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Full text of "Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse XX 1934 Heft 4"

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1934 


Heft 4 


XX. Band 

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Offisielles Orsan der InUrnationaUn Psy<JioanalyriscJi«n Vereinisuns 


Hcrausscscbcn von 

Sigm* FreuJ 


Unter Mitwirkung von 


Felix Boehm 

Berlin 


Girindrashekhar Bose 
Kalkutta 


A. Bofcl N. L. Bützsten Ä. A. Brill 

Paris Chicago New York 


Luciie Doolcy M. Eitingon S. Hollos Erncst Jones 

Washington Jerusalem Budapest London 

S. J. R. de Monchy J. H. W. van Opfiuijsen Pkiiipp Sarasin 

Rotterdam Haag Basel 


J. W. Kannabidi 
Moskau 

Z. K. Yabe 
Tokio 


Paul Federn 

Wien 


redigiert von 

Heinz Hartmann 

Wien 


Sandor Rado 

New York 


EdoardoWeiß ..Die Straßenangst und ihre Beziehung zum hysterischen 

Anfall und zum Trauma 

HeinrichMeng .Das Problem der Organpsychose. Zur seelischen Be^ 

handlung organisch Kranker 

Eduard Hitschmann. . . Beiträge zu einer Psychopathologie des Traumes 

Otto Fenichel .Über Angstabwehr, insbesondere durch Libidinisierung 

Hellmuth Kaiser. ..... Probleme der Technik 

Barbara Low .Die psychischen Entschädigungen des Analytikers 

Emil Simonson. .Erfolgreiche Behandlung einer schweren, multiplen 

Konversionshysterie durch Katharsis 

^rjö Kulovesi .Ein Beitrag zur Psychoanalyse des epileptischen Anfalls 

Ludwig Eidelberg. . . . . Zur Erniedrigung des Liebesobjekts 

Vorläufige Mitteilungen -- Referate 






















1) Die in der „Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse" veröffentlichten Beiträge 
werden mit Mark 25.— per sechzehnseitigen Druckbogen honoriert. 

2) Die Autoren von Originalbeiträgen sowie von Mitteilungen im Umfange über zwei 
Druckseiten erhalten nach Wahl zwei Freiexemplare des betreffenden Heftes. 

3) Die Kosten der Übersetzung von Beiträgen, die die Autoren nicht in deutscher Sprache 
zur Verfügung stellen, werden vom Verlag getragen; die Autoren solcher Beiträge erhalten 
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fertigt. Die Kosten (einschließlich Porto der Zusendung der Separata) betragen für Beiträge 

bis 8 Seiten für 25 Exemplare Mark 15.—, für 50 Exemplare Mark 20.— 


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Mehr als 50 Separata werden nur nach besonderer Vereinbarung mit dem Verlag an¬ 
gefertigt. 


Wir machen hiemit unsere Autoren auf folgendes aufmerksam: 

Nach den gesetzlichen Bestimmungen kann bis zum Ablauf von zwei dem Erscheinungs¬ 
jahr einer Arbeit folgenden Kalenderjahren über Verlagsrechte (Wiederabdruck und Über¬ 
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skriptes verlangt werden. . 

^ ^ Die Redaktion 


Redaktionelle Mitteilungen und Sendungen aus allen Ländern mit Ausnahme der U. S. A. 
bitten wir zu richten an Dr. Paul Federn und Dr. Heinz Hartmann, p. A. Internationaler 
Psychoanalytischer Verlag, Wien, I., Börsegasse ii. 

Redaktionelle Mitteilungen und Sendungen aus den U. S. A. an Dr. Sandor Rado, 324 West, 
86th Street, New York City. 

Bestellungen und geschäftliche Zuschriften aller Art an 

Internationaler Psydioanalytisdicr Verlag, Wien I, Borsegasse II. 


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XX. Band 


1934 


Heft 4 


Die Straßenangst und ihre Beziehung zum 
hysterischen Anfall und zum Trauma' 


Von 


Edoardo Weiß 


Roma 


Als Ergebnis aus den Analysen einer traumatischen Neurose und von etwa 
20 Fällen von Straßenangst und ähnlichen Phobien ergab sich eine enge Ver¬ 
bindung dreier Probleme: es sind dies die Bedeutung des hysterischen Anfalls, 
des seelischen Traumas und der Angst bei der Agoraphobie, als Paradigma 
des phobischen Mechanismus im allgemeinen. 


I 


Nach der ursprünglichen Auffassung Freuds* ist der hysterische Anfall 
„nichts anderes als ins Motorische übersetzte, auf die Motilität projizierte, 
pantomimisch dargestellte Phantasien“. Diese Phantasien, welche, wie bekannt, 
unbewußt sind, werden wie die latenten Traumgedanken einer Entstellung 
unterworfen, wobei wir Verdichtung, mehrfache Identifizierung, antagonisti¬ 
sche Verkehrung der Innervationen und Umkehrung der Zeitfolge vorfinden. 
Nach Freud ist der hysterische Anfall ein Ersatz einer ehemals geübten und 
seither aufgegebenen autoerotischen Befriedigung, und der Bewußtseinsveflust, 
die Absence des hysterischen Anfalls ginge „aus jenem flüchtigen, aber ün- 
verkennbaren Bewußtseinsentgang hervor, der auf der Höhe einer jeden inten¬ 
siven Sexualbefriedigung zu verspüren ist“. 

Es ist ferner bekannt, wie Freud den arc de cercle des großen hysteri¬ 
schen Anfalls auffaßt: er stellt eine „energische Verleugnung einer für den 
sexuellen Verkehr geeigneten Körperstellung durch antagonistische Inner¬ 
vation dar“. Vor lo Jahren habe ich eine Deutung des arc de cercle ver- 

1) Nach einem auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern am 

30. August 1934 gehaltenen Vortrag. c u «r -dj 

2) S. Freud: „Allgemeines über den hysterischen Anfall“, Ges. Schritten, iJei. V. 


Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XX/4 



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PSYCHOANALYTIC 

UNIVERSITY 


DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN 












Edoardo Weiß 


öffentlieht,^ die sich mir aus einem unzweideutigen Traume einer Patientin 
ergab. Freud selbst lehrt uns, daß der Traum oft den Sinn des Anfalls er¬ 
läutert. Meine hysterische Patientin träumte nämlich, den arc de cercle 
auszuführen, wobei sie das Gefühl hatte, dadurch etwas in der Klitorisgegend 
herauszupressen, und tatsächlich fühlte sie im Traume, wie sich die Klitoris 
zu einem hervorspringenden Auswuchs gestaltete. Dazu assoziierte sie das 
Auspressen des Stuhles und zum Auswuchs fiel ihr der Penis ein. Durch den 
arc de cercle hat sie sich von der konkaven (weiblichen) in die konvexe, 
hervorspringende (männliche) Lage versetzt. Sie preßte den Penis heraus, in¬ 
dem sie mit dem ganzen Leibe mithalf. Die Analogie mit der Geburt ist 
deutlich erkennbar. So können wir zur Ausführung Freuds über den arc 
de cercle ergänzend hinzufügen: Die energische Verleugnung einer für den 
sexuellen Verkehr geeigneten Körperstellung — Freud meint ja implizite die 
weibliche Stellung — wird noch durch den Erwerb des Penis unterstützt. 
Rado^ hat diesen Begriff des phantasierten Penis, den er Wunschpenis nennt, 
vor kurzem sehr gründlich ausgearbeitet und auf seine Ubiquität beim Weibe 
hingewiesen. 

In unserem Falle scheint es, daß das Sexualziel unserer Patientin im Erwerb 
des Penis bestand. Die Analyse ergab, daß sie in ihrer Kindheit jede genitale 
Befriedigungsmöglichkeit infolge der Entdeckung ihrer vermeintlichen Kastra¬ 
tion eingebüßt hatte. Durch den arc de cercle macht sie den vermeint¬ 
lichen Defekt wieder gut. Der Besitz des Penis war die unbewußte Bedingung 
für eine sexuelle Befriedigung und da sehen wir, daß sich beim arc de cercle 
das Sexualziel auf diese Bedingung verschoben hat. Diese Art von Verschie¬ 
bung finden wir ganz deutlich auch im folgenden Falle: 

Eine Frau unterhielt mit einem Manne, den sie gerne geheiratet hätte, ein Liebes¬ 
verhältnis. Sie war von ihrem Ehegatten geschieden, weil die Ehe kinderlos ge¬ 
blieben war. Der zweite Mann, mit dem sie das Verhältnis unterhielt, konnte sich 
nicht entschließen, sie zu heiraten, weil er sich ebenfalls Kinder wünschte. Ihre 
Unfruchtbarkeit stellte für sie eine starke narzißtische Kränkung dar. Sie gelangte 
mit ihrem Freunde nie zum vollständigen Orgasmus und blieb nach dem Sexualakte 
bloß stark sexuell gereizt. Da bekam sie jedesmal nach dem Verkehr einen hysteri¬ 
schen Anfall: sie verlor das Bewußtsein, klagte über Magenschmerzen, mußte dann 
erbrechen; dann kam sie zu sich und fühlte sich wohl und erleichtert. Der 
hysterische Anfall ergänzte den sexuellen Orgasmus, war gleichsam ein Ersatz für’die 
ausgebliebene Endphase desselben. Aber der Sinn des Anfalles war nicht der des 
Sexualverkehrs, sondern der eines Schwangerschaftszustandes. Das Erreichen des 
sexuellen Orgasmus war durch eine starke narzißtische Kränkung verhindert ge¬ 
wesen, die sich ursprünglich auf den Penismangel, in zweiter Folge auf den Kindes¬ 
mangel bezogen hat. Das Sexualziel hat sich also auch hier auf die phantasierte 
Wiedergutmachung der seelischen Kränkung verschoben, ganz analog wie im ersten 
Falle. 

3) E. Weiß: „Zum psychologischen Verständnis des arc de cercle“. Int. Zeitschr. f. 
Psychoanalyse, Bd. X, 1924. 

4) S. Rado: „Die Kastrationsangst des Weibes“, Int. psychoanalytischer Verlag, 1934. 















































Die Straßenangst und ihre Beziehung zum hysterischen Anfall und zum Trauma 421 


Der hysterische Anfall führt aber nicht immer zu einer Entladung des in¬ 
neren, allmählich entstandenen Spannungszustandes, wie bei dieser Frau. Es 
gibt vielmehr Anfälle, die befriedigen und solche, die nicht nur nicht befriedi¬ 
gen, sondern sogar sozusagen selbst als neuerliches Trauma wirken. 

Infolge unbewußt festgehaltener Zusammenhänge zwischen einer libidinösen 
Abfuhr und der Provokation von Destruktionskräften ziehen Sexualregungen 
destruktive Besetzungen nach sich. Bei jedem Versuche der Libido, zum 
Durchbruche zu kommen, so auch beim hysterischen Anfall, kämpft eine 
libidinöse mit einer destruktiven Regung. Wir schließen auf das Überwiegen 
des Todestriebes, wenn der Anfall erschütternd und traumatisch wirkt; und 
nehmen an, daß die Libido größeren Einfluß genommen hat, wenn der Anfall 
Erleichterung gebracht hat. Allerdings ist der Sieg der Libido oft nicht reali¬ 
tätsgerecht, wie z. B. wenn er beim Weibe im phantasierten Erlangen des 
Penis besteht. 

Ich möchte an einem Beispiel den Unterschied zwischen einem traumati¬ 
schen und einem erlösenden hysterischen Anfall bei derselben Patientin 
dartun; 

Ein 13jähriges Mädchen bekam 9 Monate nach ihrer ersten Menstruation folgenden 
Anfall: Sie hatte während einer Unterrichtspause das Schulzimmer kaum verlassen, 
als sie das Gefühl bekam, eine andere Person zu werden. Sie fühlte, daß sie selbst und 
die Außenwelt sich stark veränderten, was sie als unsagbar schreckhaft empfand. Sie 
sträubte sich sehr dagegen, denn sie wollte ihr eigenes Ich festhalten, war aber da¬ 
gegen machtlos, und ihr Angstzustand darüber wuchs dermaßen, daß sie für eine 
kurze Weile das Bewußtsein vollständig verlor. Als sie zu sich kam, hörte sie sich laut 
schreien; durch diesen Schrei des fürchterlichsten Entsetzens kam es zur Lösung des 
Anfalls, als ob sie dadurch etwas aus ihrem Inneren auf oralem W^ege herausgestoßen 
hätte. Nach dem Anfalle befand sie sich am Boden kniend. Ihre Angst hatte auch 
zum bewußten Inhalt die Befürchtung, sie könnte nicht mehr zu ihrem Ich zurück¬ 
kehren und dieses Moment war für sie das fürchterlichste bei dieser Situation. 

Diese Anfälle wiederholten sich dann öfters, mitunter auch mehrmals täglich, an¬ 
fangs auch zu Hause und waren von dem unwiderstehhehen Impuls begleitet, sich zu 
Boden zu werfen. Später kamen ihr die Anfälle nur außerhalb des Hauses, im 
Freien, auf der Gasse. Aus Angst, auf der Gasse oder in einem öffentlichen Lokale 
einen derartigen Anfall zu bekommen, fürchtete sie sich nun, das Haus zu verlassen. 
Das Ausgehen begünstigte die Anfälle. Obwohl die Anfälle allmählich im Verlauf 
von Jahren seltener wurden, wurde ihre Angst immer größer und die Anfälle konnten 
nur auf Kosten ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. Schließlich hatte sie 
es fast ganz aufgegeben, ihr Haus zu verlassen, führte ein vollkommen interessenloses 
Dasein, war stets deprimiert, abgesperrt gegen die Außenwelt und hatte keine Hoff¬ 
nung mehr, ihren qualvollen Zustand, der sie in ihrer Wohnung, mitunter in ihrem 
Zimmer, gefangen hielt, jemals ändern zu können. Etwa 9 Jahre nach dem Aus¬ 
bruch dieser Phobie kam sie zu mir in analytische Behandlung und wurde nach etwa 
2V2 Jahren fast hergestellt. 

Die Analyse ergab folgenden Sinn der Anfälle: Identifizierung mit der gebärenden 
Mutter. Die Patientin hatte die unbewußte Phantasie, die Mutter beim Vater zu 
ersetzen, um von ihm ein Kind zu bekommen. Es handelte sich um eine orale Ge¬ 
burt, wie sich die Patientin In ihrer Kindheit — sie hatte eine ungemein starke orale 

29* 











422 


Edoardo Weiß 


Fixierung — die Geburt tatsächlich vorgestellt hatte. Die hochgradige Depersonali¬ 
sation beim Anfalle war durch die intensive Identifizierung mit der Mutter bedingt 
und bedeutete: ich bin es nicht, ich bin die Mutter. Die andere Person, in welche 
sie sich umwandeln fühlte, hieß, ohne daß sie wußte warum, Marie, und das war 
der zweite Name ihrer Mutter. Die Veränderung, in welcher sie für immer zu ver¬ 
bleiben fürchtete, bedeutete auch sterben, denn sie hatte als Kind, anläßlich der Ge¬ 
burt eines Brüderchens, der Mutter bei der Geburt den Tod gewünscht; nun stand 
ihr in ihrer Mutteridentifizierung dasselbe Los bevor, das auch durch die Angst 
„nicht mehr zum Ich zurückzukehren“ ausgedrückt ist. Schließlich ging aus un¬ 
zweideutigen Träumen und Einfällen hervor, daß das Gefühl der Veränderung auch 
den Sinn der Mutilation, d. h. der Kastration hatte. 

Mit dem Fortschreiten der Analyse wiederholten sich diese Anfälle nicht mehr 
und die Patientin wurde viel freier. Erst nach zwei anfallsfreien Jahren bekam sie 
während der analytischen Stunde einen Anfall ganz neuer Art: Sie blieb dabei voll¬ 
kommen bei klarem Bewußtsein, bekam heftige Kontraktionen der Bauch-, Brust- 
und Halsmuskulatur und den typischen globus hystericus, hüstelte in ange¬ 
strengter Weise, wie um etwas aus dem Halse herauszubekommen, und wälzte sich 
auf dem Diwan herum. Als ich ihr sagte, daß diese neuartigen, harmlosen Anfälle 
dafür bürgten, daß die früheren, fürchterlichen nicht mehr auftreten werden, lachte 
sie vergnügt auf, trotz der noch andauernden Krämpfe. Ja, diese wurden noch 
heftiger, so daß sie vom Diwan herunterzufallen drohte und ich ihr zu Hilfe eilen 
mußte. Da schlang sie die Arme um meinen Hals, wie um dadurch irgendwie einen 
Halt zu finden, ließ mich eine Zeitlang nicht los und biß mich in ihren Krämpfen 
auch etwas am Finger. Nach diesem Anfalle fühlte sie sich wohl und berichtete, 
dabei auch Genital-, und zwar Vaginalempfindungen verspürt zu haben. 

Die Nacht darauf träumte sie, daß sich dieser Anfall hei mir in der analytischen 
Stunde wiederholte, wobei sie mich ins Ohr heißen wollte. Da wurde ihr im Traum 
bewußt, daß sie den Anfall absichtlich verlängerte, damit ich sie küsse. Wir sehen, 
daß dieser Anfall in eine Sexualbefriedigung auslaufen wollte. Ich klärte sie über 
den sekundären Krankheitsgewinn auf und forderte sie auf, sich Einfälle zum Traume 
kommen zu lassen. Anstatt aber zum Traume zu assoziieren, bekam sie abermals einen 
gleichen, wenn auch schwächeren Anfall. Ich forderte sie abermals, während des 
Anfalles, auf zu assoziieren, da ließ sie mich durch einen Wink verstehen, daß 
ihr ein Einfall gekommen sei. Als sie wieder sprechen konnte, teilte sie mir mit, daß 
ihr während des Anfalls, den sie gar nicht tragisch nahm, eine neue Erinnerung auf¬ 
getaucht sei: Bei einem ihrer ersten Anfälle, sie befand sich damals gerade mit ihrem 
Vater auf der Gasse, hatte sie ihm instinktiv ganz flüchtig nach seinem Penis ge¬ 
griffen. In den nächsten Tagen kamen ihr Fellatiophantasien zum Bewußtsein, dann 
Einfälle über Kindesbewegungen im Mutterschoß usw. Infolge weiterer Einfälle, neu 
aufgetauchter Erinnerungen und infolge meiner Deutungen, die sich übrigens von 
selbst ergaben, normalisierte sich ihre Sexualität immer mehr und die Anfälle haben 
sich nicht mehr wiederholt. 

Während die ersten Anfälle schließlich in Tod und Kastration endeten, war der 
Sinn der letzteren der einer gelungenen Sexualbefriedigung. Sie bedeuteten: Ich be¬ 
komme schließlich doch vom Vater den Penis, werde von ihm geschwängert und 
gebäre, ohne dabei sterben zu müssen. 


II 

Es ist natürlich, daß das Ich mit Angst reagieren muß, jedesmal wenn es 
das Herannahen eines traumatisch wirkenden Anfalls verspürt. Der Anfall 












































Die Straßenangst und ihre Beziehung zum hysterischen Anfall und zum Trauma 423 


selbst stellt die gefürchtete Situation dar. In diesem Fall hat das, was der 
Patient befürchtet, auch einen bewußten Inhalt, und zwar: die Wiederholung 
des schon erlebten hysterischen Anfalls, dessen latenter Sinn ihm unbewußt 
ist. Es gibt aber auch innere, traumatisch wirkende Erlebnisse, die der Patient 
mit Worten meistens nicht beschreiben kann; da gibt er an, sich furchtbar 
schlecht zu fühlen, wobei er ein bedrückendes Angstgefühl verspürt. Hier ist 
die Angst das einzig auffallende Moment, und wir sprechen daher in solchen 
Fällen nur von einem Angstanfalle schlechthin. In Wirklichkeit gilt auch 
hier die Angst einem schwer beschreibbaren Analogon des hysterischen An¬ 
falles, das sich auf die Gefühlssphäre des Ichs beschränkt und keinen motori¬ 
schen Ausdruck findet. Es scheint so, als ob die Angst solcher Patienten, im 
Gegensätze zum Anfallshysteriker, bloß dem Angstanfalle gelte. Das den 
Angstanfall provozierende innere Erlebnis besteht aus höchst qualvollen 
Empfindungen, ebenso verschiedener Art wie die Erscheinungsformen des 
hysterischen Anfalls es sind, und ebenso psychologisch determiniert. Oft sind 
die Patienten von Entfremdungsgefühlen betroffen oder klagen über Schwindel¬ 
gefühle, andere spüren beim Gehen ihre Beine nicht, oder geben an, sonder¬ 
bare, schwer zu beschreibende Empfindungen beim Gehen zu verspüren, wie 
z. B. als träten sie nicht auf festen Boden oder als schritten sie am Rande 
eines Abgrundes, auf einer gekrümmten Fläche u. dgl. mehr. 

Wie sucht sich nun das Ich vor der Wiederholung solcher innerer trauma¬ 
tisch wirkender Erlebnisse zu schützen? Das Verteidigungssystem besteht darin, 
daß das Ich versucht, alle jene Momente zu vermeiden, welche dieses Erlebnis 
begünstigen, hingegen alle jene aufzusuchen, die es hintanhalten. Die hysterische 
Sexualanästhesie und die ihr zugrunde liegende Verdrängung sind ganz all¬ 
mählich und lange vorher entstanden. Begegnet nun das Individuum in der 
Wirklichkeit einer Situation, welche eine unbewußte Sexualphantasie bei ihm 
anregt, so kommt die aktuell gesteigerte Libido zum Durchbruch, trotz der 
stark besetzten, mit ihr im Zusammenhang stehenden destruktiven Repräsen¬ 
tanz. Herrschen die destruktiven Besetzungen über die libidinösen vor, so 
kommt es eben zu dem beschriebenen Schockerlebnis und von nun an 
fürchtet sich das Ich vor allen jenen äußeren Situationen, welche die gefähr¬ 
lichen, unbewußten erotischen Phantasien anregen oder die Vorstellungen 
von deren bösen Folgen beleben können. Die Straßenangst schließt sich in 
der Regel an einen sogenannten Angstanfall, in seltenen Fällen an einen trau¬ 
matisch wirkenden hysterischen Anfall, resp. an ihm vorausgehende Angst¬ 
erlebnisse an. Wie Freud aufgedeckt hat, gilt die Angst den bösen Folgen 
der Sexualversuchung, wozu die Straße die Gelegenheit bietet, namentlich 
wenn man ohne Begleitung ausgeht. Im Falle der Klaustrophobie brachte das 
Alleinsein in Versuchung zu onanieren und darauf stand Kastration. In den 
von mir analysierten Fällen ergab sich ferner, daß das Ausgehen, sich vom 
Hause entfernen, hauptsächlich folgende drei Bedeutungen hat: Erstens: Ich 







424 Edoardo Weiß 


bin emanzipiert, bin erwachsen wie die Eltern, ich tue, was mir beliebt, ich 
bin Herr meiner selbst, bin der Obhut der Eltern entzogen — und diese 
Situation bringt eben in Sexualversuchung. Zweitens bedeutet es: sich der 
Öffentlichkeit zeigen, exhibieren. Drittens haftet an der Vorstellung des 
Ausgehens der Sinn von der Loslösung vom mütterlichen Schutze. Deshalb 
trifft man die Straßenangst so häufig als akzessorisches Symptom bei Zustän¬ 
den hochgradiger Hilflosigkeit an; oft stellt sich bei ihr sekundär eine Re¬ 
gression bis in die Zeit der infantilen Abhängigkeit von der Mutter ein, und 
zwar auch infolge der inneren Aggression, der man sich bei den verschieden¬ 
sten Leiden ausgesetzt fühlt, und vor der man sich schützen will. 

Viele Agoraphobiker haben in der Kindheit den Vater oder die Mutter 
verloren. Allerdings ergibt sich aus der Analyse, daß hier auch ein anderes 
Moment sie zur Angst vorbereitete: Die Erfüllung ihrer gegen die Eltern ge¬ 
hegten Todeswünsche. Was das Gefühl des Verlassenseins anlangt, so braucht 
es nicht durch den Tod eines Elternteiles entstanden zu sein, denn in vielen 
Fällen fühlten sich die Patienten in der Kindheit von der Mutter (Vater) ab¬ 
gewiesen, resp. in ihren Gefühlsäußerungen und Aussagen nicht ernst genom¬ 
men. Und von nun an haben sie innerlich die Eltern abgesetzt, das Vertrauen 
in sie wurde zumindest stark erschüttert. 

Für den manifesten Ausbruch einer sozusagen schon keimenden und bloß 
verhüllten Agoraphobie sind mitunter Momente oberflächlicher Natur ent¬ 
scheidend, die seit jeher von Freud berücksichtigt wurden, und auf welche 
sich die Aufmerksamkeit der Adler sehen Schule unter Vernachlässigung 
alles Tieferen besonders konzentrierte. Diese sind dadurch gegeben, daß das 
Leben an das Ich größere Anforderungen stellt. Häufig bricht nämlich die 
Straßenangst in einer bestimmten Lebensphase des Patienten aus, in welcher 
er einen Schritt weiter zu seiner Unabhängigkeit zu machen hatte: Beim Über¬ 
gang in eine höhere Schule, nach Beendigung seiner Studien, am Anfänge 
seiner Berufstätigkeit, kurz, wenn die äußeren Umstände ihn zwingen, sich 
reifer und erwachsener zu fühlen. Da scheint der Ausbruch der Straßenangst 
auszudrücken, daß seine Realitätsanpassung an der Notwendigkeit seiner 
Emanzipation gescheitert ist und tatsächlich macht der Patient den Eindruck, 
wieder ein Kind geworden zu sein, das nicht mehr allein gehen kann — ge¬ 
nauer ausgedrückt: nicht allein durchs Leben gehen kann. Abraham® spricht 
von der Psychogenese der Straßenangst bei einem fünfjährigen Kinde, das kein 
„Spazierkind^S sondern ein „Mutterkind^' sein wollte. 

Der Sinn des Entfremdungsgefühles, das die Straßenangst oft begleitet, ist 
der des Nichtannehmenwollens der Realität. Das Ziel des Destruktionstriebes 
ist dabei, das Ich einer fremden, lieblosen Welt preiszugeben. 

Damit sind die Bedeutungen, welche die Straßenangst in den einzelnen 

5) K. Abraham: „Zur Psychogenese der Straßenangst im Kindesalter“, Int. Zeitschr. 

f. Psychoanalyse, I, 1913. 












































Die Straßenangst und ihre Beziehung zum hysterischen Anfall und zum Trauma 425 

Fällen haben kann, noch keineswegs erschöpft. Ich habe bei weiblichen Pa¬ 
tienten, wie z. B. im oberwähnten Falle mit den traumatischen hysterischen 
Anfällen, oft feststellen können, daß „allein ausgehen, Einkäufe besorgen usw.^* 
die Mutter sein oder sie ersetzen heißt; die Tochter wollte selbstverständlich 
vor allem die Mutter beim Vater ersetzen. Durch diese Identifizierung intro- 
vertieren sich auch die der Mutter geltenden feindseligen Regungen, unab¬ 
hängig davon, ob die Phobikerin ihr den Tod gerade auf der Straße gewünscht 
hatte, unabhängig vom Wunsche also, daß sie nicht mehr zurückkehre, wie 
es Helene Deutsch® in ihrer sehr interessanten Arbeit dargelegt hat. Diese 
Forscherin fand bei der Straßenangst einen der Zwangsneurose ähnlichen 
Mechanismus vor. In einem Vorstadium war ihre Patientin in übertriebenem 
Maße besorgt gewesen, so oft sich die Mutter beim Nachhausekommen ver¬ 
spätete; es bestand bei ihr der unbewußte Wunsch, die Mutter möge auf der 
Straße umkommen. Infolge ihrer Identifizierung mit ihr fürchtete sie, das der 
Mutter-gewünschte Los selbst zu erleiden. Frau Deutsch hält „diese in der 
Ödipuskonstellation bedingte Identifizierung mit dem Objekte, dem die feind¬ 
seligen Tendenzen gelten, für das Charakteristische der Platzangst^*. Ich fand 
in einem anderen Falle, daß für eine Patientin das Vordringen auf einer Straße, 
namentlich in einem Tunnel, die Bedeutung des Eindringens in die Vagina 
hatte und ihre Phobie hieß: „Ich bin kastriert, ich kann nicht eindringen, 
nicht weitergehen.** Dabei versagten ihr die Beine. Bef einer anderen Patientin 
bedeutete das Schreiten auf dem Boden, auf der Erde „auf den Leib der Mutter 
treten, deren Leibesfrucht töten**, denn sie sollte es sein, die vom Vater ge¬ 
schwängert war, nicht die Mutter. So zeigt sich, daß der Situation des Aus¬ 
gehens, des Auf-die-Straße-Gehens usw. neben den drei konstant vorkommen¬ 
den Bedeutungen noch andere, individuell verschiedene Bedeutungen zu¬ 
kommen. 

Jedes Moment, das einen tatsächlichen oder symbolischen Schutz vor der 
manifest befürchteten Gefahr bietet, wirkt beruhigend, z. B. die Nähe eines 
Arztes oder einer Apotheke; ebenso verleiht auch alles, was symbolisch eine 
Reparatur der unbewußten traumatischen Schädigung bedeutet oder Schutz 
vor derselben bietet, dem Phobiker ein Gefühl größerer Zuversicht. Hingegen 
verstärken assoziative Zusammenhänge mit Einzelheiten, die zufällig frühere 
traumatische Situationen begleitet hatten, den Angstzustand. Was immer an 
die Gefahr erinnert, namentlich wenn dabei die unbewußte Sexualversuchung 
gereizt wird, läßt die Angst anwachsen. Wenn beispielsweise eine Frau sich 
in einer Allee sicherer fühlt als auf einer baumleeren Straße, oder durch das 
Tragen eines bestimmten Hutes, eines bestimmten Kleides, das für sie eine 
Penisbedeutung hat, ein Gefühl größerer Zuversicht gewinnt, so kämpft sie 
noch immer mit ihrem Kastrationskomplex. Eine Patientin, welche mit- 

6 ) H. Deutsch: „Zur Genese der Platzangst“, Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, Bd.XIV, 
1928. 














426 


Edoardo Weiß 


unter hauptsächlich große Plätze fürchtete — sie konnte die große „Leere'‘ 
nicht vertragen , träumte einmal, daß der Analytiker mit ihr sexuell ver¬ 
kehren mußte, aber zu ihrer großen Enttäuschung fehlte ihm der Penis: an der 
betreffenden Stelle befand sich bloß eine ,,Leere^‘ (von der Patientin selbst ge¬ 
brauchter Ausdruck: „un vuoto“). Dann verwandelte sich der Analytiker 
in ihre Mutter, welche normalerweise an Stelle des gewünschten Penis die 
„Leere*" aufweist. Daraus ersieht man, daß der freie Platz, dessen Angst 
verursachende Rolle der Platzangst (Agoraphobie) den Namen gegeben hat, die 
kastrierte Mutter bedeutet. Wahrscheinlich folgt man auch einem 
inneren Bedürfnis, wenn man in die Mitte eines Platzes ein Standbild, einen 
Obelisken, und mit Vorliebe einen Springbrunnen setzt. Daß die Begleitung 
eines Kindes auf die phobische Angst mancher Frauen beruhigend wirkt, 
wurde stets dahin gedeutet, daß die Anwesenheit des Kindes die Frau vor Ver¬ 
suchungen schützt. Das mag wohl sein. Aber ich habe auch öfters feststellen 
können, daß die Begleitung eines Kindes im Sinne einer Triebbefriedigung 
wirken kann. Wenn die betreffende Frau ein Kind, das der realitätsgerechte 
und normale Ersatz des Penis ist, besitzt, so ist ihre narzißtische Kränkung da¬ 
durch gemildert. Einer meiner agoraphobischen Patienten konnte nicht aus¬ 
gehen, wenn er nicht einen Stock mitnahm; er konnte aber natürlich nicht 
angeben, wie dieser ihm im Notfälle hätte helfen können. Viele an die orale 
Stufe fixierte Patienten treffen Vorkehrungen, um im Notfälle sofort etwas 
zum Essen zu haben, da sie das Eintreten plötzlicher Schwächezustände durch 
Hunger befürchten. 

Ein agoraphobischer Patient wurde in Rom in der belebten Via Nazionale von 
seiner Angst befallen. Da erreichte er das Gebäude der faschistischen Ausstellung, 
welches ihm den Anlaß zu Tagträumen gab; Er phantasierte, sich um die faschi¬ 
stische Sache sehr verdient zu machen und stellte sich den Duce vor, wie er ihm an¬ 
erkennend auf die Schulter klopft. Da fühlte er sich plötzHch angstfrei und setzte 
seinen Weg munter und gehobenen Hauptes fort. Im allgemeinen zeigen die agora¬ 
phobischen Patienten das Bedürfnis, einer Autoritätsperson als Vater-Imago ergeben 
zu dienen und von ihr anerkannt zu werden. Sie haben gewöhnlich bHndes Ver¬ 
trauen zu einer solchen Imago — es sind Leute, die die meisten ihrer Überzeugungen 
dem Autoritätsglauben verdanken. Einer meiner Patienten besaß eine reiche Samm¬ 
lung von Photographien des Königs in allen möglichen Stellungen, ein anderer solche 
des Duce. Seltener dienen Phobiker in religiöser Ergebung Gott dem Vater. 

Als Gegenstück dazu erwähne ich den übertriebenen Stolz oder hochgradi¬ 
gen Eigensinn bei vielen agoraphobischen Frauen, den sie mitunter durch 
ein freundliches Wesen oder durch eine zur Schau getragene Bescheidenheit 
zu verbergen wissen. Andere machen aus diesen Charaktereigenschaften kein 
Hehl. Bei der Analyse solcher Frauen muß man besonders bedacht sein, ihren 
Stolz nicht zu kränken. 

Ein Patient verspürte jedesmal nach einem Angstanfall das Bedürfnis, sich 
einen Einlauf zu machen. 


















































Die Straßenangst und ihre Beziehung zum hysterischen Anfall und zum Trauma 427 


Auch ist bekannt, daß die Phobiker im allgemeinen große Sorgfalt der 
Pflege ihrer Leibwäsche zuwenden; sie begründen dies mitunter damit, daß sie 
sich nicht schämen wollen, falls sie im Notfälle entkleidet werden müßten. 

Die oben erwähnte Patientin, die vom arc de cercle geträumt hatte, konnte kein 
Kleid anziehen, welches zugeknöpft werden mußte oder gar zugenäht war. Denn 
sie war von der Furcht besessen, im Falle eines Angstanfalles nicht rasch genug aus 
ihren Kleidern herausschlüpfen zu können. Ihre Kleider waren weit und luftig und 
durften nur mit Druckknöpfen, und zwar vorne oder auf der Seite zugemaoht wer¬ 
den, damit sie im Notfälle mit einem Ruck zu öffnen seien. Die gleiche Vorsichts¬ 
maßnahme wendete sie auch bei den Schuhen an. Außerdem trug sie stets eine 
Schere bei sich, um die Kleider sofort aufschneiden zu können, falls sie beim raschen 
Öffnen derselben auf ein unerwartetes Hindernis gestoßen wäre. In ihren Angst¬ 
anfällen hatte sie nie die Kleider öffnen müssen. Bewußt empfand die Patientin die 
Kleider als etwas Erstickendes, wovon man sich im Falle eines starken Unwohlseins 
sofort befreien müßte. Im Unbewußten wollte aber diese ungemein stolze Patientin 
keinen Körperdefekt, d. h. das Fehlen des Penis zu verbergen haben. Ob hier das 
Geburtstrauma eine Rolle spielt, lasse ich dahingestellt. 

Gelingt es einmal einem Patienten, trotz seiner Sexualhemmung zu einem 
normalen sexuellen Orgasmus zu kommen, so wirkt diese gefahrlos vor sich 
gegangene Abfuhr der Libido in hohem Maße von Angst befreiend. Ein 
agoraphobischer Patient fühlte nach seinem ersten Koitus, bei dem er zu einem 
sehr starken normalen Orgasmus gekommen war, sich selbst und die Außen*? 
weit viel lebhafter, evidenter, schöner und reizvoller, als er es seit seiner Kind¬ 
heit empfunden hatte. Diesen Sachverhalt möchte ich noch an Hand eines 
anderen Beispieles illustrieren; 

Ein 23jähriger Mann saß behaglich auf einem Theaterfauteuil und hörte sich die 
Oper „Tristan und Isolde'^ an. Das Duett des zweiten Aktes begann ihn zu lang¬ 
weilen und schien ihm endlos zu sein. Gefühle von Langeweile und Ungeduld leiten 
oft den ersten Angstanfall ein. Plötzlich fühlte er sich entsetzlich unwohl und es 
überkam ihn eine fürchterliche Angst. Blaß und schweißgebadet konnte er kaum 
das Ende des Aktes abwarten, um im Taxi nach Hause zu eilen. Es schloß sich eine 
Straßenangst an. Ich mußte zu ihm gehen, da er sein Haus nicht mehr verlassen 
konnte. Da erfuhr ich, daß er aus Angst um seine Gesundheit noch nie einen 
Sexualakt ausgeübt hatte. Nach etwa zwei Wochen kam ihm folgende Erinnerung 
zum Bewußtsein; Mit 5 oder 6 Jahren hatte er eine gleichaltrige Spielkameradin ver¬ 
führt, mit der er Zirkustheater spielte. Sie hatte dabei seine sexuelle Neugierde ge¬ 
weckt und er hatte sie dazu gebracht, daß sie mit ihm im Verborgenen onanierte. 
Aber die Kinder wurden einmal dabei entdeckt, gezüchtigt und er bekam die Freun¬ 
din nie mehr zu sehen. Ich machte ihn auf den Zusammenhang zwischen diesen 
Kindheitserlebnissen und seinem Angstanfall bei der Theateraufführung aufmerksam, 
aber das leuchtete ihm nicht sehr ein. Da bekam ich ungewünschte Helfer: Zwei 
Freunde schleppten ihn eines Abends trotz seiner Angst in ein Bordell. Jedenfalls 
scheint die Angst geringer geworden zu sein. Hier kam er zum ersten Male mit 
einem Weibe zum Orgasmus, worüber sich sogar seine Eltern freuten. Damit hat er 
die Erfahrung gemacht, daß die Abfuhr der Libido nicht nur seinen Gesundheits¬ 
zustand nicht beeinträchtige, sondern daß er sich nachher wohler fühlte, mit dem 
unbewußten Sinne, daß er nicht kastriert werde, wenn er seiner Sexualität nach- 













428 


Edoardo Weiß 


gebe. Er verlor nun alle Angst und spazierte den ganzen Tag in den Straßen der 
Stadt herum. Er setzte die Analyse nicht mehr fort. Ich hörte nach einiger Zeit 
von ihm, daß es ihm gut gehe, habe ihn aber dann aus dem Auge verloren. 

Meistens sind solche infolge eines erreichten Orgasmus eingetretene Besse¬ 
rungen oder Genesungen nicht von langer Dauer, im Gegensatz zu denen, 
welche durch eine durchgreifende Analyse erreicht werden. Als Beispiel für 
diese Zusammenhänge diene noch folgende abgekürzte Krankengeschichte: 

Ein überaus stolzes, nach Freiheit und Unabhängigkeit strebendes Mädchen mit 
starkem Männlichkeitskompkx, der aber durch ihre weiblichen Reize verdeckt war, 
verliebte sich leidenschaftlich in einen jungen Mann, wurde aber von ihm zurück¬ 
gewiesen. Starke narzißtische Kränkung. Sie war viel zu stolz, um weitere An¬ 
näherungsversuche bei diesem Manne zu machen. Sie verdrängte die große Liebe 
und fühlte, daß etwas in ihrem Inneren in nicht wieder gut zu machender Weise 
gebrochen war, so daß sie nie mehr im Leben würde lieben können. Nun glaubte 
sic, sich leicht einem jeden beliebigen Manne hingeben zu können; ja, am liebsten 
hatte sie sich aus Trotz gegen den früher geliebten Mann besudeln lassen. Diese 
Liebesenttäuschung ereignete sich gerade, als sie davor stand, ihren Beruf als Lehrerin 
anzutretem Eines Tages begab sie sich in die Schule, um ihre letzte Prüfung ab¬ 
zulegen; die Mutter begleitete sie eine kurze Strecke und verabschiedete sich dann 
von ihr. Plötzlich befiel das Mädchen ein fürchterlicher Angstanfall. Sie drehte 
sich um, rief mit lauter Stimme nach der Mutter, wurde aber von ihr nicht mehr 
gehört, und hatte nicht einmal die Kraft, ihr nachzueilen. Sie bat eine vorüber¬ 
gehende unbekannte Frau, neben ihr gehen zu dürfen, da sie sich sehr unwohl fühlte. 
Das war der Ausbruch ihrer Straßenangst. Sie mußte aus Not trotzdem ihrem Be¬ 
rufe nachgehen und litt viele Jahre lang unsäglich an ihrer Phobie. Da begegnete 
sie einem Manne, in welchen sie sich wiederum stark verliebte. Diesmal wurde ihre 
Liebe erwidert. Die Phobie verschwand. Sie fühlte sich frei, sehr unternehmungs- 
und bewegungslustig. Aber plötzHch wurde sie auch von diesem Manne unter ganz 
ähnlichen Verhältnissen wie das erstemal verlassen. Wahrscheinlich hatte sie selbst 
es unbewußt provoziert. Mit der neuerlichen Verdrängung der heißen Liebe aus 
schwer gekränktem Stolze kam es zur Rezidive der Straßenangst. 

Die Analyse ergab, daß es sich stets um Neuauflagen der infantilen Kränkung 
wegen der vermeintlichen Kastration handelte, wobei der Inhalt der Kränkung und 
der darauffolgenden Verdrängung stets vom Aktuellen mitbestimmt war. 

Nun drängt sich uns die Frage nach der Neurosenwahl bei der FJysterie 
auf: Wir treffen nämlich auch bei der Konversionshysterie stets den Kastra¬ 
tionskomplex, bei schon erreichter (und verdrängter) Genitalstufe, als spezifi¬ 
sches ätiologisches Moment an. Warum bricht das eine Mal eine Angst¬ 
hysterie, das andere Mal eine Konversionshysterie aus? Ich kann diese Frage 
derzeit noch nicht beantworten, möchte aber im Zusammenhänge damit einen 
Gedankengang Vorbringen: 

Die genauere Untersuchung der Angstanfälle, wie sie bei der Straßenangst 
und ähnlichen Phobien Vorkommen, zeigt uns, daß hier die Angst eigentlich 
einem Konversionssymptom gilt: in selteneren Fällen einem (traumatischen) 
hysterischen Anfalle, in den meisten Fällen einem auf die Gefühlssphäre be¬ 
schränkten Analogon des hysterischen Anfalles. Somit können wir zwei Arten 
von Phobien unterscheiden: Bei der einen werden bestimmte äußere Objekte, 





















































1 


Die Straßenangst und ihre Beziehung zum hysterischen Anfall und zum Trauma 429 

resp. bestimmte äußere Situationen deswegen bewußt gefürchtet, weil sie eine 
äußere Gefahr mit sich bringen: Bei der Tier-, Eisenbahn-, Feuerphobie usw. 
handelt es sich um Befürchtungen vor äußeren Konsequenzen, welche die 
gefürchteten Situationen nach sich ziehen können. Sie machen den Eindruck 
von übertriebenen und irrationalen Realängsten und sind durch Pro¬ 
jektion einer Triebgefahr entstanden. Hingegen bezieht sich die Straßen¬ 
angst auf einen inneren seelischen Zustand, ein „seelisches Konversions¬ 
symptom“, also nur indirekt auf eine äußere Situation (des Alleinseins, 
des Auf-die-Straße-Gehens), welche ihrerseits eine, auch bewußt als 
innere Gefahr erkannte Situation herauf beschwört. Hier ist der Projektions¬ 
mechanismus viel schwächer. Die Straßenangst weist auch oft eine Ähnlich¬ 
keit mit der Hypochondrie auf. Mitunter könnte man sie mit dem Höhen¬ 
schwindel vergleichen: Wer darunter leidet, meidet schwindelerregende Höhen, 
um sich nicht einem peinlichen und angstvollen seelischen Zustande auszu¬ 
setzen. Wir wären versucht, die Straßenangst zu den Konversionshysterien 
zu zählen, wenn sie sich nicht durch ein Moment von den „echten“ Konver¬ 
sionshysterien unterscheiden würde: Bei der Straßenangst ist das jeweilige Auf¬ 
treten des „Konversionssymptoms“, dem die Angst gilt, von kurzer Dauer; 
es tritt eben „anfallsweise“ auf. Hingegen kann beispielsweise eine hysterische 
Blindheit oder eine hysterische Lähmung Tage, Monate und Jahre lang 
andauern. Es ist naheliegend, diesen Unterschied mit der ausbleibenden, 
resp. sich einstellenden Angstentwicklung in Beziehung zu bringen, d. h. die 
Angst zeigt an, daß das Ich einen bestimmten Zustand nicht verträgt, daß 
dieser mit seinem Streben unvereinbar ist. Dieser Zustand muß die Sphäre 
des seelischen Ichs angehen. Soll das Ich seine Unversehrtheit bewahren, so 
muß das auf das Ich selbst sich erstreckende (Konversions-) Symptom auf¬ 
gehoben werden. An Stelle des andauernden Konversionssymptoms 
verbleibt die vom Ich andauernd empfundene Drohung eines 
solchen; das phobische Verteidigungssystem ist eben danach gerichtet, das 
Eintreten und das Andauern der Ich-Störung hintanzuhalten. Wenn wir uns 
die Fälle von hysterischer Verworrenheit vor Augen halten, die sich meistens 
an hysterische Anfälle anschließen, so werden wir vermuten, daß die Angst 
der obenerwähnten Patientin (mit den traumatischen hysterischen Anfällen), 
sie könnte nicht mehr zu ihrem Ich zurückkehren, nicht ganz unberechtigt 
gewesen sein mag. Ebenso verstehen wir, warum sich die Phobiker mitunter 
fürchten, verrückt zu werden. 

Das ökonomische Problem der Angst und des seelischen Traumas ist nur im 
Zusammenhänge mit dem Selbsterhaltungstrieb des Ichs zu lösen. Aber in 
welcher Beziehung steht dieser zu den beiden Ur-Trieben: Eros und Todes¬ 
trieb? Wir müssen gestehen, daß die Psychoanalyse dieses Problem eigentlich 
noch nicht in befriedigender Weise gelöst hat. Die Trieblehre weist hier noch 
eine große Lücke auf. 











430 Edoardo Weiß 


III 

Wir wollen nun versuchen, auf Grund unserer klinischen Mitteilungen und 
mit Hilfe von theoretischen Erwägungen zwischen den Übertragungsneurosen 
und den echten traumatischen Neurosen eine Brücke zu schlagen. 

Die Erfahrung lehrt uns, daß ein Individuum um so leichter an einer trau¬ 
matischen Neurose erkrankt, je labiler sein psychisches Gleichgewicht schon 
vor dem erlebten äußeren Trauma gewesen ist; d. h. je leichter sich 
destruktive Energie der Macht der Libido entziehen konnte. Übrigens be¬ 
steht eine solche Labilität in der Triebvermischung auch als Vorstadium der 
Übertragungsneurosen. Ich möchte hier beispielsweise auf die Ausführungen 
Abrahams^ über die lokomotorische Angst hinweisen, bei welcher er die 
Verdrängung einer konstitutionell bedingten starken Lust an der Muskeltätig¬ 
keit (Bewegungslust) annimmt. Diese Befunde stammen aus einer Zeit, als die 
Kenntnis des Todestriebes und seiner Ableitung in die Muskeltätigkeit noch 
nicht zur Verfügung stand. Die Aggressionslust wurde nur als negative Libido 
aufgefaßt. Nun können wir die Funde Abrahams metapsychologisch besser 
verstehen. Mit der Einziehung der in der Muskeltätigkeit untergebrachten 
Aggressivität steigern sich die destruktiven Besetzungen. 

Freud zeigte uns, daß die Libido auch dazu verwendet wird, um die De¬ 
struktionsenergie nach außen zu wenden (wie z. B. eben in die Muskeltätig¬ 
keit). Dadurch wird diese Energie für das Ich unschädlich gemacht. Die 
Destruktionsenergie wird aber wohl auch, verbunden mit Libidobesetzungen, 
bei allen der Außenwelt zugewendeten Funktionen des Ichs nach außen ge¬ 
wendet, so bei der Aufmerksamkeit, bei der Wahrnehmung, bei dem Vorgang, 
den wir Willensakt nennen usw., und eben dadurch wird die Außenwelt be- 
meistert. Diese Beherrschung der Außenwelt durch die Extroversion der de¬ 
struktiven Energie, sei es in Form von Aggression, sei es in Form von Be¬ 
mächtigungstendenzen, führt auch zur Befriedigung der Libido, die oft in der 
Durchsetzung dieses Zieles, das Ich zu schützen und seine Stellung in der 
Außenwelt zu stärken, aufgeht. In diesem Vorgehen ist daher eine Reizabwehr 
gegeben. Die Bindung von destruktiven Triebreizen von Seiten der Libido 
ist also oft gleichbedeutend mit einer Herrschaft der Libido über die destruk¬ 
tive Energie, welche dann in die ihr von der Libido angewiesenen Bahnen ge¬ 
leitet wird, und zwar unter anderem auch zur Herstellung und Erhaltung der 
harmonischen, synthetischen Einheit des Ichs. Allerdings können wir uns noch 
keine Vorstellung darüber machen, wie die Libido die Destruktionsenergie be¬ 
wältigt; wir kennen ja nicht einmal das Wesen einer psychischen Energie. 

Im Falle einer traumatischen Neurose infolge eines Durchbruches von großen 
Reizmengen durch den äußeren Reizschutz, sind es nicht die von außen her 

7) K. Abraham: „Über eine konstitutionelle Grundlage der lokomotorischen Angst“, 
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, Bd. II, 1914. 














































Die Stxaßenangst und ihre Beziehung zum hysterischen Anfall und zum Trauma 431 

eingedrungenen Reize, die weiterwirken, sondern, wie uns die Untersuchung 
solcher Fälle zeigt, handelt es sich darum, daß ein Anwachsen oder Hinzu¬ 
kommen von inneren destruktiven Triebreizen stattfand; dadurch wurde 
die Lage bedrohlich. In diesem aktuellen Hinzukommen von inne¬ 
ren, destruktiven Energien auf Kosten ihrer Extroversion er¬ 
blicke ich das charakteristische Moment der von außen kommen¬ 
den traumatischen Einwirkungen. Und tatsächlich hat Kardiner® 
in seiner äußerst interessanten Arbeit über die Bioanalyse der epileptischen 
Reaktion uns auf die plötzlich eintretende Hemmung wesentlicher Ich-Funk- 
tionen, nämlich derjenigen des sensorisch-motorisch-perzeptiven Apparats bei 
echten traumatischen Neurosen aufmerksam gemacht. 

Es spielen sich also meiner Ansicht nach bei der echten traumatischen 
Neurose folgende Vorgänge der Reihe nach ab: Die Libido hat ursprünglich 
die Macht über ein gewisses Quantum von destruktiver Energie, bindet sie, 
mischt sich mit ihr, wendet sie in Form von Aggression oder bei den Ich- 
Funktionen in Form von Wahrnehmung, Erfassung der Außenwelt, Muskel¬ 
tätigkeit, Aufmerksamkeitsbesetzung usw. nach außen. Nun brechen im Falle 
eines Traumas größere Reizmengen ins Ich ein. Diese vermehren die Inan¬ 
spruchnahme des Ichs, so daß es sich gegen jene inneren Reizmengen, die es 
früher in Ruhe halten konnte (mittels Verdrängung oder in andersartiger 
Weise), nicht mehr schützen kann; so bricht die latente Neurose aus.® Infolge 
seiner größeren Inanspruchnahme ist nun das Ich auch in der Bewälti¬ 
gung der früher beherrschten destruktiven Reize behindert — 
diese schlüpfen ihm sozusagen aus der Hand und wirken nun reflexiv oder 
gar medial. Das Ich muß dann erst mühsam die früher innegehabte Herr¬ 
schaft über die inneren destruktiven Energien wiedererlangen. Solange ihm 
das nicht gelingt, gewinnt man den Eindruck, als hätten die temporär von 
außen eingedrungenen destruktiven Reizmengen eine innere Fortsetzung ge¬ 
funden. In Wirklichkeit ist auch die Aggression in ihren mannigfaltigen 
Äußerungsformen eingezogen und nach innen gewendet worden. Und so kön¬ 
nen sich die Patienten nach dem Unfälle nicht mehr ganz auf ihre Sinne ver¬ 
lassen und keine oder eine geringe Aufmerksamkeitsbesetzung aufbringen. Das 
Zittern, das man so regelmäßig bei traumatischen Neurotikern antrifft, hängt 
meiner Ansicht nach unter anderem auch mit der Zurückziehung der destruk¬ 
tiven Energie vom Muskelsystem zusammen. Ich glaube, daß dies der all¬ 
gemeine Mechanismus der traumatischen Neurosen ist. 

An dieser Stelle möchte ich die Vermutung aussprechen, daß auch die 

8) A. Kardiner: „Tbe Bio-Analysis of the Epileptic Reaction", Psa, Quarterly, I, 3—4, 

9) Es gibt aber auch Fälle (und zwar nicht nur bei der Angsthysterie, sondern auch 
bei der Paranoia und bei Depressionen), bei welchen äußere Gefahren fälschlich als innere 
aufgefaßt werden. Die inneren Spiegelbilder der äußeren Destruktionskräfte werden mit 
der Verwendung von inneren destruktiven Triebreizen verwirklicht. 








432 


Edoardo Weiß 


Über-Ich-Bildung, die eine sogenannte „innere Fortsetzung'^ von ursprünglich 
von außen her erlittener Aggression enthält, infolge traumatischer Momente 
von außen entstanden ist, welche zu einer introvertierten Aggression geführt 
haben. Allerdings handelt es sich hier um die Vermeidung einer traumatischen 
Neurose durch Organisierung der introjizierten Feinde, welche zu der Bil¬ 
dung dieses bedeutenden Bestandteiles unseres seelischen Apparats geführt hat. 
So meine ich, daß die Über-Ich-Bildung nicht allmählich, sondern in plötz¬ 
lichen Schüben, und zwar jedesmal nach einem erlebten Trauma vor sich geht. 
Dazu würde auch die Annahme Freuds passen, daß die Tat des Vatermordes 
die Bildung des Über-Ichs anregte. 

Aggressionsneigungen und Wutanfälle bei Menschen, die durch ein Trauma 
aus dem Gleichgewicht gebracht wurden, sind als Wiederherstellungsversuche 
durch Extroversion der destruktiven Energie aufzufassen. In ganz analoger 
Weise wird auch das Über-Ich milder, wenn der Patient destruktive Energie 
in Form von Aggression extrovertiert, wie z. B. in einer negativen Übertra- 
gung auf den Analytiker. Bekanntlich imponiert uns beim Unfallsneurotiker 
der sekundäre Krankheitsgewinn, den wir für die Erhaltung der Neurose ver¬ 
antwortlich machen. Bringt man den Unfallsneurotiker, indem man ihm bei¬ 
spielsweise die Unfallsrente entzieht usw., in die Zwangslage, sich selbst um 
seine Existenz zu kümmern, so zwingt man ihn dadurch, destruktive Energien 
in der Überwindung äußerer Schwierigkeiten nach außen zu wenden. Ich 
meine, daß beim Unfallsneurotiker eben darin, in der Beseitigung des effek¬ 
tiven sekundären Krankheitsgewinns ein wichtiges therapeutisches Agens zu 
suchen ist, weil dieser Gewinn ihm jeden Anlaß zur Extroversion seiner de¬ 
struktiven Energien benimmt; dies ist der Grund, weshalb er hier so sehr in 
die Wagschale fällt. 

Es gibt Übergangsformen zwischen Übertragungs- und echten traumatischen 
Neurosen. Dazu gehören jene Neurosen, die zwar infolge eines Traumas von 
außer her entstanden sind, bei welchen der Patient aber selbst in unbewußter 
Absicht das Trauma herbeigeführt hat. Hier sieht man am deutlichsten, wie 
die Schockwirkung auf ein bereits bestehendes, neurotisches, Gleichgewicht 
wirkt. Dazu folgendes Beispiel: 

Eine meiner Patientinnen wurde von einem Auto zu Boden geworfen, schlug mit 
dem Hmterkopf auf das Straßenpflaster auf und mußte in sehr aufgeregtem Zu¬ 
stande von der Rettungsgesellschaft auf eine Unfallstation gebracht werden. Dieser 
Unfall hat als Trauma gewirkt: er erschien ihr fast jede Nacht in ihren Angstträumen; 
sie fürchtete sich, allein auf die Gasse zu gehen und zitterte vor Angst jedesmal, wenn 
sie, auch in Begleitung einer Person, in welche sie sich einhängte, die Straße über¬ 
queren mußte. Sie fürchtete, von einem Auto überfahren zu werden, und zwar 
nicht nur, wenn sie eines, auch in weiter Entfernung herannahen sah, sondern auch 
wenn sie keines sah; denn anfangs traute sie ihren eigenen Sinnen nicht mehr. Sie 
beherrschte die Außenwelt nicht mehr und fühlte, daß sie der Außenwelt nicht ge- 
nug Aufmerksamkeit zu wenden konnte. Dabei quälte sie die lebhafte, eidetische Er- 











































Die Straßenangst und ihre Beziehung zum hysterischen Anfall und zum Trauma 433 


innerung an das Aufschlagen des Kopfes auf das Pflaster. Diese Erinnerungsreprä¬ 
sentanz wurde also auf Kosten der Aggression von starken Todestriebenergien besetzt. 

Der Unfall selbst hatte sich infolge einer deutlichen Fehlleistung der Patientin 
ereignet: Diese war nämlich iiri Begriffe, die Straße zu überqueren, als sie ein Auto 
mit großer Geschwindigkeit herankommen sah. Sie dachte abzuwarten, bis es vor¬ 
übergefahren ward, aber im nächsten Augenblick hatte sie schon ihren Vorsatz ver¬ 
gessen und schickte sich an, die Straße zu überqueren, gerade als das Auto ankam 
und der Chauffeur den Unfall nicht mehr verhindern konnte. Ein schöner Beleg 
für die Ausführungen Federns^» über das Ich-Gefühl bei den Fehlleistungen. 

Diese Patientin war schon vor dem Unfälle zu mir in Behandlung gekommen, weil 
sie vor ihren, vom Ich gefürchteten autodestruktiven Tendenzen Schutz suchte. 
Schon vor einigen Jahren hatte sie einen halbernsten Suizidversuch durch Ver¬ 
bluten gemacht, hat es aber schon kurze Zeit danach bereut und sich sehr er¬ 
niedrigt gefühlt. Ihre Hauptqual bestand in ihrer Sucht nach Narkoticis, wobei 
sie immer größere Dosen, als sie vertragen konnte, einnehmen mußte. Schon nach 
wenigen Monaten Analyse konnte sie sich der Schlafmittel enthalten, und da er¬ 
eignete sich der Autounfall. Dazu assoziierte sie die niederschlagende Wirkung der 
Schlafmittel. Sie fühlte eine starke Analogie zwischen dem Aufschlagen des Kopfes 
auf den Boden und der niederschlagenden, im Kopfe empfundenen Wirkung der 
exzessiven Dosen von Schlafmitteln, die sie früher einnehmen mußte. Diese Patien¬ 
tin hat ferner von Männern geträumt, die ihr sexuelle Gewalt antun wollten, und 
auch im wachen Zustande traf sie übertriebene Vorsichtsmaßnahmen, um dieser Ge¬ 
fahr zu entgehen. Ihre Fehlleistung bedeutete demnach: Sexuelle Aggression er¬ 
leiden und Selbstmord begehen. 

Die neurotische Angst der Patientin bezog sich ursprünglich auf die innere Gefahr 
vor dem eigenen Destruktionstriebe, sei es, daß dieser mit Libido legiert sich als 
Masochismus, sei es, daß er sich als reiner Destruktionstrieb äußerte — wenn ein 
solcher überhaupt Vorkommen kann. Die Fehlleistung, durch die die Patientin den 
Unfall erlitten hatte, war ein Sieg dieses Triebes über den Selbsterhaltungstrieb des 
Ichs. Wir können so zweierlei Momente unterscheiden, die auf die Patientin trauma¬ 
tisch gewirkt haben mögen: Erstens die äußeren destruktiven Reizmengen, die den 
äußeren Reizschutz durchbrochen haben, und psychisch nicht gebunden, d. h. nicht 
bewältigt werden konnten; zweitens der Sieg der inneren autodestruktiven Tendenzen. 
Es sei nebenbei bemerkt, daß dieses Trauma mit Hilfe der analytischen Aufklärungs¬ 
arbeit, die schon vor dem Unfälle etwas geleistet hatte, in kurzer Zeit erledigt wer¬ 
den konnte. 

In unserem Falle hat sich der Destruktionstrieb äußerer Mittel bedient, um sich 
wenigstens partiell durchzusetzen. Das traumatische Erlebnis hatte die Patientin die 
Macht und die Gefahr dieses Triebes tief fühlen lassen und vielleicht erst den Weg 
zur Durchsetzung des Triebes gebahnt. Die Analyse konnte ferner in einwandfreier 
Weise feststellen, daß diese Patientin die starke narzißtische Kränkung, die sie in der 
Kindheit bei der Entdeckung ihrer vermeintlichen Kastration empfunden hatte, nicht 
überwunden und in ihrer Intelligenz und Moral einen Ersatz für den fehlenden Penis 
gesucht hatte; diese waren, um mit Rado zu sprechen, Wunschpenisse für sie. Ein 
intellektueller oder moralischer Fall bedeutete für sie eine neuerliche Kastration. 
Und bei dieser Patientin handelte es sich anscheinend stets um Neuauflagen des ur¬ 
sprünglichen Konflikts, und zwar: zwischen dem Streben, einen Penis zu erlangen, 
um den seelischen Schmerz über ihre Kastration loszuwerden, und dem destruktiven 
Impuls, sich zu kastrieren, sich Schmerz zuzufügen usw. Letzten Endes handelt es 


io) P. Federn: „Das Ich-Gefühl bei den Fehlleistungen“, Imago, Bd. XIX, 1933. 
















434 


Edoardo Weiß 


sich aber doch um den ewigen Kampf zwischen Leben und Tod, wobei wir aber be¬ 
tonen müssen, daß das Ich sich gegen den Todestrieb des Es aufs äußerste wehrt und 
daß ihm jede partielle Befriedigung desselben unlustvoll ist. 

Einen weiteren Fall kann man schwerlich als Übergangsform zwischen trau¬ 
matischen und Übertragungsneurosen bezeichnen, obwohl es auch bei ihm 
zur unbewußten Selbstschädigung (symbolische Kastration) durch Fehlleistung 
kam. Es handelt sich um eine traumatische Situation, die in der Nachpuber¬ 
tätszeit von der destruktiven Triebenergie neubelebt wurde, da sie in Zu¬ 
sammenhang mit einer verbotenen sexuellen Versuchung getreten war: 

Ein zehnjähriger Knabe war gerade daran, seinen Bleistift zu spitzen, als das 
Federmesser zuklappte und er sich tief in den Finger schnitt. Der Anblick der 
offenen Wunde, die kaum schmerzte, und des Blutes machte auf ihn einen sehr un¬ 
angenehmen Eindruck und er wurde plötzlich tief ohnmächtig. Das Peinlichste 
dabei war nicht der Anblick der Wunde, sondern seine psychischen Erlebnisse beim 
Erwachen aus der Ohnmacht. Retrospektiv schilderte er viele Jahre später diese 
Erlebnisse, die in der Zwischenzeit noch mehrmals sich wiederholt hatten, folgender¬ 
maßen: starkes, höchst peinliches Ohrensausen, dessen Beginn zeitlich unbestimmt 
ist... ganz schwache, flüchtige, kaum wahrnehmbare Traumsensationen: blasse, ver¬ 
schwommene Traumbilder, so wie sie vor dem Einschlafen erscheinen, Menschen¬ 
gestalten, die sich ganz schattenhaft bewegen und Vorbeigehen, Stimmen aus weiter 
Ferne ... diese schwachen und nebelhaften Träume werden nach und nach deut¬ 
licher und erst jetzt beginnt er zu verstehen, daß er derjenige ist, der all das emp¬ 
findet — früher existierte er nicht. Das Ohrensausen wird immer schwächer und 
hört schließlich auf. Es folgt eine furchtbar peinliche Desorientiertheit; „sollte das 
Wirklichkeit sein und nicht bloß ein Traum?“ Er fühlt sich ganz schwach, eigent¬ 
lich gelähmt, macht- und hilflos; er leidet unsäglich, weiß noch nicht genau, wer er 
eigentlich ist und wie er in diese Lage gekommen ist. Da erwacht allmählich die 
Erinnerung an die Situation, die der Ohnmacht vorangegangen war, jetzt hat er das 
volle Evidenzgefühl für die wahrgenommene Wirklichkeit — die Kontinuität seines 
Ichs ist wieder hergestellt, er ist wie in einen Hafen in eine Welt eingelaufen, 
die ihm vorher traumhaft, eigentlich blasser und unwirklicher als ein Traum er¬ 
schienen war, die sich aber tatsächlich als Wirklichkeit herausgestellt hat. 

Dies war am Vormittag geschehen. Am selben Tage, während des Mittagessens 
kam ihm die Erinnerung an die beschriebenen traumadschen Eindrücke, wobei ihn 
plötzlich das ihm schon bekannte Ohnmachtgefühl befiel. Er hatte kaum die Kraft, 
der Mutter zu sagen, daß er wieder ohnmächtig werde ., . dann fühlte er nichts 
mehr und dann wiederum das qualvolle beschriebene Erwachen aus einer Ohnmacht. 
Dieser Knabe hatte also diese Eindrücke, wie dies eben für jedes seelische Trauma 
charakteristisch ist, nicht mehr beherrschen können, sie konnten nicht verdrängt 
werden und wiederholten sich öfters, obwohl sie äußerst unlustvoll waren. Der 
Knabe fühlte, daß er gegenüber seinen Ohnmächten, die unerwarteterweise, auch 
ohne eine äußere Ursache, auftreten konnten, vollkommen macht- und hilflos war. 
Wie hätte er sich so allein vom Hause entfernen können? Aber nach zwei Tagen 
fühlte er sich bereits sicher. 

Als er eines Abends mit 17 Jahren mit einem Freunde in einer sehr belebten 
Gasse spazieren ging, bemerkte er plötzlich, daß sein Wirklichkeitsgefühl für die 
Außenwelt schwächer wurde: Die vorbeigehenden Menschen (und erst viele Jahre 
später in der Analyse fielen ihm zwei vorübergehende unbekannte Mädchen ein) 
kamen ihm wie geträumt vor, oder besser so schattenhaft wie die Visionen vor dem 











































Die Straßenangst und ihre Beziehung zum hysterischen Anfall und zum Trauma 435 


Einschlafen im hypnagogen Zustande. Es war so, wenn auch in viel schwächerem 
Maße, wie ihm seinerzeit jene wirklichen Menschen vorgekommen sind, als er aus 
seiner Ohnmacht erwachte. Es überkam ihn eine fürchterliche Angst: „Werde ich 
denn jetzt ohnmächtig?“ fragte er sich. Dies war also das beschriebene Analogon 
eines hysterischen Anfalls, der mit starker Angstentwicklung vor sich ging und die 
Straßenangst heraufbeschwor. Er fürchtete sich nun, abends auszugehen, d. h. in der 
Zeit, in welcher man sich gewöhnlich schläfrig fühlt, aber mitunter auch bei Tag, 
und zwar in belebten Gassen, und hatte Angst, im Falle einer Ohnmacht den vorbei¬ 
gehenden Leuten ein erniedrigendes Schauspiel zu bieten. Am liebsten zog er sich 
in unbelebte Gassen zurück oder sogar in ein menschenleeres Haustor, wo er sich 
merkwürdigerweise auch vor den Ohnmächten sicherer fühlte. Hier sehen wir 
unter anderem ganz deutlich die destruktive Repräsentanz der narzißtischen Kränkung, 
im Gefolge einer libidinösen, exhibitionistischen Regung. Dieser Patient ist durch 
die Analyse vollkommen hergestellt worden. 

Zu diesem Falle will ich bemerken, daß das seelische Trauma das Vorhanden¬ 
sein des Bewußtseins während des traumatischen Erlebnisses voraussetzt. Tat¬ 
sächlich setzte auch hier die traumatische Wirkung erst bei der allmählichen 
Rückkehr des Bewußtseins am Ende der Ohnmacht ein. Und wir sehen in 
diesem Falle, daß hinter der Angst vor der Kastration sich die Angst vor der 
Aphanisis (Jones)^^ verbirgt. Die Ohnmacht istparexcellence eine Äuße¬ 
rung des Todestriebes. 


IV 

Aus der Analyse der hier angeführten und vieler anderer Neurosen ergeben 
sich theoretische Schlüsse, die ich kurz zusammenfassen möchte: 

Die Angst ist nach Freud ein Warnungssignal vor einem drohenden trau¬ 
matischen Zustand (in ökonomischem Sinne). Im Falle der Realangst bezieht 
sich die Angst auf äußere destruktive Einwirkungen: es sind Reize dieser 
Natur, welche unsere seelische Ökonomie stören können. Im Falle der trau¬ 
matischen Neurose sind es innere destruktive Triebreize, welche von ihren 
anderweitigen Verwendungen abgezogen wurden und die Wirkung der 
früheren äußeren Reizmengen fortsetzen. Diese Verhältnisse hat Freud bei 
der aggressiven Wirkung des Über-Ichs erkannt. Freud hat also im Falle des 
Schuldgefühls (Gewissensangst) die Beziehung zwischen Angst und Todestrieb 
aufgezeigt. Nun scheint es, daß es sich auch bei der neurotischen, d. h. Trieb¬ 
gefahr um die Drohung von Seiten destruktiver Triebreize handelt. 
Allerdings fällt diese meistens mit der Drohung von Seiten des Über-Ichs zu¬ 
sammen. Halten wir uns den Verdrängungsmechanismus näher vor Augen: 

Dem Kinde droht die Strafe der Kastration, oder eines ihrer zahlreichen 
Äquivalente, und der Liebesentzug, wenn es bestimmten Triebregungen 
nachgibt. Das neurotische Ich hält diese Gefahrmomente fest. Ursprünglich 
drohen diese Gefahren von der Außenwelt her (Vater, Eltern, Autorität), 

ii) E. Jones: „Die erste Entwicklung der weiblichen Sexualität“, Int. Zeitschr. f. Psycho¬ 
analyse, Bd. XIV, 1928. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XX/4 


30 











Edoardo Weiß 

später gehen sie vom Über-Ich aus. Eine bestimmte Triebbefriedigung bringt 
also das Ich in die vermeintliche oder wirkliche Gefahr, entweder Aggression 
von außen her zu erleiden, resp. äußeren Destruktionskräften schütz- und lieb¬ 
los preisgegeben zu sein, oder der vom Über-Ich ausgehenden Aggression von 
innen her, gleichsam der inneren Fortsetzung einer Aggression von außen, 
ausgesetzt zu sein. Die Aggression des Über-Ichs stammt aber, wie bekannt, 
aus dem Triebreservoir des Es und schöpft ihre Energie, unabhängig von der 
Außenwelt, aus dem eigenen Todestriebe. Bei der neurotischen Angst (der 
Angst vor einer Triebgefahr) handelt es sich, wie gesagt, um eine Gefahr vor 
einem solchen traumatischen Zustande, der infolge eines Durchbruches von 
inneren destruktiven Reizmengen in den inneren Reizschutz sich einstellen 
könnte. Diese destruktiven Reize sind nämlich in den Energiebesetzungen der 
Vorstellungen der Kastration, des Liebesentzuges usw. enthalten. Die Ver¬ 
drängung eines Triebes besteht bekanntlich darin, daß derselbe mit Energie¬ 
aufwand jenseits des inneren Reizschutzes, d. h. außerhalb des Ichs gehalten 
wird, um so ein Trauma zu vermeiden. Zu einem solchen kann es aber den¬ 
noch kommen, weil die nunmehr Ich-fremden Triebreize, welche weiter zum 
Bewußtsein drängen, autodestruktive Besetzungen mitreißen, dadurch die 
Ökonomie im Haushalte des Ichs stören und die Leistung des Lustprinzips 
lähmen (was eben für das seelische Trauma charakteristisch ist). Es hat 
sich stets in diesem Falle zwischen der Vorstellung von der Triebbefriedigung 
und der von der destruktiven Konsequenz derselben ein enger Zusammen¬ 
hang hergestellt. Bekanntlich wird eine Triebverdrängung dadurch aufge¬ 
hoben, daß das Ich seine unbewußte Einstellung zu den vermeintlichen Gefahr¬ 
momenten durch Bewußtmachung derselben korrigiert. Dadurch werden die 
Todestriebbesetzungen von den libidinösen auseinandergehalten. Nur die 
ersteren scheinen den inneren Reizschutz zu zerreißen, welcher das Ich — um 
einen Ausdruck Freuds zu gebrauchen — vom inneren Auslande trennt und 
vor ihm schützt. Wenn das Ich die Verdrängungseinstellung nicht auf gegeben 
hat, kann ein Durchbruch von verdrängten Triebreizen ins Ich traumatisch 
wirken. Enthält doch der Sinn derselben stets eine Destruktion der eigenen 
Person: z. B. ich gebäre und sterbe dabei; oder; ich gelange zum Sexualakte 
und sinke dadurch zur Dirne, werde verstoßen; oder: werde vergewaltigt, 
kastriert; oder: ich exhibiere und trage dadurch meine Defekte, das Fehlen des 
Penis zur Schau. Alexander f^nd bei agoraphobischen Frauen Prostitu¬ 
tionsphantasien vor. Rado faßt diese Phantasien als Derivate des Genital¬ 
masochismus auf. Ich meine, daß die Versuchung der Sexualabfuhr gilt. Der 
Zusatz „Straßendirne werden"^ ist eben eine Äußerung des Destruktionstriebes, 
der sich auf dem Wege über das Über-Ich kundgibt; er ist eine aggressive 
Qualifizierung desselben. 

12) F. Alexander: „Die Psychoanalyse der Gesamtpersönlichkeit“, Int. Psych. Verlag, 
1927. 
















































Die Straßenangst und ihre Beziehung zum hysterischen Anfall und zum Trauma 437 

Bei jeder mißlungenen Verdrängung kämpft stets eine libidinöse Regung 
mit einer autodestruktiven; gewinnt die letztere die Oberhand, so wirkt dies 
traumatisch. Die phobische Angst ist ein Warnungssignal vor einem derarti¬ 
gen Zustande — sie ist gleichsam das Gefühl der Todesnähe und dieses Ge¬ 
fühl ist vielleicht eben der psychische Ausdruck des traumatischen Zustandes. 
Es kann sich da nicht mehr um bloße Angst vor dem Tode handeln, sondern 
um eine echte, vom eigenen Todes trieb ausgehende, meist mittelbar durch 
Einschaltung des Über-Ichs erlittene Destruktion, wobei das Ich der einge¬ 
brochenen Reizmengen nicht mehr Herr werden konnte. Solche schockartige 
innere Einwirkungen können begreiflicherweise zur Ohnmacht führen. Die 
Straßenangst kann demnach als eine traumatische Neurose sui generis, und 
zwar als eine innere traumatische Neurose aufgefaßt werden. Darunter 
meine ich eben eine Neurose, bei welcher die nicht zu bemeisternde destruk¬ 
tive Einwirkung nicht von außen kommt, sondern ausschließlich einen endo¬ 
genen Ursprung hat. Mir ist zwar nicht bekannt, daß solche Fälle zum Tode 
führen können; aber ich habe vor etwa einem Jahre in einer amerikanischen 
Zeitung gelesen, daß ein Klaustrophobe, der eingesperrt worden ist und um¬ 
sonst gefleht hatte, wegen seiner unerträglichen Qualen freigelassen zu wer¬ 
den, „vor lauter Angst‘" im Kerker gestorben ist. Sollte sich ein derartiger 
Fall tatsächlich zugetragen haben, so würden wir die Sachlage folgendermaßen 
darstellen; Der Tod ist infolge endogener Triebaggression eingetreten, die 
Angst war dabei der psychische Ausdruck oder die psychische Reaktion auf 
das schwere Trauma, das zu einem letalen Ausgang geführt hat. 

Durch die Trieb Verdrängung sucht der seelische Apparat sich vor der 
Wiederholung eines bereits erlebten Traumas zu schützen; siegt aber, im Falle 
der mißlungenen Verdrängung, der Destruktionstrieb, so erneuert sich eben 
dadurch das Trauma. Nun meine ich, daß es sich bei dem Sieg des Destruk¬ 
tionstriebes über die libidinöse Regung nicht immer um eine Wiederholung 
eines durch äußere Reize entstandenen Traumas handelt, sondern daß oft 
erst dadurch eine der traumatischen sehr ähnliche Wirkung zum ersten¬ 
mal erlebt wird, und zwar die, welche von Seiten der eigenen destruktiven 
Triebreize ausgeht, die in den inneren Reizschutz eingebrochen sind. Die 
Verdrängung hatte hier die Funktion, das Auftreten der traumatischen Ein¬ 
wirkung überhaupt zu verhindern, hat aber infolge der destruktiven Trieb¬ 
stärke versagt. 

Rado^^ stellt beim Weibe als die beiden miteinander in Konflikt stehenden 
Komponenten den Peniswunsch und das masochistische Luststreben hin. Ich 
meine aber, daß hier nicht das masochistische Luststreben maßgebend ist, son¬ 
dern der Todestrieb, unabhängig davon, ob seine Energie sich mehr oder 
weniger mit Libido vermengt, und sich dadurch dem Ich als Schmerzlust- 


13) a. a. O. 


30* 








^^8 Edoardo Weiß: Die Straßenangst 

streben anbietet, oder libidofrei bleibt — wenn das, wie gesagt, überhaupt Vor¬ 
kommen kann. Der Masochismus dürfte eine sekundäre Erscheinung sein 
und, wie Freud^^ meint, aus dem Versuch der Libido entstehen, den Todes¬ 
trieb unschädlich zu machen, ihm nachzufolgen. Der Todestrieb ist die Vor¬ 
aussetzung des Masochismus. Will nämlich die Destruktionsenergie sich dem 
Ansprüche der Libido nicht beugen, wie sie sich z. B. beugt, wenn sie in die 
Muskeltätigkeit abgeleitet wird, so folgt die Libido ihr nach, wenn auch nur 
eine Strecke weit. Ja, mitunter kann nur dadurch die Libido mobil gemacht 
werden, daß man sie dem Destruktionstriebe nachjagt — so kommt es zum 
Masochismus. Die Vorstellungsrepräsentanz der narzißtischen Kränkung wird 
von der Todestriebenergie besetzt und die Angst vor der eigenen Vernichtung 
ist in der Kastrationsangst des Weibes oder, wie sich Rado ausdrückt, in ihrer 
Angst vor ihrem Genitalmasochismus deswegen am häufigsten enthalten, weil 
sie einen anatomischen Anlaß dazu vorfindet, und zwar gerade an einer Stelle, 
wo die Libido ihre orgastische Abfuhr finden soll. Aber hinter dieser Angst 
steht doch die Angst vor der Aphanisis, wie Jones meint. Im Grunde 
steht diese Angst aber auch hinter der Kastrationsangst des Mannes. 

Man könnte mir einwenden, daß der Todestrieb bloß eine theoretische An¬ 
nahme ist und niemals ganz frei anzutreffen sei, während der Masochismus 
der klinische Aspekt dieses stets mit mehr oder weniger Libido vermengten 
Urtriebes ist. Aber auch angenommen, daß er in Wirklichkeit niemals libido¬ 
frei anzutreffen sei, so ist es bei einem Triebe nur sein destruktiver Anteil, der 
traumatisch wirken kann, und es ist gerade die Beimischung von Libido, welche 
diese Wirkung abschwächt. Daher scheint es mir nicht gerechtfertigt, von 
einer Angst vor dem eigenen Masochismus (= autodestruktive Tendenz plus 
Libido) zu sprechen. So kann man in einer chemischen Zusammensetzung 
etwa die Wirkung eines Elementes studieren, auch wenn dieses nicht rein dar¬ 
gestellt werden kann. 


Ich glaube, mit meinen Ausführungen gezeigt zu haben, daß die Freud- 
sche Aufstellung des Todestriebes, welche unsere metapsychologischen Vor¬ 
stellungen in einschneidender Weise beeinflussen mußte, uns den Mechanismus 
des seelischen Traumas etwas besser verstehen läßt. Wir sehen ferner, daß 
das seelische Trauma, dem Freud anfangs die größte ätiologische Bedeutung 
zugeschrieben hatte, tatsächlich in den Vordergrund gestellt werden muß. 
Weiters erlaubt uns unsere heutige Auffassung des Traumas eine weitgehende 
Ähnlichkeit zwischen dem Mechanismus der Übertragungsneurosen und dem 
der echten traumatischen Neurosen, deren Mechanismus uns bisher so schwer 
verständlich war, festzustellen. 


14) S. Freud: „Das ökonomische Problem des Masochismus“, Ges. Schriften, Bd. V. 





















































Das Problem der Organpsydiose 

Zur seelischen Behandlung organisch Kranker^ 

Von 

H cinri A M eng 

Basel 

I. 

Meine Beobachtungen über seelische Behandlung organisch Kranker er¬ 
strecken sich über zwölf Jahre zurück; es wurden nur solche organisch Kranke 
ausgewählt, bei denen andere Verfahren versagt hatten. Die psychische Be¬ 
handlung wurde als Nothilfe eingesetzt, ähnlich wie oft der chirurgische Ein¬ 
griff. Wenn die innere Medizin versagt oder Lebensgefahr droht, setzt man 
manchesmal gerne schärfere Waffen ein. Auch kommt es vor, daß man dann 
sich mehr auf die Selbsthilfe des Kranken verläßt. Beides scheint mir im 
psychoanalytisch fundierten Vorgehen vereint. 

Die Kranken waren von anderer Seite, Ärzten oder Kliniken, durchunter¬ 
sucht und vorbehandelt. Die Diagnosen lauteten u. a.: Chronisches, 
rezidivierendes Magen- und Darmgeschwür, Gallenblasenleiden mit Beschwer¬ 
den, die nach Exstirpation der Gallenblase unverändert weiterbestanden, 
chronische Bluterkrankung mit Veränderung im roten Blutbild, rezidivierende 
Bindehaut- und Hornhauterkrankung, Störung im vegetativen System und in 
der inneren Sekretion, wie Schilddrüsenerkrankung und Magersucht. Die Zahl 
ist klein, etwa i6, bei denen verwertbare Beobachtungen gemacht wurden. 
Bei zwei Dritteln derselben darf man von einem Erfolg sprechen, wobei die 
Beurteilung mindestens zwei Jahre nach Abschluß der Behand¬ 
lung erfolgte. Ob eine derart als Nothandlung unternommene und nur als 
solche indizierte Behandlung erfolgreich sein würde, war von vornherein nicht 
zu beurteilen. Ihr Gelingen scheint mir, immer auf Grund der im Keimplasma 
des Kranken gegebenen Vorbedingungen, weniger abhängig zu sein von der 
Schwere der Erkrankung, als einerseits vom Lebensalter und der Reife des 
Patienten und auch des Arztes, anderseits von psychischen Faktoren, wie 
bewußtem und unbewußtem Genesungswunsch, sekundärem Krankheitsge¬ 
winn, persönlichem Zusammenstimmen zwischen Kranken und Arzt, Ein¬ 
druck von Schicksalsfügungen, wie Tod eines Angehörigen, z. B. des Vaters, 
während der Behandlung, schließlich von den sozialen, kulturellen und ökono¬ 
mischen Bedingungen der Lebensführung und des Milieus des Kranken. 

Ich halte die psychoanalytische Behandlung nicht für die Methode der 
Wahl für eine Art organisch manifestierter Krankheit, sondern für das Ver¬ 
fahren, welches für jede kranke Persönlichkeit in Betracht kommen kann. 

i) Nach einem auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern am 
28. August 1934 gehaltenen Vortrag. 








440 


Heinrich Meng 


Wie eine organische Behandlung unter bestimmten Umständen abgebrochen 
werden muß, um einer seelischen Platz zu machen, so kommt es vor, daß 
während einer seelischen Behandlung Prozesse ausgelöst werden, deren de¬ 
struktive Tendenz zur Einleitung einer anderen Behandlung zwingt. Das Ziel 
ist, Änderungen verschiedenster Art im ganzen Menschen einzuleiten, bis er 
den Anforderungen seiner Triebe, seines Gewissens und seiner Außenwelt so 
gewachsen ist, daß der seelische Reizschutzapparat seine individuelle und so¬ 
ziale Funktion wieder erfüllt. 

Die Wirksamkeit ist nicht selten fast unabhängig von der Eigenart des 
therapeutischen Eingriffs, ob Arznei, Messer oder das gesprochene Wort; sie 
hängt wesentlich davon ab, ob durch sie den Vorbedingungen, die im Kranken 
selbst liegen, entsprochen wird. Der Arzt als Erfolgsorgan des Patienten 
muß auch in entscheidenden Situationen der therapeutischen Arbeit, gerade bei 
organischen Leiden, die Selbstregulierung des Patienten gewähren lassen. Die 
Regression zur Homosexualität, zu magischem Denken und die Belebung von 
Mechanismen, die eine Triebentmischung und eine Ich-Regression einleiten, 
scheint im Verlauf fortdauernder Organschädigung typisch zu sein. 

11 . 

An den von mir beobachteten organisch Kranken fielen Erscheinungen in 
Aussehen, Tonus und Ich-Gefüge auf, die das, was wir als organneurotisch be¬ 
zeichnen, überschreiten, wir haben sie zuerst bei Psychotikern angetroffen, 
dann aber bei solchen Fällen, bei denen eine Psychose im psychiatrischen Sinn 
nicht bestand. Es schien, daß ein schweres, unbewußtes Seelenleid körper¬ 
liches Herunterkommen und Schädigungen von Organen verursache. Dieser 
Eindruck wurde vor allem an weiblichen Magersüchtigen gewonnen; eine 
unserer Kranken dieser Art war in der Klinik in Vorbehandlung als Träger 
der Simmonds’schen Krankheit rubriziert worden, sie und andere wiesen 
schwere Veränderungen im gesamten Körper- und Seelengefüge auf, auf Grund 
der genauen, von berufener klinischer Seite durchgeführten und paralleler Be¬ 
obachtungen anderer ähnlicher Kranker, zuletzt in der Noorden-Klinik in 
Frankfurt a. Main, haben Grote und ich im Frühjahr 1934 in der „Schweiz. 
Medizinischen Wochenschrift“ (Heft 7) über Kranke mit endogener Mager¬ 
sucht berichtet. Ich schlug vor, bei manchen Fällen von psychogenen organi¬ 
schen Störungen eine „Organpsychose“ anzunehmen, und zwar deshalb, weil 
das Ich eines solchen „Organpsychotikers“ sich wie das eines Psychotikers von 
der Außenwelt abwendet. Es regrediert in frühere Entwicklungsstadien tiefer 
und triebhafter als das des Neurotikers. Das Ich vereint sich wieder mit dem 
triebhaften Es, aus dem es herausgewachsen ist und mit dem es immer in Zu¬ 
sammenhang stand. Die Bezeichnung „Organpsychose“ enthält etwas Para¬ 
doxes, aber nur deshalb, weil wir immer noch durch die Begriffstrennungen 
Körper und Seele befangen sind, auch infolge der ontologischen Problematik 






































Das Problem der Organpsychose 44 * 

des psychischen und physischen Seins deren Zweiheit sehen. Es handelt sich 
aber stets um die Einheit Mensch, an der wir das Wirken psycho-physischer 
Korrelationen^ bemerken. 

Es wären hier neben den Beobachtungen in Psychoanalysen vor allem die 
Forschungen von Friedr. Kraus heranzuziehen, er hob die Bedeutung der 
vegetativen Leistungen der Person für die Gesundheit und Krankheit hervor, 
er betont die Abhängigkeit der seelischen, vor allem charakterlichen Reaktio¬ 
nen von biologisch-chemischen und physikalischen Vorgängen des Zellebens. 
Jedes Leibesorgan ist im biologischen Unterbau der psychischen Persönlichkeit 
beteiligt. Die Tiefenperson reguliert das Organische, die „Hirnperson‘" per- 
zipiert durch die Sinnesorgane. Beide sind der Psychoanalyse zugänglich. 

Zur Annahme eines tiefen „Seins^h allerdings mit einem Wissen von dem, 
was dem Organismus nützt und schadet, ist auch Dahlke von ganz anderen 
Voraussetzungen aus in seiner Wirklichkeitslehre des Buddhismus gekommen. 
Auch das „Es‘‘ Groddecks ist der unerkannte Regulator des Einzelseins. 
Innerhalb der Psychoanalyse ist die Annahme des „Unbewußten^' nicht als 
eines Systems, sondern des „Psychischen an sich" durch Freud eine hierher 
gehörige Parallele. Es liegt nahe, anzunehmen, daß Primärprozesse anders 
mit den organischen Zusammengehen, als die verfeinerten, in ihrer Energie 
geschwächten, in ihrer Reizschwelle erhöhten „Sekundärprozesse". Freud 
hat einen Narzißmus der Zellen und der Organe angenommen; dieser muß 
sich auch im Körperlichen äußern und im „Es" dynamisch zur Geltung kom¬ 
men. Noch näher steht unsere Annahme, daß die Organe mit der Seele er¬ 
kranken, der Grundtheorie Freuds, daß die „psychische Besetzung" qualitäts¬ 
los sei und einheitlich, und erst von ihren Ursprungs- und Exekutionsorganen 
ihre Qualität beziehe. Eine psychotische Änderung der Verteilung dieser Be¬ 
setzung muß sich auch im Organischen zeigen, wenn sie früh genug eingesetzt 
hat, bevor noch jene Funktionen, welche später dem reifen Ich zugehören, zur 
Isolierung gekommen sind. All dies läßt uns eher verstehen, daß wir an 
unseren beobachteten Kranken schwere organische Störungen sehr häufig an 
Stelle des erwarteten Fortschreitens der seelischen Störung eintreten sehen, 
welche letztere dann überflüssig machen. Es kommt zu einer Flucht in die 
organische Krankheit und zur Bindung der Angst im organischen Symptom 
als chronischem, gleichsam materialisiertem „Angstäquivalent" (Freud). 
Es ist ein ähnlicher Prozeß, wie ihn Ferenczi bei den Pathoneurosen be¬ 
schrieben hat. 


2) Die Frage der seelischen Struktur des entstellten Menschen überhaupt würde sich hier 
anschließen. Hierher gehören Fragen, wie die der pathologischen Schönheit bei bestimmten 
Formen der Tuberkulose, der Hysterie und des Infantilismus, der inneren Gesetze, nach 
denen die typische Melancholie ihren Träger häßlich macht, während manche Melancholie 
und normale Trauer verschönen. Zu deser Frage siehe meine Publikation in der „Ärztl. 
Rundschau“ 1931 und „Krankheit, Schönheit und seelische Behandlung“ im „Almanach der 
Psychoanalyse 1934“. 








442 


Heinrich Meng 


IIL 

Bevor die Frage der „Organpsychose"' näher untersucht wird, sei an den 
prinzipiellen Unterschied zwischen Neurose und Psychose in Beziehung auf 
die Veränderung des Ichs erinnert. 

Bei Neurosen ist das Ich nur sekundär durch die Reaktionen und durch 
die Symptome (Kompromisse) betroffen und in Mitleidenschaft gezogen, so¬ 
weit sie vom Ich verwendet oder bekämpft werden; das Ich paßt sich so an 
die Symptome an, immerhin werden durch die Symptome und die Mechanis¬ 
men Funktionen der Organe geändert. Alle derartigen Änderungen be¬ 
treffen aber nicht das Wesentliche der Funktionen, sondern sind nur quan¬ 
titativ. Die Störung der Organe ist nur die der Ermüdung und der Hem¬ 
mung; die Schädigung der Organe ist die durch Erschöpfung oder durch An¬ 
fälligkeit an Krankheiten, die der Neurotiker herbeiführt oder in die er flieht. 
Man kann daher sagen: Falls Organerkrankungen auftreten, sind sie sekundär. 
Die Triebkonflikte werden in diesen Symptomen an den Organen erledigt, 
das Ich bleibt im wesentlichen das des Normalen, so sehr Funktionen ihm ent¬ 
zogen sein mögen. 

Bei Psychosen ist das Ich primär erkrankt, wenngleich seine Erkrankung 
durch exogene Inanspruchnahme mitverursacht wird. Die Erkrankung be¬ 
steht in einer Änderung der Ich-Besetzungen oder vielleicht oft nur im Ver¬ 
lust der Resistenz der Ich-Besetzungen gegenüber der Inanspruchnahme. Die 
Ursache liegt — in weitestem Sinn — in einer Überwältigung durch Trieb¬ 
ansprüche, das sind Strömungen des Es, oder durch Einbeziehung des Ichs oder 
von Teilen des Ichs in das Es. Die Folge davon ist, daß die Orientierung in 
der Außenwelt und die Beherrschung der Außenwelt leidet oder ganz oder 
teilweise aufgegeben wird. Sehr oft gehört zu der Außenwelt, die in der Psy¬ 
chose für die Orientierungsfähigkeit des Ichs verlorenging, auch der eigene 
Körper; denn von den seelischen Vorgängen aus empfunden, gehört auch der 
Körper zur außerseelischen Welt. So kommen auch bei der Psychose manche 
organische Störungen als sekundäre Folgen der Symptome der Ich-Störung 
zustande; sie sind von denen bei der Neurose verschieden, wenn auch ähnlich 
zustande gekommen. Andererseits ist aber der Körper vor allem der Träger 
des Ichs, gehört zum Ich, ist nicht nur Außenwelt für denselben. Die Körper¬ 
störungen bei Psychosen und namentlich bei den Organpsychosen scheinen 
primär durch die Körper-Ich-Störung an ihrem Träger, dem Körper, zustande 
zu kommen. In diesem Fall sind einzelne Körperorgane primär, durch psy¬ 
chotische Vorgänge, z. B. durch tiefe Regression, durch Aufhebung oder Stei¬ 
gerung der Besetzung schwer, oder wahrscheinlich noch viel öfter in kaum 
beachteter Weise leicht erkrankt. Wir können nur dann eine psychotische 
Störung mit einem größeren Grad von Wahrscheinlichkeit annehmen, wenn 
die Funktion nicht nur der Quantität nach, sondern auch qualitativ geradezu 
































Das Problem der Organpsychose 


443 


essentiell geändert ist, nicht nur wie bei der Neurose gleichsam verdrängt, 
aber doch noch jederzeit funktionsbereit. Die organpsychotisch gestörte Funk¬ 
tion ist sistiert, hat jegliche Besetzung und Besetzbarkeit verloren, nicht nur 
die Zugänglichkeit seitens des Bewußtseins, oder ist auf eine viel tiefere Stufe 
regrediert. Die Organe sind daher — allgemein ausgedrückt — Objekte bei 
der Neurose, z. B. bei dem für die Neurose spezifischen Mechanismus der Ver¬ 
drängung, bei der Psychose aber Subjekte. Bei der Neurose gibt das Es zwar 
nach, läßt seine Strömung, den Trieb, verdrängen, wodurch allerdings auch 
sowohl der Trieb als die Erfassung der Außenwelt und das Ich selbst mehr 
oder weniger verändert werden. Bei der Psychose hingegen siegt das Es über 
die Ich-Struktur und damit über den Körper, dessen Gesamtfunktion mit der 
Normalität des Ichs in Wechselbeziehung zu stehen scheint. 

Es fiel immer wieder auf und ist auch in Krankheitsbegriffen wie „narzi߬ 
tische Neurose“ festgelegt, daß die Grenze zwischen Neurose und Psychose 
keine strikte ist (Ferenczi, Schilder u. a.), und daß bestimmte Krankheits¬ 
abläufe, wie Zwangsneurose und Schizophrenie, verwandt sind. Freud reser¬ 
vierte aber den Namen „narzißtische Psychoneurose“ für die Melancholie, und 
es bleibt doch stets ein Unterschied zwischen einer hysterischen Psychose und 
einer echt „psychotischen“ Psychose und einem organisch Kranken mit or¬ 
ganisch-psychotischen Mechanismen. Es wurde schon gesagt, daß die Neurose 
die Erfassung der Außenwelt weiter gestattet und sie nur in dem Maß der 
Trieb- und Libidoansprüche ändert, ohne daß, wie bei der Psychose, der Auf¬ 
nahmeapparat — wenn auch nur teilweise — geschädigt wäre. Das Ich gibt 
bei der Neurose eben nur wenig nach, teilweise ist es ein infantiles Ich ge¬ 
blieben, teilweise kehrt es zu manchen infantilen Strukturen zurück; aber es 
wird nicht so tief verändert wie bei der Psychose. Dieser neurotischen Nach¬ 
giebigkeit des Ichs steht das volle Unterliegen des Ichs in der Psychose gegen¬ 
über. 

Unter welchen Bedingungen unterliegt aber das Ich bei der Psychose? Unter 
ähnlichen Voraussetzungen wie analog das Es des Neurotikers: auf Grund der 
Konstitution, von Geschehnissen der Frühkindheit und des aktuellen Anlasses. 
Ein Ich wird vor allem dann unterliegen, wenn es an sich selbst schwer litt, 
wenn es zu schwach ist, die Außenwelt zu ändern, oder zu starr und un¬ 
erfahren, sich ihr anzupassen, und wenn die einen Kompromiß schaffende 
Neurose nicht gelang oder nicht ausreichte. 


IV. 

Die Beobachtung organisch Kranker, z. B. Magersüchtiger, deren Ich-Struk- 
tur mehr psychotisch als neurotisch imponierte, auch ihr körperliches Ver¬ 
halten, ist zumeist an weiblichen Individuen angestellt. Die Magersucht be¬ 
fällt überhaupt viel mehr Frauen als Männer. Es ist anzunehmen, daß in der 











444 


Heinrich Meng 


weiblichen Konstitution und in dem typisch weiblichen Schicksal dispo¬ 
nierende Momente wirksam sind. Diese Fragen werden wir später berühren. 

Wir wissen, daß die Schädigung des Zwischenhirns als Sitz vegetativ wichtiger 
Zentren und bestimmter Teile der Hypophyse den Anstoß gibt zu kachektischen 
und marantischen Zuständen. Auch die Abmagerung bei progressiver Paralyse wird 
auf zerebrale Störung des vegetativen Systems im Bereich des dritten Ventrikels 
zurückgeführt (Reichardt). Was bei den Formen der Magersucht, bei denen 
weder Trauma des Schädels, Verletzung oder Geschwulstbildung der Hypophyse, 
Lues und andere Prozesse die Krankheit in Gang bringen, die Kachexie bedingt, ist 
ungeklärt. Einzelne Endokrinologen berichten, daß eine Gruppe von Mager¬ 
süchtigen schwere Temperament- und Charakterveränderungen durchmachen. 
Tücher spricht von einer „hypophysären Psychose“, die symptomatisch der 
Schizophrenie ähnlich sei. Da glücklicherweise keiner unserer Kranken zur Sektion 
kam, ist die sichere Diagnose „Simmonds^scher Krankheit“ nicht zu stellen, sie 
wurde bei einer unserer Kranken von klinischer Seite gestellt und auch nach der 
relativen Heilung festgehalten. Bevor wir unsere Krankenaufzeichnungen über den 
klinischen Befund mitteilen, seien einige allgemeine Bemerkungen vorausgestellt. 

Die Beziehung der Hypophyse zu den Sexualorganen, vor allem zu 
Uterus und Mamma, ist sehr mannigfaltig. Seit 1927 wissen wir, daß Vorderlappen¬ 
störung zur Atrophie des Ovars oder Unterdrückung des Brunstzyklus führt. Beim 
Tier steht die Scheidenbildung und deren Sekretvorgänge unter starkem Einfluß der 
Hypophysenwirkung, sie läuft über das Ovar. Auch die Keimdrüsen beeinflussen 
intensiv die Hypophyse. Ihr Ausfall wirkt ähnlich wie Kastration durch Aus¬ 
schaltung der Keimdrüsen. Zufuhr von Hypophyse hebt ähnlich wie Zufuhr von 
Sexualhormon bei reifen und unreifen Tieren beiderlei Geschlechts mit Ausnahme 
der Sterilität die anderen typischen Folgen der Kastration auf. 

Zur Charakterisierung der Simmonds’schen Krankheit sei eine kurze Schilderung 
Hoskins erinnert. „1914 wurde von Simmonds ein schweres, unaufhaltsam zum 
Tode führendes Leiden, die ,hypophysäre Kachexie* beschrieben. Als einzig 
anatomische Veränderung wird hier eine vollkommene Atrophie der Hypophyse 
gefunden. Die Krankheit ist selten, bis jetzt enthält die Weltliteratur nicht ganz 
50 Fälle. Der Verlauf der Krankheit kann schnell sein, es kann aber auch viele 
Jahre dauern, bis sie zum Tode führt. 

Die Kranken bekommen ein früh gealtertes Aussehen, das besonders durch die 
Atrophie der Haut und Verlust der Haare hervortritt. Eine allgemeine Auszehrung 
aller Organe führt zu schwerer Schwäche. Der Appetit fehlt völlig. Im Anfangs¬ 
stadium besteht oft Durst und vermehrte Wasserausscheidung. Der Grundumsatz 
ist ebenso wie der Gehalt des Blutes an Erythrozyten herabgesetzt. Der Kohle¬ 
hydratstoffwechsel ist meistens gestört. Atrophie der Geschlechtsorgane mit Ausfall 
der Sexualfunktion ist oft ein Frühsymptom. 

Bis heute gibt es keine befriedigende Behandlungsmethode für die hypophysäre 
Kachexie, wenn auch in neuester Zeit einige Erfolge mit Hypophysenextrakt be¬ 
richtet wurden. Ein theoretischer Hinweis auf den Nutzen solcher Extrakte wurde 
in den Tierversuchen von Smith gegeben, der die Erkrankung bei seinen Ver¬ 
suchstieren durch Hypophyseneinpflanzung verhindern konnte. Am Menschen ist 
diese Methode praktisch noch nicht anwendbar, daher sucht die Forschung noch 
nach einem wirklichen Extrakt.** 

Während für den Ausbruch von Krankheiten der Drüsen mit innerer Sekretion 
auch nach den Daten der Unfallversicherung — vor allem bei Basedow — das 



































Das Problem der Organpsychose 


445 


psychische Trauma eine größere Bedeutung als das mechanische hat, sind verwert¬ 
bare Beobachtungen über die deletäre Wirkung des psychischen Traumas für Hypo¬ 
physenstörungen mir nicht bekannt geworden. Daß eine seelische Behandlung wirk¬ 
sam sein kann, ist ja kein Beweis für die seelische Ätiologie eines Basedow, eines 
Knochenbruchs oder einer Simmonds’schen Krankheit. Es muß hervorgehoben 
werden, daß vom Körperschema aus — wie Schilder annimmt — wahrscheinlich 
auf dem Weg über die vago-vegetative Apparatur des Zwischenhirns vegetative Funk¬ 
tionen dirigiert werden können. Dieser ganze Gehirnbereich ist ein bedeutendes 
Erfolgsorgan des Narzißmus. 

Zur Charakterisierung der typischen Verhältnisse einzelner organisch Kranker 
unserer Beobachtung sei Frl. M. Y. herausgegriffen. Die Feststellung durch Grote 
in der Noorden-Klinik ergab: 

Marie Y., 17 Jahre, früher nicht krank. Seit langer Zeit Appetitmangel. 
Menarche mit 14 Jahren, seit dem 16. Jahr aber völlig wieder aufgehört. Regel war 
immer gering und verzögert. Sie friert immer. Oft blaue Hände und Füße. Etwas 
Haarausfall. Gewichtsabnahme seit einem Jahre zunehmend, sie ißt zu wenig. Mag 
„nur Brot‘^ Objektiv fand sich typisch asthenisch graziler Bau (wie bei beiden 
Eltern und dem Bruder). 171 cm Länge, 45,5 kg Gewicht, also Rohrerscher Index 
91,6. Grundumsatz 25%. Sonst kein wesentlicher Befund. Blutdruck 85/70 mm Hg. 
Sehr zarte durchscheinende Haut, rothaarig, sommersprossig. Harnmengen während 
der Behandlung gering, Harn hochkonzentriert, farbstoffreich. Blutbild relative 
Lymphozytose (46%) Hb. 100, RBK. 5 Mill. Es wurde Ruhekur, kohlenhydratreiche 
Stunden diät durchgeführt. Insulin bis zu 52 E. am Tage, dazu Prolan und Unden. 
Während der dreiwöchigen Behandlung nahm die Kranke noch 1,0 kg abw 
Insulin hat völlig versagt, trotzdem die Ernährung oft gegen den Widerstand des 
Mädchens gut durchgeführt wurde. 

Dauer der klinischen Behandlung 25 Tage. 

Grundumsatz im Beginn — 25,2% (144 ccm O2 pro Minute). 

Grundumsatz am Schluß —20% (154 ccm Og pro Minute). 

Anfangsgewicht und Rohrerscher Index 45,5 kg (R. 1 . = 91,6). 

Gewichtsänderung unter Insulinmast — 1,0 kg. 

Verbrauchte Insulinmengen pro Tag (durchschnittlich) 39 Einheiten. 

Durchschnittliche Kalorienmenge in der Nahrung pro Kilo 62 . 

Durchschnittliche Harnmenge 520 ccm. 

Durchschnittliche Dichte des Harns 1032. 

Den Klinikern war aufgefallen, daß M. Y. eine depressive negativistische Haltung 
aufwies, allerdings war daraus nicht der Schluß gezogen worden, man solle eine see¬ 
lische Behandlung versuchen. Als das Körpergewicht weiter ständig abnahm, wurde 
noch von klinischer Seite ein Versuch mit klimatischer Beeinflussung im Hochgebirge 
gemacht, um im Sinne einer Leistungssteigerung Einfluß zu nehmen, sowohl auf das 
inkretorische System als auch die Psyche. Ein vierwöchiger Aufenthalt im 
Engadin, 1800 Meter hoch, war ein völliger Mißerfolg. Das Gewicht nahm rapid 
bis auf 35 kg ab, die allgemeine Schwäche wurde so erheblich, daß man sich auf 
einen infausten Ausgang vorbereitete. Die Patientin hatte nach der Rückkehr vom 
Engadin, am 19. März 1931, ein Gewicht von 33,7 kg. Im Überweisungsbericht der 
bettlägerigen Patientin des Arztes aus dem Engadin heißt es u. a.: In den letzten 
Wochen zunehmende Adynamie, Anergie. Der Appetit ist minimal, auffallend 
auch das Durstgefühl. Patientin ist grauenhaft abgemagert, sehr schwach, psychisch 
manchmal eher euphorisch, manchmal völlig energielos. Die Haut ist sehr trocken, 
kalt, Akrozyanose. Ständig Frieren. Der Schlaf ist oberflächlich und kurz. Die Ver- 






446 


Heinrich Meng 


dauung sehr erschwert, durch Spasmen, die auf Belladonna etwas geringer wurden. 
An den inneren Organen konnte kein auffallender Befund erhoben werden. Die 
Intelligenz scheint nicht gehtten zu haben. Auffallend niederer Puls von 46—54, 
der enorm weich ist; Blutdruck 65/99 mm Untertemperaturen 35,2 bis 

36,4® C. Die Blut- und Stoffwechsellagebefunde entsprachen den früheren. 

Die tastenden Versuche, die Kranke durch eine andere Art vorwiegend körperlich 
eingestellter Therapie in den nächsten Monaten zu fördern, verliefen negativ. Das 
Gewicht hob sich gelegentlich, aber eine grundsätzliche Änderung trat nicht ein. 



P. gibt den Zeitpunkt an, wann eine seelische Therapie eingesetzt wurde und wie all¬ 
mählich sich die Gewichtskurve änderte. Über die Technik meiner Behandlung 
sei folgendes bemerkt; 

Eine exakte psychoanalytische Behandlung konnte ich bei einer Patientin, die 
seit Monaten von mir körperlich behandelt war, nicht vornehmen. Freud und 
seine Schüler haben in ihren Veröffentlichungen über die Technik der Psychoanalyse 
gezeigt, weshalb eine kombinierte Behandlung zu unterlassen ist. Bei der Unsicher¬ 
heit, ob überhaupt eine Psychotherapie sich als brauchbar erwiese, und ob das Auf¬ 
geben aller anderer als rein seelisch wirkender Eingriffe zu verantworten sei, blieb, 
wenn kein Arztwechsel stattfinden sollte — und er wurde von den Eltern und der 
Patientin abgelehnt —, nur der Versuch einer Therapie, die etwa dem älteren 
kathartischen Verfahren Freuds entsprach, also jener Phase der Psychoanalyse, in 
der die Hypnose aufgegeben war und die Katharsis bei vollem Bewußtsein durch- 
geführt wurde, zunächst „eingestreut“ in die bisherige Behandlung. Ein direkter 
Vergleich mit früher läßt sich deshalb schwer durchführen, weil der heutige 
Psychoanalytiker, der die 35 Jahre psychoanalytischer Entwicklung kennt, die alte 
Methode mit anderen theoretischen Voraussetzungen und praktischen Erfahrungen 
anwendet. Die Patientin war damit einverstanden, bewußt nichts zu verschweigen 
und den Versuch der freien Assoziation durchzuführen. Es wurde ihr versichert, 
daß der Arzt alle ihre Mitteilungen mit niemandem besprechen werde, also strengste 
Diskretion zugesagt. 











































Das Problem der Organpsychose 


447 


Über den Ausgang der Behandlung folgendes: M. Y. ist praktisch gesund und 
leistungsfähig, auch nach dem Bericht vom Sommer 1934. Die Nachkontrolle Früh¬ 
jahr 1933 veranlaßten Grote und mich zu folgender gemeinsamen Fest¬ 
stellung, nachdem die frühere Patientin noch einmal einer kurzen klinischen Beob¬ 
achtung unterzogen war: 

Das Körpergewicht betrug nunmehr 56,6 kg bei einer Körperlänge von 171 cm, 
der Rohrersohe Index also 113,2. Bei den zwei Untersuchungen (18. u. 19. Mai 
1932) an zwei aufeinanderfolgenden Tagen fanden wir bei eiweißarmer Kost einen 
Grundumsatz von rund —20%. Am 21. Juni 1933 fanden sich die gleichen Ver¬ 
hältnisse noch vor. Am Tag nach eiweißarmer Kost betrug der Grundumsatz 
— 16,8%, bzw. — 19,8%. Das Körpergewicht 65 kg, der Rohrersche Index also 130, 
ein normaler Wert. Damit ist also gesagt, daß trotz der jetzt befriedigenden Ge¬ 
wichtsverhältnisse, der klinisch wiederhergestellten Gesundheit und des ausgezeich¬ 
neten subjektiven Zustandes bei voller geistiger und körperlicher Leistungsfähigkeit 
die grundlegende Stoffwechselabweichung weiter besteht. Man würde also damit 
zu rechnen haben, daß unter gegebenen psychophysischen Umständen ein Rückfall 
erfolgen könnte. Das Mädchen lebt ohne jede Hormonzufuhr und jede Behandlung. 
Die Periode ist wieder eingetreten. Wir haben in diesem Befund ein schönes Bei¬ 
spiel für den Begriff der Responsivität, den der eine von uns (Grote) vor 
Jahren für solche Zustände vorschlug, bei denen eine vorhandene erhebliche Ab¬ 
weichung von der statistischen Norm doch mit einer gesundhaft erscheinenden, voll 
leistungsfähigen Persönlichkeit vereinbar ist. Trotz des pathologischen Verhaltens 
des Grundumsatzes sprechen wir in diesem Fall nicht mehr von Krankheit. 

„Unsere Mitteilung einer gelungenen Insulinmastkur bei hypophysärer 
Magersucht — auf sie gehe ich bei dieser Publikation nicht ein — ist nichts 
Besonderes. Eine Simmonds’sche Erkrankung, die unter hormonaler Behand¬ 
lung resistent bleibt, aber unter seelischer Behandlung sich beeinflussen läßt, ist 
schon bemerkenswerter, weil sie die Problematik jedes Verfahrens zeigt und 
wielleicht zu einer erweiterten Auffassung der Pathogenese führen könnte. Wir 
meinen nicht, daß die Restitution hier ,spontan‘ erfolgt ist, denn vor Ein¬ 
setzen der Psychotherapie wäre sozusagen Zeit genug für eine spontane Re¬ 
mission gewesen. Wir haben keine klare Vorstellung davon, wie eine Psycho¬ 
therapie einen endokrinen Mechanismus in Bewegung setzt.‘‘ 

V. 

Wir wollen nun unter Annahme einer „Organ-Psychose“ die Brauchbarkeit 
dieses Begriffes an den Beobachtungen, namentlich der Vorläufer der Krank¬ 
heit, prüfen. Bei einer Gruppe von Kranken war der Ausbruch der Erkrankung 
durch eine Depression eingeleitet, in deren Verlauf Entfremdung und De¬ 
personalisation auftraten, auch spätere depressive Schübe wiesen diese Er¬ 
scheinungen auf. Die beobachteten Ich-Vorgänge machen es wahrscheinlich, 
daß sich bei jeder Ich-Einschränkung, wie Federn auch in seinem Luzerner 
Kongreßvortrag 1934 beschrieb, Depersonalisationsvorgänge abspielen. Auch 
die Grenze zwischen Körper und Umwelt wird in manchen Fällen unscharf. In 









448 


Heinrich Meng 


homosexuellen und bisexuellen Phantasien zeigen sich paranoische Reaktionen, 
bei denen die Mutter als Verfolger auf tritt. Unter den seelischen Mechanis¬ 
men des Krankheitsprozesses spielt die Regression zu Identifizierungen, meist 
auf die Stufe des oralen Narzißmus, eine bedeutsame Rolle. An den Fixierungs¬ 
stellen liegt es wohl, daß bei der Regression eine Zeit gewählt wird, in der 
Passivität, Unlust zum Ergreifen, Halten und Sicheinverleiben vorherrscht. 
Diese Unfähigkeit, zum mindesten diese Unlust zu Angriff wie zur Verteidi¬ 
gung, erklärt die Hilflosigkeit, über welche die Kranken — nicht nur Mager¬ 
süchtige, sondern auch hypochondrisch Verstimmte — stets klagen und an 
der sie auch tatsächlich leiden. Die allgemeine Stagnation und Starre des pas¬ 
siven Verhaltens zeigt aber nicht die eigenartige Spannung der Neurotiker 
oder Psychotiker, welche besonders masochistisch geblieben sind. Ein solcher 
ist immerhin noch produktiv und schafft, zum mindesten in der Phantasie, 
stets neue Variationen und Steigerungen der passiven Situationen. Auch ist 
die masochistische Passivität erschöpfbar. Noch weniger hat diese apathische 
Inertia etwas mit der Katatonie zu tun, bei welcher komplizierte unbewußte 
Situationen und Konflikte unter der Untätigkeit walten. Wir müssen hier 
annehmen, daß es der reine Wiederholungszwang sei, die Trägheit des libido¬ 
losen Seins, das nur nicht stirbt. Das wäre die metapsychologische „Adyna- 
mik‘" solcher Organpsychosen. Dieser tiefen Regression und Triebentmischung 
entspricht es, daß die Lustprinzipien, Lust-Unlustprinzip und Realitätsprinzip, 
kaum zur Geltung kommen, höchstens noch im symbolischen Denken, welches 
vielfach an Stelle des logischen tritt. Alle diese Störungen erfassen aber kaum 
je die ganze Persönlichkeit, es sei denn, daß ein Kranker in eine Phase schwer¬ 
ster hypochondrischer Melancholie eingetreten ist. 

Für die Klinik der „Organ-Psychose‘‘ scheint mir das Fehlen von Schmerz 
und Masochismus — in engerem Sinn — auch das Aufhören der Funktionen 
typisch zu sein. Wir trennen also die Begriffe des Masochismus von Passivität 
und Untätigkeit. Es entsteht der Eindruck, daß sich um so weniger Masochis¬ 
mus entwickelt, je mehr die Destruktion isoliert zur Geltung kommt. 

Bei den weiblichen Patientinnen spielt in den Frühphantasien die Brust als 
erogenes Organ eine größere Rolle als andere Sexualobjekte. Während der 
Pubertätszeit wurde die Mamma von einer Patientin oft eng eingeschnürt, 
von anderen nur ängstlich kontrolliert, ob dieselbe — vor allem durch starkes 
Essen — nicht zunähme, sie meint, „wenn man ißt, wächst man, und jeder 
sehe der Brust die starke Sinnlichkeit des Menschen an‘‘. Exhibitionistische 
Tendenzen traten deutlich hervor. 

Als Identifizierung ist die des Mädchens mit der Mutter gegenüber der 
väterlichen stark bevorzugt und führt in eine homosexuelle Richtung. Vor 
allem spielt die Homosexualität die Hauptrolle in den Pubertätskonflikten. 
Mit dieser Art von Identifikation hängt es wohl auch zusammen, daß in der 




























Das Problem der Organpsychose 


449 


Tiefe der Mutterbindung die Angst wirksam ist, von der Mutter umgebracht 
(aufgefressen?) zu werden. Freud hat in seiner Arbeit „Über die weibliche 
Sexualität"' in dieser Abhängigkeit von der Mutter den Keim späterer Paranoia 
des Weibes gesehen. Unser Material bestätigt seine Annahme, daß die Angst, 
umgebracht zu werden, einer Feindseligkeit entspricht, die sich im Kind gegen 
die Mutter infolge der vielfachen Einschränkungen der Erziehung und Körper¬ 
pflege entwickelt. Der Mechanismus der Projektion wird durch die Frühzeit 
der psychischen Organisation begünstigt. 

Die Übertragung gestaltete sich, vor allem bei den von uns behandelten 
weiblichen Magersüchtigen, anders als bei den Neurotikern, sie ist unverlä߬ 
lich, gelegentlich stürmisch, meist unpersönlich und negativistisch, paranoisch 
und narzißtisch. Federn sieht in solcher Übertragung eine charakteristische 
Schwierigkeit der Analyse von Psychosen. 

Als aktueller Anlaß für den Beginn der Erkrankung, oder der Er¬ 
scheinungen, die ihren späteren vollen Ausbruch vorbereiten, ist die Puber¬ 
tät hervorzuheben. Auffallenderweise wurde bei drei Patientinnen in Er¬ 
fahrung gebracht, daß sie eine ironische Bemerkung in der Pubertätszeit über 
die spontane Körperentwicklung durch die Reifung sehr ernst nahmen; sie 
brachte als Reaktion auf die erwähnten exhibitionistischen Tendenzen den 
trotzigen Entschluß in Gang, der natürlichen Entwicklung sich entgegenzu¬ 
stemmen. Aussehen wie eine erwachsene Frau und normale Körperfülle haben 
bedeute Sinnlichkeit, es verrate eine starke Sexualität. Bei zwei Patienten 
war die Fiauptfrage, welche Mittel zur Verfügung stünden, um ein plötzlich 
einsetzendes Dickwerden abzubremsen. Hier reihten sich Phantasien 
über enorme Körperausdehnung und Schwangerschaftsbefürchtungen an, die 
über das neurotische Maß hinausgingen und an die Größenwahnideen der 
Psychotiker erinnern. Eine Patientin fürchtete vor allem, daß Dickwerden 
unbedingt zu Steifwerden der Gelenke führe und daß sie nicht wisse, was man 
gegen dieses Steifwerden prophylaktisch tun könne. Die Patienten vermieden 
auch deshalb das Essen, weil sie zeitweise — vor allem am Anfang der Er¬ 
krankung — sich nach dem Essen kleiner Mengen schlecht oder vergiftet fühl¬ 
ten, auch erregt wurden; das erprobte Gegenmittel war starke Körperbewegung. 
Eigentliche Ekelgefühle — die für neurotische Eßstörungen charakteristisch 
sind — fehlten meist; im Vordergrund standen passive Uninteressiertheit und 
entsprechende Apathie, Kaufaulheit, Fehlen jedes Verlangens nach Nahrung. 
Eine Patientin schilderte, daß, wenn sie sich trotzdem zu essen vornähme, eine 
innere Stimme sie vor den Folgen des Dickwerdens warne: diese Stimme wurde 
als die der Mutter erkannt. Die anschließenden Einfälle liefen darauf hinaus, 
daß die Mutter jeder Unbeherrschtheit des Kindes entgegengetreten sei, später 
in der Pubertät jede Äußerung, die an das sexuelle Problem erinnerte, zurück¬ 
wies und stets meinte, das würde ihre Tochter erst nach Jahren verstehen. Um 
sich zum Essen zu zwingen — es war ohne Erfolg — trat die Patientin vor 








450 


Heinrich Meng 


den Spiegel, beschimpfte sich, sagte, sie sei eine Vogelscheuche, häßlich, kein 
Mensch würde sie in diesem Zustand ansehen oder lieben. 

Diese am Ich sich abspielenden Konflikte verstärkten die Depression. 
Der Sadismus, der früher der Mutter und den Objekten galt, hatte ein über¬ 
strenges Über-Ich gebildet; seine chronischen Konflikte mit dem Ich disponier¬ 
ten zu narzißtischen, neurotischen Symptomgestaltungen, eine Bestätigung für 
Beobachtungen anderer Autoren. So taucht nochmals die Frage auf, weshalb 
aus psychologischen Gründen die Frau zu bestimmten Erkrankungen mehr 
disponiert ist als der Mann. Freud hat in seiner Einführung des Narzißmus 
betont, daß die Frau durchschnittlich stärker narzißtisch sei als der Mann. 
In seiner späteren Arbeit über die psychischen Folgen des anatomischen Ge¬ 
schlechtsunterschiedes vermutet er deren enge Korrelation mit der Modifika¬ 
tion ihrer Über-Ich-Bildung und bestimmten Charakterzügen der Frau, z. B. 
daß die Frau weniger Rechtsgefühl zeige als der Mann, weniger Neigung zur 
Unterwerfung unter die großen Notwendigkeiten des Lebens, sich öfters in 
ihren Entscheidungen von zärtlichen und feindseligen Gefühlen leiten lasse. 
Hanns Sachs zeigte bei einer Zusammenfassung seiner klinischen Beobachtung 
von Frauen mit stark ausgebildetem Über-Ich, daß es den Mädchen relativ 
selten gelänge, die Ödipussituation mit der Fähigkeit zur wirklichen Ent¬ 
sagung abzuschließen. Gelänge das nicht, so weise ihr Über-Ich gegenüber dem 
des Mannes typische Mängel auf. Grund für das Mißlingen sei die stärkere 
Neigung, bei Enttäuschungen in der Ödipussituation partiell zum Oralen zu 
regredieren. Ich vermute an Hand unserer Beobachtungen, u. a. an Mager¬ 
süchtigen, daß die Voraussetzung zur zunächst mangelhaften und dann später 
überstürzten Über-Ich-Bildung in der Stellung des kleinen Mädchens zur 
Mutter beruht. Die Identifizierung mit ihr in der präödipalen Zeit ist bei den 
später an Magersucht Erkrankten viel intensiver und totaler als sonst 
üblich ist und damit auch stärker narzißtisch. Die Lähmung des Ichs in der 
Identifizierung erschwert die Konflikte der Ödipussituation und die normale 
selbständige und allmähliche Über-Ich-Bildung. 

Wir stellen als Hypothese auf, daß das Modell der die organische Erkran¬ 
kung einleitenden Ich-Deformierung in der abnormen Ich-Deformierung der 
Frühkindheit gegeben ist, in deren Genese die Mutter die führende Rolle 
spielte. Auf den Rückzug von Organlibido von erogenen Zonen, vor allem 
von der eigenen Brust und durch die starke Besetzung der Mutter als Objekt, 
folgte eine Angleichung des Ichs an die verschiedenen Mütter in der Reihe 
ihres verschiedenen Verhaltens dem Kind gegenüber. Am stärksten trat die 
strenge, asketische, entsagende und unerbittliche Mutter hervor. Sie war es, 
die vom Anfang an jede sexuelle Regung bewachte und jede leise körperliche 
Regung als sexuell und damit als unerwünscht bekämpfte. Als das Mädchen, 
in die Pubertät getreten, gehorsam wie früher fragte, ob es sich nach der Tanz¬ 
stunde von einem Schulfreund auf die Wange küssen lassen dürfe, wurde das 































Das Problem der Organpsychose 


451 


verboten, im inneren Einverständnis mit der Fragenden selbst. Wir dürfen 
meinen, daß eine in normaler Art selbständig gewordene Tochter diese Frage 
nicht stellen oder die Antwort ablehnen würde. 

In der Frühkindheit spielte bei unseren Kranken das Essen eine wichtige 
Rolle, ohne daß typische Eßstörungen nachgewiesen wurden. Bei einer Neur¬ 
ose würde die frühkindliche Eßstörung zur Anamnese gehören. Die Mutter 
ist die orale Verwöhnerin der Frühkindheit gewesen, war aber sonst streng 
und asketisch. Für das Überwiegen der Mutter waren oft akzidentelle Ur¬ 
sachen dazugetreten. Die eine Patientin wächst durch den frühen Tod des 
Vaters nur bei der Mutter auf, bei anderen Patientinnen scheint die negative 
Ödipusbindung primär und lange wirksam. Eine stark betonte Deckerinnerung 
der Patientin ohne Vater war die Phantasie, daß sie im Alter von 3 oder 
4 Jahren für die kranke Mutter kocht und sie mit besonders gutem Essen ver¬ 
sorgt. Es taucht daran anschließend Material auf, das die Kastration seitens 
der Mutter hervorhebt. Die Kastration wird durch die Identifizierung mit 
ihr akzeptiert und in ihrer Tatsächlichkeit vermieden und so für die spätere 
homosexuelle Bindung das Fundament gelegt. In der Latenz kommen Phasen 
vor mit dem Versuch, die Oralität zu sublimieren. Dabei scheint die Latenz¬ 
zeit schon mit 4 oder 5 Jahren einzusetzen, wohl als Folge der frühen Über- 
Ich-Abgrenzung. Vor Ausbruch der Magersucht — wie wir es sonst oft vor 
dem Ausbruch eines schizophrenen Schubes sehen — treten intellektuelle, 
wissenschaftliche und künstlerische Interessen besonders hervor, in ihrem Ver¬ 
lauf werden diese Besetzungen aufgegeben, meist mit Abwendung von der 
Umwelt. Denkstörungen sind der Ausdruck dieser Zurückziehung und wer¬ 
den zur Rationalisierung des Interesseverlustes ihrerseits benützt. Durch all 
das wird das Ich gelähmt und verfällt der Passivität. 

Schon vorher ist die Vereinheitlichung zu einem stabilen Ich 
durch die übermäßige narzißtische Identifizierung wieder aufgehoben worden 
oder sie kam überhaupt nicht zustande. Unter den Objektbesetzungen von 
Umwelt und Körperorganen werden nur solche zugelassen, die von der Mutter 
erlaubt sind. Was aber an Befriedigungsmöglichkeit, an Organ oder Umwelt, 
entgegen dem Gebot der Mutter übrig bleibt, wird zur Identifizierung im 
Subjekt verwendet. Die homosexuelle Identifizierung führt zu gesteigerter 
Selbstbeobachtung des Körpers und der Triebe, d. h. es werden körperliche 
und triebliche Empfindungen so behandelt wie Objekte, und gleichzeitig wird 
das eigene Genitale zum Hauptträger des Narzißmus. Auf dem Gebiet des 
Denkens bedeutet dies eine Fixierung an die magisch-symbolische Stufe. Die 
narzißtische Identifizierung ist wohl auch dafür mit verantwortlich, daß im 
Aufbau des Körpers und des Körperschemas Defekte entstehen, die narzißtisch 
überbesetzten Organe lassen eine der inneren und äußeren Realität angepaßte 
Verteilung im Körperschema nicht zu. Vielleicht hängt es damit zusammen, 
daß Patienten bei einem Körpergewicht von 30,8 bzw. 33 kg nichts von 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XX/4 


31 










452 


Heinrich Meng 


einer normalen körperlichen Ermüdung empfinden, ähnlich wie Schizophrene. 
Die nur partielle Regression erklärt wohl auch die Bewegungslust, die von den 
Kranken meist ich-fremd wie ein „fremder Impuls“ geschildert wird. 

Ihr Körperschema weist Defekte auf, wohl als Folge, daß der Narzißmus auf 
Kosten der objektlibidinösen Besetzungen gesteigert ist. Wir gehen von der 
Annahme Schilders aus, daß die Antriebe zur libidinösen Besetzung der 
einzelnen Körperteile vom Körperschema aus erfolgen. Das Körperschema re¬ 
präsentiert den Körper; dieses ist für den Narzißmus Gegenstand libidinös be¬ 
setzter Wahrnehmung und Vorstellung. Hierbei ist das Ich als Beobachter und 
als Sammler für Empfindungen bereits in einer Vorform tätig; auf Grund von 
Sinneseindrücken entwickelt sich das Körper-Ich und teilt die Libido dauernd, 
je nach dem Reiz- und Befriedigungserlebnis. Die Libidoverteilung — und 
mit ihr die früheste Ich-Struktur — ist aber auch abhängig von der phylo¬ 
genetischen Vorgeschichte des Narzißmus. Durch die vererbte Bedeutung des 
Sexus und der Sexualorgane ist deren narzißtische Besetzung „eingefleischt“, 
so daß Störung und Schädigung regressiv zu narzißtischen pathologischen Pro¬ 
zessen im individuellen Leben disponieren. Daß die Sexualorgane narzißtisch 
besetzt sind, gilt für beide Geschlechter. Diese Besetzung wirkt, wie psycho¬ 
analytisch nachgewiesen wurde, in verschiedener Weise. Freud betont, daß 
das Ich vor allem ein körperliches Ich sei, die Perzeption des eigenen Körpers 
ist sein Kern. Der anatomische Unterschied zwischen den Geschlechtern läßt 
auch die reale und phantasierte Perzeption des Körper-Ichs eine andere sein. 
Die besondere Rolle dieser Anteile des Ichs zeigt sich bei Erkrankungen inso¬ 
fern, als manche Krankheiten oder Krankheitsformen vorzugsweise eines der 
Geschlechter befallen, oder daß der Verlauf je nach dem Geschlecht ein anderer 
wird. Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß für die Prädestination 
eines Geschlechtes noch viele andere biologische Gründe maßgebend sind. Es 
muß auch bedacht sein, daß das W (Weininger) der anatomischen Kon¬ 
stitution nicht nur der Frau zugehört, sondern auch bei allen mehr bisexuell 
veranlagten Männern, wahrscheinlich bei allen Männern nachweisbar ist; es 
repräsentiert daher die „weibliche Natur“ den weiblichen Konstitutionsanteil 
auch beim Manne. Max Hartmann weist darauf hin, daß bei niederen Lebe¬ 
wesen jede einzelne Zelle die materiale (weibliche) und die lokomotorische 
(männliche) Komponente noch nebeneinander enthält und ihre „Sexualität“ 
eine „relative“ Eigenschaft ist, insofern ein und dieselbe Zelle einer weiblicheren 
gegenüber männlich, einer männlicheren gegenüber weiblich sich benehmen 
kann. Beim Aufbau des Körperschemas in der primär narzißtischen Phase 
dürften sogar die libidinös besetzten Zellen und deren bisexuelle Struktur 
(Fließ) mitwirken. In der sekundär narzißtischen Phase tritt die Wirkung 
der anatomischen Differenzierung immer intensiver hervor. Denn wir sprechen 
vom sekundären Narzißmus nach Freud, wenn Objekte mit ihren Besetzun¬ 
gen wieder in das Ich einbezogen wurden. An diesen Objekten war nun der 





























Das Problem der Organpsychose 


453 


Geschlechtsunterschied vor oder nach der Einbeziehung in das Ich gemerkt 
worden; das wirkt auf das Ich, zu dem sie nun gehören, zurück. Die Vor¬ 
stellung vom eigenen Ich, namentlich der Grad der Besetzung des eigenen 
Genitales, wird dadurch geändert und zum Teil unlustvoll, zum Teil wird es 
ganz ignoriert — an anderen Fällen aber, namentlich wenn der Kastrations¬ 
komplex bald überwunden wurde, besonders lustvoll überbetont. Auf diese 
Einflußnahme des Gesamtkomplexes (Kastrationskomplex, Penisneid und 
Penisstolz, Grauen vor der Vagina, vielleicht nach der Meinung mancher 
Autoren auch Bejahung der Vagina, Menstruationskomplex nach Daly) auf 
das Werden des Ichs wurde noch wenig hingewiesen. Wir meinen nun, daß 
noch vor diesen Einflüssen, welche die Formation des sekundären Narzißmus 
bestimmen, schon in der primär narzißtischen Phase das Ich sich unter dem 
Einfluß der pränatal beginnenden Entwicklung von selbst spezifisch männlich 
mit Betonung der wachsenden äußeren Genitalien, und spezifisch weiblich mit 
Ignorierung der gleichsam verkümmernden äußeren Genitalien (Kompensation 
durch Betonung des Gesamtkörpers) entwickelt. Die spätere Kenntnisnahme 
vom Genitalunterschied an den Objekten verstärkt dann im Falle der normalen 
Entwicklung diese Differenz in der Bildung des Ichs je nach dem Geschlechte. 
Selbstverständlich stützen wir uns bei dieser Annahme auf Gesamteindrücke, 
nicht auf Beobachtungen; diese stehen aber mit der Annahme in Einklang und 
bestärken sie. Wir stimmen damit auch mit der allgemeinen Ansicht 
überein, nach welcher bei normaler Anlage und Unterstützung derselben durch 
die Einflüsse der Erziehung schon im Säuglingsalter das Wesen und Selbst¬ 
gefühl — darin äußert sich der primäre Narzißmus — je nach dem Geschlechte 
verschieden sind. 

Solche tief zurückgreifende Zusammenhänge erklären das Auftreten der or¬ 
ganischen Erkrankungen in der Zeit der modifizierten Wiederholungen der 
Frühkindheit, in der Pubertät. Wir verstehen aber vielleicht auf Grund 
unserer Annahme auch eher das Zustandekommen eines typischen Leidens 
unserer Kranken, nämlich der Depersonalisation. Wenn das Ich schon bei 
seinem Entstehen mit der Entwicklung des Organismus innig verbunden ist, 
so muß es auch später bei tiefen Störungen in der inneren Harmonie der 
I.ebensvorgänge, also vor allem des hormonalen Zusammenstimmens versagen 
und vice versa. Dem Ich obliegt die Zusammenhaltung, Steuerung von Be¬ 
setzungen des Körpers und der Seele; das Ich steht aber immer Änderungen 
dieser Besetzungen gegenüber, die vom Es, dem Körper und der Außenwelt 
kommen. Kann das Ich diesen Besetzungen mit der Ich-Grenze nicht folgen, 
so entsteht nach Federn die äußere oder die innere Entfremdung, die De¬ 
personalisation. Bei der Schilderung ihrer Depersonalisation klagen unsere Pa¬ 
tienten auch darüber, daß sie keine echte Liebe und keinen echten Haß fühlen 
und bezeichnen sich dazu als unfähig. Zum Teil kommt das daher, daß die 
vorzeitige homosexuelle Identifizierung mit der Mutter auf präödipaler Stufe 


31* 











454 


Heinrich Meng 


die genitale Reifung hemmt. Jedenfalls wird das Ich gelähmt. Es muß re¬ 
lativ viel Libido auf einer formal und inhaltlich tiefen Stufe ihre Verwen¬ 
dung gefunden haben und fixiert sein. So erfolgt die weitere Entwicklung 
nicht mehr mit normaler Besetzung der sich formenden Organe. Das Kind 
erschrickt vor dem eigenen W^achstum, hinter welchem das Ich zurückblieb. 

Das tritt dann in der Pubertät zutage. Die Beobachtung der physiologischen 
Gewichtszunahme in der Pubertät hat starke Angstanfälle ausgelöst. Die Be¬ 
obachtung, daß sie „stark“ würde, nachdem ihr schon die Zunahme der Brust, 
das Wachsen der Haare, die erste Blutung und das Verhalten der Umwelt 
Unruhe ausgelöst hatten, führte auch zu einer Art Entfremdung gegenüber 
dem alten Ich vor der Pubertät. Vorgänge in dieser Zeit der Reifung und 
später bei Überlegungen und Vorstellungen anläßlich einer Ehewahl wurden 
zu aktuellen Antrieben und „exhibitionistischen“ Provokationen, die zu 
Libidostauung und Regressionen den Anstoß gaben. Dem entspricht der de¬ 
pressive Charakter. Diese schwere Verstimmung und auch der Mangel an 
jedem Gesundheitswillen scheinen tiefen, ungeklärten Triebschicksalen auf der 
Seite der Aggression und der Vernichtungstendenzen zu entspringen. So wie 
zu viel Libido im Ich verblieben ist, so auch zu viel des Destruktionstriebes, 
und so wird das Ich zum Gegenstand der Selbstzerstörung. Die Krankheit, 
der ein längeres Kränkeln vorausgeht, ist ein Ausdruck dieser Tendenz. Eine 
Patientin vergleicht ihre Einstellung zur Waage, die wöchentlich fixieren soll, 
ob eine Gewichtszunahme stattfände, damit, daß sie auf dem Schafott hinge¬ 
richtet würde. Sie fürchtet die Gewichtszunahme und will sie doch gleich¬ 
zeitig. 

Bedeutungsvoll wird die Ambivalenz für den Aufbau der organischen 
Krankheit. Das Ich verhält sich ambivalent zu beiden Trieben, der Kranke 
haßt sich und ist ständig mit sich beschäftigt. Er haßt die Krankheit und lebt 
doch ganz für sie und in ihr. Die Identifizierung mit der Mutter, die über¬ 
streng und asketisch fortwirkt, mobilisiert den Aggressionstrieb in Form der 
Selbstkastration (Entfernung erogener Zoner, vor allem von Brust, Gesäß und 
Fettpolster) und Krankheitswillen. Die masochistischen Phantasien und Re¬ 
gungen in Assoziationen und Träumen sind nicht nur oral-kannibalistischer 
Genese, sondern wollen auch die Ergebnisse der Identifizierungsprozesse mit 
der bösen und verbietenden Mutter wieder nach außen projizieren. 

VI. 

Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft ist eine Entscheidung darüber 
nicht möglich, ob ein Organsymptom Ursache oder Folge einer Neur¬ 
ose oder Psychose ist. Diese Frage hat zuerst Felix Deutsch aufgeworfen; 
sie ist wahrscheinlich nur eine vorläufige. Die Biologie kann schon den Nach¬ 
weis erbringen, daß jede psychische Einwirkung einen gewissen Chemismus in 
Gang setzt und jeder somatische abnorme Vorgang eine psychische Alteration, 































Das Problem der Organpsychose 


455 


wenn der dagegen vorbereitete dynamisch-ökonomische Schutz versagt. Die 
psychische Reaktion schützt sozusagen das Organ durch die psychische Er¬ 
ledigung — die organische Krankheit kann vice versa die Psyche vor Krank¬ 
heit bewahren. Wir halten es für unwahrscheinlich, daß es eine „hypophysäre 
Psychose“ im eigentlichen Sinne des Wortes gibt. Die Hypophysenänderung 
mag mit zu den Folgen der Psychose gehören und ihrerseits die Symptome 
der Psychose steigern und umändern. Ich verweise auf die psychoanalytischen 
Publikationen von Ferenczi, Hollos, Schilder, vor allem über die pro¬ 
gressive Paralyse, ferner auf die von Seiten der psychiatrischen Forschung 
durch Monakow und auf die von Spielmeyer im „Handbuch der Geistes¬ 
krankheiten“ niedergelegten Ergebnisse der anatomischen Erforschung der 
Psychosen. Diese Frage hat (ich war Schüler Nißls) meine Aufmerksamkeit 
lange vor dem psychoanalytischen Interesse an diesem Problem beansprucht 
und meine Beobachtungen an organisch Kranken auch in dieser Richtung be¬ 
einflußt. Spielmeyer charakterisiert die Fragestellung in der heutigen ana¬ 
tomischen Forschung u. a. so: 

„Man möchte nicht nur wissen, welche Elemente effektorischen und welche 
rezeptorischen Charakter haben, sondern auch, welche mehr für die psychischen 
Vorgänge von Bedeutung sind. Man kann hier nicht vorsichtig genug sein, viele 
von den hier gezogenen Schlüssen sind allein schon erkenntnistheoretisch unhaltbar. 
Aber immer wieder werden die Autoren durch allerhand normal- und pathologisch¬ 
anatomische Befunde zur Beschäftigung mit diesen schwierigen und reizvollen 
Fragen angeregt. Ich erinnere an Oskar Vogts eingehende Untersuchung des Lenin¬ 
schen Gehirns. Er fand dabei auffallend große Pyramidenzellen in der Hirnrinde. 
Vogt setzt diesen Befund mit gewissen ungewöhnlichen geistigen Fähigkeiten Lenins 
in enge Beziehung. Vogt sagt, ,daß sich Lenin durch eine besondere Willensstärke 
und durch die ganze Art seines Denkens von anderen Menschen unterschieden 
habe. Diese besondere Art des Denkens wird dahin präzisiert, daß sich der Ge¬ 
dankenablauf bei ausgesprochen origineller Gestaltung, vor allem bei einer be¬ 
wunderungswürdigen Selbstkontrolle seiner Gedanken ungewöhnlich schnell ab¬ 
spielte. Nach unserem bisherigen Wissen mußte man an eine besondere Ausbildung 
der Zellen der dritten Schicht denken, da die Zellen dieser Schicht vor allem die 
Verbindung zwischen den verschiedenen Rindenfeldern darstellen. — Es hat sich 
nun tatsächlich herausgestellt, daß im Leninschen Gehirn die Zellen der dritten 
Schicht einer großen Reihe von Rindenfeldern eine besondere Größe zeigen.* 

Neben der Vergrößerung der Ganglienzellen der dritten Schicht fand Vogt 
noch eine Zellverringerung dieser Schicht und eine Verschmälerung der vierten. 

Solche Ausdeutung verlangt natürlich eine Auseinandersetzung mit der 
Erkenntnistheorie. Aber auch rein anatomisch erhöhen sich die Schwierig¬ 
keiten der Bewertung solch außergewöhnlicher Verhältnisse durch das Vorkommen 
ähnlich scheinender Dinge in kranken Gehirnen. Ich habe in meiner Histopathologie 
ein Bild von einer Purkinjezelle gegeben, die in allen Teilen ausgesprochen ver¬ 
größert war; solche Elemente fand ich bei sogenannten Kleinhirnatrophien. Von 
Nißl weiß ich, daß er in unvollständig degenerierten Thalamuskernen (nach ex¬ 
perimenteller Isolierung der Hirnrinde) Ganglienzellen mit abnormer Größe des 
Zelleibes und der Fortsätze sah. Wir haben in den letzten Jahren vielfach auf solche 
Bilder geachtet und fanden bei groben Zerstörungen, die besonders im jugendlichen 











456 


Heinrich Meng 


Alter, mitunter aber auch später auftraten, solche übergroßen Elemente in be¬ 
stimmten Zellschichten, z. B. sehr häufig in der zweiten Schicht.“ 

Die Befunde von Monakow bei Schizophrenen, deren Plexus chorioidei 
ein mehr oder weniger gleichartiges morphologisch-anatomisch-pathologisches 
Bild aufzeigten, lassen erwarten, daß die Hoffnung, Ergebnisse der anatomi¬ 
schen Psychosenerfassung zu erzielen, nicht unberechtigt ist. Die Unter¬ 
suchungen über die körperlichen Störungen der inneren Sekretion (Wuth, 
Speranski, Klienberger u. a.) zeigen aber, daß bisher die Befunde über 
die Spezifität eines Organdefektes für bestimmte Psychosen umstritten sind, 
auch die spezifischen Sektionsbefunde von Menschen, die im Endzustand von 
Psychosen zugrunde gingen. Psychoanalytische Pionierarbeit zur Klärung der 
Frage der Rückwirkung anatomischer Defekte auf den Ausbruch seelischer 
Störungen verdanken wir Ferenczi, auch die Publikation Alkans über die 
anatomischen Organkrankheiten aus seelischer Ursache zeigt einen originellen 
Weg der Erfassung. Ferenczi ging bei seiner Pathoneurose von der Be¬ 
obachtung der Wirkung beim traumatischen Verlust der Geschlechtsorgane 
und der Potenz aus. Er formulierte die drei Bedingungen zum Entstehen der 
Pathoneurose: Es muß ein lebenswichtiges Organ verletzt sein, es muß beson¬ 
ders libidinös betont sein und das Individuum besonders narzißtisch. Beson¬ 
ders instruktiv sind die Ergebnisse der klinischen Untersuchungen V. von 
Weizsäckers („Körpergeschehen und Neurose“), vor allem der Abschnitt 
über die Deutung der Angina als Krankheitsprozeß und über die Rolle der 
Bisexualität und der paranoiden Projektion in der Symptombildung. 

VII. 

Wir haben im Anschluß an den Begriff einer „Organ-Psychose“ auch die 
Frage der seelischen Behandlung solcher organ-psychotischer Leiden aufge¬ 
rollt und überprüft, wieweit das Psychische im Ich der Kranken auch die 
organischen Vorgänge krank sein läßt. Wir kamen zur Annahme, daß bei 
einzelnen Organkranken, vor allem einzelnen Magersüchtigen, das Ich dieser 
Persönlichkeiten primär gestört ist. 

Zwischen der Arbeit Ferenczis und der unseren scheint zunächst ein 
Gegensatz zu bestehen; Ferenczi zeigt und erklärt das psychische Erkranken 
im Anschluß und als Folge organischer schwerer Schädigung, wir wollen die 
Annahme einer Organkrankheit als Ausdruck der Ich-Krankheit wahrschein¬ 
lich machen. Im Grunde ist aber nur das klinische Material bei d 6 n Patho- 
neurosen und den Organpsychosen ein anderes, unsere Grundauffassung ist 
die gleiche wie die von Ferenczi und mittelbar wie die von Freud. Es ist 
die Auffassung, daß dauernd abnorme Besetzung oder übermäßig abnorme 
auch von kürzerer Dauer das dieselbe tragende Organ oder System zur Krank¬ 
heit nicht nur disponieren, sondern auch krank machen können, obwohl die 
exogene Inanspruchnahme nicht die Grenzen der Norm überschritten hat; die 






















Das Problem der Organpsychose 


457 


exogene Inanspruchnahme selbst macht — hauptsächlich auch durch die pro¬ 
vozierte Besetzungsänderung — subjektiv krank. Diese Auffassung durchzu¬ 
führen ist eine Fortsetzung und Anwendung des dynamisch-ökonomischen 
Gesichtspunktes Freuds in metapsychologischer Hinsicht und seiner Auf¬ 
fassung der Aktualneurose im klinischen Arbeiten. Freud hat bereits die 
Hypochondrie als Aktualneurose bezeichnet und dadurch unserem Verständnis 
zugänglich gemacht und auch allmählich unserer Therapie: denn die Psycho¬ 
analyse heilt, ganz allgemein ausgedrückt, durch Beeinflussung der Be¬ 
setzungen. 

Mit Regressionen sind Schädigungen der Organe und Organsysteme ver¬ 
bunden. Es bleibt eine schwere Aufgabe, zu entscheiden, wieweit die Re¬ 
gression Folge oder Ursache der organischen Krankheit ist. Die Organe sind 
auch Träger der psychotischen Besetzungsänderung. Ihre Funktion ist quali¬ 
tativ geändert, sie kann ausfallen oder mit der entsprechenden Funktion auf 
eine verlassene Stufe regredieren. Auch die gebräuchlichen Diagnosen Hysterie 
und Neurasthenie bedeuten nach diesem Gesichtspunkt nicht mehr einheit¬ 
lich eine bloß neurotische Erkrankung, was die Klinik bestätigen kann. Die 
klinische Hysterie und Neurasthenie enthalten auch psychotische Elemente. 
Wir vermuten, daß die pathologischen Besetzungsänderungen nicht nur zu ge¬ 
störten Funktionen, sondern auch zu Schäden der Substanz von Organen 
führen. Der Gesichtspunkt der Organpsychose läßt tiefere Antriebe zur 
Prägung eines Symptoms annehmen und eher verstehen, daß bei Neurosen 
und Psychosen die Symptome phänomenologisch gleich sein können. Als Bei¬ 
spiel ihrer Verschiedenheit sei die im Verlauf der Magersucht beobachtete Ver¬ 
änderung der Menstruation angeführt. Sie steht in Parallele zu verwandten 
Vorgängen in der Melancholie und der Schizophrenie. Das stille und schmerz¬ 
freie Sistieren der Menses auf Monate und Jahre weist mehr auf die Psy¬ 
chose mit ihrer narzißtischen Regression hin, als auf eine neurotische Störung. 
Die vegetative Drosselung erinnert stärker an Selbstvernichtung und Todes¬ 
trieb, als es neurotische Störungen tun. Zur Neurose gehören hingegen mehr 
die Schmerzen verschiedenster Art, Unregelmäßigkeit der Menses, Frigidität 
und Störungen des Orgasmus. Gerade daß eine Enthemmung teils undifferen¬ 
zierter, teils prägenitaler Partialtriebe durch Regression in ganz frühe Phasen 
geschieht, erlaubt bei bestimmten psychogenen Organstörungen einen organ¬ 
psychotischen Prozeß anzunehmen. 

Wir wissen, daß das Ich erkranken kann, wenn die Versagung in der Außen¬ 
welt unerträglich wird und auch andere Abwehrmittel nicht ausreichten oder 
fehlten. Bei Organkrankheit oder Organdefekt kann aber auch das Ich er¬ 
kranken, weil die Organstörung die Befriedigung an der Außenwelt verhindert. 
Gibt es Organsysteme, die spezifisch vom Ich bei bestimmten Psychosen ge¬ 
stört oder anatomisch geschädigt werden? Die Magersucht ging in Heilung 
über, ohne daß der intermediäre Stoffwechsel in Ordnung kam, das Ich gab 












450 


Heinrich Meng: Das Problem der Organpsychose 


seine Störung auf. Hätte eine längere und tiefere Analyse den intermediären 
Stoffwechsel zur Norm geführt? Gibt es vielleicht Nachwirkungen bei Ich- 
Störungen, d. h. Affekt-Erschöpfungszuständen, die erst nach Jahren als Dispo¬ 
sition oder als Erkrankung von Organen zutage treten, als eine Sekundär¬ 
wirkung davon, daß das Ich nicht mehr gut synthetisch arbeiten kann? Es 
wäre möglich, daß Ich-Störungen je nach dem betroffenen spezifischen Ich- 
Teil bestimmte Organ- oder Organsystemstörungen einleiten. An der Organ¬ 
psychose ist auch die Beziehung zwischen Genitale und Ich einer klinischen 
Überprüfung zugänglich und ihre Beteiligung bei der Neurosenwahl, viel¬ 
leicht auch bei der Entscheidung der Wahl der Haut, Innenhaut, erogenen 
Zonen, Magen-Darmtrakt usw. 

Zum Schluß sei ein Gesichtspunkt hervorgehoben: Es ist die Immuni¬ 
sierung durch die Frühneurosen. 

Wir übersehen noch nicht die immunisierende Wirkung der Frühneurose 
gegen eine drohende spätere Psychose. Vorläufig hatten wir den Eindruck, 
daß bei Organpsychotikern typische kinderneurotische Störungen in der 
Anamnese auffallend spärlich sind. Es könnte sein, daß man später auf Grund 
eingehender klinischer Beobachtungen feststellt, daß die Neurose bereits ein 
Heilungsversuch ist, der das sich organisierende Ich zu späterer Abwehr gegen¬ 
über der Psychose befähigt. 

Melanie Klein hat in ihrer Kinderanalyse das Verdienst erworben, als 
erster analytischer Forscher die Psychose von Kindern unter 4 Jahren ana¬ 
lytisch beschrieben zu haben. Wir wissen noch nicht, wann der Psychosen¬ 
keim gelegt wird oder eine bei der Geburt schon vorbereitete Psychose durch 
neurotische Immunisierung aufgehalten oder „vernichtet“ werden kann. Unter¬ 
suchungen hierüber müßten unter Berücksichtigung der „Organpsychose“ 
fortgesetzt werden. 
































Beiträge zu einer Psyciiopathologie des Traumes 

Von 

Eduard Hitsdimann 

Wien 

„Es ist wohl kein 2 weifeE‘, sagt Freud in der „Traumdeutung^^, „daß eines 
Tages neben der Psychologie des Traumes eine Psychopathologie des Traumes 
die Ärzte beschäftigen wird/^ 

Schon elf Jahre nach Erscheinen der „Traumdeutung*^ im Vorwort der 
dritten Auflage, konstatiert Freud: „Die Deutung der Träume sollte ein 
Hilfsmittel werden, um die psychologische Analyse der Neurose zu ermög¬ 
lichen; seither hat das vertiefte Verständnis der Neurosen auf die Auffassung 
des Traumes zurückgewirkt.** 

Nun sind mehr als drei Jahrzehnte vergangen und es lohnt wohl der Mühe, 
die Aussichten für die Darstellung einer Psychopathologie des Traumes zu be¬ 
trachten, einer Lehre von den Träumen der Kranken. 

Unter der „Psychopathologie des Traumes** kann man nicht die Lehre vom 
krankhaften Traum verstehen. Denn i n gewissem Sinn sind alle Träume ein 
pathologisches Produk t, „das erste Glied in der Reihe abnormer psychischer 
Gebilde, von deren weiteren Gliedern die hysterische Phobie, die Zwangs- und 
die Wahnvorstellung** den Arzt beschäftigen. Bei dem allmählichen Übergang 
vom gcsun^n S^lisch^n ins krankhafte Seelische ist es nicht wahrscheinlich, 
daß ein einzelnerJTraum als krankhaft bezeichnet werden kann. Gewiß sind 
überlebhafte, überreichliche Träume, Träume, welche ihrerP Zweck, den 
Schlaf zu hüten, verfehlen und den Schlafenden aufwecken, bei Neurotikern 
häufiger; aber unter ungewöhnlichen Umständen sind sie auch beim Ge¬ 
sunden möglich. Angstträume kann man erzeugen, wenn man einem Ge¬ 
sunden im Schlaf die Herzgegend belastet. Selbst ein perverser Traum wird 
sich mit tatsächlicher Gesundheit verbinden können; Verdrängtes, das nur 
im Schlaf sich verrät, ist mit Erfolg verdrängt: „Der Tugendhafte begnügt 
sich von dem zu träumen, was der Böse im Leben tut** (Plato). 

Wie wir sehen werden, ist erst die Wiederholung gewisser Träume, 
ihre Häufung, ihre Veränderung gegen früher, Zeichen einer gewissen Charakter¬ 
veranlagung oder einer Erkrankung. 

Es wird weiterer Untersuchungen bedürfen, festzustellen, ob es „patho- 
gnomonische Träume** im engeren Sinne gibt; ich verweise hierzu auch 
auf meine weiteren Ausführungen. 

Inwieweit verfügen wir nach langen Jahren medizinischer Erfahrung über 
ein sicheres Wissen von Gesetzmäßigkeiten der Träume bei bestimm¬ 
ten Neurosen oder Charakteren? Was wissen wir über Änderungen der 
Träume während einer Analyse? Hat die Theorie der Neurosen durch die 











Eduard Hitschmann 


460 

Traumdeutung Erweiterung oder Bestätigung erfahren? Hat die Erfahrung an 
Krankenträumen die Deutbarkeit der Träume gefördert, z. B. die der so¬ 
genannten typischen Träume? Hat eine Untersuchung, die Freud seinerzeit 
als sehr dankenswert bezeichnet hat,‘ stattgefunden: nämlich über die Tat¬ 
sache der häufigen Wiederkehr des gleichen manifesten Traum¬ 
inhaltes bei verschiedenen Träumern? (Gemeint sind die Träume 
vom Gehen durch enge Gassen, vom Gehen durch eine ganze Flucht von 
Zimmern, die Träume vom nächtlichen Räuber... die von Verfolgung durch 
wilde Tiere... oder von Bedrohung mit Messern, Dolchen, Lanzen, die 
beide letztere für den manifesten Trauminhalt von an Angst Leidenden 
charakteristisch sind u. dgl.) 

Gerade die zuletzt genannten, so häufigen Träume vom Verfolgtwerden 
durch Räuber oder wilde Tiere, von mit Messern oder Lanzen usw. Bewaff¬ 
neten sind ein alltägliches Objekt der Deutung in der psychoanalytischen Be¬ 
handlung: sie sind längst erkannt als der Ausdruck unterdrückter passiver 
Wünsche, der Überwältigungswünsche von Frauen und Homosexuellen. Daß 
feminin-masochistische Wunschregungen dabei eine große Rolle spielen, steht 
fest. Die Träume des kindlichen Pavor nocturnus bedeuten auch direkt Kastra¬ 
tionsangst. Es handelt sich hier um Urregungen des bisexuell veranlagten 
Menschen, daher denn die Träume, als vereinzelte, allgemein menschlich sein 
mögen. Aber gehäuft, wiederholt werden sie zum Neurosensymptom, 
zum Zeichen der Angsthysterie und Angstneurose des weiblichen und der 
passiven Homosexualität des männlichen Träumers. 

Wir begegnen hier zum erstenmal der Feststellung, daß bestimmte Träume 
in den Analysen mehrmals gefunden werden; Träume, die jedermann in 
Phasen seiner Entwicklung gehabt haben kann, werden zum Zeichen eines 
bestimmten Charakters, einer bestimmten Veranlagung oder 
Krankheit, wenn sie oft und oft geträumt werden. Die Frage an den 
Träumer, ob er Träume habe, die sich seit seiner Kindheit oder durch lange 
Jahre wiederholen, scheint mir daher berechtigt. 

Ich konnte in der Verfolgung solcher Beobachtung wiederkehrender Träume 
feststellen, daß wiederholte Träume der Nacktheit oder unvollständi¬ 
ger Kleidung für die Befangenheitsneurosen (Errötungsangst), wieder¬ 
kehrende Prüfungsträ ume für Impotenz und Frigidität, solche vom 
Tode naher Verwandter für Zwangscharaktere und Zwangsneurosen, aber 
auch für gewisse Formen von Phobien (Angst aus unbewußtem Schuldgefühl 
wegen Aggression) charakteristisch sind. Der m asochistische Charakter (mo¬ 
ralische Masochismus) zeigt ganze Serien von Träumen des Mißlingens, 
odysseeartiger Ketten ausgesuchter Schwierigkeiten, Blamagen, Hmdernisser 
Erniedrigungen usw. im manifesten Trauminhalt. Es liegt nahe, für einen 


i) „Die Traumdeutung“, 5. Aufl., S. 269. 




































Beiträge zu einer Psychopathologie des Traumes 

Teil derselben Selbstbestrafungen anzunehmen; Alexander brachte den 
Nachweis dafür.^ 

Die tiefere Analyse solcher „Pech‘‘-Träumer ergibt mir allerdings, daß sie 
in der Kindheit auch des erogenen Masochismus fähig waren. 

Diesem Thema der Unlustträume sind in Freuds Traumdeutung schon 
manche Bemerkungen gewidmet. Wenn die peinlichen Vorstellungen, mehr 
oder weniger verändert, aber doch gut kenntlich in den manifesten Traum¬ 
inhalt gelangen, werde ein Zweifel an der Wunschtheorie des Traumes ge¬ 
weckt: „der Fall“, sagt Freud, „bedarf weiterer Untersuchung.“^ 

Sollte nicht Leidenslust des Es, Angstlust, Lust an Zwangssituation und 
Spannungsschmerz, Demutneigung, Bekenntnis zur eigenen Schwäche (Ka- 
striertheit) im Traum sich durchsetzen — als Ausdruck von triebhaftem 
Masochismus!? 

Die psychopathologische Betrachtung der Träume regt zu vielen Bearbeitun¬ 
gen unfertiger Probleme an. 

Bekanntlich versagt unsere Traumdeutungskunst gerade bei den „typischen 
Träumen“ in gewissem Grade; die Einfälle des Träumers pflegen auszubleiben 
oder sie werden unklar und unzureichend. „Man muß sich das bessere Ver¬ 
ständnis solcher Träume“, sagt Freud, „aus einer größeren Reihe von Bei¬ 
spielen Zusammentragen.“ 

Wir konnten gerade hier durch die Beobachtung solcher wiederkehrender 
Träume — wenn auch nicht solcher im engsten Sinn typischer —, so von 
Nacktheitsträumen, von Träumen vom Tode naher Verwandter, Prüfungs¬ 
träumen u. a. und ihrem Vorkommen bei bestimmten Neurosen einen Zu¬ 
sammenhang als gesetzmäßig konstatieren, der natürlich für die Pathogenese 
und die seelische Einstellung der Betroffenen Bedeutsames aussagt. 

Die gleiche Wiederkehr auch nur des manifesten Trauminhaltes weist selbst 
ohne jedesmalige Traumanalyse Wichtiges nach. Die Befangenheit als Cha¬ 
rakter oder als Neurose hängt in erster Linie mit Schautrieb und Exhibition, 
weiters mit dem Kastrationskomplex innigst zusammen. Als Musterbeispiel 
diene die erste Einsicht in folgenden Fall: 

Ein 3 3 jähriger lediger Mann kam wegen peinlichster Befangenheitszustände 
in Amt und Gesellschaft in Behandlung; als Knabe hatte er sehr unter Erröten 
gelitten. Er gab alsbald an, häufig den folgenden Traum zu haben: 
yylch hin in Gesellschaft und sehe plötzlich, daß ich nur im Hemd hin; alle anderen sind 
normal angekleidet oder gar im Smoking. Ich hin sehr verwundert und peinlich berührt^ 
Auch träume er öfters, daß er seinen Penis in der Hand habe, wie abgebrochen; 
er setzt ihn dann wieder an seinen Ort an und ist beruhigt, daß wieder alles 
in Ordnung ist. 

Die Genese des Schuldgefühles aus Aggression, besonders aus Todeswünschen, 


2) „Träume mit peinlichem Inhalt“, Int. Zeitschr. f. Psa., XVI, 1930. 

3) a. a. O., S. 414. 












Eduard Hitschmann 


462 

und sein Zusammenhang mit Zwang und Angst wird durch die Träume vom 
Tode Verwandter sozusagen en gros bestätigt. Denn die Klarlegung des laten¬ 
ten Sinnes dieser Träume verdanken wir ja Freud. 

Daß die Prüfung, die der Prüfungstraum meint, zumeist nichts anderes ist 
als die Prüfung der Potenz (Stekel), ergibt sich aus den wiederholten Prü¬ 
fungsträumen der Impotenten mit Sicherheit. 

Auch das Wissen um die Symbolik wird durch solche Beobachtungen be¬ 
stimmter Träume im Zusammenhang mit Neurosen gesichert. So ist es z. B. 
i der Zahnreiztraum, mit Zahnverlust im Traum, dessen Deutung als 
Kastrationstraum sich so aufdrängt, daß sie eine andere kaum zuläßt. Für 
Abrahams Ansicht,^ er bedeute einen Todes wünsch gegenüber einem Nahe¬ 
stehenden, kann ich nicht eintreten. Auch bei Psychosen bedeutet das Zahn¬ 
reizmotiv in Träumen die Kastration;^ Analoges ließ sich in Phantasien eines 
Dichters nachweisen.® 

Hier wird noch zu differenzieren sein zwischen Träumen, die speziell die 
beiden oberen mittleren Schneidezähne betreffen, welche vor allem als Symbol 
des Genitales zu gelten haben,^ und Träumen vom Verlieren anderer Zähne, 
ferner dem Traume, in dem der Zahn von einem Anderen entfernt wird, oder 
vom gleichzeitigen Verlust aller Zähne usw. 

Ich fahre hier fort über Zahnverlustträume zu berichten und bin mir be¬ 
wußt, gegen den strengen Geist der Traumdeutung zu verstoßen, wenn ich 
so oft nur d as manife ste T raumb ild ohne den latenten Inhalt anführe; denn 
jener fordert, daß wir uns um den manifesten Traum „möglichst wenig 
kümmern*' (Freud). Teilweise glaube ich das Recht dazu zu haben, indem 
ich hier für geübte Analytiker schreibe; teilweise gibt mir auch Freud das 
Recht dazu, der in seinem Aufsatz „Die Handhabung der Traumdeutung in 
der Psychoanalyse"® meint: „Ein besonders geschickter Traumdeuter 
kann sich etwa in der Lage befinden, daß er jeden Traum des 
Patienten durchschaut, ohne diesen zur mühsamen und zeit- 
j raubenden Bearbeitung des Traumes anhalten zu müssen." 

Ich berichte zuerst den Traum einer Patientin, die in intimer Beziehung zu 
dem Manne steht, den sie bald zu heiraten gedenkt: 

y,Ich sollte mit meiner Cousine ein Unternehmen gründeny wozu nötig wary daß wir 
gute und schöne Zähne haben. Ich hatte solche und besah sie im Spiegel. Meine Cousine 

4) „Entwicklungsgeschichte der Libido“, S. 86, Int. psa. Verlag, Wien, 1924. 

5) N. Sugar, „Die Rolle des , 2 ahnreiz‘-Motivs bei Psychosen“, Int. Zeitschr. f. Psa. 
XII, 1926. 

6 ) Hitschmann, „Ein Gespenst aus der Kindheit Knut Hamsuns“, Int. psa. Verlag, 
1926. 

7) Vgl. die Pubertätsriten gewisser primitiver Völker. 

8) Ges. Sehr., Bd. VI. Nunmehr, 12 Jahre später, muß der Traumdeuter vielleicht gar 
nicht mehr „besonders geschickt“ dazu sein! 

iv4X<. 

) 





















Beiträge zu einer Psychopathologie des Traumes 


463 


aber hatte die zwei oberen mittleren Schneidezähne abgebrochen, die 
anderen Zähne wackelten und waren klein wie Mäusezähne. Ich war enttäuscht wegen 
des Unternehmens und die Cousine tat mir leid. Wir berieten mit meinem Bräutigam. 
Dann war ich lange mit ihm allein beisammen. Er lag nackt auf dem Divan. Ich 
sollte mit seinem männlichen Organ spielen und er erwies sich sehr erregbar und kraft- 
voll:' 

Die Patientin berichtet dazu, daß sie mit dieser Cousine oft gleichgeschlecht¬ 
lichen Verkehr gehabt habe und sie demnächst treffen solle. Vor dem Ein¬ 
schlafen habe sie sich vorgenommen, jetzt wegen ihres Bräutigams sich nicht 
mehr der Cousine sexuell zu nähern; auch dachte sie daran, daß die Cousine 
sehr viel onaniert, überhaupt sich vieles erlaubt habe. Zu den Zähnen bringt 
sie keine Einfälle. Nur erwähnt sie, daß sie seit der Pubertät oft geträumt 
habe, sie habe alle ihre Zähne verloren, respektive fürchte sie zu verlieren. 

Die zwingende Deutung besagt, daß das Genitale der Cousine zerstört ist 
und die Patientin das nicht kastrierte des Bräutigams vorzieht. Es ist inter¬ 
essant, daß hier die Defekte der oberen zwei Schneidezähne als Symbol für 
die Kastration an einem weiblichen Genitale verwendet sind. Ob die Pa¬ 
tientin, die auch unter Selbstvorwürfen onaniert hat, mit dem Verlust aller 
Zähne eine Geschädigtheit ihres Genitales meint, bleibe dahingestellt. 

Ich lasse nun einen Traum eines 21jährigen Mannes folgen, der an Impotenz 
und Errötungsangst, Blut- und Operationsscheu litt; sein lebhafter 
Kastrationskomplex verriet sich auch durch Syphilidophobie. 

I. „Ein Jäger oder ich selbst war beschuldigt, einen weiblichen tragenden Hasen 
gegen das Verbot geschossen zu haben. Das Fell lag vor; das Geschlechtsorgan war 
herausgeschnitten, die oberen V or der zähne waren herausgeschossen, hingen 
aber noch zwischen Kiefer und Oberlippe. An ihnen wollte der Ankläger beweisen, 
daß es ein weibliches Tier gewesen sei. Der Jäger wurde zum Abhauen von Hand 
oder Fuß verurteilt. . ." 

Der Ankläger, so erklärte der Träumer, sei sein strenger ungerechter Vater, 
der Jäger der Patient selbst. Der Vater verbot ihm die Onanie und alles 
Sexuelle. Die Schuß Verletzung am Hasen ist auch wie ein verbotenes Tun an 
einem weiblichen Wesen. „Der Vater hatte oben ein künstliches Gebiß, das 
mir großen Eindruck machte, so daß ich mir auch eines wünschte; ich pro¬ 
bierte seines im Munde. Als mir, ich war ii Jahre, ein Mädchen erzählte, sie 
habe oben zwei falsche Schneidezähne, erregte mich dies sexuell, besonders 
als sie diesen Defekt entblößte. Auch andere Körperdefekte an Frauen er¬ 
regen mich, so z. B. ein amputiertes Bein. Ich selbst habe die mittleren oberen 
Schneidezähne schief stehen, weswegen ich mich sehr schäme."" 

Es folge nun ein zweiter Traum desselben Patienten; es ist ein (atypischer) 
Prüfungs- und Nacktheitsträum, wie wir ihn bei einem impotenten Erröter 
erwarten: 


\ 







Eduard Hitschmann 


464 

2. yylch werde in der Mittelschule geprüft. Meine Braut ist unter den Zuhörern. 
Der Professor prüft Latein. yPotentia connuhiü und yBatteria dentiuni heißen die 
beiden Stellen. — ^Der Knabe soll achtgeben auf die Batterie der Zähneß Ich 
las fehlerhaft und wurde getadelt. Zur Rüge aufstehendy hatte ich das Gefühly aus dem 
Bette entblößt aufzustehen. Ich schämte mich vor der Br aut. 

Dieser Prüfungstraum mit Versagen, noch dazu vor einem Mädchen, be¬ 
trifft die Potenz in der Ehe und zeigt die unzerstörte Zahnreihe als Ideal. 

Was die Zahnträume von Frauen anlangt, so ist mir auf gef allen, daß sie bei 
frigiden Frauen häufig sind, und zwar bei dem Typus, den schon Abraham 
in seiner klassischen Arbeit über den Kastrationskomplex der Frauen® be¬ 
schrieben hat, und von dem wir Beispiele in unserem Buch „Die Geschlechts¬ 
kälte der Frau“^® bringen. Es seien zunächst zwei Träume angeführt, die auch 
die Veränderung der Stellung der Analysierten zum Penis wünsch im Verlaufe 
der Analyse zeigen, 

1. Traum: yylch und Tante und noch jemand beobachten meine Zähne mit Spiegeln. 
Der Mund ist viel größery meine Zähne sind größer als bei einem Manny mit vielen 
Goldplomben und einer Brücke. Ich bin stolz auf dieses Gebißy das ich von allen Seiten 
sehe.'* 

2. Traum: yylch bin beim Zahnarzt wegen Plombieren. Er zog aber 4 bis 5 untere 
Zähne. Ich bin erschrockeny wehre michy sehe auf: der Arzt ist mein Analytiker." 

Im Traum dieser späteren Phase ist die Kastration, das resignierende Auf¬ 
geben der Männlichkeit — im Sinne der Analyse — im Werden. 

Der Deutung von Träumen, wo alle Zähne auf einmal herausgegriffen wer¬ 
den oder herausfallen, bin ich nicht sicher; auch sie scheinen mir bei frigiden 
Frauen häufiger vorzukommen. Z. B.: 

yyMeine Zähne zerfallen wie Sand in der in den Mund hineingreifenden Hand. 
Der Mund zeigt den roten Gaumen nur mit Zahnbröckeln.** 

Man möge aber bedenken, daß bei diesen Frauen die Entwicklung der 
Libido vom Oralen zum Vaginalen sozusagen unfertig geblieben ist; es wäre 
naheliegend, im Zahnverlust die Darstellung des Werdens der ge¬ 
wünschten fühlenden und saugenden Vagina — als „zahnlosen 
Mund‘" zu sehen. Dieser Vermutung Entsprechendes wurde bereits geäußert: 

In einem auf einem Einfall beruhenden „Erklärungsversuch des Zahnreiz¬ 
traumes“ vermutet Antonie Rhan,^^ derartige Träume seien bei kleinen 
Kindern eine Erinnerung an die zahnlose Zeit des ersten Daumenlutschens und 
brächten den Wunsch der Zahnlosigkeit, um noch später lutschen zu 
können, respektive vom Zähnewachsen keine Schmerzen zu haben: „Die 
Mundöffnung muß zahnlos werden, um den Finger ungeschädigt zu be¬ 
herbergen.“ 

9) Int. Zeitschr. f. Psa., VII, 1921. 

10) Hitschmann u. Bergler, 1933, Verlag „Ars medici“, Wien. 

11) Int. Zeitschr. f. Psa., XVIII, 1932. 






























Beiträge zu einer Psychopathologie des Traumes 


465 


Die weitere Untersuchung der Träume bestimmter Krankheitsbilder wird 
sicherlich wertvolle Resultate erbringen, wenn die Deutung, nach allen Regeln 
der Kunst vorgenommen, auch vergleichend betrachtet werden wird. 

Es lassen sich aber schon jetzt — dank den Entdeckungen Freuds — 
manchmal die zu bestimmten Neurosen gehörigen, unsere pathogenetischen 
Theorien beweisenden Träume mit Gesetzmäßigkeit auf zeigen. Zweifellos 
war Freud von den Traumbefunden geleitet, als er seine Neurosenlehre 
ausarbeitete. 

Wenn die Theorie der hysterischen Eßstörung und des hysteri¬ 
schen Erbrechens besagt: Es sind verdrängte Fellatiowünsche, welche 
diesen Zuständen zugrunde liegen, so müssen wohl im Laufe der Analyse 
diese verdrängten Regungen sich im Traum verraten. Dieser ist dann auch, 
gedeutet, eines der Mittel, um dem Kranken Unbewußtes bewußt werden und 
ihn die Genese seines Leidens verstehen zu lassen. Kommt bei an die frühe Ero- 
genität der Lippenzone Fixierten die Verdrängung hinzu, so werden sie Ekel 
vor dem Essen empfinden und hysterisches Erbrechen produzieren, sagt die 
Theorie; kraft der Gemeinsamkeit der Lippenzone wird die Verdrängung auf 
den Nahrungstrieb übergreifen. 

Es ist wertvoll, ehe wir die Träume solcher Fälle an uns vorüberziehen 
lassen, uns einmal zu überlegen, was unser Wissen vom Traum und seiner 
Symbolik uns denn lehrt. Wie sieht, theoretisch betrachtet, der Traum einer 
verdrängten Fellatiophantasie wohl aus? 

Offenbar wird der Penis nur in symbolischer Verhüllung in Erscheinung 
treten, also als Schlange oder als länglicher Gegenstand. Sicherlich werden, 
da es sich ums In-den-Mund-nehmen handelt, in der Symbolik länglich ge¬ 
formte Eßwaren, etwa Gurken oder Würstel, der Hals eines Huhnes, ein 
Fisch bevorzugt sein. Das wirklich Charakteristische an dem Traum — das 
ihn von bloßen Träumen von phallischem Interesse (Schaulust) oder, bei Ver¬ 
drängung, von Angstträumen über den Phallus, unterscheidet — werden 
Ekelgefühle sein. 

Ich führe nun eine Reihe solcher Träume weiblicher Patienten an. 

I. Traum: yjch komme nach Hause; im Speisezimmer steht ein geschlossener 
Korb, von dem mir das Stubenmädchen sagt: die gnädige Frau hat etwas zum Essen 
gekauft. Ich sehe Krebse und Schlangen darin, werfe den Deckel zu und laufe ge- 
ängstigt weg. — Plötzlich bin ich draußen und sitze mit Otto, der mich fortwährend 
küßt, auf einer Bank; die Leute schauen aus den Fenstern auf uns, imd da er nicht 
aufhört zu küssen, sage ich, ich müsse nach Hause, etwas Wichtiges tun. Zu Hause 
finde ich die Schlangen aus dem Korb gekrochen, im ganzen Zimmer verteilt: ein greu¬ 
licher Anblick. Ich verlange ein Messer und beginne, die Schlangen in Stücke zu 
schneiden, habe große Angst. Damit es schneller geht, verlange ich eine Hacke und 
zerstückle sie unter furchtbarem Ekel.” Dabei erwache ich und der Ekel dauert 
den ganzen Tag an. 










Eduard Hitschmann 


466 

2. Traum: „Ich hin zu Hause hei den Eltern, gehe vors Haus und sehe mich vor 
einem Verkaufsstand, wo ich Gurken kaufen will. Ich hin bereit, sie zu kaufen, sehe 
aber plötzlich, daß da ein Kübel steht, Teller werden gewaschen und es kommt mir 
vor, als oh die Verkäuferin ihre Füße in dem Kühel wäscht und ich verzichte 
auf die Gurken.' Ganz offensichtlich aus Ekel. 

3. Traum; „Ich wollte eine Speise essen, sie lag vor mir, Gabel und Messer staken 
darin, in dem Klumpen. Ich wußte, es sei ein männliches Glied." 

4. Traum: „Ich sah auf einem Tisch den enthäuteten langen Hals eines Huhnes 
liegen. Er lebte, sollte abgeschnitten werden. Ich riet, mit einem Messerstiel den Kopf 
zu schlagen. Es war abscheulich, ich hatte großen Ekel." 

5. Traum: ,,Ich liege im Bett, die Mutter leckt mein Hemd unten innen ah. Ich 
war befremdet und fragte mich: Wieso tut man so etwas? Ich sah dann den ehemaligen 
Freund der Mutter, der zugesehen hatte, schmatzend ein Butterbrot essen. Ich wußte 
daß auch die Mutter mit Appetit ißt und war erstaunt, daß man nach so etwas 
mit solchem Appetit essen kann." 

Zu Traum 3—5, die von einer jungen Frau mit Globusgefühlen, nervösem 
Erbrechen und Frigidität stammen, sei hervorgehoben, daß sie als Kind leb¬ 
haft die Zunge lutschte, leidenschaftliche Küsse mit der Mutter tauschte (man 
mußte sie trennen!). Sie war in der Ehe mit einem einfachen Manne frigid 
und unglücklich, hatte einen Flirt mit einem Professor, mit dem sie Zungen¬ 
küsse tauschte. Sie erfuhr von einer Freundin, daß deren Freund vorher mit 
der Mutter der Pat. gleichfalls eine Beziehung mit Fellatio unterhalten habe. 
Phantasien darüber, z. T. auch homosexuelle, bilden hier die Grundlage der 
hysterischen Eßstörung. 

Ich weise auch auf meine kasuistische Publikation „Über eine im Traume 
angekündigte Reminiszenz an ein sexuelles Jugenderlebnis‘" hin;^^ auch diese 
Patientin litt an hysterischem Erbrechen durch unbewußte Fellatio-Phantasien. 

Die angeführten Träume sind alle für einen geschulten Psychoanalytiker 
durchschaubar. 

Vermutlich wäre es unvorsichtig, diese Träume als absolut pathognomonisch 
für hysterisches Erbrechen zu bezeichnen. Gewisse Typen frigider 
Frauen, und zwar solcher mit Penisneid, zeigen auch starke Fixierung an 
frühe Oralität und leiden nicht selten an leichten Eßstörungen. Träume, in 
denen sie dem Liebespartner den Penis abbeißen oder einen symbolischen 
Ersatz, finden sich wiederholt; auch ohne jeden Ekel. 

Ich bringe nun zwei Träume eines solchen Falles von Frigidität, bei dem 
Eßstörung keine große Rolle spielte; in anderen Fällen hören wir jedoch: die 
Frau könne seit der Ehe nicht gut essen.^^ 

12) Aus „Beitrag zur Oralerotik"* von Dr. Salomea Kempner, Int. Zeitschr. f. Psa.., 
XI, 1925. 

13) Int. Zeitschr. f. Psa. V, 1919. 

Vgl. in „Die Geschlechtskälte der Frau"". 


































Beiträge zu einer Psychopathologie des Traumes 4^7 

1. Traum: ,J^ch way in einem Kino, es ging wüst zu und wufde auch ungenügend 
bekleidet getanzt. Auch 'jener junge Mann war da, der mir vor Jahren Fellatio zuge¬ 
mutet hatte. Ich ging dann mit einem Manne viele Stiegen hinauf. Ich kaufte dann 
kleine Gurken; aber in jeder, die ich anbiß, war ein WurmJ' 

2. Traum: y,Ich lag mit einem jungen Liebespaar im Bett; der Mann befriedigte 
uns beide, aber ich war eifersüchtig auf die andere. Dann waren zwei Paar Würstel 
da; eines hatte ein ahgehissenes Ende oder es war abgebrochen. Dieses gehörte mir, 
das andere der Freundin. Erst nach dem Koitus fehlte das Stückchen von meinem 
Würsteir 

Der letzte Traum beschäftigt sich deutlich mit dem Kastrationskomplex. 
Wir können auch hier in andrer Art Vorgehen und — nachdem wir die 
Entstehung dieses Typus von Frigidität aus Penisneid und Peniswunsch, also 
aus dem Männlichkeitswunsch und Ablehnung der weiblichen Rolle im Liebes- 
verkehr verstehen — konstatieren, welche Träume wir für diese Fälle 
denn erwarten müssen. Wir lassen dazu unsere Erfahrungen vorüber¬ 
gehend außer acht. Es ist zu erwarten, daß diese Frauen sich im Besitz eines 
Penis träumen, oder träumen, daß sie dem Mann das Glied rauben, abbeißen. 
Sie träumen sich auch als Incuba, wollen sie doch die männliche Position ein¬ 
nehmen. Bei symbolischer Darstellung werden sie reiten, Flosen anhaben; sie 
dringen in Identifizierung mit Männern in Häuser ein, haben Stiegenträume 
u. dgl. 

Auch in männlich-homosexueller Situation werden sie anzutreffen sein. 

Die tiefste weibliche Phantasie vom Überwältigtwerden (durch den Vater) 
wird als Angsttraum Vorkommen. Die unter der Behandlung zunehmende 
Passivität der Wünsche wird in Angstträumen zunehmend zutage treten. Die 
Zahnträume haben wir schon abgehandelt. Träume vom Steckenbleiben auf 
Leiter oder enger Stiege, vom Nicht-hinunter-Können, werden solang auf- 
treten, als die Detumeszenz, der Orgasmus noch fehlt. Dazu Träume vom 
Kinderwunsch statt Peniswunsch und endlich, der Behandlung entsprechend, 
Übetragungsträume. 

Freud hat in letzter Zeit^® uns noch hinzufügen gelehrt, daß Frauen, die 
den Wunsch, ein Mann zu sein, nicht überwunden haben, häufig von Brücken 
träumen, die zu kurz sind, um das andere Ufer zu erreichen. Unter den 
gleichen Vorbedingungen ist mir eine Phobie analogen Inhalts begegnet. 

Wir müssen in diesem Sinne von einer Statistik der manifesten In¬ 
halte durchschaubarer Träume sprechen. Das enthebt den Analytiker 
nicht der Arbeit, eine Deutung durchzuführen und sich, der thera¬ 
peutischen Widerstandstechnik entsprechend, mit dem Stande der Übertra¬ 
gung und des jeweiligen Widerstandes zu beschäftigen. Die geduldigen, tieferen 
Deutungen bleiben für die Therapie und für weitere wissenschaftliche For- 


15) „Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse.“ Ges. Sehr., Bd. 12. 
Int. Zeitschrift f. Psychoanalyse, XX/4 32 









Eduard Hitschmann 


468 

schung unentbehrlich. Sie bringen die notwendigen individuellen Details der 
Pathogenese des Falles und dienen dazu, den Patienten durch neues Beweis¬ 
material zu überzeugen, ihm Unbewußtes bewußt zu machen. 

Mit solchen statistischen Feststellungen hat sich aber bisher kein Analytiker 
abgegeben; hingegen liegt von Professor Ernst Kretschmer eine solche 
Arbeit vor, die aber psychoanalytischer Gesichtspunkte fast ganz entbehrt: 
„Das Ressentiment im Traum.“*® 

Der Autor geht von der Frage aus, ob denn der Psychopathologe berech¬ 
tigt sei, die Träume der Patienten zu ihrer Beurteilung beiseite zu lassen, und 
beantwortet sie vielversprechend dahin, „daß es den Grundsätzen einer 
soliden wissenschaftlichen und ärztlichen Urteilsbildung widerspreche, ein so 
umfangreiches Stück Erfahrungsmaterial wie die Träume einfach wegzulassen“. 

Da aber der Autor die psychoanalytische Traumdeutung ganz ignoriert, sind 
seine Resultate wenig bedeutsam. Außer der Frage: Wie oft kommen bestimmte 
Gruppen von Traumbildern mit bestimmten Gruppen von Neurosen zu¬ 
sammen vor?, wird noch die Frage aufgerollt, ob es naheliegende sinnvolle ge¬ 
dankliche Zusammenhänge zwischen Trauminhalt und konkreter seelischer 
Wachsituation gebe. 

Unter Vernachlässigung der psychoanalytischen Traumsymbolik werden 
die manifesten Traumbilder von „Ressentiment“menschen betrachtet und die 
Frage aufgeworfen, ob typische Ressentimentssymbole im Traume Vorkommen. 
I Das Resultat lautet: „Diejenigen Neurosen, die sich auf Lebensangst, Selbst- 
I, Wertunsicherheit und Ressentiment aufbauen, neigen in ihren Träumen zu 
I gewissen typischen Symbolbildungen, die etwa in folgender Richtung liegen: 
l Das Leben erscheint darin bildhaft als fortlaufende Bewegung, als Lebenslauf, 

. als Reise, als ,Karriere‘, als Rennen, und zwar als gestörte, gehemmte, ver¬ 
säumte Bewegung. Oder das Leben erscheint als riskanter Versuch, als ein 
j gefährliches Experiment, wie das Schwimmen eines Unkundigen oder das 
Besteigen wilder Pferde. Das Wasser spielt dabei die Rolle des unsicheren 
Elementes, mit Ertrinken Drohenden, zugleich aber auch des Trügerischen, 
das plötzlich wegläuft oder mit unserem teuersten Gut davonschwimmt.“ 

Ich zitiere diese Arbeit als Beispiel eines Mißbrauches der manifesten 
Traumbilder, und um zu zeigen, wie sinnlos es ist, verschiedene Menschen 
unter einem willkürlichen Gesichtspunkt zusammenzufassen, ohne sich um 
die analytisch feststellbaren, unbewußten und triebhaften Ausgangspunkte 
ihrer Entwicklung zu kümmern: Unzufriedene, Rentenneurotiker, Studenten 
mit Prüfungsangst, Errötet, Hysterische usw. 

(' W^enn diese Träume, auf die Kretschmer sein Interesse lenkt, unter einen 
Hut gebracht werden sollen, so ergibt die psychoanalytische Erfahrung, daß es 
{ sich um die früher angeführten Träume vom Versagen und Mißlingen, also 
Träume von Leidensfreudigen und Selbstbestrafern handelt. 


16) Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych. 1931, S. 329. 


































Beiträge zu einer Psychopathologie des Traumes 4 ß 9 

Aber hier tut weitere Beobachtung not, wie auch sonst bei typischen 
Träumen. 

Andererseits ist es zweifellos, daß diese statistische Betrachtung wieder¬ 
kehrender Träume neue Erkenntnisse bringen wird, respektive alte bestärken 
kann. 

Der Zusammenhang zwischen Todeswünschen, aggressiven 
Tendenzen und Todesangst ist bekannt. Aber er ist mir nie so klar 
geworden, wie an einem Fall von hypochondrischer Todesangst, den ich 1932 
veröffentlicht habe.^^ 

Es gibt Menschen, deren unbewußtes Seelenleben voll ist von diesen de¬ 
struktiven Bestrebungen, während sie, im Leben ganz gut eingeordnet, in der 
menschlichen Gesellschaft keineswegs gefürchtete, vielmehr sehr beliebte und 
belobte Glieder darstellen. 

Wenn ein solcher guter Bürger aber nur von Feindseligkeit und vom Tode 
anderer träumt, ja wenn er mit Gift und Feuer operiert oder ganze Dörfer 
in die Luft sprengen läßt — auch nur im Traum, so liegt es auch dem, der 
nicht gewohnt ist, mit dem Begriff Verdrängung zu operieren, nahe, der¬ 
gleichen hier anzunehmen. 

Aber was das Innere eines Menschen erfüllt, wird sich doch wohl nicht nur 
in seinen Träumen manifestieren, mag man nun einwenden. Und tatsächlich 
finden wir auch am Tage manchen Verrat solcher Neigungen, wie 
wir an dem hier zu schildernden Kranken sehen werden. Dieser litt an 
Todesangst, besonders an Angst, vom Herzen aus zu sterben; zuweilen er¬ 
wartete er in seiner Depression auch eine Magenblutung, einen Magenkrebs 
oder ein Magengeschwür. Im Leben ist er energisch, zielbewußt, erfolgreich — 
bis auf eine mehr äußerliche, ihn aber tief kränkende Zurücksetzung. Er kann 
sehr heftig sein, z. B. gegen seinen Sohn. In seinen Tagesphantasien, die 
er während seiner Analyse auch erzählte, ist er ein recht neidischer, böser 
Mensch, schreibt anonyme Briefe u. dgl.: erzählt einer von seinem gut ange¬ 
legten Gelde, so zwingt ihn seine Phantasie, sich auszumalen, wie er jenen Be¬ 
sitzer bei der Steuerbehörde anzeigen würde. Geht er mit einem guten Be¬ 
kannten ins Theater und sieht einen besonders schönen Operngucker bei ihm, 
so drängt sich ihm die Phantasie auf: wenn jener jetzt stürbe, könnte er das 
Opernglas bekommen. Man sieht, Neid ist hier mit im Spiele. Aber der 
Patient selbst ist entsetzt über seine Tagträume und empfindet sie als 
schmählich. 

Dem 50jährigen Patienten, der bei vollkommen gesundem Herzen leichte 
Sensationen an demselben in Begleitung seiner Todesangst hat, liegt jeder Zu¬ 
sammenhang zwischen seiner Angst, seinen Mordträumen und boshaften, 
neidischen Tagesphantasien vollkommen fern. 

17) In „Biologische Heilkunst“, 1932, Nr. 14. 

32 * 







470 


Eduard Hitschmann 


Erst als die Psychoanalyse aufdecken kann, daß der Kranke als Knabe in¬ 
tensiv das Kain-Abel-Problem erlebt hat — einen Bruder, der von der 
Mutter ihm vorgezogen wurde, tiefst gehaßt hat, aber an jeder effektiven 
Rache verhindert war —, erst dann wird es klarer, daß unser Patient ge¬ 
zwungen war, seit jeher seinen Aggressionstrieb zu unterdrücken und daß er 
so zum Neurotiker wurde. Schon als kleiner Knabe ist er trotzig, pedantisch 
und sparsam. Neid auf den von der Mutter verwöhnten, um zwei Jahre 
alteren Bruder erfüllt seine Jugend; er findet sozusagen den Platz auf dem 
Schoß und am Herzen der Mutter immer besetzt vor und wendet sich mehr 
zum Vater. Er bevorzugt noch mit sechs Jahren weibliche Beschäftigungen, 
wie Nähen, Kochen u. dgl. 

Als Patient sechs Jahre alt war, war der Bruder ernstlich krank (Gehirn¬ 
hautentzündung?) und Patient wurde verhalten, dem Bruder zu versprechen, 
ihn nie wieder aufzuregen; Patient küßte dem Bruder damals die Hand. Er 
bedauerte auch sonst oft den Bruder, und aus der ursprünglichen Feindschaft 
wurde ein gutes Verhältnis, in dem der energische Bruder immer der über¬ 
legene blieb, namentlich auf geistigem Gebiet. Patient hatte den Ehrgeiz, 
der moralisch Bessere zu werden und fügte sich; er wurde zum Muster¬ 
kind, namentlich dem Vater zuliebe. 

Seine sexuellen Interessen waren nicht stürmisch; er sah erregt nackte Mäd¬ 
chen, lernte von Vettern die Onanie. Im ganzen war er eher prüde und ge¬ 
hemmt. In seiner Vernunftehe stieß ihn die frigide Gattin bald ab, besonders 
auch, weil sie Blutungen hatte. Gedanken vom Tode der Gattin und des 
Sohnes treten in ambivalenten Träumen oder in der Form ganz unmotivierter 
Ängstlichkeit um sie auf. Ein Objekt direkter und bewußter Todeswünsche ist 
sogar die alte Mutter, deren Leben ihm überflüssig erscheint. Schon seit der 
Kindheit phantasierte er häufig von Tod und Beerdigung solcher Menschen, 
die seinen Bruder bevorzugten. 

An Herzklopfen mit Angst und an Angst vor Blinddarmentzündung leidet 
Patient seit der Mittelschule, sie nimmt seit seinem 18. Jahre zu. Seit sein 
Bruder plötzlich, wahrscheinlich vom Herzen, gestorben ist, hat sich des Pa¬ 
tienten Todesangst, vermutlich durch Identifizierung, verstärkt. Zwangs¬ 
grübeleien über seinen eigenen Tod, dessen Folgen, seine Erben und das Schick¬ 
sal seiner Hinterlassenschaft zeigen neben dem Todesthema das Besitzinteresse 

Manchmal wiederholt sich des Patienten seinerzeitige Eifersucht auf den 
von der Mutter bevorzugten Bruder als Eifersucht auf den von der Gattin 
anscheinend bevorzugten, z. B. ins Vertrauen gezogenen, Sohn. 

Nun muß aber dem Leser dieser Arbeit aus einer Reihe von Träumen 
klargemacht werden, wie aufdringlich daraus die nächtlich konstanten, also in 
den Träumen sichtlich nicht verdrängten bösen Wünsche auf die Neben¬ 
menschen her Vorgehen: 









































Beiträge zu einer Psychopathologie des Traumes 


471 


I. Traum: Mein Schwager war plötzlich gestorben. Ich ging mit meiner Frau 
hin. Wir sollten in dessen Wohunng ziehen. 

2» Traum: In Gesellschaft^ man tanzte. Patient wurde vom Hausherrn ins Spiel- 
Zimmer nicht hineingelassen. Ein Fremder, aussehend wie H., verlor all sein Ver¬ 
mögen. 

3. Traum: Patient zerstörte durch Pulverexplosion Dörfer am See. Die Bewohner 
hatten etwas angestellt. 

4. Traum: Patient wollte einen Freund mit Speise vergiften, um ihm die Geliebte 
abspenstig machen zu können. Bei seinem Weggehen sagte jemand: Du wirst das 
Unrecht mit dem Tode büßen. Dabei gab er einen Händedruck, wodurch Patient zwei 
parallele Wunden am Handteller erhielt. In Angst, mit Tetanus absichtlich infiziert 
worden zu sein, ließ sich der Patient Serum injizieren. 

5. Traum: Eine Dame schimpft über die Sittenlosigkeit seines Bruders, der ein 
Mädchenverführer gewesen sei, 

6 . Traum: einem Ritterschloß. Ein alter Bekannter wird von einem seine 

Füße bewegenden Ritter in Rüstung hinuntergestoßen, wo er dann als zerquetschte 
Leiche liegt. 

7. Traum: Einem gut bekannten Herrn sterben auf einmal drei Söhne. 

8. Traum: Patient ist im leeren Theater, welches niederbrennt. Patient sieht 
den Mann, der das Feuer gelegt hat (so beschuldigt ihn Patient), flüchten. Jener hat 
eine schwarze Tasche und Patient verfolgt ihn. Zu Hause findet er seine Frau mit 
dieser Tasche und beschuldigt sie, in der Tasche sei der Explosivstoff, Als sie leugnet, 
verlangt er: Schwöre mir beim Leben meines Kindes. Darauf die Gattin: Deines? 
Es ist ja von einem andern! 

9* Traum: Patient ordnet die Bibliothek. Der Sohn gesteht, einen fehlenden Band 
verkauft zu haben. Patient wird wütend, ohrfeigt und prügelt den Sohn und droht, 
ihn ein nächstes Mal zu töten. 

10. Traum: Sein Bruder hatte ein Mastdarmneugebilde, wegen dessen eine Darm¬ 
fistel angelegt war. 

Ein wiederholter Traum nach des Bruders plötzlichem Tode lautet: Der 
Bruder ist nach einem Streit verreist, lebt aber. Patient trifft ihn in versteckter Vor¬ 
stadt. Aber der Bruder will inkognito dortbleiben. 

'Wir bringen die Träume ohne die Deutungen, aber sie sprechen eine be¬ 
redte Sprache. 

Betrachten wir nun den hier abgekürzt berichteten Fall, so verstehen wir 
die Angst des Kranken als aus unterdrückter Aggression und Schuld¬ 
gefühlen entstanden; dazu mag gestaute Libido eines sexuell Unbefriedig¬ 
ten kommen, sind doch andere Träume deutliche außereheliche sexuelle 
W unscherf üllungen. 

Ein von der Mutter um des bevorzugten Bruders willen zurückgesetzter 
Knabe war gezwungen, seinen Neid und seine Todeswünsche zu verdrängen; 
sie bleiben aber in seinen anläßlich einer wiederkehrenden Verstimmung 







Eduard Hitschmann 


472 

beobachteten Träumen klar erkennbar. Die reaktive Angst, selbst sterben zu 
müssen, und Krankheitsangst bilden die Zeichen seiner Neurose. 

Dieser Fall war aus äußeren Gründen einer ausreichend langen Psycho¬ 
analyse nicht unterzogen worden; aber er bot neben der Serie von Todes¬ 
wunschträumen eine Reihe anderer Träume dar, welche an die von 
Kretschmer untersuchten erinnern. 

Diese Träume lassen ihn oft zum Zug nicht zurecht kommen, etwas ver¬ 
säumen, zurückgesetzt werden; sie seien hier ohne Kommentar mitgeteilt: 

1. Traum: Auf der Heimreise aus einem Hotel, Angst, den Zug zu versäumen. 
Die Gattin wirft viel Gepäck herab, springt dann, ohne sich zu verletzen, ab. Dann 
wurde, um das Auto zu ersparen, dem Diener telegraphiert. Der Sohn sagfe aber: 
das Telegramm kommt schon zu spät, 

2. Traum: Ich war mit Frau und Sohn in einer Operette, aber die Karten er¬ 
wiesen sich als ungültig. Wir mußten wieder hinaus, suchten vergebens im Parterre 
Platz, 

3. Traum: Ich war mit meiner Frau in einer Kunstausstellung, Ein uns bekannter 
Kunstsammler verleugnet uns, will selbst unsren Namen nicht kennen. Ich bin wütend, 

4. Traum: Ich war in Gesellschaft; doch wurde ich vom Hausherrn nicht in das 
Zimmer hineingelassen, in dem man Karten spielte, 

5. Traum: Ich fuhr mit meiner Frau im Auto nach Italien, Wir hatten aber 
die Pässe vergessen und mußten umkehren, 

6 . Traum: Ich war auf einer Reise nach Tirol mit Eltern und Bruder, Das Hotel 
war so voll, daß ich nur für die Eltern mit Mühe ein Zimmer bekam. Ich schlug Lärm, 
erhielt einen kleinen Raum, aber wir waren alle unzufrieden und fuhren weg, — 

Zum Thema „neurotische Angst mit Verstimmung^^ seien noch 
die Träume eines zweiten Patienten angeführt, der in der Verstimmung 
nach einer von ihm gelösten Verlobung in Analyse kam. Er hatte schon früher 
an Angstzuständen gelitten. Er war gleichfalls realitätsfähig und beruflich 
tüchtig, aber ein hoffnungsloser Junggeselle. Die vielen von ihm ge¬ 
träumten Todeswunschträume haben alle die Eigentümlichkeit, daß der 
Mann stirbt und die Frau am Leben bleibt, sei es, daß sie seine Mutter, seine 
Schwägerin oder eine geliebte Dame ist: es ist offenbar die Situation des 
Ödipuskomplexes, den er innerlich nicht überwunden hat. Zwischen 
ihnen eingestreut traten auch Träume anderer Art auf.^® 

I. Traum: „Meine Mutter und ich setzen uns an eine table d'hote. Gegenüber 
sitzt eine mir unbekannte elegante Dame, deren Tochter, ein junges Mädchen, neben 
meiner Mutter steht, um sie zu begrüßen. Meine Mutter aber sitzt abgewendet, den 
Kopf mit einem schwarzen Tuch verhüllt. Ich sage vergebens: Mutter, du wirst gegrüßt. 
Ich hebe nun das Tuch auf, sehe ihr Gesicht tränenüberströmt, , . . ,Daß mein Mann 
so in der Blüte der Jahre sterben mußte,^ Ich frage mit den Augen; sie sagt: ,Ja, er 


18) Unter Traumserie verstehe ich nicht nur unmittelbar aufeinanderfolgende gleich¬ 
artige Träume, sondern auch die Wiederholung gleichartiger zwischen verschieden anderen. 












































Beiträge zu einer Psychopathologie des Traumes 473 

ist gestorben, in X/ Ich bin erstaunt, daß meine Mutter, mit der ich schon tagelang 
beisammen bin, imstande war, mir das zu verschweigen ... Ich frage, warum sie es 
nicht berichtet habe? Darauf sie: ,Er hat sich zum Fenster hinunter gestürzt! Ich 
habe das Gefühl, daß dies bei meinem Vater unwahrscheinlich istX 

2. Traum: „Ein Erdbeben zerstört meines Bruders Haus und tötet ihn samt seinem 
Kinde, Meine Schwägerin wird nur verletzt?* 

3. Traum: „Mein Vater wurde mehrfach in die Brust angeschossen?* 

4. Traum: „Herr X hat sich umgebrackt und seine Familie (die von mir geliebte 
Frau und deren Töchter) mir ans Herz gelegt?* 

5. Traum: „Im Garten unseres Hauses steht ein Obelisk mit Aufschrift, Die 
Leute lesen bestürzt die Aufschrift und nehmen die Hüte ab?* Erster Einfall: Der 
Obelisk war errichtet, weil mein Vater gestorben war, — 

Sehr lehrreich sind die charakteristischen Träume der Eifersuchts¬ 
paranoia. Diese erwächst nach Freud aus überstarken homosexuellen (un¬ 
bewußten) Regungen, die abgewehrt werden. Auch die wahnhafte Eifersucht 
geht — wie andere Formen der Eifersucht — aus verdrängten Untreuebe¬ 
strebungen hervor; doch sind die Objekte dieser Untreue gleichgeschlechtlicher 
Art. Man prüfe nun den folgenden Traum einer solchen wahnhaften 
Eifersucht eines Mannes auf die Theorie und wird zugeben, daß er sie 
bestätigt. 

Traum: „Ich treffe einen Mann mit auf gezwirbeltem Schnurrbart mit meiner 
Geliebten, Sie entschuldigt sich, es handle sich nur um etwas Politisches, Wir duellieren 
uns aber dann auf Pistolen, Da verwandelt er sich plötzlich in den mir lieb gewesenen 
Militärkameraden X, Er lag nun auf der Erde, die Pistole war jetzt verlängert, wie 
durch ein Bajonett?* 

Patient berichtet, daß er mit diesem Kameraden seinerzeit mutuelle 
Onanie betrieben habe; das Duell, in dem die Verlängerung der Schußwaffe 
Erektion bedeutet, stellt auch den homosexuellen Verkehr symbolisch dar. 

Über die eifersüchtige Paranoia der Frauen sagt Freud:^® „Die 
Eifersüchtige verdächtigt den Mann mit all den Frauen, die ihr selbst gefallen, 
infolge ihres überstark gewordenen, disponierenden Narzißmus und ihrer 
Homosexualität. In der Auswahl der dem Manne zugeschobenen Liebesobjekte 
offenbart sich der Einfluß der Lebenszeit, in welcher die Fixierung erfolgte.“ 
Diese Regression zu den Objekten viel früherer Neigungen (Mägde), wie auch 
in unserem Mustertraum, erfolgt durch Libidosteigerung. 

I. Traum: ,,Ich hatte Zank mit meinem Manne, der — weil er böse war — sagte: 
er habe unsere Magd, die Mizzi, gehabt. Ich höhnte ihn, sie rieche ja nach Stall, war 
wütend auf ihn und gab ihm einen Fußstoß. Die Magd kam herein und sagte, sie müsse 
zu ihrer kranken Mutter heim. Ich schlug sie, ließ mir berichten, wie es mein Mann 
mit ihr ,gemacht* habe. Ich hieß sie sich nackt ausziehen, sie war nicht sehr schön, 
ließ sie ihr Geständnis nieder sehr eiben und warf die arg Zugerichtete wütend hinaus?* 


19) Ges. Sehr., Bd. VIII, S.416. 










Eduard Hitschmann 


474 

Hier ist sehr klar die Ambivalenz, die durch die Abwehr gegen die 
homosexuelle Strebung entsteht, und die sadistische Komponente (gewalttätige 
Reizbarkeit). 

2. Ein weiterer Traum dieser Kranken ist besonders aufschlußreich: 

Traum: „Ich fand eine neue Wohnung in einem großen Haus und war sehr froh. 
Ich ging durch den Hof, da lag eine weibliche Ziege auf dem Rücken und sprang mich 
an, so daß ich schrie. Ich fühlte mich als Mann und hatte einen Penis mit Erektion. 
Dann stieg ich eine Stiege ohne Ende hinauf. Doch sagte ich mir: wenn das mit der 
Ziege öfter vorkommt, ziehe ich wieder aus.“ — 

Da wir ursprünglich alle bisexuell sind und „normal“ werden unter Subli¬ 
mierung und Verdrängung des homosexuellen Anteils, ist der Traumbefund 
der unbewußten Homosexualität ein alltäglicher und wird erst durch 
den Grad bedeutsam. Homosexuelle Pollutionsträume sind ein Beweis für 
Homosexualität höheren Grades. Bedacht muß natürlich werden, ob nicht im 
Falle der Behandlung durch einen Analytiker vom gleichen Geschlecht die 
Übertragung während der Psychoanalyse die homosexuellen Träume ge¬ 
fördert hat. 

In diesem Zusammenhang sei ein Traum angeführt, der auch verrät, daß 
der Patient, der lange aufschob, zu einem Facharzt zu gehen, der sein Genitale 
untersuchen sollte, eine Phimose (Vorhautverengerung) hatte: 

Traum: „Ich war im Strandbad, auch ein Arzt war da. Aus einem Loch im Boden 
kam ein rotes Stümpfchen heraus. Der Doktor kitzelte es heraus und es wurde 
zu einem langen roten Wurm. Patient fragte, ob es gefährlich sei, wenn man so etwas 
mache. Der Doktor erklärte es für ungefährlich.“ — 

Zu dem vielen Bedeutsamen, was geübte Psychoanalytiker wissen mögen, 
aber nicht mitgeteilt haben, gehört auch das Verhalten des Träumens und der 
Träume während des Verlaufes der seelischen Krankheit und ihrer Behand¬ 
lung. Es kann ein Traum angeblich die Erkrankung auslösen; der zuerst er¬ 
zählte, manchmal geradezu biographische Traum, hat, für später aufbewahrt, 
besondere Wichtigkeit; durch die Analyse eines bestimmten Komplexes 
werden Träume mobilisiert, die im Fortschreiten durch die Deutung sozusagen 
miterledigt werden; die Übertragung und der jeweilige Widerstand 
werden von charakterisierenden Träumen begleitet; davon und von 
vielem Anderen sollten wir mehr wissen, mehr niedergelegte Erfahrung zu 
lesen bekommen.^» Ich selbst habe berichtet, daß die Träumer bekannte Sym¬ 
bole (wie die der Zähne, der Stiege) wieder und wieder verwenden, aber im 
späteren Verlauf in einer durch die Analyse bereits günstig beeinflußten 
Weise.^^ Eine große Zahl von Fragen steht noch offen. Genauere Beobachtun- 

20) Die „psychoanalytische Situation** kann z, B., vom Patienten als Prüfung aufgefaßt, 
einen Prüfungstraum veranlassen. 

21) Über „"Wandlungen der Traumsymbolik beim Fortschritt der Behandlung**. Int. 
Zeitschr. f. Psa, 1931. 














































Beiträge zu einer Psychopathologie des Traumes 475 

gen über die Träume können uns lehren, die Prognose oder den jeweiligen 
Stand der Behandlung besser zu verstehen, die Nähe der Heilung zu erkennen. 

Eine solche Psychopathologie des Traumes wird die Psychologie des Traumes 
kaum wesentlich bereichern, aber das Interesse an ihr auffrischen. Bisher sind 
nur wir Analytiker Traumkenner und Traumdeuter. Es ist notwendig, daß 
auch Psychologen und Psychotherapeuten sich dafür mehr interessieren: damit 
wird die Unentbehrlichkeit der Beachtung dieses Phänomens, das auch ein 
Symptom bedeuten kann, endlich anerkannt werden. 

Die bewundernswerte Arbeit, die Freud als Traum- und Neurosendeuter 
geleistet hat, wird noch von vielen unterschätzt. Wie eindrucksvoll ist doch 
das „unbewußte Wissen‘‘ der Neurotiker um den Mechanismus und die 
unbewußten Triebkräfte ihrer Erkrankung, wie es die früher angeführten 
Träume der Hysteriker und Paranoiker sinnfällig machen! 

Es ist klar, daß unser scheinbar sofortiges Verstehen und Durchschauen 
auch nicht schulgerecht analysierter Träume nur Freuds Traumdeutung zu 
verdanken ist. Manche praktische Erfahrungen über das Gesetzmäßige sowohl 
des manifesten Trauminhalts, wie wiederkehrende Erfahrungen aus den 
Traumdeutungen gehen unveröffentlicht als traditionelles Wissen von Analyti¬ 
ker zu Analytiker, aber das Gesetzmäßige aufzuzeichnen, ist dringende Auf¬ 
gabe der Wissenschaft; und gerade die Psychoanalyse muß, als schwer erlern¬ 
bar, noch immer um Vertrauen gerade unter Ärzten werben, und auch Ver¬ 
treter der Geisteswissenschaften sollen noch zu gemeinsamer Arbeit gewonnen 
werden. 

Unsere Beobachtung der manifesten Träume, besonders auch von 
Serien von Träumen, von typischen Träumen, hat uns kaum wesentliche neue 
Einsichten, aber wertvolle Berichte und Bestätigungen über Gesetzmäßig¬ 
keiten auf dem Gebiete der Traum Wissenschaft geliefert. Hat doch Freud 
erst vor kurzem enttäuscht festgestellt, wie wenig von der Traumdeutung 
selbst von Psychiatern und Psychotherapeuten angenommen worden ist.^- 
Die Ärzte müßten die vorliegenden kurzen Mitteilungen zur Psychopathologie 
des Traumes, welche ihnen Beweismaterial in ihrer gewohnten Methodik vor¬ 
legen, die von den Phänomenen der Pathologie ausgeht und vom Einfachen 
zum Komplizierten fortschreitet, sehr begrüßen, ja auf sie warten. Vielleicht 
ist es aber nicht überflüssig, daß der Autor nochmals betont, wie fern es ihm 
liegt, die Tiefendeutung des Traumes zu unterschätzen oder zu glauben, daß 
die psychoanalytische Forschung und Behandlung die Aufdeckung der 
latenten Traumgedanken hinter dem manifesten Traum je ent¬ 
behren könnte. 


2z) „Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse.“ Ges. Sehr. Bd. XIL 











über Angstabwehr, insbesondere durch 
Libidinisierung" 

Von 

Otto Fenichel 

Oslo 

Die Ansichten, die Freud in „Hemmung, Symptom und Angst“^ über 
die Angst, diesen Hauptgegenstand der psychoanalytischen Forschung, ent¬ 
wickelt hat, lassen sich etwa folgendermaßen zusammenfassen: Die Angst ist 
zunächst die Art, wie das Ich eine erhöhte Bedürfnisspannung im Es beim 
Mangel an adäquater Abfuhrmöglichkeit in sogenannten „traumatischen Zu- 
ständen‘‘ erlebt; sodann aber lernt das Ich auch im Falle einer Gefahr, d. h. 
einer Situation, die zu einer traumatischen werden könnte, die erst passiv 
erlebte Unlust der Angst aktiv zu benutzen, indem es mit einem Angstsignal 
die verschiedenen Mechanismen, die der Gefahr begegnen sollen, ins Werk setzt. 

Zwischen „Angst im traumatischen Zustand'^ und „Angstsignal“ besteht 
kein absoluter Gegensatz. Zunächst sind beide dadurch miteinander verbun¬ 
den, daß die Angst, die das Ich aktiv als Signal entwickelt, offenbar entsteht, 
indem die Einsicht des Ichs in eine Gefahr, im Es bzw. im somatischen Apparat 
dieselben Bedingungen setzt, wie der traumatische Zustand — nur in ge¬ 
ringerem Ausmaße; sodann aber muß man feststellen, daß die Intention zum 
„Angstsignal“ oft mißlingt, indem bei vorhandener Libidostauung das akute 
Signal wirkt wie ein Zündholz im Pulverfaß. Die großen Angstanfälle etwa 
einer Angsthysterie lassen ja keinen Zweifel daran, daß das Ich mit der Ab¬ 
gabe eines Signals etwas ins Werk setzt, was es dann dank einer vorher 
latenten Libidostauung nicht mehr beherrschen kann. 

Diese Möglichkeit, daß das, was vor einem traumatischen Zustand schützen 
soll, unter Umständen selbst einen herbeiführt, macht es notwendig, daß das 
Ich nicht nur mit Hilfe von Angstentwicklung eine Triebabwehr durchführt, 
sondern dann auch Veranstaltungen treffen muß, um die Unlust der Angst 
abzuwehren. 

Der Mensch will zwar natürlich jede Art von Unlust vermeiden. Aber ein 
möglichst klein gehaltenes Angstsignal, das vor größerer Unlust bewahrt, 
müßte vom Realitätsprinzip doch als brauchbare Institution bejaht werden. 
Erst die Unsicherheit darüber, ob aus dem Signal nicht mehr und Unan¬ 
genehmeres wird als beabsichtigt, erklärt die bekannten ungeheuren Auf¬ 
wände an Gegenbesetzung, die zur Angstersparnis verwendet werden. Es gibt 
kaum ein von der Psychologie zu untersuchendes Phänomen, das nicht 
irgendwie eine solche Absicht erkennen ließe. Im Grunde muß man ja jede 

1) Nach einem auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern am 
27. August 1934 gehaltenen Vortrag. 

2) Ges. Sehr., Bd. XI. 








































über Angstabwehr, insbesondere durch Libidinisierung 477 

Erscheinungsform von Gegenbesetzung, die nicht selbst Angst ist, auch als 
Angstabwehr bezeichnen; denn gelänge eine solche „Bindung“ der abgewehr¬ 
ten Triebenergien durch eine Gegenbesetzung nicht, würden diese in ihrer 
Stauung Angst erzeugen. Das gilt am deutlichsten für Mechanismen von der 
Art der Phobie, die um den Preis einer Ich-Einschränkung die Angst ver¬ 
meiden. Es gilt für die neurotischen Symptome überhaupt, die zwar nicht 
Erscheinungen der Gegenbesetzung sind, an denen aber, insofern sie Sym¬ 
ptome sind und nicht Triebbefriedigungen, die Gegenbesetzung Anteil hat, 
und deren Unterdrückung Angst auftreten läßt. Es gilt vor allem für alle 
Arten der chronischen charakterlichen Verarbeitung von Triebkonflikten im 
Sinne der Reaktionsbildungen, für die — wie Freud formuliert hat — „In¬ 
konsequenzen, Verschrobenheiten und Narrheiten der Menschen, ... durch 
deren Annahme sie sich Verdrängungen ersparen“,® richtiger: Akte des Nach¬ 
drängens, also andere, akutere, aufwandreichere Abwehrarten ersparen — und 
damit auch Angstanfälle. 

Eine rationale Wirkung des Angstsignals wäre ja die Gefahrabwehr, durch 
Kampf oder durch Flucht. Aber insofern es wegen der Gefahr, das Ich könnte 
von der von ihm selbst als Signal benutzten Angst überwältigt werden, die 
„Angst vor der Angst“ gibt, gibt es auch Kampf oder Flucht, die sich nur 
gegen das Angsterlebnis richtet, ohne an der objektiven oder vermeintlichen 
Gefahr etwas zu ändern. Diese Gegenbesetzungen sind zunächst Sicherungs¬ 
maßnahmen gegen das Auftreten des Angsterlebnisses. Aber wie auch sonst 
bei allen Gegenbesetzungen vom Charakter der Reaktionsbildung, bei denen 
also die unbewußte Gegenhaltung niedergehalten werden soll, gibt es auch 
hier Überkompensationen. Man sucht nicht nur, wie bekannt, seine Angst zu 
„widerlegen“, wie etwa in den Perversionen, sondern wie Demosthenes seine 
Organminderwertigkeit, so pflegen auch manche Leute ihre Angst zu über¬ 
winden, indem sie genau das tun und aufsuchen, wovor sie ursprünglich Angst 
hatten. Freilich gelingt dies nicht allen gleich gut und hinter solchen Ver¬ 
suchen zur Verdrängung, richtiger zur Leugnung von Angst, können genug 
Symptome, Symptomhandlungen oder Träume die noch vorhandene Angst 
verraten. 

Die häufige Angst des kleinen Kindes ist zunächst Folge biologischer Um¬ 
stände. Es ist nicht imstande, seine Bedürfnisse selbst zu befriedigen, weil es 
noch nicht handeln, noch nicht sinnvoll in die Außenwelt eingreifen kann. 
Bei vorhandenem Triebbedürfnis führt deshalb das Ausbleiben der Hilfe der 
Außenwelt zu häufigen traumatischen Situationen. Dies hat uns Freud®^ ge¬ 
zeigt, und besonders Melanie Klein^ und Nina Searl® an konkreten Bei- 

3) Freud; Neurose und Psychose. Ges. Sehr., Bd. V. 

3 Hemmung, Symptom und Angst, Ges. Sehr., Bd. XL 

4) Was in früheren Arbeiten darüber gesagt wurde, ist zusammengefaßt in; Die Psycho¬ 
analyse des Kindes. Int. Psa. V, 1932. 

5) Vgl. z. B. The Psychology of Screaming, Int. Journal of Psa., XIV, 1933. 






478 Otto Fenichel 

spielen belegt. Diese traumatischen Situationen schaffen aber nur die Mög¬ 
lichkeit der Auffassung, Triebe seien Gefahr, denn das Urteil „Gefahr‘‘ ist 
immer die Erinnerung an einen erlebten traumatischen Zustand. — Ob aber 
Triebe auch bei einem Ich, das die Außenwelt schon besser meistern gelernt 
hat, wirklich als Gefahren gefürchtet werden, das hängt natürlich von den 
Erlebnisschicksalen der Triebe des Kindes während der ersten Kindheitsjahre 
ab. Ohne jene biologische Voraussetzung gäbe es diese pathogene Auffassung 
nicht; damit sie sich aber bildet, müssen zu ihr die gesellschaftsbedingten 
äußeren Versagungen hinzutreten, die sowohl die speziellen Formen der beiden 
großen Angstinhalte — Liebesverlust und Kastration — bestimmen, als auch 
die Libidostauung setzen, die die Angstsignale der ängstlichen Kinder in große 
Angstanfälle Umschlagen läßt. 

Nun wissen wir, daß die Umwandlung des Lustprinzips zum Realitäts¬ 
prinzip kein einmaliger Akt, sondern ein langer Prozeß ist. Der Mangel eines 
vollausgebildeten Realitätsprinzips in den frühen Kinderjahren, der die Ob¬ 
jekte nur im Verhältnis zum eigenen Triebleben erfassen läßt, führt nun zu 
einer phantastischen Verkennung der Außenwelt, von der Strafen erwartet 
werden, die den eigenen als gefährlich auf gefaßten Trieben entsprechen. Diese 
für die Theorie der Angst und der Angstabwehr so bedeutsamen vermeint¬ 
lichen Gefahren, die durch projektive Verkennung der Außenwelt über dem 
Kind schweben, sind uns vor allem von Melanie Klein und den anderen 
englischen Kollegen wiederholt geschildert worden. Nur deren Ausdrucks¬ 
weise wollen wir widersprechen, wenn sie diese Gefahren die „Drohungen des 
besonders strengen frühinfantilen noch ganz und gar sadistischen Über-Ichs‘‘ 
nennen. Denn das Kind erwartet das Unheil von außen; es droht ihm nicht 
objektiv, aber das Kind denkt, daß es ihm objektiv drohe. „Die Angst der 
Tierphobie ist die unverwandelte Kastrationsangst, also eine Realangst, Angst 
vor einer wirklich drohenden oder als real beurteilten Gefahr"", schreibt Freud 
in „Hemmung, Symptom und Angst"".® Auch die Idee, man könnte von der 
wirklichen Mutter gefressen werden, wird geringer, wenn man die in Wahr¬ 
heit freundliche Mutter unausgesetzt ansehen kann, so wie der Phobiker nach 
dem Fund von Helene Deutsch den von ihm unbewußt gehaßten Menschen 
immer neben sich haben muß, nicht um seinen Haß durch dessen Anblick zu 
steigern, sondern um ihn zu schwächen, ihn sozusagen durch die Realität zur 
Vernunft zu rufen.'^ Es bedarf freilich noch eingehenden Studiums, um zu er¬ 
gründen, warum und in welcher Weise die Realität phantastisch verkannt 
wird; es ist kein Zweifel, daß tatsächlich nicht nur Projektionen, sondern auch 
Introjektionen das frühkindliche Seelenleben beherrschen, daß auch in dieser 
Zeit Introjekte das Rest-Ich bedrohen können; dennoch ist diese Angst im we- 


6 ) Ges Sehr., Bd. XI, S. 47. 

7) Helene Deutsch: Zur Genese der Platzangst. Int. Ztschr. f. Psa. XIV, 1928. 













































über Angstabwehr, insbesondere durch Libidinisierung 479 

sentlichen nach außen gerichtet, solche „Vorläufer des Über-Ichs‘‘ sind von 
jener entschiedenen stufenbildenden Neuakquisition des „Untergangs des 
Ödipuskomplexes ® deutlich zu unterscheiden. Es erschwert die präzise Auf¬ 
fassung der dem sprachlichen Denken so fernen prägenitalen Welt, wenn man 
ihre Inhalte als „Ödipuskomplex*^ und „Über-Ich‘* wiedergibt, welches 
Termini sind, die späteren Entwicklungsstadien zugehören. Trotzdem — 
oder gerade deshalb — sei betont, daß wir Melanie Klein einen inhaltlichen 
Fund verdanken, dessen Bedeutung für die Theorie noch gar nicht genug ge¬ 
würdigt ist (das wird erst durch seine Konfrontierung mit der „präödipalen 
Phase“ Freuds^ geschehen), die Entdeckung nämlich, daß bei beiden Ge¬ 
schlechtern, und mit nachhaltigerer Bedeutung beim weiblichen Geschlecht, 
in der frühen Kindheit, in der sogenannten oral-sadistischen Periode, Objekt¬ 
tendenzen mit dem Ziele auftreten, zerstörend in das Innere des Mutterleibes 
einzudringen und dessen Inhalt aufzufressen; ferner, daß dieses Wunsches 
wegen Vergeltungsängste entstehen, daß diese Ängste es sind, die das Realitäts¬ 
bild des kleinen Kindes trüben, und daß das Kind nun eine Menge ver¬ 
schiedener Wege einschlägt, um, in einem Wirrwarr von Projektion und Intro- 
jektion phantasierend, gegen die Angst anzukämpfen.^® 

Aus den Methoden, die das kleine Kind schon frühzeitig zur Abwehr der¬ 
artiger Ängste anwendet, heben sich nun vor allem zweierlei heraus: die 
Identifizierung mit dem Angstobjekt und die Flucht zur Realität. 

Die Identifizierung als Angstabwehr, die Gegenstand eines Kongreßvortrages 
von Anna Freud war,^^ ist nicht ohne weiteres verständlich. Zweierlei Über¬ 
legungen, die einander berühren, können uns ihrem Verständnis näherbringen. 
Erstens ist die Identifizierung die älteste Art der Auseinandersetzung mit der 
Objektwelt überhaupt; jeder Wunsch nach einer Änderung späterer Objekt¬ 
beziehungen höherer Ordnung kann deshalb, wenn er Regressionen veranlaßt, 
zur Identifizierung führen.^^ Man wehrt nicht nur innere Ängste ab, indem 
man sie, wie in der Phobie, in ein äußeres Angstobjekt projiziert; man kämpft 
auch gegen äußere Angstobjekte an, indem man sie introjiziert, was zu einer 
Identifizierung mit ihnen führt. Und indem man selbst den agiert, vor dem 
man sich fürchtet, wendet man zweitens nur einen speziellen Fall jenes Mecha¬ 
nismus an, den Freud beschrieben hat, und der darin besteht, in der Er¬ 
regungsmenge unbemeisterbare passive Erlebnisse nachträglich aktiv zu wie- 

8) Freud: Der Untergang des Ödipuskomplexes. Ges Sehr., Bd. V. 

9) Freud; Über die weibliche Sexualität. Ges. Sehr., Bd. XII. 

10) Melanie Klein: Die psychologischen Grundlagen der Frühanalyse, Imago, XII, 1926, 
Frühstadien des ödipuskofliktes, Int. Ztschr. f. Psa., XIV, 1928, Die Rollenbildung im Kinder¬ 
spiel, Int. Ztschr. f. Psa., XV, 1929, Frühe Angstsituationen im Spiegel künstlerischer Dar¬ 
stellungen, Int. Ztschr. f. Psa., XVII, 1931, Die Psychoanalyse des Kindes, Int. psa. Verlag 
1932. 

xi) Ein Gegenstück zur Tierphobie der Kinder, Vortrag a. d. XI. internat. psa. Kongreß 
in Oxford, 1929. 

12) Vgl. Fenichel: Die Identifizierung, Int. Ztschr. f. Psa., XII, 1926. 








480 Otto Fenichel 

derholen.^^ Die Voraussetzung für eine solche Erledigung scheint zu sein, daß 
die in der Identifizierung mit dem Angstobjekt sich äußernde Ambivalenz 
auch schon vorher vorhanden gewesen war. Man denke an die von Freud 
klar gestellte Rolle der Ambivalenz für die infantile Wiederkehr des Totemis¬ 
mus.^^ Aber das Kind agiert nicht nur das Tier, vor dem es sich fürchtet, 
es fühlt sich, wenn man so sagen darf, seinem Totem zugehörig. Identifi¬ 
zierung und Objektliebe sind hier noch nicht ganz getrennt. Es empfindet dem 
Tier gegenüber „Wir"' und liebt narzißtisch jeden Vertreter der Gattung, mit 
dem es sich identifiziert hat. Auf diese Weise können nicht nur aus Kastra¬ 
tionsangst durch Identifizierung mit dem Kastrator grausame Handlungen 
gegen Dritte, sondern es kann sogar durch eine Art „Identifizierungsliebe‘‘ zu 
dem Kastrator eine passiv-homosexuelle Kastrationslust entstehen. 

Auch die Flucht zur Realität, z. B. ein Anklammern an die reale Mutter, 
das vor der phantastisch verkannten Mutter schützen soll, führt zu einer An¬ 
hänglichkeit, also zu einer Art Liebe zu der Person, vor der man sich fürchtete. 
Wie einen prophylaktischen Gegenangriff, so gibt es auch eine prophylaktische 
Liebe zu dem, den man fürchtet. 

Was man nun „Libidinisierung*" der Angst nennt, ist von zweierlei Art. 
Einerseits gibt es eine Abwehr der Angst durch Entwicklung von Angstlust. 
Andrerseits eine Entwicklung von Anhänglichkeit, Liebe oder sexuellen Ver¬ 
haltungsweisen an den Stellen, wo vorher Angst gewesen war, eine Kombina¬ 
tion der beiden Methoden Identifizierung und Flucht zur Realität. 

Daß ein zur Triebabwehr bestimmter Mechanismus sekundär libidinisiert 
wird, kommt auch außerhalb des Gebietes der Angst vor. Dies geschieht so¬ 
wohl, wenn bei Fortdauer des pathogenen Konfliktes das Abgewehrte in der 
Abwehr wiederkehrt, als auch, wenn ein sekundärer Krankheitsgewinn auf die 
Weise zustande kommt, daß das Ich es fertigbringt, aus einem ursprünglich 
der Triebabwehr dienenden Verhalten sekundär irgendeine libidinöse 
Lust zu ziehen. Als Beispiel für das erste diene ein Zwangssymptom, dessen 
ursprüngliche Bußbedeutung im Verlaufe der Neurose immer mehr hinter der 
Triebbedeutung zurücktritt;^® als Beispiel für das zweite die bei Zwangs¬ 
neurotikern so häufigen „Zwangsspiele‘‘, an denen der Kranke bewußt eine 
gewisse Freude empfindet.^® Die normale anale Retentionslust scheint ganz 
allgemein eine solche „Libidinisierung‘" der gegen die ursprüngliche Aus¬ 
scheidungslust gerichteten Abwehr zu sein. 

Auch der Schmerz ist eine Unlust, die vom Ich als Signal verwendet 
wird, um größeres Unheil zu verhindern. Auch der Schmerz wird seiner Un- 

13) Siehe zunächst; Jenseits des Lustprinzips, Ges. Sehr., Bd, VI, ferner vor allem auch; 
Über die weibliche Sexualität, Ges. Sehr., Bd. XII. 

14) Vgl. Totem und Tabu. Ges. Sehr., Bd. X. 

15) Vgl. Hemmung, Symptom und Angst, Ges. Sehr., Bd. XI, S. 58. 

16) Vgl. Fenichel; Perversionen, Psychosen, Charakter Störungen, S. ^f. 










































Über Angstabwehr, insbesondere durch Libidinisierung 4^i 

lust wegen dann abgewehrt und oft genug durch „Libidinisierung*'.^^ Von der 
der Angstlust analogen Schmerzlust wissen wir nun, daß sie zunächst auf einer 
physiologischen Grundlage beruht, dem erogenen Masochismus, d. h. dem Um¬ 
stand, daß der allgemeine Satz, Erregungen jeder Art seien Quelle auch 
sexueller Erregung, auch für den Schmerz gilt.^® Wenn nun durch gewisse 
Triebschicksale eine Angst einen Sadismus durch Wendung gegen das Ich zu 
überwinden zwingt, wird dieser erogene Masochismus unter Umständen die 
Leitlinie, an der sich eine verhängnisvolle Entwicklung zur „Libidinisierung 
einer Unlust** knüpfen kann. Ganz analog geht es offenbar bei der „Angst¬ 
lust** zu. Wie jede andere Erregung, so kann auch die Erregung der Angst 
Quelle der sexuellen Erregung werden. Aber sie kann das — genau so wie 
beim Schmerz — nur, solange die Unlust in bestimmten Grenzen bleibt, z. B. 
bei der Einfühlung in den Helden der Tragödie. Wenn nun eine starke Angst 
überwunden werden soll, so können, genau wie beim Masochismus, die Wege 
der aktiven Wiederholung des passiv Erlebten, oder der prophy¬ 
laktischen Vorwegnahme des Gefürchteten, um späterer stärkerer 
Unlust zu entgehen, die „erogene Angstlust** mitbenutzen und so bewirken, 
daß bis zu einem gewissen Grad an Angst Genuß empfunden wird. Dies ist 
— wie beim Masochismus — ein sekundärer Anpassungsvorgang. Schlechter¬ 
dings nichts spricht für die von Laforgue vorgeschlagene Hypothese, daß 
die Angstlust die primitive Form jeder Lust überhaupt sei.^^ 

Wir kehren zu unserer anderen Frage zurück: Wie kommt es zu Anhäng¬ 
lichkeit, Liebe oder sexuellen Verhaltungsweisen gegenüber ursprünglichen 
Angstobjekten? Wie kann man auf solche Weise der Angst entgehen? 

Ein Patient war als Junge mit allen Tieren des zoologischen Gartens gut be¬ 
freundet und führte seine Bekanntschaft mit ihnen stets allen Besuchern mit ex- 
hibitionistischem Stolz vor. Eine Dohle, die er herbeizurufen und zu füttern pflegte, 
pickte ihn eines Tages in die Hand. Sein Stolz stieg nur noch, er fühlte sich dem 
Tiere nur noch verbundener und exhibierte mit der Wunde. Man erkennt leicht, 
daß in der Vorliebe dieses Jungen zu den unbewußt gefürchteten Tieren die beiden 
besprochenen Mechanismen zugleich beteiligt waren: Er war mit diesen Tieren 
identifiziert und fühlte sich als einer von ihnen; er floh vor den gefürchteten 
Tieren der Phantasie zu den harmlosen der Wirklichkeit. 

So gibt es etwa die für die Psychologie des Examens wichtige Haltung: „Ich 
fürchte den Prüfer nicht nur nicht, ich bin sogar mit ihm befreundet.“ Freilich 
ist kein Zweifel, däß diese Mechanismen der „Libidinisierung der Angst“ dazu 
führen, daß eine tiefe feminine Triebeinstellung dem Vater gegenüber sich in einer 
für männliche Ideale erträglichen Form zeigen kann. 

Wir haben also eine Dreischichtung vor uns: Ein Trieb wird durch Angst 
abgewehrt, die Abwehr dieser Angst bringt dann das ursprünglich Abgewehrte 

17) Vgl. hiezu die Ausführungen von Freud: Ges. Sehr., Bd. XI, S. 114. 

18) Vgl. Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Ges. Sehr., Bd. V. 

19) Laforgue: Libido, Angst und Zivilisation. 












482 Otto Fenichel 

wieder zum Vorschein. Freilich ist die passive Homosexualität der dritten 
Schicht dann nicht mehr identisch mit der der ersten. 

Genau so ist es bei der Wiederkehr aktiver Triebregungen zum Zwecke 
der Angstabwehr. Wenn ein Kind unausgesetzt wildes Tier spielt, um 
der Angst vor dem Gefressenwerden zu entgehen, so kann diese Angst 
ihrerseits Vergeltungsangst wegen ursprünglicher oral-sadistischer Triebe 
sein. Der Oralsadismus hat sich aber dann bei seinem Durchgang durch die 
Phase der Vergeltungsangst verändert. 

Es gibt nun Menschen, deren ganzer Charakter durch diese Art von Gegen¬ 
besetzungen formiert ist. Sie tun ständig Dinge, vor denen sie eigentlich, 
ohne es zu wissen, Angst haben, um sich gerade durch solches prophylakti¬ 
sches Verhalten Angst zu ersparen. Bis zu einem gewissen Ausmaß befriedigen 
sie dabei ebenfalls, ohne es zu wissen, die ursprünglichen Triebregungen, zu 
deren Abwehr die Angst überhaupt entwickelt worden ist. Es sind reaktive, 
unechte Charaktere, deren Angst in der Analyse erst mobilisiert werden muß. 

Dieses hier allgemein skizzierte Phänomen gibt es nun im besonderen häufig 
im Bereiche der Sexualität: Das sexuelle Verhalten eines Menschen, rein de¬ 
skriptiv gleichgerichtet seiner Triebanlage, ist von dieser durch eine zwischen¬ 
geschaltete Angstschicht getrennt, ist daher unfrei und unecht und dient in 
erster Linie dazu, Angst abzuwehren. 

Freud hat beschrieben, daß es Formen von Homosexualität gibt, die einer 
Überkompensierung eines ursprünglichen Hasses entsprechen.^^ Es gibt auch 
andere reaktive Formen der Homosexualität, nämlich eine Identifizierung mit 
dem anderen Geschlecht zum Zwecke der Verleugnung der Angst vor dem 
anderen Geschlecht. 

Derselbe Patient, der das Abenteuer mit der Dohle hatte, war zwar nicht 
homosexuell, aber weitgehend feminin eingestellt. Er liebte Frauen nur mit einer 
Art Identifizierungsliebe, indem er in etwas exhibitionistischer Weise ihnen 
stets zu zeigen bestrebt war: „Sieh, wie ich mich in dich einfühlen kann, ja, wie 
gar kein Unterschied zwischen dir und mir besteht."' Eine relativ späte traumatische 
Beobachtung des weiblichen Genitales hatte die Entwicklung dieses Jungen in ver¬ 
hängnisvoller Weise gestört. Diesen Anblick hatte er als vollkommen fremdartig 
empfunden. In die Angst vor diesem als oral-gefährlich aufgefaßten Fremdartigen 

20) Man denkt hier an die ähnlich liegenden „Triebkonflikte'*, die Alexander neben 
den „strukturellen" Konflikten als neurosebildend beschrieben hat. (Über das Verhältnis 
von Struktur- zu Triebkonflikten, Int. Ztschr. f. Psa., XX, 1934.) Es rufe etwa eine die 
Männlichkeit brachlegende Kastrationsangst eine starke unbewußte Femininität hervor; 
diese wird dann durch äußerlich männliches Gehaben abgewehrt usw. Es sind dies Situa¬ 
tionen, analog den von uns gemeinten. Nur möchten wir hinzufügen, daß es uns nicht 
richtig scheint, sie zu den Fällen pathogener „struktureller Konflikte" in Gegensatz zu 
stellen. Pathogen sind immer nur strukturelle Konflikte, und Konflikte der 
Bisexualität würden niemals zu Neurosen führen (im Unbewußten bestehen Widersprüche 
ungeordnet nebeneinander), deckten sie nicht gleichzeitig einen „strukturellen" Konflikt, 
indem einer der beiden in Konflikt liegenden Triebe jeweils dem Ich näher steht. 

21) Freud: Über einige neurotische Mechanismen bei Homosexualität, Eifersucht und 
Paranoia, Ges. Sehr., Bd. V. 








































über Angstabwehr, insbesondere durch Libidinisierung 4^3 

konnte er alle seine bisherigen Kastrationsängste verdichten, mit ihm hatte er sich 
nun irgendwie .abzufinden. Er tat es, indem er mit seinem gesamten Verhalten die 
Einsicht „Frauen sind etwas anderes als ich“ leugnete: „Frauen sind genau dasselbe 
wie ich, ich habe an ihnen keinerlei erschreckende Entdeckungen zu machen, ich 
kenne alle weiblichen Angelegenheiten sehr genau.“ Hier haben wir eine das sexuelle 
Verhalten verändernde Identifizierung mit dem Angstobjekt. Was genuiner Trieb 
scheint, ist in Wahrheit zunächst einmal Angstabwehr. 

Sehr viele Züge im Liebesieben dienen dazu, gleichzeitig vorhandene Sexual¬ 
angst durch Überkompensierung abzulenken.^^ jeder von uns kennt Fälle wie 
den folgenden: 

Eine Patientin litt auf Grund verschiedener infantiler sexueller Erlebnisse an 
einer schweren manifesten Angst vor dem Verlassen werden. Wie ein ängstliches 
Kind nicht einschlafen kann, wenn nicht eine schützende Person anwesend ist, 
so mußte sie auch als Erwachsene sich unausgesetzt irgendeiner Verbindung mit 
anderen Menschen versichern, um schwerer Angst zu entgehen. Der analytischen 
Kur setzte sie dadurch den heftigsten Widerstand entgegen, daß sie kein anderes 
Interesse kannte, als sich dessen zu versichern, daß der Analytiker „zu ihr halte“. 
Man versteht, daß diese junge Frau Männern, die um sie warben, kein Nein sagen 
konnte, ja daß sie selbst, wenn sie allein war, es nicht aushielt, ohne um einen 
Mann zu werben. Sie führte scheinbar ein reichliches Sexualleben, aber die äußere 
Sexualbetätigung des Erwachsenen war ihr nichts anderes, als was die Hand der 
Mutter dem Kinde ist, die dieses festhalten muß, wenn es im Bett legt, um nicht 
der Onanieversuchung zu unterliegen: ein Mittel der Angstabwehr, um die wahre 
Sexualität weiter in der Verdrängung zu halten. 

Nicht ganz so einfach liegt ein zweiter Fall, nämlich der einer Patientin, die keines¬ 
wegs frigid war und dennoch eine Reihe schwerer neurotischer Störungen zyklothymen 
Charakters aufwies, und die in Symptomen und Charakter zeigte, daß sie mit den 
Konflikten der oralsadistischen Stufe nicht fertig geworden war. Im Gegensatz zu 
anderen sthweren Sorgen machte sie sich wenig Sorgen um ihre Sexualität. Auf 
diesem Gebiet schien alles in Ordnung: sie verkehrte häufig und mit verschiedenen 
Männern und spielte dabei mit besonderer Vorliebe die Rolle der Verführerin. Sie 
behandelte dabei die Männer mit mütterlicher, liebevoller Zärtlichkeit und Rücksicht. 
Der harmlos-freundliche Charakter des ganzen Sexualverhaltens war so unterstrichen, 
daß es nicht schwer war, in ihm eine Reaktionsbildung gegen aggressive Neigungen zu 
erkennen. Das Mittel dieser Reaktionsbildung war eine Identifizierung mit ihrer 
Mutter, die sie, sonst häufig streng und dem Kind allerlei Versagungen bereitend, 
in der Zeit einer langwierigen Krankheit aufopferungsvoll gepflegt hatte. Das 
Sexualverhalten der Patientin hatte also den Sinn: „Ich will den Männern nicht 
wehe tun, -sondern zu ihnen so lieb sein, wie die Mutter zu mir war, als ich krank 
war.“ Die Analyse ließ keinen Zweifel daran, daß die Patientin diese Krank¬ 
heit als eine Art Strafe aufgefaßt hatte, die für aggressive Regungen über 
sie verhängt worden war, die vom sonstigen Benehmen abweichende Güte der 
Mutter also als Verzeihung. Sie hatte irgendwelche schrecklichen Ängste vom 
Charakter von Vergeltungsängsten, die durch die Krankheit aktiviert worden waren, 
durch das Anklammern an die jetzt gütige pflegende Mutter abgewehrt, und sich 
später mit deren Haltung identifiziert. 

22) Mannigfaltiges Material dieser Art findet man z. B. in der Arbeit von Melitta 
Schmideberg: „Einige unbewußte Mechanismen im pathologischen Sexualleben und 
ihre Beziehungen zur normalen Sexualbetätigung.“ Int. Ztschr. f. Psa., XVIII, 1932. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XX/4 


33 






Otto Fenichel 


Wenn sie in der späten Kindheit von älteren Spielkameraden enttäuscht oder 
gekränkt wurde, so suchte sie sich jüngere Kameraden, die sie beschützen konnte. 
Das liebevolle Verhalten erschien so als Abwehr von Aggression, aber auch von Angst. 

Die weitere Analyse deckte dann auf, wie sehr die Patientin auch in einer 
anderen Weise dem Strukturbild entsprach, an das wir bei der Diagnose „Pseudonym¬ 
phomanie“ zu denken pflegen Sie stand mit einem Teil ihres Ichs durchaus auf 
der Stufe der Partialliebe; unbewußt interessierte sie am Mann vorwiegend oder 
ausschließlich der Penis. Ihm galt im Grunde alle Zärtlichkeit; ihm aber auch die 
Aggression und die unheimliche Angst vor einer zerstörenden Vergeltung. Oral¬ 
sadistische Einverleibungsideen und die zugehörigen Ängste waren es, die durch ein 
liebevoll zärtliches Verhalten verleugnet werden sollten. Wenn wir vorhin an¬ 
deuteten, sie hätte die Männer, zu denen sie zärtlich war, nach dem Typus der 
narzißtischen Objektwahl gewählt, um sie so zu behandeln, wie sie von der Mutter 
behandelt sein wollte, so ist das nun zu ergänzen; Im Grunde war es der Penis 
dieser Männer, dem sie sich selbst gleichgesetzt hatte. Als sie einmal erzählte, daß 
ihr Vater ausgeritten sei, sagte sie; „Ich war sehr stolz auf mein Pferd“, statt „auf 
meinen Vater“. 

Die spätere Liebesbeziehung zum Vater war überhaupt sehr von Identifizierungs¬ 
zügen durchzogen. Ihre Sehnsucht war, seinem Penis gegenüber empfinden zu 
können: „Ich habe einen Anteil daran; das ist eine mir vertraute Sache: ,unser‘ 
Penis/‘ Sie verhielt sich also zur Männlichkeit ihres Vaters so ähnlich, wie der 
früher erwähnte feminine Patient zur weiblichen Penislosigkeit; ihre liebevolle 
Zärtlichkeit verleugnete die angsterregende Andersartigkeit. 

Die weitere Analyse ließ uns dann noch einen Einblick in die tiefen Schichten 
der oral-sadistischen Aggression und der Angst vor dem Penis tun. Diese 
Einstellung war nicht am Vater, sondern an der Mutter erworben worden. Eine 
intensive ambivalente orale Bindung an diese war die Grundlage des ganzen Cha¬ 
rakters. Ein seltsames Interesse für Tote, Friedhöfe und alles, was damit zusammen¬ 
hängt, zeichnete sie aus; in der Nachpubertätszeit verbrachte sie Stunden tag¬ 
träumend auf dem Friedhofe. Sie stellte sich die Toten sehr „friedlich“ vor. Wie zu 
erwarten, zeigte die Analyse hinter diesem Interesse das für das „Innere des Mutter¬ 
leibes“ auf. Hinter dem friedlich zärtlichen Charakter des Interesses für die Toten 
war ein intensiv sinnliches Interesse für diesen Gegenstand verborgen. Die Idee, 
friedlich auf einem Grabe zu sitzen, d. h. mit einer „Unterirdischen“ „in Liebe ver¬ 
eint“ zu sein, war eine gelungene Art, wollüstige Todes wünsche gegen die Mutter und 
eine entsprechende Vergeltungs-Todesangst zu widerlegen, genau in der gleichen Art 
wie sie später durch ihr zärtliches Verhalten Männern gegenüber die analogen Ängste 
widerlegte. Die Todesangst stammt aus der Zeit der früher erwähnten Krankheit, an 
der sie vielleicht sterben würde. Das hatte immense Vergeltungsängste wegen älterer 
hier nicht weiter zu erörternder oral-sadistischer Triebe mobilisiert. Daß die 
Mutter, an der man sich sonst wegen der von ihr ausgehenden Versagungen wol¬ 
lüstig rächen wollte, nun gerade zu dieser Zeit so freundlich war und der Patientin 
durch ihre Zärtlichkeit als Schutz vor ihren Todesängsten diente, ermöglichte ihr, in 
ihrem späteren Leben Zärtlichkeit und Sexualität überhaupt zur Angstabwehr zu 
verwenden. 

Ihr sexuelles Verhalten war also zur Gänze wie ein neurotisches Symptom auf¬ 
gebaut. Es war kein Zweifel, daß in ihm zutiefst die verdrängte, im Unbewußten in 
ihrer ursprünglichen oral-sadistischen Form erhalten gebliebene Libido ihren Aus- 


23) Vgl. Fenichel: Perversionen, Psychosen, Charakterstörungen, S. 48 ff. 































über Angstabwehr, insbesondere durch Libidinisierung 


485 


druck fand. Aber dieser Ausdruck war nach dem Eingreifen der verdrängenden 
Mächte nicht mehr oral-sadistisch, sondern genital. Die genitale Art, in der das 
sexuelle Verhalten manifest erschien, war einem Mechanismus der Angstabwehr 
zu verdanken, der sich aus „Identifizierungen“ und „Flucht zur Realität“ zu¬ 
sammensetzte. Das genitale Verhalten entsprach nicht genitalen Trieben, sondern 
einem Gemenge aus oral-sadistischen Trieben und diese abwehrenden Ängsten. Mit 
Hilfe eben der genitalen Zärtlichkeit wurde die Angst abgewehrt. Diese war 
„libidinisiert“ worden. Die Patientin liebte und verzärtelte die Objekte, vor denen 
sie eigentlich Angst hatte. Es wunderte uns nicht, als im Verlaufe der Analyse 
die zufällig glücklichen quantitativen Verhältnisse angegriffen wurden und die 
Patientin zeitweise frigid wurde. 

Ein Fall, wie der eben besprochene, bietet an sich gewiß nichts Besonderes. 
Es ist bei ihm prinzipiell nicht anders, als etwa bei jenen bekannten männ* 
liehen Fällen, die äußerlich ein reiches Sexualleben führen, in Wahrheit aber 
nur, um eine innere Impotenzangst zu widerlegen — oder wie überhaupt bei 
jenen Fällen, wo in mannigfachster Weise äußerlich sexuelle Flandlungen nur 
um des bedrohten Selbstgefühls willen ausgeführt werden. Er ermöglicht uns 
aber einen Vergleich zwischen angstabwehrender „reaktiver*^ und spontaner 
Sexualität. Der Unterschied ist meist in die Augen fallend. Manchmal, unter 
glücklichen quantitativen Verhältnissen, ist er weniger deutlich, aber auch 
dann bleibt er theoretisch höchst bedeutsam. Wenn ein Mensch, dessen Sexuali¬ 
tät im Grunde infantil geblieben ist, eine dieser entgegenstehende Angst durch 
äußerlich erwachsen-sexuelles Verhalten abwehrt, so können solche sexuelle 
Handlungen im Prinzip niemals wirkliche Befriedigung bringen. Er ist or¬ 
gastisch impotent. Wenn man die abwehrenden Ich-Haltungen einteilt in 
solche, bei denen die abgewehrten Triebenergien frei abfließen (Typus der 
Sublimierung), und solche, wo sie durch eine Gegenbesetzung in Schach ge¬ 
halten, aber im Unbewußten unverändert bestehen bleiben (Typus der Reak¬ 
tionsbildung), so muß man sagen, daß eine Angstabwehr durch die geschilderte 
Libidinisierung zwar gewisse Abfuhren ermöglicht, aber im Grunde stets dem 
zweiten Typus angehört: die gefürchtete infantile Sexualität bleibt im Un¬ 
bewußten bestehen. Ein reaktives sexuelles Verhalten unterscheidet sich also 
nicht von anderen Verhaltungsweisen vom Charakter der Reaktionsbildung. 
Es ist wie diese krampfhaft, zielgehemmt, widerspruchsvoll, energieverbrau¬ 
chend und daher unzweckmäßig. 

Die reaktive Sexualität ist eine sekundäre Bildung. Verwechselt man 
sie mit der primären, somatisch bedingten Sexualität, so käme man bald in 
arge theoretische Wirrnis. 

Die „Libidinisierung der Angst*" spielt in der letzten Zeit in der psycho¬ 
analytischen Literatur eine große Rolle. Deshalb war mir daran gelegen, die 
wirklichen Verhältnisse klarzulegen. Werfen wir nun noch einen Blick auf 
diese Literatur, so müssen wir sehen, daß in ihr die Gefahr dieser Verwechs¬ 
lung nicht immer vermieden wurde. Eine Kollegin sprach vom „psychischen 










Otto Fenichel 


Sinn des Geschlechtsverkehrs“, weil sie bei pathologischen Personen prägenitale 
Angstabwehren während des Geschlechtsaktes in Tätigkeit gefunden hat.^i 
Kollegen, die bei oral Fixierten finden, daß der Penis unbewußt Mamma¬ 
bedeutung hat und benutzt wird, um oralsadistische Konflikte und Ängste zu 
erledigen, meinen, die Libidobesetzung des Penis verdanke der Sehnsucht nach 
solcher Erledigung ihr Entstehen.^® Bei manchen Arbeiten hat man fast den 
Eindruck, daß die Libido überhaupt nur mehr als ein Mittel, Angst zu neu¬ 
tralisieren, angesehen wird; man vergißt, daß die Libido eine biologische, so¬ 
matisch bedingte Kraft ist. 

Etwas davon findet sich sogar in Arbeiten von Jones. Er schreibt z. B.: 
„Die typische phallische Phase (ist) beim Knaben eher ein neurotisches 
Kompromiss als ein Stück der natürlichen Sexualentwicklung.“^« Aller¬ 
dings meint er die „deuterophallische“ Periode, die Kastrationsangst und 
ihre Folgen, also z. B. nicht den Impuls, phallisch einzudringen, sondern die 
Hemmung dieses Impulses, wenn er von der „phallischen Phase“ spricht. Und 
doch scheint es, daß ihn die Verfolgung der verwirrten Zusammenhänge von 
Genitalität und Prägenitalität, insbesondere die Verfolgung der aus der prä¬ 
genitalen Zeit übriggebliebenen Ängste und ihrer weiteren Schicksale dazu 
führte, in der Genitalität wesentlich ein Produkt der Kämpfe um die prä¬ 
genitale Angst zu sehen. Freud hat uns erklärt, daß in einer Zeit, wo das 
ganze Interesse des Jungen seinem Penis zugewendet ist, er, wenn er Sexual¬ 
verbote irgend welcher Art, besonders Onanieverbote, hört, nach dem 
Talionsgesetz eine Strafe am Penis erwartet; ferner, daß die so entstehende 
Kastrationsangst ihren dynamischen Wert eben aus dem Umstand zieht, 
daß der Penis in diesem Lebensalter so hoch besetzt ist.^^ Die somatisch be¬ 
dingte Libido erklärt uns die Stärke der durch den Eingriff der Erziehung 
bedingten Angst. Nach Jones verhält sich dieser Sachverhalt geradezu um¬ 
gekehrt: „Libidinisierung“ nicht nur dessen, was man fürchtet, sondern auch 
dessen, wofür man fürchtet, ist ein Mittel gegen Angst. Weil um diese Zeit 
Kastrationsangst herrscht, wird der Penis hoch besetzt, „die narzißtische Be¬ 
setzung des Phallus ist sekundärer Natur“. Der Junge hat nicht Angst um den 
Penis, weil er ihn als ein somatisch sensationsreiches Organ liebt, sondern er 
liebt den Penis, weil er um ihn Angst hat und sich deshalb besonders um ihn 
sorgen muß. Woher aber dann die Angst? Nun ist es so, daß uns die eng¬ 
lische psychoanalytische Schule sehr viel Beherzigenswertes über die prägeni¬ 
talen Ängste gelehrt hat, die vor allem aus dem oralen Sadismus stammen. 
Kein Zweifel, daß da in der psychischen Entwicklung das Alte immer noch 

24) Deutsche psychoanalytische Gesellschaft, 1931. 

25) Bergler u. Eidelberg: Der Mammakomplex des Mannes. Int. Ztschr. f. Psa., 
XIX, 1933- 

26) Jones; Die phallische Phase. Int. Ztschr. f. Psa., XIX, 1933, S. 337. Auch die 
folgenden Hinweise beziehen sich auf diese Arbeit. 

27) S. z. B. Freud; Die infantile Genitalorganisation, Ges. Sehr., Bd. V. 











































über Angstabwehr, insbesondere durch Libidinisierung 487 

hinter dem Neuen steht, auch die Kastrationsangst mit diesen Ängsten 
immer in assoziativer Verbindung steht. Statt nun diese Wege von der prä¬ 
genitalen zur genitalen Angst gleichsam als akzidentell zu beschreiben, sieht 
Jones in der Kastrationsangst nur ein Entwicklungsprodukt dieser frühen 
Ängste und in der phallischen Phase eine Folge der Kastrationsangst.^» 

Die zur Diskussion stehenden Fragen werden besonders wichtig bei den 
Problemen der Psychogenese der Perversionen. Flier handelt es sich um ein 
libidinöses Phänomen, das dazu dient, für gefährlich gehaltene Triebe anderer 
Art in der Verdrängung zu halten. Es liegt also nahe, daran zu denken, daß 
hier etwas Gefürchtetes sexualisiert sei. Das ist die Auffassung von Glover,^® 
an die man glauben möchte, wenn man z. B. einem Scherenfetischisten be¬ 
gegnet. Oder: Wir sind gewohnt, in der Pädophilie ein Verliebtsein in die 
eigene Kindheit zu sehen. Es gibt aber auch eine Form der Pädophilie, die 
analog der Femininität jenes die Angst vor den Frauen abwehrenden Patienten 
ist: So wie es viele Patienten gibt, die mit Kindern nicht reden und keinen 
Kontakt finden können, weil sie vor Kindern, die sie an ihre eigene verdrängte 
Kindheit erinnern, Angst haben, gibt es auch Pädophile, die Kinder lieben, 
weil sie eine solche Angst widerlegen und sich und andern beweisen wollen, 
daß sie Kinder nicht fürchten. Es könnte also sein, daß in solcher reaktiver 
Liebe zu den Kindern gerade das Gefürchtete wieder libidinisiert ist. Glover 
meint, daß das tatsächlich so ist, und daß Perversionen Libidinisierungen an 
denjenigen Stellen entsprechen, wo einmal Kindheitsängste bestanden haben. 
— Aber gerade der Fetischismus, auf den Glover sich beruft, scheint ja 
zunächst das Gegenteil zu beweisen. Wenn ein Bein- und Fußfetischist sich 
daran erinnert, daß er, als er als Kind einmal ein Mädchen mit kurzen Röcken 
sah, das Erlebnis des „Merkbefehls"‘^® gehabt habe: „Das muß ich mir für 
alle Zeiten merken, daß Mädchen auch Beine haben*", so verstehen wir: Er 
beschließt in diesem Augenblick gerade das Gegenteil, nämlich: „Mit Flilfe 
dieses Anblicks kann ich vergessen, daß Mädchen keinen Penis haben.“ Er 
sexualisiert also nicht dort, wo er Angst empfindet, sondern er sexualisiert 

28) Ich will es mir versagen, zahlreiche analoge Beispiele unserer Literatur zu be¬ 
sprechen. Ein Beispiel für viele; Nina Searl meint, daß eine Libidinisierung der Organe 
des respiratorischen Trakts zustande kommt, um die berechtigte Angst vor einer Schädigung 
in dieser Gegend wettzumachen, die anläßlich der Erfahrung von frühkindlichen Schrei¬ 
anfällen entstand. (The Psychology of Screaming, Int. Journal of Psa., XIV, 1933.) Daß 
man Organe und Funktionen, die man fürchtete, überkompensierend libidinisieren kann, 
ist kein Zweifel. Aber man kann nicht die Erogeneität einer Gegend, die eine biologische 
Eigenschaft ist, überhaupt auf einen derartigen Mechanismus zurückführen, sondern muß 
daran denken, daß die Angst, die hier abgewehrt wird, selbst wieder dazu bestimmt war, 
ihrerseits eine noch frühere somatisch bedingte Erogeneität abzuwehren. 

29) Glover: The Relation of Perversion-Formation to the Development of Reality- 
Sense. Int. Journal of Psa., XIV, 1933. 

30) Fenichel: Zur ökonomischen Funktion der Deckerinnerungen. Int. Ztschr. f. Psa., 
XIII, 1927. 












^88 Otto Fenichel 

dasjenige, was seiner Angst widerspricht. Infantile sexuelle Befriedigungen, die 
eine gleichzeitige Angst zu widerlegen scheinen, legen natürlich besonders 
leicht den Grundstock zu Fixierungen. 

Es ist gerade charakteristisch für die Perversion, daß der infantile Partial¬ 
trieb, der manifest in der Perversion zutage tritt, nicht identisch ist mit den 
sexuellen Haltungen, die gefürchtet sind und abgewehrt werden. — In der 
Perversion wirken Momente, die von der erwachsenen Sexualität wegziehen, 
zusammen mit solchen, die zur infantilen hinziehen. Das Moment der Angst¬ 
überwindung durch Libidinisierung kann als Unterabteilung der zweiten 
Gruppe eine Rolle spielen. ^W^enn man das aber als allein ausschlaggebend 
hervorheben will, so wird zunächst die erste Gruppe von Faktoren völlig 
außeracht gelassen. Sie kulminiert immer in der Kastrationsangst. 
Glover wirft dieser Meinung vor, sie erkläre die Perversionen allzu monoton. 
Zu Unrecht. Monoton ist die Kastrationsangst, die tatsächlich bei allen Per¬ 
versionen in gleicher Weise bewirkt, daß die erwachsene Sexualität durch 
etwas anderes ersetzt werden muß; wodurch sie aber ersetzt wird, das ist nicht 
monoton, sondern hängt von der Anziehung ab, die von den verschiedenen 
Partialtrieben ausgeht, und bei der die Libidinisierung zum Zwecke der Angst¬ 
überwindung einen Faktor neben anderen darstellen mag. 

Aber auch unter den fixierenden Faktoren darf man die Libidinisierung 
zum Zwecke der Angstüberwindung nicht allzu isoliert hervorheben. Es ent¬ 
steht sonst der Eindruck, daß die somatische Basis der Partialtriebe, die ge¬ 
sicherte Erfahrung, daß diese durch Konstitution oder durch Erleben 
Fixierungen erleiden können, zu kurz kommen könnte über der einen 
neuen Entdeckung. Wenn Glover z.B. formuliert, daß „viele der sogenann¬ 
ten spontanen sexuellen Aktionen der Kindheit schon im Prinzip Perversio¬ 
nen sind“, d. h. der Angstüberwindung dienen, so fürchtet man für die grund¬ 
legenden Erkenntnisse der Psychoanalyse über die infantile Sexualität als einer 
aus somatischen Quellen stammenden Gegebenheit. 

Fragt man nun aber: „Wieso kann das Ich den perversen Impuls be¬ 
jahen?“, so ist die Antwort: „Weil dank der Libidinisierung die Bejahung des 
Gefürchteten Angst erspart“, sicher nicht die prinzipiell richtige, sondern man 
müßte etwa sagen: „Weil diese Bejahung imstande ist, gerade dasjenige Mo¬ 
ment, das dem Patienten eine Triebbefriedigung als Gefahr erscheinen läßt, 
auszuschalten.“ Völlig ungenügend erscheint mit die Antwort Eideibergs: 
„Dieser Unterschied im Verhalten des Ichs ist dadurch bedingt, daß bei der 
Bildung der perversen Handlung der kindliche Größenwahn des Ichs im weit 
größeren Ausmaße berücksichtigt wird als beim neurotischen Symptom.“®^ 
Es scheint uns, es gehe gerade umgekehrt zu: Wenn dem Ich ein so glücklicher 
Ausweg aus einem Triebkonflikt gelingt, bei dem es seine gefährdete sexuelle 


31) Eidelberg; Zur Theorie und Klinik der Perversion. Int. Ztschr. f. Psa., XIX, 1933. 



















































über Angstabwehr, insbesondere durch Libidinisierung 4^9 

Lust unter der Bedingung der Zieländerung im Sinne des Rückgreifens auf 
alte Fixierungen erhalten kann, dann wird auch sein kindlicher Größenwahn 
dadurch gehoben und tritt deutlicher in Erscheinung. 

Die Psychoanalyse hat es mit ungemein komplizierten Sachverhalten zu tun. 
Will sie über diese Sachverhalte einen Gesamtüberblick gewinnen, so ist es 
wichtig, daß sie die richtigen Koordinaten der Ordnung all dieser Komplika¬ 
tionen zugrunde legt. Es gibt z. B. in den masochistischen Phänomenen einen 
Genuß an der Unlust. Dies darf nicht dazu verführen, das Lustprinzip, das 
uns die erste und sicherste Orientierung für die Verhaltungsweisen der Men¬ 
schen gibt, zu verwerfen, sondern nur dazu, diese Ausnahme eines sonst gül¬ 
tigen Prinzips psychogenetisch zu erklären. Ebenso gibt es eine „Angstabwehr 
durch Libidinisierung'". Dieser Sachverhalt könnte wieder deshalb verwirren, 
weil wir zum Verständnis der gesamten Triebkonflikte der Menschen davon 
ausgehen, daß umgekehrt die Angst es ist, die den Motor zur Abwehr der 
Triebe, der „Libido", abgibt. Diese Auffassung ist aber für die wissenschafts¬ 
theoretische Einordnung der Psychoanalyse von entscheidender Bedeutung. 
Denn gerade die biologisch bedingte Natur der Sexualität, der Trieb als die 
„Arbeitsanforderung, die das Somatische an den psychischen Apparat stellt",^^ 
ist die Brücke von unserer Wissenschaft zur Biologie. Es kommt also auch 
hier darauf an, die Libidinisierung als Angstabwehr, als sekundär zu ver¬ 
stehen, als eine Folge des „Prinzips der mehrfachen Funktion",^® das dazu 
führt, daß ein somatisch bedingter Drang im Seelenhaushalt auch andere Funk¬ 
tionen übernimmt. In der Angstabwehr aber die Hauptfunktion der Libido zu 
sehen, würde uns von unserer ganzen Denkweise abführen und den natur¬ 
wissenschaftlichen Charakter der Psychoanalyse bedrohen. Bevor es eine 
Angstabwehr mit Hilfe von Trieben gab, gab es primäre Triebe, deren Nicht¬ 
befriedigung Angst entstehen ließ und die selbst durch Angstentwicklung ab¬ 
gewehrt wurden. 


32) Freud; Triebe und Triebschicksale, Ges. Sehr., Bd. V. 

33) Wälder: Das Prinzip der mehrfachen Funktion. Int. Ztschr. f. Psa., XVI, 1930. 











Probleme der Technik 

Von 

Hellmuth Kaiser 

Palma de Mallorca 


1. Vorbemerkung 

2. Die Grundfragen der Technik 

3. Die Auflösung der Widerstände 

4. Sind andere Wege der Widerstandsauflösung in dem vorliegenden Beispiel möglich? 

5. Die Struktur der Widerstände 

6 . Übertragungswiderstände 
7« Charakterwiderstände 

8. Die Auflösung der Widerstände (Fortsetzung) 

9. Die Praxis der konsequenten Widerstandsanalyse 

10. Das Problem der Aktualität 

11. Das Reden in Anspielungen 

12. Reichs Theorien zur Analysentechnik 

13. Die Formulierungen Freuds 


I, Vorbemerkung 

In der analytischen Praxis fiel mir eine Gruppe von Patienten auf, die sich 
der von mir geübten Technik gegenüber als ganz besonders resistent erwies. 
Die Schwierigkeiten, die ihre Behandlung bereitete, und die zunächst recht 
verschiedene Aspekte boten, schienen bei fortschreitender Analyse oder wenig¬ 
stens bei zunehmender Stundenzahl einander immer ähnlicher zu werden und 
erweckten schließlich die Überzeugung, daß das Kernstück des Widerstandes, 
der die analytische Bemühung unfruchtbar machte, bei allen das gleiche sein 
mußte. So unterschiedlich das Lebensverhalten dieser Patienten war, so un¬ 
gleich das Ausmaß, in dem die Neurose ihnen das Dasein verkümmert hatte 
(wenigstens für eine oberflächlichere Betrachtung), so sehr drängte sich die Be¬ 
obachtung auf, daß der Widerstand, den sie in der Analyse entwickelten, stets 
die gleiche Gefühlslage in mir erzeugte. — Nachdem ich erst bei einem dieser 
Patienten einen großen Fortschritt in dem Verständnis seiner Widerstände da¬ 
durch erreicht hatte, daß ich das Wesentliche daran als eine trotzhafte Haltung 
aufzufassen suchte, bemerkte ich sehr bald, daß mir die gleiche Interpretation 
auch bei allen anderen Patienten dieser Gruppe die Situation in der fühlbarsten 
Weise klären half. 

Diese Erfahrungen veranlaßten mich zu einer Reihe von Untersuchungen 
und Überlegungen, die zwei verschiedene Problemkreise betrafen. Ich ver¬ 
suchte erstens, den Begriff des „trotzhaften Charakters'" — diese Eigenschaft 
schrieb ich jener Patientengruppe als deren gemeinsames Merkmal zu — 
genau herauszuarbeiten, d. h. ihn exakt zu beschreiben, seine Genese soweit 
wie möglich theoretisch zu verstehen und ihn gegen andere, ähnliche Begriffe 

































Probleme der Technik 


491 


von Charaktertypen abzugrenzen. Zweitens sah ich mich genötigt, mir die 
Frage vorzulegen, warum diese Patienten so wenig durch ein analytisches Vor¬ 
gehen zu beeinflussen waren, das bei anderen Typen, wenn auch nicht gerade 
volle Heilungen, so doch sehr erhebliche, praktisch ausreichende Besserungen 
erzielt hatte. Im Verfolg dieser zweiten Fragestellung kam ich dazu, aus¬ 
gehend von den allgemeinsten theoretischen Grundlagen der Technik einige 
Gesichtspunkte für die analytische Behandlung der trotzhaften Charaktere 
aufzustellen und ihre Anwendung in der Praxis zu studieren. 

Die Ergebnisse, zu denen ich bei der Bearbeitung dieser beiden Problem¬ 
stellungen gelangte, sind in einer vor einigen Monaten beendeten Arbeit mit 
dem Titel „Der trotzhafte Charakter'' niedergelegt, die aber bisher aus Raum¬ 
mangel nicht publiziert werden konnte. — In der vorliegenden Arbeit möchte 
ich einige, die Theorie der Technik betreffende Gedanken zur Diskussion 
stellen, die sich mir bei dem Studium der „trotzhaften Charaktere" und ihrer 
besonderen Widerstände ergaben, die aber vielleicht auch unabhängig von der 
Betrachtung dieser speziellen Charakterform Anregungen für die Entwicklung 
der Analysentechnik geben könnten. 

Ich werde mit ein paar allgemeinen Betrachtungen über die analytische 
Technik beginnen, um erst an der Stelle, wo die Erfahrungen, die ich an trotz¬ 
haften Charakteren gemacht habe, besonders aufschlußreich waren, die speziel¬ 
len Mechanismen dieses Typs in die Untersuchung einzubeziehen. 

2. Die Grundfragen der Technik 

Es besteht unter den Analytikern Einigkeit darüber, daß die Gesundung 
des Patienten, die durch die analytische Behandlung erzielt werden soll, in den 
erfolgreichen Fällen dadurch zustande kommt, daß Triebimpulse, die seit 
früher Kindheit durch mehr oder minder komplizierte Mechanismen vom Ich 
des Patienten abgewehrt und von den Abfuhr- oder Verarbeitungsmöglich¬ 
keiten des Systems WBw. ferngehalten wurden, aus ihrer Absperrung befreit 
werden, so daß sie an der Gestaltung der Gesamtpersönlichkeit und an ihren 
Lebensäußerungen in der für den Gesunden charakteristischen Weise teil¬ 
nehmen können. 

Als das konkrete, beobachtbare Korrelat einer solchen Befreiung verdräng¬ 
ter Impulse pflegen wir in der analytischen Behandlung ein Phänomen anzu¬ 
sehen, das ich für die Zwecke der folgenden Überlegungen als „echten Trieb¬ 
durchbruch" bezeichnen möchte, und das ich, um dem Leser eine sichere 
Identifizierung mit eigenen Beobachtungen zu ermöglichen, sogleich beschrei¬ 
ben will. 

Der Patient spricht mit bewegter, oft mit eigentümlich vibrierender Stimme. 
Er befindet sich in starker Erregung; seine Muskulatur ist gelockert, wenn er 
auch häufig, von krampfhaften Sperrungen unterbrochen, für Augenblicke in 
steife, Angst, Ekel oder Scham ausdrückende Haltungen verfällt. Er spricht 












492 


Hellmuth Kaiser 


bald überstürzt, bald stockend, sein Ausdruck ist, sowohl was die Klangfarbe 
und Modulation der Stimme, die Mimik und Gestikulation, als auch was die 
Wortwahl und den Satzbau betrifft, der für ihn „natürliche“ und wirkt wie 
der eines von starken Affekten bewegten Gesunden unmittelbar „echt“ und 
überzeugend. Der Inhalt seiner Äußerungen bezieht sich auf einen ihn offen¬ 
bar gegenwärtig bewegenden Impuls, der sich aber nicht nur auf den an¬ 
wesenden Analytiker richtet, sondern auch einem Objekt der Kindheit gilt. 
Im Anfang des Durchbruchs wird dies Objekt noch mit der Person des Ana¬ 
lytikers verschmolzen, im weiteren Verlaufe wird es jedoch von ihm abgelöst 
und erscheint als eine bestimmte Persönlichkeit aus der Infantilzeit des Pa¬ 
tienten. Die Rede des Patienten schwankt meist zwischen dem Präsens und 
einer Vergangenheitsform hin und her, bald redet er den Analytiker mit dem 
Namen jener Persönlichkeit an, bald berichtet er eine Erinnerung. 

Nach dem Durchbruch ist der Patient gelöst, ermattet und stark erleichtert; 
namentlich wenn der Durchbruch Zeit hatte, in der Analysenstunde auszu¬ 
laufen, befindet er sich meist in befreiter, intensiv glücklicher Stimmung. 

Der Analytiker hat angesichts eines echten Triebdurchbruchs ein ähnliches 
' Gefühl wie beim Anblick eines großartigen Naturschauspiels, eines starken 
/ Gewitters, einer Sturmflut, eines Vulkanausbruchs. Er fühlt sich erschüttert. 

— Der Eindruck ist ein so starker, daß es kaum Vorkommen wird, daß er an 
^ der Echtheit des Phänomens zweifelt, während es ziemlich häufig geschehen 
j mag, daß man einen Scheindurchbruch (also den Ausdruck einer bestimmten 
Widerstandsform) zunächst für echt hält, um allmählich diese Überzeugung 
anzuzweifeln. 

Ob diese „echten Triebdurchbrüche“ nur Indikatoren für die schon voll¬ 
zogene Triebbefreiung darstellen, oder ob sich die Triebbefreiung in diesen 
Phänomenen oder während ihres Ablaufs vollzieht, können wir nicht mit 
Sicherheit entscheiden. Tatsache ist jedenfalls, daß Veränderungen des Pa¬ 
tienten, die als Fortschritte in Richtung auf eine wirkliche Heilung aufgefaßt 
werden können, nur nach dem Auftreten von Phänomenen der geschilderten 
Art zu beobachten sind. Auch hierüber dürfte weitgehend Einigkeit bestehen. 

Die Grundfrage der Technik: Wie und wodurch ist eine Befreiung der ver¬ 
drängten Triebimpulse möglich? fällt also praktisch zusammen mit dem Pro¬ 
blem, den Weg anzugeben, auf dem man zu solchen echten Triebdurchbrüchen 
gelangen kann. — Die allgemeinste Antwort auf diese Frage hat Freud ge¬ 
geben. Die verdrängten Impulse haben von sich aus das Bestreben, nach dem 
Bewußtsein hin durchzustoßen. Was sie daran hindert, sind die in der Kind¬ 
heit errichteten und seitdem gewaltig ausgebauten Abwehrmechanismen, deren 
Wirkung der Analytiker in den sogenannten Widerständen zu fühlen be¬ 
kommt, und deren Zahl sich im Laufe der Analyse durch Bildungen, die diese 
selbst provoziert, d. h. erforderlich gemacht hat, noch vergrößert. Daraus 









































Probleme der Technik 


493 


folgt, daß das Mittel zur Befreiung der verdrängten Impulse in der Überwin¬ 
dung der Widerstände besteht. 

Das eigentliche Problem der Technik lautet nun: Wie beseitigt man die 
Widerstände des Patienten? Die Antworten, die Freud hier gegeben hat, 
sind kurz und sehr viel weniger präzise formuliert als die Mehrzahl der übrigen 
in seinen technischen Schriften enthaltenen Gedanken. Seltsamerweise haben 
diese Antworten seit den rund zwanzig Jahren ihrer Publizität keine Neu¬ 
darstellung, keine Ergänzung oder Interpretation erfahren. Die wichtigsten 
hierhergehörigen Stellen lauten: 

„Endlich hat sich die konsequente heutige Technik herausgebildet, bei welcher der 
Arzt auf die Einstellung eines bestimmten Momentes oder Problems verzichtet, sich 
damit begnügt, die jeweilige psychische Oberfläche des Analysierten zu studieren und 
die Deutungskunst wesentlich dazu benützt, um die an dieser hervortretenden Wider¬ 
stände zu erkennen und dem Kranken bewußt zu machen. Es stellt sich dann eine 
neue Art von Arbeitsteilung her: Der Arzt deckt die dem Kranken unbekannten 
Widerstände auf; sind diese erst bewältigt, so erzählt der Kranke oft ohne alle Mühe 
die vergessenen Situationen und Zusammenhänge.“ 

„Die Überwindung der Widerstände wird bekanntlich dadurch eingeleitet, daß 
der Arzt den vom Analysierten niemals erkannten Widerstand aufdeckt und ihn dem 
Patienten mitteilt.. . Man muß dem Kranken die Zeit lassen, sich in den ihm 
unbekannten Widerstand zu vertiefen, ihn durchzuarbeiten, ihn zu überwinden, 
indem er ihm zum Trotze die Arbeit nach der analytischen Grundregel fortsetzt.“ 
(Int. Zeitschr. f. Psa. II, 1914, Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten.) 

Wenn wir in diesen Sätzen Freuds keine uns ganz befriedigende Antwort 
auf die Grundfrage der Technik zu finden glauben, so gewiß nicht, weil sie 
zu arm an Inhalt seien. Im Gegenteil, sie sind ungeheuer inhaltsreich, so 
reich, daß die volle Entfaltung der in ihnen angedeuteten Beobachtungen, An¬ 
weisungen, Theorien und Probleme eine stattliche Reihe von Bänden füllen 
könnte, so daß es sich mit ihnen ähnlich verhält wie mit den drei Abhand¬ 
lungen zur Sexualtheorie, von denen man sagen könnte, daß ein großer Teil 
der analytischen Literatur aufgefaßt werden kann als die explizite Darstellung 
der dort in erstaunlicher Konzentration teils ausgedrückten, teils angedeuteten 
Grundkonzeption. 

Warum die technisch-therapeutischen Probleme trotz ihrer auf der Hand 
liegenden eminenten praktischen Bedeutsamkeit nur eine so unvergleichlich 
geringere Ausarbeitung gefunden haben als die theoretischen, ist gewiß eine 
ungeheuer reizvolle Frage, deren Beantwortung aber nicht in den Rahmen der 
vorliegenden Arbeit gehört. 

Daß die Freudschen Formulierungen nicht so eindeutig oder genügend 
ausführlich gefaßt sind, um nur eine Interpretation zuzulassen, beweist die 
Tatsache, daß unter den Analytikern sehr verschiedene Methoden in der 
Praxis befolgt werden, jedesmal mit dem Hinweis, daß gerade diese Methode 
aus den Freudschen Grundgedanken folge, und zwar nicht nur für die In¬ 
dividualität eines bestimmten Analytikers, sondern für alle. 







494 


Hellmuth Kaiser 


Mit einer Auffassung der Freudschen Formulierungen möchte ich mich 
vorab auseinandersetzen, weil sie nämlich allen übrigen gegenüber eine Sonder¬ 
stellung einnimmt. Diese Auffassung lautet: Freud habe nur die eine An¬ 
weisung geben wollen, die Widerstände des Patienten zu beseitigen, hinsicht¬ 
lich des „wie?“ aber gemeint, daß es dafür keine Regeln und Methoden geben 
könne, da alles der individuellen Intuition des einzelnen Analytikers zu über¬ 
lassen sei. Diese Auffassung, die etwa den Ausführungen von Reik in seinem 
Luzerner Kongreßvortrag entsprechen dürfte, kann aber keinesfalls eine Weiter¬ 
entwicklung der Theorie der Technik entbehrlich machen. Denn gesetzt, sie 
treffe wirklich die Meinung Freuds — was ich nicht glaube — und diese 
Meinung Freuds sei außerdem die richtige, so würde gleichwohl die Frage 
nach Beantwortung verlangen, wie es denn — etwa aus der Struktur der Wider¬ 
stände — zu verstehen sei, daß sie überhaupt einer Auflösung oder Beseitigung 
zugänglich seien, was die besondere Leistung der Intuition dabei sei, und wieso 
es möglich sei, daß man dem Ausbildungskandidaten immerhin von der 
Äußerung intuitiver Einfälle mit Entschiedenheit abraten könne. Solange 
diese Fragen der Lösung harren, kann die eine Theorie der Technik ablehnende 
Auffassung keinen Anspruch auf wissenschaftliche Begründung erheben. 

3, Die Auflösung der Widerstände 

Wir wollen uns nun, ohne uns vorab auf irgendeine Theorie festzulegen, 
die Frage stellen, wie es denn überhaupt möglich sei. Widerstände des Patienten 
zu überwinden oder aufzulösen. Die sachgemäße Beantwortung dieser Frage 
setzt voraus, daß man sich über die Natur der Widerstände eine bestimmte 
Vorstellung bilden konnte. Denn wir dürfen nicht hoffen, die verwundbare 
Stelle an einem Gegner herauszufinden, ehe wir ihn nicht selber sehr genau 
kennen. Angesichts dieser Konsequenz wird uns bereits bange. Die Formen 
und Arten der Widerstände zeigen einen erdrückenden Reichtum. Es scheint 
hoffnungslos, den Versuch zu machen, sie soweit unter einen Hut zu bringen, 
daß man sogleich etwas allgemeines über die Möglichkeit ihrer Auflösung 
sagen könnte. 

Versuchen wir es daher vorerst mit einer weit bescheideneren Aufgabe! 
Betrachten wir ein einzelnes konkretes Beispiel einer Widerstandsauflösung, 
wählen wir es so günstig und übersichtlich wie möglich und bemühen wir uns, 
recht genau zu verstehen, was in diesem Einzelfall vor sich gegangen ist. 

Ein Patient berichtet in der Stunde etwas ärgerlich, er habe am Morgen seinen 
Schwager, den Mann seiner Schwester, der auf der Durchreise hier eine Stunde Auf¬ 
enthalt hatte, an der Bahn treffen wollen, habe ihn aber am Bahnhof nicht mehr 
angetroffen, was ihm sehr leid tue, da ihm der Schwager sehr sympathisch sei. — 
Auf die Frage, wie das denn zugegangen sei, antwortet er: Er sei ohne sein Ver¬ 
schulden zu spät gekommen; denn gerade als er das Haus habe verlassen wollen, um 
die Elektrische zu nehmen, sei er telephonisch angerufen worden. — Ja, ob denn 
sonst niemand im Haus gewesen sei, den Anruf entgegenzunehmen? — Der Patient 


































Probleme der Technik 


495 


stutzt einen Augenblick. „Das schon‘^, sagt er, so spät sei es auch gar nicht ge¬ 
wesen; nur habe sich das Gespräch in die Länge gezogen. Ob es denn etwas sehr 
"W^^ichtiges gewesen sei? „Nein , antwortet er zögernd, das wohl nicht, aber der 
Gesprächspartoer habe gar kein Ende gefunden, und er habe doch nicht so unhöflich 
sein können, ihn zu unterbrechen. Dabei ist die Stininie des Patienten etwas heiser 
geworden. In viel gereizterem Ton als vorher fährt er fort: „ ... Und wie ich auf 
die Straße komme, fährt mir gerade die Bahn weg.“ — „Und dann?“ — „Na, da 
bin ich eben in mein Büro gefahren.“ „Ja konnten Sie denn nicht ein Taxi nämen?“ 
Mit finsterem Gesicht gibt der Patient murmelnd zur Antwort: „Darauf bin ich 
gar nicht gekommen!“ — „Warum werden Sie so böse?“ — „Mein Gott, warum 
quälen Sie mich, dann habe ich den verdammten Kerl eben nicht gesehen.“ — 
Gleich nach dieser Antwort dreht sich der Patient um, seine Miene ist entspannt 
und sein Blick sagt, daß er verstanden hat, was in ihm vorging. 

Wir behaupten, die obige Szene enthalte den Fall einer — gewiß sehr 
banalen — Widerstandsauflösung. Der verdrängte Impuls besteht in einer 
feindseligen Regung gegen den Schwager. Er ist vom Patienten abgewehrt, 
weil er aus seiner, des Patienten, inzestuösen Fixierung an die Schwester stammt. 
Die Durchreise des Schwagers durch die Heimatstadt des Patienten und die an 
diesen gestellte Zumutung, den Schwager an der Bahn zu treffen, haben den 
Impuls aktiviert. Die Abwehr des Impulses hat sich als nicht ganz ausreichend 
erwiesen. Zwar ist er nicht bis in das Bewußtsein des Patienten vorgedrungen, 
aber er hat sich in einer Reihe von Fehlhandlungen durchgesetzt, die das 
Rendezvous verhinderten. — Außerdem ist er an der ärgerlichen Stimmung 
des Patienten am Anfang der Stunde beteiligt. Worin bestand nun der Mecha¬ 
nismus, der das Bewußtwerden des verpönten Impulses im Anfang der Stunde 
verhinderte? — Offenbar in der Überzeugung des Patienten, daß er an seiner 
Verspätung keine Schuld trage. Diese Überzeugung wurde aufrechtgehalten 
durch eine Reihe von Denkakten, die der Patient jedenfalls mit einer geringen 
Beteiligung von Aufmerksamkeit — vielleicht können wir sogar sagen „vor- 
bewußt‘‘ — vollzogen hatte. Zu diesen Denkakten gehört beispielsweise der¬ 
jenige, der zum Inhalt hat: Wenn ich den Gesprächspartner unterbreche, bin 
ich unhöflich, und das darf ich nicht sein. — Hätte der intelligente Patient 
seine Aufmerksamkeit von selbst diesen Denkakten zugewandt, er hätte die 
das Bewußtwerden des verdrängten Impulses abwehrende „Überzeugung^^ nicht 
eine Minute aufrechthalten können. Das Tun des Analytikers bestand nun 
in nichts anderem, als daß er in geeigneter Weise die Aufmerksamkeit des Pa¬ 
tienten auf die falsche Überzeugung begründenden fehlerhaften Denkakte 
lenkte, es so dem Verstände des Patienten ermöglichte, sie als fehlerhaft zu 
erkennen und dadurch wieder seine Überzeugung, sein Zuspätkommen sei 
durch äußere Umstände verschuldet, zu vernichten. — Je weiter dieser Pro¬ 
zeß fortschreitet, um so mehr zeigt sich von dem verpönten Impuls. Im 
letzten Augenblick, als der Impuls schon seinem feindseligen Charakter nach 
dem Patienten bewußt geworden ist, versucht die Abwehrinstanz noch rasch 
ein neues Mittel, wenigstens das Objekt der feindseligen Strebung im Dunkel 








496 


Probleme der Technik 


zu lassen: der Patient faßt die Fragen des Analytikers als Quälerei auf und 
motiviert dadurch eine angeblich gegen den Analytiker gerichtete Gereiztheit, 
d. h. er versucht eine Abwehr mit Hilfe der Übertragung. Dieses Mittel kommt 
aber zu spät. Das Schimpfwort, mit dem er den Schwager unwillkürlich be¬ 
legt, ist der Beweis für das endgültige Scheitern des Abwehrversuches. 

Das dynamische Moment bei der Abwehr, die der Patient ausübt, liegt — 
das sei noch einmal hervorgehoben — nicht in den irrigen, die Abwehr er¬ 
möglichenden Gedanken, sondern in einem Betrag narzißtischer Libido, die 
mobilisiert ist durch die assoziative Verknüpfung zwischen der Vorstellung 
der eigenen Aggression und der Vorstellung einer Schädigung des Ichs. Diese 
narzißtische Libido bewirkt erst das Zustandekommen der irrigen, die Reali¬ 
tät nicht treffenden Abwehrgedanken, die der an sich intakte Intellekt des 
Patienten, wenn er nicht durch jenen Betrag narzißtischer Libido planmäßig in 
seiner Funktion gestört worden wäre, gewiß als schief und unzutreffend ab¬ 
gelehnt hätte. 

Um uns den Ablauf der kleinen Szene so deutlich zu machen, wie nur 
irgend möglich, stellen wir die Phänomene in der Psyche des Patienten schema¬ 
tisch dar, indem wir mit der tiefsten Schicht beginnen: 

Aggressiver Impuls. — Vorstellung einer Ich-Schädigung (etwa Kastrationsgefahr). — 
Mobilisierung narzißtischer Libido. — Verdrängung des Impulses. — Reiz. — 

(Anmeldung des Schwagers) 

Aktivierung des Impulses. — Durchbruchssymptome. — Störung der Selbstwahr- 
(Fehlbehandlungen) 

nehmung durch die narzißtische Libido (Rationalisierung der Fehlbehandlungen). 

Topisch betrachtet fallen die letzten beiden Phänomene in das Bereich des 
Vorbewußten, alle vorangehenden in das des Unbewußten. 

Wie vollzieht sich nun die widerstandslösende Wirkung des therapeutischen 
Eingriffs? — Wir hatten schon gesagt, daß die Worte des Analytikers den 
Effekt haben, die Aufmerksamkeit des Patienten auf seine irrigen, die Selbst¬ 
wahrnehmung verunmöglichenden Gedanken hinzulenken. Diese Deskription 
stellt die topischen Verhältnisse richtig dar, aber sie gibt noch keinen Einblick 
in die Dynamik der Situation. Es sieht vielmehr so aus, als ob überhaupt kein 
dynamischer Aufwand nötig wäre; denn ist die Aufmerksamkeit des Patienten 
erst auf seine irrigen Gedanken gerichtet, so vollzieht er ihre Entlarvung und 
Verwerfung von selbst, ohne jedes weitere Zutun des Analytikers. Während 
wir aber diesen Satz niederschreiben, erkennen wir schon, daß wir ein dynami¬ 
sches Moment übergangen haben: Der Umstand, daß der sonst scharfsinnige 
Patient irrige Gedanken denkt und ihnen ein ungenügendes Maß an Aufmerk¬ 
samkeit zuwendet, ist nur zu erklären durch die Wirksamkeit einer störenden 
Kraft. Wir machten sie auch schon namhaft und erkannten in ihr einen Be^ 
trag narzißtischer Libido. Das Hinlenken der Aufmerksamkeit des Patienten 
auf seine irrigen Gedanken ist daher nur möglich, wenn die Kraft dieser die 




























Hellmuth Kaiser 


497 


Aufmerksamkeit abhaltenden Libido überwunden wird. Dazu bedarf es aber 
wieder einer Kraft. Wo nehmen wir die her? — Nun, die Antwort ist ein¬ 
fach. Der Patient unseres Beispiels hat ja offenbar einen gewissen Kontakt mit 
seinem Analytiker, er zeigt das Bestreben, ihm Rede und Antwort zu stehen, 
er wünscht, von ihm verstanden zu werden. Die Kraft, die uns allein ermög¬ 
licht, die Wirksamkeit der narzißtischen Libido soweit einzuschränken, daß 
die widerstandsbildenden Gedanken des Patienten in das volle Licht seiner 
Aufmerksamkeit gerückt werden können, ist also seine Übertragungsbeziehung, 
genauer gesagt seine zärtliche, von der ratio zugelassene Bindung an den 
Analytiker. 

In der Tat gelingt es keineswegs immer, den Patienten zu veranlassen, seine 
Aufmerksamkeit dahin zu lenken, wo wir sie haben wollen. Ein anderer 
Patient hätte vielleicht auf unsere Frage, wie das (Zuspätkommen) denn 
eigentlich zugegangen sei, geantwortet: „Woher das plötzliche Interesse? — 
Sonst fragen Sie doch nie!‘‘ Und hätte mit einer Hohnrede auf die Analyse 
fortgefahren. — Wir können ja auch bemerken, daß der Analytiker unseres 
Beispiels eine gewisse — sicherlich noch recht primitive und auch dem All¬ 
tagsleben nicht fremde — Kunst der Gesprächsführung anwendet. Er geht 
nämlich Schritt für Schritt vor und nimmt bei seinen Fragen nicht auf den 
intakten, sondern auf den ja tatsächlich gestörten Intellekt des Patienten Rück¬ 
sicht, Ebenso vermeidet er einen inquisitorischen Ton oder eine ironische 
Nuance in seiner Stimme. 

Wir haben das angebahnte Verständnis der Vorgänge in unserem Beispiel 
nun noch durch die Beantwortung einer energetischen oder dem üblichen 
Sprachgebrauche nach „ökonomischen“ Frage zu ergänzen. Wir haben zwar 
etwas von dem dabei auftretenden Kräftespiel, aber noch nichts von den be¬ 
wirkten Energieumsetzungen erfahren. — Eines dürfen wir wohl ohne weiteres 
annehmen: der auf gestaute feindselige Impuls gegen den Schwager hat eine 
breitere Abfuhrmöglichkeit erhalten, als ihm bisher etwa in den Fehlleistungen 
zur Verfügung stand. Diese Abfuhr beschränkt sich nicht etwa auf die in der 
Analysenstunde geäußerte Invektive, sondern sie wird, nachdem der Affekt 
dem Bewußtsein zugänglich geworden ist, in einem Umfange, der durch die 
kulturellen Ansprüche des bewußten Ichs des Patienten bestimmt ist, weitere 
Formen finden (z. B. die eines höflich aber kühl gehaltenen Entschuldigungs¬ 
briefs an den Schwager). 

Wie steht es aber mit der durch das Aufgebot der Übertragungsbindung 
„zurückgedrängten“ narzißtischen Libido, die den Abwehrdienst bewirkt hatte? 
— Diesem Libidoquantum ist zwar ein Betätigungsfeld genommen worden. 
Aber zur Demobilmachung hat ihm die Analysenstunde keinen Anlaß gegeben. 
Im Gegenteil. Die Analyse hat einen Teil des aggressiven Impulses befreit, 
aber damit nur die Gefahr vergrößert, daß der Kern dieses Impulses, der alte 
Todeswunsch gegen den Vater aus den Zeiten der Ödipussituation, in das Be- 









498 


Hellmuth Kaiser 


wußtsein durchbricht. Um das zu verhindern, muß eher noch ein Mehr an 
Gegenbesetzung aufgewandt werden. Zum Beispiel könnte es sein, daß die 
narzißtische Libido nun dazu verwandt wird, für die Feindseligkeit gegen den 
Schwager eine harmlose Rationalisierung zu finden und durch vorsichtige 
Steuerung der Aufmerksamkeit diese Neubildung vor der zerstörenden Kritik 
des Verstandes zu schützen. — Praktisch gesprochen: der Analytiker wird mit 
dem alsbaldigen Auftauchen eines neuen Widerstandes an einer dem Kern¬ 
punkt der Neurose um einen Schritt näher gelegenen Stelle zu rechnen haben. 

Wir fassen zusammen: In dem vorliegenden Beispiel war die Auflösung des 
Widerstandes durch den Eingriff des Analytikers auf die dargestellte Weise 
möglich (und verständlich), weil der Widerstand sich einiger nicht realitäts¬ 
gerechter, aber auf Rationalität Anspruch erhebender Gedanken bediente, die 
der Intellekt des Patienten an sich imstande war, als abwegig zu erkennen, und 
weil es infolge der zur Zeit bestehenden Übertragung gelang, die Aufmerk¬ 
samkeit des Patienten diesen Gedanken — wir wollen sie kurz Widerstands¬ 
gedanken nennen — zuzuwenden. 

4. Sind andere Wege der Widerstandsauflösung in dem vorliegenden Beispiel 

möglich? 

Wenn wir hoffen dürfen, daß der Leser unseren bisherigen Ausführungen 
soweit gefolgt ist, um zuzugestehen, daß das angeführte Beispiel wirklich die 
Auflösung eines (gewiß auch nur eines) Widerstandes darstellt und begreif¬ 
lich werden läßt, so wollen wir nun vorsichtig einen Schritt weitergehen und 
fragen, ob das im Beispiel geschilderte Verhalten des Analytikers das in diesem 
Fall einzig mögliche darstellt. 

Diese Frage ist zu verneinen. Selbst wenn wir die spezielle Aufgabe stellten, 
dem Patienten seine Widerstandsgedanken zu Bewußtsein zu bringen, so wären 
immer noch sehr verschiedene Wege gangbar. — Ich glaube, an dieser Stelle 
ist der Ort, wo der Individualität des Analytikers Spielraum gewährt werden 
muß. Um wieder in konkreter Beispielsform zu reden: Ich könnte mir einen 
Analytiker denken, der gewohnt ist, wenn er aggressiv wird, dies in Form 
konsequenter und einengender Fragen zu tun. Diesem Analytiker wird es 
vielleicht nicht so gut möglich sein, den im Beispiel vorgelegten Weg zu be¬ 
schreiten, da er instinktiv vorausweiß, daß er in der geschilderten Weise nicht 
fragen kann, ohne wider Willen eine unzweckmäßige, der analytischen Arbeit 
fremde Schärfe in seinen Ton hineinzubekommen. Dieser Analytiker wird 
seinen Zweck vielleicht auf gleich gute Weise dadurch erreichen, daß er den 
Patienten in zusammenhängender Darstellung auf gewisse Inkongruenzen in 
der Äußerung seiner Verstimmung über das versäumte Rendezvous aufmerk¬ 
sam macht. Fiat er für diese Bemerkungen die Einsicht des Patienten gewon¬ 
nen, so wird vielleicht die bloße Frage: „Waren Sie an dem Zuspätkommen 






























Probleme der Technik 


499 


wirklich ganz unschuldig? hinreichen, die Widerstandsgedanken des Patien¬ 
ten zu zerstören. 

Machen wir uns einen Augenblick von unserem Beispiel frei, so können wir 
hinzufügen, daß die Entkräftung der Widerstandsgedanken sehr oft gar nicht 
durch Worte, sondern durch Handlungen oder Haltungen des Analytikers in 
die Wege geleitet wird. Wenn zum Beispiel der Widerstandsgedanke des Pa¬ 
tienten darin besteht, daß er sich vorstellt, der Analytiker werde ihn ver¬ 
achten, wenn er von seinen sexuellen Phantasien erführe, und ihm daraufhin 
seine sexuellen Phantasien nicht ins Gedächtnis kommen, so kann die bloße 
Gelassenheit und Unverkrampftheit, die der Analytiker sexuellen Themen 
gegenüber zeigt, diesen Widerstandsgedanken zur Entkräftung bringen. 

Wichtiger als die eben diskutierte ist aber die Frage, ob die allgemeiner ge¬ 
stellte Aufgabe, den Widerstand des Patienten in unserem Beispiel aufzulösen, 
noch auf einem anderen Wege gelöst werden kann als dadurch, daß man ihn 
seine* Widerstandsgedanken entkräften läßt. — Ein solcher Weg scheint sich in 
dem Verfahren anzubieten, dem Patienten seine verdrängten Impulse namhaft 
zu machen. Im Beispiel würde dies Verfahren darin bestehen, daß man dem 
Patienten zu irgendeinem Zeitpunkt geradezu oder in etwas verhüllter Form 
zu verstehen gibt, daß er wohl einen feindseligen Impuls gegen seinen Schwager 
in sich trage. 

Wie eine solche. Mitteilung in unserem Beispiel auf den Patienten wirken 
würde, läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden; dazu enthält unsere Beispiels¬ 
erzählung viel zu wenig Bestimmungsstücke. Aber jeder Analytiker wird 
Fälle erlebt haben, wo er mit derartigen Deutungen annähernd den gleichen 
Erfolg erzielen konnte wie der, den der Analytiker unseres Beispiels mit seinem 
andersartigen Vorgehen erreicht. Nehmen wir an, ein solches „direktes‘‘ Ver¬ 
fahren habe auch im Falle unseres Beispiels Erfolg; wie können wir das Zu¬ 
standekommen eines solchen Erfolges begreifen? 

Eine Antwort liegt hier sehr nahe. Wenn mir jemand einen mir fremden 
Gegenstand heimlich in mein Zimmer legt, so kann es sein, daß ich ihn tage¬ 
lang nicht bemerke. Wenn mir aber dann gesagt wird: „Überleg doch mal, 
ob du nicht ein so und so beschaffenes Ding in deinem Zimmer gesehen hast'^, 
so wird es häufig geschehen, daß ich sage: „Ach ja, ich erinnere mich dunkel, 
einen solchen Gegenstand da gesehen zu haben."" Ähnlich könnte es ja auch zu 
erklären sein, daß der Patient sich des verdrängten Impulses nur bewußt wird, 
wenn man ihm die Erwartungsvorstellung gibt, einen Impuls von dieser und 
dieser Beschaffenheit in sich vorzufinden, und ihn zum Nachschauen auf¬ 
fordert. — Dieser Gedanke hält aber einer genaueren Überprüfung nicht 
stand. Ein verdrängter Impuls ist weder im System WBw. noch im System 
Vbw. anzutreffen. Auch die exakteste und zutreffendste Erwartungsvorstel- 
lung, die wir einem Suchenden geben, kann ihm die Suche nicht erleichtern. 

Int Zeitschr. f. Psychoanalyse, XX/4 


34 











500 


Hellmuth Kaiser 


solange er in einem Raum sucht, in dem sich der gesuchte Gegenstand nicht 
befindet. Und in sein Unbewußtes kann der Patient nicht hineinschauen. 

Wenn gleichwohl in unserem Beispiel die Mitteilung an den Patienten, „Sie 
sind Ihrem Schwager feindlich gesinnt“, ein Lebendig-ins-Bewußtsein-Treten 
dieses Impulses bewirkt, so glauben wir das anders erklären zu müssen. Auch 
diese Mitteilung kann ja unter günstigen Bedingungen geeignet sein, die 
Aufmerksamkeit des Patienten auf seine Widerstandsgedanken hinzulenken 
und eine Kritik dieser Gedanken anzubahnen. Eine solche Kritik wird näm- 
lieh provoziert, wenn dem Patienten durch die bloße Vorstellung eines bei 
ihm möglicherweise vorhandenen Haßimpulses gegen den Schwager eine so 
viel zwingendere Erklärung seiner Fehlleistungen vor Augen gestellt wird, 
als sie in seinen unzureichenden Rationalisierungen enthalten ist. Ist diese 
Erklärung zutreffend, so hat sich gezeigt, daß die neu vorgeschlagene, von der 
im Beispiel dargestellten scheinbar abweichende Methode, genau besehen nur 
ein Spezialfall von dieser ist. Auch sie erreicht die Aufhebung des Wider¬ 
standes durch die Entkräftung der Widerstandsgedanken, nur daß sie einen 
bestimmten technischen Kunstgriff benutzt, um die Aufmerksamkeit des Pa¬ 
tienten auf seine Widerstandsgedanken zu lenken. 

Nun, diese Diskussion — d. h. die Diskussion über die Wirkung, die die 
Namhaftmachung des verdrängten Impulses auf den Patienten ausübt — kann 
nicht als durch das oben Gesagte erledigt gelten, wir sehen sie vielmehr als 
gerade nur eingeleitet an. Aber ehe wir sie fortsetzen, müssen wir unsere Aus¬ 
einandersetzung von einer Einschränkung befreien, deren Wegfall die hier ver¬ 
tretenen Anschauungen zwar in eine sehr exponierte Stellung bringt, uns aber 
anderseits zu ihrer Begründung und Erläuterung erheblich größere Freiheit 
verschafft. 


j. Die Struktur der Widerstände 

Die Erweiterung des zu behandelnden Problemkomplexes, die wir im Sinne 
haben, liegt in der Behauptung, daß unser kleines Beispiel einer Widerstands¬ 
auflösung auf Allgemeingültigkeit Anspruch machen kann, d. h. wir behaup¬ 
ten, daß alle Widerstände dem im Beispiel explizierten in den wesentlichen 
Strukturelementen gleichen, d. h. so weit gleichen, daß ihre Auflösung oder 
Überwindung durch das prinzipiell gleiche Verfahren unter den gleichen Be¬ 
dingungen möglich oder begreiflich ist. Ausführlich gesagt: Wir behaupten, 
daß jeder Widerstand einen falschen, d. h. nicht realitätsgerechten Gedanken 
oc!ST)£nkakt enthält; daß das dynamische Moment des Widerstandes in einem 
Betrag narzißtischer Libido ruht, die es bewirkt, daß diese Denkakte der 
kritischen Aufmerksamkeit des erwachsenen Ichs des Patienten entgehen; daß 
demzufolge eine Auflösung von Widerständen durch den Analytiker auf keine 
andere Weise möglich ist, als dadurch, daß er die Aufmerksamkeit des Patien¬ 
ten den Widerstandsgedanken zuwendet, was, soweit nicht das Interesse des 

















Probleme der Technik 


501 


Patienten an seiner Heilung schon als Motor in Betracht kommen kann, durch 
die Wirkung der zärtlichen Bindung an den Analytiker zustande kommt. 

Ich bin gewohnt, auf diese Behauptung abwechselnd und annähernd gleich 
häufig zwei Antworten zu hören. Die eine lautet, daß diese Behauptung 
trivial, die andere, daß sie ungeheuerlich kühn sei. Ich erkläre mir dies Phä¬ 
nomen mit der Überlegung, daß die Behauptung einerseits nichts anderes ent¬ 
hält als eine etwas ausführlichere Darstellung der F r e u d sehen Grundgedanken, 
wie sie etwa in den beiden Zitaten auf Seite 493 ausgedrückt sind (dies werde 
ich am Schluß der vorliegenden Arbeit noch etwas zu verdeutlichen suchen), 
daß sie aber anderseits konsequent zu Ende gedacht, zu gewissen zwingen¬ 
den Richtlinien für die Handhabung der therapeutischen Technik führt, die 
nicht in gleichem Maße Gemeingut der analytischen Wissenschaft sind. 

An sich scheint es kein unerlaubtes, ja nicht einmal ein ungewöhnliches Vor¬ 
gehen, wenn man untersucht, ob eine Auffassung, die in einem Spezialfall ein 
gutes Verständnis der Vorgänge ermöglicht hat, sich auch bei anderen Fällen 
sinnvoll anwenden lasse. Ehe wir aber in eine solche Untersuchung eintreten, 
müssen wir uns doch mit einem Einwand auseinandersetzen, der sich in man¬ 
chen unserer Leser erheben wird und geeignet sein könnte, vor jeder Einzel¬ 
betrachtung ein allgemeines und darum schwer überwindliches Vorurteil gegen 
unsere Behauptungen zu begründen. 

Wir erwarten den Einwand oder vielleicht besser „Vorwurf“ des Intellek- 
t^lismus oder Ratio nalismus. — „Wie“, könnte einer sagen, „hat dazu Freud I 
vor mehr als zwanzig Jahren schon einleuchtend nachgewiesen, daß die bloße ^ 
Übermittelung von Wissen keine therapeutischen Effekte im Sinne der Ana- / 
lyse hervorrufen kann, hat er dazu immer wieder die dynamische Natur der 1 
Widerstände betont, damit heute jemand, der sich als Anhänger der Freud- ‘ 
sehen Lehre bekennt, die Behauptung vertritt. Widerstände beruhten auf Irr- i 
tümern, und die Korrektur dieser Irrtümer bewirke Heilung? — Bedeutet das, ) 
nicht einen schweren Rückfall in überwundene Anschauungen, ja ein völliges / 
Verlassen der psychoanalytischen Psychologie etwa im Sinn einer Annäherung 
an die Anschauungen der Christian Science?“ 

Wir meinen, dieser Vorwurf trifft unsere Behauptung nicht. Wir glauben 
nicht und haben nicht behauptet, daß ein Neurotiker durch eine Vermehrung 
seines Wissens gesund wird, sei es ein Wissen um Widerstände oder um ver¬ 
gessene Kindheitserlebnisse, sondern wir glauben, daß seine Gesundung von 
einer Umstellung seiner Libidoökonomie abhängig ist. Um diese zu ermög¬ 
lichen, müssen freilich seine Verdrängungen gelöst werden, und dies kann nur 
geschehen durch die Aufhebung seiner Widerstände. Die Aufhebung der 
Widerstände aber gelingt nur durch die Vermittlung von Einsichten (was — 
wie schon gesagt — nicht identisch zu sein braucht mit einer Mitteilung von 
Ansichten). Hier aber sind wieder dynamische Verhältnisse zu berücksichti¬ 
gen, und wir werden noch ausführlicher davon zu sprechen haben, wie sorg- 


34 ’ 













502 


Hellmuth Kaiser 


faltig dies geschehen muß, damit die ökonomische Umstellung, die wir be¬ 
zwecken, wirklich zustande kommt. — Wenn man ein Vorgehen, das dieser 
Skizzierung entspricht, ein intellektuelles nennen will, so mag man dies tun; 
es läßt sich nichts dagegen einwenden; aber man verwechsele es nicht auf 
Grund dieser Namengebung mit einem Verfahren, das bestrebt ist, dem Pa¬ 
tienten ein Wissen um die Ätiologie seiner Neurose und den Inhalt seines Un¬ 
bewußten zu übermitteln und sich davon Erfolg verspricht. 

Wenn wir jetzt darangehen wollen, unsere Behauptung zu begründen, so 
sind wir uns im klaren darüber, daß wir nicht hoffen dürfen, diese Aufgabe 
vollständig bewältigen zu können. Die Formen der Widerstände sind zu 
mannigfaltig, als daß man sie alle auf einem relativ beschränkten Raum be¬ 
sprechen könnte, vor allem aber ist das Phänomen „Widerstand'" (wir könn¬ 
ten auch sagen „Abwehr") ein recht kompliziertes, und zu seinem vollen Ver¬ 
ständnis würde wohl ein großes Stück Ich-Psychologie gehören, über das wir 
noch nicht verfügen. Wir streben daher auch kein anderes Resultat an, als 
den Leser zu überzeugen, daß es lohnend sein dürfte, weiterhin unsere Be¬ 
hauptung auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen und die theoretische und prak¬ 
tische Brauchbarkeit unserer Betrachtungsweise zu erproben. 

6. Übertragungswiderstände 

Ich glaube, ein ganz wesentlicher Schritt zur Lösung unserer Aufgabe wird 
getan sein, wenn es uns gelingt, zu zeigen, daß die sogenannten Übertragungs¬ 
widerstände sich analog zu den in unserem Beispiel beschriebenen auffassen 
lassen, und daß das Entsprechende für die Möglichkeit gilt. Übertragungs¬ 
widerstände aufzulösen. 

Wir sprechen von dem Vorliegen eines Übertragungswiderstandes, wenn der 
Patie nt einen verdrängten infantil en Imp uls auf den Analytiker gew endet hat, 
dergestalt, daß der Analytiker Objekt dieses Impulses geworden ist. — Diese 
Formulierung ist nicht sehr genau, ja man könnte sie geradezu als unlogisch 
bezeichnen. Der infantile Impuls ist nämlich (und das ist ein unabtrennbares 
Korrelat zu seiner „Verdrängtheit") nach Triebziel und Triebobjekt aufs ge¬ 
naueste bestimmt. Um ein Beispiel zu geben; er mag beinhalten, dem Vater 
— und zwar dem Vater, wie er dem Patienten in einer ganz bestimmten Ent¬ 
wicklungsphase seines dritten Lebensjahres erschien — den Penis abzubeißen. 
Dieser Triebwunsch bleibt mit allen seinen Bestimmungsstücken als ein Ganzes 
bestehen, so lange, bis er analytisch aus der Verdrängung befreit, d. h. vom Pa¬ 
tienten mit der ursprünglichen Intensität (die der Triebwunsch zur Zeit seines 
Verdrängtwerdens besaß) als etwas Aktuelles wieder erlebt worden ist; er bleibt 
also auch genau so bestehen, wenn er, wie wir uns ausdrücken, „in die Über¬ 
tragung gekommen" oder „auf den Analytiker übertragen" worden ist. Da¬ 
mit meinen wir nämlich, genau gesprochen, daß der Patient dem Analytiker 
gegenüber Aktionen vorgenommen hat (das Wort Aktion im weitesten Sinne 
































503 


Probleme der Technik 

verstanden, so daß es Handlungen, Reden und Haltungen begreift), die mr 
tnit dem verdrängten Impuls in einen genetischen Zusammenhang bringen 
können, und zwar kraft eines beobachteten phänomenologischen Zusammen¬ 
hangs. Um das Beispiel fortzuführen, wollen wir annehmen, der Patient habe 
plötzlich angefangen, den Analytiker „Dr. X.‘‘ anzureden, statt wie bisher 
„Herr Dr. X. , Dies Phänomen als solches einen W^iderstand zu nennen, 
wäre irreführend. Es tritt vielmehr in der Analyse immer erst auf, wenn schon 
irgendein Widerstand beseitigt worden ist. Dagegen müssen wir natürlich den 
Umstand, daß der verdrängte Impuls selbst nicht ins Bewußtsein des Patien¬ 
ten stürzt, der Wirkung eines Widerstandes zuschreiben. 

Es ergibt sich nun, daß das betreffende Phänomen — wir können es 
die — niema ls ohne gew isse charakteristische 

Begleitumständ e auft ritt, die wir gleich beschreiben werden. Wir wollen nur 
vorher darauf hinweisen, daß die behauptete Tatsache der Empirie entnom¬ 
men ist. Sie ist zwar mit der psychoanalytischen Ich-Psychologie gut verein¬ 
bar, sie erscheint auch plausibel, aber die Ich-Psychologie ist doch nicht weit 
genug entwickelt;, daß man auf diese Tatsache, wenn sie uns nicht in der 
Erfahrung der Praxis gegeben wäre, mit voller Sicherheit hätte schließen 
können. 

Wir beschreiben die in Rede stehenden „Begleitumstände“ der Übertragungs¬ 
aktion diesmal erst in der speziellen Gestalt, die sie etwa in unserem Beispiel 
annehmen könnten; sie bestehen darin, daß der Patient entweder die Ände¬ 
rung seiner Anredeform nicht bemerkt oder für diese Änderung eine auf Ra¬ 
tionalität Anspruch erhebende Erklärung abgibt (zum Beispiel sagt, er wäre 
darauf gekommen, daß die Anrede „Herr“ mit seiner unbürgerlichen Welt¬ 
anschauung nicht zusammenstimme). 

Die generelle Beschreibung, die die beiden Fälle des Beispiels sowohl wie die 
entsprechenden Phänomene beliebiger anderer Beispiele mitbegreift, wäre die: 
Im Patienten geschieht etwas, das sein bewußtes Ich vor der Konfrontation 
mit einer Ich-fremden Handlung bewahrt. — Es wäre natürlich verfehlt, die 
Vorstellung zu erwecken, als ob die Übertragungsaktion zeitlich jener das Ich 
schützenden Maßnahme voranginge. Vielmehr muß man wohl sagen, daß die 
Übertragungsaktion in der betreffenden Form nur unter der Bedingung dieser 
das Ich schützenden Maßnahme überhaupt stattfinden kann. — Wir wollen 
diese Maßnahme mit dem Wort „Rationalisierung“ bezeichnen. Für den Fall 
zwei des konkreten Beispiels trifft dieser Ausdruck jedenfalls zu, angewendet 
auf die „Skotomisierung“ der Übertragungsaktion wirkt er etwas gezwungen. 
Aber er läßt sich vielleicht im Interesse abgekürzter Ausdrucksweise tolerieren, 
wenn wir uns klarmachen, daß die Skotomisierung der Übertragungsaktion 
ja dazu führt, daß das Ich auf keine irrationalen Aktionen der eigenen Person 
zu stoßen braucht. 

Wir können nun unsere Behauptung, daß die Übertragungsaktion als solche 


















Hellmuth Kaiser 


kein Widerstand sei, dahin ergänzen, daß der Widerstand vielmehr in den sie 
begleitenden Rationalisierungen in Erscheinung trete. Das dynamische Mo¬ 
ment fällt dabei wieder einem Betrag narzißtischer Libido zu, die den Ich- 
Schutz ermöglicht, indem sie die Aufmerksamkeit des Patienten von den Ra¬ 
tionalisierungen fernhält. 

Die Auflösung des Widerstandes erfolgt nun in der Analyse in der Weise, 
daß der Analytiker die Aufmerksamkeit des Patienten auf seine Rationali¬ 
sierungen lenkt. Handelt es sich dabei um eine Skotomisierung der Über¬ 
tragungsaktion, so hört der Patient entweder sogleich mit dieser Aktion auf, 
um nach kurzer Zeit mit einem anderen, dem gleichen verdrängten Impuls 
entstammenden einzusetzen, oder er produziert Rationalisierungen im engeren 
Sinn des Wortes, also das, was wir früher „Widerstandsgedanken‘‘ nannten. Der 
erste Fall liefert nichts Neues. Im zweiten Fall hat der Analytiker den Patien¬ 
ten nur auf eine geeignete Weise zu einem genauen Durchdenken dieses 
Widerstandsgedankens zu veranlassen (was wieder auf sehr verschiedene Weise 
und oft durch Handlungen und Haltungen ebensogut wie durch Worte mög¬ 
lich sein kann), damit die Widerstandsaktion verschwindet. An ihre Stelle 
tritt dann in den weitaus selteneren Fällen ein echter Triebdurchbruch, in den 
viel häufigeren eine neue, dem verdrängten Affekt näherstehende, d. h. ge¬ 
wöhnlich affektgefülltere Übertragungsaktion. Wie bald oder ob überhaupt 
eine solche Entkräftung der Widerstandsgedanken zustande kommt, hängt 
teils von der technischen Geschicklichkeit des Analytikers (hierüber wird 
später noch ausführlicher gesprochen werden), teils von der Stärke und Eig¬ 
nung der verfügbaren Bindung des Patienten an den Analytiker ab. 

Damit haben wir gezeigt, daß die gleiche Auffassung, die uns in jenem 
ersten Beispiel die Natur des Widerstandes und die Möglichkeit seiner Auf¬ 
lösung in der Analyse verstehen half, generell auf alle Übertragungswider¬ 
stände anwendbar ist. 

Wir müssen, ehe wir einen weiteren Schritt vorwärts tun, eine Lücke aus¬ 
füllen, die wir aus Gründen übersichtlicherer Darstellung in den obigen Aus¬ 
führungen gelassen haben. Die Skotomisierung der Übertragungsaktion und 
die Produktion bewußter Widerstandsgedanken erschöpfen noch nicht alle 
Möglichkeiten des die Übertragungsaktion begleitenden Ich-Schutzes. Seltener 
wohl als die beiden anderen Fälle, aber immerhin noch häufig genug tritt der 
Fall ein, daß der Patient seine Ü^^^ 2^war wahrnimmt, aber sie 

do ch nicht als ei gene Aktion anerkennen will, indem er sie nämlich auf einen 
ihm selbst unbegreiflichen, unwiderstehlichen Zwang zurückführt. Diese Er¬ 
scheinung kann manchmal zunächst einen sehr fremdartigen Eindruck hervor- 
rufen. Bei genauerem Zusehen läßt sie sich aber auf den zweiten der beiden 
oben besprochenen Fälle von Rationalisierung zurückführen. Die Behauptung 
des Patienten, er habe keine Gründe für sein Tun, unterliege vielmehr einem 
unwiderstehlichen Zwang, ist genau so unzutreffend wie die entsprechenden 



































Probleme der Technik 


505 


Äußerungen der Zwangsneurotiker. Eine sehr sorgfältige Untersuchung zeigt 
immer, daß sich hinter dem Gefühl, gezwungen zu sein, eine wohl ausgebildete 
Rationalisierung verbirgt, die durch die scheinbare fatalistische Unterwerfung 
unter den unwiderstehlichen Zwang nur wieder gedeckt und vor der Kritik 
des Verstandes geschützt ist. — Von diesem Gesichtspunkt aus ergeben sich 
einige Betrachtungen über die Behandlung der Zwangsneurosen, die aber hier 
vom Thema abführen würden und in einer anderen Arbeit Platz finden 
müssen. 

7. Charakterwiderstände 

Wenn ich darangehe, in den nun folgenden Ausführungen den analogen 
Nachweis für die Charakter widerstände zu führen, den ich im vorigen Ab¬ 
schnitt für die Übertragungswiderstände zu bringen versuchte, wird es zweck¬ 
mäßig sein, zunächst etwas über den Sinn zu sagen, in dem ich diese Bezeich¬ 
nung gebrauche. Ich habe bei Anwendung dieses Wortes annähernd die 
gleic hen Phänomene im Auge, die Reich in seinem bedeutsanieirW^efE über 
Charakteranalyse (auf dessen Inhalt ich, soweit er für die vorliegende Arbeit 
in Betracht‘kommt, am Schluß noch eingehen werde) mit diesem Terminus 
bezeichnet. In der Betrachtungsweise weiche ich etwas von ihm ab. 

Der Charakter — hierin stimme ich mit Reich völlig überein — muß bei 
jedem Patienten in der Analyse als Widerstand in Erscheinung treten. 
Auch darin folge ich Reich, daß dieser Charakter ein System von dauernden, 
anschaulich ein Ganzes bildenden Reaktionsweisen des Ichs darstellt und einen 
Schutz gegen das Durchbrechen abgewehrter Triebströmungen und damit 
gegen die für den Fall des Durchbruchs gefürchteten feindlichen Reaktionen 
der Außenwelt bildet. — Ich glaube aber, daß man die entsprechenden 
Erscheinungen im Verhalten der Menschen, die wir mit dem Begriff des 
Charakters bzw. des Charakterwiderstands zu treffen suchen, erst dann zu 
psychologisch voll befriedigenden Gestalten zusammenfassen kann, wenn ma n 
die einzelnen Abwehrbildungen sich vorstellt als zusammengefaßt und organi¬ 
siert unter dem Primat einer für jeden Typus spezifischen Form der Selbst¬ 
gefühlsregulierung. — Je stärker das Selbstgefühlsgleichgewicht des Menschen 
durch neurotische Störungen der Entwicklung und damit der Libidoökonomie 
gestört ist, je archaischer das Regime der Selbstgefühlsregulierung ist, das er 
zur Kompensation regressiv wieder in Kraft gesetzt hat, um so mehr erscheint 
uns sein Charakter als eigenartig, seltsam oder verschroben, um so mehr im¬ 
poniert uns in der analytischen Behandlung sein Gebaren als Charakterwider¬ 
stand. 

Die anschauliche Eigentümlichkeit, die das Verhalten, das wir dem Charakter¬ 
widerstand zuschreiben, von den Verhaltensweisen unterscheidet, die wir auf 
einen Übertragungswiderstand beziehen, ist seine Unpersönlichkeit und der 
Mangel affektiver Lebendigkeit, der an ihm spürbar ist. Wenn ein Patient 













5o6 


Hellmuth Kaiser 


mit erheblichem, noch unaufgelöstem Charakterwiderstand Aggressionen gegen 
den Analytiker äußert, so fühlt man sich als Analytiker auf eine seltsame 
Weise davon unberührt. Man hat den deutlichen Eindruck, daß hier kein 
Triebimpuls, mehr oder minder gehemmt oder verhüllt, zum Ausdruck 
kommt, sondern als ob durch die betreffende Äußerung ein bestimmter, 
unserer Einsicht noch unzugänglicher Zweck erreicht werden soll. Wenn die 
inhaltlich vielleicht ganz gleichlautende Aggression als Element eines Über¬ 
tragungswiderstandes auftritt, so fühlt sich der Analytiker unvergleichlich viel 
stärker als Objekt dieses Angriffs, selbst wenn er genau weiß und es aus dem 
Wortlaut der Aggression beweisen könnte, daß der Patient „eigentliche^ seinen 
’ Vater meint. — Ein solcher „Charakterpanzeree, der ja ein System ist, gebildet 
aus vielen ineinandergreifenden Einzelzügen, hat nun nicht nur eine Ent¬ 
stehungsgeschichte, die es erlaubt, jedes seiner Elemente genetisch zu erklären, 
sondern er hat auch einen aktuellen Sinnzusammenhang — etwa wie ein 
paranoides Wahnsystem —, dessen Kernstück ein Ausdruck der für den Cha¬ 
rakter spezifischen Selbstgefühlsregulierung ist. 

So ist der trotzhafte Charakter ausgezeichnet durch eine Art vorbewußter 
Ideologie, die man etwa folgendermaßen in Worte fassen könnte: Alles geht 
um die Auslöschung oder Kompensation eines entsetzlich beschämenden 
^ Patienten anhaftet und ihn „rabenschwarz"^ oder „auf ewig 

' ‘ verdammt"" erscheinen läßt. Dieser Makel nun kann überwunden werden 

durch die unausgesetzte, pedantisch genaue und vor keinem Opfer zurück¬ 
schreckende Befolgung des Gesetzes. Durch die Befolgung dieses Gesetzes er¬ 
wirbt man Gerechtigkeit, man könnte sagen eine fallweise Erlösung. Durch 
die Befolgung des Gesetzes verkümmert man sich die Freuden des Lebens und 
zieht sich Leiden zu, aber man gewinnt dadurch ihm, dem Gesetz, oder seinem 
imaginären Stifter gegenüber eine moralische Überlegenheit. Man erwirbt 
dadurch gegen ihn, den Unbekannten (meist bleibt dieser Unbekannte auch 
ungenannt, völlig nebelhaft und erscheint nicht einmal als Person), einen An¬ 
spruch. Dieser Anspruch allein hat Wert, nicht etwa seine Erfüllung, die so¬ 
fort das moralische Gleichgewicht wieder verschieben würde. — Dieses ist — 
schon ein wenig ausgeschmückt — etwa das Grundschema, zu dem noch eine 
Fülle individueller, von Patient zu Patient wechselnder Züge kommen. Von 
diesem Gedankensystem weiß der Patient, wenn er in Behandlung kommt, so 
gut wie nichts. An bewußten Äußerungen entsprechen ihm ganz kurze Be¬ 
merkungen, die, in knappste Form gekleidet, zunächst ganz farblos, alltäglich 
und unwichtig anmuten, und die auch immer nur an Hand der Beurteilung 
konkreter Einzelfälle geäußert werden. Hierfür ein paar Beispiele: „Ich bin 
auch mit eingeladen worden."" Das „auch mit"" meint: „wo ich doch eigentlich 
verdammt bin"". — Oder: „Tennis spielen? nein, das kommt nicht in Betracht."" 
Dies „das kommt nicht in Betracht"" meint eigentlich: „das geht gegen das 
Gesetz; ich würde mir damit etwas anmaßen, was mir nicht zukommt, und 























Probleme der Technik 


507 


im Augenblick wäre ich aufs tiefste erniedrigt, der Lohn unendlicher Ver- 
sagungen wäre dahin.“ 

Kommt ein Patient mit einem solchen Charakterpanzer in die Analyse oder 
hat sich der Charakterpanzer — wenn nämlich der Patient in der Zeit eines 
Symptomdurchbruchs in die Behandlung kam — in der Analyse wiederher¬ 
gestellt, so zeigt sich der von diesem Panzer ausgehende Widerstand darin, 
daß der Patient nahezu völlig von seinem Streben nach Rechtfertigung aus¬ 
gefüllt ist und kein Interesse frei hat für einen Kontakt und eine Verständi¬ 
gung mit dem Analytiker. Die Analyse ist ihm wie alles, was er im Leben 
beginnt, eine Gelegenheit, seinen Gehorsam gegen das Gesetz und dessen gänz¬ 
liche Erfolglosigkeit und Unbelohntheit zu erweisen. — (Wir möchten hier 
die Zwischenbemerkung einschalten, daß auch der Charakterwiderstand auf 
einer Übertragung beruht. Der Patient überträgt Kinderstubenerlebnisse und 
kindliche Haltungen auf seine gesamte Umwelt, also auch auf die analytische 
Situation. Wenn wir trotzdem die Begriffe „Charakterwiderstand“ und 
„Übertragungswiderstand“ als nebengeordnete gebrauchen, so geschieht das, 
^®11 ätis historischen Gründen — der Begriff „Übertragungswider¬ 
stand mit der Vorstellung der Affektübertragung sehr fest assoziiert 
ist, während das, was am Charakterwiderstand als spezifisch imponiert, 
eben gerade die ungewöhnliche Affektarmut ist. Seine Äußerungen sind 
nicht sowohl Versuche eines Es-Triebes, sich, soweit es die Zensur ge¬ 
stattet, eine wenn auch unvollkommene Abfuhr zu erzwingen, als Ausdruck 
einer .narzißtischen Tendenz zur Stützung eines gefährdeten Selbstgefühls.) 

Nun können wir leicht zwischen dem schon besprochenen Übertragungs¬ 
widerstand und dem Charakterwiderstand die Parallele ziehen. Der Über¬ 
tragungsaktion dort entspricht hier das künstliche, affektarme, den Forderun¬ 
gen einer archaischen Form der Selbstgefühlsregulierung dienende Verhalten; 
dazu gehören u. a. die Aussprüche, die wir auf Seite jo6 angeführt haben. Den 
Rationalisierungen dort entspricht hier das, was wir im Hinblick auf den 
trotzhaften Charakter seine vorbewußte Ideologie genannt haben. Dazu ge¬ 
hört das, was wir bei jenen Aussprüchen als ihren „eigentlichen“ Sinn be- 
zeichneten. Wie die Übertragungsaktion notwendig verschwindet, wenn ihre 
Rationalisierungen vom Patienten durchschaut und entwertet sind, so schwin¬ 
det der Charakterwiderstand in dem Maße, als die ihn stützenden Wider¬ 
standsgedanken, die „vorbewußte Ideologie“ also, der kritischen Aufmerksam¬ 
keit des Patienten zugänglich geworden ist, ein Prozeß, der vom Analytiker 
wesentlichen ähnlichen Mitteln angeregt werden kann, wie sie bei der 
Lösung eines Übertragungswiderstandes zur Anwendung kommen, nur daß 
hier dem Analytiker eine viel ungünstigere Art von Bindung des Patienten an 
ihn allein zur Verfügung steht. 


















5 o 8 


Hellmuth Kaiser 


8. Die Auflösung der Widerstände (Fortsetzung) 

Wir nehmen jetzt die Diskussion der Frage wieder auf, wie die Namhaft¬ 
machung der verdrängten Impulse als ein Mittel der Widerstandsauflösung zu 
werten ist. Es mag jemanden, der die analytische Praxis nicht aus eigener Er¬ 
fahrung kennt, seltsam berühren, daß wir mit solcher Hartnäckigkeit auf 
diese Frage zurückkommen, obwohl die bisherigen Ausführungen zu zeigen 
schienen, daß wir in der Bewußtmachung der vorbewußten Widerstandsge¬ 
danken ein brauchbares und dazu theoretisch als zweckmäßig erkennbares 
Mittel, Widerstände aufzulösen, besitzen, und obwohl seit jenen von uns 
zitierten, zirka 20 Jahre zurückliegenden Veröffentlichungen Freuds in fast 
keinem Aufsatz über Analysentechnik die Warnung fehlt, ja nicht „Tiefen- 
deutungen'^ zu geben, sondern in erster Linie Widerstände zu analysieren. 
Nun, jeder Berufsanalytiker wird die Erklärung dieser Seltsamkeit parat haben: 
Mag es in der historischen Entwicklung der analytischen Therapie, mag es in 
der Natur des Gegenstandes liegen — das werden wir Heutigen noch nicht 
entscheiden können —, die Tatsache besteht, daß wir in zahllosen Fällen der 
Praxis den verdrängten Impuls oft mitsamt der Kindheitssituation, auf die er 
zurückgeht, viel eher erkennen als die Widerstandsgedanken, die seine Ab¬ 
wehr ermöglichen. Ebenso wird dem Analytiker meist viel eher klar, daß das 
Übertragungsverhalten des Patienten von einem gegen ihn gerichteten, 
sagen wir: aggresiven Impuls getragen ist, viel, viel eher, als er versteht, 
mit welchen Mitteln sich der Patient diese Tatsache verbirgt. — Konkret: 
Setzen wir den Fall — der gewiß nicht so selten ist —, ein Analytiker be¬ 
obachte vier Wochen hindurch oder auch acht Wochen hindurch, daß sein 
Patient ein Übertragungsverhalten zeigt, das sich ungeheuer friedlich und 
unterwürfig gibt, und dem gleichwohl die Aggressivität durch alle Ritzen 
schimmert, natürlich ohne daß der Patient dessen inne geworden ist; gesetzt 
weiter, der Analytiker habe in systematischer Arbeit alles aufgeboten, die die 
Einsicht des Patienten hintanhaltenden Rationalisierungen zu erkennen und 
seinem Analysanden deutlich zu machen, ohne daß der gewünschte Erfolg 
eingetreten ist, obwohl der Analytiker das Gefühl hat, daß auch der Blindeste 
hier die aggressiven Impulse unter der Maske müßte erkennen können; ge¬ 
setzt endlich, der Analytiker erinnere sich des Grundsatzes, man solle (dürfe) 
Deutungen geben, wenn der Patient dicht davor sei, das zu Deutende zu durch¬ 
schauen, wird dann nicht für den Analytiker, der sich der Richtigkeit seiner 
Auffassung absolut sicher weiß, eine geradezu ungeheure Versuchung bestehen, 
dem Patienten zu sagen: „Sehn Sie mal. Sie sagen das und das, verhalten sich 
so und so, muß man das nicht in aggressivem Sinne auffassen?^" Ich be¬ 
haupte: ja! Ich selbst bin dieser Versuchung hundertmal unterlegen, sogar 
ohne zu wissen, daß es sich dabei um eine Versuchung handelte, und mit der 
Überzeugung, etwas sehr Vernünftiges zu tun. — Diese Tatsachen muß man 

















Probleme der Technik 


509 


sich vor Augen halten, um die Tragweite der folgenden Überlegungen richtig 
einschätzen zu können. 

Wir fahren fort: Das eben beschriebene Verfahren des Analytikers ist theo¬ 
retisch zu rechtfertigen nur in den Fällen, in denen die geschilderte Mit¬ 
teilung des Analytikers an den Patienten bei diesem zu einem blitzartigen 
Durchschauen seiner Widerstandsgedanken führt. Die Erfahrung lehrt, daß 
dies außerordentlich seltene Fälle sind, so seltene, daß sie praktisch überhaupt 
nicht ins Gewicht fallen. Aber das Verfahren ist nicht nur theoretisch zumeist 
nicht zu rechtfertigen, was ja unter Umständen nur etwas gegen die Theorie 
beweisen würde, sondern es führt auch in der Praxis nicht zu dem gewünsch¬ 
ten Erfolg: der „echte“ affektgefüllte Triebdurchbruch tritt nicht ein. 

Nun könnte man aber sagen, dies alles zugegeben, sei eben die Analyse eine 
schwere Kunst, man könne nicht verlangen, daß der Analytiker jede bei ihrer 
Ausübung sich stellende Aufgabe restlos löse, warum sollte er sich also nicht 
aus einer Situation, die er auf korrekte Weise nicht lösen kann, auf eine 
wenigstens unschädliche herausziehen, um einen therapeutischen Erfolg, der 
ihm an dieser Stelle nicht beschieden war, nun an einer anderen gewinnen zu 
können? Dieser, einer gewiß vernünftig-toleranten Gesinnung entspringen¬ 
den Argumentation müssen wir leider aufs schärfste entgegentreten, da sie auf 
einer unrichtigen Annahme basiert. Das Verfahren der Inhaltsdeutung, wie 
wir kurz sagen wollen, d. h. dasjenige, bei dem der Analytiker dem Patienten 
den verdrängten Impuls namhaft macht, ist nur in zwei Fällen unschädlich. 
Der eine ist der — wie schon gesagt so äußerst seltene —, in dem das Ver¬ 
fahren mit dem korrekten zusammenfällt, der zweite ist der, in dem der 
Patient die Deutung affektlos ablehnt. In diesem zweiten Fall ändert sich 
aber auch die analytische Situation in nichts, und der Analytiker steht nach 
wie vor vor dem gleichen Problem. In allen übrigen Fällen aber richtet die 
Deutung Schaden an, also in all den Fällen, in denen der Patient die Deutung 
einleuchtend findet (gleichviel, ob er dabei affektlos bleibt oder eine Emotion 
verrät), und in den Fällen, wo er sie mit einem gewissen Affekt ablehnt. In 
diesen Fällen nämlich bahnt das Verhalten des Analytikers eine spezielle Form 
des Widerstandes beim Patienten an, die zwar nicht unüberwindlich ist, deren 
Überwindung aber noch schwerer gelingt, als die des bisherigen, und sehr er¬ 
hebliche Zeit kostet. 

Diese Erscheinung habe ich in besonders krasser und eindrucksvoller Weise 
bei den Patienten kennengelernt, die ich als trotzhafte Charaktere bezeichnet 
habe. 

Ich möchte die Vorgänge, die sich in einem solch krassen Fall im Patienten 
abspielen, an einem Beispiel ein wenig ausführen: Ich sagte einem Patienten 
vom Typ des trotzhaften Charakters, dessen Charakterwiderstand soweit ge¬ 
lockert war, daß er einen aggressiven Impuls auf mich übertragen hatte, nach 
längeren aber erfolglosen Versuchen, seine Rationalisierungen zu zerstören: 













510 


Hellmuth Kaiser 


„Sehn Sie sich das mal genau an, wie Sie sich mir gegenüber verhalten""; hier 
ließ ich nun eine gedrängte Übersicht all der Aktionen und sonstigen Äuße¬ 
rungen folgen, die mir den zwingenden Eindruck der Aggressivität erweckt 
hatten — „kann man das anders auffassen als so, daß Sie in Wirklichkeit einen 
Zorn auf mich haben, diesen Affekt aber in der und der Weise verschleiern?“ 
Der Patient, der alle seine Affekte sehr sorgsam zu verbergen pflegte, war 
erschüttert. Er wurde ersichtlich blaß, seine Augen weiteten sich. Mit heiserer 
und unsicherer Stimme sagte er: „Ja, das leuchtet mir ein. — Wie furchtbar!“ 
Ich war sehr befriedigt über diesen Erfolg, ich war auch noch sehr befriedigt, 
als der Patient sich am nächsten Tage wieder beruhigt hatte und bei irgend¬ 
einer Gelegenheit sehr gelassen von dem Wutaffekt sprach, den er mir gegen¬ 
über gehegt. Der therapeutische Erfolg der Auflösung dieses Übertragungs¬ 
impulses schien voll eingetreten zu sein. Nun, ich brauche nicht zu sagen, 
daß ich nach geraumer Zeit merken mußte, daß ich mich vollkommen getäuscht 
hatte. Die Erregung, die der Patient gezeigt hatte, war ja nicht die, die zu 
einem Wutaffekt gehört, wie es hätte sein müssen, wenn es sich um einen 
Triebdurchbruch gehandelt hätte, sondern war ein Ausdruck der Angst und 
der Abwehr. Seine Beruhigung kam nicht davon, daß dies Stück Übertragung 
nun gelöst und ein Affektbetrag seine Abfuhr gefunden hatte, sondern beruhte 
auf einer neuen erfolgreichen Abwehr. Diese Abwehr entsprach einer Ver¬ 
arbeitung, die man etwa folgendermaßen in Worte fassen könnte: „Ich habe 
wohl diesen Wutaffekt. Aber das ist nicht schlimm. Solche Affekte kriegt 
man eben in der Analyse; das gehört dazu und hat nichts weiter zu bedeuten; 
in Wirklichkeit, im Leben (d. h. außerhalb der Analyse) bin ich doch ein an¬ 
ständiger Mensch, der keine bösartigen Impulse mit sich herumträgt."" Diese 
Abwehr konnte erst überwunden werden, nachdem es mit den größten 
Schwierigkeiten in zahllosen kleinen Schritten gelungen war, diese ganze Ge¬ 
dankenfolge — ungefähr in dem zitierten Wortlaut — der Aufmerksamkeit 
des Patienten zugänglich zu machen. Dann erst kam es zu einem unverkenn¬ 
baren Wutausbruch gegen mich mit dem erwünschten therapeutischen Erfolg, 
d. h. dem Überspringen aus der Übertragungssituation auf das infantile 
Vorbild. 

Man könnte nun meinen, daß wenigstens bei leichteren Neuroseformen das 
Verfahren der Inhaltsdeutung unschädlich sein könnte. Ich habe leider noch 
keine Gelegenheit gehabt, dies exakt nachzuprüfen. Ich stehe aber unter dem 
Eindruck der merkwürdigen Tatsache, daß ich bei leichteren Neuroseformen, 
bei denen ich zufriedenstellende therapeutische Erfolge erreichte, und wo ich 
häufiger scheinbar mit gutem Effekt Inhaltsdeutungen gegeben habe, nie an¬ 
nähernd so intensive Triebdurchbrüche erzielen konnte, wie bei schweren 
narzißtisch gepanzerten Trotzcharakteren, bei denen ich auf jede Inhalts¬ 
deutung verzichtet hatte. Ich bin überzeugt, daß die Affektreaktionen, die 
meine Inhaltsdeutungen in den erwähnten Fällen provozierten, insofern „un- 




























Probleme der Technik 


5” 


echt waren, als die Triebäußerung nicht der Lösung des Widerstandes, son¬ 
dern der Suggestion zu verdanken war. Der Triebimpuls, den der Analytiker 
selbst bezeichnet hatte, war verharmlost, er wurde nicht in der Realität er¬ 
lebt, sondern in einer vom Analytiker geschaffenen Laboratoriumsatmosphäre. 
Ich habe Gründe, die so zustande gekommenen Heilwirkungen als Über¬ 
tragungserfolge zu betrachten, soweit sie nicht einem für den Patienten frei¬ 
lich nicht unersprießlichen Umbau der Neurosensymptomatik zu verdanken 
waren. 

Aus diesen Betrachtungen ergibt sich für die Technik der analytischen 
Therapie die Konsequenz, daß sie, praktisch gesprochen, von Inhaltsdeutun¬ 
gen überhaupt keinen Gebrauch zu machen hat, sondern ihr Ziel allein durch 
das Auflösen von Rationalisierungen anstreben muß, da nur ein solches Vor¬ 
gehen mit ihrem Ziel wirklich vereinbar ist. 

Diese Vorschrift scheint sich von den Anweisungen, die dem Ausbildungs¬ 
kandidaten in Kursen, technischen Seminaren und Kontrollanalysen gegeben 
werden, durch nichts als eine etwas pedantisch anmutende Rigorosität zu 
unterscheiden, denn auch dort wird üblicherweise vor „zu frühen"" oder „zu 
tiefen"" Deutungen gewarnt, und als Reich in Seminaren und Schriften ein¬ 
schärfte, man müsse jeden Widerstand von der „Ich-Seite"" aus angehen, man 
müsse dem Patienten zunächst immer erst zeigen, mit welchen Mitteln er ab¬ 
wehrt und diese Abwehrmittel zersetzen, hat ihm hierin eigentlich niemand 
widersprochen. Sollte es wirklich mehr sein als ein aus der blassen Theorie 
entsprungener Radikalismus, wenn wir hier behaupten, es mache einen ent¬ 
scheidenden Unterschied, ob man die Inhaltsdeutung als letzten Schritt einer 
Widerstandsauflösung noch zulasse oder verwerfe, und für ihre strikte Ver¬ 
werfung plädieren? Wir behaupten: ja, und glauben, ungefähr alles, wenn 
auch in etwas gewaltsam zusammengedrängter Form, angeführt zu haben, was 
sich aus der Theorie zugunsten dieses Radikalismus ergibt und was uns diesen 
Radikalismus als geboten erscheinen läßt. Aber wir glauben auch, daß die 
angeführten Argumente so lange keine wirklich überzeugende Wirkung ent¬ 
falten können, als sie nicht durch ein Stück anschaulicher Darstellung ergänzt 
worden sind, einer Darstellung dessen, was sich denn nun ergibt, wenn man 
versucht, mit der gegebenen Vorschrift Ernst zu machen. Davon soll im 
nächsten Abschnitt die Rede sein. 

9. Die Praxis der konsequenten Widerstandsanalyse 

Als erstes muß das merkwürdige Faktum konstatiert werden, daß der Unter¬ 
schied zwischen einer konsequenten Widerstandsanalyse und einer solchen, 
die „am Schlüsse"" Inhaltsdeutungen zuläßt, im Hinblick auf die anschaulich¬ 
erlebnismäßige Seite der Dinge ganz unvergleichlich viel größer und ein¬ 
drucksvoller ist, als man nach den scheinbar so mageren Unterschieden in ihren 
theoretischen Formulierungen annehmen sollte. Um Mißverständnisse zu ver- 









512 


Hellmuth Kaiser 


meiden, müssen wir vorausschicken, daß sich dieser Unterschied natürlich 
nicht schon in dem Moment voll herstellt, in dem man sich entschließt, grund¬ 
sätzlich auf Inhaltsdeutungen zu verzichten. Man muß erst durch diesen Ver¬ 
zicht auf die eigenartige und anfangs sehr imponierende Schwierigkeit auf¬ 
merksam geworden sein, für jede Widerstandssituation den Weg zu den sie 
fundierenden Rationalisierungen zu finden, und man muß schon ein wenig 
diese Schwierigkeit überwunden und sich gewöhnt haben, die „gleichschwebende 
Aufmerksamkeit*" derart zu erweitern, daß ein viel größerer Teil des gegen¬ 
wärtigen Ichs des Patienten in erheblich schärferer Beleuchtung als bisher in 
ihr Blickfeld gerät. Die Zunahme der Fähigkeit, auf diesem Gebiet Nuan¬ 
cen zu sehen, die man in — sagen wir — einjährigem Training erwirbt, steht 
nicht zurück hinter der Verfeinerung des DifferenzierungsVermögens, die man 
im gleichen Zeitraum im Hinblick auf die Gestaltung unbewußter Triebstruk¬ 
turen erlebt, wenn man erstmalig mit der analytischen Arbeit beginnt. Ich 
hatte einmal Gelegenheit, zu hören, wie zwei Analytiker, nennen wir sie A 
und B, von denen B sich einige Zeit in der Anwendung der konsequenten 
Widerstandsanalyse geübt hatte, A dagegen nicht, sich über eine schwierige 
Patientin des A unterhielten. A gab einen kurzen Bericht ihrer Beschwerden 
und schilderte dann ihr affektlos-unzugängliches Verhalten in der Analyse, 
zeigte, wie sie sich bewegte, sprach und auf dem Sofa lag, erzählte, was er 
alles versucht habe, der Situation Herr zu werden, und begann dann laut zu 
denken. Was er äußerte, waren scharfsinnige, zum größten Teil überzeugende 
Hypothesen über die Triebentwicklung der Patientin, soweit sie für die gegen¬ 
wärtige analytische Situation belangvoll war. „Ja, aber das kann ich ihr 
doch jetzt nicht sagen**, setzte er jedesmal resigniert hinzu, worauf wir anderen 
zustimmen mußten. Was ihm weiterhin einfiel, waren immer neue, an sich 
nicht unwahrscheinliche Erklärungen, die das Verhalten des Patienten aus 
Kindheitserlebnissen und Triebkonstellationen verständlich machen sollten, 
dazu auch geeignet waren, aber keinen Aufschluß gaben über das, was jetzt zu 
tun sei. Hier griff nun der Analytiker B ein und stellte an A eine Reihe von 
Fragen, die das Verhalten der Patientin in der Analyse betrafen, insbesondere 
ihre Einstellung zur Behandlung selbst, die Äußerungen, die sie darüber getan 
hatte, die Motivierung, mit der sie ihre Behandlung, von deren Erfolglosig¬ 
keit sie sich überzeugt zeigte, immer noch fortsetzte. Es zeigte sich, daß A 
eine Menge dieser Fragen ganz gut beantworten konnte, daß er recht anschau¬ 
lich eine Reihe von Szenen aus der Analysenstunde beschrieb, daß er aber 
diese bewußten und gedanklichen Stellungnahmen der Patientin als unwesent¬ 
lich vernachlässigte, weil sie ja doch „nicht glaubwürdig** und „nur der Aus¬ 
druck der Angst vor der eigenen Aggressivität der Patientin** seien. Mit dieser 
letzten Bemerkung hatte er zweifellos recht, aber er hatte übersehen, daß in 
eben diesen ungereimten und widerspruchsvollen Stellungnahmen der Patien¬ 
tin das erste Bollwerk der Widerstandsfestung lag, deren vielleicht imponieren- 
























Probleme der Technik 


513 


dere, dem Zentrum nähere Forts er mit dem Fernglas seines guten tiefen¬ 
psychologischen Blicks studiert hatte, ohne ihnen einen Schritt näherkommen 
zu können. 

Dieser Festungsvergleich führt uns auf ein Problem, das bei der konsequen¬ 
ten Widerstandstechnik eine große Rolle spielt, und dessen Erörterung — die 
sich freilich mit noch sehr vorläufigen Resultaten begnügen muß — geeignet 
sein könnte, ein wenig in die konkrete Kleinarbeit dieser technischen Methode 
Einblick zu gewähren. Wir wollen es das Problem der Aktualität nennen. 

IO. Das Problem der Aktualität 

Der Vergleich der Neurose mit einer zu erstürmenden Festung scheint — 
vielleicht allerdings nur wegen meiner laienhaften Vorstellungen von der Be¬ 
lagerungskunst — den Gedanken zu involvieren, als ob über die Reihenfolge, 
in der man sich mit den einzelnen Widerständen (die im Bilde durch die ver¬ 
schiedenen Gräben, Drahtverhaue, Bollwerke und Fortgürtel repräsentiert 
werden) auseinanderzusetzen habe, kein Zweifel bestehen könne. Dem ist aber 
keineswegs so. Das läßt sich wieder am besten an einem Beispiel erläutern: 

Der Patient beginnt die Stunde mit Schweigen. Der Analytiker hat den Ein¬ 
druck, der Patient schweige, um die Verantwortung für das erste Wort nicht über¬ 
nehmen zu müssen, sie vielmehr auf den Analytiker abzuschieben, und er äußert 
diesen Gedanken. Der Patient geht darauf nicht ein, sondern sagt, leicht aggressiv: 
„Haben Sie denselben Satz nicht schon in der vorigen Stunde einmal gesagt? Sie 
sagen eigentlich immer das gleiche. Na ja, das wird wohl so zu den Vorschriften der 
Analyse gehören!" Der Analytiker erkennt, unter anderem aus dem Stimmklang, 
mit dem der Patient seine Äußerung vorbringt, daß dieser dem für ihn heiklen 
Problem der Verantwortungsabschiebung auszuweichen und seine dort bereit- 
liegende Angst durch eine Aggression zu verdecken sucht, diese Aggression aber 
wieder aus Ängstlichkeit insofern abmildert, als er den persönlichen Vorwurf (Sie 
sagen immer das gleiche) in einen allgemein gegen die Analyse gerichteten um¬ 
wandelt (das gehört wohl zu den Vorschriften der Analyse), wobei die ursprüng¬ 
lichere Angriffsrichtung noch durch die leise Ironie, die in seinen Worten mitklingt, 
angedeutet bleibt. 

Man könnte hier zweifeln, ob der Analytiker, das Ausweichen des 
Patienten kurz beschreibend, auf das erste Thema, das des Schweigens, zurück¬ 
kommen solle, oder ob er sich vorläufig nur mit der letzten Äußerung des 
Patienten zu beschäftigen habe. Das letztere Verhalten hat nämlich das Be¬ 
denkliche, daß der Patient möglicherweise auch hier wieder ausweicht und 
nun ein drittes Thema anschlägt und so fort, so daß man beim Analysieren 
vom Hundertsten ins Tausendste kommt, ohne daß irgendein Punkt wirklich 
erledigt wird. Diesem Bedenken gegenüber ist zuzugeben, daß es wirklich 
begründet ist. Es kann wirklich so gehen, daß der Patient auf jede noch so 
sachgerechte Bemerkung des Analytikers hin das Thema wechselt, ja es kann 
sogar sein, daß auch der nach dem fünften oder sechsten Themawechsel an- 







Hellmuth Kaiser 


5H 

gestellte Versuch des Analytikers, dem Patienten das Fluchtartige seiner Ge¬ 
dankensprünge zu zeigen, von jenem mit einem neuen Gedankensprung be¬ 
antwortet wird. Das heißt es kann geschehen, daß es dem Analytiker nicht 
gelingt, einen der sukzessiven Widerstandsmechanismen des Patienten auf den 
ersten Anhieb so zu treffen, daß der Patient nicht mehr vor der Einsicht in 
den Widerstandscharakter seiner Äußerung ausweichen kann. Nun ist es 
aber keineswegs immer falsch, etwas zu versuchen, was möglicherweise erfolg¬ 
los ausgeht. Die andere Möglichkeit, die der Analytiker hat, nämlich auf 
das erste Widerstandsphänomen (das Schweigen) weiter einzugehen, ehe das 
zweite oder das jeweilig letzte wirklich erledigt ist, verspricht noch weniger 
Erfolg. Es kann zwar leicht geschehen, daß bei einem solchen Vorgehen der 
Patient sich zu dem, was der Analytiker über sein erstes Widerstandsphänomen 
sagte, zustimmend äußert; das liegt dann aber nur daran, daß dieses erste Pro¬ 
blem für den Patienten inzwischen seine Bedeutung verloren hat, daß es un¬ 
aktuell geworden ist. 

Wir können uns den Sachverhalt theoretisch etwa so klarmachen: Wir 
hatten es als das Mittel zur Auflösung von Widerständen erkannt, den Patien¬ 
ten zu veranlassen, seine Widerstandsgedanken zu überprüfen. Dazu genügt 
aber nicht, daß man dem Patienten den Teil seiner Widerstandsgedanken, den 
er geäußert hat, wiederholt und ihm demonstriert, welche weiteren Gedanken 
dahinterstehen müßten. Er kann sich das alles anhören, ohne die entsprechen¬ 
den Denkakte wirklich in seinem Innern zu vollziehen, ohne sich — wenn 
dieser Ausdruck gestattet ist — dafür intellektuell verantwortlich zu fühlen, 
ohne den Wahrheitsgehalt dieser Gedanken oder den Mangel eines solchen 
wirklich zu erleben. Wenn man mit einem gesunden erwachsenen Menschen 
über irgendein ihn affektiv nicht zu stark berührendes Thema diskutiert, so 
wird man es im allgemeinen immer erreichen können, daß er jeden beliebigen 
Gedanken, den er oder den man selbst in der Diskussion geäußert hat, soweit 
durchdenkt, daß er darin enthaltene Unstimmigkeiten bemerkt. Man muß 
nur die einzelnen Denkschritte genügend, d. h. der Auffassungsfähigkeit des 
anderen entsprechend, klein wählen. Bei einem Patienten, den man zum 
Durchdenken seiner Widerstandsgedanken veranlassen will, findet man un¬ 
günstigere Bedingungen. Man hat es mit einer Kraft zu tun (der narzißti¬ 
schen Gegenbesetzung), die die Aufmerksamkeit des Patienten von dem 
Thema, auf das wir ihn bringen wollen, fernhält. Dieser Kraft kann, wie wir 
weiter oben ausführten, die zärtliche Bindung an den Analytiker entgegen¬ 
gestellt werden — wenn sie verfügbar ist. Stellen wir uns etwa vor, der Pa¬ 
tient unseres Beispiels habe eine genügend tragfähige zärtliche Bindung an den 
Analytiker entwickelt, so würde es vielleicht genügen, wenn der Analytiker 
auf die ironisch-ausweichende Bemerkung des Patienten etwa zur Antwort 
gäbe: „Sie weichen ja aus!'‘, um den Patienten zur gedanklichen Verarbeitung 
der ersten Äußerung des Analytikers anzuregen. Aber das braucht nicht der 



























Probleme der Technik 


515 


Fall zu sein. Die Daten des Beispiels legen sogar eher die Annahme nahe, daß 
der Patient zu einer solchen Bindung an den Analytiker noch gar nicht fähig 
ist. Dies ist die Regel beim Bestehen eines schweren, etwa trotzhaften, noch 
undurchbrochenen Charakterwiderstandes. Unter diesen Umständen kann 
der Analytiker nicht erreichen, daß der Patient einen vom Analytiker an¬ 
gegebenen Gedankengang in sich aktiviert, ihn in Hinblick auf seinen Wahr¬ 
heitsgehalt durchdenkt, sondern der Analytiker ist darauf angewiesen, 
sich mit dem Widerstandsgedanken zu beschäftigen, den der Patient 
jeweilig aktiviert hat, deshalb aktiviert hat, weil er ihn zu der im 
Augenblick nötigen Abwehr braucht. Es ist dann jede Äußerung des 
Analytikers unwirksam, die nicht haargenau die aktuellste Widerstands¬ 
bildung des Patienten trifft. Ich weiß nicht, ob es korrekt ist, in dem 
erwähnten Falle sich so auszudrücken, als ob gar keine zärtliche Bin¬ 
dung an den Analytiker bestünde. Vielleicht sollte man nur von der Schwäche 
und geringen Tragfähigkeit dieser Bindung reden; denn es scheint plausibel, 
daß^ bei vollständigem Fehlen einer solchen Bindung auch die Möglichkeit, den 
Patienten zu analysieren, wegfiele. Immerhin schiene es mir nicht ganz un¬ 
lohnend, sich die Frage vorzulegen, ob nicht auch in der narzißtischen Über¬ 
tragungsbeziehung, die mit der Entfaltung des Charakterwiderstandes not¬ 
wendig verbunden ist, ein für die Analyse fruchtbar zu machendes Element 
enthalten sein könnte. Nun, das ist ein Spezialproblem, das wir hier nicht 
weiter verfolgen können. Dagegen läßt sich allgemein sagen: je stärker der 
Widerstand und je schwächer die zärtliche Bindung, um so strenger muß das 
Vorgehen des Analytikers auf Aktualität bedacht sein. 

Dieser Forderung nach Aktualität kann der Analytiker bei einigermaßen 
schweren Fällen nicht genügend gerecht werden, wenn seine Aufmerksam¬ 
keitshaltung nicht von ihr beeinflußt worden ist. Man wende dagegen nicht 
ein, daß diese Bemerkung dahin tendiere, der „gleichschwebenden Aufmerk- 
samkeit‘" des Analytikers ein Ende zu machen. Die Rede von der „gleich¬ 
schwebenden Aufmerksamkeit^' meint ja nicht, daß der Analytiker sein auf 
Begabung, Erfahrung und Nachdenken beruhendes Gefühl für die psycholo¬ 
gische Bedeutung des Wahrgenommenen außer Funktion setze, sondern daß er 
dies Gefühl möglichst ungestört von bewußt erzwungenen Aufmerksamkeits¬ 
spannungen zur Wirkung bringe. Es ist wahr, daß wie jede durch Über¬ 
legung gewonnene technische Einsicht, auch diese von der Aktualitätsforde¬ 
rung zunächst störend auf die gleichschwebende Aufmerksamkeit wirkt; aber 
diese störende Wirkung verschwindet eben so rasch, wie die anderer die Tech¬ 
nik beeinflussenden Überlegungen. 

Es ist unmöglich, im Rahmen dieser Arbeit ein auch nur einigermaßen voll¬ 
ständiges Bild von der Arbeitsweise der konsequenten Widerstandsanalyse zu 
geben; und ich werde mein Versprechen, die theoretischen Argumente durch 
eine anschauliche Darstellung zu ergänzen, nur sehr unvollkommen einlösen 

Int. Zeitschr. f, Psychoanalyse, XX/4 


35 









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Hellmuth Kaiser 


können. Aber um wenigstens so viel zu tun, wie der Raum erlaubt, möchte 
ich unter Verzicht auf systematische Gedankenfolge eine analytische Situation 
besprechen, deren Erörterung theoretisch nichts Neues ergeben wird, die aber 
so oft in der Analyse vorzukommen pflegt, daß die Art, wie man sich ihr 
gegenüber verhält, dem anschaulichen Bild der Analysenvorgänge einen cha¬ 
rakteristischen Zug verleihen kann. 

!!• Das Reden in Anspielungen 

Nachdem man einige Widerstände aufgelöst hat, ohne daß aber bisher ein 
echter Triebdurchbruch erfolgt wäre, beginnt der Patient, der sich in einem 
gewissen Zustand von Lockerung befindet, ziemlich lebhaft eine Reihe von 
Einfällen zu äußern, die logisch nur in einer oberflächlichen Weise verknüpft 
sind, die aber, im Zusammenhang betrachtet, als unverkennbare Anspielun¬ 
gen auf einen bestimmten Affekt und ein bestimmtes Kindheitserlebnis, in dem 
der Patient mit jenem Affekt reagierte, aufgefaßt werden müssen. 

Drei verschiedene Verhaltungsweisen des Analytikers kommen hier in Be¬ 
tracht und werden erfahrungsgemäß auch wirklich angewandt. 

Das erste, wir wollen es das Deutungsverfahren nennen, besteht darin, daß 
der Analytiker dem Patienten die von ihm gebrachten Anspielungen in ge¬ 
eignetem Zusammenhang noch einmal vorführt und ihm zeigt, wie wunderbar 
sie zu dem Bilde einer bestimmten Szene mit bestimmtem Gefühlsgehalt zu¬ 
sammenpassen, so daß es doch mit dem Teufel zugehen müsse, wenn so viel 
Übereinstimmung dem reinen Zufall zu verdanken sein solle, und die größte 
Wahrscheinlichkeit dafür spreche, daß der Patient wirklich einmal eine solche 
Szene, wenn nicht erlebt, dann doch wenigstens phantasiert habe. Darauf 
wird der Patient im allgemeinen sehr erfreut und interessiert erscheinen und 
— dankbar für die ihm zugewandte Fülle an Scharfsinn — eifrig noch einige 
Einfälle bringen, die die Deutung bestätigen. Der therapeutische Effekt aber 
wird ungefähr gleich Null sein. 

Das zweite Verfahren, das wir das Andeutungsverfahren nennen möchten, 
wird von Analytikern bevorzugt, die das erste als zu grob verurteilen. Es 
besteht darin, daß der Analytiker dem Patienten die Einfälle, die er gebracht 
hat, in geeigneter Beleuchtung und mit gewählter Betonung in der günstig¬ 
sten Reihenfolge zusammenstellt und abwartet, wie der Patient darauf re¬ 
agiert. Hier kann zweierlei geschehen. Entweder der Patient kann mit 
dieser Zusammenstellung nichts anfangen, er versteht nicht, das ihm vom 
Analytiker vorgelegte Rätsel zu raten, so bleibt alles wie bisher; oder er 
findet die Lösung des Rätsels. Dann ergibt sich für den Patienten noch ein 
Vergnügen mehr als im Falle des DeutungsVerfahrens; er darf nämlich nun 
auch auf seinen eigenen Scharfsinn stolz sein. Aber der therapeutische Effekt 
bleibt wiederum aus. Der Patient hat seinen verdrängten Impuls ja nicht er¬ 
lebt, sondern nur erschlossen, wie er das mit dem Impuls eines Wildfremden, 
































Probleme der Technik 


517 


von dem er die entsprechenden Äußerungen gehört hätte, ebensogut gekonnt 
haben würde. Der W^iderstandsmechanismus Hegt eben nicht allein in der 
Tatsache des Vergessens, sondern in gedanklichen oder sagen wir in reflektier¬ 
ten Akten, zum Beispiel in der nicht realitätsgerechten Akzentuierung, mit 
der Deckerinnerungen dargestellt werden. 

Das dritte Verfahren, das uns als das allein zulässige erscheint, ist das der 
Widerstandsanalyse. Diese kann zum Beispiel darin bestehen, daß man den 
Patienten auf die Zerrissenheit seiner Einfälle aufmerksam macht; manchmal 
wird man ihm auch geradezu zeigen können, daß er intendiert, vom Analyti¬ 
ker erraten zu werden, oder ihm ein Rätsel aufzugeben. Das Merkwürdige 
und Lehrreiche an diesem Vorgehen ist nun die Tatsache, daß in den weitaus 
meisten Fällen die Zersetzung des Widerstandes nicht etwa den Impuls be¬ 
freit und die Erinnerungen aufsteigen läßt, auf die die Äußerungen des Pa¬ 
tienten in so unmißverständlicher Weise anspielten, sondern ganz andere, und 
daß umgekehrt jene erst in einem viel späteren Stadium der Analyse lebendig 
werden. Man erkennt daraus, daß zur Bildung der Abwehr oft Vorstellungs¬ 
material verwendet wird, das nicht zu dem unmittelbar abgewehrten Impuls 
gehört, sondern zu einem noch viel tiefer verdrängten. Die an sich so reiz¬ 
volle Arbeit der Rekonstruktion vergangener Szenen aus wenigen und ver¬ 
sprengten Erinnerungsspuren ist zwar für den Privatgebrauch des Analytikers 
nicht unwichtig, da er sich nur so ein ungefähres Bild der Neurosenentwicklung 
seines Patienten verschaffen kann, aber für die unmittelbare Anwendung in 
der Therapie kommt sie nicht in Betracht. 

Man wird nun fragen, ob denn bei der konsequenten Widerstandsanalyse 
der Analytiker überhaupt keine Gelegenheit habe, direkt von den infantilen 
Trieben des Patienten zu reden. So fällt oft die Bemerkung, daß es doch 
nötig sei, dem Patienten, der einen „echten Triebdurchbruch"^ produziert 
habe, den Inhalt des dabei Geäußerten zu erklären. Man muß darauf ant¬ 
worten, daß hier nur ein Mißverständnis über das, was man unter einem 
„echten Triebdurchbruch“ versteht, vorliegen könne. Tritt nämlich dies 
Phänomen auf, so versteht der Patient seine Äußerungen so vollständig, wie 
man es nur irgend wünschen kann. Es bleibt dem Analytiker tatsächlich 
nichts im Sinne einer Erklärung oder Erläuterung der vom Patienten geäußer¬ 
ten Inhalte hinzuzusetzen. Dagegen ist etwas anderes zu tun, was geschehen 
muß, wenn aller erreichbare therapeutische Gewinn aus dem Triebdurchbruch 
gezogen werden soll. Der Analytiker muß dem Patienten, sozusagen in einem 
Rückblick, die Widerstände noch einmal vor Augen führen, die dem gegen¬ 
wärtigen Triebdurchbruch vorgelagert waren und, wenn möglich, verständlich 
machen, wieso gerade diese Widerstandsmechanismen geeignet waren, gerade 
diesen Impuls und gerade diese Erinnerungen am Durchbrechen zu hindern. 
Je weiter dabei der Analytiker in der Entwicklung der vorliegenden Analyse 
zurückgreifen kann, um so besser. Der Grund hierfür ist einleuchtend. Um 


35* 












5 i8 


Hellmuth Kaiser 


einen echten Triebdurchbruch zu erzielen, ist es — glücklicherweise — nicht 
notwendig, buchstäblich sämtliche Widerstandsgedanken mit gleicher Gründ¬ 
lichkeit zu zersetzen. Wenn die Hauptstränge des Widerstandsnetzes gerissen 
sind, so genügt die Druckkraft des Impulses selbst, den Durchbruch zu er¬ 
zwingen. Dann bleiben aber Reste von Widerstandsmechanismen ungeklärt, 
die oft eine Restitution des Widerstandes ermöglichen, während sie bei dem 
beschriebenen Vorgehen mit relativ sehr geringer Mühe relativ sehr gründlich 
beseitigt werden können. 

Hiermit bin ich am Schluß des darstellenden Teils meiner Ausführungen 
angelangt. Was übrig bleibt, sind einige historisch-kritische Bemerkungen, von 
denen ich aus Gründen der Übersichtlichkeit die Darstellung selbst freihalten 
wollte. Daß die Erörterung der Technik selbst, die eine große Fülle von 
Einzelfragen und theoretischen Problemen involviert, milde gesprochen, 
äußerst lückenhaft ist, habe ich schon gesagt. Ich kann nur hoffen, Interesse 
für die vorgetragenen Probleme, nicht aber schon Zustimmung zu den ange¬ 
deuteten Lösungen hervorgerufen zu haben. Eine Bemerkung glaube ich dem 
Leser noch schuldig zu sein, nachdem ich mich so sehr für eine — wenn man 
will —- radikale oder rigorose Handhabung der Technik ins Zeug gelegt habe: 
Alle Strenge der technischen Vorschriften ist nur soweit legitimiert, als sie 
durch das therapeutische Ziel geboten erscheint. Immer droht die Gefahr, 
daß aus einer vernünftigen Methodik ein Ritual wird, das nicht um des Ziels, 
sondern um seiner selbst willen Gehorsam verlangt. Technische Regeln in 
abstrakter Form sind nicht dazu da, angewandt zu werden, sondern verstanden 
zu werden, um, auf noch wenig erforschten Wegen, Taktgefühl und Instinkt 
des Analytikers zu verfeinern und zu bereichern. In der Gegenwart der ein¬ 
zelnen Analysenstunde müssen immer diese das letzte Wort haben. 

12. Reichs Theorien zur Analysentechnik 

Die entscheidensten Fortschritte in der Theorie der analytischen Technik, 
die seit den Arbeiten Freuds zu verzeichnen sind, scheinen mir die von Wil¬ 
helm Reich stammenden zu sein. Ich möchte es daher nicht unterlassen, hier 
zu ihnen wenigstens soweit Stellung zu nehmen, als sie die in der vorliegenden 
Arbeit angerührten Probleme betreffen, um so weniger, als die Gedanken, die 
ich mir über die Theorie der Technik gemacht habe, und von denen ich einige in 
der vorliegenden Arbeit darzustellen versuchte, unmittelbar auf den Reich- 
schen Gedanken und auf Anregungen beruhen, die ich in seinem Seminar 
empfing, und für die ich mich ihm zu größtem Danke verbunden fühle. 

Ich glaube, in Reichs technischen Lehren, deren Reichtum an fruchtbaren 
Gedanken und einprägsamen Formulierungen hier natürlich in keiner Weise 
ausgeschöpft werden kann, zwei Kernstücke zu erblicken, die er in der münd¬ 
lichen Unterweisung des Seminars mit der Eindringlichkeit des intuitiv Er¬ 
kannten— und vielleicht besser als in seinen Schriften — darzustellen wußte. 



























Probleme der Technik 


519 


Das eine beruht auf dem Gedanken, daß, wie die Neurose etwas organisch 
Gewachsenes, bestimmt Strukturiertes ist, auch die Analyse, die sich die Abtra¬ 
gung und langsame Aufarbeitung dieses Gebildes zur Aufgabe setzt, einen be¬ 
stimmten, und zwar durch die Struktur der jeweils zu behandelnden Neurose 
bestimmten, geordneten Verlauf nehmen muß. Reich folgert daraus mit 
Recht, daß es nicht gleichgültig sein kann, auf welches Stück der sämtlichen, 
von dem Patienten während einer Analysenstunde gezeigten Lebensäußerungen 
der Analytiker sein Augenmerk richtet, um es zum Anlaß therapeutischen 
Eingreifens zu machen. Er zeigt, daß durch die Natur der jeweils vorliegen¬ 
den Neurose eine Schicht oder richtiger die Repräsentanz einer Schicht aus¬ 
gezeichnet ist als diejenige, an der das therapeutische Vorgehen anzusetzen hat. 

Damit eigab sich die Frage nach dem Kriterium, an dem man den richtigen 
Angriffspunkt für die Mitteilungen an den Patienten erkennen könne. Auf 
diese Frage hat Reich zwei Antworten gegeben, die nicht ganz auf der 
gleichen Ebene liegen. Er sagt: Man mache sich aus allen Daten, die nur dem 
bisherigen Verlauf der Analyse zu entnehmen sind, ein Bild von der Struktur 
der Neurose, das sich natürlich im Lauf der Behandlung immer mehr vervoll¬ 
kommnet, und sehe nach, welches die oberste Schicht ist. Bei den Repräsen¬ 
tanten dieser Schicht setze man ein. Hier weiche ich von Reichs Anschau¬ 
ungen ab. Diese Anweisung ist theoretisch richtig, aber unanwendbar. Ob¬ 
wohl die Neurose jedes Patienten wirklich strukturiert ist und obwohl sich die 
Struktur bei genügender Erfahrung und genügender intuitiver Begabung in 
großen Zügen ziemlich frühzeitig erkennen läßt, so ist doch die feinere Struk¬ 
tur der Neurose viel zu kompliziert, als daß man sich auch nur in der unge¬ 
fährsten Weise im voraus ihrer bemächtigen könnte. Aber gerade auf diese 
feineren Strukturnuancen scheint es mir entscheidend anzukommen. Reich 
macht hier von einem fruchtbaren theoretischen Gedanken eine, ich möchte 
sagen: zu rasche Anwendung auf die Praxis. 

Die zweite Antwort, die er gibt, lautet sehr viel empirischer: Man hat durch 
intensivste gefühlsmäßige Abtastung des vom Patienten in der Stunde gebote¬ 
nen Bildes herauszuspüren, wo er seine oberste, jüngste, lebendigste und darum 
zugänglichste Schicht zutage treten läßt. Mit dieser Antwort Reichs stimme 
ich vollkommen überein. Sie steht in enger Beziehung zu dem, was ich als 
das zweite Kernstück seiner Lehre betrachten möchte. 

Dies zweite Kernstück scheint mir in dem Satz ausgedrückt zu sein, man 
müsse jeden Widerstand von der Ich-Seite her angreifen. Diesen Satz mit 
größter Eindringlichkeit immer wieder eingeschärft zu haben, halte ich für 
ein ganz besonderes Verdienst Reichs. Er hat darüber hinaus auch eine Fülle 
technischer Wege angezeigt, die die Anwendung dieses Satzes illustrieren. Der 
große Nachdruck, den Reich darauf legt, daß man Haltung, Gehaben, Rede¬ 
weise und vor allem Stimmklang des Patienten beachte und sie dem Patienten 
bewußt mache, stellt eine sehr wichtige und zutreffende praktische Konse- 











520 


Hellmuth Kaiser 


quenz aus den beiden „Kernstücken“ seiner Lehre dar. Dagegen hat Reich 
es nicht verstanden, dem Satz, daß man den Widerstand immer von der Ich- 
Seite angreifen müsse, seine volle Tragweite zu geben. Geht man dem Wahr¬ 
heitsgehalt dieses Satzes nach, so scheint sich mir zwingend dasjenige Stück 
Theorie zu ergeben, daß ich in Abschnitt 3 und 5 der vorliegenden Arbeit dar¬ 
gestellt habe und das sich um den Begriff der „Widerstandsgedanken“ bewegt. 
Dadurch, daß Reich hier in der Theoriebildung nicht weiterging, ist, scheint 
mir, die eigentümliche Inkonsequenz in seiner Theorie der Technik möglich 
geworden, die sich in seinem Buch über Charakteranalyse darin ausdrückt, daß 
er wiederholt vorschreibt: „... zuerst dem Patienten klarmachen, daß er 
Widerstände hat, dann welcher Mittel sie sich bedienen und schließlich, wo¬ 
gegen sie sich richten“ (Charakteranalyse, Seite 44, Zeile 16). Dies heißt nichts 
anderes als; zum Schluß den Inhalt deuten! Dies hätte aber nur Sinn, wenn 
nach der vollständigen Analyse der Mittel, mit denen der Patient abwehrt, 
noch etwas zur Auflösung der Abwehr zu tun bliebe, ein Widerspruch, der 
durch keine der Re ich sehen Ausführungen irgendwie aufgeklärt wird. 

Ein drittes und wichtiges Stück der Reich sehen Lehre, die eigentliche Cha¬ 
rakteranalyse, möchte ich hier nur noch einmal kurz erwähnen, um zu sagen, 
daß fast alles, was er zu diesem Thema sagt, mit meinen Anschauungen voll 
verträglich ist, ja zum größten Teil als Konsequenz aus ihnen hergeleitet wer¬ 
den könnte. Nur in einem, theoretisch gesehen peripheren, praktisch aber 
nicht unwichtigen Punkte, möchte ich ihm hier sehr entschieden widersprechen, 
nämlich darin, daß er es für sinnvoll hält, dem noch unerfahrenen Analytiker 
die Ausführung der Charakteranalyse zu widerraten. Es kommt mir dies 
genau so verfehlt vor, als wenn man einem Schüler zunächst die phonetische 
Schreibweise beibringen wollte, um ihn erst hinterher an die orthographische 
zu gewöhnen. Die berechtigte Sorge um das Wohl des Patienten könnte 
viel besser dadurch Berücksichtigung finden, daß man Anfängern leichtere und 
weniger gefährdete Fälle zur Behandlung übergibt und sie nötigenfalls reich¬ 
licher kontrolliert als sonst üblich. 

13. Die Formulierungen Freuds 

Sehen wir uns die auf Seite 493 zitierte Freud sehe Formulierung des Grund¬ 
satzes der „modernen“ Technik an, so enthält sie die auch allen von uns aus¬ 
geführten Gedanken zugrunde liegende Erkenntnis, daß die wesentliche Auf¬ 
gabe der Analyse nicht in dem Erraten oder Erschließen der vom Patienten 
vergessenen und verdrängten Kindheitserlebnisse besteht, wobei die Mitteilung 
der gewonnenen Einsichten an den Patienten nur eine Frage der Ausdrucks¬ 
kunst ist, sondern daß es sich wesentlich darum handelt, eine Veränderung in 
dem Patienten hervorzurufen, kraft deren ihm selber diese Einsichten zugäng¬ 
lich werden. Die Art dieser Veränderung hat Freud näher bestimmt als die 
Auflösung der Widerstände des Patienten. 






















Probleme der Technik 


521 


Auch darüber, wie diese Aufgabe zu bewältigen sei, gibt die Formulierung 
einige Auskunft. Die Widerstände sind vom Analytiker zu erkennen und 
dem Kranken „bewußtzumachen“. 

Lassen wir für den Augenblick diese, sozusagen taktische Frage der Analyse 
noch unberührt und wenden uns dem zu, was man entsprechend als das 
strategische Problem der Analyse bezeichnen müßte! Auch hierfür gibt die 
These Freuds eine Richtlinie. Die Anweisung, die jeweilige psychische Ober¬ 
fläche des Patienten zu studieren, enthält ein Ordnungsprinzip für das Vor¬ 
gehen des Analytikers, das ihn nötigt, sich der gesetzmäßig verlaufenden Ent¬ 
wicklung, die sich im Patienten vollzieht, anzupassen, d. h. nicht gemäß dem 
Fortschritt des eigenen Verständnisses für die Tiefenschichten des Patienten 
vorzugehen, sondern entsprechend dem stetigen Wechsel dessen, was bei ihm, 
dem Patienten, die psychische Oberfläche bildet. 

Hieraus folgt aber für die Taktik die Verwerfung der Inhaltsdeutungen. 
Diese Konsequenz braucht nur der nicht zu ziehen, der auch die von dem 
Patienten in der jeweiligen Analysenstunde vorgebrachten „Inhalte“ mit zur 
Oberfläche rechnet. Eine solche Auffassung des Begriffs „Oberfläche“ er¬ 
scheint aber äußerst unpsychologisch. Gesetzt den Fall, ein Patient erzähle, 
beherrscht von einer Tendenz, den Analytiker ungeduldig zu machen, ein Er¬ 
lebnis aus seinem vierten Lebensjahr auf eine affektlos-langweilige Manier, so 
gehört eben nur die affektlos-langweilige Darstellungsart zur Oberfläche, nicht 
der Inhalt der Erzählung. Oder ein Patient verberge seine aggressiven, gegen 
den Analytiker gerichteten Impulse in einem überhöflichen Verhalten, so kann 
man doch nur dieses, nicht aber jene zur Oberfläche rechnen. Die Freud- 
sche Formulierung sagt keineswegs nur: Man gehe von der Oberfläche aus 
und dringe zur Tiefe vor, sondern man studiere die jeweilige Oberfläche, 
d. h. man rühre eine zunächst tiefere Schicht erst dann an, wenn sie zur Ober¬ 
fläche geworden ist. 

Was nun die positive Vorschrift für die Taktik angeht, so scheint sie mir 
nicht ganz ausreichend, um das Verhalten des Analytikers vollständig zu be¬ 
stimmen. Der Ausdruck „die Widerstände dem Kranken bewußtmachen“ 
schließt wohl ein, daß man dem Patienten bewußtmache, daß er abwehrt; 
aber in diesem Stück der Formulierung kommt weder deutlich zum Ausdruck, 
daß man ihm die Mittel seiner Abwehr bewußtmachen müsse, noch daß man 
ihm den abgewehrten Triebimpuls nicht namhaft machen dürfe. Wenn wir 
auch oben versucht haben, zu zeigen, daß diese negative Vorschrift aus der 
Anweisung, die jeweilige psychische Oberfläche zu studieren, abgeleitet wer¬ 
den könne, so daß für die Interpretation des „Bewußtmachens der Wider¬ 
stände“ gar nichts anderes übrig bliebe als die Vorschrift, die Tatsache der 
Abwehr und ihre Mittel dem Patienten sichtbar zu machen, so müssen wir 
doch zugeben, daß unsere Auslegung jedenfalls nicht als die sich eindeutig er¬ 
gebende bezeichnet werden darf. Was hier in dem Freudschen Texte fehlt, 

















522 


Hellmuth Kaiser: Probleme der Technik 


ist der Hinweis, daß es ein anderer Vorgang ist, einen verdrängten Impuls be¬ 
wußtzumachen, ein anderer, einen der Aufmerksamkeit des Patienten ent¬ 
zogenen vorbewußten Widerstandsmechanismus (Widerstandsgedanken nach 
unserem Sprachgebrauch) ins Licht der Aufmerksamkeit zu rücken. Das 
Wort „bewußtmachen"‘ kann eben für zwei topisch verschiedene Leistungen 
verwendet werden: für die Überführung eines Impulses aus dem System LFbw. 
in das System WBw. und für die Überführung eines Gedankens oder Reflek- 
tionsaktes (womit wir archaische Vorstufen des Denkens der Erwachsenen 
meinen) in das System WBw. 

Auch der letzte Satz der Freud sehen Formulierung scheint mir nicht ganz 
eindeutig. Die scharfe Trennung zwischen dem Auf decken der Widerstände 
durch den Arzt auf der einen Seite und dem „Erzählen der vergessenen Situa¬ 
tionen und Zusammenhänge'^ durch den Patienten auf der anderen läßt sich 
freilich am besten im Sinne unserer Auffassung, daß der Analytiker dem Pa¬ 
tienten das Vergessene und Verdrängte, das er, der Analytiker, erschließen 
konnte, nicht vorzuhalten habe, verstehen. Dagegen spricht die Diktion des 
Satzes: „... so erzählt der Kranke oft ohne alle Mühe... usw." nicht gerade 
dafür, daß hier das Phänomen des „echten Triebdurchbruchs" angedeutet wer¬ 
den soll. 

Ich habe mir nicht zur Aufgabe gesetzt, kritisch zu untersuchen, wieviel bei 
der Betrachtung aller in den Freudschen Schriften enthaltenen Äußerungen 
sich für oder gegen meine Auffassung Sprechendes entnehmen läßt; eine solche 
Untersuchung würde einen starken Band füllen und auch nicht mehr zeigen, 
als daß Freud eben kein ausgearbeitetes Gesetzbuch der analytischen Technik 
verfaßt, sondern der lebendigen Entwicklung der analytischen Anschauungen 
einen elastischen Ausdruck gegeben hat. 

Was ich mit diesen letzten Ausführungen zeigen wollte, war nur, daß die 
Gedanken, die ich dem Leser vorgelegt habe, der Richtung, in der Freud 
seine Ratschläge zur Technik entwickelt hat, und die mir durch das bespro¬ 
chene Zitat in prägnanter Weise bezeichnet erscheint, durchaus nicht zuwider¬ 
laufen. 
















Die psychischen Entschädigungen des Analytikers^ 

Von 

Barbara Low 

London 

Es ist schon viel über die Eignung des Analytikers für seine Arbeit ge¬ 
schrieben worden, über die Probleme, die sich aus der Übertragung und der 
Gegenübertragung für ihn ergeben, auch über die besonderen Gefahren, die 
ihm drohen, z. B. aus der Verstärkung seiner Allmachtsgefühle oder der Er¬ 
niedrigung seines Über-Ichs. 

Weit weniger Beachtung hat bisher ein anderes Problem gefunden: welcher 
Art ist die psychische „Kompensation'" der Versagungen, die sich der Analy¬ 
tiker unvermeidlich auferlegen muß? Zwar ist man sich heute allgemein 
darüber klar, daß sich der künftige Analytiker einer — möglichst vollständi¬ 
gen — Analyse unterziehen muß. Genügt uns aber diese Einsicht? Es wird 
angenommen, daß der Analytiker imstande sei, die Richtungen seines eigenen 
Unbewußten zu erkennen und diese Erkenntnis so zu verwenden, daß er 
während des gesamten Verlaufs der Analyse Herr seiner eigenen Seele bleibe. 
Tatsächlich wissen wir aber, daß dieses Ideal nur bei außerordentlichen Na¬ 
turen zur Wirklichkeit wird. Wir wissen, daß die analytische Situation, wie 
vom Patienten, so auch vom Analytiker zur Befriedigung unbewußter Wün¬ 
sche ausgenützt werden kann, besonders solcher der prägenitalen und der in¬ 
fantilen genitalen Phase (da ja diese beiden in der Analyse des Analytikers 
meist nur zum Teil behandelt wurden); so kann es geschehen, daß die ana¬ 
lytische Situation sich in einen „Schauprozeß" verwandelt, um einen von 
Edward Glover gefundenen Ausdruck zu gebrauchen, und den infantilen 
Wunsch befriedigt, verbotene Sexualdinge zu betrachten; oder der Analytiker 
unterliegt der Versuchung, der Tröster und Retter zu werden — damit haben 
wir nur einige Möglichkeiten der mißbräuchlichen Verbildungen des analyti¬ 
schen Vorgangs erwähnt. Wenn aber die Analyse nicht fehlschlagen soll, muß 
sich der Analytiker jede Befriedigung solcher Art versagen. Überdies wird 
die Situation noch durch den scharfen Gegensatz erschwert, der zwischen den 
beiden Teilnehmern besteht. 

Andauernd auf die Befriedigung zu verzichten, die das geliebte und all¬ 
mächtige Kind ebenso wie der verehrte und allwissende Vater empfinden, auf 
die Freuden (den Lustgewinn) des Exhibitionismus, des Sadismus und des 
Masochismus, das ist wahrlich nicht leicht; und ebenso schwer ist es, sich mit 
intellektueller Ungewißheit abzufinden, sein Urteil in Schwebe zu lassen, den 
Wunsch nach tröstlichen raschen Lösungen auszuschalten. Noch schwerer 

i) Nach einem auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern am 
28. August 1934 gehaltenen Vortrag. 






524 


Barbara Low 


ist es vielleicht, zugunsten eines freieren Ausblicks und einer volleren Ich-Ent- 
wicklung auf die Überlegenheit des Über-Ichs zu verzichten, während der 
Patient seinerseits in allen diesen Vorrechten sozusagen schwelgen darf. 

Einen „vollkommen analysierten^* Menschen kann es nicht geben, das Es 
und seine machtvolle Kraft können niemals hinweg analysiert werden, weil 
das Unbewußte, wie Freud uns gezeigt hat, ohne Kompensation nur ein ge¬ 
wisses Ausmaß von Versagung ertragen kann: daher setzen wir anscheinend 
eine fiktive Situation voraus, solange kein Ersatzvorgang sich ergeben hat. 

An drei Versagungen, alle ebenso unvermeidlich wie beschwerlich, soll das 
Gesagte belegt werden: Erstens besteht die Hemmung narzißtischer Lust¬ 
gewinnung, insbesondere der prägenitalen Stufe (z. B. Regungen der Un¬ 
geduld, des Ressentiments, der Vergeltung); zweitens die Störung der dog¬ 
matischen Sicherheit auf dem Gebiete des Verstandes; und drittens die Um¬ 
stellung des Über-Ichs — diese letzte bedeutet wohl den schlimmsten Zwang. 
Um es kurz zu sagen: Der Analytiker ist genötigt, das Material des Patienten 
zu übersetzen und zu deuten, ohne gefühlsmäßig darauf zu reagieren. Hier 
stehen wir aber zwei Schwierigkeiten gegenüber: Sollte ihm diese Aufgabe mi߬ 
lingen, würde die Analyse zunichte werden; anderseits aber kann er nur, 
indem er sein Gefühl in Tätigkeit treten läßt, zu einer richtigen Deutung 
und Übersetzung jenes Materials gelangen. Die praktische sowohl wie auch 
die theoretische Arbeit der großen Vertreter der Psychoanalyse bestätigt dies 
und zeigt auch den Weg zur Lösung dieser konfliktvollen Aufgabe. 

Seinen eigenen Gefühlsreaktionen auf das eigene Material freien Lauf zu 
lassen, ist etwas ganz anderes, als auf die Gefühlsregungen des Patienten zu 
reagieren; das erste ist unerläßlich für die analytische Arbeit, das zweite zer¬ 
stört sie. In Miltons „Verlorenem Paradies** träufelt der Geist Gottes dem 
verstoßenen Adam drei Tropfen göttlichen Wesens in die Augen, worauf Adam 
„mit seinem Blick ins Innerste und in den Kern des Schauens dringt** — läßt 
uns das nicht an jene Gemütsbewegung denken, die die Kraft deutenden 
Schauens in uns auszulösen vermag? Wie aber können wir zu diesem ge¬ 
langen? 

Wir sind geblendet und können nicht nach innen schauen, solange das ein¬ 
verleibte Material „tot** ist; erst wenn das Gefühl in die dürren Knochen Leben 
gehaucht hat, dann werden wir „sehend** gleich Adam. Das Wesentliche des 
Vorgangs ist offenbar eine Form von Introjektion und Projektion des von dem 
Patienten dargebotenen Materials — eine Situation, die der Beziehung zwischen 
dem Künstler und seinem Gegenstand, der äußeren Welt, gleichkommt. Dieser 
Austausch, dieses In-sich-Aufnehmen und Wieder-aus-sich-Herausstellen, ist 
die Schaffensweise des Künstlers (auch den echten Wissenschaftler dürfen wir 
als Künstler bezeichnen); und ohne diesen Austausch scheint keine „Kompen¬ 
sation** erreichbar. In einem „The Nature of the Therapeutic Action of 
Psycho-Analysis** betitelten Aufsatz, der in der letzten Nummer des „Inter- 
















Die psychischen Entschädigungen des Analytikers 


525 


national Journal of Psycho-Analysis‘‘ erschienen ist, behandelt James Strachey 
die Deutung, und zwar insbesondere jene, die er als „umwandelnde Deutung'* 
bezeichnet. Er sagt: „Die therapeutische Wirkung der Psychoanalyse beruht 
im Grunde auf der umwandelnden Deutung." 

Ich glaube, daß Strachey hier das Problem aufgreift, auf das ich hinge¬ 
wiesen habe. Die umwandelnde Deutung ist meiner Auffassung nach das Er¬ 
gebnis jener Einsicht des Analytikers, die aus unmittelbarer freier Zugänglich¬ 
keit seiner eigenen Gefühlsregung geboren wird. Meiner Meinung nach ge¬ 
währt diese freie Zugänglichkeit dem Analytiker die Möglichkeit des erken¬ 
nenden Schauens (Vision) und befähigt den Patienten, der in engem Kontakt 
mit ihm steht, in seinem Gefühlsleben freier zu werden und sich infolgedessen 
zu ändern. Wir alle wissen, daß die Deutung — die Frage, wann, wie und in 
welchem Ausmaß gedeutet werden soll — eines der wesentlichsten Probleme 
sowohl für den Analytiker als auch für den Patienten ist, und daß die 
Deutungsarbeit stets auch die Probe für den Analytiker in bezug auf sein 
eigenes Unbewußtes bildet. Eines ist sicher: wenn die Deutung durch den 
Analytiker sich im richtigen Augenblick ergibt und unbeirrbar auf ihr Ziel 
lossteuert, kann sie die größte dynamische Wirkung auf das Unbewußte des 
Patienten ausüben, kann einen Strom von Kraft ins Fließen bringen, zu neuer 
Leistung einerseits, zu selbstschützendem aggressivem Widerstand anderseits. 
Gerade weil sie die aktive aggressive Es-Energie des Patienten erweckt, kann 
gleichzeitig auch die Es-Energie des Analytikers rege werden, um sich dem 
Material (des Patienten), das nun ein Teil seiner Person geworden ist, zuzu¬ 
wenden, und dadurch werden neue und reichere Phantasien ausgelöst, be¬ 
gleitet von einem angenehmen Gefühl der Bewegtheit. Daraus muß sich eine 
mehr wohlwollende Haltung auf seiten des Analytikers ergeben, welche die 
unbewußte Feindseligkeit herabsetzt. 

Was kann weiter geschehen, um der unbewußten Feindseligkeit vorzubeugen 
— der unbewußten Feindseligkeit und der Rache für die Versagungen, von 
denen ich bereits gesprochen habe? Kann Versagung in positiven Gewinn ver¬ 
wandelt werden? Sachs hat auf eine Seite der analytischen Arbeit hinge¬ 
wiesen, durch die der Analytiker dem schaffenden Künstler gleichgestellt wird, 
nämlich auf das Teilhaben an dem Leben zahlreicher anderer Menschen. Nur 
wenigen unter uns würde sich, abgesehen von unserer analytischen Arbeit, 
diese Möglichkeit erschließen; sie ist uns wohl sonst nur durch künstlerisches 
Schaffen gegeben, d. h. also nur so weit, als wir uns auf dem Gebiet der bil¬ 
denden Kunst, der Musik usw. schöpferisch zu betätigen vermögen. In diesem 
„Teilhaben" nun kann die gesuchte Kompensation liegen. 

Wir müssen aber sicher sein, daß dieses „Teilhaben" wirkliches Teil¬ 
nehmen und ein schöpferischer Vorgang sei. Wenn wir als mehr oder 
weniger passive Zuschauer teilnehmen, wenn unsere Lust vorwiegend auf der 
Befriedigung von infantiler Neugier und von Identifikationswünschen beruht, 













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Barbara Low 


dann wird sich das so erlangte Lustgefühl nicht notwendig als wirklich dyna¬ 
mische Kraft erweisen; überdies kann sich hinter solcher Befriedigung leicht 
Feindseligkeit verbergen, die um so häufiger auftaucht, je mehr wir lebende 
menschliche Wesen betrachten. „Ach, wie bitter ist es, durch ein Fenster das 
Glück anderer zu sehen“, schrieb einer unserer Dichter. 

Wenn wir, anstatt nur „zuzuschauen“, aus den Erlebnissen, an denen 
wir teilnehmen, „Leben zu schöpfen“ (living from) vermögen, dann 
können die Hemmungen, von denen ich sprach, zu etwas Positivem werden; 
an Stelle der vormaligen narzißtischen Befriedigung tritt die Lust, neues 
Leben freizugeben, die eingeschränkten Forderungen des Über-Ichs werden 
durch weniger verworrene Ich-Impulse ersetzt, die Eingeschränktheit durch 
dogmatische Sicherheit wird von einer kühneren, begründeten Wißbegier ab¬ 
gelöst. Das Ergebnis eines solchen Austauschs wird den Analytiker befähigen, 
sich nach zwei Richtungen hin zu entwickeln: er kann sich nun des ihm Be¬ 
wußten in weit größerem Ausmaß und viel ungezwungener bedienen, und er 
kann weit mehr von seinem Unbewußten ans Licht bringen. 

Was ich mit „Leben schöpfen“ bezeichnet habe — im Gegensätze zu bloßem 
„Zuschauen“ — wird uns klarer werden, wenn wir uns der Beschreibung er¬ 
innern, die der Dichter Wordsworth von dem Wesentlichen im Vorgang des 
dichterischen Schaffens gibt. Er sagt, dies Wesentliche sei „Gemütsbewe¬ 
gung, deren man sich gelassen erinnert“ (also, die man aufs neue, aber 
Rtihezustand erlebt). Auch der Rat, den Hamlet der Schauspielertruppe 
gibt, kann hier als Erläuterung dienen: „Seid nicht allzu zahm ... mitten in 
dem Strom, Sturm und — wie ich sagen mag — Wirbelwind eurer Leiden¬ 
schaft müßt ihr euch eine Mäßigung zu eigen machen.“ Auf solche Art und 
Weise können wir wirklich die gewünschte Situation herbeiführen, d. h. die 
Fähigkeit erlangen, das Material des Patienten zu übersetzen und uns dabei 
seinen unbewußten Bedürfnissen anzupassen, ohne ganz darin unterzugehen. 
Wordsworth und Hamlet fordern Gemütsbewegung und Leidenschaft — auch 
das psychoanalytische Verfahren erfordert diese — jedoch stets eingeordnet 
in die analytische „Handhabung“, welche meiner Meinung nach der „Gelassen¬ 
heit“ und der „Mäßigung“ jener beiden entspricht. Wir alle kennen Beispiele 
für jene „Gemütsbewegung im Zustand der Ruhe“ — ich möchte unter ihnen 
hier vor allem die Technik Freuds herausheben. In seiner eigenen Dar¬ 
legung dieser Technik z. B. zeigt sein Stil (d. h. das AusdrucksmitteL seiner 
Seele) tiefe Bewegung des Gemüts und größte Freiheit, diese Gemütsbewegung 
zu verwenden: sein Verhalten seinem Material gegenüber, durch Worte und 
Ideen zum Ausdruck gebracht, ist beinahe fröhlich zu nennen, und wenn wir 
seine Schriften lesen, fällt uns die Übereinstimmung in dieser Hinsicht mit 
dem Verhalten des Künstlers auf, der sich durch den Vorgang der Deutung 
bereichert, eine negative Situation (negativ infolge der Kluft zwischen dem 
einverleibten [introjizierten] Material und seinem eigenen Gefühlsstrom) in 















Die psychischen Entschädigungen des Analytikers 


527 


eine positive verwandelt und ein sehr sublimiertes Machtgefühl befriedigt. 
Soweit Freuds Stil in Betracht kommt, fühlen Anhänger und Gegner in 
gleicher Weise dessen lösende und erhellende Wirkung — diese Wirkung ist 
ohne Zweifel mit jener verwandt, die jeder große Künstler erzielt, ob nun ein 
Michelangelo, ein Shakespeare oder ein Goethe. Seine Schriften scheinen in 
freier Berührung mit seinen Phantasien zu stehen, lenkend bewegt von jener 
Leidenschaft, die Hamlet von seinen Schauspielern fordert, und doch stets 
unter der Kontrolle von „Mäßigung^^ und „Ruhe“. 

In anderer Art und anderem Maß finden wir diese Verfassung auch bei 
andern analytischen Schriftstellern, bei Ferenczi und James Glover z. B., 
um zwei zu erwähnen, die nicht mehr unter uns weilen. Und wenn wir auch 
den grundlegenden Ideen des verstorbenen Groddeck vielleicht kaum zu¬ 
stimmen, werden wir doch erkennen, daß die freie Hingabe an die Phantasie 
-Seinen Schriften Reichtum und Kraft gibt, zugleich auch seiner Behandlung 
menschlicher Wesen Wirksamkeit verlieh. 

Die offenbare Lust (aus Gefühlsbefriedigung entstanden), die den oben Er¬ 
wähnten offensichtlich aus ihrer inneren Freiheit erwächst, findet Widerhall 
bei den Menschen, die mit ihnen in Berührung kommen: das meine ich, wenn 
ich davon spreche, daß das „Teilhaben“ des Analytikers an den Erlebnissen, 
die ihm mitgeteilt werden, auf den Patienten zurückwirkt. Wir müssen nun 
forschen, was ein solches „Teilhaben“ tatsächlich ist. 

Die Fähigkeit, äußeres Material in uns aufzunehmen, es zu formen und es 
mit neuen Kombinationen neu zu erschaffen (die wesentliche Eigenschaft des 
Künstlers) und anderseits das Vermögen, Material wieder zu geben, das in uns 
durch eine Verschmelzung mit unserm individuellen Erleben Eingang gefunden 
hat, muß auf oralem und analem Triebleben gegründet sein, wie schon viele 
Forschungen über schöpferische Aktivität ergeben haben. 

Produktion und Assimilation dieses Materials haben ihre Parallele in der 
Aufnahme und Verarbeitung der Nahrung, teilweise auch in bezug auf die 
Lustgefühle, die diese Vorgänge begleiten. 

Wenn also der Analytiker an der Seite des Patienten und gemeinsam mit 
diesem „sein eigenes Mahl einnehmen“ kann, wird ihm freie Lust (in ihrer 
sublimierten Form) zuteil und das „Wiedererleben seines eigenen inneren Ge¬ 
setzes“ — so möchte ich es nennen. Und wie es etwas anderes ist, ob zwei 
Menschen eine Mahlzeit miteinander teilen oder getrennt voneinander essen, 
so entsteht etwas Neues aus diesem zusammenfließenden Leben, und dieses 
Neue führt zu neuen Entwicklungen in dem Patienten. Es fällt mir hier einer 
meiner eigenen Patienten ein — ein Schriftsteller und Dichter von einiger Be¬ 
deutung —; Wenn dieser seinen Phantasien freien Lauf zu lassen vermochte, 
pflegte er zu sagen: „Mir ist, als ob ich eben ein gutes Essen verzehrte — ich 
fühle mich reich und satt.“ 

Die Frage der Sublimierung bei diesen Vorgängen ist von großer Bedeutung 
















5^8 


Barbara Low 


für uns, denn von den Sublimierungen des Analytikers hängt ja so viel ab. 
Dieses Problem verläßt uns nie. Wie weit ist uns „echte'" Sublimierung eigen, 
und wenn sie „echt“ ist, wie weit kann sie gehen? Aus diesem Grunde habe 
ich die Frage der „Kompensation“ aufgeworfen, denn es hat den Anschein, 
als ob wir häufig einen Grad von Sublimierung voraussetzten, der gar nicht 
erreicht werden kann, ja eine „Sublimierung“ forderten, die sich nur als eine 
solche maskiert, insofern sie nämlich den Zusammenhang mit freien Phantasien 
hindert. 

Wenn Freud seine Fälle schildert, zeigt er häufig, daß er aus dem dar gebo¬ 
tenen Material „eigenes Leben schöpft“. Ein Beispiel: Als er eine Phase in dem 
Fall des „Fräulein Elisabeth“ behandelt und ihre Blindheit gegenüber der Be¬ 
deutung bestimmter, sehr klarer Symptome — da schildert er, daß ihm gerade 
zu diesem Zeitpunkt einfiel, wie er selbst einmal in einer gewissen Situation ganz 
erstaunlich blind geblieben war und sich ein seltsamer Widerspruch zwischen 
seinem unbewußten Wissen und seiner bewußten Beobachtung ergeben hatte; 
und es folgt eine genaue Darlegung und weitere Deutung seines damaligen 
psychischen Zustandes. 

Es ist ganz klar, daß Freuds wachsende Fühlungnahme mit dem unbewu߬ 
ten Material ihm weit größere Freiheit gab: tatsächlich erzählt er, daß er nun 
den Triumph eines lang begehrten Wissens fühlte, des Wissens, wie dem Un¬ 
bewußten seiner Patientin beizukommen sei; und in der nächsten Sitzung 
machte die Analyse große Fortschritte. Dieses Beispiel — es ist nur eines 
unter zahllosen, die sich in den Krankengeschichten Freuds auffinden lassen 
— scheint mir klar zu zeigen, wie der Analytiker seine eigenen inneren Vor¬ 
gänge neu erlebt, während sich im Patienten neben ihm ein ähnliches Wieder¬ 
erleben vollzieht, ein Vorgang voll dynamischer Wirkung auf beide. Die Be¬ 
deutung dieser Tatsache ist von Freud und vielen anderen hervorgehoben 
worden. Wahrscheinlich haben wir hier eine grundlegende menschliche Situa¬ 
tion vor uns —: das Bedürfnis nach solcher primitiven Beziehung und ihre 
dynamische Wirkung. Edward Glover hat diese Situation folgendermaßen 
beschrieben: Das kleine Kind im Patienten tritt in Beziehung zu dem kleinen 
Kind im Analytiker, und das Ergebnis ist, daß das Patient-Kind ein gut Teil 
seiner Angst los wird, denn da das überlegene kleine Kind (der Analytiker) 
sich in Gefahr und Pein befunden hat und heil daraus hervorgegangen ist, 
wird ihm das auch gelingen. Eine derartige Beziehung muß in jeder Analyse 
vorhanden sein, denn ohne sie würde sich kein Gefühl der Bewegung ergeben; 
die Analyse würde aufhören, ein lebendiger Vorgang zu sein, sie käme für den 
Analytiker wie für den Patienten bloß auf eine „Kastration“ hinaus. Selbst¬ 
verständlich kommt es auf Qualität und Quantität dieser „Beziehung“ an. 

Einer der Vorteile der „aktiven Therapie“ (im Sinne von Ferenczis 
späterer Interpretierung) liegt vielleicht darin, daß sie ein starkes Gefühl der 
Bewegung erzeugt, obgleich es wahrscheinlich mehr von den unbewußten Ein- 




























Die psychischen Entschädigungen des Analytikers 


529 


Stellungen als von der Technik abhängt, ob eine solche Dynamik zustande 
kommt oder nicht. 

Vorausgesetzt daß die Geschicklichkeit des Analytikers, beim Patienten das 
Phantasieren zu „forcieren‘^^ und starke „Aktivität“ bei ihm zu dulden, nicht 
bloß die Flucht vor tieferhegendem Sadismus des Patienten und den diesbe¬ 
züglichen Reaktionen des Analytikers verhüllt, mag es wohl der Ausdruck 
freierer Triebregungen des Analytikers sein, welche eine positivere Ich- 
Synthese im Patienten herbeiführen. 

Es handelt sich dabei nicht um ein Reagieren auf die Phantasien des Patien¬ 
ten, sondern um etwas wie ein gemeinsames Liebesmahl; dieses und 
die dadurch erreichte Blutsbrüderschaft befriedigen die legitimen Ansprüche 
der oralen Stufe im Unbewußten und sublimieren die der genitalen Stufe im 
Bewußten. Wenn man introjiziertes Material vornimmt und es gesetzmäßig 
und einheitlich ordnet, so befriedigt man damit unbewußte Triebforderungen; 
die Projektion des Materials in neuer Form befriedigt sublimierte bewußte 
Wünsche. So arbeiten Künstler und Wissenschaftler, und so muß auch die 
Arbeit des Analytikers vor sich gehen. Wir dürfen nicht, das hat Freud uns 
gesagt, dem Patienten gegenüber die Rolle des Propheten, des Retters oder 
des Trösters spielen, aber können wir nicht — ja müssen wir nicht — der 
Liebhaber des vom Patienten projizierten Materials werden und es zu unserem 
introjizierten „guten Objekt machen? Diese Liebe wird den Vorgang er¬ 
möglichen, den ich als „Teilhaben bezeichnet habe, wenn sie stark genug ist, 
im Analytiker lustbetonte Phantasietätigkeit auszulösen. Es kann uns hier 
vielleicht die Kinderanalyse zu Flilfe kommen. Der Kinderanalytiker vermag 
uns zu zeipn, auf welche Weise jeder Analytiker seinem Phantasieleben einen 
immer weiteren Spielraum geben kann, damit es schließlich zu einem freieren 
Strömen zwischen ihm und dem Patienten komme. Denn der Kinderanalyti¬ 
ker muß, wenn er überhaupt Erfolge haben soll, in tiefer und instinktiver 
Berührung mit dem Phantasieleben des Kindes stehen: er kann die Phantasie 
nicht hinter verhüllende Worte zurückdämmen, wie es bei der Analyse Er¬ 
wachsener möglich ist. 

Ich will nun die Andeutungen, die ich hier gemacht habe, kurz zusammen¬ 
fassen. Vielleicht läßt sich die Gefahr, die dem Analytiker droht, wenn er die 
Fiktion aufrecht zu erhalten versucht, er bleibe im analytischen Vorgang frei 
von jeder Gemütsbewegung, am besten in die Sätze zusammenfassen, die 
Freud mit Bezug auf Leonardos Tragödie schrieb: „Der Künstler hatte 
einst den Forscher als Flandlanger in seinen Dienst genommen; nun war 
der Diener der stärkere geworden und unterdrückte ,seinen Herrn' ... er 
liebte weder, noch haßte er, er forschte, anstatt zu lieben.“ Oder auch in die 
Worte, die Freuds Vorgänger in der Person Hamlets zu einem spricht, der 
sein Verbündeter sein möchte: „Ihr wollt tun, als kenntet Ihr meine Griffe; 
Ihr wollt in das Herz meines Geheimnisses dringen; Ihr wollt mich von meiner 














530 


Barbara Low: Die psychischen Entschädigungen des Analytikers 


tiefsten Note bis zum Gipfel meiner Stimme hinauf prüfen: und in dem 
kleinen Instrument hier ist viel Musik, eine vortreffliche Stimme, dennoch 
könnt Ihr es nicht zum Sprechen bringen.“ 

Einen Weg zu erfolgreicher analytischer Leistung — erfolgreich für den 
Analytiker sowohl wie für den Patienten — werden wir finden, wenn wir 
uns wieder Freud zuwenden und seiner Beschreibung des Künstlers. Sie be¬ 
sagt, daß der Künstler (und für Künstler dürfen wir hier Analytiker setzen) in 
seiner Beziehung zur Außenwelt (für die wir hier Patient setzen) seine eignen 
unbewußten Wünsche umformt, indem er sie der Realitätsforderung anpaßt. 
So umgeformt, präsentiert er sie wieder der Welt (dem Patienten) und schafft 
durch diese Neugestaltung für sich und für die Welt ein Stück neuer Freiheit. 


























KLEINE BEimÄGE UND KASUISTIK 


Erfolgreiche Behandlung einer schweren, 
multiplen Konversionshysterie durch Katharsis^ 

Von 

ßmil Simonson 

Berlin 

Der Fall, über den ich berichten will, verdient Interesse schon wegen 
der ungewöhnlichen, durch ein ganzes Leben sich hinziehenden Häufung von zahl- 
reichen unerledigten Konflikten und eingeklemmten Affekten, sowie auch in Hin¬ 
sicht auf das bei bloßer Katharsis ungewöhnlich tiefe Eindringen in die Zusammen¬ 
hänge zwischen Urkomplex und aktuellem Konflikt. Im November 1926 wurde 
ich morgens 7 Uhr dringend zu der 58jährigen Portierfrau Bertha X. gerufen, weil 
sie einen Schlaganfall mit Lähmung der linken Körperseite erlitten habe, sehr große 
Schmerzen leide, auch plötzlich erblindet sei und wohl im Sterben liege. Bei der 
ersten Inspektion lag die Frau mit der rechten Rumpfhälfte auf der äußersten Bett¬ 
kante, während das rechte Bein über den Bettrand hinaus frei nach abwärts hing. 
Sie klagte über unerträgliche Schmerzen in der ganzen linken Körperhälfte, be¬ 
sonders im Arm und in der Herzgegend. Sie könne weder Arm noch Bein bewegen. 
Bei leiser Berührung schrie sie laut auf. Meine vor ihre Augen gehaltene Hand 
konnte sie nicht sehen. Die Untersuchung ließ keinen Zweifel, daß es sich nicht 
um echte Lähmung, sondern um Parästhesien und hysterische Konversionen handelte. 
An einer ihr unter die Nase gehaltenen Flasche mit Chlorkalk roch sie auf Auf¬ 
forderung ohne ein Zeichen der Abwehr gleichmäßig wohl 8— 10 Sekunden lang, 
der Geruchssinn war also ebenfalls ausgeschaltet. Da sie immer wieder um Hilfe 
und Beseitigung ihrer unerträglichen Schmerzen jammerte, versuchte ich, sie in 
Hypnose zu versetzen, vorläufig nur zur suggestiven Einwirkung. 

Die tiefe Hypnose gelang leicht und schnell, mit dem Erfolge, daß sie bald 
ruhig und mit dem ganzen Körper im Bett liegen konnte, und daß unter ständigem 
Zuspruch und leisem Streichen der Stirn die Schmerzen bald nachließen, auch 
die Beweglichkeit der linken Extremitäten sich einstellte. In den nächsten Tagen 
wurde sie täglich durch Suggestion in tiefer Hypnose weiter behandelt, zugleich 
suchte ich durch Befragen über die Erlebnisse der letzten Zeit der Ursache des 
Anfalls näherzukommen. Am dritten Tage konnte sie plötzlich die Farben an dem 
Schmuck der an der Zimmerdecke hängenden Lampe unterscheiden, und so kehrte 
in den nächsten Tagen das Sehvermögen zurück und verschwanden auch die 
Parästhesien. Am vierten Tage berichtete sie, sie habe am Vortage mehrfach heftig 
erbrechen müssen, weil sich plötzlich ein starkes Geschmacks- und Geruchsgefühl 
nach Chlor eingestellt habe. Hier war also die Reizwirkung des eingeatmeten 
Chlors auf ihrem Wege zum Perzeptionsorgan aufgehalten gewesen und hatte erst 
am dritten Tage ihren Weg plötzlich fortgesetzt. Energetisch muß man sich den 

i) Vortrag, gehalten in der Deutschen psychoanalytischen Gesellschaft am 13. Dezember 
1932. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XX/4 


36 













532 


Emil Simonson 


Vorfall wohl so erklären, daß die aktuelle Energie plötzlich gezwungen war, sich 
vorläufig in Energie der Lage, sogenannte potentielle Energie, umzuwandeln, weil 
der Weg versperrt war. 

Es konnte nicht zweifelhaft sein, daß die Besserung der Symptome auf dem Wege 
der Übertragung als „Gefälligkeitsleistung“ zustande gekommen war, ohne daß 
jedoch die Grundursachen damit beseitigt oder ermittelt waren. Vertrauen auf die 
Dauer der Besserung war daher nicht am Platze. Der erste Rückfall Heß denn 
auch nicht auf sich warten. Nach etwa einer Woche sieht sie wieder nur undeut¬ 
lich, das Herz will Stillstehen. Da eine Psychoanalyse bei dem Alter und dem 
Bildungsgrade der Kranken nicht in Frage kam, entschloß ich mich, angesichts der 
positiven Einstellung zum Arzt und der damit wohl zusammenhängenden Empfäng¬ 
lichkeit für tiefe Hypnose zu einem Versuch mit der alten Breuer-Freudschen 
Katharsis, deren Technik ich zunächst ohne Abweichung zur Anwendung brachte. 
Die Kranke begann, wie auch in den meisten der folgenden Behandlungen, mit 
einer sehr lebhaften mimischen Darstellung von Furcht und entsetzter Abwehr, die 
sehr bald in die dramatische Wiederholung eines Erlebnisses der letzten Monate 
überging. Sie sieht ein Automobil, über das der Lenker die Gewalt verloren hat, in 
rasender Fahrt auf sich zukommen und kann sich gerade noch auf die Bord¬ 
schwelle retten, während 20 Schritte weiter ein alter Mann totgefahren wird. Bei 
diesem Vorgang, den ihre Augen sehen mußten, sei ihr das Herz fast stehen ge¬ 
blieben. Als ich im Laufe derselben Hypnose ihre Schläfen nochmals zwischen meinen 
Händen drücke, erlebt sie unter höchster Affektäußerung einen dem dargestellten 
Ereignis in gewisser Hinsicht analogen, 38 Jahre zurückliegenden Unfall. Sie hilft 
während einer Schwangerschaft auf einem Gute bei der Erntearbeit. Während sie eine 
Heulast auf einem Brett schräg aufwärts zum Heuboden karrt, bricht das morsche 
Brett unter ihr zusammen. Während ihr beim Sturz nichts geschieht, wird ein unten¬ 
stehender alter Mann zu Tode getroffen. Nach dem Erwachen aus der Hypnose 
kann sie wieder gut sehen und das Gefühl am Herzen ist geschwunden. 

Auch dieser Erfolg war, wie zu erwarten gewesen, nicht von Dauer. Es folgte in 
Abständen von einigen Tagen oder Wochen eine Reihe von Rückfällen, die sich 
nicht nur durch Symptome von seiten des Herzens und der Augen ankündigen, 
sondern sich meistens auf die linke Körperhälfte beziehen, dergestalt, daß sogar 
Unfälle immer die linke Seite des Körpers treffen. Der Zusammenhang wird sich 
im Laufe der Wiedergabe der einzelnen Anfälle ergeben. 

Am 18. Dezember 1926 klagt sie über die Rückkehr klimakterischer Beschwerden 
nach vieljähriger Pause, besonders aber über das häufige Gefühl aufsteigender Hitze 
und sehr unangenehme Geruchsempfindungen. Da ihr nichts dazu einfällt, gehen 
wir gleich zur Hypnose über. Sie sieht sich 10 Jahre zurück in ihrer früheren 
Wohnung in der W.straße, wo sie sehr starke klimakterische Beschwerden mit 
Ohnmachtsanfällen durchlebt. Sie schleppt sich mühsam bis zum Bett und wirft 
sich darauf hin. Ihr Mann verbietet ihr das Austragen der Zeitungen. Der Arzt trifft 
die gegenteilige Anordnung, sie solle die Arbeit nicht aufgeben. Er verordnet 
scheußlich schmeckende Tropfen, nach denen die Stube noch wochenlang roch. 
Da der Arzt das Fortsetzen der Arbeit angeordnet hat, wird er den Gesamtzustand 
wohl auf Hysterie zurückgeführt haben, man darf daher vermuten, daß die scheuß- 























Erfolgreiche Behandlung einer schweren, multiplen Konversionshysterie durch Katharsis 


533 


lieh schmeckenden und riechenden Tropfen wohl Tctr. As. foet. gewesen sind. 
Nach einigen 'Tagen nahm sie die Arbeit wieder auf und setzte sie noch zwei Jahre 
wieder fort, obgleich sie dauernd an aufsteigender Hitze litt, so daß sie oft aus 
der Stube laufen mußte. Nach Aufgabe des Zeitungstragens arbeitete sie am Kirch¬ 
hof. Ich schicke hier voraus, daß der Vater Totengräber gewesen ist. Als sie aus 
Neugier einmal die Leichenkammer Öffnet, schlägt ihr ein scheußlicher Geruch 
entgegen, und sie sieht die bereits in starker Fäulnis befindliche Wasserleiche eines 
etwa V4 Jahre alten Kindes. Da sich niemand nach dem Verbleib eines Kindes er¬ 
kundigt hatte, nahm sie an, daß es sich um ein Verbrechen handeln dürfte. Nach 
3 Tagen war die Leiche noch immer in der Kammer und verbreitete einen pest¬ 
artigen Geruch. Dann war sie verschwunden, aber es war kein frisches Kindergrab 
vorhanden. Als sie nach 8 Wochen dem Gärtner half, ein freies Landstück für 
Blumenpflanzung umzugraben, entsteht plötzlich ein furchtbarer Geruch, den sie 
unter entsetztem Abwehr- und Würgebewegungen darstellt. Der Gärtner fällt in 
Ohnmacht. Sie hatten die oberflächlich verscharrte Kindesleiche wieder ausgegraben. 
Seitdem hat sie öfters Geruchshalluzinationen. Ob das wohl eine Strafe für ihre 
Neugier sei? Den Ursprung des Strafbedürfnisses werden wir später kennenlernen. 
Sie war mit ihrem Streben, etwaigen Verbrechen auf die Spur zu kommen, den 
Kollegen und Vorgesetzten lästig, bei den Kollegen besonders unbeliebt gewesen, 
weil sie allen Unregelmäßigkeiten immer auf den Grund ging. Dagegen war sie bei 
ihren Beschäftigungen in Krankenhäusern immer sehr beliebt. Am 4. August 1914 
ging ihr Mann in den Krieg, sie selbst arbeitete als von früher her geübte Kranken¬ 
pflegerin im Lazarett. Hier wird die Darstellung durch behaglich schmunzelndes 
Lachen unterbrochen. Ein leicht verwundeter 21 jähriger Unteroffizier läuft ihr, der 
47jährigen, immer nach. Während sie nach Feierabend in ihrer Kammer Ordnung 
macht, umfaßt sie jemand von hinten und packt ihre Brüste. Sie schlägt ihn mit der 
Faust ins Gesicht, daß die Nase blutet. Sie wird zum Chefarzt bestellt, der erst 
streng mit ihr spricht, auf ihre Darstellung des Vorganges aber ihr Verhalten 
billigt. Am 27. Dezember 1926 haben das Augenflimmern und die Parästhesien noch 
immer nicht aufgehört. Ich frage nach früheren Erlebnissen, in denen der Vater 
eine Rolle spielte, und spreche auch von der Bedeutung der Träume. Dieses vor¬ 
sichtige aktive Eingreifen öffnet ihr den Mund. Nachdem sie früher behauptet 
hatte, sie träume nie, erinnert sie jetzt ohne Hypnose zwei Träume, von denen der 
erste 26 Jahre zurückliegt, während sie den zweiten kurz vor ihrer Erkrankung 
hatte. 

I. Traum: Vor 26 Jahren träumt sie, der Vater, der damals schon 6 Jahre tot 
war, sei gestorben, und sie habe den Auftrag erhalten, die Leiche anzukleiden. Aber 
jedesmal, wenn sie näher herantrat, habe sich der Vater aufgerichtet und sie scharf 
angesehen. 

Am Tage darauf sei sie mit ihrem neun Monate alten Kinde im Krankenhause 
gewesen, in dem sie arbeitete, und der Arzt habe das Kind untersucht und für ganz 
gesund erklärt. Zu Hause sei das Kind dann im Wagen plötzlich steif geworden 
und gestorben. Das entspreche einer allgemein durch ihr Leben gehenden Er¬ 
fahrung: Sobald der Vater ihr im Traum erscheine, gäbe es jedesmal eine Leiche 
im Hause. 


36* 















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Emil Simonson 


2. Traum; Kurz vor ihrer jetzigen Erkrankung habe sie geträumt: sie komme nach 
Hause, und der Vater rufe ihr entgegen, es sei gut, daß sie käme, sie müsse noch 
einen Schein unterschreiben, ein erster sei schon geschrieben, genüge aber nicht. Dann 
sei sie in die Stube gegangen, wo die Mutter krank im Bette lag und erfreut aus¬ 
rief, es sei sehr gut, daß sie käme, sie solle jetzt unter allen Umständen bei ihr 
bleiben, dann werde sie sicher gesunden. Was das für ein Schein sei, wisse sie nicht. 
Ob es sich um einen Totenschein handelte, habe ich damals zu fragen versäumt. 
Bald nach diesem Traum sei die jetzige Krankheit eingetreten, deshalb habe sie 
befürchtet, daß der Vater sie hole. Wir sehen hier, wie ein Traum den Tropfen 
bildet, der das volle Faß in einem langen Leben verdrängter und unerledigter Er¬ 
lebnisse und eingeklejnmter Affekte, von denen wir noch viel hören werden, zum 
Überlaufen gebracht hat. — Es sei aber im Hause kürzlich eine 26jährige junge 
Frau an Grippe und Lungenentzündung erkrankt und binnen drei Tagen ge¬ 
storben. Das sei die durch die Erscheinung des Vaters angekündigte „Leiche im 
Hause“, sie selbst sei also diesmal noch nicht gemeint gewesen. 

Die Erzählung dieser beiden Träume geschieht ruhig und affektlos, am nächsten 
Tage ist keine Besserung festzustellen. Deshalb provoziere ich, nunmehr in 
Hypnose, nochmals die erzählten Vorgänge, die sie jetzt in höchster Leidenschaft 
mimisch und dramatisch erlebt. Nach dem Tode des Kindes, dessen Einzelheiten 
sie unter Schreien und Weinen darstellt, sieht sie verfallen aus wie eine Mutter, die 
in Wirklichkeit ihr Kind eben plötzlich verloren hat. Der Puls ist fast fadenförmig 
und flatternd. Auf Befragen gibt sie nach Ablauf des shockartigen Zustandes an, 
sie habe entgegen der Meinung des unwissenden Arztes das Kind schon lange für 
krank gehalten, es sei sehr stark und schwammig gewesen, habe mit 9 Monaten noch 
keinen Zahn gehabt, während sich an der Leiche 7 Zähne fanden. — Am folgenden 
Tage nach diesem Abreagieren gegen den Arzt liest sie kleine Schrift und sieht viel 
klarer, auch die Parästhesien der linken Gesichtshälfte sind sehr gebessert, die 
Stimmung ist heiter. 

Am 2. Jänner werde ich wieder gerufen, weil sich von neuem Verschlimmerung 
an den Augen und am Herzen bemerkbar macht. In der Besprechung ohne Hypnose 
erzählt sie einen Vorfall aus ihrer Kindheit. Der Vater hatte einen kleinen Wand¬ 
schrank, an den heranzugehen den Kindern streng verboten war. Da sie Nasch¬ 
zeug darin vermutete, öffnete sie ihn, als der Vater einmal den Schlüssel hatte 
Stecken lassen. Sie sah einen kleinen Fötus im Glase. Als sie das Glas in die Hand 
nimmt, läßt sie es fallen, wofür sie von dem heimgekehrten Vater furchtbare Schläge 
erhält. Da eine Änderung des Befindens nach dieser gleichmütigen Erzählung 
nicht eintrat, ließ ich sie drei Tage später denselben Vorgang in tiefer Hypnose 
nochmals erleben, diesmal unter starken Affektäußerungen. Nach Erledigung sieht 
sie in derselben Sitzung einen weiteren Vorgang aus ihrem neunten Lebensjahre, 
dessen Darstellung mit Lachen beginnt. Sie badet mit einer größeren Anzahl 
Mädchen ihres Alters gemeinsam im Bache, eine 16jährige badet mit, bei der ihr das 
Schamhaar auffällt. Sie verspottet das große Mädchen dieser häßlichen Entstellung 
wegen so lange, bis diese ihr ärgerlich zuruft: „Du dummes Mädel, das haben alle, 
das hat auch deine Mutter, du bekommst es auch.“ Darüber gerät sie in maßlose 
Erregung, läuft nach Hause und benutzt die erste Gelegenheit, als die Mutter den 
auf dem Hofe befindlichen, primitiven, ländlichen Abort aufsucht, sich so zu ver- 


























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Erfolgreiche Behandlung einer schweren, multiplen Konversionshysterie durch Katharsis 

stecken, daß sie von unten her sehen kann, ob die Mutter wirklich diese häßlichen 
Haare hat. Sie wird ertappt und bekommt für ihre Verruchtheit von der ent¬ 
rüsteten Mutter furchtbare Schläge, die sie aber gar nicht fühlt, weil sie immer 
nur mit höchstem Entsetzen schreit, sie wolle das nicht haben, auch wenn sie groß 
sei. Die Mutter, der bei dieser zügellosen Leidenschaft bange wird, sucht sie durch 
die wiederholte Versicherung zu beruhigen, sie werde das nicht bekommen. Bei 
ihrer ersten Entbindung mit 19*4 Jahren hätten dann die Hebamme und später auch 
der Arzt gefragt, ob sie sich denn da rasiert habe. Erst mit 20 Jahren sei sehr 
Spärlich etwas Schamhaar gewachsen. 

Am nächsten Tage keine wesentliche Besserung, Augen und linke Körperseite 
machen nach wie vor starke Beschwerden. Es fällt auf, daß sie während des Ge¬ 
spräches immer nach rechts schielt, als ob sie von dorther etwas Schlechtes fürchtet. 
Da sie nichts Wesentliches anzugeben weiß, gehen wir gleich zur Hypnose über. 
Sie sieht sich mit 16 Jahren auf dem Gutshof bedienstet, ist sehr umworben. Im 
Nachbardorf ist ein Fest mit Tanz. Die Gutsherrin verbietet den Mädchen hinzu¬ 
gehen, weil es dort jedesmal zu einer Schlägerei kommt. Jäger, Kutscher und mehrere 
Knechte erwirken nachträglich vom Verwalter die Erlaubnis, daß die Mädchen 
mitgehen dürfen, gegen das Versprechen, sie gut nach Hause zu bringen. Beim 
Tanz beginnt ein Knecht vom Nachbargut, der ihr schon lange nachgelaufen war, 
Rempeleien, so daß ein Gendarm Ruhe schaffen muß. Um 2 Uhr machen sie 
sich auf den iVgStündigen Heimweg durch den Schnee. Dabei müssen sie an einer 
alten Eiche vorbei, die zwei Männer nicht umspannen können. Sie sieht aus der 
Ferne etwas sich um die Eiche bewegen, warnt, trifft aber auf Unglauben. Als sie 
dann an der Eiche vorbeikommen, wird der Gärtner, mit dem sie Arm in Arm 
geht, von hinten erstochen, sie selbst erhält einen Messerstich über dem linken Auge 
an der Haargrenze, muß 4 Wochen im Krankenhause liegen und noch mehrere 
Monate einen Verband tragen. Der Mörder erhält 5 Jahre Zuchthaus. Nach 
5 Jahren, als sie schon verheiratet war und bereits ein Kind hatte, kommt der 
Mörder, um zu sehen, ob sie noch für ihn zu haben sei. Sie läßt ihn stehen und 
geht schweigend ins Haus. 

Nach dem Morde mußte sie bald nach Hause, weil die Mutter kränklich war. 
Der Vater verbietet ihr ein für allemal das Tanzen. Ein Bruder nimmt sie trotzdem 
einmal zum Tanzen mit, nach der Rückkehr bekommt sie vom Vater „ihre 
Dresche , obwohl sie (mit i8V4Jahr) schon auf geboten war, so daß sie noch mit 
geschwollenem Gesicht zur Trauung ging. Auf Befragen gibt sie zu, gedacht zu 
haben, der Vater werde schon seine Strafe finden. Darüber habe sie sich Vorwürfe 
gemacht, als er krank lag, und habe oft unter Tränen gebetet, daß er, wenn auch 
siech, leben bleibe, damit sie ihn pflegen könne. Die Krankheit des Vaters sei auch 
auf der linken Körperseite lokalisiert gewesen. Große zerfallende Geschwüre, die 
ihr beim Verbinden Ekel eingeflößt hätten. Darüber habe sie sich ebenfalls Vor¬ 
würfe gemacht, alles was sie seitdem an Krankheit betroffen habe, habe sich nun¬ 
mehr immer an ihrer linken Seite abgespielt. Dieser Selbstbestrafung nach dem ius 
talionis werden wir noch oft begegnen. Der Vater wollte sich nicht von der 
Mutter, sondern nur von ihr pflegen lassen. Das bereitete ihr sehr große Genug¬ 
tuung. Aber als eines ihrer Kinder einmal in der Krankenstube spielte, habe es eine 


'ij 



L 


















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Emil Simonson 


Tasse, aus der der Vater mit Vorliebe trank, zerbrochen. Auf ihr Schelten kam es 
zu einem Zank mit dem Vater, der das Enkelkind nicht schelten lassen wollte. 
Seitdem hat er ihr nie wieder beim Verbinden die Hand gestreichelt, was ihr sehr 
schmerzlich war. Zuletzt hatte sich die Krankheit des Vaters zum Herzen hin¬ 
gezogen, das war das Ende. 

Auf meine Zwischenfrage, ob sie noch weitere alte Träume, besonders den Vater 
betreffende, erinnere, sagt sie erst nein, dann ja. Als sie noch nicht zur Schule ging, 
also höchstens im 6. Lebensjahre stand, träumte sie, sie werde in den Stall geschickt. 
Dort hängt ein großer, schlanker Mann, geschlachtet. Leih und Brust geöffnet wie 
hei den geschlachteten Tieren, Während sie das erzählt, macht sie Würgebewegun¬ 
gen und verspürt einen süßlich unangenehmen Geruch, der jedoch nicht an Leichen¬ 
geruch erinnert. Auf die Frage, ob der Geruch sie an ein anderes Erlebnis erinnere, 
erzählt sie; Ein um ein Jahr älterer Arztsohn, ihr Gespiele, ist gestorben und wird 
in dem Familienerbbegräbnis, wo immer zwei Gräber übereinander liegen, beigesetzt. 
Nach 4 Jahren stirbt die Arztfrau. Ihr Vater öffnet als Totengräber in ihrer Ge¬ 
genwart das Kindergrab. Der Knabe liegt angekleidet und anscheinend noch un¬ 
versehrt. Dort war der süßliche Geruch vorhanden. Bei Berührung fällt die Leiche 
zusammen. Zu Hause erzählt der Vater der Mutter die Sache und meint, der Arzt 
müsse wohl etwas getan haben, daß sich die Leiche so lange gehalten habe. 

Nach diesem Zwischenspiel führe ich sie wieder auf das Traumbild von dem 
geschlachteten Manne zurück durch die Frage, ob dieser sie an jemand erinnere. 
Sie verneint und erzählt dann folgende Geschichte: Der Vater hat vor Jahren von 
einem Manne im Nachbardorf Geld geliehen. Da er es nicht zurückgeben konnte, 
entstand Feindschaft. Der Gläubiger lebte mit einer Wirtschafterin zusammen. Als 
diese ein Kind gebar, erhielt der Vater spät abends einen Brief des Mannes, durch 
einen geistig nicht normalen Bruder, mit dem Anerbieten, er solle das Neugeborene 
als Ziehkind annehmen, dafür solle er noch so viel Geld erhalten, daß es mit der 
alten Schuld 500 Taler sein würde. Die Eltern haben oft Ziehkinder gehalten, die 
der Vater ebenso wie seine eigenen oft geschlagen habe. Der Vater will noch am 
späten Abend ins Nachbardorf gehen, die Mutter dringt aber darauf, er solle heute 
in der Nacht nicht mehr gehen, der Mann habe vielleicht Böses im Sinne, die 
Sache habe Zeit bis morgen. In dieser Nacht hatte sie den eben wiedergegebenen 
Traum. 

Sie habe abends während der Warnung der Mutter gedacht, wenn der Vater nicht 
wiederkäme, erhielte sie keine Schläge mehr. Der Vater war groß und schlank wie 
die Leiche im Traum, der andere kleiner und dick, konnte also nicht der Ge¬ 
schlachtete gewesen sein. 

Nachdem sie alles das unter Affektäußerungen in dieser langen Hypnose durch¬ 
lebt hat, ist sie am nächsten Tage heiter, hat zum ersten Male wieder gearbeitet, 
die Berührung ist nicht mehr schmerzhaft. Der Blick ist während der Unterhaltung 
nach links gerichtet, das linke Auge flimmert noch, das rechte nicht mehr. Sie hat 
probeweise ohne blaue Brille Zeitung gelesen. 

Bei einem Besuch vier Tage später fällt auf, daß sie, während wir auf Stühlen 
einander gegenübersitzen, bei der Unterhaltung noch immer wie erwartend nach 
links schaut. Die linke Schläfengegend schmerzt. Auf Befragen gibt sie ohne 
























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Erfolgreiche Behandlung einer schweren, multiplen Konversionshysterie durch Katharsis 537 

Widerstand zu, daß der Totschläger ihr gefallen habe. Als er nach seiner Rückkehr 
aus dem Zuchthaus bei ihr nachfragte und sie schon ihren Mann und zwei Kinder 
hatte, auch von dem Manne schon schlecht behandelt wurde, weinte die Mutter 
und sagte, vielleicht wäre es so besser geworden, aber sie habe ja den Taugenichts 
durchaus haben wollen. Ihr Mann sei ein übel beleumundeter Müßiggänger ge¬ 
wesen, der in keinem Beruf aushielt. Sie habe ihn auch nur aus Trotz gegen die 
Eltern geheiratet, die dagegen waren. Das alles berichtet sie ohne Affekt, daher 
wird wieder Katharsis zu Hilfe genommen. Nunmehr sieht sie sich auf der Hoch¬ 
zeit ihres Bruders, der in ein Bauernhaus einheiratete. Die Feier dauerte drei Tage, 
am dritten Tage ging sie nicht mehr hin, wohl aber ihr Mann. Als sie Brot 
holen will, fehlt das Portemonnaie mit dem letzten Geld. Sie geht zum Hochzeits¬ 
haus, um ihren Mann zur Rede zu stellen. Dort wird Kricket gespielt, bei ihrem 
Kommen fliegt ihr eine Holzkugel gegen die linke Schläfengegend. Das Trommel¬ 
fell ist geplatzt, lange ärztliche Behandlung folgte. Sie ist überzeugt, daß das ihr 
Mann absichtlich getan habe. Nach dem Erwachen und am nächsten Tage ist sie 
heiterer, die Schläfengegend weniger empfindlich. Zwei Tage später (9. Jänner) 
bestehen von neuem Unruhe und Mattigkeit. Starke Sensationen der ganzen linken 
Körperseite, „Prickeln ganz anderer Art als bisher“, Herzschmerz. Furcht, es könnte 
sich von der linken Seite bis zum Herzen hinziehen und das wäre das Ende. 
Hypnose. Sie sieht sich in der Kriegszeit als Straßenbahnfahrerin ihren Wagen 
rückwärts ins Depot fahren. Dabei berührt sie mit der Hnken Seite ein herab¬ 
hängendes Kabel. Der ganze Wagen steht sofort in Flammen, sie mitten darin, 
greift nach dem Herzen und fällt besinnungslos um. (Während der Katharsis liegt 
sie in ihrem Bette.) 50 Menschen waren gefährdet, sie selbst stand lange in ärzt¬ 
licher Behandlung. Im Wachzustände fügt sie noch hinzu, das Prickeln sei so, wie 
wenn man elektrisiert wird. Am ii Januar sind die Beschwerden vom Herzen 
wieder heftig. Sie habe das Gefühl, es werde sich von links allmählich ganz aufs 
Herz legen, und das sei denn wohl das Ende. Zunächst Unterredung ohne Hypnose. 
Auf Befragen hatte sie schon früher angegeben, sie habe beim ehelichen Verkehr 
nie einen Orgasmus empfunden, sondern erst nachher. Auf die Frage, ob sie sich 
dabei einen anderen Mann vorgestellt habe, gibt sie es heute sofort zu. Als sie 
Helferin im Krankenhause war und mit ihrem zweiten Kinde schwanger ging, habe 
ein junger Arzt sich ihr eifrig genähert. Er wollte nach Amerika gehen und sie 
nachkommen lassen. Sie lehnte das ab, habe aber Unannehmlichkeiten durch die 
Eifersucht einer Schwester gehabt. Der Arzt sei bald nach Amerika gezogen und 
habe noch einige Male geschrieben. Er wollte ihr eine Fahrkarte schicken, das Kind 
solle sie mitbringen. Sie antwortete aus Pflichtgefühl nicht. — Das alles erzählt sie 
ziemlich ruhig ohne sonderlichen Affekt. Am nächsten Tage keine Besserung, Un¬ 
ruhe noch vergrößert. Daher Katharsis. Was sie gestern in 10 Minuten erzählt hat, 
durchlebt sie nochmals in fast 1V4 Stunden mit dramatischer Leidenschaft und in 
dramatischer Gestaltung. Oft hört sie minutenlang zu, ehe sie ein Wort spricht, 
und macht ablehnende Gebärden, wenn der Arzt beim Verbinden ihre Hände ab¬ 
sichtlich streift. Sie gibt die Eifersucht der Schwester wieder. Einmal hat sie der 
Arzt nach einer Operation in eine Ecke gedrängt und redet sehr leidenschaftlich 
auf sie ein. Sie lehnt ebenso leidenschaftlich immer wieder unter Hinweis auf ihre 
Pflicht ab, kann ihm aber, wie aus ihren Antworten zu entnehmen, nicht verhehlen. 


L 
















538 


Emil Simonson 




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daß sie ihn liebt. Die eifersüchtige Schwester kommt hinzu. Denunziation. Ver¬ 
höre durch eine aus einer fernen Zentrale gekommene Oberin. Sie will auf ihre 
Stellung verzichten, was aber nicht bewilligt wird. Nur wird sie bei der nächsten 
Schwesternweihe der Helferinnen übergangen. Der Arzt geht daraufhin nach 
Amerika, schreibt mehrmals, sie antwortet nicht. Den letzten Brief läßt sie nur 
noch durch die Oberin öffnen. 

Ihr Ehemann ist eifersüchtig. Sie durchlebt Nächte, in denen sie ihm das eheliche 
Zusammenleben verweigert, worauf er sie schlägt und aus der Stube wirft. In 
kalten Nächten hat er ihr sogar die Kleidung verweigert, so daß sie vor der Tür in 
leichter Nachtkleidung sitzen mußte. „Wie oft habe ich bis morgens vor dem Hause 
auf der Schwelle gesessen, bis er fortging, um dann an meine Arbeit zu gehen.“ Ihr 
Mann war schön, aber blond. Sie hat ihn nur geheiratet, weil die Eltern dagegen 
waren. Der Arzt war groß und hatte dunkles gewelltes Haar wie der Vater. Sie 
kommt auf einen früheren Traum, wie sie im Bette liegt, rechts ihr Mann, links 
der Arzt. Jede Berührung des Mannes ist ekelhaft, des Arztes sanft, wohlig durch 
den ganzen Körper ziehend. Von hinten gesehen war es der Vater, von vorn der 
Arzt. Das sanfte Streicheln der Stirn, das auf Suggestion bei der Hypnose wohlig 
durch den ganzen Körper zieht, hat zur Verdichtung der beiden Ärzte zu einer 
Person geführt. Daher Besprechung der Übertragung. 

Nach dem Erwachen erkläre ich ihr, daß diese Sitzung den stärksten Umschwung 
gebracht habe, das Herz werde jetzt frei sein. Am nächsten Tage ist der Druck 
vom Herzen völlig geschwunden, sie fühlt starke Mattigkeit, die sie selbst be¬ 
schreibt „wie nach schwerer Krankheit“. Zur Nachbarin sägt sie, das sei entweder 
Heilung oder das Ende. Das Offenlassen dieser Alternative mahnt zur Vorsicht 
gegenüber der Frage, wieweit hier etwa Suggestionswirkung im Spiele ist. In den 
Vordergrund treten jetzt Klagen über Schwellung und Schmerzen in den Beinen, 
die ich zunächst auf innere Krampfadern zurückführe, da nichts zu sehen ist. Sie 
lehnt die Möglichkeit von Krampfadern energisch ab. In den nächsten Tagen wird 
die Müdigkeit größer, an beiden Unterschenkeln sieht man jetzt viele bläuliche. 
Ein- bis Zwei-Mark-Stück große Infiltrationen, der Untergrund ist gerötet und 
geschwollen. Die Schmerzhaftigkeit ist schon bei leichtester Berührung sehr groß. 
Ich verordne Bettruhe und Umschläge. Da sie zwecks Nebenverdienstes seit 
mehreren Jahren an einer zu einem Gut gehörigen Villa wäscht und plättet und 
auch andere Hausarbeit macht, muß sie nunmehr diese Arbeit versäumen. Die 
entzündlichen Knoten bleiben rätselhaft, ich vermute nach Analogie der von 
Groddeck, Simmel u. a. mitgeteilten Fälle einen affektiven Zusammenhang und 
greife aktiv ein durch die Frage, ob sie gern in die Villa zur Arbeit gehe. Die 
Antwort lautet: Nein, sie wolle dort den sie immer gut behandelnden Menschen 
nicht zu Dank verpflichtet sein. Ich frage weiter, wann die nächste Arbeitsperiode 
bevorstand, als sie erkrankte? Antwort: Nach einer Woche. Dann hätte sie ihr 
Weihnachtsgeschenk bekommen und wäre den Herrschaften verpflichtet gewesen. 
Ihr jetziger Mann verdiene genug und wolle nicht, daß sie außer der Portierarbeit 
noch außer dem Hause arbeite. 

Bei einem Besuche nach drei Tagen sind die Beine nicht wesentlich gebessert, 
daher Katharsis. Sie sieht sich während des Krieges mit ihrem auf Urlaub 
anwesenden jetzigen Manne in schwerer Winterkälte auf der Reise, zu dessen in 


J 




















Erfolgreiche Behandlung einer schweren, multiplen Konversionshysterie durch Katharsis 539 

der Provinz wohnenden erkrankten Bruder. Auf der Rückfahrt, teils im offenen 
Wagen, teils in ungeheiztem Eisenbahnzuge, hat sie sich fast die Füße erfroren, 
sonst hat sie nie an Frostbeulen gelitten, seitdem leidet sie viel an kalten Füßen. 
Ich lege ihr nun unter den nötigen Erläuterungen über das Unbewußte in der 
Hypnose die Frage vor, ob sie diese Erfrierungen nicht nach 10 Jahren repro- 
^duziert habe, um den wohlmeinenden Arbeitgebern zu beweisen, daß es beim 
besten Willen unmögHch sei, mit solchen Beinen am Waschfaß und am Plättbrett 
zu stehen. Sie ist gleich geneigt, diese Erklärung anzunehmen und erzählt noch 
weitere, sich aus der Hausordnung in der Villa ergebenden Unannehmlichkeiten, 
die dazu beitragen, ihr die Arbeit zu verleiden. Die Sache werde aber jetzt immer 
drängender, denn die Herrschaft habe ihr nicht nur ein reichliches Weihnachs- 
geschenk ins Haus geschickt, sondern sende ihr außerdem häufig kleine Geldbeträge 
und allerlei Eßwaren zur Pflege durch das Wirtschaftsfräulein, die dann jedesmal 
sich erkundige, wann sie die Arbeit wieder aufnehmen könne. Das Fräulein er¬ 
zählt, der Herr Doktor wolle nur von ihr hergerichtete Plättwäsche tragen, er 
habe vor kurzem die von einer anderen Frau fertig gemachte Wäsche sämtliche 
Treppen bis zum Hausflur hinabgeschleudert. Nun sei die Frau Doktor in großer 
Not. Ich riet ihr, Geschenke nicht mehr anzunehmen und der Herrschaft sagen 
zu lassen, der Arzt habe die Wiederaufnahme dieser Außenarbeit für dauernd un- 
mögheh erklärt. Das leuchtet ihr ein. Bevor ich sie wecke, erkläre ich ihr noch, 
wie sie schon selbst angedeutet hat, ihre große Schwäche als analog dem Befinden 
nach überstandener schwerer Krankheit. Aufgeweckt liegt sie nun frei mit dem 
Kopf nach rechts. Auf Befragen: Sonst habe es im Kopf immer wie Gummiband 
nach links gezogen. Das sei jetzt vorbei. 

Nach einigen W^ochen ein Rückfall. Augenflimmern, das Herz will heraus¬ 
springen. In der Hypnose sieht sie ihren jetzigen Mann betrunken nach Hause 
kommen. Früher hatte sie auf Befragen erklärt, sie lebe mit ihm in guter Ehe. 
Jetzt berichtet sie, er sei Quartalsäufer, und sie müsse immer fassungslos weinen, 
wenn er in diesem Zustande nach Hause komme. Ihr erster Mann sei nach einem 
Betrugsverbrechen flüchtig geworden und verschollen. Nach ihrer Scheidung 
hätten sich ihr gute Aussichten eröffnet, sie habe aber ihren jetzigen Mann, der 
ihr nachgelaufen sei, obgleich er mehr als 10 Jahre jünger sei als sie, aus Trotz 
geheiratet, weil seine Geschwister ebenso wie ihre Kinder und Geschwister dagegen 
waren. Sie ist evangelisch, der Mann katholisch. Ihre Ehnder und Geschwister mit 
Ausnahme eines Bruders hätten dauernd mit ihr gebrochen. Eine richtige Ehe habe 
sie nie geführt, der Mann habe in den Jahren ihrer Ehe nur einige Male Kohabita- 
tionsversuche gemacht. Wenn er betrunken nach Hause kam, hat sie Todeswünsche 
gegen ihn gehabt, was wieder Anlaß zu Schuldgefühlen und zu Selbstbestrafung 
gab. Am nächsten Tage hat sie weiter Herz- und Augenbeschwerden. Aus der 
letzten Nacht berichtet sie einen Traum: Jefnufid will sie auf eifiey Wiese Übey 
eine Bayyieye ins Wassey weyfen. Sie sagt: ,,Laß los, odey ich beiße diy die Hals- 
schlagadey duychJ' Sie beißt auch zu und erwacht voll Angst mit einem Zipfel des 
Oberbettes zwischen den Zähnen. Im Wachen kein Einfall. In der Katharsis sieht 
sie sich als 12jähriges Mädchen. Ein 2—3 Jahre älterer Vetter ist auf Besuch an¬ 
wesend. Sie hat große Angst vor Pferden. Als einmal Pferde auf sie zukommen, 
hält der Vetter sie fest. Sie beißt ihn in die Hände, läuft fort, will sich auf einen 











540 


Emil Simonson 


Zaun retten, stürzt in einen dahinterfließenden Bach und liegt mehrere Wochen 
krank. Die Furcht vor Pferden geht bis in ihr siebentes Lebensjahr zurück. Während 
sie an der Kirchhofsmauer spielte, kommt ein Wagen mit durchgehendem Pferd 
auf sie zu. Der Vater reißt das Pferd am Zügel hoch, so daß es über ihr steht. 
Mit begeistertem Ausdruck: „Der Vater war groß und stark, er hat oft durch¬ 
gehende Pferde aufgehalten.“ 

Da am nächsten Tage keine erhebliche Besserung eingetreten ist, demnach eine 
unsichtbare Mauer sich dem Fortschreiten im Hinblick auf den Endzweck ent¬ 
gegenzustellen scheint, stelle ich mir die Frage, durch welchen Fehler ich selbst 
dieses „Auf der Stelle Treten“ verschuldet haben könnte, und komme in Ansehung 
der Ergebnisse der letzten Sitzungen hinsichtlich der Trunksucht ihres jetzigen Mannes 
zu der Erwägung, ob ich nicht etwa meine Aufmerksamkeit allzu ausschließlich 
auf die infantile Einstellung gerichtet und damit den aktuellen Konflikt ver¬ 
nachlässigt habe. Ich frage sie daher, ob der Vater getrunken habe. Das sei nur 
einmal am Königsgeburtstag geschehen. Dieser Anblick habe ihr Schrecken und 
Entsetzen eingeflößt. Nachdem sie und der Bruder aus der Stube geworfen waren, 
habe sie im Stall fassungslos geweint. So wie jetzt, so oft der Mann angetrunken 
nach Hause kommt. Ihre Mutteridentifizierung, die schon früher anläßlich der ihr 
allein übertragenen Krankenpflege des Vaters in Erscheinung getreten war, kehrt 
wieder, durch den im begeisterten Tone vorgebrachten Bericht, im Hause nenne sie 
niemand Frau X., sondern Kinder und Erwachsene sagen nur „Muttchen“ zu ihr. 
Nicht nur im Hause, sondern auch in der ganzen Nachbarschaft sucht man in 
schwierigen Lagen ihren Rat. In der Tat ist sie sehr intelligent und stets hilfsbereit, 
überhaupt eine Persönlichkeit, unter vielen Nullen eine Eins. Über ihren Bildungs¬ 
grad hinaus zeigt sie Verständnis für psychoanalytische Zusammenhänge. Nach Be¬ 
sprechung des Zusammenhanges bleibt sie fortan ruhig, wenn der Mann angetrunken 
nach Hause kommt. Sie erörtert auch seine bedrohliche Krankheit und verträgt sogar 
ohne Schuldgefühle die Überlegung, daß sie im Falle seines Todes sich allein besser 
ernähren könnte. Er verdiene jetzt weniger und gebe ihr von seiner Einnahme nur 
widerwillig für die Wirtschaft etwas ab, besonders in seinen Trinkperioden. „Er will 
es ja nicht anders.“ Als sie später mir einmal ihre Besorgnis ausspricht, der Mann 
könne als Kohlenfahrer in der Trunkenheit vom Wagen fallen und von seinem 
eigenen Wagen überfahren werden, verträgt sie ruhig die Erörterung, ob diese Be¬ 
fürchtung nicht etwa Einkleidung eines nicht bewußtseinsfähigen Wunsches sei. 

Nach dieser Sitzung ist sie heiter und mutig zu allmählich gesteigerter Arbeit, 
macht auch Reisepläne. Seitdem hat sie nunmehr seit 5V2 Jahren ihre Portier¬ 
arbeit und ihre Wirtschaft besorgt. Von Heilung kann man trotzdem nicht sprechen, 
sondern nur von Besserung. In schwierigen Lagen, besonders jetzt, wo der Mann 
nur Gelegenheitsarbeit hat, produziert sie immer wieder einmal Symptome, die 
eine kathartische Sitzung erfordern, aber es geht dann immer mit einer einmaligen 
Sitzung ab. Bisweilen haben, besonders im ersten Jahre der wiedergewonnenen Ar¬ 
beitsfähigkeit, noch einzelne eingeklemmte Affekte sich vorgeschoben und eine 
Sitzung erfordert. So sieht sie, als Herz und Augen sich wieder einmal bemerkbar 
machen, in der Hypnose einen Leichenzug, in dem sie den Arzt Dr. N. erkennt. 
Dr. N. war auch Kirchhofsarzt. Als eine Krankenschwester im Grunewald ver¬ 
giftet gefunden und in der Halle eingeliefert wird, erklärt sie der Arzt nach flüch- 


j 
















Erfolgreiche Behandlung einer schweren, multiplen Konversionshysterie durch Katharsis 541 


tiger Untersuchung für tot. Sie kann sich nicht überzeugen, daß die Schwester 
wirklich tot ist, macht Wiederbelebungsversuche, die nach 2 Stunden von Erfolg 
gekröflt sind. Dieser Fall war mir aus Zeitungsberichten schon bekannt. Der 
Arzt bringt sie aus der Arbeit, indem er erklärt, einer von beiden müsse gehen. 
Frau V. M., die von der Sache hört, verschafft ihr andere Arbeit. 

Auch der Vater erscheint ihr noch einmal im Traum; Es ist Krieg, auf der 
Straße wird geschossen. Da führt sie der Vater in eine Mauernische und sagt: 
„Hier werden sie uns nichts tun/' Am nächsten Tage erhält sie die briefliche 
Nachricht, ihre in der Provinz wohnende Tochter müsse sich einer schweren 
Kehlkopfoperation unterziehen. Sie hofft aber, die Erscheinung des Vaters im 
Traum werde diesmal keinen Todesfall bedeuten, denn er habe ja selbst gesagt, 
hier werden sie uns nichts tun. Die Tochter hat auch die Operation gut über¬ 
standen. 

In den allerletzten Monaten hat sie noch einmal Flerzbeschwerden infolge eines 
Traumes, in dem sie einen Soldaten ohne Kopf sieht. In der Hypnose kommt sie 
auf ihren Sohn zu sprechen, der ohne Abschied von ihr in den Krieg gegangen «ei. 
Nach dem Kriege sollte er als Gefangener von den Franzosen über Marseille mit 
einem Trupp an die deutsche Grenze gebracht werden. In Marseille wurde den 
Gefangenen streng verboten, das Lager zu verlassen. Ihr Sohn tat es trotzdem, 
wie ihr später ein Mitgefangener erzählt hat, und ist seitdem verschollen. Der 
Mitgefangene meint, er werde wohl im Hafen ermordet und beiseite geschafft 
worden sein. Sie hat immer noch auf seine Wiederkehr gehofft. Jetzt aber, da sie 
ihn ohne Kopf im Traum gesehen habe, besitze sie wenigstens die Gewißheit, daß 
er tot sei, und das sei beruhigender als die bisherige Ungewißheit. 

Zusammenfassend können wir sagen: Die Anwendungsmöglichkeit des Verfahrens 
bleibt mehrfach begrenzt. Einmal durch die relative Seltenheit der dazugehören¬ 
den Empfänglichkeit für tiefe Hypnose. Dann wird die Methode überhaupt nur 
für Hysterie in Frage kommen. Außerdem werden wir in erster Linie solche Fälle 
für das Verfahren ins Auge fassen, für die eine klassische Freudsche Psychoanalyse 
aus triftigen Gründen nicht in Frage kommt. — Auf der anderen Seite darf 
geltend gemacht werden: Die heutige Katharsis unter Verwendung der durch die 
Psychoanalyse erworbenen Erkenntnisse und Einsichten, die ein kombiniertes Ver¬ 
fahren ermöglichen, ist nicht mehr die historische Katharsis von Breuer und 
Freud. Mit Hilfe dieser später gewonnenen Einsichten können wir heute doch 
mehr in die Tiefe und in die Zusammenhänge eindringen als bei dem Neben¬ 
einander von Einzelergebnissen vor 40 Jahren. Wir können ferner den Fortfall des 
Widerstandes in den tauglichen Fällen als ein Mittel großer Beschleunigung buchen. 
Auch ein vorsichtiges aktives Eingreifen zur rechten Zeit dürfte unbedenklicher 
sein als bei der Psychoanalyse, weil ein dadurch etwa geöffneter Irrweg in der 
Katharsis in hohem Maße seine Korrektur in sich trägt, zumal die Übertragung 
dabei weniger ein Gefahrenmoment bilden kann, als in der klassischen Psycho¬ 
analyse. Innerhalb dieser Begrenzung sollte die Neokatharsis, die ja auch Ferenczi 
auf dem Oxforder Kongreß empfohlen hat, und die Simmel unter den Verhält¬ 
nissen der Kriegslazarette mit gutem Erfolg angewandt hat, öfter als bisher ver¬ 
sucht werden, zumal es Fälle gibt, die nach Katharsis förmlich schreien, so daß 
sie sich durch Autokatharsis selbst zu helfen suchen. 













542 Yrjö Kulovesi 


Bemerkenswert sind noch die mehrfachen Traume, durch die das Unbewußte 
einen Tag vorher das Programm der nächsten kathartischen Sitzung gewissermaßen 
festlegt. Hit sch mann hat schon 1919 in dieser Zeitschrift einen solchen Fall 
berichtet unter dem Titel „Über eine im Traume angekündigte Reminiszenz an ein 
sexuelles Jugenderlebnis“. Bemerkenswert sind ferner ungeachtet der vielen, von 
Groddeck und Simmel bereits berichteten Fälle, noch immer die Unterdrückung 
des Wuchses der Schamhaare und die Reproduktion der Frostbeulen nach 10 Jahren 
im Dienst eines im Unbewußten wirkenden Wunsches. Nicht häufig wird sich auch in 
der Literatur eine solche Wirkung des Wiederholungszwanges finden, daß eine Frau 
zweimal in ihrem Leben einen ungeliebten Mann heiratet, nur weil die Angehörigen 
dagegen sind. — Nicht viele Analoga dürfte endlich in der Literatur der nach 
53 Jahren erinnerte Traum aus dem 6. Lebensjahre mit seiner Bedeutung für die Ein¬ 
stellung zum Vater finden.^ 

Zusammengefaßt; Eine aus Katharsis und psychoanalytischen Erfahrungselementen 
zusammengesetzte Behandlung kann heute in Fällen, in denen die Analyse nicht in 
Frage kommt, mehr leisten, als die alte Katharsis vor 40 Jahren, und wir haben 
Grund, den Hinweis Ferenczis über den Nutzen der von ihm sogenannten Neo¬ 
katharsis nicht außer acht zu lassen. 


Bin Beitrag zur Psychoanalyse des epileptischen 

Anfalls 

Von 

Yr^ö Kulovesi 

Tampere, Finnland 

Vor sechs Jahren hatte ich Gelegenheit, einen damals zehnjährigen Epileptiker 
einige Wochen lang zu beobachten. Der Charakter des Knaben war insofern ent¬ 
wickelt, als er nach Möglichkeit die Realität zur Befriedigung seiner Triebe benutzte. 
Er war ein äußerst hartnäckiger Trotzkopf, der sich allen Forderungen des Er¬ 
ziehers widersetzte. Einmal war ich mit ihm und seinem Vater beim Schwimmen 
zusammen. Durch seinen Ungehorsam reizte er den Vater so, daß dieser schon 
im Begriff war, ihn zu schlagen. Der Knabe stand ganz starr und unbeweglich da 
und seine Züge spiegelten die masochistische Spannung, mit der er die väterlichen 
Schläge erwartete, wider. Die Erwartung des masochistischen Genusses trat so klar 
zutage, daß ich den Vater sofort darauf aufmerksam machte und ihm zu erklären 
versuchte, daß der Knabe es nur auf eine Befriedigung durch die Schläge anlege. 

2) Schließlich wird die Annäherung an die Ergebnisse einer klassischen Psychoanalyse noch 
verstärkt durch den mehrfach hervorgecretenen Kastrationskomplex sowie durch den in der 
Aussprache von Frau Reich mit Recht hervorgehobenen Umstand, daß die mehrfache 
Äußerung „das ist die Heilung oder das Ende" den Wunsch bedeute, der Vater möge sie 
nach Sühnung ihrer Schuld durch das ius talionis zu sich heimholen, damit sie im Tode mit 
ihm vereinigt sein dürfe. 



















Ein Beitrag zur Psychoanalyse des epileptischen Anfalls 


543 


Dann ergab sich leider nur kurze Zeit — Gelegenheit, den Knaben zu beob¬ 
achten. In dieser sozusagen psychoanalytischen Anamnese trat folgendes zutage; 

Auf meine Frage, ob ihm schon als Kleinkind irgend etwas besondere Furcht 
eingeflößt habe, erzählte er folgenden Traum, den er bei Ausbruch der Krankheit, 
vor etwa fünf Jahren, geträumt habe: 

f,Ein schwaYzey Bock versucht in das Zimmer einzudringen. Der Knabe will die 
Tür zuschließenf der Bock aber dringt durch die Tür und nimmt ihn auf seinen 
Schoß. Es ist ein Bock mit Händen^ der vom Arbeitszimmer des Vaters ins Schlaf¬ 
zimmer hereinkam,'' 

Der Knabe erzählt hierauf, daß er immer erschrickt, wenn der Vater ins Schlaf¬ 
zimmer tritt und er im Dunkeln des Vaters Kopf und Hände erblickt. Er erklärt, 
daß er in dem Traume fürchtete, der Bock könne Mutter und Vater etwas Böses 
zufügen. Unmittelbar anschließend assoziiert er sein großes Angstgefühl, als er 
einst beim Schlachten eines Schweines den Schuß hörte. 

Er behauptet, in seinem Anfall denselben schwarzen Bock bisweilen gesehen zu 
haben. Auch fühlt er im Anfall, als ob ihm ein stumpfer Gegenstand wie ein 
kleiner Finger in den Kopf hineingedrückt werde. Dieser Gegenstand scheint ihm 
auch Ähnlichkeit mit einem Gänseschnabel zu haben. Als eifriger Zeichner wirft 
er sofort ein Bild davon aufs Papier: 



Auf meine Frage, was er zu Hause gezeichnet habe, antwortete er: einen Stier¬ 
kampf. In diesem Bilde will er einen auf der Erde liegenden Mann, den ein Stier 
durch einen Stoß mit seinen Hörnern in den Bauch getötet hat, gezeichnet haben. 
Unmittelbar darauf zeichnet er mir ein ähnliches Bild mit der Darstellung eines 
Stiers, der gerade dabei ist, dem Kämpfer seine Hörner in den Leib zu rennen. Er 
erklärt mir eifrig den Hergang des Stierkampfes, und auf meine Zwischenfrage, 
was dann geschehe, ob er selbst der Stier sei, antwortete er: „Mir wird ein Bein 
abgerissen und vorher werde ich mit einer Hornspitze gestoßen.“ 

Ich versuche weitere Assoziationen zu dem Bockstraum zu erhalten, da springt 
er plötzlich von seinem Stuhle auf, betrachtet ernsthaft den auf meinem Schreib¬ 
tisch stehenden Erdglobus und richtet die Frage an mich: „Was gibt es eigentlich 
im Innern des menschlichen Körpers?“ Die Assoziationen führen dann zu offen¬ 
sichtlichen Mutterleibsphantasien. In der nächsten Stunde fällt seine Aufmerksam¬ 
keit wieder auf den Globus, und er wiederholt seine Frage, diesmal aber in folgen¬ 
der Form: „Was gibt es im Innern des Kopfes?“ Ich muß hier die Bemerkung ein¬ 
flechten, daß der Knabe vor drei Jahren chirurgisch behandelt und tatsächlich 
trepaniert worden ist. Ob er schon vor der Operation das Gefühl, daß ein stumpfer 
Gegenstand in seinen Kopf hineingestoßen werde, gehabt hat oder erst nachher, 
das vermochte ich nicht festzustellen. Entscheidend ist jedenfalls, daß er seinen 
Kopf mit dem Mutterleibe identifiziert. 

Die Mutter des Knaben erzählte mir, daß er dauernd an schwerer Obstipation 
leide. Die Eltern hatten das Schloß von der Klosettüre entfernen müssen, weil der 

















544 


Yrjö Kulovesi 


Knabe sich dort immer wieder einschloß und sehr lange verblieb. Schließlich bekam 
er eine Blutung in der Retina, weil er beim Stuhlgang seine Bauchpresse überspannte. 
Einige Jahre später ist mir zu Ohren gekommen, daß die Obstipation sich so ver¬ 
schlimmert hat, daß der Knabe seinen Stuhl nicht mehr spontan absetzen konnte, und 
daß die Eltern durch Fingereinführung die Scybala herausholen mußten. Er hat also 
seine passiv-feminine Einstellung in dieser Beziehung verwirklicht. Eine weitere 
analytische Aufhellung der Beziehungen zur Umgebung hat sich als unmöglich er¬ 
wiesen. 

In einem zweiten Falle konnte ich ein 22jähriges Mädchen einer längeren 
psychoanalytischen Untersuchung unterziehen, das seit acht Jahren als Epileptikerin 
in ärztlicher Behandlung stand. 

Ihren ersten epileptiformen Anfall bekam die Patientin mit vierzehn Jahren, 
als sie eines Morgens beim Erwachen die Blutspuren ihrer ersten Menstruation ge¬ 
wahrte. Die erste Menstruation war für sie eine völlige Überraschung, da ihr bisher 
nichts davon gesagt worden war. In der Folge bekam sie nun ihre Anfälle vorerst 
regelmäßig im Zusammenhang mit der Menstruation. Schon vor dem ersten An¬ 
fall hatte sie einige Zeit Zuckungen in Armen und Füßen gehabt. Die Diagnose 
zwang die Patientin, den Schulbesuch einzustellen. Sie verbrachte dann den folgen¬ 
den Winter im Hause des ältesten Bruders, der ihr ziemlich gleichgültig war. Dort 
blieben die Anfälle völlig aus, kehrten aber sofort in unregelmäßiger Folge wieder, 
als sie ins Elternhaus zurückkehrte. 

Das Leben im Elternhause hat auch später meistens die Anfälle mobilisiert. Dies 
wird verständlich werden, wenn wir weiter unten ihre sado-masochistisch-anale Libido¬ 
fixierung und ihr Verhältnis zur Mutter, also zum Über-Ich, näher beschreiben. Die 
Patientin wohnte mit der Mutter und einer älteren Schwester zusammen; der Vater 
war gestorben, als sie erst drei Jahre alt und die ältesten Geschwister dem Elternhause 
schon entwachsen waren. 

Die erste Reaktion der Patientin, die den verdrängenden Faktor ins Licht stellte, 
war das schon in der ersten Analysestunde hervortretende Schamgefühl. Als ich 
sie nämlich, sobald sie mir ihren Vornamen genannt hatte, nach einem zweiten 
fragte, errötete sie und gab zögernd das Vorhandensein eines solchen zu. Dieser 
zweite Vorname sei aber so unschön, ihre Mutter besitze den gleichen. Wir sehen schon 
hier die Identifizierung mit der Mutter durch Schamgefühl verdrängt. Später 
zeigte sich, daß sie in der Nähe der Mutter sogar das Gefühl hatte, an dieser sei 
etwas Schmutziges, an das sie nicht rühren könne. 

Das Verhältnis der Patientin zur Mutter war stark ambivalent, der Haß trat 
dabei in den Vordergrund. Nur unmittelbar nach den Anfällen fühlte die Patientin 
sich besser und sympathisierte mit der Mutter. Sie selbst nahm wahr, daß die 
Anfälle mit diesem Gefühlswechsel in Zusammenhang standen. Erst wenn sie 
sich, ohne mit der Mutter ein Wort zu reden, wieder mit Haß gegen diese 
vollgeladen hatte, kam ein Anfall zum Durchbruch. Sie sagte, daß sie auch kurz 
vor dem Anfalle das Gefühl habe, als wenn sie etwas Verbotenes getan und Strafe zu 
erwarten hätte; dieses deutliche Schuldgefühl und Strafbedürfnis läßt annehmen, daß 
sie in ihren Anfällen ihren Haß auslebte und dabei ihre Aggressivität gegen sich selbst 
richtete. Auch das Verhalten der Mutter gegen die Tochter war aggressiv. Die Patientin 
wurde, um nur ein Beispiel zu erwähnen, im elften Lebensjahre von der Mutter 



















Ein Beitrag zur Psychoanalyse des epileptischen Anfalls 


545 


derart mit einem Riemen geschlagen, daß sich die ältere Schwester ins Mittel legen 
mußte. Es ist dabei bemerkenswert, daß die Patientin unmittelbar nach dieser Er¬ 
innerung assoziiert, wie ein Student vor zwei Jahren sie zu vergewaltigen versuchte. 
Also das Prügeln der Mutter xmd der Koitusversuch des Studenten sind in einem 
nahen Assoziationszusammenhang. Noch während der Analysezeit hatte sie keine 
Ahnung von ihrer Vagina und fragte mich mehrmals, was der Student eigentlich 
mit ihr vorgehabt habe. Gleichzeitig studiert sie populäre medizinische Bücher, 
um diese anatomischen Rätsel zu lösen. Schon als kleines Kind erinnert sie sich 
Onanie geübt zu haben, aber nur in analer Form: sie suchte dabei das Klosett mehr¬ 
mals am Tage auf und versuchte „mit so wenig Papier wie möglich zurecht¬ 
zukommen“. 

Die Patientin mußte abends immer wieder ihr Bett verlassen, um zu urinieren. 
Auch in der analytischen Situation empfand sie Harndrang. Zu Hause im Bette 
liegend, versuchte sie den Harndrang, wie sie sagte, dadurch niederzukämpfen, daß 
sie ihre Hände gegen die Genitalien preßte. Bei der Erzählung dieser Form der 
Onanie erwähnt sie, daß auch die Zuckungen in den Armen und Füßen abends im 
Bette über sie kommen. 

Schon als kleines Kind nahm sie oft in den Abort eine Rute mit und schlug sich 
damit aufs Gesäß. Sie erinnert sich auch, abends im Bett phantasiert zu haben, daß 
Heinzelmännchen sie aufs Gesäß schlügen, welches sie, um die Phantasie noch lebhafter 
zu gestalten, entblößte. Als Kind fürchtete sie sich auch immer vor Gewitter und 
bat die Mutter eindringHch, vom Fenster wegzugehen. 

Im Zusammenhang mit masochistischen Schlagephantasien assoziiert die Patientin 
typische Kastrationsphantasien und danach folgendes frühe Geschehnis: Sie saß auf 
dem Schoß der Mutter in der Küche, die Mutter stillte sie und aß auch selbst von 
einem Teller auf ihren Knien. Ein älterer Bruder der Patientin rief der Mutter 
nun eine häßliche Bemerkung zu, über die sich diese so aufregte, daß sie plötzlich 
einen „Nervenanfall“ bekam und stark zu schreien begann. Das Kind wurde durch 
diesen Vorgang von der Mutterbrust plötzlich losgerissen. Bei der Erzählung dieser 
Erinnerung, welche nicht verdrängt gewesen war, bekam die Patientin wieder 
schwere Zuckungen. 

Der starke Haß gegen die Mutter kann auch zum Teil darin seine Ursache haben, 
daß sie von der Mutter nicht genügend an der Brust gestillt wurde. (Ich verweise 
auf Freuds Arbeit „Über die weibliche Sexualität“.) Auch gegen den Bruder, der 
den vorerwähnten Anfall der Mutter veranlaßt hatte, empfand sie ihr ganzes 
Leben lang ein ganz besonders ausgeprägtes Haßgefühl. Jene orale Versagung mo¬ 
bilisierte noch als Erinnerung in der Analyse den Kastrationskomplex. Beide, die 
orale Versagung und der Kastrationskomplex, stehen also in engem Assoziations¬ 
verhältnis zueinander. Wenn sie in der analen Phase die Scybala trotzig zurück¬ 
halten wollte, war der von Anfang an orale Haß schon auf die anale Zone verschoben 
und mit dem Kastrationskomplex eng verknüpft. 

In der frühen Obstipation kam eine Phantasie vom analen Koitus zum Ausdruck, 
in welchem die Scybala den Penis, aber auch eine Mordwaffe darstellten. Als Penis 
will sie sie zurückhalten, vor der Mordwaffe hat sie Todesangst. 

Die Libido ist stark anal fixiert. Die Onanie war in der frühen Kindheit anal. 















546 


Yrjö Kulovesi 


In der Kindheit ist sie schwer obstipiert gewesen und sie erinnert sich, daß man 
ihr häufig Laxantien gegeben hat. Als Kind bildete sie anale Phantasien von der 
Geburt und hatte auch Angst vor dem analen Koitus. (Auf dem Lande und in 
kleineren Städten in Finnland sind die Klosette in doppelter Mannshöhe errichtet, 
man muß zu ihnen über eine Treppe wie zu einem ersten Stockwerk hinaufgehen. 
Die Exkremente fallen also drei bis vier Meter tief hinunter. Saß die Patientin als 
Kind nun auf einem solchen erhöhten Klosett, so hatte sie immer die Angstvor¬ 
stellung, daß da unten aus der Tiefe ein Mann ihr etwas Böses zufügen könne; die 
gleiche Angst hatte sie vor Ratten.) Daß die Onanie sich später auf den Urinier¬ 
zwang verschob, wird wenigstens teilweise aus einem Traum verständlich, in dem sie 
einen von nackten weiblichen Figuren aus Stein gebildeten Springbrunnen sieht. 
Sie fügte hinzu, daß diese Traumfiguren die edelste Angst des Weibes, nämlich die 
des Geburtsaktes darstellen. Die nackten weiblichen Steinfiguren des Springbrunnens 
sind in ihrem Traume der erigierte Zustand bei der urethralen Onanie und auch 
Ausdruck des Geburtsaktes, den die Patientin stets als einen analen Vorgang phan¬ 
tasiert hat. Urethrale und anale Zone sind ganz nahe beieinander. Nachdem die Pa¬ 
tientin von ihrem Urinierzwang erzählt hat, den sie abends nach dem Schlafengehen 
empfindet und gegen den sie durch Druck ihrer Hände auf die Genitalien ankämpft, 
assoziiert sie unmittelbar darauf die Zuckungen in den Armen und Füßen. 

Zu den früheren Phantasien des Geschlagenwerdens assoziiert sie ein Ereignis, bei 
dem sie wahrscheinlich zum ersten Male ihre eigene Penislosigkeit erkannte. Sie 
erinnert sich, daß sie mit vier Jahren mit einem gleichaltrigen Knaben auf einem 
Sandhaufen spielte und seitdem den Knaben in allen Dingen nachahmte, sogar in 
seiner fehlerhaften Sprechweise. In einem Traum während der Analyse taucht die 
Erinnerung wieder auf, daß ihr einmal beim Spiel auf dem Sandhaufen ein Gegen¬ 
stand verlorengegangen sei. Und in mehreren anderen Träumen wiederholt sich 
immer wieder dasselbe Suchen nach einem verlorengegangenen Gegenstand. Fol¬ 
gender Traum spricht für die Versuche zur Lösung des Problems, vor welches sie die 
Wahrnehmung ihrer Penislosigkeit gestellt hat: Sie träumt, daß sie mit einem Weib 
koitiert und selbst die Lage des Mannes dabei einnimmt. Im gleichen Traum tauscht 
sie dann die Stellung so, daß sie von einem Weib koitiert wird. An den Genitalien 
der beiden wächst ein Pilz heraus. Bei der Wiedergabe des Traumes stellen sich 
die Zuckungen in den Armen erneut ein. Als sie nach Beendigung dieser Stunde^ 
dem Analytiker das Honorar übergibt, bricht sie ganz plötzlich wie von einem 
Blitz geschlagen zusammen, so daß sie sich in der Hocke am Boden befindet; sie 
steht aber sofort wieder auf. 

Über die Lust, die Hände gegen das Genitale zu pressen, die die Patientin abends 
im Bette überkommt, berichtet sie folgendes: „Wenn ich abends die Augen schließe, 
wird es mir übel. Dann ist es für meine Hände schwer, den richtigen Platz zu 
finden, sie wollen notwendigerweise etwas zu tun haben. Ich beiße mich in die 
Lippen und kneife mich in die Oberschenkel, auf diese Weise entsteht ein Schmerz, 
der mich irgendwie erleichtert.“ 

Sie erinnert sich auch, wie wohl es ihr war, als sie einmal wirklich körperlich 
krank zu Bett lag, und wie schnell es mit diesem Sichwohlfühlen wieder vorbei war, 
als sie genas. 

In ihren Träumen wiederholt sich die Koitusphantasie immer wieder als blutige 
















Ein Beitrag zur Psychoanalyse des epileptischen Anfalls 


547 


Mor^at. Wichtig ist besonders folgender Traum, weil sich darin auch die Wirkung 
der Wahrnehmung ihrer ersten Menstruation offenbart: 

,yEin Chinese verkauft auf der Straße Zeitungen. Dann tritt er in ein Zimmer; 
dort heschafUgt er steh aber mit irgendeiner verbotenen Arbeit und vier Männer fallen 
deshalb über ihn her. Einer von ihnen bleibt beiseite, während die drei anderen dem 
Chinesen ihre Revolver an die Stirne setzen und ihn niederschießen. Ich selbst liege 
krank zu Bette und betrachte von hier aus diese Vorgänge. Mir träumt noch weiter, 
daß ich das Bett verlasse und merke, daß ich die Menstruation bekommen habe.** 

An dieser Stelle weise ich noch darauf hin, daß sich bei beiden hier angeführten 
Patienten die Koitusdarstellung von unten nach oben verschiebt. 

Bei der Analyse dieses Traumes bekam die Patientin starke Zuckungen über den 
ganzen Körper. 

Der Chinese im Traume ist sie selbst. Ein paar Tage vorher hat sie einen 
chinesischen Händler auf der Straße gesehen. Sie hält sich selbst für häßlich. In 
deni Traume wird sie als schmutziger häßlicher Chinese, wie sie sich als sexuelles 
Individuum mit der Mutter identifiziert hat, niedergeschossen. Die Männer im 
Traume sind ihre vier Brüder, von denen der eine beiseite Stehende auch in der 
Wirklichkeit eine Ausnahmestellung bei ihr einnimmt. Nach der Erschießung steht 
sie ihm Traume auf und träumt weiter, daß die Menstruation eingetreten sei. In 
der Wirklichkeit mobilisierte die Betrachtung des Blutes der ersten Menstruation 
die unbewußte Phantasie vom Koitus als Mordtat und veranlaßte so bei ihr den 
ersten epileptiformen Anfall. 

Die Todesphantasien und die Todeswünsche, die sie besonders gegen die Mutter 
hegte, sind der Patientin von Kindheit an eigen gewesen. Schon als kleines Kind, 
als sie noch an den Rockschößen der Mutter hing, hatte sie stets Furcht, daß die 
Mutter plötzlich sterben könne. Die Furcht vor dem Gewitter haben wir schon 
erwähnt; sie mußte auch immer an das Bett der Mutter gehen, um sich zu über¬ 
zeugen, daß die Mutter auch wirklich atmete. All dies ist leicht zu verstehen, 
wenn wir uns ihre frühen Koitusphantasien als Mordphantasien denken. 

W^ährend der Zeit der Analyse las sie einmal in einer Zeitung von einem 
Epileptiker, der in einen Brunnen gefallen und ertrunken war. Die folgende Nacht 
wiederholt sich im Traume dieselbe Szene, die sie nach obiger Erzählung bei dem 
Nervenanfall der Mutter schon als Brustkind erlebt hat. Dieser Anfall der Mutter 
scheint also auch in ihren unbewußten Phantasien deren Tod zu repräsentieren. 
Die Plötzlichkeit ihres eigenen Anfalles wie auch die Gleichsetzung des ganzen An¬ 
falls mit dem Tod ist auch von dieser Seite determiniert. 

In der Zeit der Analyse starb derjenige ihrer Brüder, gegen den sie häufig 
Todeswünsche gehegt hatte und der in der Küchenszene die häßliche Bemerkung 
seiner Mutter gegenüber gemacht hatte. Als sie die Nachricht von dem Tode des 
Bruders erhielt, verfiel sie sofort in einen epileptiformen Anfall. 

Nach diesem Ereignis traten auch sado-masochistische Phantasien reichlich 
hervor. Sie träumt von Soldaten, die ihre Füße so peitschten bis sie bluteten, ferner 
wurde sie in Träumen von der Mutter mit der Rute geschlagen usw. 

Die Übertragung in der Analyse war meistens negativ, sie äußerte sich in dem 
gleichen trotzigen Schweigen vor dem Analytiker wie sonst vor der Mutter; dabei 
hatte sie den schon erwähnten Harndrang. Als ihr masochistischer Wunsch, von dem 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XX/4 


37 











548 


Yrjö Kulovesi 


Analytiker geschlagen zu werden, analysiert wurde, bekam sie wieder heftige plötz¬ 
liche Zuckungen über den ganzen Körper. Am Abend desselben Tages wurde ihr, 
wie sie sagte, zu Hause übel, und als sie im Bett lag und das Licht gelöscht war, be¬ 
kam sie einen Anfall. Seit dem letzten epileptiformen Anfall waren damals drei 
Monate vergangen. Die Anfälle waren in der Zeit der Analyse viel seltener ge¬ 
worden und die Krankheit äußerte sich nur in den Zuckungserscheinungen. In 
derselben Nacht, als sie diesen letzterwähnten Anfall bekam, träumte ihr, daß die 
Mutter gar kein Mitleid mit ihr zeigte, obgleich sie mit dem Selbstmord drohte. 
Die Versagung in der Analyse hat diesen Traum hervorgebracht. In dieser Zeit 
bekam sie zu Hause Öfters Nasenbluten und legte immer die blutigen Wattepfropfen 
so hin, daß die Mutter sie unbedingt sehen mußte, um aus dem Mitleid der Mutter 
einen sekundären Krankheitsgewinn zu ziehen. 

Im ersten der beiden hier dargestellten Fälle ist die Libido typisch anal fixiert 
und die passiv-feminine Einstellung gegen den Vater offensichtlich. Der Anfall 
bedeutet den analen Koitus, gleichzeitig aber auch eine blutige Mordtat, also den 
Tod. Hier sind sowohl Koitus als auch Tod in der gleichen Phantasie vereinigt. 

Im zweiten Falle war es anfänglich etwas schwerer zu entscheiden, ob die Pa¬ 
tientin schon die genitale Phase erreicht hatte. Alle frühen Äußerungen der Libido 
wiesen auf eine anale Fixierung: die frühe Onanie war anal und mit masochistischer 
Perversität vereint. Erst später ist diese anfänglich anale Onanie zur urethralen 
Zone und durch den Druck der Hände gegen die Genitalien gewissermaßen in die 
genitale Zone verschoben worden. Von der Vagina hat die Patientin während der 
Zeit der Analyse noch keine Ahnung. Es kann also gesagt werden, daß auch hier 
die anale Zone dominierend ist. 

In der analytischen Situation konnte nie ein epileptiformer Anfall hervorgerufen 
werden. Statt dessen zeigten sich plötzliche Zuckungen in den Extremitäten und 
auch im ganzen Körper, sobald die miteinander eng verknüpften Koitus- und Ka¬ 
strationsphantasien mobilisiert waren. Der Koitus bedeutete im Unbewußten eine 
blutige Mordtat, also auch Kastration. Die Patientin hat schon früh die masochisti¬ 
sche Einstellung angenommen und Schmerzlust gefühlt. Das Verhältnis des Ichs 
zum Über-Ich war das des moralischen Masochismus. 

Der erste epileptiforme Anfall erfolgt an dem Morgen, an welchem sie der 
Menstruation gewahr wird. In dem Traume von dem in den Kopf geschossenen 
Chinesen wiederholt sich die Wahrnehmung des ersten Menstruationsblutes und 
damit die Phantasie vom Koitus als einer blutigen Mordtat. Bei der Analyse dieses 
Traumes treten die Zuckungen auf. Wir können also sagen, daß die Koitus¬ 
phantasie vielfach als Phantasie des Getötetwerdens determiniert ist. Der anale 
Koitus bedeutet hier ebenso wie im ersten Falle das Getötetwerden. 

Betrachten wir noch das Verhältnis des Ichs zum Über-Ich. Dieses Verhältnis, 
d. h. der moralische Masochismus hat sich eigentlich niemals sehr weit von seiner 
körperlichen Grundlage fortentwickelt. Der körperliche Charakter dieses Ver¬ 
hältnisses steht dauernd im Vordergrund, und gerade das rein somatische Gefühl in 
der analen Zone verschiebt sich auf die anderen Muskelgebiete. Obgleich der anaJe 
Koitus auch das Getötetwerden bedeutet, ist es doch möglich, daß die Todes¬ 
phantasie in ihrer archaisch-lebendigen Tiefe den epileptiformen Anfall hervor- 
rufen kann. Vor dem Anfalle steigert sich das Sich-voll-Laden mit Haß gegen die 


j 















Ein Beitrag zur Psychoanalyse des epileptischen Anfalls 


549 


Mutter immer mehr, die Patientin hat Todeswünsche gegen die Mutter, sie identi¬ 
fiziert sich gleichzeitig mit der Mutter. Die Folge ist, daß sie den Tod gegen sich 
selbst richtet. Hier entsteht die Trieblegierung aus dem sexuellen Wunsch, koitiert 
zu werden, aus dem Haß gegen die Mutter und schließlich aus dem Strafbedürfnis 
zur Sühnung der Schuld. Das Über-Ich desexualisiert diese Trieblegierung immer 
mehr und drängt den Haß, der sich dann im Anfall auslebt, immer stärker in den 
Vordergrund. 

In der Gewissensangst der Patientin, die offensichtlich unter der Wirkung ihres 
Schuldgefühls steht, spielt die Kastrationsbedeutung eine weit entscheidendere 
Rolle als zum Beispiel in der Gewissensangst des Zwangsneurotikers. Das Symptom 
zeigt sich dann auch körperlich. 

Krankheitsfälle wie diese beiden sind geeignet darzutun, daß das Verhältnis des 
Ichs zum Über-Ich sich ursprünglich in einem rein körperlichen Gefühl ausdrückt. 
Auch später, zur Zeit der Gewissensangst, wird noch dieses körperliche Gefühl als 
Sphinkterangst mobilisiert. Der Kastrationskomplex mit allen dazugehörigen Phan¬ 
tasien hat dem Koitus die Bedeutung einer blutigen Mordtat gegeben. Dieses auch 
in den Träumen so typisch symbolisierte Getötetwerden zeigt sich auch am tiefsten in 
dem Verhältnis des Ichs zum Über-Ich. Dieses Verhältnis ist also anal und sado¬ 
masochistisch. Beide Triebe, sowohl der Sexualtrieb als auch der Haß, spielen hier 
gleichzeitig ineinander und beide werden auch im Anfalle befriedigt. Der Anfall 
bedeutet also ebenso Orgasmus wie Tod. 


Zur Erniedrigung des Liebesobjektes 

Von 

Ludwig Eideiterg 

Wien 

In der Arbeit „Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens“ hat Freud 
eine Form von Potenzstörung beschrieben, die den Mann bei der ihm gleichwertigen 
Frau befällt, während er bei einer sozial unter ihm stehenden, „erniedrigten“ Frau 
voll potent ist. Diese Störung ist durch eine Spaltung zweier Strömungen, der sinn¬ 
lichen und zärtlichen, entstanden und hängt ursächlich mit starken Kindheits¬ 
fixierungen und der realen Versagung durch die Inzestschranke zusammen. Diese 
Funde wurden von zahlreichen analytischen Forschern bestätigt. Auf Grund von 
langjährigen Analysen kasuistisch differenter Patienten, die aber alle an dieser Form 
von Potenzstörung litten, habe ich einige Momente gefunden, die mir als Ergänzung 
der Freudschen Formulierung erscheinen. 

Ich möchte als Beispiel zwei kurze Auszüge aus Krankengeschichten mitteilen, in 
denen ich, ohne das Material ausführlicher vorzubringen, das an anderer Stelle zu¬ 
sammenhängend dargestellt wird, nur die Ergebnisse kurz skizzieren werde. 

3 ^ 











550 L udwig Eidelberg __ 

Fall I; Ein Masochist. Das Sexualleben des 30jährigen Patienten sah vor Beginn 
der Analyse folgendermaßen aus: Er hatte eine langdauernde, anscheinend ziemlich 
gute Beziehung zu einer viel älteren Frau, bei der er potent war und die er wegen 
ihrer Klugheit, Lebenserfahrung und ihres hohen Gesellschaftsranges schätzte; ander¬ 
seits hatte er seltenen Verkehr mit schmutzigen Prostituierten und drittens einige 
„unglückliche Lieben“ zu schönen und klugen, „gleichwertigen“ Mädchen. Die Be¬ 
ziehung zu der älteren Dame, die zunächst als glücklich und harmonisch erschien — 
ein Eindruck, der durch die sonst zahlreichen Konflikte des Patienten verstärkt 
wurde — hatte bei näherer Betrachtung doch einen Haken. Patient hatte während 
dieser Beziehung, oft knapp vor oder nach dem Koitus, das Bedürfnis, zu onanieren, 
gab auch meistens diesem Wunsch nach. Seine Onanie-Phantasien waren rein maso¬ 
chistisch, er wurde in ihnen von Frauen, die meistens mit einem Penis ausgestattet 
waren, mit Stuhl und Urin beschmiert. 

Nachdem nach langjähriger Analyse die „unglücklichen Lieben“ als Folge seines 
„masochistischen Mechanismus“^ und nicht der „bösen“ Außenwelt erkannt wurden, 
ergab sich für den Patienten die Notwendigkeit, entweder ein Verhältnis mit einem 
gleichwertigen Mädchen anzuknüpfen, oder eine andere Begründung für sein Ver¬ 
sagen zu finden. Der Patient versuchte zuerst, seine „Weltanschauung“ durch die 
These, daß jeder Koitus, der nicht zur Zeugung eines Kindes führe, eine Sünde sei, 
zu retten. Aus realen Gründen war aber auf lange Sicht keine Möglichkeit zur Auf¬ 
zucht eines Kindes gegeben. Endlich mußte der Patient durch den Hinweis auf seine 
Beziehungen zu den Prostituierten und der älteren Frau zur Einsicht kommen, daß 
er den Verkehr mit gleichwertigen Mädchen vermeiden müsse, da ihm auf Grund 
der Analyse der wahre Inhalt seiner Sexualwünsche klar geworden sei. 

Als im Laufe der Analyse diese verpönten Sexualwünsche als Abwehr des „nega¬ 
tiven“ Ödipuskomplexes erkannt wurden, als dem Patienten die Bedeutung seines 
Mastdarmes als Vagina einzuleuchten begann, konnte er zum ersten Mal in seinem 
Leben mit einem gleichwertigen Mädchen eine Beziehung anknüpfen. Es zeigte sich 
nun, daß seine Potenz, die noch immer etwas labil war und nicht zu vollem Orgas¬ 
mus führte, durch jede Verstärkung der Identifizierung mit seiner Freun¬ 
din gestört wurde. Diese Identifizierung, die bereits eingehend analysiert worden 
war, bildete einen der Gründe der Eifersucht des Patienten; sie trat auch während 
des sexuellen Verkehres auf. Die Analyse konnte erheben, daß jede Sexualerregung 
die Tendenz zur Identifizierung mit seiner Freundin verstärkte, wobei der aus dem 
negativen Ödipuskomplex stammende weiblich-passive Triebwunsch in dieser Iden¬ 
tifizierung seine Befriedigung in maskierter Form erreichte. Unter dem Anschein 
einer aktiven männlichen Betätigung im Sexualverkehr konnte die sonst abgewehrte 
passiv-homosexuelle Strebung das Ich überrumpeln und befriedigt werden, indem 
der Patient während des Koitus vorwiegend die Lustgefühle seiner Freun¬ 
din genoß. Da dieser Sachverhalt nur das Ich, nicht aber das Über-Ich täuschen 
konnte, reagierte er mit Schuldgefühlen. Das Ich verspürte die Schuldgefühle, ohne 
ihren wahren Grund zu wissen und verstand sie als Folge des Koitus. Weil dem Pa¬ 
tienten nur die männliche Rolle bewußt war, gab er ihr alle Schuld und glaubte, daß 

i) Näheres in meiner Arbeit „Beiträge zum Studium des Masochismus". Int. Ztschr. f. Psa., 
XX, 1934. 




















_Erniedrigung des Liebesobjektes 551 

jeder Koitus mit Schuldgefühlen verbunden sein müsse, während in Wirklichkeit die 
Schuldgefühle nur wegen der weiblichen unbewußten Lustempfindungen ausgelöst 
wurden. Um diese Schuldgefühle zu vermeiden, wich der Pat. jedem Koitus mit 
einem gleichwertigen Mädchen aus. Beim Koitus mit schmutzigen Prostituierten 
traten die Schuldgefühle nicht auf, da er sich mit ihnen nicht identifizierte. Ihr 
Schmutz und ihre soziale Stellung schützten ihn gegen die sonst unbewußt ein¬ 
setzende Identifizierung. Da er selbst seine passiven, aus dem negativen Ödipus¬ 
komplex stammenden Wünsche abwehrte, war ihm eine Bejahung dieser Wünsche 
unfaßbar. Die Frau erschien ihm nicht als ein anderes Wesen, das anderen Gesetzen 
gehorcht, sondern als kastrierter, also „analer“ Mann. Die schmutzige Prostituierte 
paßte in diesen Rahmen und zeigte dem Patienten die Folgen einer Bejahung der 
passiven Hingabe. Die Tatsache, daß anständige Frauen koitieren, erschien ihm 
unheimlich.“ Er mußte zwar zugeben, daß seine Mutter koitiert hatte, versuchte aber 
die Enttäuschung dadurch abzuschwächen, daß er das Vorhandensein einer Befriedi¬ 
gung bei ihr negierte. 

Wie ist nun seine Beziehung zu der älteren Dame zu verstehen? Weshalb hatte er 
dort keine Schuldgefühle? Die Analyse ergab, daß diese Dame nicht, wie man zu¬ 
nächst glauben würde, Mutter-Imago, sondern vor allem Vater-Imago war. So wie 
bei den Prostituierten ihr Schmutz und ihre erniedrigte Stellung ihn vor der 
Identifizierung schützten, so bewirken hier der hohe gesellschaftliche Rang, die Lebens¬ 
erfahrung und Klugheit die Identifizierung. Tatsächlich hatte sich Patient eine 
vollständige Identifizierung mit dem Vater nicht gestattet, er erschien ihm vielmehr 
als ein mächtiges und weit über ihm stehendes Wesen. Eine Reihe von Eigenschaften, 
die sein Vater hatte, bzw. — was noch wichtiger war — haben sollte, fand er bei dieser 
Dame wieder. Während er jeder Vaterimago ängstlich aus dem Wege ging oder die 
Gefahr einer passiv homosexuellen Beziehung durch den „masochistischen Mechanis¬ 
mus“ abwehrte, konnte er hier ohne Gefahr seine Passivität genießen, da es letzten 
Endes doch nicht der Vater, sondern eine Frau war und der Koitus ihm seine männ¬ 
liche Rolle demonstrierte. Durch den Koitus mit dieser Frau konnte er den passiv¬ 
homosexuellen Wunsch negieren und sich sagen: „Es ist nicht wahr, daß ich vom 
Vater koitiert werden will, im Gegenteil, ich koitiere den Vater.“ Da aber die mäch¬ 
tige passive Komponente seiner Libido durch diesen Koitus nicht befriedigt werden 
konnte, war Patient zur Onanie gezwungen. 

Fall II: Ein ambivalenter Charakter. 

Der Patient, der eine längerdauernde Beziehung zu einer etwas älteren berufs¬ 
tätigen Frau X hatte, kam in Analyse, als er sich bei einer anderen Frau Y, die beson¬ 
ders hübsch war und mit der er sich gut verstand, als impotent erwies. Er hatte 
vorher außer der Beziehung zur Frau X mit einer Reihe von Frauen Koitusversuche, 
die nur ausnahmsweise und unvollkommen gelangen, unternommen. Diese Mi߬ 
erfolge ertrug er ohne großen Ärger und tat nichts, um sie zu beseitigen. Sein Mi߬ 
erfolg bei Frau Y aber deprimierte ihn tief. In der Analyse zeigte es sich, daß der 
Patient die Tendenz hatte, alle Frauen, mit denen er gelegentlich Koitusversuche unter¬ 
nahm, auf irgend eine Weise zu erniedrigen. Nicht daß er diese Erniedrigung be¬ 
wußt, etwa in sadistischer Art, durchführte, er begnügte sich mit der vagen Emp- 

2) Bezüglich des Problems des Unheimlichen sei auf die Arbeit E. Berglers „Das Un¬ 
heimliche“ verwiesen. Erschienen im Int.. Journal of Psa., XV, 1934. 












552 


Ludwig Eidelberg: Zur Erniedrigung des Liebesobjektes 


findung, daß die sich ihm hingehende Frau irgendwie minderwertig sei. Einmal war 
ihre Intelligenz dürftig, dann wieder hatte der sonst vollkommene weibliche Körper 
einen kleinen Fehler, kurz, der Patient fand immer etwas, das er kritisieren konnte. 
Da diese Kritiken meistens nach einem Koitus stattfanden, sah es so aus, als ob der 
Patient eine Entschuldigung für das Mißlingen des Koitus suchen würde. Bald aber 
zeigte es sich, daß in jenen Fällen, in denen Patient einen „Fehler“ der Frau rechtzeitig 
entdeckt hatte, der Koitus besser gelang. Schließlich ergab die Analyse, daß der 
Patient diese Tendenz auch bei Frau Y hatte, daß ihm aber dort ihre Verwirk¬ 
lichung nicht gelang. Der Patient hatte nicht die Fähigkeit, seine Wünsche sozusagen 
ins Leere zu projizieren, er war psychisch gezwungen, die realen Verhältnisse dabei 
mit zu berücksichtigen. Bei den Vorgängerinnen der Frau Y war ihm dies auch 
restlos gelungen, während hier das reale Objekt dieser Erniedrigungstendenz nicht 
entsprach. Dafür war es für seine, aus dem negativen Ödipuskomplex stammenden 
weiblichen Identifizierungswünsche vorzüglich geeignet. An Hand eines reichen Ma¬ 
terials wurde in der Analyse diese Identifizierung immer wieder bewiesen. Die Er¬ 
niedrigungstendenz bedeutete den Versuch, diese Identifizierung zu verhindern, 
um dann bei ihrem Fehlen den Koitus vollziehen zu können. Das Vorhandensein der 
Identifizierung, d. h. das Anschwellen der Wünsche, koitiert zu werden, wo bewußt 
lediglich der Wunsch zu koitieren verwirklicht werden sollte, zog die meiste Libido 
an sich, verminderte dadurch die Intensität der männlichen Strebung. Gleichzeitig 
reagierte das Über-Ich auf den maskierten Versuch, die Befriedigung in der passiven 
Rolle zu erreichen, mit Schuldgefühlen. Dem Ich blieb der Vorgang unverständlich, 
mit Trauer nahm es zur Kenntnis, daß es gerade bei der geliebten Frau zur Untätig¬ 
keit verurteilt blieb. Der Ausweg, den der erste Patient beschritt, war hier aus be¬ 
stimmten Gründen, die ich in der ausführlichen Publikation besprechen werde, nicht 
möglich. Die Untersuchung der Beziehung zur Frau X. ergab, daß diese eine ganze 
Reihe von Eigenschaften des Vaters hatte. Der Koitus mit ihr konnte stattfinden, da 
die Identifizierung mit ihr wegen dieser Eigenschaften für den Patienten unmöglich war. 
Gleichzeitig bedeutete dieser gelungene Koitus eine Abwehr und auch Befriedigung 
der passiv-homosexuellen Beziehung zum Vater. 

Die aus der Identifizierung mit der „kastrierten Mutter“ stammende passive Strö¬ 
mung konnte in diesem Koitus aber nicht befriedigt werden. Deshalb onanierte 
Patient während dieser Beziehung oder versuchte immer wieder mit anderen Frauen 
zu koitieren. 















I 


VORLÄUFIGE MITTEILUNGEN 

Ifi dieser Rubrik erscheinen die Beiträge in der Reihenfolge ihres Einlaufes hei der Redaktion 


URWAHRNEHMUNGEN, INSBESONDERE AUGENLEUCHTEN UND LAUT- 
VERDEN DES INNEREN 
Vortrag von Imre Hermann, 

gehalten in der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung am 20. Oktober 1933 

Unter Urwahrnehmungen möchte ich solche Wahrnehmungen verstehen, welchen 
das Kleinkind ausgesetzt ist, welche aber später aus äußeren oder inneren Gründen 
ausfallen. Als Beispiel einer Urwahrnehmung erster Art soll die Wahrnehmung des 
Geruches, der der Genitalgegend des Erwachsenen entströmt, angeführt werden, 
welchem das Kind, das mit seiner Nase in der Genitalhöhe sich bewegt, stets aus¬ 
gesetzt ist, das größere Kind und der Erwachsene hingegen, eben den Größen¬ 
verhältnissen zufolge, nicht. Als Beispiel einer Urwahrnehmung zweiter Art soll 
die Inversion räumlicher Verhältnisse dienen, infolge welcher das Kleinkind vor¬ 
gewölbte Dinge gehöhlt sehen kann, das größere Kind und der Er¬ 
wachsene hingegen die Raumdaten eindeutig aufarbeiten und nur mit Mühe 
und Absicht die Inversion erleben können. Die Urszene ist eine verwickelte Menge 
von Urwahrnehmungen erster und zweiter Art. Im folgenden sollen zwei Ur¬ 
wahrnehmungen skizziert werden, deren Folgen sich in den Widerständen während' 
einer Psychoanalyse ertappen lassen^ und die beide mit verschiedenen Angst¬ 
zuständen verwoben werden können. Gegen das Auftauchen beider wird im 
reiferen Seelenleben ein ständiger Kampf geführt. 

I. Augenleuchten. Der die Wirkung des plötzlichen Aufleuchtens in den 
Augen des Gegenüberstehenden erfahren will, muß es selbst erfahren wollen. Leicht 
gelingt dies bei künstlicher Beleuchtung in den Augen des Kleinkindes, wo bei ge¬ 
wisser Beleuchtungsrichtung und nicht auf den Beobachter akkomodierten Augen 
an der Stelle der schwarzen Pupille ein rötliches Licht erscheint. Die desorientierende 
Wirkung dieser Wahrnehmung läßt es verstehen, daß der Erwachsene Situationen, 
in welchen er dieser Wahrnehmung ausgesetzt wäre, entschlüpft, und die ganz 
flüchtige Errötung der Pupille des Gegenüberstehenden nicht zu seinem Bewußt¬ 
sein gelangen läßt. Wir können die Situation, in welcher das Kleinkind die Augen des 
Gegenüberstehenden auf leuchten sieht, angeben: Das Kind sitzt auf dem Schoß eines 
Erwachsenen (Mutter), das Licht kommt von seiner Rückseite; in gewisser Ent¬ 
fernung befindet sich ein anderer Erwachsener, Gesicht gegen das Licht und dem 
ersten Erwachsenen (Mutter) zugekehrt, auf diesen akkomodierend. Direkte Er¬ 
innerung dieses Erlebnisses fand ich noch keine, hingegen mehrere Deckerinnerungen. 
( 2 . B. eine Zigeuner-Amme, mit feurigen, schwefelartige Flammen werfenden Augen. 
— Grün leuchtende Augen der Lämmer, der Vater aber mit blitzenden Augen 
und mit feuerspeiendem Munde im wütenden Zorn, — Rot leuchtende, Furcht und 

i) Hermann, Die Psychoanalyse als Methode. Int. Psa.-Verl. 1934, Abschnitt: Wider¬ 
stände. 












554 


Vorläufige Mitteilungen 


Abscheu auslösende Augen der Katzen und blutunterlaufene Augen und erröteter 
Kopf des zürnenden Vaters.) 

Kulturhistorisch ist die Bekanntschaft des Menschen mit dieser Erscheinung leicht 
nachzuweisen.^ Die ganze wissenschaftliche Optik der Antike baut sich auf die 
Annahme des Feuer ausströmenden Auges auf. Noch Goethes Farbenlehre ist eine 
Regression zu dieser. („Solche Erscheinungen sind desto angenehmer überraschend, 
als sie gerade, wenn wir unser Auge bewußtlos hingeben, am lebhaftesten und 

schönsten sich melden“ — sagt er in den Nachträgen zur Farbenlehre, auf Er¬ 

scheinungen hinweisend, welche als Deckwahrnehmung dieser Urwahrnehmung 
gelten können.) Die Mythen über die Fierkunft des Feuers — zusammengestellt 
von Frazer — sprechen eher für als gegen die Annahme, der primitive 

Mensch hatte das „Feuer“: Licht, Röte, Auf blitzen der Augen gekannt und 

gewertet. (Beim Koitus ist vom „Feuer“ höchstens die Warme, beim Reiben der 
Hände Wärme und Geruch wahrnehmbar.) 

Wir wissen, daß die Furcht vor dem Feuer bei den Säugetieren, so auch beim 
Affen instinktmäßig ist. Diese Furcht hat ihren Teil an der Schamröte, welche 
durch die entzündenden Augen des Gegenüberstehenden, dessen Blick man in der 
Schamreaktion meidet, hervorgerufen wird. Tierbändiger sprechen davon, daß sie 
in die Augen des Tigers schauen müssen, um sofort das Aufblitzen des grünen 
Lichtes, das Anzeichen eines Wutanfalles, bemerken zu können.^ Die Identifizierung 
des väterlichen Auges mit der Sonne (Abraham, Ferenczi) wird durch die 
Kenntnis dieser Urwahrnehmung nahegebracht. Die Ehrfurcht vor dem Kinde — 
in Analysen oft sehr auffallend {maxima dehetur puero reverentia) — kann auch 
darin eine Wurzel haben, daß in den Augen des Kindes aus physiologisch-opti¬ 
schen Gründen das Aufleuchten eher bemerkt werden kann als in denen des Er¬ 
wachsenen. Entscheidend im Erlebnis mag auch der Umstand sein, daß gewisse 
Affekte (Zorn, Angst) die Pupille erweitern und dadurch die Erscheinung auf¬ 
fallender machen. 

Manche Kindheitserlebnisse werden viel klarer und verständlicher, wenn wir 
diese Urwahrnehmung als Erlebnis einschalten. 

2. Das Lautwerden des Inneren. Bekannte Furchtmotive lauten: im Schlaf 
werde ich alles ausplappern, werde mich verraten; ich werde wahnsinnig und werde 
dann fortwährend schreien müssen. Die Furcht vor dem Aussprechen und vor dem 
Schreien ist in Träumen sehr exakt zu beobachten. Die manifesten Träume ent¬ 
halten überhaupt viel mehr Sprechstoff als gemeinhin angenommen oder erinnert 
wird, die Traumzensur greift am leichtesten eben die Rede im Traume an. Eine 
Art der Abwehr des inneren Lautwerdens im Traume ist die Anklammerung 
an gehörte oder gelesene Worte. Doch bei weiterer Analyse kann — wie ich dies 
bei vielen Träumen fand — diese Regel der Traumarbeit (Freud) aufgelöst und 
zum eigentlich befürchteten, dem Ich angehörenden Inhalt des Lautwerdens vor¬ 
gedrungen werden. Auch bei gewisser Übung und Entfernung der diesbezüglichen 
Widerstände wird aus dem manifesten Traum viel mehr Rede erinnert. 

Woher kommt diese Furcht vor dem Lautwerden des Inneren? (Die bewußte 

2) Vgl. auch Seligmann, Der böse Blick und Verwandtes. 1910. 

3) Bei Tieren mit „Tapetum" liegt allerdings physiologisch ein anderer Sachverhalt vor 
als beim Menschen. 



















Vorläufige Mitteilungen 


555 


oberflächliche Furcht vor Strafe ist hier nicht Gegenstand der Untersuchung.) 
Erstens bezeugt eine Erfahrung von früher Kindheit an, daß Gefahr und Krank¬ 
heit mit dem Lautwerden innerer Organ wie Herzklopfen, lautem Atmen, lauten Darm¬ 
bewegungen, Klopfen im Schädel, Ohrensausen als Einleitung eines Ohnmachts¬ 
anfalls, vergesellschaftet sind. Zweitens — und hier liegt die tiefere Urwahrnehmung 
— lassen äußere Störungsreize durch den Mo röschen Reflex, welcher eine schnelle 
Anspannung der neben dem Kopfe liegenden Arme verursacht, ein inneres Geräusch 
laut werden, welches wahrscheinlich von der Anspannung des Trommelfells stammt. 
Auch diese Urwahrnehmung ist dem Erwachsenen bei bewußt-geübter Beobachtung 
zugänglich. Der Mo rösche Reflex, also die erste organisierte Angstreaktion — 
mit der Bestrebung zur Anklammerung an die Mutter — geht mit einem inneren 
Weckruf einher. Von da an bedeutet inneres Laut wer den Angst, Hilflosigkeit und 
Gefahr. Es scheint besser zu sein, in visuellen Bildern zu träumen, auch wenn sie 
angsteinflößende Bilder sind, als in Lautbildern, denn erstere sind stets der Außen¬ 
welt zugewiesen und daher besteht prinzipiell eine Fluchtmöglichkeit, wohingegen 
durch das innere Lautwerden das Ich in die Gefahrzone hineingerissen wird, ohne 
prinzipiell einer Fluchtmöglichkeit versichert zu sein, da es sich selbst nie ent¬ 
fliehen kann. Dem entspräche die wahrnehmungspsychologische Tatsache, daß das 
Auge automatisch geschlossen werden kann, das Ohr hingegen nicht. 


ANGSTHYSTERIE, ANGSTNEUROSE UND RHEUMATISMUS. Ein kriti¬ 
scher Beitrag zu Freuds „Angstneurose“. 

Vortrag von Robert Fließ, 

gehalten in der New York Psychoanalytic Society am 24. April 1934. 

Wenn man Freuds klassische Arbeit aus dem Jahre 1895 „Über die Berechti¬ 
gung, von der Neurasthenie einen Symptomenkomplex als , Angstneu rose* abzu¬ 
trennen“ unter besonderer Berücksichtigung der angeführten Symptome liest, so sind 
manche von diesen heute zu streichen, weil sie nach unserem jetzigen Wissen nicht 
aktual-, sondern psychoneurotisch bedingt sind und — wie z. B. die folie du 
doute — der Zwangsneurose oder — wie z. B. die Agoraphobie — der (Angst-) Hysterie 
angehören. Von den in Freuds Aufzählung erwähnten Parästhesien wird ferner 
der Schmerz, insbesondere derjenige, welcher nach Freud „durch eine Art Kon¬ 
version ... auf die rheumatischen Muskeln“ zustande kommt, untersucht. Er wird 
als ein echter rheumatischer Schmerz, d. h. als ein Bewegungsschmerz, erkannt, 
welcher auftritt, sobald (organisch) rheumatisch veränderte Muskeln (willkürlich oder 
unwillkürlich) innerviert werden (s. unten!). Der Vortragende anerkennt die 
Existenz einer selbständigen nosologischen Einheit „Angstneurose“, deren Symptome 
dem größeren Teil der von Freud damals auf gestellten entsprechen und die ätiolo¬ 
gisch als Sexualstoffvergiftung aufzufassen ist. Das Symptomenverzeichnis Freuds 
enthält mithin Symptome zweier körperlicher Erkrankungen: Angstneurose und 
Rheumatismus, und zweier psychischer: Zwangsneurose und Angsthysterie. 

Würde ein klinischer Fall (von den zwangsneurotischen abgesehen) sämtliche von 
Freud aufgeführten Symptome aufweisen, so müßte man ihm statt der einen 
Diagnose „Angstneurose“ eigentHch drei Diagnosen zuerkennen: Angsthysterie, 










556 


Vorläufige Mitteilungen 


Angstneurose und Rheumatismus. Diese drei Diagnosen setzen aber drei ver¬ 
schiedene Ätiologien voraus und erfordern demgemäß drei verschiedene 
spezifische Therapien. 

Der Vortragende schildert nun einen solchen Fall (Ehefrau in der Menopause), 
Er vergleicht zunächst das recht schwere Zustandsbild dieser Patientin Punkt für 
Punkt mit den von Freud geschilderten Erscheinungen, wobei sich zeigt, daß Ver¬ 
treter aus jeder der 12 Erscheinungsgruppen vorhanden sind. Sodann berichtet er über 
die fraktionierte Behandlung der Kranken. Eine eineinhalbjährige Analyse brachte 
die ausgebreitete angsthysterische Symptomatik zum praktisch vollständigen 
Schwinden: die durch schwere agoraphobische, claustrophobische und zahlreiche 
andere Ängste völlig lebensunfähige Kranke erlangte normale Leistungsfähigkeit 
wieder. Dabei wurden die von starken „neuralgisch^-rbeumatischen Schmerzen 
begleiteten Angstanfälle zwar gemildert, blieben aber bestehen. Eine etwa ein halbes 
Jahr nach Beendigung der Analyse begonnene mehrmonatige antirheumatische 
Behandlung (sowohl der Muskulatur als auch der „fokalen*^ Quellen!) machte die 
angstneurotischen Anfälle — deren Hauptsymptom Schweißausbrüche mit voran¬ 
gehendem Kältegefühl und einem Zwange, „sich steif zu machen“ (s. oben!), waren_ 

nunmehr vollständig schmerzfrei. Beseitigen ließen sich aber die Anfälle selber 
nicht, denn die hiefür spezifische Therapie — die Ermöglichung einer adäquaten 
Sexualbetätigung — war aus äußeren Gründen nicht zu erreichen. 

In diesem Verlauf sieht der Vortragende die Bestätigung der oben vorgetragenen 
(fast durchwegs Freudschen) Auffassungen durch eine Art therapeutischen 
Experimentes. 
















REFERATE 


Aus der psychiatrisch-neurologischen Literatur 

Psychotherapeutische Praxis. Vierteljahrsschrift für praktische ärztliche Psychotherapie. 

Herausgeber: Dr. Wilhelm St ekel. Schriftleitung: Dr. Ernst Bien, Wien. Sonderheft: 

Organneurosen. 

Wilhelm Stekel gibt eine Vierteljahrsschrift für ärztliche Psychotherapie heraus, die den 
Namen „Psychotherapeutische Praxis“ führt. Die Zeitschrift wendet sich nach dem Vorwort 
Stekels an alle Psychotherapeuten, Psychiater und Neurologen, „um ihnen das Gemeinsame 
und therapeutisch Wirksame aller Schulen zu übermitteln“. Das im März erschienene erste 
Heft ist dem Spezialthema Organneurosen gewidmet. 

Der Herausgeber stellt einen Artikel „Die Autonomie der Organe“ an die Spitze. Er 
schildert darin eine Reihe konversionshysterischer Symptome und Hemmungen der Ich- 
funktion von Organen. Er findet, daß ein solches Selbständigwerden des Organs fast immer 
der Verhinderung, bisweilen aber auch der Darstellung verpönter libidinöser Wünsche dient; 
er spricht von einem „Zerfall in Teilseelen“, die ein divergierendes Funktionieren der ein¬ 
zelnen Organe zur Folge habe. Dem Ausdruck „Teilseele“ entspricht Stekels Forderung, 
die Psychoanalyse müsse in solchen Fällen zur „Psychosynthese“ werden. — Die Analyse der 
einzelnen konversionshysterischen Symptome ist oberflächlich und durchwegs nur bis zu den 
aktuellen Wurzeln des innern Konflikts geführt. 

Max Löwy (Prag-Marienbad) spricht sich im Aufsatz: „Über Organneurosen und zu ihrer 
Behandlung, speziell zur psychotherapeutischen“ für eine Mischung somatischer und psychi¬ 
scher Therapieprinzipien aus. Seine psychotherapeutischen Maßnahmen sind dabei weitgehend — 
und von ihm selbst ausgesprochen — psychoanalytischer Herkunft, wobei er sich in erster Linie 
zu Freud bekennt. Besonders sein Verständnis für die „Organsprache“ und seine einleuch¬ 
tenden Übersetzungen in den sprachlichen Ausdruck entsprechender Affektzustände sind be¬ 
achtenswert. Psychotherapeut und neurologisch-psychiatrisches Ambulatorium müssen ihm für 
manche Anregungen und Anweisungen dankbar sein. 

Arthur Kronfeld (Berlin) widmet den „Oesophagusneurosen“ einen Artikel. Er unter¬ 
scheidet zwei Formen, die sensibel-hyperalgische und die reflektorisch-spastische, wobei er 
annimmt, daß die sensibel-hyperalgische stets die Primärform bildet. Schwere Oesophagus¬ 
neurosen führen zu lebensbedrohlichen Zuständen; auch leichte Formen aber fallen infolge 
der akuten Beschwernisse in das Bereich der Kontraindikationop der psychoanalytischen 
Therapie. Kronfeld hält zunächst eine gewalttätige Zerbrechung des Symptoms für 
indiziert, die durch medikamentöse Therapie, durch Suggestion, durch mehrtägigen Dauer¬ 
schlaf und schließlich als letztes Mittel durch die Starcksche Dehnung des Oesophagus 
bewerkstelligt werden kann. Die Ausführung dieser Therapien mit Ausnahme der Suggestions¬ 
therapie habe der Psychotherapeut zu vermeiden, aber zu überwachen und anzuordnen. Nach 
der Zerbrechung des Symptoms beginne die psychotherapeutische Arbeit, die sich für Kron¬ 
feld im Sinne einer therapeutischen Analyse vollzieht. Als psychischen Inhalt des Symptoms 
findet Kronfeld die Abwehr der Einverleibung. Im Krampf des Oesophagus drücke 
sich ein Ambivalenzkampf zwischen Einverleibungstendenz und Überich-Abwehr aus. Die 
Oesophagusneurose stehe zwischen Ekel, der der primären Abwehr der Einverleibung gewid¬ 
met sei, und Erbrechen, das die Rückgängigmachung der Einverleibung beabsichtige. Die Re¬ 
gression sei dabei eine auf verschiedene Stufen der frühkindlichen Libidoentwicklung, beson¬ 
ders auf die orale. Bisweilen, und zwar beim weiblichen Geschlecht, spielen auch genitale 
Tendenzen eine Rolle im Symptom. In diesen Ausführungen steht Kronfeld auf dem 










558 


Referate 


Boden der klassischen Analyse. Schließlich vergleicht Kronfeld den am Oesophaguskrampf 
Erkrankten mit dem Spieler, der Kranke „versuche*' sein „Glück", er wolle im Grunde ver¬ 
lieren, es finde eine masochistische Unterwerfung unter das „Fatum" der Überich-Struktur 
statt. Die „Strafe" sei der Tod, und zwar der Selbstmord — Gedanken, die uns nicht ganz 
bündig scheinen, besonders da sie beweisenden und erläuternden Materials aus Analysen ent¬ 
behren. 

In einem Artikel „Über Sexualstörungen" versucht Oswald Schwarz (Wien) zwischen 
Psychoanalyse und Individualpsychologie die Brücke zu schlagen, ja er findet, daß beide Me¬ 
thoden in ihren Grundlagen verwandt seien, different geworden erst an den „weltanschau¬ 
lichen Grundanschauungen über das Wesen der menschlichen Existenz", und somit daran, 
worin jede den Sinn des Lebens sieht, den das Kranksein verfehlt. Beide Lehren sehen das 
zentrale Problem der menschlichen Existenz in der gleichen Forderung, nämlich in der 
Stellung des einzelnen zu einem übergeordneten Ganzen. Freud sehe die Verfehlung in 
einer mangelhaften Lösung aus den präödipalen und ödipalen Fixierungen, Adler im Mangel 
der Wiedereinfügung in frei gewollte Mitgliedschaft, deren Vorbild die Familie mit ihren 
Fixierungen sei. Völlig gleich seien beide Lehren in ihrer dialektischen Struktur. Für die 
Störungen des Mannes genügt nach Schwarz’ Ansicht die individualpsychologische Methode 
im allgemeinen. Man müsse sich aber der Führung des Patienten überlassen und seinem oft 
symbolisch angedeuteten Verlangen nach Vertiefung des Verfahrens zur Analyse nachgehen. 

O. Binnemann (Ballenstedt a. H.) erzählt in einem Artikel „Über psychogene Haut¬ 
veränderungen" über hypnotische Kuren und Hervorrufungen von Hauterkrankungen, ohne 
tiefer auf die Genese und auf das Konversionsphänomen einzugehen. 

Eugen Härnik (Budapest) tritt in einem Artikel, betitelt „Zur kombinierten Behandlung 
der Organneurosen" dafür ein, daß in Fällen schwerer Organneurosen (Asthma, Kolitis) der 
organische Therapeut mit dem Analytiker gemeinsam und in gegenseitigem Einverständnis 
die therapeutische Aufgabe ausführe. R, Sterba (Wien) 


Aus der psychoanalytischen Literatur 

CORIAT, iSADOR H.: The Dynamics of Stammering. Psa. Quarterly, II, 2. 

Die bekannten, verdienstvollen Forschungen C.’s über die spezielle Pathologie des 
Stotterns werden hier noch einmal zusammengefaßt und ergänzt. Er legt dabei besonderes 
Gewicht darauf, daß im Stottern ursprüngliche orale Verbaltungsweisen unverändert (also 
nicht etwa ins Gegenteil verkehrt oder sonstwie modifiziert) fortbestehen oder wieder¬ 
kehren, daß also die Mundpraktiken der Stotterer identisch sind mit den autoerotischen 
Mundspielen der kleinen Kinder. Man könne die prägenitalen Elemente ohne Rekon¬ 
struktion durch direkte Beobachtung des aktuellen Verhaltens der Patienten feststellen. 

Das soll nicht etwa heißen, daß beim Stottern keine Regression vorliege. Daß Stotterer 
vor Konflikten aus dem Bereiche des genitalen Ödipuskomplexes in die Wiedererweckung 
älterer Lustformen ausweichen, besonders exhibitionistischer, analer, in erster Linie aber 
oraler (saugender und beißender), wird ausführlich und mit Beispielen dargelegt; aber diese 
alten Lustformen kommen als solche wieder. Es handle sich nicht, wie Ref. gesagt habe, 
um eine „prägenitale Konversionsneurose“, da keine Konversion vorliege. 

Die von C. beschriebenen Tatsachen sind zweifellos richtig, nur ihre Interpretation ist 
problematisch. Daß in neurotischem Verhalten altes autoerotisches Verhalten enthalten 
sei, gilt auch für jede Konversion, z. B. für die Hysterie, und daß dieses alte autorerotische 
Verhalten völlig unverändert sei — das kann nicht stimmen, weil der Stotterer ja bewußt 
nicht perverse Lust genießt, sondern unter seinem Symptom leidet. Auch wäre nicht 
einzusehen, wieso, wenn das Beißen während des Stotterns nur Wiederkehr alter Beißlust 



















Referate 


559 


wäre, . sagen önnte, es sei dies regelmäßig ein „Selbstbestrafungsmechanismus“, oder 
S^ott^rers „Reaktionsbildungen“ gegen kannibalistische Tendenzen 
se en onnte. a le ursprünglichen Tendenzen im Unbewußten wirklich unverändert 
tortbestehen — charakterisiert nicht das Stottern, sondern die Neurose überhaupt, 

le dadurch zustande kommt, daß im Unbewußten unverändert erhaltene infantile Sexuali- 
tat trotz der Verdrängung weiter wirkt. q Fenichel (Oslo) 

MIDDLEMORE, MERELL: The Treatment of Bewitchment in a Puritan Community. Int. 

Journal of Psa., XV, i. 

In Salem, Massachusetts, brach im Jahre 1692 eine große Hexenepidemie aus. Mädchen 
jm Alter zwischen 10 und 26 Jahren erkrankten plötzlich neurotisch; manche begannen 
zu toben, andere wurden depressiv und litten an heftigen Schmerzen. Sie gaben dann 
an, von bestimmten Personen behext zu sein, und viele der also Beschuldigten wurden 
hingerichtet. 

Der Autor macht uns nun mit den Methoden bekannt, die zur Heilung der Behexten 
verwendet wurden. Da es sich um eine puritanische Gemeinde handelte, waren die Me¬ 
thoden der katholischen Exorzismen ausgeschlossen. Trotzdem wird der Analytiker immer 
wieder verblüfft durch die weitgehende Übereinstimmung der hier tatsächlich vorgenom¬ 
menen Handlungen mit den Phantasien, die er im Unbewußten der Neurotiker und Kinder 
nachweist, jener prägenitalen Denkwelt der Introjektion und Projektion. Alle Maßnahmen 
laufen auf die Annahme hinaus, daß durch die Behexung ein böser Stoff in den Körper der 
Behexten hineingeraten sei, dem unbewußt Samen-, Kot- oder Kindbedeutung zukommt, 
und der nun wieder entfernt werden oder durch einen „guten Stoff" neutralisiert werden 
müsse. Jenes geschieht hauptsächlich durch Übertragung auf ein Tier oder auf die Hexe 
selbst — die gleichzeitig durch dieses „Berührungs-Ordal“ erkannt wird —, dieses meist durch 
stofflich gedachte göttliche Gnade, mit der die Kranke sich identifiziert; oder aber auch 

durch neuerliche Aufnahme von „Hexenstoffen" aller Art, wobei das Ineinander von „gut" 

und „böse", „göttlich" und „teuflisch" charakteristisch ist. Endlich haben manche Me¬ 
thoden ganz den Charakter des magischen „Ungeschehenmachens". Bei allen Zeremonien 
ist die Sexualsymbolik überaus deutlich. Oft spielen auch bloße Worte dank der „All- 
macht der Worte“ die Rolle von Stoffen. 

Merkwürdig ist, daß die Kranken deutlich nur auf Heilungszeremonien günstig reagierten, 
die ihnen ein Stück Aktivität, also eine männliche Identifizierung, ermöglichten, während sie 
Maßnahmen, die den katholischen ähnlicher waren, und bei denen sie sich feminin zu ver¬ 
halten hatten, ablehnten. O. Fenichel (Oslo). 

OBERNDORF, C. P.: Folie ä deux. Int. Journal of Psa., XV, i. 

Während zur Erklärung des Phänomens der Folie ä deux von nichtanalytischen Psy¬ 

chiatern hauptsächlich das konstitutionelle Moment herangezogen wird, liegt es für den 
Psychoanalytiker näher, an die Wirkung der Identifizierung zu denken. Das Schema, mit 
dem der Analytiker an die Untersuchung solcher Phänomene herangehen soll — meint 
Oberndorf deshalb mit Recht — sei jener von Freud zur Illustrierung der hysterischen 
Identifizierung konstruierte Fall, daß in einem Mädchenpensionat eine hysterische Epidemie 
ausbreche, nachdem eines der Mädchen auf einen Liebesbrief hin einen hysterischen Anfall 
bekommen hat — nur daß die „psychische Infektion“ sich hier auf zwei Menschen be¬ 
schränkt. Die Übergänge zur ,,Folie ä deux‘* seien fließend, denn schließlich gebe es ja 
bei jeder Neurose „unbewußte Gegenspieler“ (neurotisches Verhalten der Eltern als Ursache 
von Kinderneurosen). Der Autor analysierte ein Ehepaar, das in einer schweren ge¬ 
meinsamen Neurose lebte. Es stellte sich heraus, daß die Neurose jedes der beiden Partner, 
wie selbstverständlich, durch seine Kindheitserlebnisse determiniert war, und daß trotzdem 
die beiden Neurosen ineinander spielten, so daß sie sich zu einer größern Einheit ergänzten. Die 

















560 


Referate 


Kindheitsentwicklung der beiden war recht verschieden gewesen, aber schließlich bei beiden 
in eine heterosexuelle Identifizierung ausgelaufen, in eine feminine (transvestitische) beim 
Manne, in eine maskuline bei der Frau. Diese beiden Identifizierungen ergänzten sich nun 
in einer merkwürdigen Ehe, in der die beiden sich von der ganzen Welt isolierten, ihren 
Symptomen und einer sonderbaren Perversion lebten. Die vorehelichen neurotischen 
Symptome beider änderten sich während dieses Zusammenlebens in unbewußter Anpassung 
aneinander. Man konnte schließlich nicht sagen, wer von beiden der „Induzierende" und 
wer der „Induzierte“ war. — Praktisch ergibt sich aus dem relativ guten Erfolg der 
Analysen, daß man bei einer Folie ä deux beide Individuen einzeln behandeln muß. Bei 
psychotischen Fällen müsse man die Partner trennen; könne man aber bei neurotischen 
Formen beide gleichzeitig behandeln, so sei der Umstand, daß sie auch weiterhin mit¬ 
einander leben können, ohne zu erkranken, ein gutes Kriterium für den erreichten Erfolg. 

O. Fenichel (Oslo) 

SARKAR, SARASI LAL: The Psychology of Taking Prasad. Psa. Quarterly, II, 2. 

„Prasad“ zu erhalten — das heißt: das, was jemand anderer. Höherer von seinem Essen 
übrig gelassen hat, aufessen zu dürfen. Dies spielt in Mystik und Folklore Indiens eine 
große Rolle. Man wird nach dem alten magischen Satz „man ist, was man ißt“ dem gleich, 
dessen „Prasad“ man erhält. — Eine Analyse S.’s zeigte, daß von den Eltern 

„Prasad“ zu erhalten, im Unbewußten einer Introjektion der Eltern gleichgesetzt war._ 

Die Geliebte des Patienten, eine Prostituierte, die ihn aushielt und an die er auf Grund 
seines Ödipuskomplexes gegen seinen Willen gebunden war, gab ihm eines Tages 
ein Stück von ihrem Essen in den Mund. Das rief bei ihm einen Gefühlssturm hervor; er 
trennte sich von ihr und fing ein ganz neues Leben an. Die Analyse ergab, daß es ihn an 

eine in der Kindheit erlebte Zeremonie erinnert hatte, bei der einer schwangeren Frau 

vielleicht seiner Mutter — Essen gereicht wurde, wovon sie einem Knaben etwas abgab. 
Der Patient hatte sich damals mit seiner Mutter und jetzt durch das „Prasad“ mit seiner 
Geliebten identifiziert. Diese Identifizierung schaffte die Bedingungen, die es ihm ermög¬ 
lichten, sich von ihr zu trennen. O. Fenichel (Oslo) 

WEISS, EDOARDO: A Recovery from the Fear of Blushing. Psa. Quarterly, II, 2. 

Eine ausführlich und eine mehr kursorisch mitgeteilte Analyse zeigen die Wirksamkeit 
der Beobachtung eines weiblichen Genitales für die Entstehung der Kastrationsangst bei 
Knaben. Die Errötungsangst des einen Patienten ging darauf zurück, daß er nach dieser 
Entdeckung sagen hörte, er sei „wie ein Mädchen“; er meinte, wenn man sehen würde, daß 
er trotzdem noch einen Penis besitze, werde man ihn abschneiden; deshalb mußte er seine 
exhibitionistischen Neigungen in pathogener Weise verdrängen. — Weiß betont aus diesem 
Anlaß neuerdings die Notwendigkeit, in der Analyse die infantile Amnesie zu beheben, 
was durch keine intellektuelle Einsicht in Triebzusammenhänge ersetzt werden könne. 

O. Fenichel (Oslo) 














Hans Bchn^rEschcnburg f 

Die Familie von Hans Behn-Eschenburg stammt aus Lübeck. Der Großvater hat 
in den Achtundvierzigerjahren als politischer Flüchtling auswandern müssen. Er fand 
an der Hochschule in Zürich als Professor der englischen Sprache ein neues Wirkungs¬ 
feld. Der Vater wurde Ingenieur. Ihm verdankt die Technik außerordentlich wert¬ 
volle Erfindungen. In Örlikon, einer Vorstadt Zürichs, wurde am 23. Januar 1893 
Hans Behn-Eschenburg geboren. Hier verlebte er seine ersten Kinderjahre. Sein 
medizinisches Wissen und Können erwarb er sich an der Universität in Zürich. 1919 
schloß er seine Universitätsstudien ab und heiratete kurz darauf. Schon früh von 
der Psychiatrie angezogen, ging der junge Arzt in die Heil- und Pflegeanstalt Herisau. 
Rorschach war dort Oberarzt; in ihm fand Behn-Eschenburg einen hervorragenden 
Lehrer, der ihn auch auf die Psychoanalyse Freuds hinwies und ihm die ersten 
Anfangsgründe unserer Wissenschaft beibrachte. Nach seiner Assistentenzeit in 
Herisau arbeitete Hans Behn-Eschenburg am Kinderspital und an der neurologischen 
Poliklinik in Zürich. Gleichzeitig suchte er sich hier psychoanalytisch auszubilden 
und ging dann für ein Jahr an das Psychoanalytische Institut Berlin, wo er die 
reichsten Anregungen fand, besonders in seiner Kontrollanalyse bei Simmel. 1924 
begann er in Zürich die psychoanalytische Praxis. Neben der ärztlichen Tätigkeit, 
beschäftigte er sich intensiv mit den Problemen der Berufsberatung, den Fragen der 
Vormundschaftsbehörden und der psychoanalytischen Pädagogik. Genau 10 Jahre 
eines selbständigen Schaffens waren ihm beschieden, und er durfte die Genugtuung 
haben, daß sein Können immer höhere Anerkennung fand, und daß immer mehr 
kranke Menschen um seine Hilfe baten. Diesen Sommer organisierte er noch mit 
größter Umsicht und Gewissenhaftigkeit den psychoanalytischen Kongreß in Luzern. 
Aber am ersten Tag dieses Kongresses warf ihn wie ein Blitzstrahl aus heiterem 
Himmel eine schwere Krankheit nieder, und dann starb er nach einem langen Monat 
qualvollen Leidens. 

Mag der äußere Lebensweg, den Hans Behn-Eschenburg gegangen war, einfach 
und unbeschwert erscheinen, für ihn hatte doch jeder Schritt ein zähes Ringen be¬ 
deutet. Ringsum im Lebenskreis seiner frühesten Kindheit waren herbe Pflicht¬ 
erfüllung und unnachgiebiges Schaffen oberstes Gesetz gewesen; und dieser Ordnung 
hatte er sich unterworfen, bedingungslos. Doch war er so geartet, daß ihn das 
harte Gesetz seiner Väter zerbrach; unscheinbar war sein Körper und wenig kräftig. 
Von stiller Schlichtheit war sein Wesen und ohne jedes Pathos, aber voll empfind¬ 
samer Liebe und Wärme. 

Und zähe und zur äußersten Anstrengung entschlossen wie er seinen äußeren Weg 
ging, hat er auch an sich, nach innen gearbeitet. Mit unerbittlicher Ehrlichkeit war 
er in die Tiefen seines eigenen Wesens vorgedrungen, so tief, daß wir, die wir nahe 
um ihn waren, schon lange ein Verstehen ahnten, welches das Leben selbst über¬ 
flüssig machen werde« 

Das unentwegte Schaffen an sich selbst hat ihn zu einer reifen Menschlichkeit ge¬ 
führt. Man spürte die Ruhe und Güte eines überlegenen Menschen und von selbst 
verstummten Zank und Eifern. Seine sachlichen, wissenschaftlichen Arbeiten sind, 
klar und einfach, ohne jedes Wichtigtun, aber durchdacht und ehrlich. Ob er über 








562 


Hans Behn-Eschenburg •}• 


klinische Probleme schrieb, über „Alkoholismus“ (1932), oder die „Vorgeschichte des 
Ödipuskomplexes“ (1934), ob er sich mit künstlerischen Fragen beschäftigte, der 
„Wirkung einer Analyse auf das Schaffen des Malers“ (1928), dem „Parallelismus 
Ferdinand Hodlers“ (1931), oder ob er erkenntnistheoretisch-philosophische Themen 
behandelte wie in seinem Vortrag „Über das Verhältnis von Raum und Zeit zum 
unbewußten Seelenleben“, immer schöpfte er unmittelbar aus wirkUchem Erleben und 
Erlebtem und brachte dadurch auch die wissenschaftlichen Fragen und Antworten 
uns menschlich nahe. 

Wie ein tiefes Vermächtnis liegt seine Arbeit über die Realitätsanpassung vor 
uns, die er noch selbst uns in Luzern hätte vortragen sollen. Unerschrocken und 
strenge fordert er darin von uns, die wir um den reichen Erkenntnisschatz der 
Psychoanalyse wissen und ihn andern weitergeben wollen, daß vor allem wir in uns 
selbst Ernst mit unseren Einsichten machen sollen, nicht es bewenden lassen beim 
Verstandeswissen und -reden, sondern tiefer dringen müssen bis zum ureigensten Er¬ 
leben. Dann, aber nur dann, wenn die Analytiker selbst zu reifster Menschlichkeit 
durchdrungen sind —- so sagte Hans Behn-Eschenburg noch kurz vor seinem Tode 
zu mir — brauche es uns um die Zukunft der Psychoanalyse nicht bange zu sein. 

Medard Boß, Knonau-Zürich 




















Inhaltsverzeichnis 

des XX. Bandes (1934) 

Seite 

Franz A lexander: Über das Verhältnis von Struktur- zu Triebkonflikten 33 

Anny Angel: Einige Bemerkungen über den Optimismus. 191 

Michael Bali nt: Charakteranalyse und Neubeginn. 34 

Moses Barinhaum: Zum Problem des psychophysischen Zusammen¬ 
hangs mit besonderer Berücksichtigung der Dermatologie. 241 

Hans Behn-Eschenburg: Beiträge zur Vorgeschichte des Ödipus¬ 
komplexes . 200 

Edmund Bergler: Über einige noch nicht beschriebene Spezialformen 

der Ejakulationsstörung. 252 

Helene Deutsch: Über einen Typus der Pseudoaffektivität („Als ob“) . 323 

Karl Dreyfuß: Der Fall Wieland. Ein Beitrag zur Psychoanalyse der 
traumatischen Epilepsie und zur Psychologie der narzißtischen Neurosen 210 

Ludwig Eidelherg: Beiträge zum Studium des Masochismus . 330 

Otto Fenichel: Weiteres zur präödipalen Phase der Mädchen. 151 

— Über Angstabwehr, insbesondere durch Libidinisierung. 476 

Sdndor Ferenczi (Nachlaß): Gedanken über das Trauma. 5 

Imre Hermann: Einführung zu Ferenczis Gedanken über das Trauma 12 
Eduard Hitschmann: Beiträge zu einer Psychopathologie des Traumes 459 

>< Hellmuth Kaiser: Probleme der Technik. 490 

Werner Kemper: Zur Genese der genitalen Erogeneität und des Orgasmus 287 

Reni Laforgue: Der Widerstand im Endstadium der Analyse. 354 

Bertram D. Lew in: Analyse und Struktur einer passageren Hypomanie 74 

Barbara Low: Die psychischen Entschädigungen des Analytikers . 523 

Heinrich Meng: Das Problem der Organpsychose . 439 

^ Sandor Rado: Psychoanalyse der Pharmakothymie (Rauschgiftsucht) 

I. Das klinische Bild . 16 

Lillian Rotter: Zur Psychologie der weiblichen Sexualität. 367 

Maxim Steiner:^2iS hat der Sexualarzt der Psychoanalyse zu verdanken? 85 
Richard Sterba: Das Schicksal des Ichs im therapeutischen Verfahren . 66 

Fritz Wittels: Mutterschaft und Bisexualität. 313 

Edoardo Weiss: Die Straßenangst und ihre Beziehung zum hysterischen 
Anfall und zum Trauma... 419 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XX/4 38 































Inhaltsverzeichnis 


KLEINE BEITRÄGE UND KASUISTIK 

H. Christof fei: Stuhldrang und Müdigkeit .. 

Ludwig Eideiberg: Zur Erniedrigung des Liebesobjektes. 

Else Fuchs: Zur Psychoanalyse des Stotterns. 

Imre Hermann: Die Verwendung des Begriffes „aktiv“ in der Defini¬ 
tion der Männlichkeit. 

Yrfö Kulovesi:'Em Beitrag zur Psychoanalyse des epileptischen Anfalls 

Max Loewy: Zur Bedeutung des Zahleneinfalls in der Analyse. 

P. Schilder u. D. Wechsler: Was weiß das Kind vom Körperinneren? 
Emil Simonson: Erfolgreiche Behandlung einer schweren, multiplen 
Konversionshysterie durch Katharsis . 


Seite 

97 

H 9 

375 

261 

542 

100 

93 

531 


VORLÄUFIGE MITTEILUNGEN 




Edmund Bergler: Über obszöne Worte . 

E. Bergler und L. Eidelberg: Der Mechanismus der Depersonalisation . 

H. Flanders D u n b a r : Analytische Probleme in einem Fall von sozialer Angst. 

Ludwig Eidelberg: Theoretische Vorschläge .. 

Zur Erniedrigung des Liebesobjektes . 

Paul Federn: Das Erwachen des Ichs im Traume. I. Die Orthriogenese . 

Robert Fließ: Angsthysterie, Angstneurose und Rheuma . 

J. Flärnik: Grundzüge der psychoanalytischen Charakterlehre . 

Zur Frage der infantilen weiblichen Genitalorganisation . 

Imre Hermann: Urwahrnehmungen, insbesondere Augenleuchten und Lautwerden des 
Innern . 

Karen Horney: Das Problem des weiblichen Masochismus . 


II2 

390 

264 

II4 

2^3 

109 

555 

105 

102 

553 

390 


REFERATE 

Aus der Literatur der Grenzgebiete: 

Grothe und Meng: Über interne und psychotherapeutische Behandlung der endo¬ 
genen Magersucht . (F. Deutsch) 392 

Heinrich: Unsere Patienten und wir . ^H) 265 

Schönfeld und Menzel: Tuberkulose, Charakter und Handschrift .. {Marseille) 392 
Schulz: Das autogene Training . ' {Winnik) 265 


Aus der psychiatrisch-neurologischen Literatur: 

Bericht über die psychiatrische Literatur im Jahre 1931 . 

Christoffel: Entwicklungspsychologische Bemerkungen zur 

Curtius: Die neuropathische Familie. 

Fessler: Ein Fall von posttraumatischem Transvestitismus.... 

Glanzmann: Pädiatrie und Psychiatrie . 

H. F. Hoffmann: Über die Zwangsneurose.. 


. (Stengel) 393 

Kinderpsychiatrie 

(Fnedjung) 115 

. (Stengel) 115 

. (Winnik) 393 

. (Friedjung) 116 

. (Bergler) 394 














































Inhaltsverzeichnis 


Seite 

Psychotherapeutische Praxis. (Sterha) 557 

Schneider: Psychiatrische Vorlesungen für Ärzte . (Schilder) 395 

Schulhof ; Praktische Psychiatrie ..... (Stengel) 395 

Aus der psychoanalytischen Literatur: 

Alexander: On Ferenczi’s Relaxation Principle .. (Fenichel) 266 

Brierley: Some Problems of Integration in Women . (Fenichel) 116 

Bromberg and Schilder: Psychologie Considerations in Alcoholic Hallucina- 

tions. — Castration and Dismembering Motives . (Fenichel) 267 

Clark: Question of Prognoses in Narcissistic Neuroses . (Fenichel) 117 

Coriat: The Dynamics of Stammering .. (Fenichel) 558 

Daniels: Turning Points in the Analysis of a Case of Alcoholism. (Fenichel) 267 

Fenichel: Flysterien und Zwangsneurosen. — Perversionen, Psychosen, Charakter¬ 
störungen . (Hitschmann) 267 

Franklin: Family Reactions during a Case of Obsessional Neuroses.... 118 

G 1 o V e r: A Psychoanalytic Approach to the Classification of Mental Disorders 

(Autoreferat) 118 

—: The Relation of Perversion-Formation to the Development of Reality-Sense 

(Fenichel) 

H e n d r i c k : Pregenital Anciety in a Feminine Passive Charakter. (Fenichel) 268 

Flitschmann und Bergler: Die Geschlechtskälte der Frau . (Autoreferat) 269 

Jelliffe: Glimpses of a Freudian Odyssey. (Fenichel) 398 

Kardiner: The Bio-Analysis of the Epileptic Reaction . (Fenichel) 119 

Kulovesi: Psykoanalyysi . (Autoreferat) 269 

Lewin: The Body as Phallus . (Fenichel) 270 

Menninger: Psychoanalytic Aspects of Suicide . (Fenichel) 398 

Middlemore: The Treatment of Bewitchment. (Fenichel) 559 

Mitglieder der ungarländischen psychoanalytischen Vereinigung: 

Psychoanalytische Studien . (Sugar) 271 

Oberndorf: Folie ä deux . (Fenichel) 559 

Reich: Charakteranalyse . (Sterha) 399 

— Charakteranalyse . (Sperling) 403 

Reik: New Ways in Psycho-Analytic Technique . (Fenichel) 399 

Revue fran9aise de Psychanalyse . (de Saussure) 405 

Sarkar: The Psychology of taking Prasad . (Fenichel) 560 

Searl: The Psychology of Screaming. (Fenichel) 274 

— A Note on Symbols. (Fenichel) 407 

Weiß: A Recovery from the Fear of Blushing . (Fenichel) 560 

NACHRUFE 

Hans Behn-Eschenburg f . (Boss) 561 

Georg Groddeck f . (Meng) 408 

Nikolaj Osipov f . (Windholz) 277 

Milly Vosviniek f . <^ugar) 278 

38 * 














































Inhaltsverzeichnis 


KORRESPONDENZBLATT DER 

INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN VEREINIGUNG 

Mitteilungen des ZentrdlvorStandes 

XIII. Internationaler Psychoanalytischer Kongreß . 125 

Mitteilungen der Intefnationalen Unterrichtskommission 

Chicago Institute for Psychoanalysis. 

New York Psychoanalytic Institute . 127 

Lehrkomitee der Washington-Baltimore Psychoanalytic Society .. 128 

Berichte der Zweigvereinigungen 

The American Psychoanalytic Association.. 128,412 

Chicago Psychoanalytic Society . j2^^ ^12 

New York Psychoanalytic Society. 279, 413 

Washington-Baltimore Psychoanalytic Society. 130, 281, 413 

British Psychoanalytical Society. 131^ 281, 414 

Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft . 131^ 281, 414 

Chewra Psychoanalytith b’Erez-Israel. 

Japan Psycho-Analytical Society . J33 

Magyarorszägi Pszichoanalitikai Egyesület. 134, 283, 415 

Nederlandsche Vereenigung voor Psychoanalyse. 135, 416 

Vereenigung van Psychoanalitici in Nederland. 283, 416 

Societe Psychanalytique de Paris. 13^^ 284, 417 

Schweizerische Gesellschaft für Psychoanalyse . 13^^ 285, 418 

Wiener Psychoanalytische Vereinigung .. 13^^ 286, 418 

Mitgliederverzeichnis . o 



































Soeben erschien: 

EDMUND BERGLER 

TALLEYRAND ♦ NAPOLEON 
STENDHAL» GRABBE 

PSYCHOANALYTISCH-BIOGRAPHISCHE 

ESSAYS 

Geheftet RM 6.^ 0 In Leinen RM 8 .— 

Aus dem Vorwort: 

Die Titelbezeichnung „psychoanalytisch-biographische Essays^^ 
bedarf einer Erklärung. Eine analytisch-biographische Studie 
hebt lediglich die für die betreffende Persönlichkeit entschei¬ 
denden unbewußten Motive hervor und verzichtet darauf, 
mit der deskriptiven Biographik in Konkurrenz zu treten. 

Die hier vorliegenden Studien über Talleyrand, Napoleon, 
Stendhal und Grabbe sind im Anschluß an meine klinischen 
Arbeiten geschrieben worden. Immer wieder reizte es mich, jene 
Probleme, auf die klinische Erfahrungen mich hingelenkt hatten, 
an historischen Gestalten aufzusuchen. So entstanden als Ergän¬ 
zung meiner Arbeiten über die Psychologie des Zynismus die 
Studien über Talleyrand und Napoleon, in Fortführung der Unter¬ 
suchungen über die orale Phase der Libidoentwicklung, die über 
Grabbe, und als Abschluß meiner Bemühungen um das Verständ¬ 
nis narzißtischer Phänomene — die Stendhal-Skizze. Diese Ent¬ 
stehungsgeschichte bewirkt, daß die Helden der folgenden Essays 
auch als klinische Typen gesehen sind mit einer gewissen Einseitig¬ 
keit, der sich Verfasser bewußt ist, ohne sie meiden zu wollen. 

INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG 

WIEN 









Soeben 


erschien: 


ALMANACH 

DER PiyCHOANALySE 

19IS 

Mit 6 Porträts. In Leinen RM 4.— 

Mit der diesjährigen Ausgabe erscheint 
der Almanach der Psychoanalyse 

DAS ZEHKTE MAL 

und zeigt aus diesem Anlaß einen besonders mannigfaltigen Querschnitt 
durch die psychoanalytische Literatur 

INHALT: 

Sigmund Freud.Psycho-Analysis 

Imre Hermann.Das psychoanalytisch Sinnvolle 

Richard Sterba.. , Die psychoanalytische Therapie 

Sandor Rado.. . Das Angstproblem 

Paul Federn Die Zunahme der Süchtigkeit 

Otto Fenichel ....... Zur unbewußten Verständigung 

Alexander Szalay.Die ansteckende Fehlhandlung 

Anna Freud.Die Erziehung des Kleinkindes vom psychoanalytischen 

Standpunkt aus 

Heinrich Meng.Die richtige Behandlung scheinbar straffälliger Kinder 

Fntz Redl ..Gedanken über die Wirkung einer Phimoseoperation 

Hans Zulliger.Pädagogen verfallen dem Fluche der Lächerlichkeit 

Helene Deutsch.Don Quijote und Donquijotismus 

Franz Alexander.Bemerkungen über Falstaff 

Marie Bonaparte.Das magische Denken bei den Primitiven 

Henri Godet.Das magische Denken im Alltagsleben 

Edward Glover und 

Morris Ginsberg.Symposium über die Psychologie von Krieg und Frieden 


INTERNATIONALER 

PSyCHOANALYTIKHER VERIAA / WIEN 




























THE 

PSYCHOANALYTIC 

QUARTERLY 

Third year of publication 

THE QIJARTERLY 
is devoted to original contributions in 
the field of thcorctical, clinical and 
applied psychoanalysis, and is published 
four times a year. 

The Editorial Board of the QUAR¬ 
TERLY consists of the Editors: Drs. 
Dorian Feigenbaum, Bertram D. Lewin 
and Gregory Zilboorg. Associate Edi¬ 
tors: Drs. Henry Alden Bunker, Jr., 
Raymond Gosselin and Lawrence Kubie. 
Associated with the Editorial Board is a 
group of distinguished American and 
European psychoanalysts. 

CONTENTS FOR JULY 1934: 

G. Zilboorg: The Problem of Constitution in 
Psychopathology. — D. Feigenbaum: Clinical 
Fragment». — H. A. Bunker, Jr.: The Voice as 
(Female) Phallus. — L.S. Kubie: Body Symboli- 
zation and the Development of Language. — 
W.J. Spring: A Critical Consideration of Bernfeld 
and Feitelberg’s Theory of Psychic Energy. — Special 
Review: A. Parry: Tattoo, Secrets of a Strange 
Artas Practiced Among the Natives of the United 
States. Tattooing Among Prostitutes and Perverts. 

Editorial Communications should he sent 
to the Editor in Chief: Dr. Dorian Feigen¬ 
baum, 6o Gramercy Park, New York City. 

Suhscription price is $ 5.50; 
single issues i dollar and 75 cents. 

A limited number of hack volumes are 
available; volumes in original hinding 
$ 6.50. 

Business correspondence should be sent to: 

THE PSYCHOANALYTIC 
QUARTERLY PRESS 

372-374 BROADWAY, ALBANY, 
NEW YORK 


THE 

INTERNATIONAL 
JOURNAL OF 
PSYCHO-ANALYSIS 

Directed by 

SIGM. FREUD 

Edited by 

EBNEST JONES 


This Journal is issued quarterly. 
Besides Original Papers, Ab- 
stracts and Reviews, it contains 
the Bulletin of the Internatio¬ 
nal Psycho - Analytical Associa¬ 
tion, of which it is the Official 
Organ. 

Editorial Communications should be 
sent to Dr. Ernest Jones, 81 Harley 
Street, London, W. 1. 

The Annual Suhscription is 50s per 
volume of four parts. 

The Journal is obtainable by sub- 
scription only, the parts not being 
sold separately. 

Business correspondence should be ad- 
dressed to the publishers. Balliere, 
Tindall & Cox, 8 Henrietta Street, 
Covent Garden, London, W. C. 2., 
who can also supply back volumes. 





Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Band XX, Heft 4 



(Äusgegeben im Dezember 1934 ) 



INHAL TSVERZEICHNIS 


Edoardo Weiß: 

Die Straßenangst und ihre Beziehung zum hysterischen Anfall 
und zum Trauma. 

Seite 

A TO 

Hänridi Meng: 

Das Problem der Organpsychose. Zur seelischen Behandlung orga¬ 
nisch Kranker. 


Editord Hitsdimonn: 

Beiträge zu einer Psychopathologie des Traumes. 

459 

Otto Fenidiel: 

über Angstabwehr, insbesondere durch Libidinisierung. 

476 

Hellmitth Kaiser: 

Probleme der Technik. 

490 

Barbara Low: 

Die psychischen Entschädigungen des Analytikers. 

523 


KLEINE BEITRÄGE UND KASUISTIK 

Emil Simonson: Erfolgreiche Behandlung einer schweren, multiplen Konversionshysterie durch Katharsis 531 

Yrjö Kulovesi: Ein Beitrag zur Psychoanalyse des epileptischen Anfalls. 542 

Ludwig Eideiberg: Zur Erniedrigung des Liebesobjekts.. caq 


VORLÄUFIGE MITTEILUNGEN 

Imre Hermann: Urwahrnehmungen, insbesondere Augenleuchten und Lautwerden des Innern .. 553 
Robert Fließ: Angsthysterie, Angstneurose und Rheumatismus. 555 


REFERATE 

Aus der psydiiatrisdi-neurologisdien Literatur 
Psychotherapeutische Praxis (Sterba) 557. 


Aus der psychoanalytischen Literatur 

Goriat: The Dynamics of Stammering (Fenidiel) 558. — Middlemore: The Treatment of 
Bewitchment (Fenidiel) 559. — Oberndorf: Folie ä deux (Fenidiel) 559. — Sarkar: The 
Psychology of taking Prasad (Fenidiel) 560. — Weiß: A Recovery from the Fear of Blushing 
(Fenidiel) 560. 

Hans Behn-Eschenburg f (Boss) . c6i 


Preis des Heftes Mark 7.50. Jahresabonnement Mark 28.— 

Jährlich 4 Hefte im Gesamtumfang von etwa 600 Seiten 

Einbanddecken zu dem abgeschlossenen XIX« Band (1933), sowie zu allen 
früheren Jahrgängen: in Leinen Mark 2.50, in Halbleder Mark 5.— 


Eigentümer und Verleger; Internationaler Psychoanalytisdier Verlag, Ges. m. b. H., Wien I, Börsegasse ii. — Herausgeber; Prof. Dr. Sigm. 
Freud, Wien. — Verantwortlidi für die Redaktion; Dr. Paul Federn, Wien VI, Köstlergasse 7. — Druck: Manzsche Buchdruckerei, Wien IX