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Full text of "Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse XXI 1935 Heft 1"

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XXI. Band 


1935 


Heft 1 


Internationale Abschrift 
für Psychoanalyse 


Offizielles Organ der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung 

Heraussegeben von 

Sigm» Freud 

Unter Mitwirkung von 
G. Bose A. A. Brill Lucile Dooley 


Felix Boehm 
Berlin 

J. E. G. van Emden 

Haag 

Karl Menninger 

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Kalkutta 

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Paul Federn 

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Boston 

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M. Eitingon 

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Kiyoyasu Marui 
Sendai 

Philipp Sarasin 
Basel 


redigiert von 

Heinz Hartmann 


Wien 


Y. K. Yabe 
Tokio 


Sandor Rado 

New York 


A. Stärcke. Die Rolfe der analen und oralen Quantitäten im 

Verfolgungswahn und in analogen Systemgedanken 

Marie Bonaparte. Passivität, Masochismus und Weiblichkeit 

R. Loewenstein. Die phallisdie Passivität beim Manne 

V Michael Bälint. Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung 

Melitta Schmideherg ... Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen Therapie 

Grete Bibring« Lehne r. . . Zum Thema des Ubertragungswiderstandes 

Käthe Misch. Die biologischen Grundlagen der Freudschen Angst« 

theorie 

Nicola Perrotti. ....... Die Rhigophohie 

Otto Fenichel. Zur Theorie der psychoanalytischen Technik 

Vorläufige Mitteilungen — Referate 
















1) Die in der „Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse" veröffentlichten Beiträge 
werden mit Mark 25.— per sechzehnseitigen Druckbogen honoriert. 

2) Die Autoren von Originalbeiträgen sowie von Mitteilungen im Umfange über zwei 
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3) Die Kosten der Übersetzung von Beiträgen, die die Autoren nicht in deutscher Sprache 
zur Verfügung stellen, werden vom Verlag getragen; die Autoren solcher Beiträge erhalten 
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skriptes behalten. Zeichnungen und Tabellen sollen auf das unbedingt notwendige Maß be¬ 
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fertigt. Die Kosten (einschließlich Porto der Zusendung der Separata) betragen für Beiträge 

bis 8 Seiten für 25 Exemplare Mark 15.—, für 50 Exemplare Mark 20.— 


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Mehr als 50 Separata werden nur nach besonderer Vereinbarung mit dem Verlag an¬ 
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Wir machen hiemit unsere Autoren auf folgendes aufmerksam: 

Nach den gesetzlichen Bestimmungen kann bis zum Ablauf von zwei dem Erscheinungs¬ 
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skriptes verlangt werden. Die Redaktion 


Redaktionelle Mitteilungen und Sendungen aus allen Ländern mit Ausnahme der U. S. A. 
bitten wir zu richten an Dr. Paul Federn und Dr. Heinz Hartmann, p. A. Internationaler 
Psychoanalytischer Verlag, Wien, I., Börsegasse 11. 

Redaktionelle Mitteilungen und Sendungen aus den U. S. A. an Dr. Sandor Rado, 324 West, 
86th Street, New York City. 

Bestellungen und geschäftliche Zuschriften aller Art an 

Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien I, Börsegasse 11. 







INTERNATIONALE 
ZEITSCHRIFT FCIR 
PSYCHOANALYSE 


XXI. BAND 
1 935 












INTERNATIONAL 

PSYCHOANALYTIC 

UNIVERSITY 


DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN 






Internationale Zeitschrift 
für P §y choanafyse 

Offizielles Organ der 

Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung 


Herausgegeben von 



Felix Boehm 

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G. Bose A. A. Brill Lucile Dooley M. Eitingon 

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Heinz Hartmann 

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XXI. Band 

1935 


Internationaler Psychoanalytischer Verlag 

Wien 








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MANZSGHE BUCHDRUCKEREI, WIEN IX. 








Internationale Zeitschrift 

für P sychoaeatyse 

HerausgegeLen von SiglTI. Freud 
XXL Band 1935 Heft 1 


Die Rolle der analen und oralen 
Quantitäten im Verfolgungswahn und in analogen 

Systemgedanken 1 

Von 

A. Stärcke 

den Dolder, Holland 

I. 

Die eben erschienene Arbeit Westerman Holstijns „Oral erotism in 
paraphrenia. Facts and Theories“ (The Int. Journ. of PsA. XV, 1934, S. 273) 
bietet mir einen willkommenen Anlaß, meine am 3. November 1918 in der 
Diskussion in der Holländischen Ortsgruppe erwähnten und 1919 publizierten 
Befunde näher zu verdeutlichen. 

Damals habe ich als meine Ansicht geäußert, die eigentümliche Spaltung, 
welcher wir in den typischen Wahnsystem begegnen — der Art nämlich, 
daß wir die Liebe zum Ich gesteigert (Größenwahn), dagegen die Liebe zur 
Außenwelt vermindert (projiziert: Verfolgungswahn) finden — lasse eine be¬ 
stimmte analytische Deutung zu, die aufschlußreicher sei als die schon be¬ 
kannten. Es sei feststehend (Freud 1911, Ferenczi 1911, Morichau Beau- 
chant 1911, Hitschmann 1913, Rank 1913), daß einerseits der Größen- 
Verfolgungswahn der Abwehr eines mit Mühe in Schranken gehaltenen homo¬ 
sexuellen Faktors zu dienen schien — die Betrachtungen F r e u d s kulminierten 
in der Formel: Größenwahn ist Regression der sublimierten Homosexualität 
zum Narzißmus —, anderseits Reizung der analen Zone akute Verschlimme¬ 
rungen der Wahnbildung auszulösen imstande war. 

Alle diese Tatsachen schienen mir am einfachsten durch die Annahme er¬ 
klärbar, der Narzißmus oder sonstige stärker entwickelte erotische Positionen 

1) Aus der Laboratoriumsabteilung für Experimental-Soziologie der Anstalt Willem Arntsz- 
Hoeve. 









6 A. Stärcke 

des zur Wahnbildung Prädisponierten enthielten ein besonders fest konstituier¬ 
tes, aber lose eingefügtes analerotisches Faktorenpaar. 

Reizung der analen Zone könne diese anale ± Quantität aus der sublimier¬ 
ten 2 zusammengesetzteren Position — z. B. Homosexualität — lösen und 
wieder selbständig machen, wodurch die sublimierte Position geschwächt 
werde, ihre Gleichgewichtslage in der Gesamtpersönlichkeit verloren zu gehen 
drohe und sie zur Neuorientierung genötigt sei. Auch könne durch auf 
andere Weise verursachten Umsturz der Libidopositionen, z. B. durch den 
schizophrenen Zusammenbruch, die anale Quantität frei werden. 

In beiden Fällen wäre die Möglichkeit des Entstehens oder der Verschlim¬ 
merung eines Wahnes dadurch gegeben, daß die an und für sich immer stark 
ambivalente anale Quantität gespalten und bei der, dem Umstürze (Welt¬ 
untergang, apokalyptische Stimmung) folgenden Rekonstruktion von Ich 
und Außenwelt in der Weise verwendet werde, daß ihr positiver Teil zur Re¬ 
konstruktion des Ichs in der Form des Größenwahns, ihr negativer Teil zur 
Rekonstruktion der Außenwelt in der Form des Verfolgungswahnes ihren 
entscheidenden Beitrag lieferten. 

Meine Annahme ging dahin, daß die Formel Freuds — Regression der 
sublimierten Homosexualität zum Narzißmus — zwar das Endergebnis gut 
charakterisiere, der Regressionsvorgang selbst aber nicht so einfach verlaufe, 
indem wenigstens ein Teil der Quantität anfänglich noch tiefer, bis zur Zer¬ 
legung in die auto-erotischen Quantitäten hinabgehe, wobei u. a. auch die 
analerotische, stark ambivalente Quantität frei komme und kraft ihrer Ambi¬ 
valenz gespalten und in der angegebenen Weise zur Rekonstruktion mitver¬ 
wendet werde. 

2. 

Westerman Holstijn kommt nun im obengenannten Aufsatz zum Er¬ 
gebnis, es seien vielleicht eher oralerotische Quantitäten für die Kon¬ 
stitution des Wahnes eigentümlich. Sein diesbezügliches Tatsachen¬ 
material ist unbestreitbar und scheint auf den ersten Blick meine Hypothese 
ernstlich zu bedrohen. Es ist unzweifelhaft, daß manche Kranken sich 
über Fellatio (vgl. incubus und succubus) durch okkulte Personen beklagen. 
Es ist vollkommen wahr, daß orale Verfolgung in der Gestalt des Vergiftungs¬ 
wahnes eine der allgemeinsten Formen darstellt. Ich stimme auch der Meinung 
Kempfs bei, die orale Verfolgung könne ein Ausdruck für verstärkte oral¬ 
erotische Empfindung sein. 

Wenn ich also bereitwillig zugebe, daß oral-erotische Faktoren in der Kon¬ 
stitution des Paranoischen augenfällig sind, so bedeutet das noch nicht, daß 
meine Hypothese dadurch erschüttert sei. Nach einiger Überlegung findet 
man sich zurecht. 

2) „Sublimiert“ bedeutet nicht: „höher“ oder „komplizierter“ organisiert, sondern nur: 
sozial zulässig organisiert. 

















7 


Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn 

Denn oral-erotische Faktoren findet man in jeder, auch normalen Kon¬ 
stitution. Auch jede andere erogene Zone liefert ihren Beitrag sowohl zu 
der kranken als zur gesunden Psyche. 

3 - 

Wahn und Gesundheit 

Es ist ein verbreitetes und bedauerliches Mißverständnis zu meinen, daß je 
eine starke oral-, anal-, urethral- oder sonstige Erotik für neurotische oder 
psychotische Erkrankung verantwortlich gemacht werden könne. Starke Be¬ 
tonung dieser oder jener erogenen Zone kann bestimmte Charakterzuge her¬ 
vorbringen, niemals aber die Regression oder das Scheitern der sozialen An¬ 
passung erklären, worin eben die Erkrankung besteht. 

Darüber entscheidet nicht die Stärke, sondern nur der Fixierungsgrad 
der verschiedenen Faktoren (Triebe). Jede, sei es noch so starke Art von 
Erotik, soweit sie sich kombinieren oder umbauen läßt, ist sozialer Anpassung 
fähig und führt dann nie zur Psychose. Der Geisteskranke ist vom Normalen 
zu unterscheiden durch das Versagen seines Vermögens, die Befriedigung seiner 
antisozialen Neigungen so lange aufzuschieben, bis durch sekundäre Be¬ 
arbeitung ein sekundärer Nutzen oder ein scheinbarer Nutzen die Tat sozia 

zulässig macht. __ 

Krankheit ist im allgemeinen das Versagen eines Organs in seinem Ver- 

hältnis zum Ganzen. 

Geisteskrankheit ist ein Versagen des Individuums in seinem Verhältnis zur 
Gesellschaft. Es ist keine Krankheit des Organismus, sondern des Superorga- 
nismus. 

Geisteskranke sind nicht die einzigen Gesellschaftsmitglieder, deren soziales 
Anpassungsvermögen versagt. Auch das der Schwachsinnigen, der Verbrecher 
und ihrer vielen Zwischenstufen versagt. 

Der Verbrecher unterscheidet sich unter anderem vom Geisteskranken durch 
geringere Beeinträchtigung seines Aufschubvermögens. Er ist einigermaßen des 
Aufschubes fähig, aber nur bis zu dem Punkte, wo ein egoistischer Erfolg er¬ 
reichbar wird. Der ideale Normale ist imstande, seine Befriedigung aufzu¬ 
schieben, bis sekundärer, sozialer Nutzen erreicht wird. (Er erreicht dies 
durch vermehrten Abfluß in Gedanken, z. T. auch durch Umbau oder Le¬ 
gierung der Triebe.) 

Ein Beispiel, das ich meinem Aufsatz in der Ned. Maandschr. v. Geneeskunde 
Dez. 1930 entnehme: Nehmen wir an, daß ein Geisteskranker, ein Verbrecher 
und ein Normaler zugleich in einem Ladenfenster einen begehrten Gegenstand, 
z. B. eine Uhr, erblicken. Ihre Reaktion wird dann etwa folgendermaßen aus- 
sehen: 

Der Geisteskranke schlägt die Fensterscheibe ein und nimmt das Ding fort. 














8 A. Starcke 


Oder er geht in den Laden hinein und verlangt es. In beiden Fällen wird es 
ihm abgenommen und er wird fortgeführt. 

Sein Gewinn ist nur primär: die Entladung einer Spannung. 

Der Verbrecher kommt bei Nacht zurück, schneidet ein Stück aus der 
Scheibe, packt die Uhr und verkauft sie. Er hat seinen primären Gewinn auf¬ 
geschoben, hat jedoch dafür einen sekundären Gewinn: die Uhr. 

Der Normale endlich wartet, bis er durch Arbeit genug erspart hat, um die 
Uhr zu kaufen. Er hat die unlustvolle Spannung des Aufschubs noch länger 
ertragen müssen, hat aber dafür auch nicht die sekundär eintretende Angst 
vor der Verfolgung durch die Gesellschaft. 

Auch in Zuständen emotioneller Enthemmung fehlt das Aufschubvermögen. 
Mit Rücksicht darauf ergibt sich folgende Definition: 

Geisteskrankheit ist dauerndes oder episodisch während 
einer gewissen nicht zu kurzen Zeit auftretendes Unvermögen, 
antisoziale Impulse (und auch automatische unzweckmäßige 
Hemmungen) bis zu dem Zeitpunkte aufzuschieben, wo ent¬ 
weder das Individuum selbst oder die Gesellschaft davon 
sekundären Gewinn erntet. 

Die Triebe selbst sind bei Geisteskranken, Verbrechern und Normalen die¬ 
selben; verschieden ist nur der Zwang zum Kurzschluß. 

Schmutz ist Materie an falscher Stelle — antisozial eine Neigung, die zur 
falschen Zeit oder Stelle befriedigt wird. Keine einzige Neigung ist an sich 
ganz unbrauchbar, unter der Bedingung, daß sie auf geschoben werden kann, 
bis die Gesellschaft ihre Befriedigung erlaubt. 

Habsucht und Prunksucht können im Händler und Kaufmann, im Diplo¬ 
maten und Industriellen zu brauchbaren Tugenden werden, Blutdurst und 
Aggressivität zur Tüchtigkeit des Soldaten oder Chirurgen beitragen, Exhibi¬ 
tionslust zum Bühnenkünstler, Redner oder zur Autoritätsperson prädispo¬ 
nieren, Rachsucht und Querulanz zur Konstitution des gestrengen Richters 
und listigen Rechtsanwaltes Beiträge liefern. Herrschsucht und Ruhelosigkeit 
können sich als Organisationstalent vermummen, während Selbstmordhang, in 
verdünnter Form, nämlich als Selbstaufopferung, sogar in bestimmten Phasen 
zu einer der Grundlagen der Gesellschaft wird. 

Auch ein starkes Gewissen kann in ruhigen Zeiten für den guten Staats¬ 
bürger erforderlich sein; in Zeiten des Umsturzes, wie jetzt, zeigt es sich frei¬ 
lich meist unbrauchbar und führt oft zur Neurose. 

Bezüglich der Fähigkeit einer starken Analerotik zur sozialen Anpassung 
kann auf den glänzenden Aufsatz von Ernest Jones: Uber analerotische 
Charakterzüge 3 hingewiesen werden. 

3 ) Journ. of abnormal Psychology XIII, 261—284 (1918), Int. Ztschr. f. Psa. V, 67—92 
(1918). 

























Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn 


9 


Wir unterscheiden zwar die Psychosen als „narzißtische Neurosen“ von 
den übrigen; das bedeutet aber nicht, daß ein starker Narzißmus eine 
Psychose determinieren muß. 

Große Kapazität der narzißtischen Position bedeutet das Vermögen, unter 
allen Umständen glücklich zu sein, und hat durchaus nichts Pathologisches an 
sich. 

Krankhaft wird der Narzißmus nur, wenn die Quantitäten in dieser Position 
festgewachsen sind und sich auch nicht mehr temporär in eine andere Po¬ 
sition einreihen lassen, sobald es vom Ganzen gefordert wird. 

Eine genügend starke Oralerotik ist geradezu Voraussetzung für normale 
Mitglieder der Gesellschaft und kann jedenfalls von sich aus keine Psychose 
determinieren, am wenigsten aber eine Paranoia, denn der Paranoiker unter¬ 
scheidet sich vom Normalen nur durch die Asoziabilität seines Systems. 

Pathogen kann die Oralerotik nur wirken, wenn ihre Quantitäten sich nicht 
mehr frei von einer Stufe zu anderen verschieben können, sondern irgendwo 
festgelegt worden sind. Es ist besonders darauf aufmerksam zu machen, daß 
die frühe oralerotische Phase sich weit besser zu sozialer Sublimierung eignet 
als die spätere. Der soziale Mensch ist in dieser Hinsicht, verglichen mit den 
Asozialen, eher regressiv („fötalisiert“ nach Bolk, „neotenisch“ nach Came¬ 
rano). 

In den Lehrbüchern definiert man das Wahngebilde der Paranoiker (im 
weiten Sinne, also auch die Schizophrenie und den depressiven Wahn) als zu¬ 
sammenhängende fehlerhafte Gedanken, die der logischen Widerlegung nicht 
zugänglich sind. 

Unter jene Definition fallen aber auch die religiösen und philosophischen 
Überzeugungen, ohne welche wenige „Normale“ leben können. 

Denn da sie einander kontradiktorisch widersprechen, können sie nicht 
alle Recht haben, und bekanntlich hat nicht so sehr logische Diskussion zum 
endlichen Gleichgewicht beigetragen wie gegenseitige Bedrohung und Gewalt. 

So wird es denn begreiflich, daß Atheisten die Religionen einfach in die 
Wahnsinnsformen einreihen. Sie übersehen dabei aber einen wichtigen Unter¬ 
schied. Dem Wahne wohnt eine Tendenz zur Einsamkeit inne, den Religionen 
eine Tendenz zur Gruppenbildung. Für den Irreligiösen ist das der einzige, 
aber wichtige Unterschied, den ich habe entdecken können. 

Von Freud ist dieser Unterschied, so weit er das Zeremoniell betrifft, schon 
in einer seiner ersten Arbeiten (1907) hervorgehoben worden. 

Er vergleicht dort Religionsübung und Zwangsneurose. 

Auf die weitere Übereinstimmung der religiösen Überzeugung mit dem 
Wahne ist er damals, wahrscheinlich aus praktisch didaktischen Motiven, nicht 
eingegangen. 

Nicht das der Logik unzugängliche, anderen Gruppen fehlerhaft scheinende 
Gedankensystem macht demnach das Paranoische pathologisch, nur seine 











IO 


A. Stärcke 


Einsamkeit tut das. 4 Sobald ein für die Masse anscheinend durchaus para¬ 
noides System — z. B. das anthroposophische — sich auf weitere Personen 
ausdehnt und Gruppenbildung veranlaßt, wird das System aus der Pathologie 
herausgehoben und den „Sekten“, damit den Religionen, in anderen Fällen 
den philosophischen Überzeugungen zugezählt. Normal ist, was die Menschen 
zusammenbringt, psycho-pathologisch ist, was sie zur Einsamkeit treibt. Die 
Verfolgungsidee an sich — eine bestimmte Person oder Gruppe für die emp¬ 
fundene Unlust verantwortlich zu machen — ist nicht pathologisch, son¬ 
dern allgemein. Für Gruppe A sind die Kommunisten die Schuldigen, für 
Gruppe B die Katholiken oder die Juden, oder die Nationalsozialisten, oder 
die Atheisten, oder die Kapitalisten, ganz wie in der Paranoia. Eine Gruppe 
fürchtet die chronische Alkoholvergiftung als Quelle allen Übels, andere Grup¬ 
pen die Unzucht, den Schulunterricht oder die Mikroben. 

Wo holt man da die absolute Wahrheit her, mit der alle diese in den Augen 
der Anhänger sturmfesten, in den Augen der anderen grundfalschen Über¬ 
zeugungen verglichen werden sollten? 

In der Wahnpsychologie sollen also zwei Tatsachen unabhängig voneinander 
betrachtet werden: 

1. Die Neigung, der Logik unzugängliche Gedankensysteme zu bilden 
(universell). 

2. Die Einsamkeitstendenz dieser Gebilde beim Paranoiker. 

4 * 

Was macht einen Gedanken wahr? 

Wahr ist ein Gedanke für uns, wenn er in uns genügend oft 
wiederholt und ihm nicht oft genug widersprochen wird. 

Einen anderen Grund für den Wahrheitscharakter eines Gedankens, für den 
Wirklichkeitscharakter einer Vorstellung gibt es nicht. 

Der Kaufmann weiß sehr wohl, daß es genügt, eine an sich ganz aus der 
Luft gegriffene Behauptung, wie: „Der Kakao von Chose ist der beste“ un¬ 
zählbare Male zu wiederholen, sie der Masse immer wieder vor Augen zu 
stellen, um mit Sicherheit zu erreichen, daß der Kakao von Chose gekauft 
wird. 

Es wird erzählt, daß einmal bei einem dänischen Magenspezialisten zwei 
Amerikaner erschienen, um ihn um die Gunst zu bitten, seinen Namen einem 
von ihnen erfundenen Magenpulver zu leihen. Der berühmte Arzt wandte ein, 
er möchte erst die Eigenschaften des Pulvers kennenlernen. Das wäre aber 
ganz gleichgültig, meinten die Amerikaner, denn sie hätten zwei Millionen 
Dollar für Reklame zur Verfügung, der Erfolg des Mittels wäre also gesichert. 

4) Ähnlich wurde die Einsamkeit als Unterschied zwischen Paranoia und Genialität von 
Koväcs angegeben (Introjektion, Projektion und Einfühlung), Zentralbl. Psa. II, 6 > S. 317 
(1912). Vgl. auch Th. Reik, Dogma und Zwangsidee (mir leider unbekannt). 


















Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn 


ii 


Multatuli hat die nämliche Tatsache in einer seiner „Geschichten der 
Autorität“ schön parodiert. Zwei Dattelhändler in den Straßen von Damaskus 
versuchen, jeder durch Anpreisen seiner Ware, den Konkurrenten zu über¬ 
flügeln. Der eine, Hassan, siegt schließlich, nachdem er als Lobruf erfunden 
hat: „Die Datteln des Hassan sind größer, als sie sind.“ Seitdem kaufen die 
Leute die Datteln des Hassan. Und, fügt Multatuli hinzu, das ist so ge¬ 
blieben bis auf diesen Tag. 

Welche ungeheure Bedeutung die oftmalige Wiederholung der gleichen sinn¬ 
lichen Empfindung hat, kann man aus der Verehrung ermessen, die den Film¬ 
helden und -heldinnen zuteil wird. Ihre Namen, ihre Bildnisse erscheinen un¬ 
aufhörlich in den Zeitungen und auf der Leinwand, und zwar nicht, weil ihre 
Eigenschaften zufälligerweise mit dem allen Herzen gemeinsamen Götzenbilde 
der Epoche übereinstimmen, sondern umgekehrt: dieses Götzenbild fügt sich 
den Launen der finanziellen oder erotischen Lockungen einiger Unternehmer. 
Infolgedessen wird die Person zur Imago Dei, und wenn solch ein „Star“ 
irgendwo ankommt, wird er am Bahnhofe von einer freudetollen Menge wie 
ein Abgesandter einer höheren Wirklichkeit begrüßt und seinem oft nichts¬ 
sagenden Geplauder vor dem Mikrophon zugehört wie einer ersehnten 
Offenbarung. 

Die Mitteilung eines Sinnesorgans bekommt Wirklichkeitswert, sobald ihr 
nicht von anderen Sinnesorganen oder anderen Personen mit gleicher Kraft 
widersprochen wird. 

In pathologischen Fällen setzt sich die Empfindung trotz bleibenden Wider¬ 
spruchs von Seiten anderer Sinnesorgane zum Wirklichkeitswerte durch. Das 
ist die Halluzination. Es würde zu weit führen, wenn wir weiter auf diese ein¬ 
gingen. Ferenczi hat uns gelehrt, daß sie dem Lustprinzip dient und eine 
frühe Phase des Sensoriums darstellt. Zur Erklärung ihres Entstehens ist in 
einem kleinen Aufsatze in der J o n e s - Festschrift 1929 (Das Gewissen und die 
Wiederholung) ein Anlauf genommen (S. 222 und 229). 

Der Widerspruch gegen einen Gedanken seitens anderer Personen scheint 
jedoch nur dann wirksam, wenn er entweder in früher Jugend erfolgt, wo 
jede Person einen hohen Prozentsatz der Außenwelt darstellt, oder später, 
wenn er, wie z. B. in der Hypnose, von einer Übertragungsperson jener ersten 
Imagines ausgeht, oder endlich, wenn der Widerspruch von einer übermächti¬ 
gen Gruppe erhoben und unaufhörlich wiederholt wird. 

Das Durchsetzen eines unlogischen Gedankens trotz dem Widerspruch ist 
daher auch sowohl in pathologischen als in normalen Fällen durchaus nicht 
selten. Denn, sobald eine Gruppe den unlogischen Gedanken teilt und ihn 
stützt (soziale Sanktion, ekphoriert als Über-Ich), wird ein Widerspruch sehr 
wenig wirksam. 

Geht man von der Dreiteilung der Psyche in Es, Ich und Über-Ich aus, dann 
bekommt ein Gedanke Wahrheitswert oder eine Empfindung Wirklichkeits- 














12 A. Stärcke 


wert, sobald der in ihnen objektivierte Trieb (Es-Teil) sozial bzw. sensorisch 
sanktioniert, also ins ÜberTch bzw. ins Ich aufgenommen ist. 

5 - 

Wichtigkeit der sozialen Sanktion 

Es gehört zu den Grundlagen der psychoanalytischen Psychologie, daß Ge¬ 
danken jeder Art als Ausdruck von Triebüberschüssen fortwährend gebildet 
und durch eine oder mehrere Zensuren sekundär bearbeitet oder gehemmt 
werden. Weiter, daß die Zensur anfänglich hauptsächlich nach dem Lust¬ 
prinzip arbeitet, d. h. alle Gedanken hemmt, die den Narzißmus, das Glücks¬ 
gefühl stören könnten, und daß die Zensur erst in der weiteren Entwicklung 
allmählich eine Portion Realitätsprinzip anzunehmen lernt. 

Die Beobachtung desselben Impulses, den man selbst erlebt, bei einem 
anderen Individuum stützt den Impuls gegen ethische Ablehnung. Der 
hinzugehörige Gedanke bekommt damit mehr Wahrheitswert, er wird gegen 
logische Ablehnung gestützt, denn die Logik steht primär im Dienste der 
Ethik, d. h. es werden Gedanken abgelehnt, die eine geplante Tat stören könn¬ 
ten. So schafft sich jede Sekte oder Partei ihre eigene Ideologie, die sie als 
wahr annimmt. 

Die Beobachtung an sozialen Tieren hat schon längst diese Tatsache auf¬ 
gedeckt. 

Forel 5 fand, daß die Ameisen einer starken Kolonie viel mutiger sind als 
die Mitglieder einer schwachen Kolonie. Jeder Beobachter kann diese Tat¬ 
sache sofort bestätigen. 

Von Buttel-Reepen 6 fand sogar eines der ersten Motive sozialer Organi¬ 
sation in ähnlichen Beobachtungen an Bienen. „Fängt man eine Bienenart (die 
sich nur an besonders günstigen Orten in größeren Kolonien zusammenfinden) 
dort ein, wo sie einsam nistet, oder wo sich nur wenige Nestbauten gesammelt 
haben, so kann man ruhig mit dem Fangnetz seine Beute holen, es zeigen sich 
keine besonderen Erscheinungen. 

Trifft man aber dieselbe Art an einem mit Hunderten oder gar Tausenden 
von Nestern besäten Wohnsitz und man schlägt dann sein Netz nach einem 
gewünschten Exemplar, so erfolgt plötzlich ein gemeinsamer, heftiger Angriff, 
der einen ängstlichen Bienenjäger zum schnellen Zurückweichen bringen 
dürfte. Sehr hübsch sind die Fries eschen Angaben hierüber. Bei einer 
Andrena-ovina-¥±\xx %-Kolonie (eine solitäre Biene) mit ungefähr 300 Nestern 
wurde Friese, wenn er die Tiere durch Hin- und Herschlagen mit dem 
Netze aufregte, plötzlich von einem stärker summenden Schwarme so heftig 
angefallen, daß die Tiere durch den Anprall an seinen Körper zu Boden fielen. 

5) A. F o r e 1 : Les fourmis de la Suisse, Zürich 1874, S. 249. 

6) H. von Buttel-Reepen: Die stammesgeschichtliche Entstehung des Bienenstaates, 
Leipzig 1903, S. 17 ff. 





























Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn 13 

In der Rakos bei Budapest fand derselbe Beobachter die Lehmwände eines 
großen Scheunenvierecks derartig von Nestern der Anihophora parietina F. 
durchlöchert, daß er die Zahl der so bauenden Bienen auf 8000 bis x 0.000 
Stück einschätzte. ,Die Wände sahen aus 1 , so berichtet der Autor, ,als wären 
sie von unzähligen Kugeln durchlöchert. Schlug ich mit dem Netz nach den 
zahllosen Bienen, so fiel ein ganzer Schwarm auf mich ein, was sonst bei diesen 
Tieren nicht der Fall ist; vielleicht gab ihre Masse ihnen den Mut‘.“ 

Alfken hat bei Bremen mit derselben Art ähnliche Erfahrungen gemacht. 7 

Bei der gewöhnlichen Honigbiene Apis mellifica erwehrt sich nach von 
Buttel-Reepen ein kleines, schwaches Volk seiner oft sehr schwachen und 
leicht zu überwältigenden Feinde nicht, ein starkes ist „angriffslustig“ und ver¬ 
treibt jeden Eindringling. 

Bei den Wespen hat Rouget festgestellt, daß die Hornissen desto reizbarer 
sind, je zahlreicher sie sind. 8 

Offenbar kann eine „Masse“ nicht nur durch gemeinsame Liebe zu einem 
Führer, sondern noch eher durch gemeinsamen Haß gegen einen Feind ent¬ 
stehen. Gewiß ist in ähnlichen Vorgängen auch der Grund zu suchen, 
warum eine „Masse“ ethisch tiefer steht als jedes sie zusammensetzende In¬ 
dividuum. 

Nicht nur die vollentwickelte Tat, sondern auch die feinste Impulsandeu¬ 
tung wird von den anderen verspürt und vermehrt die Zahl der in einem In¬ 
dividuum möglichen Ekphorien einer sonst verpönten Handlung. 

Damit bekommt sie mehr ethische Sanktion, die Zensur wird ihr gegenüber 
und auch der zugehörigen Ideologie gegenüber schwächer. 

Daß es wirklich die Zahl — und dann wahrscheinlich die Anzahl der be¬ 
obachteten gleichgerichteten Impulse — ist, wovon die soziale Sanktion ab¬ 
hängt, und nicht eine andere Eigenschaft der Masse, geht aus der Tatsache 
hervor, daß der Einfluß der Masse im Verhältnis zu ihrer Größe wächst. Der 
Gehorsam der Mode gegenüber zeigt, wie gewaltig die Macht der sozialen 
Sanktion einen jeden beeinflußt. (Dem tut die Tatsache keinen Abbruch, daß 
die sich als „Herren c und „Damen“ fühlenden gesellschaftlichen Gruppen sich 
einer neuen Mode anschließen, sobald die alte auch in den niederen [Sklaven-] 
Schichten allgemein geworden ist.) 

Die soziale Sanktion wäre demnach eine Bahnung durch oftmalige Wieder¬ 
holung im kleinsten Maßstabe. 

Im Paranoiker ist die Macht der Societas dem Ich gegenüber verringert, da¬ 
her bedarf er nicht der sozialen Sanktion; seine eigene, narzißtische Sanktion 
genügt ihm. Nicht das Entstehen der Wahngedanken ist bei ihm 
anders als beim Normalen, sondern die sekundäre Auslese ist bei 
ihm defekt, wahrend sie beim Normalen nach sozialen Kriterien arbeitet 

7) von Buttel-Reepen : 1 . c., S. 18. 

8) A. Rouget: Coleopt^res parasites des Vespides, Mem. Ac. Dyon 1872—1873. 











H 


A. Stärcke 


und das Zusammenhalten der Gruppe verbürgt. Nur der Narzißt kann ein¬ 
same Gedanken vertragen. 

Nicht nur der Inhalt der Wahnidee (Größenwahn, Verfolgungswahn), son¬ 
dern auch die eigentümliche Unzugänglichkeit des Wahnes (und der ana¬ 
logen Systemgedanken der Normalen) findet in der Verschiebung von Quanti¬ 
täten aus der Objekterotik in narzißtischer Richtung genügende Erklärung. 
Die autoerotische Konstitutionsformel des einschlägigen Narzißmus ist dabei 
gleichgültig. 

Wenn jemand nun gegen mich einwenden würde, der Wahn der Paranoiker 
unterscheide sich doch vom Systemgedanken der Normalen, er sei besonders 
infantil, bizarr und unmöglich, und außerdem sei sein Verhalten auch sinn¬ 
loser, so würde ich mit kurzer Verneinung darauf antworten. Man gibt sich 
zu wenig Rechenschaft davon, wie korrigierend die Gesellschaft fortwährend 
auf uns einwirkt, wie sie unsere täglichen Unsinngedanken hemmt, unsere 
asozialen Gewohnheiten in Schranken hält, mit einem Worte, wie sie unsere 
gesellschaftliche Oberfläche fortwährend glattschleift, und wie rasch ein 
Mensch entartet, dem dieser tägliche Kontakt fehlt. 

Hat sich einmal ein Individuum eine gesellschaftliche Ablehnung seiner 
Lebenslüge auf den Hals geladen, so entbehrt er fortan auch dieser täglichen 
Korrektur. Es kommt ein Circulus vitiosus zustande, die Vereinsamung be¬ 
günstigt den Wahn, der Wahn befördert die Vereinsamung, und es sind die 
Opfer dieses vitiösen Kreisgang es, die man als Paranoiker, bzw. Paraphrene 
usw. in den Anstalten antrifft. Für denjenigen, der die radikale Umwälzung 
mitgemacht hat, welche die Methode der „aktiven Therapie“ nach Simon in 
den Anstalten zur Folge hatte, der gesehen hat, wie rasch eine Anzahl Bizar¬ 
rerien und störende Gewohnheiten sich verloren, und wie innerhalb einiger 
Monate Wachsaal und Isolierzimmer tagsüber leerstanden, dem ist die Rolle 
des fortwährenden geistigen Kontaktes nicht mehr zweifelhaft. 

Das Zustandekommen des Circulus vitiosus kann durch besonders starr ge¬ 
wachsenen Narzißmus des Paranoikers in spe begründet sein, aber es kann 
auch daran liegen, daß er nicht genügend intellektuelle Fähigkeit oder keine 
genügende Aktivität besitzt, um eine Gruppe in seine Hand zu bringen und 
seine Idee von dieser adoptieren zu lassen. 

Und schließlich muß es gar nicht seine Eigenschaft sein, die diese Entwick¬ 
lung bewirkt, es kann auch an der umgebenden Gruppe liegen, die zu be¬ 
stimmter Zeit und Stelle einen Systemgedanken feindlich ablehnt, den sie zu 
anderer Zeit vielleicht hochgehoben hätte. (Okkultismus, halluzinierende 
Heilige und Hexen, Lavoisier im Gefängnis, Kopernikus, Bruno und die ganze 
Reihe der wissenschaftlichen Märtyrer.) 

Die „Neurosenwahl“ ist nicht eine einmalige, sie findet jeden Augenblick 
aufs neue statt. Von jedem Handeln und jedem Denken wird zu jeder Zeit 
wieder bestimmt, ob es nach dem orthophrenen, metaphrenen, paraphrenen, 


























Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn 


*5 


hysterischen Schema von dieser oder jener Farbe stattfinden soll. Der sekun¬ 
däre Gewinn (soziale Auslese) ist dabei mindestens so wichtig wie der Primär¬ 
faktor, das haben wir in den Anstalten seit Simon zur Genüge beobachten 
können. 

6 . 

Zusammenfassung des bisher Besprochenen 

1. Die Bildung von anti-logischen Systemgedanken ist nicht pathologisch, 
sondern universell. 

2. Das Festhalten an anti-logischen Systemgedanken ist universell für 
Gruppen. 

3. Das einsame Festhalten an anti-logischen Systemgedanken gelingt auf 
die Dauer nur dem narzißtisch Fixierten. 

4. Ob bei diesem eine Paranoia entsteht, hängt zum Teil von seiner intellek¬ 
tuellen Leistungsfähigkeit, zum Teil von den Eigenschaften der Gruppe ab, 
die ihn umgibt. 

5. Die prädisponierende Fixierung für die Paranoia ist nicht eine anale oder 
eine orale sondern eine narzißtische. 

Außerdem ist eine stark ambivalente, quantitativ gesteigerte analerotische 
Komponente erforderlich. 

6. Der Vorgang bei der Bildung von anti-logischen Systemgedanken ist, 
für den Fall des Verfolgungsgedankens, sei er normaler oder pathologischer 
Art, eine Spaltung der ambivalenten Quantität mit regressiver Verlegung des 
positiven Teils aus der objekt-erotischen Position in die narzißtische. 

7. Noch nicht besprochen, aber hier anschließend: Die Ursache der nar¬ 
zißtischen Fixierung ist eine Verwöhnung in einer Epoche in frühester 
Jugend. Das weitere Studium der Paranoia wird vornehmlich der Erforschung 
dieser Epoche gelten, deren genaue Lokalisation bis jetzt unbekannt ist. 

Das Fehlen einer Belohnung, welche für allo-erotische Betätigung bahnend 
hätte sein können, könnte ebenfalls narzißtisch fixierend wirken durch Mangel 
an Kapazitäten, um Quantitäten in anderen Positionen aufzunehmen. 

8. Die Gelegenheitsursache für das Ausbrechen einer psychotischen 
paraphrenen Phase (die dann wieder abheilen oder sich durch Circulus vitiosus 
ad infinitum verlängern kann) kann sein: 

A. Ekphorie eines früher erlebten homosexuellen Komplexes. Ich sah einen 
Fall dieser Art. 

B. Reizung der analen Zone. 

C. Abbau einer hochsozial entwickelten affektiven Bindung, wie das Ver¬ 
hältnis vom Untergebenen zum Vorgesetzten, bei mangelhafter Sublimierungs¬ 
kapazität. In diesem Falle entsteht Libidostauung (mit Regression des Über¬ 
schusses), ohne daß eine abnorme Entwicklung der homosexuellen Faktoren 
im Spiele zu sein braucht. 









1 6 A. Stärcke 


D. Zu rasch verlaufende Pubertät, so daß das Individuum keine Gelegenheit 
hatte, sein kulturelles Sublimierungsvermögen an den Fluß von aufwallenden 
Haß- und Konkurrenzgefühlen anzupassen, welche durch das rasche Fortfallen 
der andersgeschlechtlichen Hormone 9 verursacht werden. In solcher Position 
werden gewiß Schwierigkeiten mit Vorgesetzten unvermeidlich sein. 

Wie ich (Psychiatrische en Neurologische Bladen 1928, Nr. 5/6) auseinander¬ 
gesetzt habe, besteht die Möglichkeit, daß derselbe regressive Symptomenkom- 
plex sowohl bei einem Zuviel eines gewissen Hormons als bei einem Zuwenig 
zustande kommt. 

Die gute Erziehung sollte von Belohnung und Bestrafung den richtigen Ge¬ 
brauch machen, d. h. sie sollte nur nützliche bedingte Reflexe zustande kom¬ 
men lassen. Das ist jedoch noch nicht genug, sie soll dabei auch noch 
darauf achten, keinen auch noch so nützlichen Reflex zu schwer oder zu an¬ 
dauernd zu belohnen. Ein jedesmaliger Wechsel in den Bedingungen soll da¬ 
für sorgen, keine zu tiefe Fixierung zustande kommen zu lassen. Denn Beweg¬ 
lichkeit der Quantitäten ist die erste Forderung, der die Triebzusammensetzung 
des modernen Menschen entsprechen muß. 

Unrichtige Bestrafung kann unverhältnismäßig schwer erscheinende Cha¬ 
rakterstörungen bewirken, unrichtige Belohnung kann für Psychose prädispo¬ 
nieren. Für beides darf vielleicht ein Beispiel gegeben werden: 


9) Dieser Satz bezieht sich auf eine Auffassung der Pubertät als Periode des Unterganges 
eines Teiles des Keimplasmas. Schon 1917 (Ned. Tydschrift v. Geneeskunde 1918, Nr. 6, II; 
idem: Jahresberichte über Fortschritte d. Neur. u. Psych. 1919, S. 118) und wiederum 1930 
(Ned. Maandschrift v. Geneesk., S. 353 ff.) wies ich darauf hin, daß die Pubertät als eine 
Folgeerscheinung des Absterbens eines Teiles des Keimplasmas auf gef aßt werden kann. Man 
unterscheidet bekanntlich den somatischen Tod vom sexuellen Tod, dessen 
Gipfelpunkt das „Klimakterium“ bildet. Es findet jedoch der sexuelle Tod, der Tod des 
Keimplasmas, oder jedenfalls die Verringerung seiner Funktion, nicht in einer, sondern in 
zwei Phasen statt. In der ersten Phase stirbt der allo-sexuelle Teil ab, der weibliche Teil beim 
Manne, der männliche Teil beim Weibe. Jedes Individuum ist ja ursprünglich bisexuell ver¬ 
anlagt und geht, einer Kurve gemäß, die im Pubertätsalter einen Gipfel zeigt, in eine mehr 
mono-sexuell orientierte Gestalt über, welche sich dann schließlich, im Klimakterium, mehr 
oder weniger desexualisiert. 

Die erste Phase jenes Absterbens des Keimplasmas, das Absterben des Männlichen, das ein 
Kind zur Jungfrau macht, das Absterben des Weiblichen, das ein Kind zum Jüngling macht, 
dieser allo-sexuelle Tod ist im Pubertätsalter, wenn nicht stärker als zuvor, doch zu einem 
Punkte gelangt, wo er sich hormonal mehr äußert als zuvor. 

Die Pubertät ist Folge der ersten (allo-sexuellen) Phase des sexuellen Todes. Es ist zwar 
psychologisch eine schöne Phase der Entfaltung vieler psychischer Eigenschaften, biologisch 
aber in erster Linie die Phase der einseitigen Geschlechtsentfaltung mit Verkümmerung der 
andersgerichteten Möglichkeiten (Potenzen), in zweiter Linie die Phase, in welcher das Wachs¬ 
tum aufhört, den Abbau nachdrücklich zu übertreffen. Grosso modo gesagt, ist nur die 
Hälfte der Faktoren, die das Wachstum stimulieren, noch übrig. 

Wenn die zweite Phase des sexuellen Todes, die holo-sexuelle Phase, das Klimakterium, 
die präsenilen und senilen Geistesstörungen veranlassen kann, wäre es nicht unmöglich, daß 
die Pubertätspsychosen mit der ersten, allo-sexuellen Phase in einem gewissen Zusammenhang 
stehen. 





















Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn 17 

Die Lutschkappe der Saugflasche muß durchlöchert sein, und viele Mütter 
pflegen sie mit einer großen Nadel einfach zu durchstechen. 10 

Die Folge ist, daß sich ein Ventil bilden kann. In diesem Fall saugt das 
Kind und saugt und bekommt jedesmal nur einen Tropfen, dann schließt sich 
das Ventil und alle geleistete Anstrengung bleibt erfolglos. Ist der Sachverhalt 
nun so, daß das Kind schließlich doch genug bekommt, so kann der Boden zu 
einem anspruchslosen, arbeitsamen Charakter damit gelegt worden sein. Im 
entgegengesetzten Fall aber ergibt sich ein ausgezeichneter Anlaß zur Bildung 
einer unzufriedenen Natur mit Tendenz zu immerfort sich wiederholender 
Enttäuschung. 

Nun ein Beispiel einer unrichtigen Belohnung: Es gibt Pflegepersonen, 
die ein Kind, das an Darmkatarrh leidet und vor Bauchschmerzen weint, 
immerfort streicheln, sich zu ihm setzen und seinen Schmerz wegzuliebkosen 
versuchen. Das ist sehr begreiflich und doch verkehrt, denn es züchtet eine 
lästige Ambivalenz, es legt eine Verbindung zwischen objekterotischer Lust 
und autoerotischer Unlust. 

In gesundem Zustande soll das Kind durch Liebkosung die Liebe erlernen, 
damit sich nicht durch Verknüpfung mit Schmerz eine Tendenz ergebe, den 
Schmerz zu ersehnen. 

Ich weiß gar nicht, ob meine Kollegen, die Kinderanalyse üben, mit mir ein¬ 
verstanden sind; jedenfalls wäre es angebracht, einander zu befragen und Tat¬ 
sachenmaterial zu dieser Frage zu sammeln. Speziell in der Anamnese der 
Frühjugend Wahnkranker wäre auf schmerzhafte Darmkrankheiten, auf ge¬ 
wohnheitsmäßige Anwendung von Suppositorien und Klistieren, und zweitens 
auf (außerordentliche) Verwöhnung (wenn auch nur in einer beschränkten 
Phase) achtzugeben. 

Als Verwöhnung wirkt alle Belohnung ohne Leistung. 

7- 

Das Gewissen und der Wahnsinn 

Je länger ich Paranoiker beobachte, desto mehr wächst meine Überzeugung, 
daß auch in dieser Psychose das Gewissen eine Rolle spielt. 

Es sind nicht nur der positive Narzißmus und die negative Objekterotik, 
die den Wahnkranken von der sozialen Mitwelt isolieren; es ist auch eine 
Selbstbestrafüng dabei. In dieser Hinsicht findet man alle Übergänge zwischen 
Paraphrenie und Melancholie mit depressiver Wahnbildung. Es gibt Fälle, in 
welchen die Selbstbestrafung primär und der Größenwahn fiktiv darüber ge¬ 
baut ist, ohne die erniedrigte und depressive Stimmung besiegen zu können. 
Zu meinem Bedauern kann ich nichts weiter zu dieser Frage beitragen, was reif 

10) Statt hiezu eine glühende Stricknadel zu verwenden oder von innen nach außen mit 
einem dünnen, spitzigen Holzstäbchen den Kautschuk anzuspannen und die gedehnte Stelle 
mitsamt der Holzspitze abzuschneiden, wie es J. Stärcke empfahl (Nosokomos 1916). 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/i 













i8 


A. Stärcke 


genug zur Mitteilung wäre, und muß mich auf diese Andeutung beschränken 
in der Hoffnung, andere anzuregen, ebenfalls darauf acht zu geben, und zwar 
speziell darauf, ob die negative Objekterotik wirklich besteht oder nur als 
Vorbau zu einer allzu primitiven positiven Position dient. 

8 . 

Der Wiederholungsrhythmus als Grund der Fixierung einer 

Idee 

Jede Analyse, jeder Erklärungsversuch des geisteskranken Gedanken¬ 
lebens hat von zwei Sätzen Freuds auszugehen. 

Der eine Satz lautet: Gedanken sind Probehandlungen im kleinsten Ma߬ 
stabe. 

Der zweite Satz: Die Entwicklung schreitet von der Wiederholung zur Er¬ 
innerung vor. 

Nach welcher Stufenleiter man sich die Entwicklung vom Wiederholen zum 
Erinnern vorstellen kann, ist in Abschnitt VIII des zweiten Teiles meiner 
Schrift „Psychoanalyse und Psychiatrie“ dargelegt. 

Auch Gedanken werden die Stufen der tonischen Wiederholung (vegetatiye 
Gefühle der niederen Klasse), der epileptischen Wiederholung (Gefühl der Unio 
mystica), der rhythmischen Wiederholung, der reaktiven Wiederholung und 
der aufgeschobenen Wiederholung durchmachen. Die letztere wäre dann mit 
dem „logischen Denken“ identisch. 

Es ist nun sofort klar, daß die Wahnidee (idee fixe) sich zum gewöhnlichen, 
plastischen Denken verhält wie die „stereotype Bewegung“ zur plastischen 
„Handlung“* Die Wahnidee, die als Beziehungswahn anfängt, vertritt einen 
bestimmten gebahnten Komplex, der automatisch von den verschiedensten 
Reizen her angespielt wird, nach demselben Mechanismus, wonach bei Tieren 
bestimmte Handlungsreihen, z. B. der „Beutefang“ der Libellen, die feste 
Sangstrophe eines Singvogels usw. von verschiedenen Reizen in Gang gesetzt 
werden. 

Die Wahnidee ist ein Denken auf der Stufe der rhythmischen 
oder der reaktiven Wiederholung. 

Ich habe das 1921 nicht nachdrücklich ausgesprochen, weil ich es nach 
meiner Auseinandersetzung für selbstverständlich hielt. Zu meinem Befrem¬ 
den muß ich jedoch feststellen, daß kein Autor den Wahn von diesem psycho¬ 
logischen Gesichtspunkte der Regression des Ich-Triebes aus hat betrachten 
wollen. 

Der Zwangsgedanke (der übrigens immer mit der Wahnidee vergesell¬ 
schaftet vorkommt) unterscheidet sich von ihr in untergeordneten Punkten, 
hauptsächlich durch die oft hinzukommende sekundäre Bearbeitung des In¬ 
haltes und durch den ihm noch anhaftenden Zweifel. Beide sind Vertreter 
einer Denkrhythmik auf wenig entwickelter Stufe. Märchen, Aberglaube, 

















Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn 


19 

einige Traumarten, Wahnidee und sektiererische Überzeugung zeigen alle diese 
Unveränderlichkeit und diese Tendenz zur hohen Frequenz des Auftretens. 
Je öfter eine Gedankenbahn von Reizwellen in derselben Weise begangen wird, 
desto höher wächst die Wahrscheinlichkeit, daß eine neue Welle denselben 
schon erleichterten Weg nimmt. 

Diese hohe Frequenz der unveränderten Wiederholung gibt dem Unsinn 
der Zwangsgedanken (noch mit Zweifel behaftet) und dem Wahne Wahrheits¬ 
wert und macht sie gegen soziokritische und sinneskritische Ablehnung 
resistent. 

Wenn man die gesamten Tatsachen überblickt, so kann man sagen, daß nur 
der nach Form und Inhalt infantile Gedanke für uns so „wahr“ ist, daß er 
widerspruchs-resistent wird, wie uns ja auch in der Jugend die Welt wirk¬ 
licher ist als je später. Nur das Kind kennt die volle Kraft des Als„wahr“- 
empfindens. Nur das Kind findet gut, findet schön. Alle Werturteile des Er¬ 
wachsenen sind mit Zweifel behaftet. Nur dasjenige, das noch Kind ist in uns, 
hat Wert. Später gebildete Gedanken bekommen den Charakter des „Wahr“- 
seins nur durch das Aufnehmen infantiler Kerne. 


9 - 


Der Unterschied zwischen Neurosen und Psychosen 
Zwischen Neurosen und Psychosen besteht nicht ein Rangunterschied in der 
Weise, daß etwa die psychotischen Symptome tiefere Regressionen als die 
neurotischen sein sollten. Der Unterschied liegt nur in dem innern Konflikt. 
Wir haben nicht nur die Tiefe der Regressionen, auf welchen die Quantitäten 
fixiert sind, sondern auch die Größenwerte dieser Quantitäten in Betracht zu 
ziehen. Ist das auf anderer als der eben sozial geforderten Regressions- bzw. 
Entwicklungsstufe fixierte Quantum gering genug, um einen Kampf mit 
den mobilen Quantitäten zu veranlassen, so ergibt sich ein „neurotisches“ 
Symptom, unabhängig von der mitunter — z. B. bei der Konversionshysterie 
— sehr großen Tiefe der Regression. 

Ist das auf einer anderen als auf der am bestimmten Orte und zur bestimm¬ 
ten Zeit sozial geforderten Stufe fixierte Quantum so groß, daß, bei Mangel 
an gesundem Widerstand, kein nennenswerter innerer Kampf entsteht, oder 
jedenfalls das Ergebnis des Kampfes sozial ungünstig ausfällt, so ergibt sich 
die „Psychose . Der Konflikt ist dann nach außen verlegt. 

Die Stufe(n) der Regression bzw. Entwicklung kann (können) dabei tief, 
aber auch sehr untief sein; sie kann (können) sogar gelegentlich höher liegen 

als die Stufen der gleichzeitigen normalen Gesellschaft (z. B. bei der Melan¬ 
cholie). 


Bei jeder psychischen Bewegung (Handlung, Gedanke) muß, von den anderen 
gesondert, die „Neurosenwahl“ stattfinden. Daher schließen Neurosen und 
rsychosen einander nicht aus. 


2* 









20 


A. Stärcke 


10 . 

Die wechselerotische Trias 

Ich habe 1918 ein analerotisches Objekt, das Skybalum, als den „wirklichen 
Verfolger“ aufgezeigt, der das Vorbild für den späteren Wahn liefert, das dieser 
nur aus der Wirklichkeit der frühen Kindererinnerungen zu kopieren braucht. 
In mehreren Fällen wird auch im manifesten Wahne die Angriffsstelle der 
Verfolgung direkt als eine anale angegeben, in anderen Fällen ist sie leicht als 
solche zu entlarven. 

Diese Befunde haben mir zwar den Weg gezeigt, maßgebend für die bleibende 
Wahl jener Hypothese war jedoch eine theoretische Forderung. 

Daß der Größenwahn als Ergebnis eines verstärkten Narzißmus seinen Zu¬ 
wachs aus irgendeiner anderen Libidoposition beziehen muß, hatte Freud 
schon ausgesprochen. Die Frage war nur: woher stammt dieser Zuwachs, 
welcher Teil der sublimierten Homosexualität hat seine Position in dieser Zu¬ 
sammensetzung verlassen, um sich dem Narzißmus einzuverleiben? Nun 
wissen wir aus der täglichen analytischen Erfahrung, daß stark ambivalent 
geladene Faktoren sich am leichtesten aus derl zusammengesetzten Verbindun¬ 
gen abstoßen und frei werden. Es lag also auf der Hand, eine stark ambi¬ 
valente Quantität als die schuldige anzusehen, deren Verschiebung aus der 
sublimierten Homo- (oder Hetero-!) Sexualität zum Narzißmus den Verfol¬ 
gungsgedanken auslöst. 

Um so mehr mußte in dieser Richtung gesucht werden, da zugleich rrfit 
dem verstärkten positiven Narzißmus eine relative Verstärkung der nega¬ 
tiven Objekterotik auftritt. 

Nun sind die analerotischen Faktoren wohl immer stärker ambivalent als 
die übrige Autoerotik. Dieser Umstand erlaubte urid erlaubt noch, auch un¬ 
abhängig vom manifesten Inhalte des Wahnes, die analerotische Quantität als 
den Faktor anzudeuten, welcher bei der Wahnbildung seine Position wechselt. 

Auch durch die Tatsachen, die Westerman-Holstijn hervorhebt, wird 
die Theorie nicht erschüttert. Zwei Gedankengänge können ihnen entgegen¬ 
gehalten werden. 

I. Wenn es auch allgemein vorkommt, daß die Verfolgung als eine orale 
angegeben wird, so ist nichtsdestoweniger der Verfolger gemischter oder rein 
analer Herkunft. Beim Vergiftungswahn kommt es viel seltener vor, daß ein 
bestimmtes Gift, als daß ein unbestimmter Schrtiutz in das Essen projiziert 
wird. Kot wird in das Essen hineingegeben, oder faulende Substanz, Men¬ 
struationsflüssigkeit, Sperma, Urin, tote Tiere. Der Kranke befürchtet davon 
nicht den Tod, sondern Befruchtung, Impotenz, Wahnsinn oder Beschmutzung 
seiner geistigen Reinheit. In vielen Fällen wird diese Nahrung nicht auf Grund 
oraler, sondern auf Grund analer oder genitaler Empfindungen gescheut, nur 
daß der Kranke keine andere Ursache als das Essen für die störenden Gefühle 
ausfindig machen kann. 
































" Die j^oiJe der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn 21 

In allen diesen Fällen kann eine Ambivalenz sekundär auf das Essen über¬ 
sein. Sie stammt entweder aus dem Kastrationskomplex oder aus 
Ünalen Komplexen. Unklare Unterscheidung im zartesten Alter zwischen 
analer und andersartiger Unlust erlaubt solche Verknüpfungen (s. II). 

U w enn w j r Erwachsenen das Wort „Kot“ oder „Penis“ aussprechen, 
ekphorieren wir einen ganz winzigen Komplex im Vergleich mit dem unge¬ 
heuren Umfang dieser Vorstellungen beim kleinen Kinde. 

Wenn ich sagte, der Kot sei der Urverfolger, so ist damit der „Kot“begriff 
des kleinen Kindes gemeint und nicht der an Umfang erheblich geringere Teil 
davon, der durch Spaltung jener Imago bei uns davon übrig geblieben ist. 
Drei Imagines sind die Grundlagen der Möglichkeit, Quantitäten aus der 
Objekterotik zum Narzißmus oder vice versa zu verschieben. Es sind der Kot 
(und der Urin), der Penis und die Brustwarze. 

Diese Gegenstände haben alle drei die Eigenschaft, zeitweilig dem eigenen 
Körper, zu anderen Zeiten der Außenwelt zuzugehören. 

Der Penis zeigt dazu noch Ungehorsam dem bewußten Willen gegen¬ 
über. Vielleicht gehört noch ein vierter Begriff hinzu: die Mutter, als erstes 
aus dem Ich ausgestoßenes und zu Außenwelt gewordenes Fragment (Alex¬ 
ander). Später kommt noch ein fünfter dazu: das Kind. 

Freud hat in einem überaus wichtigen Aufsatz auf die verwickelten Be¬ 
ziehungen zwischen den Begriffen „Kot“, „Geschenk , „Penis und „Kind hin¬ 
gewiesen 11 und dabei hervorgehoben, daß sie unter Umständen einander er¬ 
setzen können. 

Offenbar sind sie auf irgendeiner Entwicklungsstufe noch mehr oder weniger 
verschmolzen und heben sich später einzeln aus der Gemeinsamkeit heraus. 
Früher schon wird die gemeinsame Repräsentanz von „Kot“, „Penis“ und 
„Brust“ gebildet, nicht in der Weise, daß gesonderte Komplexe zusammen¬ 
fließen, sondern durch uranfängliche Einheitlichkeit, aus der sie später durch 
Spaltung hervorgehen. Diese wechselerotische Trias ist die Brücke zur Bildung 
der „Außenwelt“ aus dem Ur-Ich. 

Sie umfaßt nicht nur die Begriffe, welche für uns den obengenannten 
Worten entsprechen, sondern außerdem die Engramme, welche in dieser 
Periode in irgendeiner Weise mit dem Rektum, der Schamgegend, dem Munde 
und der Mutter zu tun haben, also einen erheblichen Teil der späteren Gegen¬ 
standswelt. Der Säugling hat noch keinen Namen für diese Imago; sie ent¬ 
spricht der ersten Phase der Abspaltung aus der ersten Umwelt-Imago, welcher 
alle Sinnesqualitäten 12 noch fehlten. Sie umfaßt den Kern der gesamten 
,»Außenwelt“, die sich aus ihr dinglich abspaltet. Dem nicht in Gegenständen 

11) Über Triebumsetzungen insbesondere der Analerotik, Int. Ztschr. f. Psa. IV (3), 
S. 125—130 (1917)- 

12) S. Imago, Bd. XII, S. 269 (1926). 











22 


A. Stärcke: Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn 


aufgesplitterten Rest gibt der Erwachsene denselben Namen wie der früheren 
noch fast qualitätslosen Phase. 

_ Schon früh wird der jedesmalige Überrest der Trias in zwei Schwesterima¬ 
gines gespalten, deren einer einen unlustbetonten Teil, der andere das übrige 
umfaßt. Ersterer bleibt bei Primitiven als „Teufel“ mehr oder weniger intakt, 
der zweite umfaßt sowohl die „Welt“ als den Überrest der Trias, welcher in 
seinen symbolischen Darstellungen seine Abstammung von den unklar unter¬ 
schiedenen Penis- und Brust-Imagines noch deutlich zeigt. 

Nach Tausk ist der Verfolgungsapparat genital, nach Stärcke anal, nach 
Westerman-Holstijn oral. Damit sind die drei Abkömmlinge der Trias 
gewürdigt. 

Wenn ich nun sagte, der Urverfolger sei der Kot, so meine ich damit, 
daß die Trias ihre Eigenschaft, als Verfolger auftreten zu können, hauptsäch¬ 
lich aus den analen Reizkomplexen erwirbt. Der Oralerotik haftet viel weniger 
Unlust an, der Pykniker ist im allgemeinen gut gelaunt, optimistisch. Die oral¬ 
erotische Unlust scheint im allgemeinen dem Kastrationskomplexe zugeführt 
zu werden und behält starke Verbindung mit genitalen Komplexen. Längs 
diesem Wege wird ihr offenbar soziale Anpassung in anderer Bearbeitung, nicht 
als Verfolgungsgefühl, möglich. Die Erwartung von Feindlichem scheint sich 
in zwei Strömungen zu sondern, nämlich den Kastrationskomplex und den 
Verfolgungsgedanken. Das Mißtrauen, der Verfolgungsgedanke, hat eine anale 
Betonung, die Kastration erwartet man mehr vom genital-oralen Teile der 
Trias nicht vom Teufel, sondern von Gottvater. Obwohl es möglich, so¬ 
gar wahrscheinlich ist, daß diese Trennung nicht absolut genügt, um gegen¬ 
seitigen Austausch unmöglich zu machen, ist sie doch im großen und ganzen 
durchführbar. 

Der „Teufel“ ist der „Verfolger“ der Primitiven und der normalen (sozialen)- 
orthophrenen Menschheit, d. h. desjenigen Teiles der Menschheit, der noch 
auf dem Familienleben fußt und dessen Produktionszwang noch einen guten 
genitalen Rest zeigt und auf Erzeugung von Kindern hin orientiert ist. Der 
„Verfolger“ des modernen Menschen, des Metaphrenen, der an von neuroti¬ 
scher Angst beseeltem Produktionszwang von Gegenständen leidet, wird 
von den Begriffen „Schmutz“ (Abwehr: Reinlichkeit), „Mikroben“ (Abwehr: 
Hygiene), „Zeit“ (Abwehr: Tempo) und „Kapital“, „Geld“ (Abwehr: öko¬ 
nomisch-politisches Parteiwesen) vertreten. Vom Teufelsbegriff ist die nahe 
Verwandtschaft mit dem Kot bekannt. Die metaphrenen Analoga des 
„Teufels* : Schmutz, Zeit und Geld besitzen ebenfalls einen hohen Analgehalt. 

Vielleicht darf man in dem analen Charakter der „Verfolger“, welche die 
sozialen Menschen quälen, eine Stütze für die anale Theorie des Verfol¬ 
gungswahnes erblicken, der sich ja nur durch sein Vorkommen bei Geistes¬ 
kranken von seinen normalen Analogen unterscheidet. 



























Passivität, Masochismus und Weiblichkeit 1 

Von 

Marie Bonaparte 

Paris 

Die Schmerzen bei den weiblichen Fortpflanzungsfunktionen 

Auch bei oberflächlichster Betrachtung wird man sich der Erkenntnis nicht 
verschließen können, daß das Maß an Schmerz, dem Mann und Frau bei den 
Fortpflanzungsvorgängen ausgesetzt sind, recht ungleich verteilt ist. Während 
der Anteil des Mannes an diesen Vorgängen nur in einem einzigen Akt, dem 
wollustvollen Koitus, besteht, da sich bei ihm die Fortpflanzungsfunktion in 
der erotischen Funktion erschöpft, hat die Frau periodisch die mehr oder 
weniger ausgebildeten Beschwerden ihrer Menstruation zu erdulden, sie er¬ 
lebt schon den Beginn der sexuellen Vereinigung als den mehr oder minder 
blutigen Akt der Defloration, sie trägt schließlich das Kind unter Beschwerden 
und gebiert unter Qualen, von der zuweilen recht schmerzhaften Laktation 
ganz zu schweigen. 

Schon die Bibel 2 charakterisiert das Weib durch den mit dem Gebären 
verbundenen Schmerz, die Buße für die Erbsünde. Mich eiet 3 hat die Frau 
„die ewig wunde“ genannt und in der psychoanalytischen Literatur hat 
Freud 4 bei der Darstellung des Masochismus, jenes so oft abwegigen Ge¬ 
bildes der menschlichen Psychosexualität, dessen erogene Form mit einem 
„weiblichen“ Masochismus in Verbindung gebracht, während Helene Deutsch 5 
den Masochismus zum regelmäßigen Element der weiblichen Entwicklung er¬ 
hebt, zu einem Konstitutionsfaktor, der unbedingt erforderlich ist, damit die 
Frau imstande sei, das Ganze ihrer von so viel Schmerzen durchsetzten Sexuali¬ 
tät zu akzeptieren. 

2. Die Wollust des Weibes 

Eine andere Tatsache ist indessen schon bei flüchtiger Betrachtung nicht 
minder erstaunlich. Die Frau kann im Liebesverkehr sehr wollüstig sein, kann 
nach ausgedehnten und sehr bestimmten Zärtlichkeiten dürsten, die in ihrem 
Wesen durchaus nichts Peinliches, Masochistisches an sich haben. Die Frau 
ist überdies im Beischlaf selbst einer orgastischen Wollust fähig, die der des 
Mannes analog ist. 

Man muß in diesem Zusammenhang einer besonderen biologischen Tat¬ 
sache Rechnung tragen, die übrigens eine ganze Anzahl von Biologen nicht 

1) Nach einem auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß am 28. August 
l 9 34 gehaltenen Vortrag; hier modifiziert und revidiert. Aus dem Französischen übersetzt 
von Dr. Helmut Polt. 

2) Genesis. 

3) L’Amour. Paris 1859. 

4) Das ökonomische Problem des Masochismus. Ges. Sehr., Bd. V. 

5) Psychoanalyse der weiblichen Sexualfunktionen. Int. Psa. Verlag, Wien 1925. Der 
feminine Masochismus und seine Beziehung zur Frigidität. Int. Zeitschr. f. Psa., XVI, 1930. 









24 Marie Bonaparte 


zu kennen scheint, die aber bei Freud volle Wertung findet: die Frau verfügt 
im Gegensatz zum Manne über zwei benachbarte erogene Zonen, die Klitoris 
und die Vagina, in denen sich ihre Bisexualität darstellt und begründet. Der 
Antagonismus dieser Zonen äußert sich in manchen Fällen darin, daß bald die 
Vagina, bald die Klitoris — letztere bei vaginaler Anästhesie — ausschließlich 
empfindlich sind. In anderen und, wie ich glaube, den häufigsten Fällen findet 
ein harmonisches Zusammenwirken beider Zonen statt und begünstigt die Aus¬ 
übung der weiblichen erotischen Funktion im normalen Akt der sexuellen 
Vereinigung. 

Indessen scheint der dem Weibe zugefallene Anteil an der Wollust jener 
Männlichkeit entlehnt zu sein, die der weibliche Organismus offenbar in sich 
birgt. Nicht zu Unrecht setzt ein Biologe vom Range Maranons 6 die Frau 
einem in seiner Entwicklung zum Stillstand gekommenen männlichen Orga¬ 
nismus gleich, einem Zwischenstadium zwischen Kind und Mann, dessen Fort¬ 
entwicklung eben durch die hemmende Wirkung der weiblichen Adnexe auf¬ 
gehalten wurde, die in einer Art Symbiose ihrem zarten Gesamtorganismus\ 
eingefügt wurden. 

Die Natur bedient sich also des verstümmelten Teils der Männlichkeit, der 
diesem Organismus innewohnt, um die Frau der Erotik zuzuführen, während 
sie in allem übrigen durch die weiblichen Organe völlig den schmerzvollen 
Aufgaben der Fortpflanzung und der Mutterschaft anheimgegeben ist. 

Einesteils ist also die Frau bezüglich der eigentlichen Fortpflanzungsfunktio- 
nen Menstruation, Defloration, Schwangerschaft und Entbindung — schon 
biologisch dem Schmerz geweiht. Die Natur scheint ohne Bedenken dem Weibe 
Schmerz und zwar in hohen Dosen — aufzuerlegen, da es nur passiv den 
vorgeschriebenen Ablauf zu erdulden hat. Andernteils kann die Frau in bezug 
auf ihren Anreiz für den zur Befruchtung notwendigen Sexualpartner und in 
der Wollust bei der Begattung selbst dem Manne ebenbürtig sein, obwohl sich 
häufig ihre erotische Funktion mangelhaft und zögernd einstellen mag und 
obwohl sie — was man nicht vergessen darf — durch ihre passive Rolle im 
Beischlaf stets von der männlichen Potenz des Partners abhängig bleibt, ins¬ 
besondere von dem Zeitmaß, das dieser der weiblichen Wollust, die im allge¬ 
meinen langsamer abläuft als die seine, zur Entfaltung gönnt. 

3. Die sadistische Auffassung des Koitus beim Kinde 

Kehren wir nun zum Kinde zurück. Die psychoanalytischen Beobachtungen 
haben mit Sicherheit erkennen lassen, daß das Kind den sexuellen Akt, den 
es häufiger als man annimmt am Koitus der Erwachsenen beobachtet, stets als 
sadistische Aggression des Mannes gegen das Weib auffaßt. Diese Aggression 
hat für das Kind überdies oralen Charakter, nachdem es vorerst keine anderen 
als orale Beziehungen zwischen den Lebewesen kennt. Aber auch diese orale 


6 ) La evolucion de la Sexualidad y los estades intersexuales. Madrid, Morata, 1930. 










































Passivität, Masochismus und Weiblichkeit 25 

Beziehung wird auf Grund der vorausgegangenen kannibalistischen Phase 
selbst wieder als aggressiv aufgefaßt. Nichtsdestoweniger scheint das anal¬ 
sadistische Stadium, während welchem es so oft zu derartigen Beobachtungen 
kommt, ihnen vorwiegend den Charakter einer verwundenden und eindringen- 
den Aggression seitens des Mannes zu verleihen. Vielleicht ist angesichts der 
primitiven Triebvermischung gerade deren sadistische Färbung um so stärker 
betont, je früher solche Erlebnisse stattfinden. Bei der Auffassung dessen, was 
die Erwachsenen tun, wird auch der jeweils verschiedene Grad der Aggressivi¬ 
tät des Kindes dadurch entscheidend mitwirken, daß diese auf das Gesehene 
projiziert wird. 

Wenn das Kind Zeuge solcher Vorgänge gewesen ist, bildet sich in ihm eine 
Art Klischee, welches dann im Grunde seines Unbewußten fortdauert. Sowie 
das Kind heranwächst und sein Ich sich verstärkt, wird das Klischee wieder 
vorgenommen und überarbeitet, und es reihen sich an das ursprüngliche Bild 
dann zweifellos alle sado-masochistischen Phantasien, 7 die die Analytiker an 
Kindern beiderlei Geschlechts in ihren Besonderheiten aufdecken konnten. 

Sehr frühe Koitusbeobachtungen auf der Höhe der kloakal-sadistischen und 
phallisch-sadistischen Phase (die einander übrigens vielfach überlagern) hatten 
zuerst nur zur teilweisen Besetzung des Objekts geführt, und zwar zur Be¬ 
setzung jener Organe, gegen welche die libidinösen und sadistischen Strebun¬ 
gen des Kindes gerichtet waren. Nach und nach aber wird das ganze Wesen 
des Weibes und des Mannes deutlich wahrgenommen, sie werden als solche 
begriffen und so wird schließlich der Geschlechtsunterschied anerkannt. 

Von da an werden das weitere Schicksal und die weitere Wirkung der sadisti¬ 
schen Kindheitsphantasien je nach dem Geschlechte des Individuums ver¬ 
schieden. Beim Knaben, der den eindringenden Phallus wirklich besitzt, sucht 
die sadistische Koitusauffassung der zentripetalen Gefahr für die Kloake zu 
entgehen und versucht sich in zentrifugaler, vitaler Richtung, die keine 
unmittelbare Gefahr für den Organismus des Subjektes bedeutet. Sie wird 
später sicherlich an die Schranken stoßen, die die Kultur der menschlichen 
Aggression gezogen hat, insbesondere an den Kastrationskomplex. 

Die ödipale Triebentmischung bewirkt jedoch normalerweise, daß die Ag¬ 
gression gegen den Vater gerichtet wird und der größere Teil der Liebe für die 
Mutter bleibt. Dies hilft dem Knaben sehr, Sadismus und Aktivität zu unter¬ 
scheiden und für den aktiven, nicht mehr sadistischen Phallus die Frau als 
Objekt zu wählen. 

Beim Mädchen ist hingegen die sadistische Auffassung des Koitus, besonders 
wenn sie sehr stark betont war, weit eher geeignet, eine ideale erotische 
Wirkung zu stören. Durch Vergleich des eigenen Genitales mit dem großen 
männlichen Penis mußte sich das Mädchen eines Tages wie kastriert vorkom- 

7) Vgl. besonders: Melanie Klein, Die Psychoanalyse des Kindes, Int. Psa. Verlag, 










26 Marie Bonaparte 

men. Nunmehr hat es nicht nur die narzißtische Kränkung durch das eigene 
Kastriertsein zu erdulden, sondern es sieht sich auch in den Liebesakten mit 
dem Träger des hinfort erotisch begehrten Phallus von dessen Eindringen in 
den eigenen Körper bedroht. 

Jedes lebende Sein fürchtet schon den Einbruch an sich aus dem Lebens¬ 
drang heraus, aus der vitalen Abwehr seitens des biologischen Ichs. 8 Nun 
hat aber das kleine Mädchen nicht nur sagen oder auch flüstern gehört, daß 
das Kinderbekommen weh tut, es ist nicht nur da und dort von dem Anblick 
des weiblichen Menstruationsbluts überrascht worden, sondern das grauen¬ 
hafte Bild, das seine Kinderseele vom geschlechtlichen Angriff des Mannes 
gegen die Frau — diesem schreibt sie ja übrigens auch die Blutungen zu — 
empfangen hat, läßt es trotz des libidinösen Instinkts, der es zum Manne 
treibt, vor der eigentlichen erotischen Funktion des Weibes zurückschrecken, 
obwohl gerade diese allein von allen weiblichen Fortpflanzungsfunktionen es 
ist, die von Schmerz unbedingt freibleiben sollte und ihm nur reine Wollust 
geben könnte. 

4. Die Notwendigkeit einer klareren Unterscheidung zwischen 
Masochismus und Passivität 

Das kleine Mädchen wächst jedoch heran und seine Reaktionen auf die Ur- 
szene verstärken sich in verschiedener Richtung, je nach den Kindheitserleb¬ 
nissen und je nach seiner natürlichen Konstitution. 

Vor allem müssen sich Unterschiede aus dem Umstand ergeben, ob das Kind 
den Beischlaf von Erwachsenen wirklich gesehen hat, oder ob es auf jene 
phylogenetisch bedingten Phantasien angewiesen war, die sich auf das unver¬ 
meidbare Beobachten der geschlechtlichen Vereinigung von Tieren stützen. 
Das traumatische Moment muß um so schärfer sein, je früher die Beobachtung 
des menschlichen Koitus stattfindet und je realer er sich ihm darstellt. 

Überdies muß aber das Ausmaß, in welchem das kleine Mädchen vor der 
sexuellen Aggression zurückschreckt, um so größer sein, je stärker ihre Bi¬ 
sexualität konstitutionell bedingt und je stärker daher die biologischen Vor¬ 
aussetzungen ihres Männlichkeitskomplexes gegeben sind. Sie reagiert dann 
auf die Urszene meist auf dieselbe Weise wie der gleichfalls bisexuell veran¬ 
lagte kleine Knabe, nämlich kloakal; den Knaben läßt aber der vitale phallische 

8) Ich glaube, daß diese primitive Abwehr zuerst aus dem vitalen Ich stammt, und nicht, 
wie Melanie Klein annimmt, aus einem frühen, moralischen Über-Ich. Ich nähere mich 
hiermit dem Standpunkt Karen Horneys, mit der ich im übrigen bezüglich der kon¬ 
stitutionell bedingten Phallizität nicht übereinstimme (siehe Melanie Klein, Die Psycho¬ 
analyse des Kindes, Wien 1932, und Karen Horney, Flucht vor der Weiblichkeit, Int. 
Zeitschr. f. Psa., XII, 1926). Der Wutausbruch so vieler Kinder, wenn man ihnen ein 
Klystier verabreichen will, hat nach meiner Anschauung denselben Sinn einer vitalen Ab- 
wehr gegen einen Einbruch in den Körper. Die Bedeutung einer Art von Orgasmus, die 
Freud nach Ruth Mack Brunswick diesem Vorgang zuschreibt (Über die weibliche 
Sexualität, Ges. Sehr., Bd. XII), scheint mir, wenn sie zum Teil gewiß auch berechtigt ist, 
weniger wichtig. 






























Passivität, Masochismus und Weiblichkeit 27 

Protest gegen die passive kloakale Haltung bald die konvexe, zentrifugale 
Richtung der männlichen Libido finden. Das Mädchen hat im Prinzip nur 
zwei Möglichkeiten, auf die sadistische Koitusauffassung zu reagieren, welche 
sein Unbewußtes von Kindheit an bis ins Alter der Erwachsenen bewahrt: ent¬ 
weder es akzeptiert diese Auffassung — in diesem Falle muß ein Stück Eros 
die passive Aggression im Ausmaße der gefühlten Lebensgefahr masochistisch 
gebunden haben —, oder es erkennt im Laufe der Jahre, gemäß der Erziehung 
zur Realität, daß ein eindringender Penis weder eine Peitsche noch ein Meißel 
noch ein Messer noch eine Explosivpatrone ist, wie er es in der kindlichen 
sadistischen Vorstellung gewesen war; es akzeptiert dann den passiven Koitus 
gesondert von den übrigen weiblichen Fortpflanzungsfunktionen (Menstruation, 
Schwangerschaft, Gebären) als den einzigen, wirklich nur mit Wollust ver¬ 
bundenen Akt, der sich scharf vom Hintergründe weiblicher Schmerzen ab¬ 
hebt, und in dem die Libido, jene biologische Kraft männlicher Herkunft, in 
den Dienst der stets passiven, normalerweise aber nicht masochistischen, Ziele 
der Weiblichkeit gestellt wird. 

Wenn also der Koitus akzeptiert wird, so dürfte daran eine geringe Spur, 
eine gleichsam homöopathische Dosis jenes Masochismus mitwirken, der mit 
der Passivität in der Begattung verbunden ist und der die Frau dazu bringt, 
ein gewisses Ausmaß von Brutalität seitens des Mannes zu dulden, sogar gut¬ 
zuheißen. Martine wollte „geschlagen werden“. 9 Es muß sich jedoch in der 
weiblichen Psyche eine wirkliche Unterscheidung zwischen Masochismus und 
Passivität herausgebildet haben, wenn die passive erotische Funktion des Weibes 
in normaler Art akzeptiert und hergestellt werden soll. Tatsächlich ist der nor¬ 
male vaginale Koitus kein Schmerz für die Frau, sondern ganz das Gegenteil. 

Wenn aber die Frau in der Kindheit auf Grund der sadistischen Koitusauf¬ 
fassung gleichsam für die erste Lösung optiert hat, also für den Masochismus, 
der auch die passive Begattung einschließt, so ist darum noch nicht gesagt, daß 
sie deswegen auch im Koitus die masochistische Erotisierung der Vagina akzep¬ 
tieren wird. Die Dosis des Masochismus ist dann oft zu stark, als daß das 
vitale Ich sie ertragen könnte; sogar die großen perversen weiblichen Maso¬ 
chisten scheuen oft vor dem Eindringen des Penis zurück und begnügen sich 
mit den für sie weit harmloseren äußeren Peitschenschlägen auf das Gesäß. 

Das vitale biologische Ich wehrt sich gegen den Masochismus im allgemeinen, 
es flieht ihn, und Abwehrpositionen der Libido können dann mit großer Stärke 
überbesetzt werden. 

5. Die Kloake und der Phallus der Frau 

Wir müssen uns nun ins Gedächtnis rufen, daß die Frau zwei erogene Zonen 
besitzt und daß sie in noch größerem Ausmaße als der Mann ein bisexuelles 
Wesen ist. 


9 ) Moli^re, Le M6decin malgre lui. i.Akt. 













28 


Marie Bonaparte 


Wir erinnern uns auch der zuvor berichteten Ansichten des spanischen Bio¬ 
logen Maranon, wonach die Frau ein in der Entwicklung zum Stillstand ge¬ 
kommener Mann sei, etwas wie ein Jüngling, dem in einer Art Symbiose die 
weiblichen Adnexe eingefügt sind, und daß gerade diese die Hemmung jener 
Entwicklung verursachen. 

Nun scheinen die äußeren Sexualorgane des Weibes, genauer gesagt ihre 
erogenen Organe, eben diese Doppelnatur widerzuspiegeln. Die Frau besitzt 
tatsächlich sowohl eine Kloake, die durch die rektovaginale Scheidewand in 
den Anus und in die ausgesprochen weibliche Vagina als Eingang zu den 
Mutterorganen geteilt wird, als auch einen im Verhältnis zum männlichen 
Penis verkürzten Phallus, die kleine Klitoris. 

In welcher Weise reagieren nun diese beiden Zonen einesteils auf die Kon¬ 
stitution des kleinen Mädchens, andernteils auf die zu seiner Psychosexualität 
führenden Prozesse? 

Die Libidoentwicklung durchschreitet mehrere Stadien und Phasen. 10 Auf 
die oralen folgen die anal-sadistischen Phasen, die ich im Hinblick auf die 
anatomische Existenz der Vagina beim kleinen Mädchen lieber die „kloakal- 
sadistischen“ nennen möchte. 4 

Es ist also eine zweifellos noch ziemlich undifferenzierte Öffnung da, in 
welche nach der sadistischen Koitusauffassung des kleinen Mädchens (wenn 
nicht auch des Knaben, der gemäß seiner eigenen Konstitution meist nur das 
Vorhandensein des Anus zugibt) in so gefährlicher Art eingedrungen wird. 
Die in diesem Alter gemachten Koitusbeobachtungen mobilisieren in der Folge 
einerseits das erotische Verlangen nach dem Penis, der mit oralen und kloa- 
kalen Libidokomponenten begehrt wird, anderseits aber das Grauen vor dem 
verwundenden und schrecklichen Eindringen. 

Unverzüglich setzt dann das phallische Stadium, eine regelmäßige Ent-’ 
wicklungsstufe bei beiden Geschlechtern, auch beim kleinen Mädchen mit der 
begleitenden Masturbation an der Klitoris ein; die Masturbation greift dann 
zweifellos auch, je nach der stärkeren oder schwächeren Weiblichkeit (der prä- 
feminen, erogenen Kloakalität), die zur Konstitution des Kindes gehört, auf 
die Vulva und den Eingang der benachbarten Vagina über. 

Gerade hier entsteht eine Verwirrung dadurch, daß sich das Akzeptieren 
der Passivität mit Masochismus vermengt. Wenn die Angst vor der männ¬ 
lichen Aggression zu heftig, oder wenn die Dosis Masochismus zu stark ist, 
die zu ihrer Bindung, ihrer Akzeptierung, eingesetzt wurde oder notwendig 
war, dann weicht das Ich des kleinen Mädchens zurück und seine Erotik wird 
sich sozusagen an die Klitoris klammern. Es ist dies etwa derselbe Vorgang 
wie bei der Aufrichtung eines Blitzableiters, durch den die Elektrizität ab- 

io) Freud, Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Ges. Sehr., Bd. V. Abraham, Ver¬ 
such einer Entwicklungsgeschichte der Libido. Int. Psa. Verlag, Wien 1924. 


























Passivität, Masochismus und Weiblichkeit 


29 


strömt, damit der Blitz nicht einschlage; so wird auch diese Elektrizität, 
welche die Erotik ist, auf nicht lebensgefährliche Bahnen abgeleitet. 

Es wird sich so eine Art konvexen erotischen Engramms als Vor¬ 
läufer der künftigen erotischen Funktion der Frau festlegen, im Gegensatz zum 
konkaven erotischen Engramm, welches das der Frau imKoitus sein sollte. 

Die konvexe Orientierung der Libido fällt aber mit der Richtung zusam¬ 
men, die die männliche Libido in der anatomischen Entwicklung und dann 
in der zentrifugalen erogenen Orientierung des Phallus nimmt. Bei einer 
Frau weckt eine solche libidinöse Orientierung infolgedessen den Verdacht auf 
eine ziemlich stark männliche Konstitution. Das vitale und das männliche 
Zurückweisen der Passivität, die mehr oder minder stark mit erogenem Maso¬ 
chismus vermengt wird, fallen hier zusammen. Die moralische Verdrängung 
hingegen, die von den Erziehern ausgeht und im Über-Ich erhalten bleibt, ist 
bestrebt, die weibliche Sexualität zur Gänze und ohne Vorzug für die Vagina 
oder Klitoris, zu treffen und statt ihrer im äußersten Falle totale Frigidität zu 
erzeugen. 

Indessen kann sogar der Phallus, dieses Organ von exquisit männlicher Her¬ 
kunft — selbst wenn er den Namen Klitoris führt — in weiterer Folge auch 
für weibliche Zwecke verwendet werden. 

Die Klitoris, ein verstümmelter Phallus, kann tatsächlich niemals, nicht ein¬ 
mal in der Phantasie, zu jener Aktivität gelangen, auf die der Penis nach 
seiner ganz andern Anlage Anspruch hat. Die Klitoris wird wie der Penis des 
Knaben durch die Reinigungsprozeduren seitens der Mutter vorerst passiv 
gereizt. Die Klitoris wäre nach einer Phase der Aktivität eher dazu disponiert, 
zur Passivität zurückzukehren, als der Penis; hier weist der biologisch ge¬ 
gebene Kastrationskomplex des kleinen Mädchens den Weg der Regression. 
Sobald es seinen positiven, auf den Vater gerichteten Ödipuskomplex end¬ 
gültig aufgerichtet hat, wird nun die Klitoris zum Exekutivorgan der auf 
passive Ziele gerichteten libidinösen Strebungen. Von da an beginnt sich jene 
klitorido-vaginale erotische Funktion zu bilden, die den meisten Frauen die 
harmonische passive Verwendung beider Zonen im Koitus gestattet und die 
das Gegenteil der funktionellen Fehlanpassung der Klitoriszone bei jenen 
Frauen darstellt, bei denen diese Zone ein unzulänglicher, durch aktive Trieb¬ 
ziele zu stark besetzter Phallus ist. 

Das biologische Ideal der Anpassung an die erotische Funktion des Weibes 
bildet nichtsdestoweniger die Unterdrückung der aktiven und selbst auch der 
passiven Funktion der Klitoris zugunsten der völlig passiven empfangenden 
Vagina. Damit aber das vitale Ich diese erotische, eigentlich- und zentral¬ 
weibliche Funktion akzeptieren kann, muß sich die Frau, wenn sie Frau ge¬ 
worden ist, möglichst vollständig von der kindlichen Angst, die aus der sadisti¬ 
schen Koitusauffassung stammt, lossagen und auch von dem Kampf gegen den 
Masochismus, der sich eventuell weiter daraus entwickelt. 









Die phallische Passivität beim Manne 

Von 

R. Loewenstein 

Paris 

I. 

In letzter Zeit haben sich zahlreiche psychoanalytische Arbeiten mit der 
Entwicklung der Genitalfunktion bei Mann und Frau beschäftigt. Ganz be¬ 
sonders ist ihre erste Stufe, die phallische Phase, mit Freud beginnend, sowohl 
von weiblichen Psychoanalytikern, wie Helene Deutsch, Jeanne Lampl-de 
Groot, Ruth Mack Brunswick und Marie Bonaparte, wie von männ¬ 
lichen wie Ernest Jones, Otto Fenichel und Sandor Rado erforscht 
worden. 

In einer Unterredung mit Marie Bonaparte erfuhr ich von ihren Arbeiten 
über die „passive phallische Phase“ beim Mädchen. Dieser Begriff erleichtert 
mir in Hinblick auf die Entwicklung der Genitalfunktion des Knaben das Ver¬ 
ständnis für gewisse Eigentümlichkeiten zahlreicher Männer, sowohl solcher, 
die unter Potenzstörungen leiden, als auch anderer. 

Wir wollen uns nun kurz die gegebenen Tatsachen, und zwar vorerst auf 
pathologischem Gebiete, ins Gedächtnis rufen, weil gerade ihre Uberbetontheit 
die charakteristischen Einzelheiten hervortreten läßt. Bekanntermaßen sind 
die Hemmungen bei einer großen Anzahl von Männern mit sexuellen Potenz¬ 
störungen, deren Erektion vorzeitig abbricht oder überhaupt nicht zustande 
kommt, häufig durch folgende Umstände bedingt: solche Männer versagen 
z. B., wenn der Partner den geringsten Widerstand äußert, oder sie können 
den Koitus nur vollziehen, wenn die Frau nicht nur einverstanden ist, sondern 
ihrerseits die Initiative ergreift. 

Wie man weiß, stammt die Hemmung bei solchen Männern aus ihrer Ka¬ 
strationsangst, und diese Angst wieder ist mit Kindheitserlebnissen verknüpft. 
Im Laufe der Analyse findet man oft, daß sie als Knaben einen Verführungs¬ 
versuch bei ihrer Mutter oder deren Vertreterin unternommen haben und daß 
sie dabei eine Abweisung oder eine Drohung erlebten. Diese Verführungsver¬ 
suche haben im allgemeinen durchaus kindlichen Charakter und entsprechen 
dem jeweiligen sexuellen Entwicklungsstadium. Für den nichteingeweihten 
Erwachsenen sind sie schwerlich als Verführungsversuche erkennbar. Der 
kleine Knabe sucht seine Mutter zu überraschen, wenn sie entkleidet ist, und 
erkühnt sich manchmal, ihre Brüste, ihre Hüften, zuweilen sogar die Genital- 
gegend berühren zu wollen; eine sehr häufige Form dieser Verführungsver¬ 
suche ist die Masturbation in Anwesenheit der Mutter, z. B. bei Gelegenheit 

i) Nach einem auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern am 
28. August gehaltenen Vortrag. Aus dem Französischen übersetzt von Dr. Helmut Polt. 
























R. Loewenstein: Die phallische Passivität beim Manne 


31 


der Reinigungsprozeduren, was den Sinn einer Einladung an die Mutter hat, 
das Glied des kleinen Knaben zu berühren. Mitunter nehmen diese Verfüh¬ 
rungsversuche eine paradoxe, im ersten Augenblick kaum erkennbare Form 
an: der Knabe, dem die Masturbation schon strengstens verboten worden ist, 
masturbiert trotzdem in Anwesenheit seiner Mutter, wie um ein neues Ver¬ 
bot, eine Drohung, d. h. also eine Bestrafung zu provozieren. Der Sinn dieses 
Verhaltens ist der, daß der Knabe seine Mutter gerade dadurch, daß er sich 
überraschen und bestrafen läßt, gegen ihren Willen zur Teilnehmerin an seiner 
Masturbation macht. Die Abweisung, auf die der kleine Knabe stößt und die 
damit häufig verbundene Kastrationsdrohung sind nicht selten von derart 
traumatischer Wirkung, daß sie der genitalen Aktivität des Kindes ein Ende 
setzen. 

Die sexuellen Hemmungen, auf die wir oben hingedeutet haben, lassen sich 
nun häufig auf solche traumatische Erlebnisse zurückführen: der Erwachsene 
erwartet von der Frau die „Erlaubnis“ zu den Beziehungen mit ihr, und diese 
Erlaubnis ist für ihn notwendig, um die Wirkung des aus der Kindheit da¬ 
tierenden Verbotes auszugleichen. Bekanntlich genügt für einen gehemmten 
jungen Mann zuweilen eine einzige solche „Erlaubnis" seitens einer Frau, die 
den „Kastrator“ der Kindheit ersetzt, um seine Genitalität von dem „Fluche", 
unter dem sie stand, endgültig zu erlösen. Für gewöhnlich muß aber die „Er¬ 
laubnis“ der Frau wiederholt, sie muß sogar auf wichtige Details des Koitus 
selbst ausgedehnt werden, wie etwa daß sich die Frau selbst um die Einführung 
des Penis bemüht. Die Männer, die einer solchen Aktivität seitens der Frau 
bedürfen, behaupten sehr oft, die Beschaffenheit der weiblichen Organe nicht 
zu kennen, sie getrauen sich niemals, diese zu betrachten und „vergessen" in 
der Praxis, wie diese Organe gebaut sind, auch wenn sie sich zufällig soweit 
bemüht haben, sie in einem Handbuch der Anatomie zu studieren. Zahlreich 
sind die Fälle von sexuellen Potenzstörungen, in welchen die Erektion gerade 
im Augenblick des Eindringens erschlafft und in denen der unbewußte Wider¬ 
stand vor dem weiblichen Organ die Form eines Grauens vor der „Vagina 
dentata“ annimmt. Überraschenderweise kann bei Menschen, deren Angst vor 
der „Vagina dentata ihre Erektion zunichte macht, die Einführung des Penis 
in ein wirklich gezähntes Organ, wie z. B. den Mund der Frau, von Erektion 
und Ejakulation begleitet sein. Mitunter tritt diese Bedingtheit der Impotenz 
gegenüber der Vagina auf folgende Weise klar in Erscheinung: Wenn der 
Mann auf normale Art nicht eindringen konnte und auf die Fellatio zurück¬ 
greift, um seine Erektion wiederherzustellen und den Koitus von neuem ver¬ 
sucht, fällt seine Erektion nochmals zusammen und er kann nur durch erneute 
Fellatio zur Ejakulation kommen. Diese paradoxe Erscheinung, die von klini¬ 
scher Bedeutung ist, verlangt eine Erklärung. 

Einer meiner Patienten begründete die relative Integrität seiner genitalen Auto¬ 
matik während der Fellatio und seine Hemmung beim Koitus folgendermaßen: 









32 R. Loewenstein 

„Ich brauche nichts zu tun“, sagte er, „die Frau macht alles.“ Diese merkwür¬ 
dige Auffassung der Dinge wird dadurch gestützt, daß bei den meisten 
Männern die genitale Automatik, sofern sie bei der Fellatio erhalten bleibt, 
auch dann funktioniert, wenn sie sich von einer Frau masturbieren lassen. Bei 
diesen Männern steht lediglich das aktive Eindringen unter Hemmung. 

Wir sehen uns veranlaßt, in solchen Fällen zwei Formen der Genitalfunktion 
zu unterscheiden: eine aktive, die das Eindringen beim Koitus zum Ziele hat, 
und eine auf passive Ziele gerichtete, die nach Zärtlichkeiten von außen her 
strebt, gleichviel ob diese von einer andern Person oder von der eigenen 
Hand kommen. 

Diesen beiden Seiten der Genitalfunktion, der aktiven und der passiven, 
entsprechen zwei Entwicklungsphasen dieser Funktion in der Kindheit. 

Tatsächlich konnten wir in allen Analysen, in denen die Kindheitsamnesie 
sicher und unzweideutig behoben wurde, beobachten, daß sich die phallische 
Phase zuerst durch Strebungen, Wünsche und Handlungen mit passiven Zielen 
manifestierte: den Penis sehen lassen, berühren lassen oder ihn selbst berühren. 
Daß diese genitalen Manifestationen bereits in der frühesten Kindheit beginnen, 
ist bekannt. Trotzdem möchte ich einen Fall hier anführen, den ich vor 
einigen Jahren mit eigenen Augen beobachten konnte: Ein fünf Monate alter 
Knabe machte sich völlig starr, er streckte sozusagen seiner Mutter den Penis 
entgegen, jedesmal, wenn diese bei der Reinigung ihre Hand seiner Genital¬ 
gegend näherte, und ließ ein vergnügtes Brummen hören, das von 
einer unzweideutigen Mimik begleitet war. Der Knabe ist heute zehn Jahre 
alt und zeigt physisch wie psychisch keinerlei Abnormitäten. 

Die phallische Phase der Libidoentwicklung ist in der überragenden Anzahl 
der Fälle, die wir analysieren konnten, vorerst durch eine lediglich auf passive 
Ziele gerichtete Funktion der Genitalorgane charakterisiert. Das aktive Ziel 
der Genitalfunktion, das Eindringen, erscheint erst später, zumeist in Form 
unklarer und undeutlicher Phantasien. Dagegen kann eine Form des Sexual¬ 
zieles, die man als Zwischenstufe zwischen passiven und aktiven Zielen be¬ 
trachten darf, sehr früh in Erscheinung treten, nämlich das Reiben des Penis 
an äußeren Objekten oder am Körper einer Frau. 1 

Man müßte also nach meiner Meinung in der phallischen Phase zwei Stadien 
unterscheiden: das passive und das aktive. Das passive Stadium tritt zuerst in 
Erscheinung und umfaßt nach meinen Beobachtungen die Phase des Ödipus¬ 
komplexes. Tatsächlich sind die Sexualziele der inzestuösen Wünsche des 
kleinen Knaben passiven Charakters; sie können indessen auch gleichzeitig mit 
aktiven Zielen des Eindringens, die sich geltend zu machen beginnen, auf- 
treten. In gewissen Fällen beginnt auch die masturbatorische Tätigkeit in der 

i) Ich kenne einen Fall, in welchem diese Art von masturbatorischer Tätigkeit eines 
Mannes ununterbrochen vom Alter von zweieinhalb Jahren bis zur Reife des Erwachsenen 
fortdauerte. 






































Die phallische Passivität beim Manne 


33 


Pubertät mit durchaus passiven Genitalakten. 2 Diese Knaben behandeln ihren 
Penis mehr oder minder gewalttätig und gelangen so zum Orgasmus, ohne 
sich dabei eine Hin- und Herbewegung oder ein Eindringen vorzustellen. In 
einzelnen Fällen nimmt die Entwicklung später einen normalen Verlauf, die 
meisten dieser Fälle bleiben aber bei der gewohnheitsmäßigen Masturbation, 
die für sie stets eine weit vollkommenere Befriedigung bleibt als der Koitus. 

II. 

Die Analyse eines Mannes mit verhältnismäßig schweren Potenzstörungen 
hat es mir ermöglicht, gewisse Zusammenhänge zwischen phallischer Passivität 
und Ejakulationsstörungen zu finden. Es handelt sich um einen Mann von 
etwa 40 Jahren, der von zwei Arten seiner Erektion sprach und der bis zur 
Analyse nicht wußte, welche von beiden die normale Erektion sei. Die eine, 
offenbar die normale, ist durch eine Steifheit des ganzen Gliedes charakte¬ 
risiert, die ihm ehemals in seltenen Fällen gestattete, einen verhältnismäßig 
andauernden Koitus auszuüben und die sich zuweilen noch einstellt, wenn eine 
Frau anwesend ist. Sobald er aber den Koitus vollziehen will (seine Partne¬ 
rinnen sind durchwegs Prostituierte), bricht die Erektion zusammen und wird 
durch eine andere Form der Erektion ersetzt, bei welcher lediglich die Glans 
anschwillt, während der Rest des Gliedes schlaff bleibt. Diese Form der Erek¬ 
tion, richtiger Pseudoerektion, macht jedes Eindringen unmöglich, hindert 
aber nicht die Fellatio, zu der er dann gewöhnlich Zuflucht nimmt. Die 
Fellatio gestattet den Ablauf der genitalen Automatik bis zum Schluß, aber, 
und das ist besonders wichtig, die nachfolgende Ejakulation kommt äußerst 
rasch und nicht stoßweise wie im Normalfall, sondern in einem einzigen 
Ruck. Diese Ejakulation findet nun gerade dann statt, wenn sich die genitale 
Automatik infolge von Erregungen rein passiver Natur von einem Ablauf auf 
den andern umstellt. 

Wir konnten überdies andere Fälle beobachten, in denen rein passiven Ge¬ 
nitalerregungen eine schnelle nicht stoßweise Ejakulation entsprach, die in 
einem einzigen Ruck erfolgte und meist nur von einem schwachen, manchmal 
sogar etwas unlustvollen Orgasmus begleitet war. 

Von mehreren beobachteten Fällen möchte ich nur ein Beispiel anführen, 
das mir besonders beweiskräftig erscheint; einen Mann, bei welchem Ejaku¬ 
lation und Orgasmus, je nach Art der Erregung, normalen oder „asthenischen“ 
(nach dem Ausdruck von St. Hi gier) Charakter haben konnte. Diesem Mann 
gelang es, zu der einen oder andern Form von Orgasmus zu kommen, je nach¬ 
dem er sich bei den Zärtlichkeiten der Frau bis zum Schluß unbeweglich ver- 

2) Ruth Mack Brunswick hat auf ihrem bemerkenswerten Vortrag auf dem XIII. 
Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern 1934 Ansichten über die phallische 
Phase des Knaben geäußert, die mit den meinigen völlig übereinstimmen. Sie setzt in¬ 
dessen das Alter, in dem sich der Wunsch einzudringen zeigt, später an als ich, nämlich 
erst in die Pubertät. 


Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/t 


3 










34 


R. Loewenstein 


hielt oder aber, wenn er den Orgasmus herannahen fühlte, zu Hin- und Her¬ 
bewegungen überging, die dann den normalen Orgasmus herbeiführten. 

Der Zusammenhang dieser Art von Ejakulationsstörung mit der charakte¬ 
ristischen ejaculatio praecox ist nun offenbar. Diesbezüglich haben die Ar¬ 
beiten Abrahams klar erwiesen, daß die ejaculatio praecox in engster Be¬ 
ziehung zur Urethralerotik der betreffenden Person steht. Die asthenische Eja¬ 
kulation ist für das Unbewußte dieser Menschen ein Äquivalent für die Mik¬ 
tion. Auch S. Ferenczi, W. Reich und O. Fenichel haben die Einwirkung 
der prägenitalen Stadien der Libidoentwicklung auf bestimmte Störungen der 
Genitalfunktion aufgezeigt. 

Der Einfluß der prägenitalen Stadien der Libidoentwicklung auf die Ent¬ 
wicklung der Genitalfunktion sowie auf deren Störungen beruht meines Er¬ 
achtens auf dem besonderen Umstand, daß sich dieser Einfluß in einer Periode 
der Genitalfunktion auswirkt, in welcher diese wesentlich passiven Zielen zu¬ 
gewendet ist; die Genitalorgane des Knaben verhalten sich also in dieser Ent¬ 
wicklungsperiode nicht anders als andere erogene Zonen, wie z. B. die Brust¬ 
warze der Frau, oder noch deutlicher, die Klitoris, erektile Organe, deren 
erogene Funktion das lediglich passive Ziel des Gestreicheltwerdens anstrebt. 
Auf dieser Besonderheit beruht nach meiner Meinung der Unterschied zwi¬ 
schen dem passiven und aktiven Stadium der phallischen Phase. Mit dem 
Auftreten dieser letzteren beginnt der Primat der Genitalorgane über die 
extragenitalen erogenen Zonen. 

Wir haben eben gesehen, welche Bedeutung dem Hin- und Herbewegen des 
Gliedes, d. h. also der Tendenz des Eindringens, bei der Unterscheidung der 
aktiven und passiven Form der Genitalfunktion zukommt. Wir erinnern uns 
dabei an den unbewußten Zusammenhang zwischen den Körperbewegungen, 
besonders dem Gehen, und der Genitalfunktion. In einer Mitteilung an die. 
Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft in Berlin habe ich im Jahre 1924 auf 
die unbewußte Gleichsetzung des Aufrechtstehens, des Gehenlernens, der Ko¬ 
ordination und der Bemeisterung der Körperbewegungen mit der aktiven 
männlichen Genitalfunktion hingewiesen. 

Es ist nicht ausgeschlossen, daß dem Unbewußten als Modell für das aktive 
Stadium der phallischen Phase jene einschneidende Veränderung dient, die sich 
durch das Gehenlernen im Verhältnis des Menschen zur Außenwelt vollzieht. 
Tatsächlich wandelt sich das kleine menschliche Wesen, das erst kaum beweg¬ 
lich und rein passiv war, in eines, das sich bewegen, das sich den Objekten 
nähern kann; kurzum, es wird aktiv. 

Eine analoge Veränderung findet, wenn auch auf einer anderen Ebene, beim 
Übergang in das aktive phallische Stadium, und ganz besonders in das Stadium 
des Primats der Genitalorgane statt, eine Veränderung, die sich auf die gesamte 
libidinöse und psychologische Haltung gegenüber den Objekten bezieht. 


























Die phallische Passivität beim Manne 


35 


III. 

Wir haben noch die Stelle genauer festzulegen, an der das passive phallische 
Stadium in die Libidoentwicklung und deren Störungen einzureihen ist. Der 
von uns verwendete Ausdruck „Passivität“ bezieht sich auf die sexuellen 
Ziele, die der Genitalfunktion dieser Epoche entsprechen, und darf daher nicht 
mit dem allgemein im Sinne der weiblichen Passivität verwendeten Ausdruck 
verwechselt werden. Das passive phallische Stadium tritt auch bei Knaben auf, 
die sonst ein durchaus männliches, aggressives Sexualverhalten zeigen, und 
deren Entwicklung schließlich die normale Männlichkeit erreicht. Die phal¬ 
lische Passivität scheint mir wenigstens beim Knaben ausschließlich erotischer 
Natur und mit dem allgemeinen Verhalten der erogenen Zonen identisch zu 
sein. Sekundär interferieren aber phallische Aktivität und Passivität einer¬ 
seits und Aggressivität und Masochismus andererseits, so daß die Ver¬ 
drängung der Aggression, hiebei durch den Beitrag des Masochismus verstärkt, 
eine Regression der Genitalfunktion auf ein passives Verhalten herbeiführt. 

Die Bedeutung des verdrängten Sadismus für die Pathogenese der ejaculatio 
praecox , auf die schon Abraham hingewiesen hat, erklärt auch die Regression 
auf die charakteristische phallische Passivität des Genitalverhaltens bei dieser 
Störung. Auch in anderen Fällen, in welchen keine besondere Urethral¬ 
erotik zu dieser Leidensform prädisponiert, lassen sich sexuelle Potenzstörun¬ 
gen schematisch durch eine Regression auf ein Genitalverhalten mit passivem 
Ziel darstellen. 

Das klinische Bild der großen Mehrzahl von Männern mit Potenzstörung 
beschränkt sich keineswegs auf die Hemmung der normalen Genitalität, son¬ 
dern zeigt sich auch darin, daß passiv gerichtete Genitalbefriedigungen beibe¬ 
halten werden oder von neuem auftreten. 

Den pathogenen Hauptfaktor bildet aber beim Hervortreten von Störungen 
der normalen genitalen Aktivität der Kastrationskomplex; er scheint in den 
meisten Fällen den Ausschlag zu geben. Er hemmt die normale Genitalfunk¬ 
tion und erspart auch die passive Ausübung dieser Funktion. 

Noch von einem anderen Gesichtspunkt aus scheint mir diese Zweiteilung 
der phallischen Phase des Menschen eine Rolle zu spielen. Das Resultat einer 
Anzahl Analysen läßt uns annehmen, daß durch die Fixierung an das passive 
phallische Stadium möglicherweise eine Prädisposition zu einer bestimmten 
Art von Homosexualität gegeben ist. Daraus erklärt sich dann auch, daß sich 
die passive Homosexualität häufig lediglich auf genitale Befriedigung erstreckt 
und daß ihr alle analen Wünsche und Befriedigungen fremd bleiben. Die 
Wünsche dieser, man könnte sagen „phallischen“ Homosexuellen kulminieren 
in Phantasien nach folgendem Schema: Ihr kleiner Penis wird von einem 
großen Penis berührt, der einem geliebten Manne angehört. Diese Phantasie 
stammt offensichtlich aus dem Wunsche eines umgekehrten, passiven Ödipus¬ 
komplexes, der somit der phallischen Passivität nahe verwandt zu sein scheint. 








Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung 1 

Von 

Michael Balint 

Budapest 

Man kann die psychoanalytische Behandlung getrost als einen natürlichen 
Entwicklungsgang im Patienten beschreiben. Wenn ich also nach dem Endziel 
unserer Therapie frage, so meine ich nicht einen vorgeschriebenen Endzustand, 
welcher aus irgendwelchen philosophischen, religiösen, moralischen, soziologi¬ 
schen oder auch biologischen Prämissen abgeleitet wurde und nunmehr for¬ 
dert, daß ein jeder Mensch nach seinem Muster zu „gesunden“ habe. Ich 
frage vielmehr: Genügt schon unsere klinische Erfahrung, das Endziel oder 
wenigstens die Schlußrichtung dieser natürlichen Entwicklung zu definieren? 

Am brauchbarsten für diese Untersuchung ist eine bestimmte Art von 
Fallen. Ich denke an solche Patienten, welche — wie der berühmte Wolfsmann 
von Freud — die Analyse mit einem Teilresultat abschließen, um nach Jahren 
die Behandlung eventuell bei einem anderen Analytiker fortzusetzen. Die 
wieder aufgenommene Arbeit bietet eine sehr günstige Gelegenheit, die damals 
nicht erledigten Hindernisse neuerlich zu untersuchen, und bringt eventuell 
durch die Heilung auch den Beweis, daß die Gesundung damals tatsächlich an 
diesen Hindernissen gescheitert war. 2 

Ein solcher Fall hat mich zuerst vor das Problem gestellt, wodurch unsere 
Patienten gesund werden, was das eigentliche Endziel der psychoanalytischen 
Behandlung sei. Da der Fall sonst nichts Interessantes bietet, sei hier nur das 
für unsere Fragestellung Wichtige mitgeteilt. Der Mann, gut in den Vierziger¬ 
jahren, in dessen Krankheitsbild ursprünglich die phobischen und die zwangs¬ 
neurotischen Züge im Vordergrund waren, hatte eine etwa vier Jahre lange, 
gründliche Analyse schon durchgemacht. Als er nach einer Pause von zwei 
weiteren Jahren seinen alten Analytiker nicht mehr erreichen konnte und zu 
mir kam, war seine Neurose eher eine mittelschwere Konversionshysterie. Wir 
arbeiteten noch etwa joo Stunden zusammen. Die Analyse ist seit mehr als 

1) Vortrag, gehalten auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern 
am 31. August 1934. 

2) Ich glaube nämlich, daß die einfachen, glatt verlaufenden, ohne Komplikation gut 
ausgehenden Falle nicht viel für unseren Zweck aussagen können. Erstens kann man in 
diesen Pallen nie ganz sicher sein, ob unsere therapeutische Arbeit nicht einen uns noch 
verborgenen Mechanismus bloß in Gang gesetzt habe und ob die Patienten nicht mit Hilfe 
dieses uns unbekannten Vorganges gesund geworden sind. Zweitens geschieht es oft, daß 
man nur das Ergebnis, nicht aber den Prozeß der Heilung beobachten konnte. Viel mehr 
können wir aus den nicht glatt verlaufenden Analysen lernen. Erstens muß man da — not¬ 
gedrungen — mehr nachdenken; man merkt eben viel eher ein Problem bei einem schweren 
ru u-j • 1 Sengenden Behandlungen. Und zweitens wird ein starres, unveränder- 
liches Hindernis, an dem die Heilung scheitert, leichter bemerkt als die eventuell sehr feinen 
Veränderungen, die schließlich die Gesundung herbeiführen. 





























Michael Bilint: Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung 


37 


zwei Jahren beendet und der Erfolg ist einer der besten meiner Praxis. Nun, 
all dies wurde erreicht, ohne daß etwas nennenswert Neues aus dem Unbe¬ 
wußten zutage gefördert wurde. Alles war schon in der vorangehenden Analyse 
teils erinnert, teils rekonstruiert worden und so trat während dieser getrost 
sehr intensiv und auch erfolgreich zu nennenden Arbeitsperiode keine Ände¬ 
rung an dem dem Patienten bereits bekannten Bilde seines infantilen und 
späteren Entwicklungsganges ein. Trotzdem wurde der Mann — ich kann es 
ohne Übertreibung behaupten — in dieser Zeit geheilt. 

Ich bemerke gleich, daß dieser Fall nicht der einzige ist. Im Gegenteil. 
Seitdem ich an ihm gelernt habe, mich über diesen Vorgang zu wundern, habe 
ich regelmäßig beobachten können, daß in allen genügend tief analysierten 
Fällen die Endphase sich ähnlich gestaltet. In den letzten Monaten wird nur selten 
neues Material bewußtgemacht, fast nie werden noch nicht gekannte, bisher 
unbewußt gebliebene infantile Ereignisse zutage gefördert. Und trotzdem muß 
etwas sehr Wichtiges in dieser Zeit mit unseren Patienten geschehen, waren sie 
doch vor dieser Zeit noch krank und werden sie eben in dieser Zeit gesund. Ich 
weiß, daß dies alles schon bekannt ist; eben diese Beobachtungen lieferten das 
Material zum Begriffe des Durcharbeitens. Aber dieser Begriff, oder richtiger 
die klinischen Tatsachen, welche diesen Begriff auf bauen, wurden nicht mit¬ 
verarbeitet, wenn verschiedene Forscher versuchten, das Ziel der psycho¬ 
analytischen Behandlung zu beschreiben. Daran kranken alle vorgeschlagenen 
Deskriptionen. 

Die eine Gruppe der Deskriptionen des Endzieles berücksichtigt nur die 
strukturellen Veränderungen in der Seele, sie könnte die klassische heißen; 
die andere Gruppe legt das Gewicht auf das Energetische, auf das Emotionelle 
des Geschehens, sie könnte die romantische genannt werden. Alle Deskriptio¬ 
nen der ersten Gruppe stammen von Freud. Nach ihm wären die Ziele der 
Behandlung: das Bewußtmachen des Unbewußten oder die Auf¬ 
hebung der infantilen Amnesie oder die Überwindung der Wider¬ 
stände. Die drei Deskriptionen sind synonym, fast gleichbedeutend. Nach 
meiner Ansicht sind sie zu weit. Wie wir gesehen haben, wurde in dem ge¬ 
schilderten Falle von einem bestimmten Punkte der Kur an kein eigentlich 
neues Material mehr zutage gefördert, konnte dem Bilde der frühkindlichen 
Entwicklung nichts irgendwie Nennenswertes hinzugefügt werden und trotz¬ 
dem heilte die Neurose aus. Es ist anderseits allgemein bekannt, daß auch 
analysierte Menschen noch träumen und die Traumanalyse auch bei ihnen auf 
Widerstände stößt. Folglich verbleibt auch nach Beendigung der Analyse 
wenigstens so viel in der Seele unbewußt, als zur Traumbildung notwendig ist, 
und genug Widerstand unerledigt, daß er eine Traumanalyse erheblich stören 
kann. Sicher haben auch andere die Erfahrung gemacht, daß nach einer tat¬ 
sächlich beendeten Analyse von den Patienten nach langen Monaten, eventuell 
nach Jahren, Stücke ihrer infantilen Geschichte plötzlich erinnert werden. 










Michael Balint 


38 


öfters haben wir sie bereits in der Analyse rekonstruieren können, so daß 
diese plötzlich auftauchende Erinnerung nur eine Bestätigung der analytischen 
Arbeit ist; manchmal aber bringen diese Stücke nie vermutetes, in der Analyse 
nicht verwertetes Material, das sich zwar gut in das erhaltene Bild fügt, aber 
trotzdem ganz neu ist. Diese drei Deskriptionen des Endzieles der Kur be¬ 
stehen also, in der Sprache der Mathematik ausgedrückt, aus Merkmalen, 
welche weder notwendig noch hinreichend sind. 

Nun wenden wir uns zu der zweiten Gruppe der Beschreibungen. Sie alle 
sind eigentlich Umschreibungen oder Präzisierungen der alten Deskription, 
welche noch aus der Zeit der Katharsis stammt. Nach dieser wäre das Endziel 
unserer therapeutischen Bestrebungen: „das Abreagieren der einge¬ 
klemmten Affekte“. Dies ist ohne Zweifel richtig, nur zu allgemein ge¬ 
halten. Wir kennen noch kein Zeichen dafür, daß alle eingeklemmten Affekte 
tatsächlich bereits erledigt seien, bzw. ob die schon erledigten für die Heilung 
zureichen. Seit der theoretischen Klärung des Wiederholungsmomentes wur¬ 
den nicht wenige Versuche unternommen, dieses Kriterium der Erledigung 
genauer anzugeben. Ferenczi und Rank beschrieben als Ziel: „die volle 
Reproduktion der Ödipusrelation im analytischen Erlebnis“. 3 ' 
Seitdem wir wissen, wie kompliziert die frühinfantile Ödipusrelation ist, er¬ 
scheint uns auch diese Deskription, die zweifellos einen großen Fortschritt be¬ 
deutet, als zu enge. Rank forderte dann als Endziel: „das Abreagieren des 
Geburtstraumas“ (Das Trauma der Geburt, Wien, 1924). Über den Wert 
und den Fehler dieses Satzes wurde schon so viel geschrieben, daß eine neuer¬ 
liche Kritik wohl überflüssig ist. V. Koväcs’ Formulierung „Die Abwick¬ 
lung des Wiederholungsmomentes“ 4 betont, gegenüber den zwei vor¬ 
hergehenden, die Dynamik des Heilungsvorganges, ist aber noch immer zu 
allgemein gehalten. W. Reich 5 kommt mit seiner Kritik fast zu denselben 
Resultaten wie ich, er gibt aber als Endziel an: „das Erreichen der vollen 
Genitalität, der orgastischen Potenz“. Dies ist zum Teil richtig; 
keiner ist ein gesunder Mensch, dem die Fähigkeit zum regelmäßigen periodi¬ 
schen Orgasmus fehlt. Wenn ich Reich richtig verstanden habe, sucht er aber 
die Erklärung für die tatsächlich vorkommenden Fälle, welche trotz tief¬ 
gehender Analyse die orgastische Potenz nicht erreichen konnten, bei dem 
unklaren Begriff der Konstitution. Andererseits haben wohl die meisten unter 
uns mehr als einen Menschen gesehen, sogar analytisch beobachten können, 
welcher trotz vollkommener orgastischer Potenz ziemlich schwer neur- 
otisch war. 

Da die bisher vorgeschlagenen Deskriptionen uns nicht ganz zufriedenstellen 
konnten, sei es mir erlaubt, auf Grund der Einsichten, welche ich in Wiesbaden 

• 3) Entwicklungsziele der Psychoanalyse, Wien, 1924, S. 54/55 

4) Int. Zeitschr. f. Psa., XVII, 1931. 

5) Charakteranalyse, Wien, 1933. 




























- Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung 39 

vorgetragen habe, 6 diese Frage zu diskutieren. Ich habe regelmäßig beobachten 
können, daß in der Endphase der Behandlung die Patienten beginnen, längst 
vergessene infantile Triebwünsche zu äußern und deren Befriedigung von der 
Umwelt zu fordern. Diese Wünsche werden zuerst nur schwach angedeutet, 
oft verursacht ihre Erscheinung Widerwillen, sogar heftige Angst. Erst nach 
Überwindung mancher Schwierigkeiten, sehr langsam, werden sie offen ein¬ 
gestanden, noch später ihre Befriedigung lustvoll erlebt. Ich nannte dieses 
Phänomen Neubeginn und glaube festgestellt zu haben, daß er in allen ge¬ 
nügend tiefgehenden Analysen, und zwar gerade vor der Beendigung vor¬ 
kommt und sogar einen wesentlichen Mechanismus der Heilung bildet. 

Nun zur Kritik. Erstens — wie ich schon in Wiesbaden erwähnte — ge¬ 
nügt fast nie ein einzelner Neubeginn. Anderseits muß der Patient nicht alle 
seine früher wertvollen Triebwünsche neubeginnen. Auch nach Beendigung 
der Analyse können Triebe verbleiben, deren Befriedigung keinen Genuß mit 
sich bringt, sondern sogar Unlust verursacht. 

Es entsteht nun eine Menge technischer Fragen. Gesetzt, wir hätten mit dem 
Neubeginn ein wichtiges Kriterium der Beendigung der Behandlung in unserer 
Hand, dann möchte man wissen, wieviel solcher Schübe vom Neubeginn not¬ 
wendig und zureichend sind. Weiter: Auf welchen Triebgebieten wäre der 
Neubeginn obligat, auf welchen zufällig und schließlich: auf welchen über¬ 
flüssig? Ich kann auf keine dieser Fragen antworten und schlage deshalb vor, 
den Neubeginn näher zu untersuchen; vielleicht werden wir dann zur Ein¬ 
sicht kommen, daß die oben gestellten Fragen, so wichtig sie uns jetzt er¬ 
scheinen mögen, nicht aus der Natur der Sache stammen und deshalb un¬ 
beantwortbar sind. Da all diese Erscheinungen erst in der letzten Phase einer 
Behandlung zum Vorschein kommen, und leider nicht wenige Analysen aus 
praktischen Gründen noch vor Erreichen dieser Phase abgebrochen werden 
müssen, so ist es natürlich, daß es einige Zeit gedauert hat, bis mir eine be¬ 
deutsame Eigenschaft dieser neubegonnenen lustvollen Aktivitäten auffiel: Sie 
sind ohne Ausnahme objektgerichtet. Diese Erfahrung wunderte 
mich nicht wenig. Nach unserer heute allgemein angenommenen Theorie ist 
die primitivste, ursprünglichste Phase der Libido autoerotisch. Ich versuchte 
mich aus der theoretischen Klemme zu retten, indem ich mir vorhielt, dies 
müsse so sein, werden doch die noch früheren Phasen der Libidoentwicklung 
(Autoerotismus, Narzißmus) in der Mittelphase der Kur erledigt. Natürlich 
bleibt dann die Überführung der Libido in die Objektrelationen als Aufgabe 
für die Endphase. 

Ich blieb aber unbefriedigt. Sowohl die verwirklichten Aktivitäten wie 
auch die Phantasien in dieser Neubeginnperiode waren so kindisch, so selbst¬ 
verständlich, so absolut unproblematisch, daß es mir einfach nicht möglich 
war, sie als abschließende Glieder einer komplizierten Entwicklungskette vor- 

6 ) Int. Zeitschr. f. Psa., XX, 1934. 
















40 


Michael Bälint 


zustellen. Und weitergehend, es ist uns längst bekannt, daß in der analytischen 
Behandlung eben die zutiefst verborgenen, die primitivsten Schichten zuletzt 
zutage gefördert werden. Dazu kam noch eine sich immer wiederholende Be¬ 
obachtung. Wie ich in Wiesbaden schon betont habe, folgt auf die erste 
meistens sehr schüchtern durchgeführte Probebehandlung regelmäßig eine leiden¬ 
schaftliche Phase. Die Patienten werden wie von einer Sucht befallen. Tage- 
ang können sie einfach nichts anderes tun, als diese neubegonnenen lustvollen 
Handlungen fortwährend zu wiederholen oder wenigstens über sie zu phanta¬ 
sieren. Dies ist eine gefährliche Situation für die Fortsetzung. Die Patienten sind 
meistens so glücklich, daß sie sich selbst — und ich muß bekennen, anfangs 
auch mich betrügen konnten. Sie fühlen sich übergesund und einige be¬ 
nutzten dies, um mit meiner Einwilligung die Kur abzubrechen. Dieser Zu¬ 
stand der leidenschaftlichen, suchtartigen Glückseligkeit ist aber nicht von 
Dauer. Wie ich von einer zurückgekehrten, psychologisch feinfühligen Pa- 
^jclern, halae ’ artet er in mamer weitergehende Forderungen aus, welche 
schließlich von keinem realen Objekt mehr befriedigt werden können. Das 
Ende ist ein erstarkter Narzißmus mit Selbstüberheblichkeit, Wichtigmacherei, 
in die Augen springender Interessiertheit usw., verdeckt durch Scheinhöflich- 
keit und unwahre Bescheidenheit. (Vielleicht gibt dies eine Erklärung für das * 
sehr ähnliche Benehmen der wirklich Süchtigen.) 

Falls aber Patient und Analytiker durchhalten, so flaut dieses leidenschaft¬ 
liche Stadium ab und an seiner Stelle entwickelt sich vor unseren Augen eine 
wahre, der Realität angepaßte Objektbeziehung. Also zusammengefaßt: zuerst 
eine unverkennbare primitiv-infantile Objektbeziehung, welche - wenn nicht 
richtig verstanden und behandelt — in unerfüllbaren Forderungen und in 
einem für die Umgebung sehr unangenehmen narzißtischen Stadium endet 
— wenn aber richtig geleitet, einer der Realität angepaßten, sowohl für den 
Menschen wie auch für seine Umgebung konfliktlosen Beziehung Platz macht. 
Diese Beobachtungen vertragen sich sehr schlecht mit dem üblichen Schema 
der analytischen Libidotheorie, nach welchem die Autoerotik der Urzustand 
der Sexualität sein soll. Den Ausweg kann nur ein theoretisches Bild eröffnen, 
welches sowohl die bisherige, auf unzählige klinische Tatsachen fundierte 
Libidoentwicklungstheorie, wie auch diese Beobachtungen gleichzeitig zu er¬ 
klären vermag. Diesen Ausweg fand ich nicht nur angedeutet, sondern für ein 
beträchtliches Stück schon ausgebaut bei Ferenczi. 

Er beschrieb in seiner Lieblingsarbeit — in der Genitaltheorie — ein Ge¬ 
schehen, das er die Entwicklung des erotischen Realitätssinnes nannte. Er 
stellte dort drei Stufen auf, deren Endziel immer dasselbe bleibt und die sich 
nur dann unterscheiden, daß sie das gemeinsame Endziel auf verschiedenen, 
der Realität sich immer besser anpassenden Wegen zu erreichen trachten. Das 
Endziel ist die Wiederkehr in den Mutterleib (nach Ferenczi das Urziel aller 
menschlichen Geschlechtlichkeit) und die drei Stufen: die passive Objektliebe, 

























—--- ‘ Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung 41 

die autoplastische oder Masturbationsphase und schließlich die alloplastische 
Phase oder, wie ich es nennen möchte: die aktive Objektliebe. 

Das für unser Problem Wichtige ist, daß das Kind, wie es Ferenczi öfters 
hervorgehoben hat, von Uranfang an in einer libidinösen Objektrelation 
lebt und ohne diese libidinöse Objektrelation einfach lebensunfähig ist; nur 
ist diese Relation passiv. Es liebt nicht, sondern es wird geliebt. Eine 
Zeitlang kann die pflegende Außenwelt seine Bedürfnisse erfüllen; werden 
aber diese mit zunehmendem Alter gewaltiger, zahlreicher, immer schwie¬ 
riger erfüllbar, so muß einmal die reale Versagung kommen. Das Kind ant¬ 
wortet darauf mit wohlbegründetem Haß und Aggressivität und mit Abwen¬ 
dung von der Realität, d. h. Introversion seiner Liebe. Falls die Erziehung 
dieser Richtungsänderung nicht entgegenarbeitet, d. h. nicht mit genügender 
Liebe das Kind an die Realität zu binden trachtet, so folgt die Periode der 
autoerotischen Unterbringung der Libido, die Periode der verschiedenen 
Selbstbefriedigungen, der trotzigen Selbstgenügsamkeit. Meiner Ansicht nach 
sind vor allem die ,,anal-sadistische und die „phallische Phase , d. h. die be¬ 
obachteten Objektbeziehungen, welche unter diesen Begriffen theoretisch zu¬ 
sammengefaßt werden, Kunstprodukte. Sie stellen nicht Stufen, oder auch nur 
Punkte der normalen Entwicklung der psychosexuellen Beziehungen zur Um¬ 
welt dar, sie sind überhaupt keine normalen Erscheinungen, sondern deuten, 
wo sie beobachtet werden können, auf eine erheblich gestörte Entwicklung. 
Sie sind Zeichen einer ziemlich scharfen Knickung der normalen psycho¬ 
sexuellen Relation zur Umwelt, hervor gerufen durch konsequent durchge¬ 
führte, inadäquate Umweltseinflüsse, vor allem durch unverständige Er¬ 
ziehungsmaßnahmen. 

Weitere Beweise dieser verwegen erscheinenden Behauptung habe ich in 
unserer Zweigvereinigung in Budapest bereits vorgetragen und hoffe, sie in 
einer besonderen Arbeit bald publizieren zu können. Hier will ich nur zwei 
Sätze von Freud zitieren. Er führt in den Vorlesungen aus, daß manche Par¬ 
tialtriebe der Sexualität — wie z. B. der Sadismus — von vornherein ein Ob¬ 
jekt besitzen. Er setzt fort: „Andere, die deutlicher an bestimmte erogene 
Körperzonen geknüpft sind, haben es nur im Anfang, solange sie sich noch an 
die nichtsexuellen Funktionen anlehnen, und geben es auf, wenn sie sich von 
diesen loslösen.“ Gemeint ist die Oralerotik. Der andere Satz lautet: „Der 
orale Trieb wird autoerotisch, wie es die analen und die anderen ero- 
genen Triebe von vornherein sind. Die weitere Entwicklung hat, um es aufs 
knappste auszudrücken, zwei Ziele: erstens den Autoerotismus zu verlassen, 
das Objekt am eigenen Körper wiederum gegen ein fremdes zu ver¬ 
tauschen.“ 7 ... Das Weitere gehört nicht zu unserem Thema. Hier ist klipp 
und klar ausgedrückt, daß der orale Trieb, welcher bis jetzt sozusagen als 
Musterbeispiel des Autoerotismus in den theoretischen Erwägungen fungierte, 

7) Ges. Sehr., Bd. VII, S. 340 (die Sperrungen von mir). 










42 


Michael Balint 


zu allererst eine Objektbeziehung durchmacht. Was in meinem Budapester 
Vortrag neu war ist der Versuch, eine Theorie auszubilden, welche auch 
diese allgemein bekannte, aber nie ausgewertete Tatsache mitberücksichtigt . 8 

Nach dieser Theorie wären alle Triebe, auch die von Anfang an sogenann¬ 
ten autoerotischen, ursprünglich objektgebunden. Diese primitive Objektbe¬ 
ziehung wäre immer passiver Art. Dieser passive Urzweck der menschlichen 
Sexualität — das Befnedigtwerdenwollen oder das Geliebtwerdenwollen — 
wir zeit e ens beibehalten. Die Realität, die unvermeidliche äußere Ver¬ 
sagung, zwingt dem Menschen Umwege auf, und er muß mit diesen vorlieb- 
nehmen. Der eine Umweg wäre die Autoerotik, der Narzißmus; wenn die 
Welt mich nicht genügend befriedigt, nicht genügend liebt, so muß ich midh 
se st e riedigen, selbst lieben. Der andere Umweg ist die aktive Objektliebe; 
diese erreicht den ursprünglichen Zweck schon besser, aber durch Opfer. Wir 
heben, befriedigen unseren Partner (dies ist das Opfer), um endlich durch ihn 
wiedergeliebt, befriedigt zu werden. 

Falls dies alles wahr ist, dann versteht es sich von selbst, daß aller Neu¬ 
beginn in der Objektrelation zu geschehen hat. Die eine Ursache der Neurose 

wr-T m f r - dl a- reale Versa § un S- Gewöhnlich unterschätzt der Analytiker die • 
Wichtigkeit dieser Ursache, wird doch der Gegenpart der ätiologischen Er- 
ganzungsreihe, der endogene Faktor, durch die Analyse immer wieder in den 
Vordergrund gedrängt. Woran wir monate-, sogar jahrelang arbeiten, das sind 
die strukturellen Fehler der Seele, die zerrissenen Zusammenhänge, die bewußt- 
seinsunfahig gewordenen seelischen Inhalte. Aber eines sollten wir nicht ver- 
gessen daß all diese Fehlentwicklung, welche wir unter dem Sammelnamen 
„das Verdrängte zusammenfassen, ursprünglich durch äußere Einwirkung in 

Rellü-f US l! nd A?Tu Sen L WUrde ‘ ° aS heißt > CS gibt keine Verdrängung ohne 
Realität, ohne Objektbeziehung. Es ist ein bleibendes Verdienst Ferenczis, 

daß er in den Jahren der sogenannten ichpsychologischen Richtung, der Er¬ 
forschung der seelischen Struktur, nie müde wurde, die Wichtigkeit der 
äußeren Faktoren immer wieder hervorzuheben. 

Wie notwendig dies war und noch immer ist, will ich an einem einzigen 
Beispiel zeigen, und zwar sei unter sehr vielen gerade ein Werk gewählt, das 
mik gut vertragen kann, wurden doch seine vorzüglichen Eigenschaften ganz 
algemein anerkannt. Es ist die gedankenreiche Arbeit von Melanie Klein 
die „Psychoanalyse des Kindes“. ’ 

Schlagen wir das Sachregister dieses Buches auf, so suchen wir vergebens 
folgende Stichworte: verständnislose Erziehung, Sadismus der Eltern, Lieb- 
osigkeit, Flarte, Verzärtelung, Liebesbedürftigkeit u. dgl. m . Merkwürdig 

Realitätssinn'^von Alice ^ A ,^ elt: ” Dle , Entwicklung der Liebesfähigkeit und der 
Budapest rou) ; n wel V, a j•* n \ ( ln _ ungarischer Sprache: „Lelekelemzesi tanulmanyok“, 

denselben’ Resultaten gekommen ist“ 10 "" “““* ^ bereitS VOr mk fast zu 


























Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung 43 


genug, fehlt auch das Wort Liebe. 9 (Dieses Wort fehlt auch im Sachregister von 
Fe n ich eis „Hysterie und Zwangsneurose“.) Dem entspricht ein anderer Zug 
des Buches: die Hervorhebung des strukturellen Faktors und der angeborenen 
Konstitution. Um nur ein Beispiel zu geben: Überall im Buch (übrigens auch 
im Luzerner Kongreßvortrag) ist die Rede von den abgespaltenen „guten“ und 
bösen“ Mutterimagines, welche das Kind mit dem Zweck bildet, ein 
Objekt für seinen konstitutionell verstärkten Sadismus immer bereitzuhalten. 
Selbstverständlich fürchtet es sich nun vor der Rache der gehaßten und von 
ihm mißhandelten „bösen“ Imagines. Könnte das vielleicht nicht so darge¬ 
stellt werden, daß die Eltern in den Augen des Kindes launenhafte Wesen sind, 
welche unberechenbar, manchmal bös und manchmal gut zu ihm sind? 
Und je neurotischer das Verhalten der Eltern, desto schwieriger die Aufgabe 
der Anpassung für das Kind, welches schließlich keinen anderen Weg hat, als 
z. B. die Mutter als zwei grundverschiedene Wesen zu behandeln. Manchmal 
ist die „Fee“ da und manchmal die „Hexe“. Die Furcht vor der Rache würde 
sich dann als realbedingte Furcht entpuppen und der „konstitutionell“ starke 
Sadismus als Effekt einer verständnislosen Erziehung. Daß etwas an meiner 
Annahme wahr ist, zeigt eben der Erfolg der Frühanalysen. Durch die ver¬ 
ständnisvolle Erziehung seitens einer nicht neurotisch sich benehmenden 
Mutterimago — ich denke dabei an Frau Klein — wird dem Kind der Weg 
zur Anpassung geöffnet. Ich meine also, es wäre schade, bei den Struktur¬ 
fehlern der Seele haltzumachen, unser Weg kann uns noch weiterführen, und 
zwar zu den Erziehungsfehlern — oder wie es Ferenczi 10 in seinem Wies¬ 
badener Vortrag ausdrückte, zur „Sprachverwirrung zwischen den Erwach¬ 
senen und dem Kinde“. 

Nun können wir auch verstehen, warum die Frage nach der notwendigen 
Anzahl und nach der Herkunft der neubegonnenen Befriedigungen sich als un¬ 
beantwortbar herausstellte. Die Frage stammte eben aus unserer schematisch ge¬ 
wordenen Denkweise und nicht aus der Natur der Sache. Nicht einzelne Par¬ 
tialtriebe müssen neubegonnen werden, sondern die Objektliebe selbst. 

Mit Hilfe der hier vorgebrachten Überlegungen glaube ich, das Endziel der 
psychoanalytischen Behandlung genauer formulieren zu können. Der Mensch 
wird krank, weil die Umgebung ihn von seiner Kindheit an mehr-minder ver¬ 
ständnislos behandelt hat. Ihm wurden Befriedigungen versagt, welche ihm 
notwendig waren, hingegen solche aufgedrungen, welche ihm überflüssig, 
nebensächlich, sogar schädlich waren. Auch seine Seele mußte sich vor dem 
äußeren Zwang beugen; sie hatte verschiedene Strukturen zu bilden, vor 
allem jene, welche wir das Uber-Ich nennen, um ihn vor Konflikten mit 
seiner Realität automatisch zu schützen. Er kommt zu uns, wir studieren in 

?) Alle diese Themen sind selbstverständlich im Buche besprochen. Daß sie im Sach¬ 
register fehlen, ist aber als wichtige Symptomhandlung zu bewerten. 

10) Int. Zeitschr. f. Psa., XIX, 1933. 













44 


Michael Bjilint 


gemeinsamer Arbeit seine biologische und psychische Struktur und versuchen 
diese mit seiner Geschichte und Urgeschichte in Zusammenhang zu bringen. 
Schließlich versteht er seine eigene Natur und auch den langen, immer leid¬ 
vollen Vorgang, wodurch er zu dem ihm bekannten Menschen herangebildet 
wurde. Bei manchen Menschen, die nicht zu schwer in ihrer Objektbeziehung 
geschädigt wurden, genügt die Erleichterung, welche das Bewußtwerden und die 
dadurch ermöglichte bessere Kontrolle ihrer Handlungen und die erweiterte 
Genußfähigkeit mit sich bringen; sie werden mit dem Fortschreiten der Arbeit 
angsam, fast unbemerkt gesund. Bei ihnen fehlt die eigentliche Endphase der 
Behandlung oder sie ist höchstens angedeutet. 

Bei den anderen aber, welche schwer unter der „Sprachverwirrung“ zu 
eiden hatten, deren Liebesfähigkeit durch verständnislose Erziehung künstlich 
ganz verkrüppelt wurde, stellt sich zuletzt eine ganz eigenartige Situation ein. 

Ies dreht sich um einen Entschluß. Soll man alles erlittene Leid ad acta tun, 
endgültig mit der Vergangenheit abrechnen und schließlich versuchen, aus dem 
noch bevorstehenden Leben das Mögliche herauszuholen? Dieser Entschluß, 
das Lieben wahrlich neuzubeginnen, ist alles andere als leicht. Der Analytiker 
ann hier viel helfen. Schon das richtige Deuten ist wichtig; bekundet er da- , 
durch doch, daß er seinen Schutzbefohlenen versteht, also nicht wie einst ver¬ 
ständnislos behandeln will. Das Wichtigste aber ist hier, daß man die schüch¬ 
ternen, oft nur äußerst schwach angedeuteten Versuche zum Neubeginn der 
Objektbeziehung bemerkt und sie nicht verscheucht. Man soll nie vergessen, 
daß die Anfänge der Objektlibido passive Ziele verfolgen und erst durch das 
ta tvolle, im wahrsten Sinne des Wortes „liebenswürdige“ Benehmen des Ob¬ 
jektes zur Entfaltung zu bringen sind. Auch später muß man diese neube¬ 
gonnenen Beziehungen schonend behandeln, damit sie den Weg zur Realität, 
zur aktiven Liebe finden. 

Leider will dieser Entschluß zum Neubeginn der Liebe nicht einem jeden 
gelingen. Es gibt Menschen, welche nicht verzichten können, von der ganzen 
Welt immer neuen Schadenersatz für all das zu fordern, was gegen sie je ge¬ 
sündigt wurde, welche zwar wissen, daß dieses Trachten zwanghaft, heute 
schon irreal, bloß übertragen ist, und trotzdem nicht davon ablassen können, 
welche nur geliebt werden wollen und nicht Liebe geben können. Ich bin 
nicht oft, aber doch einige Male mit Patienten auf diesen Punkt gelangt, von 
wo sie nicht weiterzubewegen waren. Diese ganz wenigen Fälle, die zwar we¬ 
sentlich gebessert werden konnten, die ich aber nicht zu heilen vermochte, 
zwangen mich, die Grenzen meines therapeutischen Könnens einzusehen. Mit 
meiner heutigen Technik kann ich nur solche Leute ganz heilen, welche im 
Laufe der analytischen Arbeit die Fähigkeit erwerben können, das Lieben ver¬ 
suchsweise neuzubeginnen. Wie auch den wenigen anderen zu helfen wäre, 
sehe ich heute noch nicht. Aber ich glaube nicht, daß wir unsere Waffen vor 
den konstitutionellen Faktoren schon zu strecken haben. Ferenczi pflegte 























Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung 


45 


immer zu sagen: Solange ein Patient willig ist, die Kur fortzusetzen, muß ein 
Weg gefunden werden, ihm zu helfen. Wer seine Arbeitsweise kannte, weiß, 
daß dies für ihn keine leere Phrase war. Er hat sehr vieles versucht; es ist ihm 
auch gelungen, vielen zu helfen, welche schon als hoffnungslos aufgegeben 
waren. Leider nicht allen. Das alte Sprichwort hat sich wieder bewahrheitet: 
ars longa, vita brevis est. Es ist die Pflicht der Schüler, die begonnene Arbeit 
des Meisters fortzusetzen. 

Ich bin am Ende meines Vortrages. Ich glaube gezeigt zu haben, daß es ein¬ 
seitig war, unsere Theorie, unsere Denkweise hauptsächlich auf strukturelle 
Erwägungen und auf die Triebkonstitution zu basieren. Ohne die großen Er¬ 
rungenschaften dieser Forschungsrichtungen zu schmälern, wollte ich darauf 
hinweisen, daß das in den letzten Jahren arg vernachlässigte Studium der liebe¬ 
vollen Objektrelationen vieles zum Verständnis der menschlichen Seele und 
zur Verbesserung unseres therapeutischen Könnens beitragen kann. Meiner 
Ansicht nach spukt heutzutage zu viel konstitutionell bedingter Sadismus und 
Masochismus in der analytischen Theoretik; die Devise meines Vortrages 
würde also lauten: Weniger Sadismus und mehr Liebe. 









Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen 

Therapie 1 

Von 

Melitta Schmideterg 

London 

Jede Psychotherapie stützt sich auf die spontanen Selbstheilungstendenzen 
es Individuums. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Methoden kommen 
adurch zustande, daß sie sich verschiedener Selbstheilungstendenzen bedienen 
und diese in verschiedenem Sinne lenken und korrigieren. 

Der Psychotherapeut vermag sich zeitweise an Stelle des Über-Ichs zu 
setzen, indem er eine Situation herbeiführt, in der er allein Schutz gegen die 
Angst bietet. In der Hypnose z. B. wird die kindliche Schlafsituation herge- 
ste t und dadurch der nie fehlende Pavor nocturnus aktiviert. Der Hypnoti¬ 
seur übernimmt die Rolle der Eltern, die allein gegen die irreale nächtliche 
Angst schützten. Dieser Schutz wird durch völlige Unterwerfung, die maso¬ 
chistisch libidinisiert wird, erkauft. * 

Begnügt sich der Psychotherapeut damit, die Angst durch die Beziehung zu 
sich zu binden, so wird die Neurose nach Abbruch der Beziehung wieder 
manifest. Nachhaltigere Erfolge erzielt er nur, wenn er seine Macht dazu be¬ 
nutzt, um im psychischen Haushalt eine Umschichtung vorzunehmen, indem 
er z. B. den Patienten seine Symptome gegen andere, weniger störende ver¬ 
tauschen läßt oder ihm geeignete Mittel zur Bewältigung der Angst und des 
Schuldgefühls bietet. Diese Heilvorgänge beruhen auf zwangsneurotischen und 
phobischen Mechanismen. 

Der Psychotherapeut kann ferner in den Verdrängungskampf eingreifen und 
durch Unterdrückung von Symptomen oder erfolgreichere Verdrängung von 
störenden Triebregungen eine bessere Anpassung erzielen. Er kann auch ver¬ 
suchen, den Verdrängungskampf im Sinne der Triebfreiheit zu entscheiden, 
sei es durch Förderung der spontanen Tendenz zur Abreaktion und Projektion 
(durch Anregen des Spielens, des freien Phantasierens und Aussprechens, durch 
die kathartische Methode usw.), sei es durch Gestatten von verpönten Trieb- 
regungen. Dies kann auf direktem Wege durch das Erlauben von bewußten, 
aber verurteilten Regungen, die Abkömmlinge tiefer verdrängter Impulse dar¬ 
stellen, erfolgen. Der Kern des Verdrängten kann aber auf diese Weise nicht 
beeinflußt werden. Indirekt können durch Scherze, Vergleiche, Märchen usw. 
in mehr oder minder verhüllter Form vorbewußte Regungen gestattet wer¬ 
den; dies wird nur dann erfolgreich sein, wenn es sich um eine dem Ich näher- 
stehende Regung hand elt und der Verdrängungskampf um diese Regung noch 

Vortrag, gehalten am 31. August 1934 auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen 
Kongreß in Luzern. 

























Melitta Schmideberg: Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen Therapie 47 


nicht entschieden ist. Während der Analytiker den Wiederaufbau der durch 
die Verdrängung zerstörten Assoziationsbrücken systematisch anstrebt, um den 
Widerstand überwindend in die Tiefe zu dringen, errät ein guter Psychothera¬ 
peut intuitiv solche Assoziationsbrücken und verwendet sie zur Lockerung der 
Verdrängung. 

Die Tendenz solcher psychotherapeutischer Maßnahmen, die, gestützt auf 
die Autorität des Therapeuten, die Verdrängung zu lockern suchen (und hieher 
ist auch die „Symptomanalyse“ zu rechnen), entspricht den Zielen der Analyse, 
unterscheidet sich aber von ihr dadurch, daß sie die Analyse des Widerstandes 
und der Übertragungssituation vermeidet. Dies bestimmt die Grenzen ihrer 
Wirksamkeit: sie darf nur so weit Vordringen, als sie es vermag, ohne Wider¬ 
stand zu erregen, der sich als Ablehnung der Behandlung, Angst oder Ver¬ 
schlimmerung des Zustandes äußern würde. Es scheint mir unwahrscheinlich, 
daß man ohne tiefgehende Analyse, d. h. ohne wirkliche Modifizierung des 
Über-Ichs, Triebfreiheit in einer Hinsicht geben kann, ohne das Über-Ich durch 
verstärkte Triebunterdrückung auf andern Gebieten zu versöhnen. 2 

Die immer vorhandene Neigung zum freien Assoziieren entspringt dem 
Streben, die innere Spannung zu verringern, Unlustvolles in die Außenwelt zu 
projizieren. Der Projektion liegt, wie wir wissen, 3 die Tendenz zugrunde, sich 
von Bösem zu befreien. Aber meiner Ansicht nach bildet der Wunsch, gelieb¬ 
ten Personen etwas Gutes zu geben, ein weiteres Motiv hiezu, wie es sich am 
deutlichsten beim künstlerischen Schaffen, beim Sprechen usw., in der Analyse 
im Wunsche, den Analytiker zu befriedigen, äußert. Beim physiologischen 
Vorbild der Projektion, dem Defäzieren, lassen sich diese beiden Tendenzen 
gut beobachten. 

Es besteht immer eine Neigung zum freien Assoziieren, die aber durch die 
Realität gehemmt wird. Im Spiel, Witz, Tagtraum, in der Analyse werden 
verpönte Regungen bis zu einem gewissen Grade geäußert, weil sie als unwirk¬ 
lich angesehen werden und deshalb weniger Angst und Schuldgefühl hervor- 
rufen. Doch die dem freien Assoziieren durch das Über-Ich gesetzten Grenzen 
können nur durch die Deutung überwunden werden. 


Die Deutung, die dem Ich verdrängte, aber bewußtseinsnahe Regungen ge¬ 
stattet, bewirkt zufolge der Ersparnis an Verdrängungsaufwand eine Erleich¬ 
terung. Hierin besteht ihre ökonomische Wirkung. Die durch die Deutung 
bewirkte Ersparnis an Verdrängungsaufwand und Spannung kann ähnliche 
Lust gewähren wie ein Witz. Mit dieser Auffassung stehe ich in Gegensatz zu 
Tausk 4 , der in der Lust die Ursache und nicht die Folge des Aufhebens von 
Verdrängungsaufwand sieht. 


2) Siehe ausführlicher S. 53 u. 54. 

3) Freud: Triebe und Triebschicksale, Ges. Sehr., Bd. V. 

4) Tausk: Entwertung des Verdrängungsmotivs durch Rekompense 
I, 1913, S. 230. 


Int. Ztschr. f. Psa., 
















48 Melitta Schmideberg 

Der topische Vorgang der Deutung wurde von Freud beschrieben. 5 
Durch Verbindung mit vorbewußten Mittelgliedern, insbesondere mit Wort¬ 
vorstellungen, wird Unbewußtes bewußt. Durch Verknüpfung von Affekt und 
Vorstellung, von Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Phantasie, der 
verschiedensten Vorstellungsinhalte und Tendenzen arbeitet die Deutung den 
zwangsneurotischen Isolierungsmechanismen entgegen und gibt der spontanen 
Neigung der Psyche zur Synthese 6 die Möglichkeit, sich freier zu entfalten. 
Die durch die Verdrängung zerstörten Assoziationsbrücken werden wieder 
aufgebaut (Sachs), 7 aber auch neue Assoziationsbrücken werden geschaffen. 
Dadurch fördert die Analyse die Entwicklung des Vorbewußten. Dieser Vor¬ 
gang ist von großer therapeutischer Bedeutung. Unbewußte Regungen yer- 
mögen nur nach Passage des Vorbewußten bewußtseinsfähig zu werden; treten 
sie ohne Vermittlung des Vorbewußten ins Bewußtsein, wie es sich in der 
Psychose ereignet, so werden sie als unerträglich empfunden. Einen direkten 
Zusammenhang zwischen dem Bewußten und Unbewußten stellen die Empfin¬ 
dungen 8 und die Symbolik dar. Darum bieten symbolische Deutungen, die die 
Empfindungen berücksichtigen, einen direkten Zugang zum Unbewußten, der 
besonders bei Patienten mit nur mangelhaft entwickeltem Vorbewußten v 
(kleinen Kindern, Psychotikern usw.) wertvoll ist. 

Die dynamische Wirkung der Deutung besteht darin, daß sie durch 
Verstärkung der entgegengesetzten Regungen eine Triebentmischung hervor¬ 
ruft. Ein kleiner Junge z. B. entwickelte als Reaktion auf die Deutung der in 
der Enuresis enthaltenen Beschmutzungs- und Reinigungstendenzen vorüber¬ 
gehend einen Waschzwang und Inkontinenz. Die passagere Triebentmischung 
ermöglicht die Verschiebung von Triebenergie und ist die Voraussetzung für 
eine Modifizierung der Triebregungen und somit für jede tiefere Änderung. 
Dadurch, daß vorher ichgerechten Symptomen und Charakterzügen Libido 
entzogen wird, werden sie erst objektiviert und in Gegensatz zum Ich ge¬ 
stellt und so der sekundäre Krankheitsgewinn rückgängig gemacht. Diese Li¬ 
bidoverschiebung wird vom Ich des Patienten reguliert, das aber durch diesen 
Prozeß selbst weitgehend verändert wird. Das Ich will die Libido ichgerechten 
Interessen zuführen und ist bestrebt, hiebei zugleich sein Ich-Ideal, die Wer¬ 
tungen der Umgebung, die Anforderungen der Realität und das Drängen der 
Triebe zu berücksichtigen. Es wird hierin um so erfolgreicher sein, je mehr 
durch Verringerung der Angst zwanghafte Libidinisierungen rückgängig ge¬ 
macht werden. 

Die aktive Therapie Ferenczis begnügt sich nicht mit der durch die 

5) Freud: Das Ich und das Es. Ges. Sehr., Bd. VI, S. 365. 

6 ) Freud: Das Ich und das Es. Ges, Sehr., Bd. VI. Nunberg: Die synthetische Funk¬ 
tion des Ich. Int. Ztschr. £. Psa., XVI, 1930, S. 301. 

7) Sachs: Metapsychologische Gesichtspunkte zur Wechselbeziehung zwischen Theorie 
und Technik in der Psychoanalyse. Int. Ztschr. f. Psa., XI, 1925, S. 150. 

8) Freud : Das Ich und das Es. Ges. Sehr., Bd. VI, S. 3 66 . 



















Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen Therapie 


49 


Deutungsarbeit erzielten passageren Triebentmischung, sondern versucht sie 
durch „aktive Maßnahmen“ zu verstärken und zu beschleunigen. Die Nach¬ 
teile einer zu intensiven passageren Triebentmischung sind, daß die passageren 
Symptome, insbesondere Angst, in heftiger Form auftreten und es zu stär¬ 
kerem Agieren kommt. Sie kann aber auch eine vermehrte Verdrängung be¬ 
wirken, denn wenn die so aktivierten unbewußten Regungen „überdosiert“ 
und unerträglich werden, erwehrt sich der Patient ihrer durch Verdrängung. 

Die Gefahren der analytischen Therapie liegen in der Möglichkeit einer zu 
weit gehenden Triebentmischung, besonders bei Patienten mit nur labiler 
Triebmischung (latenten Psychosen). Die passagere Triebentmischung ver¬ 
ursacht das Auftreten von passageren Symptomen und Angst sowie die Über¬ 
tragungsneurose . 9 

Die immer vorhandene Neigung, infantile Regungen an bestimmte Personen 
zu heften, „zu übertragen“, kann sich in der Realitätsferne der analytischen 
Situation freier entfalten. Dieser Vorgang wird aber dadurch verstärkt, daß 
ein Teil der durch Triebentmischung frei werdenden Regungen auf den Ana¬ 
lytiker projiziert wird. Darum bietet die Analyse der Übertragungssituation 
einen so guten Zugang zum Unbewußten. 

Der Widerstand entspricht den ursprünglichen Haßregungen, die sich nun 
auf den Analytiker konzentrieren, verstärkt durch die Abwehr des Über-Ichs. 
Die Analyse des Widerstandes bildet das wichtigste Mittel zur Milderung des 
Über-Ichs. Die Ubertragungsneurose entsteht, indem die Ubertragungssituation 
in ähnlicher Weise zur Bewältigung der Angst verwendet wird wie früher die 
neurotischen Symptome und darum diese ersetzen kann. 

Die Übertragungssituation stellt eine Mischung einer phantastischen und 
einer realen Situation dar. Die erstere kommt durch die Projektion der zu¬ 
folge der Triebentmischung frei werdenden unbewußten Regungen und Ängste 
zustande. Die letztere wird durch die Wahrnehmungen, die der Patient — 
bewußt oder unbewußt — am Analytiker macht, sowie seine Reaktionen dar¬ 
auf bestimmt. Der Analytiker ist nicht nur ein Schatten oder ein Spiegelbild, 
sondern ein lebender Mensch. Und dies hat auch seine therapeutische Bedeu¬ 
tung. In der Analyse durchlebt der Patient Affekte und Konflikte, die in der 
Kindheit nicht bewußt geworden waren oder verdrängt wurden, weil er sie als 
unerträglich empfand. In der Analyse vermag er sie zu ertragen, weil er sie 
allmählich, sozusagen in milderer Lösung durchlebt und an der persönlichen 
Beziehung zum Analytiker einen Rückhalt findet. Je mehr der Patient im Ana¬ 
lytiker einen Ersatz für geliebte Imagines zu sehen vermag, um so leichter 
gibt er Abwehrmechanismen auf. Hierdurch wird die Wirkung der Deutun- 

9) Meiner Ansicht nach besteht auch außerhalb der analytischen Situation eine spontane 
Tendenz zur Triebentmischung (und Triebmischung), die sich unter bestimmten äußeren 
oder inneren Umständen verstärkt oder vermindert und Phänomene wie die normale Regres¬ 
sion und Progression, das Auftreten von Angst usw. verursacht. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/i 


4 












5 ° Melitta Schmideberg 

gen vertieft. Der analytische Abbau der Angst vermag ähnlich, wenn auch 
langsamer zu wirken. Voraussetzung der Wirkung von Deutungen ist ein ge¬ 
wisses, sei es noch so geringes Maß an Vertrauen zum Analytiker, das sich mit 
dem Fortschreiten der Behandlung durch Abbau der negativen Übertragung 
verstärkt. 

Der Analytiker durchbricht dadurch, daß er die sadistischen Regungen be¬ 
wußt macht, versteht und nicht vergilt, den Circulus vitiosus der Projektion 
und bewirkt so eine Libidinisierung des Über-Ichs und zufolge der Identifi¬ 
zierung auch der Aggression . 10 Die Analyse wird aber diese Wirkung nur er¬ 
zielen, wenn der Patient fühlt, daß er für den Analytiker nicht nur ein theo¬ 
retischer Begriff, sondern ein lebender Mensch ist, ferner daß der Analytiker 
ihm gegenüber von Angst und Haßgefühlen frei ist, unbewußte Phantasien 
ohne Angst zu ertragen vermag und von der Heilwirkung der Analyse über¬ 
zeugt ist. Durch Freiwerden von Libido, Verminderung der Angst und der 
zwangsneurotischen Isolierungsmechanismen und ermutigt durch die günstigen 
Erfahrungen mit dem Analytiker, verstärken sich die Introjektionstendenzen 
der Außenwelt gegenüber. Die vermehrte Fähigkeit, auf günstige Einflüsse 
günstig zu reagieren, ist auch ein wichtiger Faktor für die Nachwirkung der 
Analyse und erklärt die größere Bedeutung von Teilerfolgen bei Kindern. 

In der Analyse wird Libido seitens des Analytikers zugeführt und zufolge 
der besseren Fähigkeit zur Introjektion in verstärktem Maße aus der Außen¬ 
welt auf genommen. Ferner wird aus der Verdrängung und durch Triebent¬ 
mischung Libido frei. Diese wird in den Dienst der synthetischen Funktion 
gestellt, zur Libidinisierung der Angst, des Über-Ichs und der Aggression ver¬ 
wendet, sowie der direkten Triebbefriedigung und Sublimierungen zugeführt. 

Da das Über-Ich ein Teil des psychischen Apparates ist, der den Triebab¬ 
lauf reguliert, kann es durch die Analyse nicht zersetzt oder abgebaut werden. 
Nur seine Strenge kann abgebaut, es selbst modifiziert oder teilweise mit dem 
Ich verschmolzen werden. Modifizierungen des Über-Ichs können durch In¬ 
trojektion von neuen Objekten, durch Modifizierung des Projektions- und 
Introjektionsvorgänge, vor allem aber durch Modifizierung der Triebregungen 
selbst erfolgen. Diese Vorgänge und die dadurch bedingten Veränderungen des 
Über-Ichs gehen im ganzen Leben vor sich. Am intensivsten erfolgen sie je¬ 
doch in der ersten Kindheit und in der analytischen Situation, wenn die Intro- 
jektions- und Projektionsvorgänge lebhafter sind und Triebregungen in 
stärkerem Maße frei werden. 

Die Analyse bewirkt bei den durch die passagere Triebentmischung frei ge¬ 
wordenen Regungen eine erneute bessere Triebmischung und dadurch eine 
Modifizierung der ursprünglichen Regungen: Die aggressiven Regungen werden 
libidinisiert, die sexuellen feiner verteilt, d. h. sublimiert. Die in der Analyse 

io) Ausführlicher in meiner Arbeit: Zur Psychoanalyse asozialer Kinder und Jugendlicher. 

Int. Ztschr. f. Psa., 1932, S. 503—jo 6. 






























Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen Therapie 


5i 


frei werdende Aggression wird weitgehend zur Organisierung des Es verwendet. 
Sexuelle Fixierungen werden durch die Verminderung und bessere Verteilung 
der ihnen zugrunde liegenden massiven Angst und Aggression gelockert. Hierzu 
kommt, daß die in der Analyse gewährte partielle Befriedigung oder Ersatz¬ 
befriedigung einen besseren Verzicht ermöglicht. Dies steht in Einklang mit 
dem von Jones formulierten homöopathischen Prinzip : 11 Angst kann nur 
durch Angst, Aggression durch Aggression, sexuelle Traumen durch Wieder- 
erleben der Befriedigungen und Versagungen in kleinster Dosis geheilt werden. 
Aber beim Wiedererleben muß eine Modifizierung der ursprünglichen Affekte 
und Situationen erfolgen: sonst vermag es die Fixierungen nicht zu lockern, 
sondern hat nur den Wert einer Abreaktion. Diese Modifizierung der Trieb¬ 
regungen wird in der Analyse durch die Deutung bewirkt , 12 die in feinstver- 
teilter Form Libido — Verständnis — bietet und so zugleich der Verdrängung 
entgegenarbeitet und die Projektions- und Introjektionsmechanismen modi- 
fiziert. 

Die Modifizierung der Triebregungen ist die Voraussetzung für ihre Be¬ 
freiung und stellt den spezifischen Heilfaktor der Psychoanalyse dar. Aber 
die analytischen Erfolge beruhen nicht ausschließlich auf diesem Faktor. Immer 
kommen auch suggestive, die Verdrängung fördernde Faktoren hinzu, wohl um 
so weniger, je tiefer die Analyse geführt worden ist. Man kann beobachten, 
wie nach Verminderung der Schwierigkeiten der Patient in einer Analysen¬ 
unterbrechung oder gegen Schluß der Analyse sein Gleichgewicht durch bessere 
Verdrängung herzustellen sucht. (Diesen Vorgang suchte die „fraktionierte 
Analyse“ auszunützen, um die Analysendauer abzukürzen.) Ein so erzieltes 
Gleichgewicht ist oft analytisch schwerer anzugehen, als dasjenige, das zu Be¬ 
ginn der Analyse bestanden hat, d. h. der Patient hat sich jetzt durch wirk¬ 
samere Abwehrmechanismen gegen die Angst und die unbewußten Regungen 
geschützt als vor der Analyse. Der Grad der Amnesie für in der Analyse be¬ 
wußt gemachte Regungen und Phantasien nach der Analyse ist oft über¬ 
raschend. Diese und weitere Beobachtungen sprechen für die Bedeutung der 
Verdrängung als Heilungsfaktors in der analytischen Therapie. 

Meiner Ansicht nach läßt sich bei keinem analytischen Erfolg die Mit¬ 
wirkung suggestiver, die Verdrängung fördernder Faktoren ausschließen. Für 
die Beurteilung ist wichtig, ob die analytischen oder die nichtanalytischen 
Faktoren überwiegen, ob der Erfolg mehr durch Veränderungen im Seelen¬ 
leben des Patienten oder durch Änderung und Beeinflussung der Umgebung 

11) Jones: Angst, Schuldgefühl und Haß. Int. Ztschr. f. Psa., 1930, S. 9. Jones bezeich- 
netc dieses Prinzip ursprünglich als „homöopathisches“, änderte es aber dann, der Anregung 
Feder ns folgend, zu „isopathisch“. Da der Heilvorgang meiner Ansicht nach durch die in 
kleinster Dosis erfolgende modifizierte Wiederholung der ursprünglichen Affekte erfolgt, 
scheint es mir richtiger, von einem „homöopathischen Prinzip“ zu reden. 

12) Auf die „mutative“ Wirkung der Deutung hat Strachey hingewiesen. (On the 
Nature of the Therapeutic Process in Psycho-Analysis. Int. Journ. of Ps. A., Vol. X, 1934.) 


4 * 













52 Melitta Schmideberg 


erzielt wurde, ob die Gesamtsumme der Triebregungen, die in ich-gerechter 
Form direkt und indirekt ohne unbewußte Schuldgefühl- und Angstreaktionen 
befnedigt werden können, sich gesteigert, die der latenten und manifesten 
Schuldgefuhlsreaktionen sich vermindert hat. Dies ist nur möglich, wenn Trieb¬ 
regungen, die vorher verdrängt, in unbefriedigender Weise gebunden waren, 
oder mittels Projektion bewältigt wurden, durch passagere Triebentmischung 
befreit, modifiziert und hierdurch ich-gerecht wurden. Somit ist der Vor¬ 
gang der passageren Triebentmischung, der die Vorbedingung für die Modifi¬ 
zierung der Triebregungen darstellt, der Prüfstein des analytischen Heilungs¬ 
vorganges. Er wird durch die Analyse der Übertragungssituation, insbesondere 
der negativen Übertragung eingeleitet und kann am Auftreten einer deutlichen 
Ubertragungsneurose mit passageren Symptomen und Angst beobachtet wer¬ 
den. Eine Behandlung,, in der der Analytiker für den Patienten die gleiche 
Rolle den größeren Teil der Zeit unverändert beibehält, besonders, wenn es 
die des Über-Ichs ist, enthält meines Erachtens überwiegend suggestive und 
nur zum geringen Teil analytische Faktoren . 13 Dieses Bild einer starren Über- 
tragungssituation kann durch „aktive Maßnahmen“ verwirrt werden. Cha¬ 
rakteristisch für das Überwiegen der analytischen Elemente in der Therapie . 
ist, daß sich spontan als Reaktion auf Deutungen — und nicht auf Gebote 
und Verbote oder bestimmte Handlungen seitens des Analytikers — eine 
ständig modifizierende Übertragungssituation im Rahmen einer deutlichen 
Übertragungsneurose, begleitet von passageren, auch vom Analytiker nicht im 
vorhinein bestimmbaren Symptomen, entwickelt. Diese dynamischen, für die 
Analyse spezifischen Phänomene treten bei suggestiven Methoden nicht oder 
nur in geringem Maße auf. 

.Die Verdrängung ist als solche nicht pathogen, sondern nur die unvoll¬ 
ständige Verdrängung. Eine vollständigere Verdrängung erweist sich als 
Heilung der angsterregenden Projektionsmechanismen und als Bewältigung der 
Konflikte verursachenden Triebregungen. Somit können durch Steigerung der 
Verdrängung oft schnellere Erfolge erzielt werden als durch analytische Mittel. 
Die Schwierigkeiten und die lange Dauer der Analyse Normaler dürften da¬ 
durch bedingt sein, daß sich bei diesen Erfolge nur auf rein analytischem Wege 
erzielen lassen. Es ist interessant, daß die Analytiker früher, mit geringeren 
Kenntnissen, bei Hysterien schnellere Erfolge erzielten, als wir heute, während 
sie schwerere Fälle, die heute der Therapie zugänglich sind, nicht zu heilen 

----- : -----__ 

13) Wiederholt ist die Wirkung der analytischen Therapie dadurch erklärt worden, daß 
der Analytiker für den Patienten die Rolle des Über-Ichs Übernimmt und so dessen strenges 
Uber-Ich mildert. Hingegen meine ich, daß — vorausgesetzt, daß der Analytiker keine 
„aktiven“, „pädagogischen“ oder „suggestiven“ Maßnahmen anwendet — die Rolle des Ober- 
Ichs nur eine von vielen ist, die der Patient ihm zuschreibt. Der Patient projiziert auf 
den Analytiker abwechselnd seine psychischen Instanzen (Ich, Es oder Über-Ich), bestimmte 
Triebregungen, geliebte oder gefürchtete Personen usw. Vgl. Melanie Klein: Die Rollen¬ 
bildung im Kinderspiel, Int. Ztschr. f. Psa., 1930. 










































Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen Therapie 


53 


vermochten. Glover 14 erklärt dies so, daß die bei den Hysterien in kurzer Zeit 
mit geringen Kenntnissen erzielten Erfolge weitgehend auf einer Verstärkung 
der Verdrängung beruhten, während die schwereren Fälle auf diese Art nicht 
geheilt werden konnten. 

Glover hat gezeigt , 15 daß die ungenaue Deutung, die unbewußte Regun¬ 
gen dem Ich nahebringt, ohne sie durch korrekte Verknüpfung mit vorbe¬ 
wußten Mittelgliedern bewußtseinsfähig zu machen, die Verdrängung steigert. 
Manche halbrichtigen Deutungen, wie z. B. daß die Aggression aus Liebe ent¬ 
standen und das Kind an der durch Enttäuschungen bewirkten Umwand¬ 
lung von Liebe in Haß unschuldig sei, zielen direkt auf eine bessere Verdrän¬ 
gung der ursprünglichen Aggression hin. 

Die unvollständige Deutung wirkt durch Verschiebung der Verdrängung 
auf andere Vorstellungsinhalte (Glover). Jede Deutung ist unvollständig und 
muß deshalb durch weitere ergänzt werden — daher die lange Dauer der 
Analysen. Bekanntlich ist die Neigung zum Verdrängen stärker als die zum 
Bewußtwerden. Um der in der Analyse aktivierten Angst zu entgehen, ist der 
Patient bestrebt, den Schutz des Analytikers — ähnlich wie früher den der 
Eltern — durch vermehrte Triebunterdrückung zu erkaufen. Die Tatsache, 
daß der Analytiker dem Patienten gewisse Triebäußerungen gestattet — ein 
„guter Vater“ ist —, wirkt als Antrieb, die sonst in der negativen Übertragung 
sich äußernden Ödipusstrebungen besser zu verdrängen. Ähnlich kann das 
Bewußtwerden von oberflächlichen Haßregungen gegen den Analytiker die 
Verdrängung tieferer nach sich ziehen. Für die wirkliche Befreiung verdrängter 
Regungen ist daher die volle Analyse der negativen Übertragung eine 
unerläßliche Voraussetzung. 

Darum dürften alle Modifikationen der analytischen Therapie, die die gründ¬ 
liche Analyse der negativen Übertragung vermeiden, sowie sehr kurze Analysen 
und Symptomanalysen, mehr durch Steigerung der Verdrängung als durch ihre 
Verminderung wirken. Bei Modifikationen, die die Befreiung gewisser Trieb¬ 
regungen zugleich mit einer besseren Verdrängung anderer zu erreichen suchen, 
dürfte auch die angestrebte partielle Befreiung nur selten wirklich erfolgen. 
Deutungen rufen, dadurch daß sie verpönte Regungen dem Bewußtsein nahe¬ 
bringen, eine verstärkte Abwehr des Über-Ichs hervor. Wenn nun die immer 
vorhandene Neigung zur Verdrängung durch die triebverurteilende Einstellung 
des Analytikers verstärkt wird, wirkt die Deutung — ähnlich wie ein Agent 
provocateur — als ein besonders geeignetes Mittel zur Herbeiführung einer 
besseren Verdrängung. 

Gewöhnlich wird angenommen, daß Erziehung und Analyse einander ent- 
gegengesetzt sind, indem die Erziehung das Über-Ich aufbaut, das Kind durch 

14) Glover: On the Therapeutic Effects of Inexact Interpretation. Int. Journ. of 
Ps. A.> 1931. 

15) Ibidem. '\ ; 















54 Melitta Schmideberg: Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen Therapie 

Angst und Schuldgefühl sozial macht, während die Analyse das Über-Ich abbaut, 
Angst und Schuldgefühl vermindert. Diese Auffassung, die zu wichtigen Fol¬ 
gerungen, insbesondere für die Analyse von Asozialen und Kindern geführt 
hat, ist meiner Ansicht nach nicht richtig. Ich meine, daß weder die Er¬ 
ziehung das Über-Ich aufbaut, noch die Analyse es abbaut, sondern daß 
beide bestrebt sind, das primitive, der Projektion der eigenen sadistischen Re¬ 
gungen entspringende Uber-Ich zu modifizieren und daß es einen großen Fort¬ 
schritt bedeutet, wenn das phantastisch-sadistische Über-Ich durch ein nach 
den wirklichen Eltern geformtes abgelöst wird. Die übliche Kinderpflege und 
Erziehung enthalten trotz all ihrer Mängel ein großes, nicht zu unter¬ 
schätzendes Maß an Liebe und Einfühlung. Dieses ermöglicht die Modifi¬ 
zierung des Uber-Ichs und das Sozialwerden des Kindes. Eine wirklich soziale 
Einstellung beruht nicht auf Schuldgefühl und Angst vor Liebesverlust oder 
Vergeltung, sondern auf Liebe und Identifizierung mit liebevollen Eltern. Es 
ist eine bedeutende Leistung des kleinen Kindes, wenn es z. B. der Mutter zu 
verzeihen vermag, daß diese es mit dem Essen warten ließ, und es vermag diese 
Leistung nur zu vollbringen, weil die Mutter ihm bei vielen Anlässen Nach¬ 
sicht gezeigt hat. Es klingt schon fast wie eine Binsenwahrheit, daß das Wesen 
der Erziehung in der menschlichen Beziehung, in Verständnis und Beispiel be¬ 
steht, daß Verbote Notbehelfe, Drohungen und Strafen Eingeständnisse des 
Versagens und Vergeltungsmaßnahmen sind. 

Erziehung ist in hohem Maße Psychotherapie. Ihr Wert wird davon be¬ 
stimmt, welche psychotherapeutischen Maßnahmen sie bevorzugt, ob sie durch 
Liebe oder Angst zu wirken sucht, ob sie Liebe oder Schuldgefühl zu wecken 
trachtet,, ob sie Triebmodifizierung oder Triebunterdrückung anstrebt. Un¬ 
gleich wichtiger als die Prinzipien ist hierbei die Persönlichkeit und Einstellung 
des Erziehers. Aber selbst die beste Erziehung kann ihr Ziel nur unvollständig 
erreichen: da nur entferntere Abkömmlinge der ursprünglichen Triebregungen 
zum Ausdruck gelangen, können nur diese gestattet und modifiziert werden, 
während die tieferen mittels Verdrängung bewältigt werden müssen. 

Hierin ist die Analyse der Erziehung überlegen: Durch Analyse der nega¬ 
tiven Übertragung vermag sie die Situation des Verstehens und des Nicht- 
vergeltens den primitivsten, am meisten verurteilten Regungen gegenüber 
immer wieder herzustellen, Triebenergie aus der Verdrängung zu befreien und 
nach vorausgegangener Triebentmischung zu modifizieren. Während die Ana¬ 
lyse durch Befreiung von Triebkräften, die der Ich-Entwicklung zugute kom¬ 
men, diese indirekt fördert, hat die Erziehung vor der Analyse voraus, daß sie 
die Ich-Entwicklung direkt beeinflußt. Analyse und Erziehung haben gemein¬ 
sam, daß sie mittels der menschlichen Beziehung primitive Triebkonflikte be¬ 
wältigen und primitive Triebregungen modifizieren, daß sie Gebiete des Es 
dem Ich erobern, die Triebmischung fördern, die Aggression durch Eros bin¬ 
den und in dessen Dienst stellen. 






























Zum Thema des Qhertragungswiderstandes 1 

Von 

Grete Bibring-Lehner 

Wien 

Jeder erfahrene Analytiker wird wohl die Beobachtung gemacht haben, daß 
er bei gewissen Fällen wenig oder keinen therapeutischen Erfolg zu erreichen 
vermochte, ohne daß es an deren besonders schwierigen Struktur gelegen wäre. 
Dies war der eine Ausgangspunkt meiner Fragestellung. 

Der zweite waren bestimmte Beobachtungen an Patienten, deren Analyse 
trotz sorgfältiger analytischer Arbeit an den Übertragungswiderständen, gleich¬ 
viel ob positiver oder negativer Natur, zu scheitern drohte. In vielen Fällen 
nahm nämlich die Analyse einen ganz anderen Verlauf, sobald der Patient aus 
äußeren oder inneren Gründen den Analytiker wechseln mußte. Besonders 
häufig und ausgesprochen kann man dies beobachten, wenn der zweite Ana¬ 
lytiker nicht dem gleichen Geschlecht angehört wie der erste. Es zeigt sich 
dann nach verhältnismäßig kurzer Zeit, daß bestimmte Widerstände, deren Be¬ 
wältigung durch Monate nicht gelungen war, nun für die Bearbeitung zugäng¬ 
lich werden, vor allem aber, daß die Übertragungssituation einen anderen Cha¬ 
rakter annimmt. Wir sehen zwar auch nach einer bloßen Unterbrechung einer 
Analyse und Wiederaufnahme durch den gleichen Analytiker oft günstig 
scheinende Änderungen in der analytischen Arbeit des Patienten als Folge dieser 
Maßnahme. Sie beruhen meist darauf, daß die Unterbrechung wie eine Warnung 
nachwirkt und die Bereitschaft des Patienten steigert, den Analytiker durch in¬ 
tensivere Mitarbeit zufrieden zu stellen. Soweit der Patient darüber verfügen 
kann, werden seine Ich-Widerstände dadurch herabgesetzt, seine Bemühungen 
um die Analyse werden größer. Doch sind diese Änderungen kaum je von 
solcher Wirkung, wie unter den oben erwähnten Bedingungen, auch nicht von 
der gleichen Dauer, und vor allem werden die Übertragungsbeziehungen nicht 
in dem gleichen Maße beeinflußt. 

Die Neurose kommt in der Kindheit durch das Zusammenwirken zweier 
Faktoren zustande: der Triebstruktur und der Einflüsse der Realität. Die 
Ubertragungsneurose hingegen, i. e. die durch die analytische Situation artifi¬ 
ziell wiederbelebten infantilen Flaltungen in der Beziehung zum Analytiker, 
fassen wir auf als den Ausdruck unbefriedigter, verdrängter Triebwünsche, 
die an den Analytiker als an ein imaginäres Objekt wechselnd herangetragen 
werden — im Ganzen unabhängig von der analytischen Umwelt. Die Über¬ 
tragungsneurose ist nicht reaktiv, sondern aktiv, sie ist nicht durch die Reali¬ 
tät gesteuert, sondern durch das spontane Drängen des Es. Der Einfluß der 
Analyse auf die Bildung der Übertragung ist ein mehr allgemeiner, es wird 

i) Nach einem Vortrag, gehalten auf dem XIII. Int. Psa. Kongreß in Luzern 1934. 










56 


Grete Bibring-Lehner 


durch die Eröffnung des Ubw die schon vorhandene Übertragungsneigung des 
Neurotikers noch besonders gefördert und durch die fortschreitende Analysen¬ 
arbeit der jeweils dazugehörige Ubertragungsanteil aufgerollt. 

An zwei Fällen will ich darstellen, daß diese Auffassung von der spontanen 
Natur der Ubertragungsneurose und von deren Unabhängigkeit einer ge- 
wissen Einschränkung bedarf, weil hier ein Stück Realität in der Person des 
Ana ytikers, unter ganz bestimmten Bedingungen, einen nicht unbedeutenden 

ln auf ^ en Verruf und die Gestaltung der Übertragung genommen hat. 

n damit sind wir zu den zwei Fragen zurückgekehrt, warum man als Ana- 
ytiker bei bestimmten Fällen fast typisch versagt, und warum der Wechsel des 
Analytikers die Analyse oft so günstig beeinflußt. 

Ein Patient, der durch lange Zeit bei einem sehr erfahrenen Analytiker m 
Behandlung gestanden war — die Analyse mußte vorwiegend aus äußeren 
Gründen abgebrochen werden —, litt unter intensiven, bis in brutale Details 
ausgearbeiteten Angst- und Strafphantasien, in Verbindung mit der Vorstel¬ 
lung vom Jüngsten Gericht. Die Einzelheiten dieser bevorstehenden Aus¬ 
einandersetzung mit Gott gruppierten sich mit reichem analytischen Material 
um seine Beziehung zu dem tatsächlich sehr sadistischen Vater der Kindheit, 
bei dem es zu täglichen Strafexzessen dem kleinen Jungen gegenüber gekom¬ 
men war. Die dazugehörigen Einfälle ermöglichten die eindringliche Bespre- 
c ung seiner Homosexualität, seines Masochismus, seiner aktiven und passiven 
Kastrationswunsche dem Vater gegenüber, seines Schuldgefühles aus den 
Onanieangsten. Die Beziehung zu seinem Analytiker stammte aus der Vater¬ 
ubertragung und äußerte sich dementsprechend in heftiger Aggression, provo¬ 
kantem Benehmen, verbunden mit einer lähmenden Angst, der Analytiker 
werde sich auf ihn stürzen, ihn schlagen, ihn zur Türe hinauswerfen. Trotz 
reichlicher Deutungsarbeit und trotz eingehender Analyse des Verhaltens und 
der Haltung des Patienten änderte sich nichts an Form und Inhalt dieser 
Übertragung, die zu einem heftigen Widerstand geworden war. In der Folge 

hef die Analyse monatelang leer, das Material wiederholte sich, ohne weiter¬ 
zuführen. 

In dieser Phase wurde die Behandlung aus einem äußeren Anlaß abge¬ 
rochen und der Patient zur Analytikerin geschickt, nicht weil man sich da¬ 
von für die Analyse noch viel erwartete (der behandelnde Analytiker be¬ 
urteilte den Fall sehr pessimistisch), sondern nur um den Patienten aus der für 
ihn quälenden Übertragung zu lösen. Nach relativ kurzer Zeit stellte der 
Patient eine Mutterübertragung her, ohne für den Beginn seine ängstliche und 
aggressive Haltung aufzugeben. Dennoch zeigte er sich jetzt für die Bespre¬ 
chung der Übertragungssituation aus der vorigen Analyse zugänglich. Dabei 
ergab sich, daß der Patient während der ganzen Dauer der ersten Analyse 
^ em un k°rngierten Eindruck gestanden war, daß sein Analytiker tat¬ 
sächlich eine ebenso gefährliche Persönlichkeit sei wie der Vater. Dieser Ein- 































Zum Thema des Übertragungswiderstandes 


57 


druck war bisher unkorrigiert geblieben, trotz aller Versuche des Analytikers, 
ihm den Übertragungscharakter daran klar zu machen. Diese Vorstellung 
wurzelte vor allem in der strengen und etwas unnachgiebigen Haltung, für 
die sich der Kollege in diesem Falle entschieden hatte, was bei der sehr drän¬ 
genden, infantil anspruchsvollen Übertragungsform des Patienten nahe lag. 
Dazu kam, daß der Analytiker zufällig gewisse Ausdrücke benützte, wie sie 
der Vater dem Knaben gegenüber in der Kindheit verwendet hatte. Damit 
verschwand aber auch für das Gefühl des Patienten der reale Unterschied zwi¬ 
schen den beiden Figuren. Seine Reaktionen entsprachen durchaus denen seiner 
zornigen und ängstlichen Kindheit und hatten für ihn den Charakter 
eines berechtigten, ja selbstverständlichen Verhaltens. Erst in der ermäßigten 
und distanzierten Form dieser Beziehung, nach der Herstellung einer neuen 
Übertragung zur Analytikerin, konnte der Patient die notwendigen Korrek¬ 
turen anbringen; dabei war unser Hauptaugenmerk darauf gerichtet, alle gegen 
den Analytiker erhobenen Vorwürfe auf ihre reale Grundlage hin zu unter¬ 
suchen und gegebenenfalls die Verbindung herzustellen mit den entsprechen¬ 
den Kindheitserlebnissen, in denen sie wurzelten. Was sich weiter daran schloß, 
war keine Überraschung. Seine Übertragungsäußerungen und -widerstände 
änderten sich, neue Inhalte traten in den Vordergrund, das Material erweiterte 
unsere Einsicht und erbrachte die notwendige Ergänzung zum Verständnis 
seiner Symptome, die so lange Zeit ausgeblieben war. Die ursprünglich hoff¬ 
nungslos erscheinende Analyse konnte nun in normalen Bahnen erfolgreich 
weitergeführt werden. 

Was uns hier interessiert, ist vor allem die Tatsache, daß Vorgänge, die sich 
gewöhnlich innerhalb einer einzigen Analyse abspielen, sich in diesem Falle 
deutlich getrennt auf zwei Analysen aufteilten. Die erste Analyse scheiterte 
im Grunde genommen an den heftigen Übertragungswiderständen des Patien¬ 
ten, die dadurch eine spezielle Note gewannen, daß der Analytiker sowohl 
durch sein Geschlecht, als auch durch manches in seinem Verhalten, sogar 
durch gewisse sprachliche Äußerungen sein Schattendasein gleichsam aufge¬ 
geben hatte und dadurch zu einer Art realen Fortsetzung des Vaters geworden 
war, dieser wichtigsten Figur in Kindheit und Neurose des Kranken. Das 
führte zu einer solchen Steigerung der Angst, des schweren Mißtrauens und 
der Haßreaktionen des Patienten, daß trotz ständiger Deutung der im Zentrum 
stehenden Vaterbeziehung im Zusammenhang mit diesem Verhalten sich für 
die Analyse kein weiterer Weg in die Tiefe ergab. In der nächsten Analyse 
stellte sich zunächst eine Mutterübertragung her. Diese ermöglichte es schlie߬ 
lich dem Patienten, seinen Konflikt mit dem Vater zu distanzieren und seine 
infantile Beziehung im weiteren Verlauf zu lösen. Als es in einer späteren 
Phase neuerlich zur Vaterübertragung kam, zeigte diese einen wesentlich ab¬ 
geschwächten Charakter. Zwei Momente sind hier wichtig: i. daß die aggres¬ 
sive und angstbesetzte Beziehung zum Vater leichter auf den männlichen Ana- 









58 


Grete Bibring-Lehner 


*?,"u^ rtraS “ ™?“ k ° nnte ’ und 2 - daß d »™ im Zusammenhang die 
Ähnlichkeit im realen Verhalten zwischen Analytiker und Vater den Wider¬ 
stand entscheidend verstärkt hatte. 

Bei dem zweiten Fall wurde der umgekehrte Weg zurückgelegt, näm¬ 
lich der von mir zu einem männlichen Analytiker. Hier handelte es sich 

UI \ Ci r en fu 3Ja n ? en Patienten > dessen Impotenz sich nur bei Prostituierten 
nac us uhrung bestimmter oraler Perversionen vorübergehend besserte. Da¬ 
neben war besonders die Beziehung zur Mutter, einer harten, energischen und 
errisc en Frau, gestört. Teils war er von ihr in völlig kindlicher Weise ab- 
angig so daß er sich in allem strikte an ihre Auffassungen halten mußte, 
teds bekämpfte und schädigte er sie haßerfüllt, indem er den unfähigen, zu- 
ruc ge lebenen kleinen Jungen spielte, was sich sowohl in seinem Liebes¬ 
ieben als auch beruflich - er war im Betriebe seiner Mutter angestellt - 
ochst störend auswirkte. Unbewußt waren seine Symptome durch starke 
orale Ansprüche determiniert, die auf schwere Enttäuschungen durch die 
Mutter zuruckgingen. Die Jugend des Patienten bestand überhaupt aus einer 
Reihe von ungewöhnlichen Versagungen. Von der frühesten Kindheit an 
wurde jede Gelegenheit, die sich bot, zum Anlaß genommen, um das Kind füt 
Monate zu fremden Leuten in Pflege zu schicken; zu Hause blieb seine Er¬ 
ziehung völlig Kindermädchen überlassen, die von der Mutter zur Strenge an¬ 
gehalten wurden. Von der beruflich stark beschäftigten Mutter wurde er fast 
nur gestraft, verspottet oder geschlagen. Der Vater stellte im Verhältnis zu 
semer Frau eine Nebenfigur im Hause dar; er brachte aber dem Patienten 
wenigstens bis zu seinem sechsten Lebensjahr doch etwas mehr Freundlichkeit 
und Verständnis entgegen und zog sich erst, als sich schon im ersten Schuljahr 
SC . wete Lernstorungen zeigten, enttäuscht und feindselig von dem Kind zu- 
ruck Die Übertragung stellte sich nach kurzer Zeit in voller Intensität ein 
und führte zu stürmischen Szenen. Sie bot ganz das Bild seiner Beziehung 
zur Mutter. Besonders war es mein Beruf, der einen intensiven Eindruck auf 
den Patienten machte. Sowohl nach der Auffassung seines kleinbürgerlichen 
Milieus, als besonders infolge seiner neurotischen Hemmung auf intellektuellem 
e iet, ga t ur ihn eine Frau mit intellektuellem Beruf als männliche Frau, 
W!e ihm ja auch die Mutter teils wegen der geschilderten Eigenschaften, teils 
weil sie die führende Stelle in ihrem Unternehmen einnahm, als solche er¬ 
schien. Die Hauptschwierigkeit bestand darin, daß er die Übertragungsbeziehung 
m dien ihren Anteilen heftig agierte. Er forderte unter starkem Affekt, ich 
so e i n auf den Schoß nehmen, ihn herumtragen, ihn füttern, weil die Mutter, 
diese schlechte Frau, das nie getan hatte. Er wollte mich schlagen, beschimpfte 
mich und die Mutter sprach mich nur mehr mit „du“ an, alles das unter 
ar en Angst- und Schweißausbrüchen und mit solcher Intensität, daß er sich 
est an das Sofa klammerte, um seine Impulse nicht auszuführen. Auf diese 
Weise stellte er seine infantilen Wünsche und seine wütende Enttäuschung in 







































-- ‘ Zum Thema des Übertragungswiderstandes 59 

seinem Verhältnis zur Mutter dar. Die eigentliche Schwierigkeit machte aber 
jener Anteil seines Agierens, der seine neurotischen Reaktionen auf die Ver¬ 
sagung speziell ausdrückte; dieser Anteil führte auch zum Abbruch der Analyse. 
Wir haben vom Symptom seiner Lern- und Arbeitsunfähigkeit in der Kind¬ 
heit gehört. Es bedeutete eine trotzige Weigerung, die ehrgeizigen Wünsche 
der Mutter zu erfüllen, ihre spärlichen Liebesbeweise und ihr wenn auch 
aggressives Interesse anzunehmen; dieser Konflikt wurde in der Analyse 
agiert als Unwillen und Unfähigkeit, meine Worte zu hören, oder deren Sinn 
zu verstehen. Er drückte das direkt in der Form aus: „Ich verstehe nicht! Ich 
verstehe nicht! Das würde Dir so passen, daß ich Dich verstehe, und deshalb 
verstehe ich Dich erst recht nicht!“ Es traten beim Patienten aus Angst und 
Verwirrtheit darüber, was sich da in ihm abspielte, Suicid-Ideen auf. Auch sein 
Verhalten außerhalb der Analyse wurde parallel zu den Vorgängen in der Be¬ 
handlung auffällig. Er begann seine Mutter tätlich zu bedrohen und benahm 
sich so aufgeregt, daß die Familie den Patienten internieren lassen wollte. Mit 
Rücksicht auf die kaum überwindbare Ubertragungssituation beschloß ich, 
die Behandlung abzubrechen. Aus den hier mitgeteilten Erwägungen riet ich 
aber dem Patienten, den Versuch zur Heilung nicht aufzugeben, sondern bei 
einem männlichen Analytiker fortzusetzen. Der Patient befolgte meinen Vor¬ 
schlag. Nach einer gewissen Frist trat tatsächlich die erwartete Beruhigung ein: 
die Analyse nahm unter dem Bilde einer aktualisierten Vater Übertragung ihren 
Fortgang. Dies um so eher, als die Beziehung zum Vater in der Kindheit viel 
weniger konfliktreich und weniger intensiv gewesen war . 2 

Ich glaube, aus dem knapp ausgeführten Material ableiten zu dürfen, daß 
diese heftige Übertragung durch folgende Momente beeinflußt war: i. weil 
beim weiblichen Analytiker zuerst die Mutterübertragung aktualisiert wurde, 
2. weil der Patient mir, als der Frau im Beruf, als der „männlichen“ Frau, ge¬ 
rade die der Analyse gefährliche Richtung dieser Übertragung, nämlich die aus 
seiner Konflikteinstellung gegen die böse, lieblose, männliche Mutter stam¬ 
mende, ungebrochen und unverändert entgegenbrachte. Erst in der zweiten 
Analyse konnte er Einsicht und Haltung soweit zurückgewinnen, daß er nicht 
völlig in der Wiederholung dieser Konflikte unterging, sondern die Erleb¬ 
nisse der Kindheit und der Übertragung durch Überlegung und Betrachtung 
bewältigte. 

Unter bestimmten Bedingungen scheint somit der eingangs erwähnte illusio¬ 
näre Charakter der Übertragung sehr zu Ungunsten der analytischen Arbeit 
durchbrochen zu werden; das kann dann geschehen, wenn die reale Person des 
Analytikers vor allem im Geschlecht und weiter in Eigentümlichkeiten der Per¬ 
sönlichkeit mit den entscheidenden realen Objekten aus der Kindheit des 
Patienten übereinstimmt. Diese Wirkung kann prinzipiell von jeder seiner 

2) Der hier dargestellte Fall findet eine weit ausführlichere Besprechung in der Arbeit 
von E. Bergler, „Zur Problematik der Pseudodebilität“, Int. Ztschr. f. Psa., XVIII, 1932. 











6o 


Grete Bibring-Lehner 


Eigenschaften ausgehen, sowohl von allgemeinen, wie warmem oder kühlem Ver¬ 
halten, Neigung zur Härte oder Güte, als auch von speziellen, wie vor allem 
z. B von der Form der Gegenübertragung. Dabei bleibt für den Zufall ein großer 
pie raum frei. Von der psychischen Valenz dieser Eigenschaften für die Über¬ 
tragungsdispositionen des Kranken wird es abhängen, welche Rolle sie in der 
Analyse zu spielen berufen sind. Der Einfluß des Geschlechtes steht im 
Vordergrund, er tritt am klarsten zutage und übt die stärkste Wirkung aus. 

s ist nun keineswegs gleichgültig, mit welcher Form der Übertragung eine 
Analyse einsetzt. Bei Frauen mit starken Männlichkeitstendenzen und starkem 
Identifizierungswunsch auf männlicher Basis wird die Analyse bei einem Mann 
eine andere Situation schaffen als die bei einer Frau, bei welcher die Wider¬ 
stande vielleicht vorwiegend aus der projizierten Selbstverachtung kommen 
werden. In solchem Falle mag der ältere, freundliche Analytiker weniger 
chwierigkeiten hervorrufen als der jüngere, weil dieser sofort aus der Rivali¬ 
tät Widerstände auf sich zieht. Es ergibt sich eine Fülle von Beziehungen, die 
ZU or nen nicht leicht fällt. 3 Dazu kommt, daß in vielen Fällen das reale Ent- 
gegenkommen der Analytikerpersönlichkeit im hier gemeinten Sinn auch die 
Symptome und die affektiven Verhaltensweisen des Patienten in willkommener 

wr j ai ^ en mag ’ W3S dann eine für die Analyse günstige Situation schafft. 

ir je oc ein gewisses Optimum der Intensivierung unter dem Eindruck 
dieser Realität überschritten, dann ergibt sich folgende, durch die rein analy- 
tisc e Arbeit fast nicht mehr zu bewältigende Situation: i. Die Konflikte 
tauchen mit voller Intensität und ganz plötzlich, nicht allmählich, in der 
Übertragung auf, was die Ich-Widerstände zur Abwehr dieses Durchbruches 
steigert. 2. Es kommt zu einer Art Fixierung an diesen Übertragungskonflikt, 
zu einem starren Übertragungssystem; dann ist der Patient nicht mehr im¬ 
stande darüber hinaus Einfälle und Affekte hervorzubringen, und es wird 
auch die für die Entwicklung der Analyse notwendige Entfaltung weiterer 
Ubertragungsbeziehungen gelähmt. 3. Das Zustandekommen jener positiv-ver¬ 
trauensvollen Übertragung, mit deren Hilfe wir erst die wechselvollen Anteile 
er Ubertragungsneurose zu überwinden vermögen, wird verhindert. Das 
Ich des Kranken wird in einem solchen Ausmaß von den Affekten überrannt, 
daß die gesunde Restpersönlichkeit ihre Wirkung nicht entfalten kann. Die 
Konfrontierung der erwachsenen Ich-Anteile mit den infantilen Anteilen, 
d. h mit der Gesamtheit der lebendig gebliebenen, infantilen Reaktionen, kann 
nicht eindrucksvoll genug gelingen, um allmählich die Widerstandsbewältigung 
zu vollziehen. Es kommt entweder zu einer völligen Hemmung durch die 


3) Der Versuch, über diese Andeutungen hinaus einige typische Situationen dieser Art 
auszufuhren, aus dem sich dann Gesichtspunkte für die eventuell notwendigen Entscheidungen 

hüben ?b U e W „ e so U ka S „ h • ^ iente “ L e ^e„, muß einer späteren Arbeit vorbehaken 
fl,* ' E v k lch m , d ' esem Rahmen nur darauf hinweisen, daß sich von unserem 

Thema em Zugang zum Problem „Übertragung und Liebe“ ergibt, sowie tu der ” 
essanten Frage der zweiten Analyse überhaupt. 




















































Zum Thema des Übertragungswiderstandes 


61 


V---- 

ständige Abwehr dieser Ubertragungsform, wie im ersten Falle, oder, wie beim 
zweiten Patienten, zu einem heftigen Durchbruch der unbewußten Regungen 
und zum Agieren in einem solchen Ausmaß, daß die Analyse überhaupt ge¬ 
fährdet wird. 

Die praktischen Konsequenzen aus dem Ausgeführten sind relativ einfach 
und schon gegeben. Wo wir den Eindruck gewinnen, daß eine bestimmte 
Ubertragungsform nicht vorwiegend vom Ubw des Patienten, sondern in be¬ 
deutenderem Maße von der Realität des analytischen Milieus und von der 
Eigentümlichkeit der analytischen Persönlichkeit mitgesteuert wird, und die 
eben geschilderten Schwierigkeiten eintreten, wird es sich empfehlen, die Be¬ 
handlung nicht selbst weiterzuführen. Es besteht aber auch kein Anlaß, die 
Analyse überhaupt als aussichtslos aufzugeben; man sollte vielmehr mit einem 
gewissen Verzicht auf den therapeutischen Ehrgeiz zugunsten der therapeuti¬ 
schen Verantwortlichkeit einen wohlüberlegten Wechsel des Analytikers vor¬ 
nehmen. Die Wahl müßte dann, entsprechend der schon gewonnenen Einsicht 
in die Struktur des Falles, so getroffen werden, daß sich die Wiederholung der 
infantilen Beziehungen in der Übertragung möglichst günstig gestalten kann. 

Ein Detail, das den Ablauf der zweiten Analyse oft wesentlich bestimmt, 
sei hier noch hervorgehoben. Es ereignet sich häufig, daß der Patient aus Ent¬ 
täuschung, Trotz oder Rache gegen den ersten Analytiker die negativen An¬ 
teile der Übertragung dauernd bei ihm unterzubringen trachtet, einen Gegen¬ 
satz zwischen ihm und dem zweiten Analytiker betont, um auf diese Weise 
die auftauchenden negativen Einstellungen in der zweiten Analyse zu ver¬ 
bergen. Es erübrigt sich wohl zu sagen, daß es eine wichtige Aufgabe der 
zweiten Analyse sein muß, dieser Tatsache die volle Aufmerksamkeit zuzu¬ 
wenden, damit nicht in verschobener, latenter Form der alte Widerstand mit¬ 
genommen wird. 










Die biologischen Grundlagen der Freudsdien 

Angsttheorie 1 

Von 

Käthe Misch 

London 

Vor fünfzig Jahren suchte die medizinische Wissenschaft jede Störung des 
Organismus auf somatische, wenn möglich mikroskopisch sichtbare Verände¬ 
rungen des Körpers zurückzuführen. Daraus entstanden manche uns heute 
absurd anmutende Theorien über die Entstehung der Neurosen. Heute be¬ 
findet sich die Psychoanalyse in einer ähnlichen Gefahr nach der entgegen¬ 
gesetzten Richtung. In der psychoanalytischen Literatur verlangt man, soweit 
es sich um psychische Tatbestände handelt, minutiöse Genauigkeit, läßt aber 
nicht immer die gleiche Präzision walten, wenn es sich um körperliche Er¬ 
scheinungen handelt. Es kann gefährlich werden, wenn sich die Psychoanalyse 
von dem Boden der Empirie entfernt, und ich glaube, wir sind uns im Grunde 
genommen alle darüber einig, daß wir ein Bild der Gesamtpersönlichkeit nur 
durch das Erfassen beider Seiten — der körperlichen und der psychischen — 
bekommen können. Der Weg der Erforschung lediglich psychischer Zusam¬ 
menhänge war notwendig für die Entwicklung der Psychoanalyse zu ihrem 
heutigen Niveau. Die Psychoanalyse ist jetzt so weit, die Verbindung besonders 
mit der Physiologie des Körpers wieder aufnehmen zu können. 

Der Zusammenhang von Psyche und Soma wird für uns bei zwei 
Phänomengruppen besonders faßbar, nämlich bei den Erscheinungen der 
Libido und der Angst. Ich glaube, durch die Untersuchungen, deren 

Ergebnis hier in Kürze vorliegt, nachweisen zu können, daß ich durch 
die doppelte Betrachtungsweise einen wenn auch kleinen Schritt weiter 

m dem Verständnis der Freud sehen Angsttheorie gekommen bin. Der 
vollausgeprägte, akute Angstanfall beginnt mit Parästhesien. Es läuft 

kalt den Rücken herunter. Dann folgt ein Gefühl von Beklem¬ 

mung mit Herzklopfen und Kurzatmigkeit, das zunehmend ansteigt. 
Gleichzeitig wächst das Gefühl von Angst, das mit dem Höhepunkt der kör¬ 
perlichen Sensationen seine Klimax erreicht. Ein Gefühl von Kälte erscheint, 
verbunden mit Zittern, Zähneklappern und Frieren. Die Haut wird blaß, fühlt 
sich kalt an und ist manchmal von kaltem Schweiß bedeckt. Gleichzeitig tritt 
Schwindel und Übelkeit auf und manchmal — etwas später — Diarrhöe. Der 
Patient sieht alles wie in einem Nebel, die Umwelt tanzt vor seinen Augen. 
Die Motorik ist gelähmt, die Beine wollen nicht mehr tragen, der Patient 
spricht mit großen Schwierigkeiten und langsam, seine Stimme ist schwach und 

i) Vortrag, gehalten auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern 
am 28. August 1934. 




































“ Käthe Misch: Die biologischen Grundlagen der Freudschen Angsttheorie 63 

heiser. Jede Bewegung kostet enorme Anstrengung. Der Patient fühlt sich 
isoliert von der Welt, manchmal hat er ein deutliches Gefühl von Gespalten¬ 
sein. Er fühlt sich völlig hilflos der Angst gegenüber, die über ihn hinweg¬ 
flutet. Die Aufmerksamkeit ist schwer gestört, die Reaktionsdauer verlang¬ 
samt. Eines der hauptsächlichen psychischen Erlebnisse ist das Vernichtungs¬ 
gefühl. Es wird nicht immer direkt als Angst beschrieben, sondern rationali¬ 
siert und mit einem Inhalt versehen. Dieser Inhalt kann Angst vor dem Tod 
oder vor einer Geisteskrankheit sein. 

Die Beobachtung des großen akuten Angstanfalls gelingt nur selten. Er 
unterliegt manchen Veränderungen durch psychische Mechanismen. 

Wir können aber nur solche Zustände als Angst beschreiben, bei denen be¬ 
wußtes Angstgefühl gleichzeitig mit bestimmten körperlichen Veränderungen 
besteht; es ist jener Zustand, der gewöhnlich manifeste Angst genannt wird; 
(was immer man unter latenter Angst verstehen mag, unsere weiteren Aus¬ 
führungen werden zeigen, daß damit nur Phänomene gemeint sein können, 
die sich mit den hier als Angst beschriebenen nicht decken). Gemeinsam 
mit Dr. Walter Misch habe ich über die organische Bedingtheit dieser An¬ 
fälle Untersuchungen angestellt. 2 Die somatischen Erscheinungen im Angst¬ 
anfall sind ein charakteristisches Syndrom. Im Vordergrund steht die extreme 
Verengerung der peripheren Gefäße, die sich subjektiv als Parästhesien und 
Kältegefühl, objektiv als außerordentliche Blässe geltend macht. An zweiter 
Stelle finden wir Herzbeschwerden, wie Herzklopfen und Beklemmungsge¬ 
fühl. Dazu kommen Störungen in der Sekretion verschiedener Drüsen, wie 
kalter Schweiß und Verminderung der Speichelsekretion. Während des An¬ 
falls ist häufig die Pupille erweitert, der arterielle Blutdruck steigt bis zu 
150 mm Hg., die Pulszahl bis zu ijo in der Minute, die willkürliche Musku¬ 
latur hingegen verliert völlig ihren Tonus. Dieses Syndrom stellt eine inten¬ 
sive Erregung des vegetativen Systems dar. Es handelt sich dabei hauptsäch¬ 
lich um eine extreme Erregung des sympathischen Systems, zu welcher be¬ 
sonders gegen Ende der Attacke parasympathikotonische Phänomene sich hin¬ 
zugesellen. Letztere kann man als kompensatorische Erscheinungen ansehen. 

Unsere Untersuchungen bezogen sich nun darauf festzustellen, ob man 
bei Beseitigung dieser organischen Erscheinungen unter Ausschaltung jeg¬ 
licher Suggestivwirkung den Angstaffekt für die Dauer der körperlichen Be¬ 
einflussung zum Verschwinden bringen kann. Es gelang uns, eine Droge zu 
finden, welche imstande ist, die genannten Symptome schlagartig zu 
beseitigen. Diese Droge ist das Acetylcholin, welches als Erreger des 
parasympathischen Systems bekannt ist und hauptsächlich auf die peri¬ 
pheren Gefäße erweiternd wirkt. Wir machten die Beobachtung, daß nach 
Injektion von 0,1 Acetylcholin nicht nur die körperlichen Symptome zurück- 

*) Lbcr das gesamte Material siehe das Referat im Zentralblatt f. d. ges. Neur. u. Psy¬ 
chiatrie (1933) un ü eine Arbeit, die in Kürze im Journal of Mental Science erscheinen wird. 













64 


Käthe Misch 


gingen, sondern auch das Gefühl der Angst für die Dauer der Drogen Wirkung 
verschwand und einem Gefühl des Wohlbefindens Platz machte. Dabei war 
jede Suggestivwirkung mit Sicherheit vermieden. Es waren Kassenpatienten, 
die seit Jahren wegen ihrer Angst die verschiedensten Ärzte aufgesucht hatten 
und immer medikamentös behandelt worden waren. Solange wir nur das In¬ 
jektionspräparat zur Verfügung hatten, machten wir auch Parallelversuche mit 
Injektionen von Wasser; bei diesen Kontrollversuchen blieb die Angst un¬ 
vermindert bestehen. Später hatten wir ein gleichwirkendes, peroral zu ver¬ 
abfolgendes Mittel zur Verfügung, so daß die Möglichkeit einer suggestiven 
Beeinflussung durch die Injektion wegfiel. Wir trachteten, die Patienten von 
Anfang an genau so zu behandeln, wie sie als Kassenpatienten bei anderen 
Ärzten behandelt wurden; nach Erkennung der Beschwerden als Angstanfälle 
wurden die Patienten körperlich genau untersucht (Angstpatienten stellen ge¬ 
wöhnlich ihre körperlichen Symptome in den Vordergrund) und es wurde 
ihnen auf Kassenrezept das Präparat aufgeschrieben. Erst im weiteren Verlauf 
der Behandlung kamen wir mehr auf die psychischen Vorgänge zu sprechen. 
Wir gelangten mit Sicherheit zu der Annahme, daß das Verschwinden der 
Angst nicht auf suggestive Beeinflussung, sondern auf die Wirkung der Droge 
zurückzuführen war. 

Als erste Schlußfolgerung ergibt sich aus diesen Versuchen folgendes: Der 
Angstanfall ist begleitet von einer stürmischen Erregung im sympathischen 
Nervensystem. Wird dieser Erregungszustand aufgehoben, verschwindet mit 
ihm die Angst, ohne daß auf die Psyche des Patienten eingewirkt worden wäre. 
Zur Angst gehört demnach eine körperliche Komponente, die essentiell zu 
sein scheint. Die nächste Aufgabe bestand darin festzustellen, wodurch die 
krankhafte Veränderung des vegetativen Systems zustande kommt. Wir kön¬ 
nen nun beweisen, was von vornherein für den Analytiker nicht unwahr¬ 
scheinlich war, daß die Sympathikuserregung eine mehr oder minder direkte 
Folge einer Libidostauung ist. Die körperlichen Symptome einer beginnenden 
sexuellen Erregung zeigen, worauf Freud schon vor 30 Jahren aufmerksam 
machte, dieselben Erscheinungen, nämlich Beklemmungsgefühl, Herzklopfen, 
Kurzatmigkeit, Zittern, Hemmung der Speichelsekretion usw. Was verschieden 
ist, ist das subjektive Gefühl. Ist nämlich die Befriedigung der ansteigenden 
Libido zu erwarten, so wird diese Stärke der Sympathikuserregung nicht als 
unangenehm empfunden. Bei sexuellen Erregungen, die mit Befriedigung 
enden, ist der weitere Verlauf der Erregungswelle im vegetativen System so, 
daß im Moment des Orgasmus oder schon kurze Zeit vorher die Sympathikus¬ 
erregung umschlägt in eine Erregung des Parasympathikus, um nach einiger 
Zeit, gewöhnlich während des nachfolgenden Schlafes, wieder in den Gleich¬ 
gewichtszustand überzugehen. Bei mangelnder Befriedigungsmöglichkeit 
wächst die Spannung im sympathischen System immer mehr, bis der körper¬ 
liche Zustand erreicht ist, als dessen psychisches Äquivalent wir den Angst- 


































Die biologischen Grundlagen der Freudschen Angsttheorie 


65 


anfall anzusehen haben. Der Nachweis, daß eine beginnende sexuelle Erregung 
sich in Angst um wandeln kann, ist ohne weiteres zu führen. Diese Vorkomm¬ 
nisse sind aus den Analysen, wo sie sich häufig vor unseren Augen wie im 
Mikroskop abspielen, jedem bekannt. Sehr viel schwieriger ist es, den Nach¬ 
weis dieses unmittelbaren Zusammenhanges zwischen gestauter Libido und 
Angst über den Mittels weg des sympathischen Systems in den Fällen zu führen, 
wo die Angst im Zusammenhang mit neurotischen Symptomen auftritt. Aber 
gerade die Analyse dieses Phänomens führt zu einem besseren Verständnis des 
Angstphänomens überhaupt. 

Wir haben als eine Entstehungsbedingung der Angst die Libidostauung ge¬ 
funden. Der Begriff der Libidostauung ist aber nicht eindeutig. Versteht man 
nämlich, wie das häufig geschieht, unter Libidostauung einen Zustand, in dem 
die normalen Abfuhrmöglichkeiten fehlen und in dem sich infolgedessen ein 
höheres Libidoquantum angesammelt hat, als es normalerweise beim Gesunden 
der Fall ist, so gilt unsere Behauptung nicht mehr, daß Libidostauung Angst 
erzeugt. Viele schwergehemmte Neurotiker sind bekanntlich völlig angstfrei. 
Es muß vielmehr, damit Angst entsteht, der Sperrung der Abfuhrmöglich¬ 
keiten ein zweites Agens vorausgehen. Dies zweite Agens besteht in einem 
Reiz, der die in Ruhe befindliche Libido in Bewegung setzt. Dabei kommt der 
Organismus in den Zustand, den wir als Erregung kennen. Um die dynamische 
Veränderung, die sich dabei in der Libido vollzieht, zu kennzeichnen, wollen 
wir von fließender gestauter Libido sprechen, im Gegensatz zu der in Ruhe 
befindlichen gestauten, in Wirklichkeit nur angesammelten Libido. Es er¬ 
scheint uns zweckmäßig, den Ausdruck „Libidostauung“ für das Phänomen zu 
reservieren, das entsteht, wenn fließende Libido an der Abfuhr gehindert wird, 
und wir werden den Ausdruck „Libidostauung“ nur in dem oben genannten 
Sinn verwenden. 

Bevor wir in der Aufrollung der Angsttheorie weitergehen, müssen wir uns 
noch etwas mit der Natur des Reizes beschäftigen, der die Libido ins Fließen 
bringt. Daß eine sexuelle Vorstellung als Reiz wirksam werden kann, ist selbst¬ 
verständlich. Wir finden aber, daß auch auf ganz andersartige Reize hin Angst 
entsteht und müssen dieses Phänomen zu erklären suchen. — Bisher ist bei 
Besprechung der Angst das Wort „Gefahrsituation“ noch nicht gefallen. In 
der Tat ist auch — wie Freud es ja wiederholt ausgedrückt hat — weder die 
objektive äußere Gefahrsituation, noch die Überzeugung, sich in einer solchen 
zu befinden, eine notwendige Bedingung für das Auftreten der Angst. Da¬ 
gegen beobachtet man so häufig das Auftreten von Angst in Gefahrsituationen, 
daß die Verknüpfung der Begriffe „Angst“ und „Gefahr“ verständlich wird. Diese 
Beobachtung verlangt nach einer Erklärung. Wir glauben diese Erklärung darin 
zu finden, daß die Gefahr zwar im allgemeinen nicht die Abfuhrmöglichkeiten 
für die Libido sperren muß, daß sie jedoch den Reiz darstellen kann, der die 
Libido zum Fließen bringt. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/i - 













66 


Käthe Misch 


An der Tatsache, daß kein notwendiger Zusammenhang zwischen Angst 
und Vorstellung einer Gefahrsituation besteht, wird übrigens auch dadurch 
nichts geändert, daß der einen Angstanfall Erleidende gewöhnlich nach kurzer 
Zeit anzugeben weiß, wovor er Angst hat. Es handelt sich dabei um den Ver¬ 
such, durch eine Vorstellungskonstruktion aus der Libidostauung herauszu¬ 
kommen, indem durch die Vorstellung einer Gefahr der Motilität Abfuhr¬ 
wege in Gestalt möglicher Vorbeugungsmaßnahmen gewiesen werden. 

Ebenso wie die Gefahrsituation können auch andere Reize nicht unmittelbar 
sexueller Natur Libido zum Fließen bringen, so z. B. jeder Reiz, der Aggressio¬ 
nen erweckt usw. 

Wir sind also zu der Feststellung gekommen, daß Angst entsteht, wenn 
erstens die in Ruhe befindliche Libido durch einen Reiz (sexuelle Vorstellun¬ 
gen, Gefahrsituationen, Aggressionen usw.) ins Fließen gebracht wird und 
zweitens die Abfuhr durch äußere oder innere Bedingungen gehemmt ist, so 
daß eine Libidostauung eintritt. Aber auch unter diesen Bedingungen findet 
eine Abfuhr statt, allerdings eine äußerst unlustvolle. Diese Abfuhr ist der 
Angstanfall. 

Der Angstanfall ist ein relativ seltenes Phänomen. Wir wissen aber, daß auf 
einen Neurotiker, also auf einen abfuhrgehemmten Menschen, fortwährend 
Reize einwirken, die geeignet sind, Libido ins Fließen zu bringen. Warum 
haben diese Menschen nicht andauernd Angst? Dies ist dadurch zu erklären, 
daß sie die Fähigkeit haben, die fließende Libido rechtzeitig abzustoppen. 
Wir wollen diesen Vorgang an einem Beispiel erörtern. Ein Kind wird durch 
einen äußeren Reiz am Genitale in Erregung versetzt und seine Libido beginnt 
zu fließen, wobei es den Wunsch zu onanieren erlebt. Da mit der Vorstellung 
des Onanierens die unlustvolle einer Strafe verbunden ist, wird die Motorik, 
die zur Verwirklichung des Onaniewunsches benötigt würde, gesperrt. Das 
Weiterfließen der Libido bei gehemmter Abfuhr führt zur Libidostauung. Die 
zunächst geringe Libidostauung ruft auf dem Wege über das vegetative System 
noch nicht ausgesprochene Angst, aber Unlust hervor. Diese Unlust stellt den 
Motor zur Verdrängung der Triebregung dar. Durch Einwirkung der Ver¬ 
drängung hört die Libido auf zu fließen. Wir sehen, daß die neurotische Sper¬ 
rung der Motorik nicht zusammenfällt mit der neurotischen Verdrängung des 
Triebes (dem neurotischen Abstoppen des Libidoflusses). Daß es sich hier 
wirklich um zwei Phänomene handelt, können wir auch erkennen, wenn wir 
in der Analyse durch Aufhebung von Verdrängungswiderständen die Libido 
des Patienten zum Fließen bringen (genauer: wenn wir ermöglichen, daß sie 
auf einen Reiz hin zu fließen beginnt), während die Motorik des Patienten 
noch neurotisch gestört ist. In solchen Fällen bekommt der Patient nämlich 
Angst. 

Der Vorgang, den wir eben beschrieben haben, ist identisch mit dem, was 
Freud unter dem Angstsignal versteht. Bei ausführlicher Zerlegung der 





































Die biologischen Grundlagen der Freudschen Angsttheorie 


67 


Angstphänomene unter Betrachtung der somatischen Basis scheint es mir 
eigentlich nicht notwendig, von einer zweifachen Lokalisation der Angst zu 
reden. Angstanfall und Angstsignal unterscheiden sich dann nur in quantita¬ 
tiver Beziehung. Im Sinne der obigen Ausführungen ist demnach das soge¬ 
nannte Angstsignal ein innerer Vorgang, der nicht von dem Gefühl der Angst, 
ja vielleicht nicht einmal immer von einem Gefühl der Unlust begleitet ist. 

Wenn Freud sagt, daß die Kastrationsangst das Angstsignal zur Verdrän¬ 
gung des Ödipuswunsches sei, so hat er das Wort „Kastrationsangst“ dort nicht 
j n dem Sinne gebraucht, in dem wir es hier in dieser Arbeit verwenden, näm¬ 
lich im Sinne eines manifesten Angstgefühls. Denn manifeste Angst zeigt an, 
daß der Verdrängungsmechanismus nicht funktioniert hat. Aus unseren Unter¬ 
suchungen ergibt sich ferner, daß es eine sogenannte latente Angst überhaupt 
nicht geben kann. Entweder hat die Libidostauung bereits zur Angst geführt, 
dann ist die Angst auch bewußt. Oder die Libidostauung hat noch nicht zur 
Angst geführt, dann ist im psychischen oder somatischen System auch nichts 
Angstähnliches zu finden. Der geläufige Ausdruck: „Hinter diesem Symptom 
steckt Angst“ mit dem Sinn: „Wenn man das Symptom analytisch auflöst, 
kommt eine bisher latente Angst zum Vorschein“, ist irreführend. Die Sym¬ 
ptomauflösung wird zu einer Libidobefreiung und, wenn Abfuhrhemmung 
besteht, in ihrem Gefolge zu einer Libidostauung und damit zur Angst führen. 
Ohne das Fortbestehen einer Abfuhrhemmung tritt Angst nicht auf. 

Ich hoffe, den Beweis erbracht zu haben, daß die Freudsche These, Angst 
sei die Folge einer Libidostauung, somatisch nachgeprüft werden kann, und daß 
sich Möglichkeiten eröffnen lassen, diesen Teil der Libidotheorie auf eine 
experimentelle Basis zu stellen. 

Auch dürfte das genauere Studium des Zusammenhangs zwischen dem 
somatischen Phänomen Libido und der „Angst“ die Handhabung der analyti¬ 
schen Technik nicht unerheblich beeinflussen. 










Die Rhigophohie 1 

Von 

Nicola Perrotti 

Roma 



Das menschliche Leben ist von äußeren physikalischen Kräften wie Licht, 
1 emperatur, Luftdruck usw. abhängig. Unser Organismus ist gegenüber dem 
Wechsel dieser Bedingungen sehr empfindlich; wenn jemand an das Leben 
im Flachlande gewöhnt ist, leidet er heftig unter der brüsken Senkung 
des Luftdrucks, sobald er einen hohen Berg besteigt oder im Flugzeug fliegt. 
Ebenso ist unsere Empfindlichkeit gegenüber dem Wechsel der Temperatur 
sehr erheblich; nur langsam und unter Schwierigkeit passen wir uns veränder- 
ten äußeren thermischen Bedingungen an. 

a Sehr wichtig sind die Reaktionen des Organismus gegenüber Temperaturen* 
die vom Optimum abweichen. Im folgenden sollen uns nur die Reaktionen* 
die auf unter diesem Optimum gelegene Temperaturen zurückzuführen sind, 
d. h. die Reaktionen auf die Kälte beschäftigen. 

Die physischen Reaktionen sind von der Physiologie genügend beschrieben^ 
aus diesem Zweig der Wissenschaft erfahren wir auch, welches die unterste 
Grenze der Temperatur der Umgebung ist, die mit dem Leben vereinbar ist* 
ferner daß sich in unserer inneren Temperatur die äußere Kälte nicht fühlbar 
macht, daß diese zunächst eine Vasokonstriktion der peripheren Gefäße her- 
vorruft, der eine Hyperämie folgt usw. 

Die psychische Reaktion auf Kälte wird in der Form eines Unbe¬ 
hagens verspürt, das man jedoch als normal und auch als nützlich betrachten 
muß, da uns diese subjektive Empfindung davon in Kenntnis setzt, daß eine 

ungünstige Umweltbedingung eingetreten ist. 

Schon dieses Unbehagen ist bei den einzelnen Personen verschieden: es gibt 
Personen, die kein bemerkenswertes Mißempfinden gegenüber einer verhältnis¬ 
mäßig kräftigen Kälte empfinden, während andere bei jeder auch noch so ge¬ 
ringen Temperatursenkung zittern und leiden. Diese Abweichungen vom nor¬ 
malen Reaktionstyp, diese Unter- und Überempfindlichkeit gegenüber der 
Kälte, können einen pathologischen Grad annehmen, und es bliebe die Rolle 
zu klären, die den psychischen Faktoren dabei zukommt. 

Dieses Problem der Interferenz der psychischen und physischen Faktoren, 
die den Grad des von der Kälte hervorgerufenen Unbehagens bestimmen, ist 
heute noch unentwirrbar. Wir betrachten im folgenden nur jene Form der 
Reaktion, die in der Furcht vor der Kälte besteht. 

Diese Furcht findet man bei Menschen, die nicht besonders unter der Kälte 
leiden; sie fürchten die für die Gesundheit schädlichen Wirkungen der Kälte. 


i) Vortrag, gehalten am 
einigung. 


27. Januar 1934 in der Italienischen Psychoanalytischen Ver- 








































Nicola Perrottii Die Rhigophobie 


69 


Deshalb ist diese Reaktion als neurotisch zu bezeichnen: es handelt sich um 
eine echte Phobie. 

Ich schlage vor, diese Phobie „Rhigophobie“ zu nennen, abgeleitet von §iyo$ 
„Kälte“. 

Es finden sich sehr viele Personen, die mehr oder minder offenkundig mit 
dieser Phobie behaftet sind. In den ausgesprochenen Fällen handelt es sich um 
Personen, die meist auch sonst um ihre Gesundheit sehr besorgt sind, um Men¬ 
schen mit Neigung zur Hypochondrie, die ganz der Hygiene ergeben sind, in 
fortwährender Furcht leben, krank zu werden, die von Zeit zu Zeit wirklich 
eine Phobie vor Ansteckungen, Mikroorganismen, Epidemien usw. haben. 
Ihre Besorgnis richtet sich jedoch in besonderer Weise auf die Kälte, die als 
eine stetig mögliche Quelle für Erkrankungen angesehen wird. Nachdem sich 
nun ihre Furcht zu erkranken in diesem Sinne eingestellt hat, fürchten sie jede 
Temperatursenkung und besonders den Winter. Auch im Sommer sind sie 
nicht frei vor Furcht, da man in der Hitze schwitzt, und der Luftzug, den man 
durch die „häßliche“ Gewohnheit, die Fenster offen zu lassen, hervorruft, in 
gleicher Weise die Möglichkeit von Erkältungen bietet. 

Um sich vor der Kälte zu schützen, beginnen diese Personen, sich mit den 
verschiedensten Dingen zu bedecken und zu bekleiden: mit Unterjacken 
gröberer und feinerer Art, Schärpen, Schals, Kleidungsstücken jeder Stärke, 
Paletots, Pelzen, Regenmänteln, Pelerinen, schließlich mit Strümpfen, Unter¬ 
ziehstrümpfen, Stiefeln, Überschuhen, Gamaschen usw. 

Liegen sie zu Bett, so genügen keine Decken, Tücher, Fußdecken und 
Kissen; in dieser Lage bereiten die Schultern besondere Schwierigkeit, da 
sie sich kaum zwischen Decken und Kissen schützen lassen; dies ist auch ein 
guter Grund dafür, um zur Vervollständigung zu den Jacken, die sie schon 
tragen, noch manches Leibchen oder manchen Schal hinzuzufügen. 

Die Art und Weise, den Kopf zu bedecken, ist der Gegenstand besonderer 
Aufmerksamkeit; jede Art von Turban, Mütze usw. ist gut dafür. 

Natürlich fliehen und meiden diese Personen jeden kalten Aufenthalt, Keller, 
windige und feuchte Straßen, Ateliers, Vorzimmer und Korridore; sie suchen 
warme Orte auf, wie sonnige Straßen, Häuser, die nach dem Süden zu liegen. 
Man tut besser, an kalten Tagen und an Abenden nicht auszugehen, und ver¬ 
doppelt, wenn man dazu gezwungen ist, seine Kleidung. Aber im allgemeinen 
ziehen sie es vor, sich in ihrem Hause einzuschließen, sie verstopfen alle Öff¬ 
nungen, durch die kühle Luft eindringen könnte, vermeiden jeden Luftzug 
und hüten sich vor allem davor, Türen und Fenster zu öffnen. 

In der langen Reihe ihrer Ängste, Befürchtungen und Besorgnisse sind einige 
Besonderheiten bemerkenswert. Vor allem fürchten sie den Übergang von 
einem warmen Raum in einen kalten, und aus dieser Angst entspringen tausend 
Vorsichtsmaßregeln, zu denen jene gehört, sich erst in einer mittleren Tempe¬ 
ratur aufzuhalten, wenn man z. B. aus einem Theater oder einem Ball kommt. 










7° Nicola Perrotti 


Die beste Vorsichtsmaßregel ist es, ein Taschentuch vor den Mund zu halten, 
um nicht zu kalte Luft in die Lungen gelangen zu lassen. 

Mehr als der kalte Raum ist es die Zugluft, die für schädlich gehalten wird. 
Vielfältig sind daher die Maßnahmen dagegen. Bemerkenswert ist, daß be¬ 
sonders solche Zugluft für schädlich gehalten wird, welche aus einer Mauer¬ 
spalte, aus einem Loch kommt, und dann, wenn sie die Schultern trifft. 

Für besonders schädlich aber gilt die feuchte Kälte. Naß werden, sich ein¬ 
regnen lassen, nach einem Bad sich nicht gut abtrocknen, mit feuchten Füßen 
bleiben, gehören zu den gefährlichsten Situationen; und unter diesen wiederum 
gilt als die gefährlichste das Schwitzen und das Trocknen des Schweißes am 
Körper. Nach dem Urteil dieser Menschen kann die Kälte eine unbegrenzte 
Zahl von Krankheiten verursachen, und zwar besonders solche des Atmungs¬ 
apparates, in zweiter Linie rheumatische Erkrankungen und schließlich Darm¬ 
erkrankungen, z. B. Durchfälle infolge von Kälte, die auf den Leib einwirkt. 
Das Wort „Erkältung“ als Bezeichnung für Schnupfen oder leichte Grippe 
zeigt, wie zweifellos diese Infektionen in pathogenetischen Zusammenhang mit 
der Abkühlung gebracht werden. 

Den extremen Fall stellt ein Patient dar, der wegen einer solchen Kälte¬ 
phobie seinen Wohnsitz von Italien nach Tunis verlegte. Auch dort fand er 
keine Ruhe, jeder Luftzug versetzte ihn in Angst. Seine Furcht vor Luftzug 
gipfelte schließlich darin, daß, wenn er schlief, der Atem seiner Frau, der seinen 
Kopf traf, die Ursache von Abkühlung und Erkältung werden könnte. 

Solche Fälle, in denen die Kältefurcht zur fixen Idee, zur wahren Besessen¬ 
heit wurde, die die Gedankenwelt des Patienten nicht mehr verläßt, sind sehr 
selten. Am anderen Ende der Reihe finden wir einen sehr leichten Grad von 
Kaltephobie, den die Mehrheit der Personen zeigt, die für normal gehalten 
werden: wenn er unsere Aufmerksamkeit nicht wachruft, so liegt das ledig¬ 
lich an seinem allgemeinen Vorkommen. In der Tat gibt es nur wenige, die 
davon vollständig frei sind, und viele von uns haben Furcht davor, ’sich 
schwitzend einem kalten Luftzug auszusetzen oder lange mit nassen Füßen 
zu bleiben. 

Im allgemeinen kann man sagen, daß ein stark betonter Grad von Kälte¬ 
phobie schwerlich als isoliertes Symptom vorkommt, sondern. daß er mit 
anderen Phobien einhergeht, die sich auf die eigene Gesundheit beziehen. Ich 
persönlich habe bemerkt — aber ich könnte nicht sagen, ob dies allgemeine 
Ansicht ist , daß die Kältephobie fast immer von Befürchtungen für die 
Verdauung begleitet ist. 

Bei dieser Gelegenheit erwähne ich eine Patientin, eine Volksschul¬ 
lehrerin, die an einer Kältephobie erheblichen Grades litt, die unterwegs der¬ 
art in Sachen eingepackt ging, daß sie fortgesetzt schwitzte, was wiederum 
die Ursache einer Reihe von Besorgnissen war. Aber sie fürchtete auch, sich 
infolge Mangels von Speisen schwach zu fühlen, und war nicht ruhig, wenn sie 






































Die Rhigophobie 


71 


nicht neben sich irgend etwas zum Essen hatte. Während des kurzen Weges 
von der Schule nach Hause war sie von einer doppelten Angst befallen: wenn 
sie schnell lief, kam sie schnell nach Hause und fand etwas zum Essen vor, 
aber dann hätte sie geschwitzt und hätte sich erkältet; wenn sie aber nicht 
schnell ging, hätte sie die Schwäche mitten auf der Straße befallen können. 
Die Sache endete damit, daß sie eine Bekannte, die in der Mitte des Weges 
wohnte, bat, ihr jeden Morgen um dieselbe Zeit einen Suppenbrei bereitzu¬ 
halten. 

Wie hat man nun diese neurotischen Symptome zu deuten? 

Es ist hervorzuheben, daß diese Phobie lange Zeit vernachlässigt und nicht 
beschrieben wurde; das lag daran, daß sie eine Abart der Nosophobie oder 
Furcht vor Krankheiten im allgemeinen ist, eines Syndroms, das man für nah 
verwandt der Hypochondrie hielt; diese erachtete man aber als Aktualneurose 
nicht für sehr geeignet für eine nach dem „Sinn“ suchende Analyse. 

Aber schon Ferenczi war nicht damit einverstanden, in den Aktual- 
neurosen nur das toxisch-sexuelle Moment zu sehen, und suchte den tiefen 
Sinn einiger ihrer Erscheinungen. Die Analyse der Kältephobie wird vielleicht 
manche Erscheinung der Hypochondrie aufklären helfen. 

Bei der Hypochondrie haben viele Beobachter den Zusammenhang mit den 
Masturbationskonflikten hervorgehoben; unsere Beobachtungen über die Kälte¬ 
phobie bestätigen diesen Eindruck. 

Bevor wir uns in diese Erörterungen einlassen, wollen wir nicht unerwähnt 
lassen, daß die Kältephobie sich auf das falsche Urteil berufen kann, welches 
dahin geht, daß die Kälte tatsächlich die Ursache von Krankheiten ist; man 
könnte daher denken, daß diese Phobie nur die Übertreibung einer Furcht ist, 
die einer wirklichen Gefahr gilt. 

Aber hiermit werden wir keinen Fortschritt im Verstehen des speziellen 
Sinnes des Symptoms machen, weil das gleiche von vielen anderen Phobien 
gesagt werden kann. Andererseits bliebe es eine Frage, warum ein solches Fehl¬ 
urteil, ein wirkliches Präjudizium (Vorurteil) möglich wurde und sich bis 
heute so hartnäckig im menschlichen Denken erhielt. 

Von diesem logischen Irrtum spricht Jones, der einzige Autor, von dem 
ich weiß, daß er sich mit dem psychologischen Wert dieses die Kälte betref¬ 
fenden Vorurteils beschäftigt hat. Dieser Autor bemerkt hierbei, wie in der 
wissenschaftlichen Ätiologie die Kältetheorie um so mehr an Boden verliert, 
je genauere Kenntnisse wir erwerben. Er erinnert beispielsweise an die 
zeitlich nicht weit zurückliegende Auffassung, nach der die Eierstock¬ 
entzündung eine Folge davon ist, daß man während der Menstruation 
offene Schlüpfer getragen hat. Gemäß dieser Auffassung steige die 
kalte Luft, die durch die Vagina eindringt, längs des Zervikalkanals 
bis zum Uterus auf, dringe in die Tuben ein und schließlich in den 
Eierstocken vor. Der Autor versucht auch, eine psychologische Erklärung 










72 


Nicola Pcrrotti 


für diesen veralteten und hartnäckigen Glauben zu geben. Er erinnert an die 
Ansicht Tr Otters, nach der das Unbehagen, das der Mensch in kalter Luft 
empfindet, sich mit der Furcht verknüpft, sich losgelöst von der warmen Um- 
ge ung zu befinden, in der er sich in Sicherheit fühlt, und hebt hervor, wie 
durch das Unbewußte die Vorstellung der Krankheit sich mit der Vorstellung 
er Wunde verknüpft und diese mit der Kastrationsangst und schließlich mit 
dem Geburtstrauma, und schließt: „Der unerwünschte Reiz, der von diesem 
emperaturwechsel (der Geburt) hervorgerufen wird, verwirrt seine (des 
indes) ganze Art und Weise des Seins, und von seiner (unfreiwilligen) Re- 
a tion auf diese Erschütterung wird sein ganzes weiteres Leben abhängen. Da 
darf man sich in der Tat nicht wundern, wenn der herrschende Eindruck, den 
man auf diese Weise an der Schwelle des Lebens empfängt, für immer bestehen 
bleibt, nachdem er mit der Vorstellung der Unbequemlichkeit, Unsicherheit, 
Gefahr und schließlich des körperlichen Übels verknüpft war.“ 

Die Verknüpfung der Reaktion gegenüber der Kälte mit dem Geburtstrauma 
ist nach unseren Erfahrungen vollkommen richtig; dies kann uns auch teil- 
weise erklären, warum durch den Kastrationskomplex die Kälte eng mit der 
Vorstellung von Krankheit verknüpft geblieben ist, mit anderen Worten, es 
kann uns erklären, warum die Kälte für eine wirkliche Gefahr gehalten wurde 
und noch heute gehalten wird, obwohl diese Gefahr nach unserer Meinung 
ganz oder teilweise fiktiv ist; aber es erklärt uns nicht vollständig den Sinn 
der übertriebenen Furchtreaktion vor der Kälte. 

Denn das Geburtstrauma kann uns wohl überhaupt das Auftreten der Angst, 
aber nicht den verschiedenen Inhalt der Phobien erklären und so auch nicht 
die Gründe liefern, warum gerade manche Personen besonders an der Furcht 
vor Käke leiden. Ich glaube, daß es auch in diesem Falle andere spätere, 
arfektbetonte Situationen gegeben hat, die mit ihren traumatischen Wirkun¬ 
gen pathogenetisch je einen bestimmten Bestandteil des komplizierten Ge- 
burtstraumas aktiv gemacht haben. Daher wird man, auch wenn man den 
Wert des Geburtstraumas vollständig anerkennt, wenn möglich eine andere 
traumausche Situation zu suchen haben, in der die Kälte der Gegenstand eines 
Affektes war. 

Die Analyse dieser Phobien müßte uns Aufklärung bringen. Es ist aber sehr 
schwierig, Patienten zur Analyse einzig und allein wegen dieser Phobie zu er¬ 
halten, sei es, weil sie sich selten als isoliertes Symptom zeigt, sei es, weil die 
Patienten sich so mit ihr abgefunden haben, daß sie weder an die Notwendig¬ 
keit noch an die Möglichkeit denken, sich von ihr zu befreien. Indessen be¬ 
gegnet man im Verlauf von Analysen anderer Neurosen so häufig diesem 
Symptom, daß sich oft die Gelegenheit ergibt, es zu deuten. 

Bei einer ersten Prüfung der Träume, Assoziationen und des Verhaltens der 
Patienten entdeckt man plötzlich, daß die Kältesensationen einerseits eng mit 
der Vorstellung von Krankheit, andererseits mit dem Empfinden des Naßseins 








































73 



Die Rhigophobie 


verknüpft sind. Selten träumt ein Patient, lediglich ein Kältegefühl zu emp¬ 
finden; hingegen ist es sehr häufig, daß er träumt, daß diese Empfindung auf 
kaltes Wasser zurückzuführen ist, oder daß er sich erkältet, oder daß er nasse 
Wäsche trägt, oder auf die Tatsache, aus einem Bad zu steigen und zu frieren 
usw H i er finden wir die Bedeutung der Feuchtigkeit und der Luft, die diese 
Feuchtigkeit abkühlt, wieder, also jener Faktoren, die in den Symptomen, wie 
wir gesehen haben, stets zutage treten. Bei weiterer Analyse findet man, daß 
dieses Naßsein, dieses Feuchte, das bei der Berührung mit der Luft ein un¬ 
angenehmes Kältegefühl hervorruft, zu jenem Eindruck der Kälte führt, den 
das Kind empfindet, das eingenäßt hat und in den nassen Sachen daliegt. 

Ein Patient z. B. träumt, sich auf einer Eisenbahnstation zu befinden und 
den Zug nehmen zu müssen. Aber es herrscht große Verwirrung, weil eine 
Überschwemmung war, und er fürchtet, den Zug zu verpassen. Es ist finster 
und er friert. Nachdem sich der Patient an kürzlich geschehene Vorkomm¬ 
nisse erinnert hat, verbindet er die Überschwemmung im Traume mit der 
Überschwemmung des Bettes, in das er uriniert hat. Er erinnert sich an das 
Erwachen in der dunklen Nacht und an das unangenehme Kältegefühl, das 
durch die abgekühlte Feuchte verursacht war. Die auf dem Bahnhof herr¬ 
schende Verwirrung läßt ihn an seine Verlegenheit und an seine Furcht vor 
Vorwürfen seitens der Mutter denken. Den Zug zu versäumen — ein Vor¬ 
gang, der schon in anderen Träumen analysiert war —, bedeutete, das Glied 
zu verlieren. 

Ein anderer Patient, und zwar ein reiner Fall von Kältephobie, leidet unter 
anderem an Pollakisurie, d. h. am Bedürfnis, oft zu urinieren, manchmal alle 
io Minuten. Der Vorgang des Urinierens ist stets von einem deutlichen, lästi¬ 
gen Kältegefühl begleitet, und zwar einem allgemeinen und einem auf das 
Glied lokalisierten, so daß er sogar das Bedürfnis verspürte, den Penis mit 
irgendeinem warmen Wäschestück zu bedecken, was er gelegentlich auch tat. 
Derselbe Patient leidet auch bei mancher anderen Gelegenheit an einer affekt¬ 
betonten Harnverhaltung, es ist ihm unmöglich, in Gegenwart von anderen 
Personen, oder wenn er weiß, daß er beobachtet wird, Harn zu lassen. Wenn 
es ihm unter diesen Umständen gelingt zu urinieren, wird er von einem Kälte¬ 
gefühl befallen. Die Assoziation der Kälte mit dem Urinieren ist sehr klar, 
und die Tatsache, daß er in Gegenwart von Menschen nicht urinieren kann, 
ist die Folge des Verbots der Eltern. D. h. er verhält sich, als ob er in An¬ 
wesenheit des Vaters nicht urinieren könnte, und wenn er uriniert, wird er 
von einem Kältegefühl befallen, wie damals, als er dem Verbot der Eltern zu¬ 
widerhandelnd, ein Kältegefühl bemerkte, weil er ins Bett uriniert hat. Nach¬ 
dem er an diese Vorgänge in der Kindheit erinnert worden war, schwächten 
sich die Symptome, die er beim Urinieren aufwies, derart ab, daß man sie als 
verschwunden betrachten kann. 

Ein anderer Patient träumt, sich zusammen mit Bruder und Schwester in 










74 Nicola Perrotti 


einem Zimmer ohne Tür und Fenster zu befinden, das nur von oben her offen 
war. Er will hinausgehen, und im Gegensatz zu den Geschwistern, die dazu 
nicht fähig sind, klammert er sich am Rande der Wand fest, hebt sich mit 
Hilfe der Arme in die Höhe und kommt hinaus. Dann befindet er sich am 
Meeresufer, und zwar immer zusammen mit seinen Geschwistern. Sie wollen 
ein Bad nehmen, aber während die Geschwister Furcht vor dem kalten Wasser 
haben, taucht er hinein. Auch hier wird durch die Assoziationen das Geburts- 
symbol offenkundig, auch die Beziehung darauf, daß er der Erstgeborene ist. 

r- m f e ^ a§C ^ arau ^ träumt derselbe Patient, daß er sich in einer Badewanne 
befindet und aus einem Hahn Wasser laufen sieht. Das Wasser kühlt sich ab, 
ann denkt er, daß er aus dem Bad steigen muß, jedoch er schämt sich, weil 
sein Vater zugegen ist. Der Patient verknüpft sofort mit dem Hahn, aus dem 
as Wässer lauft, den Vorgang des Urinierens; daß er sich schämt, aus dem 
a zu steigen, läßt ihn an den Vorgang denken, daß er sich schämte, sich 
naß von Urin auffinden zu lassen, und schließlich an seine Verlegenheit, als 
die Eltern das Bett aufmachten. Die Anwesenheit des Vaters in dem Augen¬ 
blick, als er aus dem Bad steigt, ist bezeichnend. 

Eine andere Patientin leidet unter anderem an der Furcht vor Näh- und 
Stecknadeln. Lediglich der Anblick derartiger Gegenstände ruft in ihr eine be¬ 
sonders unangenehme Empfindung hervor, wie ein Gefühl des Gefrierens im 
ganzen Körper, als ob kalte Ströme in sie eingedrungen wären. Da ich die Be- 
eutung dieser Phobie zu kennen glaubte, beschäftigte ich mich nicht weiter 
mit diesem Kältegefühl, bis die Patientin einmal erwähnte, daß ihr als Kind 
die Eltern wegen Bettnässens heftig gedroht hatten; eines Morgens, nach er¬ 
neutem Einnässen, hatte auch die Tante gedroht, ihr die Geschlechtsorgane mit 
emer Matratzennadel, die sie in der Hand hielt, zuzunähen. Sie sah die Szene 
vollständig im Geiste wieder, wie sie wehrlos im aufgedeckten Bett dalag, 
heftig fror und einen wahren Schrecken verspürte. Sie erwähnte, daß diese 
Furcht, die Geschlechtsorgane würden ihr zugenäht, noch lange Zeit anhielt 
Wir sehen demnach nicht nur bestätigt, daß das Kältegefühl sich mit dem 
des „Naßseins“ verbindet, und daß dieses vom Harn herrührt, sondern auch, 
daß das Unbehagen, die Verlegenheit und die Kälte mit Schuldgefühl ver¬ 
knüpft sind, weil man die elterlichen Befehle und Verbote nicht befolgt hat. 

Ein indirekter Beweis wird uns hierfür noch von einer anderen Erwägung 
geliefert. Bekanntlich ist der Schweiß physiologisch und klinisch ein Äqui¬ 
valent für den Harn, und man kennt die therapeutischen Bemühungen, Kranke 
bei denen die Diurese spärlich ist, zum Schwitzen zu bringen. 

Aber auch psychologisch besteht diese Äquivalenzbeziehung. In einem Fall 
von dem nur Dr. Weiß mündlich berichtete, litt ein Patient unter anderem 
daran, daß seine Hände stark schwitzten, und zwar besonders in unange¬ 
nehmen Situationen, die sich infolge seines scheuen Wesens und seiner Neur¬ 
ose häufig wiederholten. Wenn er sich irgendwo vorstellen, wenn er Personen 




















Die Rhigophobie 


75 


von Ansehen oder auch nur flüchtig Bekannte grüßen mußte, bereitete er sich 
in der Weise darauf vor, daß er sich die Hände mit dem Taschenfutter oder 
mit dem Taschentuch, das er unbefangen in den Händen zu halten suchte, oder 
an der Jacke abtrocknete. Natürlich half das alles nicht, und das Schwitzen 
seiner Hände blieb der Ausdruck seiner Verlegenheit; genau wie wenn ein 
anderer in der gleichen Lage erröten würde. Dieser Patient hat an nächtlichem 
Einnässen bis zum Alter von 3 bis 4 Jahren regelmäßig, manchmal auch später 
noch gelitten, die Feuchtigkeit der Hände wiederholte das Naßwerden durch 
den Harn und die Besorgnis, daß man es entdecken könnte. Schon damals hat 
er auf jede Weise versucht, das Bettlaken zu trocknen. Wenn er später in 
der warmen Jahreszeit aufwachte und sich feucht fühlte, war er im Zweifel, 
ob er stark geschwitzt oder eingenäßt hatte. Um sich gegenüber seiner Mutter 
zu rechtfertigen, sagte er, er habe nicht eingenäßt, sondern geschwitzt. 

In diesem Fall trat wie so oft die Hand als Ersatz für das Glied ein; daß 
aber den Patienten gerade die Vorstellung quälte, wie unangenehm die anderen 
die Berührung seiner Hand empfinden mußten, die mit kaltem Schweiß be¬ 
deckt war, macht das Schuldgefühl evident, welche das Unbehagen oder das 
Behagen der Enuresis begleitet. 

Diese Vorgänge erinnern uns an den in der ganzen Welt volkstümlichen 
Brauch, der sich auch heute noch eines guten Rufs im Kreise der Ärzte er¬ 
freut, nämlich im Falle eines jeden Leidens, das durch die Kälte verursacht ist, 
schwitzen zu lassen. Dazu sind alle Mittel und alle Aspirine dieser Welt gut. 

Dieses Vorgehen ist auch in einfacher Weise auf dem Vorurteil begründet, 
daß die Wärme als Gegensatz die schädlichen Wirkungen der Kälte neu¬ 
tralisiert. 

Es ist aber nicht so sehr die Wärme, die man sucht, als der Schweiß. Der 
Brauch zu schwitzen läßt in Beziehung zum Urinieren daran denken, daß sich 
in dieser Weise etwas mit Erlaubnis des Über-Ichs verwirklichen kann, was 
dem Einnässen im Bett ähnelt. Dieser Vorgang des Schwitzens muß übrigens 
nach allen Regeln der Kunst geschehen, man hat die Wäsche zu wechseln, 
warme, trockene Wäschestücke zu nehmen, auch wird eine nicht zum Aus¬ 
bruch gekommene Schwitzprozedur als sehr große Gefahr betrachtet; es macht 
wirklich den Eindruck, daß der Vorgang als eine Überschreitung und die 
Krankheit als Strafe für ein Vergehen angesehen wird, daß das Schwitzen ein 
der Strafe Entgegenkommen, aber auch ein Zugeständnis an das ursprüngliche 
\ ergehen darstellt. Man beobachte nur, mit welchem Behagen sich die Kran¬ 
ken zu Bett legen, um zu schwitzen, um auf diese Weise etwas zu verwirk¬ 
lichen, was an die Wiege und den Mutterschoß erinnert. Das Schuldgefühl 
geht auf den Zusammenhang zurück, der zwischen Harnentleerung und kind¬ 
licher Sexualität besteht. Freud sagt: „Das nächtliche Einnässen... entspricht 
einer Pollution. Deshalb schämt man sich genau so eines Flecks, der vom 








7$ Nicola Perrotti 


Einnässen stammt, wie eines solchen, der vom Samen herrührt; beide möchte 
man verbergen und abtrocknen. 

Die Harnerotik ist erfahrungsgemäß mit der Neigung zu exhibieren und 
dem Ehrgeiz verknüpft, und zwar ist es ein narzißtischer Ehrgeiz, den die 

Hypochonder im allgemeinen und die mit Kältephobie Behafteten im beson¬ 
deren darbieten. 

Als Reaktion und Verteidigung gegen diese exhibitionistische Neigung zeigt 
sich die entgegengesetzte Tendenz, nämlich sich zuzudecken, zu verstecken, 
mit Kleidern und Decken zu umgeben, als das offenkundigste Charakteristikum 
der mit Kältephobie Behafteten; sie wird rationalisiert durch die Absicht, sich 
gegen die Kälte zu verteidigen, wenn man „nackt“ ist. 

Nach dem, was wir hier auseinandersetzen, scheint es klar, daß diese Phobie 
auf eine exhibitionistische Stufe zurückgeht, bei der der Phallus als Organ auf¬ 
gefaßt wird, das uriniert. Die Unterdrückung des Einnässens, das der Samen¬ 
entleerung äquivalent und der Masturbation ähnlich ist, läßt Schuldgefühl und 
Kastrationsangst zurück. Hierbei ist zu bemerken, daß viele Patienten, die sich 
an keine Kastrationsdrohung wegen masturbatorischer Manipulationen er¬ 
innern, wohl eine solche wegen Einnässens in Erinnerung behalten haben. 

Jede Analyse des Einnässens deckt, wenigstens beim männlichen Geschlecht, 
regelmäßig die Beziehung zum Ödipuskomplex auf; so träumte z. B. ein drei¬ 
jähriges Kind, das an Einnässen litt, unter anderem davon, daß es den Anreiz 
zum Urinieren fühlte und daß es sich anschickte, an der Fassade jenes Hauses 
zu urinieren, in dem es wohnte; ein Traum, der leicht zu verstehen ist, wenn 
man nur daran denkt, daß das Haus Symbol der Mutter ist. 

Nach den Äußerungen der Patienten wird die Kälte besonders als etwas ange¬ 
sehen, das von außen kommt, das uns trifft (man sagt in der Tat, daß die Kälte 
„stechend“ oder „schneidend“ ist), das besonders schädlich ist, wenn sie uns 
nach Art einer Waffe an den Schultern trifft, und wenn sie aus einer Öffnung 
oder einem Mauerloch kommt. Die Kranken hegen eine ewige Besorgnis um 
ihre Gesundheit und fürchten jeden Augenblick, krank zu werden; sie be¬ 
finden sich tatsächlich in einem Zustande von Selbstanklage und unbewußter 
Schuld. All das wird begreiflich, wenn man annimmt, daß die Furcht vor der 
Kälte sich mit der Furcht vor einer Verstümmelung (Wunde, Krankheit) wegen 
Übertretungen verknüpft, die sich auf die Harnerotik beziehen. 

Wir fassen zusammen: 

1. Der unangenehme Eindruck der Kälte verknüpft sich mit der unange¬ 
nehmen Empfindung des abgekühlten Harns und zutiefst mit dem ersten Ein¬ 
druck der Außenwelt, d. h. mit der Geburt. 

2 . Die Vorstellung, die Kälte könnte Krankheiten hervorrufen, verbindet 
sich mit der Vorstellung der Bestrafung, die der Übertretung des Verbots der 
harnerotischen Erscheinungen folgt. 





































*- Die Rhigophobie 77 

Die Furcht vor Kälte ist der bewußte Ausdruck eines unbewußten 
Eindrucks einer Gefahr, die sich auf diö Kastrationsdrohung bezieht. 2 So er¬ 
klärt sich nicht nur die Phobie, sondern auch jedes übertriebene Kranksein 
infolge der Kälte. 

Man könnte meinen, daß es den Kranken mit Hilfe ihrer Kältephobie 
wenigstens gelingen müßte, den so sehr gefürchteten Krankheiten zu entgehen; 
wir finden aber, daß sie ihnen sogar besonders und in immer stärkerem Maße 
unterworfen sind. Dies mag, wie Jones bemerkt, daher rühren, daß diese 
Kranken ein Leben führen, das jeder normalen Hygiene widerspricht; doch 
man hat den berechtigten Eindruck von einer unbewußten Neigung, sich zü 
bestrafen, und zwar gerade in der so sehr gefürchteten Weise. Es scheinen 
demnach sowohl die Phobie als auch die physische Erkrankung von einer und 
derselben psychischen Ursache herzurühren. 

Eine der körperlichen Reaktionserscheinungen gegenüber der Kälte ist be¬ 
kanntlich das Zittern, welches sowohl den Beginn des Fiebers anzeigt, als auch 
die Furcht begleitet. Eine Patientin erklärte mir, sie könne das Zittern aus 
Angst nicht vom Kältegefühl unterscheiden, Zittern, Angst und Kälte riefen 
in ihr ein und dieselbe Empfindung hervor. 

Wir müssen nun daran denken, daß diese gleiche Reaktion, das Zittern, die 
Antwort auf ein und dieselbe Ursache sei, die eben eine Gefahrensituation ist. 
Wir haben gesehen, daß die Kälteempfindung mit der Furcht vor dem Übel, 
dem körperlichen Schmerz verknüpft ist, und wir haben auch gesehen, daß an 
der Basis der Kältephobie die Furcht steht, der Mutter, der Liebe der Eltern, 
der Wiege, des Gliedes beraubt zu werden. Zutiefst liegt auch hinter diesen 
Ängsten stets die Furcht vor dem Tode, und der mit Kältephobie Behaftete 
fürchtet im Grunde die Krankheit und bewußterweise den Tod. 

Itn Gegensatz zu dem Schauer und der Kälte des Todes ist die Wärme 
immer als der Ausdruck des Lebens betrachtet worden. 

2) Unter den Krankheiten, von denen man annimmt, daß sie durch die Kälte hervor¬ 
gerufen werden, sind die sogenannten rheumatischen die bedeutsamsten. Das Wort „Rheuma“ 
kommt von (tew „fließen“, und erinnert wieder an das Fließen und Sichausbreiten des Harns. 
Im Laufe dieser Betrachtungen sind wir aber auch mehrfach unbewußten Verbindungen zwi¬ 
schen Kältegefühl einerseits und physischem Schmerz und Krankheit andererseits begegnet, 
die wir auch in bewußtem klinischen Vorgang so oft vereint sehen. 











Zur Theorie der psychoanalytischen Technik 1 

Von 

Otto Fenidiel 

Oslo 

I. 

Wenn man über „Theorie der Technik“ spricht, ist es leider noch not¬ 
wendig, über die Berechtigung eines solchen Begriffes zu reden. Es gibt Auf¬ 
fassungen von der „irrationalen“ Natur der psychoanalytischen Technik, die 
sich überhaupt gegen Bestrebungen zur theoretischen Erfassung technischer 
Grundsätze wenden. Einer solchen Auffassung hat z. B. in letzter Zeit Reik 
Ausdruck gegeben. 2 Weil das Instrument der analytischen Technik das Un¬ 
bewußte des Analytikers ist („Relais“Vorstellung), weil die Intuition bei der 
Erfassung der Vorgänge im Patienten nicht entbehrt werden kann, will er bei 
der psychoanalytischen Technik alles dem Unbewußten und der Intuition 
überlassen. Solche Auffassungen müssen schließlich dazu führen, daß, weil 
der Gegenstand der Psychoanalyse das Irrationale ist, diese selbst irratio¬ 
nal gesehen wird, jeden Charakter einer Wissenschaft verliert und zur reinen 
Kunst wird. 

Demgegenüber meinen wir: Wir haben eine dynamisch-ökonomische Auf¬ 
fassung des Seelenlebens. Auch unsere Technik, die eine dynamisch-ökono¬ 
mische Änderung im Patienten anstrebt, muß nach dynamisch-ökonomischen 
Grundsätzen erfolgen; sie muß konsequent in der der Psychoanalyse über¬ 
haupt zugrunde liegenden Denkweise bleiben und das durch die (allerdings un¬ 
entbehrliche) Intuition sich ergebende Handeln nach rationalen Richtungs¬ 
zeichen ordnen. 

Freud ist der Schöpfer der Begriffe der „Dynamik“ und der „Ökonomik“ 
im Seelenleben. Sowohl die ganze Art, wie er neurotische Phänomene zu 
studieren pflegt, als auch seine technischen Publikationen 3 lassen keinen 
Zweifel daran, daß ihm auch die analytische Deutung und das Vorgehen des 
Analytikers überhaupt als ein Eingriff in die Dynamik und Ökonomik des 
Patienten erscheint, daß er also von der Deutung noch anderes verlangt, als 
daß sie inhaltlich richtig sei. Von ihm stammt das Wort, daß nur ein solches 
Verfahren Psychoanalyse zu nennen sei, das Widerstände und Über¬ 
tragung benutzt; 4 und das heißt ja: das in die Dynamik eingreift und nicht 
etwa nur „Übersetzungen“ der Anspielungen des Patienten gibt, sobald der 
Analytiker verstanden hat, worauf sie anspielen. Die Formel, der Analytiker 
solle Unbewußtes bewußt machen, könnte zu solchem Mißverstehen führen. 
Tatsächlich kan n auch solches Aussprechen des Sinnes etwa eines Symptoms 

1) Diskussionsbemerkungen zur Arbeit von H. Kaiser: „Probleme der Technik“, Int. 
Ztschr. f. Psa., XX, 1934. 

2) Siehe Reik: New Ways in Psycho-Analytic Technique. Int. Journal of Psa., XIV, 1933. 

3) In Band VI der Ges. Sehr. 

4) Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung. Ges. Sehr., Bd. IV, S. 421. 





































Otto Fenichel: Zur Theorie der psychoanalytischen Technik 


79 


manchmal bedingen, daß das Symptom schwindet; aber es muß nicht so sein. 
Wenn man verstehen will, wovon es abhängt, ob solche Wirkung der Deutung 
eintritt oder nicht, kommt man mit bloß topischen Auffassungen nicht weiter. 
Es hängt davon ab, ob eine Verdrängung (richtiger: eine mit Daueraufwand 
einhergehende Triebabwehr) wirklich aufgehoben wird oder nicht. Was aber 
hebt Verdrängung auf? — Die dynamische Auffassung begreift das Psychische 
als ein fortwährendes Ringen zwischen nach Abfuhr suchenden Tendenzen und 
abwehrenden oder siebenden Kräften des Ichs, zwischen den Besetzungen der 
Triebe und den Gegenbesetzungen des Ichs. Daß auch diese aus jenen hervor¬ 
gegangen sind, interessiert uns in diesem Zusammenhänge nicht. Wir überlegen 
uns den Sachverhalt bei schon bestehendem neurotischen Konflikt und stellen 
dann fest, daß sich dieser zwischen einem unbewußten Triebanspruch und den 
mit „Gegenbesetzung“ ausgestatteten Abwehrkräften des Ichs abspielt, die sich 
in der Behandlung als Widerstände zeigen. (Es ist an sich richtig, aber mi߬ 
verständlich, wenn Kaiser die Energie, mit der die den Trieb abwehrenden 
Kräfte arbeiten, als „narzißtische Libido“ bezeichnet. Wenn man sich 
nicht in lange Diskussionen über die Problematik der Genese dieser Libido 
einlassen will, gebraucht man wohl für diese Energie besser den von Freud 
eingeführten Terminus „Gegenbesetzung“.) In dieses Spiel zwischen Trieb 
und Widerstand haben wir einzugreifen. Wir brauchen bei einem solchen Ein¬ 
griff den Trieb nicht zu verstärken und könnten das auch gar nicht. Der ver¬ 
drängte Trieb ist bei der Arbeit unser Bundesgenosse; er drängt von selbst zu 
Bewußtsein und Motilität hin. Wir brauchen nur dafür zu sorgen, daß sich 
ihm keine Widerstände in den Weg stellen. Gelänge es, die Widerstände weg¬ 
zuräumen, so müßte sich das Verdrängte von selbst melden. Diese dyna¬ 
mische Auffassung der Deutung — wir haben Widerstände aufzusuchen und 
aufzudecken, damit das Verdrängte sich melde — ist dann noch in ökonomi¬ 
scher Hinsicht zu ergänzen: Wir haben den ökonomisch wichtigsten und 
stärksten Widerstand anzugreifen, um die Libido wirklich in ökonomisch aus¬ 
schlaggebender Weise zu befreien, so daß, was bisher in Verdrängungskämpfen 
gebunden war, zur realen Befriedigung zur Verfügung stehe. Die verdrängt 
gewesenen infantil-sexuellen Regungen finden dann Anschluß an das Ich und 
wandeln sich damit zum größeren Teil in orgasmusfähige Genitalität, bzw. 
werden zum andern Teil sublimierungsfähig. 

..Theorie der Technik“ ist Kommentierung dieser Sätze und nichts sonst. 
Sie wollen ernst genommen werden und es läßt sich nicht leugnen, daß die 
analytische Situation Momente genug enthält, die den Analytiker in Versuchung 
führen, sie nicht ernst zu nehmen, sondern früher oder später zu „schwim¬ 
men , die Nur-Kunst-Auffassung der analytischen Technik und die Unver¬ 
meidbarkeit einer gewissen Unsystematik in der Analyse als Ausrede zu be¬ 
nutzen, während man sich treiben läßt, planlos bzw. rein intuitiv deutend, 
was dem Analytiker oder bestenfalls dem Patienten gerade einfällt. 











Otto Fenichel 


IL 

Es ist das Verdienst Reichs, vor einem solchen Vorgehen besonders gewarnt 
zu haben. Die von ihm stammenden Vorschläge zur Reform der Technik 
leiten sich zum größten Teil ab aus einem Ernstnehmen der ökonomischen 
Auffassung, der Einsicht, daß es gelte, im Verdrängungskampf gebundene 
Energie zu befreien, verdrängte infantile Sexualität durch Aufhebung der 
Verdrängung in erwachsene und orgasmüsfähige Sexualität zu verwandeln. 5 

Eine Reihe „technischer Formeln“ wird als von Freud stammend 
tradiert, deren nähere Überlegung Reichs Vorschläge zur Technik so er¬ 
scheinen läßt, als würde er im wesentlichen sagen: „Besinnt Euch doch, ob Ihr 
auch wirklich die richtige Freudsche Technik immer anwendet!“ Solche 
Formeln sind etwa: „Immer nur dort arbeiten, wo jeweils der Affekt der 
Patienten wirklich sitzt!“ Dem denkenden Analytiker ist klar, daß das nicht 
heißt: dort, wo der Patient glaubt, daß sein Affekt stecke; der Analytiker 
muß also jeweils die Stellen suchen, an denen der Konflikt in ausschlaggeben¬ 
der Form im Moment zentriert ist. — Oder: „Die Deutung geht immer von 
der jeweiligen Oberfläche aus.“ Interpretiert man das richtig, so kann es nichts 
anderes heißen, als: Es hat keinen Sinn, „Tiefendeutungen“ zu geben (mögen 
sie auch an sich inhaltlich richtig sein), solange oberflächliche Dinge vorge¬ 
lagert sind. Man kann also nicht, wie Melanie Klein will, 6 „sich mit dem 
Unbewußten des Patienten direkt in Verbindung setzen“, denn analysieren 
heißt ja eben, sich mit dem Ich des Patienten auseinandersetzen, das Ich des 
Patienten zwingen, seine eigenen Konflikte anzusehen. — Wenn wir etwa 
wissen, daß eine Zwangsneurose aus Kastrationsangst vom genitalen Ödipus¬ 
konflikt auf die anal-sadistische Organisationsstufe regrediert ist, so können 
wir nicht dieses Wissen dazu benutzen, um nun „sofort“ den genitalen 
Ödipuskonflikt zu besprechen, sondern es führt zu diesem kein anderer Weg 
als die Durcharbeitung der anal-sadistischen Konflikte. Das leuchtet ein; 
aber es ist auch notwendig, all die hundertfachen Analoga im Alltag ständig 
im Auge zu behalten. Die Abwehrhaltung des Ichs ist immer oberflächlicher 
als die Triebhaltung des Es. Bevor man einem Patienten an den Kopf wirft, 
welche Triebe er hat, muß man ihm deshalb deuten, daß und warum er sich 
vor seinen Trieben fürchtet und sie abwehrt. 

Eine weitere solche Formel: „Widerstandsdeutung geht vor Sinn¬ 
deutung.“ Jeder Widerstand hindert den Patienten daran, eine inhaltliche 
Deutung, d. h. das Aussprechen seiner unbewußten Tendenzen, im Sinne einer 
dynamischen Veränderung zu verarbeiten. Es hat also keinen Sinn, solches zu 
versuchen, bevor man nicht das Hindernis aus dem Weg geräumt hat. Da aber 
nicht alle Widerstände manifest sind, hat der Analytiker fortwährend die je¬ 
weiligen aktuellen Widerstände herauszufinden und zu verarbeiten, indem er 

5) Siehe sein Buch „Charakteranalyse“. 

6 ) Melanie Klein: „Die Psychoanalyse des Kindes“, Int. Psa. Verlag, 1932. 













































Zur Theorie der psychoanalytischen Technik 81 


erstens das vom Widerstand bestimmte Verhalten des Patienten vom ur- 
teilenden Ich distanziert, zweitens es als dem Widerstand entstammend emp¬ 
finden läßt, drittens die Anlässe des Widerstandes findet, viertens aufklärt, 
warum der Widerstand gerade in dieser Weise auf tritt, und endlich fünftens, 
wogegen er sich richtet. — Daß auch Verhaltungsweisen, „zufällige <c Hand¬ 
lungen, Art und Weise des Gehabens des Patienten Gegenstand der Analyse 
sind und nicht etwa nur der Inhalt dessen, was der Patient äußert, wurde von 
Freud an vielen Stellen ausgesprochen und durch Beispiele belegt. 

Es gibt freilich auch einige andere tradierte Formeln, die zunächst den 
Reichschen Meinungen zu widersprechen scheinen, z. B. daß Freud davor 
warnt, während der Analyse von Zeit zu Zeit eine „Bestandaufnahme“ zu 
machen, um sich die Struktur des Falles zurechtzulegen; man schaffe sich da¬ 
durch nur Vorurteile; es sei besser, das Unbewußte des Patienten mit dem 
eigenen Unbewußten zu beantworten und zu warten, bis sich ein 
Strukturbild von selbst auf drängt. 7 Oder der Vergleich der Analyse mit einem 
Mosaikspiel, bei dem regellos und unsystematisch ein Stein nach dem anderen, 
wie er sich gerade „zufällig“ biete, betrachtet wird, bis man findet, wie die 
Steine zusammenpassen. 8 — Eine weitere Formel: „Der Patient bestimmt das 
Thema der Stunde.“ 

Die scheinbaren Widersprüche solcher Formeln lösen sich durch den 
Gedanken daran, daß analytische Technik eine lebendige Kunst ist, in der 
Regeln immer nur eine relative Gültigkeit haben. Sicher weist Freuds 
Meinung, richtig wiedergegeben, dahin, daß die analytische Technik sich vor 
zwei Extremen zu hüten habe, die beide gleich falsch wären: Man darf einer¬ 
seits nicht zu rationell-planmäßig mit bloßem Verstand analysieren (Begriff 
des „Relais“, das eigene Unbewußte als Instrument des Analytikers, „wer 
analysieren will, muß selbst analysiert sein“), und man darf anderseits nicht zu 
irrationell sein, denn analysieren heißt, das Irrationale der Menschen der Ratio 
unterwerfen. (Wäre es anders, so gäbe es auch keine Lehrbarkeit der analyti¬ 
schen Technik. Der häufig gebrauchte Vergleich zwischen analytischer und 
chirurgischer Technik ist hier wirklich am Platz: Auch zur analytischen 
Technik braucht man Begabung und Intuition, aber auch bei der chirurgi¬ 
schen kommt man damit nicht aus, wenn man nichts gelernt hat.) 

Reich meint nun, das Deuten als ein dynamisch-ökonomischer Vorgang sei 
noch niemals konsequent durchdacht und befolgt worden. Statt die Ein¬ 
sichten in die Dynamik und Ökonomik der psychischen Prozesse planmäßig 
für einen systematischen Ausbau unserer Technik zu benützen, erliegen 
die Analytiker der Bequemlichkeit und ermangeln aller Systematik. Trotz 
besserem W issen werde in der Praxis die Aufgabe, Widerstände zu deuten, 

7) Ratschläge für den Arzt bei der psycheanalytischen Behandlung. Ges. Sehr., Bd. VI, 

S. 68. 

8) Zur Ätiologie der Hysterie. Ges. Sehr., Bd. I, S. 420. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/i 


6 











82 


Otto Fenichel 


immer dahin mißverstanden, daß zu deuten sei, worüber der Patient rede; zu 
arbeiten, „wo der Affekt wirklich ist“, gelinge meist deshalb nicht, weil der 
Analytiker gar nicht auf die Idee komme, an denjenigen Stellen zu suchen, 
wo gesucht werden müsse: im charakterlichen Verhalten. Das charakterliche 
Verhalten als ein den wirklichen Konflikten vorgebauter „Panzer“ werde nicht 
ernst genug genommen. Denn ein Ernstnehmen der Regel, „arbeiten, wo der 
Affekt wirklich sitzt“, würde bedeuten, daß man, solange der führende-Cha¬ 
rakterwiderstand ungebrochen ist, konsequent nichts anderes zum Gegenstand 
der Bearbeitung mache und kein anderes Thema mit dem Patienten bespreche 
als eben dieses. Je mehr der „Affekt“ in einer „Haltung“ „eingefroren“ ist, 
desto weniger wisse der Patient davon und desto wichtiger sei es, daß zuerst 
an dieser Stelle gearbeitet werde, damit die inhaltlichen Deutungen, die der 
Analytiker später brauchen wird, nicht vorher vergebens verpufft werden. Der 
\ ergleich mit dem Mosaikspiel sei zwar richtig, aber auch die Zusammen¬ 
setzung eines Mosaikspieles könne systematisch und planmäßig gestaltet wer¬ 
den, indem man nicht die Steine in der Reihenfolge betrachtet, wie sie sich 
einem zufällig darbieten, sondern konsequent nach den Steinen sucht, die jetzt 
gerade eingesetzt werden müssen. Das psychische Material im Patienten sei 
in einer gewissen Schichtung gegeben. Der Widerstand des Patienten versuche, 
diese Schichtung zu verdecken. Der Analytiker habe sie dennoch zu eruieren 
und in seinen Deutungen genau dieser Schichtung zu folgen und zu erkennen, 
wenn Material, das inhaltlich einer tieferen Schicht angehöre, nur erscheine, 
um eine oberflächlichere abzuwehren; andernfalls erhalte er die gefürchtete 
„chaotische Situation“, wo das Material aus allen Schichten unordenbar 
durcheinander produziert wird. Also auch der Grundsatz „Immer von 
der Oberfläche anfangen“ sei ernster zu nehmen und konsequenter 
durchzuführen, als das bisher geschah. Die Konsequenz eines derarti¬ 
gen Vorgehens erfordere vor allem, anderes Material als das dem jeweiligen 
Zweck dienliche nicht zu berühren, auch Träume, um nicht die Deutungs¬ 
arbeit „verpuffen“ zu lassen. „Der Patient bestimmt das Thema der Stunde“, 
aber nicht durch das, was er sagt, sondern dadurch, daß er den Analytiker 
erkennen läßt, wo sein ökonomisch ausschlaggebender Widerstand steckt. Zur 
Bearbeitung dieses Themas müsse dann der Analytiker den Patienten zwingen, 
auch wenn dieser lieber von etwas anderem reden möchte. 


Vielleicht füge ich hier gleich einige kritische Bemerkungen bei: 

Soweit ich hier versucht habe, die Prinzipien der sogenannten „Reich- 
schen Technik“ darzustellen, bin ich mit diesen Prinzipien als Prin¬ 
zipien durchaus einverstanden. Ich sehe sie für die richtige Konse¬ 
quenz aus den Freudschen theoretischen und technischen Lehren an. 8a — 
I ch stimme ebenso mit Rei ch darin überein, daß gegen diese Prinzipien in der 

8a) Sie wurden von Reich schon ausgezeichnet formuliert in der Arbeit: Zur Technik 
der Deutung und der Widerstandsanalyse. Int. Ztschr. f. Psa., XIII, 1927. 
































- Zur Theorie der psychoanalytischen Technik 83 

Praxis von uns allen oft gesündigt wird und wir diesbezüglich nicht genug 
Selbstkontrolle leisten können. — Die widersprechenden Urteile, die in Ana¬ 
lytikerkreisen über die sogenannte „Reichsehe Technik“ gefällt werden, 
indem die einen sagen: „Das ist ja nichts Neues, sondern genau das, was 
Freud tut“, die anderen: „Das ist etwas von der Analyse Freuds so Ver¬ 
schiedenes, daß man es nicht mehr Psychoanalyse nennen sollte“, erklären sich 
so: Insofern diese Prinzipien nur der Ausbau der Freudschen Ansichten 
sind, sind sie „nichts Neues“; insofern sie der konsequente Ausbau sind, 

sind sie etwas Neues. . 

Mein prinzipielles Einverständnis mit Reich, dem ich soeben Ausdruck 
gegeben habe, wird nur eingeschränkt einerseits durch zwei kleinere theo¬ 
retische Einwände, anderseits durch Einwände, die sich nicht gegen das 
Wesentliche an Reichs Ansichten und seinen Prinzipien, sondern lediglich 
gegen die Art wenden, wie diese Prinzipien im einzelnen angewendet werden. 

Die zwei kleineren theoretischen Einwände lauten: 

1. Es ist nicht wahr, daß das psychische Material im Patienten in geord¬ 
neter Schichtung vorliegt. Diese Behauptung ist eine Schematisierung, die von 
komplizierenden Einzelheiten absieht. Die Regelmäßigkeit der Schichtung ist 
nämlich ebenso regelmäßig — bei verschiedenen Menschen in verschiedenem 
Grade — auch ohne vorangegangene falsche analytische Deutungen 
durchbrochen. Es gibt ganz allgemein das Phänomen, das man in der 
Geologie „Verwerfung“ nennt, und das darin besteht, daß das ursprünglich 
übereinander geschichtete und nebeneinander liegende Material durch ver¬ 
schiedene natürliche Ereignisse durcheinandergeschüttelt worden ist, so daß 
die Reihenfolge, in der sich dem in die Erde bohrenden Geologen das Material 
darstellt, nicht identisch ist mit dem Alter der jeweiligen Schichten. Das Ma¬ 
terial an sich ist nur „relativ“ geordnet — und entsprechend dürfen, meine 
ich, die relativ richtigen Ansichten Reichs über die „Konsequenz“ der Deu¬ 
tung nicht absolut genommen werden. Es gibt spontane chaotische 
Situationen, ja Menschen, deren Charakterneurosen ein solches Bild bieten, 
daß man sie gar nicht anders diagnostizieren könnte als mit dem Worte 
„chaotische Situation“. Die „Verwerfung“ schreitet aber auch noch während 
der analytischen Kur fort. Auch die Schwankungen des Tageserlebens, die man 
nicht unbeachtet lassen kann, schränken die „Konsequenz“ in gewissem 
Grade ein. 

2. Die besondere Beachtung der „eingefrorenen Widerstände“, der ge¬ 
wohnheitsmäßigen Aktionen und Haltungen, erfordert, daß man auch selbst 
den Sinn dieser Dinge erkennt und nicht nur weiß, daß sie einen Widerstand 
ausdrücken. Freilich ist es wohl auch besser, den Patienten nur darauf auf¬ 
merksam zu machen, als eine solche Widerstandshaltung vollkommen zu über¬ 
sehen. Aber es ist kein Zweifel, daß man um so leichter Erfolg haben wird, 
je vollständiger man selbst ein Bild über den konkreten Sinn dieser Wider- 


6* 














Otto Fenichel 


84 


Standshaltung besitzt. Das Erraten dieses Sinnes wird wieder erleichtert durch 
jedes Stück Kenntnis von der individuellen Vorgeschichte des Patienten. So 
stehen wir vor einem Zirkel: Die Geschichte wird uns erst durch die Auflösung 
dieser Haltungen zugänglich — und zur Auflösung dieser Haltungen be- 
dürfen wir der Kenntnis seiner Geschichte. Ich meine, daß dieser Zirkel sich 
am ehesten losen läßt, wenn der Analytiker von Anfang an darauf eingestellt 
1St ’ ^seiner e ^ enen Kenntnisnahme (ohne große „Deutungen“) so viel wie 
möglich aus der Vergangenheit des Patienten zu erfahren. Ich meine, daß es 
immer gut ist, die erste Zeit einer Analyse zur Materialsammlung zu be¬ 
nutzen. Je mehr Kenntnisse man hat, desto gewappneter geht man dann in 
en eigentlichen Kampf mit den Widerständen. Nicht immer gelingt eine 
solche initiale Materialsammlung — und man muß eine Analyse nicht etwa 
deshalb aufgeben, weil sie nicht gelingt. Aber ich meine, man sollte doch auch 
nicht absichtlich Gelegenheiten, die zur Materialsammlung benutzt werden 
können,, unbenutzt verstreichen lassen. Ich habe den Eindruck, daß Reich in 
er Absicht, nur konsequent den Punkt zu bearbeiten, um den sich momentan 
alles dreht, häufig Material beiseite läßt, dessen Beachtung ihm gerade zum 
Verständnis dieses einen Punktes helfen könnte. Insbesondere habe ich diesen 
Eindruck oft bei den „weggelassenen Traumanalysen“. — Bei der freien Asso¬ 
ziation macht man eine Erfahrung, auf die Freud aufmerksam gemacht hat:» 
Was ein Patient sagt, wird erst durch das Nachfolgende verständlich. Deshalb, 
meine ich, kann man, bevor das Nachfolgende nachgefolgt ist, noch gar nicht 
wissen, welches Material man „beiseite zu lassen“ habe. 

Es gibt natürlich genug Situationen, in denen wirklich jede Traum¬ 
deutung kontraindiziert ist, wenn nämlich das „Traumdeuten“ selbst für den 
Patienten irgendeine andere von der Analyse noch nicht erfaßte unbewußte 
Bedeutung hat. Wo dies aber nicht der Fall ist, meine ich, daß häufig genug 
das Verständnis einer Haltung gerade durch richtige Traumdeutungen ge¬ 
wonnen werden kann. Der Traum ist ja ein Kommentar zu den Ich- 
Haltungen des Patienten am Vortage. Unter den latenten Traumgedanken 
gibt es immer welche, die der bewußten Haltung sehr nahestehen, aber gerade 
em Element mehr enthalten, oder gerade die Haltung in einer Verbindung 
zeigen, an die der. Patient aus Verdrängungsgründen nicht gedacht hatte. 
„Traumdeuten“ heißt nicht, dem Patienten sagen: „Sie wollen mit Ihrer Mutter 
schlafen , sondern kann auch heißen, „latente Traumgedanken ermitteln und 
mit . ihnen dem Patienten sein wirkliches gegenwärtiges Verhalten und dessen 
Absichten zeigen“. Latente Traumgedanken aber kann man nicht ermitteln, 
ohne zu den Elementen des manifesten Traumes assoziieren zu lassen. 
Assoziiert der Patient nicht, so wird man den Versuch aufgeben und diesen 
Widerstand zu erfassen trachten. Assoziiert er aber, so ist damit nicht unbe- 

s f Rats chlage für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung. Ges. Sehr., Bd. VI, 








































Zur Theorie der psychoanalytischen Technik 85 


dingt seine Aufmerksamkeit in verhängnisvoller Weise von der Behandlung 
seines augenblicklichen charakterlichen Verhaltens abgelenkt, sondern es muß 
möglich sein, diese seine Assoziationen dazu zu benutzen, um ihn gerade dahin 
zu lenken. 

Ich nannte diese beiden Einwände „kleinere Einwände“, weil sie nicht die 
Reich sehen Prinzipien angreifen, sondern sie lediglich relativieren. Es kommt 
jetzt darauf an, wie diese Prinzipien angewendet werden. Das wird bei jedem 
Falle wechseln, insbesondere aber auch je nach der Persönlichkeit des 
Analytikers verschieden sein. Trotz Reichs Beteuerungen, daß diese 
Gefahr nicht bestehe, meine ich, daß die „Zertrümmerung des Panzers“ 
in einer recht aggressiven Weise betrieben werden könnte, daß aber 
sowohl die Aggression bei dieser Zertrümmerung als auch der Zusam¬ 
menbruch als dessen Folge dosiert werden können, ja, daß es eben Aufgabe 
des Arztes ist, diese Prozedur für den Patienten so wenig unlustvoll wie mög¬ 
lich zu machen. — Das erste, worüber man sich klar werden muß, ist, daß die 
Art des konsequenten Anpackens der Charaktereigenheiten den Narzißmus des 
Patienten in einem weit höheren Maße verletzt als jede andere Art von ana¬ 
lytischer Technik. Nicht nur das Ausmaß, in dem Patienten solche Ver¬ 
letzungen vertragen, sondern auch das, in dem Analytiker solche Verletzungen 
zufügen können und sollen, variiert. Vor „Krisen“ brauchen wir Analytiker 
uns prinzipiell gewiß nicht zu fürchten (auch der Chirurg fürchtet nicht das 
Blut, wenn er schneidet), aber deshalb müssen solche „Krisen“ auch nicht in 
jedem Falle vom Analytiker angestrebt werden. Ich meine, daß im Gegenteil 
die Allmählichkeit des Abbaues des bisherigen insuffizienten neurotischen 
Gleichgewichts unser Ziel zu sein hat. Wir kennen den Widerstand mancher 
Patienten, die sich nach einem „Trauma“ sehnen und die Heilung statt von 
einer schwierigen Analyse von einer plötzlichen magisch wirkenden Explosion 
erwarten. Es gibt auch ein analoges Verlangen nach einem Trauma auf Seite 
des Analytikers. Man hüte sich davor! 

Die Überzeugung, mit der konsequenten Bearbeitung des Charakter¬ 
widerstandes, und nur damit, auf dem richtigen Wege zu sein, kann dazu ver¬ 
führen, zu übersehen, daß auch das Erleben gerade dieser Art von Analysen 
für den Patienten selbst zu einem Übertragungswiderstand werden kann, 
der dann natürlich noch „oberflächlicher“ ist als der „Charakterwiderstand“, 
und zuerst behandelt werden muß: Ein Patient, der in Angst vor dem Erleben 
der eigenen sexuellen Erregung aus seiner aktiven Männlichkeit auf einem ge¬ 
wissen Punkte der Erregungshöhe immer wieder in eine rezeptive Oralität 
verfiel — „hier wage ich mich nicht weiter, nun tu du es mir“ —, hatte die 
„Aktivität", mit der der Analytiker seinen jeweiligen „Haltungen“ usw. nach¬ 
ging, als Erfüllung dieser seiner rezeptiven Sehnsucht erlebt und genossen, 
ohne daß der Analytiker es gemerkt hatte. — Die Neurose einer Patientin 
hatte den Aufstand gegen ihren Vater zum unbewußten Inhalt, der ihr wäh- 












Otto Fenichel 


rend der ganzen Kindheit ihre Eigenschaften vorgehalten und sie nachgeahmt 
hatte. Der Versuch, hier mit „konsequenter Haltungsanalyse“, die in diesem 
Falle durchaus notwendig wurde, zu beginnen, hätte zum sofortigen Ab¬ 
bruch der Analyse geführt. 

III. 

Die Arbeit von Kaiser „Probleme der Technik", 10 stimmt in vielen 
Punkten mit den Reichschen Auffassungen überein, so daß die bisher ge¬ 
äußerten zustimmenden und kritischen Bemerkungen zum größeren Teile 
auch für sie gelten. Auch in einigen Einwänden, die Kaiser gegen Reich 
erhebt, pflichte ich Kaiser bei; etwa bezüglich der Unmöglichkeit, die Cha¬ 
rakteranalyse, wenn sie die richtige Technik sei, den Anfängern zu wider¬ 
raten. 

Kaiser aber geht weiter und sagt: Eine Analyse muß ganz ohne „Inhalts¬ 
deutungen“ durchgeführt werden. Dieser Satz scheint mir verhängnisvoll. 
Kaiser meint an einer Stelle, der Unterschied sei nicht gar so groß, ob man 
nach eingehender Warnung vor „zu frühen“ oder „zu tiefen“ Deutungen eine 
„Inhaltsdeutung“ zum Schlüsse noch zulasse, oder gar nicht. Der Unterschied 
ist aber sehr groß, wenn man dies „am Schlüsse“ richtig kommentiert. Wir 
müssen zu diesem Zwecke die Theorie der „Inhaltsdeutung“ diskutieren. 

Kaiser hält eine „Inhaltsdeutung“ für der Einsicht widersprechend, daß 
die analytische Arbeit in der Beseitigung der Widerstände und nicht etwa in 
einer Verstärkung der unbewußten Triebe zu bestehen habe. Wenn wir nur 
an den Widerständen zu arbeiten haben, so haben wir, meint er, nichts 
anderes zu deuten als die Widerstände. Trete das Verdrängte nach 
Deutung der Widerstände nicht in Erscheinung, so sei es nicht zu ,,be¬ 
nennen“, sondern es sei dies ein Beweis dafür, daß die Widerstandsdeutung 
nicht geglückt sei, daß sie nicht differenziert genug gewesen sei. Er leugnet 
zwar nicht, daß unter Umständen auch „Inhaltsdeutungen“ Verdrängungen 
auf heben können, meint aber, das theoretisch nicht anders als über einen Um¬ 
weg erklären zu können, dergestalt, daß ohne Wissen und Willen des Ana¬ 
lytikers auch eine solche Deutung die Aufmerksamkeit des Patienten auf „Wi¬ 
derstandsgedanken“ richten könne, die durch diese Aufmerksamkeitsverände¬ 
rung korrigiert werden. Daß es auch so zugehen könne, daß eine „Erwartungs¬ 
vorstellung“ wirke, oder richtiger, daß eine Deutung wirken könne wie der 
Hinweis eines Histologielehrers auf das, was der Schüler im Mikroskop zu 
sehen bekommt, dessen auf das mikroskopische Sehen noch nicht eingestelltes 
Auge ohne solchen Hinweis nichts sehen kann — also die wirkliche Freudsche 
Ansicht über das Wesen der Deutung —, leugnet er; er hält es für ausge¬ 
schlossen (obwohl auch seine „Widerstandsanalyse“ in nichts anderem besteht 
als darin, daß der Patient auf etwas Vorhandenes, das seiner Aufmerksamkeit 
bisher entgangen ist, aufmerksam gemacht wird), und zwar begründet er dies 
io) Kaiser: Probleme der Technik. Int. Ztschr. f. Psa., XX, 1934. 
































Zur Theorie der psychoanalytischen Technik 87 


folgendermaßen: „Ein verdrängter Impuls ist weder im System W-Bw noch im 
System Vbw. Auch die exakteste und zutreffendste Erwartungsvorstellung, die 
wir einem Suchenden geben, kann ihm die Suche nicht erleichtern, solange er 
in einem Raume sucht, in dem sich der gesuchte Gegenstand nicht befindet, 
und in sein Unbewußtes kann der Patient nicht hineinschauen.“ 

Diese Argumentation fällt in sich zusammen, wenn wir uns darauf be¬ 
sinnen, daß die „Inhaltsdeutung“ in Wahrheit nicht unbewußte Triebimpulse, 
sondern vor bewußte Abkömmlinge unbewußter Triebimpulse benennt. 

Woraus bestehen denn die Inhalte des Bewußtseins und des Vorbewußten 
überhaupt? Zunächst aus den Wahrnehmungen (und ihren Gefühlsbegleit¬ 
erscheinungen), sodann aus den „Erinnerungsspuren“ (Vorstellungen usw.), die 
durch neue Wahrnehmungen mobilisiert werden, und zwar je nach der augen¬ 
blicklichen Trieberregung verschieden — also aus Triebimpulsen. Die Ab¬ 
wehr von Impulsen besteht darin, daß sie, bzw. ihre unentstellten Vorstellungs¬ 
repräsentanten von den tiefen Schichten des Ichs durch Gegenbesetzungen der 
verschiedensten Art in ihrem Streben zum Bw hin aufgehalten werden. Die 
Gegenbesetzung schafft eine Barriere vor dem Vbw. Der Abwehrkampf er¬ 
fordert einen Daueraufwand. Der abgewehrte Impuls produziert dauernd 
Ersatzbildungen, d. h. er benutzt andere Vorstellungen (Impulse), die zum 
Bewußtsein durchbrechen, mit denen er in assoziativer Verbindung steht, um 
seine Energien mit abzuführen. Er verstärkt an sich harmlose Vbw-Ge- 
bilde, sie so zu jenen von Freud behandelten „Mischgebilden“ zwischen Vbw 
und Ubw gestaltend, gegen die — als gegen Abkömmlinge des Verdrängten 
— sich die Abwehrtendenz des Ichs noch ebenso richten kann wie gegen den 
eigentlichen unbewußten Impuls. 11 Das Schicksal dieser Abkömmlinge, d. h. 
der Umstand, ob sie bewußt oder ebenfalls verdrängt werden, hängt von sehr 
verschiedenen Faktoren ab; nämlich von all denen, die auf die Dynamik und 
Ökonomik des Wechselspiels zwischen Trieb und Abwehr Einfluß nehmen. 
Im allgemeinen kann man sagen, daß das Bewußtwerden um so leichter er¬ 
folgt, je größer die Entstellung des Abkömmlings ist. Die analytische Kur 
kann als eine allgemeine Erziehung des Ichs zur Tolerierung immer weniger 
entstellter Abkömmlinge bezeichnet werden. 

Wir können nie und nimmer „Unbewußtes deuten“. Das versuchten 
St ekel und die Befolger seiner Methode, welche die Patienten „mit Deu¬ 
tungen anschießen“. Eine „zu frühe“ oder „zu tiefe“ Deutung, d. h. eine, 
du- ein Unbewußtes benennt und keinen vorbewußten „Abkömmling“, also 
etwas, was der Patient wirklich bei bestem Suchen nicht finden kann, ist 
keine. Die Anhänger der „Inhaltsdeutung“ — und damit Freud — deuten 
nicht verdrängte Triebe, sondern deren vorbewußte Abkömmlinge. Sie 
meinen bei der ewigen Verflechtung von Abwehr und Abgewehrtem auch 
gar nicht immer die ses benennen zu können, ohne daß jenes mitbenannt 
n)Freud: Das Unbewußte. Ges. Sehr., Bd. V, S. 50J. ~ 













88 


Otto Fenichel 


wäre. Auch die Details der Abwehr sind genau so wie die Details des Abge¬ 
wehrten dem Patienten unbewußt. Auch bei der „Deutung eines Widerstan¬ 
des“ kann man nur so viel mitteilen, als der Patient imstande ist, durch Selbst¬ 
beobachtung in sich zu entdecken. — Das ökonomisch Merkwürdige der ana¬ 
lytischen Deutung besteht aber darin, daß man, deute man nun einen Wider¬ 
stand oder einen Abkömmling des Verdrängten, doch nicht nur das deutet, 
was vom Abgewehrten schon ins Vorbewußte gedrungen ist, sondern gerade 
um ein kleines Etwas mehr, das der Analytiker schon spürt, der 
Patient aber noch nicht. Wie geht es zu, daß durch solche Deutung gerade 
so ein kleines Etwas tatsächlich durchbricht? Natürlich hat auch solche 
Maßnahme nicht die „Besetzung des Verdrängten“ erhöht, sondern die „Ge¬ 
genbesetzung des Widerstandes“ geschwächt. Wahr bleibt, daß man nichts 
anderes tun kann als Widerstand brechen. Aber man kann das auf verschie¬ 
denerlei Weise, und das „Benennen“, auch mit dem „Andeutungsverfahren“, 
scheint uns die via regia dazu. Freilich hat dieses Benennen an richtiger Stelle 
und in richtiger Weise zu erfolgen. Wo ist diese Stelle, wie ist diese Weise, 
und wodurch wirkt diese Benennung? 

Überlegen wir, um das zu verstehen, erst einmal die Theorie der Grund¬ 
regel. Was wollen wir mit ihr erreichen? — In jedem Menschen spielt sich der 
unausgesetzte Kampf ab zwischen Triebimpulsen, die zu Bewußtsein und Mo¬ 
tilität drängen, und den Kräften des Ichs, die unzeitgemäße Triebforderungen 
zurückweisen und, geleitet von Zielvorstellungen, nur das zulassen, was zur 
gegenwärtigen Handlung oder Rede gehört. Mit der Grundregel wollen wir 
zunächst diese tausenderlei „Widerstände“ des Alltags, die sonst das Leben 
und die Verständigung überhaupt erst möglich machen, ausschalten. Gelänge 
es wirklich, alle „Zielvorstellungen“ auszuschalten und die Aufmerksamkeit 
nur darauf zu konzentrieren, das, was von selber auftaucht, zu konstatieren, 
so bekämen wir auch damit noch nicht das Verdrängte zu sehen. Es wären 
zwar die meisten „Widerstände“ aufgehoben, aber gerade die der Intensität 
nach stärksten, die Verdrängungswiderstände, nicht, denn diese sind per de- 
initionem gerade solche, die dem bewußten Willen des Ichs nicht zugänglich 
sind. Wir sehen also die Folgen des Kampfes zwischen unbewußten 
Impulsen und unbewußten Abwehren der tiefen Schichten des Ichs. Was 
tun wir dann? Wenn wir dem Patienten „Widerstände deuten“, gleich¬ 
gültig ob dadurch, daß wir bestimmte „Widerstandsgedanken ins Licht seiner 
Aufmerksamkeit rücken“, oder daß wir ihm vorerst nur mitteilen können, 
daß etwas in ihm sich etwa gegen die Einhaltung der Grundregel oder über¬ 
haupt gegen die Interessen der Analyse sträube, so ist das immer eine Auf¬ 
forderung an den Patienten, etwas in sich zu entdecken, genau so, wie es 
der Histologielehrer macht. Führt der Hinweis „Sie haben einen Widerstand“ 
(der natürlich nicht mit diesen Worten gegeben wird) dazu, daß der Patient, 
der es bis dahin nicht wußte, merkt, daß sich tatsächlich etwas in ihm gegen 













































,. . t sträubt, so haben wir eine wirkungsvolle Deutung gegeben; wes- 

r 1 !. m i r eine solche Feststellung dem Patienten gegenüber keineswegs immer 
O lächerlich erscheint, wie von manchen modernen Technik-Diskutanten be¬ 
hauptet wird. Es kommt nur darauf an, daß dieser Hinweis so gegeben wird, 
daß er nicht ein Vorwurf gegen den Patienten ist, sondern eine Hinlenkung 
.einer Aufmerksamkeit auf ein Vorbewußtes, das er bisher nicht merkte (und 
f ein Etwas mehr“)- E>as Ich, das im Widerstand ist, sträubt sich aber, 
solch^Hinweise auf die wahre Natur vorbewußter „Abkömmlinge“ anzu¬ 
nehmen Das meint Freud, wenn er sagt, daß die tägliche Arbeit uns unaus¬ 
gesetzt den Beweis liefere, daß außer der Hauptzensur zwischen Ubw und 
Ybw auch noch eine zweite Zensur zwischen Vbw und Bw bestehe. Wir 
kämpfen zunächst nur gegen diese zweite Zensur. Wir haben dazu 
verschiedene Mittel. Es sind dieselben Mittel, die Menschen überhaupt zur 
Verfügung stehen, um andere Menschen dazu zu bewegen, etwas Unange¬ 
nehm« zu tun: nämlich erstens, sie zu überzeugen, daß das Unangenehme 
nützlich sei (der Patient will Heilung und der Arzt erklärt ihm, daß dies 
zur Heilung notwendig sei); zweitens, die libidinösen Bindungen an den For- 
dernden zu benutzen („zärtliche Übertragung“). Mit Recht schrieb Freud 
in den „Vorlesungen“, daß wir alle Mittel der Suggestion (denn das ist nichts 
anderes als „Benutzen der libidinösen Bindung“) dazu benützen, den Patienten 
zu bewegen, „Abkömmlinge“ zu produzieren und zu erkennen. 12 — Das ab¬ 
wehrende Ich, das, in seiner Realitätsfunktion eingeschränkt, selbst nicht be¬ 
merken kann, was vor sich geht, seine „Aufmerksamkeit nicht darauf 
..richtet“, ist in der Regel durch einen „sekundären Gewinn“, durch 
eine Art „Prämie“, die es dafür erhält, „bestochen“, sich so zu verhalten. 13 
Wir müssen dann zunächst diese Prämien aufzudecken suchen. Können wir 
das nicht, so müssen wir wenigstens die Tatsache des mangelhaften Funktio- 
nierens der Realitätsfunktion des Ichs erleben lassen. (Das ist das „die Aufmerk¬ 
samkeit auf die Widerstandsgedanken lenken“.) Wie das vor sich geht, näm¬ 
lich durch ein Distanzieren eines beobachtenden Teils des Ichs von dem er¬ 
lebenden Teil, wobei ersterer den erlebenden Teil als irrationell verurteilen 
kann, und daß und wie aus dieser Verurteilung eine Änderung der Dynamik 
der Abwehr entsteht, scheint mir am besten in der Arbeit von St erb a „Zur 
Dynamik der Bewältigung des Ubertragungswiderstandes“ 14 ausgeführt. Ich 
gebe Kaiser gern darin recht, daß diese Distanzierung und dieses Aufmerk- 
sammachen besser geleistet werden kann, wenn man immer noch schärfer und 
genauer die bewußten Abwehrhaltungen in allen Details zu studieren erlernt 
hat. Aber cs muß ja doch dazu kommen, mit den wieder zugänglich ge¬ 
machten Erlebnissen der abwehrenden Angst die Aufmerksamkeit des Patien- 


12) Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Ges. Sehr., Bd. VII, S. 469. 

13) Rado: Eine ängstliche Mutter. Int. Ztschr. f. Psa., XIII, 1927. 

14) Int. Ztschr. f. Psa., XV, 1929. 















9 » 


Otto Fenichel 


ten auch auf die allmählich durch Abkömmlinge ins Bewußtsein tretenden 
Angstinhalte zu lenken. Diese aber stammen aus alter Zeit und sind nicht 
mehr vom Abgewehrten zu trennen. Das Benennen der Abkömmlinge auch 
des Abgewehrten an der richtigen Stelle, d. h. dort, wo dieses Benennen 
dazu führt, daß der Patient sie auch wirklich in sich auffinden kann, läßt dann, 
durch das Zusammenklingen der äußeren Wahrnehmung mit den in statu 
nascendi befindlichen neuen vorbewußten Abkömmlingen den Widerstand 
aufheben und diese Abkömmlinge ins Bewußtsein treten. Das „Etwas", das 
wir noch hinzufügen, wird durch dieses Zusammenklingen mit ins Bewußt¬ 
sein gerissen. 

Wir hätten Inhaltsdeutungen erst „zum Schluß“ zu geben, heißt also, meine 
ich, nichts anderes als: Wir dürfen sie nicht geben, solange der Patient ihre 
Repräsentanten im Vorbewußten noch nicht entdecken kann, weil vorge¬ 
lagerte Widerstände ihr Eintreten in das Vorbewußtsein verhindern. Ich kann 
mich nicht überzeugen, daß die Deutung, die Kaiser anführt: „Sehen Sie 
sich das mal genau an, wie Sie sich mir gegenüber verhalten,... kann man 
das anders auffassen als so, daß Sie in Wirklichkeit einen Zorn auf mich 
haben...?“ so prinzipiell falsch ist, wie er meint. Er begründet diese 
Meinung folgendermaßen: Was auf eine solche Deutung hin ins Be¬ 
wußtsein kommt, ist nicht der abgewehrte Affekt, den wir suchen, sondern 
seine „Verharmlosung“, etwas, worüber man ruhig denken und reden kann. 
Statt des Erlebnisses des Affektes vermittle solche Deutung das Erlebnis einer 
Beruhigung, die dem Affekt ihren wahren Ernst nimmt, und die deshalb ein 
Widerstand ist. Kein Zweifel: das kann so sein. Ist das der Fall, so ist das ein 
»vorgelagerter Widerstand“, der als solcher wieder erkannt und gedeutet wer¬ 
den muß. Es ist mir aber unverständlich, warum dies stets oder auch 
nur häufiger der Fall sein sollte. Es ist keineswegs so, daß eine „Beruhigung“ 
immer diese Widerstandsbedeutung haben muß. Eine gewisse „Distan¬ 
zierung“ vom Affekt — in der mitklingt: „Hier kann ich mir ja er¬ 
lauben, alle Affekte kommen zu lassen, denn ich tue es ja nur probeweise 
und meine eigentlich gar nicht den Analytiker, gegen den ich meinen Affekt 
auftauchen spüre“ — muß keineswegs den Unernst des gesamten entdeckten 
Affektes bedeuten, sondern kann die Toleranz des Ichs erhöhen und dadurch 
das Entdecken des Vorhandenseins sehr ernsthafter Affekte durchaus er¬ 
leichtern. Ich meine, an dieser Stelle macht sich Kaiser einer Unter¬ 
schätzung der Ratio schuldig. Er warnt mit Recht vor analytischen 
Pseudodeutungen, die den Patienten etwa dasselbe bieten wie die Lektüre 
der Freudschen Schriften, dynamisch unwirksames Wissen. Aber er über¬ 
treibt diese Sorge, wenn er ihretwegen ablehnt, die Ratio in der Selbstbeob¬ 
achtung zu benutzen. Man kann durchaus wirksame Entdeckungen in sich 
selber machen, und zwar durchaus Entdeckungen, die an der Realität und 
affektiven Lebhaftigkeit des Entdeckten keinen Zweifel lassen, ohne sie 




































, , tehalb wirklich im Augenblick nurleben zu wollen. Hier müßte 

doch J ‘.. h( , r das Wesen des „Agierens" gesagt werden. Es ist als Mittel 
ein,g ^ s I , i-p n ntnis des Patienten oft zu begrüßen und manchmal un- 
dcr ^ C .. , e £ ist a ber auch, wenn ihm nicht eine genügende analytische 
C n r httkunV auf dem Fuße folgt, eine große Gefahr und ein Widerstand. 

W-.Vdererleben“ von Affekten ohne entsprechende Djstanzierung des 
D f* ” J en Ic bs ist mindestens ebenso gefährlich wie jene Isolierung, 

ÄSÄ t Bekenntnis“ des Affektes durch das beurteilende Ich 

S ltdB Im Augenblick „ntweckmäßig, als übertragen“) erleb, 
werden: dazu brauchen sie aber nicht ausgeleb, zu werden, sondern es geling, 
I uiig. ihr Erleben SÜU, ms*mH der intellektudlen Beurteilung zu unter- 
werten. Ja, ich meine geradezu, es sei das eigentliche Ziel der analytischen 
Deutung, daß dies gelinge: „mit Affekt erinnern, und das Erinnerte als in der 

Gegenwart wirklich wirksam erkennen • . 

nir Differenz muß sich also irgendwie auf das beziehen, was Kaiser den 
..echten Triebdurchbruch“ nennt. Daß der Patient affektvoll Neuentdeckun- 
’’ cn 0 d er richtiger Wiederentdeckungen, in sich machen muß, ist kein Zweifel. 
Übermitteln von „Wissen über das Unbewußte“ ist keine Analyse. Aber muß 
die Ausschaltung des urteilenden Ichs dabei so weit gehen, wie es Kaiser ver- 
langt, wenn er als charakteristisches Beispiel für das, was er anstrebt, mitteilt: 
*l3ald redet er den Analytiker mit dem Namen einer Persönlichkeit aus der 
Vergangenheit an...“? Ist hier nicht etwas von der früher erwähnten „Trauma¬ 
sehnsucht“ des Analytikers zwischen den Zeilen zu lesen? Ich meine das, und 
ich meine es, obwohl Kaiser selbst an anderer Stelle vor sogenannten „Schein¬ 
durchbrüchen“ warnt und genau weiß, daß die Aufgabe nicht darin besteht, 
daß Unbewußtes hervorgelockt werde, sondern daß das Ich das erkannte Un¬ 
bewußte verarbeite. Deshalb hat es ja auch keinen Sinn, unbewußte Triebe 
zu deuten, wenn kein bearbeitungsfähiges Ich vorhanden ist; in einem solchen 
Falle muß erst ein solches Ich hergestellt werden. Alle „Scheindurchbrüche“ 
sind deshalb, wie alle „Aktion“ überhaupt, sobald es nur wieder möglich ist, 
sich mit dem Patienten vernünftig auseinanderzusetzen, als Erscheinungen des 
Widerstands zu entlarven. Kaiser meint, daß der Satz Freuds, den er an- 
führt, um das Gelungensein eines analytischen Eingriffs zu demonstrieren, 

.so erzählt der Kranke oft ohne alle Mühe...“ nicht dafür spreche, „daß 

hier das Phänomen des echten Triebdurchbruches angedeutet werden soll“. Ich 
meine doch, daß gerade dies angedeutet werden soll; oder sagen wir vielleicht 
richtiger: nicht das Phänomen eines „Triebdurchbruchs“, sondern das einer 
wirklichen Aufhebung von Verdrängungen, indem der Patient Impulse und 
Affekte, die ihm bis dahin verschlossen waren, nunmehr erkennt, und sie be¬ 
urteilen und beherrschen kann. Die Allmählichkeit der Vergrößerung des Um¬ 
fanges der zugelassenen „Abkömmlinge“ bei ständiger Deutung derselben „von 











92 


Otto Fenichel 


der Ich-Seite her“ und die damit einhergehende allmähliche Machterweiterung 
des Ichs scheint mir Kaiser zugunsten einer „traumatischen“ Auffassung zu 
unterschätzen, wenn er schreibt: „Tatsache ist jedenfalls, daß Veränderungen 
des Patienten, die als Fortschritte in der Richtung auf eine wirkliche Heilung 
aufgefaßt werden können, nur nach dem Auftreten von Phänomenen der ge¬ 
schilderten Art“, nämlich mehrminder traumatischer „Triebdurchbrüche“, „zu 
beobachten sind“. Daß Kaiser, wenn er „scheinbar mit gutem Effekt Inhalts¬ 
deutungen gegeben“ hat, „nie annähernd so intensive Triebdurchbrüche er¬ 
zielen konnte“, wie wenn er „auf jede Inhaltsdeutung verzichtet hatte“, scheint 
mir demnach noch kein Beweis dafür, daß jener gute Effekt nur „scheinbar“ 
gewesen ist. Kaiser meint, daß therapeutisch nichts gewonnen wäre, wenn man 
einen Patienten sich davon überzeugen läßt, daß ein krimineller Impuls in ihm 
tätig sei, sondern er müsse diesen Impuls verspüren, so verspüren, daß er ihn 
ganz bewußt unterdrücken müsse, um nicht kriminell zu werden. Wir da¬ 
gegen meinen, es genüge, wenn er ihn so weit verspüre, daß er an seiner ur¬ 
sprünglichen Realität keinen Zweifel hat. Die Aktualität kann aber im Moment 
des Verspürens von solcher Selbstverständlichkeit sein, daß es keiner beson¬ 
deren Unterdrückung bedarf, um kriminelle Handlungen zu vermeiden. 

Auch Kaisers Kritik des „Deutungs-“ und „Andeutungsverfahrens“ kann 
ich nicht beistimmen. Es hat meinem Gefühl nach keineswegs etwas Künst¬ 
liches an sich, wenn der Analytiker, der dem Patienten etwas demonstrieren 
will, dies nicht einfach behauptet, sondern ihm das Beweismaterial so nahe¬ 
legt, daß er selbst den betreffenden Schluß ziehen muß. Antwortet der 
Patient darauf mit einem: „Aha, Sie meinen jetzt wieder, daß ...“, so ist das 
ein Widerstand für sich, der analysiert werden muß, dessen Möglichkeit aber 
nicht hinreicht, das „Deutungs-“ und das „Andeutungsverfahren“ überhaupt 
zu verwerfen. — Die Behauptung „der therapeutische Effekt wird ungefähr 
gleich Null sein“, widerspricht durchaus meinen Erfahrungen. Wohl gibt es ein 
Erschließen von Affekten, welches das Gegenteil des Erlebens ist. Aber es gibt auch 
ein Erschließen, welches das Erleben herbeiführt, sogar mit einer bestimmten 
Art des Erlebens identisch ist. Gibt das „Andeutungsverfahren“ dem Patien¬ 
ten die Möglichkeit, den Affekt neuerlich so abzuwehren, wie Kaiser das 
beschreibt, so muß man das erkennen und darf nicht auf solche Weise deuten, 
bevor dieser Widerstand behoben ist. Es gibt aber auch eine „Distanzierung“ 
vom Affekt, die mir im Gegensatz zu Kaiser gerade anstrebenswert scheint. 
Das urteilende Ich des Patienten soll sich von seinem Affekt distan¬ 
zieren, soll ihn als unzeitgemäß erkennen und soll seine Herkunft 
ebenfalls „affektiv erinnern“. Ein „Affektdurchbruch“ ohne solche „Distan¬ 
zierung“ ist, wie Freud einmal mit Recht gesagt hat, „ein glattes 
Malheur“. Die Bemerkung von Kaiser, „nach dem ,echten Triebdurch¬ 
bruch* bleibt dem Analytiker tatsächlich nichts im Sinne einer Er¬ 
klärung oder Erläuterung der vom Patienten geäußerten Inhalte hinzu- 




































Zur 


Theorie der psychoanalytischen Technik 


« i j pn Verdacht nahe, daß er tatsächlich gerade dieses „Malheur“ 
zufügen*, legt ^ daß er das „Durcharbeiten“ vernachlässigt und seine 

nicht a . SO S ° die wirk H c he Aufhebung der Verdrängungen nicht ver- 

wesenthche Rolle Ana i yse _ eine Art „Neokatharsis“ anstrebt. Das 

steht, und so ^ sta licher Bestan dteil der psychoanalytischen Arbeit 

„Durcharbeiten ist e ^ emmal Gefundene an zahlreichen Stellen 

und besteht ar “J’ * b ; der Widerstandsanalyse, jede einzelne der zahl- 
wieder entdeckt, daß, etwa bei ^ und zwar gerade dadurch, 

reichen W ^ erSt ^ ^^^^dspositionen Gemeinsame unterstreicht, indem 
daß man das a dnes e f n zigen Kerns entlarvt. Die in Frage stehende 

man sie _ ebenso wie ein in der Analyse entdeckter unbewußter 

Ha tung ist & J^denen einzelnen Vorstellungskomplexen reprä- 
Tnebanspruch de Unterhöhlung dieser Komplexe ist nichts 

sentiert, und Trauerarbe it leistet, da auch die Vorstellung des vom 

anderes als da , ohiekts in vielen Verbindungsvorstellungen repra- 

eine KO.U.MWL gegen Jede J*lUr 
au, den Forderung „ach dem „von der jewed.gen 
Oberfläche ausgehen“: „Diese Konsequenz braucht nur der nicht zu ziehen, 
der auch die von dem Patienten in der jeweiligen Analysenstunde vorgetragenen 
.Inhalte“ mit zur Oberfläche rechnet. Eine solche Auffassung des Begn es 
Oberfläche“ erscheint aber äußerst unpsychologisch. Gesetzt den Fall, ein 
Patient erzähle, beherrscht von einer Tendenz, den Analytiker ungeduldig 
zu machen, ein Erlebnis aus seinem vierten Lebensjahr auf eine affektlos-lang 
weilige Manier, so gehört eben nur die affektlos-langweilige Darstellungsart 
zur Oberfläche, nicht der Inhalt der Erzählung.“ Sehr wohl; wenn aber der 
Patient nach vorgeschrittener Analyse mit entsprechendem Affekt ein Erleb¬ 
nis aus seinem vierten Lebensjahr erzählt, so kann der Inhalt dieser Erzählung 
auch zur Oberfläche gehören. Und wenn er ein Detail aus diesem Erlebnis 
nicht richtig beurteilt, während die richtige Beurteilung zum Verständnis etwa 
einer gegenwärtigen Haltung führen könnte, so daß deren Benennung den 
Patienten betroffen macht, so gehört der Inhalt zur Oberfläche. 

Dieser Unterschätzung der Ratio, die Kaiser also auch an den beiden 
Stellen nicht benutzen will, wo dies legitim ist: nämlich dazu, dem Patienten 
gewisse Erlebnisse zugänglich zu machen, und dazu, die Affekte beurteilen 
und den Patienten sich in der richtigen Weise von ihnen distanzieren zu 
lassen — steht an anderer Stelle bei Kaiser eine Überschätzung der 
Ratio gegenüber. „Widerstand deuten“ ist für ihn identisch mit „Hinweisen 
auf die Widerstandsgedanken“. Aber mit diesem (gewiß nötigen) Hinweis 
ist der Widerstand noch nicht gedeutet, wenn der Patient nicht auch er¬ 
fassen kann, warum seine Aufmerksamkeit von fehlerhaften Gedanken 
abgelenkt war — nämlich, weil er Angst hatte —, wovor er Angst hatte, 
15) Siehe Freud: Trauer und Melancholie. Ges. Sehr., Bd. V. 














94 


Otto Fenichel 


wann und wie er diese Angst erwarb. Der Hinweis auf fehlerhafte Ge¬ 
danken bedingt noch nicht die Korrektur, solange die Ursache nicht behoben 
ist, die den Patienten fehlerhaft hat denken lassen. Die Reduzierung der Cha¬ 
rakterwiderstände auf „Denkfehler“ ist das beste Beispiel für diese Über¬ 
schätzung des Rationalen bei der Deutungsarbeit. Dies wird auch besonders 
deutlich, wo Kaiser „Zwang“ und „Rationalisierung“ gleichsetzt. Denn das 
falsche Denken des Zwangsneurotikers ist nicht die Folge davon, daß das Ich 
durch irgendwelche Kräfte vom Denkakt „abgelenkt“ wird, woran das Auf¬ 
merksammachen auf die Falschheit des Gedachten irgend etwas ändern könnte, 
sondern der Kranke wollte vor ihm unangenehmen Trieben in das triebferne 
Denken flüchten, aber das Abgewehrte brach in die Abwehr ein, die Denk¬ 
funktion selbst wurde „sexualisiert“ und ist dadurch krank und schief gewor¬ 
den. — Auch das Wesen des „Ubertragungswiderstandes“ scheint mir bei 
Kaiser nicht richtig wiedergegeben. Die Übertragung wird nicht nur durch 
ihre „Rationalisierungen“ zum Widerstand, sondern überhaupt durch die 
Tatsache, daß ihr Übertragungscharakter nicht bewußt ist. Die Tendenz, einen 
verdrängten Trieb an einem Ersatzobjekt zu befriedigen, ist an und für sich 
ein Kompromiß zwischen dem Trieb, der sich befriedigen will, und einem 
Widerstand, der nicht an das eigentliche Objekt herankommen läßt. In der 
analytischen Kur wird daher die Übertragung (abgesehen von jener positiven 
zärtlichen Form, die zunächst das Überwinden anderer Widerstände er¬ 
leichtert) prinzipiell zum Widerstand und muß als solche erkannt und durch¬ 
gearbeitet werden. 

Noch entspricht, was Kaiser macht, den Prinzipien der Freudschen Ana¬ 
lyse, und er stellt vielfach Fehler, die von anderen Analytikern durch nicht 
genügende Beachtung des dynamisch-ökonomischen Momentes begangen wur¬ 
den, richtig. Aber seine Arbeit übertreibt in der Verteilung der Ak¬ 
zente und enthält latent eine Gefahr, die bei weiterer solcher Be¬ 
tonung manifest werden könnte: das für die Psychoanalyse Freuds ausschlag¬ 
gebende Moment, das Unbewußte und seine spezifischen Eigenschaften werden 
vernachlässigt. — Die Geschichte der Analyse brachte es mit sich, daß wir das 
Unbewußte vor dem Bewußten, das Verdrängte vor dem Ich kennenlernten. 
Heute steht die Psychologie des Ichs im Mittelpunkt der Forschung. Alle jene 
feinen Differenzen im Bewußtsein der Menschen, die von den nichtanalyti¬ 
schen Schulen beachtet wurden, während die Psychoanalyse sie bisher vernach¬ 
lässigen mußte, rücken nunmehr auch in den Gesichtswinkel der Analyse. 
Zweifellos kann dadurch auch die analytische Technik — durch Verfeinerung 
der „Widerstandsdeutungen“ — viel gewinnen. (Man denke etwa daran, wie 
überzeugend es ist, wenn Kaiser immer mehr neben den Triebbedürfnissen des 
Es auch das Bedürfnis des Ichs, sein Selbstgefühlniveau zu halten, betont.) Aber 
man vergesse auch nicht, daß die vorangegangene Erforschung des Unbewu߬ 
ten den Psychoanalytiker instand setzt, die Phänomene des Ichs, die Differen- 












































~ ,.r Theorie der psychoanalytisc hen Technik 


, n ßt-cAins und die Phänomene des Selbstgefühls prinzipiell anders 
zcn dc [ e T d ; e an deren Schulen: Die Analyse muß auch diese Erscheinungen 
T'mntTndln aus dem Zusammenspiel von unbewußten, letzten Endes bto- 

logischen ne itcn widerst andsanalyse“ dem „Deutungsverfahren“ (und 

Kaiser V(M .r’hren“'> gegenüber. Es ist klar, was er dabei unter „Deu- 

dem ,,An f hren“ § meinf die von ihm verworfene „Inhaltsdeutung“, über die 
whTjett »enug diskutiert haben. Immerhin, es bleibt bestehen daß hier 
w,r J 3 ) l & c*u rPn “ steht Aber wer das Deutungsverfahren im 

überhaupt ™!f^ ieß S r d ‘ e n, mein« ich, könnte man nicht Ana- 

ftrüLT D»n wie die Mittel der Analyse Widers,andsüberwindung 
,‘nj Übertragungsbenutzung sind, so sind die Pnnz.pt«, m„ denen ... dtese 
Mittel in Gang setzt, Grundregel und Deutung. 












VORLÄUFIGE MITTEILUNGEN 

in dieser Rubrik erscheinen die Beiträge in der Reihenfolge ihres Einlaufes bei der Redaktion 


ZUR PSYCHOLOGIE DER HEUCHELEI 
Vortrag von Edmund Bergler, 

gehalten in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung am 9. Mai 1934 

Heuchelei ist ein Vorgang am Ich und stellt einen Spezialfall des Haderns 
des Ichs mit dem eigenen Uber-Ich dar, wobei dieser Kampf auf fremdem 
Boden, am zufälligen Objekt ausgetragen wird. Die Heuchelei des Erwachsenen hat 
mit dem Objekt der Heuchelei vorerst nichts zu tun, sie ist Ausdruck des Bürger¬ 
krieges innerhalb der einzelnen „Provinzen“ der Persönlichkeit des Heuchlers. Der 
Kampf geht um das Ausmaß der Aggression des Ichs, gegen die das Uber-Ich 
protestiert. Endlich gelingt es dem Ich, in ein ironisches ReverenzVerhältnis 
zu seinem eigenen Uber-Ich zu kommen. Der Endausgang des Kampfes, der durch 
die Aggression und den Narzißmus des Ich immer neue Nahrung erhält, ist der, daß 
eine Unterwerfung unter die Gebote des Uber-Ichs scheinbar gelingt, das Ich sich 
duckt, die Aggression teils auf das Objekt verschoben, teils in einen geheimen nar¬ 
zißtischen Lustgewinn verwandelt wird, der im Überlisten des Uber-Ichs besteht. Das 
Uber-Ich wird also mittels des spezifischen „Mechanismus der Heuchelei“ im 
eigenen Hause verhöhnt. Der Lustgewinn des Heuchlers ist ein vielfacher: 
ein doppelter von seiten der Aggression des Es, ein doppelter von seiten 
des Narzißmus des Ichs. Und zwar: Aggression dem Objekt gegenüber (kann 
bewußt oder unbewußt sein) und vor allem dem Uber-Ich gegenüber 
(immer unbewußt). Von seiten des Narzißmus: Überlistung des Objekts (kann 
bewußt oder unbewußt sein) und vor allem des Uber-Ichs (immer unbewußt). 
Der zentrale Vorgang bei der Heuchelei — Aggression und Überlistung des 
Uber-Ichs — ist demnach stets unbewußt. 

Die Aggressionsneigungen sind geschickt maskiert, die Verschiebung auf das Objekt 
gestattet das Festhalten der Fiktion, daß nicht das eigene Uber-Ich bekriegt wird. Bei dei 
Heuchelei ereignet sich demnach der Ausnahmefall, daß dasich dasUber-Ichtat- 
sächlich übertölpelt, und zwar unter der Maske der äußeren Gefügig¬ 
keit. Das Sonderbare des Vorgangs liegt darin, daß bei der Heuchelei das Uber-Ich 
Vogel-Strauß-Politik treibt, somit eine Rolle einnimmt, die normalster das Ich dem 
Uber-Ich gegenüber agiert. Diese Umkehrung der Beziehung Ich—Uber-Ich 
unter äußerlicher Aufrechterhaltung der Rollen hängt mit einer spezi¬ 
fischen Ich- und Uber-Ich-Entwicklung des Heuchlers zusammen, bezüglich deren 
und der vielen Spezialfälle auf die Publikation verwiesen werden muß. 

Ein experimenteller Nachweis für den geschilderten „Mechanismus der Heuchelei“ 
ist bei der „Akzeptierung“ einer Deutung in der psychoanalytischen Kur studierbar. 
Die Deutung wird vorerst abgelehnt, dann erst „heuchlerisch“ akzeptiert, um endlich 
nach Identifizierung mit dem Analytiker innerlich assimiliert zu werden. 

Unter Anwendung der in „Übertragung und Liebe“ von Jekels und Verf. 
skizzierten Anschauungen über die Entwicklung des Uber-Ichs (Imago 1934, H. 1) 

















































Vorläufige Mitteilungen 97 


läßt sich sagen, daß sich die Aggression des Ichs gegen das Ich-Ideal richtet. Die 
Heuchelei ist demnach den dort geschilderten Angriffstechniken des Ichs 
t£oen d as Ich-Ideal gleichzusetzen, die den Zweck verfolgen, dem Dämon das 
Quälinstrument des Ich-Ideals zu entwinden (z.B. Witz, Komödie, Manie, Liebe usw.). 
^ Die Bedeutung der Heuchelei als Aggression gegen das strenge Über-Ich (resp. gegen das 
Ich-Ideal als Waffe des Dämons) ist für den psychischen Haushalt hoch einzuschätzen, 
da sich viele Menschen innerlich der Über-Ich-Gebote bloß dadurch erwehren, daß 
sie ständig die Heuchelei von Autoritätspersonen als Über-Ich-Repräsentanten auf- 

zeigen. 

NEUROSEN IN VERBINDUNG MIT DEM MAGEN-DARMTRAKT 
Vortrag von E. Daniels, 

gehalten vor der American Psychoanalytic Association in New York am 29. Mai 1934 

Diese Arbeit berichtet über eine Form von psychiatrischer Behandlung jener Neur¬ 
osen, die somatische Symptome Vortäuschen oder mit einer somatischen Krankheit 
vereint auftreten; wir wählen als Ausgangspunkt gewöhnliche Symptome am Magen- 
Darmtrakt. 

Obgleich die Arbeit wesentlich eine klinische ist, bringt sie in ihrem ersten Teil 
die grundlegende Unterscheidung von drei Typen der Reaktionsart: 1. Die nar¬ 
zißtische oder psychosenhafte Reaktion, die mit Störungen der primären Ich-Funk- 
tionen verbunden auftritt, 2. Reaktionen, die mit Störungen des Sexualtriebs in 
engerer Verbindung stehen, einschließlich der Ubertragungs- und Psychoneurosen, 
und 3. Neurosen, die direkt ohne psychische Ausarbeitung in somatischen Symptomen 
zum Ausdruck kommen und dadurch die Versagung der Befriedigung für einen der 
beiden Grundtriebe anzeigen. 

Diese Formulierungen wurden am ganzen Material als nutzbringender Weg der 
Orientierung für die Behandlung auch dort angewandt, wo eine Analyse nicht mög¬ 
lich war. Alle Fälle wurden an dem Columbia-Medical Centre, N. Y. C., teils im 
Presbyterian Hospital, teils an der Vanderbilt-Clinic untersucht. 

1 )er erste Fall, ein junger Mann mit hypochondrischen Klagen, war der seelischen 
Therapie unzugänglich, bis diese mit Arzneiverwendung verbunden wurde. Man 
ging nach dem Prinzip vor, daß man die Realität der Symptome, welche sie für den 
Patienten dank ihrem wahnhaften Charakter hatten, akzeptieren und dieselbe für den 
nächsten Schritt zu ihrer endlichen Auflösung ausnützen mußte. —• In zwei Fällen 
von Erbrechen war das neurotische Symptom in weitem Ausmaß durch lebensbe- 
drohendeSituationen determiniert. In dem einen Fall durch einen geschiedenen Gangster- 
Ehegatten, in dem anderen Fall durch ein schweres körperliches Leiden. Das Symptom 
schwand rasch, als dem Patienten Gelegenheit zur Katharsis und zum Wiedergewin- 
ncn ^iner Sicherheit geboten wurde. Im Gegensatz zu diesen Fällen steht ein anderer 
11111 beständigem Schmerz im Abdomen: Hier war der ganze Sexualtrieb des Patienten 
in den Symptomen befriedigt; es hätte nur eine lang dauernde, ins Einzelne gehende 
Analyse von Erfolg sein können. 

Der Redner betont, daß es auch für die Behandlung von Wichtigkeit ist, die nar¬ 
zißtischen und die Ubertragungselemente zu unterscheiden. Zur Illustration erwähnt 
er Fälle von Ulcus pepticum, bei denen sich zwei Arten von Schmerz zeigen, von 

Int. Zeitschrift f. Psychoanalyse, XXI/i 


7 











98 


Vorläufige Mitteilungen 


denen der eine ausgesprochen ein Konversionssymptom war. Der letzte Kranke ist 
einer Reihe von Fällen von Kolitis mit Diarrhöe entnommen, an denen der Autor 
zeigt, wie die zugrunde liegende Neurose zu behandeln ist. 

Der Vortrag war zwar für Psychiater bestimmt, betonte aber auch die Wichtigkeit 
dieses Problems für den Praktiker und zeigt, wie sehr es not tut, auch ihnen die Er¬ 
fahrungen der Psychiater zugänglich zu machen. Dies gilt besonders dann, wenn 
eine offenkundige körperliche Krankheit mit Neurose verbunden ist. 

EIN FALL VON ESSENTIELLER HYPERTENSION 
Vortrag von Lewis B. Hill, Baltimore, 

gehalten vor der American Psychoanalytic Association in New York am 30. Mai 1934 

Im Laufe der analytischen Behandlung eines Patienten, in dessen Familie seit drei 
Generationen häufig Fälle von kardio-vaskulärer Erkrankung mit Hypertension Vor¬ 
kommen, gelang es, die essentielle Hypertension des Patienten auf eine Episode in 
seinem achten Lebensjahr zurückzuführen; er war damals streng bestraft worden, was 
er vollständig amnesiert hatte; auf das Aufdecken dieser Szene in der Analyse 
reagierte er mit heftigen Mordimpulsen und einer deutlichen vasomotorischen Stö¬ 
rung. Nach der Katharsis wurde der Blutdruck normal und ist es seit vier Jahren 
geblieben. — Der Fall soll zu Studien über die Ätiologie der essentiellen Hypertension 
und die Möglichkeit einer radikalen Therapie anregen. 

MÄRCHEN UND NEUROSEN 
Vortrag von Sandor Lorand, 

gehalten vor der American Psychoanalytic Association in New York am 30. Mai 1934 

Das intensive Studium eines Falles von Angsthysterie ließ erkennen, daß die Struk¬ 
tur der ganzen Neurose auf Märchenstoffen basierte. Angenehme und unangenehme 
Erinnerungen sowie Ängste der frühen Kindheit zentrierten sich um Märchen, die 
die Mutter dem Patienten bis zum 6 . und 7. Lebensjahr erzählt hatte. 

Seine nervösen Symptome und Ängste zur Zeit der Analyse gingen den Märchen¬ 
stoffen, die angenehm waren und dem Patienten in der Kindheit geholfen hatten, 
den Ödipuskonflikt zu lösen, parallel. In der Pubertät wurden dieselben Märchen zu 
Angstobjekten, die den Patienten in einer ständigen Panik hielten; das Ich verteidigte 
sich auf diese Weise gegen die drängenden sexuellen Wünsche. Im Laufe der Analyse 
entwickelte er eine Reihe von neuen Ängsten, die sich auf vergessene Märchen zu¬ 
rückführen ließen, die nun nach und nach aus der Verdrängung auftauchten. 

Es ließ sich auf Grund dieser Arbeit feststellen, daß Märchenstoffe sich nicht nur 
in den Träumen der Neurotiker finden, wie Freud ausgeführt hat, sondern daß sie auch 
sowohl in den Kinderneurosen aufzuweisen sind als auch in den Ängsten der Puber¬ 
tät verwendet werden können. Daran schließen sich einige allgemeine Bemerkungen 
über Märchen: welche Vor- und Nachteile das Erzählen von Märchen für Kinder 
möglicherweise haben könne; welche Bedeutung ihnen beim Jugendlichen, der gerne 
Märchen erzählt oder erfindet, als Abfuhr oder Befriedigung seiner Triebe zukommt; 
Art und Zeitpunkt sowie die Situationen, in welchen man Märchen erzählt, werden 
diskutiert* 

















































PARTIELLE SELBSTVERNICHTUNG: SELBSTVERSTÜMMELUNG 

Vortrag von Karl A. Menning er, 

■ehalten auf der Jahresversammlung der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung, 
iS. Mai bis i. Juni i934> New York 

* Der Autor stellt die Motive der „lokalisierten“ Selbstvernichtung denen des Suizids 
„,eich wie in einer früheren Arbeit (Psa. Aspects of Suicide, Int. Journal of Psa., 
Bd 14 Teil, Juli 1933) ausgeführt worden ist. Der Suizid repräsentiert den Sieg 
des Todes über das Leben unter aktiver Mithilfe der Persönlichkeit, die von starken 
unbewußten Motiven getrieben wird. Als Motive werden bezeichnet: der Wunsch zu 
töten der Wunsch getötet zu werden und der Wunsch zu sterben. Um die aggressiv¬ 
destruktiven Triebe (Wunsch zu töten) und die passiv-masochistischen Triebe 
(Wunsch getötet zu werden) zu befriedigen, ist es nicht unbedingt notwendig, daß 
der Tod der gesamten Persönlichkeit eintritt. Diese Komponenten können auch 
durch einen partiellen Suizid befriedigt werden, indem der Suizid zeitlich od<?r räum¬ 
lich abgeschwächt ist. (Zeitlich: Askese, Märtyrertum, langsames Verhungern. Raum- 
l’ch: Angriffe des Ichs auf einzelne Körperteile, die jedoch nicht genügen, um den 
Tod herbeizuführen.) Letztere Form, die als „lokaler“ Suizid oder partielle Selbstr 

Vernichtung bezeichnet wird, ist das Hauptthema des Vortrags. ;; 

Die klinischen Formen der partiellen Selbstvernichtung werden in vier Gruppen 
eingeteilt: 

1. „Unbeabsichtigte“ Selbstverstümmelung, wie sie bei Psychosen in bizarren, bei 
Neurosen in gewöhnlicheren Formen zu sehen ist, außerdem bei religiösen Zere¬ 
monien und sozialen Bräuchen; 

2. Simulieren; •. 1 • 

3. Zwang, sich einer oder mehreren Operationen zu unterziehen; 

4. Unfälle aus unbewußter Absicht, die lokale Beschädigung hervorrufen. 

Alle vier Formen haben folgendes gemeinsam: Ein Teil des Körpers wird verletzt, 
oder, unter teilweiser Beteiligung der übrigen Persönlichkeit, sogar vernichtet, indem 
aut diese Weise sowohl die Wünsche nach Selbstschonung als auch nach Selbstbe¬ 
strafung befriedigt werden. ! 

In diesem Vortrag wird die erste Gruppe, die Selbstverstümmelung, näher unter¬ 
sucht. Verschiedene psychotische Fälle von Selbstverstümmelung werden darge- 
stellt; unter anderem der einer jungen Mutter, die ihr Kind tötete, ins Staatshospital 
eingeliefert wurde, von wo sie für kurze Zeit entkam, die sie dazu benützte, ihren 
Arm auf die Schienen zu iegen, so daß er von einem herannahenden Zug amputiert 
wurde. Darnach wurde sie in kurzer Zeit gesund und ist es seither geblieben. 

Die Selbstkastration ist die Grundform der psychotischen Selbstverstümmelung. 
Di r Patient fühlt sich wegen seiner homosexuellen und narzißtisch-sexuellen Betäti¬ 
gungen schuldig und bestraft sich durch einen Angriff auf sein eigenes Sexualorgan. 
Gleichzeitig gewinnt er durch die Verwandlung in ein passives Wesen eine erotische 
Befriedigung. Die Selbstverstümmelungen der Psychosen ähneln den Selbstverstümme- 
lungen gewisser fanatisch-religiöser Sekten, wie z. B. der Skopten; dies wird in dem 
Vortrag etwas ausführlicher dargestellt; sie unterscheiden sich von den Selbstver¬ 
stümmelungen der Neurotischen und von den zeremoniellen Verstümmelungen 
vieler Religionen dadurch, daß in der erstgenannten Form die, Realität in 












100 


Vorläufige Mitteilungen 


hohem Grad außer acht gelassen wird. Der Lustgewinn ist überwiegend passiv, die 
Straffunktion in hohem Grad übertrieben. Der Neurotiker bestraft sich durch eine 
symbolische Kastration, die aber als Erlaubnis, eine aktive Befriedigung von greif¬ 
barem, realem Wert zu erreichen, wirkt. 

Pubertätsriten, wie z. B. die Zirkumzision, erweisen sich als eine Form von stell¬ 
vertretendem Opfer, bei dem ein Teil geopfert wird, um das Ganze zu retten. Sie 
dienen als symbolische Straffe für die Inzestwünsche des Jugendlichen und als Sühne 
für die antizipierte sexuelle Betätigung. 

Neurotische Selbstverstümmelungen, wie Nagelbeißen und neurotisches Wund¬ 
reiben der Haut, werden beschrieben. Der Fall einer jungen Frau wird angeführt, die 
den Zwang entwickelte, sich ganze Hände voll Haare auszureißen, und zwar entstand 
diese Zwangshandlung nach der Heirat der jüngeren Schwester, auf die sie von jeher 
eifersüchtig gewesen war. Ferner wird der Fall eines jungen Mannes vorgestellt, der 
sein Haar in abschreckend grotesker Form ausschnitt; die unbewußten Motive seines 
Handelns, Verhöhnung und Flucht, die sich beide auf den Vater beziehen, sowife 
Selbstbestrafung — 1 die sich im Lauf der psychoanalytischen Behandlung aufdecken 
ließen — werden in großen Zügen skizziert. Auch der bekannte Wolfsmann Freuds 
wird zitiert. 

Beispiele von Selbstverstümmelung bei verschiedenen Leiden infolge organischer 
Erkrankung werden besprochen, wobei der Autor zeigt, daß ihre Motive sich nicht 
von den Motiven der Selbstverstümmelung unterscheiden, die in Verbindung mit 
Psychosen, Neurosen und religiösen Zeremonien studiert werden konnten. Die 
organische Erkrankung wirkt als Befreiung der unbewußten Tendenzen, die bis 
dahin durch einen maximalen Kraftaufwand beherrscht werden konnten, der nun 
aber nicht mehr genügt, um der neu hinzugekommenen Belastung durch eine phy¬ 
sische Erkrankung standzuhalten. 

Gewohnheitsmäßige und konventionelle Formen voti Selbstverstümmelung, wie das 
Bohren in den Ohren, Nägelputzen, Haarschneiden, Rasieren, werden vom Stand¬ 
punkt der unbewußten Motivierung beleuchtet. 

Der Autor hat die Selbstverstümmelung, die unter verschiedenen Umständen bei 
Psychosen, Neurosen, religiösen Zeremonien, sozialen Konventionen, und gelegent¬ 
lich bei organisch erkrankten Menschen, die, abgesehen von dem Trieb zur Selbst¬ 
verstümmelung, im allgemeinen als normal erscheinen, auftritt, sorgfältig beobachtet 
und gefunden, daß ihre Motive zwar von verschiedener Intensität, im übrigen aber 
überall dieselben sind, und zwar: Die Akzeptierung von passiven Befriedigungen als 
Ersatz für aktiv-sexuelle und aggressive Handlungen und Wünsche; ein Verzicht auf 
einen Teil der aktiven Tendenzen als Opfer für vergangene Aggressionen und als 
Kaufpreis für künftige Nachsicht. Die Selbstverstümmelung ist daher eine partielle 
oder lokale Selbstzerstörung, deren Hauptzweck darin besteht, das Leben zu erhalten. 
Es ist eine Kompromißlösung zur Abwendung der vollkommenen Zerstörung (Suizid). 

ZUM SELBSTMORDPROBLEM 
Vortrag von Gregory Zilboorg, 

gehalten auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern (2 6 . bis 
31. August 1934). 








































,t - Wissen um das tiefere Wesen des Selbstmordes ist sehr dürftig. Seit der 
Urner di s Thema, bei der sich herausstellte, wie wenig wir 

fr £72. &Ä. Arb “ ” T ” uer ” nd M ' l ““ holie " 

darüber wissen. Dieser letztere und Abrahams Studien über Depression 

Beitrag da?«j | e ^ wir seither darüber erfahren haben. In der Psychoanalyse 

sind so ziem i ben ^ orerst dahin, die feinere Struktur jenes Mechanismus hervor- 

Theben der die Wendung der Aggression, gegen das eigene Ich bewirkt, und den 
zuheben, Datholo „ isc hes Merkmal zu betrachten, das mehr oder minder nur 

Se lbstmord alspathologuc ^ ^ ^ Freud über dieses xhema gelernt haben , 

J" unzweifelhaft die klinische Probe auf Richtigkeit bestanden, eine Anzahl von 

Erscheinungen blieb jedoch ungeklärt. Eine ausführliche Untersuchung von über 

f -Urtfünfzie Selbstmordfällen, von denen vierzehn eine lange Zeit hindurch grund- 
hundertfunfzig Selbstm ^ ^ ^ ^ ^ ^ Melancholiker dazu neigen, 

Selbstmord tu begehen; daß »ich. nur Melancholiker Selbstmord besehen, den» 
man finde, Selbstmord ebenso in Fällen von Schmophr.me, Z„a» 8 sneurose und 
Hysterie - t daß eine Anzahl von Selbstmorden das ausdrückliche Kennzeichen von 
starken praktisch unkontrollierbaren Triebhandlungen trägt, ohne Rücksicht darauf, 
welchen nosologischen Gruppen sie angehören, sogar bei den sogenannten normalen 
Individuen. Es zeigt sich, daß das, was wir als das Phänomen der Selbstzerstorung 
•nsehen, nur ein Endergebnis aus verschiedenen Arten der Motivierung ist; es scheinen 
,: ch auch nicht alle Motivierungen in die klassischen Formulierungen einfugen zu 
wollen, die Freud in „Trauer und Melancholie“ festgelegt hat. Diese Mit- 
teilun- will in Kürze nur eine einzige Form der Mechanismen und unbewußten Deter- 
nrnierungen aufzeigen und den Weg weiterverfolgen, den uns Freud in seiner Studie 
über Melancholie gewiesen hat. Es muß übrigens nebenbei erwähnt werden, daß eine 
gründliche klinische Untersuchung von einigen Fällen schwerer Zwangsneurose und 
Rauschgiftsucht (auch Alkoholismus) wenig Zweifel darüber läßt, daß es sich um 
mehr als eine bloß äußerliche Parallele handelt, wenn sich Zwangsneurotiker in einem 
momentanen Impuls „aus Trotz“ töten und wenn sich die primitiven Indianer Nord- 
un d Südamerikas und Westindiens vor oder unmittelbar nach der Gefangennahme 
durch die eindringenden Weißen zu Hunderten und Tausenden abschlachteten. Es 
besteht auch eine mehr als zufällige Parallele zwischen dem plötzlichen impulsiven 
Selbstmord im Zustand der Trunkenheit oder unter Einwirkung von Morphium und 
der nicht weniger plötzlichen Selbstzerstörung der Rothäute des nordamerikanischen 
Mittelwestens, die sich einer wilden Orgie sexueller Befriedigung ergeben, und sich 
dann impulsiv töten. Man könnte sich weiterhin z. B. auch fragen, ob die Ursache 
für einen Selbstmord durch den Sprung von einem hohen Gebäude in unserer 
Wolkenkratzer-Kultur liegt oder eher im partiellen Wiederaufleben eines Brauches 
.uif den Trobriand-Inseln, demzufolge der Eingeborene auf eine hohe Kokospalme 
klettert und sich von dort in den Töd stürzt. 

Beim Studium des Selbstmordes unter primitiven Rassen erhält man den für den 
Psychoanalytiker besonders bedeutungsvollen Eindruck, der Selbstmord sei ur¬ 
sprünglich ein Ritual gewesen; eine sanktionierte, wenn nicht durch das Gesetz und 
später durch die primitive Religion sogar geforderte Zeremonie. Es scheint, als ob 
der Selbstmordkult der Brahmanen^ Epikuräer oder Stoiker nichts anderes gewesen 
sei als eine Wiederholung, ein Wiederauftauchen primitiver, jedoch sehr verwickelter 















102 


Vorläufige Mitteilungen 


1 


Trieb reaktiohen. Die Geschichte der primitiven Rassen widerlegt offenbar auch die 
traditionelle Auffassung, Selbstmord sei ein Produkt unserer modernen Zivilisation 
Tatsächlich überwiegt auch noch heutzutage der Selbstmord unter den auf Zentral 
Gelebes und auf vielen melanesischen Inseln lebenden primitiven Rassen, und Selbst- 
mord war eines der größten Übel, das die Missionäre des 1 6 . Jahrhunderts in Neu¬ 
fundland und West-Kanada, sowie auch im mittleren Nordamerika zu bekämpfen 
suchten. Diese Erwägungen verarilaßten den Verfasser, eine erschöpfende Unter¬ 
suchung des Selbstmordes bei primitiven Rassen anzustellen. 

Wie es bei Psychoanalytikern, die sich aktiv mit klinischer Arbeit befassen, sehr- 
häufig der Fall ist, kam die erste diesbezügliche Anregung durch Freuds eigene Be¬ 
merkungen, die er nicht selten „nebenbei“ macht und die seine scharfe wissenschaft¬ 
liche Intuition bezeugen. Freud hat 1915 iri seiner Betrachtung über Krieg und 
Tod dargelegt, daß der Soldat in der Schlacht oft so empfinden muß wie der 
primitive Mensch, der sich mit seinen Toten zu vereinigen sucht. Gerade dieser Ge¬ 
danke war es, der dem Verfasser in Erinnerung kam, als er in seinen Analysen von 
Selbstmörderin das Folgende beobachtete: 

Der aktive Impuls zu sterben ist besonders stark und zuweilen unbezwinglich bei 
Menschen, die sich unbewußt mit einer Person identifizierten, die zur Zeit der Voll¬ 
endung dieses Identifizierungsvorgangs bereits tot war. Dies trifft besonders zu, 
wenn der Tod jener Person in eine der kritischen Entwicklungsphasen (Ödipusphase, 
Pubertät) des zukünftigen Selbstmörders fiel, oder wenn jene Person damals schon 
tot war. In solchen Fällen trägt der Trieb zu sterben alle Kennzeichen des „dämoni¬ 
schen 4 Verlangens nach der Vereinigung mit dem Toten. Man wird dabei an das 
Bedürfnis zu sterben erinnert, das manche melanesischen Frauen beim Tode ihres 
Gatten zeigen. Sie müssen einfach sterben. Wenn ein warmherziger christlicher 
Missionär sie in sein Flaus aufnimmt, sie überwacht, um ihre Seelen vor der Todsünde 
des Selbstmordes zu retten, stehlen sie sich oft mitten in der Nacht davon, um sich 
(auf ihr eigenes Verlangen) von einem nahen Verwandten toten zu lassen. Der 
Selbstmord scheint ursprünglich einer Art rituellem Mord zu entstammen (Ermor¬ 
dung der Alten — später Selbstmord der Alten und Gebrechlichen; Ermordung - 
später Selbstmord — der Frauen und Sklaven eines verstorbenen Häuptlings). Be¬ 
züglich der Ähnlichkeit des primitiven Selbstmordes nach dem Tod eines nahen Ver¬ 
wandten mit dem selbstmörderischen Impuls des modernen Individuums bietet sich 
folgende Annahme an: 

Die klassische Unterscheidung zwischen Selbstmordmelancholie und normaler 
Trauer bedarf der Ergänzung, denn zumindest bei einigen (besonders hartnäckigen) 
selbstmörderischen Individuen trägt der selbstmörderische Impuls alle Kennzeichen 
der primitiven Trauer. Mit anderen Worten: manche Selbstmorde sind ein patho¬ 
logisch dramatisierter Ausdruck der Wiederholung einer Form von Trauer, die wieder* 
von der primitiven zeremoniellen Tötung beim Begräbnis stammt. Die Literatur 
über diese Seite des Lebens der Primitiven ist sehr groß, aber verstreut, und es ist an¬ 
zunehmen, daß eine gründlichere Erforschung der primitiven Völker (an Ort und 
Stelle) und sorgfältigeres vergleichendes Studium unseres klinischen Materials mehr 
als einen Anhaltspunkt zur Lösung des Rätsels: Lebenstrieb gegen Todestrieb geben 
würde. 




















































REFERATE 


Aus der Literatur der Grenzgebiete 

ROVET TH • Einführung in die philosophischen Grundprobleme der Medizin. Wissen- 
sctl und Wirklichkeit Zürich, Rasche, i,* VIII und ,81 S. 

Die These des Hippokrates, daß der philosophische Arzt göttergleich sei, gewinnt 
.. ^rmphrte Beachtung des Mediziners. Das vorliegende Buch ist ein erfreu 
Z: Ausdruck dieser Tendenz. Vielfache Auseinandersetzungen mit der Psa. rechtfer¬ 
tigen eine Besprechung an dieser Stelle. , 

Den bedeutendsten Versuch, Seelisches zu erklären, bildet heute die Freudsche Psa. 
Ohne auf ihre erkenntnistheoretische Grundlage hier eingehen zu können, sei nur darau 
hinsewiesen, daß die Psa. wie keine andere psychologische Forschung dazu beigetragen 
hat" sinnvolle, verständliche Zusammenhänge aufzudecken. Da sie dabei leider immer noc 

^ n ' Kausalität“ und „Determination“ spreche, wäre es an der Zeit, diese pseudo-natur¬ 
wissenschaftliche Einstellung aufzugeben und zuzugeben, daß die Psychoanalyse tatsäch¬ 
lich nichts kausal erklärt, sondern Symbole deutet, wie es dem Wesen des Seelischen 
einzig angemessen sei (S. 73 / 74 J- Nach der Auffassung des Autors gelten die von 
1 rcud am Unbewußten entdeckten Gesetze, die Raum- und Ze.tlosigkeit, die Überdeter- 
minierung der Symbole, die Verschiebbarkeit der Besetzungen, die Widerspruchslosigkeit, 
die Bildung von Verdichtungen usw. allgemein für alles Seelische, also auch für das 
Bewußtsein. Heute treffen so grundverschiedene Psychologen wie Natorp und Freud 
zusammen: Zu dem erkenntnistheoretisch einwandfreien, aber psychologisch leeren Ge¬ 
bäude des ersten gibt die empirisch unendlich reiche, theoretisch aber unzulänglich orien¬ 
tierte Forschung des zweiten den angemessenen Inhalt (S. 90). Die freie Assoziation, 
wie sic in der Psa. geübt wird, stellt somit den Ur-Tatbestand jeder Psychologie dar 
S. . Die Biologie studiert den Körper von der Seele aus. In diesem Sinne kann man 
re lidsehe Theorie als solche als Biologie bezeichnen, während das prakti¬ 
sche Verhalten während der analytischen Arbeit echtes psychologisches Verständnis ist — 
oder wenigstens sein sollte (S. 131). Die Psa. hat den Gegensatz von Geist und Seele 
— wie ja alles — psychologisiert und spricht von Ich und Über-Ich. Zutiefst spüren wir 
Aber den wesentlichen Unterschied zwischen unserem lebendigen, immer wechselnden, in 
Gefühlen auf- und abschwellenden Seelenleben und den absoluten, unbeirrbaren Forde¬ 
rungen, die der Geist an uns stellt (S. 141). Sünde ist überall da, wo wir uns sträuben, 
den Weg vom Ich zum Ganzen zu gehen. Spricht ein Mensch von Sünde, so haben wir 
zwar wohl die möglichen Verschiebungen, Übertragungen und Überdeckungen seines Schuld¬ 
ner ühls zu analysieren, nicht aber zugleich das Gefühl seiner letzten Endes wirksamen 
Verantwortung zu vernichten (S. 172). 

Es wie aus diesen Stichproben ersichtlich, in dem Buche viel Anerkennung mit viel 
Kritik ihr Psa. verbunden. Der Autor geht bei seinem Versuche, viele heterogene Be- 
griffc und Autoren aus ganz verschiedenen Lagern und Schulen unter einen Hut zu bringen, 
um zu einer einheitlichen Auffassung zu kommen, entschieden zu weit. Was sich dabei 
nicht in sein Schema hineinpressen läßt, wird kritisch abgelehnt. Sein Werk verdient aber 
trotzdem als Beitrag für die weitreichende Wirksamkeit der Psa. auch auf dem Ge¬ 
biete der Erkenntnistheorie und -kritik die Beachtung des Analytikers. 

A. Kiel holz (Königsfel den) 











104 


Referate 


COCHRANE, A. L.: Ehe Metschnikoff and his Theory of an „Instinct de Ia Mort“ Int 
Journ. of PsA. XV, 2—3. 

Obwohl die „metabiologischen“ Theorien Metschnikoffs von ganz anderen Aus¬ 
gangsgebieten her aufgestellt wurden und einer ganz anderen Denkart entsprechen, haben 
sie Beruhrungspunkte mit den theoretischen Gedankengängen Freuds. Die auffallendste 
Übereinstimmung liegt darin, daß auch Metschnikoff - wie Freud bestrebt, Religion 
und Metaphysik durch Wissenschaft zu ersetzen — die Existenz eines Todestriebs („Instinct 
e a inort“) lehrte. Allerdings verstand er unter diesem Begriff etwas anderes als Freud; 
r meinte, daß der Mensch nach Ablauf der normalen Lebensdauer, die er mit ungefähr 
100 Jahren ansetzte, eine Sehnsucht nach dem Tode entwickle, daß sich dann der „Instinct 
e la vie durch einen „Instinct de la mort“ ersetze, der, latent stets im Menschen vorhanden, 
bei alten Leuten als Mittel gegen die Todesangst eventuell mobilisiert werden könnte. An 
anderer Stelle betont Metschnikoff die Zusammenhänge von Sexualität und intellektueller 
oder künstlerischer Begabung. Auch manche andere Erkenntnisse der Psychoanalyse scheint 
er vorgeahnt zu haben. O. Fenichel (Oslo) 

RADO, KURT: Angst, Zwangserscheinungen und Angstzustände bei Nervösen. Kampen-Sylt, 
Niels Kampmann-Verlag. 

Um eine Verwechslung von unserem Sandor Rado mit Kurt Rado radikal zu verhin¬ 
dern, sei dieses Buchlein Kurt Rados hier näher gekennzeichnet. Nicht ein Laienanalytiker, 
sondern — nicht zu verwechseln — ein Analysen-Laie behandelt hier das Thema des 
Titels in naiver Weise. Hauptsache ist ihm aber die Anpreisung seiner pseudowissenschaft¬ 
lichen Suggestiv-Behandlung: „Wir kennen auf Grund jahrzehntelanger Erfahrung keine 
Zwangserscheinungen bei Nervösen, die nicht zu überwinden sind.“ Anfragen an den Autor, 
heißt es zum Schlüsse, sind nur durch Vermittlung des Verlages möglich. 

E. Hit sch mann (Wien) 


Aus der psychiatrisch-neurologischen Literatur 

DANTSCHAKOFF, VERA, Professor der Columbia Universität usw.: Les Bases de la 
Sexualite. (Nouv. Coli. Scient, dir. par E. Borei p. t.) Preface de E. Faure-Fremiet, Prof, 
de l’embryologie au College de France. Paris, F. Alcan, 1934. 


Es können zwar die Naturwissenschaften der Psychoanalyse nicht die Probleme der Trieb¬ 
lehre zur Lösung abnehmen; doch müssen die Antworten, welche die Psychoanalyse auf 
solche Fragen gibt, mit den sichern Ergebnissen der Embryologie und Biologie übereinstimmen. 
Wo sich in den erschlossenen Theorien ein unlösbarer Widerspruch findet, sind beide 
Forschungsdisziphnen zu neuerlicher Untersuchung verhalten; Widersprüche dieser Art sind 
unvermeidlich und fruchtbar. Abgesehen von diesem Interesse an der Erprobung hat auch 
jedermann das Bedürfnis, in bezug auf die Gegenstände seiner täglichen Bemühung neue 
Ergebnisse der Naturwissenschaften zu erfahren. Für unsere gesamte Anschauung und 
richtige Einstellung zur Arbeit ist die Fortsetzung der Bioanalyse im Sinne Ferenczis 
nahezu so wichtig wie die der Metapsychologie. 

Dieses klar geschriebene und illustrierte Buch faßt in ausführlicher Kürze - nämlich 
beides, wo es am Platze ist — einen bedeutenden, durch jahrzehntelange Arbeit erreichten 
Fortschritt zusammen; es wird der Beweis erbracht für die Kontinuität des Keim¬ 
plasmas und durch experimentelle Beobachtung der Weg der „Ke im bahn“ bei den 
Wirbeltieren festgestellt. 

Für den Psychoanalytiker ist es ein mächtiger Eindruck, mit Augen zu sehen, wie in der 
Ontogenese von Anfang an Soma und Keim, das bedeutet Individuum und Art, einander 


























































1 






'Lrüber nähergerückt, ob „Natur das zusammengebettelt oder von Ewigkeit angezettelt 
Lt“'l Sehr eindrucksvoll steht auch von Beginn an der Todesvorgang nicht nur als zer¬ 
störender sondern, soweit er nicht total ist, auch als gestaltender Einfluß den Lebenstrieben 
des Ichs und der Art gegenüber. Aus den hier gezeigten Vorgängen ist aber kein Argument 
für oder gegen die Freudsche Hypothese zu ersehen, daß den Todesvorgängen die Eigen¬ 
schaft eines Triebes zukommt oder daß aus ihnen ein Trieb zum Tode entspringt. Es scheint 
aber nicht ausgeschlossen, daß auch diese tiefste und dunkelste Frage der Trieblehre gleich¬ 
falls von biologischen Forderungen aus erhellt werden wird, wenn die Forscher selbst das 
Problem sich zu eigen machen werden. p - Federn (Wien) 

Psychotherapeutische Praxis, Vierteljahresschrift für praktische ärztliche Psychotherapie, 

Herausgeber Dr. Wilhelm Stekel, Band I. Heft 2. 

Wilhelm Stekel (Wien) schreitet im zweiten Heft der Psychotherapeutischen Praxis mit 
einem Artikel „Das Phänomen der Gegenübertragung“ voran. Er erläutert die Genese der 
Gegenübertragung, ihre notwendige Rolle in der Kur und die Störungen, die von ihr für den 
Psychotherapeuten und seine Tätigkeit ausgehen. Den Sätzen, mit denen er den Artikel 
schließt, dürfte auch der klassische Analytiker zustimmen: „Wenn ich die Formel für die 
Übertragung gefunden habe, daß der Kranke den Arzt an die Stelle der wichtigsten Person 
seines Konfliktes setzt, so muß vice versa die Formel für die Gegenübertragung lauten, daß der 
Arzt seinen Patienten eine Rolle zuschreibt, die seinem Lebenskonflikt Bedeutung verleiht... 
Er erliegt dem Einfluß eines Tagtraumes, der nach dem Prinzip der Wunscherfüllung ihn 
weitab von der Realität in das Gebiet der Fiktion führt. Der Realitätskoeffizient dieser 
Phantasie ist meist sehr gering. Trotzdem besteht die Gefahr, Affekte und Instinkte zu 
mobilisieren, die den Verlauf der Behandlung stören. Ist es Aufgabe des Psychotherapeuten, 
den Kranken mit der Realität auszusöhnen, so muß der Arzt, auf dem Boden der Realität 
stehend, immer wieder das reale Ziel über alle egoistischen Regungen stellen. Und dieses 
ideale Ziel ist und bleibt: die Heilung des Kranken und sei es auch mit Aufopferung der 
eigenen Persönlichkeit." 

Paul Bjerre (Stockholm) folgt mit einem Artikel „Zur Impotenzfrage". Er findet darin, 
daß „die Tragödie des Impotenten nicht im Inzest, sondern in der asexuellen Grundlage seines 
Gefühlslebens" liege. Ein Beweis dafür ist ihm, daß er Patienten hatte, die bei der Be¬ 
rührung mit dem Frauenkörper ebenso prompt mit der Erschlaffung des Penis reagierten 
wie der gesunde, potente Mann mit Erektion (!). Das ursprüngliche Verhältnis zur Mutter 
sei zu kennzeichnen als „asexuelle, undifferenzierte Zugehörigkeit"; eine Differenzierung und 
St \ualisierung dieses ursprünglichen Zustandes des Gefühls- und Trieblebens trete erst in der 
Pubertät ein. Die Impotenz rühre daher, daß das j,Asexuell-Sohnhafte" oder „Asexuell- 
Bruderhafte" im Verhältnis zur Frau durch „Hochzüchtung" übersteigert sei. Die Folge 
seiner Theorie ist freilich, daß er einen Fall von Impotenz nach 30 Stunden Behandlung, ver¬ 
teilt auf 3 Monate, als aussichtslos aufgeben mußte. 

Ein Artikel von R. Hofstätter (Wien) „Über das Verhalten des Arztes bei ein¬ 
gebildeter Schwangerschaft" gibt eine gute Übersicht über das therapeutische Rüstzeug der 
Ärzteschaft bei eingebildeter Gravidität. Der Verfasser selbst hält die Psychotherapie für das 
wichtigste und erfolgreichste Mittel zur Bekämpfung des „Schwangerschaftswahnes" („Mutter- 














Referate 


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schaftswahn“ schlägt er als Bezeichnung vor). Es genüge in den meisten Fällen die Autorität 
des gewissenhaften Arztes in Verbindung mit leichter, bewußter Suggestion und Persuasion, 
um den pathologischen Zustand zu beseitigen. Auf die tieferen seelischen Gründe für das 
Zustandekommen einer eingebildeten Gravidität geht der Verfasser nicht ein. 

Otto Juliusberger (Berlin) steuert einen „Kurzen Beitrag zur Neurosenlehre“ mit dem 
Untertitel „Sejunktion im empirischen Ich-Bewußtsein“ bei. Er schildert zwei Fälle mit einer 
Symptomatik, die wohl am ehesten den Depersonalisationszuständen zuzurechnen ist, wenn 
nicht psychotische Grundlagen für sie maßgebend sind; so etwa berichtet eine Patientin: 
„Mein Bewußtsein, meine Gedanken schwebten über dem völlig unwichtigen, mich gar 
nichts angehenden Körper“ u. ä. Der Verfasser führt diese Symptomatik auf eine Sejunktion 
oder Dissoziation, bzw. Lockerung der Sphäre des primären Ichs, dieser Summe der Organ¬ 
gefühle, des Fühlens und Wollens überhaupt, von der des sekundären Ichs, der Summe der 
intellektuellen Vorgänge, zurück, wobei ihm das Wernickesche Schema der Dreiteilung 
des Bewußtseins in autopsychisch, somatopsychisch und allopsychisch vorschwebt. Die 
Sejunktion könne somatische oder psychische Ursachen haben, letztere können in Kon¬ 
flikten gelegen sein. Die Therapie sei dann eine Konfliktlösung; der das Oberbewußtsein und 
Unterbewußtsein umfassenden psychologischen Analyse müsse man eine Lebenssynthese (?) 
folgen lassen. 

Jenö Kollarits (Budapest, dzt. Davos) schreibt über „Die psychische Führung der 
chronisch Kranken und Unheilbaren mit besonderer Berücksichtigung der Tuberkulose“ und 
hält die psychotherapeutische Beschäftigung im Berufskreis des Patienten oder in Form von 
Handarbeit, Kunstgewerbe, Zeichnen, Modellieren, Deklamieren, Gesang, Musik und in ein¬ 
zelnen Wissenszweigen für die wichtigste psychotherapeutische Maßnahme. „Vor der Psy¬ 
choanalyse der Lungenkranken, für die jede Aufregung schädlich ist, ist wegen der psy¬ 
chischen Reaktionen, die sie hervorbringt, zu warnen.“ R. Sterba (Wien) 

Aus der psychoanalytischen Literatur 

BERGLER, EDMUND: Psychoanalysis of the Uncanny (Zur Psychoanalyse des Unheim¬ 
lichen). The Internat. Journal of PsA. XV. 2—3. 

Ausgehend von den von Freud beschriebenen zwei Bedingungen des Unheimlichen („wenn 
verdrängte infantile Komplexe durch einen Eindruck wieder belebt werden“ und „wenn 
überwundene primitive Überzeugungen wieder bestätigt scheinen“), zeigt Verfasser, daß das 
Gefühl des Unheimlichen ein Alarmsignal des Ichs vor der supponierten eigenen 
Allmacht darstellt. Da aber das Auf tauchen der Allmachtfiktion auch die infantile Ka¬ 
strationsangst wachruft, mittels derer dem Kinde diese Fiktion „ausgetrieben“ wurde, zieht 
das Ich in psychischer Aufwandersparnis die „Notleine des Unheimlichen“. Der ganze 
Vorgang ist unbewußt, bewußtseinsfähig sind bloß Rationalisierungen des Gefühls des Un¬ 
heimlichen. 

Ein Beispiel: Ein Patient (ein passiv-femininer, unbewußt homosexueller Mann) wollte die 
Beziehung zu seiner Freundin lösen. Das Mädchen machte dem Patienten große Szenen, 
drohte mit Selbstmord usw. Als Patient eines Nachts nach einer solchen Szene nach Hause 
kam, nachdem er auf dem Heimweg Beschimpfungen und Todeswünsche gegen die Freundin 
im Selbstgespräch ausgestoßen hatte, erlebte er folgende Halluzination. Patient wohnte in 
einem Hinterhaus und mußte ein zwischen Vorder- und Hinterhaus gelegenes Gärtchen 
passieren. Als er die Tür, die vom Vorderhaus in den Garten führte, öffnete, „sah“ er 
plötzlich seine Freundin in den Ästen des Gartenbaumes hängen. Der Patient prallte entsetzt 
zurück und hatte das Erlebnis des Unheimlichen. Die in der darauffolgenden Ordination 
durchgeführte Analyse dieses Erlebnisses ergab den unbewußten Sinn: „Es ist also doch wahr, 




































„ . , 11 rnä C Kcis bin und zaubern kann: kaum habe ich dem Mädel ,Hang dich auf. ge- 
Jab ich » sc hon geschehen.“ Der ebenfalls unbewußte Nachsatz lautete: „Ich bin also 

wünscht, i Todeswünsche den anderen und infolge der dafür zu gewartigenden 

-T Tuch mir selbst gefährlich.“ Verfasser hält - von der Ich-Seite gesehen - dieses im 
s trafe auc TIn heimlichen mitenthaltene Angstsignal vor der inneren ag- 
Gefuh 6S T r ; e bg e fahr — kondensiert in den infantilen Allmachtsideen — für das 
g u CSS1 Weristikum des Unheimlichen. Es ist, als erlebte man unbewußt im Bruch- 
C 5 "einer Sekunde das ganze tragische Schicksal der infantilen Allmachtsf.ktion. 

, r Arbe i t werden an einem größeren klinischen, historischen und hterar,sehen Material 
f nfzehn typische Situationen beschrieben, in welchen das Gefühl des Unheimlichen au tritt, 
fünfzehn typ • nannt . beim Mitansehen des scheinbar Schuldgefühls- 

ZTaSSTTSS W den „lenkbaren Wundern“ der Zwangsneurotiker; 
tre.en, aggressi pischen; nor malerweise zu gewärtigenden Gefühlsreaktion des anderen; 

beim Ausble Verwerteten und plötzlichen Sturzes des Trägers einer Machtsituation; 

J eim M«ife n stadonen unbewußter Instanzen (Geständniszwang, Strafbedürfnis Wiederholung*- 
be ' ne v drängte Trieb wünsche); bei gewissen Spezialformen des Zynismus; beim „unergrund- 
3 ’ steigen des anderen; beim Unabänderlichen; beim Übergang vom ^ zum 

„blutigen" Ernst usw. usw. 

HORNEY KAREN: Psychogenic factors in functional female disorders (Psychische Faktoren 
bd funktionellen gynäkologischen Störungen). Americ. journ. of obst. and gynec. 
Bd.25, Nr. 5, S.694. 

Wiedergabe eines Vortrags vor der gynäkologischen Gesellschaft in Chikago, in dem die 
psychischen Wurzeln mannigfacher gynäkologischer Leiden erörtert werden. Als einzig 
Methode die komplizierte psychische Genese solcher Erkrankungen zu erklären, wird die 
psychoanalytische bezeichnet. Die Verfasserin fand bei jeder von ihr untersuchten Neurose 
auch funktionelle Störungen des Genitalssystems. Sie stellt drei Fragen zur Diskussion. Dm 
erste ob das Zusammentreffen gestörter Psychosexualität und funktioneller genitaler Storun¬ 
gen gesetzmäßig sei, wird mangels ausgedehnter Erfahrung nicht bestimmt beantw ortet. Das 
Material der Verfasserin spricht für einen solchen gesetzmäßigen Zusammenhang, zu einer 
weiteren Klärung könnte nur die von psychoanalytisch geschulten Gynäkologen verwertete 
Erfahrung führen. Die zweite Frage, ob sich nicht die psychischen und genitalen Storungen 
auf eine gemeinsame Ursache in der Konstitution oder Innensekretion zuruckfuhren lassen, 
wird dahingehend erörtert, daß eindeutige Beziehungen bestimmt nicht bestehen und sehr 
oft Verschiedenheiten im konstitutionellen und psychosexueilen Verhalten nachzuweisen sin . 
Am eingehendsten wird die Frage einer gesetzmäßigen Beziehung zwischen gewissen Ver¬ 
haltungsweisen zum Sexualleben und bestimmten funktionellen Genitalstorungen besprochen. 

Die Arbeit zeichnet sich durch eine besonders klare und verständliche Darstellung unter 
Hervorhebung der wesentlichen Punkte aus, wobei dem Zwecke des Vortrages entsprechend 
auf eine detaillierte Darstellung subtilerer psychischer Mechanismen verzichtet wird. 

Bemerkenswert sind die Ausführungen über die Bedeutung einiger Charakterversc ie en 
beiten zwischen männlicher und weiblicher Psyche für die Entstehung der Frigidität. 

H. Winnik (Wien) 

MALCOVE, LILLIAN: Bodily Mutilation and Learning to Eat. Psa. Quarterly II, 3—4» 
Wir kennen das Zerstückelungsmotiv als eine Variante der Kastrationsidee. Die Absicht 
des Motivs ist es, das Anstößige an der Kastrationsvorstellung zu mildern. Aber woher stammt 
dieses Motiv? Malcove antwortet überzeugend: Aus der Erfahrung, daß das Essen zer¬ 
stückelt wird. Die Vorstellung, zerstückelt zu werden, ist also zunächst eine Abschwächung 
















Referate 


iq8 



der Vorstellung, gefressen zu werden; es ist wohl bekannt* daß diese Vorstellung als re¬ 
gressive Entstellung der Kastration auftritt. Da das kleine Kind animistisch denkt, erscheint 
ihm das Essen, das ihm zerteilt wird oder das es selbst zerteilt, belebt, und gibt ihm so die 
Möglichkeit, sich mit ihm zu identifizieren. —- Material aus zwei Kinderanalysen stützt diese 
Gedankengänge. O. F e n i c h e 1 (Oslo) 

MENNINGER, KARL A.: Polysurgery and Polysurgic Addietion. Psa. Quarterly III, 2. 

Menninger untersucht das Phänomen, daß neurotische (oder psychotische) Patienten 
den Wunsch haben, sieh chirurgischen Operationen zu unterziehen, und diesen Wunsch auch 
manchmal -—gelegentlich serienweise — realisieren. Einleitend weist er darauf hin, daß auch 
auf Seiten des Chirurgen die besondere Operationslust unbewußt determiniert sein kann 
(ein Chirurg drohte seinem Sohne, er werde ihn, wenn er in der Schule nicht besser lerne, 
ins Spital nehmen und operieren); ferner darauf, in wie mannigfacher Weise Operationen 
Anlaß zu psychogenen Erkrankungen werden können. Dann erst kommt er auf die 
„operätionslustigen“ Neurotiker zu sprechen. Gelingt es solchen, ihre Wünsche durch-i 
zusetzen, so wird ihre Neurose oft wirklich gebessert, andere Male äußert sich aber bald 
wieder der Wunsch nach einer neuerlichen Operation. Die hauptsächlichen Motive der 
Operationssehnsucht ordnet Menninger folgendermaßen: 

1. Das Bestreben, durch die Operation etwas anderes, was schlimmer ist als die Operation, 
zu vermeiden. Menninger denkt dabei besonders an Patienten, die etwa dem Beginn oder 
dem Fortschritt einer analytischen Kur oder einem ihnen unbewußt unangenehmen Er¬ 
eignis im Leben, etwa einer Heirat, durch eine Operation ausweichen. Die Besprechung des 
Bestrebens, durch eine „kleine“ oder „prophylaktisch-selbstgewollte“ Kastration der „wirk¬ 
lichen“ Kastration auszuweichen, ist hierin nicht eingeschlossen. 

2. Die Operation ermöglicht dank der „Magie der Medizin“ in ähnlicher Weise wie die 
Hypnose eine besondere (sado-masochistische) Art der Vaterübertragung. 

3. Die Operation wird unbewußt einer Niederkunft gleichgesetzt (und bedeutet damit 
längs der symbolischen Gleichung Kind = Penis bei manchen Frauen auch das Erreichen 
eines eigenen Penis). Vgl. die Appendicitis der „Dora“. 1 

4. Die Operation bedeutet die Kastration, und zwar infolge zweier verschiedener Auf¬ 
fassungen: 

a) Die Kastration wird direkt ersehnt, sei es aus Strafbedürfnis, sei es aus Masochismus, 
etwa als Voraussetzung für eine feminine Befriedigung bei Männern. Manche hierher ge¬ 
hörigen Fälle, wie einer aus der Beobachtung des Autors und mehrere aus der Literatur, 
setzen auch eine reale Kastration durch. Das Gegenstück hierzu sei die medizinische Literatur, 
Welche therapeutische Kastrationen bei allen möglichen und unmöglichen Indikationen vor- 
schlägt. 

b) Als Äquivalent der Kastration wird eine Operation nicht aus Kastrationslust, sondern 
aus Kastrations a n g s t ersehnt, sozusagen als Opfer, das dazu dienen soll, eine schlimmere 
Selbstzerstörung zu vermeiden. „Ein Ersatzpenis kann geopfert werden, um den realen Penis 
zu retten“, wobei dann das fortbestehende Schuldgefühl ein Opfer der körperlichen Integrität 
nach dem andern verlangen kann. Ref. möchte hierzu bemerken, daß dieser Typus der 
neurotischen Operationssehnsucht ihm der ausschlaggebende zu sein scheint. Beide Aspekte 
der >,kastrativen“ Operation können verdichtet werden, indem ein zunächst als unangenehm 
empfundenes Opfer sekundär (masochistisch) mit Libido besetzt wird. 

5. Die Operationen können „sekundäre Gewinne“ bringen, die man nicht unterschätzen 

darf, z. B. die Freude, sich bemitleiden zu lassen, oder Gelegenheiten zu exhibitionistischer 
Befriedigung, — Diese fünf Motive werden dann noch besonders an zwei interessanten Kran¬ 
kengeschichten demonstriert. O. Fenichel (Oslo) 

' i) ; Fr eu d : Bruchstück einer Hysterieanalyse. Ges. Sehr. Bd. VIII. 











































OBERNDORF, C. P.: Depersonalization in Relation to Erotization of Thought. Int. Journal 

oi PsA. XV, i— 3 - ... 

, . , i r,.L. n osvchoanalytische Autoren, die die Depersonalisation unter- 
vorangegangenen Sexualisierung der Denkfunktion 
suc . hte 'V ht Oberndorf bestätigt mit einer ausführlichen und zwei kürzeren 

aufmerksam g • theoretischen Überlegungen diesen Zusammenhang und sucht ihn 

u StÄSL Hsuptfaü handelt «, eich „„ eine eigen,, 

in seinen D merkwürdige Art des „Gespaltenseins“: Die 

lkh e Depersonalisation, ah um ^e,ne g füw ^ ^ ^ und ein als außerhalb ihrer 

Person'empfundene^Üblr-Ich. Die Analyse bestätigt vor allem Freuds Deutung, daß m 
den Fällen von multipler Persönlichkeit Identifizierungen mit verschiedenen Personen vor- 
t” en die miteinander nicht in Einklang gebracht werden können. Die individuelle Kindheits- 
liegen, a . eine problematische Klitoridektomie vorkommt) hat es der Patientin 

g h 'Sch eemacht Mutter und Vater „in ihrem Innern“ miteinander zu versöhnen. Die 
Mutter war eine impulsive, unlogische, nörglerische autoritäre Neurotikerin, der Vater ein 
etwas zwangsneurotischer, überlogischer Denker. So hatte die Patientin - wie wir es 
fie finden — intellektuelle Tätigkeit und männliche Sexualfunktion einander gleich¬ 
et Die Spaltung hing mit der Abwehr ihrer „Männlichkeit« durch Pro.ekuon zusammen 
k Oberndorf versucht, diesen Befund dahin zu verallgemeinern, daß er anmmm^ 
gäbe einen männlichen (logischen) und einen weiblichen (,,heniden“artigen) Denktyp, un or- 
aussetzung einer Depersonalisation wäre nicht nur eine Sexualisierung der Denkfunktion 
sondern außerdem ein der Bisexualität entsprechender Konflikt zwischen Männlichkeit und 
Weiblichkeit, der nach solcher Sexualisierung zwischen diesen beiden Denkarten spiele. Der 
Patient müsse die dem anderen Geschlecht zukommende Denkart (die Narbe der Identifi¬ 
zierung mit dem gegengeschlechtlichen Elternteil) verdrängen und produziere wenn das 
Verdrängte aus der Verdrängung wiederkehre, das Gefühl, er wäre unreal oder nicht er selbst. 

Obwohl die Ausführungen von Oberndorf manche wichtigen Details über die Psycho¬ 
logie der Depersonalisation (er bestätigt u. a., daß bei ihr, wie Miß Searl ausfuhrte, die 
Identifizierung mit unbelebten Gegenständen eine besondere Rolle spielt), und über die 
Beziehungen von Denken und Geschlechtlichkeit aufdecken, bleibt doch die allgemeine 
Gültigkeit seiner Funde fraglich. Er zitiert u. a. irrtümlicherweise den Referenten als einen 
Anhänger der Auffassung, Depersonalisation sei ein Spezialfall von Sexualisierung der Denk- 
funktion. An der angeführten Stelle („Hysterien und Zwangsneurosen“, S. 91) wird aber 
nach Besprechung der Denkhemmung ausgeführt: „Nicht nur auf dem Gebiete des Intellekts, 
auch aut dem des Fühlens und Wollens gibt es allgemeine und spezielle Hemmungen“, und 
von der Depersonalisation wird nur gesagt, sie sei solchen Fühlens- und Willenshemmungen 
verwandt. Noch weniger überzeugend ist es, daß bei der Depersonalisation notwendiger¬ 
weise immer ein bisexueller Konflikt vorliegen und das Symptom der Verdrängung 
einer gegengeschlechtlichen Denkart entsprechen müsse. „Männliche und „weibliche 
Denkarten scheinen uns viel zu vage Begriffe, um darauf wissenschaftlich aufbauen zu 
können. Und daß der pathogene Konflikt weniger zwischen Trieb und abwehrendem Ich, als 
zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit spielen sollte (Oberndorf sagt sogar zwischen 
„männlicher und weiblicher Libido“), erinnert an die von Freud schon in „Ein Kind wird 
geschlagen“ zurückgewiesene Theorie von der Herkunft der Verdrängung überhaupt aus 
der Bisexualität. Oberndorf zitiert auch diese Stelle und meint, die von Freud ver¬ 
worfene Theorie, deren Zurückweisung („Ich habe sie immer für unzutreffend und irre¬ 
führend gehalten“, Ges. Sehr. Bd. V, S. 369) er nicht erwähnt, „nimmt die Konzeption des 
Uber-Ich vorweg“. So scheinen uns hier richtige klinische Beobachtungen theoretisch un¬ 
richtig interpretiert. 


O. Fenichel (Oslo) 










Referate 


HO 


RESNIKOFF, PHILIP: A Note on Washington. Int. Journal of PsA., XV, i —3. 

Washington schrieb 1795 an Gouverneur Morris, er sei sicher, daß Amerika 
wenn es noch zwanzig Jahre der Ruhe haben könnte, in den Stand käme, jeder Macht Trotz 
zu bieten. Resnikoff glaubt, diese Briefstelle erklären zu können, indem er darauf hin¬ 
weist, daß Washington gerade zwanzig Jahre alt gewesen war, als er beim Tode seines 
Halbbruders erfolgreich die Rolle eines Familienvaters übernehmen mußte; er bemerkt dazu 
die Gleichsetzung seines Ichs mit Amerika zeige „den Weg, auf dem Narzißmus sich i n 
Patriotismus handeln könne“. Daß Washington sich ein anderes Mal mit einem zum 
Tode verurteilten Verbrecher vergleicht, zeige seine unbewußte Feindschaft gegen seinen 
Vater. Das mitgeteilte Material reicht nicht aus, um zu beurteilen, ob die Deutungen glaub¬ 
haft sind. O. Fenichel (Oslo) 
















































Nachtrag zum Nachruf auf Georg Groddeck 

t „ j.<? Hroddeck das Wort Es von Schwenninger übernom- 
Me / n * tr i f ”i n Tchc zu. Es war sein eigener Fund. Vielleicht war der Grund meines 
men ha ’ Hurch die Tatsache, daß Groddeck bei vielen Gesprächen 

' u 'Twkder darauf hinwies, was er alles seinem Lehrer verdanke, dabei hatte ich 
:,'-ht selten den Eindruck, als ob Groddeck nur verschämt von seinem eigenen 
Arzttum sprechen konnte oder sich zu bescheiden im Hintergrund hielt 

Aus einem Brief, den Freud 1922 an Groddeck schrieb, sei folgendes wieder¬ 


gegeben. 

„Wien, Weihnachten 1922. 

Erinnern Sie sich übrigens, wie frühzeitig ich das Es von Ihnen übernommen 

häbc 

* B war lange ehe ich Sie kennengelernt hatte, in einem meiner ersten Briefe 
(I? ' Apr ü I92 Ö X ) an Sie, dort hatte ich eine Zeichnung eingeschaltet, die demnächst 

WC ni g verändert vor die Öffentlichkeit treten soll. 

Ich denke. Sie haben das Es (literarisch nicht assoziativ) von Nietzsche hergenom- 
mcn . Darf ich das auch so in meiner Schrift sagen.“ 

ßaron Röder, der langjährige Schüler Groddecks, schreibt mir dazu: 


„Groddecks Es ist im höchsten Grade tätig (es lebt — mich); nicht leidend, wie 
Nietzsches Es (es wird — gelebt). Der Vorläufer von Groddecks Es ist kein anderer 
als „Gott-Natur“, wie er den mütterlichen Urgrund alles und unseres Seins nennt, aus 
dem wir niemals heraustreten. Dieser Ausdruck erschien erstmals als Titel des 1912 
veröffentlichten Vortragsbuchs. — Zum Unterschied zum Es ist Gott-Natur lite- 
r„irisch entlehnt, und zwar von Goethe, wie Groddeck selbst sagt. 

Heinrich Meng, Basel. 







KORRESPONDENZBLATT 

DER 

INTERNATIONALEN PSyCHOANALyTISGHEN 

VEREINIGUNG 


Redigiert vom Zentralsekretär Edward Glover 


I. Bericht über den XIII. Internationalen Psychoanalytischen 

Kongreß 

Der XIII. Internationale Psychoanalytische Kongreß fand in der Zeit zwischen 
dem 2 6 . und 31. August 1934 zu Luzern unter dem Vorsitz von Dr. Ernest Jones 
statt. Anwesend waren 228 Personen, 132 Mitglieder und 96 Gäste. 

Dem Schweizer Lokalkomitee gebührt besonderer Dank für die tätige Gastfreund¬ 
schaft, mit der es die Vorbereitungen für den Kongreß getroffen hatte. Bedauerlicher¬ 
weise wurde der Kongreß von einem tragischen Vorfall betroffen: der Sekretär des 
Komitees, Dr. Behn-Eschenbürg, fiel am zweiten Tage des Kongresses in eine 
schwere Krankheit, an der er einige Wochen später, am 21. September, starb. Der 
Verlust eines so teuren Kollegen ist ein schwerer Schlag, nicht nur für die Schweizer 
Gesellschaft, zu deren aktivsten Mitgliedern er zählte, sondern für die ganze Inter¬ 
nationale Vereinigung, für die er voll Eifer gewirkt hatte. 

Eröffnung des Kongresses 

Der Präsident Dr. Ernest Jones eröffnete den Kongreß Montag, den 27. August, 
9 Uhr vormittags, mit der folgenden Ansprache: 

Mein erster Gedanke bei der Eröffnung dieses, des XIII. Internationalen Psycho¬ 
analytischen Kongresses ist naturgemäß der Schmerz, daß wir zum ersten Male in 
unserer Geschichte von 2 6 Jahren den Gründer unserer Vereinigung missen. Es ist 
schwer, sich einen psychoanalytischen Kongreß ohne Ferenczi vorzustellen. Bis in 
die letzten Jahre, als die Zeichen seiner ernsten Krankheit unverkennbar wurden, 
war er die Seele eines jeden Kongresses. Wenn sein Vortrag an die Reihe kam, war 
der Saal immer gedrängt voll, und er enttäuschte seine Hörer nie. Es besteht für mich 
keine Notwendigkeit, Ihnen die unvergeßliche Lebendigkeit seines Vortrags, seinen 
inspirierten Stil oder die charakteristisch franke und aufschlußgebende Art seiner 
Rede in Erinnerung zu rufen. Seine Persönlichkeit strahlte seinen Enthusiasmus und 
sein Interesse für die Arbeit wider, und sie stand immer allen, denen er helfen 
konnte, zur vollen Verfügung. Als einer seiner vertrautesten Freunde kann ich 
Zeugnis geben von seiner Großzügigkeit, seiner unerschütterlichen Loyalität und 
seiner bewundernswerten Lauterkeit. Ich sehe ihn noch immer, sein ritterliches 
Wesen, sein warmes, vertrauliches Lächeln, seine bereite Rede, sein schnell entschlos¬ 
senes Urteil. Er war eine unendlich menschliche und liebenswerte Gestalt, ein Mann, 
der uns ein Beispiel war in einfacher Aufrichtigkeit und unabänderlicher Wahrheits- 




































































1 



y -be Ich fordere Sie auf, sich zu erheben zum Gedächtnis unseres lieben Freundes 

und Führers. deutet uns aber noch mehr als einen schmerzlichen persön- 

.. ben" Verlust und das Ende einer Fülle von wertvollen wissenschaftlichen Beiträgen. 
c Ch -n Meilenstein in der Geschichte der psychoanalytischen Bewegung. Es gibt 
E • a nd mehr der wie er, jedem psychoanalytischen Kongreß ohne eine einzige 

obgleich einige, die bei dem allerersten Kongreß zugegen 
tZZ glücklicherweise noch unter uns weilen. Dann war auch Ferenczr Professor 
Freuds vertrautester Freund, so daß mit ihm wieder ein weiteres Glied zwischen 
Professor Freuds Persönlichkeit und unserer Kongreßarbeit verschwindet Anderer- 
seits'freue ich mich, Ihnen persönliche Grüße von Professor Freud uberbringen zu 
können; ich hatte die Freude, ihn vor drei Tagen in Wien in guter Gesundheit und 

St D^er Xm. S Kongreß findet jedoch in Zeitumständen statt die aus noch einem 
anderen Grunde bedeutsam für die Geschichte der Psychoanalyse sind. Ich meine 
natürlich den Schlag, den die Analyse in einem Land, wo sie selt erfolgreici 

bestand, zu erdulden hatte. Beim letzten Kongreß sprach Dr. Eitingon in 
seiner Eröffnungsrede von den ökonomischen Störungen, die es notig machten, den 
Kongreß ein Jahr später abzuhalten. Er konnte damals kaum die erstaunliche po¬ 
litische Umwälzung voraussehen, die innerhalb einiger Monate vor sich gehen so te, 
oder die zersetzende Wirkung, die sie auf unsere Arbeitsbedingungen ausuben sollte. 
Diese Ereignisse berühren uns alle viel zu nahe, als daß ich es mir versagen konnte, 

hier von ihnen zu sprechen. . 

Es wäre ein leichtes, einen empörten Protest einzulegen gegen die Art, in der diese 
politischen Geschehnisse unsere Arbeit gehindert und das Leben unserer Kollegen ge¬ 
stört haben. Ein solches Vorgehen wäre jedoch sicherlich nutzlos und vielleicht sogar 
schädlich. Es hieße überdies, von unserem eigenen Niveau herabsteigen und an dem 
Gcfühlsaufruhr unserer Gegner teilnehmen. Es wird würdiger und auch von größerem 
Nutzen sein, diese Art Politik mit der Einstellung der Wissenschaft in Gegensatz zu 
bringen. Wenn die Wissenschaft angegriffen wird, ist ihre beste Antwort, einfach 
ihre Prinzipien noch einmal festzustellen. Auf der einen Seite sehen wir Menschen, 
von höchst subjektiven, gefühlsmäßigen und sogar abergläubischen Motiven bewegt, 
ihre Taten mit dem Mantel einer Pseudo-Ethnologie bedecken, die sich durch 
eine krasse Unkenntnis aller ethnologischen Fakten auszeichnet. Psychoanalytiker 
andererseits bezeichnen sich als Männer der Wissenschaft, die kein anderes Ziel ver¬ 
tonen, als den Pfad der Wahrheit. Von diesem Standpunkt aus können wir all das 
nur als Ausdruck von Ursache und Wirkung betrachten. Und der Schluß, den wir 
ziehen müssen, ist so augenfällig, daß er für uns beinahe eine Plattheit ist, obgleich 
er noch immer in der nichtwissenschaftlichen Welt ignoriert wird. Nämlich: die 
Freiheit wissenschaftlicher Arbeiter in irgendeiner Weise, unter welchem Vorwand 
immer, zu stören, ist dasselbe, wie den Fortschritt der Wissenschaft selbst aufzuhalten. 
Da die Wissenschaft fraglos das wesentlichste Merkmal unserer heutigen Zivilisation 
ist, ja die unumgänglich notwendige Basis für deren Bestehen, ist eine solche Störung 
eine Schädigung der Zivilisation. Insoferne eine Regierung einen derartigen Angriff 
unternimmt oder erlaubt, schwächt sie sicher die Basis der Zivilisation, zuerst in 
ihrem eigenen Land und in einem geringeren Grade in der ganzen Welt. Sie schädigt 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/i 8 











Korrespondenzblatt 


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sich selbst unwissentlich; der Grad dieser Schädigung wird an dem Erfolg der stören¬ 
den Eingriffe zu messen sein. Wir würden unser Bereich verlassen, wenn wir 
diese Eingriffe richten oder sie verurteilen wollten, doch konnte ich es mir nicht ver¬ 
sagen, ihre unvermeidliche Bedeutung aufzuzeigen. 

So viel möchte ich über unsere Einstellung zur Außenwelt sagen. Die noch nie 
vorher erreichte Anzahl, in der wir hier beisammen sind, und die verwirrend große 
Zahl der wissenschaftlichen Beiträge, die uns aus der ganzen Welt zuströmten, be¬ 
weisen, wie unerschüttert wir von diesen äußeren Traumen sind. Wir können jedoch 
aus diesen Geschehnissen auch eine Lehre ziehen. Wir sehen wieder einmal, daß Politik 
und Wissenschaft sich nicht besser vermischen als öl und Wasser. Wir wissen als 
Psychologen, daß die Motive, die die Menschen zwingen, eine gegebene soziale Ord¬ 
nung zu ändern, von verschiedenster Art sind, ein Gemisch von lobenswerten 
und unedlen Impulsen, in denen der Wunsch, die Wahrheit zu finden, selten eine 
andere als eine höchst untergeordnete Rolle spielt. Daher muß jeder, der sich zu 
dieser Tätigkeit hergibt, notwendigerweise von anderen als wissenschaftlichen Mo¬ 
tiven getrieben werden. Der Meister unserer Schule, der, wie wohl bekannt, von 
starken humanitären Wünschen für die Verbesserung des menschlichen Lebens bewegt 
ist, hat es trotzdem immer verstanden, diese streng getrennt von seiner wissenschaft¬ 
lichen Arbeit zu halten, die deshalb nie in ihrer Reinheit gelitten hat. In dieser Hin¬ 
sicht wie in so vielem anderen hat er uns ein Beispiel gegeben, dem nachzueifern wir 
gut täten. Es fehlt unter uns nicht an Zeichen der Ungeduld mit unseren sozialen 
Bedingungen und an Bestrebungen, zu ihrem Wechsel beizutragen. Es folgt aus dem 
eben Gesagten, daß jeder, der solchen Impulsen nachgibt, im selben Grad als 
Analytiker verliert. Und der Versuch, eigene soziale Ideen im Namen der Psycho¬ 
analyse zu verbreiten, heißt ihre wahre Natur fälschen, ist ein Mißbrauch der Psycho¬ 
analyse, den ich entschieden rügen und zurückweisen möchte. 

Es kann leider auch nicht behauptet werden, daß unsere Vereinigung durchaus frei 
von Rassen- oder Nationalvorurteilen ist, Vorurteile, die wir in der Welt um uns so 
beklagen, und die dort zu solch unglückseligen Zuständen führen. Während des Be¬ 
stehens unserer Vereinigung habe ich stetig und oft hart für ein einfaches Prinzip in 
dieser Sache gekämpft. Obzwar wir die sozialen Bedingungen und Gesetze des Landes, 
in dem es unser Los ist zu leben, respektieren müssen, sind doch — wie ich stets be¬ 
hauptete — unsere gemeinsamen Interessen, wie die einer jeden Gruppe von wissen¬ 
schaftlichen Arbeitern, in ihrem Charakter streng international oder eher über¬ 
national, und das Dazwischentreten lokaler Vorurteile ist in jeder Hinsicht zu mi߬ 
billigen. Ich denke, daß wir alle mit unserem Intellekt diesem Prinzip beistimmen, und 
doch wird es oft in praxi gebrochen. Gefühlsmäßige Einflüsse von eben der gleichen 
Art, wie wir sie so verderblich in der Welt der Politik wirken sehen, scheinen zu¬ 
zeiten einzelne Analytiker und sogar ganze Gruppen anzustecken. Doch niemals war 
Einigkeit uns so nötig wie jetzt, wo wir so harte Bedingungen zu bekämpfen haben. 
Um unserer selbst willen, in unserem eigenen Interesse und um der Arbeit willen, die 
uns so sehr am Herzen liegt, müssen wir jeden Versuch machen, diese nationalen 
Vorurteile zu begraben und uns in einem Bund freundschaftlicher Zusammenarbeit zu 
vereinigen. Ich mache diesen Appell mit dem ganzen Ernst und der ganzen Wärme, 
die mir zu Gebote stehen. Diese Internationale Vereinigung, die erste, die sich nach 
den trennenden Schismen des Krieges wieder zusammenfand — ein historisches Ge- 






























































, . * t Recht immer stolz sein können — , eine Vereinigung, deren 

schehnis, auf as wir ^ def Hand haben, die Menschen verliehen sind, sich 

Mitglieder ie Vorurtei i en zu befreien, sollte einer von Uneinigkeit und Wider- 

v on emotione Beispiel von freundschaftlicher Einheit und Zusammen¬ 

streit zerrissenen weit ein uc v 

arbeit geben. d Augenblick zu. Ich freue mich, unseren Schweizer Kol- 

lch W r- 6 danken daß wir uns in ihrem wunderschönen Land treffen können. 

“vo^ot: «r — Psychoanalytischen Kongreß vor 

0b ° T ‘ • der Schwe iz gemacht wurden, Vorbereitungen, in denen ich selbst eine 

u ih Rolle spielte ist es doch das erste Mal, daß dies ausführbar wird. Der Grund 
kleine Rohe sp , Psychoana l ys e hat in der Schweiz einen Angriff ertragen 

müssen* derso verheerender war, als er von innen entsprang Desto mehr Ehre 
Ste denen, die feststanden und auf bessere Zeiten warteten Unter Dr.Sarasins 
verläßlicher Führung dämmern diese Zeiten nun, und unser Zusammentreffen zum 
K n reß im Herzen der Schweiz verkündet die festere Stellung unserer verehrten 
Schweizer Kollegen. Das herzliche Willkommen, das sie uns bieten, und die sicht¬ 
lichen Vorbereitungen für unser Wohlbefinden machen es mir möglich, diesen Kon- 
1^7 mit dem vertrauensvollen Gefühl zu eröffnen, daß er sowohl gewinnbringend 
ah auch erfreulich sein wird. 


Erste wissenschaftliche Sitzung 

Montag, den 27. August, 9 Uhr 
Vorsitzender: Dr. Max Eitingon, Jerusalem 

1) Ella Freeman Sharpe: Similar and divergent unconscious determinants 
in the sublimations of „pure“ Science and „pure“ art. 

,. Definition of “pure” for the purpose of this paper. 2. The mechanisms of “projection” 
and •'introjcction’’ as the unconscious determinants of Science and art. 3. Common basic 
phantasies, common necessity for “control” and “elimination of chance” underlymg both 
sublimations. 4. Divergent methods of attaining “control” and “elimination of chance in 
Science and an. Divergent character development. 5. Sublimatory activity and Sublimation 
products. 

2) Sandor Rado: Entwurf einer masochistischen Theorie der Neurosen. 

Die masochistische Dynamik der Angst, des Schuldgefühls und der deformierten Funk¬ 
tionen. Die Fixierung des Ödipuskomplexes durch den Masochismus. Der pathogene Druck 
ilcs Masochismus auf das narzißtische Ich-Getriebe. Die Abwehr- und Anpassungs-Ma߬ 
nahmen des Ichs und die Durchbrüche des Masochismus im neurotischen Prozeß. Die 
Schlüsselstellung der Genitalstörung in der Symptomatologie; der Begriff der kompen¬ 
sierten und der inkompensierten Genitalstörung. Der heuristische Vorteil der vorgetragenen 
Auffassung. 


3) Felix Boehm: Zur Entwicklung des Schamgefühls. 

Ich gehe von zwei Beobachtungen aus dem Gebiet der Völkerkunde aus: a) Der deutsche 
Ethnologe Günther Tessmann beschreibt in Kamerun zwei afrikanische Kulturen: eine 
mit Vorstellungen von einer Gottheit und eine ohne solche Vorstellung. Die Formen der 
sexuellen Betätigung bei Kindern, Heranwachsenden und Erwachsenen sind bei beiden die- 


8 * 











Korrespondenzblatt 


116 


selben. In der Kultur ohne Gottesvorstellung geschieht diese Betätigung ohne jegliches 
Schamgefühl; über alle Formen der Sexualität wird von frühester Jugend an vollkommen 
offen unter richtiger Bezeichnung aller Dinge gesprochen. Bei der Kultur der Negerstämme 
mit einer Gottesvorstellung, welche in demselben Raume leben, herrscht eine ausgesprochene 
Prüderie, welche an die in Europa übliche erinnert und welche die Neger veranlaßt, die 
meisten Geschehnisse als asexuell hinzustellen. 

b) Bei den Fulbe in Ost-Afrika ist der Zusammenhang zwischen Kohabitation und Kon¬ 
zeption bekannt, wird aber nicht zugegeben. Wenn man mit älteren Angehörigen des 
Stammes vertraulich spricht, so geben sie den Zusammenhang zu, betonen aber, daß sich ihr 
Schamgefühl dagegen sträubt, dieses Wissen einzugestehen. 

Darauf untersuche ich an einem größeren ethnologischen und analytischen Material, 
welche Faktoren zur Entstehung und Entwicklung des Schamgefühls beitragen. 

4) Dorian Feigenbaum: Morbid Shame. 

Infatuations, but persistent celibacy, reluctance to be seen with lover, and disguised 
jealousy, all superimposed upon fear of destruction of the illusory phallus. 

5) Otto Fenichel: Über Angstabwehr, insbesondere durch Libidinisierung. 

Zwischen „Angst im traumatischen Zustand“ und „Angstsignal“ besteht kein absoluter 
Gegensatz. Nicht nur wird das „Angstsignal“ dadurch ermöglicht, daß die Einsicht des Ichs 
in eine Gefahr im Es dieselben Bedingungen setzt wie der traumatische Zustand — nur in 
geringerem Ausmaße —, sondern die Intention zum „Angstsignal“ mißlingt oft, indem bei 
vorhandener Libidostauung das akute Signal wirkt wie ein Zündholz im Pulverfaß. 

Diese Möglichkeit macht es notwendig, daß das Ich nicht nur mit Hilfe von Angstent¬ 
wicklung Triebabwehr durchführt, sondern dann auch Versuche unternimmt, die Unlust 
der Angst abzuwehren. 

Die durch die biologische Hilflosigkeit des kleinen Kindes bedingten traumatischen Si¬ 
tuationen schaffen die Möglichkeit der Auffassung, Triebe wären Gefahr. Wirklichkeit wird 
diese Auffassung durch die gesellschaftsbedingten Triebverbote der Erziehung. 

Der Mangel eines vollen Realitätsprinzips, der die Objekte nur im Verhältnis zum eigenen 
Triebleben erfassen läßt, führt zu einer phantastischen Verkennung der Außenwelt, von der 
den eigenen als gefährlich auf gefaßten Trieben entsprechende Strafen erwartet werden. (Der 
Ausdruck „frühes Ober-Ich“ hiefür ist unzweckmäßig.) 

Aus den Methoden der kindlichen Angstabwehr heben sich zweierlei heraus: Die Identifi¬ 
zierung mit dem Angstobjekt und die Flucht zur Realität. 

Eine Kombination dieser beiden Methoden ist die „Libidinisierung der Angst“. Sowohl 
das krampfhafte Anklammern an ein reales Objekt als Schutz vor dem phantastisch ver¬ 
kannten Objekt führt zu einer Liebesbindung, als auch die Identifizierung etwa mit einem 
gefürchteten Tier zu einer Vorliebe für dasselbe. 

Wie es Formen von Homosexualität gibt, die einer Überkompensierung eines ursprüng¬ 
lichen Hasses entsprechen (Freu d), gibt es auch andere reaktive Formen, nämlich eine Identi¬ 
fizierung mit dem anderen Geschlecht zum Zwecke der Verleugnung der Angst vor dem 
anderen Geschlecht. — Viele Züge im Liebesieben dienen dazu, gleichzeitig vorhandene 
Sexualangst durch Überkompensierung abzuwehren. 

Ein Fall, dessen Sexualität im Dienste der Angstabwehr stand. 

Der Vergleich zwischen reaktiver und spontaner Sexualität charakterisiert erstere als 
krampfhaft, zielgehemmt, widerspruchsvoll, energieverbrauchend; sie hat alle Charaktere der 
Reaktionsbildungen. 

Die „Libidinisierung der Angst“ in der Literatur. Über den Versuch von Jones, die 


t 



























































.... . phase als reaktiv zu erfassen. Über Searls Auffassung von der Entstehung der 

phallise e „i- _r)j e Theorie der Perversionen und die zur Diskussion stehenden 

rrSfSS-S- Glovers üb« Perversionen »nd Angsrebwehr. 

nie biologische Bedeutung der infantilen Sexualität und die primärsomatxsche Natur der 
, u-A„ Tefahren der falschen Einschätzung sekundärer Komplikationen: Bevor es eine Angst- 
L bwehr mit Hilfe von Trieben gab, gab es primäre Triebe, deren Nichtbefriedigung Angst 
entstehen ließ und die selbst durch Angstentwicklung abgewehrt wurden. 

6) Ludwig Eideiberg: Entwurf einer vergleichenden Neurosenlehre. 

Der Entwurf einer vergleichenden Neurosenlehre stellt einen Versuch dar, neben der all¬ 
eemeinen und speziellen Neurosenlehre eine dritte Betrachtungsweise einzuführen, 
in der das Hauptgewicht auf die vergleichende Untersuchung der einzelnen neurotischen 
Abwehrmechanismen fällt. 

Eine Reihe von Krankengeschichten eigener und fremder Falle wird zu diesem Zwecke 
benützt um die speziellen Abwehrmechanismen isoliert darzustellen. 

An Hand eines speziellen Schemas werden die einzelnen Abwehrmechanismen so dargestellt, 
daß sowohl ihr der Beschreibung zugänglicher Anteil als auch die durch die Analyse frei- 
eelegten Wurzeln übersichtlich zum Vorschein kommen. Die so gewonnenen „Neurosen- 
Querschnitte“ werden entsprechend ihren Regressionen zu den einzelnen der drei 
infantilen Entwicklungsstufen geordnet. Die vergleichende Betrachtung der nach diesem 
Prinzip geordneten Abwehrmechanismen gestattet folgende Probleme eingehend zu studieren: 

i. Ätiologie der Neurosen. 2. Aufbau und Struktur des neurotischen Abwehrmechanismus. 
3. Der quantitative Anteil der einzelnen seelischen Instanzen im Symptom. 4. Das quantitative 
Verhältnis von Eros und Thanatos, die Rolle des Lust- und Nirvanaprinzipes und die Inten¬ 
sität der Abwehr in den verschiedenen Abwehrmechanismen. 


Zweite wissenschaftliche Sitzung 
Montag, den 27. August 1935, 15 30 Uhr 
Vorsitzender: Dr. Philipp Sarasin, Basel 

1) Paul Federn: Prinzipielles zur Ich-Psychologie. 

Für die Orthriogenese (s. Internat. Zeitschrift f. Psychoanalyse, XX, 1934) werden weitere 
Argumente aus den Erfahrungen der Traumdeutung mitgeteilt. 

2) C. P. Oberndorf: The Genesis of the Feeling of Unreality. 

Leitsätze nicht eingelangt. 

3) Ludwig Jekels (gemeinsam mit Edmund Bergler): Triebdualismus 
im Traum. 

Die Autoren machen es sich zur Aufgabe, auch das Traumphänomen unter dem Aspekt 
de« Ringens von Eros und Thanatos zu betrachten, ähnlich wie sie es kürzlich bei 
„Übertragung und Liebe“ getan haben (Imago 1934. H. 1). Indem die Autoren diesen 
‘I riebdualismus, aus dem Freud die Phänomene des Lebens des einzelnen und der Kultur¬ 
gemeinschaft erklärt, auf Detailprobleme anwenden, vermeinen sie, dem zur Zeit dringlichsten 
und an Ergebnissen fruchtbarsten Erfordernis unserer Wissenschaft zu entsprechen. — Die 
Autoren kommen zum Ergebnis, daß auch im Traum Manifestationen des Todes¬ 
triebes feststellbar seien. Diese These wird an klinischem Traummaterial auf gezeigt. 
Ebenso die Konsequenzen für die praktische Traumdeutung des analytischen Alltags, wo- 











Korrespondenzblatt 


118 


durch die Frage des Triebdualismus im Traume von einer spekulativen zu einer praktisch 
bedeutungsvollen wird. 

Für diesen „Kampf der Giganten“ wurde die entscheidende Bedeutung des Uber- 
Ichs von den Autoren bereits hervorgehoben, wobei man sich aber vor Augen halten 
muß, daß die beiden häufig nicht genügend differenzierten Anteile des Über-Ichs: Ich-Ideal 
(„Du sollst“) und Dämon („Du darfst nicht“) triebpsychologisch und ge¬ 
netisch verschieden sind. Das Ich-Ideal hat zwei Wurzeln: eine derselben besteht in 
dem Versuch des Ichs, die gegen das Ich gerichtete Aggression des Todestriebes auf Ob¬ 
jekte abzuleiten, wodurch diese schreckhaft werden, sohin ein Vertauschen einer inneren 
gegen eine projizierte äußere Gefahr, ein mißlungener Versuch. Diese Leistung des Thanatos 
wird vom Eros pariert durch Aufnahme dieser angsterregenden Objekte ins Ich, wo sie 
Gegenstand des eigenen Narzißmus werden. Die zweite Wurzel der Ich-Ideal-Bildung ist zu 
suchen in einem kompromissuellen Versuch des Ichs, seine supponierte Allmacht aufrecht¬ 
zuerhalten. Diese fiktive Allmacht wird durch die Anforderungen der Außenwelt (Still¬ 
intervalle, Reinlichkeitserziehung) stark erschüttert. Dieser gegenüber habe das Kind infolge 
seiner Hilflosigkeit bloß die Wahl, auf seinen infantilen Größenwahn zu verzichten oder 
die Gebote und Verbote der Eltern zwar aufzunehmen, den unfreiwilligen Akt aber zwecks 
Rettung der fiktiven Allmacht als freiwilligen zu drapieren und die Introjekte mit dem 
eigenen Narzißmus zu bekleiden. Gelänge aber dem Eros diese Abwehr des Thanatos durch 
Aufrichtung des Ich-Ideals mittels Identifizierung, so wäre dieses ausschließlich Stätte der Liebe, 
die es in Wirklichkeit nicht ist: Thanatos pariert diese Tendenz des Eros durch 
Desexualisierung, mit der bekanntlich jede Identifizierung verbunden ist. Das Ich-Ideal 
ist demnach desexualisierter Eros und entspricht jener von Freud in „Das Ich und 
das Es“ postulierten indifferenten narzißtischen Energie, die jeweils zu den beiden 
Grundtrieben hinzutreten und die Gesamtbesetzung des einen oder anderen Triebes erhöhen 
kann. So wird das Ich-Ideal, einer neutralen Zone zwischen zwei kriegführenden Parteien 
vergleichbar, zum eigentlichen Kampfobjekt der beiden Giganten, zu einem Spiel¬ 
ball vor allem des Dämons. Dieser verdankt seine Konstituierung dem skizzierten mißlungenen 
Versuch des Eros, die ursprünglich gegen das eigene Ich gerichtete Aggression des Thanatos 
mittels Projektion abzuführen. Die Projektion mißlingt in quantitativ- verschiedenem Aus¬ 
maß: erstens infolge der Hilflosigkeit des Individuums, da das kleine Kind gegen die Um¬ 
gebung machtlos ist und kaum größere Aggressionen setzen kann. Zweitens deshalb, weil die 
gleichen Objekte, denen die Aggression zugewendet wird, — Eltern, — bereits ins Ich-Ideal 
aufgenommen wurden und dies eine Ermäßigung der Aggression resp. Selbstaggression 
zur Folge hat. Beides führt zur Stauung und Rückwendung der Aggression gegen 
das eigene Ich; das so bedrohte Ich gerät in Angst und gibt das Signal der Gefahr. — Das 
Ich-Ideal, die Stätte des desexualisierten Eros, wird vom Dämon seinen ich- 
zerstörenden Tendenzen dienstbar gemacht: Durch ständiges Vorhalten 
des Ich-Ideals als „stummen Modells“ und Aufzeigen der Diskrepanz 
zwischen Ich und Ich-Ideal verschafft der Dämon dem Ich Schuldgefühle. 
Somit wird das Ich-Ideal, das ursprünglich zur Aufrechterhaltung des bedrohten Narzißmus 
aufgerichtet wurde, zur gefährlichsten Waffe des Thanatos gegen den Eros. 

Mit welch großer, nahezu an Regelmäßigkeit gemahnenden Häufigkeit dies im Traum ge¬ 
schieht, dies aufzuzeigen ist die Aufgabe des Vortrages der beiden Autoren. 


4) Edmund Bergler (gemeinsam mit Ludwig Jekels): Triebdualismus 
im Traum. 


Leitsätze siehe Ludwig Jekels 






































































, M p ay ne: Mental Mechanisms in Dream and Trance States. 

t, S ' 7 t '„„ between day-dreaming, dream States, and mediumistic trance. The dream 
The relation • The dream state as a defence mechamsm against the 

sute as a 1 Ubjdmal^“ n 7 ^umatic factors in the etiology. The part played by 
y'T’SttSn and alienation phenomena. Mediumistic trance as an attempt at subhmat.on 
tTL effort to gain relationships with objects. 

Dritte wissenschaftliche Sitzung 

Dienstag, den 28. August, 9 Uhr 
Vorsitzender: Dr. Paul Federn, Wien 

1) Fritz Wittels: Der psychologische Inhalt von „männlich“ und 

des Begriffes Erlebnis in die Psychologie des Geschlechtes: Das eigene und 
Einführung des Begr £rklärung des unübersetzbaren Wortes Erlebnis für eng- 

das andere GescMe Wiederholung einer Definition des Geschlechtserleb- 

lkche und A^anach t 93 3 und In, Journal f. Psa. 

TV- d!T geschlechtslosen Polaritäten des denkenden Ichs und deren Beziehungen 
1933 n- r -r dessen eigentliche Stätte das Es ist. Bisexualität neben Lust- und Todestrieb 
V wTedTrhoTungszwang eine Hauptqualität des Es. Die Verschränkung zwischen drei Forde¬ 
rungen: Sei bisexuell komplett, sei unsexuell, bekenne dein Geschlecht Versuch eines er- 
ständnisses des Narzißmus, der Ödipus- und Kastrationskomplexe auf dieser Basis. 

z) R. Loewenstein: Die phallische Passivität beim Manne. 

In sehr vielen Fällen von männlicher Potenzstörung sowie von mehr oder minder vol - 
ständiger Hemmung der normalen genitalen Aktivität bleibt die genitale Automatik auf 
passive Befriedigungsformen, Masturbation und Fellatio beschrankt. Der Autor sc ag 
vor, bei der genitalen Funktion, entsprechend den beiden Phasen der phall,sehen Stufe der 
Libido, zwei Aspekte zu unterscheiden. Die phallische Phase ist durch das Vorwalten von 
Wünschen und Befriedigungsformen mit passiven Zielen charakterisiert. Das aktive Ziel des 
Eindringens entsteht erst spät in der Kindheit und in unzweideutiger Form erst bei Beginn 
der Pubertät. In der passiven Phase verhält sich der Penis wie jede andere erogene Zone: 
Brustwarze oder Klitoris. Die aktive Phase gibt dann den Ausschlag bei der Errichtung des 

Gcniialprimats. . 

Beim Erwachsenen sind die passiven Formen genitaler Befriedigung von einer raschen 
Ejakulation ohne Zuckungsbewegungen begleitet. Bei Fällen von ejaculatio praecox kann der 
Orgasmus eine urethrale Form annehmen, da die genitale Funktion auf die passive phallische 
Phase regrediert. Die Möglichkeit einer passiven genitalen Befriedigung bei Fällen, in denen 
die Potenz gestört ist (wie auch in Fällen andauernder Masturbation oder Homosexualität) 
beweist, daß der Kastrationskomplex die normale genitale Aktivität hemmen und dabei die 
passive Form dieser Funktion unberührt lassen kann. 

3) Marie Bonaparte: Du Masochisme feminin essentiel. 

Poursuivant ses recherches sur la sexualit£ feminine exposees au dernier congr^s, et qui 
touchaient la bisexualite fonci^re de la femme, Madame Marie Bonaparte traite aujourd’hui 
du masochisme feminin essentiel. D*accord en ceci avec les vues d’Hel&ne Deutsch, eile 
\ : t dans ce masochisme une part Constituante reguliere de la sexualite de la femme. L’etude 
des fantasmes de flagellation en particulier, chez les femmes, lui permet d’etablir une phase 
normale de Involution instinctuelle oü la libido phallique, de sadique, se retourne en ma- 
sochique. Elle suit alors les divers destins de ces fantasmes: Conservation totale, refoulement 










120 


Korrespondenzblatt 


de la representation avec ou sans sauvetage de Paffect, Integration ulterieure de cet affect 
sauve dans la fonction £rotique adulte, formation reactionnelle ou Sublimation, et eile en 
deduit les divers types erotiques de femmes que la clinique psychanalytique permet ensuite 
d’etablir. 

4) Melanie Klein: Zur Psychogenese der manisch-depressiven Zustände. 

Aus der Erkenntnis, daß die Über-Ich-Bildung mit der frühesten oralen Einverleibung 
der Objekte beginnt, ergibt sich die Auffassung, daß das Über-Ich sich aus mannigfaltigen, 
den verschiedenen Entwicklungsstadien entstammenden Objektbesetzungen und Identifizierun¬ 
gen aufbaut. Der schichtenweise Aufbau des Über-Ichs bildet — im Falle der Erkrankung — 
die Grundlage für den heterogenen Charakter der im Ich errichteten Objekte und für das 
komplizierte Verhältnis des Ichs zu seinen verinnerlichten Objekten. Im Lichte dieser 
Auffassung des normalen und abnormen Introjektionsvorganges läßt sich eine enge Beziehung 
zwischen den Mechanismen der Paranoia und der Melancholie erkennen. Dies führt zu Er¬ 
gebnissen, die unsere bisherige Kenntnis des Objektverlustes und des Introjektionsvorganges 
in der Melancholie ergänzen. 

5) Helene Deutsch: Don Quichote und Donquichotismus. 

Ausgehend von Cervantes unsterblichem Helden wird der „Donquichotismus" als ein 
ständiger Faktor der menschlichen Seele angesprochen. Es werden die hemmenden und 
fördernden Einflüsse dieses Faktors für die Realitätsanpassung aufgezeigt, seine Wichtigkeit 
für das Verständnis der Ichpsychologie erörtert und die Bedingungen nachgewiesen, unter 
denen die Grenze des Normalen aufgegeben wird, und zwar ebenso in der Richtung des 
wertvoll Überdurchschnittlichen, wie auch des Krankhaften. Insbesondere werden die Be¬ 
ziehungen zu Psychopathien und zu klinisch-psychotischen Zustandsbildern aufgezeigt. 

6) M. Kat an: Beitrag zum Restitutionsversuch in der Schizophrenie. 

Versucht wird, die Lehre der beiden Triebarten auf die Wahnbildung in der Schizophrenie 
anzuwenden. An der Hand von einigen Fällen wird die Möglichkeit besprochen, daß die 
Triebentmischung so weit fortgeschritten ist, daß die Organe, an denen sich die Autoerotik 
äußert, Objekt des Todestriebes werden. Um die daraus folgenden Gefahren abzuwehren, 
wird dann projiziert und der Streit zwischen den beiden Trieben wird nun dargestellt durch 
die verschiedenen wahnhaften Beziehungen zwischen einem Objekt in der Außenwelt und 
dem Ich. In manchen Fällen von Dementia Paranoides schreitet der Restitutionsversuch 
scheinbar so weit fort, daß der Ödipuskomplex wieder neu belebt wird. In Wirklichkeit ist 
der Versuch zur Wiederherstellung dann so weit gelungen, daß es zu einer Wortbesetzung 
des infantilen Materials gekommen ist, ohne daß eine dazugehörige Triebbesetzung zustande¬ 
gekommen wäre. 

7) Edith Vowinckel: Beitrag zur Schizophrenielehre. 

Von psychiatrischer Seite (Berze) wird die Grundstörung der Schizophrenie als „Hypotonie 
des Bewußtseins" aufgefaßt und davon alle wesentlichen Symptome abgeleitet. Es nähert 
sich diese psychiatrische Auffassung der psychoanalytischen von dem Versagen der syntheti¬ 
schen Funktion des Ichs. Diese Funktion ist weitgehend abhängig von dem ungestörten Aus¬ 
tausch von Objektlibido und narzißtischer Libido, wie ihn Freud im Bild vom Pseudopodien¬ 
tierchen dargestellt hat. Beim schizophrenen Realitätsverlust und bei narzißtischer Libido¬ 
regression erfahren die verschiedenen Identifizierungen, die beim Aufbau des Ichs beteiligt 
waren, eine Überbelastung mit narzißtischer Libido. Wechselnde Zustandsbilder der Katatonie 
werden einfühlbar, wenn man erraten kann, welche mit Libido überlasteten Identifizierungen 
alternierend die Herrschaft über das Ich an sich reißen. Dem entspricht das subjektive Er- 

































































Korrespondenzblatt 


121 


Fremdherrschaft, wie es aus Äußerungen von Katatonikern hervorgeht von der 
lenen er *e^^ Q ec lanken, meine Bewegungen werden mir gemacht.“ Es besteht die 
Art WIC# durch die Libidokonzentration übermächtig gewordene Identifizierung in die 
£5 Cl weit zu projizieren entsprechend dem Selbstheilungsmechanismus in der Psychose, wie 
^^ihn dar^estellt hat. Die Aufsplitterung des Ichs in die es konstituierenden Identifi- 
*- iCU .!' kann "auch als Triebabwehrmechanismus aufgefaßt werden, entsprechend der Ver- 
drängung und Isolierung auf höheren Regressionsstufen. 


8) Therese Benedek, Berlin: Über einen besonderen Typ von Süchtigkeit. 

An Jem Fa H e i n es schwer süchtigen, 26jährigen Mädchens wird die Süchtigkeit als 
rkundäre Krankheit dargestellt. Der Ausgang des primären Triebkonflikts führt zu 
,:ncr „überwertigen Idee“. 

Dic „überwertige Idee“ wird als monosymptomatische Paranoia erkannt. 

Die metapsychologische Untersuchung der „überwertigen Idee“ ergibt, daß sie in ihrer 
Entstehung mit der Genese des Über-Ichs große Ähnlichkeiten aufweist. Die „überwertige 
h-c“ hat die Funktion und die ökonomische Wirkung des Über-Ichs — gehört aber topisch 

Der ü ber-Ich-Charakter der „überwertigen Idee“ hält den Triebkonflikt aufrecht, dessen 
I rlcdigung in der komplizierten, vielseitigen Süchtigkeit immer neu erzwungen wird. 

Die Abfuhr der im primären Triebkonflikt entstandenen Triebspannung geschieht im 
, r p S ychosen alloplastisch, d. h. durch Projektion, wodurch also neue Umwelt- 

hc/ichungen geschaffen werden. Im Falle der Süchtigkeit geschieht die Abfuhr der im 
primären Triebkonflikt entstandenen Triebspannung autoplastisch, indem durch das aus 
Jt r Außenwelt in das Ich hineingenommene Suchtmittel das Ich zu ändern versucht wird. 


9) Alfred Groß: Über die Wirkung toxischer und toxoider Substanzen 
auf die Psyche. 

Die bisherige psychoanalytische Literatur toxischer Wirkungen betrachtet den Gegen¬ 
stand nur von den Perspektiven: Süchtigkeit und Paranoia. Angesichts der Ubiquität dieser 
Wirkungen in unserem Alltagsleben versucht das Referat eine generellere Erfassung und ge¬ 
langt dabei zur Auffindung eines gemeingültigen Primär Vorgangs, der mit den Mitteln der 
analytischen Dynamik, aber „jenseits des Lustprinzips“ formuliert wird. Die psychoenergetische 
Grundformel der toxischen Wirkungen. — Wirkungsabstumpfung und Abstinenzwunsch im 
I ichtc dieser Formel. 

Gruppierung der bekanntesten Reaktionstypen mit Hilfe der analytischen Topik. 

Ausblick auf Erfassung des primären toxischen Wirkungsmechanismus als eines psy¬ 
chischen Traumatoids. 


Vierte wissenschaftliche Sitzung 

Dienstag, den 28. August, 15 30 Uhr 
Vorsitzender: J. H. W. van Ophuijsen, Haag 

i) Käthe Misch: Die biologischen Grundlagen der Freudschen Angst- 
theoric. 

Leitsätze nicht eingelangt. 

2 \ . ^ erner Kemper: Hinweise der vergleichenden Entwicklungs- 
gesc ichte zur Frage des Orgasmus und der Frigidität. 

' ] ^ U J^' men ^ assun 8 : Die Vagina nimmt entwicklungsgeschichtlich eine Sonderstellung ein. 





















1. Ontogenetisch: Als einzige erogene Zone ist die Vagina nicht kloakaler Herkunft, 
während alle anderen erogenen Zonen sowohl der äußeren wie inneren Genitalien bei beiden 
Geschlechtern, ja auch die erogenen Zonen der anal-urethralen Stufe einheitlich als Kloaken¬ 
abkömmlinge nachgewiesen werden, deren Erogeneität also im Gegensatz zur Vagina von 
einer zu postulierenden „kloakalen Frühstufe“ abzuleiten wäre. 

2. Phylogenetisch: Die Vagina ist phylogenetisch der jüngst erworbene Anteil des 
Geschlechtsapparates, indem ihre Funktion als das den Penis mantelartig beim Sexualakt 
umschließende Organ noch in der Säugetierreihe größtenteils vom Vestibulum, auf den 
noch früheren Stufen vor der Kloakendifferenzierung sogar völlig unter Ausschluß der 
späteren Vagina von der Kloake ausgeübt wird. 

Bei der Frage nach der Genese dieser nicht kloakalen Erogeneität der Vagina Hinweis 
auf den im Laufe der phylogenetischen Entwicklung sich vollziehenden Orgasmuswandel beim 
Weibe. Er besteht darin, daß die ursprünglich bei beiden Geschlechtern an den Austritt 
von Ei bzw. Samen aus dem Elterntier nach außen gebundene Orgasmusfunktion beim Weib 
mit dem Auftreten der inneren Befruchtung sich dahingehend modifiziert, daß sich bei 
ihm der Orgasmus von jenem (nunmehr befruchteten) Eiaustritt nach außen (= Geburt) 
loslöst und zeitlich sich dem unverändert bleibenden Orgasmus des Mannes anpaßt. 

Besprechung der Möglichkeit, daß die oben als genetisch unklar bezeichnete Erogeneität 
der Vagina aus jener aufgelassenen primären Erogeneität des Eiausführungsganges stammen 
könne. 

Besprechung von kritischen Einwänden inhaltlicher und methodologischer Art. 

3) Heinrich Meng: Pathoneurose und Pathopsychose. 

Die Arbeit schließt an Ferenczis „Hysterie und Pathoneurosen“ (1919) an und ver¬ 
wertet Beobachtungen und Erfahrungen, die seit jener Publikation bei seelischer Behandlung 
organischer Leiden gemacht wurden. Es soll auch nachgeprüft werden, ob der bei Be¬ 
handlung einer Patientin mit Simondscher Krankheit hypothetisch aufgestellte Begriff der 
„Organpsychose“ brauchbar ist. Die spezifischen Veränderungen des Ichs und der Organe 
bei Psychosen, Neurosen und Mischformen stehen zur Diskussion. 

4) Robert Wälder: Das Freiheitsproblem in der Psychoanalyse und das 
Problem der Realitätsprüfung. 

Keine Erörterung des metaphysischen sog. Problems der Willensfreiheit, sondern der 
„Freiheit zu“ als psychologischen Phänomens. Redewendungen in der Psychoanalyse wie: in 
der Neurose fehle die Freiheit zu diesem oder jenem, die Therapie habe dem Ich einen neuen 
Freiheitsgrad zu geben usw. 

Dreifache Schichtung des Freiheitsproblems: allgemeinste Freiheit in der Vergegenständ- 
lichung des eigenen Erlebens (Über-Ich-Funktion); Freiheit von Affekten, über Affekte; 
Freiheit zur Erfassung der Realität. Dreifache Freiheitsstörung in Neurose, Psychose und 
Asymbolie: Verlust des Standorts über dem eigenen Erleben in der Asymbolie, Eingenommen¬ 
heit von Affekten in der Neurose bei erhaltener Über-Ich- und Ich-Funktion, Verlust 
der Freiheit zum Gegenstände bei der Psychose bei erhaltener Über-Ich-Funktion. Die drei¬ 
fache Schichtung entspricht der psychoanalytischen Dreiteilung der Persönlichkeit. 

Das Kausaldenken: die Warumfrage entspringt der Spannung zwischen Möglichkeit (Über- 
Ich-Funktion) und Wirklichkeit (Wahrnehmung und Triebe). 

Die Intentionalitätsstörung in der Schizophrenie. Das Problem der Ich-Erweiterung („Wo 
Es war, soll Ich werden“) und der Ich-Einschränkung. Pseudostärke des Ichs (Angst vor 
Feigheit oder Allmachtsglaube) und wirkliche Ich-Stärke. 

Der Mensch erscheint als Wesen mit beschränkten Freiheitsgraden. Ausblick auf die 
psychoanalytische Pädagogik: Voranalytische Pädagogik kennt zwei Methoden, Dressur (Lohn 

































































A A nell an das Sollen. Jene setzt keinerlei Freiheit, dieser eine unendliche 
und Strafe) un ^ P , eic j 1$am t i er isch, untermenschlich, dieser göttlich, übermenschlich, 
Freiheit vo ™* s ’ \ mensc hlich. Psychoanalytische Pädagogik als menschliche, auf der Voraus- 
““J“ jedoch ei.seechcäotee Feeihei,. 

c £rnst Kris: Zur Psychologie der Karikatur. 

’’ • be j d er Karikatur (ökonomische Überlegungen). Die Übereinstimmung 

P? wftz und Karikatur, der Anteil des Ubw. an der Karikatur, ihre Ähnlichkeit mit 
zwischen Beziehung zu Mechanismen des Primärvorganges (topische Überlegungen), 

dem Trau ”V am p ro blem der Tierkarikatur; ihre historische Beziehung zu Phy¬ 

siognomik und Charakterologie, ihre psychologische Beziehung zu Tierphobie und Tote- 

m 'Witzarbeit und Karikaturarbeit; das Rätsel als Negativ des Witzes, der Rebus als Negativ 

de n K rRddza r uber und die Anfänge der Karikatur; Spott- und Schandbilder als ihre Vor- 
formen (Phylogenetische Betrachtung.) Die Karikatur und die graphische Ausdrucksweise des 
Kindes (ontogenetische Betrachtung). 

i-\‘ Karikatur als soziales Phänomen. ... . « 

ä Klick auf allgemeine Probleme der Psychologie des Komischen: Die Komik als typischer 
.„“ersuch; der „Komiker“ als Charaktertypus. Spiel- und Scherzsituation als Vor¬ 
läufer °der Komik, Lustgewinn und Unlustbewältigung als Aufgaben der Komik. Der Kipp- 
•Karakter der komischen Phänomene (Unlust- statt Lusterregung) und der Ambivalenz¬ 
konflikt. Die komische Arbeit als Leistung des Ichs. Der Primärvorgang im Dienste des 
Ichs. Die Beziehungen des Primärvorganges zum Denken der Kinder und der Primitiven. 
Das Komische und das Erhabene, Manie und Ekstase. 

Die Sonderstellung des Humors. 


6) Gustav Bally: Die soziale Bedeutung der Analität. 

In der analen Phase zeigt der Mensch eine Neigung zur narzißtischen (objektunabhängigen) 
Befriedigung (Defäkations-, Urinierspiele), während die objektgerichteten Strebungen sich aus¬ 
schließlich an die Mutter wenden. Verschiedene Anzeichen legen die Vermutung nahe, daß 
in der analen Position ein nicht zur vollen Entfaltung kommender Ansatz einer elternuna - 
hängigen, subjektbezogenen Umweltbeziehung durchlaufen wird. Die Entfaltung wird durch 
das in diesem Alter noch beinahe absolute Angewiesensein des Kindes auf die Mutter ge¬ 
hemmt, ähnlich wie der erste Ansatz einer genitalen Objektbeziehung einem vorzeitigen 
Untergang anheimfällt. - Die Tiere (Hunde, Affen), die zum Vergleich herangezogen 
werden, machen auf der entsprechenden Stufe den ersten Schritt über die Mutter hinaus. 
Ihre Umwelt wird dadurch mehr oder weniger eindeutig anal gefärbt und behält diesen 
Charakter bei (Kot- und Urinmarken im Umfeld). Als Orientierungsorgan behält hier der 
(•cruch die entscheidende Funktion. — Im Charakter der menschlichen Analität werden die 
Wcsensmerkmale des tierischen „analen Weltbildes“ in ihrer Wendung auf die Mutter und 
.H.t das eigene Ich nachgewiesen. 

7) Barbara Low: The Psychological Recompense of the Analyst. 

I. Main problems of the analyst’s psychological deprivations. a) Inhibition 
of narcissistic gratification. b) Inhibition of super-ego impulses and Standards, c) Inhibition of 
dogmatic certitude. Recompense for above to be obtained by: II. the Sharing-in 
process on the part of the analyst; to afford any real recompense this must involve: 
a) Living other lives, not merely “looking in at” (i. e. possibility of Creative experience on 
the part of the analyst, whereby he develops further the known elements in himself, and 

















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Korrespondenzblatt 


realizes hitherto unknown elements, so fulfilling his phantasies and releasing more of his 
unconscious). b) Reliving his own inner sequence side by side with his patient’s similar 
re-living. III. Reaction upon the patient of this Sharing-in with further re-action 
upon analyst. a) Greater contact with analyst. b) Creation of a “sense of mo- 
y e m e n t“, fitting in with patient’s instructive impulse-life. c) Furtherance of patient’s positive 
ego-development. 


Fünfte wissenschaftliche Sitzung 

Donnerstag, den 30. August, 9 Uhr 
Vorsitzender: Dr. Felix Boehm, Berlin 

1) Edward Glover: A Developmental Study of Obsessional Neuroses. 

Study of obsessional neuroses constitutes a focal point in research on mental development. 
These neuroses represent a phase during which the first effective control of introjection and 
projection mechanisms is achieved. The emotional affects peculiar to these earlier mechanisms 
are to some extent mastered and more closely bound to ideational Systems thereby promoting 
reality adaptation. 

For these and other reasons the obsessional group requires more accurate subdivision and 
Classification. Correlation with melancholia and paranoia provides a simple approach to this 
Problem, but this must be combined with an investigation and Classification of perversions 
and with a clearer understanding of the relation between obsessional fears and anxiety 
phobias. 

2) H. Christoffel: Zur Genese und Symptomatologie des Exhibitionismus. 

31 jähriger tüchtiger Arbeiter, seit 12 Jahren in guter Stellung, seit 7 Jahren kinderlos ver¬ 
heiratet, wird vor 10 und vor 5 Jahren wegen Exhibitionismus straffällig und steht nun das 
dritte Mal wegen seines Delikts in Strafuntersuchung. In dieser Situation sucht er ärztliche 
Hilfe und wird dem Analytiker zugewiesen. Noch während der Strafuntersuchung, kurz 
vor der entscheidenden Gerichtsverhandlung, kommt es neuerlich zu polizeilicher Festnahme 
anläßlich Exhibierens. Auf gerichtsärztliches Gutachten, wobei sich der Experte mit dem 
Analytiker in Verbindung setzt, wird Pat. zu zweimonatiger Gefängnisstrafe bloß bedingt 
verurteilt und mit Ausweisung bedroht. 

Von nun an exhibiert er zwar nicht mehr; aber der Drang dazu bleibt erst mit 8 Mo¬ 
naten seit Behandlungsbeginn verschwunden. Die Analyse wird weitere 9 Monate weiter¬ 
geführt, dann vom Pat. abgebrochen, nachdem er abgesehen von seinem auffälligsten 
Symptom eine ganze Reihe sonstiger verloren hat. Die Gesamtstundenzahl der außerordent¬ 
lich fraktionierten Teilanalyse beträgt in den rund iV 2 Jahren bloß 50 Stunden und ist auf 
halbstündige regelmäßige Sitzungen von allerdings anfänglich dichterer Streuung verteilt, 
so daß z. B. auf die ersten 8 Monate 34, auf die restlichen 9 Monate 16 Stunden fallen. Der 
Kostenpunkt dieser Kassenbehandlung verglichen mit den Nettoausgaben des Staates für eine 
zweimonatige Gefängnisstrafe ergibt das Verhältnis 4:3. 

Bearbeitung der Grundkomplexe trotz Kürze der Analyse weitgehend möglich, wenn 
auch Ödipus- und Kastrationskomplex nicht genügend durchgearbeitet sind. Die also relativ 
produktive Analyse ergab genetische und strukturelle Aufschlüsse, welche einige Ergänzungen 
zum bisher über den Exhibitionismus Bekannten darstellen. Insbesondere die direkte und 
indirekte Aggression (Abschreckungsexhibitionismus, Selbstauslieferung) soll dargelegt werden 
im Zusammenhang mit dem Kastrationskomplex. Ferner bestehen bemerkenswerte Zusammen¬ 
hänge zwischen Exhibitionismus und Oralität (Mammakomplex). 


































































3 ) Bertram D. Lewin: The Meaning of the Fear in Claustrophobia. 

Th fear experienced in claustrophobic Situation* is coupled with ideas relating to the 
intrauterine state, and is either a fear of being born or of being disturbed (smothered, mjured etc ) 
hv the father’s phallus during coitus. In turn these fears are reducible to defloration, b.rth, 
d castration fear. Common combinations of claustrophobia with fears of being blinded, 
of drowning, etc. are given Interpretation, and there are appended certain remarks Ob what 
the child thinks or speculates about the intrauterine state. 


4) Edoardo Weiß: Die Straßenangst und ihre Beziehung zum hysterischen 
Anfall und zum Trauma. 

Wahrend in den meisten Fällen die Straßenangst von einem plötzlich eintretenden Angst- 
anfalle eingeleitet wird, gibt es vereinzelte Fälle, welche sich an einen hysterischen Anfall an¬ 
schließen, andere wiederum, die von einem auf der Straße erlebten Trauma ihren Ausgang 

nehmen. Es wird dann berichtet über: . . ... 

Ergebnisse aus der Analyse mehrerer Fälle dieser Phobie, einige neue Gesichtspunkte über 
den hysterischen Anfall im allgemeinen, seine Beziehung zum Angstanfalle der Phobiker, meta- 
psychologische Gesichtspunkte über die traumatische Natur mancher hysterischer und Angst¬ 
anfälle, verglichen mit psychischen Traumen, die von Reizen der Außenwelt stammen. 


Gregory Zilboorg: Clinical Problems of Suicide. 

Leitsätze nicht eingelangt. 

6 ) Karl A. Menninger: Focal Self-Destruction. 

ln a previous study of suicide the unconscious motives were shown to belong to at least 
threc groups: the wish to kill, the wish to be killed and the wish to die. In order to 
satisfy the aggressive, destructive tendencies (the wish to kill) and the submissive maso- 
chistic tendencies (the wish to be killed) it is not essential that actual death of the total 
Personality rcsults. These components may be satisfied by a partial suicide attenuated in 
time (as in ascetidsm, martyrdom, slow starvation) or in space (attacks by the seif on 
separate parts of the seif, insufficient to result in death). The latter might be designated 
focal sclf-dcstruction. 

Studics by the writer of focal self-destruction in various forms are here presented in 
summary, including (i) seif mutilations (commonly seen in bizarre forms in the 
psychoses and in more conventional forms in the neuroses, in religious ceremony and in 
social customs); (2) malingering; (3) compulsive Submission to one or multiple sur- 
g i c a 1 o p e r a t i o n s ; and (4) a c c i d e n t s of unconscious intent resulting in local injury. 
All have this in common: that a part of the body is injured or destroyed with the partial 
Cooperation of the rest of the personality. 

In all instances of focal self-destruction it would appear that the dynamics are (1) accep- 
tancc of passive gratifications as a substitute for active sexual and aggressive acts or wishes, 
ar »d (2) a renunciation of a part of the active tendencies as a sacrifice for past aggressions 
a °d a purchase price for future indulgence. Local self-destruction has as its chief purpose 
c bcn f not the ending of life but the preserving of life, and while apparently a form of 
attenuated suicide, actually constitutes a compromise formation whereby total annihilation 
is averted. It seems therefore to represent dominance of the life instinct rather than (as in 
suicide) of the death instinct. 













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Sechste wissenschaftliche Sitzung 

Donnerstag, den 30 . August, 15 30 Uhr 
Vorsitzender: Dr. Istvän Hollos, Budapest 

1) Franz Alexander: Psychogenic Factors in the Etiology of Peptic Ulcers. 

Leitsätze nicht eingelangt. 

i) George Wilson: Report of Acute Laryngitis Occurring as a Conversion 
Symptom during Analysis. 

Leitsätze nicht eingelangt. 

3) Oskar Pfister: Neutestamentliche Seelsorge und psychoanalytische 
Therapie. 

Der gemeinsame Ursprung beider im Streben nach Überwindung der Schuldangst und der 
als Strafe (göttliche oder selbstverhängte) aufgefaßten Übel, besonders der Krankheiten. 
Metaphysische Voraussetzungen der Schuld (Gott — normatives und strafendes Ich-Ideal, 
Sünde, Dämonen — ödipuswünsche, Es, Besessenheit — Obsessionen). 

Die Aufhebung des religiösen bzw. pathogenen Konfliktes: Ersatz der angsterregenden 
Befehls- und Strafinstanz durch eine gütige, gnädige, sowie der angst- und zwangsneurotischen 
Einstellung auf sie durch eine freie und gesunde (Religion, Ethik und PsA. als Psychohygiene 
des einzelnen und der Gesellschaft, Verbot des Moralisierens, Einführung der autonomen und 
liebenden Hingabe an die höchste normative Instanz), event. Aufhebung aller ethischen 
Grundsätze statt der Sublimierung und Vollversittlichung. Dabei Regression vom gestrengen 
Vater zum „prämoralischen“ der frühesten Kindheit und Abfindung mit ihm durch liebendes 
Vertrauen (Neues Testament) oder durch Gehorsam gegen das bereinigte und generalisierte 
Ich-Ideal (PsA.), oder durch Zerstörung aller Normen und Entwertung des Vaters (jenseits 
von gut und böse). 

Bedeutung der Übertragung und des Mittlers (Christus, Priester — Analytiker), der einer¬ 
seits als autoritativer Ausdruck und Vertreter der Norm (Gott — Ich-Ideal), anderseits als 
Repräsentant der zu liebenden Menschheit gilt (die Gottmenschlichkeit Christi als psycho¬ 
therapeutisches Postulat und ihr Analogon in der PsA.). Regression in die frühinfantile 
Situation (Jesus: zum Kleinkind, Johannesevangelium und Paulus: zum Mutterleib — PsA.: 
individuelle Verschiedenheit des Regressionsgrades); Prinzip der Wiederanknüpfung und 
Umschaltung. 

Trotz der vielen Parallelen, die die ntl. Seelsorge als intuitive und unwissenschaftliche PsA., 
die PsA. nach mancher Richtung hin als wissenschaftlichen Ausbau urchristlicher Seelsorge 
erscheinen lassen, bestehen tiefgreifende Unterschiede in bezug auf Ziel, gedankliche Objekt¬ 
betrachtung (religiös mit allgemeinen psa. Einsichten — exaktwissenschaftliche Untersuchung 
des Determinantennetzes), Behandlung und Topik, daß eine reinliche Scheidung der beiden 
Verfahren notwendig ist. In schweren Fällen muß strenge, religionsfreie Analyse stets 
vorangehen; wie weit der privativen (analytischen) Arbeit ein Neubau des Lebens nach- 
folgen soll, und wie weit dabei Fremdhilfe (Psychotherapeut, Seelsorger) benötigt wird, hängt 
vom einzelnen Falle ab. Bei Kindern und den meisten Heranwachsenden ist positive Er¬ 
gänzung der analytischen Arbeit unentbehrlich, 

4) Emilio Servadio: Psychoanalyse und Telepathie. 

Der Autor geht von der Annahme aus, daß die Telepathie eine bereits feststehende Tatsache 
ist, und prüft gesondert die drei Hauptprobleme der spontanen Telepathie in ihrer Be¬ 
ziehung zur Psychoanalyse, und zwar: a) die Fälle von Telepathie während der Analyse; 











































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b) die sogenannten „telepathischen Träume“; c) die telepathischen Übertragungen im Wach¬ 
zustände, mit spezieller Berücksichtigung der halluzinatorischen Form. 

ZU Was die erste Frage anlangt, entwickelt Verf. die Ausführungen von Helene Deutsch 
und Istvän Hollös, indem er sie durch eigene,, sowohl theoretische als auch aus der anä¬ 
mischen Praxis gewonnene Beobachtungen ergänzt. Im Lichte der gewonnenen Schlu߬ 

folgerungen deutet er einen bekannten Bericht Freuds. Er zeigt, wie die Annahme und die 
Kenntnis der telepathischen Erscheinungen während der Analyse den Gang der Analyse 

fördern können. r 

In bezug auf die sog. „telepathischen Träume“ schlägt Verf. eine Erweiterung der 

Freudschen Aufstellungen vor und besteht hauptsächlich auf den psychischen Zuständen 
und Komplexen, welche die telepathische Übertragung fördern und bestimmen. Vom 

analytischen Standpunkte aus bieten die vermuteten Bedingungen für das Zustandekommen 
einer solchen Übertragung das größte Interesse, und Verf. bespricht diesbezüglich sowohl 
die Telepathie im Traume als auch die telepathischen Vorkommnisse in der Analyse. 

Was die telepathischen Halluzinationen anlangt, sucht Verf. das Problem zu lösen, 

warum sie in der visuellen Wahrnehmung der Imago des Absenders bestehen und nicht 
in jener des Empfängers, während der Absender doch nur diese im Sinne haben konnte. 
Er beruft sich auf die psychoanalytische Theorie der Halluzinationen, auf die Fähigkeit des 
Es, eine halluzinatorische Befriedigung zu schaffen, und folgt daraus, daß das telepathisch¬ 
halluzinierte Bild ein psychisches Erzeugnis des Empfängers ist und eine Entschädigung für 
die Verletzung oder Vernichtung der Person des Absenders, wovon das Unbewußte Kenntnis 


erhält, zu sein scheint. 

Zum Schlüsse betont Verf. vom metapsychologischen Standpunkte aus den „regressiven“ 
Charakter der Telepathie als solche; er hebt hervor, daß der telepathische Ausdruck onto- 
genetisch archaischen Charakter hat und dem mimischen und sprachlichen Ausdruck voraus¬ 
geht. Er fragt sich, ob dieser Charakter nicht als solcher auch von einem phylogenetischen 
Gesichtspunkte aus betrachtet werden kann, wie es Freud vermutet hat und wie die, auf dem 
Gebiete der Ontogenese angestellten Beobachtungen zu beweisen scheinen. 


5) Nicola Perrotti: Considerations psychanalitiques sur la musique. 

La musique est le langage de Pinconscient. Aussi bien que les processus mentaux incon- 
scients, eile est incapable de contradictions et de negations et eile est depourvue 
de toute logique, sans aucun rapport avec la realite exterieure. 

La musique n’exprime pas de concepts, ni de sentiments non plus, mais seulement les 
passages et les variations, avec toutes leurs complications possibles, des „charges“ psychiques 
adh^rent ä des etats d’äme: c’est pourquoi la musique est Pexpression du dynamisme 
instinctuel de Pinconscient. Cette expression se realise sans Pintermediaire du preconscient, 
directement de Pinconscient au conscient. 

Mais, bien que la musique soit en elle-meme inaffective, eile excite tout de meme dans 
les auditeurs des sentiments, des representations et des fantaisies, ce qui se verifie lorsqu’elle 
decouvre dans le preconscient une id£e a laquelle eile puisse s’attacher et qui lui serve, 
pour ainsi dire, de vehicule. 

Un examen plus approfondi laisse entrevoir que ce rapport est un des traits essentiels de 
la creation artistique. 

6 ) Walter Kluge: Die präödipale Phase in ihrer Bedeutung für die 

Religionspsychologie. 

Solange der Ödipuskomplex im Mittelpunkt der psychoanalytischen Forschung stand, be¬ 
herrschte er naturgemäß auch die psychoanalytisch fundierten religionspsychologischen Unter¬ 
suchungen. Erst als die präödipale Phase sich dem tieferschürfenden Verstehen aufzuschließen 













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Korrespondenzblatt 


begann, konnte auch für die religionspsychologische Frage die P-rüfung des Präödipalen in das 
Gesichtsfeld rücken. 

Tatsächlich ist die Wurzel des religiösen Phänomens bereits im Präödipalen zu finden, 
wenn auch die Ödipussituation für dieses Phänomen einen elementaren Umbruch bedeutet, 
so daß es mehr als verständlich ist, daß bisher die Ödipussituation geradezu als ursächlich 
und ursprünglich für alles religiöse Geschehen angesprochen werden konnte. 

Von dem sog. „ozeanischen Gefühl“ führt indes der gerade Weg nicht zum Ödipus- 
komplex, sondern zur präödipalen Mutter-Kind-Gemeinschaft, zu jener Schicht, in der das 
Kritikvermögen noch unentwickelt ist und unbedingtes Vertrauen vorherrscht. Von hier 
aus setzt möglicherweise die Deifizierung der Mutter-Imago ein. 

In der biblischen Welt wird die Umbruchstelle vom Präödipalen zum ödipalen deutlich 
im Paradiesmythus symbolisiert, im „Fall“ aus der „Unschuld“ in das Inzest-Schuldbewußtsein. 

Von diesem Sachverhalt aus fällt Licht auf die in den höheren Religionen zentralen Be¬ 
griffe der „Versöhnung“ (mit der ambivalenten Vater-Imago) einerseits und der „Erlösung“ 
(durch die präödipale Mutter-Partizipation) anderseits. 

Weitere Vertiefung zeigt dann die Möglichkeit zum besseren psychoanalytischen Erfassen 
der mystischen Phänomene, insbesondere der sog. Brautmystik, d. h. der „schuld“freien 
Kommunion mit der Mutter-Imago auf dem Boden religiöser Sublimierung. Das mystische 
Phänomen kann als rein narzißtische Erscheinung nicht ausgeschöpft werden. 

Auf solcher Grundlage läßt sich wahrscheinlich ein erheblicher Ausbau des psycho¬ 
analytischen Beitrages zur allgemeinen Religionspsychologie erhoffen. 

Schließlich darf man die begründete Vermutung aussprechen, daß bei allen religiösen 
Manifestationen der sog. Todestrieb in seiner eigenartigen Verwobenheit mit dem Libidinösen 
eine spezifische und wichtige Rolle spielt. Wahrscheinlich wird die Einbeziehung des Todes¬ 
trieb-Faktors auch die bisherige psychoanalytische Auffassung über das Wesen des „Opfers“ 
erheblich modifizieren müssen, zumal ja auch abgesehen von diesem letzteren Gesichtspunkt 
das „Opfer“ schon im präödipalen Leben des Kindes in Erscheinung tritt. 

Siebente wissenschaftliche Sitzung 

Freitag, den 31 . August, 9 Uhr 
Vorsitzender: Dr. A. A. Brill, New York 

1) ReneLaforgue: Kontraindikationen für die analytische Grundregel, 

La regle fondamentale du traitement analytique (analytische Grundregel) ne peut pas 
toujours etre appliquee d'une fa^on rigoureuse ä moins de faire parfois le jeu de la resistance 
du malade. 11 importe donc de Pappliquer avec toute la souplesse desirable. Nous nous 
proposons d^tudier dans cette Conference les situations oü Papplication stricte de la regle 
fondamentale pourrait etre contre-indiquee, 

2) Grete Bibring-Lehner: Zum Thema des Übertragungswiderstandes. 

Die Bedeutung der Realität und der Phantasie in der Theorie der Neurosenbildung. Die 
Übertragung als eine spontane Verschiebung unbewußter Einstellungen des Patienten auf die 
durch den Analytiker dargestellte Imago. Die Bedeutung der realen Person des Analytikers 
für die Übertragung. An klinischen Beispielen wird gezeigt, wie der Charakter der Über¬ 
tragung und der Widerstände durch die reale Person des Analytikers beeinflußt werden 
kann. Konsequenzen dieser Auffassung. 

3) Theodor Reik: Ansatzpunkt, Pause, Wiederaufnahme. (Neue Wege der 
psychoanalytischen Technik II.) 

Die allgemeineren Voraussetzungen des Verstehens unbewußter Vorgänge beim andern. 
Die Natur des zur Verfügung stehenden unbewußten Materials. Der psychische Vorgang im 





































































I -v r Der Augenblick des Überganges vom Primärvorgang zum Sekundärvorgang als 
■^^svchölogische Moment des analytischen Verstehens (Ansatzpunkt). Das Erkennen des 
P y „nJs die Gefahr seiner Nichtbeachtung. Die Unklarheit vorher. Die Latenzzeit 
tTpsychologischen Verständnisses. Die weitere unbewußte Benützung des Einfalls. Das 
' Aktive Intervall, das Reifenlassen der analytischen Einsichten. Gegen die Hetzjagd des 
Denkens Die Veränderungen im psychologischen Erkennen in der Pause. Die Wieder¬ 
aufnahme erster Einfälle, ihre Korrektur und ihre Weiterverfolgung. Das Erfassen ihrer 

Tragweite. 

4) E. Lowtzky: Zur Technik der psychoanalytischen Überwindung des zu 
strengen Über-Ichs als Heilungswiderstandes. 

Das Problem, um das es sich handelt, ist das der psychoanalytischen Überwindung des 
Widerstandes, der in Fällen des überstrengen Über-Ichs sich gegen die Heilung des Kranken 
äußert d. h. in den Fällen, in welchen es sich „um einen .moralischen Faktor, um ein 
Schuldgefühl, welches im Kranksein seine Befriedigung findet und auf die Strafe des Leidens 
nicht verzichten kann“, handelt. Dieser, oft unüberwindliche Widerstand, äußert sich als 
tarkes Hindernis der Wiederherstellung des Kranken, so daß „bei der Intensität der Sc u 
•eiühle die Therapie oft keine Gegenkraft von gleicher Größenordnung entgegenstellen 
kann“. Diese intensiven Schuldgefühle haben ihren Ursprung in den aggressiven Im¬ 
pulsen Das Über-Ich zeigt dann eine besondere Strenge, wütet gegen das Ich in grausamer 
Weise, indem es mit der Krankheit straft. Es handelt sich darum, diesen Widerstand zu 
überwinden, „eine Gegenkraft von gleicher Größenordnung“ zu finden, um sie den inten- 
siven Schuldgefühlen entgegenzusetzen. Diese „Gegenkraft“ finden wir in dem Nachweise, 
daß die Aggressionsgefühle aus der Liebe entstehen, in der Liebe ihren Ursprung haben, 
so daß man nach der Intensität des Hasses die Intensität der Liebe beurteilen kann und 
daß an dieser Verwandlung der Liebe in Haß, die in Folge der Enttäuschung des Kindes an 
der Elternliebe entsteht, das Kind keine Schuld trägt. 

In einer Reihe von ganz schweren Fällen der Zwangsneurose und der Hysterie, wie bei 
den hier angeführten vier Fällen, ist es mir gelungen, die härtesten Widerstände des Über-Ichs 
zu überwinden, die Patienten zur Heilung zu bringen. Bei der Intensität der Schuldgefühle 
also ist die erschöpfende Aufklärung der Genesis der Aggressionen „eine Gegenkraft von 
gleicher Größenordnung“, die uns ermöglicht, die Schuldgefühle herabzusetzen, den Wider¬ 
stand des Über-Ichs dadurch zu brechen und den Kranken wiederherzustellen. 


5) Michael Bälint: Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung. 

Die bisherigen Beschreibungen des Endziels: Bewußtmachen des Unbewußten, Überwin¬ 
dung der Widerstände, Aufheben der infantilen Amnesie, das Erlebenlassen in der Analyse, 
Jas Abreagieren des Geburtstraumas, die wirkliche freie Assoziation. Die Neubeginntheorie. 
Folgerungen, betreffend die sogenannten „prägenitalen Organisationsstufen der Libido“, ins¬ 
besondere die „anal-sadistische Organisation“ und die „phallische Phase“. Zur Kritik der 
F rk!'.irungsversuche aus dem Kastrationskomplex. Ausblicke. 

6) Wilhelm Reich: Weitere Probleme und einige Konsequenzen der 
Charakteranalyse. 

Darstellung der Herkunft der „Ichtrieb“-Energie an Hand klinischer Beispiele. Fallangst 
und oberflächliche Assoziation. Objektverlustangst und charakterliche Kontaktlösigkeit. 
\egetative Reaktionen nach Lösung der charakterlichen Panzerung. Muskelrigidität, und 
charakterliche Verkrustung. Einige psychophysische Grenzfragen. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/i 


9 








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Korrespondenzblatt 


7) Georg Gero: Zur Theorie und Technik der Charakteranalyse. 

1. Charakteranalyse ist ein Spezialfall der Widerstandsanalyse und deshalb eine notwendige 
Aufgabe jeder Analyse. 

2. Wir lernen immer mehr, die charakterliche Verarbeitung neurotischer Konflikte als 
einen sehr häufigen Abwehrmechanismus zu verstehen. 

3. Neurotisch nennen wir dann eine Charakterformation, wenn sie die Erlebnis- und 
Leistungsfähigkeit beeinträchtigt und wenn sie erstarrt, nicht mehr wandlungs- und anpassungs¬ 
fähig wird. 

4. Charakterzüge wirken nicht nur als Hemmungsvorrichtungen, sondern auch über¬ 
kompensatorisch. 

5. Die charakterliche Abwehr erfolgt durch bestimmte Haltungsweisen, aber auch durch 
die Ausbildung körperlicher Mechanismen, z. B. die muskuläre Verkrampfung der Zwangs¬ 
charaktere. 

6. Auf die Bedeutung dieser formalen körperlichen Momente haben Ferenczi, Fenichel 
und Reich hingewiesen. Es ist zu untersuchen, ob in diesen körperlichen Erscheinungen 
nicht Schicksale, Verwandlungen der Libido aufzufinden sind. 

7. Die technische Bedeutung dieser formalen Ausdruckserscheinungen besteht darin, daß 
in ihnen die Geschichte eines infantilen Konfliktes, nämlich die Verdrängung einer sexuellen 
oder aggressiven Triebregung aus Angst vor Strafe niedergelegt ist. Die konsequente Be- 
wußtmachung der formalen körperlichen Ausdruckserscheinungen und die Aufdeckung ihrer 
Funktion läßt die Angst, die in diesen Haltungen gebunden war, durchbrechen und es wird 
dadurch möglich, den ursprünglichen Konflikt zu rekonstruieren und zu lösen. 

8) Melitta Schmideberg: Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen 
Therapie. 

Die Psychoanalyse verstärkt und korrigiert die spontanen Selbstheilungstendenzen des 
Individuums. 

Wirkung der Deutung: ökonomische, topische und dynamische Voraussetzungen für die 
Wirkung der Deutung. Die in der Analyse erfolgende Triebentmischung und Libidover¬ 
schiebung. Faktoren, die diese Vorgänge regulieren. 

Beeinflussung der Projektions- und Introjektionsvorgänge. Wesen der Übertragungssituation. 
Einige Faktoren, die die Grenzen der Therapie bestimmen. 

Vergleich der Psychoanalyse mit andern Psychotherapien. 


Achte wissenschaftliche Sitzung 

Freitag, den 31. August, 15 30 Uhr 

1) M. N. Searl: Infantile Ideals. 

Since the Substitution of the term super-ego for ego-ideal, comparatively little additional 
knowledge of the ideal aspect of the super-ego has accrued. Yet the incorporation of the 
parental ideal or the ideal parent in its connection with the Oedipus Situation implies some 
precedent history of ideal formation. For every psychic phenomenon has its own specific 
genesis as well as occasion. 

Infantile ignorance of time and of other reality limitations is an important element both 
in infantile impatience and in infantile contentment: in the anxiety lest situations of tension 
and discomfort, as in the desire that situations of happiness, should never end. This gives 
the origin of the two inter-related extremes in super-ego formation, with impatience and 
ruthlessness as the mark of their infantile origin in both. Thus the anxiety resulting from 
the association of these affects with the infant’s own ideals may drive towards their 






























































v , »nf bv the Patents» ideals, particularly when these are directed rather to externals, 
w behaviour, than to the internal psychic life. 


2 ) Ruth Mack Brunswick: The Preoedipal Roots of the Primal Scene 
(Körperpflege, Urszene und kindliche Onanie). 

The early physical care of the child provides the basis in fact for the child»s understanding 
of the primal scene, and for infantile masturbation-phantasies. 


3) Raymond de Saussure: Analyse du moi. 

Les conflits infantiles qui sont k la base des n^vroses se forment k un age oü la logique 
de l’enfant est bien differente de celle de l’adulte. 11 importe parfois d»analyser cette dif- 
ference pour permettre au malade de comprendre ses conflits. 

Ainsi l’enfant ne connait pas la logique des relations. Un objet est lourd ou leger, mais 
il n’est pas plus ou moins lourd suivant l’objet auquel on le compare. De meme l’enfant se 
considerera beau ou laid, intelligent ou bete. Cette attitude rend les sentiments d’mfenont* 
si violents, car ils sont deduits des jugements absolus, caractensuques de la petite enfance. 


4) Jeanne Lampl-de Groot: Einfluß der infantilen Masturbation auf 
die spätere Entwicklung der Persönlichkeit. 

Beobachtungen über den Zusammenhang zwischen Störungen der Leistungsfähigkeit des 
gereiften Ichs und dem Verhalten des Kindes in bezug auf die Masturbation. 

5) Edith Jacobsohn: Zum Heilungsproblem in der Kinderanalyse. 

Die analytische Therapie erzielt beim Kind relativ bessere und raschere Resultate als beim 
Erwachsenen (lockerere und reversiblere Neurosenstruktur). Aber der analytische Heilungs¬ 
prozeß des Kindes ist — vom libidoökonomischen Standpunkt aus — begrenzt, kann nur 
ein labiles libidinöses Gleichgewicht, ein Kompromißergebnis schaffen. 

Im Lauf der Analyse kommt es beim Kind leicht zu explosiven Triebdurchbrüchen. Um 
daraus entstehenden Konflikten mit der kindlichen Umwelt (Familie, Schule) aus dem Wege 
zu gehen, muß man dem Kind rechtzeitig den Begriff der Triebbeherrschung lebendig 
machen (Anna Freud), im Dienste der Realitätsanpassung wie der direkten Förderung der 
Ar aly c (Bremsen des zu heftigen Agierens). Gegen Ende der Behandlung drängt das — zu 
genitaler Position entwickelte — Kind trotzdem zu sinnlicher Objektbefriedigung (se¬ 
xuellen Spielereien mit anderen Kindern). Beispiele folgen. Es zeigt sich schwer der Aufgabe 
genitaler Triebeinschränkung gewachsen, die ihm die gesellschaftliche Moral vorschreibt. 
Diese Schwierigkeiten lösen sich meist auf dem gleichen Weg, den das durchschnittlich 
normale Kind zur Überwindung der Ödipuskonflikte beschreitet, nicht durch „bewußte Ver¬ 
urteilung“, sondern mit Hilfe von Verdrängungsmechanismen. An den triebbefreienden 
Prozeß schließt sich also ein sanfter, daher nicht pathogener Verdrängungsvorgang an. Meist 
kommt cs nicht mehr zu einer Latenzzeit, die Onanie ist aber nicht angstfrei, weil mit 
unbewußten, verbotenen Wünschen (andere Kinder, Ödipus-Personen) verknüpft. Aktual- 
ncurotischc Störungen können eintreten. Bleiben die Wünsche bewußt, so verharrt das Kind 
n dauernder Konfliktsituation mit Rezidivgefahr. Die verschiedenen Ausgangsformen 
schaffen jedenfalls nur eine labile Gleichgewichtslage. Wir vergleichen dieses Ergebnis zur 
Klärung unserer therapeutischen Vorstellungen mit dem Heilungsziel beim erwachsenen 
Analysanden: Während wir vom Kind zum Schluß den Verzicht auf sinnliche Objekt¬ 
beziehung fordern, nennen wir den Erwachsenen erst dann gesundet, wenn er sublimierungs¬ 
fähig und zu genitaler Objektbeziehung bereit ist. Das bedeutet hier ein vollkommenes, 
'labiles, dort ein labiles psychisches Gleichgewicht. Ordnen wir den Begriff der „bewußten 


9 1 













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Korrespondenzblatt 


Verurteilung <c libidoökonomischen Gesichtspunkten ein, so entspricht er der Fähigkeit des 
Ichs zur Triebregulierung auf der Grundlage eines völlig libidinÖsen Gleichgewichts. Da 
dieses nur durch angstfreie Entfaltung der Genitalität gewährleistet ist, ist das analysierte 
Kind soll es im Einklang mit der gesellschaftlichen Moral bleiben — zu „bewußter Ver¬ 
urteilung unfähig, kann also das für den Erwachsenen gültige Heilungsziel nicht erreichen. 

6) Anna Freud: Zum Problem der Pubertät. 

Die Parallele zwischen den Triebkonstellationen der ersten Kindheitsperiode und der 
Pubertät wird weiter verfolgt und erläutert. 

7 ) Siegfried Bernfeld: Über die männliche Pubertät. 

Es wird eine Übersicht über die wichtigsten Verlaufsformen der männlichen Pubertät 
gegeben. Unter diesen wird eine Form als die „primitive“ ausführlich dargestellt und deren 
Bedingungen angegeben. Die Beziehungen zwischen der „primitiven Pubertät“ und der 
Verwahrlosung werden nachgewiesen. 


Geschäftliche Sitzung 

am 29. August 1934, 9 Uhr vormittag. 

Vorsitzender: Dr. Ernest Jones. 

Anwesende Vorstandsmitglieder: Dr. Eitingon, Dr. Ophuijsen, Fräulein Anna 
Freud. 

Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung und stellt an die Mitglieder die Anfrage, ob 
die Anwesenheit des Herrn Dr. Freud, der einerseits den Bericht über die Verlags¬ 
tätigkeit zu erteilen hat, andrerseits die Rolle des Schriftführers für die geschäftliche 
Sitzung übernehmen soll, gebilligt wird, obwohl Dr. Freud nur außerordentliches 
Mitglied der I. P. V. ist. Die Bewilligung wird erteilt. 

Der Vorsitzende unterbreitet dem Kongreß den Antrag, an den sogleich nach dem 
Eröffnungsabend schwer erkrankten Dr. Behn-Eschenburg ein Telegramm zu 
senden, in dem ihm die Sympathie des Kongresses ausgedrückt und baldige Genesung 
gewünscht wird. Der Antrag wird mit Beifall einstimmig angenommen. 

Hierauf verliest Herr Dr. Jones den 

Bericht des Zentraivorstandes 

„Einigen von uns schien der Bericht, den Dr. Eitingon dem letzten Kongreß vor¬ 
legte, etwas rosiger gefärbt, als es die gegebene Situation der Psychoanalyse gestattete. 
In jedem Falle aber tut es mir leid, Ihnen kein ähnlich günstiges Bild darbieten zu 
können. Im Gegenteil. Ich bemerke, daß in verschiedenen Teilen unserer Vereinigung 
ein Geist der Uneinigkeit herrscht, der mir ernstliche Sorgen bereitet. Glücklicher¬ 
weise fallen aber von anderen Seiten Lichter auf das Bild, die es weniger düster er¬ 
scheinen und uns auf eine gedeihliche künftige Zusammenarbeit hoffen lassen. 

In Amerika ist die Situation in vieler Hinsicht ungeklärt. Auf dem letzten Kongreß 
wurde der American Psychoanalytical Association die Bewilligung erteilt, sich als 
Exekutivorgan aller amerikanischen Gesellschaften zu konstituieren, bei der Neu¬ 
aufnahme künftiger Gruppen zu fungieren und vor allem als Bindeglied zwischen 
dem Kongreß der Internationalen Vereinigung und den einzelnen Zweigvereinigungen 






































• Amerika zu dienen. Diese vielversprechende Einrichtung, die mit Dr. Eitingons 
H'lfe ins Leben gerufen wurde, ist auf ein unerwartetes Hindernis gestoßen. Das vor- 
eschlagene Statut erregte einen derart heftigen Widerstand, daß sich unsere ameri¬ 
kanischen Kollegen im vergangenen Frühjahr entschlossen, es außer Kraft zu setzen, 
bis die Möglichkeit gefunden würde, sich über ein verbessertes Statut zu einigen. 
Die Angelegenheit wird uns heute noch eingehend beschäftigen, und dies scheint mir 
eine Gelegenheit, in der unsere größere psychologische Instanz es uns ermöglicht, 
unseren in Verwirrung geratenen Kollegen zu Hilfe zu kommen. 

In der New Yorker Vereinigung selbst, so sagen Gerüchte, bestehen Span¬ 
nungen zwischen Untergruppen; die Angaben, die ich besitze, sind jedoch 
nicht präzis genug, um sie hier Vorbringen zu können. Das von Dr. Rado 
leitete Unterrichtswerk läuft ohne Unterbrechung weiter und muß daher zu gün¬ 
stigen Ergebnissen führen. In Chikago ist die vielversprechende Zusammenarbeit 
zwischen Drs. Alexander und Horney aufgelöst worden, und Dr. Horney ist im 
Begriffe, sich in New York niederzulassen. Ich darf hier einschalten, daß ich mit 
Herrn Dr. Stern, der so viel für das Institut in Chikago getan hat, gelegentlich 
seines letzten Londoner Besuches eine Aussprache hatte und mit Vergnügen bemerken 
konnte, wie sehr ihm die Förderung der Psychoanalyse dort und überhaupt am 
Herzen liegt. Eine neue hochqualifizierte Gruppe hat sich in Boston gebildet, wo 
mehrere bestbekannte Analytiker, wie Drs. Coriat, Hendrick und Peck, wirken. 
Ich möchte noch hinzufügen, daß Dr. Hanns Sachs seine einzigartige Lehrbegabung 
von Berlin nach Boston verlegt hat. Die American Federation hat die neue Gesell¬ 
schaft aufgenommen, und wir werden Sie heute bitten, die Aufnahme in die Inter¬ 
nationale Vereinigung zu ratifizieren. Die Gruppe Washington-Baltimore ist zwar 
klein, aber recht rührig. Sie hat das Bestreben, sich mit der Zeit ihr eigenes Institut 
zu schaffen; diese Angelegenheit betrifft aber eher diel.U.K. als diese Versammlung. 

Die nächste in meiner alphabetischen Liste ist die British-Society. Ebenso wie ein 
befriedetes Land keine Geschichte aufweist, so ist auch über diese Gesellschaft wenig 
zu berichten. In der wissenschaftlichen Arbeit sowie im Unterricht sind ständige 
Fortschritte zu verzeichnen, und wir haben letzthin unsere Tätigkeit auf dem 
Gebiet öffentlicher Vorträge ausgedehnt. Die Mitgliederzahl beträgt nun insgesamt 
sechzig, ungefähr die gleiche wie in New York und Wien. Zwei Ereignisse von Inter¬ 
esse sind eingetreten. In Johannesburg hat sich unter der Führung von Dr. Wulf 
Sachs, den wir auf diesem Kongreß persönlich begrüßen können, eine kleine Gruppe 
gebildet, die die Kernzelle einer künftigen südafrikanischen Vereinigung zu werden 
verspricht. Vor kurzem ist ihr Dr. Perls aus Berlin beigetreten und wahrschein¬ 
lich werden andere aus Europa seinem Beispiel folgen. Die Gruppe ersuchte, auf die 
Dauer ihrer nächsten Entwicklung als Studiengruppe in die British Society einge¬ 
gliedert zu werden, und wir haben diesem Ersuchen stattgegeben. Das andere Ereignis 
ist das Eintreffen mehrerer Psychoanalytiker aus Deutschland. Wir haben nun acht 
solche Mitglieder in unserer Gesellschaft, von denen zwei bereits vor den politischen 
Geschehnissen der letzten Zeit zu uns gekommen sind, und wir haben sie in jeder Hin¬ 
sicht als eine willkommene Stärkung unserer Kraft empfunden. 

Die Holländische Gesellschaft hinwieder hat dem Zentralvorstand reichlich Anlaß 
zu Besorgnissen gegeben. Aus verschiedenen Gründen entstanden Meinungsverschie¬ 
denheiten, und der Präsident Dr. van Ophuijsen trat, nachdem er eine einträch- 















*34 


Korrespondenzblatt 




tige Zusammenarbeit mit seinen Kollegen weiterhin nicht möglich fand, von 
seinem Amte zurück und gründete eine neue Vereinigung. Obwohl der Beweggrund 
selbst nicht klar definiert war und die Notwendigkeit der Spaltung im Prinzip mit 
Bedauern zur Kenntnis genommen werden mußte, fühlte sich der Zentralvorstand aus 
prinzipiellen Gründen veranlaßt, den Schritt Dr. v. Ophuijsens zu billigen und 
nahm daher die neue Vereinigung provisorisch auf. Sie besteht vorläufig aus einer 
kleinen Gruppe von zehn Mitgliedern, einschließlich des früheren Präsidenten, 
Dr. van Emden, Dr. Landauer, Dr. Kat an und Dr. Reik. Zum Präsidenten der 
alten Vereinigung wurde Dr. de Monchy gewählt, der mir versprochen hat, bei seiner 
Vereinigung für die Wahl eines neuen Namens einzutreten, damit Verwechslungen 
vermieden werden. Die Arbeit in dieser Vereinigung dauert natürlich fort, ebenso wie 
in der Amsterdamer Studiengruppe. Dr. Westerman-Holstijn ist zum Privat¬ 
dozenten für „Psychoanalyse der Psychosen“ an der Universität Amsterdam ernannt 
worden, und damit ist in den Niederlanden die Psychoanalyse zum erstenmal als 
Lehrgegenstand an der Universität offiziell anerkannt worden. 

Das Hauptereignis in Frankreich bildet die Gründung des Pariser Psychoanalyti¬ 
schen Instituts, das durch die Initiative von Mme. Marie Bonaparte, die auch die 
Leitung innehat, geschaffen wurde. Obwohl sich dieses Institut, mehr als es sonst bei 
uns üblich ist, an die Außenwelt wendet, ist auch der Unterricht für Lehrkandidaten 
nach erprobten Richtlinien organisiert. Es ist zweifellos dazu bestimmt, in der künf¬ 
tigen Entwicklung der Psychoanalyse in Frankreich eine sehr bedeutsame Rolle zu 
spielen. Ein anderes Ereignis bildet die Gründung der Association des Psychanalystes 
de France, deren Hauptfunktion in der Regelung der therapeutischen Praxis und der 
Bestimmung für die Mitgliedschaft bei der französischen Gesellschaft zu liegen scheint. 

Bisher scheint mein Bericht zwischen guten und schlechten Neuigkeiten seitens der 
verschiedenen Vereinigungen abzuwechseln. Wir kommen nun zu unserem größten 
„Sorgenkind“, der Deutschen Vereinigung. Ich möchte dem, was ich darüber zu sagen 
habe, die Bemerkung vorausschicken, daß diese ganze Angelegenheit sehr verschiedene 
Gefühlshaltungen wachgerufen hat, die eine objektive Ansicht über die Situation er¬ 
schweren. Bei jeder Diskussion sollte vor allem die eine Überlegung von überragen¬ 
der Bedeutung sein, wie man die Möglichkeit psychoanalytischer Arbeit für die Mit¬ 
glieder der Deutschen Vereinigung möglichst günstig gestalten kann, sowohl für die 
in Deutschland gebliebenen Mitglieder als auch für die, die das Land verlassen 
haben. Beide Gruppen arbeiten unter außerordentlichen Schwierigkeiten und 
bedürfen daher unserer mitfühlenden Hilfe. Ich hoffe, wir werden sie beiden 
rückhaltlos zuteil werden lassen. Die Tatsachen sind folgende: In den letzt¬ 
vergangenen Jahren hat die Deutsche Gesellschaft fast die Hälfte ihrer früheren 
Mitgliederzahl durch Emigration verloren. Dieser Verlust ist ebenso quali¬ 
tativer wie quantitativer Art, nachdem in ihm jene Mitglieder inbegriffen sind, deren 
Arbeiten der Gesellschaft einen hervorragenden Namen in der Welt verschafft haben. 
Die Emigration erstreckt sich auf zwei Perioden: auf die Zeit vor und nach dem 
Antritt des gegenwärtigen politischen Regimes in Deutschland. Der früheren Periode 
gehören die Namen Alexander, Harnik, Karen Horney, Melanie Klein, 
Rado, Sachs und Melitta Schmideberg an; der späteren Bernfeld, Eitingon, 
Fenichel, Landauer, Reich, Reik und Simmel. Die bloße Erwähnung dieser 
Namen genügt, um zu zeigen, welchen Verlust die Deutsche Gesellschaft erlitten hat. 



































X, ~ird aber auch bemerken, daß die Weggewanderten nur zum geringsten Teil 
deutscher Nationalität und in günstigeren Tagen selbst in Deutschland eingewandert 
taten- deutscher Nationalität waren, wie ich glaube, nur drei von den eben erwahn- 
ln vierzehn hervorragenden Namen. Die Emigranten haben vielfach Aufnahme in an¬ 
deren psychoanalytischen Gruppen gefunden. Viele von ihnen sind in ausreichender 
Stellung und können arbeiten, viele andere aber - besonders die jüngeren - haben 
in dieser Hinsicht mit beträchtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen und sind daher. 
Gegenstand ernster Sorge für uns. Die deutschen und nichtjüdischen Mitglieder 
«nd zum Großteil in ihrem Vaterland verblieben, trotz mancher Schwierigkeit, der 
ie dort unterworfen sind. Sonst wird in Deutschland noch immer Psychoanalyse aus- 
leübt, und die psychoanalytische Arbeit hat selbst in diesen verworrenen Zeiten keine 
Unterbrechung erlitten. Nichtsdestoweniger ist die Haltung der Zurückgebliebenen 
Gegenstand einer zuweilen recht scharfen Kritik gewesen, die sich vor allem um die 
Person des gegenwärtigen Vorsitzenden, Dr. Boehm, konzentriert. Man hat ohne 
Zweifel das Recht, verschiedener Ansicht darüber zu sein, ob einzelne von Dr. Boehm 
unternommene Schritte angebracht waren; der Wert solcher Meinungen hängt aber 
davon ab, ob der, der sie ausspricht, die zugrunde hegenden Tatsachen wirklich 
kennt. Ich habe einige sehr scharfe Meinungen gehört, die in Unkenntnis dieser 
Tatsachen geäußert wurden, was an sich schon der Beweis dafür ist, daß irrationale 
Faktoren am Werke sind. Ich möchte nur hinzufügen, daß Dr. Boehm zuerst per¬ 
sönlich bei Prof. Freud im April 1933 vorsprach, um kritischen Zusammenstößen, 
zu denen es später tatsächlich kam, vorzubeugen; er benützte auch schon sehr früh 
die Gelegenheit, mir als dem Präsidenten einen wahrheitsgetreuen Bericht von allem 
Geschehenen gelegentlich von persönlichen Besprechungen zu geben, die ich mit ihm 
und anderen Kollegen im Oktober desselben Jahres in Holland hatte. Ich habe Anlaß 
zu hoffen, daß die Dienste, die Dr. Boehm der Psychoanalyse geleistet hat, jede zeit¬ 
weilige Kritik, der er ausgesetzt sein mag, überdauern wird. 

Aus all dem resultiert eine praktische Frage, die ich dieser Versammlung vorlegen 
möchte, nämlich die Frage der Mitgliedschaft. Es wurde vorgeschlagen, eine neue 
Form von Mitgliedern der Internationalen Vereinigung zu schaffen, die an keine ört¬ 
liche Gesellschaft gebunden ist. Jemand nannte es witzig etwas wie den Nansen-Paß; 
man könnte es auch — um zur analytischen Terminologie zurückzukehren — als 
„frei flottierende“ Mitgliedschaft bezeichnen. Ich selbst bin von dem Bedürfnis dafür 
nicht völlig überzeugt und möchte damit das Problem der doppelten Mitgliedschaft 
verbinden, ein Brauch, der nach meiner Meinung in letzter Zeit unerwünscht häufig 
geworden ist. Diejenigen, die für die Instandhaltung der Mitgliederliste der Inter¬ 
nationalen Vereinigung, für die Größe und das Wachstum der einzelnen Zweigver¬ 


einigungen verantwortlich sind, sind in dieser Hinsicht vor immer kompliziertere 
Aufgaben gestellt. Ich frage mich, ob wir nicht an der alten Regel festhalten sollen, daß 
durch die Zugehörigkeit zu einer Zweigvereinigung allein schon die Mitgliedschaft bei 
vier Internationalen Vereinigung erworben wird und daß nach Möglichkeit die zu¬ 
ständige Zweigvereinigung diejenige des Landes sein sollte, in welchem das Mitglied 
seinen Wohnsitz hat. Wenn die Umstände dies nicht zulassen, könnte eine besondere 
Bewilligung zur Zugehörigkeit an eine andere Zweigvereinigung gegeben werden. Ich 
kenne keinen Fall, der nicht in diese Regel paßte, die sicherlich wesentlich zur Ver¬ 
einfachung beiträgt. 











136 


Korrespondenzblatt 


Das Hauptereignis in Ungarn bildet der Verlust des Gründers und Präsi¬ 
denten der Vereinigung. Dr. Hollos, der sich schon vorher mit Dr. Fe-renczi i n 
die Pflichten des Vorstands geteilt hat, führt nun die von jenem hinterlassene Tra¬ 
dition fort, und die Arbeit der Vereinigung entwickelt sich aktiv weiter. 

Aus Indien hören wir, daß der Präsident, Dr. Bose, einen schweren Autounfall 
gehabt hat, glücklicherweise erfahren wir aber auch, daß er sich gut erholt hat. Der 
Vizekanzler und Syndikus der Universität Kalkutta hat offiziell den Wunsch ge¬ 
äußert, dem gegenwärtigen Kongreß die Glückwünsche der Universität auszusprechen, 
ein Wunsch, den ich hiermit mit Vergnügen erfülle. Die Psychoanalyse hat einen 
Platz im Lehrgang aller psychologischen Abteilungen der verschiedenen indischen 
Universitäten gefunden und im Carmichael Medical College in Kalkutta wurde eine 
psychologische Klinik eingerichtet, an welcher vorwiegend psychoanalytische 
Methoden verwendet werden. Am Indian Psychoanalytical Institut befinden sich 
gegenwärtig zehn Kandidaten in Analyse. 

Die Italienische Gruppe, die von unserem geschätzten Kollegen Dr. Weiß geführt 
wird, macht langsame aber stetige Fortschritte. Ihre Entwicklung ist jedoch noch 
nicht so weit gediehen, um ihre Aufnahme als Zweigvereinigung empfehlen zu 
können. 

Eine interessante Entwicklung hat in Japan stattgefunden. Im vorigen Jahr er¬ 
hielten wir den Besuch Professor Maruis von der Universität zu Sendai im nörd¬ 
lichen Japan. Wir hatten bisher nur gehört, daß er mit Übersetzungen beschäftigt sei 
und daß er eine psychoanalytische Zeitschrift herausgebe. Bei persönlicher Berührung 
zeigte es sich, daß er ausgedehnte Kenntnisse in diesem Gegenstand besitzt, und wir 
erfuhren, daß er in seiner nächsten Umgebung eine Anstalt geschaffen hatte, in 
welcher Lehranalysen durchgeführt werden. Unter diesen Umständen entschlossen 
wir uns, diese Gruppe als Zweiggesellschaft unserer Vereinigung aufzunehmen, und 
ich werde Sie noch darum bitten, diese Aufnahme zu ratifizieren. Gleichzeitig schrieb 
ich an Mr. Yabe, den Präsidenten der früheren japanischen Gesellschaft, und machte 
ihm den Vorschlag, deren Titel so zu ändern, daß eine neu zu formende „Japanese 
Association“ künftig alle japanischen Gruppen vereinigen könne. Mr. Yabe ant¬ 
wortete sofort mit jener Höflichkeit, für die seine Nation so berühmt ist und der 
nachzueifern wir Abendländer guttäten. Das Ergebnis ist, daß nunmehr zwei, durch 
freundschaftliche Bande verknüpfte Gruppen in Japan existieren: die Tokyo Psycho¬ 
analytical Society und die Sendai Psychoanalytical Society. 

Es ist nur natürlich, daß die jüngste Form von Diaspora ihre Wirkung auch in 
Palästina gezeigt hat, und für uns bedeutet es einen ausgleichenden Gewinn, daß sich 
die Möglichkeit für die Gründung einer Psychoanalytischen Gesellschaft dort ergeben 
hat. Diese Möglichkeit ist jedoch um einen sehr teuren Preis erkauft worden, denn 
der Gründer und Präsident der neuen Gesellschaft ist Dr. Eitingon, den wir alle in 
Europa nur mit größtem Bedauern vermissen. Ihre Einwilligung vorausgesetzt, haben 
wir die neue Gesellschaft aufgenommen, die den angemessenen Titel „Chevra Psycho- 
analytith b’Erez Israel“ führt. 

Aus Rußland haben wir wie gewöhnlich keine direkten Nachrichten, und 
Dr. Wulff, der frühere Präsident der dortigen Gesellschaft, ist nach Palästina aus¬ 
gewandert und Mitglied der dortigen Gruppe geworden. 

Im vorigen Jahre wurde das Ansuchen an uns gestellt, eine Skandinavische Psycho- 










































1 




mir der Vizepräsident, Dr. Federn, mitteilt, durch deren Eintritt eine willkommene 
Bereicherung erfahren. Wir haben unser Einverständnis dazu erklärt, daß die Wiener 
Vereinigung sich eine Untergruppe in Prag unter der Leitung von Frau Dr. Den 
angliedert, bis die voraussichtliche Entwicklung der kleinen Gruppe die Schaltung 
einer selbständigen Gesellschaft gestattet. 

Die Internationale Vereinigung hat seit der Zeit des letzten Kongresses außerordent¬ 
lich schwere Verluste durch Todesfälle erlitten. Vor allem haben wir Dr. Ferenczi 
verloren, den Gründer unserer Vereinigung und die Seele unserer Kongresse. Infolge 
einer Reihe ungünstiger Zufälle sowie seiner großzügigen Selbstverleugnung fand die 
Vereinigung als Ganzes niemals Gelegenheit, ihn zu ihrem Präsidenten zu erwählen, 
wcnn uns auch das Vergnügen machte, den Vorsitz bei einem der Kongresse, näm¬ 
lich dem im Haag 1920, zu übernehmen. Was Ferenczi für die wissenschaftliche 
Entwicklung der Psychoanalyse bedeutet, darüber ist bereits in unseren offiziellen 
Organen geschrieben worden; die meisten von uns werden darin übereinstimmen, 
wenn wir sagen, daß er nach Freud die meisten Originalbeiträge zur Psychoanalyse 
geschrieben hat. Bei unseren Zusammenkünften kannten wir ihn als hinreißenden 
Redner, als enthusiastischen Erwecker neuer Gedanken, als liebenswürdige Erschei¬ 
nung, als treuen und ergebenen Freund. Sein Verlust ist der schwerste Schlag, der 
uns betroffen hat. 

Einer der nächsten Freunde Ferenczis überlebte ihn nur etwas über ein Jahr. 
Ich meine Dr. Georg Groddeck in Baden-Baden. Wenn man ihn auch kaum der 
regulären Liste der Psychoanalytiker zuzählen kann, wird uns Groddeck aus per¬ 
sönlichen Gründen und wegen seines geistigen Scharfblicks lange in Erinnerung 
bleiben. Er hat eine Anzahl von Gedanken beigesteuert, welche die Psychoanalyse be¬ 
einflußten, und einer davon, das „Es“, ist in unseren täglichen Gebrauch übergegan- 
zc n; Freud übernahm dieses Wort, wie bekannt, von ihm, obwohl der Begriff, den 












138 


Korrespondenzblatt 


es bezeichnet, mit dem, was Groddeck darunter verstand, keineswegs identisch ist 
Groddeck war eine markante Persönlichkeit, und wer bei seinem ersten VortraJ 
auf dem Psychoanalytischen Kongreß in Berlin 1922 zugegen war, wird den Eindruck 
nicht so leicht vergessen. 

Amerika hat einen seiner analytischen Pioniere in der Person von Dr. Pierce Clark 
ver oren. Er war eines der gründenden Mitglieder der ersten dortigen Gesellschaft 
geraume Zeit vor dem Krieg, und setzte seine rege Forschungsarbeit bis zum letzten 
ugenbhck fort. Der Ehrgeiz seines Lebens war es, psychoanalytische Methoden zur 
Aufhellung des dunklen Problems der Epileptiker und geistig Zurückgebliebenen zu 
verwenden, und er tat viel, um der Psychoanalyse auf diesem Gebiete ein weites 
Feld zu eröffnen. 

_ Be . rl | n , 1 ’ at den Verlusc von Frau Dr - Naef erlitten, einer Frau, deren markante 
iPersönlichkeit ihr einen Einfluß gab, der weit größer war, als ihn Außenstehende nach 
ihren Schriften vermuten konnten. Ich traf sie zuerst in Zürich im Jahre 1907 und 
schätzte sie stets als sehr wertolle Kollegin. 

Auch Frankreich wurde nicht verschont. Der Tod suchte die Gruppe zum ersten 
Male heim und entriß ihr Mme. Sokolnicka. Sie wird uns als die erste, die in 
Frankreich Psychoanalyse ausübte, lange in Erinnerung bleiben. 

Einen weiteren Pionier haben wir in der Person Dr. Ossipows, eines gründenden 
Mitglieds der Russischen Vereinigung verloren. Nach der Revolution hatte er sich 
in Prag angesiedelt und starb dort im vergangenen Winter. 

Auch die Wiener Vereinigung hat einen Verlust in der Person Dr. Morgenthaus 
erlitten. Obwohl sein Interesse an der Psychoanalyse verhältnismäßig jungen Datums 
ist, hat er sich doch vollständig mit deren Lehren identifiziert. 

Ich J 31 , t . te SlC ’ Slch von Ihren Plätzen zu erheben als Ausdruck ihrer Achtung für 
diese Kollegen, deren Verlust wir tief bedauern. 

Wie bereits erwähnt, habe ich sieben neue Zentren psychoanalytischer Tätigkeit 
zu Ihrer Kenntnis zu bringen. Zwei davon sind kleine Gruppen, in Johannesburg und 
rag die der Britischen, bzw. der Wiener Vereinigung angegliedert wurden. Von der 
Skandinavischen Gruppe habe ich bereits gesprochen. Ich bitte Sie nun, den Ent¬ 
schluß des Zentralvorstandes zu ratifizieren und folgende neuen Gesellschaften auf- 
zunehmen: Die Boston Psychoanalytic Society, die Vereeniging van Psychoanalytici in 
Nederland, die Palästinensische Psychoanalytische Gesellschaft und die Sendai Psycho- 
analytical Society.“ 

Der Bericht des Vorsitzenden wird mit lebhaftem Beifall zur Kenntnis genom¬ 
men Es wird hierauf der Antrag gestellt, gemäß dem Vorschlag des Zentralvor- 
Standes die vier Gruppen 

The Boston Psychoanalytic Society, 

Chewra Psychoanalytith b’Erez Israel, 

Sendai Psycho-Analytical Society, 

Vereeniging van Psychoanalytici in Nederland 
in die LP.V. aufzunehmen. Dieser Antrag wird einstimmig angenommen. 

Herr Dr. Eitingon bringt dem Kongreß zur Kenntnis, daß im Mitgliederver- 
zeichnis der neugegründeten Palästinagruppe (welches Verzeichnis im Kongreßkalen- 
der zum erstenmal abgedruckt war), bedauerlicherweise die Namen der beiden Ehren- 

nutgheder fehlen. Es sind dies Dr. M. D. Eder, London, und Fräulein Anna Freud, 
Wien. 













































- Kr i st i a n Schjelderup bittet um das Wort und führt aus: Schon vor 
r ° ‘ Tahren haben die Bestrebungen begonnen, die Psychoanalytiker der nordi- 
m f ^ Länder Norwegen, Schweden, Dänemark zu einer Gruppe im Rahmen der 
tVv zusammenzuschließen. Das Interesse für Psychoanalyse in diesen Ländern ist 
k im Wachsen Ein Zusammenschluß der Psychoanalytiker ist um so notwendiger, 
alswilde Psychoanalytiker - die sich jedoch Psychoanalytiker nennen - sich im 
^L. _ des Tahres 1933 zu einer Gruppe zusammengeschlossen haben und weil die 

Gefährdung der A*ei, der wirkliche» P, y eho,»alyriker 

b 'A»f e Gnind der Ausführansen des Herrn Prof. Schjelderup entwickelt sich 
eine lange Debatte, in welcher insbesondere der Vorsitzende, Herr Dr. Eitingon, 
Herr Dr Fenichel, Anna Freud, Herr Dr. Sachs, Herr Dr Ophuijsen und 
mehrere Mitglieder der nordischen Gruppe das Wort ergreifen. Schließlich wird be¬ 
schlossen die Verhandlung dieser Angelegenheit zu unterbrechen und zu einem 
snäteren Zeitpunkt während der gleichen Sitzung wieder aufzunehmen; eine Statuten¬ 
änderung, die inzwischen zum Beschluß erhoben werden soll, wird möglicherweise 
dem Kongreß die Entscheidung in dieser Sache erleichtern. 


II. Bericht des Zentral^Kassenwarts 

Der Zentralkassenwart Dr. Ophuijsen erstattet den Kassenbericht und teilt das 
Endergebnis der Kassenführung mit, wonach die I.P.V. derzeit ungefähr 
Holl. Gulden 1380,— und KM 4 o6 3 » 9 8 

besitzt. Das Markguthaben, welches mit 7°/ 0 verzinst wird, ist beim Verlag immobili¬ 
siert. Der Zentralkassenwart appelliert an alle Kassenwarte, ihre Pflicht zu erfüllen, 
und führt Beispiele von vorgekommenen Säumnissen an. Für die Jahre 1935 und 
1936 beantragt der Kassenwart eine Ermäßigung des Jahresbeitrages auf Schweizer 
Franken 6,— oder deren Gegenwert. Selbstverständlich müssen die von einzelnen 
Gruppen rückständigen Beträge bezahlt werden. Die neu aufzunehmenden Zweig¬ 
vereinigungen sind verpflichtet, dem Kassenwart so bald als möglich den Jahresbeitrag 
für das Jahr 1934 auf der alten Basis (RM 8,— pro Jahr) zu entrichten. 

Der Bericht des Zentralkassenwartes wird einstimmig zur Kenntnis genommen; 
der Antrag des Zentralkassenwartes bezüglich Festsetzung des Jahresbeitrages mit 
Schweizer Franken 6,— wird einstimmig angenommen. 


III. Beridht des Präsidiums der I. II. K. 

Herr Dr. Eitingon als Präsident der I. U. K. erteilt seinen Bericht wie folgt: 

Da Sie die Berichte der Institute von Berlin, Wien, London, New York und 
1 hikago usw. hören werden, habe ich eigentlich dem nicht viel vorauszuschicken, 
sic wissen, wie systematisch da gearbeitet wird und wie sehr vor allem nach Richt¬ 
linien, die eigentlich überall sehr ähnlich sind und die sich aus der nunmehr 15jähri¬ 
gen Erfahrung mit psychoanalytischen Instituten herauskristalisiert haben. Es sind 
in den letzten Jahren eine Reihe von neuen Vereinigungen gegründet worden, die 
alle auch Lehrkomitees haben. Wenn diese auch alle nach einheitlichen Gesichts¬ 
punkten arbeiten, wenn das Wesen der psychoanalytischen Ausbildung mit seinen 
Bestandteilen allen Psychoanalytikern auch schon selbstverständlich sind, so ist es 









Korrespondenzblatt 


140 


doch an der Zeit, den Unterricht in der Psychologie zusammenzufassen, irgendwie 
straffer zu organisieren. Das war auch der Grund, daß die Berichte der I. U. K. nun 
auch nicht mehr vom Zentralsekretär herausgegeben werden, sondern im Zentral- 
b att selbst vom Präsidium der I. U. K. redigiert erscheinen werden. Die Sekretäre 
der Einzelvereinigungen sind verständigt worden, die Berichte für die I. U. K. nun 
regelmäßig an den Präsidenten der I. U. K. einzusenden, und ich füge jetzt die Bitte 
inzu an die Institute und verschiedenen Unterrichtsausschüsse, daneben einen in- 
ternen Bericht über die Tätigkeit der Institute an mich nach Jerusalem (meine 
Adresse kennen Sie ja) zu senden, der zwar nicht für den Druck bestimmt ist, aber 
mir Einsicht geben soll in das innere Leben und Treiben der Institute und Unter- 
richtsausschusse, aus dem ich ersehen könnte, noch besser und genauer als bis jetzt 
was an den einzelnen Orten geschieht. Aus all diesen Erfahrungen werden wir dann 
die Dinge herausnehmen, mit denen die I. U. K. sich bei ihren Zusammenkünften 
zwischen den Kongressen beschäftigen soll. 

J? e “ n da , S 1St nun das Novum ’ das Ihnen vorschlagen möchte, nämlich daß die 
. U. K. sich in den Jahren, wo es keinen Kongreß gibt, etwa um dieselbe Zeit auf 
dem Kontinent versammle, in Wien oder Paris, um da einschlägige Dinge des Unter¬ 
richts, der Ausbildung in der Psychoanalyse und eine Reihe von anderen Problemen 
zur Diskussion zu bringen, die jetzt an der Zeit sind, oder solche, die durch besondere 
regionale Bedingungen gegeben sind u. a. m. 

Um die I. U. K. so auszubauen, ist eine Änderung des betreffenden Paragraphen 
unserer Statuten nötig, und diese wird auch durch den Sekretär der I. U. K. einge¬ 
bracht werden. Eine Geschäftsordnung gibt sich die I. U. K. ja selbst, und auch diese 
wird Ihnen vorgelegt werden, da eine Sitzung der I. U. K. vor der Geschäftssitzung 
nicht anzuberaumen war, sondern erst Donnerstag abend stattfindet. 

Die Zukunft unserer Bewegung ruht zweifellos in unseren Instituten, den Stätten 
des Lernens, des Lehrens und der Forschung, und wir tun bestimmt gut, uns an- 
gelegentlichst um sie zu kümmern. 

Der Bericht wird mit Beifall zur Kenntnis genommen. 

Herr Dr. Jones beantragt, daß sich der Kongreß in Hinkunft mit Sammelberich¬ 
ten zufrieden gibt. Dieser Antrag wird angenommen. Es bleibt jedoch auf Wunsch 
in einzelnen Fällen auch die Erstattung von Sonderberichten statthaft. 

IV. Verlagskomitee 

Herr Dr. Sarasin als Sekretär des Verlagskomitees berichtet im folgenden Sinne: 
Er erinnert daran, daß die Verlagsaktion auf eine Anregung Prof. Freuds zurück- 
zufuhren ist, und erwähnt, daß die Aufgabe, den finanziell vollkommen deroutierten 
Verlag auf eine gesunde Basis zu stellen, eine sehr schwierige war, die nur durch das 
Zusammenwirken aller Mitglieder und Freunde der I. P. V. erreicht werden konnte. 
Er dankt im Namen der Verlagskommission den privaten Spendern, deren Leistun¬ 
gen für den Verlag die Leistungen der Gruppen noch übertreffen. Hierauf schildert 
Herr Dr. Sarasin die enge Zusammenarbeit zwischen Verlagskomitee und der Ge¬ 
schäftsführung des Verlags und die Kontrolle über die Verwendung der zur Sanierung 
des Verlags aufgebrachten Gelder. 

Hierauf berichtet Dr. Martin Freud als Geschäftsführer des Internationalen 
Psychoanalytischen Verlages über die Durchführung der Sanierung und über die 














































Korrespondenzblatt 



Prinzessin Bonaparte rund S 22.000—. 
Eitingon rund S 18.000,—, Frau Macp 
S 5000,— und so fort. 


Die Geschäftsführung war in erster Linie bestrebt, das jährliche Defizit, das in 
früheren Jahren bis zu S 100.000,- ausgemacht hat, abzubauen, da bei Weiterbe¬ 
stehen eines solchen Fehlbetrages jeder Sanierungserfolg von vornherein unmöglich 
gewesen wäre. Es ist auch gelungen, im Jahre 1933 ganz ohne Defizit auszukommen; 
für das Jahr 1934 rechnet die Geschäftsführung wieder mit einem Fehlbetrag, da 
durch die Entwicklung der Verhältnisse in Deutschland der Absatz des Verlags 
ständig zurückgeht. Doch wird sich dieser Fehlbetrag in erträglichen Grenzen halten. 

Es sind weitgehende Ersparnisse erzielt worden, schon bei der Bezahlung der ver¬ 
schiedenen Gläubiger wurden Nachlässe von insgesamt S 33.000,— erwirkt. Die 
Herstellung von Büchern und Zeitschriften kostet den Verlag jetzt rund die Hälfte 
jener Beträge, die vor der Sanierung hiefür bezahlt werden mußten. Ausgaben für 
Propaganda, welche z.B. im Jahre 1930 den Betrag von S 75.000,— aufgezehrt 
hatten, sind fast zur Gänze eingestellt worden. Im ersten Halbjahr 1934 wurden 
nicht einmal S 1000,— für Propagandazwecke verausgabt. Auch die Ausgaben für 
„Allgemeine Regie" und für Gehälter konnten weitgehend hinuntergeschraubt wer¬ 
den. 0 Erfreulich ist vor allem, daß der Hauptzweck der Sanierung in vollem Aus¬ 
maße erreicht wurde, daß nämlich die gewaltige Schuldenlast gänzlich abgewälzt 
wurde. Nur die Schuld an Prof. Freud und einige kleinere Schulden an Vereinigun¬ 
gen und Analytiker haften noch aus. Anschließend berichtet der Geschäftsführer 
kurz über den Geschäftsgang des Verlags seit dem Wiesbadener Kongreß, über die 
Neupublikationen und Neuauflagen, insbesondere über die Herausgabe des XII. Bandes 
der „Gesamt-Ausgabe“. 

Der Vorsitzende dankt Herrn Dr. Freud in anerkennenden Worten für die ge¬ 
leistete Arbeit, welchem Dank sich der Kongreß durch Beifall anschließt. 

Herr Dr. Federn weist auf den Ubelstand hin, der dadurch geschaffen wurde, 
daß wegen der prekären finanziellen Lage des Verlags nur solche Autoren Bücher 
veröffentlichen können, die in der Lage sind, die Druckkosten aus eigenem zu be¬ 
zahlen. Hiedurch sei ein Privilegium der wohlhabenden Autoren geschaffen wor¬ 
den, welches er als tief bedrückend empfinde. Es wäre notwendig, dem Verlag Geld 
zur Verfügung zu stellen, um ihn in die Lage zu versetzen, auch solche Bücher zu 
drucken, für die der Autor die Kosten nicht bezahlen kann. 

Der Vorsitzende stellt an den Kongreß die Anfrage, ob das Verlagskomitee auch 
über die Sanierung des Verlags hinaus fortbestehen soll, und beantragt für diesen Fall 
die Zu wähl folgender Personen in das Komitee: 














Korrespondenzblatt 


Dr. Max Eitingon, 

Frau Dr. E. B. Jackson, 

Frau Winifred Macpherson, 

Flerr Dr. Hanns Sachs. 

Es wird einstimmig beschlossen, das Verlagskomitee beizubehalten und die vorge¬ 
schlagenen vier Personen zu kooptieren. (Herr Dr. Ophuijsen legt seine Stelle im 
Verlagskomitee nieder.) 

V. Zeitschriften 

Der Vorsitzende beantragt die Einführung einer Reihe von Neuerungen, die dazu 
dienen sollen, den Bestand der offiziellen Zeitschriften zu sichern. Die I. P. V. soll 
die finanzielle Verantwortlichkeit für den Bestand dieser Zeitschriften übernehmen 
In Hinkunft soll jedes Mitglied der I.P.V. die Pflicht haben, zwei offizielle Zeit- 
schriften zu abonnieren, während eine derartige Pflicht bisher nur bezüglich der 
Vhtgkeder des deutschen Sprachgebietes statuiert war. Die Mitglieder sollen die 
Wahl haben, welche der offiziellen Zeitschriften sie abonnieren wollen. Die Ein¬ 
gänge aus den Abonnements der Zeitschriften sollen in einen gemeinsamen Fonds 
eingebracht werden, welcher Fonds vom Zentralkassenwart unter Mitwirkung von 
Dr. Martin Freud verwaltet werden soll. Der Vorsitzende verspricht sich von 
diesen Neuerungen eine Vertiefung und Vereinfachung der internationalen Zu- 
sammenarbeit. 

Dr Lewin erhebt namens der New Yorker Gruppe Einwendungen gegen das 
Projekt unter dem Hinweis, daß die amerikanischen Gruppen kein eigenes offizielles 
Organ besitzen. 1 

Dr Löwenstein erhebt Bedenken gegen das Projekt des Vorsitzenden namens 

lv nf-T GrUPPC ’ mh der Be S r ündung, daß die Mitglieder dieser Gruppe aus¬ 
schließlich an der französischen Publikation Interesse hätten, schon weil sie mangels 
Sprachkenntmssen für nicht französische Zeitschriften gar keine Verwendung hätten. 

DC j Vorsitzende bemerkt hiezu, daß eine internationale Zusammenarbeit auf 
Grund der Kenntnis einer einzigen Sprache einfach unmöglich sei. Falls die franzö¬ 
sischen Mitglieder tatsächlich nur den geringen Teil der psychoanalytischen Literatur 
lesen, der in französischer Sprache erscheint, werde seine Anregung sicher einen 
willkommenen Anreiz für sie bieten, einem offensichtlichen Übelstand abzuhelfen. 

Der Vorsitzende bringt ferner noch folgende Anregung vor den Kongreß: Derzeit 
ist Prof. Freud der Herausgeber der vier offiziellen Publikationen (die französische 
Revue erscheint unter „Patronage“ Prof. Freuds). Was soll geschehen, wenn 
Prof. Freud nicht mehr in der Lage ist, als Herausgeber zu fungieren? 

Der Kongreß beschließt, über die beiden vorerwähnten Fragen (Neuerungen bei 
der Verpflichtung zum Abonnement und Herausgeberschaft der offiziellen Organe) 
derzeit keinen Beschluß zu fassen, sondern ein Komitee zu wählen, welches die 
Fragen studiert und für den nächsten Kongreß eine Regelung vorbereitet. In dieses 
Komitee werden fünf Personen gewählt, und zwar 
Anna Freud, 

Ernest Jones, 

Rene Laforgue, 

Bertram Lewin, 

Philipp Sarasin. 














































Korrespondenzblatt *43 


VI. Allgemeines 

Zum Programm des nächsten Kongresses stellt Dr. Rado folgenden Antrag: Der 
Kongreß möge dem Zentralvorstande volle Vollmachten einräumen, den nächsten 
Kongreß in bezug auf Auswahl der wissenschaftlichen Vorträge so zu arrangieren, 
wie es dem Zentralvorstande mit Bezug auf die gegebenen Verhältnisse notwendig 
und zweckmäßig erscheint. Dieser Antrag wird mit Beifall einstimmig aufgenommen. 

Dr Rado schlägt vor, der Vorstand möge gemeinsam mit dem Verlag für eine 
Revision des unentbehrlichen Glossary sorgen, das vor einigen Jahren in London 
erschienen ist. Ebenso sei ein Bedürfnis für ein deutsches Glossary vorhanden. Der 
Vorsitzende verspricht, sich dieser Angelegenheit anzunehmen. 

Mit Bezug auf jene Mitglieder, die wegen äußerer Umstände die Mitgliedschaft 
einer Ortsgruppe aufgeben mußten, denen jedoch die Mitgliedschaft der I. P. V. bis 
auf weiteres gewahrt werden soll, stellt Herr Dr. Eitingon folgenden Antrag: 
Die bei einer Ortsgruppe verlorene oder aufgegebene Mitgliedschaft zieht nicht 
unbedingt auch den Verlust der Mitgliedschaft bei der I. P. V. nach sich. Über 
Antrag des ausgeschiedenen Mitgliedes kann der Zentralvorstand nach eigenem Er¬ 
messen aussprechen, daß die Mitgliedschaft des aus der Ortsgruppe ausgeschiedenen 
Mitgliedes bei der I. P. V. bis zum nächstfolgenden Kongreß als unmittelbare Mit¬ 
gliedschaft aufrecht erhalten bleibt. Diese Bestimmung bezieht sich jedoch aus¬ 
schließlich auf die Mitglieder jener europäischen Vereinigungen, die im Jahre 1912 
bereits bestanden haben, mit Ausnahme der Wiener Gruppe. Dieser Antrag wird 
mit Beifall einstimmig angenommen. 

Über die Reorganisation der American Psychoanalytic Association ent¬ 
spinnt sich eine längere Debatte, in welcher insbesondere Dr. Lewin, Dr. Men- 
ninger und andere Mitglieder der amerikanischen Gruppen zu Worte kommen. 
Schließlich stellt Herr Dr. Rado folgenden 

„Resolutionsantrag des Zentralvorstandes: 

Der Kongreß stellt mit Bedauern fest, daß die am Wiesbadener Kongreß ein¬ 
geleitete Reorganisation der ,American Psychoanalytic Association (a Federation of 
American Psychoanalytic Societies)“ nicht zum Abschluß gebracht worden ist. Der 
Kongreß nimmt zur Kenntnis, daß die Föderation der Boston, Chicago, New York 
und Washington-Baltimore Psychoanalytic Societies einen aus vier Mitgliedern be¬ 
stehenden Ausschuß zur Ausarbeitung eines Statutenentwurfes eingesetzt hat, und 
erwartet, daß die amerikanische Föderation sich ehestens eine mit den Statuten und 
Traditionen der I. P. V. in Einklang stehende Verfassung geben und diese dem Zen¬ 
tralvorstand vorlegen wird. Dem Zentralvorstand wird dann obliegen, diese Ver¬ 
fassung interimistisch zu genehmigen. Die endgültige Genehmigung bleibt dem 
nächsten Kongreß Vorbehalten.“ 

Dieser Antrag wird mit Stimmenmehrheit angenommen. 

Folgende Statutenänderungen werden beschlossen: 

a) Zu Paragraph 4. Nach dem ersten Absatz ist folgender Absatz einzuschalten: 
„Falls eine Zweigvereinigung durch ihr Verhalten das Ansehen oder die Interessen 
der I. P. V. schädigt, so kann sie der Zentralvorstand interimistisch suspendieren, der 
Kongreß kann sie aus dem Verband der I. P. V. ausschließen. 











144 


Korrespondenzblatt 


Im Falle von Streitigkeiten zwischen Zweigvereinigungen muß vor allem die 
schiedsgerichtliche Entscheidung der I. P. V. angerufen werden.“ 

b) Zu Paragraph 5 wird folgende Einschaltung gemacht: An Stelle der letzten vier 
Worte des Paragraphen, derzeit lautend „welche sie weiterzuleiten haben“, heißt es 
in Hinkunft „welche sie vor dem 1. Juli jeden Jahres weiterzuleiten haben“. 

c) Zu Paragraph 6 : Aus den Gegenständen der Beratung und Beschlußfassung ist 
Punkt d) „Die Tätigkeitsberichte der Psychoanalytischen Institute (Ambulatorien 
usw.)“ zu streichen. 

In den Punkten f) und g) sind die Worte „des Präsidenten der Internationalen 
Unterrichtskommission“ zu ersetzen durch die Worte „des Vorstandes der Inter¬ 
nationalen Unterrichtskommission“. 

d) Die ersten beiden Absätze des Paragraphen 7 erhalten folgende neue Fassung: 

„Der Zentralvorstand besteht aus einem Zentralpräsidenten, einem Zentralsekretär, 

einem Zentralkassenwart und vier Beiräten. 

Der Zentralpräsident und der Zentralkassenwart werden für die Zeit bis zum 
nächsten Kongreß vom Kongres gewählt. Der Zentralsekretär wird vom Zentral¬ 
präsidenten gewählt und die Wahl wird dem Kongreß zur Genehmigung vorgelegt. 
Von den Beiräten muß einer der letzte Ex-Zentralpräsident und ein zweiter der 
Präsident der American Psychoanalytic Federation sein. Die übrigen zwei Beiräte 
werden vom Kongreß für die Zeit bis zum nächsten Kongreß gewählt. Im Falle, 
daß im Vorstand eine Stelle vakant wird, wählt der Vorstand selbst einen Stell¬ 
vertreter.“ 

Der letzte Absatz des Paragraph 7 bleibt unverändert. 

e) Paragraph 8 erhält folgende neue Fassung: 

„Die Internationale Unterrichtskommission (I. U. K.) ist das Zentralorgan der 
I. P. V. für die Organisierung und Überwachung des psychoanalytischen Unterrichts 
und für die Verwaltung aller mit dem psychoanalytischen Unterricht zusammen¬ 
hängenden Geschäftssachen der I. P. V. 

Die I. U. K. besteht aus ihrem Vorstand (council), den Lehrausschüssen der an¬ 
erkannten Lehrinstitute und den Lehrausschüssen der anerkannten Lehrstellen. Der 
Vorstand der I. U. K., der aus einem Vorsitzenden, einem Sekretär und einem Vor¬ 
standsmitglied besteht, wird für die Zeit bis zum nächsten Kongreß vom Kongreß 
gewählt. Der Lehrausschuß eines jeden anerkannten Lehrinstituts kann höchstens 
aus 7 Mitgliedern, der Lehrausschuß einer jeden anerkannten Lehrstelle höchstens 
aus 3 Mitgliedern bestehen. Es ist erwünscht, daß jeder Lehrausschuß einen Vor¬ 
sitzenden und einen Sekretär einsetzt. 

Die I. U. K. regelt selbst ihre Geschäftsordnung. Alle Entscheidungen, für die die 
I. U. K. zuständig ist, werden für die Zeit bis zum nächsten Kongreß vom Vorstand 
der I. U. K., endgültig vom Plenum der I. U. K. getroffen.“ 

f) Zu Paragraph 10: Die zwei letzten Sätze des Paragraph 10 erhalten folgende 
neue Fassung: 

„Der allgemeine Teil des Korrespondenzblattes wird vom Zentralsekretär, der 
Unterrichtsteil vom Sekretär der I. U. K. redigiert. Die Sekretäre der Zweigver¬ 
einigungen, bzw. die Sekretäre der Lehrausschüsse haben dem Zentralsekretär, bzw. 
dem Sekretär der I. U. K. in regelmäßigen Abständen Berichte einzusenden.“ 













































Korrespondenzblatt 


145 


Sämtliche vorstehend wiedergegebene Statutenänderungen werden vom Kongreß 
einstimmig mit Beifall angenommen. 

per Vorsitzende bringt die in einem früheren Stadium der Verhandlungen bereits 
besprochene Angelegenheit der Aufnahme der nordischen Gruppen (vielmehr zweier 
nordischer Gruppen) neuerlich zur Abstimmung und erklärt im Namen des Zentral¬ 
vorstandes, den Antrag auf Aufnahme dieser beiden Gruppen zu unterstützen, da 
die bestehenden Gegensätze und Bedenken inzwischen geklärt wurden. Demgemäß 
werden einstimmig mit Beifall auf genommen: Norsk-Donsk Psychoanalytik Forgning 
und Schwedisch-Finnische Psychoanalytische Gesellschaft. 

VII. Wahl des Präsidenten der Internationalen Unterriditsfcommission. 

Zum Präsidenten der I. U. K. wird mit großem Beifall Herr Dr. Max Eitin- 
gon gewählt, ferner werden gewählt: 

als Beisitzerin Anna Freud, 

als Sekretär Sandor Rado; 
beide einstimmig mit Beifall. 

VIII. Wahl des Zentralvorstandes. 

Herr Dr. Ernest Jones wird mit großem Beifall zum Präsidenten der I. P. V. 
wiedergewählt. 

Der Vorsitzende teilt mit, daß die bisherige Zentralsekretärin Anna Freud von 
ihrer Stelle zurücktritt, da sie anderweitig mit Arbeit außerordentlich überlastet ist. 
Zum neuen Zentralsekretär wird Dr. Edward Glover gewählt. Der Vorsitzende 
konstatiert, daß Dr. Brill gemäß den neuen Statuten als Präsident der American 
Federation automatisch dem neuen Zentralvorstand wieder angehört. Das gleiche 
trifft für Dr. Max Eitingon zu. Ais weitere Mitglieder des Zentralvor¬ 
standes werden gewählt: 

Anna Freud, 

Dr. van Ophuijsen, 

Dr. Sarasin, mit der Funktion als Kassenwart. 

Sämtliche einstimmig mit Beifall, 

Uber Antrag des Herrn Dr. Kris wird dem scheidenden Zentralvorstand die 
Entlastung und der Dank des Kongresses ausgesprochen. 


Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXl/i 


10 









II. Statuten der Internationalen Psycho¬ 
analytischen Vereinigung 

i. Name 

Die Vereinigung trägt den Namen: „Internationale Psychoanalytische Vereinigung“ 
(I.P.V.). 

2. Sitz 

Der Sitz der I. P. V. ist der Wohnort des jeweiligen Zentralpräsidenten. 

3. Zweck 

Der Zweck der I. P. V. ist die Pflege und Förderung der von Sigm. Freud be¬ 
gründeten psychoanalytischen Wissenschaft sowohl als reiner Psychoanalyse als auch 
in ihren theoretischen und praktischen Anwendungen auf die Medizin und auf die 
Geistes Wissenschaften; gegenseitige Unterstützung der Mitglieder in allen Bestrebungen 
zum Erwerben und Verbreiten von psychoanalytischen Kenntnissen. 

Zur Erreichung dieser Zwecke dienen insbesondere Errichtung und Betrieb psycho¬ 
analytischer Forschungs- und Lehrinstitute, Ambulatorien, Kliniken und Polikliniken, 
ferner wissenschaftliche Veranstaltungen aller Art. 

4. Gliederung und Mitglieder 

Die I. P. V. gliedert sich in Zweigvereinigungen. Die Zweigvereinigungen sind 
nationale oder örtliche psychoanalytische Vereinigungen, die in den Verband der 
I. P. V. aufgenommen worden sind. Uber die Aufnahme neuer Zweigvereinigungen 
entscheidet interimistisch der Zentralvorstand, endgültig der Kongreß; diesbezügliche 
Anträge sind schriftlich an den Zentralvorstand der I. P. V. zu richten. Aus¬ 
geschlossen aus den Statuten der Zweigvereinigungen sind Bestimmungen, die den 
Statuten der I. P. V. widersprechen. Die Zweigvereinigungen haben eventuelle 
Statutenänderungen zur Genehmigung dem Zentralvorstand vorzulegen. Der Aus¬ 
tritt einer Zweigvereinigung erfolgt durch schriftliche Anzeige an den Zentralvor¬ 
stand der I. P. V. 

Falls eine Zweigvereinigung durch ihr Verhalten das Ansehen oder die Interessen 
der I. P. V. schädigt, so kann sie der Zentralvorstand interimistisch suspendieren, der 
Kongreß kann sie aus dem Verband der I. P. V. ausschließen. 

Im Falle von Streitigkeiten zwischen Zweigvereinigungen muß vor allem die 
schiedsgerichtliche Entscheidung des Zentralvorstandes angerufen werden. 

Mitglieder der I. P. V. sind die ordentlichen Mitglieder der Zweigvereinigungen. 
Die Mitgliedschaft der I. P. V. wird durch die Erwerbung der ordentlichen Mitglied¬ 
schaft einer Zweigvereinigung erlangt. Jedes Mitglied der I. P. V. kann nur einer 
Zweigvereinigung angehören. Ausnahmen kann der Vorstand der I. P. V. bewilligen. 
Bewerber um die Mitgliedschaft haben sich in der Regel an die ihrem dauernden 
Wohnsitz zunächst gelegene Zweigvereinigung zu wenden. Bei jeder landes- (orts-) 
fremden Neubewerbung sollen sich die Vorstände der betreffenden Zweigvereinigun¬ 
gen in Verbindung setzen. Die Aufnahme in eine landes- (orts-) fremde Zweigver¬ 
einigung bedarf der Genehmigung des Zentralvorstandes. 





























Korrespondenzblatt 


*47 


Die Mitglieder der I. P. V. sind am Kongreß aktiv und passiv wahlberechtigt; sie 
haben das Recht, auch den wissenschaftlichen Sitzungen aller Zweigvereinigungen bei¬ 


zuwohnen. 

Die außerordentlichen Mitglieder der Zweigvereinigungen haben das Recht, den 
wissenschaftlichen Sitzungen der I. P. V. beizuwohnen. 

5. Beiträge der Mitglieder 

Jedes ordentliche Mitglied der I. P. V. wie auch jedes außerordentliche Mitglied 
der Zweigvereinigungen hat einen Jahresbeitrag zu zahlen, dessen Höhe jeweils vom 
Kongreß festgesetzt wird. Dieser Jahresbeitrag enthält auch die Abonnementsbeiträge 
für die offiziellen Organe. Diese Beiträge sind bei den Kassenwarten der Zweigver¬ 
einigungen zu entrichten, welche sie vor dem ersten Juli jedes Jahres weiterzuleiten 


haben. 


6. Der Kongreß 


Die oberste Aufsicht über die I. P. V. fällt dem Kongreß zu. Der Kongreß wird 
vom Zentralvorstand der I. P. V. mindestens alle zwei Jahre einmal einberufen und 
vom Zentralpräsidenten geleitet. 

Regelmäßige Gegenstände der Beratung und Beschlußfassung sind: 

a) Das Protokoll des vorigen Kongresses; 

b) die Tätigkeitsberichte des Zentralvorstandes und der Zweigvereinigungen; 

c) der Tätigkeitsbericht der Internationalen Unterrichtskommission; 

d) der Rechenschaftsbericht des Kassenwartes; 

e) die Entlastung des Zentral Vorstandes und des Vorstandes der Internationalen 
Unterrichtskommission; 

f) die Neuwahl des Zentralvorstandes und des Vorstandes der Internationalen 
Unterrichtskommission. 

7. Der Zentralvorstand 

Der Zentralvorstand besteht aus einem Zentralpräsidenten, einem Zentralsekretär, 
einem Zentralkassenwart und vier Beiräten. 

Der Zentralpräsident und der Zentralkassenwart werden für die Zeit bis zum 
nächsten Kongreß vom Kongreß gewählt. Der Zentralsekretär wird vom Zentral¬ 
präsidenten gewählt und die Wahl wird dem Kongreß zur Genehmigung vorgelegt. 
Von den Beiräten muß einer der letzte Ex-Zentralpräsident und ein zweiter der 
Präsident der American Psychoanalytic Federation sein. Die übrigen zwei Beiräte 
werden vom Kongreß für die Zeit bis zum nächsten Kongreß gewählt. Im Falle, daß 
im Vorstand eine Stelle vakant wird, wählt der Vorstand selbst einen Stellvertreter. 

Der Zentralvorstand vertritt die Vereinigung nach außen und faßt die Tätigkeit 
der Zweigvereinigungen zusammen. Wenn der Zentralvorstand Fragen von prin¬ 
zipieller Tragweite dem Kongreß zur Entscheidung zu unterbreiten wünscht, obliegt 
es dem Zentralpräsidenten, vorher mit den Vorständen der Zweigvereinigungen 
Fühlung zu nehmen und den Zentralvorstand sowie auch den Kongreß über die in 
den einzelnen Zweigvereinigungen herrschenden Auffassungen zu unterrichten. 


8. Internationale Unterrichtskommission 
Die Internationale Unterrichtskommission (I. U. K.) ist das Zentralorgan der 
I. P. V. für die Organisierung und Überwachung des psychoanalytischen Unterrichts 

IO* 















148 


Korrespondenzblatt 


und für die Verwaltung aller mit dem psychoanalytischen Unterricht zusammen- 
hängenden Geschäftssachen der L P. V. 

Die I. U. K. besteht aus ihrem Vorstand (executive ), den Lehrausschüssen der an¬ 
erkannten Lehrinstitute und den Lehrausschüssen der anerkannten Lehrstellen. Der 
Vorstand der I. U. K., der aus einem Vorsitzenden, einem Sekretär und einem Vor¬ 
standsmitglied besteht, wird für die Zeit bis zum nächsten Kongreß vom Kongreß 
gewählt. Der Lehrausschuß eines jeden anerkannten Lehrinstitutes kann höchstens 
aus 7 Mitgliedern, der Lehrausschuß einer jeden anerkannten Lehrstelle höchstens aus 
3 Mitgliedern bestehen. Es ist erwünscht, daß jeder Lehrausschuß einen Vorsitzenden 
und einen Sekretär einsetzt. 

Die I. U. K. regelt selbst ihre Geschäftsordnung. Alle Entscheidungen, für die die 
I. U. K. zuständig ist, werden für die Zeit bis zum nächsten Kongreß vom Vorstand 
der I. U. K., endgültig vom Plenum der I. U. K. getroffen. 

9. Offizielle Vereinsorgane 

Die offiziellen Vereinsorgane werden auf Vorschlag des Zentralvorstandes vom 
Kongreß bestimmt. 

10. Korrespondenzblatt 

Das Korrespondenzblatt der I. P. V. erscheint in je einem der verschiedensprachigen 
offiziellen Vereinsorgane. Es vermittelt den Verkehr zwischen den einzelnen Gliedern 
der I. P. V. durch die Veröffentlichung der offiziellen Mitteilungen und Berichte des 
Zentralvorstandes, der I. U. K. und der einzelnen Zweigvereinigungen. Der allge¬ 
meine Teil des Korrespondenzblattes wird vom Zentralsekretär, der Unterrichtsteil 
vom Sekretär der I. U. K. redigiert. Die Sekretäre der Zweigvereinigungen, bzw. die 
Sekretäre der Lehrausschüsse haben dem Zentralsekretär, bzw. dem Sekretär der 
I. U. K. in regelmäßigen Abständen Berichte einzusenden. 

11. Statutenänderung 

Die Statuten können nur vom Kongreß geändert werden, wozu die Zweidrittel¬ 
majorität der anwesenden Mitglieder erforderlich ist. Der Vorschlag auf Änderung 
der Statuten kann nur von einer Gruppe von mindestens drei Mitgliedern der I. P. V. 
gestellt werden, muß jedoch mindestens vierzehn Tage vor dem Kongreßtermin dem 
Zentralvorstand in schriftlicher Form vorgelegt werden. 

12. Auflösung 

Die Auflösung der I. P. V. kann nur vom Kongreß mit Dreiviertelmajorität der 
erschienenen Mitglieder beschlossen werden; die Abstimmung ist nur zulässig, wenn 
mindestens die Hälfte der Mitglieder der I. P. V. erschienen ist. Der auflösende Kon¬ 
greßbeschluß hat auch über die Verwendung des Vermögens der I. P. V. zu verfügen. 



























III. Berichte der Zweigvereinigungen 

The American Psychoanalytic Association 

III. und IV. Quartal 1934 

Die 33. Tagung der American Psychoanalytic Association fand am 22. Dezember 
1934 unter dem Vorsitz von Dr. A. A. Brill im Hotel Drake in Chikago statt. 

Dr. C. P. Oberndorf berichtet über das Zusammentreten und die Beratungen 
des Ausschusses für statutarische Fragen und gibt bekannt, daß die Vorschläge des 
Komitees den örtlichen Gesellschaften zur Beratung vorgelegt werden. 

Wissenschaftliche Sitzung: Dr. A. A. Brill: Presidential Address. Dr. Franz Alex¬ 
ander: About the General Dynamic Analysis of Unconscious Processes. Dr. Karl 
A. Menninger: Psychogenic Factors in Urological Disorders. Dr. Paul Schilder: 
Psycho-Analysis of Space. Dr. Joseph Chassel: Vicissitudes of Sublimation. Dr. Tho¬ 
mas M. French: A. Dynamic Analysis of Giving. Dr. C. P. Oberndorf: The 
Analysis of a Case of Asthma. 

Am Abend nahmen die Mitglieder an einem von der Chicago Psychogenic Society 
aegebenen Bankett teil. 

Ernest E. Hadley 

Sekretär 

Boston Psychoanalytic Society 
II.—IV. Quartal 1934 

30. April. Jahresversammlung der Boston Psychoanalytic Society. Einstimmige 
Wiederwahl des Vorstandes wie folgt: Dr. Martin W. Peck, Präsident; Dr. John 
M. Murray, Vizepräsident; Dr. M. Ralph Kaufmann, Sekretär-Kassenwart. 

Der Präsident bestimmt ein Komitee, das sich mit der Verfassung der American 
Psychoanalytic Association zu befassen hat. 

25. Mai. Außerordentliche Sitzung: Diskussion über die vorgeschlagene Verfassung 
der American Psychoanalytic Association. 

Ein Vorschlag zur Gründung eines Psychoanalytischen Institutes wird dem Lehr¬ 
komitee zur Behandlung zugewiesen. 

6. November. Wissenschaftliche Sitzung: Dr. M. Ralph Kaufmann referiert über 
Dr. Wilhelm Reichs Buch „Charakteranalyse“. Anschließend Diskussion, an welcher 
Mitglieder und Gäste der Gesellschaft teilnehmen. 

Geschäftliche Sitzung: Erik Homburger wird über sein Ansuchen auf einstim¬ 
migen Beschluß aus der Wiener Gesellschaft als Mitglied übernommen. 

Dr. Hanns Sachs berichtet über den Luzerner Kongreß. 

Es wird zur Kenntnis gebracht, daß Dr. Henry Murray jur. als Vorsitzender des 
Lehrkomitees zurückgetreten ist und Dr. M. Ralph Kaufmann zu seinem Nach- 
folger gewählt wurde. 

24. November. Außerordentliche Sitzung: Dr. Hermann Nunberg: GuiltFeeling. 

12. Dezember. Dr. Jacob Finesinger wird zum Mitglied gewählt. 

Der zu den Verhandlungen über die Verfassung der American Psychoanalytic 
Association Bevollmächtigte berichtet über den bisherigen Fortgang dieser Angelegen¬ 
heit. 








150 


Korrespondcnzblatt 


Diskussion über die Luzerner Beschlüsse, betreffend die Richtlinien für die Unter¬ 
richtstätigkeit. Die Gesellschaft faßt folgende Resolution: 

„Die Gesellschaft beschließt, durch ihren Exekutivbeirat an die I.U*K. das Ansuchen 
zu richten, den Paragraph 8 der Luzerner Beschlüsse, insofern er Amerika betrifft 
außer Kraft zu setzen.“ 

Bericht des Komitees zur Schaffung des Institutes. Folgende Mitglieder werden 
dem genannten Komitee zur Mitwirkung beigegeben: Dr. John M. Murray, Vor¬ 
sitzender, Drs. ¥m, Barrett, M. Ralph Kaufmann, Coriat, Sachs und 
Hendricks. 

Der Vorsitzende des Lehrkomitees berichtet über die zum Seminar zugelassenen 
Kandidaten. 

Ferner werden Drs. Sachs, Kaufmann, Hendricks, Coriat, William Her¬ 
rn an und John Murray vom Lehrkomitee anerkannt und von der Gesellschaft als 
Lehranalytiker bestätigt. 

17. Dezember. Außerordentliche Sitzung: Dr. Dorian Feigenbaum: Morbid 
Shame. 

Die Gesellschaft hofft, im Herbst 1935 über ein vollständig ausgebautes psycho¬ 
analytisches Institut zu verfügen. 

Ralph Kaufmann 

• _ 4 Sekretär 

Chicago Psycfioanaiytic Society 
IV. Quartal 1934 

6. Oktober 1934. Wissenschaftliche Sitzung: Drei Berichte über den Internatio- 
nalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern 1934: 1. Dr. Thomas M. French gibt 
einen Abriß über das wissenschaftliche Programm des Kongresses. 2. Dr. Franz 
Alexander berichtet über die Sitzungen der Internationalen Unterrichtskommission 
und die Geschäftssitzung des Kongresses. 3. Dr. Karl A. Menninger gibt „Allge- 
meine Bemerkungen zum Kongreß“. 

Geschäftliche Sitzung: Diskussion über die Sommersitzung der American Psycho- 
analytic Association. 

20. Oktober 1934. Dr. Karl A. Menninger: Psychological Factors in Urological 
Pathology. Anschließend Geschäftssitzung. 

3 - November 1934. Wissenschaftliche Sitzung: Dr. Alan Finlayson: Note on a 
Criminal whose Crimes are Compensations for his Neurotic Mechanisms. Dr. Helen 
Vincent McLean: Social Prestige and Castration Anxiety. Anschließend Geschäfts¬ 
sitzung. 

17. November 1934. Dr. Ralph C. Hamill: Consciousness in Petit Mal. Geschäfts¬ 
sitzung. 

8. Dezember 1934. Dr. Thomas M. French: Dynamic Analysis of Giving. Ge¬ 
schäftssitzung. 

Helen Vicent McLean 

■ Sekretärin 

New York Psydhoanalytic Society 
III. und IV. Quartal 1934 

Wahrend der Sommermonate wurden keine ordentlichen Sitzungen abgehalten. 

30. Oktober 1934. Die erste Sitzung ist fast ausschließlich dem Kongreß zu Luzern, 
an welchem eine Anzahl von Mitgliedern teilgenommen hatte, gewidmet. Dr. O b e r n- 
























j f herichtet über die gegenwärtige Tätigkeit und die Zukunftspläne des Verlags. 
d° rt . iL.-delt die spezifisch amerikanischen Angelegenheiten, mit denen sich 
Dr. Lewin hatte- er gibt auch einen allgemeinen Überblick über den Verlauf 

i 6 ' Stilles und der Vollversammlung der I.U.K. Um den an der Teilnahme Ver¬ 
des Kong yon der Atmosphäre des Kongresses zu vermitteln, wurden 

hinderten^ und Dr Feigenbaum gebeten, ihre Kongreßvorträge zu wiederholen 
Dr i 6 win- The Meaning of the Fear in Claustrophobia; Dr. Feigenbaum: Morbid 
C — A^CUnical Contribution to the Castration Complex in Women). Dr.Rado 
bchheßt die anregende Sitzung mit einer kurzen Zusammenfassung seiner Eindrücke 
von den wissenschaftlichen Tagungen des Kongresses. 

November. Dr. Smiley Bl an ton: An Analysis of the Symptom of Stuttenng. 
n 2 F itz Wittels: A Short Communication on the Signature of a Kidnapper. 
r 8 r Dezember. Geschäftliche Sitzung: Vorschläge zur Vorstandswahl im Januar. 

Wissenschaftliche Sitzung: Dr. Margaret A. Ribble: Aggression and Regression in 
a Child with Petit Mal. 

Während der Berichtsperiode hat sich der Mitgliederstand nicht verändert. 

George E. Daniels 


Sekretär 


WashingtonsBaltimore Psycfioanalytic Society 

IV. Quartal 1934 

Oktober 1934. Dr. William V. Silverberg: Note on a Theory of Exhibitionism. 
Geschäftliche Sitzung: Drs. Benjamin Weininger, Ralph Crowley und Charles 
Balfour werden zu Lehrkandidaten gewählt. Das Lehrkomitee kündigt seine 

Kurse an. # , _ . 

November 1934. Dr. Edward Hiram Reede: Psychic Pioneers: Marie Henri Beyle 

(1783—I842). 

Dezember 1934. Dr. Gregory Stragnell: Personal Inpressions of the Status of 
Mental Hygiene in Russia. 

Geschäftliche Sitzung: Es wird eine Resolution abgefaßt, welche die Stellungnahme 
der Gesellschaft gegenüber dem Statutenvorschlag der American Psychoanalytic Asso¬ 
ciation festlegt. 

Bernard S. Robbins 

Sekretär 


British Psycho* Anaiyticai Society 

IV. Quartal 1934 

3. Oktober. Dr. Jones berichtet über den jüngsten Kongreß in Luzern. Dr. Ed¬ 
ward Glover: Some aspect of Psycho-Analytical Research. 

17. Oktober. Miss Sheehan-Dare: Technique in relation to phantasy. 

7. November. Miss Grant-Duff: A Psycho-Analytical Study of „Mein Kampf“. 
21. November. Kurze Mitteilungen, x. Dr. Melitta Schmideberg: On suicide. 
2. Dr. Scott: A Delusion of Identity. 

3. Dezember. Dr. Sybil Yates: Some aspects of the Problem of Time; with 
particular reference to Music. 











Prinzessin Marie Bonaparte wohnte der Sitzung als Gast der Gesellschaft b P - 
und eroffnete eine kurze Diskussion über „Probleme der weiblichen Sexualität“. ' 

Edward Glover 

Hon. Scientific Secretary 

Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft 

IV. Quartal 1934 

Benedelf 5 ? Ta§eso ^ dnun S : Bericht über den Luzerner Kongreß. Referenten- 
Benedek, Boehm u. a. Zu Beginn der Sitzung widmet der Vorsitzende Bo hl' 

Z B Ve oTh°m en e en SC triT Beh -E-henburg einen “uh So 

fBenedet R 7 Ü T berbh L ck Über die wissenschaftlichen Beiträge der Mitglieder 
Konlß Id 0 / R JaC , 0 7 0bn > Ke -P er - Kluge, Vowinckel) zum Luzerne 
FraU Benedek ze,chnet ei nen Querschnitt der auf dem Kongreß ver- 
6 OktobeT’lcfr BeS£rebungen innerhalb der psychoanalytischen Wissenschaft. 

• , kto °f Tr I ,934- Generalversammlung (Jahresversammlung). Vor der Generalver 
mmlung (6 Uhr 30 nachmittags) wiederholt Frau Dr. Vowinckel ihren Luzerner 
Vortrag, einen „Beitrag zur Schizophrenie-Lehre“. _ In Her Cm*™ 1 1 

dk^Uh^b^T' CZe R de ? r 7 SellSChaft und Direktor des Instituts KolTe^e^ofhm 
J hresberichte der Gesellschaft und der Poliklinik, Müller-Br aunschwei» 

über 7 K tC p Lehrwesen, über die Tätigkeit des Unterrichtsausschusses und 

berichte weTn ^ den Sti P- d -fonds. Die Jahres- 

Die Ergebnisse der jährlichen Neuwahl des Vorstandes: Es werden wiedereewählt 
zum J Gesellschaft und “ Direktor der Poliklinik Kollege Boehm 

ric^tsauas^lmrses 6 M^liTr-^rluii sc hwelg^Als^E 18 V “ n Un -’ 

Frau Weigert Vowinckel als drittes vLtands^l^e^r^bl^ 

Kemot 7 a M nS deS T Sti f ndienfonds - 2 » KassenrLoren^r^^! 
Kemper und Mette. In den Unterrichtsausschuß werden gewählt- Drs B § oehm 
und Kemper, Frau Ada Müller-Braunschweig, Carl Müller-B aunschweig 
(Vorsitzender) und Frau Weigert-Vowinckel. unscnweig 

d sl:Z mh 

«*• iÄÄLt“ " PoIil,init ™ d Leh '“' 

ph(™ie° kt0btr I,!i ' Dr ' Ir '" e z » r Therapie der Sehizo- 

Z " Entwicklungsgeschichte eines 

MiSä“f«o™e„ Dr ' med ' * außerordentliches 

27. November 1934. Dr. Boehm: Über zwei Schizophrenie-Fälle. Vor Eintritt in 

ta* sZ b dZ dSr d " Z“ 5 ““ <“ Gesellschaft uid 

Institut am Sonnabend, dem ,o. November, in ihre neuen und ne» eingerichteten 










































u iu A*c KkVierisen Hauses Wichmannstraße io, die in verschiedener 
H^Tcht'eS Verbesserung gegen früher bedeuten, umgezogen sind, und dankt allen, 
VT 111 , - dem Umzug und der Neueinrichtung mitgeholfen haben. 
dlC 4 Dezember 1934. Vortrag: Frau Dr. Therese Benedek: Die überwertige Idee 

und ihre Beziehung zur Süchtigkeit. 

7 Dezember 1934. Dr. Boehm: Ergänzende Mitteilungen (zum Vortrag vom 

Seit dem Luzerner Kongreß sind aus unserer Gesellschaft ausgetreten: Alexander, 
Fließ Steff Bornstein, Meng, Vollrath, Anme Reich, Sachs, Fenichel, 
Nie Hoel Gero, Landmark, Raknes. Die fünf letzteren gehören nunmehr zu 
der'neuen skandinavischen Gruppe, Meng zur Schweizer Gruppe, die übrigen (mit 
Ausnahme von Voll rat h, Steff Bornstein und Anme Reich) zu den amerikani¬ 
schen Gruppen. Unsere Gesellschaft besteht bei Abschluß dieses Berichtes aus 28 in 
TVntschland 11 im Ausland befindlichen, insgesamt aus 39 Mitgliedern. 

Dr. Carl Müller-Braunschweig 


Schriftführer 


Indian Psycho» Analytical Society 

Jahresbericht 1933 

Mitgliederbewegung. Während des Berichtsjahres blieb die Zahl der ordent¬ 
lichen Mitglieder unverändert 15. Die Zahl der außerordentlichen Mitglieder er¬ 
höhte sich auf 15 Mitglieder gegen 11 im Vorjahr. 

Indian Psycho-Analytical Institute. Das Institut hat bemerkenswerte 
Fortschritte zu verzeichnen. Vorstand und Institut hielten mehrere gemeinsame 
Sitzungen ab, um über die Ansuchen um Zulassung zur außerordentlichen Mitglied¬ 
schaft und zum Unterricht zu beraten. In bisher nicht dagewesener Weise mehrten 
sich die Ansuchen um Unterricht in der Psychoanalyse und während des Berichts¬ 
jahres unterzogen sich acht Kandidaten der Lehranalyse. Diese Kandidaten wurden 
verschiedenen Analytikern zugewiesen. Die Mehrzahl dieser Kandidaten waren fort¬ 
geschrittene Studenten oder Absolventen der Psychologie, nur einer konnte auch ein 
abgeschlossenes medizinisches Studium nachweisen. 

Finanzen. Die Finanzen der Gesellschaft sind zufriedenstellend. Die Gebühren 
für die Durchführung der Analyse betrugen Rs. 95 0, —> einschließlich Rs. 550. . 

Es wird in nächster Zukunft möglich sein, geeignete Räume zu mieten und einen 
Diener für das Institut anzustellen. Zur Erhaltung des Institutes wird eine Samm¬ 
lung aufgelegt werden. 

29. September 1933. Gemeinsame Sitzung des Vorstandes und des Institutes. Es 
wird eine Reihe von Statutenänderungen beschlossen, deren Formulierung in der 
nächsten Sitzung festgelegt werden soll. 

26. November 1933. Die Versammlung hört stehend eine Resolution an, in der 
das Bedauern über den unersetzlichen Verlust ausgedrückt wird, der der Psycho¬ 
analyse durch den Tod Dr. Sändor Ferenczis entstanden ist. Eine Abschrift der 
Resolution wird der Familie des Dahingegangenen zugestellt. 

Auf Empfehlung des Vorstandes und der Leitung des Institutes werden folgende 
Verbesserungen und Zusätze zu den Statuten genehmigt: 

§ 5. Am Schlüsse hinzuzufügen: Kein Mitglied, das nicht von einem zuständigen 










*54 Korrespondenzblatt 


Mitglied der Indian Psycho-Analytical Society analysiert wurde, darf in die Gesell¬ 
schaft gewählt werden. 

§ io. Am Schluß als neuer Absatz hinzuzufügen: „Mitglieder, welche die jeweilige 
Jahresgebühr nicht bis Ende Mai bezahlt haben, verlieren das Stimmrecht in den 
Versammlungen und das Recht, Bücher aus der Bibliothek zu entlehnen, solange, bis 

alle Gebühren beglichen sind.“ 

§ 40. An Stelle des vorhandenen Textes ist der folgende zu setzen: „Der Kan¬ 
didat hat für seine durch das Institut durchzuführende Analyse eine Gebühr von 
Rs. 1000.— zu zahlen (ca. ^75.— in englischer Währung). Zahlung in Raten von 
je Rs. 100. ist gestattet. Die erste Rate ist vor Beginn der Analyse zu erlegen, 
die folgenden Raten in Abständen von je 3 Monaten. Der Gesamtbetrag muß inner¬ 
halb drei Jahren voll beglichen sein. Nichtzahlung einer Rate zieht die Einstellung 
der Analyse nach sich. Außerdem hat der Kandidat im Laboratorium für Psycho¬ 
logie mitzuarbeiten und die Gebühren dafür zu entrichten. Gründende Mitglieder 
sind von jeder Gebühr für die Analyse befreit.“ 

§ 42. Am Schluß ist als neuer Absatz einzufügen: „Für den Unterricht der Kan¬ 
didaten sind die auf dem Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Wiesbaden 
festgelegten Richtlinien maßgebend.“ (Siehe Appendix, International Journal of 
Psycho-Analysis 1933, S. 155.) 

§ 43. Am Schluß hinzuzufügen: „Das Studienjahr des Institutes beginnt ieweils 
im Juli.“ 

§ 44 * Am Schluß ist als neuer Absatz einzufügen: „Die Gesellschaft stellt eine 
Liste der Mitglieder auf, denen die Ausübung der Psychoanalyse gestattet ist, und 
wird die Namen dieser Analytiker jeweils der Internationalen Vereinigung bekannt¬ 
geben. Der Name eines Mitgliedes darf in dieser Liste nur dann erscheinen, wenn 
das^ Indian Psycho-Analytical Institute bestätigt, daß es die nötige Qualifikation 
besitzt. 

30. Januar 1934. Jahresversammlung unter dem Vorsitz des Präsidenten 
Dr. G. Bose. Der Sekretär, Mr. M. N. Banerji, verliest den Jahresbericht, der mit 
geringen Hinzufügungen angenommen wird. Der Vorstand und die Funktionäre 
des Vorjahres werden wiedergewählt. Zu außerordentlichen Mitgliedern werden 
gewählt. Dr. Surendra Chandra Laha, M. B. und Mr. Ramanimohan Mookerji, M. Sc. 

Fortschritte der Psychoanalyse in Indien 

Das Interesse für die Psychoanalyse ist in stetigem Fortschreiten begriffen. 
Universitäts- und Experimentalpsychologen in Indien spüren mehr und mehr, daß 
die Wissenschaft der Psychologie ohne die Idee des Unbewußten auf unsicherem 
Grunde steht und die Psychoanalyse wird mehr und mehr als wichtiger Bestandteil 
des Unterrichtes in der Psychologie betrachtet. Die Universität von Kalkutta hat 
die Aufnahme der Freudschen Lehre in den Lehrplan der Abteilung für Experimen¬ 
talpsychologie schon bei deren Gründung anerkannt. Vor kurzem haben auch die 
Universitäten von Dacca, Mysore und dem Punjab die Psychoanalyse in den Lehr- 
plan für Psychologie für die späteren Semester aufgenommen. All dies ist auf die 
Tätigkeit der Indian Psycho-Analytical Society zurückzuführen. Einige ihrer Mit¬ 
glieder haben auf die Grundprinzipien der Psychoanalyse in ihren Vorlesungen und 
Zeitschriftenartikeln aufmerksam gemacht. Vielfach wurde Ausbildung in der 



















































Berufszwecken verlangt und das Institut sah sich zu Statuten- 
Psychoana yse um den Unterricht möglichst sorgfältig zu gestalten. Die 

Änderungen gen ^ Gebübr für die Analysen auf Rs. iooo— erhöhen, die in 
Gesellschaft m ^ zu beza hl en sind. Der Unterricht in der Psychoanalyse 

Raten inner a ^ mög j ich) da ß j n dem Laboratorium für Experimentalpsychologie 

^ ar nUr f - ltVes theoretisches Studium der Psychoanalyse gewährleistet ist. Gegen- 
em sorg a ig psyc hoanalyse zur Unterstützung der Bewegung für Mental Hygiene 
wärtig wir zum Studium jugendlicher Krimineller und zurückgebliebener 

herangezoge Kin d er . Eltern, Erzieher und Lehrer suchen die Hilfe der 

oder schwer dig von Dr . G . Bose an der Abteilung für Experimental- 

psycho ogis ^ University College of Science nach psychoanalytischen Prinzipien 
Psychologie ^ In dian Association for Mental Hygiene hat ebenfalls dazu beige¬ 
re eitet Dichtigkeit psychoanalytischer Erkenntnisse zu verbreiten. Die jährliche 
^'ükehsausstellung am Indischen Museum in Kalkutta führt eine von der Ab- 
dun" für Experimentalpsychologie geleitete Sektion für Mental Hygiene, in welcher 
^Analytische Grundbegriffe dargestellt werden. 

P V n der Indian Association for Mental Hygiene wurde ein unter der persönlichen 
t des Präsidenten der Gesellschaft, Dr. G. Bose, stehendes psychologisches 

Ambulatorium eröffnet, das im Carmichael Medical College Hospital, Belgachia, 

Kalkutta, eingerichtet und allgemein zugänglich ist. 

Auf der 20. Tagung des Indian Science Congress in Patna im Januar wur e 
Dr. G. Bose zum Präsidenten der Sektion für Psychologie gewählt und hielt eine 
Eröffnungsansprache über Psychoanalyse. Er hielt dort auch öffentliche Vortrage, 
und zwar über „The Mysteries of the Mind" in bengalischer und über „Conjugal 
Ouarrels“ in englischer Sprache. Diese Vorlesungen waren von über 2000 Menschen 
besucht und wurden von indischen Zeitungen drei Monate lang kommentiert und 

dV DntC. Mitra betonte die Wichtigkeit der Analyse und deren wachsende Be¬ 
deutung in einem öffentlichen Vortrag bei einer Tagung der „Vangiya German 
Vidya-Samsat“ (Bengalische Gesellschaft für germanische Kultur). Ebenso hielt er 
am Scottish Churches College einen Vortrag über „Moderne Psychologie“, in dem 
er nachwies, daß die Psychologie unvermeidlich der Psychoanalyse zustrebt. In 
einem anderen Vortrag über „Psychologie und Literatur“ an der Postgraduate 
Literary Society der Universität Kalkutta erklärte er, wie gerade die Psychoanalyse 
den Schlüssel zum Verständnis sowohl der literarischen Schöpfung als auch der 
literarischen Kritik bietet. 

Mr. M. N. Banerji hielt vor der Women’s Educational Conference einen Vortrag 
in bengalischer Sprache über „Schwierige Kinder und ihre Behandlung". Ebenso 
hielt er psychoanalytische Vorträge bei der Serampore Health Exhibition Congre- 
gation und dem Calcutta Jewish Club über Mental Hygiene. Ferner veröffentlicht? 
er zwei Artikel in bengalischer Sprache im „Bharatvarsha und im „Prabasi • Das 
„Indian Journal of Psychologie“ unter Leitung Mr. M. N. Banerjis hat während 
des Berichtsjahres mehrere Originalartikel über Psychoanalyse gebracht. 

Dr. Sarasilal Sarkar veröffentlichte zwei Artikel. In dem einen legt er Freuds 
Ansichten über den Narzißmus dar; in dem anderen gibt er eine Erklärung er 
Geschichte von „Chaturanya“ vom psychoanalytischen Standpunkt. 












*5^ Korrespondenzblatt 


Prof. Rangin Haldar hielt einen Vortrag vor der Sektion für Psychologie am 
Indian Science Congress 1933, unter dem Titel „Working of an Unconscious Wish 
in the Creation of Plastic Art“. Psychoanalytische Studien an indischen Skulpturen 
hatten ihm gezeigt, daß die Lingam, Sadyojata, Ardhanarisvara, Mahisasuramardini 
und andere Bildwerke die verschiedenen Aspekte der Ödipussituation darstellen. 
Die Opferung des Kopfes an die Muttergottheit auf indischen Skulpturen stellt den 
Kastrationskomplex dar. 

Jahresbericht 1934 

Mitgliederstand. Während der Berichtsperiode hatte die Gesellschaft die 
gleiche Anzahl von ordentlichen Mitgliedern wie im Vorjahre, nämlich 15. Ein 
ordentliches Mitglied wurde außerordentliches, und ein außerordentliches wurde 
ordentliches Mitglied. Die Anzahl der außerordentlichen Mitglieder betrug jedoch 20 
gegen 15 im Vorjahre. Zwei außerordentliche Mitglieder wurden überdies zu ordent¬ 
lichen gewählt, haben ihre Wahl aber erst mit Beginn 1935 angenommen. 

Bibliothek. Während des Berichtsjahres wurden für die Anschaffung neuer 
Bücher neben den Abonnements für das Int. Journ. of PsA., die „Imago“ und das 
Psychoanalytic Quarterly 130 Rupien auszugeben. 

Sitzungen. 30. Jänner. XII. Jahresversammlung. Der Vorstand für 1934 wird 
wie folgt gewählt: Dr. G. Bose, Präsident; Mr. H. P. Maiti, Dr. S. C. Mitra: Vor¬ 
standsmitglieder; Mr. M. N. Banerji, Sekretär. Außerdem wurden folgende Funktio¬ 
näre gewählt: Dr. S. C. Mitra: Bibliothekar; Mr. M. Samanta, zweiter Bibliothekar; 
Mr. S. Bose, zweiter Sekretär. Dr. Surrendrachandra Laha, M. B., wird zum außer¬ 
ordentlichen Mitglied gewählt. 

23. April. Gemeinsame Sitzung des Vorstandes und des Institutes. Mr. E. A. Gubbay 
wird zum außerordentlichen Mitglied vorgeschlagen. Prof. M. N. Mukhdum und 
Mr. Rabindranath Ghosh wurden als geeignete Lehrkandidaten nach Artikel 40 zu¬ 
gelassen und zur außerordentlichen Mitgliedschaft empfohlen. Der Sekretär wird 
aufgefordert, sich mit dem Sekretär des Indian-Science-Congress in Verbindung zu 
setzen, damit die Indian-Psycho-Analytical-Society in der vom Kongreß vorgeschla¬ 
genen Indian Academy of Science vertreten ist. 

20. Mai. Prof. Uttam Sing Gheba, M. A., B. D., wird zum Mitglied der Gesell¬ 
schaft, Mr. E. A. Gubbay und Prof. M. N. Mukhdum zu außerordentlichen Mit¬ 
gliedern gewählt. 

29. September. Gemeinsame Sitzung des Vorstands und des Instituts, im Anschluß 
daran Geschäftssitzung. Mr. Amrith und Mr. Shrimali werden zu ordentlichen Mit¬ 
gliedern der Gesellschaft gewählt. Das Ansuchen des ordentlichen Mitglieds 
Dr. Sarasi lal Sarkars vom ir. September um die außerordentliche Mitgliedschaft 
wird bewilligt. 

Fortschritte der Psychoanalyse in Indien. Die Stellung der Psycho¬ 
analyse in Indien kann nunmehr als gefestigt gelten. Die Gebildeten einschließlich 
der Universitätskreise haben die Bedeutung psychologischer Faktoren bei der Ent¬ 
stehung geistiger Störungen erfaßt und die offiziellen Leiter der psychiatrischen 





































Spitalabteilungen haben die Bedeutung, die der Psychotherapie beim medizinischen 

StU M U1 M^BaTeTjk TTr Sekretär der Gesellschaft, wurde zum Präsidenten der Ab- 
| M n e für Psychologie am Indian-Science-Congress zu Bombay i ?34 gewählt. In 
^• “r Eröffnungsansprache betonte er die Wichtigkeit der Psychoanalyse für das 
sem . er . Psychologie. Lt. Col. Berkeley Hill hielt mehrere populäre Vortrage, in 
Tnen Tr die Grundgedanken der Psychoanalyse auseinandersetzte. In der Dezember- 
d von Probasi der bedeutendsten bengalischen Monatsschrift, verfolgte 

STgÄ I- unserer außerordentlichen Mitglieder, die Geschichte der psycho- 
M i '• v, Bewegung in Indien. Der Artikel erregte beträchtliches Aufsehen. 
M R^Ghosh hielt auch einen psychoanalytischen Vortrag über „Staring“ innerhalb 
der Abteilung für Psychologie des Indian Science Congress 1934- Mr. H. P. Mam, 
d ordentliches Mitglied, wurde zum Präsidenten der psychologischen Abteilung 
der Indian Philosophical Conference, die im Dezember 1934 m Waltair tagte, ge- 
blt In seiner Ansprache betonte er die Wirkungen unbewußter Motive bei philo- 
h- 'chen Forschungen mit besonderer Berücksichtigung der indischen Philosophie. 
Äd S auc^unter den Auspizien der „Sunity Songha“ einen Vortrag über 
dL Problem der Pubertät in der Amrita Samai Hall. Außerdem sprach er über 
Religion und Psychoanalyse“ am Sanskrit-College. Dr. B. Ghosh hielt zehn öffent¬ 
liche Vorträge über Mental Hygiene und Psychoanalyse. 


Chewra Psychoanalytith b'Erez-Israel 

IV. Quartal 1934 

13 Oktober 1934. Sitzung in Jerusalem: 1. Eröffnung des Psychoanalytischen In¬ 
stitutes. Begrüßung durch Dr. Eitingon. Am Institut wird eine vollständige Leih¬ 
bibliothek der analytischen Literatur unterhalten, welche das ganze Land versorgen 
wird. 2. Dr. Eitingon: Bericht über den Internationalen Kongreß in Luzern. Ge¬ 
schäftlicher Teil: 1. Prof. M. Pappenheim (Tel-Aviv), außerordentliches Mitglied 
der Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft, und Dr. K. Bluhm (Jerusalem), außer- 
ordentliches Mitglied der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft, werden zu 
ordentlichen Mitgliedern gewählt. 3. Die Errichtung der Leihbibliotheken in Tel-Aviv 
und Haifa wird auf ein Jahr verschoben. 4. Es wird beschlossen, die Ausarbeitung und 
Übersetzung der technischen analytischen Ausdrücke ins Hebräische in die Wege zu 

leiten. , 

10. November 1934. Sitzung in Tel-Aviv. Dr. Dreyfuß: Die Bedeutung des 

Traumas bei der genuinen Epilepsie (erscheint im Druck). 

I. Schallt 

Sekretär 

Magyarorszägi PszicfioanaUtikai Egyesület 

III. und IV. Quartal 1934 

28. September 1934. Dr. M. Bälint: Das Endziel der psychoanalytischen Be- 
handlung. 

12. Oktober 1934. Dr. I. Hermann: Neuere Daten zur vergleichenden Psycho- 
logie der Primaten. 













Korrespondenzblatt 


26 ■ ° ktober r 934- Dr. L. K. Rotten Referat über Rädos „Kastrationsangst des 


9. November 1934. Dr. F. K. Hann: Poliklinische Kasuistik. 

7. Dezember 1934. 1. Dr. M. Balint: Zur Analyse des Fetischismus. 
Aus der Analyse einer homosexuellen Frau. 


s. 2 . A. Balint: 

Dr. Hermann 


Nederlandsche Vereeniging voor Psychoanalyse 


III. und IV. Quartal 1934 


29. September 1934. (Oegstgeest.) Dr. H. C. Jelgersma: Analytische Bemerkun¬ 
gen über den epileptischen Charakter. - Dr. S. J. R. de Monchy: Eine Angst- 
neurose bei einem fünfjährigen Mädchen. 


27. Oktober 1934. (Amsterdam.) Dr. J. H. van der Hoop: Sexualität, Moral 
und Lebensanscbaimncr 



Sekretär 


Vereeniging van Psycfioanalytici in Nederiand 


IV. Quartal 1934 


Jede Woche fand eine Versammlung der Mitglieder im Haag statt. Jede vierte 
Woche wurde von einem der Mitglieder ein Vortrag über ein wissenschaftliches 
Thema abgehalten. Die anderen Abende waren jeweils kurzen Mitteilungen, ein¬ 
maliger Darstellung von schwierigen Fällen und einem, fortlaufenden Referat eines 
hailes von Blök gewidmet. 

Unsere Vereinigung erlitt einen außerordentlich großen Verlust, dadurch daß ihr 
Vorsitzender und Gründer seine Tätigkeit nach Amerika verlegte. Er hat für die 
Vereinigung immer seine besten Kräfte eingesetzt, und die Psychoanalyse verdankt 
es ihm, wenn sie einmal in Holland festen Boden gewinnen wird. 

An seiner Stelle wurde van Emden als Vorsitzender gewählt. 

Unser Mitglied Kat an kam nach jahrelanger Abwesenheit zurück und wird seine 
Praxis im Haag, Prinsevinkenpark j, ausüben. 


A. M. Blök 


Sekretär 


Norsk-Dansk Psykoanalytisk Forening 

Tätigkeitsbericht über das IV. Quartal 1934 


14. September 1934. Neuerliche Konstituierung des Vereines als Zweigvereinigung 
der I.P.V. — Wahl des Vorstandes: Prof. Schjelderup (Vorsitzender), Drs. Fe-' 


• 1 1 1T . , > -- JU v ’ vaon.z.umciy, JLVIb. rc- 

nichel und Landmark. 

12. Oktober 1934. Dr. Landmark: Zur Problematik der Zärtlichkeit. 

18. Oktober 1934. Vorlesung eines Manuskripts von Frau Kramer (Riga): Analyse 
einer schweren Zwangsneurose. 





























„ mer Riga Plkv. Brieza Jela 7 / 33 . wird zum Mitglied gewählt. 

Frau Kramer, Kiga, Todestrie b, Angst und psychoanalytische 

2^, Oktober 1934 * 

T '^”oktober ,934. RefcrMenaWnd über Rado, Der Kaltration,komplex des 

W f November ,„4. Kasoisrischer Abend. Referent, Frau Chris,ensen >. G. 
g. Novem y} ß a G.: Probleme des Suizids. 

£ November ”34. Refer.renabend Ober Sachs: Verspätung des Maschinen«.,- 
J T;: November ,„4. 

t'STmber'Referatenab.nd Ober Sterba, Das Schicksal des Icbs im .her,- 

peutischen Verfahren. Arbeitseemeinschaft zur Einführung in die Psycho- 

^e^^TÄTnV'Ä-'semina, (S Tednehmer,. Beide Kurse 

werden fortgesetzt. q Fen j c hel 

Sekretär 

Societe Psychanalytique de Paris 

IV. Quartal 1934 

l6 . Oktober. Eröffnungssitzung unter dem Vorsitz des Präsidenten Dr. A^Borel 
M Malinowski, der eben von einer Forschungsreise nach Afrika zuruckgekehrt 
ist, ist als Gast anwesend. Die Gesellschaft nimmt die Kandidatur v ° n ^ me - °<? et ^ 
Codet und Dr. Lacan zur Kenntnis. Der Zusammentritt der IX.Tagung fran¬ 
zösischer Psychoanalytiker wird auf Ende Jänner 193 5 verschoben 

Wissenschaftliche Sitzung. Dr. R. Loewenstein: Quelques reflections sur les 
troubles de la puissance. Da der Inhalt dieser Arbeit die Dissertation zum staatlichen 
Doktorat wiedergibt, muß der Text unveröffentlicht bleiben. 

20. November. Mme. Codet und Dr. Lacan werden einstimmig zu außerordent¬ 
lichen Mitgliedern gewählt. Die Festsetzung des Datums der IX. Tagung französi¬ 
scher Psychoanalytiker wird auf die Dezembersitzung verschoben. Voraussichtlich 
wird die Tagung zwischen dem 25. und 31. Jänner 1935 stattfinden. , 

Wissenschaftliche Sitzung. Dr. Charles O di er: Conflits instinctuels et bisexualite. 
Mme. Reverchon-Jouve bittet davon Kenntnis zu nehmen, daß sie Doktor 
der Medizin ist. Es wird entsprechende Aufzeichnung davon gemacht. 

J. Leuba 

S6cr6taire 


Schwedisch^Finnische Psychoanalytische Vereinigung 
3. und 4. Quartal 1934 
I. Sitzungen: 

25. September. Geschäftssitzung: Mitteilung des Beschlusses des XIII. Internatio¬ 
nalen Psychoanalytischen Kongresses, betreffend die Gründung der schwedisch¬ 
finnischen Ortsgruppe. Kooptierung außerordentlicher Mitglieder. Festsetzung des 
Unterrichts- und Vortragsprogramms. Gründung einer psychoanalytischen Bibliothek. 









i6o 


Korrespondenzblatt 


ij. Oktober. Dr. Ludwig Jekels: Triebdualismus im Traume. (Wiederholung 
des Kongreßvortrages.) 

13. Dezember. Dr. Ludwig Jekels: Zur Psychologie der Weihnachtsfeier. 

II. Referierabende: 

11. und 23. Oktober, 15. November. Ekman: Freuds Traumdeutung. 

19. Dezember. Sandström: Uber die Weiblichkeit und die präödipale Phase. 

III. Kontrollseminare: 

16. September, 5. Oktober, 13. November, 19. Dezember; Referenten: Sand¬ 
ström, Nycander, Törngren, Ekman. 

IV. Vorträge: 

für Mediziner, Pädagogen u. a. im Stockholmer Krankenhaus „Serafimerlasarettet“ 

(etwa 50 bis 60 Zuhörer): 

8. Oktober. Jekels: Psychoanalytische Psychologie. 

12. November. Ekman: Fehlleistung und Traum. 

19. November. Tamm: Kindersexualität. 

26. November. Sandström: Ichpsychologie. 

13. Dezember. Törngren: Grundlagen der Neurosen. 

Alfhild Tamm 

Schweizerische Gesellschaft für Psychoanalyse 

II. Semester 1934 

20. Oktober 1934. Besuch der Pflegeanstalt Malevoz (Wallis). Dir. Dr. A. Re* 
pond: Die Widerstände gegen die Psychoanalyse bei den französischen Psychiatern. 

17. November 1934. Trauersitzung für den verstorbenen Vizepräsidenten Dr. med. 
Hans Behn-Eschenburg. Es referieren Drs. Sarasin, Boss, Blum. 

Hierauf referiert Dr. Christof fel-Basel: 

1. Bericht und Besprechung eines Buches von Lange über die Folgen der Ent¬ 
mannung Erwachsener. 

2. Zur Psychologie und Symbolik von Links und Rechts. 

8. Dezember. Cand. phil. W. Hennig (a. G.): Die Identifikation bei Freud. 
(Teile und Zusammenfassung der phil. Doktordissertation gleichen Themas. Basler 
Universität.) 

Nachtrag: Am 23. Juni wurde Frau Dr. Fromm-Reichmann, Straßburg, in 
unsere Gesellschaft übergenommen. 

Hans Zulliger 

Sekretär 

Tokyo Psycho» Analytical Society 

I.—IV. Quartal 1934 

Außer wöchentlichen Zusammenkünften, die dem Unterricht einer außerhalb der 
Gesellschaft stehenden Gruppe dienen, werden zweimonatlich reguläre Sitzungen ab¬ 
gehalten, die auch in der Berichtsperiode fortdauern. Folgendes ist bemerkenswert: 











































Korrespondenzblatt 


161 


Juli. Außerordentliche Hauptversammlung der Gesellschaft. Es hat sich die 

19 q ergeben, daß in Japan eine neue örtliche Gesellschaft der Internationalen 
Psychoanalytischen Vereinigung unter dem Namen Sendai Psycho-Analytical Society 
nter der Leitung Prof. Kiyoyasu Maruis gegründet werden soll; die neu orgam- 
U 'erte Gesellschaft soll gleichberechtigt mit der bisherigen Japan Psycho-Analytical 
Society sein; es empfiehlt sich daher, für diese letztere künftig den Namen Tokyo 
Psycho-Analytical Society zu wählen. Die Briefe von Dr. Ernest Jones, in denen 
er Ratschläge und Weisungen in dieser Frage gibt, und ebenso die Mitteilungen 
Prof. Maruis werden verlesen und diskutiert. Der Präsident empfiehlt, dem Vor¬ 
schlag beizustimmen, der dann auch einstimmig angenommen wird. 

Als außerordentliche Mitglieder werden aufgenommen: Nagatoshi, Student der 
Urawa Higher School; Tsutomu Tago, Absolvent des Showa Medical College; Sueo 
Toda Absolvent der Waseda University; Nadamitsu Yabe, Absolvent der Rikkyo 
University; alle Mitglieder sind analysiert. Der Name des verstorbenen Mitglieds 
Akiya Nasu wird gestrichen. 

20. September. Y.K.Yabe: Ein Fall von Schlafphobie. Ein Mann von 49 Jahren 
wird durch einen Psychiater von seiner durch 5 Jahre andauernden Schlaflosigkeit 
geheilt, so daß er imstande ist, durchschnittlich sieben Stunden im Tag zu schlafen. 
Seine änderen Symptome jedoch, wie Angstzustände, hypochondrische Furcht und 
verschiedene Arten von Zwang, steigerten sich oder erschienen von neuem. Die 
Analyse ergab starke Kastrationsangst und Angst vor dem Schlaf, den der Patient 
unbewußt mit dem Tode gleichsetzte. 

4. Oktober. Angeregt durch die Artikel: „The Psycho-Analysis of the Uncanny 
von Edmund Bergler, und „Depersonalisation in relation to erotisation of thought“ 
von C. P. Oberndorf, beide erschienen im Int. Journal of Psa., XV, 2/3, berichtete 
und diskutierte eine Anzahl anwesender Mitglieder verschiedene Fälle von Deper¬ 
sonalisation und Entfremdung. 

1. November. Die Diskussion über das Problem Depersonalisation wird fortge¬ 
setzt. Es werden viele Fälle, die dem japanischen Volk eigentümlich sind, die aber 
in ihren Grundprinzipien mit den von Bergler und Oberndorf geschriebenen 
Mechanismen übereinstimmen, vorgebracht. 

ij. November. Y.K.Yabe spricht 1. über den Wert von Wortformeln in bud¬ 
dhistischen Gebräuchen, insbesondere jener, welche die Bedingungen beschreiben, die 
zur Herbeiführung des Nirwanazustands erforderlich sind. 2. Über einen Fall von 
Melancholie (eines 50jährigen Mannes) mit starker Oralerotik, der durch Selbstmord 
mittels eines in den Mund geführten Revolvers endete. 

Analysepatienten. In der vom Präsidenten geleiteten Anstalt wurden während 
des Jahres 1934 31 Patienten analysiert. Die Zahl ist also um 8 höher als im Vor¬ 
jahr. Auch die Zahl der Konsultationen ist im Vergleich mit der des Vorjahres im 
Ansteigen begriffen und zeigt, daß das Interesse des Publikums an der Psychoanalyse 
langsam, aber stetig im Wachsen begriffen ist. Von den 31 behandelten Patienten 
wurden 3 vollständig geheilt, 8 zeigten ein befriedigendes Ergebnis, 9 zeigten teilweise 
und der Rest von 11 keine oder nur ganz geringe Besserung. Die letzte Gruppe um¬ 
faßt Psychosen, Grenzfälle, Fälle, in denen die Analyse plötzlich abgebrochen wurde, 
sog. „Deserteure" oder Fälle, deren Analyse noch nicht beendet ist. In einem Fall 
kam es zum Bedauern des Analytikers zu einem Selbstmord während der Behandlung. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/i 11 


I' 















162 


Korrespondenzblatt 


Bei einer rohen Einteilung nach den hauptsächlichsten Symptomen ergibt sich fol¬ 
gende Liste von Fällen: Zwangsneurose 6 ; Melancholie 7; Manisch depressive 1; Angst¬ 
neurose 2; Angsthysterie 1; Schlaflosigkeit 1; Erythrophobie 1; Schizophrenie x; 
Dementia paranoides 2; Dementia paranoides mit Verdacht einer sich entwickelnden 
Paralyse vom nichtprogressiven Typ 1; Charakteranomalien 7; Kleptomanie 1. 

Kanji Tsushima 

Secretary 

Wiener Psychoanalytische Vereinigung 

IV. Quartal 1934 

3. Oktober 1934. Dr. Ernst Paul Hof fmann: Eine Station in der Entwicklung des 
Ichs. Diskussion: Federn, Anna Freud. 

17. Oktober 1934. Generalversammlung. Tagesordnung: i. Bericht des Vorstandes 
(Federn). — 2 . Kassenbericht (E. Bibring). — 3. Bericht des Ambulatoriums (Hitsch- 
mann). — 4. Bericht des Lehrausschusses (H. Deutsch). — 5. Bericht der Erziehungs¬ 
beratungsstelle (Aichhorn). — 6. Verlagsbericht (M. Freud). — 7. Bibliotheksbericht 
(R. Wälder). — 8. Festsetzung des Mitgliedsbeitrages für das Jahr 1935: Mitglieds¬ 
beitrag wird in der gleichen Höhe wie bisher festgesetzt. — 9. Absolutorium: wird 
erteilt. 10. Neuwahlen. Wie alljährlich wird Prof. Freud per acclamationem zum 
Obmann gewählt; im übrigen wird folgender Vorstand bestellt: Dr. Paul Federn, 
Anna Freud (Obmannstellvertreter), Dr. Robert Wälder, Dr. Heinz Hartmann 
(Schriftführer), Dr. Edward Bibring (Kassier), Dr. Richard Sterba (Bibliothekar). Die 
übrigen Wahlen ergeben: Ambulatorium: Vorstand: Dr. Eduard Hitschmann 
(Leiter), Dr. Otto Isakower (Leiterstellvertreter), Dr. Hans Lampl. Kassier des Ambu¬ 
latoriums: Dr. Edmund Bergler. Lehrausschuß: Dr. Helene Deutsch (Vorstand), 
Anna Freud (Vorstandstellvertreter), Dr. Edward Bibring (Schriftführer), August 
Aichhorn, Dr. Grete Bibring-Lehner, Dr. Paul Federn; Dr. Eduard Hitschmann. 
Erziehungsberatung: Leiter: August Aichhorn. — Dem bisherigen langjährigen 
1. Schriftführer Dr. Robert Hans Jokl wird der Dank der Vereinigung ausgesprochen. 
— 11. Allfälliges: nichts. 

31. Oktober 1934. Dr. Ernst Kris: Zur Psychologie älterer Biographik. Diskussion: 
Stengel, Hartmann, Anna Freud, H. Deutsch, R. Sterba, R. Wälder, Federn, Schikola 
(a.G.). 

14. November 1934. Dr. Richard Sterba: Über zwei Verse von Schiller. Dis¬ 
kussion: Federn, E. Bibring, Schikola (a.G.), Marseille (a.G.). — Dr. Eduard 

Hitschmann: Nochmals die peinlichen Träume. Diskussion: Federn, H. Deutsch, 
R. Sterba, Eidelberg, Bergler. — Dr. Editha Sterba: Eine Kinderbeobachtung. Dis¬ 
kussion: Hoffmann, Schur, Anna Freud, Schikola (a. G.), R. Wälder, H. Deutsch. 

28. November 1934. Dr. Maxim Steiner: Die Traumsymbolik der analytischen 
Situation. Diskussion: Anna Freud, Federn, Hitschmann. 

I2 ‘ Dezember 1934- Doz. Dr. Felix Deutsch: Über Euthanasie. Diskussion: 
H. Deutsch, Hartmann, Federn, E. Kris, M. Löwy (Prag-Marienbad, a.G.), Hitsch¬ 
mann. 

Geschäftliches: In den Vorstand wurden wie alljährlich kooptiert der Leiter 
des Ambulatoriums (Dr. E. Hitschmann), die Vorsitzende des Lehrausschusses (Dr. H. 


J 































Korrespondenzblatt 


163 


Deutsch), der Leiter der Erziehungsberatungsstelle (A. Aichhorn). In den Lehraus¬ 
schuß wurden nachträglich kooptiert: Dr. H. Hartmann, Dr. R. Wälder. — Die Mit¬ 
glieder der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft Steff Bornstein, Franziska Deri 
und Dr. Annie Reich wurden mit Zustimmung des Zentralvorstandes in die Wiener 
Psychoanalytische Vereinigung als Mitglieder übernommen. — Zum Zwecke des 
Übertritts in die respektiven neu entstandenen örtlichen Zweigvereinigungen sind 
aus der Vereinigung ausgetreten: Erik Homburger (Boston), Prof. Dr. Martin Pappen¬ 
heim (Tel-Aviv), Dr. Alfhild Tamm (Stockholm). — Neue ordentliche Mitglieder: 
Dr. Nicola Perrotti, Rom; Dr. Emilio Servadio, Rom. 

Dr. Robert Wälder 

Schriftführer 

















■ 






' 
















THE 

PSYCHOANALYTIC 

QUARTERLY 

Thtrd year of publication 

THE QUARTERLY 
is devoted to original contributions in 
the field of theoretical, clinical and 
applied psychoanalysis, and is published 
four times a year. 

The Editorial Board of the QTJAR- 
TERLY consists of the Editors: Drs. 
Dorian Feigenbaum, Bertram D. Lewin 
and Gregory Zilboorg. Associate Edi¬ 
tors: Drs. Henry Alden Bunker, Jr., 
Raymond Gosselin and Lawrence S. 
Kubie. Associated with the Editorial 
Board is a group of distinguished Ameri¬ 
can and European psychoanalysts. 

CONTENTS FOR OCTOBER 1934: 

The Influence of Psychologie Factors upon Gastro¬ 
intestinal disturbances: Franz Alexander: General 
Principles, Objectives, and Preliminary Results. — 
Catherine Bacon: Typical Personality Trends and 
Conflicts in Cases of Gastric Disturbance. — George 
W. Wilson: Typical Personality Trends and Con¬ 
flicts in Cases ot Spastic Colitis. — Harry B. Le ve y: 
Oral Trends and Oral Conflicts in a Case of Duo¬ 
denal Ulcer. - Maurice Levine: Pregenital Trends 
in a Case of Chronic Diarrhoea and Vomiting. — 
Herman Nunberg: The Feeling ofGuiit. — Karen 
Horney: The Overvaluation of Love. — Book 
reviews. 

Editorial Communications should be sent 
to the Editor-in-Chief: Dr. Dorian Feigen¬ 
baum, 60 Gramercy Park, New York, N. Y. 

Foreign subscription price is $ 5.50; 
single issues, one dollar and 75 cents. 
A limited number of back copies are 
available; volumes in original binding 

$ 6.50. 

Business correspondence should be sent to: 

THE PSYCHOANALYTIC 
QUARTERLY PRESS 

372-374 BROADWAY, ALBANY, 
NEW YORK 


THE 

INTERNATIONAL 
JOURNAL OF 
PSYCHO-ANALYSIS 

Directed by 

SIGM. FREUD 

Edited by 

ERNEST JONES 

This Journal is issued quarterly. 
Besides Original Papers, Ab- 
stracts and Reviews, it contains 
the Bulletin of the Internatio¬ 
nal Psycho-Analytical Associa¬ 
tion, of which it is the Official 
Organ. 

Editorial Communications should be 
sent to Dr. Ernest Jones, 81 Harley 
Street, London, W. 1. 

The Annual Subscription is 30s per 
volume of four parts. 

The Journal is obtainable by sub¬ 
scription only, the parts not being 
sold separately. 

Business correspondence should be ad- 
dressed to the publishers, Balliere, 
Tindall & Cox, 8 Henrietta Street, 
Covent Garden, London, W. C. 2., 
who can also supply back volumes. 





Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Band XXI, Heft 1 


(Ausgegeben im März 1935 ) 

INHALTSVERZEICHNIS 

A. Stärcke: Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungs¬ 


wahn und in analogen Systemgedanken. 5 

Marie Bonaparte: Passivität, Masochismus und Weiblichkeit... 23 

R. Loewenstein: Die phallische Passivität beim Manne. 30 

Michael Bälint: Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung. 36 

\ Melitta Schmideberg: Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen Therapie. 46 

>(Grete Bibring-Lehner: Zum Thema des Übertragungswiderstandes. 55 

Käthe Misch: Die biologischen Grundlagen der Freudschen Angstheorie. 62 

Xicola Perrotti: Die Rhigophobie. 68 

Otto Fenichel: Zur Theorie der psychoanalytischen Technik. 78 


VORLÄUFIGE MITTEILUNGEN 

Edmund Bergler: Zur Psychologie der Heuchelei. 96 

E. Daniels: Neurosen in Verbindung mit dem Magen-Darmtrakt .... 97 

Lewis B. Hill: Ein Fall von essentieller Hypertension. g8 

Sandor L o r a n d: Märchen und Neurosen. g8 

Karl A. Menninger: Lokalisierte Selbstvemichtung: Selbstverstümmelung . 99 

Gregory Zilboorg: Zum Selbstmordproblem. 100 


REFERATE 

Aus der Literatur der Grenzgebiete 

B o v e t: Einführung in die philosophischen Grundprobleme der Medizin ( A. Kielholz J103. — Gochrane: 
Elie Metschnikoff and his Theory of an „Instinct de la Mort“ (Fenichel) 104. — K. Rado: Angst, 
Zwangserscheinungen und Angstzustände bei Nervösen (Hitschmann) 104. 

Aus der psychiatrisch-neurologischen Literatur 

Dantschakoff: Les Bases de la Sexualite ( Federn) 104. — Psychotherapeutische Praxis (Sterba) 105. 
Aus der psychoanalytischen Literatur 

Bergler: Psychoanalysis of the Uncanny ( Auloreferat) 106. — Horney: Psychogenic factors in 
functional female disorders (Winnik) 107. — Malcove: Bodily Mutilation and Learning to Eat 
( Fenichel) 107. — Menninger: Polysurgery and Polysurgic Addiction (Fenichel) 108. — Oberndorf: 
Depersonalization in Relation to Erotization of Thought (Fenichel) 109. — Resnikoff: A Note on 
Washington (Fenichel) 110. 

Nachtrag zum Nachruf auf Georg Groddeck ( Meng) . m 

KORRESPONDENZBLATT DER INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN VEREINIGUNG 

I) Bericht über den XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern 112. — II. Statuten 
der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung 146. — III) Berichte der Zweigvereinigun¬ 
gen 149. — IV) Mitgliederverzeichnis der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (als Beilage). 


Preis des Heftes Mark 7.50. Jahresabonnement Mark 28.— 

Jährlich 4 Hefte im Gesamtumfang von etwa 600 Seifen 

Einbanddecken zu dem abgeschlossenen XX. Band ( 1934 ), sowie zu allen 
früheren Jahrgängen: in Leinen Mark 2 . 30 , in Halbleder Mark 5 .— 


Eigentümer und Verleger: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Ges. m. b. H., Wien I, Börsegasse li. — Herausgeber: Prof. Dr. Sigm. 
Freud, Wien. — Verantwortlich für die Redaktion; Dr. Paul Federn, Wien VI, Köstlergasse 7. — Druck: Manzsche Buchdruckerei, Wien IX.