nie erfüllt, und deswegen wird der Ödipuskomplex verlassen. 

Ich möchte jetzt eine zweite Annahme machen, daß nämlich der Ver¬ 
zicht auf das Kind (das „anale Kind“) regressiv und analsymbolisch als 
eine Defäkation gedacht wird. Für die Wahrscheinlichkeit dieser Annahme 
haben wir viele Beweise.^ Wir müssen uns auch daran erinnern, daß die 
Deutung der Menses als Kastration nicht erschöpfend ist; sie bedeuten 
auch das Mißlingen des Kindeswunsches. In den Defäkations- und Schmier¬ 
träumen der Patienten A und B stellten die rektalen Massen (analer 
Schanker, Mastdarmkrebs) auch Kotkinder dar. Es war weiter charakteri¬ 
stisch, daß 5, wie auch andere Patientinnen, die Menstruation nicht nur 
als eine Exkretion und eine Kastration, sondern auch als eine Fehlgeburt 


1') H. Deutsch: PsA. d. weibl. Sexualfunktion. Int. PsA. Verlag 1925. 

2) Freud: Über Triebumsetzungen, insbesondere der Analerotik. Ges. Sehr. V. 











Bertram D. Lewln 


empfanden. Dieser Punkt ist ja wohlbekannt, und ich erwähne ihn nur, 
um meine Annahme, daß die erste große „Fehlgeburt“, der Verzicht auf 
den Wunsch, ein Kind vom Vater zu haben, Defäkationsbedeutung habe, 
zu erhärten. Es zeigt auch, daß der Menstruation als Verlust des analen 
Kindes eine zweite Bedeutung zukommt. 

Wir würden erwarten, daß das Mädchen bei der Aufgabe des Wunsches, 
ein anales Kind und den Vater als Liebesobjekt zu haben, einen Antrieb, 
den analen Verlust wettzumachen, verspüren würde. Wenn nun meine 
Annahme richtig ist, käme dieser Antrieb auf zwei Wegen zum Ausdruck, 

(i) in koprophagischen (bzw. nekrophagischen) Impulsen und ( 2 ) in Schmier¬ 
impulsen.’ 

Diese beiden sind geeignet, einen Objektverlust wieder gutzumachen, 
und es ist vorstellbar, daß entweder nur einer von diesen Vorgängen allein 
wirkt, oder daß beide in verschiedenen Proportionen wirksam werden. Wir 
würden annehmen, daß die Wahl zwischen beiden von der Stärke der 
gegen die verschiedenen Impulse aufgerichteten Gegenbesetzungen abhängt, i 
ferner davon, wie weit sie einer ichgerechten Modifizierung unterworfen 
waren. Eine konstitutionelle Bevorzugung des Mundes oder der Haut 
könnte bei der Wahl ebenfalls eine Rolle spielen. 

Wenn die erste (orale) kompensatorische Tendenz vorwiegt, so entstünde j 

ein Zustand, wie ihn Sachs“ neuerdings beschrieben hat. Die oralen ' 

Wünsche kommen ins Spiel. Hat man nach der Versagung gänzlich auf j 
den Vater verzichtet, so findet eine wirkliche Introjektion mit wirk¬ 
licher Über-Ich-Bildung statt. Hat man auf den Vater nicht verzichtet, so 
entsteht der andere Über-Ich-Typus der primitivere, in derselben Arbeit 
geschilderte Typ, bei dem die oralen Wünsche in den sexuellen Akt eingehen 
und eine Reihe von Männern, nachdem sie „durch die Vagina einverleibt“ 
sind, zu „Über-Ichen“ werden. Es ist interessant und scheint meine 
Theorie der zwei möglichen Richtungen zu unterstützen, daß die von 
Sachs beschriebene Patientin, deren orale Wünsche so stark waren, einen 
übermäßigen Mangel an Interesse für Kleider und Schmuck zeigte. Unter 
anderen Motiven könnte dieser Zug durch das Vorherrschen der oralen 
Tendenzen mit einem entsprechenden Mangel an Bedürfnis für Kompen¬ 
sationen im Gebiet der Haut- oder Oberflächenlibido bedingt sein, — mit 
anderen Worten, durch einen Mangel an kompensatorischem Schmier¬ 
bedürfnis. Als Stütze für meine These, daß die oralen Wünsche, die nach 
dem Verzicht auf anale ödipuswünsche entstehen, in erster Linie diesen 

1) Ich lasse absichtlich die Betrachtung des „Männlichkeitskomplexes“ beiseite. 

2) Sachs: Über einen Antrieb bei der Büdung des weibllichen Über-Ichs. Diese 
Zschr. XIV. 165, 1928. 














































































Kotsdiinieren, Menses und weiblidies Über-Idi 55 

analen Verlust kompensieren sollen, erwähne ich den von Sachs ange¬ 
führten männlichen Masochisten, dessen passiv-feminine Einstellung durch 
die Analyse abgebaut worden war, und der dann u. a. auch wirklich zum 
Kotessen kam. Daß eine orale Regression auch auf anderem Wege und 
aus anderen Motiven entstehen kann, gebe ich natürlich zu. 

Betrachten wir den zweiten Teil meiner These: der anale Verlust nach 
dem Untergang des Ödipuskomplexes werde durch Schmieren kompensiert. 
Eine so gebildete Persönlichkeit würde dann dem von H d r n i k^ beschrieheneu 
Typ entsprechen. Dieser Autor hat in einer weiteren Abhandlung im wesent¬ 
lichen seine Theorie über das Schicksal der Libido in der Pubertät auf 
das postödipale Schicksal der Libido übertragen. Der Verzicht auf den 
Penis führt zur Verschiebung der Libido vom Genitale zur Körperober¬ 
fläche, welche als eine Überschätzung des körperlichen Aussehens zum 
ichgerechten Ausdruck kommt. Ich bin bereit, in diesem Punkte mit 
Hdrnik übereinzustimmen, nicht nur, weil es von vornherein wahr¬ 
scheinlich ist, daß die Pubertätsvorgänge Wiederholungen der infantilen 
Vorgänge darstellen, sondern auch wegen gewisser Befunde bei drei 
Patientinnen. 

Alle drei machten eine Zeit der infantilen Masturbation durch, der die 
Kastrationsangst ein Ende bereitete, und sie scheiterten auch sehr früh in 
ihrem starken Wunsche, ein „anales Kind^‘ vom Vater zu bekommen. Alle 
drei gingen ferner durch eine Latenzperiode, in der narzißtische Phantasien 
vorherrschten. Eine von ihnen erinnert sich lebhaft an ihre Hauptphantasie. 
Sie bildete sich ein, in einem schön gestärkten weißen Kleid „ganz sauber 
und reizend‘‘ (,flZZ clean and lovely*) zu sein; dann suchte sie den Vater 
auf, der sie darum lobte. Die zweite, die sich früher daran vergnügte, 
ihre Puppen mit Senf zu beschmieren, hatte Tagträume über hübsche 
Kleider während der Latenzperiode. In ihrer späteren Zwangsneurose boten 
ihr Kleider eine ichgerechte Abfuhrmöglichkeit, während Kind und Penis, 
die sie als Gaben des Vaters ebenso wie die Kleider auch dem Kot gleich¬ 
setzte, nur durch strenge schuldberuhigende Maßnahmen erkauft werden 
konnten. Die dritte Patientin bezeugt noch mit 28 Jahren ein minutiöses 
Interesse für ihre körperliche und geistige Person und interessiert sich 
übermäßig für die Pflege ihres körperlichen Aussehens. Ihre narzißtische 
Einstellung begann in der frühen Latenzperiode, wo die Phantasie, sie sei 
eine „kleine Prinzessindie die ganze Umwelt durch ihre „Persönlichkeit“ 
bezaubern würde, eine große Rolle spielte. Durch diese Phantasie hat sie 
sich wirklich eine Art Privatwelt geschaffen. 

1) Hdrnik, Die ökonomischen Beziehungen zwischen Schuldgefühl und weib¬ 
lichem Narzißmus, Zschr. XIV, 175, 1928. 















Schub T **^"“^^* Satz, daß es einen postphallischen 

Schub der Lxbxdo vom Genitale zum Körper geben kann, zu bestätigen. 

( htorismasturbation. Peniswusch) und vor dem Auftreten der narziß- 
ischen Phantasien in der Latenzperiode eine Phase der analen Regression, 

wel b W . Sekenn.eichL war 

welcher Wunsch entweder aufgegeben oder mit großem Schuldgefühi 

unbedingt bei diesem Schub- 
yorgang vorhanden sein muß, ist nicht zu entscheiden. In vielen Fällen aber 
es höchst wahrscheinlich, daß der Schub von der regressiven Phantasie 
vom kompensatorischen Schmieren seine Kraft bekommt. 

dem' r'' daß der Begriff der Körperschönheit von 

egri er Reinlichkeit nicht scharf abzutrennen ist, — das Tragen 
eines nett ^stärkten Kleides vermehrt doch die Schönheit und die Rein- 
ichkeit gleichzeitig, - und einen Teil seiner Wertschätzung aus den Reak- 
tionsbildungen gegen anale Beschmutzung ziehen muß. 

Wo der Schmierimpuls über den Impuls zur oralen Einverleibung über- 
Enttäuschung im Kindeswunsch, - kann die Frage 
des vollständigen oder partiellen Verzichtes auf den Vater als Liebesobjekt 
ne ähnliche Rolle spielen wie bei den von Sachs beschriebenen Fällen 

n r Ob angeführten Fällen geht klar hervor, 

Off b mehr oder weniger aufgegeben werden kann, 

ffenbar kann die Verschönerung (wie im ersten angeführten Fall) die 
bsicht haben sich die väterliche Bewunderung zu erwerben. Das 
e ßt, die Libido braucht nicht ganz narzißtisch zu werden; sie kann 
teüweise immer noch mit Objekten in Beziehung bleiben. Wie dem auch 
sei, es scheint, daß zwischen der Körperbesetzung und der Besetzung, die 
A.ntriebe eingeht, eine quantitative Beziehung besteht Je 
großer die eine, desto kleiner die andere. Da wir also wissen, daß'das 
Uber-Ich durch die orale Introjektion entsteht, so wird in denjenigen 
Fallen, wo die Besetzung hauptsächlich zur Körperoberfläche verschoben 
wird, weniger orale Libido für den Vorgang der Objekteinverleibung zur 
Verfügung stehen, und es ergäbe sich dann eine weniger assimilierte 
weniger vollständige Introjektion und Über-Ich-Bildung. Anal ausgedrückt’ 
Was geschmiert wird, braucht nicht gefressen zu werden. Dieses Moment 
sollte zusammen mit dem von Sachs angeführten als zweite mögliche 

Ursache für die Entwicklung eines unvollständigen Übei-Ichs in Betracht 
gezogen werden. 


/ 





























































Die Bedeutung der Symbolbildung für die 
Ichentwiddung 

Fortrag auf dem XL Internationalen Psjrchoanalxtischen Kongr^ in Oxford^ Juli 

Von 

Melanie Klein 

London 

Meine Damen und Herren I 

Die folgenden Ausführungen beruhen auf der Annahme eines frühen 
Entwicklungsstadiums, in dem es zur Aktivierung des Sadismus auf allen 
Quellgebieten kommt.’ Diese Phase wird durch die oralsadistische 
Begierde, die Brust, resp. die Mutter zu fressen, eingeleitet, klingt in der 
früheren analen Stufe ab und umfaßt nach meinen Erfahrungen 
die höchste Blüte des Sadismus. Ihr leitendes Streben ist darauf gerichtet, 
sich den Inhalt des Mutterleibes anzueignen und sie mit allen Mitteln 
des Sadismus zu zerstören. Diese Phase leitet zugleich auch den Ödipus¬ 
konflikt ein. Die bereits beginnende Wirksamkeit des Genitales bleibt zu¬ 
nächst undurchsichtig, da die prägenitalen Triebregungen das Feld beherr¬ 
schen. Die Tatsache, daß der Beginn des Ödipuskonflik¬ 
tes unter der Vorherrschaft des Sadismus erfolgt, ist 
die Grundlage für alle meine weiteren Aufstellungen. 

Das Kind erwartet, im Innern der Mutter den Penis des Vaters, Ex¬ 
kremente und Kinder, die es eßbaren Stoffen gleichsetzt, zu finden. Seine 
frühesten Phantasien vom Koitus der Eltern („Sexualtheorien“) gehen dahin, 
daß der väterliche Penis, resp. der ganze Vater der Mutter einverleibt wird. 
Die auf diese Weise gegen beide Elternteile gerichteten sadistischen An¬ 
griffe, in denen diese in der Phantasie zerbissen, zerrissen, zerschnitten, 
zerstampft werden, lösen die Angst vor der Strafe beider, miteinander 
vereinigten Eltern aus, eine Angst, die sich zufolge der oralsadistischen 


Bd.*XIV™9T8 Frühstadien des Ödipuskonfliktes.“ Diese Zeitschrift, 











58 Melanie Klein 

Introjektion der Objekte auch verinnerlicht und so den äußeren Ob¬ 
jekten und den in tro j izierte n, also auch schon dem frühen 
Ü b e r-I c h gilt. Diese Angstsituationen der frühen Stufen haben sich mir 
als die tiefsten und überwältigendsten erwiesen. Bei dem in der Phantasie 
verübten Angriff auf den Mutterleib kommt dem nach meinen Erfahrun¬ 
gen im dichten Anschluß an den oralen Sadismus und Muskelsadismus 
einsetzenden urethralen und analen Sadismus eine bedeutungsvolle 
Rolle zu. Die Exkremente werden in der Phantasie in gefährliche Waffen 
verwandelt, das Nässen einem Schneiden, Stechen, Brennen, Über¬ 
schwemmen, die Stuhlstange Angriffswaffen und Geschossen gleichge¬ 
setzt. In einem späteren Abschnitt der von mir beschriebenen Phase wer¬ 
den die gewaltsamen Angriffsmethoden durch versteckte, mit den raffinierten 
Mitteln des Sadismus unternommene, abgelöst und die Exkremente ver¬ 
giftenden Stoffen gleichgesetzt. 

Das Übermaß des Sadismus löst Angst aus und setzt die frühesten Me¬ 
thoden der Abwehr seitens des Ich in Gang. Freud schreibt^ „Es kann 
leicht sein, daß der seelische Apparat vor der scharfen Sonderung von Ich 
und Es, vor der Ausbildung eines Über-Ichs, andere Methoden der Ab¬ 
wehr übt als nach der Erreichung dieser Organisationsstufen.“ Nach 
meinen Ergebnissen richtet sich die früheste Abwehr des Ich gegen zwei 
Gefahrquellen: gegen den eigenen Sadismus und das ange¬ 
griffene Objekt. Diese Abwehr trägt einen gewaltsamen, dem Aus¬ 
maße des Sadismus entsprechenden Charakter und unterscheidet sich we¬ 
sentlich von dem späteren Mechanismus der Verdrängung. In der Relation 
zum eigenen Sadismus bedeutet diese Abwehr ein Hinausdrängen, 
in der Relation zum Objekt dessen Vernichtung. Der Sadismus 
wird zur Gefahrquelle, weil von ihm der Anlaß zur Angstentbin¬ 
dung ausgeht und weil die gegen das Objekt gewendeten zerstörenden 
Mittel des Sadismus als Gefahr auch für den eigenen Körper empfunden 
werden. — Das angegriffene Objekt wird zur Gefahrquelle, weil die ana¬ 
logen Angriffe von seiner Seite befürchtet werden. Dem ganz unentwickelten 
fällt also die auf dieser Stufe noch unlösbare Aufgabe der schwersten 
Angstbewältigung zu. 

Nach Ferenczi kommt die Identifikation, — die Vorstufe der Sym¬ 
bolik so zustande, daß das ganz kleine Kind in jedem Ding seine 
Organe und deren Tätigkeiten wieder zu finden sucht. Nach Jones er¬ 
möglicht „das Lustprinzip den Vergleich zweier sonst ganz verschiedener 
Dinge auf Grund einer lust- oder interessebetonten Ähnlichkeit“. — Ich 


i) Hemmung, Symptom und Angst. Ges. Sehr., Bd. XI. 
































































Die Bedeutung der Symbolbildung für die Idientwiddung 59 

bin in einer vor Jahren erschienenen Arbeit, auf diese Aufstellungen ge¬ 
stützt, zu dem Ergebnis gelangt, daß die Symbolik die Grundlage aller 
Sublimierungen und Begabungen sei, indem Dinge, Tätigkeiten, Interessen 
auf dem Wege der symbolischen Gleichsetzung Gegenstand libidinöser 
Phantasien werden. 

Ich kann nun meine damaligen Aufstellungen^ dahin ergänzen, daß 
nebst dem libidinösen Interesse es die in der von mir beschriebenen Phase 
einsetzende Angst ist, die den Mechanismus der Identifikation in Gang 
setzt. Die Zerstörungswünsche gegen die die Objekte vertretenden Organe 
— Penis, Vagina, Brust — lösen Angst vor den Objekten aus. Diese Angst 
trägt zur Gleichsetzung dieser Organe mit anderen Dingen bei und treibt 
dann von den durch diese Gleichsetzung zu Angstobjekten 
verwandelten Dingen weg zu immer neuen und anderen Gleichsetzungen, 
die die Basis für ein mit diesen Gegenständen verknüpftes Interesse und 
für die Symbolik bilden. 

Die Symbolik wird so nicht nur die Grundlage für alle Phantasietätig¬ 
keit und Sublimierungen, sondern — mehr als das — auch die für die 
Herstellung der Beziehung zur Umwelt und Realität im allgemeinen. Ich 
hob hervor, daß das Objekt des höchstgesteigerten Sadismus und des mit 
diesem einsetzenden und einhergehenden Wißtriebes der Mutterleib mit 
seinem phantasierten Inhalt ist. Diese auf den Mutterleib gerichteten sa¬ 
distischen Phantasien stellen die erste und grundlegende Beziehung zur 
Außenwelt und Realität her, der mehr oder weniger gelungene Durch¬ 
gang durch diese Phase wird grundlegend für die weitere Erwerbung einer 
Umwelt im realitätsgerechten Sinne. Die früheste Realität des Kindes ist 
demnach eine ganz phantastische; es ist von Angstobjekten umgeben, 
wobei Exkremente, Organe, Objekte, leblose und belebte Dinge zunächst 
einander äquivalent sind. Von dieser irrealen Realität geht schrittweise im 
Einklänge mit der Ichentwicklung die Herstellung einer wirklichen Reali¬ 
tätsbeziehung aus. Ichentwicklung und Realitätsbeziehung sind somit ab- 
hängig von der besseren oder geringeren Fähigkeit des ganz frühen Ichs, 
den Druck der frühesten Angstsituationen zu ertragen, wobei es sich wieder 
um ein gewisses Optimum der zusammenwirkenden Faktoren handelt. 
Ein genügendes Ausmaß an Angst ist die Grundlage für eine reiche 
Symbolbildung und Phantasietätigkeit, — eine genügende Fähigkeit des 
Ichs, Angst zu ertragen, ist die Vorbedingung für eine gelungene Ver¬ 
arbeitung dieser Angst, den günstigen Verlauf dieser grundlegenden Phase 
und das Gelingen der Ichentwicklung. 


1 ) „Zur Frühanalyse«, Imago, Bd. IX (1925). 











6o 


Melanie Klein 


Diese Aufstellungen, die das Resultat meiner allgemeinen analytischen 
Erfahrungen sind, erhalten eine besonders beweiskräftige Bestätigung durch 
einen Fall, bei dem eine ungewöhnliche Hemmung der Ichentwicklung 
vorlag. 

Dieser Fall, auf den ich nun näher eingeh en werde, ist der eines vierjähri¬ 
gen Knaben, der seinem geringen Wortschätze nach und intellektuell auf 
der Stufe eines etwa fünfzehn bis achtzehn Monate alten Kindes sich befand. 
Realitätsanpassung und Gefühlsbeziehung zur Umwelt fehlten fast voll¬ 
ständig. Weitgehend affektlos, war Dick auch gleichgültig gegen die An¬ 
wesenheit oder Abwesenheit von Mutter und Nurse. Angst war seit jeher 
nur selten und in abnorm geringem Ausmaße aufgetreten. Mit Ausnahme 
eines Interesses, auf das ich später zurückkomme, hatte er kaum irgend¬ 
welche Interessen oder Spieltätigkeit und auch keine Verständigung mit 
der Umwelt entwickelt. Dick reihte meist nur in sinnloser Weise Laute 
aneinander, wobei er einzelne Klänge fortgesetzt wiederholte, und wendete 
auch seinen geringen Wortschatz meist nicht richtig an. 

Es lag aber nicht nur eine Unfähigkeit zur Verständigung vor, sondern 
es mangelte auch der Wunsch darnach. Mehr als das, es war für die 
Mutter deutlich ein Gegenwille fühlbar, der sich darin ausdrückte, daß 
Dick oft das Gegenteil dessen, was von ihm erwartet wurde, tat. 
Gelang es z. B. ihn zum Nachsprechen einzelner Worte zu bringen, so 
veränderte er oft diese Worte völlig, bei anderen Gelegenheiten aber konnte 
er die gleichen Worte gut aussprechen. Zeitweise wieder sprach er die 
Worte richtig nach, wiederholte sie dann aber immer wieder und auf 
mechanische Art bis zum Überdruß der Umgebung. Beiderlei Verhalten 
ist ein von dem des neurotischen Kindes abweichendes. Während sich beim 
neurotischen Kinde die Ablehnung in Form von Trotz, die Folgsamkeit 
auch wo sie überängstlich auftritt — doch mit einem gewissen Verständ¬ 
nis und mit einer Beziehung zur Sache oder Person zu äußern pflegt, 
war die Ablehnung und Folgsamkeit Dicks affekt- und verständnislos. 

Dick bewies ferner, wenn er sich beschädigte, eine weitgehende Un¬ 
empfindlichkeit gegen Schmerz und empfand auch gar nicht das sonst 
bei kleinen Kindern so allgemeine Bedürfnis, nach einer solchen Beschä- 
<iig^ng getröstet und geliebkost zu werden. — Ganz ungewöhnlich war auch 
seine körperliche Ungeschicklichkeit. Er vermochte Messer oder Schere 
nicht festzuhalten, wobei aber hervorzuheben ist, daß er den Löffel, mit 
dem er aß, normal handhaben konnte. 

Der Eindruck, den ich bei seinem ersten Besuch bei mir gewann, war 
der, daß sein Verhalten von dem bei neurotischen Kindern beobachteten 
ganz abweichend sei. Er hatte die Nurse ohne jede Affektäußerüng ver- 
































































Die Bedeutung der Symbolbildung für die Idientwiddung 6l 

lassen und war mir ganz gleichgültig in das Zimmer gefolgt. Dort lief 
er ziel- und planlos auf und ab, — wiederholt auch rund um mich herum, 
wobei er keinen Unterschied zwischen mir und den Möbelstücken machte, 
für die Gegenstände im Zimmer aber auch keinerlei Interesse zeigte. Bei 
diesem Hin- und Herlaufen machten seine Bewegungen keinen koordi¬ 
nierten Eindruck. Der Augen- und Gesichtsausdruck war starr, abwesend 
und interesselos. Ich ziehe wieder das Verhalten schwer neurotischer Kinder 
zum Vergleich heran. Ich denke dabei an jene Kinder, die, ohne daß es 
zu einem eigentlichen Angstausbruch kommt, sich heim ersten Besuch 
bei mir scheu und steif in eine Ecke drücken oder bewegungslos vor dem 
Tischchen mit dem Spielzeug sitzen oder auch — ohne zu spielen — nur den 
einen oder anderen Gegenstand aufnehmen und wieder hin legen. Bei all diesen 
Verhaltungsarten ist die große latente Angst deutlich kennbar; die Ecke, 
das Tischchen bilden eine Zuflucht vor mir. — Dicks Verhalten aber diente 
keinem Sinn und Zweck und war auch nicht mit Affekt und Angst 
verbunden. 

Ich gehe nun auf die Vorgeschichte näher ein. Dick hatte eine unge¬ 
wöhnlich unbefriedigende und gestörte Säugeperiode gehabt, da die Mutter 
die ergebnislosen Versuche, ihn zu stillen, einige Wochen fortsetzte, wobei 
er fast verhungerte. Es wurden dann Versuche mit künstlicher Ernährung 
unternommen. Als Dick endlich im Alter von sieben Wochen eine Amme 
bekam, gedieh er auch nicht mehr an der Brust. Er litt an Magen-Darm¬ 
störungen und war mit einem prolapsus ani behaftet, zu dem später 
auch Hämorrhoiden hinzukamen. Von Bedeutung für den Entwicklungs¬ 
verlauf war zweifellos auch die Tatsache, daß das Kind zwar alle nötige 
Fürsorge, aber keine wirkliche Liebe genoß, da die Mutter ihm von An¬ 
fang an mit Kälte begegnete.^ 

Da auch der Vater und die Kinderfrau dem Kinde keine Zärtlichkeit 
zuteil werden ließen, ist Dick in einer ungewöhnlich liebesarmen Umgebung 
aufgewachsen. Als Dick im dritten Lebensjahre eine andere, geeignete und 
liebevolle Nurse bekam, bald nachher auch längere Zeit mit der sehr 
zärtlichen Großmutter beisammen war, zeigte sich der Einfluß dieser 
Änderungen auf folgende Art in seiner Entwicklung. Dick, der in etwa 
normalem Alter gehen gelernt hatte, war nur schwer an die Beherrschung 
der exkretalen Funktionen zu gewöhnen. Unter dem Einfluß der neuen 
Nurse ging die Reinlichkeitsgewöhnung viel schneller vonstatten. Er wurde 
mit etwa drei Jahren sauber und zeigte dann sogar in diesem Punkte einen 

i) Der Umstand, daß die Mutter, u. zw. schon gegen Ende des ersten Lebens¬ 
jahres, den Eindruck gewann, daß das Kind abnorm sei, verschlechterte noch ihre 
Einstellung ihm gegenüber. 









Melanie Klein 


62 


gewissen Ehrgeiz und Ängstlichkeit. Auch in einem anderen Punkte zeigte 
sich im vierten Lebensjahre eine Empfindlichkeit gegen Tadel. Die Nurse 
hatte festgestellt, daß er onaniere, und ihm dies als ^ncLughty'^ verwiesen. 
Diese Verweise lösten deutlich Ängstlichkeit und Schuldgefühl bei ihm aus. 
Auch zeigte Dick im vierten Lebensjahre im allgemeinen ein größeres 
Bestreben zur Anpassung, das aber sich vorwiegend auf äußere Dinge, 
insbesondere die mechanische Erlernung einer Anzahl neuer Worte, 
erstreckte. Es hatten von Anfang an ganz abnorme EßSchwierigkeiten 
Vorgelegen. Als Dick die Amme bekam, erwies er sich als ganz sauge¬ 
unlustig, was sich dann auch später nicht mehr änderte. Er wollte dann 
auch nicht aus der Flasche trinken. Als er zu festerer Nahrung übergehen 
sollte, weigerte er sich, sie zu zerbeißen, und lehnte alle nicht breiige 
Nahrung völlig ab; aber auch die breiige Nahrung mußte ihm fast 
gewaltsam beigebracht werden. Der günstige Einfluß der neuen Nurse 
machte sich nun auch in der Richtung geltend, daß die Nahrungsaufnahme 
sich etwas besserte, wobei aber die Eßschwierigkeiten im wesentlichen 
weiter bestehen blieben.^ Der Einfluß der liebevollen Nurse hatte sich also 
zwar in einigen Punkten in Dick’s Entwicklung geltend gemacht, hatte 
aber nicht die fundamentalen Entwicklungsdefekte berührt. Dick hatte zur 
Nurse ebenso wenig wie zu anderen einen gemütlichen Rapport hergestellt, 
es war also auch der Zärtlichkeit von Nurse und Großmutter nicht gelungen, 
die unterbliebene Objektbeziehung Dicks in die Wege zu leiten. 

Die ungewöhnliche Entwicklungshemmung Dicks hat sich mir in der 
Analyse als die Folge des Mißlingens der frühesten, eingangs meines Vor¬ 
trages besprochenen Entwicklungsschritte erwiesen. Bei Dick lag eine 
völlige, allem Anscheine nach konstitutionelle Unfähigkeit des Ich, Angst 
zu ertragen, vor. Es erwies sich, daß das Genitale bei ihm sehr früh in 
Wirksamkeit getreten war; dies wurde bestimmend für eine verfrühte und 
überstarke Identifizierung mit dem angegriffenen Objekt und hatte die 
verfrühte Abwehr des Sadismus verstärkt. Das Ich. hatte den Ausbau der 
Phantasietätigkeit und die Herstellung der Realitätsbeziehung abgestellt. 
Die Symbolbildung war bei ihm nach geringen Ansätzen zum Stocken 
gelangt. Die vorhandenen Ansätze hatten sich in einem Interesse dokumen¬ 
tiert, das aber — vereinzelt und ohne Beziehung zur Realität — nicht die 
Grundlage für weitere Sublimierungen abgeben konnte. Das Kind war 
gleichgültig gegen die meisten ihn umgebenden Dinge und Spielsachen, 
erfaßte auch deren Zweck und Sinn nicht, hatte aber Interesse für Züge, 


1) Dieses Symptom Dicks hat sich auch bisher in der Analyse als das resistenteste 
erwiesen. 












































































1 



“ ' Die BedeutQQg der Symbolbildung für die Idientwiddung 63 

Bahnhöfe, ferner für Türknöpfe, Türen und das Öffnen und Schließen 
von Türen. 

Das Interesse für die eben aufgezählten Dinge und Handlungen hatte 
einen gemeinsamen Ursprung: Es galt dem Eindringen des Penis in den 
Mutterleib; Türen und Verschlüsse stellten Aus- und Eingänge des Mutter¬ 
leibes, die Türknöpfe den Penis des Vaters dar. Die weitere Symbolbildung 
war also zum Stocken gelangt an der Angst vor dem, was ihm nach 
dem Eindringen in den Mutterleib dort — inbesondere seitens des väter¬ 
lichen Penis — geschehen würde. Ferner erwies sich die Abwehr gegen die 
destruktiven Regungen als grundlegendes Entwicklungshindernis. Bei Dick 
lag eine absolute Unfähigkeit zu jeder Aggression vor, deren Grundlage 
sich schon so früh in seiner Abneigung gegen das Zerbeißen von Nahrung 
dokumentiert hatte. Im Alter von vier Jahren vermochte Dick Schere, 

Messer, Werkzeuge nicht festzuhalten und zeigte auch eine ungewöhnliche 
Ungeschicklichkeit in allen Bewegungen. Die Abwehr gegen die sadistischen 
mit den Koitusphantasien verbundenen Regungen gegen den Mutterleib 
und dessen Inhalt hatten zur Einstellung der Phantasien, — zum Stocken 
der Symbolbildung geführt. Dicks weitere Entwicklung war daran ge¬ 
scheitert, daß er die sadistische Beziehung zum Mutterleib in der Phantasie 
nicht herzustellen vermochte. 

Die ungewöhnliche Schwierigkeit, vor die mich Dicks Analyse stellte, 
war nicht die mangelnde Sprachfähigkeit. Die Spieltechnik, die den symbo¬ 
lischen Darstellungen des Kindes folgend, den Zugang zu Angst und Schuld“ 
gefühl eröffnet, vermag der Assoziationen durch das Wort weitgehend zu 
entraten. Diese Technik beruht aber auch nicht etwa nur auf der Analyse 
des Spieles, sondern kann — wie das bei spielgehemmten Kindern 
geschieht, — das Material auch aus der Symbolik, die sich in den Einzel¬ 
heiten des allgemeinen Verhaltens des Kindes offenbart, erschließen.^ Bei 
Dick mangelte es aber an der Entwicklung der Symbolik. Dies ging zu¬ 
nächst aus dem Mangel einer Affektbeziehung zu den Dingen hervor, die 
ihm nahezu alle gleichgültig waren. Er besaß fast kein spezielles Ver¬ 
hältnis zu bestimmten Gegenständen, wie das sonst auch bei schwer ge- ,■ 

hemmten Kindern der Fall ist. Zufolge der mangelnden affektiven und | 

symbolischen Beziehung zu den Dingen hatten etwaige Handlungen, die H 


1) Dies bezieht sich nur auf die Ingangsetzung und auf Teilstrecken der Analyse. |] 

Ist aber erstmals der Zugang zum Ubw eröffnet und eine Verringerung von Angst- 1 

Quantitäten eingetreten, so setzen nach und nach in der Analyse (u. zw. Hand in (1 

Hand mit der durch die analytische Arbeit bewirkten Ichentwicklung) die Spiel- J 

tätigkeit, die sprachlichen Assoziationen und alle anderen Mittel der Darstellung i 

in steigendem Ausmaße ein. 













Ö4 


Melanie Klein 


Dick mit ihnen vomahm, deshalb auch nicht den Phantasiegehalt, der 
ihnen den Charakter symbolischer Darstellungen gibt. Sein Mangel an 
Interesse für die Umwelt, die Schwierigkeiten der Verständigung mit ihm \ 
waren, wie ich an bestimmten Unterschieden in seinem Verhalten zu 
dem anderer Kinder erkennen konnte, — nur die Auswirkung der fehlen- i 

den symbolischen Beziehung zu den Dingen. Bei diesem, dem g r u n d- j 

legenden Hindernis für die Herstellung einer Verständigung hatte also j 

die Analyse einzusetzen. J 

Dick hatte, als ich ihn zur ersten Stunde von der Nurse übernahm, 
diese wie schon erwähnt — ohne jede Affektäußerung verlassen. Als | 

ich ihm die vorbereiteten Spielsachen zeigte, betrachtete er sie völlig j 

interesselos. Ich stellte dann einen größeren neben einen kleineren Zug j 

und benannte sie „Papa-Zug“ und „Dick-Zug“. Er nimmt hierauf den i 

kleineren, von mir Dick benannten Zug, läßt ihn zum Fenster fahren und i 

sagt „Station“. Ich erkläre: „Station ist Mutti, — Dick fährt in die Mutti“. — 

Er läßt hierauf den Zug sein, läuft zu dem durch die Doppeltüren des 
Zimmers gebildeten Zwischenraum, schließt sich dort ein, sagt dabei 
„dunkel“, läuft gleich wieder von dort heraus und wiederholt dieses Vor- j 
gehen einige Male. Ich erkläre „Dunkel in Mutti, Dick ist in dunkler 
Mutti“. Dazwischen nimmt er wieder den Zug auf, flüchtet aber bald | 
wieder in den Türzwischenraum. — Während meiner Erklärung, daß er i 
in die dunkle Mutter gehe, — sagt er zweimal fragend: „Nurse?“ Ich j 

erwidere: „Nurse is soon coming“. (Nurse wird bald kommen), was er j 

wiederholt, auch später richtig anwendet und beibehält. — In der nächsten ' 

Stunde wiederholt er das Gehaben der ersten Stunde. — Er läuft nun | 

aber ganz aus dem Zimmer hinaus in den dunklen Flur. Auch legt er i 

den mit Dick benannten Zug in diesen Vorraum und will, daß er dort ! 

bleibe. Wiederholt fragt er dabei: Nurse coming? (Kommt Nurse?) — ' 

In der dritten Stunde zeigt er das gleiche Verhalten, nun aber flüchtet i 

er außer in den Flur und den Türzwischenraum auch in die Ecke hinter i 

^^o^^ode, wobei er ängstlich ist und mich zum erstenmal zu sich ! 

ruft. Er fragt wiederholt mit nun deutlich erkennbarer Ängstlichkeit nach ! 

der Nurse, die er, als die Stunde vorüber ist, in ganz ungewohnter Weise \ 

freudig begrüßt. Mit dem Hervortreten von Angst hatte also auch das I 

Anlehnungsbedürfnis zuerst an mich, dann auf die Nurse eingesetzt, ‘ 

zugleich aber auch das Interesse für meine zur Beruhigung verwendeten i 

Worte, denn — abweichend von seinem sonstigen Verhalten — hatte er i 

ja meine Worte „Nurse is soon coming“ nachgesprochen und auch behalten. ! 

Während dieser dritten Stunde aber hatte er auch die Spielsachen zum i 

erstenmal mit Interesse betrachtet, wobei zugleich auch eine aggressive ’ 



















































































Die Bedeutung der Symbolbildung für die Idientwiddung 65 

Regung hervortrat. Er sagte, auf einen kleinen Kohlenwagen deutend: 

Schneiden.“ Ich gab ihm eine Schere und er versuchte an den schwarzen^ 
Kohle darstellenden Holzstückchen zu kratzen, konnte aber die Schere 
nicht halten. Auf einen Blick von ihm schnitt ich diese Holzstückchen 
aus dem Wagen heraus, wonach Dick den beschädigten Wagen und dessen 
Inhalt in die Schublade warf und sagte d. i. „weggegangen“. 

Ich deute ihm den Vorgang dahin, daß Dick aus der Mutter Stuhl 
herausschneide. Hierauf läuft er in den Türzwischenraum, kratzt ein wenig 
mit den Nägeln an der Türe, zeigt also die Identifizierung von Tür¬ 
zwischenraum mit dem Wagen und beider mit dem Mutterleib, den er 
angreift. Er läuft gleich wieder aus dem Türzwischenraum heraus, ent¬ 
deckt den Schrank und kriecht hinein. — Zu Beginn der nächsten Stunde 
weint Dick, als die Nurse ihn verläßt — ein bei ihm ungewöhnliches 
Verhalten, er beruhigt sich aber bald. Er vermeidet diesmal Türzwischen¬ 
raum, Schrank und Ecke, beschäftigt sich aber eingehender und mit deut¬ 
lich einsetzender Wißbegierde mit dem Spielzeug. Er stößt hierbei auf 
den in der letzten Stunde beschädigten Wagen und dessen Inhalt, schiebt 
beides schnell beiseite und verdeckt es mit Spielzeug. Nach meiner Deutung» 
daß der beschädigte Wagen die Mutter vorstelle, sucht er den Wagen und 
die Kohlenstückchen wieder hervor und trägt sie in den Türzwischenraum, 
Der Fortgang der Analyse erwies, daß dieses Hinauswerfen die Ausstoßung 
darstellte und sowohl dem beschädigten Objekt, wie dem eigenen Sadis¬ 
mus resp. dessen Mitteln galt, der auf diese Weise in die Außen¬ 
welt projiziert wurde. Dick hatte auch das Waschbecken als Symbol des 
Mutterleibes entdeckt und eine außerordentliche Angst vor dem Benäßt- 
werden durch Wasser trat hervor. Er wischte das W^asser von seiner und 
meiner Hand, die er auch ins Wasser getaucht hatte, ängstlich weg und 
zeigte gleich hernach dieselbe Angst beim Urinieren. Urin und Stuhl be¬ 
deuteten beschädigende, gefährliche Stoffe für ihn.^ 


1) Auf diese Art klärte sich auch eine Ängstlichkeit besonderer Art auf, die der 
Mutter an Dick zuerst im Alter von etwa fünf Monaten und später auch wieder von 
Zeit zu Zeit aufgefallen war. Das Kind hatte einen sehr ängstlichen Gesichtsausdruck 
beim Defäzieren und Urinieren. Da der Stuhl nicht hart war, scheint auch der Um¬ 
stand, daß Prolapsus und Hämorrhoiden vorliegen, keine genügende Erklärung für 
diese Ängstlichkeit, zumal sie auch beim Urinieren in gleicher Weise hervortrat. In 
der Analysenstunde steigerte sich die Angst dermaßen, daß, wenn Dick das Bedürfnis 
äußerte, zu urinieren oder zu defäzieren, er dies (u. zw. gleicherweise beim Uri¬ 
nieren wie beim Defäzieren) erst nach langem Zögern mit Anzeichen schwerer Angst 
und mit Tränen in den Augen tat. Nach der Analyse dieser Angst veränderte sich 
sein Verhalten beim Urinieren und Defäzieren weitgehend und ist mm nahezu ein 
ganz normales. 

Int. Zeitachr. f. Psychoanalyse, XVI/i 


5 










66 


Melanie Klein 


Es erwies sich, daß ihm Stuhl, Urin, Penis in der Phantasie als Angriffs- i 
Objekte gegen den Mutterleib dienten und deshalb auch als beschädigend | 
für ihn selbst empfunden wurden. Diese Phantasien hatten Anteil an der j 
Angst vor dem Leibesinhalt der Mutter, insbesonders vor dem im Mutterleib ! 
phantasierten Penis des Vaters, den wir — zugleich mit sich verstärkender | 
Aggression gegen denselben — in zahlreichen Darstellungen kennen lernten, i 
wobei die Begierde, den Penis zu fressen und zu zerstören, hervortrat. Dick j 
führte z. B. ein Spielmännchen zum Munde, knirschte mit den Zähnen ; 
und sagte: „Tea daddy^^ damit meinte er:' „Essen Papa“, worauf er j 

Wasser zu trinken verlangte. Die Introjektion des väterlichen Penis erwies i 

sich mit der Angst vor diesem, — als einem primitiven beschädigenden | 
Über-Ich und mit der Angst vor der Strafe seitens der beraubten Mutter, — | 

also mit der Angst vor den äußeren und introjizierten Objekten verbunden. I 
Hiebei trat die früher von mir erwähnte, für diese Entwicklung bestimmende, | 
zu frühe Wirksamkeit der genitalen Stufe darin hervor, daß solche 
Darstellungen nicht nur von Angst, sondern auch von Reue, Mitleid und 
dem Bedürfnis, gut zu machen, gefolgt wurden. Dick legte dann diese 
Männchen auf meinen Schoß oder in meine Hand, tat alle Dinge in die 
Schublade zurück usw. Die frühe Wirksamkeit der von der genitalen j 

Stufe ausgehenden Reaktionen, die eine Folge zu früher Ichentwicklung | 

war, hatte diese selbst aber nur gehemmt. Diese frühe Identifizierung ! 

mit dem Objekt konnte noch nicht mit der Realität in Beziehung gebracht 
werden. So z. B. sagte Dick, als er einige Holzstückchen vom Bleistiftspitzen 
auf meinem Schoß sah: „Arme Frau Klein.“ Er sagte aber ebenso bei 
einer ähnlichen Gelegenheit „armer Vorhang“. Nebst der Unfähigkeit, 
Angst zu ertragen, wurde diese zu frühe Einfühlung ein bestimmender 
Faktor zur Abwehr aller destruktiven Regungen. Dick hatte die Absperrung 
von der Realität und der Phantasietätigkeit durchgeführt, indem er Zuflucht 
in den Phantasien eines dunkeln, leeren, unbestimmten Mutterleibes fand. 
Damit war es ihm geglückt, seine Aufmerksamkeit auch von den einzelnen 
Dingen in der Außenwelt, die den Inhalt des Mutterleibes, nämlich Penis, 
Exkremente, Kinder repräsentierten — abzuziehen. Den eigenen Penis als 
Organ des Sadismus — und die eigenen Exkremente sollten als gefährlich 
und aggressiv entfernt, resp. negiert werden. 

Es war in der Analyse von Dick gelungen, den Zugang zum Unbewußten 
herzustellen, indem ich mich mit den vorhandenen Ansätzen der Phantasie¬ 
tätigkeit und Symbolbildung in Verbindung setzte. Daraus folgte eine 
Verminderung der latenten Angst, die das Manifestwerden von Angst¬ 
quantitäten ermöglichte. Damit aber wurde die Verarbeitung dieser Angst 
mittels der symbolischen Beziehung zu Dingen und Objekten eingeleitet und 





















































































Die Bedeutung der Symbolbildung für die Idientwidslung 67 

zugleich wurden Wißtrieb und Aggression aktiviert. Jeder Schritt vorwärts war 
von der Auslösung neuer Angstquantitäten gefolgt und führte zur teilweisen 
Abwendung von Dingen, mit denen die affektive Beziehung schon hergestellt 
war und die so zu Arigstohjekten geworden waren. Diese Abwendung war 
von der Zuwendung zu neuen Objekten begleitet, wobei die Aggression 
und der Wißtrieb sich wieder zu diesen neuen affektiven Beriehungen 
gesellten. So z. B. mied Dick eine Zeitlang vollständig den Schrank, 
beschäftigte sich aber eingehend mit dem Waschbecken und dem elektrischen 
Ofen, die er in allen Teilen untersuchte, wobei sich wieder Zerstörungs¬ 
absichten gegen diese Gegenstände zeigten. Als er dann sein Interesse von 
Ofen und Waschbecken ab zu neuen Dingen, aber auch wieder zu schon 
bekannten und wieder aufgegebenen Dingen wendete und er sich neuerlich 
mit dem Schrank beschäftigte, war dieses neuerliche Interesse von einer 
viel stärkeren Aktivität, Wißbegierde und Aggression in allen Formen 
begleitet als vorher. Er schlug mit einem Löffel auf den Schrank ein, 
kratzte und schnitt mit dem Messer daran, bespritzte ihn mit Wasser. 
Er untersuchte nun lebhaft die Türangeln, das Funktionieren der Türe, 
des Schlosses usw., kletterte von innen hinauf und forschte auch 
den Bezeichnungen der einzelnen Teile nach. So vergrößerte er gleichzeitig 
mit diesen sich entwickelnden Interessen seinen Wortschatz, denn nun 
nahm er, — u. zw. im Zusammenhang mit dem fortschreitenden Interesse 
für die Dinge die zugehörigen Worte auf, die er früher gehört und nicht 
beachtet hatte, und nun behielt er sie und wendete sie auch richtig an. 

Hand in Hand mit diesen sich entwickelnden Interessen und einer sich 
verstärkenden Übertragung auf mich setzte auch die vorher unterbliebene 
Objektbeziehung ein. Es hat sich in diesen Monaten ein zärtliches, nor¬ 
males Verhältnis zur Mutter und Nurse entwickelt; er verlangt nun nach 
ihrer Anwesenheit, wünscht, daß sie sich mit ihm beschäftigen, und ist 
betrübt, wenn sie ihn verlassen. Auch zum Vater besteht nun eine Be¬ 
ziehung, die wachsende Anzeichen der normalen Ödipuseinstellung zeigt 
und auch eine sich verstärkende Objektbeziehung im allgemeinen. Der 
früher fehlende Wunsch nach Verständigung hat voll eingesetzt. Dick 
trachtet, sich mit Hilfe seines noch immer geringen, aber wachsenden 
Wortschatzes zu verständigen, und ist eifrig bestrebt, ihn zu vergrößern. 
Auch die Herstellung der Realitätsbeziehung ist, wie an zahlreichen An¬ 
zeichen erkennbar ist, angebahnt worden. 

Die Behandlung umfaßte bisher sechs Arbeitsmonate und die in dieser 
Zeit in allen fundamentalen Punkten angebahnte Entwicklung läßt eine 
günstige Prognose als berechtigt erscheinen. Einige in diesem Fall sich 
ergebende Probleme besonderer Art haben sich als lösbar erwiesen. Es war 


5* 











68 


Melanie Klein 


möglich, mit Hilfe weniger Worte eine Verständigung zu erzielen, es war 
möglich hei dem ganz affekt- und interesselosen Kinde Angst zu aktivieren, 
und es war ferner auch möglich, die Angst schrittweise wieder aufzulösen 
und so zu dosieren. Hier möchte ich betonen, daß ich in diesem Falle 
eine Modifizierung meiner sonstigen Technik vorgenommen habe. Im alF 
gemeinen deute ich das Material erst dann, wenn es in mehrfacher Dar¬ 
stellung zum Ausdruck gekommen ist. In diesem Falle hingegen, wo die 
Darstellungsfähigkeit fast vollständig fehlte, sah ich mich genötigt, auf 
Grund meiner allgemeinen Kenntnisse auf relativ vage Darstellungen hin 
zu deuten. Indem ich so den Zugang zum Unbewußten fand, gelang es 
mir, Angst und Affekte zu aktivieren. Durch die zugleich damit einsetzen¬ 
den reicheren Darstellungen gewann ich bald eine festere Basis für die 
Analyse und konnte so allmählich zur üblichen Technik der Frühanalyse 
übergehen. 

Ich habe früher beschrieben, auf welche Weise es gelang, durch Ver¬ 
minderung der latenten Angst ihr Manifest werden zu ermöglichen. Die 
auftretende Angst wird z. T. durch die Deutung aufgelöst, zugleich aber 
eine bessere Art der Angstverarbeitung ermöglicht, indem sie auf immer 
neue Dinge und Interessen verteilt wird; hierdurch tritt eine Abschwächung 
der Angst ein, die sie für das Ich erträglich macht. Ob mit Hilfe dieser 
Dosierung das Ich fähig werden kann, normale Quantitäten von Angst zu 
ertragen und zu verarbeiten, kann nur durch den weiteren Verlauf der Be¬ 
handlung erwiesen werden. Es handelt sich also in diesem Fall darum, 
durch die Analyse einen grundlegenden Entwicklungsfaktor zu verändern. 

Bei diesem Kinde, das sich nicht verständigen konnte, und bei dem 
eine Beeinflussung des Ich nicht möglich war, war der Versuch, sich den 
Zugang zum Unbewußten zu verschaffen und durch Verminderung der 
unbewußten Schwierigkeiten die Entwicklung des Ich anzubahnen, die 
einzige Möglichkeit einer Analyse. Der Zugang zum Unbewußten ging 
selbstverständlich auch in diesem Falle wie in jedem über das Ich. Es 
erwies sich hiebei, daß selbst dieses so mangelhaft entwickelte Ich aus¬ 
reichend war, um die Verbindung mit dem Unbewußten herzustellen. 
Theoretisch bedeutsam scheint mir daran auch, daß es in einem so extre¬ 
men Falle, bei dem das Ich so mangelhaft entwickelt war, gelang, sowohl 
j ! die Ichentwicklung wie die libidinöse Entwicklung nur durch die Analyse 
I der unbewußten Konflikte ohne jedwede erzieherische Beeinflussung des Ich 
! herbeizuführen. Es scheint einleuchtend, daß, wenn selbst dieses mangel¬ 
haft entwickelte Ich eines Kindes, das überhaupt keine Realitätsbeziehung 
besaß, die mit^ Hilfe der Analyse bewirkte Aufhebung von Verdrängungen 
ertragen kann, ohne vom Es überwältigt zu werden, es nicht zu befürchten 
























































Die Bedeutung der Symbolbildung für die Ichentwiddung 


69 


ist daß bei neurotischen Kindern, also in sehr viel weniger extremen Fällen, 
das Es das Ich überwältigen könnte. Es ist auch bemerkenswert, daß der 1 
erzieherische Einfluß der Umgehung, der früher wirkungslos abprallte, nun, i 
da zufolge der Analyse die Ichentwicklung fortschreitet, in steigendem 1 
Maße an Wirkung gewinnt, — mit den durch die Analyse mobilisierten 
Triebregungen Schritt halten kann und vollauf genügt. 

Ich habe nun auch noch auf die Frage der Diagnose einzugehen. 
Kollege Dr. Forsyth hat in diesem Falle die Diagnose Dementia praecox 
gestellt und den Versuch einer Analyse für angebracht gehalten. Für diese 
Diagnose spricht der Umstand, daß das Bild, das der Fall bot, mit dem 
Bilde einer fortgeschrittenen Dementia praecox Erwachsener in vielen 
wesentlichen Punkten übereinstimmte. — Es bestand— um es hier noch¬ 
mals zusammenzufassen — eine fast vollständige Affekt- und Angstlosigkeit, 
eine sehr weitgehende Abziehung von der Realität und Unzugänglichkeit, 
das Fehlen eines gemütlichen Rapportes, negativistisches Verhalten ab¬ 
wechselnd mit Anzeichen von Befehlsautomatie, Gleichgültigkeit gegen 
Schmerz, Perseveration, also Symptome, die für die Dementia praecox 
charakteristisch sind. Für die Diagnose Dementia praecox spricht ferner 
der Umstand, daß eine organische Erkrankung sich mit Sicherheit aus¬ 
schließen läßt, erstens durch den Befund von Dr. Forsyth, zweitens durch 
die Beeinflußbarkeit des Falles durch eine psychische Behandlung. Eine 
Psychoneurose ist in diesem Falle, wie mir die Analyse erwiesen hat, mit 
Sicherheit auszuschließen. 

Gegen die Diagnose Dementia praecox spricht der Umstand, daß im 
wesentlichen eine Entwicklungshemmung und keine Regression vorliegt, 
ferner die überaus große Seltenheit der Dementia praecox im frühen Kindes¬ 
alter, die viele Psychiater zu der Auffassung veranlaßt, eine Dementia praecox 
im frühen Kindesalter nicht anzuerkennen. 

Ich enthalte mich der Stellungnahme zur Frage der Diagnose vom 
Standpunkt der klinischen Psychiatrie. Hingegen kann ich, auf meine all¬ 
gemeinen analytischen Erfahrungen an Kindern gestützt, einige Bemerkungen 
genereller Art über die Psychose im Kindesalter machen. Ich kam zur 
Überzeugung, daß die Schizophrenie im Kindesalter sehr viel häufiger ist, 
als gewöhnlich angenommen wird. Von den Gründen, warum dies im all¬ 
gemeinen nicht erkannt wird, führe ich einige an. l) Die Eltern, insbe¬ 
sondere die der ärmeren Schichten, wenden sich meistens nur in ver¬ 
zweifelten Fällen, — wenn sie sich mit dem Kinde gar nicht mehr helfen 
können — an den Psychiater. Auf diese Weise entzieht sich eine beträchtliche 
Anzahl von Fällen der ärztlichen Beobachtung. 2) Bei den Fällen, die der 
Arzt zu sehen bekommt, ist er auf Grund einer flüchtigen Beobachtung 




U/V'v 















70 Melanie Klein 

häufig nicht imstande, die Schizophrenie festzustellen. So werden viele Fälle 
dieser Art unter unbestimmteren Bezeichnungen, wie „Entwicklungshemmung, 
Psychopathie, Verwahrlosung, (Asoziale)Debilität“usw., zusammengefaßt. Vor 
allem aber ist die Schizophrenie im Kindesalt^r undurchsichtiger und unauf¬ 
fälliger als beim Erwachsenen. Züge, die für die Schizophrenie charakte¬ 
ristisch Sind, fallen beim Kinde weniger auf, weil sie in geringerem Aus¬ 
maße zur Entwicklung des normalen Kindes gehören. So fallen auch eine 
starke Realitätsabsperrung, mangelnder gemütlicher Rapport, Unfähigkeit 
zu ausdauernder Beschäftigung, läppisches Verhalten und Unsinnreden beim 
Kinde weniger auf und werden auch anders gewertet als beim Erwachsenen. 
Die Überbeweglichkeit und die Bewegungsstereotypien sind beim Kinde 
eine überaus häufige Erscheinung und unterscheiden sich nur durch ihr 
Ausmaß von der Hyperkinese und den Stereotypien des Schizophrenen. 
Befehlsautomatie muß schon in sehr starkem Ausmaße vorliegen, um von 
den Eltern als etwas anderes als „Folgsamkeit“ angesehen zu werden. 
Negativistisches Verhalten wird meistens als „Ungezogenheit“ betrachtet 
und die Dissoziiertheit ist ein Phänomen, das beim Kinde meist überhaupt 
nicht bemerkt wird. — Daß die phobische Angst des Kindes oft schwere 
Verfolgungsideen paranoischen Charakters* und hypochondrische Befürch¬ 
tungen enthält, ist nur bei geschärfter Beobachtung, oft auch nur durch 
die Analyse festzustellen. Noch häufiger als Psychosen liegen psychotische 
Züge bei Kindern vor, die — unter ungünstigen Umständen — später 
zur Erkrankung führen. 

Ich meine also, die vollentwickelte Schizophrenie im Kindesalter ist 
häufiger und insbesondere ist das Vorkommen schizophrener Züge eine viel 
allgemeinere Erscheinung, als gewöhnlich angenommen wird. Ich bin auch 
zur Überzeugung gekommen, die ich an anderer Stelle ausführlich begründen 
werde, — daß der Begriff der Schizophrenie (im besonderen und der Psychose 
im allgemeinen) im Kindesalter einer Erweiterung bedarf, und sehe eine 
der vornehmsten Aufgaben der Kinderanalyse in der Aufdeckung und 
Heilung der Psychosen im Kindesalter. Die dabei sich ergebenden theo¬ 
retischen Erkenntnisse dürften einen Beitrag zur Kenntnis der Struktur 
der Psychosen liefern und auch dazu verhelfen, die diagnostische Abgrenzung 
der einzelnen Erkrankungen gegen einander zuverlässiger zu gestalten. 

Im Sinne der von mir vorgeschlagenen Erweiterung halte ich es für 
begründet, den Fall von Dick als zur Schizophrenie zugehörig zu betrachten. 
Sein Fall unterscheidet sich allerdings von der typischen Schizophrenie 


1) S. auch meine Arbeit „Die Rollenbildung im Kinderspiel“. Diese Zeitschr., 
Bd. XV (1929). 




















































































•m Kindesalter dadurch, daß bei ihm eine Entwicklungshemmung vorlag, 
!^hrend es in den meisten Fällen zu einer Regression nach einem Stuck 
slhon vollzogener Entwicklung kommt ferner trägt auch die Schwere 
des Falles zur Ungewöhnlichkeit des Bildes bei. Trotzdem aber habe ich 
G^rund anzunehmen, daß auch dieser Fall nicht vereinzelt dasteht, — da 
ich in letzter Zeit zwei analoge Fälle (ungefähr im gleichen Alter wie 
Dick stehend) kennen lernte. Die Annahme liegt also nahe, daß bei 
geschärfterem Blick die Kenntnis auch solcher Fälle sich vergrößern dürfte. 

Ich fasse nun meine theoretischen Ergebnisse zusammen, denen außer 
dem hier vorgetragenen Fall auch noch einige andere weniger extreme 
Fälle von Schizophrenie von Kindern im Alter zwischen fünf und dreizehn 
Jahren und meine allgemeinen analytischen Erfahrungen zugrunde liegen. 

Die Frühstadien des Ödipuskonfliktes stehen unter der Vorherrschaft 
des Sadismus. Sie fallen in eine Entwicklungsphase, die durch den oralen 
Sadismus eingeleitet wird, zu dem der urethrale Sadismus, der Muskel¬ 
sadismus und der anale Sadismus sich gesellen, und finden mit der Vor¬ 
herrschaft des analen Sadismus ihren Abschluß. 

Die Abwehr gegen die libidinösen Triebregungen tritt erst in den 
späteren Stadien des Ödipuskonfliktes hervor, in den Frühstadien des 
Ödipuskonfliktes wendet sie sich gegen die mit den libidinösen Trieb- 
regungen legierten destruktiven Triebe. Die früheste Abwehr des 
Ich richtet sich gegen den eigenen Sadismus und das angegriffene 
Objekt als Gefahr quellen, und trägt noch einen gewaltsamen, von dem 
Mechanismus der Verdrängung abweichenden Charakter. Diese gewaltsame 
Abwehr gegen den Sadismus richtet sich beim Knaben auch gegen den 
eigenen Penis als Exekutivorgan des Sadismus und ist eine der tiefsten 
Quellen aller Potenzstörungen. 

Ich lasse nun diesen auf die Entwicklung des Normalen und des Neurotikers 
bezüglichen Aufstellungen die folgen, die sich auf die Genese der Psychosen 
beziehen. 

Den ersten, die gewaltsamen Angriffe beinhaltenden Abschnitt der 
Phase der Höchstblüte des Sadismus habe ich als die Fixierungsstelle für 
die Dementia praecox, den zweiten, die vergiftenden Angriffe bein 
haltenden und unter der Vorherrschaft der urethral- und analsadistischen 

i) Die Tatsache, daß es der Analyse in verhältnismäßig so kurzer Zeit gelang, 
eine Verständigung herzustellen und ein Stück Entwicklung zu erzielen, läßt es 
allerdings als möglich erscheinen, daß schon vorher nebst der erkennbaren gering¬ 
fügigen Entwicklung auch noch ein Stück latenter Entwicklung bestanden habe. 
Aber selbst unter dieser Voraussetzung war die bei Dick vorliegende Entwicklung 
eine so abnorm geringe, daß es kaum angängig ist, hier eine Regression nach schon 
vollzogener Entwicklung anzunehmen. 















72 Melanie Klein; Die Bedeutung der Symbolbildung für die Idientwiddung 

Tnebregungen stehenden Abschnitt dieser Phase habe ich als die Fixierungs¬ 
stelle der Paranoia kennen gelernt.* Ich verweise auf die Feststellung 
Abrahams, daß bei der Paranoia die Libido auf die frühere anale Stufe 
regrediert. Meine Ergebnisse stehen auch in Einklang mit den Aufstellungen 
Freuds, nach denen die Fixierungsstellen für die Dementia und Paranoia 
im narzißtischen Stadium liegen und die Fixierungsstelle für die Dementia 
der der Paranoia vorausgeht. 

Die übermäßige und zu frühe Abwehr des Ich gegen den Sadismus 
unterbindet die Herstellung der Realitätsbeziehung und den Ausbau der 
Phantasietatigkeit. Indem die weitere sadistische Aneignung und Erforschung 
des Mutterleibes wie auch die der Außenwelt — als eines Mutterleibes 
im weiteren Sinne — zum Stocken gelangt, wird die symbolische Beziehung 
mit den den Inhalt des Mutterleibes repräsentierenden Dingen und Objekten 
und damit zur Umwelt und zur Realität mehr oder weniger weitgehend 
eingestellt. Diese Zurückziehung wird zur Grundlage für die bei der 
Dementia praecox vorliegende Affekt- und Angstlosigkeit. Bei der Dementia 
praecox würde also die Regression bis zurück zu der frühen Entwicklungs¬ 
phase erfolgen, in der die in der Phantasie unternommene sadistische 
Aneignung und Zerstörung des Mutterleibes und die Herstellung der 
Realitätsbeziehung aus Angst unterbunden, resp. beeinträchtigt wurde. 


i) Das Material und die ausführlicheren Begründungen für diese Aufstellungen 
werde ich an anderer Stelle nachtrag^en. 




















































































Beziehungen des Unbewußten zur Funktion der 



Von 

Thomas M. F r e n c h 

Bloomingdale Hospital, New York 
Aus dem englischen Manuskript übertragen von Editha St er ha 


Das folgende Material stammt aus der Krankengeschichte eines dreißig¬ 
jährigen Mannes, der seit Anfang Dezember 1927 in Anadyse war. Die 
Analyse hatte im Verlaufe einer leichten Depression ohne Wahnideen ein¬ 
gesetzt, die während des Abklingens eines akuten Erregungszustandes aus¬ 
gebrochen war. Der Erregungszustand hatte vorwiegend manischen Charakter 
gehabt, war aber auf der Höhe deutlich schizoid gefärbt gewesen. 

Im Zusammenhang mit gewissen Details, die ich nunmehr vorlegen 
will, ist es bedeutsam zu wissen, daß 1919 eine nasale Infektion abge¬ 
laufen war, die eine Schwerhörigkeit des linken Ohres hinterlassen hatte. 

Ich will hier nur jene Anteile des analytischen Materials wiedergeben, 
die auf mein Thema Bezug haben. 

Am 13. April hatte der Patient nach einer Defäkation das Gefühl, als 
ob er hin und her schwanken würde. Anfangs erschreckte ihn die Emp¬ 
findung, später war das Gefühl eher so, als ob er etwas Komisches gesehen 
hätte. Er war dabei nicht schwindlig. Als Assoziation fielen ihm Ab¬ 
bildungen von Darmschlingen ein; daß er einmal einen masturbierenden 
Affen gesehen hatte; Schlangen, eine Schlange, die in seinen Mastdarm 
kroch und seinen ganzen Körper erschütterte, Sexualverkehr. 

Am 7. Mai, dreieinhalb Wochen später, brachte er einen zweiteiligen Traum: 

Er ist in einem gelben Landhaus an einem See, Seine Mutter kommt zu 
Besuch, Es sind zwei Betten da^ eines höher als das andere^ an angrenzen¬ 
den Wänden des Raumes stehend, so daß die Kopfenden der Betten einander 
gegenüberstehen. Der Patient kann sich nicht vorstellen, wie es unter diesen 
Umständen möglich sein wird, den nötigen Anstand zu wahren, wenn seine 
Mutter sich auszieht. 







74 


Thomas M. Frendi 


Dazu erinnert er, daß in früher Kindheit die Betten seiner Eltern und 
sein eigenes genau so gestanden haben wie im Traum, nur daß die Fu߬ 
enden einander gegenüberstanden. Im Alter von zwölf Jahren nahm ihn 
die Mutter in eine überfüllte Sommerfrische mit, wo er und die Mutter 
im gleichen Zimmer schlafen mußten. Er behauptete nun, einmal durch 
zwei Ratten geweckt worden zu sein, die auf seinem Gesicht miteinander 
rauften. Als er erwachte, sei die eine Ratte den einen, die andere den 
anderen Arm entlang davongelaufen. Er betont ebenso die Lebhaftigkeit 
dieses Erinnerungsbildes wie seine Überzeugung, daß es nicht ein Traum, 
sondern ein wirkliches Erlebnis war. 

Ich glaube, wir können annehmen, daß hier ein wirkliches Erlebnis 
dahintersteckt, aber das Wirkliche daran ist wohl früheren Datums. Dieses 
Nachtgespenst ist wohl eine recht wenig verhüllte Darstellung der Urszene. 
Die beiden Ratten sind seine Eltern, und die wahrscheinliche Annahme 
ist die, daß er, als er mit den Eltern im gleichen Zimmer schlief, einmal 
einen Geschlechtsverkehr beobachtet und ihn als einen Kampf aufgefaßt 
hatte. Als er dann im Alter von zwölf Jahren wieder mit der Mutter in 
einem Raum beisammen schlief, wurde diese Erinnerung wiederbelebt 
und in dem Traumgespenst lebendig. Der jetzige Traum verleugnet die 
Realität der Szene, indem er die Betten umstellt. 

Wir wollen nun zum zweiten Teil des Traumes kommen: 

Die Mutter des Patienten wird nun zu dessen Frau und er führt sie in 
einem Boot vom Landhaus aus auf den See. Im See ist eine Insel. Plötz¬ 
lich beginnt die Landschaft sich im entgegengesetzten Sinn des Uhrzeigers 
zu bewegen, wie ein Panorama, aber die einzelnen Szenen erscheinen in 
der Reihenfolge, als ob die Landschaft sich in umgekehrter Richtung be¬ 
wegte. Die Insel weicht dabei aus und der Patient zeigt seiner Frau einen 
Platz, wo er, sein Vater, seine Mutter und sein Bruder einmal ein Picknick 
abgehalten hatten. 

Der See, das Landhaus und der Picknickplatz entsprechen einer Örtlich¬ 
keit, wo der Patient wirklich mit Vater, Mutter und Bruder ein Picknick 
abgehalten hatte; im wirklichen See ist aber keine Insel. Die Insel hat 
im Traum die Form einer weiblichen Brust, Vom Picknickplatz aus wurde 
damals eine Photographie vom Patienten und seinem Bruder gemacht, in 
einem Boot, als ob sie ruderten, aber das Bild fiel ein wenig lächerlich 
aus, weil darauf deutlich zu sehen war, daß sie in Wirklichkeit völlig 
still gesessen hatten. Die sich drehende Landschaft erinnerte ihn an die 
schon berichtete Phantasie von der Schlange im Mastdarm, die seinen 
Körper zum Schwanken brachte. Er erinnert sich ferner an ein Gemälde 
der Schlacht von Waterloo und an einen Sketch, in dem Wellington eine 






































































Beziehungen des Unbewußten zur Funktion der Bogengänge 75 

Pfeife nach der andern aus dem Mund geschossen wird, worauf er sich 
immer wieder eine neue anzündet. Dem Patienten hatte man auch erzählt, 
daß nach Victor Hugo der Ausgang der Schlacht vom Kopfnicken eines 
Bauern abhängig war. Er erinnert sich auch an die Aussicht vom 
Fenster eines fahrenden Zuges, und an einen Kreisel, der durch Druck 
auf einen senkrecht stehenden Knopf in Bewegung gesetzt wurde. 

Hinter dem Patienten und etwas rechts von ihm, als er im Boot mit 
seiner Frau saß, war ein schmales, weißes Haus, mit der Aufschrift 
^Hobo’s Rest‘^^ Die Lage des Hauses entspricht räumlich der Stellung 
des Analytikers, der etwas rechts hinter dem Patienten sitzt. 

In diesem Traumteil sehen wir die traumatische Erinnerung an die 
Urszene in zweierlei Weise umgestaltet, wobei freilich die eine nicht mit 
der anderen übereinstimmt. 

1) An Stelle des unbeweglichen, schreckerfüllten Kindes voll Kastrations¬ 
angst ist er nun der große Wellington, der den Penis jederzeit ersetzt, 
wenn er ihm abgeschossen wird, und die ganze Schlacht „hängt von seinem 
Kopfnicken ab“. 

2 ) Der Patient hat jetzt die Mutter, während der Vater (Analytiker) 
sich in „Hobo’s Rest“ befindet. Es muß also bemerkt werden, daß es 
in beiden Fällen die hilflose Passivität gegenüber der Urszene ist, gegen 
die er sich auflehnt und die er überkompensiert. 

Was aber ist der Sinn der sich drehenden Landschaft? Zwei Gedanken 
drängen sich auf. Die rasche Bewegung der Landschaft ist zweifellos eine 
Darstellung der heftigen Bewegung in der Urszene. Wahrscheinlich spiegelt 
sich in der Verwirrung der Bewegungsrichtung die Bestürzung des Kindes 
über den ungewohnten Anblick wider. Wir haben allen Grund anzu¬ 
nehmen, daß er gleichzeitig erschrocken und neugierig war. Im Traum 
zeigt er seiner Frau einen früheren Picknickplatz, eine Geste, die deut¬ 
lich kompensatorisch für die unbefriedigte Neugier aus der früheren Szene 
eintritt. Außerdem: Bewegt sich nicht die Insel aus der Blickrichtung 
weg, damit er sehen kann? Es liegt auch noch ein tieferer Konflikt vor, 
der viel zu seiner Bestürzung beigetragen haben mag. Einige seiner Asso¬ 
ziationen zum Traum — die Phantasie von der Schlange im Mastdarm, 
der Kreisel mit dem Kopf zum Draufdrücken und das Bild von Wellington 
mit der Pfeife im Mund — weisen auf eine Identifizierung des Kindes 
niit der Mutter in ihrer passiven Rolle hin; aber die ganze Tendenz dieses 
Traumes ist eine heftige Zurückweisung dieses Wunsches zugunsten seines 
aktiven Narzißmus. Ein solcher Konflikt kann wohl als Ursache der Be¬ 
stürzung betrachtet werden. 


1) Ruhesitz des Vagabunden. 












76 


Thomas M. Frendi 


Aber warum ist die Verwirrung gerade durch eine rotierende Land¬ 
schaft dargestellt ? Der Patient vergleicht den Eindruck mit dem, den man 
beim Schauen aus einem fahrenden Zug gewinnt. Dies legt die Möglich¬ 
keit nahe, daß der Patient selbst es ist, der bewegt wird. Wir erinnern 
uns hier an die Versuche auf dem Drehstuhl zum Zwecke der Funktions¬ 
prüfung der Bogengänge. 

Die frühen Berichte der Literatur über die Richtung der Bewegung der 
umgebenden Gegenstände nach Drehstuhlversuchen widersprechen einander. 
Purkinje, Hering, Breuer und Hitzig berichten, daß die schein¬ 
bare Bewegung der Objekte entgegengesetzt ist jener, in der die Versuchs¬ 
person bewegt worden ist. Helmholtz behauptet andererseits, daß, 
wenn die Versuchsperson während der Drehung die Augen offen hatte, 
die postrotatorische scheinbare Bewegung der Objekte, die gewöhnlich in 
derselben Richtung erfolgt wie die Rotation, manchmal in entgegen¬ 
gesetzter Richtung abläuft; dagegen sei bei Rotation bei geschlossenen 
Augen die scheinbare Bewegung fast regelmäßig in entgegengesetzter 
Richtung erfolgt. Nach B d r a n y gibt es individuelle Unterschiede. Er 
stellt fest, daß bei gleichzeitigem Nystagmus mit der raschen Zuckung 
nach rechts (so wie er nach einer Drehung nach links auftritt) für manche 
Individuen die Objekte sich nach rechts zu bewegen scheinen, für andere 
vor und zurück, für wieder andere nach links und schließlich für wieder 
andere überhaupt nicht. Ewald beobachtete, daß eine Laterne sich in 
einer Richtung bewegt hätte und ein dahinter liegendes Haus in einer 
anderen. Eine Arbeit von Leiri scheint manches Widerspruchsvolle zu 
klären. Leiri setzte sich, nachdem er zehnmal rasch nach rechts gedreht 
worden war, rasch in einen Stuhl beim Fenster und fixierte dort eine 
Vase. Er konnte beobachten, daß die Vase sich nach links zu bewegen 
schien, d. h. in der entgegengesetzten Richtung als die, in der er selbst 
gedreht worden war; aber die Wand dahinter schien nach rechts zu gehen, 
also in der Richtung seiner eigenen Drehung. 

Leiri versucht ferner, diese Beobachtung mit dem postrotatorischen 
Nystagmus in Zusammenhang zu bringen. Dieser besteht, wie wohl be 
kannt, in einer raschen Zuckung der Augen in der der vorhergehenden 
Drehung entgegengesetzten Richtung und einer langsamen Bewegung iri 
der Richtung der vorhergehenden Drehung und entspricht weitgehend dem 
Nystagmus, der auftritt beim Versuch, nahegelegene Objekte vom Fenster 
eines fahrenden Zuges aus zu fixieren. Im Falle des Schauens aus dem 
Waggonfenster führt das Auge eine langsame Rückwärtsbewegung aus im 
Bestreben, dem Objekt nach rückwärts zu folgen, dann holt es durch eine 
rasche Bewegung, die in der Richtung des fahrenden Zuges erfolgt, den 











































































Beziehungen des Unbewußten zur Funktion der Bogengänge 


77 


durch das Zurückbleiben erlittenen Verlust wieder auf. Ein Vergleich 
weist auf einen Zusammenhang einerseits zwischen der langsamen Be¬ 
wegung des Nystagmus und der fixierenden Sehfunktion der macula lutea 
und andererseits zwischen der raschen Bewegung des Nystagmus und der 
unfixierten Sehtätigkeit der peripheren Retina hin. Dies entspricht genau 
Leiris Beobachtung, daß nach heftiger eigener Rechtsdrehung die 
fixierte Vase der langsamen Bewegung des postrotatorischen Nystagmus, 
die in diesem Falle nach rechts erfolgte, entsprechend nach links zu gehen 
schien, während die Wand dahinter, die nur mit der Peripherie der Retina 
gesehen wurde, sich entsprechend der raschen Zuckung des postrotatorischen 
Nystagmus, die nach links erfolgte, nach rechts zu bewegen schien. 

Nachdem ich die Beschreibung dieses Experimentes gelesen und es an 
mir selbst erprobt hatte, kam es mir in den Sinn, daß damit vielleicht 
ein neues Licht auf gewisse Einzelheiten in der Traumbeschreibung 
meines Patienten fallen könnte, die vorher ungenügend erklärt waren. Ich 
wiederhole die Beschreibung des Traumes, wie der Patient sie gab: 

Plötzlich heginnt die Landschaft sich im entgegengesetzten Sinn des Uhr¬ 
zeigers zu bewegen, wie ein Panorama, aber die einzelnen Szenen erscheinen 
in der Reihenfolge, als oh die Landschaft sich in entgegengesetzter Richtung 
bewegte. Die Insel weicht dabei aus. 

Ich bedauere es, daß diese Schilderung nicht genauere Einzelheiten 
enthält, so in bezug auf die Richtung der Bewegung der Insel, weil ich 
verabsäumt hatte, danach zu fragen, zu jener Zeit nicht bedenkend, daß 
es von theoretischer Bedeutung werden könnte; aber der Ausdruck „moved 
out of the way“ den der Patient für die Insel gebrauchte, deutet zumindest 
auf eine Bewegung entgegengesetzt der der umgebenden Objekte hin. Dies 
war auch der endgültige Eindruck, den die Erzählung bei mir hinterließ. 
Wenn dieser Eindruck richtig ist, dann entspricht die Beschreibung genau 
dem Eindruck, den man beim Patienten erwarten würde, wenn er knapp 
vorher nach links gedreht worden wäre und sofort nach dem Auf hören 
der Drehung die Insel fixiert hätte. Die Landschaft im ganzen bewegt 
sich nach links; die Insel ^geht aus dem Weg^^ nach rechts. Aber obwohl 
Landschaft und Insel sich in entgegengesetzter Richtung bewegen, findet 
keine Veränderung der relativen Lage der beiden zueinander statt, ein 
Phänomen, das dahingehend beschrieben wird, daß die Szenen der Land¬ 
schaft gerade in der entgegengesetzten Richtung auftauchen, als die Be¬ 
wegung es hätte erwarten lassen. Es sei daran erinnert, daß in den wissen¬ 
schaftlichen Arbeiten die Angaben über die postrotatorische scheinbaire 
Bewegung visuell apperzipierter Objekte verworren sind, und daß Versuchs¬ 
personen B a r d n y s die Bewegungen sogar als oszillatorische geschildert 













78 


Thomas M. Frendi 


haben. Es ist keineswegs unwahrscheinlich, daß die Empfindung des 
Patienten, es bestehe ein Widerspruch in der Bewegungsrichtung, einen 
individuellen Versuch darstellt, die subjektive Bewegungsempfindung, die 
aus der nystagmischen Oszillation der Augäpfel resultiert und der kein 
wirklicher Wechsel in der Relation der Positionen der Objekte entspricht, 
zu charakterisieren. 

Wenn wir aber eine Ähnlichkeit zwischen Traumbild und dem Zu¬ 
stand, der durch einen postrotatorischen Nystagmus bedingt wird, an¬ 
nehmen, was hilft uns diese Annahme zur Deutung des Traumes? Können 
wir annehmen, daß der Patient durch ein Sichumdrehen im Bett den 
Vestibularapparat ausreichend gereizt habe, um das gewöhnlich postrotatörisch 
auftretende Phänomen im Traumbild entstehen zu lassen? Und wenn das 
der Fall ist, wie steht das mit einer Reaktion auf die Urszene in sinn¬ 
voller Beziehung? 

Im meine, wir lassen diese Frage vorläufig unbeantwortet, bis wir 
anderes Material, das der Patient später brachte, diskutiert haben. 

Der folgende Traum wurde vom Patienten am i6. Mai gebracht, also 
neun Tage nach dem Traum, der den Gegenstand obiger Diskussion bildete. 
Der Patient hatte vorher mit der Phantasie von einer Prostituierten mastur¬ 
biert, mit der er das erste und einzige Mal in seinem Leben zu Beginn 
seines Erregungszustandes Geschlechtsverkehr hatte. Die Masturbation war 
gefolgt vom Antrieb, Selbstmord zu begehen durch Verschlucken von 
Stecknadeln, die im Bureau lagen. In der Nacht träumte er dann folgendes: 

Er ist auf einem Ozeandampfer. Obwohl das Wasser spiegelglatt ist, 
geht das Schiff auf und nieder. Der Patient geht nach vorne, um zu sehen, 
wie der Bug das Wasser schneidet, aber es ist nicht möglich, genug weit 
nach vorne zu gehen. Dann klettert er auf einen Mastkorb. Er hat ein Steuer¬ 
rad in der Hand und fühlt, daß er das Schiff steuert. Er fühlt eine 
freudige Erregung darüber, so viel Macht in der Hand zu haben. Dann 
kommt das Schiff in eine Stadt. Der Patient lenkt es durch die Straßen 
der Stadt und kann dabei über die Dächer der Häuser hinweg sehen. Ein¬ 
mal streift das Schiff ein rauchgeschwärztes Gebäude und prallt gegen die 
andere Seite ab. Er wendet sich an seinen Bruder (vier Jahre älter), der 
neben ihm steht. 

Dann steht er in der Straße, in der das Schiff war. Er sieht die Leute 
vorbeiströmen, als wäre es ein Strömen, verursacht durch den Dampfer, der 
gerade vorbeigefahren ist. 

Er gibt dazu folgende Assoziationen: Das strömende Volk erinnert ihn 
an Spermatozoen, die Durchfahrt des Schiffes durch die Straßen an den 
Koitus. Er erinnert sich an eine Ozeanreise, bei der das Wasser Spiegel- 





























































Beziehungen des Unbewußten zur Funktion der Bogengänge 


79 


glatt war, er aber eine von unten aufsteigende Strömung beobachten 
konnte Auf einer anderen Ozeanreise gab der Decksteward einem anderen 
gegen ein Trinkgeld bei der Auswahl der Deckstühle den Vorzug vor dem 
Patienten. Das ärgerte ihn während der ganzen Reise. Bei der Marine 
versuchte er einst in einen Mastkorb zu klettern, fand ihn aber ver¬ 
schlossen. Wenn er über den Ozean hinblickte, hatte er das Gefühl, daß 
er so klein und unbedeutend sei im Vergleich zur unermeßlichen Aus¬ 
breitung der Wasserfläche. Der Traum erinnert den Patienten ferner an 
seine zahlreichen Schiffsphantasien, die häufig seine Onanie begleiten. In 
diesen Phantasien malt er sich das Schiff oft sehr klein und eng aus. 

Es sei festgestellt, daß dieser Traum viele Merkmale des vorher be¬ 
sprochenen Traumes wiederholt. Der Patient ist wieder auf einem Schiff. 
Der Verkehr der Eltern ist in durchsichtiger Symbolik dargestellt und der 
Patient hat wiederum das Gefühl, daß er die ganze Kraftentfaltung lenkt. 
Andererseits ist das Gefühl seiner Hilflosigkeit und Nichtigkeit dies¬ 
mal ebenfalls deutlich ausgedrückt. Er fühlt sich so klein im Vergleich 
zum unermeßlichen Weltmeer. Die vergebliche Neugier, die im letzten 
Traum kompensiert war, ist nun direkt empfunden, dann überkompen¬ 
siert: Er klettert in den Mastkorb, den er in Wirklichkeit verschlossen 
gefunden hatte. In der Besprechung des anderen Traumes wurden wir 
dazu geführt anzunehmen, daß der Patient sich selbst als passiv bewegtes 
Objekt dargestellt habe. Im jetzigen Traum ist die passive Bewegung direkt 
dargestellt, aber gleichzeitig auch negiert. Das Boot geht auf und nieder, 
wiewohl das Wasser glatt ist. Endlich findet die sich drehende Landschaft 
eine Art Analogon im strömenden Volk, dessen Bewegungsursache das 
Schiff ist, und wir haben damit eine Verstärkung unserer Analogie mit 
dem postrotatorischen Effekt; denn hier ist ausdrücklich betont, daß die 
Strömung durch die Durchfahrt des Schiffes, auf dem der Patient fuhr, 
verursacht wurde. 

Ein anderer Punkt, der im vorigen Traum kaum angedeutet war, wird 
hier völlig klar. Der Patient ist auf einem Schiff, in einer Stadt; sein 
Bruder ist bei ihm, er sieht die Spermatozoen an sich vorbeiströmen. Wir 
haben es hier offenbar mit der Phantasie einer intrauterinen Koitus¬ 
beobachtung zu tun. Dies wirft neues Licht auf die passive Bewegung, 
die dem Patienten widerfährt. 

Zwölf Tage später, am 28. Mai, litt der Patient nachts an Übelkeit. 
Er träumte dabei, daß er versuchte^ sich von faserigem Tjeugy das an seiner 
Tjunge klebte^ zu befreien. 

Den Assoziationen nach entsprach die Zunge einem Penis sowie dem 
Kopf eines Lateinprofessors, der gerne obszöne Anspielungen machte und 











80 


Thomas M. Frendi 


später an einer Lähmung der Zunge erkrankte. Das Material der nächsten 
Tage brachte die Phantasie von einem Boot, in der sich deutlich der unbe¬ 
wußte Verdacht ausdrückte, daß der Analytiker sich allzusehr für die Frau des 
Patienten interessiere. In der nächsten Nacht war dem Patienten wieder 
schlecht und er träumte folgendes: 

Er befindet sich in einer Art chinesischem Flußdampfer, der in 
einen Küstenhafen einläuft. Die TFellen fegen steuerbords über Deck. Ein 
Chinese steht auf einem Sessel auf dem einzigen trockenen Fleck. Dann 
kommen einige chinesische Weiber, als ob sie vor einer Woge davonliefen. 
Das Boot schwankt, und der Patient fragt seine Frau, ob sie seekrank sei. 
Sie sagt „nein . Er beobachtet, wie das Boot das Wasser schneidet. Das 
Boot fährt knapp an einer roten Boje vorbei. 

Die Assoziationen waren folgende: Er erinnert sich an eine Seekrank¬ 
heit, die er auf einem „French“-Dampfer durchgemacht hat und die ihm 
schon im Zusammenhang mit dem Traum vom faserigen Zeug auf der 
Zunge eingefallen war. Er erinnert sich ferner an eine Reise auf einem 
chinesischen Flußdampfer, auf dem die Chinesen im Zwischendeck zu¬ 
sammengedrängt waren und bei der Landung ohne Umstände hinaus- 
getriehen wurden. Er erinnerte sich weiter an zahlreiche Stürme auf hoher 
See, besonders an einen Monsun, bei dem das Wasser furchtbar über 
Steuerbord ging, so daß er seekrank wurde. Die Boje erinnert ihn an 
einen nervösen Kapitän auf einem Flußdampfer, der beim Landungsversuch 
beinahe auf eine Ankerboje aufgefahren wäre. Der Chinese auf dem 
einzigen trockenen Fleck läßt ihn an sich selbst denken, wie er ohne 
Rücksicht auf seine Frau im Spital verbleibt. 

Dieser Traum ist in seinem latenten Sinn deutlich dem vorher be¬ 
sprochenen verwandt; aber der Ansturm der passiven Strebungen ist viel 
stärker und der männliche Narzißmus des Patienten verteidigt sich nun¬ 
mehr mit Hilfe organischer Symptome (Übelkeit), die er nun auch auf 
seine Frau zu projizieren versucht. Seine Wunschvorstellung, daß er 
selbst die Ursache der Bewegung sei, ist nunmehr nicht länger 
haltbar. Die beste Abwehr, die er jetzt aufbringen kann, ist, sich 
„auf den einzigen trockenen Fleck“ zu begeben. Es sei betont, daß die 
Übelkeit hier einen zweifachen Sinn hat: Erstens als Abwehr oraler, homo¬ 
sexueller Wünsche, zweitens kann die Seekrankheit als Abwehr der passiven 
Rotation, die hier wiederkehrt, aufgefaßt werden. Es ist von Interesse, daß 
die Wogen von rechts kommen und daher das Boot zu einer Drehung 
von rechts nach links veranlassen müssen. Es sei daran erinnert, daß der 
Traum von der rotierenden Landschaft auf eine vorhergegangene Drehung 
in der gleichen Richtung hinzuweisen schien. 


































































Beziehungen des Unbewußten zur Funktion der Bogengänge 


81 


In den nächsten zwei Monaten kam kein Material, das den Gegenstand 
unseres Interesses betraf, aber Mitte Juli brachte der Entschluß des Patienten, 
die Onanie einzustellen, Material, das die homosexuellen Triebregungen 
des Patienten ins Zentrum der Analyse rückte. Der Patient war in bezug 
auf die Existenz solcher Triebregungen äußerst skeptisch. Am 25. Juli 
berichtet der Patient von einer Phantasie, in der er Mädchen unterwies, 
sich dem Koitus ohne Widerstreben zu unterwerfen. Dann wurde das 
homosexuelle Material durch eine Periode von drei Tagen (26. bis 28. Juli) 
unterbrochen, während deren der Patient über Schwindel, Schwäche (wie 
er meinte, aus Hunger) und leichte Übelkeit klagte. 

Er erinnerte sich dann, daß er kurze Zeit vorher, als der Friseur seinen 
Kopf rasch von links nach rechts drehte, die Empfindung gehabt hätte, 
als ob der Raum und die Lichter in derselben Richtung liefen. Bei einer 
anderen Gelegenheit, als er auf seinem Ruhebett lag und sich umdrehte, 
hatte er sofort danach das Gefühl, als ob er sich in der entgegengesetzten 
Richtung drehe. In seiner Kindheit hatte er einmal geträumt, daß er an 
der rechten Bettkante liege und herauszufallen drohe. Er drehte sich nach 
links, um dieser Gefahr zu entgehen, und fiel tatsächlich aus dem Bett. 
Vor dieser Sitzung hatte der Patient sich drei Nächte hintereinander so zu 
Bett gelegt, daß er auf den Decken ]ag, war aber jedesmal von den 
Decken bedeckt aufgewacht. In der nächsten Nacht ertappte er sich 
dabei, wie er die Decke über sich zog, indem er sich herumrollte. Als 
Kind pflegte er sich um sich selber zu drehen, bis er schwindlig wurde 
und hinfiel. Dabei stellte er sich vor, daß er einen heroischen Tod erleide. 
Schließlich verbot ihm die Mutter dieses Spiel. Er schaukelte sehr gern 
auf einer Schaukel und tagträumte dabei, daß er erwachsen sei, Schiffs¬ 
reisen unternehme und darüber schreibe. Er saß auch oft unbeweglich in 
der Schaukel und stellte sich vor, daß der Raum sich um eine eiserne 
Achse drehe. Nachdem wir drei Tage solches Material besprochen hatten, 
durchbrach der Patient das erstemal nach siebzehn Tagen seine selbst auf¬ 
erlegte Onanieabstinenz. 

Aus dem Material geht deutlich hervor, daß der Patient eine unge¬ 
wöhnlich hohe Erregbarkeit der vestibulären Reflexe aufwies. Wenn der 
Friseur nur rasch seinen Kopf drehte, oder wenn er sich im Schlaf um¬ 
dreht, tritt derselbe Effekt ein, wie bei anderen Menschen nach wieder¬ 
holter Drehung. Der Reflexablauf selbst ist dabei von normalem Typus. 
Es sei daran erinnert, daß ein beträchtlicher Grad von Schwerhörigkeit 
im linken Ohr des Patienten seit einer nasalen Infektion von 1919 her 
vorhanden war. Eine Prüfung im April 1927, kui-ze Zeit vor der Auf¬ 
nahme in das Bloomingdale Hospital, fand die Luftleitung rechts etwas. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XVI/i 


6 










1 


82 Thomas M. Frendi 

links beträchtlich herabgesetzt. Eine tönende Stimmgabel an die Stirn ge¬ 
setzt, wurde links gehört. Die Bdrdnysehen Versuche ergaben, daß kein 
pathologischer Nystagmus vorlag und daß die Drehreaiktion normal war. 
Beide Trommelfelle erschienen normal. Die Schwerhörigkeit des Patienten 
beruht sonach offenbar auf einer Mittelohraffektion und nicht auf einer 
Erkrankung des Lab3rrinths. 

Gesteigerte Erregbarkeit des Vestibularapparates ist als gewöhnlicher 
Befund bei Neurosen beschrieben, in deren Symptomenkomplex Schwindel- 
zustande eine Bolle spielen. B d r a n y behauptet, daß „Neurasthenie“ 
besonders die Dauer des horizontalen Nystagmus nach Rotation in 
der Horizontalebene erhöht. Das Auftreten rotierender Bilder in Träumen 
von Patienten, die an nervösem Schwindel leiden, wurde von L e i d 1 e r 
und L o e w y beschrieben. Es ist dabei von Interesse, daß eine Reihe der 
Fälle von L e i d 1 e r und L o e w y ebenfalls von lustbetonten Phantasien 
und Spielen in Verbindung mit Reizung der Bogengänge berichten. 

Es ist damit also sichergestellt, daß unser Patient die Gewohnheit hat, 
sich im Schlaf umzudrehen und interessanterweise, soweit wir es beurteilen 
können, immer in derselben Richtung, und zwar von rechts nach links. Es 
sei daran erinnert, daß alles Traummaterial dieselbe Drehrichtung aufwies. 

Rückkehrend zum Traum von der rotierenden Landschaft, können wir 
jetzt kaum daran zweifeln, daß er eine Reaktion des Patienten auf eine 
Umdrehung im Schlaf in der Richtung von rechts nach links darstellt. 
Es bleibt die Frage: Wie paßt dies zum Sinn des Traumes? Der Traum 
stellt den Patienten dar, wie er seiner Frau einen früheren Picknickplatz 
zeigt, wo er einmal mit Vater, Mutter und Bruder war; aber die Analyse 
der Rotationsbewegung läßt den Schluß zu, daß er dabei in Wirklichkeit 
auf die Insel blickte. Kann diese Diskrepanz irgendwie beseitigt werden? 
Es sei daran erinnert, daß die Insel die Form einer weiblichen Brust hatte. 
Die Mutterbrust ist nun in der Tat ein Picknickplatz für das Kind. Insel 
und Picknickplatz sind also in ihrer unbewußten Bedeutung identisch. 

Der Sinn des Traumes ist nun klar. Der Traum stellt eine Reaktion 
auf die ürszene dar, nicht im Sinne einer Identifizierung mit Vater oder 
Mutter, sondern in Form einer Regression auf den Wunsch nach der 
Mutterbrust. 

Nun haben wir noch seine Umdrehung nach links zu deuten. Hier 
können wir eine neuere Beobachtung von Hoff zu Rate ziehen. Bei der 
Untersuchung der Tatsache, daß durch die Einwirkung von Medinal und 
Veronal sich oft eine völlige Ungleichheit der Reizbarkeit des Vestibular¬ 
apparates nach beiden Seiten zeigt, findet Hoff, daß die untersuchten 
Fälle, bei denen organische Erkrankungen des vestibulären und zerebellaren 






































































Beziehungen des Unbewußten zur Funktion der Bogengänge 


83 


Apparates ausgeschlossen werden konnten, in jedem Falle ständig auf der 
Seite schliefen, die dem stärker erregbaren Vestibularapparat entsprach. Er 
fand daß unter hundert organisch normalen Individuen annähernd 
70 Prozent nur in einer bestimmten Lage schlafen konnten, wobei, 
was für uns von hohem Interesse ist, viele von ihnen von dieser Tat¬ 
sache gar keine Kenntnis hatten, was dem Umstand zuzuschrfiben war, 
daß diese Lage oft erst eingenommen wurde, nachdem das I idividuum 
schon eingeschlafen war. Wenn die Versuchsperson durch mechanische 
Vorrichtungen gezwungen wurde, in einer anderen Lage zu schlafen, 
konnte sie nicht einschlafen. Nur durch Mittel, die außerordentlich starke 
Ermüdung erzeugten, gelang es in einigen Fällen, trotzdem Schlaf zu 
erreichen. Aber auch in diesen Fällen war der Schlaf sehr gestört und 
die Versuchsperson erwachte nach einigen Stunden und berichtete von 
Träumen, in denen sich Gegenstände um sich selbst gedreht hatten, oder 
daß andere Phänomene, die für den Vestibularapparat charakteristisch sind, 
aufgetreten waren. 

Kehren wir zu unserem Fall zurück: Die Tendenz des Patienten, sich 
nach links zu drehen im Verein mit den visuellen Erscheinungen, die so 
auftraten, wie sie zum Nystagmus mit der raschen Zuckung nach rechts 
gehören, weisen ziemlich eindeutig auf den rechten Vestibularapparat 
als den leichter erregbaren hin. In diesem Falle haben wir nach Hoffs 
Befunden zu erwarten, daß er auf der rechten Seite schlafe. Es wird dann 
durchaus verständlich, daß, wenn er sich im Schlaf umdrehte, das in der 
Richtung nach links erfolgte, denn dies war die einzig mögliche Richtung. 

Es bleibt die Frage offen, welches die psychologische Bedeutung der 
Drehung in Zusammenhang mit dem restlichen Traummaterial ist. Zwei 
Gedanken drängen sich hier auf. Vielleicht ist seine Drehung nach links 
selbst ein Bestandteil der Urszene. Nach der Beschreibung des Patienten 
von der relativen Lage der Betten erscheint es, daß das Bett der Eltern 
in der Richtung des Fußendes links vom Bett des Patienten stand. W^enn 
der Patient nun auf der rechten Seite lag, mußte er, um seine Eltern zu 
sehen, sich auf die linke Seite umdrehen. 

Eine zweite Möglichkeit steht damit nicht im Widerspruch. Vielleicht 
belebt er darin Erinnerungen daran, daß seine Mutter ihn zu sich gedreht 
hat, um ihm die Brust zu reichen. Der Traum wird dann verständlich 
als eine Verdichtung der beiden Erlebnisse, indem der wichtige affektive 
Gehalt der Urszene auf das eine charakteristische Merkmal, das mit der 
Erfahrung beim StillaJkt gemeinsam war, nämlich das Herumdrehen ver¬ 
knüpft mit der anscheinenden drehenden Bewegung der Objekte, ver¬ 
schoben wurde. 


6* 









84 


Thomas M. Frendhi 


Wir müssen in diesem Zusammenhang auch an die allgemeine 
symbolische Bedeutung von „rechts“ und „links“, die sich auch im 
Sprachlichen widerspiegelt, erinnern, nämlich auf den Zusammenhang 
zwischen rechter Körperseite und dem im moralischen Sinne Rechten. Die 
rechte Hand ist die, die die Kinder zu gebrauchen unterwiesen werden, 
und um „aufrecht“ gehen und stehen zu können, bedarf es einer ge¬ 
wissen Selbstbeherrschung, zu der die Eltern ebenso auffordern. Vielleicht 
ist deshalb die linke Seite leichter assoziiert mit einer Regression auf Er¬ 
innerungen, in denen das Individuum Objekt passiver Bewegung war. 

In Verbindung mit dieser Regression will ich noch einen anderen Punkt 
hervorheben. Das Spiel und die Phantasien, die ich oben erwähnt habe, 
machen es deutlich, daß nicht nur der Stillakt, sondern auch das Herum¬ 
gedrehtwerden für den Patienten eine erotische Befriedigung mit sich 
brachten. In der Tat schien das Schwindelgefühl und die Übelkeit für 
eine Zeit von drei Tagen den größten Anteil seiner Libido zu absorbieren. 
Es ist ja bekannt, daß Kinder gern geschaukelt werden, ältere 
Kinder gerne schaukeln und Karussell fahren, und die meisten Erwachsenen, 
wenn sie einmal die Seekrankheit überwunden haben, am Rollen und 
Stampfen eines Schiffes auf hoher See Vergnügen finden. Es ist auch 
wohl möglich, daß der visuelle Eindruck der scheinbaren Bewegung der 
Umgebung eine nicht unwichtige Rolle bei der Lust an solcher Bewegung 
spielt, denn wir alle wissen, daß Kinder besonders von bewegten Gegen¬ 
ständen angezogen werden, und es besteht wenig Grund, anzunehmen, 
daß das Kind von vornherein genau zwischen scheinbarer Bewegung der 
Umgebung auf Grund der eigenen Bewegung und wirklicher Bewegung 
der Gegenstände unterscheiden könne. Ich neige daher dazu, anzunehmen, 
daß in den angeführten Träumen wir den Beweis für visuelle, der 
Labyrinthfunktion entsprechende und kinästhetische Lustmomente finden, 
die aus der passiven Bewegung stammen, die zumindest in diesem Falle 
einebedeutendeRollein Verbindung mit der Oralerotik im frühesten Stadium 
der postnatalen libidinösen Entwicklung spielten und später in engen 
Zusammenhang mit Mutterleibsphantasien gebracht wurden. 

Es ist von Interesse, den engeren Zusammenhang zwischen diesen Lust¬ 
momenten der passiven Bewegung und dem homosexuellen Material 
unseres Patienten zu betrachten. Ich vermute, daß die Verdichtung der 
beiden Strebungen in der Mutterleibsphantasie mehr darstellt als ein bloß 
zufälliges Zusammentreffen, daß sie durch eine Art struktureller Einheit¬ 
lichkeit bedingt ist. Es wäre möglich, daß die passiv-homosexuellen Wünsche 
als einen wichtigen Bestandteil eine spätere Differenzierung und Um-^ 
Wandlung der kindlichen Lust an der passiven Bewegung enthalten! 

































































Beziehungen des Unbewußten zur Funktion der Bogengänge 


85 


Der Verlust der Fähigkeit, zwischen eigener Bewegung und Bewegung 
der umgebenden Objekte zu unterscheiden, der ein so auffallendes Charak¬ 
teristikum unseres Materials darstellte, bildet ein interessantes Korrelat zu 
Tausks Konzeption vom Verschwinden der Ichgrenzen bei tief regressivem 
Material. Das Fehlen von Ichgrenzen im Tauskschen Sinne ist im 
Material unseres Patienten sehr deutlich und gehört ebenso zur frühesten 
Periode der postnatalen Entwicklung. Dieser Verlust der Ichgrenzen macht 
dem Patienten den Übergang vom Gefühl äußerster Hilflosigkeit und 
Nichtigkeit im Vergleich zum Vater zur Identifizierung mit diesem Vater 
in seiner Allmacht möglich. 

Es ist ferner bemerkenswert, daß die Übelkeit und die Schwindel¬ 
gefühle erst auftreten, sobald der Patient mit einer aktiven Abwehr gegen 
seine passiven Strebungen einsetzt. Dies stimmt endlich überein mit 
der organischen Auffassung des Schwindels als eines Symptomes des 
drohenden Gleichgewichtsverlustes. Seekrankheit z. B. wird bedeutend 
gemildert durch horizontale Ruhelage, das heißt durch die Auf¬ 
gabe des Versuches, die aufrechte Position einzuhalten. Das Symptom des 
Schwindels, das nach Ferenczi häufig am Ende der analytischen 
Stunde auftritt, stimmt mit unserer Erklärung des Schwindels als Aus¬ 
druck eines Konflikts zwischen passiven Wünschen (Luststreben nach 
passiver Bewegung, passive homosexuelle Strebungen) und einem Ich, das 
darum kämpft, eine mehr aktive Rolle zu erlangen, völlig überein. Die 
allgemeiner gefaßte Konzeption von Bauer und Schilder, daß der 
psychogene Schwindel „ein Ausdruck der ünversöhnlichkeit zweier Sphären 
psychischer Erfahrung“ sei, paßt ebenfalls zu der hier vertretenen Auf¬ 
fassung. 


Literatur 

Bäräny, Robert: Physiologie und Pathologie des Bogengangapparates beim 
Menschen. 1907. 

Bauer, J. und Schilder, P.: Über einige psychophysiologische Mechanismen 
funktioneller Neurosen. Zeitschr. f. Nervenheilkunde, 1919, Bd. 64. 

Breuer, J.: Über die Funktion der Bogengänge des Ohrlabyrinths. Med. Jahr¬ 
bücher, Wien, 1874. Zitiert von Leiri. 

Ewald, J. R. und Wollenberg, R.: Der Schwindel. In „Spezielle Pathologie und 
Therapie“. Nothnagel, Bd. XII, 2. Aufl., 1911, zitiert von Leiri. 

Ferenczi, S.: Schwindeiempfindung nach Schluß der Analysenstunde. Int. Zeitschr. 
f. PsA., 1914. 

Helmholtz, H. von: Handbuch der physiologischen Optik. Bd. III, Hamburg, 1910. 

Hering, E.: Beitrag zur Physiologie. Heft 1, 1861. 

Hitzig, E.; Der Schwindel. In „Spezielle Pathologie und Therapie“. Nothnagel, 
Bd. XII, 2, Wien 1899. 








86 Thomas M. French: Beziehungen des Unbewußten zur Funktion der Bogengänge 


Hoff, H.: Zusammenhang von Vestibularfunktion, Schiefstellung und Traumleben. 

Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie, 1929, Bd. 71. 

Lei dl er und Loewy: Der Schwindel bei Neurosen. Monatsschrift für Ohren¬ 
heilkunde und Laryngo-Rhinologie, 1925, Bd. 57. 

Leiri, F.; Über den Schwindel. Zeitschrift für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, 
1927, Bd. 17. 

Purkinje, J.: Beiträge zur näheren Kenntnis des Schwindels nach heautognostischen 
Daten. Tled. Jahrbücher, Wien, 1820. Zitiert von Leiri. 

Tausk, V.: Über die Entstehung des Beeinflussungsapparates in der Schizophrenie. 
Int. Zeit sehr. f. PsA., 1919. 






















































KASUISTISCHE BEITRÄGE 


Fetisdiismus in statu nascendi 

Vortrag auf dem XL Internationalen Psychoanalxtischen Kongreß in Oxford, Juli 1929 

Von 

A. S. Lorand 

New York 

Meine Freundschaft mit den Eltern eines kleinen vierjährigen Knaben 
ermöglichte es mir, ihn genauer zu beobachten. Als einziges Kind bildete er 
den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und das Objekt überzärtlicher Liebe 
von seiten des Vaters und der Mutter sowie von Verwandten und Freunden 
des Hauses. Die Beobachtungen, die ich an ihm machen konnte und die ich 
Ihnen Vorbringen möchte, werden Ihnen nichts Neues bieten, da ja die prak¬ 
tische Ausübung der Psychoanalyse die Möglichkeit gewährt, frühkindliche 
Erlebnisse ähnlicher Art des öfteren zu rekonstruieren. Ich will meine Beob¬ 
achtungen auch nur als bestätigendes Material für Freuds jüngste Aus¬ 
führungen über den Fetischismus, erschienen 1928, Vorbringen. 

Ich möchte eine kurze Lebensgeschichte des kleinen Jungen vorausschicken, 
damit der Zusammenhang zwischen seinen Symptomen und den vorangegangenen 
Erlebnissen verständlicher werde. 

Harry war frühreif und entwickelte sich sehr rasch. Sein Interesse und 
seine Neugier allen Dingen gegenüber war sein hervorstechendster Charakter¬ 
zug und konnte durch alle Phasen seiner Entwicklung deutlich verfolgt werden. 
Es trat zutage in zahllosen Fragen über alle möglichen Personen und Dinge. 
Dieser Fragedrang wrurde sehr eingeschränkt im Alter von ungefähr vier 
Jahren, als er zu versuchen begann, sich Dinge selbst vorzustellen, wie z. B. 
Bedeutung von Ziffern, Worten usw. Er war gerade vier Jahre alt, als ich 
eine merkwürdige Gewohnheit bei ihm wahrnahm, die ich gleich schildern 
will und die er schon seit einigen Monaten übte. Sie bestand darin, daß er 
die Schuhe von Freundinnen seiner Mutter streichelte und küßte, aber nur 
von solchen, die er besonders gern hatte. Auch versuchte er, unter den Tisch 
zu kriechen, wenn Freundinnen der Mutter bei Tisch saßen. Wenn intimere 
Freundinnen der Mutter zu Gast waren, trachtete er, ihre Röcke zu heben 
und darunter zu schauen. Die Gewohnheit, unter den Röcken Nachschau zu 
halten, war vor ungeßihr einem Jahr aufgetreten, die Mutter hatte sie zum 










S8 


A. S. Lorand 


erstenmal bei einem Bootausflug bemerkt. Harry versuchte damals, ihren Rock 
den einer Freundin in die Höhe zu heben, und machte geradezu eine 
Szene, als man es ihm verwies. Kürzlich hatte er wiederholt von einer guten 
Freundin seiner Mutter gefragt, ob sie ein so großes „Pussy“ (so nannte er 
den Penis) habe wie Papa, zur größten Verlegenheit der Eltern. Es gab auch 
noch andere Fragen, durch die er die Eltern in Verlegenheit brachte, denn 
«r ragte sehr oft in Gegenwart anderer Leute in verschiedener Form, nach 
^n Eingeweiden und nach der Funktion des UHnlassens. Die meist von der 
utter gegebenen Antworten schienen ihn nicht zu befriedigen, Wenii die 
ut^r ihm erklärte, daß der Urin vom Wasser komme, das er trinke, und 
die Fäzes von den festen Speisen, fragte er: .Wie kommt es, daß das ,Wi- 
wi so heiß ist, wenn ich doch so viel kaltes Wasser trinke, und das Essen 
so gut riecht wenn ich es esse, und so stinkt, wenn es herauskommt?“ Diese 
und viele andere Fragen blieben aUerdings von den Eltern unbeantwortet. 

Wenn die Mutter ihm wegen der Liebkosungen der Schuhe ihrer Freun- 

1- ’^n fragte, warum er dies tue, wurde das 

gewöhnlich sehr lebhafte Kind plötzlich still, zog sich in sein Zimmer zurück 
und konnte in den darauffolgenden Stunden kaum zum Reden gebracht werden 
Die Eltern waren durch mein Interesse an dem Kind geschmeichelti 
nb^ens nicht durch den wissenschaftlichen Hintergrund desselben und nicht 
mehr, als ihnen ^das Interesse jedes anderen für ihr Kind geschmeichelt hätte. 
Ich wurde gut Freund mit dem Vierjährigen und besuchte ihn durch mehr 
als ein halbes Jahr ein- bis zweimal wöchentlich, meist an Sonn- und Feier- 
togen, an denen ich fast den ganzen Abend mit ihm verbrachte. Er wurde 
bald sehr zutraulich mit mir. Beim ersten Besuch suchte er meine Schuhe 
zu liebkosen, was nach Aussagen der Eltern ganz ungewöhnlich war. Er 
hatte nie vorher Schuhe eines Mannes geliebkost. Er machte mich mit seiner 
Spielwelt bekannt und begann mir kleine Geschichten zu erzählen. Einige 

hatte man ihm aus Märchenbüchern vorgelesen, die meisten hatte er sich 
selbst ausgedacht. 

Als sein Vertrauen zu mir zugenommen hatte, versuchte er, sich mir mit 
ragen zu nahem, wahrscheinlich, um auszuprobieren, ob er mir andere Ant- 

r! r " hatten. Seine 

Fragen betrafen die Herkunft der Kinder, den Tod, und einmal stellte er 

auch eine Frage nach dem Gebrauch des Penis. Sie lautete: „Verwendest du 
auch dem Pussy zum ,Wi-wi-machen?“ Als ich meine Beobachtungen auf- 
nahn^ war sem liebstes Spiel, stundenlang vor einem kleinen Tisch zu sitzen 
und Puppen aus Papier anzukleiden. Als wir uns darüber unterhielten, fragte 
ich ihn einmal direkt, wen er dabei ankleide, wenn er die Puppen anzieL. 
Er erwiderte spontan: „Die Mama.“ Er hatte damals lebhaftes Interesse für 
die Kleider seiner Mutter. Er machte immer Bemerkungen über ihr Ans¬ 
ehen; er war immer um sie, wenn sie sich ankleidete, und wollte ihr helfen 
r achtete auch genau auf das, was seine Mutter aß und sagte, er wünsche, 
daß sie schlank bleibe, da er dicke Frauen nicht leiden könne. Die Mutter 
legte viel Gewicht auf ihr Außeres, besondere Aufmerksamkeit aber schenkte 
sie Ihrem Schuhwerk; so kaufte sie immer mehrere Paar Schuhe auf einmal 
In dieser Zeit konnte er, wenn er eine Weile gespielt hatte, plötzlich so 
heftig aufschreien, daß die Eltern eilig in sein Zimmer stürzten. Auf ihre 




























































Fetisdiismus in statu nascendi 


89 


Fragen erklärte er, er habe geschrien, weil er einen schwarzen Schatten vor 
dem Fenster oder eine dunkle Wolke habe vorbeiziehen sehen. Er zeigte mir 
auch, vvrie er sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden legen und das 
Gesicht dabei auf den Boden anpressen müsse, um den Schatten nicht zu 
sehen. Auch träumte er oft von einer schwarzen Wolke, und rannte dann 
eilig zur Mutter ins Bett, das in der Nähe des seinen war, da er einen 
Schlafraum mit der Mutter teilte, während der Vater im Nebenzimmer 
schlief. Er sagte, daß er sich nicht mehr fürchte, wenn er zu seiner Mutter 
ins Bett gehe. Er erzählte mir auch von einem Traum, in dem er den 
Obelisken im Zentralpark sah. Davor stand ein Mann, der mit den 
Kindern über die Länge des Schattens sprach, den der Obelisk warf. Die 
Mutter sagte mir, daß sich dies wirklich einmal im Zentralpark zuge¬ 
tragen hatte. 

Als ich ihn das nächstemal besuchte, nachdem er mir vom Schatten des 
Obelisken erzählt hatte, hüpfte er lustig auf meinen Schoß und erzählte mir 
einen anderen Traum. Er hatte ein Kind gesehen, u. zw. ein hölzernes 
Kind mit einer großen Nase, die Hände waren ihm ab geschnitten. „Du hast 
sie abgeschnitten , sagte er lachend zu mir. Als ich fragte, warum ich sie 
abgeschnitten habe, sagte er, daß ich es getan hätte, damit sich das Kind 
nicht kratzen könne. Und als ich weiter fragte, was es denn kratze, sagte er 
„die Nase“. Kurz vorher hatte mir die Mutter gesagt, daß das Kind die 
Gewohnheit angenommen habe, fortwährend vorne an seiner Hose herum¬ 
zunesteln, und daß sie ihn darauf aufmerksam gemacht habe, daß dies nicht 
schicklich sei. Harry erzählte mir im weiteren von einem anderen Kind, auch 
mit einer großen Nase, das auf Bäume kletterte, um Raupen zu suchen. Die 
Raupen hätten sich an seiner Nase angebissen und sie kleiner gemacht. Lange 
Zeit hindurch sagte er mir immer am Anfang, wenn ich zu ihm hinkam, 
„Weißt du, was dem Kind seit letztem Mal passiert ist?“ und erzählte mir 
dann, daß dem Kind ein anderer Körperteil weggefressen worden sei, einmal 
der eine Arm, das nächstemal der andere Arm, dann der Fuß. Ich erfuhr, 
daß die Eltern versucht hatten, ihn mit Angst zur Wahrheit zu erziehen, 
indem sie ihm sagten, man würde an der Härte oder Weichheit seiner Nase 
erkennen, ob er gelogen habe oder nicht. 

Unterdessen entwickelte sich bei ihm eine Angst vor Infektionen. Wenn 
er sich am Finger nur ein wenig kratzte, nicht einmal so arg, daß es blutete, 
rannte er gleich ins Badezimmer und gab Jod darauf. Er zeigte dann voll 
Stolz die Jodflecke und verlangte immer wieder die Versicherung, daß ihm 
nichts passieren werde. Die Gewohnheit, sich zu jodieren, nahm er an, 
nachdem er in der Untergrundbahn einen Mann gesehen hatte, der an beiden 
Händen bandagiert war, wobei die Bandagen ganz mit Blut befleckt waren. 
Er erzählte mir auch, daß er im vorhergehenden Sommer in Camp ein 
Mädel gesehen habe, dem die Finger an beiden Händen fehlten. Man hatte 
ihm erklärt, daß ihr die Finger abgefroren seien, aber trotzdem fragte er 
mich immer wieder, warum sie keine Finger hatte. 

Als ich das nächstemal kam, näherte er sich mir ganz still und fragte 
mit angsterfüllten Augen: „Du wirst mich doch nicht verschwinden lassen, 
nicht wahr?“ Er kümmerte sich während dieses Besuches auch nicht viel um 
sein Spielzeug und sprach auch nicht viel. Statt dessen saß 


er an seinem 








90 


A. S. Lorand 


kleinen Tisch, kritzelte auf einem Stück Papier und zeichnete Gestalten, Als 
er bemerkte, daß ich mich für seine Zeichnungen interessierte, zeichnete er 
einen Buben und ein Mädel für mich und dann einen häßlichen großen 
Buben (ugly big hoy). Er zeichnete die Augen und Ohren besonders sorgfältig 
und zählte fünf Finger an jeder Hand ab und zeichnete bei allen Figuren am 
unteren Teil des Bauches einen Strich, der das „Pussy*^ darstellte. Er sprach 
wieder von Kratzen und Wunden und forderte die Versicherung, daß seine 
Mandeln, die man ein Jahr früher entfernt hatte, gänzlich heraus seien und 
er nicht wieder operiert werden müsse. 

Bei meinem nächsten Besuch teilte man mir mit, daß Harry sich am Vor¬ 
tag, als er allein im Zimmer war, eine Haarlocke von seiner Stirn abgeschnitten 
habe. Er sprach mit mir bereitwillig darüber, erzählte mir die Geschichte 
lachend und sagte, daß er nicht wisse, warum er es getan habe, aber daß es 
ihm leid tue. 

Während ich bei ihm war, kam ein Verwandter zu Besuch, der einen 
Fuß amputiert hatte. Harry konnte nicht dazugebracht werden, das Zimmer 
zu betreten; sobald er den Mann draußen reden gehört hatte, war er schreiend 
ins Schlafzimmer gerannt. Als ich ihn das nächstemal sah, fragte er mich 
oft und eifrig über den Tod aus und sagte mir mit weinerlicher Stimme, 
daß er wolle, daß sein Vater nicht bald sterben, sondern immer am Leben 
bleiben solle. Er war auch sehr begierig, auf seine Frage nach dem Ursprung 
der Kinder eine Antwort zu bekommen. Der Vater hatte ihm erklärt, daß Gott 
sie mache und dann herabschicke. Dieser Erklärung folgten unerschöpfliche 
Fragen, wie: Wie kommen sie herunter? Es gibt doch keine Stiege für sie, 
usf. Dann plagte er seine Eltern mit der Frage, warum manche Kinder Buben 
und manche Mäderln seien. Die Mutter erklärte ihm, daß sie eben Kleider 
anhätten, die sie zu Buben oder Mäderln machen. Darauf erwiderte Harry: 
„Warum habt ihr mich als Buben gekleidet, wenn ihr ein Mäderl gewünscht 
habt?*^ Diese Frage bezog sich auf eine Bemerkung seines Vaters, der ihn 
einmal aufforderte, brav zu sein, seine Mutter hätte ohnehin ein Mäderl 
gewünscht, denn Mädchen seien viel artiger. Er wollte von mir wissen, ob 
die Kinder nackt geboren werden, wieviel Kinder Gott macht und warum er 
sie nicht gleich erwachsen macht. Als ich ihn fragte, warum er es lieber 
hätte, daß die Kinder erwachsen geboren würden, dachte er eine Weile nach 
und sagte dann: „Dann hätte ich nicht so viel Gemüse essen müssen.“ 

Ich habe bereits erwähnt, daß seine Eltern getrennte Schlafzimmer hatten. 
Er schlief mit der Mutter in einem Zimmer, Bis vor einem Jahr hatte er 
mit ihr sogar in einem Bett geschlafen und zuweilen tat er es auch jetzt 
noch. Dabei gab es für ihn reichlich Gelegenheit, den Körper seiner Mutter 
zu beobachten. Bisweilen, wenn er auf dem Schoß der Mutter saß, langte er 
nach ihrer Brust, auch in meiner Gegenwart. Wenn man ihn dann fragte, 
was er da mache, antwortete er lachend, er suche nach dem „Daddy“ 
(Diminutiv für Papa). Die Mutter schien zu verstehen, was er meinte, und 
erzählte mir, daß er, als er knapp nach seiner Phimosenoperation, von der 
ich noch später sprechen werde, eine Kuh sah, gerufen habe: „Schau, wie 
viel ,Pussies’ die Kuh hat!“ Er war sehr eifersüchtig auf seinen Vater, und 
wenn der Vater die Mutter beim Abschied küßte, so küßte er sie danach 
viele Male. 


















































Fedsdüsmus in statu nascendi 


91 


Mit zwei Jahren hatte er eine Phimosenoperation durchgemacht, nach der 

sich lange Zeit vor bewegten Gegenständen fürchtete, so besonders vor 
dem Pendel einer Uhr, was die Eltern damit in Zusammenhang brachten, 
daß eine große Pendeluhr im Wartezimmer des Arztes gewesen sei, der ihn 
operierte. Auch hatte knapp vor der Operation, als der Vater den Kleinen 
auf seinen Schultern herumtrug, der schwingende Luster den Kleinen aut 
den Kopf getroffen. In diesem Alter wurde er für seine Geschicklichkeit sehr 
bewundert, jede Grammophonplatte aus der Unzahl von Platten, die seine 
Eltern hatten, herauszufinden. Jetzt, fast drei Jahre später, nahm ich einige 
der Platten und fragte Harry, woran er sie erkannt habe. Um das Loch in 
der Mitte jeder Platte herum, dort, wo sie auf den Zapfen aufgesetzt wird, 
waren zwei Linien. Er erkannte nun die Platte an Fehlern in diesen Linien 
und auch an kaum wahrnehmbaren Unterschieden in der Farbe der Papier¬ 
etikette, die um das Loch in der Mitte geklebt ist. Dieser scharfe skoptophile 
Instinkt blieb unverändert, ebenso wie seine ausgesprochene Begabung, Gesehenes 
oder Gehörtes zu erinnern. Seine Vorliebe für das Zeichnen kehrte nach 
einigen Monaten Unterbrechung wieder, aber jetzt waren seine Gestalten nicht 
so deutlich wie die früher geschilderten. Er fügte bei Zeichnungen von 
Knaben und Mädchen auch jetzt noch einen Penis hinzu, aber nicht mehr 
durch eine einfache Linie dargestellt. Dieser Teil der Zeichnung wies eine 
große Ähnlichkeit mit dem männlichen Genitale auf und bis zu einem gewissen 
Grad war der ganze Körper genitalisiert, indem in der Zeichnung der Hals 
auffallend lang, der Kopf und die Brust besonders schmal waren. Die Augen 
wurden in den früheren Zeichnungen sehr sorgfältig mit Pupillen versehen, 
jetzt waren es nur mehr Kreise. 

Seine Vorliebe für das Liebkosen von Schuhen zeigte er nicht mehr länger. 
Es schien, daß Vorwürfe und Drängen der Eltern ihn instandgesetzt hatten, 
sie zu unterdrücken. 

Diese etwas fragmentarische Geschichte des kleinen Harry bietet uns 
bestätigendes Material für die Schlußfolgerungen, die Freud in seiner Arbeit 
über Fetischismus gezogen hat, und beleuchtet die ursprüngliche infantile 
Struktur des Fetisch. In Freuds Arbeit erweist sich der Fetisch als Ersatz 
für den Penis der Mutter, an den der kleine Junge einmal glaubte und auf 
den er nicht verzichten will, sich so vor seiner Kastrationsangst schützend. 
Der Fetisch beim Erwachsenen ist das Resultat des hartnäckigen Festhaltens 
an dieser Phantasie, auch wenn sich das Individuum von ihrer Unhaltbarkeit 
überzeugt hat; in der Kindheit hat eine Phantasie vom „weiblichen Penis^ 
noch andere Konsequenzen. Im Zusammenhang mit dem Fall des kleinen 
Harry interessierte mich die Fußnote in Freuds Abhandlung ganz besonders, 
in der er sich auf seine 1910 erschienene Arbeit „Eine Kindheitserinnerung 
des Leonardo da Vinci^ bezieht. Dort erwähnt er, daß beim Fuß- oder 
Schuhfetischismus der Schuh ein Ersatzsymbol für den Penis der Frau ist, 
wobei diese Frau regelmäßig die Mutter ist. Diese zufällige Erwähnung ent¬ 
hielt bereits die 1928 niedergelegten Ergebnisse. Alle Untersuchungen des 
Fetischismus, besonders die bei Abraham, führen zu dem Schluß, daß der 
Fetisch etwas mit dem weiblichen Penis zu tun hat. Wir wissen, daß alle 
psychosexu eilen Schwierigkeiten und Perversionen des Erwachsenen das 








92 


A. S. Lorand 


Ergebnis der Erfahrungen sind, die während der Sexualentwicklung der 
frühen Kindheit gemacht wurden und auf einer Fixierung in dieser Zeit 
beruhen. W^enn der Fetischismus gewissermaßen eine Deckerinnerung an eine 
wichtige Periode der Sexualentwicklung ist und der Fetisch einen Ersatz für 
den Penis der Frau darstellt, drängt sich sofort die Erklärung auf, daß diese 
Frau nur die Mutter sein kann, das erste Liebesobjekt, das mit dem Kind 
während seiner frühen Sexualentwicklung immer beisammen ist und um das 
sich die sexuelle Entwicklung des Kindes vollzieht. Aber es ist doch etwas 
ganz anderes, ob man einem Ergebnis theoretischer Folgerungen oder, wie in 
unserem Falle, direkt beobachtbaren Tatsachen gegenübersteht. Wir können 
nach Freud nur dann von Fetischismus reden, wenn der Fetisch vom 
ursprünglich geliebten Objekt vollkommen getrennt ist und alle Eigenschaften 
des Sexualobjektes selbst aufweist. So sieht der Fetischismus als 
Perversion des Erwachsenen aus. Aber in der Kindheit ist die¬ 
selbe fetischistische Äußerung vorübergehend und geeignet, unter dem Druck 
der Verdrängung zu verschwinden. 

Man darf nicht unbeachtet lassen, daß das Interesse des Kindes auf dieser 
frühen sexuellen Entviricklungsstufe vom Liebesobjekt, also der Mutter, nicht 
getrennt werden kann. Die Kastrationsangst, der Mittelpunkt, um den die 
Sexualentwicklung des Kindes kreist, verstärkt das Festhalten am Glauben an 
den weiblichen Penis und äußert sich in verschiedensten Manifestationen. 
Wir müssen in Betracht ziehen, daß die Kastrationsangst sehr groß sein muß, 
wenn sie die Ableugnung einer Tatsache verursacht, von deren Bestehen der 
kleine Junge sich zu überzeugen reichlich Gelegenheit hatte. Klein Harrys 
Neugierde, die ihn immer Neues entdecken ließ und die skoptophilen 
Tendenzen schärfte, die in seiner Geschicklichkeit, geringe Farbunterschiede 
imd Linien auf Grammophonplatten zu erkennen, sich ausdrückte, hingen 
sicher mit einer ganz frühen Neugier in sexuellen Dingen zusammen. Je 
größer der Forschungstrieb, um so größer waren die Anforderungen der Realität, 
anerkannt zu werden. Wenn der Forschungstrieb sich auf sexuellem Gebiet 
ausbreitet, bedarf es dann natürlich auf der Stufe, auf der das Über-Ich mit 
seiner verbietenden Tätigkeit einsetzt, um so stärkerer Verdrängung. Wir 
müssen feststellen, daß die verbietende Funktion des Über-Ichs beim kleinen 
Harry sehr spät auftrat die Neugier auf Körper und Genitalien der Mutter 
wurde lange Zeit nicht unterdrückt. Und trotz der Tatsache, die sich dem 
Kleinen aufdrängte, konnte er doch seine Vorstellung vom weiblichen Penis 
nicht aufgeben. Die Akzeptierung der Tatsache der Penislosigkeit der Frau 
wäre der fast schrankenlosen Möglichkeit, seine Neugier zu befriedigen, ent¬ 
gegengetreten, welche Neugier im Schlafen bei der Mutter und im Herum- 
klettem auf ihr den Höhepunkt d^r Befriedigung fand. Vom Standpunkt des 
Uber-Ichs konnte er dies nur solange tun, als die Mutter und er gleicher 
Gestalt waren, denn die Akzeptierung der Tatsache des Geschlechtsunterschiedes 
zwischen ihnen beiden hätte jedem sexuellen Spiel mit der Mutter (so z. B. 
der Mutter unter die Röcke zu kriechen) ein Ende gesetzt. 

Die grundlegende Phantasie vom Penis der Mutter muß noch eine andere 
bedeutungsvolle Phantasie nach sich gezogen haben, die die Geburt der Kinder 
betraf. Sein fortwährendes Fragen nach der Geburt der Kinder im Alter von 
vier bis fünf Jahren zeigte deutlich sowohl den inneren Konflikt wie auch 






























































Fetischismus in statu nascendi 


93 


die Versuche, ihn befriedigend zu lösen. Mit der Annahme der Mutter mit 
dem Penis ist auch die Ablehnung der Vagina vollzogen und damit die 
vaginale Geburtstheorie.' 

Bei der Entstehung von Harrys infantiler Symptomneurose kommt dem 
Schuldgefühl ein -wesentlicher Anteil zu. Die Impulse, die nach Freud von 
primärer Bedeutung für die Entwicklung des Fetischismus sind, epistemo- 
philischer Instinkt und Osphresolagnie, waren bei Harry schon im frühen 
Alter von zwei Jahren vorhanden und verstärkten die Kastrationsangst 
beträchtlich. Das Resultat davon war, daß die Mutter mit einem Penis aus¬ 
gestattet wurde, was man in gewissem Sinn auch als eine Identifizierung des 
Kleinen mit der Mutter auffassen kann. Er machte die Mutter sich selbst 
gleich, um nicht zum Verzicht auf seinen eigenen Penis gezwungen zu sein, 
dessen narzißtische Einschätzung bei ihm wohl noch durch die ungestörte 
und oft ermöglichte Beobachtung des Gliedes seines Vaters verstärkt worden 
war. Wir können verschiedene Mächte innerhalb der Sexualbestrebungen des 
kleinen Harry am Werk sehen. Seine genitale Tendenz auf der Höhe der 
Ödipussituation trieb ihn zur Besitzergreifung der Mutter, was ja ihre 
Eroberung mittels des Penis beinhaltet. In diesem Sinn hatte er die genitale 
Stufe der Ödipusperiode erreicht. Aber auf dem Höhepunkt seiner Selbst¬ 
einschätzung, nachdem er sein ganzes Leben der Mittelpunkt seiner Umgebung 
gewesen war und alle erdenklichen Möglichkeiten gehabt hatte, mit der 
Mutter herumzuspielen, begann das Verbot und die Versagung gegen die 
genitalen Tendenzen durch das sich entwickelnde Über-Ich wirksam zu werden. 
Dies äußerte sich in Form der Kastrationsangst, die bei Harry auftrat. Um 
ein Kompromiß zu schließen zwischen seinen Wünschen und seinem Schuld¬ 
gefühl, stattete er die Mutter mit einem Penis aus; dadurch wurde er vor 
der Kastrationsgefahr gerettet, da er damit die Vagina der Mutter verleugnete 
und das glückliche Dreieck, Vater, Mutter, Kind, konnte ohne Unterbrechung 
weiterbestehen. 

In diesem frühkindlichen dramatischen Konflikt muß man die verschiedene 
Verteilung der dynamischen Kräfte für die Wahl der verschiedenen möglichen 
Einstellungen verantwortlich machen. Homosexualität entsteht nach Freud 
aus der Kastrationsangst beim Anblick des weiblichen Genitales, Fetischismus 
zur Abwehr der Kastrationsangst; als dritten Ausgang muß man die vollständige 
Überwindung der Kastrationsangst betrachten. In allen diesen Fällen, Normalität, 
Homosexualität und Fetischismus, können wir sagen, daß Form und Grad der 
Identifizierung mit den Eltern für den Ausgang des Kastrationskomplexes 
einen entscheidenden Faktor darstellen, womit natürlich die Entstehung der 
Perversion oder der normalen sexuellen Einstellung zusammenhängt. Bei der 
Homosexualität ist eine nahezu völlige feminine Identifizierung vorhanden, 
indem der Homosexuelle die Mutter mit dem zugehörigen weiblichen Genitale 
innerlich akzeptiert, wobei er sich ihr gleichsetzt. Der gesunde Ausgang ist 
eine vollkommen maskuline Identifizierung mit dem Vater. Der Fetischismus 
rettet das Individuum vor der Homosexualität, hält es aber gleichzeitig vom 
Normalsein ab, das die Kastrationsgefahr mit sich brächte. 


i) Vgl. Fenichel, Einige noch nicht beschriebene infantile Sexualtheorien.^ 
Int. Zeitsehr. f. PsA. XIII (1927). 











94 


A. S. Lorand: Fetisdiismus in statu nascendi 


Klein Harry zeigte entschieden eine Tendenz zur femininen Identifizierung, 
die in seiner Nachahmung der Mutter sowohl als auch in seinen Fragen 
zutage trat, warum ihn denn die Eltern nicht als Mädchen gekleidet hätten, 
da sie sich so sehr eines gewünscht hätten. Es bedarf nun einer Erklärung, 
wieso es kommt, daß man in so früher Kindheit einen so klaren Unterschied 
zwischen den beiden Wegen der Identifizierung findet. Gewiß kann Freuds 
These, daß quantitative Faktoren für den Ursprung jeder Neurose verantwortlich 
sind, hier Anwendung finden und zum Verständnis des Zustandekommens des 
Fetischismus verhelfen. Ein gewisses Schwanken in Harrys Objekt wähl zeigte 
sich darin, daß er zuerst Schuhe von Frauen liebkoste, dann aber zu Beginn 
des Kontaktes mit mir dasselbe mit meinen Schuhen zu tun versuchte. Er 
versuchte zuerst, sie glänzend zu machen und sie zu küssen, später in sitzender 
Stellung darauf zu reiten, was ihm die angenehme Sensation des Schaukelns 
und des Kontaktes mit der Analregion bot. Die zärtliche Behandlung der 
Schuhe und das Fehlen jedes feindlichen Elementes dabei könnte man nach 
Freud auf den Mangel einer tiefergehenden Identifizierung mit dem Vater 
zurückführen. Wenn bei erwachsenen Fetischisten eine tiefere Identifizierung 
mit dem Vater vorhanden ist, kann eine ehrfurchtsvolle oder aggressiv-kastrierende 
Tendenz gegenüber dem Fetisch beobachtet werden, wie ich sie bei einem 
meiner Patienten feststellen konnte, der seine fetischistischen Tendenzen in 
seinem Beruf sublimierte. Frauen hatten diesen Mann sein lebenlang angezogen, 
aber er hatte nie einen Verkehr gehabt. Er erreichte seinen Orgasmus beim 
Anblick und beim Streicheln der Genitalbehaarung, bisweilen riß er daran, 
bis es schmerzte. Bei der Wahl seines Sexualobjektes spielte die Haarfarbe 
eine besondere Rolle. Nachdem er nach Absolvierung der Schule Buchhalter 
geworden war, ergriff er später den Beruf eines Kürschners. Das gab ihm 
die Möglichkeit, mit Pelzhaaren umzugehen, sie zu zerschneiden, und er gelangte 
in diesem Beruf zu viel Erfolg. 

Ich möchte besonders auf die zwei Reihen der Zeichnungen hinweisen, 
von denen ich berichtet habe, und auf die Veränderung, die im halben Jahr 
zwischen ihnen vor sich ging. Die Tendenz, den ganzen Körper zu genitalisieren 
und die Größe des Körpers mehr und mehr zu betonen, zeigte sich in den 
späteren Zeichnungen, für deren Zeitpunkt wir bereits das Schwinden von 
Harrys Vorstellung vom weiblichen Penis feststellen können. Je mehr er die 
unvermeidliche Tatsache des Penismangels beim Weibe anerkennen mußte, 
um so stärker wurde seine Kastrationsangst, und nötigte ihn, immer fester 
an der Phantasie des weiblichen Penis als an einer schützenden Vorstellung 
festzuhalten, was in der Größenzunahme des Penis in den Zeichnungen seinen 
Ausdruck findet. 

Beim kleinen Harry war das Schneiden mit der Schere, das Zeichnen, die 
Liebkosung der Schuhe, das wiederholte Ankleiden der Puppen, das wohl das 
Gegenteil zu bedeuten hatte, nämlich ein Entkleiden, das ja auch in der Lust, 
weiblichen Besuchern unter die Röcke zu kriechen, zum Ausdruck kam, kurz, 
aUe seine Spiele waren im Zusammenhang mit seinen infantilen Sexual¬ 
strebungen, wie ein solcher Zusammenhang ja schon von Pfeifer und 
Melanie Klein betont wurde. 

In den Liebkosungen meiner Schuhe kann man wohl einen Versuch sehen, 
sich dem Vater zuzuwenden, um die Kastrationsangst zu vermindern. 
















































Zur Deutung der Zwergsagen 


95 


Zur Deutung der Zwergsagen 

Von 

Geza Rohe im 

Budapest 

Unlängst erschien in dieser Zeitschrift die Arbeit von F e r e n c z i über 
Gulliver-Phantasien“.^ Ferenczi gibt darin die vollkommen zutreffenden 
Deutungen der Vorstellungen von Zwergen und Riesen und fordert dann dazu 
auf, diesen Zusammenhängen analytisch weiter nachzugehen. Ich hatte in 
einem Falle dazu günstige Gelegenheit. 

Ein Patient, Beamter von 30 Jahren, mit mäßiger Ejaculatio praecox, stark 
an die Mutter fixiert, Analcharakter, erzählt in einer Analysenstunde Ereig¬ 
nisse des letzten Tages: 

„Ich ging zur blonden Frau, wollte mit ihr wieder anfangen. Die ganze 
Familie war dort, auch ihr Vater, ein buckliger, gräßlich aussehender Zwerg, 
ein ekelhafter Mensch. Sein Kopf ist spitzig wie eine Wurst. Da fällt mir 
eine Geschichte von einer Geburt ein. Sie dauerte sehr lange und der Kopf 
des Kindes war wurstförmig ausgezogen, als er herauskam.“ Dann erzählte 
er eine Phantasie von einer Maschine, in die Leute hineingehen und als Würste 
herauskommen. „Die Blonde hat mir die Hälfte voi ihrem Milchkaffee an- 
geboten, es hat mich sehr angeekelt, ich habe es aber trinken müssen. Wenn 
meine Mutter mir einen solchen Kaffee gibt, sag ich gewöhnlich: Pfui, das 
ist ja Pferdeurin, weg damit I Die Pferde urinieren so, daß der Urin aus 
ihrem Hinterteil kommt. Ein mächtiger Strahl; es ist schrecklich ekelhaft.“ 

Ich erinnere ihn daran, daß er bis zum zehnten Jahr glaubte, daß die 
Kinder aus dem After kommen. Wenn sie aus dem After kommen, können sie 
auch auf dem oralen Weg, eventuell durch das Essen von Exkrementen oder 
Urin, in den Leib hineingeraten. Er hätte ja Kaffee-Urin getrunken und darauf 
Kopfschmerzen,^ d. h., eine nach oben verschobene Schwangerschaft bekommen. 

Er sagt nichts zur Deutung, sondern fährt fort: „Ich war vier Jahre alt, 
als die Kinder einmal mein Gesicht mit Kot beschmierten. Im fünften oder 
sechsten Jahr waren die Kopfschmerzen bei mir schon ziemlich häufig. Sein 
Freund F. hätte ihm erzählt, daß er als Kind dreimal die „Fraisen“ hatte^. 
Die Professoren sagten, F, werde sterben, aber ein junger Arzt, der „von hinten 
etwas mit ihm gemacht habe, hätte ihn gerettet. Der junge Arzt hätte aber 
auch gesagt, wenn das Kind am Leben bleibe, werde es blöde werden. 

„Nun, blöde ist er auch geworden“, — fährt der Patient in der Erzählung 
fort, — „er arbeitet in einer Fabrik und ein Stück Blei ist in die Maschine 
gefallen. Da hatte er Mitleid mit dem Blei, er griff danach und die Maschine 
schnitt ihm den Finger weg.“ 

Nach einer kurzen Pause spricht er über das unsinnige Benehmen seiner 
Familie und der Erwachsenen im allgemeinen Kindern gegenüber. Dann in 


1) Ferenczi, Gulliver-Phantasien. Diese Zeitschrift, Bd. XIII, 379 

2) Die Schwangerschaftsbedeutung der Kopfschmerzen war schon vorher bei Traum¬ 
deutungen und der Analyse der Symptombildung gewonnen worden. 









96 


Geza Röheim 


wütendem Tone: „Wenn dieser Fratz“ (seine Frau ist schwanger) „geboren 
wird, kann ich mir vorstellen, was für Dummheiten sie mit ihm machen 
werden. 

Ich mache ihn darauf aufmerksam, daß er nun zum erstenmal über das 
Kind in der Analyse spricht, und zwar, wie es scheint, nicht gerade in freund¬ 
licher Art und Weise. — Darauf sagt er, daß die Frauen immer Knaben 
haben wollen, daß sie aber diesen Wunsch ableugnen. Seine Frau habe gesagt: 
„Nur keinen Knaben, denn sobald ein Penis da ist, ist es schon ein Schuft.“ 
Seine Schwägerin wollte nur einen Knaben haben. „Ich glaube, sie hätte den 
Kopf oder den Schwanz ihres Mannes dafür gegeben, um einen Sohn zu be¬ 
kommen. 

Einen Sohn zu bekommen, bedeutet demnach eine Kastrationsgefahr. Man 
kann vermuten, daß der Patient seinerzeit ähnliche Wünsche gegen den Vater 
gespürt haben dürfte und jetzt deshalb die Vergeltung von seiten des Sohnes 
fürchten muß. Der Patient besitzt eine einzige Kastrationserinnerung: Jemand, 
wer, wo und wann weiß er nicht, habe ihm gesagt, der Hund werde seinen 
Penis abbeißen. Daher wohl seine schreckliche Hundeangst.^ 

Nehmen wir die ekelhafte Speise zum Ausgangspunkt dieser Untersuchung. 
Sie ist ein Verdichtungsprodukt von Milch (angeboten von der blonden Frau)* 
Urin (Pferdeurin) und Exkremente (Kaffee, Pferd uriniert aus dem After,' 
Kindheitsszene). Er ist durch diese Speise geschwängert, gibt das männ¬ 
liche Genitalstreben auf und entzieht sich der unangenehmen Situation durch 
die Flucht. Der aktive Phallus, nach dem sich seine feminine Einstellung sehnt, ist in 
der Maske des buckligen Zwerges mit dem spitzen Kopf, dem Vater der 
blonden Frau, zu finden, denn seine Anwesenheit hat den Ekel und die 
Verstimmung ausgelöst. Die Bedeutung dieses buckligen Zwerges ist aus einem 
früheren Traum ersichtlich: 

„Ich gehe zur blonden Frau. Ihr Vater, der Zwerg, zankt mit ihr in einer 
unwahrscheinlich tiefen Männerstimme. Die Frau ist im Speisezimmer, man 
sagt mir, daß sie ißt, ich weiß aber, daß sie sich wäscht. Jetzt versuch’ ich, 
auch, in einer so tiefen Männerstimme mit meiner Mutter zu sprechen. Es 
gelingt mir aber nur eine kurze Weile. Dann ziehe ich die Uhr aus der Tasche 
und sag’, ich muß nach Hause gehen. Dabei ergibt sich etwas Merkwürdiges 
mit der Uhr. Unter dem Glas ist flüssiges Email-, ich gieße es hin und her, 
doch ein Teil hleiht unbedeckt. “ 

Ein Nachtrag ergänzt, daß das Gespräch mit der Mutter im Vorzimmer 
stattfand. Dazu fällt ihm ein, daß er als kleines Kind dort immer den 

i) Im Laufe der Analyse wurden diese Deutungen wiederholt bestätigt. So spricht 
er von kleinen Burschen im Stadtwäldchen, die die Mütze schief auf dem Kopf 
tragen. „So ein Kleiner mit einer Kappe ist ein Penis.“ In einer anderen Analysen¬ 
stunde spricht er vom Skalpieren und sagt, daß man sich aus den abgezogenen Skalpen 
eine Mutze machen lassen könnte. Dazu fällt ihm ein ungarisches Sprichwort ein: 
Wenn man eine Frau, die man hätte haben können, nicht koitiert, wird einem im 
Jenseits ihre Scheide wie eine Kappe über die Nase gezogen. Er erzählt ferner, daß 
er als Kind phantasierte, der Besitzer eines Däumlings (Hüvelyk Matyi) zu sein : 
„Gulliver unter den Liliputianern wäre auch nicht schlecht.“ Mit einer riesigen 
Eisenbarre könnte man dann alle Schlösser öffnen, alles Geld, alle Frauen wegnehmen, 
natürlich müßte er dazu auch unverwundbar sein. 














































Zur Deutung der Zwergsagen 


97 


Priester nachzuahmen pflegte. Priester heißt ungarisch „pap“, Vater „papa“. 

__ Es dürfte daher gar keinem Zweifel unterliegen, daß der bucklige Zwerg, 

der Vater der blonden Frau, den eigenen Vater, und zwar in einer unheim¬ 
lichen Art und Weise, darstellt. — Darauf spielt auch die Szene mit der 
Uhr an. Zu den merkwürdigen Künsten, die er mit der Uhr macht, fällt 
ihm eine Zeichnung aus einem Witzblatt ein. Ein Herr sitzt im Separee 
mit einer nackten Frau. Der Herr nimmt ein Bonbon aus einem Stanniol¬ 
papier und die Dame sagt ihm: „Wirf das Papier nicht weg, mein Mann 
sammelt es. 

Aus dem Papier kommt ein Bonbon hervor — und von der Uhr ist ein 
Teil durch das Email nicht bedeckt. Die Situation mit der nackten Frau 
legt die Deutung nahe, daß so die Eichel, die aus der Vorhaut hervorkommt, 
dargestellt wird. Einige Stunden früher hatte er erzählt, daß der Vater immer 
mit ihm badete. Er fragte dabei immer den etwa zehn- bis vierzehnjährigen 
Knaben, ob er auch die Vorhaut zurückziehe und die Eichel wasche, und 
sagte ihm, wenn jemand einen kleinen Penis hätte, hätten ihn die Frauen 
nicht lieb. Diesem Ausspruch des Vaters schreibt er eine große Wichtigkeit 
in der Entstehung seiner Neurose zu. Jetzt wissen wir, warum er plötzlich 
die Uhr zieht und die Flucht ergreift. Er versucht, der Mutter mit der 
tiefen Stimme des Vaters zu imponieren, das gelingt ihm aber nicht, denn er 
hat ja im Bad den Riesenpenis des Vaters gesehen. Der eigene Penis ist 
klein, er ist impotent, kastriert, kann der Mutter und der blonden Frau nicht 
imponieren. Man sagt ihm zwar, wie einem Kind, daß sie jetzt etwas Un¬ 
schuldiges tut, während er doch sehr gut weiß, daß sie sich wäscht (d. h. nach 
dem Koitus). 

Der bucklige Zwerg ist daher der Vater in einer besonders unheimlichen 
Form — als verkörperter Phallus. Die Phantasie solcher phallischen Wesen 
ist eigentlich eine Bestätigung, zugleich aber eine Widerlegung der Kastrations¬ 
angst, indem damit doch ausgesagt sein soll, daß der Penis tatsächlich abge^ 
schnitten wird, jedoch als selbständiges Wesen weiterlebt. Die Identifizierung 
des ganzen Körpers mit dem Penis gestattet es, der Kastrationsgefahr aus¬ 
zuweichen. 

Daß diese Kastration an dem Penis des Vaters zugleich dargestellt und 
auch geleugnet wird, dem entsprechen wohl alte aktive Kastrationstendenzen 
gegen den Vater und ein starkes Schuldgefühl deswegen. Es handelt sich um 
Regungen, die dem positiven Ödipuskomplex zugehören. Der Patient hat 
tatsächlich mit seiner Schwester koitiert, und zwar während Vater, Mutter 
und die beiden Geschwister in zwei Betten nebeneinander lagen. Er phantasierte 
auch, wie es gewesen wäre, wenn er sich nicht an die Schwester, sondern 
an die Mutter herangewagt hätte. 

Die zweite Bedeutung dieser phallischen Vatergestalt gehört aber dem 
negativen Ödipuskomplex zu. Kopfschmerz und Erbrechen deuten die orale 
Befruchtung an und so oft das Thema der Homosexualität in der Analyse 
anklang, sprach der Patient über die Fellatio. Er sagt ja auch, daß der Arzt 
mit seinem Freund „von hinten“ etwas gemacht habe, wodurch dieser „blöde“ 
wurde, d. h. sich den Finger abschneiden ließ. Es ist nun leicht zu erraten, 
was in dem Kind, dem der Vater sein Glied im Bad zeigte, vorging. Es 
entstand nicht nur die Betrübnis über das eigene (relative) Kastriertsein, 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse XVI/i 


7 











98 


Geza Röheim 


sondern auch dem Vater gegenüber eine passive Einstellung. — Gegenwärtig 
ist aber seine eigene Frau schwanger. Er spricht über die unrichtige Erziehung, 
die den Kindern gegeben wird, und scheint als zärtlicher Vater sich Sorgen 
zu machen, daß das Rind ähnliche Kastrationsangst erleiden könnte wie er 
selbst. Seine Kastrationsangst war aber, wie wir gesehen haben, die Kehrseite 
eines Wunsches, dem Vater den Penis abzuschneiden, und daher steckt wohl 
hinter der Sorge um das Kind auch die Vergeltungsangst, das Kind könnte 
ihm dasselbe wünschen, denn die Schwägerin hätte ja, um einen Knaben zu 
bekommen, das Glied ihres Mannes gerne geopfert. Auf den zukünftigen 
Knaben ist er schon jetzt eifersüchtig, denn dieser Knabe ist ja ganz Penis 
und besitzt seine Frau, wie einst der Vater die Mutter besessen hat. Er pflegt 
z. B. vom Lernen als von einem lästigen Zwang zu sprechen, der vom Vater 
ausging, und sagt jetzt, daß seine Tätigkeit im Amt ihm heute ebenso lästig 
sei; heute wird er aber vom ungeborenen Kind gezwungen zu arbeiten. 

Es ist kein Widerspruch gegen diese phallische Deutung, daß man das 
Ganze auch in der analen Sprache ausdrücken kann. Der bucklige Zwerg wird 
einer Wurst verglichen, die aus der Maschine herausfällt, und gerade in 
letzter Zeit hatten seine Träume eine Kinderszene zum Gegenstand, in der 
er als vier- oder fünfjähriger Knabe im Klosett durch die Wand das Defäzierefi 
einer Frau beobachtete. Der bucklige Zwerg ist also auch das auf dem oralen 
Weg vom Vater empfangene Kotkind. Die Empfängnis geschieht entweder 
durch die Fellatio oder durch das Essen von Menschenfleisch. Er hat nämlich 
verschiedene individuelle Speiseverbote, die auf die Vorstellung der „Patrophagie“ 
zurückgehen. Er ißt den Vater und läßt ihn in Kotform wiedererscheinen, 
eine Konstellation, die ganz dem Ritual auf dem Grabe des Tui Tonga 
entspricht.^ Ich vermute, daß es sich hier wie dort nicht um ursprünglich 
Anales, sondern um eine aus Kastrationsangst erfolgte Regression von der 
genitalen zur analen Stufe handelt. 

Ich kann demnach die von Ferenczi gegebene Deutung der Zwerge 
als phallische Gestalten, die aus einer Überkompensierung der Kastrationsangst 
entstanden sind, nur bestätigen und zur Ergänzung hinzufügen, daß wenigstens 
in diesem Fall der Zwerg einerseits den Penis des Vaters, andererseits den 
Sohn als eigenen abgeschnittenen Penis und als den wiedergeborenen väter¬ 
lichen Rivalen bedeutet. Es handelt sich demnach um die Vorstellung der 
Kastration, jedoch im Gefüge der Ödipuseinstellung, bzw. als Generations- 
Umkehrungsphantasie.^ 

Versuchen wir jetzt, auch das reiche völkerpsychologische Material — 
wenigstens in Umrissen — heranzuziehen. Auf dem Bruchstück eines helleni¬ 
stischen Reliefbildes in der Villa Albani zu Rom sehen wir Herakles im Schlafe 
auf der Löwenhaut ausgestreckt, in der linken den Skyphos haltend, ein 
kleiner Wicht aber, ein Satyr oder ein Pygmaios, hat eine Leiter angelegt, 
diese erklommen, neigt sich, auf der obersten Sprosse stehend, mit dem 
ganzen Oberkörper über den Rand des Bechers und schlürft aus Leibeskräften. 


1) Vgl: Röheim, Heiliges Geld in Melanesien. Diese Zeitschrift, Bd. IX, 1922. 

2) Vgl. Jones: Die Bedeutung des Großvaters. Diese Zeitschrift, I, 222. Die 
phallische Deutung der Zwerge findet sich schon bei Freud: Märchenstoffe in 
Träumen. Ges, Schriften, III, 260. 





















































Zur Deutung der Zwergsagen 99 


_ philostratos beschreibt ein Gemälde, das einen Angriff von Pygmaien- 

scharen auf den schlafenden Herakles darstellte. „Neben dem tot hingestreckten 
Antaios liegt Herakles in tiefem Schlaf, dabei steht Hypnos, um den Heros 
aber scharen sich Pygmaien, um an ihm den Tod ihres Riesenbruders Antaios 
zu rächen; denn auch sie sind YTJYevetS, Erdgeborene, Söhne der Mutter Erde. 
Sie scharen sich zum Angriff, eine Gruppe gegen die linke, andere 

gegen die rechte Hand gerichtet; Bogenschützen imd Schleuderer g jeifen die 
Beine an, voller Staunen über die mächtigen Waden; gegen das Haupt zieht 
eine andere Schar, unter Anführung des Königs, mit mancherlei Geschütz 
und Belagerungsgerät. So krabbeln sie auf des Gewaltigen Gliedern herum, 
ohne ihn im mindesten zu schädigen. “ Zum Schluß, meint Philostratos, richtet 
er sich lachend auf und steckt seine Feinde samt und sonders in die Löwen¬ 
haut.^ 

W a s e r erklärt die Szene mit vollem Recht aus dem Alptraum. Am deut¬ 
lichsten sind die Beziehungen der Zwerge zum Alptraum in der deutschen, 
bzw. europäischen Volkssage. Zwerg oder eigentlich Twerg bedeutet 
Drücker.^ Der Wald zwischen Hirzenhain und Usenborn wird von einem 
unverschämten Kobold bewohnt. Er springt unversehens den Leuten auf den 
Buckel und sie müssen ihn tragen bis zur Eichbaumswiese. Dort springt er 
von ihnen. Er sieht schwarz aus wie ein Geißbock und hat langes und 
straff niederhängendes Haar. Andere Kobolde werden beim Auf hocken zentner¬ 
schwer und die Leute, denen sie aufhocken, müssen laufen, sonst drücken sie 
ihnen die Kehle zu.^ Wenn der Alp einen drückt, muß man sprechen: „Alp 
gleich fort, ich geh’ dir auch ein Brotei.“ „Da wird man sehen, wie ein 
kleines, graues Männchen entweicht. “ 4 - Der Alp ist ein kleines, buck¬ 
liges Männchen, das sich den Leuten auf die Brust setzt und ihnen den 
Atem nimmt .5 

Die griechische Sage bezieht sich demnach wohl auf einen ursprünglich 
angstvollen Alptraum des Herakles, Das Komische entsteht hier, wie gewöhn¬ 
lich, aus dem ersparten Aufwand der Angstentwicklung, und es wird nun 
unsere Aufgabe sein, dem Ursprung dieser Angst nachzugehen. 

Pygmaien sind Fäustlinge ('Tcuyp/'^ = die Faust). Ein Hauptzug der Sage 
war der Kampf der Pygmäen mit den Kranichen. Dabei setzen sich die 
Pygmäen Hörner auf, reiten auf Ziegenböcken usw.,® wie andererseits der 
Piller Norg in der Tiroler Volkssage, ein dreieinhalb Schuh hoher Zwerg, 
gelegentlich doch als ungeheurer Stier erscheint.^ Stephani bemerkt zu 
den Kampfszenen, daß den Alten ebenso entschieden wie ihnen für den 
Pygmaien-Begriff männliches Geschlecht und lächerliche Häßlichkeit als uner¬ 
läßliche Elemente galten, in dem Kranich dieselbe komische Häßlichkeit, 
aber weibliches Wesen ausgeprägt erschien. „Auch war nach alter Anschauung 


1) O. Waser: Pygmaien, Roschers Lexikon, III, 5505, 3306. 

2) L. Laistner: Das Rätsel der Sphinx. 1889, I, 60. 

3) Th. Bindewald: Oberhessisches Sagenbuch. 1873, 87, 88. 

4) R. Kühn au: Schlesische Sagen. 1913, III, 111. Vgl. ebenda 136. 

5) R. Kühn au: Ebenda III, 154. Vgl, auch Laistner: L. c„ I, 557. 

6) Waser: L. c., 3287, 

7) I. V. Zingerle: Sagen aus Tirol. 1891, 77. 


7 * 










1 


:iii 


Üi I 


100 Geza Roheim 


dieser Häßlichkeit des Kranichs ebenso wie der Häßlichkeit der Pygmaien 
eine mehr oder weniger stark ausgeprägte laszive Beimischung eigen. 

Der Kampf der Pygmaien mit den Kranichen wäre also der „laszive“ 
Kampf zwischen Mann und Weib oder eigentlich Penis und Vagina. Daß es 
sich aber dabei um eine im Grunde genommen sehr ernste Sache handelt, 
die bloß ins Groteske verzerrt ist, zeigen die beigefügten Abbildungen mit 
ihrer deutlichen Kastrationsanspielung (S. 5295, Nr. 2, S. 5294, Nr. 5), Zu 
den Fäustlingen gehören auch die Daktyloi idaioi, die Finger, die bezeichnender¬ 
weise trotz ihrer Fingergröße, Fünfzahl und Daumenform auch als Riesen 
im Dienste der Muttergöttin Rhea erscheinen. Als idäischer Daktyle erscheint 
gelegentlich auch Herakles^ mit seinen Brüdern, die alle Heroen der Heil¬ 
kunst sind .3 K a i b e 1 hat aber in einer berühmten Arbeit die phallische 
Natur dieser Wesen aufs deutlichste erwiesen.^ Dem bei Pausanias er¬ 
wähnten Grabmal des Daktylos analog wird auch das am Berge Sipylos aus¬ 
gegrabene Grabmal des Tantalos gewesen sein. 

y^The keystone of the great vault is a terminal cone like ihe Delphic om- 
phalosy the chamher of deatk was crowned by ihe primitive symhol of life, 
It is no Stele commemorating an individual man, still less is it a mere archi- 
tectural or decorative feature; it is there with solemn magical intent to ensure^ 
to inducey the renewal of life^ reincarnation, Numerous phalloi were found 
round the tomh of just the rite size to serve as keystones.^^ 

An der Grimselstraße in der Schweiz hausten Erdmännchen, welche den 
Mädchen nachstellten.^ — Zwischen Görtelsdorf und Leuthmannsdorf liegen 
die Zwergsteine, die von Zwergen der kleinsten Art bewohnt wurden; denn 
sie waren nur zwei Spannen lang. Auch waren ihre Füße insofern gar 
komisch gebildet, als sie den Gänsefüßen ähnlich sahen. Alle Zwerge trugen 
lange Bärte und waren zumeist mit einem grauen Mantel und einer 
Kapuze bekleidet. Trotz ihrer winzigen Gestalt begehren sie aber die schönen 
Bauemmädel und entführen sie auch gelegentlich.^ Vor langer Zeit kam an 
jedem Abend ein kleiner, aber schöner Bursche zu einer Magd in den Stall, 
wenn diese die Kühe fütterte und melkte. Sie liebten sich sehr und es wurde 
schon von Heirat gesprochen, als das Mädchen einmal hörte, wie der Zwerg 
sang: 

„Güngele spinn, Haspele wind, 

Ist guat, daß mein’ Braut nit weiß, 

Daß i klein Wäldkügele beiß’“ 

Da entfernte sich das Mädchen so rasch es konnte, denn sie hatte ihren 
Geliebten als Pechmannl erkannt.® Sie scheinen besonders gerne an den Hoch- 


1) Stephani: Gompte-Rendu de Petersburg. 1865, 121. Zitiert bei Was er: 
L. c., 3516. 

2) S t r a b o, VIII, 355. D i o d o r, V, 64. 

3) V. Sy bei: Daktyloi. Roscher, I, 940. 

4) Kai bei: Daktuloi idaioi. Göttinger Gelehrte Anzeigen, 1901. 

5) J. E. Harris on: Themis. 1912, 402, 403. 

6) Laistner: L. c., II, 42. 

7) R. Kühn au: Schlesische Sagen. 1911, II, 79. 

8) Zingerle: L. c., 80 bis 82. 














































Zur Deutung der Zwergsagen 


101 


Zeiten in unsichtbarer Gestalt zu erscheinen,^ was ihrer unbewußten Bedeutung 
entspricht, denn ohne den „Zwerg“ gibt es ja keine Hochzeit. — 

In Altindien ist der Gandharve, ViCvavasu, der „alles Gute Besitzende , 
derjenige, der vor der Verheiratung alle Mädchen besitzt.^ Diesem buhlerischen 
Gandharven sitzen aber die Füße, ebenso wie unseren Zwergen, verkehrt an, 
mit der Ferse nach vorn .3 — An der Identität der Zwerge, Elbe und 
Gandharven läßt sich nach der Beschreibung der Gandharven im Atharvaveda 
wirklich nicht zweifeln: 

Einer wie ein Hund, einer wie ein Affe, ein ganz behaarter kleiner 
Kerl, die Gestalt des Liebsten annehmend, stellt der Gandharve dem Weibe 
nach.“^ — Somit hätten wir wohl genug Ursachen zur Annahme, daß die 
komische Herakles-Szene schon die sekundäre Bearbeitung einer angstvollen, 
drückenden Traumsituation ist, und daß die Angst wohl mit der Penis¬ 
bedeutung des Zwerges im Zusammenhang steht. Ein Schritt weiter führt 
uns die nähere Beschreibung dieser winzigen Dämonen. 

„Sie werden vorgestellt als kleine, meist dickköpfige Gestalten von beiderlei 
Geschlecht, die Männer meist alt, mit langem grauem Bart, 
mit Gänse- und Geißfüßen, wohl auf ihre geisterhafte Geschwindigkeit deutend, 
sie lassen aber ihre Füße nicht gern sehen, sondern verdecken sie durch 
einen langen Mantel, und wenn man Asche und dergleichen streut, um ihre 
Fußspuren zu sehen, dann verschwinden sie; bisweilen haben sie auch Kinder¬ 
füße, aber an jedem Fuß fehlt eine Zehe.“^ 

Ein merkwürdiger Zug an der äußeren Gestalt der Zwerge soll nun be¬ 
sonders hervorgehoben werden. Ihr hohes Alter (der lange graue Bart) 
wird ebensooft betont wie ihr jugendliches Aussehen. Wenn das 
Nörgl das neue Gewand erblickt, sagt es: 

„I bin so olt, 

I woaß die Moarspitz 
Kioan, wie a Kitz 
Und die Moarwies’ 

Neunmal Wies’ 

Und neunmol Wald.‘‘6 


Oder aber: 


„Ich bin so grau, ich bin so alt.“ 7 


Andererseits heißt es wieder, den norwegischen Nissen stellte man sich klein 
wie ein Kind yot ^ und der schwedische Zwerg sehe aus wie ein einjähriges 
Kind .9 Laut dem Volksglauben in Göcsej sind die „Erdkleinen“ oder Zwerge 


\) Vgl. Kühn au: L. c., II, III, 145. 

2^ Laistner: L. c., II, 45. 

5) Vgl. L. von Schroeder: Griechische Götter und Heroen. 1887, 101. 

4) L. von Schroeder: Mysterium imd Mimus im Rigveda, 1908, 509. Vgl. 
derselbe: Griechische Götter und Heroen. 1887, 66. 

5) Wuttke: Der deutsche Volksaberglaube. 1900, 41. 

6) 1 . V. Zingerle: Sagen aus Tirol. 1891, 62. 

7) Derselbe: Ebenda, 72, 75 und 85. 

8) J. Grimm: Deutsche Mythologie. I, 420. 

9) Grimm: Ebenda, I, 423. 














102 


Geza Roheim 


Kobolde, die eigentlich mehr dem Kinderglauben zuzurechnen sind. Sie sind 
^hr liebe kleine Wesen, ungefähr von der Größe eines kleinen Kindes 
jedoch mit einem wallenden Bart.» Die „kleinen Leute“ der Odjibwä sind 
eigentlich Kinder, die nie erwachsen werden,^ 

Da also die Aussagen schwanken z-wischen „ein sehr alter Mann“ und 
»ein einjähriges Kind , so liegt wieder die Annahme nahe, daß es sich um 
eine Verdichtung der Gestalt des eigenen Vaters mit der des 
eigenen Sohnes handelt. Diese Deutung läßt sich auch weiter folkloristisch 
erhärten, denn der Zwerg ist ein Hausgeist, mit anderen Worten einUhnen- 
geist. „El lebt in einem bestimmten Hause, zu dem er unzertrennlich gehört, 
zieht aber auch mit der Familie und oft gegen ihren Willen mit aus.“3 In 
Galizien sitzen die Totenseelen als Hausgeister um den Herd. In Lüthausen 
heißen diese Hausgeister Kaukas und sind nur ein Fuß hoch. Man gibt ihnen 
winzige Röcke, um sie günstig zu stimmen, denn sie können auch gefährlich 
werden. Wenn man sie mißhandelt oder nicht beachtet, zünden sie das Haus 
an. Bei den Ruthenen in Viatka ist der Haus- oder Ahnengeist (Domovoj) 
ein kleiner alter Mann, nicht größer als ein Knabe von fünf Jahren, der in 
einem roten Hemd und mit weißem Bart am Herde sitzt.** 

Wir sehen demnach, daß die Analyse wenigstens dieser mitteleuropäischen 
Zwergsagen die an einem Fall gewonnene Deutung der Zwerge vollends bestätigt. 

Den Zusammenhang mit der Kastration erweisen die merkwürdigen Füße, 
während der lange Bart, das Alter, besonders aber die Zugehörigkeit zur 
Klasse der Hausgeister den Zusammenhang mit dem Ahnenkult, d. h. mit dem 
Vater erhärtet. Doch der Zwerg ist auch der wiederkehrende Vater, das 
®tgene Kind, denn so heißt es im ungarischen Volkglauben 3 — die Zukunft 
gehört den Zwergen, und während die Riesen als Vorgänger der Menschen 
in der Weltherrschaft betrachtet werden, sind die Zwerge seine Nachfolger. 

Kehren wir nun zu den Alpträumen zurück. Wenn der Träumende sich 
von Elfen (winzigen Wesen) gedrückt fühlt und aus dem Traum mit einem 
Angstschrei erwacht, kann die Angst nur aus den verdrängten homosexuellen 
Regungen erklärt werden. Eine solche Voraussetzung ist gerade in der Herkules- 
s^e man denke an die Szene bei Omphale sowie an die dorische Knaben¬ 
liebe — sehr wohl zulässig. Die Angst gilt dem Penis des Vaters, dem 
negativen Ödipuskomplex, der Vorstellung der weiblichen Rolle (der Alp 
liegt stets oben), des Kastriertwerdens. 

Wie bei unserem Fall, können wir auch am folkloristischen Material oft 
sehen, daß eine Regression von der genitalen auf die anale Stufe stattgefunden 
hat, und daß die kleinen Männchen zu Vertretern der Exkremente wurden. 
Ihnen gehören nämlich die Schätze. Oft heißt es, daß sie dem Sterblichen 
einen scheinbar wertlosen Gegenstand geben, der sich dann bei Tageslicht in 
Gold verwandelt, aber auch umgekehrt, sie geben Gold und zu Hause wird 
daraus Dreck. Sie werfen Goldstücke in d ie Braupfanne der Menschen und 

1) Gönczi: Göcsej. 1914, 172, 175. 

2) *H. R. Schoolcraft: The Myth of Hiawatha. 1856, 90. 

3) Wuttke: Volksaberglaube, 43. * 

4) W. R. S. Ralston: The Songs of the Russian People, 1872, 121, 122. 

5) Vgl. Kälmäny: Vilägunk alakuläsai nyelvhagyomdnyaink ban, 1891. 

6) Vgl. Röheim; Psychoanalysis äs ethnologia. Ethnographia 1918. 










































Zur Deutung der Zwergsagen 103 


werden durch Menschenkot verjagt.^ Der Schatz wird von kleinen braunen 
Männlein mit langen Bärten gehütet.^ Die anale Bedeutung der braunen 
Männlein wird noch wahrscheinlicher, wenn wir hören, daß die Tschuktschen 
die Exkremente als alte Männer in braunen Pelzen personifizieren. ^ Auch sind sie bla¬ 
sende wehende Wesen; die Zwergnamen Austri, Vestri, Nordri und Sudri sowie 
Windalfri deuten auf die Winde. Dazu kommt noch als Zwergname Gustr, -— 
und gustr bedeutet altnordisch Flatus^ — Ein richtiger Zwerg muß aber auch 
einen Hut, eine Kapuze oder eine Tarnkappe haben. Im steirischen Hochlande 
haben die Truden grüne Käppchen auf, die sie unsichtbar machen. Gelingt 
es einem, solch ein Käppchen zu erhaschen, so kann er die Trud sehen. 

Schon der alte Petron weiß, daß, wer dem Incubo, dem Alp, das Hütchen 
nimmt, einen Schatz gewinnt. Ein Nachfahr des lateinischen Incubo ist der 
neapolitanische MonacieUo mit seinem breitrandigen Hut . . . Bei den Sandomierer 
Waldbewohnern heißt der Alp Vjek, der Alte, oder Gnotek, Drückerlein, 
und wenn man ihm die Mütze wegnehmen kann, bringt er viel Geld Die 
Tarnkappe erscheint auch als bergende Haut, als Mantel, so wie Helm eigentlich 
Hülle bedeutet.^ Zur Kaiserzeit erscheint in den Münzen von Pergamon neben 
dem Schlangengott Asklepios die Gestalt eines Kindes oder Zwerges mit 
Spitzhut (Kapuze) und Mantel, der Zwerg heißt Telesphoros und wird von 
der Antike als Heildämon der Genesung betrachtet. Das Wort scheint mit 
,^teleios^‘ „vollkommen^^ zusammenzuhängen und der Gott wäre demnach 
der Vollendete und Vollendende. Die Epheben feiern ihn als Vorbild, er gilt 
als lebensspendend und als Förderer jeglichen Wachstums. Es sind auch kleine 
Bronzestatuen des Telesphoros mit Spitzhut aufgefunden worden, bei denen 
der obere Teil der Statue abgenommen werden kann, wodurch ein Phallos 
sichtbar wird.^ 

Spitzhut, Tarnkappe und Kapuze werden also auch mit dem Phallos 
Zusammenhängen. — Nun wollen wir wieder auf unser klinisches Material 
zurückgreifen und erzählen, wie der Patient auf den Einfall kam, den Penis 
als einen Knaben mit Mütze darzustellen. 

Er erzählt folgenden Traum: Ich hin der Besitzer eines wunderharen Bücher¬ 
ladens. „Konstruktivistische^^ Zeichnungen, moderner Stil, alles einfach, geome¬ 
trisch im Laden. 

Dazu fällt ihm ein: „Das ist eine vornehme Sache.“ Er pflegt vornehm 
zu sprechen, um Mädchen, die ihm Avancen machen, abzuschrecken. Diese 
vornehme Manier ist ein Panzer, ein Schutz. Dann fallen ihm die beiden 
Wörter ein: Kruzifix und Kerze. Als Kind kam ihm immer beim Einschlafen 
die Vision eines Kruzifixes; Kerze bedeutet Onanie. Dann fällt ihm ein Witz 
mit einem Zündholz ein; ehe man es anzündet, ist es erigiert, dann hängt 


1) Laistner: Das Rätsel der Sphinx, 1889, I, 557, 545. 

2) Kühn au: Schlesische Sagen, III, 1915, 595. 

5) W. Bogoras: The Chukchee. Jesup North Pacific Exp., VII, 285. 

4) Vgl. Gylfag, 14, 14. Grimm: Deutsche Mythologie, I, 582. 

5) L. Laistner: Das Rätsel der Sphinx, 1889, I., 155. 

6) J. Grimm: Deutsche Mythologie, I., 585. 

7) J. Schmidt: Telesphoros Roschers Lexikon 75. Lieferung, S. 509. (Bezweifelt 
die Zugehörigkeit der Statuen zu Telesphoros, nicht aber die phallische Deutung.) 
J. E. Harrison: Themis, 1912, 581. 











Geza Röheim 


es langsam schlaff herab. Picasso hat solche kubistische Vorstellungen arran- 
giert: Der Schauspieler und die Schauspielerin sind in einer geometrischen 
Figur, gehen nach Hause und haben Geschlechtsverkehr. Dann spricht er 
darüber, daß Goethe ein Gedicht an den eigenen Penis geschrieben habe, in 
dem er den Penis als bezeichnet, und sagt: „Ich stelle mir den Penis 

als kleinen Spitzbuben vor, mit seitwärts aufsitzender Kappe.“ Hierauf spricht 
er von einer Statue in Budapest und vergleicht die Figuren der Statue mit 
schlaff hängenden Gliedern. 

Es scheint demnach, daß die Frage, ob der Penis einen Hut hat oder 
nicht, eng mit der anderen Frage zusammenhängt, ob er erigiert ist oder 
schlaff herunterhängt, das heißt mit der infantilen Onanie und mit der in 
der Kruzifixvision enthaltenen Kastrationsdrohung. Wenn man den Hut ab¬ 
nimmt (Telesphorosstatuen), kommt der Phallus heraus, d. h, beim erigierten 
Penis ist die Vorhaut (Hut, Kapuze, Mantel) nicht sichtbar. Nun geht aber, 
wie wir von Grimm erfahren haben, der Hut in den Mantel, in die Hülle 
über. Zu den stets wiederkehrenden Phantasien unseres Patienten gehört die 
Märehenphantasie des unsichtbar machenden Mantels, des riesigen Stabes 
(Penis) aus Eisen, der persönlichen Unverwundbarkeit und des nie versiegenden 
Geldbeutels; alle diese Wunderdinge dienen dazu, die Kastrationsangst zu um¬ 
gehen, bzw. als Penis (des Vaters) ewig in der Vagina zu leben. So geht die 
Symbolik des Hutes (Vorhaut) in die der Hülle (Vagina) über, ganz im Sinne 
Ferenczis, der annimmt, daß die Dauerinvaginierung der Eichel in einer 
Schleimhautfalte (in der Vorhaut) selbst nichts anderes ist — als eine Ge¬ 
schichte von den Tuanjiraka: 

In Rubuntja, einem Ort im Nordosten, lebten einst viele kleine Männer, 
namens Tuanjiraka. Diese schnitten sich mit ihren Steinmessern ihr rechtes 
Bein ab und gingen nur auf einem Bein weiter. Wenn an einem Jungen die 
Beschneidung vollzogen werden soll, so bringt man ihn zu Tuanjiraka. Dieser 
schlägt ihm mit einem Eidechsenschwanz den Kopf ab und am folgenden 
Morgen versetzt er ihn mit dem Schild aus Echidnafell einen Stoß, worauf 
der Junge umherwandert. Der Tuanjiraka selbst beschneidet den Jungen und 
wandert mit ihm herum.^ 

Was das Abschneiden des Beines, das Kopfabschneiden usw. in Zusammen¬ 
hang mit der Beschneidung bedeutet, braucht nicht erst ausgeführt zu werden, 
zumal die Sage gerade von dem Echidna-Ahnen erzählt, daß er in der Urzeit 
die Jungen nicht beschnitten, sondern kastriert habe. Tuanjiraka ist aber das 
Schwirrholz, also ein heiliges Gerät, dessen Penisbedeutung feststeht.^ Dem 
Burschen wird ja der Kopf mit einem Eidechsenschwanz abgeschlagen, die 
Eidechse ist aber das Tier, welches für die Geschlechtsunterschiede verant¬ 
wortlich gemacht wird;3 d. h. wiederum der Penis. Die Kastration wird also 
von einem Penis ausgeführt, und zwar, wie dies aber nur den Eingeweihten 
mitgeteilt wird, vom Penis eines mütterlichen Totemvorfahren. Die Einge¬ 
weihten nennen den Tuanjiraka „nankara^^ d. h. den Leib eines Totem- 
Ahnen, der den Jüngling überall begleitet und schützt. Ein zweites Schwirr- 


1) Strehlow: Die Aranda und Loritja. I, 102. 

2) Spencer und Gillen: The Arunta. 1927, I, 516. 
5) Vgl. Röheim: Australien Totemism. 1925. 






































Zur Deutung der Zwergsagen 


105 


holz welches dann mit dem Blut des subinzidierten Penis bestrichen und beim 
Liebeszauber benützt wird, wird dem Jüngling bei der Subinzision gegeben. 
Dieses namatuna stellt ebenfalls einen Ahnen dar, und man sagt dem Jüng¬ 
ling: „Dies ist dein Körper, dein zweites Ich,“^ d. h., das Ichideal entsteht 
auf der Grundlage einer Identifizierung des eigenen Penis mit dem Penis des 
Vaters. 

Für unseren Patienten ist aber der Hund das Kastrationssymbol. An¬ 
schließend an die Drohung vom Hund, der ihm den Penis abbeißen wird, 
erzählt er, daß sein Vater ihm zu seiner Geliebten mitnahm, und daß er sich 
dort vor einem großen Hund im Hof sehr fürchtete. Später identifiziert er 
dann einen Hund sowohl mit der eigenen Person als auch mit dem Penis 
des Analytikers, d. h. kurz zusammengefaßt, der Penis des Vaters erscheint 
als Hund oder Waffe, von der die Kastration droht, und der Zwerg wäre 
einerseits der abgeschnittene, andererseits aber auch der kastrierende (zum 
Weib machende) Penis des Vaters. 

Zur Vorstellung, daß die Kastration vom Penis des Vaters ausgeht, bringt 
derselbe Patient noch folgendes Material: 

Er erzählt eine Phantasie von einem Hund, der seinem Besitzer über 
Meere und Kontinente folgt. Der Hund blutet, er durchbrach eine Fenster¬ 
scheibe, um seinem Herrn folgen zu können. „So einen Penis sollte man 
haben, so stark, daß er Glasscheiben durchbricht.“ Dann wiederum sagt er 
mit Ekel und Aufregung: „Wie wenn der Hund der Penis des Herrn Doktor 

.. u 

wäre. — 

Ein anderer Patient berichtet von einer passiv-homosexuellen Onanie¬ 
phantasie mit dem Analytiker und erzählt gleich darauf, er hätte die ganze 
Nacht schreckliche Angst gehabt, eine große Maschine könnte ihm den Penis 
abschneiden. „Große Maschine, das wäre wohl der Penis des Vaters,“ sagt 
er dann und berichtet, daß er am letzten Tage eine lustvolle (korrigiert dann: 
Nein, lebensvolle) Vorstellung vom Penis des Vaters gehabt hätte. 


Über Sdiwangersdiaftsgelüste 

InauguraUDissertation zur Erlangung der Doktorwürde^ der medizinischen Fakultät der Ruperto- 
Carola-Universität zu Heidelberg vor gelegt 

Von 

Susanne Hupfer 

Medizinalpraktikantin 

Die Schwangerschaftsgelüste und -abneigungen haben in der Literatur eine 
recht widerspruchsvolle Beurteilung erfahren. N a e g e 1 e schreibt um die 
Mitte des 19. Jahrhunderts in seinem „Lehrbuch der Geburtshilfe : „Sehr 
gewöhnlich und oft in sehr belästigender Weise äußert sich der Einfluß der 
Schwangerschaft im Verdauungssystem. Zu den häufigsten Erscheinungen bei 
Beginn der Schwangerschaft gehören z. B. Übelkeiten, Neigung zum Er- 

i) Strehlow: L. c., II, 80, 81. 


L 











106 


Susanne Hupfer 


brechen, Widerwille gegen manche Speisen und Getränke, besondere Begierden 
(Gelüste) nach anderen, oft ungewöhnlichen und zuweilen selbst ekelerregen¬ 
den Dingen. Anm.: Die angegebenen Veränderungen im Verdauungssystem 
scheinen^ durch die veränderte Blutmischung und Innervation bedingt zu 
werden. “ 

H. Kogerer in «GenerationsVorgänge und Neuroseh“ (1927) ist der An¬ 
sicht, daß bei den Gelüsten „der Charakter des Zwangsmäßigen nicht mit 
solcher Deutlichkeit auftrete, daß man daraus auf bestimmte psychische Mecha¬ 
nismen schließen könnte . Seiner Ansicht nach wäre viel eher anzunehmen, 
„daß die Gelüste und Ekelgefühle zum Teil wenigstens durch sekretorische 
Störungen bedingt sind“. 

E. Kehrer in „Physiologie der Schwangerschaft“ (1925) betont dagegen 
bereits, daß die bis zum Ekel gesteigerte Abneigung gegen manche Speisen 
„vor allem auf Veränderungen in der Psyche, also wohl auf eine Unlust an 
der eingetretenen Schwangerschaft“ zu beziehen seien (Anorexia nervosa). „Die 
wiederholt ausgesprochene Annahme, daß diese Aversionen durch die Sekretions¬ 
verhältnisse des Magens bedingt sind, ist nicht oder nur zum kleinen Teil 
berechtigt. Vermutlich ist der umgekehrte Weg anzunehmen, nämlich die 
Abhängigkeit der Magensekretion von der Psyche (Dreyfus), wie vor allem 
aus den nach Pawlow angestellten Scheinfütterungsversuchen am Hund 
hervorgeht. Das Verlangen nach sauren Speisen läßt sich iii wissenschaftlich 
befriedigender Weise erklären durch die Herabsetzung der freien HCl und 
der Gesamtazidität des Magensaftes und durch das Bestreben des Körpers, 
seine Magensekretion auf die Norm einzustellen.“ 

J.^Novak in „Die Beziehungen des weiblichen Genitales zum Verdauungs¬ 
trakt (1927) führt u. a. aus: „Viele Schwangere haben Widerwillen gegen 
bestimmte Speisen, namentlich gegen Fleisch, Süßigkeiten, seltener gegen 
saure Speisen. Andere bevorzugen stark gesalzene und gewürzte Speisen, 
einzelne auch Süßigkeiten. Während sich derartige Veränderungen der Ge¬ 
schmacksrichtung noch im Rahmen der üblichen Kostformen bewegen, kann 
man bei anderen Schwangeren ganz sonderbare Gelüste beobachten, z. B. eine 
Vorliebe für den Genuß von Kreide, Erde, Asche u. dgl. . . . Wir müssen 
gestehen, daß wir über eine gesicherte Erklärungsmöglichkeit nicht verfügen. 
Wir können uns zwar ganz gut vorstellen, daß Hyp-, bzw. Anazidität eine 
gewisse Vorliebe für'saure Speisen, Hyperazidität für säurebindende Sub¬ 
stanzen (Kreide u. dgl.) weckt. In den meisten Fällen dürfte es sich aber um 
unterbewußte Vorstellungskomplexe abnorm veranlagter Frauen handeln.“ 

G. Steiner in „Psychische Untersuchungen an Schwangeren“ (1922) 
weist darauf hin, daß die Gelüste /) spontan auftreten können, ohne äußere 
Anregungen, daß sie 2) auftreten unter der Erscheinung des subjektiven 
Zwanges, der „in Auftreten und Wirkungsweise psychologisch durchaus unver¬ 
ständlich genannt werden muß“. An anderer Stelle führt er "aus: „Es sieht 
fast so aus, wie wenn die Gelüste und Ekelgefühle die polaren Enden einer 
und derselben psychischen Erscheinungsreihe wären." 

Helene Deutsch in „Psychologie des Weibes in den Funktionen der 
Fortpflanzung (1925) behandelt das Thema vom psychoanalytischen Stand¬ 
punkt aus. Sie sagt u. a.: »Die bereits im Koitus sich kundgebenden ambi¬ 
valenten Regungen späterer Entwicklungsphasen werden in der Schwanger- 















































über Sdiwangersdiafisgelüste 


107 


Schaft stärker. Der der ,späteren oralen Entwicklungsphase* (Abraham) 
zugehörige Ambivalenzkonflikt äußert sich in der Tendenz, das einverleibte 
Objekt wiederum — auf oralem Wege — auszustoßen. Sie findet ihren Aus¬ 
druck ini Schwangerschaftserhrechen, in typischem Aufstoßen, in sonderbaren 
Speisegelüsten usw.“ 

Soweit die von mir benützte Literatur. Ich möchte kurz meine Stellung 
zu dem Thema darlegen. Mir war das geheimnisvolle Kapitel der Schwanger¬ 
schaftsgelüste schon lange besonders anziehend erschienen. Vor einigen Jahren 
erfuhr ich zufällig die als Fall ii mitgeteilte Schwangerschaftsgeschichte einer 
mir persönlich gut bekannten Frau. Der mir sehr lebhaft geschilderte rätsel¬ 
hafte Zwang erregte meine „Neugier“. Das in den letzten Jahren betriebene 
Studium analytischer, folkloristischer und anthropologischer Literatur legte mir 
den Gedanken nahe, mit den so gewonnenen Gesichtspunkten an die Frage 
der Schwangerschaftsgelüste heranzutreten. Ich befragte vierzig Frauen und 
Mädchen, größtenteils Hausschwangere der Heidelberger Universitäts-Frauen¬ 
klinik. Im folgenden gebe ich das Ergebnis der Besprechungen, soweit es für 
diese Arbeit von Interesse ist, kurz wieder. 

Fall 1. Frau G. G. aus Mannheim, 19 Jahre alt, verheiratet seit drei Wochen. 
Stets gesund gewesen; seit dem i 5 . Lebensjahr regelmäßig menstruiert, Erstschwangere 
im neunten Monat. Es bestanden keinerlei Beschwerden während der Gravidität, 
kein Erbrechen, kein Ekel. Im zweiten Monat trat starkes Gelüst nach Äpfeln auf 
die sie zwar auch früher gern aß, aber nie so heftig begehrt hatte. Sie erinnert sich 
nicht, je von einem Gelüst nach Äpfeln in ihrer Bekanntschaft gehört zu haben. Das 
Verhältnis zu ihrem Mann soll stets gut gewesen sein. Sie freut sich auf das Kind, 
möchte einen Buben haben. An infantile Sexualtheorien kann sich die Pat. angeblich 
nicht erinnern. 

Fall 2. Frau A. M. aus Neustadt, 22 Jahre alt, verheiratet seit zwei Monaten. 
Stets gesund gewesen; seit dem 14. Lebensjahr regelmäßig menstruiert. Zweit¬ 
schwangere im neunten Monat; das erste Kind ist gesund. Beide Graviditäten ver¬ 
liefen beschwerdefrei, — es bestand kein Widerwille gegen irgendwelche Speisen, — 
dagegen beidemal Gelüst nach Obst, besonders nach Äpfeln. Von einem „Vorbild“ 
für dieses Gelüst weiß sie nichts. Das Verhältnis zum Mann ist gut, beide freuen 
sich auf das Kind. Geschlecht ist gleichgültig. Infantile Sexualtheorien werden 
nicht berichtet. 

Fall 5. Frau E. K. aus Ludwigshafen, 24 Jahre alt, verheiratet seit zwei Jaliren, 
stets gesund gewesen, menstruiert regelmäßig seit dem 14. Lebensjahr. Dritt- 
schwangere im neunten Monat (eine Totgeburt, ein Abortus). In den beiden ersten 
Graviditäten keine Beschwerden, kein Ekel, Gelüst nach Obst. Sie ist jetzt angeblich 
von einem Fremden überwältigt worden, ihr Mann verbüßt seit einem Jahr eine 
Gefängnisstrafe. Sie steht nicht gut mit ihm, er hat sie stets mißhandelt. In den 
ersten drei Monaten ab und zu Erbrechen, seitdem Wohlbefinden. Starkes Gelüst 
auf Obst. Infantile Sexualtheorien: Sie glaubte an die „Schnittentbindung“; über das 
Woher hat sie angeblich nie nachgedacht. 

Fall 4. Fräulein S. Sch. aus Köln, 28 Jahre alt, Zimmermädchen, War immer 
gesund, regelmäßig menstruiert seit dem 15. Lebensjahr. Erstschwangere im neunten 
Monat. Die Gravidität verlief beschwerdefrei. Sie hat Widerwillen gegen Fleisch, 
das sie sonst gern aß; seit dem zweiten Monat Gelüst auf Obst, besonders auf 
Orangen. Die sehr intelligente Pat. gibt an, daß die Gelüste ganz etwas anderes 
seien als etwa der Appetit auf ein als „gesund“ bekanntes Nahrungsmittel. Es sei 
„wie ein Zwang“. Infantile Sexualtheorien werden nicht berichtet. Pat. wünscht sich 
ein Mädchen. Ihre Verlobung ist seit einigen Monaten gelöst. 








Susanne Hupfer 


108 


Fall 5. Fräulein E. H. aus Eppingen, Dienstmädchen. Stets gesund gewesen, 
regelmäßig seit dem 15. Lebensjahr menstruiert. Zweitschwarigere im neunten Monat. 
Der Vater des ersten Kindes, eines jetzt vierjährigen gesunden Mädchens, hat sie 
verlassen. Der Vater des zweiten Kindes läßt seit einiger Zeit nichts mehr von sich 
hören. Beide Graviditäten verliefen heschwerdefrei. Beidemal traten im ersten Monat 
bereits Gelüste auf nach Äpfeln, Orangen und sehr gewürztem Tee mit Zitrone und 
Vanille. Sie hat viel Freude am ersten Kind imd freut sich trotz der materiellen 
Sorgen auch auf das zweite; das Geschlecht ist ihr gleichgültig. Über infantile 
Sexualtheorien kann sie keine Angaben machen. 

Fall 6. Fräulein A. Sch. aus Heßheim, 22 Jahre alt, Dienstmädchen. War immer 
gesund; regelmäßig menstruiert seit dem 15. Lebensjahr. Erstschwanger im achten 
Monat. Die Gravidität verlief beschwerdefrei, kein Erbrechen, kein Ekel. Seit dem 
zweiten Monat Gelüst nach Äpfeln. Geschlecht des erwarteten Kindes ist ihr gleich¬ 
gültig. Das Verhältnis zum Vater des erwarteten Kindes ist nicht gut. Von ihren 
infantilen Sexualtheorien weiß sie angeblich nichts. 

Fall 7. Fräulein L. K. aus Heitersheim, 25 Jahre alt, Dienstmädchen. Stets gesund 
gewesen, regelmäßig menstruiert seit dem 14. Lebensjahr. Zweitschwangere im 
neunten Monat, vor drei Jahren Abortus im sechsten Monat. Keine Beschwerden in 
der Gravidität, kein Erbrechen, keinen Ekel. Von Anfang an Gelüste nach Bananen; 
ihre Tante ist Hebamme, hat ihr gesagt, daß Obst für das Kind sehr gesund sei. 
Das schon vordem recht gute Einvernehmen mit dem Vater des Kindes soll sich in 
der Gravidität noch gebessert haben. Das Geschlecht des Kindes ist ihr gleichgültig. 
Infantile Sexualtheorien werden nicht erinnert. 

Fall 8. Fräulein E. Sehr, aus Eberbach, 22 Jahre alt, Dienstmädchen. War stets 
gesund, regelmäßig menstruiert seit dem 15. Lebensjahr. Erstschwangere im neunten 
Monat. Anfangs zweimal erbrochen, sonst keine Beschwerden, kein Ekel. Von Anfang 
an Gelüst nach Bananen. Sie kannte niemanden mit ähnlichen Gelüsten. Das Ver¬ 
hältnis zum Vater des Kindes ist gut. Geschlecht ist ihr gleichgültig. An infantile 
Sexualtheorien erinnert sie sich nicht. 

Fall g. Fräulein E. A. aus Sinsheim, 22 Jahre alt, Dienstmädchen. War immer 
gesund, regelmäßig menstruiert seit dem 15. Lebensjahr. Zweitschwangere im achten 
Monat. Ein Knabe von vier Jahren ist gesund. Beide Graviditäten waren beschwerde¬ 
frei, In der ersten Schwangerschaft hatte sie Gelüste nach Hering. Sie wünschte sich 
damals ein Mädchen, stand schlecht mit dem Vater des Kindes. Er hat sie bald nach 
der Geburt verlassen. Der Vater des zweiten Kindes ist wütend über die eingetretene 
Schwangerschaft. Sie freut sich trotz allem auf das Kind, will ein Mädchen haben. 
Sie hat von Anfang an Gelüste nach Bananen. Infantile Sexualtheorien: Sie glaubte 
an die „Schnittentbindung‘‘. Von Empfängnistheorien weiß sie nichts zu berichten. 
Sie träumt viel — und zwar immer wieder — von Eiern, die auf den Boden rollen 
und zerbrechen; von Läusen und Wanzen; von Kindern, die im Wasser liegen und 
ertrinken, ohne daß sie sie retten kann. 

Fall 10. Fräulein M. H. aus Mannheim, 24 Jahre alt, Verkäuferin. Stets gesund 
gewesen, regelmäßig menstruiert seit dem 14. Lebensjahr. Erstschwangere im neunten 
Monat. Keinerlei Beschwerden in der Schwangerschaft. Von Anfang an „Heißhunger 
auf Fleisch‘‘. Sie ißt es auch dann gierig, wenn sie soeben gesättigt von der Mahl¬ 
zeit kommt. Verhältnis zum Vater des Kindes angeblich freundlich. Sie wünscht sich 
einen Buben, träumt oft davon, daß er schön laufen kann und um sie herumspielt. 
Infantile Sexualtheorien; Glaubte als Kind an die Schnittentbindung. Über das „Wo¬ 
her“ hat sie sich angeblich keine Gedanken gemacht. 

Fall XI. Frau E. L., 45 Jahre alt, verheiratet seit 2X Jahren, berichtet über ihre 
erste und einzige Gravidität vor 20 Jahren folgendes (vergl. meinen Hinweis in der 
Anleitung): Zu Beginn der Gravidität 24 Jahre alt, ein halbes Jahr verheiratet; bis¬ 
her immer gesund gewesen, regelmäßig menstruiert seit dem 16. Lebensjahr. Vom 

























































über Sdiwangersdhaftsgelüste 


109 


zweiten bis fünften Monat morgendliches Erbrechen. Kein Ekel vor irgendwelchen 
S eisen. Das Kind wurde von seiten der Frau lebhaft gewünscht, es sollte ein Knabe 
sein Das Verhältnis zum Ehemann, der aus Bequemlichkeitsgründen die Abtreibung 
wünschte, war nicht gut. Vom vierten Monat an bis zum Ende der Gravidität bestand 
ein sehr heftiges Gelüst nach warmen Würstchen, die täglich in größerer Zahl ver¬ 
zehrt werden mußten, „es war wie ein Drang; gedacht habe ich dabei nur, daß ich 
sie essen muß“. Infantile Sexualtheorien werden nicht erinnert. 

Fall 12. Fräulein J. Z. aus Ludwigshafen, 21 Jahre alt, Zigarrenmacherin. War 
immer gesund, regelmäßig menstruiert seit dem 15. Lebensjahr. Zweitschwangere im 
neunten Monat. Die erste Gravidität verlief beschwerdefrei; das Kind, ein ein Jahr 
altes Mädchen, ist gesund. Auch in der zweiten Gravidität keine Beschwerden. Ver¬ 
hältnis zum Vater des Kindes schlecht, er hat sie vor einigen Monaten verlassen und 
heiratet eine andere. Sie hat Gelüst nach Rettich und Heringen (auch anderen Fischen). 
Infantile Sexualtheorien: Schnittentbindung (als sie am Ende der ersten Gravidität 
auf der Krankenkasse ihren Verbandkasten in Empfang nahm, fragte sie, ob auch 
ein Messer darin sei). Glaubte lange an die Zeugung durch den Kuß. 

Fall 15. Fräulein Ghr. H. aus Mannheim, 28 Jahre alt, Dienstmädchen. Immer 
gesund gewesen, regelmäßig menstruiert seit dem 15. Lebensjahr. Zweitschwangere 
im achten Monat; erstes Kind ist gesund, zweijähriges Mädchen. Sie stand damals 
gut mit dem Vater, mit dem sie seit einem halben Jahr entzweit ist; wünschte einen 
Knaben. Sie hat in den beiden Graviditäten viel erbrochen bis zum fünften Monat, 
hatte in der gleichen Zeit Appetit auf Saures (Salat, Gurke, Essig). Verhältnis zum 
Vater ihres zweiten Kindes gut, sie wünscht einen Knaben. Infantile Sexualtheorien 
werden nicht berichtet. 

Fall 14. Fräulein E. Kl. aus Ludwigshafen, 25 Jahre alt, Dienstmädchen. Stets 
gesund gewesen, regelmäßig menstruiert seit dem 14. Lebensjahr. Erstschwangere 
im achten Monat. Sie hatte zwei Monate lang Erbrechen; ißt gern Hering und 
Rollmops. Ihr Verhältnis zum Vater des Kindes ist gut; sie ist relativ gleichgültig 
gegenüber dem erwarteten Kinde. Ein Knabe wäre ihr lieber als ein Mädchen; sie 
träumt zuweilen von dem Kinde, Neulich sah sie es tot vor sich (sie bringt das in 
Verbindung mit ihrer Arbeit im Laboratorium, wo ihr die Embryonen in Spiritus 
großen Eindruck gemacht haben). Infantile Sexualtheorien: Sie nahm die Schnitt¬ 
entbindung an; über das „Woher“ hat sie sich angeblich nie Gedanken gemacht. 

Fall 15. Fräulein Fr. V. aus Landau, 17 Jahre alt, Fabriksarbeiterin. War stets 
gesund, seit dem 15. Lebensjahr regelmäßig menstruiert. Erstschwangere im zehnten 
Monat. Die Schwangerschaft verlief vollkommen beschwerdefrei; sie hat oft Appetit 
auf Hering. Ihre ältere Schwester hatte das auch in der Gravidität. Sie hat eine 
Abneigung gegen Orangen, die sie sonst gerne mochte. Das Verhältnis zum Vater 
des Kindes ist gut. Geschlecht des Kindes ist ihr gleichgültig. Infantile Sexual¬ 
theorien V Sie glaubte an die Schnittentbindung. Ferner nahm sie an, man bekomme 
Kinder nach dem Einnehmen eines Pulvers. 

Fall 16. Fräulein L. G. aus Weißenheim, 20 Jahre alt, Dienstmädchen. Früher 
immer gesund gewesen, regelmäßig menstruiert seit dem 14. Lebensjahr. Erst¬ 
schwangere im neunten Monat. Anfangs Sodbrennen gehabt, sonst keine Beschwerden. 
Sie steht gut zum Vater des Kindes. Er wünscht einen Knaben, ihr ist das Geschlecht 
angeblich gleich. Sie träumt viel; anfangs sah sie oft tote Kinder in Blut und Wasser 
schwimmen. Seit einigen Wochen träumt sie „freundlicher“. Sie sieht oft ein Mädchen 
um sich herum spielen. Sie hat Gelüst nach Hering und anderen Fischen, die sie 
früher nicht essen mochte, Wurst, die sie immer gern aß, ist ihr jetzt zuwider. 
Infantile Sexualtheorien: Schnittentbindung. Eine scherzhafte Bemerkimg ihrer Mutter, 
man bekomme durch Essen von Pellkartoffeln Kinder, hat ihr lange Zeit keine Ruhe 
gelassen. 

Fall 17. Fräulein M. G. aus Eberbach, 29 Jahre alt, Fabrikarbeiterin. Nie ernst- 













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Susciime Hupfer 


lieh krank gewesen, regelmäßig menstruiert seit dem 14. Lebensjahr. Viertschwanffere 
™ neunten Monat. Drei Kinder leben bei ihren Eltern. Verhältnis zum Vater des 
^ndes gut, sie wollen heiraten. In allen vier Graviditäten hat sie in den ersten 
Monaten erbrochen. In der gleichen Zeit hatte sie zuweilen Appetit auf Gurken und 
Hering. Infantile Sexualtheorien werden nicht erinnert. 

Fall 18. Diesen Bericht verdanke ich der Schwester (Fall 10), die bei unserer 
Besprechung spontan von dem „merkwürdigen« Verhalten erzählte, das ihre ältere 
Schwester bei ihrer ein Jahr zurückliegenden Schwangerschaft gezeigt habe. E. H. 
aus Mannheim, 25 Jahre alt. Früher immer gesund; in der Gravidität keine Be- 
schwerden. Sie hatte von Anfang an heftigsten Ekel vor Eiern, die sie früher gern 
a . El in der Suppe war ihr nicht widerlich, aber das ganze Ei mit der Schale 
konnte sie nicht sehen. Noch jetzt, ein Jahr nach der Geburt, wird ihr schlecht 
wenn sie nur Eierschalen sieht. Sie hatte während der ganzen Zeit ihrer Schwanger- 
schaft starken Widerwillen gegen den Vater ihres Kindes, sie wollte ihn nicht sehen • 
sie a erte selbst wiederholt ihr Befremden über diesen Gesinnungswechsel, für den 
Me keine Begründung wußte. Sie wünschte einen Knahen. Nach der Geburt des 
Kindes wurde die Einstellung zum Vater wieder freundlicher; sie wollen heiraten. 

Fall 19. Fräulein F. D. aus Ludwigshafen, 20 Jahre alt, Dienstmädchen. War 
immer gesund, regelmäßig menstruiert seit dem 15. Lebensjahr. Erstschwangere im 
achten Monat. Zwei Monate erbrochen, sonst keine Beschwerden gehabt. Verhältnis 
zum Vater des Kindes nicht gut; sie wünscht einen Knaben. Sie hat von Beginn der 
Schwangerschaft an Ekel vor Eiern. Wenn sie nicht weiß oder nicht schmeckt, daß 
Eier zu irgendeiner Speise verwendet worden sind, kann sie sie essen und bekommt 

nachher keine Beschwerden, kein Erbrechen. Infantile Sexualtheorien werden nicht 
erinnert. 


Fall 20. Fräulein L. W. aus Mannheim, 24 Jahre alt, Dienstmädchen. Immer 
psund gewesen, regelmäßig menstruiert seit dem 15. Lebensjahr. Zweitschwangere 

IvLn^ r n"*®" Gravidität aß sie gern Obst. Hatte vom ersten 

Monat an heftigen Widerwillen gegen Eier und gegen Fleisch. Der Vater des Kindes 
verlobte sich im fünften Monat mit einer anderen. Das Kind starb wenige Wochen 
nach der Geburt 1« der zweiten Gravidität hat sie keinerlei Ekelgefühle gehabt, 
keine Geluste_ Das Verhältnis zum Vater ihres gegenwärtig erwarteten Kindes isl 
gut. Geschlecht des Kindes ist ihr gleichgültig. Infantile Sexualtheorien: Schnitt¬ 
entbindung. An Vermutungen über das „Woher“ kann sie sich nicht erinnern. 

Fall 21. Fräulein B. D. aus Birkweiler, 20 Jahre alt, Dienstmädchen. War nie 
Tennt M menstruiert seit dem 13. Lebensjahr. Erstschwangere im 

r Verhältnis zum Vater des Kindes ist jetzt gut, war zu Beginn der 

gereizt. Das Geschlecht des Kindes ist ihr gleichgültig. Sie hatte keine 
Beschwerden m der Schwangerschaft, keine Gelüste. Heftigen Widerwillen gegen 
Eier ; in der Suppe ißt sie sie wohl, aber sie „kann keine ganzen Eier sehen“ Sie 

™ Schwangerschaft einmal versehentlich 

werde^nl^ht anygXn!" Sexualtheorien 


36 Jahre alt, Geschäftsreisende. Nie ernst- 
heb krank gewesen, regelmäßig menstruiert seit ^dem 15. Lebensjahr. Zweit- 

Gravidität keine Beschwerden, keine 
Gelüste, ^m Ekel. Das Verhältnis zum Vater des ersten Kindes war gut- er ist 
gefaUen. Das Kind, ein fünfzehnjähriger Junge, ist gesund. Jetzt hat sie^e’ine Be- 

Sri ^ Aussicht auf das Kind. Der Vater, ein verheirateter Mann mit zwei 
Kindern, ebensowenig. Geschlecht des Kindes ist ihr gleichgültig. Infantile Sexual- 
eonen. le nahm die „Nabelgeburt“ an. Zeugungstheorien werden nicht erinnert. 










































über Sdiwangerschaftsgelüste 


111 


Fall 25. Fräulein L. Sch. aus Hockenheim, 51 Jahre alt, Fabrikarbeiterin. War 
bisher immer gesund, regelmäßig menstruiert seit dem 14. Lebensjahr. Erst¬ 
schwangere im neunten Monat. Der Vater hat das Kind noch nicht anerkannt. Das 
Verhältnis ist gespannt. Sie will ein Mädchen haben, hat es schon im Traum ge¬ 
sehen, es selber ähnlich. Keine Beschwerden, keine Gelüste, kein Ekel. 

Infantile Sexualtheorien: Schnittentbindung. Vermutungen über das „Woher“ werden 
nicht erinnert. 

Fall 24. Fräulein L. K. aus Speyer, 25 Jahre alt, Dienstmädchen. Immer gesund 
gewesen, regelmäßig menstruiert seit dem 14. Lebensjahr. Zweitschwangere im 
neunten Monat. Erste Gravidität verlief ohne Beschwerden; keine Gelüste, kein Ekel; 
sie stand gut mit dem Vater (^der sie einige Monate nach der Geburt des Kindes, 
eines jetzt vierjährigen Knaben, verließ), wünschte sich ein Mädchen. Mit dem 
Vater des zweiten Kindes steht sie gut, sie will ein Mädchen haben. Sie hat keinerlei 
Beschwerden gehabt, keinen Ekel, keine Gelüste. Seit einigen Wochen hat sie immer 
starken Durst. Infantile Sexualtheorien werden nicht erinnert. 

Fall 25 bis 54. Betrifft zehn ledige Erstschwangere im Alter von 18 bis 54 Jahren, 
die bisher nie ernstlich krank waren. Sie stehen im siebenten bis neunten Monat 
der Gravidität, haben keinerlei Beschwerden gehabt, keine Gelüste, keinen Ekel. Ich 
berichte zusammenfasssend über sie, weil ihnen gemeinsam ein sehr schlechtes Ver¬ 
hältnis zum Vater ihres Kindes ist, der sich entweder weigert, das Kind anzuerkennen 
oder durch Wegzug vom gemeinsamen Wohnort vorläufig unauffindbar ist. Alle diese 
Schwangeren wünschen, daß das zu erwartende Kind ein Mädchen sei. Über infantile 
Sexualtheorien konnten sie keine Angaben machen. Zwei waren Anhängerinnen der 
Schnittentbindung gewesen, eine hatte sich für die Nabelgeburt entschieden. 

Fall 55. Fräulein O. Schn, aus Mannheim, 25 Jahre alt, Dienstmädchen. War nie 
ernstlich krank, regelmäßig menstruiert seit dem 13. Lebensjahr. Erstschwangere im 
neunten Monat. Hatte keinerlei Beschwerden, keine Gelüste, keinen Ekel. Bis vor 
kurzem hatte sie heftige Wut auf den Vater des Kindes, angeblich ohne Anlaß; sie 
hätte ihn durchpeitschen mögen. Sie freut sich nicht auf das Kind, das Geschlecht 
ist ihr gleichgültig. Vor kurzem träumte ihr, daß sie frisch entbunden im Bett liege, 
ihr Kind wird in einen Sarg gelegt und weggefahren. In einem anderen Traum sah 
sie einen Riesenstorch, sie dachte im Trairni, man kann den Kindern gut weiß 
machen, daß sie ein so großer Storch bringt, das werden sie schon glauben. An 
infantile Sexualtheorien erinnert sie sich angeblich nicht. 

Fall 36. Fräulein E. O. aus Mannheim, 22 Jahre alt, Kontoristin. Immer gesund 
gewesen, regelmäßig menstruiert seit dem 15. Lebensjahr, Erstschwangere im neunten 
Monat. Im Beginn der Gravidität hatte sie „Anfälle“, die zum erstenmal auftraten, 
als sie erfuhr, daß ihr Bräutigam verheiratet und Vater zweier Kinder sei. Im übrigen 
verlief die Schwangerschaft ohne Störungen, bis auf gelegentliches Erbrechen in den 
ersten zwei Monaten. Sie hat keinerlei Ekel, hat Gelüste auf süße Sachen. Sie 
wünscht, ein Mädchen oder Zwillinge zu bekommen; ihr Jugendfreund, der sie jetzt 
heiraten will, ist infolge einer Kriegsverletzung zeugungsunfähig. Infantile Sexual¬ 
theorien: Der Leib platzt bei der Geburt vom Nabel an nach unten zu auf. An 
Zeugungstheorien erinnert sie sich nicht. Mit etwa 15 Jahren erfuhr sie den tatsäch¬ 
lichen Geburtsmechanismus. In den Träumen der letzten Zeit werden die kindlichen 
Anschauungen wieder lebendig, das Kind wird durch den Nabel geboren, es schaut schon 
mit dem Kopf heraus und spricht bereits. Ein andermal wird der Leib aufgeschnitten. 
In ihren Anfällen und in Träumen sah sie oft eine Frau, die sie bös anschaut und 
das eben geborene Kind nimmt (der Vater ihres Kindes schickte ihr zu Beginn der 
Gravidität eine Spritze und eine Flasche Holzessig mit der Aufforderung zur 
Abtreibung). 

FaU 57. Fräulein A. E. aus Nußloch, 22 Jahre alt, Dienstmädchen. War nie ernst¬ 
lich krank, regelmäßig menstruiert seit dem 13. Lebensjahr. Erstschwangere im 









1 


^12 Susanne Hupfer 


neunten Monat. Sie hat bis zum dritten Monat erbrochen. Kein Ekel. Vom zweiten ' 
Monat ab Gelüste auf Süßigkeiten, aus denen sie sich bisher wenig machte. 
Verhältnis zum Vater des Kindes ist nicht gut. Sie mochte ein Mädchen haben 
Infantile Sexualtheorien: Sie glaubte an die Nabelgeburt; Zeugungstheorien werden ^ 
nicht erinnert. 

Pall 58. Fräulein E. S. aus Ziegelhausen, 19 Jahre alt, Dienstmädchen. Erst¬ 
schwangere im achten Monat. War immer gesund, regelmäßig menstruiert seit dem « 
15. Lebensjahr. Sie hatte keine Beschwerden während der Schwangerschaft, keinen 
Ekel; von Anfang an Gelüst nach Süßigkeiten, besonders nach Kuchen. Das Ver- ' 
hältnis zum Vater des Kindes ist gut, sie wollen bald heiraten. Sie wünscht sich ein 
Mädchen, freut sich sehr auf das Kind. Infantile Sexualtheorien werden nicht ‘ 
erinnert. 

Fall 59. Fräulein M. G. aus Emsmannsreuth, 29 Jahre alt, Dienstmädchen. War ' 
immer gesund, regelmäßig menstruiert seit dem 14. Lebensjahr. Zweitschwangere i 
im achten Monat. In der ersten Schwangerschaft keine Beschwerden, kein Ekel, ^ 
Gelüste auf Süßigkeiten. Jetzt kein Ekel, keine Gelüste. Verhältnis zum Vater des' 
Kindes gut. Geschlecht des Kindes ist ihr gleichgültig. Infantile Sexualtheorien ’ 
werden nicht erinnert. 

Fall 40. Fräulein W, K. ans Mannheim, 19 Jahre alt, Verkäuferin. Nie ernstlich 
krank gewesen, regelmäßig menstruiert seit dem 14. Lebensjahr. Erstschwangere im • 
neunten Monat. Hat sechs Wochen lang Erbrechen gehabt, seitdem keine Be- ' 

schwerden, kein Ekel. Vom zweiten Monat an Gelüste nach Schokolade, aus der sie • 

sich sonst nicht viel machte. Verhältnis zum Vater des Kindes freundlich. Geschlecht 1 
des Kindes ist ihr gleichgültig. Infantile Sexualtheorien werden nicht erinnert. 

Eine Zusammenfassung ergibt; Zehn Schwangere haben Gelüste nach I 
Früchten (Äpfeln, Bananen, Orangen), zehn nach Süßigkeiten (Schokolade, i 
Kuchen), vier nach Hering, eine nach Rettich, eine nach Fleisch, eine nach 
warmen Würstchen, eine nach stark gewürztem Tee, eine hat anfallsweise • 
starken Durst. Drei Frauen geben an, keine Gelüste zu haben, nur ab und s 

„Appetit auf Saures, eine spricht in ähnlicher W^eise von „Appetit auf j 
Obst“, Widerwillen gegen Eier fand ich in vier Fällen, gegen Fleisch in J 

zwei Fällen, gegen Fisch in einem Falle. Die Frage nach den infantilen 

Sexualtheorien, über die im folgenden noch zu sprechen ist, ergab, daß elf j 
Schwangere bis zur vollständigen Aufklärung an die „Schnittentbindung“ 
geglaubt hatten, drei an die „Nabelgeburt“, eine an eine Kombination (die I 
Nabelöffnung wird durch einen Schnitt erweitert). Nur in drei Fällen erfuhr 
ich die kindlichen Zeugungstheorien: Einmal Zeugung durch den Kuß, einmal 
durch ein Pulver, das die Frau einnehmen muß, und ein Mädchen hatte ‘ 
lange Zeit an die Behauptung der Mutter geglaubt, man könne Kinder be¬ 
kommen durch Essen von Pellkartoffeln. Man kann einwenden, das sei keine 
eigene Theorie, aber ich bin der Meinung, daß sie sich mit der Vermutung 
des Kindes doch wenigstens vertragen haben muß, sonst hätte die Vorstellung 
kaum jahrelang eine Rolle spielen gönnen. Zur Erzählung' von Träumen 
waren die Schwangeren nur schwer zu bewegen, vielleicht aus der Be¬ 
sorgnis heraus, für abergläubisch gehalten zu werden. Dennoch bekam ich 
zehn Träume berichtet, die ich mitgeteilt habe, weil ich sie im Zusammen¬ 
hang dieser Arbeit für wichtig halte. Sie handeln neunmal von Kindern, 
darunter zweimal von solchen, die im Wasser liegen, dreimal von toten 
Kindern, in drei Fällen laufen die Kinder schon herum. Eine Schwangere 


































































über Sdiwangersdiaftsgeiüste 


113 


erlebt im Traum, daß sich die Geburt nach ihrer kindlichen Nabelschnitt- 
Theorie vollzieht. Ein Traum handelt von Läusen, Wanzen und zu Boden 
rollenden Eiern. 

Ehe ich dazu übergehe, die einzelnen Gelüste näher zu betrachten, möchte 
ich kurz über die Meinungen berichten, die sich bei primitiven und zivili¬ 
sierten Völkern über die Schwangerschaftsgelüste finden. Bartels und 
ploß schreiben in ihren anthropologischen Studien, daß die Schwangeren 
von altersher in dem Rufe stehen, zeitweilig von der „unüberwindlichen 
Neigung“ befallen zu werden, bestimmte Dinge zu essen und zu trinken. 
Einem solchen Gelüst darf man nach der Meinung des Volkes unter keinen 
Umständen entgegentreten, weil sonst „sowohl die Mutter als auch das im 
Werden begriffene Kind an Leib und Leben Schaden zu nehmen verhiöchte*. 
Die alten Inder hatten die Auffassung, daß es sich bei den Gelüsten eigent¬ 
lich gar nicht um Wünsche der Frau, sondern um solche des Kindes handle. 
So heißt es bei Schmidt über die Entwicklung der Frucht: „Im vierten 
Monat geht die Teilung in alle Haupt- und Nebengliedmaßen ganz deutlich 
erkennbar vor sich; und da der Fötus nun ein deutlich entwickeltes Herz 
besitzt, ist auch die Substanz des VorstellungsVermögens deutlich vorhanden, 
aus dem Grunde, weil es dort seinen Sitz hat. Daher zeigt der Fötus im 
vierten Monat Verlangen nach Gegenständen der Sinne, und man nennt eine 
solche Frau mit zwei Herzen ,mit Schwangerschaftsgelüsten behaftet*.“ Wie 
schon erwähnt, müssen nach der Volksmeinung die Gelüste unbedingt be¬ 
friedigt werden. Grimm berichtet, daß nach den Weistümem die Schwangeren 
ihre Gelüste nach Obst, Wildbret, Gemüse usw. nach Belieben befriedigen 
durften, ohne strafbar zu werden, wenn sie diese Dinge stahlen. Im Schwarz¬ 
wald z. B. darf eine Schwangere ohne weiteres Früchte, nach denen es sie 
gelüstet, aus einem fremden Garten nehmen, unter der Bedingung, daß sie sie 
sofort verzehrt. Die altindischen Ärzte, ebenso wie die jüdischen Ärzte des 
Talmud, forderten, daß die Gelüste unter allen Umständen befriedigt werden 
müßten; die Juden durften sogar deshalb nötigenfalls den Versöhnungstag ent¬ 
weihen und die Speisegesetze unberücksichtigt lassen. Alle diese Zeugnisse 
sprechen also eindeutig für die von Steiner (Heidelberg) vertretene 
Ansicht, daß die Gelüste zwangsmäßig auftreten; dieser Zwang wurde auch 
von jeher von dritter Seite respektiert. Es sieht nun hier so aus, als ob es 
die Aufgabe des Zwanges wäre, die Ausführung von Handlungen zu sichern, 
die sonst infolge mangelnder „vernünftiger“ Begründung oder sogar wegen 
ihrer scheinbaren Sinnlosigkeit, ja Schädlichkeit, unterbleiben würden. Ich 
möchte glauben, daß in Wirklichkeit den Gelüsten ein tiefer Sinn zugrunde 
liegt, daß das Wissen darum aber in einer seelischen Schicht zu suchen ist, 
zu der wir nicht ohne weiteres Zugang haben. Der Weg, der zum Ver¬ 
ständnis der scheinbar sinnlosen Begierden und Abneigungen führt, geht 
meiner Meinung nach über die Betrachtung der primitiven und infantilen 
Zeugungstheorien. 

Bei der psychoanalytischen Erforschung des Unbewußten und des Kinder¬ 
seelenlebens konnte Freud feststellen, daß die meisten Kinder zu einer Zeit, 
wo ihnen eine verständnisvolle Kenntnis der Sexualvorgänge noch fehlt, eine 
Reihe typischer, immer wiederkehrender „Sexualtheo^’ien“ bilden. Wie 
ü. Rank in den „Völkerpsychologischen Parallelen zu den infantilen Sexual¬ 
int, Zeitschr. f. Psychoanalyse, XVI/i 


8 







114 


Susanne Hupfer 


theorien ausführt, sind uns nun ganz ähnliche „Irrtümer“ auch aus der 
Kindheit der Völker überliefert und kommen immer wieder beim Erwachsenen 
dort zum Vorschein, „wo sich die im Unbewußten fortlebende primitive 
Anschauungs- und Arbeitsweise der menschlichen Psyche erhalten hat“. 
S. Krauß schreibt in seiner Arbeit „Folkloristisches von der Mutterschaft“ 
daß die Erkenntnis des Zusammenhanges zwischen Sexualverkehr und Emp¬ 
fängnis den Menschen erst relativ spät zum Bewußtsein kam und daß sich 
die ältesten Vorstellungen der Menschheit in die Mythologie retteten. Nun 
wissen wir, daß die häufigste Sexualtheorie der Primitiven wie der Kinder 
diejenigen von der Befruchtung durch das Essen oder Trinken ist. Sie ist 
besonders für das Märchen charakteristisch und wurde bereits 1908 von 
Riklin im Sinne der Freudschen Verlegung von unten nach oben an 
einigen Beispielen belegt. Der infantile Verlegungsprozeß, den man auch am 
neurotischen Erwachsenen studieren kann, ist aber für den Primitiven unum¬ 
stößliche Wahrheit. So ist nach dem Glauben der Primitiven (zitiert nach 
Krauß) eine Befruchtung möglich durch Genuß eines Apfels, einer Mango¬ 
frucht, eines Kürbiskernes, einer Traube, einer Bohne, durch Verschlucken 
eines Fisches, durch den Kuß, durch Blut, Speichel, Schweiß, durch den 
Regen, durch Lehm, Unrat usw. 

Ich möchte nun unter Heranziehung der völkerkundlichen imd völker¬ 
psychologischen Daten die Bedeutung der mir von den Schwangeren ange¬ 
gebenen Gelüste und Ekelgefühle untersuchen. An erster Stelle stehen da 
zahlenmäßig die Gelüste nach Obst, vor allem nach Äpfeln, Bananen und 
Orangen. Dazu möchte ich folgende Geschichte berichten: „In Siam, im Lande 
der Laos, lebte ein Aussätziger, der Liebesäpfel anpflanzte. An einem der 
Bäume pflegte er täglich zu urinieren und die Samenteilchen imprägnierten 
die Wurzel, so daß der Baum besonders große Früchte trug, weil in ihnen 
das Prinzip des Lebens schwoll. Von diesen Äpfeln bekam die königliche 
Prinzessin zu essen, wurde hiedurch schwanger und gebar nach zehn Monaten 
einen Sohn (Bab). Den alten Juden waren ebenfalls die Dudaim (Liebes¬ 
äpfel) bekannt, die Rüben während der Weizenernte auf dem Felde fand und 
seiner Mutter Lea brachte. (1. Mos. 50, 14 bis 25.) Diese streitet sich mit 
der Schwester Rahel um die Frucht und in der Folge werden beide schwanger 
und gebären jede einen Sohn. Um der jungen Frau einen reichen Kinder¬ 
segen zu sichern, befolgt man in Syrien folgende Gebräuche: Wenn die Braut 
das Haus ihres Mannes betritt, befestigt sie über dem Eingang ein Stück 
Sauerteig und zertritt auf der Schwelle einen Granatapfel (wobei die Samen¬ 
körner, nach O. Rank ein Spermasymbol, frei werden). Bei den lateinischen 
Christen in Sidon muß die Braut ebenfalls über der Tür ihres neuen Heims 
eine Handvoll Teig mit einem Granatapfel dem einst der lebenspendenden 
Astarte heiligen Symbol der Fruchtbarkeit — anbringen. Nach den Solonischen 
Gesetzen mußte die Braut mit ihrem Bräutigam einen Apfel verzehren. Die 
Vermählung des Paris mit der Liebesgöttin Aphrodite wurde durch das be¬ 
kannte Apfelurteil eingeleitet. In einem kyprischen Märchen wird ein Mädchen 
durch den Genuß eines Apfels schwanger, der auf einem aus dem Grabe 
i^es Vaters sprossenden Baume wächst. In einem bosnischen Märchen erhält 
ein kinderloser Mann von einem Pilger einen Apfel mit dem Rate, die Schale 
seiner Hündin und seiner Stute zu geben, den Apfel aber mit seiner Frau 






















































Uber Sdiwangersdiaftsgelüste 


115 


zu teilen. Die Teilung eines Apfels zwischen Braut und Bräutigam hat sich 
als ßefruchtungssymbol auch in einem slawischen Hochzeitsbrauch erhalten. 
Erinnert sei bei dieser Gelegenheit auch an den „Sündenfall“, das gemein¬ 
same Verzehren des Apfels durch Adam und Eva. In dem italienischen 
Märchen von Mela und Bruccia ißt eine Königin einen Apfel, ihre Kammer¬ 
frau verzehrt die Schale. Nach neun Monaten bringen beide Knaben zur 
'W'elt, die treue Freunde werden. Auch in der nordischen Völsungasaga 
findet sich das Motiv des befruchtenden Apfels: Die lange Zeit kinderlose 
Frau Rerirs wird schwanger durch den Genuß eines von Odin gesandten 
Apfels. Ich glaube, diese kleine Auswahl von Beispielen aus Mythologie und 
Völkerkunde reichthin zum Verständnis der Gelüste nach Äpfeln, überhaupt 
nach Obst. 

Ich will nun das vielumstrittene Herings- oder Fischgelüst betrachten. In 
meiner Zusammenfassung habe ich unterschieden zwischen dem echten, zwfmgs- 
mäßigen „Gelüst“ nach Hering und anderen Fischen, die nicht sauer zu sein 
brauchen, und dem „Appetit“ auf saure Sachen, wie Gurke, Hering, Essig, 
saurem Salat usw. Von den drei Frauen, die über diesen „Appetit“ berichteten, 
gaben zwei spontan einen zeitlichen Zusammenhang mit dem Brechen an, 
meist sei der Appetit im Anschluß an den Brechakt rege geworden. Diese 
Fälle lassen sich vielleicht erklären mit der Annahme E. Kehrers von einem 
Säurebedürfnis des Körpers infolge der durch das starke Erbrechen bedingten 
Herabsetzung der Azidität. Als echtes Gelüst möchte ich einen so erklärbaren 
Appetit aber nicht bezeichnen. Die wirklichen Gelüste nach Hering (der nicht 
sauer zu sein braucht) und anderen Fischen werden als Befruchtungsphantasien 
unschwer erkannt aus folgendem ukrainischen Volksmittel gegen Unfruchtbar¬ 
keit; Man verschluckt (außer verschiedenen Tees usw.) kleine Fische, um 
schwanger zu werden. Der Fisch ist, wie Rank betont, ein bekanntes 
Fruchtbarkeits- und Phallussymbol. Das Gelüst nach warmen Würstchen, das 
im Fall 11 berichtet wurde, entbehrt einer speziellen völkerkundlichen 
Parallele, scheint aber doch recht deutlich erkennbaren Symbolcharakter zu 
haben. Es sei hier ein von Wlislocki beschriebener Schlangenzauber der 
Zigeunerinnen der Donauländer erwähnt; Wenn es einem unfruchtbaren Weib 
gelingt, eine in der Oster- oder Pfingstwoche gefangene Schlange zu berühren, 
so darf es auf eine Schwangerschaft hoffen. 

Eine Frau (FaU 24) gab auf meine Frage nach Gelüsten zur Antwort, daß 
sie „anfallsweise“ starken Durst habe, der ihr, da sie nie scharfe, durst¬ 
erregende Speisen esse, ganz unerklärlich sei. Man könnte hier vermuten, 
daß der Wasserhaushalt der Schwangeren etwa durch Vermittlung der Hypo¬ 
physe gestört sei. Der sehr ausgeprägte Gelüstcharakter scheint mir aber eher 
auf eine andere Erklärungsmöglichkeit hinzuweisen. Ich greife nochmals auf 
Fall 11 (Gelüst nach warmen Würstchen) zurück. Das Charakteristische bei 
den häufigen Würstchenmahlzeiten war die Hast, die „unheimliche Lust des 
Verzehrens“, in der ein gewisser Sadismus zum Ausdruck kam. Die Frau gab 
an, sie habe von den Würstchen überhaupt nichts geschmeckt, sondern sie 
fast ganz verschlungen, eins nach dem andern, mit dem Gefühl, etwas Ver¬ 
botenes zu tun. Sie schämte sich hinterher ihres „Exzesses“ und wechselte 
oft den Metzger, weil sie fürchtete, den Spott der Leute zu erregen. Ähnlich 
waren die Empfindungen der Schwangeren in Fall 24, wenn sie ihrem Durst 


8 * 









116 


Susanne Hupfer 


frönte. Nun ist Wasser ein längst bekanntes Symbol der Befruchtung. Das 
Trinken eines bestimmten Wassers gilt z. B. im Orient als fruchtbringendes 
Mittel; so trinken die Levantinerinnen Jordanwasser, um die Unfruchtbarkeit 
zu beheben. Bereits P 1 i n i u s erwähnt, daß die Ägypterinnen dem Nilwasser 
befruchtende Kraft zuschreiben. Derselbe Brauch findet sich etwas modifiziert 
bei den ungarischen Zigeunerinnen; Die unfruchtbare Frau trinkt Wasser, in 
das ihr Mann hineingespuckt hat. Hier scheint dem Speichel auch eine be¬ 
deutsame Rolle zuzufallen. In der germanischen Mythologie findet man hierzu 
eine interessante Parallele; Als die Äsen und Vanen miteinander Frieden 
schlossen, spuckten sie gemeinsam in ein Gefäß und aus diesem Speichel 
schufen sie den weisen Kvasir. Es ist nicht schwer zu erraten, was Speichel 
bedeutet. Es ist ferner bekannt, daß junge Mädchen sich oft vor dem Kuß 
fürchten, in der Annahme, man könne dadurch Kinder bekommen (vergl. 
Fall 12). Auf die Gleichsetzung von Mund und Genitale weist Reit zen¬ 
stein hin (zitiert bei Rank). 

Eine Frau berichtete mir auf die Frage nach infantilen Sexualtheorien, 
daß sie als Kind geglaubt habe, man könne durch Einnehmen von Pulver 
schwanger werden. Diese Theorie hat im Volksgebrauch ebenfalls manches 
Gegenstück. Nach Krebel nehmen in manchen Gegenden Rußlands die 
Bäuerinnen Salpeter ein gegen Unfruchtbarkeit. Es lassen sich aus der Ethno¬ 
graphie noch eine Reihe von Beispielen dafür anführen, daß gerade gepulverte 
Stoffe gegessen werden müssen, daß es also auf eine große Zahl feinkorpus- 
kulärer Elemente ankommt. Es hat fast den Anschein, als ob das Unbewußte 
(_ Primitive) eine Ahnung davon hätte, daß im Ejakulat Myriaden 
kleinster Lebewesen enthalten sind. Noch deutlicher kommt dieser Gedanke 
zum Ausdruck in dem Ungeziefertraum (Fall 9). Läuse und Wanzen sind in 
der Psychoanalyse altbekannte Spermasymbole. Richard Schmidt berichtet 
über eine in diesem Zusammenhang recht interessante Gewohnheit der Tamil¬ 
frauen in Südindien und auf Ceylon, Erde von Termitenhaufen, in denen 
Schlangen hausen (also sowohl Sperma- als auch Phallussymbole!), innerlich 
als sicheres Befruchtungsmittel einzunehmen. Nach S e i t z sind Bäder in Flu߬ 
wasser, in dem Ameisen gesotten worden sind, ein wirksames Mittel zur Er¬ 
langung von Nachkommenschaft. Die Weiber in Kamtschatka, die gern Kinder 
gebären wollen, essen Spinnen. Bei den wandernden Zigeunern Siebenbürgens 
sammelt die Jungverheiratete die Fäden der Herbstspinne — den sogenannten 
Altweibersommer — und verzehrt sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, um 
sich so ihrer Fruchtbarkeit zu versichern. In diese Gruppe gehört auch der 
in Bosnien heimische Wurmzauber; Das imfruchtbare Weib muß am ersten 
Sonntag nach dem Neumond aus einer Frucht der wilden Heckenrose drei 
Würmer heraussuchen und essen. Wir sehen also, daß sowohl Wasser als 
auch feinkörnige Stoffe und Ungeziefer befruchtend wirken, also als Sperma¬ 
symbole auftreten können. Das Wasser erscheint wegen seines Aggregat¬ 
zustandes dazu geeignet, das feinverteilte Pulver und das kleine Ungeziefer 
weisen sozusagen auf die mikroskopische Beschaffenheit der befruchtenden 
Flüssigkeit hin. Die im Flußwasser gesottenen Ameisen stellen die Synthese 
dar. Auch die verschiedenen Tees — die „Pocula sterilium“ — gehören 
hierher. So waren im 17. Jahrhundert Tränke aus .„Würznägelein** sehr 
beliebt. In der Steiermark wird noch heute Spargelsamen mit Wein gegen 


















































^ über Sdiwangersdiaftsgelüste 117 

Unfruchtbarkeit verwendet. Die Slowakin trinkt Tee von Raute und Rosmarin. 
Eine von mir untersuchte Schwangere (Fall 5) berichtete über ein Gelüst 
nach stark gewürztem Tee. 

Ich komme nun zu den Ekelgefühlen und pflichte der Auffassung 
Steiners (Heidelberg) bei, daß es so aussieht, als ob „die Gelüste und 
Ekelgefühle die polaren Enden einer und derselben psychischen Erscheinungs¬ 
reihe wären“. Auch ich bin der Ansicht, daß die von Steiner bei den Ekel¬ 
gefühlen fast immer gefundene „assoziative Verknüpfung“ sekundärer, also 
nicht ursächlicher Art ist. Während aber Steiner eine somatobiologische 
Genese annimmt, glaube ich an eine psychische Determinierung und hoffe, 
in dieser Arbeit meine Meinung hinreichend begründet zu haben. Wie schon 
erwähnt, fand ich Widerwillen gegen Eier, gegen Fisch und gegen Fleisch. 
Die Beziehungen zwischen Fisch und Schwangerschaft habe ich schon be¬ 
sprochen bei den Gelüsten auf Fische, für den Widerwillen gilt dasselbe, nur 
von seiten der Frau mit negativem Vorzeichen, mit Ablehnung, zu denken. 
Nachholend möchte ich zum Fleischgelüst und zum Fleischekel auf die in 
Westaustralien herrschende Meinung hinweisen, daß der Genuß von Känguruh¬ 
fleisch die Fruchtbarkeit der Frauen wesentlich steigere (Jung, zitiert bei 
Floß u. Bartels). Es bleibt noch der Widerwille gegen Eier zu unter¬ 
suchen. Ich fühlte mich im ersten Augenblick versucht, an eine anaphylak¬ 
tische Erscheinung zu glauben. Es erschien mir immerhin denkbar, daß der 
weibliche Organismus durch die Beherbergung körperfremden Eiweißes in der 
Abbaufähigkeit artfremden Materials behindert sei, daß also der Ekel vor 
Eiern eine Art Schutzmaßregel auf rein somatischer Grundlage sei. Aber 
schon die nähere Befragung der Schwangeren sprach gegen diese Auffassung. 
Es ergab sich, daß Eier in der Suppe vertragen und ganz gern genommen 
wurden und daß sich der Ekel nur gegen das ganze, noch mit der Schale 
versehene Ei richtete. Für diese Tatsache fand ich keine somatische Er¬ 
klärungsmöglichkeit, wohl aber ist bekannt, daß in den Osterbräuchen das 
Ei die Fruchtbarkeit, das erwachende Leben versinnbildlicht. Ich könnte 
aus Volksbrauch und Mythus eine große Anzhal von Beispielen für Eier¬ 
zauber bringen. Ich greife aus der Fülle der Angaben nur eine heraus: Bei 
gewissen Zigeunern ist ein Fruchtbarkeitszauber gebräuchlich, der darin 
besteht, daß der Gatte ein Ei nimmt, das er an beideii Enden geöffnet hat 
und seiner Frau den Inhalt in den Mund bläst ein einwandfreier oraler 
Befruchtungsakt. 

Die Kenntnis des hier mitgeteilten Materials führte mich dazu, den Wider¬ 
willen gegen Eier, Fisch, Fleisch als Ausdruck einer Ablehnung der Schwanger¬ 
schaft aufzufassen. Diese Ablehnung kann bewußt sein (wio z. B. in den 
Fällen 18 bis 22 zum Teil), aber sie muß es nicht, und ich möchte mich 
durch meine Befunde keineswegs dazu verführen lassen, die eingestandene 
Abneigung gegen den Vater des Kindes oder das Kind selbst oder gegen beide 
als ätiologischen Faktor zu werten. Es gibt Fälle, in denen die Schwanger¬ 
schaft durchaus nicht gern ertragen wird, ohne daß Ekelgefühle auftreten, und 
das Umgekehrte wird wohl ebensooft der Fall sein. Ebenso verhält es sich 
meiner Ansicht nach mit den Gelüsten. Ich fasse sie — um den Schluß aus 
meinen Darlegungen zu ziehen — analog dem Befruchtungszauber der Primi¬ 
tiven und den halb ernst genommenen und halb belächelten Volksbräuchen 











Il8 


Susanne Hupfer 


auf als unbewußten Ausdruck einer Bejahung der Mutterschaft, als überaus 
starke und eindrucksvolle Manifestation des Fortpflanzungswillens durch immer 
wiederholte symbolische Vollziehung der Befruchtnng auf oralem Wege. Wie 
kommen aber die schwangeren Frauen, die doch alle sehr gut wissen, wie 
die Befmchtung erfolgt, dazu, ihrem unbewußten Verlangen in diesem 
„Dialekt der Primitiven und der Kinder Ausdruck zu geben, zumal sie sich 
in den meisten Fällen gar nicht mehr daran erinnern können, daß sie ihn 
jemals gesprochen haben, oder, um ohne Bild zu reden: mit welchem Rechte 
nehme ich an, daß den Gelüsten und Ekelgefühlen der Schwangeren die 
infantile Anschauung von der oralen Empfängnis zugrunde liegt? In dieser 
Arbeit, in der ich nur einen allgemeinen Orientierungspunkt zu finden bestrebt 
war, stand mir als einzige Methode der Analogieschluß zu Gebote. Ich habe 
mich bemüht, eine breite Basis zu schaffen, ehe ich mir erlaubte, das Fazit 
zu ziehen. Daß infantile Sexualtheorien trotz des besseren Wissens in der 
Schwangeren lebendig sind, beweist wohl der Traum im Falle 56: Das 
Mädchen erlebt an sich die Geburt genau so, wie sie es sich als Kind ge¬ 
dacht hatte, obwohl sie als Hausschwangere der Universitätsklinik natürlich 
über den wahren Hergang vollkommen unterrichtet ist. Wir sehen also, daß 
der typische Kinder-„Irrtum“ bei den Erwachsenen wieder zum Vorschein 
kommen kann, und schließen daraus, um nochmals O. Rank zu zitieren, 
daß die „im Unbewußten fortlebende Anschauungs- und Arbeitsweise der 
menschlichen Psyche" sich hier erhalten hat, wobei wohl der psychoanaly¬ 
tische Begriff der Verdrängung eine wichtige Rolle spielen dürfte. Warum 
nun diese Frau Gelüste oder Abneigungen hat und jene nicht, warum diese 
Frau nach Äpfeln und jene nach Fischen Verlangen trägt, warum diese 
Wurst und jene Eier verabscheut, warum eine sich trotz guter äußerer Ver- 
h^tnisse gegen die Schwangerschaft wehrt, jene trotz drohender Sorgen das 
Kind ersehnt, warum die eine das Kind bewußt ablehnt und doch Gelüste 
hat, warum eine andere sich ihrer ehrlichen Meinung nach auf das Kind 
freut und doch schwerstes Erbrechen und starke Ekelgefühle hat, all das sind 
Fragen, die wohl durch eine Analyse des betreffenden Falles geklärt werden 
würden. Nicht oder wenig gesprochen wurde von dem Gelüst nach Kuchen. 
Ich möchte hiebei hinweisen auf die erwähnten Beispiele, wo die Braut 
Sauerteig über die Schwelle klebt. Kuchen und Gebäck bedeuten in Träumen 
oft Kinder. In Analysen würde sich wohl auch die alte Gleichung Kind = 
Penis = Kotsäule finden lassen. Bei dem Gelüst nach Schokolade könnte ich 
andeuten, daß, wie oben zitiert, gewisse Primitive an Befruchtung durch 
Lehm und Unrat glauben. All diese Dinge würden wahrscheinlich vom Psycho¬ 
analytiker verifiziert werden, sind es vielleicht bereits. Selbstverständlich 
dürfte es sich dabei immer nur um „Zufallsbefunde“ im Rahmen einer aus 
anderen Gründen vorgenommenen Analyse handeln, denn ein Schwangerschafts¬ 
gelüst oder ein Ekelgefühl allein wird im allgemeinen nicht Anlaß zu analy¬ 
tisch-therapeutischem Handeln bieten. 

Ich bediente mich hier zur Lösung meiner Aufgabe lediglich des Analogie¬ 
schlusses, das bedeutet also, daß ich die von Freud gemachte Erfahrung 
umkehrte, daß zwischen unserem Unbewußten einerseits und den Zauber¬ 
bräuchen der Primitiven sowie rezenten abergläubischen Volkssitten anderer¬ 
seits ein Parallelismus besteht. 
























































Literatur 

b H.: Geschlechtsleben und Mißgeburt in der asiatischen Mythologie. (Zeit- 
^ ^ ’ Schrift für Ethnologie, Berlin 1906.) 

X H • Psvcholoffie des Weibes in den Funktionen der Fortpflanxung. 

n e u t s c II, • j o 

^Zeitschrift für Psychoanalyse, 1925.) 

d S.: Über infantile Sexualtheorien. (Kleine Schriften zur Neurosenlehre, 1909 

Ges. Sehr., Bd. 5.) 

HovorkaundKronfeld: Vergleichende Volksmedizin, 1909. 
ns: Der Weltteil Australien. 1885. (Zitiert bei Ploß u. Bartels.) 

K^chrer, E.: Physiologie der Schwangerschaft. (Im Handbuch der Biologie und 
Pathologie des Weibes [Halban-Seitz], 1925.) 

K Oger er, H.: Generationsvorgänge und Neurosen. (Im Handbuch der Biologie 
und Pathologie des Weibes.) 

Krauß, Fr. S.: Folkloristisches von der Mutterschaft. (In Schreiber, Mutterschaft 

Mogk^^ Germanische Mythologie. (Sammlung Göschen, zitiert bei Rank.) 
Naeffele, Fr.: Lehrbuch der Geburtshilfe (1869). 

Novak, J.: Die Beziehungen des weiblichen Genitales zum Verdauungstrakt. (Im 
Handbuch der Biologie und Pathologie des Weibes.) 

Floß u. Bartels: Das Weib in der Natur- und Völkerkunde. Anthropologische 

Studien, 1908. , . n n ixi. • 

Rank, O.: Völkerpsychologische Parallelen zu den infantilen Sexualtheorien. 1919* 

Reik,’Th.: Die Couvade. (In „Probleme der Religionspsychologie“.) 

Schmidt, Rieh.: Liebe und Ehe im alten und modernen Indien. 1904. 

Steiner, G.: Psychische Untersuchungen an Schwangeren. (Archiv für Psychiatrie 
und Nervenkrankheiten, 1922.) 

V. Wlislocki, H.: Volksglaube und religiöser Brauch der Zigeuner. 1891, (Zitiert 
bei Ploß u. Bartels.) 


Eine Übergamgsphase in der Genese der Phantasie: 
Ein Kind wird gesdilagen 

Von 

William V. Silverberg 

New York 

In dem Beitrag „Ein Kind wird geschlagen“ beschreibt Freud drei 
Phasen in der Genese dieser Phantasie: In der ersten und frühesten Phase 
lautet die Phantasie: ein Kind wird vom Vater geschlagen; in der zweiten 
Phase: ich werde vom Vater geschlagen; in der dritten einfach: ein Kind 
wird geschlagen. Den ökonomischen Wert der ersten Phase sieht Freud 
darin, daß das Kind in dieser Phantasie sich vor allen anderen Geschwistern 
geliebt fühlt, da doch der Vater durch das Schlagen der Geschwister beweist, 
daß er sie nicht liebt. Die F r e u d sehe Abhandlung untersucht die Phantasie, 
wie sie beim Mädchen vorkommt; es wird aber von Freud angenommen, 
daß bei dem Knaben die Mutter den Vater ersetze. Die zweite Phase ent- 









120 


William V. Sllverberg 


steht durch das Motiv des Schuldgefühls wegen der Inzestwünsche und he 
deutet gleichzeitig eine Bestrafung und eine Befriedigung derselben. 

Die folgende Phantasie meines dreieinhalb}ährigen Sohnes John bietet 
interessantes Material, das mit dem in „Ein Kind wird geschlagen“ hervor 
gebrachten Problem sehr eng verknüpft ist. Meine Frau und ich saßen am 
Tisch und John spielte im Zimmer herum. Wir wurden durch eine plötzliche 
Heftigkeit seines Spielens auf ihn aufmerksam. Er führte einen dramatischen 
Dialog auf, indem er abwechselnd mit verschiedener Stimme rief: „Ich habe 
deinen BaUon nicht gern“ (sehr trotzig) und „Ich habe deinen Ballon sehr 
gern (ziemlich mild). 

Es folgte ein aufgeregtes Herumlaufen von einem Stuhle zum anderen 
wobei er schrie: „Wo bist du. Kleiner?“' „Hier bist du. Kleiner!“ Er 
schlug mit heftiger Begeisterung die Stühle, wo der „Kleine“ sein sollte. 
Nachdem er ungefähr zehn Minuten in solcher Weise gespielt hatte, hob er 
ein Tablettchen auf, das auf dem Nebentisch lag, trug es mit beiden Händen 
dabei^scharf daraufblickend, und sagte: „Da bist du. Kleiner; jetzt hab’ ich 
dich! So trug er den Kleinen bis zum Büfett. Auf der Vorderseite des Büfetts 
befindet sich ein Medaillon, das einen Blumenkorb darstellen soll. Dem Jungen 
aber stellte es das Maul eines Schweines dar. „Nun,“ sagte er, „werde ich 
dich ins SchweinsmauP hineinstecken,“ und tat es auch. „Jetzt ist der Kleine 
im Schweinsmaul und das Schwein hat es gern.“ 

Nach diesen Handlungen, deren besondere Heftigkeit ganz augenfällig war 
war das Kind ermattet und lag auf dem Sofa, um sich auszuruhen. Wir 
warteten einige Minuten, um zu sehen, ob Weiteres zum Vorschein kommen 
wurde. Ganz offenbar war das Spiel zu Ende. Während des Spieles hatte John 
ms gar keine Aufmerksamkeit geschenkt. Es schien ihm nicht bewußt zu sein 
daß wir im Zimmer waren. Als ich sah, daß seine Produktivität ein Ende 
gefmden hatte, fragte ich: „Weshalb hast du den Kleinen geschlagen?“ — 
„Weil er unartig war.“ — „Was machte er?“ 

Auf diese Weise befragt, fing er an, die Geschichte seiner Phantasie zu 
erzählen. Nach Tisch schrieb ich sie sofort mit seinen eigenen Worten, wie 
ich sie ins Gedächtnis zurückrufen konnte, nieder. Nachdem er die Geschichte 
gedi^tet hatte, begann er mit dem größten Vergnügen, diese teilweise oder 
zur Gänze zu wiederholen. Die Geschichte lautet: 

„Es war ein kleiner Junge, der machte Pipi auf den Fußboden. Er war 
unartig. Und er hatte meinen Ballon nicht gern, und ich hatte seinen Ballon 
^hr gern. Darum sagte ich: ,Wo bist du. Kleiner?' und dann schlug ich ihn. 
Dann stellte ich ihn auf einen Teller (später hieß es ,in einen Topf“) und 
steckte ihn ins Schweinsmaul hinein, und das Schwein verschlang ihn. Und 
das Schwein hatte es gern. Der kleine Junge hatte braunes Haar. Ich sah 
keine anderen kleinen Jungen, die unartig waren; nur einen.“ 

Aus^dem Umstande des brqjinen Haares wurde die Identität des „kleinen 
Jungen ganz durchsichtig. Sein ungefähr um zwei Jahre älterer Bruder hat 
braunes Haar. Dies wird nicht selten in dem Familienkreis bemerkt md be¬ 


ll Auf englisch: „Little boy.'‘ 

2) Auf englisch: ^Pig^s mouth,^^ 


> 















































121 


""Eine Obergangsphase in der Genese der Phantasie: Ein Kind wird geschlagen 

rochen, da die Haarfarbe der beiden Kinder sehr auffallend verschieden 
i^ Johns Haare sind hellblond. Er hat keine anderen Geschwister. Vielleicht 
hat er deswegen so deutlich gesagt: „nur einen 

Der Bruderhaß und der Wunsch, den Bruder wegzuschaffen, sind also die 
Ursachen dieser Phantasie. Zwischen den beiden ist immer eine scharfe 
Rivalität vorhanden.^ — Früher zeigte John eine bestimmt negative und ab¬ 
lehnende Einstellung mir gegenüber. In den letzten Monaten aber ist er mir 
viel freundlicher gesinnt, manchmal sogar sehr liebevoll. Also muß der Bruder 
jetzt die Wucht seiner Haßgefühle allein aushalten. 

Aber wie können 'wir diese Schlagephantasie, die Vorstellung, den kränkenden 
Bruder zu schlagen, in die drei Freud sehen Phasen einfügen? Die Ursache 
ist offenbar genau so Geschwisterhaß, wie es Freud für die erste Phase 
beschrieben hat. — Einen auffallenden Zug der hier geschilderten Phantasie 
bilden gewisse Idealforderungen: l) Man soll nicht auf den Fußboden 
urinieren; 2 ) Man soll gerecht sein („wenn ich seinen Ballon be'wundere, 
soll er auch meinen gern haben“). Ganz deutlich zeigt John schon den Kern 
der Über-Ich-Bildung und rationalisiert sein Vorgehen gegen den Bruder mit 
der Phantasie, dieser sei schlimm gewesen, habe die Idealforderungen verletzt. 
Woher stammen aber diese Vorschriften? Offenbar von den Eltern. Es ist 
also logisch, daß er bei der Bestrafung des Bruders die Eltern ersetzt. Er 
schlägt als Vater oder Mutter den Bruder. Das Bild ist also der ersten 
Freud sehen Phase ganz ähnlich, in der der Vater das Kind schlägt; nur 
stellt John selbst den schlagenden Vater (oder Mutter) dar. — Die zweite 
Freud sehe Phase wird vom Schuldgefühl bedingt. — Der Ödipuskomplex 
Johns ist zweifellos genügend verdrängt, um in der einfachen Weise der 
ersten Freud sehen Phase nicht mehr ausgedrückt werden zu können. Er 
muß das Geschlagenwerden des Bruders rationalisieren und tut dies mit 
seinem angeblichen unartigen Benehmen. Er verwendet dabei seine eigene 
Schuld (er selbst hat auf den Boden uriniert), um sie auf den Bruder zu 
projizieren, und leugnet sie, indem er sie ja bestraft: Siehe, ich tue so etwas 
nicht, ich schlage den, der es tut. Insofern er selbst die Untat begangen hat, 
derentwegen geschlagen wird, ist diese Einstellung nicht weit von der zweiten 
Freud sehen Phase, in der der Phantasierende selber von den Eltern ge¬ 
schlagen wird, entfernt. 

Die Phantasie Johns berechtigt uns also anzunehmen, daß zwischen der 
ersten und der zweiten Phase der Schlagephantasie eine Zwischenstufe, eine Über¬ 
gangsphase vorhanden sein kann, in der der Phantasierende selber den Bruder 
(oder die Schwester) schlägt, aber mit der Begründung, daß der Bruder das 
Schlagen, also die Bestrafung, ja verdient hat. Dieses Urteil der verdienten 
Strafe stammt von dem eigenen Schuldgefühl, das aber noch nicht, wie in 
der Freud sehen zweiten und dritten Phase, gegen sich selber, sondern 
gegen den Bruder gerichtet ist. 

Es lohnt sich vielleicht, zum Schluß darauf aufmerksam zu machen, daß 


i) Der Inhalt der Phantasie selbst unterstreicht diese Rivalität sehr deutlich. Der 
Ballon ist ein bekanntes Penissymbol. Er bewundert also den Penis des größeren 
Bruders, dieser aber nicht den seinen. Diese Kränkung kommt einer Kastrations¬ 
drohung gleich, auf die er mit dem weiteren Spiel reagiert. 









122 William Vi Silverberg: Zur Phantasie: Ein Kind wird geschlagen 


die Phantasie reichlich überdeterminiert ist. Das Schwein vertritt die Mutter 
die die Erfüllung der Inzestwünsche verhindert. Deshalb nennt er sie 
„Schwein Den kleinen Jungen ins Maul des Schweines zu stecken, bedeutet 
den Koitus. „Das Schwein hat’s gern,“ sagte er am Ende des Spieles. Durch 
eine Identifizierung mit dem „Kleinen“ erfüllt er so symbolisch seinen Inzest- 
wimsch und schiebt die Verantwortung auf die Mutter ab. Dies scheint das 
Ziel des ganzen Spieles zu sein, da er darnach ermattet auf dem Sofa lag. 
Durch das Spiel des Schlagens, des Bestrafens, hat er die Anforderungen des 
Über-Ichs erfüllt, damit dieses sich zufrieden gibt — der Bestechlichkeit des 
Über-Ichs im Al ex an d er sehen Sinne entsprechend — und dann den 
Inzestwünschen freie Bahn läßt. 


i 














































I 

I 

I 


DISKUSSIONEN 


I 

Kritisdies über Mack Brunswicks „Nachtrag zu Freuds 
,Geschichte einer infantilen Neurose*” 

Von 

J. Harnik 

Berlin 

Die Arbeit, zu der ich hier einige Randbemerkungen machen will/ ge¬ 
hört zweifellos zu den inhaltsreichsten und zugleich bemerkenswertesten unter 
all den Publikationen, die von Schülern Freuds in den letzten Jahren ver¬ 
öffentlicht worden sind. Nicht nur, daß das Objekt der Untersuchung des 
lebhaftesten Interesses aller Analytiker sicher sein kann, sondern es ist auch das 
zutage Geförderte von größter praktischer Wichtigkeit und zugleich theoretisch 
sehr aufschlußreich, zumindest überaus anregend. Eine durchwegs lebendige, 
stellenweise plastische Darstellung erleichtert ungemein die Einfühlung in die 
Vorgänge der Analyse, die Formulierung der theoretischen Ansichten und 
Folgerungen der Verfasserin läßt an Präzision so gut wie nichts zu wünschen 
übrig. Wenn nun von mir einige ihrer Resultate kritisch glossiert werden 
sollen, so kann damit selbstverständlich nicht eine Zerpflückung der vorzüg¬ 
lichen Leistung bezweckt sein, ich beabsichtige bloß, im Sinne einer positiven 
Kritik besonders auf eine Lücke im Verständnis aufmerksam zu machen, deren 
Ausfüllung meiner Ansicht nach auf Grund des vorgebrachten Materials mög¬ 
lich ist und zu einigen Ergänzungen führen muß. 

Kein Psychoanalytiker wird Mack Brunswick die Anerkennung für 
den therapeutischen Mut verweigern, mit dem sie an ihre heikle und 

schwierige Aufgabe heranging, oder für die außerordentliche Geschicklichkeit, j 

die sie bei der Erledigung derselben entwickelte. Aber mir scheint, daß ihr 

eine gewisse Hellhörigheit abging, wie sie den Erfolg ihrer Bemühungen in . 

der Hand hatte, als der Zustand des Patienten sich zum Besseren wendete, 
und nun zu beurteilen war, durch welche Vorgänge diese Wandlung zustande 

kam. Sie bekennt sich denn auch freimütig in ihren epikritischen Reflexionen } 

(S. 41) zu einer Unklarheit in der Frage des Mechanismus der Heilung: J 


1) Diese Zeitschrift, Bd. XV (1929). 


J 








^24 Diskussionen 


„Ich habe keine Erklärung für die entscheidende Veränderung, die im Patienten 
nach dem Traum von den Heiligenbildern (S. 26) vor sich ging. Dem trotz 
dieses Eingeständnisses noch hinzugefügten, aus ihrer ganzen Auffassung des 
Krankheitsfalles folgenden Erklärungsversuch der Autorin, der an und für sich 
wohl sicher richtig, aber rein theoretisch ist, setze ich jedoch eine konkrete 
Annahme entgegen. Ich habe den Eindruck, daß die günstige Wendung in 
der Analyse der Tatsache zuzuschreiben ist, daß im Gedächtnis des Patienten 
bei der Deutung eines Traumes, in dem die gewissen Wölfe vorkamen, eine 
neue, bis dahin unbekannte Kindheitserinnerung hochgestiegen ist. 

wDie glänzenden Augen der Wölfe erinnern den Patienten daran, daß er 
einige Zeit nach dem Traum, den er mit vier Jahren hatte, es nicht er¬ 
tragen konnte, aufmerksam angeschaut zu werden. Er geriet in Wut und 
schrie: ,Warum starrst du mich so an?‘ Ein aufmerksamer Blick brachte ihm 
damals sofort den Wolfstraum in Erinnerung“ (S. 25). Also lautet der neue, 
meines Erachtens sehr wichtige Fund, Die Verfasserin benützt ihn dazu, um 
in treffender Weise gegen Ranks bekannten Umdeutungsversuch zu pole¬ 
misieren, merkt aber nicht erstens die Neuheit der Entdeckung, zweitens ihre 
weittragende Bedeutung. 

Ad 1. Mack Brunswick betont an zwei Stellen ihrer Arbeit (S. 5 
u. S. 38), daß in ihrer Analyse keinerlei neues infantiles Material hinzukam. 
Das stimmt nicht. Die zitierte Erinnerung kommt in Freuds Kranken¬ 
geschichte nicht vor. Außerdem habe ich mir der Sicherheit halber von 
Professor Freud die entsprechende Auskunft einholen lassen: Es wird uns 
versichert, daß die Erinnerung in seiner Analyse nicht aufgetaucht ist, daß 
ihm der Tatbestand überhaupt unbekannt war. 

V Ad 2. Wenn ich gefragt würde, warum ich diesem vielleicht nebensäch- 
* liehen Moment solche hervorragende Wichtigkeit beimesse, so würde ich mich 
in erster Linie auf die tägliche Erfahrung in der Praxis berufen, daß das 
Hochkommen neuer, belangvoller Erinnemngen immer eine Besserung nach 
sich zu ziehen pflegt. Häufig auch dann, wenn die Erinnerung an und für 
sich gar nicht eigentlich verdrängt, nicht für immer verschollen war, nur 
etwa lange Zeit hindurch nicht ins Bewußtsein kam. Erst recht bei den'voll¬ 
ständig vergessenen Kindheitseindrücken, wir wir einen offenbar vor uns 
haben. Vor einiger Zeit hat sich Freud über die Rolle der in der Analyse 
vorgenommenen Rekonstruktionen im selben Sinne geäußert, „Laien¬ 
analyse (S. 62): „...die richtige Rekonstruktion solcher vergessenen 
Kindererlebnisse hat immer einen großen therapeutischen Effekt ..." Anderer¬ 
seits wissen wir, und der starken Betonung dieses Gesichtspunktes seitens 
Mack Brunswicks kann man vorbehalüos zustimmen, — daß das 
therapeutisch Wesentliche nur getan ist, wenn dem Prozeß der Bewußt- 
machung das Durcharbeiten des zutage geförderten Materials folgt, d. h., 
wenn es gelingt, die rekonstruierten oder erinnerten Kindheitskonflikte ’ in aus¬ 
giebige Kausalbeziehungen zu den Symptomen der Neurose zu bringen. Ich 
muß es nun für sehr wahrscheinlich halten, daß der Patient ein Stück dieser 
Arbeit in der analytischen Situation oder im Zusammenhang damit gewisser¬ 
maßen noch spontan geleistet hat und dadurch zu der erwähnten ersten 
Erleichterung in seinem Zustand gelangt ist. Wenn ich das Resultat dieser 
Nachprüfung vorwegnehmen darf, so kann ich mit einer Einschränkung die 




















































Diskussionen 


125 


Formulierung der Autorin für zufriedenstellend erklären, „daß der Patient 
^ießlich den Weg zur unbewußten Grundlage seines Verfolgungswahnes 
doch gefunden hatte“ (S. 26), d. h. einen Weg zu einer der Ver¬ 
ursachungen, um meinen Vorbehalt gleich hinzuzufügen. 

Also ich halte es für wahrscheinlich, daß dem Wolfsmann nach dem Auf¬ 
tauchen der neuen Erinnerung selbständig die Idee — eigentlich müßte man 
a£en die Lösung — gekommen ist, daß sein kindlicher Ärger über das 
^geschautwerden und seine jetzige angstvolle Verzweiflung darüber, was man 
an seiner Nase sehen kann, ungefähr dasselbe sind. Einen indirekten 
Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme sehe ich in folgendem: Da ich 
bei dem Vortrag, den Mack Brunswick über den Fall in Berlin hielt, 
nicht zugegen war, wandte ich mich alsbald nach Lektüre der erschienenen 
Ausarbeitung an zwei Kollegen, deren verständnisvoller Aufmerksamkeit ich 
sicher sein konnte. Ich wollte wissen, ob ihnen die überraschende Neuigkeit 
auch aufgefallen ist. Beide reagierten in der kurzen Aussprache so, als ob es 
selbstverständlich wäre, daß sich von hier aus eine Deutung des Nasen¬ 
symptoms, wie sie mir vorschwebt, ergibt. Übrigens kommt das Narben¬ 
motiv im Material des Traumes selbst, im Zusammenhang mit den Wölfen 
und ihren glänzenden Augen, vor; die Nebeneinanderstellung der beiden 
Themen wird von der Verfasserin, wenn auch in etwas anderem Sinne, be¬ 
sonders hervorgehoben (S. 24). 

Eine weitere Erörterung der hier zu vermutenden Zusammenhänge drängt 
sich da gebieterisch auf. Vorher noch ist mit dem Patienten die lange Vor¬ 
geschichte des Interesses für seine Nase in der Analyse durchgesprochen 
worden. Eine tatsächliche Nasenaffektion war schon in seinem dreizehnten 
Lebensjahr die Ursache einer Vereinsamung und Depression gewesen. Daß 
hiebei die zur Pubertätsonanie gehörigen typischen Schuldgefühle am Werke 
gewesen sein mußten, kann ja kaum zweifelhaft sein, allgemein bekannt ist 
die ängstliche Erwartung, durch das Aussehen (Gesicht, Augen) verraten zu 
werden. In der Jetztzeit hatte der Patient schon vor dem ersten Auftreten 
der Nasensymptome zu onanieren begonnen; vor dem zweiten, viel schwereren 
Anfall aber übte er bereits die Masturbation in Gegenwart von Prostituierten 
aus, die er in ihre W^ohnung begleitete, ein Tun, durch welches vielleicht 
der auf ihm lastende Gewissensdruck erst die zur vollen pathogenen W^irk- 
samkeit notwendige ökonomische Übersetzung erfuhr. Ich weiß es nicht, aber 
ich glaube annehmen zu können, daß er von der Sache bis zur Analyse 
niemandem Mitteilung machte. Die Onanie hätte sich auch bei dem W^olfs- 
mann als das Geheimnis par excellence gehalten, dessen Entdeckung be¬ 
fürchtet wird. Hinter der hypochondrischen Angst verbargen sich auch 
hier, wie so häufig, die dem Bewußtsein entzogenen Schuldgefühle, bzw. das 
zu ihnen gehörige Strafbedürfnis. Die von Mack Bruns wi ck gründlichst 
analysierten Kastrationsideen vermitteln von hier aus leicht den Übergang zu 
den korrespondierenden tieferen Schichten. 

Die Linie obigen Deutungsvorschlags noch weiter rückwärts bis zur Zeit der 
von Mack Brunswick entdeckten kindlichen Reaktion beim Angeschautwerden 
zurückzuverfolgen, erschiene müßig, ja vermessen, wenn wir aus Freuds 
Bericht nicht wüßten, daß die pathologischen Veränderungen, deren Kulmi¬ 
nation der Wolfstraum bedeutet, vom Onanieabgewöhnungskampf ihren Aus- 











Diskussionen 


gang genommen haben.^ Hierauf soll es uns aber nicht mehr ankommen, nicht 
einmal auf ein überzeugtes Festhalten an der absoluten Richtigkeit gerade 
unserer Betrachtungsweise, vielmehr noch ganz allgemein die Erwägung zur Dis¬ 
kussion gestellt werden, daß einige wesentliche Motivierungen im Aktual¬ 
konflikt mindestens in der Darstellung — vernachlässigt worden sind. 
Insbesondere scheint mir das betreffs der Verheimlichung des Schmuckes 
die ja überhaupt den Anfang der veränderten Einstellung zu Freud anzeigt.. 
Ein weiteres, genauer gesagt, ein früheres Geheimnis war das, von anderer 
Bedeutung natürlich, aber von demselben nicht akzeptierten Schuldgefühl, von 
derselben Furcht vor Entdeckung begleitet, wie die Onanie, und infolgedessen 
wohl in irgendeiner unbewußten Verknüpfung mit der Letzteren. Oder ist es 
undenkbar, daß im Unbewußten des Wolfsmannes der Gedanke sich gebüdet 
hat, seine veränderte Nase verriete auch dieses sein Geheimnis.^ Bei der Zwangs¬ 
neurose z. B. gibt es bekanntlich solche imbewußte Beziehungen zwischen sonst aus¬ 
einandergerissenen, bewußtseinsfähipn Elementen, die psychoanalytische Deutung 
hat die sinngemäße affektive Verbindung zwischen ihnen herzustellen. 

Ich befürchte selbst, daß ich mit der Hineintragung eigener Kombinationen 
in die Analyse eines fremden Falles schon längst hätte haltmachen müssen. 
Daher beeile ich mich, einen anderweitigen Einwand zu Worte kommen zu 
lassen, mit dem man mir schon sehr bald hat entgegnen wollen. Ist nämlich 
die Tatsache des Auftauchens einer neuen Kindheitserinnerung in dieser 
Analyse von mir ohne Zweifel richtig bemerkt worden, so kann davon keine 
Rede sein, daß nach diesem Stück der Analyse die Besserung im Zustande 
des Wolfsmannes sich unmittelbar eingestellt hätte. Im Gegenteil trat der 
latente Verfolgungswahn des Patienten zu diesem Zeitpunkt in seiner vollen 
Ausdehnung in die Erscheinung, die Remission begann, wie erwähnt, erst 
mit dem Traum von den Heiligenbildern. In der Zwischenzeit verschlimmerte 
si^ sopr der Patient immer mehr: „Er schien jetzt in einem Zustand zu 
sein, mit dem weder er selbst noch auch die Analyse fertig werden konnte“ 
(S. 26). Wir hören auch, daß Mack Brunswick über den Umschwung 
nicht nur tief erleichtert, sogar erstaunt war. Die Frage ist nur, ob der 
ganze Hergang nicht aus einer zum Charakter unseres Patienten gehörigen 
Verhdtungsweise zu erklären ist, die wir schon aus Freuds Behandlungs¬ 
geschichte kennen. Ich meine natürlich seine passag^re „negative Reaktion“: 
«... Nach jeder einschneidenden Lösung versuchte er für eine kurze Weile 
deren Wirkung durch eine Verschlechterung des gelösten Symptoms zu 
negieren. (Ges. Sehr., Bd. VIII, S. 510.) Wie man sieht; Kleine Ursachen, 
große Wirkungen, wie immer in gut geleiteten Analysen. 


1) Eine der glänzendsten Deutungen der Verfasserin (S. 37) stellt übrigens gleich- 
f^ls eine Beziehung zwischen der Gedankenwelt dieser Kindheitsperiode und den 
Wahnvorstellungen her. 

2) Ich erinnere mich aus meiner Kindheit, daß in meiner siebenbürgischen Heimat 
den Kindern gesagt worden ist, den Lügner erkenne man daran, daß seine Nase 
(Nasenspitze) weich ist, wenn man daran tippt. Ich weiß nicht, oh es so etwas in 
Rußland jemals gah. Doch führen noch andere, sicherlich weit verbreitete Glaubens- 
satze aus der Kinderstube das Wissen oder Erraten von etwas Verheimlichtem auf 
einen Körperteil zurück, z. B. wenn die Mutter dem verwunderten Kinde gegenüber 
behauptet, der kleine Finger würde ihr alles verraten. 






















































Diskussionen 


127 


Daß aber Mack Brunswick diese Analyse in fester Hand hatte, zeigt 
d'e sichere Intuition, die ihr ermöglichte, sofort bei beginnender Wandlung 
v^eder Kontakt mit dem Patienten zu haben, da, wie der vorhin erwähnte 
Traum mit seiner guten Vorbedeutung kam“. Zur Deutung dieses Traumes, 
ie Analytikerin „zerstöre ja jetzt gerade seine Christus-Phemtasie mit allem, 
was für ihn damit verbunden ist“ (S. 26), wäre allerdings hinzuzufügen, daß 
sie die Machtposition, die ihr vom Wolfsmann eingeräumt wurde, zum Teil 
wohl dem Umstande verdanken kann, daß sie etwas Neues gefunden, was in 
Freuds (erster) Analyse nicht vorkam. Wir erfahren von der Autorin, daß 
er auf die Publikation seiner Krankheitsgeschichte sehr stolz war. Bei dieser 
naiv-narzißtischen Einstellung muß ihm, wie mir scheint, die Neuentdeckung 
außerordentlich imponiert und Freuds Autorität zugunsten seiner Ärztin — 
die also auch dieses „Heiligenbild“ zerstörte — erschüttert haben. Doch 
setzte sie mit dieser ihrer Rolle nur das fort, was die Ehefrau des Wolfs¬ 
mannes schon vorher begonnen hatte, als sie denselben überredete, über den 
Besitz des Schmuckes Freud nichts zu erzählen; auf die Bedeutsamkeit dieser 
Verheimlichung für die Pathogeneität des Aktualkonfliktes, habe ich bereits 
oben hingewiesen. Außerdem habe ich selbst aus einigen Beobachtungen an den 
in den Analysen vorkommenden flüchtigen paranoiden Symptomen den Eindruck 
bekommen, daß die heterosexuelle Objektbeziehung auf diese Weise immer 
hineinspielt in die paranoische Symptombildung, dciß sie bei der Unterdrückung 
der homosexuellen Regungen behilflich ist. Im Sinne dieser Einsicht könnte z. B. 
gewertet werden, daß der Wolfsmann gerade vor dem zweiten, um so viel 
heftigeren Ausbruch der Nasensymptome so häufig zu Prostituierten ging. 

Mit den letzten Andeutungen bin ich aber schon über das Ziel hinaus- 
gekoramen, das ich mir gesetzt habe, zu den interessanten theoretischen Pro¬ 
blemen, zu denen diese lehrreiche Analyse hinführt. So ein Fall, wie ihn 
Mack Brunswick zu bewältigen hatte, wäre ja an und für sich ein 
Prüfstein für die letzten Entscheidungen in der psychoanalytischen Theorie 
der Paranoia, die sich alle um die Beantwortung der einen so einfachen Frage 
drehen werden: Was ist der Unterschied zwischen der paranoischen Abwehr 
der unbewußten Homosexualität und den anderen Abwehrarten, die der Er¬ 
ledigung derselben Aufgabe dienen? Mack Brunswick macht nur einen 
kleinen Schritt in dies dunkle Gebiet, indem sie die Problematik — von 
einigen Streiflichtern abgesehen — mehr deskriptiv behandelt, aber es bleibt 
ihr großes Verdienst, die Fragestellung mit aller Schärfe formuliert zu haben. 
Noch andere bemühen sich jetzt überall, auf diesem noch weiten Arbeitsfeld 
Neues zu finden. Richtunggebend werden für diese Forschung auch weiterhin 
bleiben die von Freud aufgezeigten, in der Entstehung der Paranoia wirk¬ 
samen Mechanismen: die Regression der Libido auf eine ihrer primitiven 
Entwicklungsphasen, auf der die Beziehung zum Objekt jedenfalls nicht im 
genitalen Sinne (vermutlich nicht anders, denn oral) gefaßt sein kann; die für 
die Paranoia charakteristische Projektion, die wohl kaum irgendeinem 
normalen Vorgang der frühen Kindheitsentwicklung nachgebildet sein wird, 
sondern nach ihrer ganzen Art einen pathologischen Prozeß zum Vorbild 
haben muß; und hiermit eng verknüpft, die Herkunft des auf solche Weise 
projizierten Hasses aus einer ursprünglichen Ambivalenz, die die totale 
Verkehrung der Liebe in Feindschaft ermöglicht. 




L 








128 


Diskussionen 


n 

Entgegnung auf Hämiks kritisdie Bemerkungen 

Von 

Ruth Mack Brunswick 

Wien 


Hdrniks Annahme, daß die Angst des Wolfsmannes vor dem »Angeschaut- 
werden , die nach der Beobachtung des elterlichen Koitus auftrat, in der 
Analyse bei Professor Freud nicht zutage trat, besteht zu Recht. Dennoch 
kann ich mich mit Härniks Einschätzung der Bedeutung dieser Erinnerung 
nicht einverstanden erklären. Sowohl der Patient, dessen Beobachtungsfähigkeit 
besonders gut war, als auch ich betrachteten diese Erinnerung als bloße Er 
gwzung zur großen Masse des Materieds, das um die Koitusbeobachtung zen¬ 
triert war. Das ganze Material der Koitusbeobachtung war bereits seit langem 
bewußt vorhanden und nichts Neues kam jetzt im Zusammenhang mit der 
obenerwähnten Erinnerung selbst oder ihrer Deutung zum Vorschein. 

Härnik faßt dieses Symptom und auch das spätere Nasensymptom als Verrat 
der Onanie auf, die, wie er meint, das Geheimnis par excellence dieses 
Patienten war. Doch in Wirklichkeit machte der Wolfsmann weder aus seiner 
Masturbation noch aus seiner Beziehung zu Prostituierten ein besonderes Ge¬ 
heimnis. Erstens war er ein Masochist und daher imstande, sein Schuldgefühl 
durch seine passiven Phantasien zu neutralisieren; zweitens war er außer- 
ordentlich narzißtisch und es fiel ihm schwer, sich irgendeiner Tat zu 
schämen, der er fähig gewesen wäre. 

Unsere Deutung seiner Angst vor dem „Angeschautwerden“ lautete unge¬ 
fähr so: Entsprechend seinem Wesen projizierte der Wolfsmann schon in 
diesem frühen Alter auf die Personen seiner Umgebung den faszinierten Blick 
mit dem er selbst den Koitus seiner Eltern beobachtet hatte. Durch einen 
ähnlichen Projektionsmechanismus entwickelte er dann später seine Beziehungs¬ 
und Verfolgungsideen. Die Angst vor diesem Blick ist eine Verschiebung der 
Angst, die aus der Koitusbeobachtung stammt. Während die Erinnerung dieser 
speziellen Angst der Kinderzeit neu ist, sind sowohl ihre Mechanismen wie 
ihre Beziehungen und Ursprünge alt. 

Es sei daran erinnert, daß der Patient ein Voyeur und Exhibitionist in 
hohem Grade war. (Beweisend dafür seine Onanie in Gegenwart von Prosti¬ 
tuierten.) Zweifellos geht diese Eigenschaft darauf zurück, daß er die pathogene 
Urszene tatsächlich gesehen hatte. 


Ich möchte noch erwähnen, daß mir zwei Fälle von Hysterie mit kleinen 
Beziehungsideen bekannt sind, die direkt auf der Beobachtung der Urszene 
und der Projektion dieser Beobachtung in die Außenwelt beruhen. 

Noch ein Wort über die Beziehung des Patienten zu Prostituierten. Es ist 
nicht ganz richtig, sie in diesem Fall und in diesem Zeitpunkt als hetero¬ 
sexuell aufzufassen. Als seine Symptome sich verstärkten, substituierte er dem 
Koitus mit Prostituierten die Onanie in ihrer Gegenwart. Wenn wir uns vor 
Augen halten, daß die Onanie des Kindes eine Kopie des Verkehrs der Eltern 
ist, und ferner uns die Tatsache ins Gedächtnis rufen, daß dieser Patient sich 























































Diskussionen 


129 


m-sprünglich (obwohl unbewußt) mit der Mutter, später mit der Prostituierten 
'dentifizierte (oder mit der Frau auf den obszönen Bildern, die er bisweilen 
statt der Prostituierten verwendete), sehen wir, daß diese Onanie genau die 
Urszene reproduzierte, wobei der Patient in Gestalt der Prostituierten als 
Beobachter dabei ist. 

Es ist selten möglich zu beweisen, daß eine gegebene Deutung eines 
Symptoms nicht richtig ist. Man kann nur sagen, daß so eine Deutung, 
wenn auch theoretisch möglich, für den bestimmten Fall, wie aus der ganzen 
Analyse hervorgeht, nicht paßt. Die Erinnerung in diesem Fall war zu unbe¬ 
deutend, auch brachte sie kein weiteres Material. Mehr noch, die zunehmende 
Verschlimmerung der Krankheit des Patienten zu dieser Zeit war viel zu 
ernst, um als eine passagere negative Reaktion auf die Entdeckung neuen 
Materials hin aufgefaßt zu werden. Wenn man den Fall vor sich hat, ist 
es nicht schwer, eine wirkliche Verschlechterung von einer momentanen 
negativen Phase zu unterscheiden. Ich glaube, daß der Patient jetzt seine 
Angst vor dem „Angeschautwerden“ deshalb erinnerte, weil im Moment, wo 
seine Passivität so gesteigert worden war, daß sie sich einen Ausweg in 
paranoische Bahnen suchen mußte, die für diese Passivität pathogene Urszene 
mit all ihren mannigfachen Folgen und Auswirkungen zur Erinnerung kam. 


Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XVI/i 


9 










KORRESPONDENZBLATT 

DER 

INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN 

VEREINIGUNG 


Redigiert von Zentralsekretärin Anna Freud 


Beridite der Zweigvereinigungen 

7\merican Psydioanalytic Association 

Die 17. Jahresversammlung der American Psychoanalytic Association wurde 
am 16. Mai 19^9 Atlanta, Georgia, abgehalten. Eine Sitzung wurde ge¬ 
meinsam mit der American Psychiatric Association mit folgendem Programm 
abgehalten: 

Dr. William White, Washington: Die Sprache der Psychosen; Dr. Adolph 
Stern, New York: Die Rolle der Masturbation bei den Neurosen; Dr. A. A. 
Brill, New York: Schizophrenie und Psychotherapie; Dr. Nolan Lewis, 
Washington: Mechanismen in Fällen von langandauemder Schizophrenie. 

In der Abendsitzung wurden die folgenden Vorträge gehalten: Dr. Mary 
Isham, Cincinnati: Die Rolle der Erziehung bei Verwahrlosung und psycho- 
neurotischen Konversionen; Dr. Ernest Hadley, Washington: Axillare Men¬ 
struation bei einem Manne; Dr. C. P. Oberndorf, New York: Homo¬ 
sexualität und Zoophilie; Dr. Nolan Lewis, W^ashington: Bemerkungen zum 
Kastrationskomplex. 

Die gemeinsame Sitzung war von einer großen Anzahl Psychiater besucht, 
deren Interesse auf verschiedene Gebiete der Psychiatrie gerichtet war; die 
Abendsitzung war schwach besucht, weil sie mit verschiedenen Spezial¬ 
konferenzen über Sozialpsychiatrie, klinische Psychiatrie, Beschäftigungstherapie, 
Spitalsadministration usw. kollidierte. 

In der Geschäftssitzung war nur ein sehr kleiner Bruchteil der Vereins¬ 
mitglieder anwesend, da der Wohnsitz der meisten Mitglieder von Atlanta zu 
weit entfernt ist. Anwesend waren: Dr. White, Dr. Hadley und Dr. Lewis 

























































Korrespondenzblatt 


131 


aus Washington; Dr. Brill, Dr. Stern und Dr. Oberndorf aus New York; 
£)r Süllivan aus Baltimore; Dr. Isham aus Cincinnati \md Dr. Emerson aus 

Boston. 

Für das kommende Vereins]ahr wurden die folgenden Funktionäre gewählt: 
Präsident: Dr. A. A. Brill, New York. Sekretär und Kassier: Dr. C. P. 
Oberndorf, New York. Vorstandsmitglieder: Dr. W. A. White, E jr. Nolan 
Lewis aus Washington, Dr. H. S. Sullivan aus Baltimore. Dr. Brill be¬ 
auftragte die Herren Brill, Oberndorf und Stern mit der Vertretung der 
Vereinigung auf dem Internationalen Kongreß in Oxford. 

Dr. C. P. Oberndorf, 

Sekretär 


British Psydio-Analytical Society 

II. und in. Quartal 1929 

17. April 192g. Mr. Money-Kyrle liest ein Referat über R6heims 
Arbeit: „Nach dem Tode des Urvaters.“ 

1. Mai 1929. Mr. J. C, Flügel verliest die Novelle von Wells „The 
Beautiful Suit“ und weist die darin enthaltene phallische und andere Sym¬ 
bolik nach. 

Dr. Wilson berichtet aus einem Fall von Zwangsdenken während der 
analytischen Behandlung. 

15. Mai 1929. Frau Klein verliest eine kurze Arbeit über „Die Dar¬ 
stellung infantiler Angstsituationen in zwei literarischen Arbeiten“. 

Dr. Ernest Jones referiert über seinen im April 1929 an der Sorbonne 
gehaltenen Vortrag „Bemerkungen über die Eifersucht“. Er vergleicht die 
extreme psychotische Form der Eifersucht mit der „normalen“ Eifersucht 
und bespricht die mögliche Verwandtschaft der psychologischen Struktur beider 
Formen. Nach ausführlicher Würdigung der neurotischen Eifersucht, des 
Bindegliedes zwischen beiden Extremen, kommt er zu dem Schluß, daß die 
Tendenz zur Eifersucht aus dem Versuch stammt, den Ödipuskonflikt durch 
die sexuelle Inversion zu lösen. 

6. Juni 1929. Eine Unterkommission des Unterrichtsausschusses verliest 
seine Vorschläge für: 

a) Die Ausbildung und Qualifikationen des Kinderanalytikers. 

b) Die analytische Unterweisung von Pädagogen. 

19. Juni 1929. Dr. H. Weber: „Der Begriff der Zielgehemmtheit.“ 

24. Juli 1929. Außer etwa 25 ordentlichen und außerordentlichen Mit¬ 
gliedern waren die folgenden Gäste anwesend: Fr. Dr. Katharine Jones, 
Mrs. Agar, Dr. Brierley, Dr. Brill, Col. Berkeley Hill und Frau, Mrs. Bryan, 
Dr. Coriat und Frau, Major Daly, Frau Deri, Dr. Eitingon, Dr. Ferenczi 
und Frau, Frl. Anna Freud, Mrs. Flügel, Mrs. Glover, Mr. Herford, Mr. Isaacs, 
Frl. Dr. Jakobson, Dr. Jekels, Dr. Laforgue und Frau, Dr. Pfeifer und Frau, 
Mrs. Rigall, Dr. Sachs, Dr. Schmiedeberg, Dr. Steiner und Frau, Mrs. Stoddart, 
Mr. Yates. 

Dr. Glover übernahm den Vorsitz und führte aus, daß es Zweck der 
Sitzung sei, der Vereinigung Gelegenheit zu geben, Dr. Jones für die mühe- 

9 * 


1 







132 


Korrespondenzblatt 


volle Arbeit zu danken, die er als Mitglied des Psycho-Analysis Committee 
der British Medical Association für die Psychoanalyse geleistet hatte. Dr. Glover 
schilderte auch Dr. Jones’ sonstige unermüdliche Arbeit für die Psychoanalyse, im 
besonderen in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der British Psycho-Analytical 
Society. 

Nach einigen Begrüß ungs Worten für Dr. Katherine Jones übergab 
Dr. Glover Dr. Jones einen Präsidentenstuhl, einen goldenen Taschenbleistift 
und einen goldenen Zigarrenabschneider mit Inschriften, Dr. Katherine Jones 
eine chinesische Lackkassette, mit Schokolade gefüllt, als die Geschenke der 
Vereinigung. 

Dr. Jones führte in seinem Dank aus, daß ihm die von der Vereinigung 
gefeierte Begebenheit einen wichtigen Markstein in den Beziehungen der 
Psychoanalyse zur Medizin im besonderen und zur Außenwelt überhaupt zu 
bedeuten scheine. Er hatte die Arbeit schweren Herzens übernommen und 
gemeint, nicht mehr erreichen zu können als eine Herabsetzung des Schadens 
der der Psychoanalyse aus einer so sinnlosen „Untersuchung“ erwachsen 
könnte. Zu seiner eigenen Überraschung hatte der hartnäckig geführte Kampf 
ein viel positiveres Ergebnis gebracht: Zum erstenmal hatte eine .offizielle 
englische medizinische Körperschaft die Psychoanalyse als einen ernst zu 
nehmenden Zweig der Wissenschaft anerkannt und ihre Unabhängigkeit von 
der Medizin zugegeben, damit also auch ihre eigene Inkompetenz zur Ent¬ 
scheidung in Fragen der Psychoanalyse. Man darf hoffen, daß dieses Ergebnis 
nicht ohne Wirkung auf die Entwicklung in anderen Ländern bleiben wird. 
Das Komitee anerkannte auch die Unterscheidung zwischen Analytikern und 
Pseudoanalytikern sowie die Qualifikationen, die durch die Mitgliedschaft der 
Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung gegeben sind. Dr. Jones sprach 
ferner Dr. Glover für seine unermüdliche und tatkräftige Unterstützung bei 
dieser Arbeit seinen Dank aus. 

Nach Schluß der Sitzung folgte ein zwangloses Beisammensein mit Be¬ 
wirtung. 

Verstorben: Dr. C. R. A. Thacker. Dr. Douglas Bryan, 

Sekretär 

Deutsdie Psydioanalytisdie Gesellsctaft 

n. und III. Quartal 1929 

16. April 1929. Vortrag Dr. Josine Müller: Der Widerstand aus mora¬ 
lischem Masochismus und seine Überwindung. — Diskussion: Härnik, Fenichel, 
H. Lampl, Reik. 

25. April 1929. Frl. Dr. Vowinkel (a. G.): Analytische Beiträge zur 
Psychologie der Schizophrenie. — Diskussion: Fenichel, Bally (a. G.), Boehm, 
Schalit, Krafft, MüUer-Braunschweig, Härnik, Frau Naef, Radö. 

7. Mai 1929. Dr. Reik: Referat über Freuds Studie „Dostojewski und 
die Vatertötung“. — Diskussion: Fenichel, Josine Müller, H. Lampl, Horney, 
Alexander, Müller-Braunschweig, Radö. 

14. Mai 1929. Klinischer Abend. Vortrag Frau Dr. L an tos: Bericht 
über einen Fall von Zwangsneurose. — Diskussion: Fenichel, Herold (a. G.), 
Horney, Jos. Müller, Härnik. 






































Korrespondenzblatt 


133 



Mai 1929. Vortrag Dr. Harnik: Aktive Technik in der Einleitung 
^Behandlung bei einer narzißtischen Neurose. — Diskussion: Liebermann, 
S^hultz-Hencke, Eitingon, Fenichel, Müller-Braunschweig, Radö. 

^ In der Geschäftssitzung wird Frl. Dr. med. Eda Vowinkel (Psychiatrische 
KV ik Charite, Berlin) zum außerordentlichen Mitglied gewählt. 

Juni 1929. Vortrag Dr. Bally (a. G.): Beitrag zur Behandlung schizoider 


Neurosen. 


Diskussion: Harnik, Sachs, Alexander, Schultz-Hencke, Jos. 


Müller, Rado. 

15. Juni 1929. Vortrag Dr. Stein (a. G.): Störung einer Analyse durch 
den Versuch der gleichzeitigen Behandlung des Ehegatten. — Diskussion: 
Boehm, Simmel, Eitingon, Harnik, Horney. 

25. Juni 1929. Vortrag Dr. R akne s (a. G.): Gesichtspunkte zur Religions¬ 
psychologie. — Diskussion: Fenichel, Bally, Müller-Braunschweig, Zilboorg 
(a. G.), Simmel, Radö, Fromm, Horney, Eitingon. 

17. September 1929. Bericht über den Oxforder Kongreß. Referenten 
Dr. Fenichel und Dr. Spitz (a. G.): — Diskussion: Boehm, Radö, 
Alexander, Schmiedeberg, Simmel. 

In der Geschäftssitzung wird Dr. med. Gustav Bally (Berlin-Wilmersdorf, 
Paulsborner Straße 87) zum außerordentlichen Mitglied gewählt. 

28. September 1929. Vortrag Dr. Bernfeld: Das Milieu und seine 
Bedeutung für Neurose, Verwahrlosung und Pädagogik. — Diskussion: Staub, 
Sachs, Schultz-Hencke, Reik, Mme. Bonaparte (a. G.), Horney, Alexander, 
Lantos, Schmiedeberg, Fenichel, Hdrnik, Radö. 


Die Gesellschaft veranstaltete in ihrem Institut (Berlin W. 62, Wichmann- 
straße 10) im Frühjahrsquartal (April—Juni) 1929 folgende Kurse: 

1) Sdndor Radö: Einführung in die Psychoanalyse. II. Teil. (Allgemeine 

Neurosenlehre.) 7 Stunden. (Hörerzahl: 57.) 

2) Otto Fenichel: Spezielle Neurosenlehre. I. Teil. 7 Stunden. (Hörer¬ 

zahl: 26.) 

5) Felix Boehm: Kasuistik aus der psa. Praxis. 5 Stunden, (Hörerzahl: 15.) 

4) Jenö Harnik: Handhabung der Traumdeutung in der psa. Therapie. 

7 Stunden. (Hörerzahl: 18.) 

5) Theodor Reik: Seminar über Anwendung der Psychoanalyse auf Literatur 

und Kunst. 7 Doppelstunden. (Hörerzahl: 20.) 

6) Technisches Seminar: Leiter der Gruppen: Alexander, Boehm, 

Horney, Radö und Sachs. 

7) Eitingon u. a.: Praktisch-therapeutische Übungen (Kontrollanalysen). 

8) Hanns Sachs: Trieblehre. III. Teil. 4 Stunden. (Hörerzahl: 20.) 

9) Sandor Radö: Referatenabende. (Kolloquium über Neuerscheinungen der 

PsA. und ihrer Grenzgebiete.) 5 Doppelstunden. (15 Teilnehmer.) 

1 o) Siegfried Bernfeld: Psychoanalytische Besprechung praktisch-pädagogischer 
Fragen. (Hörerzahl: 20.) 

11) Arbeitsgemeinschaft für psa. Kinder- und Jugendpsychologie. (20 Teil¬ 
nehmer.) , 

Dr. Sandor Rado, 

Schriftführer 


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^34 Korrespondenzblatt 


Magyarorszägi Pszidioanalitikai Egyesület 
II. und in. Quartal 1929 

12. April 1929. Dr. S. Ferenczi: Selbstanalyse einer Zwangsneurose 

Religiöse Zwangsideen und Selbstbefreiung von ihnen. 

26. April 1929. Dr. S. Ferenczi: Das unwillkommene Kind und sein 
Todestri-b. (Erschienen in dieser Zeitschr., Bd. XV.) 

lo.^ Iai 1929. Dr. M. J. Eisler: Analyse einer Zwangsbefürchtung. __ 

Im dißj ‘ktischen Aufbau einer zur Grübelei neigenden Zwangsidee konnte 
nachgewiesen werden, daß sie die unerledigte Ödipussituation klar wider¬ 
spiegelt. 

51. Mai 1929. Dr. M. Balint: Psychosexuelle Parallelen zum biogene¬ 
tischen Grundgesetz. 

21. Juni 1929. Dr. S. Pfeifer: Über einen Typus der neurotischen 
Abwehr. 

25. Juni 1929. C. D. Da ly (a. G.): Menstruation imd Kastrationskomplex. 
— Individual- und kulturpsychologische Studien, mit besonderer Betonung 
der ursprünglichen Erregungswirkung der Menstruation auf die Männer. 

In den Monaten Mai—Juni wurden in Veranstaltung des Lehrinstitutes 
zwei Kurse abgehalten; einer für fortgeschrittenere Ausbildungskandidaten 
über „Das Ich und das Es von Dr. Hermann und einer für pädagogisch 
orientierte Hörer von Frau A. Balint. 

Dr. Imre Hermann, 
Sekretär 


Nederlandsdie Vereeniging voor Psychoanalyse 

I.—III. Quartal 1929 

5. Januar 1939. (Oegstgeest.) Geschäftliche Sitzung. Der Vorsitzende 
Dr. J. E. G. van Emden wünscht nicht wiedergewählt zu werden. In den 
Vorstand werden gewählt: Dr. J. H. W. van Ophuijsen (Präsident), 
Dr. A. Endtz (Sekretär) und Dr. F. P. Müller (Kassier). 

Danach^eine Vorführung des psychoanalytischen Films „La Coquille et le 
Clergyman , Scenario von Arteaud, Cineaste Germaine Dulac, auf den Prof. 
Dr. K. H. Bo um an durch eine Aufführung für seine Schüler aufmerksam 
geniacht hatte. Für diese Vorführung vor vielen geladenen Gästen stellte 
Prof. Dr. G. Jelgersma seinen Hörsaal zur Verfügung. Dr. van Ophuiisen 
sprach einleitende Worte. ^ 

2. März 1929. (Leiden.) Dr. J. H. W. van Ophuijsen: Ein Fall von 
Masochismus im Dämmerzustand. 

n. Mai 1929. Frau Dr. C. M. Versteeg-Solleveld (a. G.); Aus 
einer Hysterieanalyse. Versuch darzustellen, wie (1) die Vergewaltigung, welche 
vom Vater ersehnt wird, (3) die weibliche Genitalität, welche der Mutter 
gepnüber verteidigt werden soll, (5) die Kastration, welche ihre Rolle zu 
spielen anfängt, nachdem das Mädchen durch Schuldgefühle und Liebes- 
enttäuschungen ihrer Weiblichkeit entflohen ist, — die drei Faktoren sind, 
welche großen Einfluß auf die sexuelle Entwicklung des Mädchens ausüben. 












































Korrespondenzblatt ^35 


T) J H. W. van Ophuijsen: Aus der Analyse einer sado-masochistischen 
Phantasie. Sprecher beweist an einem Fall, daß sadistische und masochistische 
Strebungen nicht als komplementär aufgefaßt werden sollen. Ziel der sadi- 
tischen Strebungen war Vernichtung des Objekts, ohne die Gefühle des 
Objekts in Rechnung zu ziehen; Ziel der masochistischen Strebungen war das 
ßJühl der Hörigkeit von einer Vaterfigur. 

22. Juni 1929. (Haag.) Dr. S. Weyl; Bemerkungen über ein psycho¬ 
analytisch-juridisches Gutachten. Der Vortragende bespricht die Frage der 
Schändlichkeit der von einem Erzieher an seinen weiblichen Zöglingen aus- 

veübten sexuellen Handlungen. „ , 

^ Dr. M. Ratan (a. G.): Ein Fall von psychogener Sprachstörung. Sprecher 

gibt die Analyse eines impotenten Tic-Kranken, bei welchem die Zunge 
libidobesetzt war und phallische Bedeutung bekommen hatte. 

Zu ordentlichen Mitgliedern wurden gewählt: Dr. Th. van Schelven, 
55 Jan van Nassaustraat, Haag; Frau Dr. C. M. Versteeg-Solleveld, 

* Javastraat, Haag. , t, „ j 

Adressenänderung: Dr. S. W e y 1 wohnt jetzt 98 ’s Gravendijkwal, Rotterdam. 

A. Endtz, 

Sekretär 


New York Psydio-Analytical Society 

U. u. UL Quartal 1929 

30. April 1929. a) Dr. L. E. Hinsie: „Die Anwendung psychoanaly¬ 
tischer Prinzipien auf die Behandlung früher Schizophrenien.“ — Der Vor¬ 
tragende berichtet aus der Analyse von zwei Fällen, in denen es möglich war, 
die psychoanalytische Technik zur Behandlung einer beginnenden Schizo¬ 
phrenie in den Pubertätsjahren zu verwenden. Bei diesen Patienten sind die 
notwendigen Voraussetzungen für die analytische Therapie vorhanden: der 
Wunsch, behandelt zu werden, die Fähigkeit zur Übertragung und die Krank- 

heitseinsicht. , . r 

h) Dr. P. R. Lehrman: „Eindrücke aus einer Lehranalyse bei Proiessor 

Freud.“ Ein Vergleich zwischen den Tendenzen und Ausgestaltungen der 
Wiener, Berliner imd Pariser Zweigvereinigung. Ein zweimonatiger Aufenthalt 
Prof. Freuds in Berlin im Herbst 1928 gab dem Vortragenden Gelegen¬ 
heit, die Arbeit am Berliner Psychoanalytischen Institut und die im psycho¬ 
analytischen Sanatorium Schloß Tegel geleistete Pionierarbeit aus der Nähe 
mitanzusehen. Die Tätigkeit des Wiener Instituts im Winter 1928/29 war 
eine Quelle von Anregungen, besonders bedeutsam durch die monatlichen 
Zusammenkünfte im Hause Prof. Freuds und die von ihm beigetragenen 
Diskussionsbemerkungen. Bericht über einen dieser Abende mit Äußerungen 
Prof. Freuds über das komplizierte Problem der Lehranalyse und ihre Unter¬ 
schiede von der therapeutischen Analyse bezüglich Verfahren und Zielsetzung. 
Schließlich brachte der Vortragende fünf Filme zur Vorführung, welche die 
bedeutendsten Personen der psychoanalytischen Bewegung und vor allem 
Prof. Freud und seine Familie zeigten- 











136 


Korrespondenzblatt 


28. Mai 1929- a) Dr. Ruth Mack-Brunswick: „Analyse eines Eifer 
suchtswahnes. (Erschienen in dieser Zeitschrift, Bd. XIV, 1928.) Der Vortraff 
gab Anlaß zu einer lebhaften Diskussion. 

b) Dr. Dorian Feigenbaum: „Der falsche Patient.“ Bericht über die 
Analyse des Mannes einer Patientin mit Eifersuchtswahn; die Frau verweigert 
die Behandlung und überläßt den Mann dem Analytiker. Der Mann erweist 
sich als neurotischer Charakter von sado-masochistischem Typus mit De¬ 
pressionen und Wanderlust; in der Karriere kommt er trotz guter, intellek¬ 
tueller Fähigkeiten nicht vorwärts. Er ist an zwei ältere, tyrannische Schwestern 
fnaert, seine Mutter ist kalt und herrschsüchtig, der Vater schwach und 
selbstsüchtig. Vor der Ehe hatte er sporadische erotische Erlebnisse mit männ- 
hchen Frauen (Schwestern). Die sadistische Anlage seiner Frau war so stark 
daß sie ihm auffallen mußte. Während seiner Analyse wuchs ihr Widerstand 
gegen die Behandlung, sie wurde eifersüchtig auf den Analytiker. Der Vor¬ 
tragende führte aus, daß der Fall den Nachweis des pathologischen Verhaltens 
des paranoischen Ehepartners brachte; von hier aus ließ sich die Gefahr 
erörtern, unter solchen Umständen dann den „wirklichen“ Patienten zu verlieren. 

In der Geschäftssitzung wurden folgende associate members gewählt- 
Dr. Rita Parker, Dr. Albert Slutsky. 

Zu offiziellen Vertretern der Gruppe auf dem Internationalen Kongreß in 
Oxford wurden bestimmt: Dr. A. A. Brill, Dr. C. P. Oberndorf, Dr. A. Stern. 

Dr. Phüip R. Leh r m an, 

Sekretär 


Sciiweizerisciie GesellsAaft für Psydioancilyse 

II. und in. Quartal 1929 

20. AprU 1929. Wissenschaftliche Sitzung. Referat Zulliger: „PsA. und 
Führerschaft in der Schule.“ (Erscheint in Imago, Bd. XVI, Heft 1.) 

Diskussion: Furrer, Peter, Pfister, Sarasin, Steiner, Tobler, Witzig (a. G.). 

4. Mai 1929. Wissenschaftliche Sitzung. Referat Tobler: „Das Werden 
einsr neuen Schule und die psa. Erkenntnis/* 

Ref. berichtet über das von ihm gegründete und geleitete Landerziehungs¬ 
heim, wo „Gestaltungsunteiricht“ betrieben wird unter der Organisation einer 
Lebensgemeinschaft. Daran wird die Bedeutung und der Ablauf des Uhiv 
aufgezeigt. 

Diskussion: Behn-Eschenburg, Frau Behn-Eschenburg, Giltai (a. G.) Kiel- 
holz, Pfister, Sarasin, Steiner. ^ 

Frau Dr. S. Morgenstern teilt ihren Übertritt in die Societd francaise de 
Psychanalyse mit. 

22. Mai 1929. Wissenschaftliche Sitzung. 

I. Dr. Blum: „Geisteskrankheit und Gesellschaft.“ 

II. Dr. Behn-Eschenburg: „Psa. Bemerkungen zum Thema: Ursache 
und Bekämpfung der Vorurteile gegen Psychiatrie und Irrenanstalten.“ 


















































Korrespondenzblatt 


137 


Die beiden Vorträge sollen am Schweizer Psychiatertag in Rheinau am 
8. und 9. Juni abgehalten werden. 

I. Ref. weist darauf hin, daß einst die Krankheiten, speziell die Geistes¬ 
krankheiten, als Besessenheit durch einen Dämon oder Gott gedacht wurden. 
Der Priester und Medizinmann, der sie bekämpfte, war mit übersinnlichen 
Kräften ausgestattet und damit selber auch in die Sphäre des Übersinnlichen 
versetzt gedacht. Neben der völkerpsychologischen Parallele geht Ref. auf die 
individuelle Seite der Frage ein und findet die Klärung durch die Analyse 
des Gefühles des Unheimlichen nach Freud als Abkömmling animistischer 
Seelentätigkeit und Wiederanklingens ursprünglich angstbesetzten, verdrängten 
Materials. Damit die Gesellschaft ihre Vorurteile lasse, sei u. a. die tiefen¬ 
psychologische „Aufklärung“ notwendig, mit ihr werde der Gesellschaft auch 
der Irre selbst verstehbar. 

II. Den vorherrschenden Ansprüchen des Bw des Normalen treten im Irren 
die durchgebrochenen Ansprüche des Uhw entgegen. Dieser Ansprüche kann 
der Gesunde nur dann Herr werden, wenn er sie im Zaume hält, verdrängt. 
Revanche ist deshalb das eigentliche Prinzip des Gesunden dem Irren gegen¬ 
über. Es äußern sich die gleichen Widerstände, die der Gesunde gegen die 
Wiederkehr des eigenen Verdrängten mobil macht; diese treffen sowohl die 
Kranken als alles, was mit ihnen zusammenhängt: die Irrenanstalten und die 
Psychiater. Zur Bekämpfung der Vorurteile empfiehlt sich die Bloßlegung der 
Gründe, aus denen diese Vorurteile als Rationalisierungen resultieren. 

(Gekürztes Autoref. Blum und Behn-Eschenburg.) 

Diskussion: Kielholz, Sarasin, Steiner, Frau Behn-Eschenburg, Blum, Furrer, 
Pfenninger. 

15. Juni 1929. Wissenschaftliche Sitzung. 

I. Dr. Blum: „Kleine Mitteilungen zum Thema: Widerstand gegen die 
Irren und Pflegeanstalten.“ 

Ref. weist an einzelnen Zügen oder Äußerungen des Widerstandes der 
Gesellschaft gegenüber den Irren und Irrenanstalten die Thesen nach, die sich 
aus den Referaten der vorhergegangenen Sitzung ergeben haben. 

Diskussion: Steiner, Kielholz, Blatter, Behn-Eschenburg, Frau Behn-Eschen¬ 
burg, Sarasin, Zulliger. 

II. Dr. Sarasin: „Kasuistisches Material über die infantile Genital¬ 
organisation. “ 

An schönem und durchsichtigem Erfahrungsmaterial werden die Aus¬ 
führungen Freuds über diesen Teil der infantilen Sexualität (Drei Ab¬ 
handlungen) belegt. 

Diskussion: Blatter, Frau Behn-Eschenburg, Blum, Pfister, Steiner, alle in 
mehreren Voten. 

7. Juli 1929. Im geschäftlichen Teil der Sitzung wird beschlossen, daß 
die Schweizer Delegation am Oxforder Kongreß die Resolution Eitingon 
zu befürworten habe. (Betr. Ausbildung der Psychoanalytiker.) 

Wegen des Oxforder Kongresses und der Ferien wird die nächste Sitzung 
anf Ende September anberaumt. Es wird der Auftrag erteilt, den nächsten 
Kongreß der I. P. V. in die Schweiz einzuladen. 

Die U.-R. teilt mit, daß ein Zyklus von drei Vorträgen über PsA. in 












138 


Korrespondenzblatt 


Basel vorbereitet werde. Nach einem als Einleitung gedachten Referat 
(S ar a s i n) soll gesprochen werden über „PsA. und Medizin“ (Christoffel) 
und „PsA. und Pädagogik“ (Zulliger). 

Wissenschaftliche Sitzung. Referat Dr. Steiner: „Außerordentlich starkes 
Agieren in der Analyse.“ 

Ref. zeigt an einem klinischen Fall das außerordentlich heftige Agieren 
des Patienten, der aus dem Fenster des Ordinationszimmers springen wollte. 
Er untersucht die Besonderheit dieses und ähnlicher Fälle, das Verhalten des 
Analytikers und die Umwandlung der Motilität in Wortvorstellungen. 

Diskussion: Sarasin, Zulliger, Behn-Eschenburg, Frau Behn-Eschenburg, Tohler. 

21. September 1929. Wissenschaftliche Sitzung. Referat Dr. Sarasin: 
„Einleitendes Referat“ zum Baseler Vortragszyklus. 

Ref. umschreibt in seinem für ein weiteres Publikum berechneten Vortrag 
auf eine einleuchtende Art und nach Gesichtspunkten, wie man sie bisher 
bei sogenannten „populären“ Referaten noch nicht hörte, Wesen, Technik, 
Bereich und Hauptbegriffe der Psychoanalyse. 

Diskussion: Behn-Eschenburg, Blum, Pfister. 

Vortragstätigkeit einzelner Mitglieder: 

Pfr. Dr. Pfister hielt eine Vortragstournee über PsA. in Lettland. Er 
organisierte am „Internationalen Kongreß für neue Erziehung“ 
in Helsingör (8. bis 22. August 1929) einen Kurs über das Thema: 
PsA. und Erziehung, hielt dort sechs Vorträge. Im Rahmen dieses Kurses 
sprachen neben Mitgliedern anderer psa. Gesellschaften unsere Mitglieder 
Dr. Behn-Eschenburg, Frau Behn-Eschenburg, Tobler, Pfen- 
ninger, Zulliger. 

Hans Zulliger, 

^ Sdiriftführer 


Wiener Psydioanalytisdie Vereinigung 

I. bis III. Quartal 1929 

16. Januar 1929. Vortrag Dr. Otto Sperling (a. G.): Zur Psychologie 
der Unfallsneurose. (Z. T. erschienen in dem Sammelband „Die Unfallsneu¬ 
rose ‘, Hippokrates-Verlag, 1929.) 

Diskussion: Frau Deutsch, Federn, Sadger. 

50. Januar 1929. Vortrag Dr. Richard Sterba: Zur Dynamik der Be¬ 
wältigung des Übertragungswiderstandes. (Erschienen in Heft 4 von Bd. XV 
dieser Zeitschr.) 

Diskussion: Frau Deutsch, Federn, Nunberg, Reich. 

13. Februar 1929. Kleine Mitteilungen und Referate. 

1. Dr. Wälder: Sexualsymbolik bei den Primitiven. Diskussion: Federn. 

2. Dr. Hitschmann: Einschlafgewohnheiten. Diskussion: Frau Angel, 
Frau Deutsch, Federn, Friedjung, Jokl, Reich, Sperling, Stengel, Sterba. 

3. Dr. Sperling; Beitrag zur Frage des „funktionalen Phänomens“. 
Disskussion: Federn, Hartmann. 











































Korrespondenzblatt 


139 



27. Februar 1929. Kleine Mitteilungen und Referate. 

1 Dr. Hitschmann: Ein geborener Bildhauer. Diskussion: Federn, Kris, 
Nunberg, Reich, Sterba, Storfer, Winterstein. 

2. Dr. Federn: Ausgang der Hysterie. Diskussion: Frau Deutsch, 
Eidelberg, Reich, Wälder. 

15. März 1929. Kleine Mitteilungen und Referate. 

1. Dr. Hitschmann: Referat von Bernhard Aschner, „Die Krise der 
Medizin“. Konstitutionstherapie als Ausweg. Diskussion: Federn, Hartmann, 
Storfer. 

2. Dr. Wälder: Referat über Prinzhorn, Krisis der Psychoanalyse. 
I. Besprechung der Arbeiten von A. A. Grünbaum: Die Erkenntnistheorie 
und die Idee der Psychoanalyse, und V. v. Weizsäcker: Medizin, Klinik und 
Psychoanalyse. Diskussion: Eidelberg, Federn, Hartmann, Kris. 

5, April 1929. Kleine Mitteilungen und Referate. 

Dr. Wälder: Referat über Prinzhorn, Krisis der Psychoanalyse, 
n. Besprechung der Arbeiten von H. Prinzhom: Versuch einer geistes¬ 
geschichtlichen Einordnung der Psychoanalyse. H. Kunz: Psychologie der 
psychoanalytischen Weltanschauung, imd K. Mittenzwey; Psychologie und 
Psychoanalyse. Diskussion: Eidelberg, Federn, Frl. Freud, Kris, Sperling, Sterba, 
Storfer. 

24. April 1929. Diskussionsabend: Anwendung der Psychoanalyse bei 
Psychosen. Einleitendes Referat: Prof. Dr. Schilder: Diskussion: Frl. Freud. 
Frau Estelle Levy (a. G.), Reich. 

8. Mai 1929. Fortsetzung der Diskussion: Psychoanalyse und Psychiatrie. 
Diskussion: Eidelberg, Federn, Nunberg, Schilder. 

25. Mai 1927. Kleine Mitteilungen und Referate. 

Frau Dr. Annie Reich: Referat über Alexander-Staub: Der Verbrecher 
und seine Richter. Diskussion: Federn, Hartmann, Reich, Prof. Pappenheim, 
Wälder, Wittels. 

5. Juni 1929. Kleine Mitteilungen und Referate. 

Dr. Reich: Mechanismus eines Falles von Homosexualität. Diskussion: 
Frau Deutsch, Frl. Freud, Nunberg. 

19. Juni 1929. Vortrag Dr. Paul Federn: Das Frongesetz der Zwangs¬ 
neurose. Diskussion: Frau Deutsch, Eidelberg, Hartmann, Isakower, Jokl, 
Nunberg, Reich, Schaxel. 

* 


Veranstaltungen des Lehraussdiusses der „Wiener Psydioanalytisdien Vereinigung"* 

im Sommersemester 1929 

Kurse: 

Dr. P. Federn: Einführung in die Psychoanalyse. 10 stündig. (Hörerzahl 35.) 
Prof. Dr. P. Schilder: Psychologische Grenzgebiete der Psychoanalyse. 
5 stündig. (Hörerzahl 19.) 

Dr. R. Wälder: Ausgewählte Probleme der Psychologie. 15 stündig. 

(Hörerzähl 28.) 




ii 

i 










1 


140 Korrespondenzblatt 


Pädagogik: 

Dr. W. Ho ff er: Neurosenlehre, 5 stündig. (Hörerzahl 54,) 

Seminare: 

Seminar für psychoanalytische Therapie. (Am Ambulatorium der „Wiener 
Psychoanalytischen Vereinigung“.) Jeden zweiten Mittwoch. Leiter Dr. W. 
Reich. 

Seminar zur Technik der Kinderanalyse. Jeden Montag. Leiterin Anna Freud. 


Dr. R. H. Jokl 

Sdbriftführer 



















































REFERATE 


Aus den Grenzgebieten 

Maylan, Charles E.: Freuds tragischer Komplex. Eine 
Analyse der Psychoanalyse. München, Ernst Reinhardt, 

1929. 

Soweit der Leser diesem „eigenartigen“ Buche, wie es der Autor seihst 
nennt (S. 5), einen wesentlichen Gedankengang entnehmen kann, lautet dieser 
ungefähr folgendermaßen: Die Psychoanalyse sei eine wichtige methodologische 
Entdeckung. Sie sei aber bis heute unzulänglich geblieben. Sie könnte und 
sollte „den letzten Schritt zur Freiheit tun“ (S. 8), d. h., es fehlen ihr die 
Wertsetzungen, „der verlorene Anschluß an ein geistiges Ganzheitsprinzip 
(S. 15); sie sei nicht „in den höchsten Dienst“ „eingespannt“, „in den Dienst 
am ewigen Leben des Menschen und nicht nur der niedersten Bedürfnisse 
seiner Leidenschaften“ (S. 16). Diese unklare, aber nach Maylan vornehmste 
Aufgabe habe sie aus Feigheit vor ihren eigenen Konsequenzen bisher nicht 
erfüllt. Sie harre eines zukünftigen „Erlösers“, für den sich Maylan selbst 
zu halten scheint. — Schuld daran aber sei die subjektive Unzulänglichkeit 
ihres Schöpfers, die „Unerwachsenheit“ Freuds (S. 14). Diese soll durch 
eine „Analyse^^ Freuds bewiesen werden. Diese „Analyse“, die der Autor 
als „psychologische Ganzheitsschau“ (S. 15) durchführt, bringt ihm die Ent¬ 
deckung, daß Freud einen Ödipuskomplex habe. Aus Freuds unbewußter 
Ambivalenz gegenüber seinem Vater folge, daß die Psychoanalyse ein Ha߬ 
gebilde, ein Rachewerk sei, bestimmt, die Herrschaft der jüdischen Rasse über 
die anderen aufzurichten. Erst arische Philosophen, von der Art Nietzsches, 
vor allem offenbar der Verfasser selbst, werden die Psychoanalyse von der 
düsteren unbewußten Zielsetzung, die ihr innewohnt, befreien. 

Eine einfache Überlegung zeigt, daß eine wissenschaftliche Kritik eines 
solchen Gedankenganges im Grunde unmöglich ist. Denn die Psychoanalyse 
ist einerseits Heilmethode, andererseits Naturwissenschaft, aber nichts sonst. 
Ihre Fortbildung zu einer „Erlösung“ muß ihr als Mißbrauch erscheinen, der 
Vorwurf, daß solche Fortbildung fehle, als Lob, daß sie ihrer Aufgabe nicht 
untreu geworden ist. — Aus ihrer wissenschaftlichen Natur folgt aber auch, 
daß das Kriterium über Richtigkeit oder Falschheit psychoanalytischer Befunde 
wie bei jeder empirischen Wissenschaft von der Realitätsprüfung, d. h. 
der Nachprüfung am Objekt, abgegeben wird; keineswegs aber folgte aus dem 
Nachweis der subjektiven Beschränktheit eines Forschers die Unzulänglichkeit 









142 


Referate 


der Forschungsmethode. (Und; Wie könnte sich denn eine solche Beschränkt¬ 
heit im objektiven Resultat wissenschaftlich schädlich bemerkbar machen? 
Doch nur dadurch, daß der Forscher im „analytischen Skotom“ am Unbe¬ 
wußten seines Objektes nicht wahmehmen könnte, was er in der eigenen 
Seele verdrängt. Als wesentlichen Skotomgrund bezeichnet Maylan aber 
Freuds Ödipuskomplex. Man kann kaum behaupten, daß der Entdecker des 
Unbewußten und des Ödipuskomplexes den Ödipuskomplex übersehen hätte. 
Aber Maylan geht sogar so weit, zu meinen, daß die Entdeckung des 
Ödipuskomplexes ein Indiz für den Ödipuskomplex und somit für die analy¬ 
tische Unzulänglichkeit Freuds sei! [S. 50 u. 52.]) 

Aber wie sieht denn nun diese angebliche Analyse Freuds aus? Welches 
Material zieht Maylan hiefür heran und wie benutzt er es? 

Freud hat der Öffentlichkeit nicht nur in seiner Autobiographie Material 
über sein Leben mitgeteilt, sondern vor allem auch in der „Traumdeutung“ 
und der „Psychopathologie des Alltagslebens“ eigenes seelisches Material als 
Beispiel herangezogen. Er wollte psychologische Entdeckungen methodischer 
und inhaltlicher Natur demonstrieren, und es ist ein schönes Beispiel 
der Hintansetzung persönlicher Interessen im Dienste der Wissenschaft, wenn 
er, wo eigenes Material deutlicher sprach oder als das eines Gesunden ver¬ 
läßlicher erschien als das der Patienten, nicht davor zurückscheute, Dinge 
aus dem eigenen Leben preiszugeben, die man sonst verborgen hält, — und 
im Jahre 1900 noch viel mehr verborgen zu halten pflegte als heute, da die 
Resultate der Psychoanalyse schon mehr bekannt sind. Aber natürlich auch 
nur so weit, als die Notwendigkeit der Demonstration es erforderte. Die 
„Traumdeutung“ enthält nicht „Bekenntnisse“ wie das Werk von Rousseau, 
Freud hat nie behauptet, mit ihr der Öffentlichkeit ein aufrichtiges, voll¬ 
ständiges und lückenloses Bild der eigenen Person zu übermitteln. Könnte 
man also vielleicht schon der Meinung sein, die Benutzung des von Freud 
zur Exemplifizierung einer wissenschaftlichen Methode publizierte Material 
zu einem anderen Zwecke sei an sich ein Mißbrauch, so ist jedenfalls die 
von Maylan wiederholt geäußerte Meinung, Freud wisse über sich nicht 
mehr als er der Öffentlichkeit mitteilte, er verdränge alles andere, ein 
grobes Mißverständnis, wenn nicht eine Fälschung. 

Es mutet unter solchen Umständen grotesk an, wenn Maylan in einer 
schrankenlos erregten Sprache den Nachweis zu erbringen versucht, daß bei 
Freud der unbewußte Haß gegen den Vater und die Angst vor ihm nicht nur 
in den Träumen wirksam sind, wo er selbst davon spricht, sondern auch an 
anderen, wo er nicht ausdrücklich es erwähnt. Wie naiv, zu glauben, Freud 
selbst wisse das nicht und wolle es vor sich selbst verbergen (S. 91)! 

Und wie verwegen, den Leser glauben machen zu wollen, daß man aus 
der Tatsache, in welchem Umfang Freud bei den einzelnen Traumbeispielen 
die Deutung mitteilt, auf die Tiefe seiner Selbstanalyse oder gar hinsicht¬ 
lich des Wahrheitsgehalts der Psychoanalyse irgendwelche Schlüsse ziehen 
könne. 

Bei solcher Zielsetzung und logischen Sauberkeit kann es dann nicht über¬ 
raschen, wenn Maylan in seiner Nachanalyse der Freud sehen Träume 
wiederholt Mittel anwendet, die an die Methoden mancher Zeitungen er¬ 
innern, die im Titel das Gegenteil von dem sagen, was in der Nachricht 

























































Referate 


143 


. enthalten ist, in der Hoffnung, der Leser werde sich mit dem Titel 

ügen und auf die Lektüre des kleiner gedruckten Textes verzichten. Es 
1 hnt diesen schweren Vorwurf mit einigen Beispielen zu belegen. 

° Anläßlich eines Traumes, in dem Freud die schlafende Mutter sieht, 
icht Freud von „dunklen sexuellen Gelüsten“, was Maylan auch zitiert 
j j q) Trotzdem sagt er dann in seiner Zusammenfassung auf S. 111: 
Besonders überrascht sofort das Fehlen jeder Andeutung des Ödipuskomplexes.“ 
1 - Beim Traum „Der Papst ist gestorben“, den Freud auf den Körperreiz 
läutender Glocken zurückführt, um dann zu sagen: man sehe, „auf welchen 
Wegen ein akzidentell gegebenes körperliches Bedürfnis mit den stärksten, 
aber auch stärkst unterdrückten Regungen des Seelenlebens in Ver¬ 
bindung gebracht wird“ (was mag er wohl für „Regungen“ meinen?), zitiert 
IVlaylan auch diese Stelle und bemerkt dann: „Aber der Regungen des 
Seelenlebens geschieht keine Erwähnung“ (S. 99), d. h., Freud habe über¬ 
sehen, daß der Papst den Vater bedeute. — Freud übersetzt den 
Traumtext „ein Auge zudrücken“ mit „d. h. Nachsicht üben“. Obwohl 
Maylan wieder selbst zitiert, daß Freud später hiezu bemerkt, daß er 
wisse, daß „diese Fassung ihren besonderen Sinn hat und in der Traum¬ 
deutung auf besondere Wege führt“, sagt er: „Leider ist Freud in seinen 
eigenen Träumen so ,schamhaft und pietätvoll* vorgegangen, daß er das 
Analysieren vergißt“, weil er schreibe „d. h. Nachsicht üben“, „ohne es auch 
nur zu wagen, dem anderen Traumgedanken ... ins Auge zu sehen . . ., ob¬ 
gleich er wisse, daß „diese Fassung“ usw. (S. 99). Aber wenn er das weiß 
und es schreibt, so hat er doch eben dem anderen Traumgedanken ins Auge 
ffesehen! — Freud bemerkt wiederholt, daß er die Mitteilung einer 
Traumanalyse irgendwo abbreche, weil das Folgende als Mitteilung für die 
Öffentlichkeit nicht geeignet sei. Obgleich Maylan auch solche Bemerkungen 
mehrmals wortgetreu und unmißverständlich zitiert, kommentiert er sie den¬ 
noch so, als hätte Freud aus Diskretions- oder Pietätgründen nicht die 
Mitteilung der Analyse, sondern die Analyse abgebrochen, begehe also fort¬ 
während „Ungehorsam gegen die analytische Grundregel“ (S. 75). So bemerkt 
er zum Satz, „man macht doch sich selbst aus vielem kein Geheimnis, was 
man vor anderen als Geheimnis behandeln muß : „Das klingt uns ganz wie 
das Bekenntnis zu einem blinden Fleck im Auge des Selbstanalytikers . . . 
und zur Gewilltheit, ihn zu bewahren, heilig zu halten, tabu zu erklären“ 
(S. 70). Oder zur Bemerkung, er breche ab, „weil die persönlichen Opfer 
zu groß sind, die es erfordern würde, das in der Analyse (selbstverständlich 
gemeint: in der Mitteilung der Analyse) fehlende Stück des Traumes voll 
aufzuklären“, heißt es: „Also wenn es peinlich wird, unterbricht Freud 
seine Analyse?! Er meint: Nur vor der unkeuschen Öffentlichkeit. Ich be¬ 
haupte aber: Vor sich selbst und vor dem Geist“ (S. 22). 

Solche Dinge bringen dem Leser schließlich das Verständnis dafür, was 
sich hier abspielt: Nämlich eben die objektive Fälschung der Forschungs¬ 
resultate durch subjektive Voreingenommenheit des Forschers, die Maylan 
fälschlich Freud vorwirft. Wir Analytiker wissen, wie demjenigen, der aus 
affektiven Gründen etwas „beweisen“ will, nicht nur Gegenargumente ver¬ 
borgen bleiben, sondern wie er früher oder später beginnt, ohne sein Wissen 
die Wahrheit in einer Weise zu verdrehen, daß das Resultat objektiv einer 











^44 Referate 


Fälschung gleicht. So sind folgende Dinge, die Maylan passieren, ein ! 
Schulbeispiel dafür, wie man Analyse nicht treiben darf, und was geschehen ^ 
kann, wenn man es an der nötigen Unvoreingenommenheit fehlen läßt. 

Aus Freuds Redewendung, er habe einen Patienten, dessen Behandlung 
fünf Jahre dauerte, „fünf Jahre auf die Heilung warten lassen“, schließt 
Mayl an: „Der festgehaltene Rhythmus seines . . . Ödipuskomplexes könnte 
ihm . . . während seiner Analysen schon unbemerkt manchen unliebsamen 
Streich gespielt . . . haben“ (S. 125). 

An anderen Stellen werden die Deutungen Mayl ans wild-phantastisch 
so dort, wo er sich daran macht, die psychoanalytische Strukturtheorie zu ' 
psychoanalysieren. Er stellt die Behauptung auf, das Es sei die Mutter, das ' 

Über-Ich der Vater. Als Beweis zitiert er zunächst eine Redewendung von \ 

Freud, das Über-Ich „tauche tief ins Es ein“, und schreibt dann in seiner 3 

Auslegung: „Denn während wohl der Vater bei ihr schlafen und tief in sie | 
,eindringen‘ darf . . .“ (S. 145). („Eintauchen“ hätte nicht so gut gepaßt, \ 
aber wer wird es in einer „Deutung“, die sich auf ein Wort gründet, mit J 
diesem Worte so genau nehmen?) — Dann argumentiert Mayl an weiter: -i 

Das Buch heißt „Das Ich und das Es“, dem Inhalte nach verdiente es den ^ 

Titel: „Das Ich, das Es und das Über-Ich“. Warum hat wohl Freud das ‘l 

Über-Ich im Titel weggelassen? Mayl an antwortet: Weil er den Vater ver- 1 
drängen wollte. Dafür nennt auch Mayl an „Das Ich und das Es“ eine . ' 

„zum Teil wirklich unverstehbare kleine Schrift“ (S. 144). — Oder bei der | 

Erörterung über „Todesangst“ werden die Beweise für die Fr eu dsehe Vater- ^ 

bindung darin gefunden, daß in seiner Autobiographie Bleuler, Hall, | 

Putnam, James (Väter), Adler, Jung und Stekel (Söhne) bald hinter-’ ! 

einander genannt werden. (Siehe die Tabelle auf S, 158.) 

Eine gröbere Falschzitierung als die Vertauschung von „eintauchen“ 1 

und „eindringen“ leistet sich Mayl an, um aus seiner „Analyse“ Freuds, ' 
den er wiederholt „meinen Patienten“ nennt, seine antisemitischen 
Konsequenzen ziehen zu können. Freud schreibt in seiner Arbeit 
„Die zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie“, die Psycho¬ 
analyse möge „den Schrei nach jenen Veränderungen in unserer Kultur 
verstärken helfen, in denen wir allein das Heil für die Nach¬ 
kommenden erblicken können“ (Ges. Sehr., Bd. VI, S. 57; Zbl, f. PsA., 

I? S. 9). Auf S. 195 Buches von Maylan aber lesen wir, Freud 

wisse, was er wolle, „wenn er ,den Schrei nach jenen Veränderungen in 
unserer Kultur verstärken helfen will, Jin denen wir allein das Heil 
für unsere Nachkommen erblicken können'“ (Sperrungen von Maylan), 
und er interpretiert, ganz wie ein politisches Hetzblatt, mit „unsere Nach¬ 
kommen“ (was Freud ja überhaupt nicht geschrieben hat) seien die Juden 
gemeint (S. 195). — Vom verstorbenen Kollegen Walter Cohn schrieb 
Sachs in einem Nachruf, es gab für ihn nur zwei Ziele: „Die Befreiung 
des jüdischen Volkes und die Psychoanalyse“; Maylan zitiert das und setzt 
fort: „die wir als ein Werkzeug im Dienste jenes ersten Gedankens finden, 
denn Freud^^ selbst will den „Schrei nach jenen Veränderungen in der 
Kultur usw.“ (S. 207). 

Falsche Zitate von geringerer Bedeutung gibt es noch so viele, daß wir 
nicht alle anführen können und hier ein einziges Beispiel genügen möge: 




















































Referate 



US 


Es wird als Freuds Meinung ausgegeben, „daß das Es das Reservoir der 
Sexualität allein sei“ und dazu eine Seitenangabe aus „Das Ich und das 
Es“ (S- 15^)9 wenn man die betreffende Seite nachschlägt, so findet man, 
daß dort ausdrücklich das Gegenteil steht, nämlich, daß die Besetzung des 
Es aus beiden Triebarten gemischt sei. 

Die tendenziöse Natur aller dieser und der vielen hier nicht in extenso 
• besprochenen Irrtümer ergibt sich aus symptomatischen Fehlhandlungen wie der 

Zitierung aus einem Buche Freuds „Zur Psychologie des Alltagslebens“ 
(S. 205) oder aus der Interpretation, der Streit um die Laienanalyse gehe in 
Wahrheit darüber, ob die Psychoanalyse dem „jüdischen Arzte“ Vorbehalten 
bleiben solle, oder ob man sie auch „dem arischen Philosophen in die Hand 
geben“ dürfe (S. 195)* 

Wir sind bei der sachlichen Widerlegung der May lauschen Ansichten 
schon ganz ohne Absicht gelegentlich in eine moralische Bewertung seines 
Werkes geraten. Man kann und braucht sich aber auch einer solchen Stellimg- 
nahme nicht ganz zu enthalten, wenn man bedenkt, daß derselbe Mann, der 
zu einem anderen Zweck gegebene Mitteilungen über das Privatleben eines 
Menschen dazu benutzt, diesen Menschen ungebeten zu „analysieren“, als 
Resultat solcher „Analyse“ die schwersten verdammenden Moralurteile gegen 
diesen Menschen schleudert und somit die unsachlich-tendenziöse Natur seines 
Eifers verrät. Er spricht von Freuds „vorgespiegeltem Anstandsgefühl“ 
(S. 19), wiederholt von seiner „Unaufrichtigkeit“ und „Feigheit“, von seiner 
„Unreinheit des Herzens“ (S. 21), von seiner „menschlichen Gemeinheit“ 
(S. 75), davon, daß er es verstehe, „alles Hohe in die Gemeinheit seiner 
Ursprünge mit schadenfrohem Blick zu ziehen“ (S. 159), und eines der vielen 
ähnlichen Zusammenfassungen seines Urteils über Fr eu d lautet: „Utopistische 
Verantwortungslosigkeit eines bolschewistischen Dämagogen wäre aber der 
großsprecherisch ausgeworfene Köder ohne realisierte Einlösung des Ver¬ 
sprechens im Einsatz der eigenen Person“ (S. 212). Ganz abgesehen davon, 
daß Freuds Bild und seine Unterschrift publiziert wurde, um Freuds 
„schwermütige Bitterkeit“ als Folge seines unerledigten Vaterkomplexes daran 
' zu demonstrieren (S. 49). 

Maylan selbst hat von seinem Buche eine sehr hohe Meinung. Er sagt 
von dem, der Freud seinen „Zwiespalt entreißen“ will, er komme „als ein 
Begeisterter im besten Sinne, als im Fleischlichen eingeborener Sohn des 
göttlichen Geistes und selber Göttlicher“ (S. 55), spricht davon, wie sehr die 
„Klasse biologisch starker und feiner Philosophenanalytiker“ die Psychoanalyse 
brauche, um „Pöbelmanieren wieder in die Grenze der . . . Ehrfurcht vor 
dem Geist zurückzudrängen“ (S. 97) und kündigt, obwohl diese Klasse heute 
noch nicht existiere, eine philosophisch-analytische Arbeit „Urmutter Kastratorin 
des Mannes“ an (S. 212). 

Wir beurteilen dagegen das ganze Maylan sehe Unternehmen lieber nach 
dem Umstande, daß der Mann, der Freud vorwirft, seinen Ödipuskomplex 
I nicht überwunden zu haben, seine Tat der „Überwindung des Ödipuskomplexes 

in der Psychoanalyse“ symbolisch einem Vatermörd vergleicht (S. 8). 

F e n i c h e 1 (Berlin) 


i 


Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XVI/i 


10 












146 


Referate 


Aus der psychiatrisch-neurologischen Literatur 

Frostig, Jakob: Das schizophrene Denken. Phänomeno- 
logisdie Studien zum Problem der widersinnigen Sätze. Georg 
Thieme, Leipzig I929. 

Wie der Untertitel anzeigt, beschränkt sich dieses Büchlein darauf, das 
Aussprechen unsinniger Sätze und Wörter durch Schizophrene zu untersuchen. 
Diese Untersuchung ist eine phänomenologische und eine „statische^^, d. h. 
sie verzichtet von vornherein darauf, Fragen nach Genese und Motivation der 
zugrunde liegenden Störungen zu stellen. Obwohl die Eigenart, Strenge und 
Richtigkeit der grundlegenden Gedankengänge den mit phänomenologischen 
Untersuchungen nicht vertrauten Leser sehr fesselt, muß doch das Ergebnis, 
zu dem der Autor auf großen Umwegen gelangt, als sehr mager bezeichnet 
werden, es („Störung der Aktualisierung kollektiver Strukturen“ usw.) scheint 
fast eine bloße Übersetzung des Sachverhalts, „die Kranken sprechen 
unsinnig“ in phänomenologische Nomenklatur. — Um verstehen zu können, 
was der Kranke im Momente solcher „Störung der Aktualisierung“ erlebt, 
werden normale Vorgänge zum Vergleich herangezogen, in denen ebenfalls 
wort- und begriffsfem gefühlsbetont erlebt wird: Traum und Lyrik. Auch 
ihnen werde man, wie dem schizophrenen Erleben, nur gerecht, wenn man 
den „sachlichen Gehalt“, die „Erfüllung signalisierter Strukturen“ vernach¬ 
lässigt, das Gefühl, die „Sphäre“ wesentlich auf sich wirken läßt. 

Frostig hätte sich nicht so sehr um den Nachweis zu bemühen brauchen, 
daß die Traumarbeit, daß Verdichtung, Verschiebung, Symbolik phänomeno¬ 
logisch im Traumerleben nicht gegeben sind; das hat die Psychoanalyse nie 
behauptet. Sie kam ja zu diesen Begriffen erst durch ihre prinzipiell andere 
Denkweise, durch ihre dynamisch-genetische Forschung, die ihr erst zeigt, 
daß sich im Träumer noch andere Dinge abspielen oder abspielten als die, 
die er bewußt erlebt. Aber ebenso wie die Traumerzählung zwar nicht der 
Traum ist, aber doch sein Abkömmling, und zwar der einzige, der uns 
zur Verfügung steht, um an den uns unbekannten wirklichen Traum heran¬ 
zukommen, genau so sind die sinnlosen Wörter und Sätze zwar keine 
„Signalisierung einer kollektiven Struktur“ mehr, aber doch Abkömm¬ 
linge des gesuchten Erlebens, der gesuchten „Sphäre“, und als solche doch 
wohl sehr beachtenswert. Freilich, wir können nicht „erfüllen“ im gewöhn¬ 
lichen, im Verstandessinne, was uns da signalisiert wird, aber vielleicht wird, 
da wir selbst doch ebenso ein Unbewußtes haben wie der Patient, die genaue 
Beachtung der sinnlosen Äußerungen das einfühlende Erfassen eines latenten 
Sinnes doch eher ermöglichen als Frostig annimmt (wenn es auch schwer 
ist und seine Grenzen hat). Eine Geringschätzung der schizophrenen Wörter 
schiene analog einer Geringschätzung des Wortlautes eines lyrischen Gedichtes 
(wie sie Frostig allerdings ebenfalls für richtig zu halten scheint, da er 
sein Lyrikbeispiel, ein kleines Goethegedicht, falsch zitiert). Man ver¬ 
gleiche etwa Frostigs kategorische Behauptung „Die^^W des Schizo¬ 
phrenen sind hart, wir bleiben seinen Sätzen, seineni angeblich freudigen 
Pathos, seiner starrsteifen Leidensgrimasse fern, wir sind kühl und unlustvoll 
gestimmt, wir geben ihnen nicht nach, wir fühlen uns nicht ein", mit der 






























































Referate 


147 


uiid Weise, wie etwa H o 1 ] ö s schizophrene Sinnlosigkeiten zitiert, ja, 
Frostigs Bericht über den Patienten, der „in Judas steinsitzen“ muß, 
zeigt, daß er selbst sich besser einfühlen kann als er zugibt. Soll ein Weg 
zum Verständnis des schizophrenen Erlebens überhaupt auffindbar sein, so 
muß auch das sinnloseste Wort als sein Abkömmling verstehbar werden. 
Es ist gerne zuzugeben, daß wir von solchem Ziele noch sehr weit entfernt 
sind. Fenichel (Berlin) 

V. Weizsäcker: Über Rechtsneurosen. Nervenarzt, 2. Jg., 
H. IO. 

Die Neurosen der Entschädigungs- und Versorgungsberechtigten sind nicht 
nur ein Thema der Medizin. Sie sind soziale Krankheiten. Konflikte 
zwischen Individuum und Behörden, Obrigkeit, Staat. Der Arzt, der vor¬ 
nehmlich als Gutachter mit diesen Neurosen sich zu beschäftigen hat, be¬ 
findet sich ihnen gegenüber in einer eigenartigen Lage, er soll hier nicht in 
erster Reihe als Therapeut figurieren, sondern als ein Glied in der Kette 
der Rechtssprechung. 

W. vertritt den Standpunkt, daß die Rentenneurosen eben Neurosen, d. h. 
Krankheiten sind. Freilich, meint er, sei der Kampf um die Rente nicht 
so sehr Motiv, als vielmehr Stoff. Der Kern dieser Neurosen ist, nach ihm, 
das Rechthabenwollen, das Hadern mit „Schicksal“, Obrigkeit. Er schlägt 
für dieses Krankheitsbild den Namen „Rechtsneurose“ vor. Ist man einmal 
zu der Überzeugung gekommen, daß die Rentenneurotiker eben kranke 
Menschen sind, so kann der Arzt ihnen gegenüber keinesfalls auf die thera¬ 
peutische Einstellung verzichten. Die eigenartige Zwischenlage dieser Neu¬ 
rosen erfordert allerdings eine Verbindung zweier Aufgaben; die eine ist die 
therapeutische, die andere die mehr juristische, die Begutachtung. 

W. gibt ein Schema, wie die Therapie dieser Neurosen mit der Gutachter¬ 
tätigkeit zu verbinden wäre. In einer ersten Periode sollte der Neurotiker 
nur als Kranker behandelt und die Übertragung hergestellt werden. Ist eine 
tragfähige Übertragung gesichert, so kann man mit der Besprechung der 
Rechtslage einsetzen. Der Arzt muß dann versuchen, den Kranken zu der 
Anerkennung gewisser realitätsgerechter Forderungen zu bringen, ihm klar 
zu machen, wie weit seine Forderungen berechtigt sind, wie weit nicht, ihm 
zur Einsicht in den Aufbau seiner Neurose zu verhelfen. Ist eine gewisse 
Bereitschaft zu einem Abschluß des Verfahrens erreicht, so muß unbedingt 
auf endgültige Beendigung des Rechtsverfahrens gedrängt werden. Erst wenn 
dieses gelingt, schwinden die Restsymptome, die von der Psychotherapie allein 
nicht gelockert werden konnten. 

Das Verdienst dieses Vorschlages von W. besteht darin, daß er die Ärzte 
ermahnt, bei der Gutachtertätigkeit die therapeutischen Aufgaben nicht ganz 
zu vergessen. (Berlin) 









148 


Referate 


Aus der psychoanalytischen Literatur 

Coriat, Isidor: The Oral Libido In Language Forma¬ 
tion among Primitive Tribes. Int. Journal of PsA. X, I. 

Philologen und Psychoanalytiker haben erkannt, daß die Worte „Papa“ 
und „Mama“ ihre universale Verbreitung dem Umstand verdanken, daß M 
und P, die Labiallaute, ihre Formung durch die Funktion der Saugemuskulatur 
erhalten und deshalb als erste Konsonanten schon in der Säuglingszeit ge¬ 
sprochen werden können. — Nun stellt sich heraus, daß ein primitiver 
Indianerstamm am oberen Amazonas nach Mac Govern, obwohl seine 
sonstigen Sprachäußerungen in unserer Schrift gar nicht wiedergegeben werden 
können, doch eibenfalls die Worte „Pa“ für Vater und „Ma“ oder „Na“ für 
Mutter gebraucht, offenbar aus dem gleichen Grunde wie die Europäer. 

Fenichel (Berlin) 

Lorand, Alexander S.: Tbe Mantle Symbol. Int. Journal of 
PsA., X, I. 

Verschiedene Träume zeigten dem Autor eine weitere Determinierung des 
Mantelsymbols: Der Mantel, besonders der Pelzmantel, repräsentiere zunächst 
die männliche Körperbehaarung und auf diesem Umwege den Penis. 

Fenichel (Berlin) 

Potter, Grace: Freudian Concepts Aigong Early Ame¬ 
rican Indians. Int. Journal of PsA,, X, I. 

Aus alten Missionärbriefen über die Ethnologie der Indianer wird erzählt, 
daß indianische Medizinmänner häufig erklärten, daß Krankö an unbewußten 
Wünschen leiden. Fenichel (Berlin) 

Gl over, Edward: The „Screening” Function of Trauma¬ 
tic Memories. Int. Journal of PsA., X, I. \ 

Harmlose Kindheitserinnerungen verraten schon durch ihre Harmlosigkeit 
ihren Charakter als „Deckerinnerungen“. Aber auch Erinnerungen an wirk¬ 
lich traumatische Ereignisse aus der Kinderzeit soll man nicht ohne weiteres 
nur als Originalerlebnisse werten, — Bei einem Patienten depkte die Er¬ 
innerung, sich als kleines Kind einmal die Hand verbrannt zai haben, die in 
seinem vierten Lebensjahr an ihm vorgenommene Zirkumzision, die gänzlich 
vergessen war. Fenichel (Berlin) 

Nunn, T. Percy: The Fatal N ame: An Epigram of Phi¬ 
lo d e m o s. Int. Journal of PsA., X, I. 

Ein Dichter des ersten Jahrhunderts n. Chr. namens Philodemos erzählt 
in einem Epigramm, daß er nur Frauen namens „Demo“ geliebt habe; er 
hieße wohl nicht umsonst „Philodemos“, Fenichel (Berlin) 




























































Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Band XVI, Heft i 

(Ausgegeben Anfang Februar 1930) 

Seite 

Emest Jones: Angst, Schuldgefühl und Haß •••••«•••••••••••• 5 

Otto Fenichel: Zur Psychologie des Transvestitismus ... 21 

Maxim. Steiner: Die Bedeutung der femininen Identifizierung für die männliche 

Impotenz ... 

Bertram D. Lewin: Kotschmieren, Menses und weibliches Über-Ich.. • • • 45 

Melanie Klein: Die Bedeutung der Symbolbildung für die Ichentwicklung ...... 56 

Thomas M. French: Beziehungen des Unbewußten zur Funktion der Bogengänge • • • 75 

KASUISTISCHE BEITRÄGE 

A. S. Lorand: Fetischismus in statu nascendi.. 87 

Giza Röheim: Zur Deutung der Zwergsagen... . 95 

Susanne Hupfer: Über Schwangerschaftsgelüste ..105 

William K Silverherg: Eine Übergangsphase in der Genese der Phantasie: 

Ein Kind wird geschlagen ... . 119 

DISKUSSIONEN 

I) J. Hdrnik: Kritisches über Mack Brunswicks „Nachtrag zu Freuds ,Geschichte 
einer infantilen Neurose^“, 123. — H) Mack Brunswick: Entgegnung auf Hämiks 
kritische Bemerkungen, 128. 

KORRESPONDENZBLATT DER INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN VEREINIGUNG 

Berichte der Zweigvereinigungen: American Psychoanalytic Association 130. — British 
Psycho-Analytical Society 131. — Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft 132. — 

Magyarorszägi Pszichoanalitikai Egyesület 134. — Nederlandsche Vereeniging voor Psycho¬ 
analyse 134. — New York Psycho-Analytical Society 135. — Schweizerische Gesellschaft 
für Psychoanalyse 136. — Wiener Psychoanalytische Vereinigung 138. 

REFERATE 

Aus den Grenzgebieten: 

Maylan, Freuds tragischer Komplex (Fenichel) 141. 

Aus der psychiatrisch-neurologischen Literatur: 

Frostig, Das schizophrene Denken (Fenichel) 146. — Weizsäcker, Über Rechts¬ 
neurosen (Gero) 147. 

Aus der jKsychoanalytischen Literatur: 

Coriat, The Oral Libido In Language Formation among Primitive Tribes (Fenichel) 148. 

— Lorand, The Mantle Symbol (Fenichel) 148. — P o 11 e r, Freudian Concepts Among 
Early American Indians (Fenichel) 148. — G 1 o v e r, The „Screening“ Function of Traumatic 
Memories (Fenichel) 148. — Nunn, The Fatal Name: An Epigramm of Philodemus 
(Fenichel) i 48 . 


Das nächste Heft (Heft 2) erscheint im Mai 

Abonnement 1930 (4 Hefte) Mark 28.- 


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