XXI. Band
1935
Heft 1
Internationale Abschrift
für Psychoanalyse
Offizielles Organ der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung
Heraussegeben von
Sigm» Freud
Unter Mitwirkung von
G. Bose A. A. Brill Lucile Dooley
Felix Boehm
Berlin
J. E. G. van Emden
Haag
Karl Menninger
Topeka
Kalkutta
S. Hollos
Budapest
S. J. R. de Monchy
Rotterdam
New York
Ernest Jones
London
Washington
J. W. Kannabich
Moskau
Harald Schjelderup
Oslo
Paul Federn
Wien
M. W. Pecfc
Boston
Alfhild Tamm
Stockholm
Edouard Pidion
Paris
M. Eitingon
Jerusalem
Kiyoyasu Marui
Sendai
Philipp Sarasin
Basel
redigiert von
Heinz Hartmann
Wien
Y. K. Yabe
Tokio
Sandor Rado
New York
A. Stärcke. Die Rolfe der analen und oralen Quantitäten im
Verfolgungswahn und in analogen Systemgedanken
Marie Bonaparte. Passivität, Masochismus und Weiblichkeit
R. Loewenstein. Die phallisdie Passivität beim Manne
V Michael Bälint. Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung
Melitta Schmideherg ... Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen Therapie
Grete Bibring« Lehne r. . . Zum Thema des Ubertragungswiderstandes
Käthe Misch. Die biologischen Grundlagen der Freudschen Angst«
theorie
Nicola Perrotti. ....... Die Rhigophohie
Otto Fenichel. Zur Theorie der psychoanalytischen Technik
Vorläufige Mitteilungen — Referate
1) Die in der „Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse" veröffentlichten Beiträge
werden mit Mark 25.— per sechzehnseitigen Druckbogen honoriert.
2) Die Autoren von Originalbeiträgen sowie von Mitteilungen im Umfange über zwei
Druckseiten erhalten nach Wahl zwei Freiexemplare des betreffenden Heftes.
3) Die Kosten der Übersetzung von Beiträgen, die die Autoren nicht in deutscher Sprache
zur Verfügung stellen, werden vom Verlag getragen; die Autoren solcher Beiträge erhalten
kein Honorar.
4) Die Manuskripte sollen gut leserlich sein, möglichst in Schreibmaschinenschrift (ein¬
seitig und nicht eng geschrieben). Es ist erwünscht, daß die Autoren eine Kopie ihres Manu¬
skriptes behalten. Zeichnungen und Tabellen sollen auf das unbedingt notwendige Maß be¬
schränkt sein. Die Zeichnungen sollen tadellos ausgeführt sein, damit die Vorlage selbst
reproduziert werden kann.
5) Mehrkosten, die durch Autorkorrekturen, das heißt durch Textänderungen, Einschal¬
tungen, Streichungen, Umstellungen während der Druckkorrektur verursacht werden, werden
vom Autorenhonorar in Abzug gebracht.
6) Separata werden nur auf ausdrücklichen Wunsch und auf Kosten des Autors ange¬
fertigt. Die Kosten (einschließlich Porto der Zusendung der Separata) betragen für Beiträge
bis 8 Seiten für 25 Exemplare Mark 15.—, für 50 Exemplare Mark 20.—
9 »
16 „
» 25
»
» 20.—, ,, 5®
»
t, 25.—
17 »
24 »
» 2 5
>»
t> 3°* > » 5°
tt
„ 40.—
25 »
3* „
» 2 j
»
» 35* > » 5°
45-“
Mehr als 50 Separata werden nur nach besonderer Vereinbarung mit dem Verlag an¬
gefertigt.
Wir machen hiemit unsere Autoren auf folgendes aufmerksam:
Nach den gesetzlichen Bestimmungen kann bis zum Ablauf von zwei dem Erscheinungs¬
jahr einer Arbeit folgenden Kalenderjahren über Verlagsrechte (Wiederabdruck und Über¬
setzungen) nur mit Genehmigung des Verlages verfügt werden. Auf Grund eines generellen
Übereinkommens, das wir mit dem „International Journal of Psychoanalysis“ getroffen haben,
steht es jedoch jedem Autor frei, ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages der letzt¬
genannten Zeitschrift das Recht der Übersetzung und des Wiederabdrucks einzuräumen.
Die Genehmigung einer Wiederveröffentlichung oder Übersetzung in einem anderen
Organ muß, um Berücksichtigung finden zu können, zugleich mit Übersendung des Manu¬
skriptes verlangt werden. Die Redaktion
Redaktionelle Mitteilungen und Sendungen aus allen Ländern mit Ausnahme der U. S. A.
bitten wir zu richten an Dr. Paul Federn und Dr. Heinz Hartmann, p. A. Internationaler
Psychoanalytischer Verlag, Wien, I., Börsegasse 11.
Redaktionelle Mitteilungen und Sendungen aus den U. S. A. an Dr. Sandor Rado, 324 West,
86th Street, New York City.
Bestellungen und geschäftliche Zuschriften aller Art an
Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien I, Börsegasse 11.
INTERNATIONALE
ZEITSCHRIFT FCIR
PSYCHOANALYSE
XXI. BAND
1 935
INTERNATIONAL
PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
Internationale Zeitschrift
für P §y choanafyse
Offizielles Organ der
Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung
Herausgegeben von
Felix Boehm
Berlin
Unter Mitwirkung von
G. Bose A. A. Brill Lucile Dooley M. Eitingon
Kalkutta New York Washington Jerusalem
J.E.G. van Emden S. Hollos Ernest Jones J. W.Kannabich Kiyoyasu Mariii
Haag Budapest London Moskau Sendai
Karl Menninger
Topeka
Philipp Sarasin
Basel
S. J. R. de Monchy
Rotterdam
Harald Sdijelderup
Oslo
M.W. Peck
Boston
Alfhild Tamm
Stockholm
Edouard Pidion
Paris
Y. K. Yabe
Tokio
Paul Federn
Wien
redigiert von
Heinz Hartmann
Wien
Sandor Rado
New York
XXI. Band
1935
Internationaler Psychoanalytischer Verlag
Wien
ALLE RECHTE VORBEHALTEN
MANZSGHE BUCHDRUCKEREI, WIEN IX.
Internationale Zeitschrift
für P sychoaeatyse
HerausgegeLen von SiglTI. Freud
XXL Band 1935 Heft 1
Die Rolle der analen und oralen
Quantitäten im Verfolgungswahn und in analogen
Systemgedanken 1
Von
A. Stärcke
den Dolder, Holland
I.
Die eben erschienene Arbeit Westerman Holstijns „Oral erotism in
paraphrenia. Facts and Theories“ (The Int. Journ. of PsA. XV, 1934, S. 273)
bietet mir einen willkommenen Anlaß, meine am 3. November 1918 in der
Diskussion in der Holländischen Ortsgruppe erwähnten und 1919 publizierten
Befunde näher zu verdeutlichen.
Damals habe ich als meine Ansicht geäußert, die eigentümliche Spaltung,
welcher wir in den typischen Wahnsystem begegnen — der Art nämlich,
daß wir die Liebe zum Ich gesteigert (Größenwahn), dagegen die Liebe zur
Außenwelt vermindert (projiziert: Verfolgungswahn) finden — lasse eine be¬
stimmte analytische Deutung zu, die aufschlußreicher sei als die schon be¬
kannten. Es sei feststehend (Freud 1911, Ferenczi 1911, Morichau Beau-
chant 1911, Hitschmann 1913, Rank 1913), daß einerseits der Größen-
Verfolgungswahn der Abwehr eines mit Mühe in Schranken gehaltenen homo¬
sexuellen Faktors zu dienen schien — die Betrachtungen F r e u d s kulminierten
in der Formel: Größenwahn ist Regression der sublimierten Homosexualität
zum Narzißmus —, anderseits Reizung der analen Zone akute Verschlimme¬
rungen der Wahnbildung auszulösen imstande war.
Alle diese Tatsachen schienen mir am einfachsten durch die Annahme er¬
klärbar, der Narzißmus oder sonstige stärker entwickelte erotische Positionen
1) Aus der Laboratoriumsabteilung für Experimental-Soziologie der Anstalt Willem Arntsz-
Hoeve.
6 A. Stärcke
des zur Wahnbildung Prädisponierten enthielten ein besonders fest konstituier¬
tes, aber lose eingefügtes analerotisches Faktorenpaar.
Reizung der analen Zone könne diese anale ± Quantität aus der sublimier¬
ten 2 zusammengesetzteren Position — z. B. Homosexualität — lösen und
wieder selbständig machen, wodurch die sublimierte Position geschwächt
werde, ihre Gleichgewichtslage in der Gesamtpersönlichkeit verloren zu gehen
drohe und sie zur Neuorientierung genötigt sei. Auch könne durch auf
andere Weise verursachten Umsturz der Libidopositionen, z. B. durch den
schizophrenen Zusammenbruch, die anale Quantität frei werden.
In beiden Fällen wäre die Möglichkeit des Entstehens oder der Verschlim¬
merung eines Wahnes dadurch gegeben, daß die an und für sich immer stark
ambivalente anale Quantität gespalten und bei der, dem Umstürze (Welt¬
untergang, apokalyptische Stimmung) folgenden Rekonstruktion von Ich
und Außenwelt in der Weise verwendet werde, daß ihr positiver Teil zur Re¬
konstruktion des Ichs in der Form des Größenwahns, ihr negativer Teil zur
Rekonstruktion der Außenwelt in der Form des Verfolgungswahnes ihren
entscheidenden Beitrag lieferten.
Meine Annahme ging dahin, daß die Formel Freuds — Regression der
sublimierten Homosexualität zum Narzißmus — zwar das Endergebnis gut
charakterisiere, der Regressionsvorgang selbst aber nicht so einfach verlaufe,
indem wenigstens ein Teil der Quantität anfänglich noch tiefer, bis zur Zer¬
legung in die auto-erotischen Quantitäten hinabgehe, wobei u. a. auch die
analerotische, stark ambivalente Quantität frei komme und kraft ihrer Ambi¬
valenz gespalten und in der angegebenen Weise zur Rekonstruktion mitver¬
wendet werde.
2.
Westerman Holstijn kommt nun im obengenannten Aufsatz zum Er¬
gebnis, es seien vielleicht eher oralerotische Quantitäten für die Kon¬
stitution des Wahnes eigentümlich. Sein diesbezügliches Tatsachen¬
material ist unbestreitbar und scheint auf den ersten Blick meine Hypothese
ernstlich zu bedrohen. Es ist unzweifelhaft, daß manche Kranken sich
über Fellatio (vgl. incubus und succubus) durch okkulte Personen beklagen.
Es ist vollkommen wahr, daß orale Verfolgung in der Gestalt des Vergiftungs¬
wahnes eine der allgemeinsten Formen darstellt. Ich stimme auch der Meinung
Kempfs bei, die orale Verfolgung könne ein Ausdruck für verstärkte oral¬
erotische Empfindung sein.
Wenn ich also bereitwillig zugebe, daß oral-erotische Faktoren in der Kon¬
stitution des Paranoischen augenfällig sind, so bedeutet das noch nicht, daß
meine Hypothese dadurch erschüttert sei. Nach einiger Überlegung findet
man sich zurecht.
2) „Sublimiert“ bedeutet nicht: „höher“ oder „komplizierter“ organisiert, sondern nur:
sozial zulässig organisiert.
7
Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn
Denn oral-erotische Faktoren findet man in jeder, auch normalen Kon¬
stitution. Auch jede andere erogene Zone liefert ihren Beitrag sowohl zu
der kranken als zur gesunden Psyche.
3 -
Wahn und Gesundheit
Es ist ein verbreitetes und bedauerliches Mißverständnis zu meinen, daß je
eine starke oral-, anal-, urethral- oder sonstige Erotik für neurotische oder
psychotische Erkrankung verantwortlich gemacht werden könne. Starke Be¬
tonung dieser oder jener erogenen Zone kann bestimmte Charakterzuge her¬
vorbringen, niemals aber die Regression oder das Scheitern der sozialen An¬
passung erklären, worin eben die Erkrankung besteht.
Darüber entscheidet nicht die Stärke, sondern nur der Fixierungsgrad
der verschiedenen Faktoren (Triebe). Jede, sei es noch so starke Art von
Erotik, soweit sie sich kombinieren oder umbauen läßt, ist sozialer Anpassung
fähig und führt dann nie zur Psychose. Der Geisteskranke ist vom Normalen
zu unterscheiden durch das Versagen seines Vermögens, die Befriedigung seiner
antisozialen Neigungen so lange aufzuschieben, bis durch sekundäre Be¬
arbeitung ein sekundärer Nutzen oder ein scheinbarer Nutzen die Tat sozia
zulässig macht. __
Krankheit ist im allgemeinen das Versagen eines Organs in seinem Ver-
hältnis zum Ganzen.
Geisteskrankheit ist ein Versagen des Individuums in seinem Verhältnis zur
Gesellschaft. Es ist keine Krankheit des Organismus, sondern des Superorga-
nismus.
Geisteskranke sind nicht die einzigen Gesellschaftsmitglieder, deren soziales
Anpassungsvermögen versagt. Auch das der Schwachsinnigen, der Verbrecher
und ihrer vielen Zwischenstufen versagt.
Der Verbrecher unterscheidet sich unter anderem vom Geisteskranken durch
geringere Beeinträchtigung seines Aufschubvermögens. Er ist einigermaßen des
Aufschubes fähig, aber nur bis zu dem Punkte, wo ein egoistischer Erfolg er¬
reichbar wird. Der ideale Normale ist imstande, seine Befriedigung aufzu¬
schieben, bis sekundärer, sozialer Nutzen erreicht wird. (Er erreicht dies
durch vermehrten Abfluß in Gedanken, z. T. auch durch Umbau oder Le¬
gierung der Triebe.)
Ein Beispiel, das ich meinem Aufsatz in der Ned. Maandschr. v. Geneeskunde
Dez. 1930 entnehme: Nehmen wir an, daß ein Geisteskranker, ein Verbrecher
und ein Normaler zugleich in einem Ladenfenster einen begehrten Gegenstand,
z. B. eine Uhr, erblicken. Ihre Reaktion wird dann etwa folgendermaßen aus-
sehen:
Der Geisteskranke schlägt die Fensterscheibe ein und nimmt das Ding fort.
8 A. Starcke
Oder er geht in den Laden hinein und verlangt es. In beiden Fällen wird es
ihm abgenommen und er wird fortgeführt.
Sein Gewinn ist nur primär: die Entladung einer Spannung.
Der Verbrecher kommt bei Nacht zurück, schneidet ein Stück aus der
Scheibe, packt die Uhr und verkauft sie. Er hat seinen primären Gewinn auf¬
geschoben, hat jedoch dafür einen sekundären Gewinn: die Uhr.
Der Normale endlich wartet, bis er durch Arbeit genug erspart hat, um die
Uhr zu kaufen. Er hat die unlustvolle Spannung des Aufschubs noch länger
ertragen müssen, hat aber dafür auch nicht die sekundär eintretende Angst
vor der Verfolgung durch die Gesellschaft.
Auch in Zuständen emotioneller Enthemmung fehlt das Aufschubvermögen.
Mit Rücksicht darauf ergibt sich folgende Definition:
Geisteskrankheit ist dauerndes oder episodisch während
einer gewissen nicht zu kurzen Zeit auftretendes Unvermögen,
antisoziale Impulse (und auch automatische unzweckmäßige
Hemmungen) bis zu dem Zeitpunkte aufzuschieben, wo ent¬
weder das Individuum selbst oder die Gesellschaft davon
sekundären Gewinn erntet.
Die Triebe selbst sind bei Geisteskranken, Verbrechern und Normalen die¬
selben; verschieden ist nur der Zwang zum Kurzschluß.
Schmutz ist Materie an falscher Stelle — antisozial eine Neigung, die zur
falschen Zeit oder Stelle befriedigt wird. Keine einzige Neigung ist an sich
ganz unbrauchbar, unter der Bedingung, daß sie auf geschoben werden kann,
bis die Gesellschaft ihre Befriedigung erlaubt.
Habsucht und Prunksucht können im Händler und Kaufmann, im Diplo¬
maten und Industriellen zu brauchbaren Tugenden werden, Blutdurst und
Aggressivität zur Tüchtigkeit des Soldaten oder Chirurgen beitragen, Exhibi¬
tionslust zum Bühnenkünstler, Redner oder zur Autoritätsperson prädispo¬
nieren, Rachsucht und Querulanz zur Konstitution des gestrengen Richters
und listigen Rechtsanwaltes Beiträge liefern. Herrschsucht und Ruhelosigkeit
können sich als Organisationstalent vermummen, während Selbstmordhang, in
verdünnter Form, nämlich als Selbstaufopferung, sogar in bestimmten Phasen
zu einer der Grundlagen der Gesellschaft wird.
Auch ein starkes Gewissen kann in ruhigen Zeiten für den guten Staats¬
bürger erforderlich sein; in Zeiten des Umsturzes, wie jetzt, zeigt es sich frei¬
lich meist unbrauchbar und führt oft zur Neurose.
Bezüglich der Fähigkeit einer starken Analerotik zur sozialen Anpassung
kann auf den glänzenden Aufsatz von Ernest Jones: Uber analerotische
Charakterzüge 3 hingewiesen werden.
3 ) Journ. of abnormal Psychology XIII, 261—284 (1918), Int. Ztschr. f. Psa. V, 67—92
(1918).
Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn
9
Wir unterscheiden zwar die Psychosen als „narzißtische Neurosen“ von
den übrigen; das bedeutet aber nicht, daß ein starker Narzißmus eine
Psychose determinieren muß.
Große Kapazität der narzißtischen Position bedeutet das Vermögen, unter
allen Umständen glücklich zu sein, und hat durchaus nichts Pathologisches an
sich.
Krankhaft wird der Narzißmus nur, wenn die Quantitäten in dieser Position
festgewachsen sind und sich auch nicht mehr temporär in eine andere Po¬
sition einreihen lassen, sobald es vom Ganzen gefordert wird.
Eine genügend starke Oralerotik ist geradezu Voraussetzung für normale
Mitglieder der Gesellschaft und kann jedenfalls von sich aus keine Psychose
determinieren, am wenigsten aber eine Paranoia, denn der Paranoiker unter¬
scheidet sich vom Normalen nur durch die Asoziabilität seines Systems.
Pathogen kann die Oralerotik nur wirken, wenn ihre Quantitäten sich nicht
mehr frei von einer Stufe zu anderen verschieben können, sondern irgendwo
festgelegt worden sind. Es ist besonders darauf aufmerksam zu machen, daß
die frühe oralerotische Phase sich weit besser zu sozialer Sublimierung eignet
als die spätere. Der soziale Mensch ist in dieser Hinsicht, verglichen mit den
Asozialen, eher regressiv („fötalisiert“ nach Bolk, „neotenisch“ nach Came¬
rano).
In den Lehrbüchern definiert man das Wahngebilde der Paranoiker (im
weiten Sinne, also auch die Schizophrenie und den depressiven Wahn) als zu¬
sammenhängende fehlerhafte Gedanken, die der logischen Widerlegung nicht
zugänglich sind.
Unter jene Definition fallen aber auch die religiösen und philosophischen
Überzeugungen, ohne welche wenige „Normale“ leben können.
Denn da sie einander kontradiktorisch widersprechen, können sie nicht
alle Recht haben, und bekanntlich hat nicht so sehr logische Diskussion zum
endlichen Gleichgewicht beigetragen wie gegenseitige Bedrohung und Gewalt.
So wird es denn begreiflich, daß Atheisten die Religionen einfach in die
Wahnsinnsformen einreihen. Sie übersehen dabei aber einen wichtigen Unter¬
schied. Dem Wahne wohnt eine Tendenz zur Einsamkeit inne, den Religionen
eine Tendenz zur Gruppenbildung. Für den Irreligiösen ist das der einzige,
aber wichtige Unterschied, den ich habe entdecken können.
Von Freud ist dieser Unterschied, so weit er das Zeremoniell betrifft, schon
in einer seiner ersten Arbeiten (1907) hervorgehoben worden.
Er vergleicht dort Religionsübung und Zwangsneurose.
Auf die weitere Übereinstimmung der religiösen Überzeugung mit dem
Wahne ist er damals, wahrscheinlich aus praktisch didaktischen Motiven, nicht
eingegangen.
Nicht das der Logik unzugängliche, anderen Gruppen fehlerhaft scheinende
Gedankensystem macht demnach das Paranoische pathologisch, nur seine
IO
A. Stärcke
Einsamkeit tut das. 4 Sobald ein für die Masse anscheinend durchaus para¬
noides System — z. B. das anthroposophische — sich auf weitere Personen
ausdehnt und Gruppenbildung veranlaßt, wird das System aus der Pathologie
herausgehoben und den „Sekten“, damit den Religionen, in anderen Fällen
den philosophischen Überzeugungen zugezählt. Normal ist, was die Menschen
zusammenbringt, psycho-pathologisch ist, was sie zur Einsamkeit treibt. Die
Verfolgungsidee an sich — eine bestimmte Person oder Gruppe für die emp¬
fundene Unlust verantwortlich zu machen — ist nicht pathologisch, son¬
dern allgemein. Für Gruppe A sind die Kommunisten die Schuldigen, für
Gruppe B die Katholiken oder die Juden, oder die Nationalsozialisten, oder
die Atheisten, oder die Kapitalisten, ganz wie in der Paranoia. Eine Gruppe
fürchtet die chronische Alkoholvergiftung als Quelle allen Übels, andere Grup¬
pen die Unzucht, den Schulunterricht oder die Mikroben.
Wo holt man da die absolute Wahrheit her, mit der alle diese in den Augen
der Anhänger sturmfesten, in den Augen der anderen grundfalschen Über¬
zeugungen verglichen werden sollten?
In der Wahnpsychologie sollen also zwei Tatsachen unabhängig voneinander
betrachtet werden:
1. Die Neigung, der Logik unzugängliche Gedankensysteme zu bilden
(universell).
2. Die Einsamkeitstendenz dieser Gebilde beim Paranoiker.
4 *
Was macht einen Gedanken wahr?
Wahr ist ein Gedanke für uns, wenn er in uns genügend oft
wiederholt und ihm nicht oft genug widersprochen wird.
Einen anderen Grund für den Wahrheitscharakter eines Gedankens, für den
Wirklichkeitscharakter einer Vorstellung gibt es nicht.
Der Kaufmann weiß sehr wohl, daß es genügt, eine an sich ganz aus der
Luft gegriffene Behauptung, wie: „Der Kakao von Chose ist der beste“ un¬
zählbare Male zu wiederholen, sie der Masse immer wieder vor Augen zu
stellen, um mit Sicherheit zu erreichen, daß der Kakao von Chose gekauft
wird.
Es wird erzählt, daß einmal bei einem dänischen Magenspezialisten zwei
Amerikaner erschienen, um ihn um die Gunst zu bitten, seinen Namen einem
von ihnen erfundenen Magenpulver zu leihen. Der berühmte Arzt wandte ein,
er möchte erst die Eigenschaften des Pulvers kennenlernen. Das wäre aber
ganz gleichgültig, meinten die Amerikaner, denn sie hätten zwei Millionen
Dollar für Reklame zur Verfügung, der Erfolg des Mittels wäre also gesichert.
4) Ähnlich wurde die Einsamkeit als Unterschied zwischen Paranoia und Genialität von
Koväcs angegeben (Introjektion, Projektion und Einfühlung), Zentralbl. Psa. II, 6 > S. 317
(1912). Vgl. auch Th. Reik, Dogma und Zwangsidee (mir leider unbekannt).
Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn
ii
Multatuli hat die nämliche Tatsache in einer seiner „Geschichten der
Autorität“ schön parodiert. Zwei Dattelhändler in den Straßen von Damaskus
versuchen, jeder durch Anpreisen seiner Ware, den Konkurrenten zu über¬
flügeln. Der eine, Hassan, siegt schließlich, nachdem er als Lobruf erfunden
hat: „Die Datteln des Hassan sind größer, als sie sind.“ Seitdem kaufen die
Leute die Datteln des Hassan. Und, fügt Multatuli hinzu, das ist so ge¬
blieben bis auf diesen Tag.
Welche ungeheure Bedeutung die oftmalige Wiederholung der gleichen sinn¬
lichen Empfindung hat, kann man aus der Verehrung ermessen, die den Film¬
helden und -heldinnen zuteil wird. Ihre Namen, ihre Bildnisse erscheinen un¬
aufhörlich in den Zeitungen und auf der Leinwand, und zwar nicht, weil ihre
Eigenschaften zufälligerweise mit dem allen Herzen gemeinsamen Götzenbilde
der Epoche übereinstimmen, sondern umgekehrt: dieses Götzenbild fügt sich
den Launen der finanziellen oder erotischen Lockungen einiger Unternehmer.
Infolgedessen wird die Person zur Imago Dei, und wenn solch ein „Star“
irgendwo ankommt, wird er am Bahnhofe von einer freudetollen Menge wie
ein Abgesandter einer höheren Wirklichkeit begrüßt und seinem oft nichts¬
sagenden Geplauder vor dem Mikrophon zugehört wie einer ersehnten
Offenbarung.
Die Mitteilung eines Sinnesorgans bekommt Wirklichkeitswert, sobald ihr
nicht von anderen Sinnesorganen oder anderen Personen mit gleicher Kraft
widersprochen wird.
In pathologischen Fällen setzt sich die Empfindung trotz bleibenden Wider¬
spruchs von Seiten anderer Sinnesorgane zum Wirklichkeitswerte durch. Das
ist die Halluzination. Es würde zu weit führen, wenn wir weiter auf diese ein¬
gingen. Ferenczi hat uns gelehrt, daß sie dem Lustprinzip dient und eine
frühe Phase des Sensoriums darstellt. Zur Erklärung ihres Entstehens ist in
einem kleinen Aufsatze in der J o n e s - Festschrift 1929 (Das Gewissen und die
Wiederholung) ein Anlauf genommen (S. 222 und 229).
Der Widerspruch gegen einen Gedanken seitens anderer Personen scheint
jedoch nur dann wirksam, wenn er entweder in früher Jugend erfolgt, wo
jede Person einen hohen Prozentsatz der Außenwelt darstellt, oder später,
wenn er, wie z. B. in der Hypnose, von einer Übertragungsperson jener ersten
Imagines ausgeht, oder endlich, wenn der Widerspruch von einer übermächti¬
gen Gruppe erhoben und unaufhörlich wiederholt wird.
Das Durchsetzen eines unlogischen Gedankens trotz dem Widerspruch ist
daher auch sowohl in pathologischen als in normalen Fällen durchaus nicht
selten. Denn, sobald eine Gruppe den unlogischen Gedanken teilt und ihn
stützt (soziale Sanktion, ekphoriert als Über-Ich), wird ein Widerspruch sehr
wenig wirksam.
Geht man von der Dreiteilung der Psyche in Es, Ich und Über-Ich aus, dann
bekommt ein Gedanke Wahrheitswert oder eine Empfindung Wirklichkeits-
12 A. Stärcke
wert, sobald der in ihnen objektivierte Trieb (Es-Teil) sozial bzw. sensorisch
sanktioniert, also ins ÜberTch bzw. ins Ich aufgenommen ist.
5 -
Wichtigkeit der sozialen Sanktion
Es gehört zu den Grundlagen der psychoanalytischen Psychologie, daß Ge¬
danken jeder Art als Ausdruck von Triebüberschüssen fortwährend gebildet
und durch eine oder mehrere Zensuren sekundär bearbeitet oder gehemmt
werden. Weiter, daß die Zensur anfänglich hauptsächlich nach dem Lust¬
prinzip arbeitet, d. h. alle Gedanken hemmt, die den Narzißmus, das Glücks¬
gefühl stören könnten, und daß die Zensur erst in der weiteren Entwicklung
allmählich eine Portion Realitätsprinzip anzunehmen lernt.
Die Beobachtung desselben Impulses, den man selbst erlebt, bei einem
anderen Individuum stützt den Impuls gegen ethische Ablehnung. Der
hinzugehörige Gedanke bekommt damit mehr Wahrheitswert, er wird gegen
logische Ablehnung gestützt, denn die Logik steht primär im Dienste der
Ethik, d. h. es werden Gedanken abgelehnt, die eine geplante Tat stören könn¬
ten. So schafft sich jede Sekte oder Partei ihre eigene Ideologie, die sie als
wahr annimmt.
Die Beobachtung an sozialen Tieren hat schon längst diese Tatsache auf¬
gedeckt.
Forel 5 fand, daß die Ameisen einer starken Kolonie viel mutiger sind als
die Mitglieder einer schwachen Kolonie. Jeder Beobachter kann diese Tat¬
sache sofort bestätigen.
Von Buttel-Reepen 6 fand sogar eines der ersten Motive sozialer Organi¬
sation in ähnlichen Beobachtungen an Bienen. „Fängt man eine Bienenart (die
sich nur an besonders günstigen Orten in größeren Kolonien zusammenfinden)
dort ein, wo sie einsam nistet, oder wo sich nur wenige Nestbauten gesammelt
haben, so kann man ruhig mit dem Fangnetz seine Beute holen, es zeigen sich
keine besonderen Erscheinungen.
Trifft man aber dieselbe Art an einem mit Hunderten oder gar Tausenden
von Nestern besäten Wohnsitz und man schlägt dann sein Netz nach einem
gewünschten Exemplar, so erfolgt plötzlich ein gemeinsamer, heftiger Angriff,
der einen ängstlichen Bienenjäger zum schnellen Zurückweichen bringen
dürfte. Sehr hübsch sind die Fries eschen Angaben hierüber. Bei einer
Andrena-ovina-¥±\xx %-Kolonie (eine solitäre Biene) mit ungefähr 300 Nestern
wurde Friese, wenn er die Tiere durch Hin- und Herschlagen mit dem
Netze aufregte, plötzlich von einem stärker summenden Schwarme so heftig
angefallen, daß die Tiere durch den Anprall an seinen Körper zu Boden fielen.
5) A. F o r e 1 : Les fourmis de la Suisse, Zürich 1874, S. 249.
6) H. von Buttel-Reepen: Die stammesgeschichtliche Entstehung des Bienenstaates,
Leipzig 1903, S. 17 ff.
Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn 13
In der Rakos bei Budapest fand derselbe Beobachter die Lehmwände eines
großen Scheunenvierecks derartig von Nestern der Anihophora parietina F.
durchlöchert, daß er die Zahl der so bauenden Bienen auf 8000 bis x 0.000
Stück einschätzte. ,Die Wände sahen aus 1 , so berichtet der Autor, ,als wären
sie von unzähligen Kugeln durchlöchert. Schlug ich mit dem Netz nach den
zahllosen Bienen, so fiel ein ganzer Schwarm auf mich ein, was sonst bei diesen
Tieren nicht der Fall ist; vielleicht gab ihre Masse ihnen den Mut‘.“
Alfken hat bei Bremen mit derselben Art ähnliche Erfahrungen gemacht. 7
Bei der gewöhnlichen Honigbiene Apis mellifica erwehrt sich nach von
Buttel-Reepen ein kleines, schwaches Volk seiner oft sehr schwachen und
leicht zu überwältigenden Feinde nicht, ein starkes ist „angriffslustig“ und ver¬
treibt jeden Eindringling.
Bei den Wespen hat Rouget festgestellt, daß die Hornissen desto reizbarer
sind, je zahlreicher sie sind. 8
Offenbar kann eine „Masse“ nicht nur durch gemeinsame Liebe zu einem
Führer, sondern noch eher durch gemeinsamen Haß gegen einen Feind ent¬
stehen. Gewiß ist in ähnlichen Vorgängen auch der Grund zu suchen,
warum eine „Masse“ ethisch tiefer steht als jedes sie zusammensetzende In¬
dividuum.
Nicht nur die vollentwickelte Tat, sondern auch die feinste Impulsandeu¬
tung wird von den anderen verspürt und vermehrt die Zahl der in einem In¬
dividuum möglichen Ekphorien einer sonst verpönten Handlung.
Damit bekommt sie mehr ethische Sanktion, die Zensur wird ihr gegenüber
und auch der zugehörigen Ideologie gegenüber schwächer.
Daß es wirklich die Zahl — und dann wahrscheinlich die Anzahl der be¬
obachteten gleichgerichteten Impulse — ist, wovon die soziale Sanktion ab¬
hängt, und nicht eine andere Eigenschaft der Masse, geht aus der Tatsache
hervor, daß der Einfluß der Masse im Verhältnis zu ihrer Größe wächst. Der
Gehorsam der Mode gegenüber zeigt, wie gewaltig die Macht der sozialen
Sanktion einen jeden beeinflußt. (Dem tut die Tatsache keinen Abbruch, daß
die sich als „Herren c und „Damen“ fühlenden gesellschaftlichen Gruppen sich
einer neuen Mode anschließen, sobald die alte auch in den niederen [Sklaven-]
Schichten allgemein geworden ist.)
Die soziale Sanktion wäre demnach eine Bahnung durch oftmalige Wieder¬
holung im kleinsten Maßstabe.
Im Paranoiker ist die Macht der Societas dem Ich gegenüber verringert, da¬
her bedarf er nicht der sozialen Sanktion; seine eigene, narzißtische Sanktion
genügt ihm. Nicht das Entstehen der Wahngedanken ist bei ihm
anders als beim Normalen, sondern die sekundäre Auslese ist bei
ihm defekt, wahrend sie beim Normalen nach sozialen Kriterien arbeitet
7) von Buttel-Reepen : 1 . c., S. 18.
8) A. Rouget: Coleopt^res parasites des Vespides, Mem. Ac. Dyon 1872—1873.
H
A. Stärcke
und das Zusammenhalten der Gruppe verbürgt. Nur der Narzißt kann ein¬
same Gedanken vertragen.
Nicht nur der Inhalt der Wahnidee (Größenwahn, Verfolgungswahn), son¬
dern auch die eigentümliche Unzugänglichkeit des Wahnes (und der ana¬
logen Systemgedanken der Normalen) findet in der Verschiebung von Quanti¬
täten aus der Objekterotik in narzißtischer Richtung genügende Erklärung.
Die autoerotische Konstitutionsformel des einschlägigen Narzißmus ist dabei
gleichgültig.
Wenn jemand nun gegen mich einwenden würde, der Wahn der Paranoiker
unterscheide sich doch vom Systemgedanken der Normalen, er sei besonders
infantil, bizarr und unmöglich, und außerdem sei sein Verhalten auch sinn¬
loser, so würde ich mit kurzer Verneinung darauf antworten. Man gibt sich
zu wenig Rechenschaft davon, wie korrigierend die Gesellschaft fortwährend
auf uns einwirkt, wie sie unsere täglichen Unsinngedanken hemmt, unsere
asozialen Gewohnheiten in Schranken hält, mit einem Worte, wie sie unsere
gesellschaftliche Oberfläche fortwährend glattschleift, und wie rasch ein
Mensch entartet, dem dieser tägliche Kontakt fehlt.
Hat sich einmal ein Individuum eine gesellschaftliche Ablehnung seiner
Lebenslüge auf den Hals geladen, so entbehrt er fortan auch dieser täglichen
Korrektur. Es kommt ein Circulus vitiosus zustande, die Vereinsamung be¬
günstigt den Wahn, der Wahn befördert die Vereinsamung, und es sind die
Opfer dieses vitiösen Kreisgang es, die man als Paranoiker, bzw. Paraphrene
usw. in den Anstalten antrifft. Für denjenigen, der die radikale Umwälzung
mitgemacht hat, welche die Methode der „aktiven Therapie“ nach Simon in
den Anstalten zur Folge hatte, der gesehen hat, wie rasch eine Anzahl Bizar¬
rerien und störende Gewohnheiten sich verloren, und wie innerhalb einiger
Monate Wachsaal und Isolierzimmer tagsüber leerstanden, dem ist die Rolle
des fortwährenden geistigen Kontaktes nicht mehr zweifelhaft.
Das Zustandekommen des Circulus vitiosus kann durch besonders starr ge¬
wachsenen Narzißmus des Paranoikers in spe begründet sein, aber es kann
auch daran liegen, daß er nicht genügend intellektuelle Fähigkeit oder keine
genügende Aktivität besitzt, um eine Gruppe in seine Hand zu bringen und
seine Idee von dieser adoptieren zu lassen.
Und schließlich muß es gar nicht seine Eigenschaft sein, die diese Entwick¬
lung bewirkt, es kann auch an der umgebenden Gruppe liegen, die zu be¬
stimmter Zeit und Stelle einen Systemgedanken feindlich ablehnt, den sie zu
anderer Zeit vielleicht hochgehoben hätte. (Okkultismus, halluzinierende
Heilige und Hexen, Lavoisier im Gefängnis, Kopernikus, Bruno und die ganze
Reihe der wissenschaftlichen Märtyrer.)
Die „Neurosenwahl“ ist nicht eine einmalige, sie findet jeden Augenblick
aufs neue statt. Von jedem Handeln und jedem Denken wird zu jeder Zeit
wieder bestimmt, ob es nach dem orthophrenen, metaphrenen, paraphrenen,
Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn
*5
hysterischen Schema von dieser oder jener Farbe stattfinden soll. Der sekun¬
däre Gewinn (soziale Auslese) ist dabei mindestens so wichtig wie der Primär¬
faktor, das haben wir in den Anstalten seit Simon zur Genüge beobachten
können.
6 .
Zusammenfassung des bisher Besprochenen
1. Die Bildung von anti-logischen Systemgedanken ist nicht pathologisch,
sondern universell.
2. Das Festhalten an anti-logischen Systemgedanken ist universell für
Gruppen.
3. Das einsame Festhalten an anti-logischen Systemgedanken gelingt auf
die Dauer nur dem narzißtisch Fixierten.
4. Ob bei diesem eine Paranoia entsteht, hängt zum Teil von seiner intellek¬
tuellen Leistungsfähigkeit, zum Teil von den Eigenschaften der Gruppe ab,
die ihn umgibt.
5. Die prädisponierende Fixierung für die Paranoia ist nicht eine anale oder
eine orale sondern eine narzißtische.
Außerdem ist eine stark ambivalente, quantitativ gesteigerte analerotische
Komponente erforderlich.
6. Der Vorgang bei der Bildung von anti-logischen Systemgedanken ist,
für den Fall des Verfolgungsgedankens, sei er normaler oder pathologischer
Art, eine Spaltung der ambivalenten Quantität mit regressiver Verlegung des
positiven Teils aus der objekt-erotischen Position in die narzißtische.
7. Noch nicht besprochen, aber hier anschließend: Die Ursache der nar¬
zißtischen Fixierung ist eine Verwöhnung in einer Epoche in frühester
Jugend. Das weitere Studium der Paranoia wird vornehmlich der Erforschung
dieser Epoche gelten, deren genaue Lokalisation bis jetzt unbekannt ist.
Das Fehlen einer Belohnung, welche für allo-erotische Betätigung bahnend
hätte sein können, könnte ebenfalls narzißtisch fixierend wirken durch Mangel
an Kapazitäten, um Quantitäten in anderen Positionen aufzunehmen.
8. Die Gelegenheitsursache für das Ausbrechen einer psychotischen
paraphrenen Phase (die dann wieder abheilen oder sich durch Circulus vitiosus
ad infinitum verlängern kann) kann sein:
A. Ekphorie eines früher erlebten homosexuellen Komplexes. Ich sah einen
Fall dieser Art.
B. Reizung der analen Zone.
C. Abbau einer hochsozial entwickelten affektiven Bindung, wie das Ver¬
hältnis vom Untergebenen zum Vorgesetzten, bei mangelhafter Sublimierungs¬
kapazität. In diesem Falle entsteht Libidostauung (mit Regression des Über¬
schusses), ohne daß eine abnorme Entwicklung der homosexuellen Faktoren
im Spiele zu sein braucht.
1 6 A. Stärcke
D. Zu rasch verlaufende Pubertät, so daß das Individuum keine Gelegenheit
hatte, sein kulturelles Sublimierungsvermögen an den Fluß von aufwallenden
Haß- und Konkurrenzgefühlen anzupassen, welche durch das rasche Fortfallen
der andersgeschlechtlichen Hormone 9 verursacht werden. In solcher Position
werden gewiß Schwierigkeiten mit Vorgesetzten unvermeidlich sein.
Wie ich (Psychiatrische en Neurologische Bladen 1928, Nr. 5/6) auseinander¬
gesetzt habe, besteht die Möglichkeit, daß derselbe regressive Symptomenkom-
plex sowohl bei einem Zuviel eines gewissen Hormons als bei einem Zuwenig
zustande kommt.
Die gute Erziehung sollte von Belohnung und Bestrafung den richtigen Ge¬
brauch machen, d. h. sie sollte nur nützliche bedingte Reflexe zustande kom¬
men lassen. Das ist jedoch noch nicht genug, sie soll dabei auch noch
darauf achten, keinen auch noch so nützlichen Reflex zu schwer oder zu an¬
dauernd zu belohnen. Ein jedesmaliger Wechsel in den Bedingungen soll da¬
für sorgen, keine zu tiefe Fixierung zustande kommen zu lassen. Denn Beweg¬
lichkeit der Quantitäten ist die erste Forderung, der die Triebzusammensetzung
des modernen Menschen entsprechen muß.
Unrichtige Bestrafung kann unverhältnismäßig schwer erscheinende Cha¬
rakterstörungen bewirken, unrichtige Belohnung kann für Psychose prädispo¬
nieren. Für beides darf vielleicht ein Beispiel gegeben werden:
9) Dieser Satz bezieht sich auf eine Auffassung der Pubertät als Periode des Unterganges
eines Teiles des Keimplasmas. Schon 1917 (Ned. Tydschrift v. Geneeskunde 1918, Nr. 6, II;
idem: Jahresberichte über Fortschritte d. Neur. u. Psych. 1919, S. 118) und wiederum 1930
(Ned. Maandschrift v. Geneesk., S. 353 ff.) wies ich darauf hin, daß die Pubertät als eine
Folgeerscheinung des Absterbens eines Teiles des Keimplasmas auf gef aßt werden kann. Man
unterscheidet bekanntlich den somatischen Tod vom sexuellen Tod, dessen
Gipfelpunkt das „Klimakterium“ bildet. Es findet jedoch der sexuelle Tod, der Tod des
Keimplasmas, oder jedenfalls die Verringerung seiner Funktion, nicht in einer, sondern in
zwei Phasen statt. In der ersten Phase stirbt der allo-sexuelle Teil ab, der weibliche Teil beim
Manne, der männliche Teil beim Weibe. Jedes Individuum ist ja ursprünglich bisexuell ver¬
anlagt und geht, einer Kurve gemäß, die im Pubertätsalter einen Gipfel zeigt, in eine mehr
mono-sexuell orientierte Gestalt über, welche sich dann schließlich, im Klimakterium, mehr
oder weniger desexualisiert.
Die erste Phase jenes Absterbens des Keimplasmas, das Absterben des Männlichen, das ein
Kind zur Jungfrau macht, das Absterben des Weiblichen, das ein Kind zum Jüngling macht,
dieser allo-sexuelle Tod ist im Pubertätsalter, wenn nicht stärker als zuvor, doch zu einem
Punkte gelangt, wo er sich hormonal mehr äußert als zuvor.
Die Pubertät ist Folge der ersten (allo-sexuellen) Phase des sexuellen Todes. Es ist zwar
psychologisch eine schöne Phase der Entfaltung vieler psychischer Eigenschaften, biologisch
aber in erster Linie die Phase der einseitigen Geschlechtsentfaltung mit Verkümmerung der
andersgerichteten Möglichkeiten (Potenzen), in zweiter Linie die Phase, in welcher das Wachs¬
tum aufhört, den Abbau nachdrücklich zu übertreffen. Grosso modo gesagt, ist nur die
Hälfte der Faktoren, die das Wachstum stimulieren, noch übrig.
Wenn die zweite Phase des sexuellen Todes, die holo-sexuelle Phase, das Klimakterium,
die präsenilen und senilen Geistesstörungen veranlassen kann, wäre es nicht unmöglich, daß
die Pubertätspsychosen mit der ersten, allo-sexuellen Phase in einem gewissen Zusammenhang
stehen.
Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn 17
Die Lutschkappe der Saugflasche muß durchlöchert sein, und viele Mütter
pflegen sie mit einer großen Nadel einfach zu durchstechen. 10
Die Folge ist, daß sich ein Ventil bilden kann. In diesem Fall saugt das
Kind und saugt und bekommt jedesmal nur einen Tropfen, dann schließt sich
das Ventil und alle geleistete Anstrengung bleibt erfolglos. Ist der Sachverhalt
nun so, daß das Kind schließlich doch genug bekommt, so kann der Boden zu
einem anspruchslosen, arbeitsamen Charakter damit gelegt worden sein. Im
entgegengesetzten Fall aber ergibt sich ein ausgezeichneter Anlaß zur Bildung
einer unzufriedenen Natur mit Tendenz zu immerfort sich wiederholender
Enttäuschung.
Nun ein Beispiel einer unrichtigen Belohnung: Es gibt Pflegepersonen,
die ein Kind, das an Darmkatarrh leidet und vor Bauchschmerzen weint,
immerfort streicheln, sich zu ihm setzen und seinen Schmerz wegzuliebkosen
versuchen. Das ist sehr begreiflich und doch verkehrt, denn es züchtet eine
lästige Ambivalenz, es legt eine Verbindung zwischen objekterotischer Lust
und autoerotischer Unlust.
In gesundem Zustande soll das Kind durch Liebkosung die Liebe erlernen,
damit sich nicht durch Verknüpfung mit Schmerz eine Tendenz ergebe, den
Schmerz zu ersehnen.
Ich weiß gar nicht, ob meine Kollegen, die Kinderanalyse üben, mit mir ein¬
verstanden sind; jedenfalls wäre es angebracht, einander zu befragen und Tat¬
sachenmaterial zu dieser Frage zu sammeln. Speziell in der Anamnese der
Frühjugend Wahnkranker wäre auf schmerzhafte Darmkrankheiten, auf ge¬
wohnheitsmäßige Anwendung von Suppositorien und Klistieren, und zweitens
auf (außerordentliche) Verwöhnung (wenn auch nur in einer beschränkten
Phase) achtzugeben.
Als Verwöhnung wirkt alle Belohnung ohne Leistung.
7-
Das Gewissen und der Wahnsinn
Je länger ich Paranoiker beobachte, desto mehr wächst meine Überzeugung,
daß auch in dieser Psychose das Gewissen eine Rolle spielt.
Es sind nicht nur der positive Narzißmus und die negative Objekterotik,
die den Wahnkranken von der sozialen Mitwelt isolieren; es ist auch eine
Selbstbestrafüng dabei. In dieser Hinsicht findet man alle Übergänge zwischen
Paraphrenie und Melancholie mit depressiver Wahnbildung. Es gibt Fälle, in
welchen die Selbstbestrafung primär und der Größenwahn fiktiv darüber ge¬
baut ist, ohne die erniedrigte und depressive Stimmung besiegen zu können.
Zu meinem Bedauern kann ich nichts weiter zu dieser Frage beitragen, was reif
10) Statt hiezu eine glühende Stricknadel zu verwenden oder von innen nach außen mit
einem dünnen, spitzigen Holzstäbchen den Kautschuk anzuspannen und die gedehnte Stelle
mitsamt der Holzspitze abzuschneiden, wie es J. Stärcke empfahl (Nosokomos 1916).
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/i
i8
A. Stärcke
genug zur Mitteilung wäre, und muß mich auf diese Andeutung beschränken
in der Hoffnung, andere anzuregen, ebenfalls darauf acht zu geben, und zwar
speziell darauf, ob die negative Objekterotik wirklich besteht oder nur als
Vorbau zu einer allzu primitiven positiven Position dient.
8 .
Der Wiederholungsrhythmus als Grund der Fixierung einer
Idee
Jede Analyse, jeder Erklärungsversuch des geisteskranken Gedanken¬
lebens hat von zwei Sätzen Freuds auszugehen.
Der eine Satz lautet: Gedanken sind Probehandlungen im kleinsten Ma߬
stabe.
Der zweite Satz: Die Entwicklung schreitet von der Wiederholung zur Er¬
innerung vor.
Nach welcher Stufenleiter man sich die Entwicklung vom Wiederholen zum
Erinnern vorstellen kann, ist in Abschnitt VIII des zweiten Teiles meiner
Schrift „Psychoanalyse und Psychiatrie“ dargelegt.
Auch Gedanken werden die Stufen der tonischen Wiederholung (vegetatiye
Gefühle der niederen Klasse), der epileptischen Wiederholung (Gefühl der Unio
mystica), der rhythmischen Wiederholung, der reaktiven Wiederholung und
der aufgeschobenen Wiederholung durchmachen. Die letztere wäre dann mit
dem „logischen Denken“ identisch.
Es ist nun sofort klar, daß die Wahnidee (idee fixe) sich zum gewöhnlichen,
plastischen Denken verhält wie die „stereotype Bewegung“ zur plastischen
„Handlung“* Die Wahnidee, die als Beziehungswahn anfängt, vertritt einen
bestimmten gebahnten Komplex, der automatisch von den verschiedensten
Reizen her angespielt wird, nach demselben Mechanismus, wonach bei Tieren
bestimmte Handlungsreihen, z. B. der „Beutefang“ der Libellen, die feste
Sangstrophe eines Singvogels usw. von verschiedenen Reizen in Gang gesetzt
werden.
Die Wahnidee ist ein Denken auf der Stufe der rhythmischen
oder der reaktiven Wiederholung.
Ich habe das 1921 nicht nachdrücklich ausgesprochen, weil ich es nach
meiner Auseinandersetzung für selbstverständlich hielt. Zu meinem Befrem¬
den muß ich jedoch feststellen, daß kein Autor den Wahn von diesem psycho¬
logischen Gesichtspunkte der Regression des Ich-Triebes aus hat betrachten
wollen.
Der Zwangsgedanke (der übrigens immer mit der Wahnidee vergesell¬
schaftet vorkommt) unterscheidet sich von ihr in untergeordneten Punkten,
hauptsächlich durch die oft hinzukommende sekundäre Bearbeitung des In¬
haltes und durch den ihm noch anhaftenden Zweifel. Beide sind Vertreter
einer Denkrhythmik auf wenig entwickelter Stufe. Märchen, Aberglaube,
Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn
19
einige Traumarten, Wahnidee und sektiererische Überzeugung zeigen alle diese
Unveränderlichkeit und diese Tendenz zur hohen Frequenz des Auftretens.
Je öfter eine Gedankenbahn von Reizwellen in derselben Weise begangen wird,
desto höher wächst die Wahrscheinlichkeit, daß eine neue Welle denselben
schon erleichterten Weg nimmt.
Diese hohe Frequenz der unveränderten Wiederholung gibt dem Unsinn
der Zwangsgedanken (noch mit Zweifel behaftet) und dem Wahne Wahrheits¬
wert und macht sie gegen soziokritische und sinneskritische Ablehnung
resistent.
Wenn man die gesamten Tatsachen überblickt, so kann man sagen, daß nur
der nach Form und Inhalt infantile Gedanke für uns so „wahr“ ist, daß er
widerspruchs-resistent wird, wie uns ja auch in der Jugend die Welt wirk¬
licher ist als je später. Nur das Kind kennt die volle Kraft des Als„wahr“-
empfindens. Nur das Kind findet gut, findet schön. Alle Werturteile des Er¬
wachsenen sind mit Zweifel behaftet. Nur dasjenige, das noch Kind ist in uns,
hat Wert. Später gebildete Gedanken bekommen den Charakter des „Wahr“-
seins nur durch das Aufnehmen infantiler Kerne.
9 -
Der Unterschied zwischen Neurosen und Psychosen
Zwischen Neurosen und Psychosen besteht nicht ein Rangunterschied in der
Weise, daß etwa die psychotischen Symptome tiefere Regressionen als die
neurotischen sein sollten. Der Unterschied liegt nur in dem innern Konflikt.
Wir haben nicht nur die Tiefe der Regressionen, auf welchen die Quantitäten
fixiert sind, sondern auch die Größenwerte dieser Quantitäten in Betracht zu
ziehen. Ist das auf anderer als der eben sozial geforderten Regressions- bzw.
Entwicklungsstufe fixierte Quantum gering genug, um einen Kampf mit
den mobilen Quantitäten zu veranlassen, so ergibt sich ein „neurotisches“
Symptom, unabhängig von der mitunter — z. B. bei der Konversionshysterie
— sehr großen Tiefe der Regression.
Ist das auf einer anderen als auf der am bestimmten Orte und zur bestimm¬
ten Zeit sozial geforderten Stufe fixierte Quantum so groß, daß, bei Mangel
an gesundem Widerstand, kein nennenswerter innerer Kampf entsteht, oder
jedenfalls das Ergebnis des Kampfes sozial ungünstig ausfällt, so ergibt sich
die „Psychose . Der Konflikt ist dann nach außen verlegt.
Die Stufe(n) der Regression bzw. Entwicklung kann (können) dabei tief,
aber auch sehr untief sein; sie kann (können) sogar gelegentlich höher liegen
als die Stufen der gleichzeitigen normalen Gesellschaft (z. B. bei der Melan¬
cholie).
Bei jeder psychischen Bewegung (Handlung, Gedanke) muß, von den anderen
gesondert, die „Neurosenwahl“ stattfinden. Daher schließen Neurosen und
rsychosen einander nicht aus.
2*
20
A. Stärcke
10 .
Die wechselerotische Trias
Ich habe 1918 ein analerotisches Objekt, das Skybalum, als den „wirklichen
Verfolger“ aufgezeigt, der das Vorbild für den späteren Wahn liefert, das dieser
nur aus der Wirklichkeit der frühen Kindererinnerungen zu kopieren braucht.
In mehreren Fällen wird auch im manifesten Wahne die Angriffsstelle der
Verfolgung direkt als eine anale angegeben, in anderen Fällen ist sie leicht als
solche zu entlarven.
Diese Befunde haben mir zwar den Weg gezeigt, maßgebend für die bleibende
Wahl jener Hypothese war jedoch eine theoretische Forderung.
Daß der Größenwahn als Ergebnis eines verstärkten Narzißmus seinen Zu¬
wachs aus irgendeiner anderen Libidoposition beziehen muß, hatte Freud
schon ausgesprochen. Die Frage war nur: woher stammt dieser Zuwachs,
welcher Teil der sublimierten Homosexualität hat seine Position in dieser Zu¬
sammensetzung verlassen, um sich dem Narzißmus einzuverleiben? Nun
wissen wir aus der täglichen analytischen Erfahrung, daß stark ambivalent
geladene Faktoren sich am leichtesten aus derl zusammengesetzten Verbindun¬
gen abstoßen und frei werden. Es lag also auf der Hand, eine stark ambi¬
valente Quantität als die schuldige anzusehen, deren Verschiebung aus der
sublimierten Homo- (oder Hetero-!) Sexualität zum Narzißmus den Verfol¬
gungsgedanken auslöst.
Um so mehr mußte in dieser Richtung gesucht werden, da zugleich rrfit
dem verstärkten positiven Narzißmus eine relative Verstärkung der nega¬
tiven Objekterotik auftritt.
Nun sind die analerotischen Faktoren wohl immer stärker ambivalent als
die übrige Autoerotik. Dieser Umstand erlaubte urid erlaubt noch, auch un¬
abhängig vom manifesten Inhalte des Wahnes, die analerotische Quantität als
den Faktor anzudeuten, welcher bei der Wahnbildung seine Position wechselt.
Auch durch die Tatsachen, die Westerman-Holstijn hervorhebt, wird
die Theorie nicht erschüttert. Zwei Gedankengänge können ihnen entgegen¬
gehalten werden.
I. Wenn es auch allgemein vorkommt, daß die Verfolgung als eine orale
angegeben wird, so ist nichtsdestoweniger der Verfolger gemischter oder rein
analer Herkunft. Beim Vergiftungswahn kommt es viel seltener vor, daß ein
bestimmtes Gift, als daß ein unbestimmter Schrtiutz in das Essen projiziert
wird. Kot wird in das Essen hineingegeben, oder faulende Substanz, Men¬
struationsflüssigkeit, Sperma, Urin, tote Tiere. Der Kranke befürchtet davon
nicht den Tod, sondern Befruchtung, Impotenz, Wahnsinn oder Beschmutzung
seiner geistigen Reinheit. In vielen Fällen wird diese Nahrung nicht auf Grund
oraler, sondern auf Grund analer oder genitaler Empfindungen gescheut, nur
daß der Kranke keine andere Ursache als das Essen für die störenden Gefühle
ausfindig machen kann.
" Die j^oiJe der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn 21
In allen diesen Fällen kann eine Ambivalenz sekundär auf das Essen über¬
sein. Sie stammt entweder aus dem Kastrationskomplex oder aus
Ünalen Komplexen. Unklare Unterscheidung im zartesten Alter zwischen
analer und andersartiger Unlust erlaubt solche Verknüpfungen (s. II).
U w enn w j r Erwachsenen das Wort „Kot“ oder „Penis“ aussprechen,
ekphorieren wir einen ganz winzigen Komplex im Vergleich mit dem unge¬
heuren Umfang dieser Vorstellungen beim kleinen Kinde.
Wenn ich sagte, der Kot sei der Urverfolger, so ist damit der „Kot“begriff
des kleinen Kindes gemeint und nicht der an Umfang erheblich geringere Teil
davon, der durch Spaltung jener Imago bei uns davon übrig geblieben ist.
Drei Imagines sind die Grundlagen der Möglichkeit, Quantitäten aus der
Objekterotik zum Narzißmus oder vice versa zu verschieben. Es sind der Kot
(und der Urin), der Penis und die Brustwarze.
Diese Gegenstände haben alle drei die Eigenschaft, zeitweilig dem eigenen
Körper, zu anderen Zeiten der Außenwelt zuzugehören.
Der Penis zeigt dazu noch Ungehorsam dem bewußten Willen gegen¬
über. Vielleicht gehört noch ein vierter Begriff hinzu: die Mutter, als erstes
aus dem Ich ausgestoßenes und zu Außenwelt gewordenes Fragment (Alex¬
ander). Später kommt noch ein fünfter dazu: das Kind.
Freud hat in einem überaus wichtigen Aufsatz auf die verwickelten Be¬
ziehungen zwischen den Begriffen „Kot“, „Geschenk , „Penis und „Kind hin¬
gewiesen 11 und dabei hervorgehoben, daß sie unter Umständen einander er¬
setzen können.
Offenbar sind sie auf irgendeiner Entwicklungsstufe noch mehr oder weniger
verschmolzen und heben sich später einzeln aus der Gemeinsamkeit heraus.
Früher schon wird die gemeinsame Repräsentanz von „Kot“, „Penis“ und
„Brust“ gebildet, nicht in der Weise, daß gesonderte Komplexe zusammen¬
fließen, sondern durch uranfängliche Einheitlichkeit, aus der sie später durch
Spaltung hervorgehen. Diese wechselerotische Trias ist die Brücke zur Bildung
der „Außenwelt“ aus dem Ur-Ich.
Sie umfaßt nicht nur die Begriffe, welche für uns den obengenannten
Worten entsprechen, sondern außerdem die Engramme, welche in dieser
Periode in irgendeiner Weise mit dem Rektum, der Schamgegend, dem Munde
und der Mutter zu tun haben, also einen erheblichen Teil der späteren Gegen¬
standswelt. Der Säugling hat noch keinen Namen für diese Imago; sie ent¬
spricht der ersten Phase der Abspaltung aus der ersten Umwelt-Imago, welcher
alle Sinnesqualitäten 12 noch fehlten. Sie umfaßt den Kern der gesamten
,»Außenwelt“, die sich aus ihr dinglich abspaltet. Dem nicht in Gegenständen
11) Über Triebumsetzungen insbesondere der Analerotik, Int. Ztschr. f. Psa. IV (3),
S. 125—130 (1917)-
12) S. Imago, Bd. XII, S. 269 (1926).
22
A. Stärcke: Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungswahn
aufgesplitterten Rest gibt der Erwachsene denselben Namen wie der früheren
noch fast qualitätslosen Phase.
_ Schon früh wird der jedesmalige Überrest der Trias in zwei Schwesterima¬
gines gespalten, deren einer einen unlustbetonten Teil, der andere das übrige
umfaßt. Ersterer bleibt bei Primitiven als „Teufel“ mehr oder weniger intakt,
der zweite umfaßt sowohl die „Welt“ als den Überrest der Trias, welcher in
seinen symbolischen Darstellungen seine Abstammung von den unklar unter¬
schiedenen Penis- und Brust-Imagines noch deutlich zeigt.
Nach Tausk ist der Verfolgungsapparat genital, nach Stärcke anal, nach
Westerman-Holstijn oral. Damit sind die drei Abkömmlinge der Trias
gewürdigt.
Wenn ich nun sagte, der Urverfolger sei der Kot, so meine ich damit,
daß die Trias ihre Eigenschaft, als Verfolger auftreten zu können, hauptsäch¬
lich aus den analen Reizkomplexen erwirbt. Der Oralerotik haftet viel weniger
Unlust an, der Pykniker ist im allgemeinen gut gelaunt, optimistisch. Die oral¬
erotische Unlust scheint im allgemeinen dem Kastrationskomplexe zugeführt
zu werden und behält starke Verbindung mit genitalen Komplexen. Längs
diesem Wege wird ihr offenbar soziale Anpassung in anderer Bearbeitung, nicht
als Verfolgungsgefühl, möglich. Die Erwartung von Feindlichem scheint sich
in zwei Strömungen zu sondern, nämlich den Kastrationskomplex und den
Verfolgungsgedanken. Das Mißtrauen, der Verfolgungsgedanke, hat eine anale
Betonung, die Kastration erwartet man mehr vom genital-oralen Teile der
Trias nicht vom Teufel, sondern von Gottvater. Obwohl es möglich, so¬
gar wahrscheinlich ist, daß diese Trennung nicht absolut genügt, um gegen¬
seitigen Austausch unmöglich zu machen, ist sie doch im großen und ganzen
durchführbar.
Der „Teufel“ ist der „Verfolger“ der Primitiven und der normalen (sozialen)-
orthophrenen Menschheit, d. h. desjenigen Teiles der Menschheit, der noch
auf dem Familienleben fußt und dessen Produktionszwang noch einen guten
genitalen Rest zeigt und auf Erzeugung von Kindern hin orientiert ist. Der
„Verfolger“ des modernen Menschen, des Metaphrenen, der an von neuroti¬
scher Angst beseeltem Produktionszwang von Gegenständen leidet, wird
von den Begriffen „Schmutz“ (Abwehr: Reinlichkeit), „Mikroben“ (Abwehr:
Hygiene), „Zeit“ (Abwehr: Tempo) und „Kapital“, „Geld“ (Abwehr: öko¬
nomisch-politisches Parteiwesen) vertreten. Vom Teufelsbegriff ist die nahe
Verwandtschaft mit dem Kot bekannt. Die metaphrenen Analoga des
„Teufels* : Schmutz, Zeit und Geld besitzen ebenfalls einen hohen Analgehalt.
Vielleicht darf man in dem analen Charakter der „Verfolger“, welche die
sozialen Menschen quälen, eine Stütze für die anale Theorie des Verfol¬
gungswahnes erblicken, der sich ja nur durch sein Vorkommen bei Geistes¬
kranken von seinen normalen Analogen unterscheidet.
Passivität, Masochismus und Weiblichkeit 1
Von
Marie Bonaparte
Paris
Die Schmerzen bei den weiblichen Fortpflanzungsfunktionen
Auch bei oberflächlichster Betrachtung wird man sich der Erkenntnis nicht
verschließen können, daß das Maß an Schmerz, dem Mann und Frau bei den
Fortpflanzungsvorgängen ausgesetzt sind, recht ungleich verteilt ist. Während
der Anteil des Mannes an diesen Vorgängen nur in einem einzigen Akt, dem
wollustvollen Koitus, besteht, da sich bei ihm die Fortpflanzungsfunktion in
der erotischen Funktion erschöpft, hat die Frau periodisch die mehr oder
weniger ausgebildeten Beschwerden ihrer Menstruation zu erdulden, sie er¬
lebt schon den Beginn der sexuellen Vereinigung als den mehr oder minder
blutigen Akt der Defloration, sie trägt schließlich das Kind unter Beschwerden
und gebiert unter Qualen, von der zuweilen recht schmerzhaften Laktation
ganz zu schweigen.
Schon die Bibel 2 charakterisiert das Weib durch den mit dem Gebären
verbundenen Schmerz, die Buße für die Erbsünde. Mich eiet 3 hat die Frau
„die ewig wunde“ genannt und in der psychoanalytischen Literatur hat
Freud 4 bei der Darstellung des Masochismus, jenes so oft abwegigen Ge¬
bildes der menschlichen Psychosexualität, dessen erogene Form mit einem
„weiblichen“ Masochismus in Verbindung gebracht, während Helene Deutsch 5
den Masochismus zum regelmäßigen Element der weiblichen Entwicklung er¬
hebt, zu einem Konstitutionsfaktor, der unbedingt erforderlich ist, damit die
Frau imstande sei, das Ganze ihrer von so viel Schmerzen durchsetzten Sexuali¬
tät zu akzeptieren.
2. Die Wollust des Weibes
Eine andere Tatsache ist indessen schon bei flüchtiger Betrachtung nicht
minder erstaunlich. Die Frau kann im Liebesverkehr sehr wollüstig sein, kann
nach ausgedehnten und sehr bestimmten Zärtlichkeiten dürsten, die in ihrem
Wesen durchaus nichts Peinliches, Masochistisches an sich haben. Die Frau
ist überdies im Beischlaf selbst einer orgastischen Wollust fähig, die der des
Mannes analog ist.
Man muß in diesem Zusammenhang einer besonderen biologischen Tat¬
sache Rechnung tragen, die übrigens eine ganze Anzahl von Biologen nicht
1) Nach einem auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß am 28. August
l 9 34 gehaltenen Vortrag; hier modifiziert und revidiert. Aus dem Französischen übersetzt
von Dr. Helmut Polt.
2) Genesis.
3) L’Amour. Paris 1859.
4) Das ökonomische Problem des Masochismus. Ges. Sehr., Bd. V.
5) Psychoanalyse der weiblichen Sexualfunktionen. Int. Psa. Verlag, Wien 1925. Der
feminine Masochismus und seine Beziehung zur Frigidität. Int. Zeitschr. f. Psa., XVI, 1930.
24 Marie Bonaparte
zu kennen scheint, die aber bei Freud volle Wertung findet: die Frau verfügt
im Gegensatz zum Manne über zwei benachbarte erogene Zonen, die Klitoris
und die Vagina, in denen sich ihre Bisexualität darstellt und begründet. Der
Antagonismus dieser Zonen äußert sich in manchen Fällen darin, daß bald die
Vagina, bald die Klitoris — letztere bei vaginaler Anästhesie — ausschließlich
empfindlich sind. In anderen und, wie ich glaube, den häufigsten Fällen findet
ein harmonisches Zusammenwirken beider Zonen statt und begünstigt die Aus¬
übung der weiblichen erotischen Funktion im normalen Akt der sexuellen
Vereinigung.
Indessen scheint der dem Weibe zugefallene Anteil an der Wollust jener
Männlichkeit entlehnt zu sein, die der weibliche Organismus offenbar in sich
birgt. Nicht zu Unrecht setzt ein Biologe vom Range Maranons 6 die Frau
einem in seiner Entwicklung zum Stillstand gekommenen männlichen Orga¬
nismus gleich, einem Zwischenstadium zwischen Kind und Mann, dessen Fort¬
entwicklung eben durch die hemmende Wirkung der weiblichen Adnexe auf¬
gehalten wurde, die in einer Art Symbiose ihrem zarten Gesamtorganismus\
eingefügt wurden.
Die Natur bedient sich also des verstümmelten Teils der Männlichkeit, der
diesem Organismus innewohnt, um die Frau der Erotik zuzuführen, während
sie in allem übrigen durch die weiblichen Organe völlig den schmerzvollen
Aufgaben der Fortpflanzung und der Mutterschaft anheimgegeben ist.
Einesteils ist also die Frau bezüglich der eigentlichen Fortpflanzungsfunktio-
nen Menstruation, Defloration, Schwangerschaft und Entbindung — schon
biologisch dem Schmerz geweiht. Die Natur scheint ohne Bedenken dem Weibe
Schmerz und zwar in hohen Dosen — aufzuerlegen, da es nur passiv den
vorgeschriebenen Ablauf zu erdulden hat. Andernteils kann die Frau in bezug
auf ihren Anreiz für den zur Befruchtung notwendigen Sexualpartner und in
der Wollust bei der Begattung selbst dem Manne ebenbürtig sein, obwohl sich
häufig ihre erotische Funktion mangelhaft und zögernd einstellen mag und
obwohl sie — was man nicht vergessen darf — durch ihre passive Rolle im
Beischlaf stets von der männlichen Potenz des Partners abhängig bleibt, ins¬
besondere von dem Zeitmaß, das dieser der weiblichen Wollust, die im allge¬
meinen langsamer abläuft als die seine, zur Entfaltung gönnt.
3. Die sadistische Auffassung des Koitus beim Kinde
Kehren wir nun zum Kinde zurück. Die psychoanalytischen Beobachtungen
haben mit Sicherheit erkennen lassen, daß das Kind den sexuellen Akt, den
es häufiger als man annimmt am Koitus der Erwachsenen beobachtet, stets als
sadistische Aggression des Mannes gegen das Weib auffaßt. Diese Aggression
hat für das Kind überdies oralen Charakter, nachdem es vorerst keine anderen
als orale Beziehungen zwischen den Lebewesen kennt. Aber auch diese orale
6 ) La evolucion de la Sexualidad y los estades intersexuales. Madrid, Morata, 1930.
Passivität, Masochismus und Weiblichkeit 25
Beziehung wird auf Grund der vorausgegangenen kannibalistischen Phase
selbst wieder als aggressiv aufgefaßt. Nichtsdestoweniger scheint das anal¬
sadistische Stadium, während welchem es so oft zu derartigen Beobachtungen
kommt, ihnen vorwiegend den Charakter einer verwundenden und eindringen-
den Aggression seitens des Mannes zu verleihen. Vielleicht ist angesichts der
primitiven Triebvermischung gerade deren sadistische Färbung um so stärker
betont, je früher solche Erlebnisse stattfinden. Bei der Auffassung dessen, was
die Erwachsenen tun, wird auch der jeweils verschiedene Grad der Aggressivi¬
tät des Kindes dadurch entscheidend mitwirken, daß diese auf das Gesehene
projiziert wird.
Wenn das Kind Zeuge solcher Vorgänge gewesen ist, bildet sich in ihm eine
Art Klischee, welches dann im Grunde seines Unbewußten fortdauert. Sowie
das Kind heranwächst und sein Ich sich verstärkt, wird das Klischee wieder
vorgenommen und überarbeitet, und es reihen sich an das ursprüngliche Bild
dann zweifellos alle sado-masochistischen Phantasien, 7 die die Analytiker an
Kindern beiderlei Geschlechts in ihren Besonderheiten aufdecken konnten.
Sehr frühe Koitusbeobachtungen auf der Höhe der kloakal-sadistischen und
phallisch-sadistischen Phase (die einander übrigens vielfach überlagern) hatten
zuerst nur zur teilweisen Besetzung des Objekts geführt, und zwar zur Be¬
setzung jener Organe, gegen welche die libidinösen und sadistischen Strebun¬
gen des Kindes gerichtet waren. Nach und nach aber wird das ganze Wesen
des Weibes und des Mannes deutlich wahrgenommen, sie werden als solche
begriffen und so wird schließlich der Geschlechtsunterschied anerkannt.
Von da an werden das weitere Schicksal und die weitere Wirkung der sadisti¬
schen Kindheitsphantasien je nach dem Geschlechte des Individuums ver¬
schieden. Beim Knaben, der den eindringenden Phallus wirklich besitzt, sucht
die sadistische Koitusauffassung der zentripetalen Gefahr für die Kloake zu
entgehen und versucht sich in zentrifugaler, vitaler Richtung, die keine
unmittelbare Gefahr für den Organismus des Subjektes bedeutet. Sie wird
später sicherlich an die Schranken stoßen, die die Kultur der menschlichen
Aggression gezogen hat, insbesondere an den Kastrationskomplex.
Die ödipale Triebentmischung bewirkt jedoch normalerweise, daß die Ag¬
gression gegen den Vater gerichtet wird und der größere Teil der Liebe für die
Mutter bleibt. Dies hilft dem Knaben sehr, Sadismus und Aktivität zu unter¬
scheiden und für den aktiven, nicht mehr sadistischen Phallus die Frau als
Objekt zu wählen.
Beim Mädchen ist hingegen die sadistische Auffassung des Koitus, besonders
wenn sie sehr stark betont war, weit eher geeignet, eine ideale erotische
Wirkung zu stören. Durch Vergleich des eigenen Genitales mit dem großen
männlichen Penis mußte sich das Mädchen eines Tages wie kastriert vorkom-
7) Vgl. besonders: Melanie Klein, Die Psychoanalyse des Kindes, Int. Psa. Verlag,
26 Marie Bonaparte
men. Nunmehr hat es nicht nur die narzißtische Kränkung durch das eigene
Kastriertsein zu erdulden, sondern es sieht sich auch in den Liebesakten mit
dem Träger des hinfort erotisch begehrten Phallus von dessen Eindringen in
den eigenen Körper bedroht.
Jedes lebende Sein fürchtet schon den Einbruch an sich aus dem Lebens¬
drang heraus, aus der vitalen Abwehr seitens des biologischen Ichs. 8 Nun
hat aber das kleine Mädchen nicht nur sagen oder auch flüstern gehört, daß
das Kinderbekommen weh tut, es ist nicht nur da und dort von dem Anblick
des weiblichen Menstruationsbluts überrascht worden, sondern das grauen¬
hafte Bild, das seine Kinderseele vom geschlechtlichen Angriff des Mannes
gegen die Frau — diesem schreibt sie ja übrigens auch die Blutungen zu —
empfangen hat, läßt es trotz des libidinösen Instinkts, der es zum Manne
treibt, vor der eigentlichen erotischen Funktion des Weibes zurückschrecken,
obwohl gerade diese allein von allen weiblichen Fortpflanzungsfunktionen es
ist, die von Schmerz unbedingt freibleiben sollte und ihm nur reine Wollust
geben könnte.
4. Die Notwendigkeit einer klareren Unterscheidung zwischen
Masochismus und Passivität
Das kleine Mädchen wächst jedoch heran und seine Reaktionen auf die Ur-
szene verstärken sich in verschiedener Richtung, je nach den Kindheitserleb¬
nissen und je nach seiner natürlichen Konstitution.
Vor allem müssen sich Unterschiede aus dem Umstand ergeben, ob das Kind
den Beischlaf von Erwachsenen wirklich gesehen hat, oder ob es auf jene
phylogenetisch bedingten Phantasien angewiesen war, die sich auf das unver¬
meidbare Beobachten der geschlechtlichen Vereinigung von Tieren stützen.
Das traumatische Moment muß um so schärfer sein, je früher die Beobachtung
des menschlichen Koitus stattfindet und je realer er sich ihm darstellt.
Überdies muß aber das Ausmaß, in welchem das kleine Mädchen vor der
sexuellen Aggression zurückschreckt, um so größer sein, je stärker ihre Bi¬
sexualität konstitutionell bedingt und je stärker daher die biologischen Vor¬
aussetzungen ihres Männlichkeitskomplexes gegeben sind. Sie reagiert dann
auf die Urszene meist auf dieselbe Weise wie der gleichfalls bisexuell veran¬
lagte kleine Knabe, nämlich kloakal; den Knaben läßt aber der vitale phallische
8) Ich glaube, daß diese primitive Abwehr zuerst aus dem vitalen Ich stammt, und nicht,
wie Melanie Klein annimmt, aus einem frühen, moralischen Über-Ich. Ich nähere mich
hiermit dem Standpunkt Karen Horneys, mit der ich im übrigen bezüglich der kon¬
stitutionell bedingten Phallizität nicht übereinstimme (siehe Melanie Klein, Die Psycho¬
analyse des Kindes, Wien 1932, und Karen Horney, Flucht vor der Weiblichkeit, Int.
Zeitschr. f. Psa., XII, 1926). Der Wutausbruch so vieler Kinder, wenn man ihnen ein
Klystier verabreichen will, hat nach meiner Anschauung denselben Sinn einer vitalen Ab-
wehr gegen einen Einbruch in den Körper. Die Bedeutung einer Art von Orgasmus, die
Freud nach Ruth Mack Brunswick diesem Vorgang zuschreibt (Über die weibliche
Sexualität, Ges. Sehr., Bd. XII), scheint mir, wenn sie zum Teil gewiß auch berechtigt ist,
weniger wichtig.
Passivität, Masochismus und Weiblichkeit 27
Protest gegen die passive kloakale Haltung bald die konvexe, zentrifugale
Richtung der männlichen Libido finden. Das Mädchen hat im Prinzip nur
zwei Möglichkeiten, auf die sadistische Koitusauffassung zu reagieren, welche
sein Unbewußtes von Kindheit an bis ins Alter der Erwachsenen bewahrt: ent¬
weder es akzeptiert diese Auffassung — in diesem Falle muß ein Stück Eros
die passive Aggression im Ausmaße der gefühlten Lebensgefahr masochistisch
gebunden haben —, oder es erkennt im Laufe der Jahre, gemäß der Erziehung
zur Realität, daß ein eindringender Penis weder eine Peitsche noch ein Meißel
noch ein Messer noch eine Explosivpatrone ist, wie er es in der kindlichen
sadistischen Vorstellung gewesen war; es akzeptiert dann den passiven Koitus
gesondert von den übrigen weiblichen Fortpflanzungsfunktionen (Menstruation,
Schwangerschaft, Gebären) als den einzigen, wirklich nur mit Wollust ver¬
bundenen Akt, der sich scharf vom Hintergründe weiblicher Schmerzen ab¬
hebt, und in dem die Libido, jene biologische Kraft männlicher Herkunft, in
den Dienst der stets passiven, normalerweise aber nicht masochistischen, Ziele
der Weiblichkeit gestellt wird.
Wenn also der Koitus akzeptiert wird, so dürfte daran eine geringe Spur,
eine gleichsam homöopathische Dosis jenes Masochismus mitwirken, der mit
der Passivität in der Begattung verbunden ist und der die Frau dazu bringt,
ein gewisses Ausmaß von Brutalität seitens des Mannes zu dulden, sogar gut¬
zuheißen. Martine wollte „geschlagen werden“. 9 Es muß sich jedoch in der
weiblichen Psyche eine wirkliche Unterscheidung zwischen Masochismus und
Passivität herausgebildet haben, wenn die passive erotische Funktion des Weibes
in normaler Art akzeptiert und hergestellt werden soll. Tatsächlich ist der nor¬
male vaginale Koitus kein Schmerz für die Frau, sondern ganz das Gegenteil.
Wenn aber die Frau in der Kindheit auf Grund der sadistischen Koitusauf¬
fassung gleichsam für die erste Lösung optiert hat, also für den Masochismus,
der auch die passive Begattung einschließt, so ist darum noch nicht gesagt, daß
sie deswegen auch im Koitus die masochistische Erotisierung der Vagina akzep¬
tieren wird. Die Dosis des Masochismus ist dann oft zu stark, als daß das
vitale Ich sie ertragen könnte; sogar die großen perversen weiblichen Maso¬
chisten scheuen oft vor dem Eindringen des Penis zurück und begnügen sich
mit den für sie weit harmloseren äußeren Peitschenschlägen auf das Gesäß.
Das vitale biologische Ich wehrt sich gegen den Masochismus im allgemeinen,
es flieht ihn, und Abwehrpositionen der Libido können dann mit großer Stärke
überbesetzt werden.
5. Die Kloake und der Phallus der Frau
Wir müssen uns nun ins Gedächtnis rufen, daß die Frau zwei erogene Zonen
besitzt und daß sie in noch größerem Ausmaße als der Mann ein bisexuelles
Wesen ist.
9 ) Moli^re, Le M6decin malgre lui. i.Akt.
28
Marie Bonaparte
Wir erinnern uns auch der zuvor berichteten Ansichten des spanischen Bio¬
logen Maranon, wonach die Frau ein in der Entwicklung zum Stillstand ge¬
kommener Mann sei, etwas wie ein Jüngling, dem in einer Art Symbiose die
weiblichen Adnexe eingefügt sind, und daß gerade diese die Hemmung jener
Entwicklung verursachen.
Nun scheinen die äußeren Sexualorgane des Weibes, genauer gesagt ihre
erogenen Organe, eben diese Doppelnatur widerzuspiegeln. Die Frau besitzt
tatsächlich sowohl eine Kloake, die durch die rektovaginale Scheidewand in
den Anus und in die ausgesprochen weibliche Vagina als Eingang zu den
Mutterorganen geteilt wird, als auch einen im Verhältnis zum männlichen
Penis verkürzten Phallus, die kleine Klitoris.
In welcher Weise reagieren nun diese beiden Zonen einesteils auf die Kon¬
stitution des kleinen Mädchens, andernteils auf die zu seiner Psychosexualität
führenden Prozesse?
Die Libidoentwicklung durchschreitet mehrere Stadien und Phasen. 10 Auf
die oralen folgen die anal-sadistischen Phasen, die ich im Hinblick auf die
anatomische Existenz der Vagina beim kleinen Mädchen lieber die „kloakal-
sadistischen“ nennen möchte. 4
Es ist also eine zweifellos noch ziemlich undifferenzierte Öffnung da, in
welche nach der sadistischen Koitusauffassung des kleinen Mädchens (wenn
nicht auch des Knaben, der gemäß seiner eigenen Konstitution meist nur das
Vorhandensein des Anus zugibt) in so gefährlicher Art eingedrungen wird.
Die in diesem Alter gemachten Koitusbeobachtungen mobilisieren in der Folge
einerseits das erotische Verlangen nach dem Penis, der mit oralen und kloa-
kalen Libidokomponenten begehrt wird, anderseits aber das Grauen vor dem
verwundenden und schrecklichen Eindringen.
Unverzüglich setzt dann das phallische Stadium, eine regelmäßige Ent-’
wicklungsstufe bei beiden Geschlechtern, auch beim kleinen Mädchen mit der
begleitenden Masturbation an der Klitoris ein; die Masturbation greift dann
zweifellos auch, je nach der stärkeren oder schwächeren Weiblichkeit (der prä-
feminen, erogenen Kloakalität), die zur Konstitution des Kindes gehört, auf
die Vulva und den Eingang der benachbarten Vagina über.
Gerade hier entsteht eine Verwirrung dadurch, daß sich das Akzeptieren
der Passivität mit Masochismus vermengt. Wenn die Angst vor der männ¬
lichen Aggression zu heftig, oder wenn die Dosis Masochismus zu stark ist,
die zu ihrer Bindung, ihrer Akzeptierung, eingesetzt wurde oder notwendig
war, dann weicht das Ich des kleinen Mädchens zurück und seine Erotik wird
sich sozusagen an die Klitoris klammern. Es ist dies etwa derselbe Vorgang
wie bei der Aufrichtung eines Blitzableiters, durch den die Elektrizität ab-
io) Freud, Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Ges. Sehr., Bd. V. Abraham, Ver¬
such einer Entwicklungsgeschichte der Libido. Int. Psa. Verlag, Wien 1924.
Passivität, Masochismus und Weiblichkeit
29
strömt, damit der Blitz nicht einschlage; so wird auch diese Elektrizität,
welche die Erotik ist, auf nicht lebensgefährliche Bahnen abgeleitet.
Es wird sich so eine Art konvexen erotischen Engramms als Vor¬
läufer der künftigen erotischen Funktion der Frau festlegen, im Gegensatz zum
konkaven erotischen Engramm, welches das der Frau imKoitus sein sollte.
Die konvexe Orientierung der Libido fällt aber mit der Richtung zusam¬
men, die die männliche Libido in der anatomischen Entwicklung und dann
in der zentrifugalen erogenen Orientierung des Phallus nimmt. Bei einer
Frau weckt eine solche libidinöse Orientierung infolgedessen den Verdacht auf
eine ziemlich stark männliche Konstitution. Das vitale und das männliche
Zurückweisen der Passivität, die mehr oder minder stark mit erogenem Maso¬
chismus vermengt wird, fallen hier zusammen. Die moralische Verdrängung
hingegen, die von den Erziehern ausgeht und im Über-Ich erhalten bleibt, ist
bestrebt, die weibliche Sexualität zur Gänze und ohne Vorzug für die Vagina
oder Klitoris, zu treffen und statt ihrer im äußersten Falle totale Frigidität zu
erzeugen.
Indessen kann sogar der Phallus, dieses Organ von exquisit männlicher Her¬
kunft — selbst wenn er den Namen Klitoris führt — in weiterer Folge auch
für weibliche Zwecke verwendet werden.
Die Klitoris, ein verstümmelter Phallus, kann tatsächlich niemals, nicht ein¬
mal in der Phantasie, zu jener Aktivität gelangen, auf die der Penis nach
seiner ganz andern Anlage Anspruch hat. Die Klitoris wird wie der Penis des
Knaben durch die Reinigungsprozeduren seitens der Mutter vorerst passiv
gereizt. Die Klitoris wäre nach einer Phase der Aktivität eher dazu disponiert,
zur Passivität zurückzukehren, als der Penis; hier weist der biologisch ge¬
gebene Kastrationskomplex des kleinen Mädchens den Weg der Regression.
Sobald es seinen positiven, auf den Vater gerichteten Ödipuskomplex end¬
gültig aufgerichtet hat, wird nun die Klitoris zum Exekutivorgan der auf
passive Ziele gerichteten libidinösen Strebungen. Von da an beginnt sich jene
klitorido-vaginale erotische Funktion zu bilden, die den meisten Frauen die
harmonische passive Verwendung beider Zonen im Koitus gestattet und die
das Gegenteil der funktionellen Fehlanpassung der Klitoriszone bei jenen
Frauen darstellt, bei denen diese Zone ein unzulänglicher, durch aktive Trieb¬
ziele zu stark besetzter Phallus ist.
Das biologische Ideal der Anpassung an die erotische Funktion des Weibes
bildet nichtsdestoweniger die Unterdrückung der aktiven und selbst auch der
passiven Funktion der Klitoris zugunsten der völlig passiven empfangenden
Vagina. Damit aber das vitale Ich diese erotische, eigentlich- und zentral¬
weibliche Funktion akzeptieren kann, muß sich die Frau, wenn sie Frau ge¬
worden ist, möglichst vollständig von der kindlichen Angst, die aus der sadisti¬
schen Koitusauffassung stammt, lossagen und auch von dem Kampf gegen den
Masochismus, der sich eventuell weiter daraus entwickelt.
Die phallische Passivität beim Manne
Von
R. Loewenstein
Paris
I.
In letzter Zeit haben sich zahlreiche psychoanalytische Arbeiten mit der
Entwicklung der Genitalfunktion bei Mann und Frau beschäftigt. Ganz be¬
sonders ist ihre erste Stufe, die phallische Phase, mit Freud beginnend, sowohl
von weiblichen Psychoanalytikern, wie Helene Deutsch, Jeanne Lampl-de
Groot, Ruth Mack Brunswick und Marie Bonaparte, wie von männ¬
lichen wie Ernest Jones, Otto Fenichel und Sandor Rado erforscht
worden.
In einer Unterredung mit Marie Bonaparte erfuhr ich von ihren Arbeiten
über die „passive phallische Phase“ beim Mädchen. Dieser Begriff erleichtert
mir in Hinblick auf die Entwicklung der Genitalfunktion des Knaben das Ver¬
ständnis für gewisse Eigentümlichkeiten zahlreicher Männer, sowohl solcher,
die unter Potenzstörungen leiden, als auch anderer.
Wir wollen uns nun kurz die gegebenen Tatsachen, und zwar vorerst auf
pathologischem Gebiete, ins Gedächtnis rufen, weil gerade ihre Uberbetontheit
die charakteristischen Einzelheiten hervortreten läßt. Bekanntermaßen sind
die Hemmungen bei einer großen Anzahl von Männern mit sexuellen Potenz¬
störungen, deren Erektion vorzeitig abbricht oder überhaupt nicht zustande
kommt, häufig durch folgende Umstände bedingt: solche Männer versagen
z. B., wenn der Partner den geringsten Widerstand äußert, oder sie können
den Koitus nur vollziehen, wenn die Frau nicht nur einverstanden ist, sondern
ihrerseits die Initiative ergreift.
Wie man weiß, stammt die Hemmung bei solchen Männern aus ihrer Ka¬
strationsangst, und diese Angst wieder ist mit Kindheitserlebnissen verknüpft.
Im Laufe der Analyse findet man oft, daß sie als Knaben einen Verführungs¬
versuch bei ihrer Mutter oder deren Vertreterin unternommen haben und daß
sie dabei eine Abweisung oder eine Drohung erlebten. Diese Verführungsver¬
suche haben im allgemeinen durchaus kindlichen Charakter und entsprechen
dem jeweiligen sexuellen Entwicklungsstadium. Für den nichteingeweihten
Erwachsenen sind sie schwerlich als Verführungsversuche erkennbar. Der
kleine Knabe sucht seine Mutter zu überraschen, wenn sie entkleidet ist, und
erkühnt sich manchmal, ihre Brüste, ihre Hüften, zuweilen sogar die Genital-
gegend berühren zu wollen; eine sehr häufige Form dieser Verführungsver¬
suche ist die Masturbation in Anwesenheit der Mutter, z. B. bei Gelegenheit
i) Nach einem auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern am
28. August gehaltenen Vortrag. Aus dem Französischen übersetzt von Dr. Helmut Polt.
R. Loewenstein: Die phallische Passivität beim Manne
31
der Reinigungsprozeduren, was den Sinn einer Einladung an die Mutter hat,
das Glied des kleinen Knaben zu berühren. Mitunter nehmen diese Verfüh¬
rungsversuche eine paradoxe, im ersten Augenblick kaum erkennbare Form
an: der Knabe, dem die Masturbation schon strengstens verboten worden ist,
masturbiert trotzdem in Anwesenheit seiner Mutter, wie um ein neues Ver¬
bot, eine Drohung, d. h. also eine Bestrafung zu provozieren. Der Sinn dieses
Verhaltens ist der, daß der Knabe seine Mutter gerade dadurch, daß er sich
überraschen und bestrafen läßt, gegen ihren Willen zur Teilnehmerin an seiner
Masturbation macht. Die Abweisung, auf die der kleine Knabe stößt und die
damit häufig verbundene Kastrationsdrohung sind nicht selten von derart
traumatischer Wirkung, daß sie der genitalen Aktivität des Kindes ein Ende
setzen.
Die sexuellen Hemmungen, auf die wir oben hingedeutet haben, lassen sich
nun häufig auf solche traumatische Erlebnisse zurückführen: der Erwachsene
erwartet von der Frau die „Erlaubnis“ zu den Beziehungen mit ihr, und diese
Erlaubnis ist für ihn notwendig, um die Wirkung des aus der Kindheit da¬
tierenden Verbotes auszugleichen. Bekanntlich genügt für einen gehemmten
jungen Mann zuweilen eine einzige solche „Erlaubnis" seitens einer Frau, die
den „Kastrator“ der Kindheit ersetzt, um seine Genitalität von dem „Fluche",
unter dem sie stand, endgültig zu erlösen. Für gewöhnlich muß aber die „Er¬
laubnis“ der Frau wiederholt, sie muß sogar auf wichtige Details des Koitus
selbst ausgedehnt werden, wie etwa daß sich die Frau selbst um die Einführung
des Penis bemüht. Die Männer, die einer solchen Aktivität seitens der Frau
bedürfen, behaupten sehr oft, die Beschaffenheit der weiblichen Organe nicht
zu kennen, sie getrauen sich niemals, diese zu betrachten und „vergessen" in
der Praxis, wie diese Organe gebaut sind, auch wenn sie sich zufällig soweit
bemüht haben, sie in einem Handbuch der Anatomie zu studieren. Zahlreich
sind die Fälle von sexuellen Potenzstörungen, in welchen die Erektion gerade
im Augenblick des Eindringens erschlafft und in denen der unbewußte Wider¬
stand vor dem weiblichen Organ die Form eines Grauens vor der „Vagina
dentata“ annimmt. Überraschenderweise kann bei Menschen, deren Angst vor
der „Vagina dentata ihre Erektion zunichte macht, die Einführung des Penis
in ein wirklich gezähntes Organ, wie z. B. den Mund der Frau, von Erektion
und Ejakulation begleitet sein. Mitunter tritt diese Bedingtheit der Impotenz
gegenüber der Vagina auf folgende Weise klar in Erscheinung: Wenn der
Mann auf normale Art nicht eindringen konnte und auf die Fellatio zurück¬
greift, um seine Erektion wiederherzustellen und den Koitus von neuem ver¬
sucht, fällt seine Erektion nochmals zusammen und er kann nur durch erneute
Fellatio zur Ejakulation kommen. Diese paradoxe Erscheinung, die von klini¬
scher Bedeutung ist, verlangt eine Erklärung.
Einer meiner Patienten begründete die relative Integrität seiner genitalen Auto¬
matik während der Fellatio und seine Hemmung beim Koitus folgendermaßen:
32 R. Loewenstein
„Ich brauche nichts zu tun“, sagte er, „die Frau macht alles.“ Diese merkwür¬
dige Auffassung der Dinge wird dadurch gestützt, daß bei den meisten
Männern die genitale Automatik, sofern sie bei der Fellatio erhalten bleibt,
auch dann funktioniert, wenn sie sich von einer Frau masturbieren lassen. Bei
diesen Männern steht lediglich das aktive Eindringen unter Hemmung.
Wir sehen uns veranlaßt, in solchen Fällen zwei Formen der Genitalfunktion
zu unterscheiden: eine aktive, die das Eindringen beim Koitus zum Ziele hat,
und eine auf passive Ziele gerichtete, die nach Zärtlichkeiten von außen her
strebt, gleichviel ob diese von einer andern Person oder von der eigenen
Hand kommen.
Diesen beiden Seiten der Genitalfunktion, der aktiven und der passiven,
entsprechen zwei Entwicklungsphasen dieser Funktion in der Kindheit.
Tatsächlich konnten wir in allen Analysen, in denen die Kindheitsamnesie
sicher und unzweideutig behoben wurde, beobachten, daß sich die phallische
Phase zuerst durch Strebungen, Wünsche und Handlungen mit passiven Zielen
manifestierte: den Penis sehen lassen, berühren lassen oder ihn selbst berühren.
Daß diese genitalen Manifestationen bereits in der frühesten Kindheit beginnen,
ist bekannt. Trotzdem möchte ich einen Fall hier anführen, den ich vor
einigen Jahren mit eigenen Augen beobachten konnte: Ein fünf Monate alter
Knabe machte sich völlig starr, er streckte sozusagen seiner Mutter den Penis
entgegen, jedesmal, wenn diese bei der Reinigung ihre Hand seiner Genital¬
gegend näherte, und ließ ein vergnügtes Brummen hören, das von
einer unzweideutigen Mimik begleitet war. Der Knabe ist heute zehn Jahre
alt und zeigt physisch wie psychisch keinerlei Abnormitäten.
Die phallische Phase der Libidoentwicklung ist in der überragenden Anzahl
der Fälle, die wir analysieren konnten, vorerst durch eine lediglich auf passive
Ziele gerichtete Funktion der Genitalorgane charakterisiert. Das aktive Ziel
der Genitalfunktion, das Eindringen, erscheint erst später, zumeist in Form
unklarer und undeutlicher Phantasien. Dagegen kann eine Form des Sexual¬
zieles, die man als Zwischenstufe zwischen passiven und aktiven Zielen be¬
trachten darf, sehr früh in Erscheinung treten, nämlich das Reiben des Penis
an äußeren Objekten oder am Körper einer Frau. 1
Man müßte also nach meiner Meinung in der phallischen Phase zwei Stadien
unterscheiden: das passive und das aktive. Das passive Stadium tritt zuerst in
Erscheinung und umfaßt nach meinen Beobachtungen die Phase des Ödipus¬
komplexes. Tatsächlich sind die Sexualziele der inzestuösen Wünsche des
kleinen Knaben passiven Charakters; sie können indessen auch gleichzeitig mit
aktiven Zielen des Eindringens, die sich geltend zu machen beginnen, auf-
treten. In gewissen Fällen beginnt auch die masturbatorische Tätigkeit in der
i) Ich kenne einen Fall, in welchem diese Art von masturbatorischer Tätigkeit eines
Mannes ununterbrochen vom Alter von zweieinhalb Jahren bis zur Reife des Erwachsenen
fortdauerte.
Die phallische Passivität beim Manne
33
Pubertät mit durchaus passiven Genitalakten. 2 Diese Knaben behandeln ihren
Penis mehr oder minder gewalttätig und gelangen so zum Orgasmus, ohne
sich dabei eine Hin- und Herbewegung oder ein Eindringen vorzustellen. In
einzelnen Fällen nimmt die Entwicklung später einen normalen Verlauf, die
meisten dieser Fälle bleiben aber bei der gewohnheitsmäßigen Masturbation,
die für sie stets eine weit vollkommenere Befriedigung bleibt als der Koitus.
II.
Die Analyse eines Mannes mit verhältnismäßig schweren Potenzstörungen
hat es mir ermöglicht, gewisse Zusammenhänge zwischen phallischer Passivität
und Ejakulationsstörungen zu finden. Es handelt sich um einen Mann von
etwa 40 Jahren, der von zwei Arten seiner Erektion sprach und der bis zur
Analyse nicht wußte, welche von beiden die normale Erektion sei. Die eine,
offenbar die normale, ist durch eine Steifheit des ganzen Gliedes charakte¬
risiert, die ihm ehemals in seltenen Fällen gestattete, einen verhältnismäßig
andauernden Koitus auszuüben und die sich zuweilen noch einstellt, wenn eine
Frau anwesend ist. Sobald er aber den Koitus vollziehen will (seine Partne¬
rinnen sind durchwegs Prostituierte), bricht die Erektion zusammen und wird
durch eine andere Form der Erektion ersetzt, bei welcher lediglich die Glans
anschwillt, während der Rest des Gliedes schlaff bleibt. Diese Form der Erek¬
tion, richtiger Pseudoerektion, macht jedes Eindringen unmöglich, hindert
aber nicht die Fellatio, zu der er dann gewöhnlich Zuflucht nimmt. Die
Fellatio gestattet den Ablauf der genitalen Automatik bis zum Schluß, aber,
und das ist besonders wichtig, die nachfolgende Ejakulation kommt äußerst
rasch und nicht stoßweise wie im Normalfall, sondern in einem einzigen
Ruck. Diese Ejakulation findet nun gerade dann statt, wenn sich die genitale
Automatik infolge von Erregungen rein passiver Natur von einem Ablauf auf
den andern umstellt.
Wir konnten überdies andere Fälle beobachten, in denen rein passiven Ge¬
nitalerregungen eine schnelle nicht stoßweise Ejakulation entsprach, die in
einem einzigen Ruck erfolgte und meist nur von einem schwachen, manchmal
sogar etwas unlustvollen Orgasmus begleitet war.
Von mehreren beobachteten Fällen möchte ich nur ein Beispiel anführen,
das mir besonders beweiskräftig erscheint; einen Mann, bei welchem Ejaku¬
lation und Orgasmus, je nach Art der Erregung, normalen oder „asthenischen“
(nach dem Ausdruck von St. Hi gier) Charakter haben konnte. Diesem Mann
gelang es, zu der einen oder andern Form von Orgasmus zu kommen, je nach¬
dem er sich bei den Zärtlichkeiten der Frau bis zum Schluß unbeweglich ver-
2) Ruth Mack Brunswick hat auf ihrem bemerkenswerten Vortrag auf dem XIII.
Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern 1934 Ansichten über die phallische
Phase des Knaben geäußert, die mit den meinigen völlig übereinstimmen. Sie setzt in¬
dessen das Alter, in dem sich der Wunsch einzudringen zeigt, später an als ich, nämlich
erst in die Pubertät.
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/t
3
34
R. Loewenstein
hielt oder aber, wenn er den Orgasmus herannahen fühlte, zu Hin- und Her¬
bewegungen überging, die dann den normalen Orgasmus herbeiführten.
Der Zusammenhang dieser Art von Ejakulationsstörung mit der charakte¬
ristischen ejaculatio praecox ist nun offenbar. Diesbezüglich haben die Ar¬
beiten Abrahams klar erwiesen, daß die ejaculatio praecox in engster Be¬
ziehung zur Urethralerotik der betreffenden Person steht. Die asthenische Eja¬
kulation ist für das Unbewußte dieser Menschen ein Äquivalent für die Mik¬
tion. Auch S. Ferenczi, W. Reich und O. Fenichel haben die Einwirkung
der prägenitalen Stadien der Libidoentwicklung auf bestimmte Störungen der
Genitalfunktion aufgezeigt.
Der Einfluß der prägenitalen Stadien der Libidoentwicklung auf die Ent¬
wicklung der Genitalfunktion sowie auf deren Störungen beruht meines Er¬
achtens auf dem besonderen Umstand, daß sich dieser Einfluß in einer Periode
der Genitalfunktion auswirkt, in welcher diese wesentlich passiven Zielen zu¬
gewendet ist; die Genitalorgane des Knaben verhalten sich also in dieser Ent¬
wicklungsperiode nicht anders als andere erogene Zonen, wie z. B. die Brust¬
warze der Frau, oder noch deutlicher, die Klitoris, erektile Organe, deren
erogene Funktion das lediglich passive Ziel des Gestreicheltwerdens anstrebt.
Auf dieser Besonderheit beruht nach meiner Meinung der Unterschied zwi¬
schen dem passiven und aktiven Stadium der phallischen Phase. Mit dem
Auftreten dieser letzteren beginnt der Primat der Genitalorgane über die
extragenitalen erogenen Zonen.
Wir haben eben gesehen, welche Bedeutung dem Hin- und Herbewegen des
Gliedes, d. h. also der Tendenz des Eindringens, bei der Unterscheidung der
aktiven und passiven Form der Genitalfunktion zukommt. Wir erinnern uns
dabei an den unbewußten Zusammenhang zwischen den Körperbewegungen,
besonders dem Gehen, und der Genitalfunktion. In einer Mitteilung an die.
Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft in Berlin habe ich im Jahre 1924 auf
die unbewußte Gleichsetzung des Aufrechtstehens, des Gehenlernens, der Ko¬
ordination und der Bemeisterung der Körperbewegungen mit der aktiven
männlichen Genitalfunktion hingewiesen.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß dem Unbewußten als Modell für das aktive
Stadium der phallischen Phase jene einschneidende Veränderung dient, die sich
durch das Gehenlernen im Verhältnis des Menschen zur Außenwelt vollzieht.
Tatsächlich wandelt sich das kleine menschliche Wesen, das erst kaum beweg¬
lich und rein passiv war, in eines, das sich bewegen, das sich den Objekten
nähern kann; kurzum, es wird aktiv.
Eine analoge Veränderung findet, wenn auch auf einer anderen Ebene, beim
Übergang in das aktive phallische Stadium, und ganz besonders in das Stadium
des Primats der Genitalorgane statt, eine Veränderung, die sich auf die gesamte
libidinöse und psychologische Haltung gegenüber den Objekten bezieht.
Die phallische Passivität beim Manne
35
III.
Wir haben noch die Stelle genauer festzulegen, an der das passive phallische
Stadium in die Libidoentwicklung und deren Störungen einzureihen ist. Der
von uns verwendete Ausdruck „Passivität“ bezieht sich auf die sexuellen
Ziele, die der Genitalfunktion dieser Epoche entsprechen, und darf daher nicht
mit dem allgemein im Sinne der weiblichen Passivität verwendeten Ausdruck
verwechselt werden. Das passive phallische Stadium tritt auch bei Knaben auf,
die sonst ein durchaus männliches, aggressives Sexualverhalten zeigen, und
deren Entwicklung schließlich die normale Männlichkeit erreicht. Die phal¬
lische Passivität scheint mir wenigstens beim Knaben ausschließlich erotischer
Natur und mit dem allgemeinen Verhalten der erogenen Zonen identisch zu
sein. Sekundär interferieren aber phallische Aktivität und Passivität einer¬
seits und Aggressivität und Masochismus andererseits, so daß die Ver¬
drängung der Aggression, hiebei durch den Beitrag des Masochismus verstärkt,
eine Regression der Genitalfunktion auf ein passives Verhalten herbeiführt.
Die Bedeutung des verdrängten Sadismus für die Pathogenese der ejaculatio
praecox , auf die schon Abraham hingewiesen hat, erklärt auch die Regression
auf die charakteristische phallische Passivität des Genitalverhaltens bei dieser
Störung. Auch in anderen Fällen, in welchen keine besondere Urethral¬
erotik zu dieser Leidensform prädisponiert, lassen sich sexuelle Potenzstörun¬
gen schematisch durch eine Regression auf ein Genitalverhalten mit passivem
Ziel darstellen.
Das klinische Bild der großen Mehrzahl von Männern mit Potenzstörung
beschränkt sich keineswegs auf die Hemmung der normalen Genitalität, son¬
dern zeigt sich auch darin, daß passiv gerichtete Genitalbefriedigungen beibe¬
halten werden oder von neuem auftreten.
Den pathogenen Hauptfaktor bildet aber beim Hervortreten von Störungen
der normalen genitalen Aktivität der Kastrationskomplex; er scheint in den
meisten Fällen den Ausschlag zu geben. Er hemmt die normale Genitalfunk¬
tion und erspart auch die passive Ausübung dieser Funktion.
Noch von einem anderen Gesichtspunkt aus scheint mir diese Zweiteilung
der phallischen Phase des Menschen eine Rolle zu spielen. Das Resultat einer
Anzahl Analysen läßt uns annehmen, daß durch die Fixierung an das passive
phallische Stadium möglicherweise eine Prädisposition zu einer bestimmten
Art von Homosexualität gegeben ist. Daraus erklärt sich dann auch, daß sich
die passive Homosexualität häufig lediglich auf genitale Befriedigung erstreckt
und daß ihr alle analen Wünsche und Befriedigungen fremd bleiben. Die
Wünsche dieser, man könnte sagen „phallischen“ Homosexuellen kulminieren
in Phantasien nach folgendem Schema: Ihr kleiner Penis wird von einem
großen Penis berührt, der einem geliebten Manne angehört. Diese Phantasie
stammt offensichtlich aus dem Wunsche eines umgekehrten, passiven Ödipus¬
komplexes, der somit der phallischen Passivität nahe verwandt zu sein scheint.
Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung 1
Von
Michael Balint
Budapest
Man kann die psychoanalytische Behandlung getrost als einen natürlichen
Entwicklungsgang im Patienten beschreiben. Wenn ich also nach dem Endziel
unserer Therapie frage, so meine ich nicht einen vorgeschriebenen Endzustand,
welcher aus irgendwelchen philosophischen, religiösen, moralischen, soziologi¬
schen oder auch biologischen Prämissen abgeleitet wurde und nunmehr for¬
dert, daß ein jeder Mensch nach seinem Muster zu „gesunden“ habe. Ich
frage vielmehr: Genügt schon unsere klinische Erfahrung, das Endziel oder
wenigstens die Schlußrichtung dieser natürlichen Entwicklung zu definieren?
Am brauchbarsten für diese Untersuchung ist eine bestimmte Art von
Fallen. Ich denke an solche Patienten, welche — wie der berühmte Wolfsmann
von Freud — die Analyse mit einem Teilresultat abschließen, um nach Jahren
die Behandlung eventuell bei einem anderen Analytiker fortzusetzen. Die
wieder aufgenommene Arbeit bietet eine sehr günstige Gelegenheit, die damals
nicht erledigten Hindernisse neuerlich zu untersuchen, und bringt eventuell
durch die Heilung auch den Beweis, daß die Gesundung damals tatsächlich an
diesen Hindernissen gescheitert war. 2
Ein solcher Fall hat mich zuerst vor das Problem gestellt, wodurch unsere
Patienten gesund werden, was das eigentliche Endziel der psychoanalytischen
Behandlung sei. Da der Fall sonst nichts Interessantes bietet, sei hier nur das
für unsere Fragestellung Wichtige mitgeteilt. Der Mann, gut in den Vierziger¬
jahren, in dessen Krankheitsbild ursprünglich die phobischen und die zwangs¬
neurotischen Züge im Vordergrund waren, hatte eine etwa vier Jahre lange,
gründliche Analyse schon durchgemacht. Als er nach einer Pause von zwei
weiteren Jahren seinen alten Analytiker nicht mehr erreichen konnte und zu
mir kam, war seine Neurose eher eine mittelschwere Konversionshysterie. Wir
arbeiteten noch etwa joo Stunden zusammen. Die Analyse ist seit mehr als
1) Vortrag, gehalten auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern
am 31. August 1934.
2) Ich glaube nämlich, daß die einfachen, glatt verlaufenden, ohne Komplikation gut
ausgehenden Falle nicht viel für unseren Zweck aussagen können. Erstens kann man in
diesen Pallen nie ganz sicher sein, ob unsere therapeutische Arbeit nicht einen uns noch
verborgenen Mechanismus bloß in Gang gesetzt habe und ob die Patienten nicht mit Hilfe
dieses uns unbekannten Vorganges gesund geworden sind. Zweitens geschieht es oft, daß
man nur das Ergebnis, nicht aber den Prozeß der Heilung beobachten konnte. Viel mehr
können wir aus den nicht glatt verlaufenden Analysen lernen. Erstens muß man da — not¬
gedrungen — mehr nachdenken; man merkt eben viel eher ein Problem bei einem schweren
ru u-j • 1 Sengenden Behandlungen. Und zweitens wird ein starres, unveränder-
liches Hindernis, an dem die Heilung scheitert, leichter bemerkt als die eventuell sehr feinen
Veränderungen, die schließlich die Gesundung herbeiführen.
Michael Bilint: Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung
37
zwei Jahren beendet und der Erfolg ist einer der besten meiner Praxis. Nun,
all dies wurde erreicht, ohne daß etwas nennenswert Neues aus dem Unbe¬
wußten zutage gefördert wurde. Alles war schon in der vorangehenden Analyse
teils erinnert, teils rekonstruiert worden und so trat während dieser getrost
sehr intensiv und auch erfolgreich zu nennenden Arbeitsperiode keine Ände¬
rung an dem dem Patienten bereits bekannten Bilde seines infantilen und
späteren Entwicklungsganges ein. Trotzdem wurde der Mann — ich kann es
ohne Übertreibung behaupten — in dieser Zeit geheilt.
Ich bemerke gleich, daß dieser Fall nicht der einzige ist. Im Gegenteil.
Seitdem ich an ihm gelernt habe, mich über diesen Vorgang zu wundern, habe
ich regelmäßig beobachten können, daß in allen genügend tief analysierten
Fällen die Endphase sich ähnlich gestaltet. In den letzten Monaten wird nur selten
neues Material bewußtgemacht, fast nie werden noch nicht gekannte, bisher
unbewußt gebliebene infantile Ereignisse zutage gefördert. Und trotzdem muß
etwas sehr Wichtiges in dieser Zeit mit unseren Patienten geschehen, waren sie
doch vor dieser Zeit noch krank und werden sie eben in dieser Zeit gesund. Ich
weiß, daß dies alles schon bekannt ist; eben diese Beobachtungen lieferten das
Material zum Begriffe des Durcharbeitens. Aber dieser Begriff, oder richtiger
die klinischen Tatsachen, welche diesen Begriff auf bauen, wurden nicht mit¬
verarbeitet, wenn verschiedene Forscher versuchten, das Ziel der psycho¬
analytischen Behandlung zu beschreiben. Daran kranken alle vorgeschlagenen
Deskriptionen.
Die eine Gruppe der Deskriptionen des Endzieles berücksichtigt nur die
strukturellen Veränderungen in der Seele, sie könnte die klassische heißen;
die andere Gruppe legt das Gewicht auf das Energetische, auf das Emotionelle
des Geschehens, sie könnte die romantische genannt werden. Alle Deskriptio¬
nen der ersten Gruppe stammen von Freud. Nach ihm wären die Ziele der
Behandlung: das Bewußtmachen des Unbewußten oder die Auf¬
hebung der infantilen Amnesie oder die Überwindung der Wider¬
stände. Die drei Deskriptionen sind synonym, fast gleichbedeutend. Nach
meiner Ansicht sind sie zu weit. Wie wir gesehen haben, wurde in dem ge¬
schilderten Falle von einem bestimmten Punkte der Kur an kein eigentlich
neues Material mehr zutage gefördert, konnte dem Bilde der frühkindlichen
Entwicklung nichts irgendwie Nennenswertes hinzugefügt werden und trotz¬
dem heilte die Neurose aus. Es ist anderseits allgemein bekannt, daß auch
analysierte Menschen noch träumen und die Traumanalyse auch bei ihnen auf
Widerstände stößt. Folglich verbleibt auch nach Beendigung der Analyse
wenigstens so viel in der Seele unbewußt, als zur Traumbildung notwendig ist,
und genug Widerstand unerledigt, daß er eine Traumanalyse erheblich stören
kann. Sicher haben auch andere die Erfahrung gemacht, daß nach einer tat¬
sächlich beendeten Analyse von den Patienten nach langen Monaten, eventuell
nach Jahren, Stücke ihrer infantilen Geschichte plötzlich erinnert werden.
Michael Balint
38
öfters haben wir sie bereits in der Analyse rekonstruieren können, so daß
diese plötzlich auftauchende Erinnerung nur eine Bestätigung der analytischen
Arbeit ist; manchmal aber bringen diese Stücke nie vermutetes, in der Analyse
nicht verwertetes Material, das sich zwar gut in das erhaltene Bild fügt, aber
trotzdem ganz neu ist. Diese drei Deskriptionen des Endzieles der Kur be¬
stehen also, in der Sprache der Mathematik ausgedrückt, aus Merkmalen,
welche weder notwendig noch hinreichend sind.
Nun wenden wir uns zu der zweiten Gruppe der Beschreibungen. Sie alle
sind eigentlich Umschreibungen oder Präzisierungen der alten Deskription,
welche noch aus der Zeit der Katharsis stammt. Nach dieser wäre das Endziel
unserer therapeutischen Bestrebungen: „das Abreagieren der einge¬
klemmten Affekte“. Dies ist ohne Zweifel richtig, nur zu allgemein ge¬
halten. Wir kennen noch kein Zeichen dafür, daß alle eingeklemmten Affekte
tatsächlich bereits erledigt seien, bzw. ob die schon erledigten für die Heilung
zureichen. Seit der theoretischen Klärung des Wiederholungsmomentes wur¬
den nicht wenige Versuche unternommen, dieses Kriterium der Erledigung
genauer anzugeben. Ferenczi und Rank beschrieben als Ziel: „die volle
Reproduktion der Ödipusrelation im analytischen Erlebnis“. 3 '
Seitdem wir wissen, wie kompliziert die frühinfantile Ödipusrelation ist, er¬
scheint uns auch diese Deskription, die zweifellos einen großen Fortschritt be¬
deutet, als zu enge. Rank forderte dann als Endziel: „das Abreagieren des
Geburtstraumas“ (Das Trauma der Geburt, Wien, 1924). Über den Wert
und den Fehler dieses Satzes wurde schon so viel geschrieben, daß eine neuer¬
liche Kritik wohl überflüssig ist. V. Koväcs’ Formulierung „Die Abwick¬
lung des Wiederholungsmomentes“ 4 betont, gegenüber den zwei vor¬
hergehenden, die Dynamik des Heilungsvorganges, ist aber noch immer zu
allgemein gehalten. W. Reich 5 kommt mit seiner Kritik fast zu denselben
Resultaten wie ich, er gibt aber als Endziel an: „das Erreichen der vollen
Genitalität, der orgastischen Potenz“. Dies ist zum Teil richtig;
keiner ist ein gesunder Mensch, dem die Fähigkeit zum regelmäßigen periodi¬
schen Orgasmus fehlt. Wenn ich Reich richtig verstanden habe, sucht er aber
die Erklärung für die tatsächlich vorkommenden Fälle, welche trotz tief¬
gehender Analyse die orgastische Potenz nicht erreichen konnten, bei dem
unklaren Begriff der Konstitution. Andererseits haben wohl die meisten unter
uns mehr als einen Menschen gesehen, sogar analytisch beobachten können,
welcher trotz vollkommener orgastischer Potenz ziemlich schwer neur-
otisch war.
Da die bisher vorgeschlagenen Deskriptionen uns nicht ganz zufriedenstellen
konnten, sei es mir erlaubt, auf Grund der Einsichten, welche ich in Wiesbaden
• 3) Entwicklungsziele der Psychoanalyse, Wien, 1924, S. 54/55
4) Int. Zeitschr. f. Psa., XVII, 1931.
5) Charakteranalyse, Wien, 1933.
- Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung 39
vorgetragen habe, 6 diese Frage zu diskutieren. Ich habe regelmäßig beobachten
können, daß in der Endphase der Behandlung die Patienten beginnen, längst
vergessene infantile Triebwünsche zu äußern und deren Befriedigung von der
Umwelt zu fordern. Diese Wünsche werden zuerst nur schwach angedeutet,
oft verursacht ihre Erscheinung Widerwillen, sogar heftige Angst. Erst nach
Überwindung mancher Schwierigkeiten, sehr langsam, werden sie offen ein¬
gestanden, noch später ihre Befriedigung lustvoll erlebt. Ich nannte dieses
Phänomen Neubeginn und glaube festgestellt zu haben, daß er in allen ge¬
nügend tiefgehenden Analysen, und zwar gerade vor der Beendigung vor¬
kommt und sogar einen wesentlichen Mechanismus der Heilung bildet.
Nun zur Kritik. Erstens — wie ich schon in Wiesbaden erwähnte — ge¬
nügt fast nie ein einzelner Neubeginn. Anderseits muß der Patient nicht alle
seine früher wertvollen Triebwünsche neubeginnen. Auch nach Beendigung
der Analyse können Triebe verbleiben, deren Befriedigung keinen Genuß mit
sich bringt, sondern sogar Unlust verursacht.
Es entsteht nun eine Menge technischer Fragen. Gesetzt, wir hätten mit dem
Neubeginn ein wichtiges Kriterium der Beendigung der Behandlung in unserer
Hand, dann möchte man wissen, wieviel solcher Schübe vom Neubeginn not¬
wendig und zureichend sind. Weiter: Auf welchen Triebgebieten wäre der
Neubeginn obligat, auf welchen zufällig und schließlich: auf welchen über¬
flüssig? Ich kann auf keine dieser Fragen antworten und schlage deshalb vor,
den Neubeginn näher zu untersuchen; vielleicht werden wir dann zur Ein¬
sicht kommen, daß die oben gestellten Fragen, so wichtig sie uns jetzt er¬
scheinen mögen, nicht aus der Natur der Sache stammen und deshalb un¬
beantwortbar sind. Da all diese Erscheinungen erst in der letzten Phase einer
Behandlung zum Vorschein kommen, und leider nicht wenige Analysen aus
praktischen Gründen noch vor Erreichen dieser Phase abgebrochen werden
müssen, so ist es natürlich, daß es einige Zeit gedauert hat, bis mir eine be¬
deutsame Eigenschaft dieser neubegonnenen lustvollen Aktivitäten auffiel: Sie
sind ohne Ausnahme objektgerichtet. Diese Erfahrung wunderte
mich nicht wenig. Nach unserer heute allgemein angenommenen Theorie ist
die primitivste, ursprünglichste Phase der Libido autoerotisch. Ich versuchte
mich aus der theoretischen Klemme zu retten, indem ich mir vorhielt, dies
müsse so sein, werden doch die noch früheren Phasen der Libidoentwicklung
(Autoerotismus, Narzißmus) in der Mittelphase der Kur erledigt. Natürlich
bleibt dann die Überführung der Libido in die Objektrelationen als Aufgabe
für die Endphase.
Ich blieb aber unbefriedigt. Sowohl die verwirklichten Aktivitäten wie
auch die Phantasien in dieser Neubeginnperiode waren so kindisch, so selbst¬
verständlich, so absolut unproblematisch, daß es mir einfach nicht möglich
war, sie als abschließende Glieder einer komplizierten Entwicklungskette vor-
6 ) Int. Zeitschr. f. Psa., XX, 1934.
40
Michael Bälint
zustellen. Und weitergehend, es ist uns längst bekannt, daß in der analytischen
Behandlung eben die zutiefst verborgenen, die primitivsten Schichten zuletzt
zutage gefördert werden. Dazu kam noch eine sich immer wiederholende Be¬
obachtung. Wie ich in Wiesbaden schon betont habe, folgt auf die erste
meistens sehr schüchtern durchgeführte Probebehandlung regelmäßig eine leiden¬
schaftliche Phase. Die Patienten werden wie von einer Sucht befallen. Tage-
ang können sie einfach nichts anderes tun, als diese neubegonnenen lustvollen
Handlungen fortwährend zu wiederholen oder wenigstens über sie zu phanta¬
sieren. Dies ist eine gefährliche Situation für die Fortsetzung. Die Patienten sind
meistens so glücklich, daß sie sich selbst — und ich muß bekennen, anfangs
auch mich betrügen konnten. Sie fühlen sich übergesund und einige be¬
nutzten dies, um mit meiner Einwilligung die Kur abzubrechen. Dieser Zu¬
stand der leidenschaftlichen, suchtartigen Glückseligkeit ist aber nicht von
Dauer. Wie ich von einer zurückgekehrten, psychologisch feinfühligen Pa-
^jclern, halae ’ artet er in mamer weitergehende Forderungen aus, welche
schließlich von keinem realen Objekt mehr befriedigt werden können. Das
Ende ist ein erstarkter Narzißmus mit Selbstüberheblichkeit, Wichtigmacherei,
in die Augen springender Interessiertheit usw., verdeckt durch Scheinhöflich-
keit und unwahre Bescheidenheit. (Vielleicht gibt dies eine Erklärung für das *
sehr ähnliche Benehmen der wirklich Süchtigen.)
Falls aber Patient und Analytiker durchhalten, so flaut dieses leidenschaft¬
liche Stadium ab und an seiner Stelle entwickelt sich vor unseren Augen eine
wahre, der Realität angepaßte Objektbeziehung. Also zusammengefaßt: zuerst
eine unverkennbare primitiv-infantile Objektbeziehung, welche - wenn nicht
richtig verstanden und behandelt — in unerfüllbaren Forderungen und in
einem für die Umgebung sehr unangenehmen narzißtischen Stadium endet
— wenn aber richtig geleitet, einer der Realität angepaßten, sowohl für den
Menschen wie auch für seine Umgebung konfliktlosen Beziehung Platz macht.
Diese Beobachtungen vertragen sich sehr schlecht mit dem üblichen Schema
der analytischen Libidotheorie, nach welchem die Autoerotik der Urzustand
der Sexualität sein soll. Den Ausweg kann nur ein theoretisches Bild eröffnen,
welches sowohl die bisherige, auf unzählige klinische Tatsachen fundierte
Libidoentwicklungstheorie, wie auch diese Beobachtungen gleichzeitig zu er¬
klären vermag. Diesen Ausweg fand ich nicht nur angedeutet, sondern für ein
beträchtliches Stück schon ausgebaut bei Ferenczi.
Er beschrieb in seiner Lieblingsarbeit — in der Genitaltheorie — ein Ge¬
schehen, das er die Entwicklung des erotischen Realitätssinnes nannte. Er
stellte dort drei Stufen auf, deren Endziel immer dasselbe bleibt und die sich
nur dann unterscheiden, daß sie das gemeinsame Endziel auf verschiedenen,
der Realität sich immer besser anpassenden Wegen zu erreichen trachten. Das
Endziel ist die Wiederkehr in den Mutterleib (nach Ferenczi das Urziel aller
menschlichen Geschlechtlichkeit) und die drei Stufen: die passive Objektliebe,
—--- ‘ Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung 41
die autoplastische oder Masturbationsphase und schließlich die alloplastische
Phase oder, wie ich es nennen möchte: die aktive Objektliebe.
Das für unser Problem Wichtige ist, daß das Kind, wie es Ferenczi öfters
hervorgehoben hat, von Uranfang an in einer libidinösen Objektrelation
lebt und ohne diese libidinöse Objektrelation einfach lebensunfähig ist; nur
ist diese Relation passiv. Es liebt nicht, sondern es wird geliebt. Eine
Zeitlang kann die pflegende Außenwelt seine Bedürfnisse erfüllen; werden
aber diese mit zunehmendem Alter gewaltiger, zahlreicher, immer schwie¬
riger erfüllbar, so muß einmal die reale Versagung kommen. Das Kind ant¬
wortet darauf mit wohlbegründetem Haß und Aggressivität und mit Abwen¬
dung von der Realität, d. h. Introversion seiner Liebe. Falls die Erziehung
dieser Richtungsänderung nicht entgegenarbeitet, d. h. nicht mit genügender
Liebe das Kind an die Realität zu binden trachtet, so folgt die Periode der
autoerotischen Unterbringung der Libido, die Periode der verschiedenen
Selbstbefriedigungen, der trotzigen Selbstgenügsamkeit. Meiner Ansicht nach
sind vor allem die ,,anal-sadistische und die „phallische Phase , d. h. die be¬
obachteten Objektbeziehungen, welche unter diesen Begriffen theoretisch zu¬
sammengefaßt werden, Kunstprodukte. Sie stellen nicht Stufen, oder auch nur
Punkte der normalen Entwicklung der psychosexuellen Beziehungen zur Um¬
welt dar, sie sind überhaupt keine normalen Erscheinungen, sondern deuten,
wo sie beobachtet werden können, auf eine erheblich gestörte Entwicklung.
Sie sind Zeichen einer ziemlich scharfen Knickung der normalen psycho¬
sexuellen Relation zur Umwelt, hervor gerufen durch konsequent durchge¬
führte, inadäquate Umweltseinflüsse, vor allem durch unverständige Er¬
ziehungsmaßnahmen.
Weitere Beweise dieser verwegen erscheinenden Behauptung habe ich in
unserer Zweigvereinigung in Budapest bereits vorgetragen und hoffe, sie in
einer besonderen Arbeit bald publizieren zu können. Hier will ich nur zwei
Sätze von Freud zitieren. Er führt in den Vorlesungen aus, daß manche Par¬
tialtriebe der Sexualität — wie z. B. der Sadismus — von vornherein ein Ob¬
jekt besitzen. Er setzt fort: „Andere, die deutlicher an bestimmte erogene
Körperzonen geknüpft sind, haben es nur im Anfang, solange sie sich noch an
die nichtsexuellen Funktionen anlehnen, und geben es auf, wenn sie sich von
diesen loslösen.“ Gemeint ist die Oralerotik. Der andere Satz lautet: „Der
orale Trieb wird autoerotisch, wie es die analen und die anderen ero-
genen Triebe von vornherein sind. Die weitere Entwicklung hat, um es aufs
knappste auszudrücken, zwei Ziele: erstens den Autoerotismus zu verlassen,
das Objekt am eigenen Körper wiederum gegen ein fremdes zu ver¬
tauschen.“ 7 ... Das Weitere gehört nicht zu unserem Thema. Hier ist klipp
und klar ausgedrückt, daß der orale Trieb, welcher bis jetzt sozusagen als
Musterbeispiel des Autoerotismus in den theoretischen Erwägungen fungierte,
7) Ges. Sehr., Bd. VII, S. 340 (die Sperrungen von mir).
42
Michael Balint
zu allererst eine Objektbeziehung durchmacht. Was in meinem Budapester
Vortrag neu war ist der Versuch, eine Theorie auszubilden, welche auch
diese allgemein bekannte, aber nie ausgewertete Tatsache mitberücksichtigt . 8
Nach dieser Theorie wären alle Triebe, auch die von Anfang an sogenann¬
ten autoerotischen, ursprünglich objektgebunden. Diese primitive Objektbe¬
ziehung wäre immer passiver Art. Dieser passive Urzweck der menschlichen
Sexualität — das Befnedigtwerdenwollen oder das Geliebtwerdenwollen —
wir zeit e ens beibehalten. Die Realität, die unvermeidliche äußere Ver¬
sagung, zwingt dem Menschen Umwege auf, und er muß mit diesen vorlieb-
nehmen. Der eine Umweg wäre die Autoerotik, der Narzißmus; wenn die
Welt mich nicht genügend befriedigt, nicht genügend liebt, so muß ich midh
se st e riedigen, selbst lieben. Der andere Umweg ist die aktive Objektliebe;
diese erreicht den ursprünglichen Zweck schon besser, aber durch Opfer. Wir
heben, befriedigen unseren Partner (dies ist das Opfer), um endlich durch ihn
wiedergeliebt, befriedigt zu werden.
Falls dies alles wahr ist, dann versteht es sich von selbst, daß aller Neu¬
beginn in der Objektrelation zu geschehen hat. Die eine Ursache der Neurose
wr-T m f r - dl a- reale Versa § un S- Gewöhnlich unterschätzt der Analytiker die •
Wichtigkeit dieser Ursache, wird doch der Gegenpart der ätiologischen Er-
ganzungsreihe, der endogene Faktor, durch die Analyse immer wieder in den
Vordergrund gedrängt. Woran wir monate-, sogar jahrelang arbeiten, das sind
die strukturellen Fehler der Seele, die zerrissenen Zusammenhänge, die bewußt-
seinsunfahig gewordenen seelischen Inhalte. Aber eines sollten wir nicht ver-
gessen daß all diese Fehlentwicklung, welche wir unter dem Sammelnamen
„das Verdrängte zusammenfassen, ursprünglich durch äußere Einwirkung in
Rellü-f US l! nd A?Tu Sen L WUrde ‘ ° aS heißt > CS gibt keine Verdrängung ohne
Realität, ohne Objektbeziehung. Es ist ein bleibendes Verdienst Ferenczis,
daß er in den Jahren der sogenannten ichpsychologischen Richtung, der Er¬
forschung der seelischen Struktur, nie müde wurde, die Wichtigkeit der
äußeren Faktoren immer wieder hervorzuheben.
Wie notwendig dies war und noch immer ist, will ich an einem einzigen
Beispiel zeigen, und zwar sei unter sehr vielen gerade ein Werk gewählt, das
mik gut vertragen kann, wurden doch seine vorzüglichen Eigenschaften ganz
algemein anerkannt. Es ist die gedankenreiche Arbeit von Melanie Klein
die „Psychoanalyse des Kindes“. ’
Schlagen wir das Sachregister dieses Buches auf, so suchen wir vergebens
folgende Stichworte: verständnislose Erziehung, Sadismus der Eltern, Lieb-
osigkeit, Flarte, Verzärtelung, Liebesbedürftigkeit u. dgl. m . Merkwürdig
Realitätssinn'^von Alice ^ A ,^ elt: ” Dle , Entwicklung der Liebesfähigkeit und der
Budapest rou) ; n wel V, a j•* n \ ( ln _ ungarischer Sprache: „Lelekelemzesi tanulmanyok“,
denselben’ Resultaten gekommen ist“ 10 "" “““* ^ bereitS VOr mk fast zu
Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung 43
genug, fehlt auch das Wort Liebe. 9 (Dieses Wort fehlt auch im Sachregister von
Fe n ich eis „Hysterie und Zwangsneurose“.) Dem entspricht ein anderer Zug
des Buches: die Hervorhebung des strukturellen Faktors und der angeborenen
Konstitution. Um nur ein Beispiel zu geben: Überall im Buch (übrigens auch
im Luzerner Kongreßvortrag) ist die Rede von den abgespaltenen „guten“ und
bösen“ Mutterimagines, welche das Kind mit dem Zweck bildet, ein
Objekt für seinen konstitutionell verstärkten Sadismus immer bereitzuhalten.
Selbstverständlich fürchtet es sich nun vor der Rache der gehaßten und von
ihm mißhandelten „bösen“ Imagines. Könnte das vielleicht nicht so darge¬
stellt werden, daß die Eltern in den Augen des Kindes launenhafte Wesen sind,
welche unberechenbar, manchmal bös und manchmal gut zu ihm sind?
Und je neurotischer das Verhalten der Eltern, desto schwieriger die Aufgabe
der Anpassung für das Kind, welches schließlich keinen anderen Weg hat, als
z. B. die Mutter als zwei grundverschiedene Wesen zu behandeln. Manchmal
ist die „Fee“ da und manchmal die „Hexe“. Die Furcht vor der Rache würde
sich dann als realbedingte Furcht entpuppen und der „konstitutionell“ starke
Sadismus als Effekt einer verständnislosen Erziehung. Daß etwas an meiner
Annahme wahr ist, zeigt eben der Erfolg der Frühanalysen. Durch die ver¬
ständnisvolle Erziehung seitens einer nicht neurotisch sich benehmenden
Mutterimago — ich denke dabei an Frau Klein — wird dem Kind der Weg
zur Anpassung geöffnet. Ich meine also, es wäre schade, bei den Struktur¬
fehlern der Seele haltzumachen, unser Weg kann uns noch weiterführen, und
zwar zu den Erziehungsfehlern — oder wie es Ferenczi 10 in seinem Wies¬
badener Vortrag ausdrückte, zur „Sprachverwirrung zwischen den Erwach¬
senen und dem Kinde“.
Nun können wir auch verstehen, warum die Frage nach der notwendigen
Anzahl und nach der Herkunft der neubegonnenen Befriedigungen sich als un¬
beantwortbar herausstellte. Die Frage stammte eben aus unserer schematisch ge¬
wordenen Denkweise und nicht aus der Natur der Sache. Nicht einzelne Par¬
tialtriebe müssen neubegonnen werden, sondern die Objektliebe selbst.
Mit Hilfe der hier vorgebrachten Überlegungen glaube ich, das Endziel der
psychoanalytischen Behandlung genauer formulieren zu können. Der Mensch
wird krank, weil die Umgebung ihn von seiner Kindheit an mehr-minder ver¬
ständnislos behandelt hat. Ihm wurden Befriedigungen versagt, welche ihm
notwendig waren, hingegen solche aufgedrungen, welche ihm überflüssig,
nebensächlich, sogar schädlich waren. Auch seine Seele mußte sich vor dem
äußeren Zwang beugen; sie hatte verschiedene Strukturen zu bilden, vor
allem jene, welche wir das Uber-Ich nennen, um ihn vor Konflikten mit
seiner Realität automatisch zu schützen. Er kommt zu uns, wir studieren in
?) Alle diese Themen sind selbstverständlich im Buche besprochen. Daß sie im Sach¬
register fehlen, ist aber als wichtige Symptomhandlung zu bewerten.
10) Int. Zeitschr. f. Psa., XIX, 1933.
44
Michael Bjilint
gemeinsamer Arbeit seine biologische und psychische Struktur und versuchen
diese mit seiner Geschichte und Urgeschichte in Zusammenhang zu bringen.
Schließlich versteht er seine eigene Natur und auch den langen, immer leid¬
vollen Vorgang, wodurch er zu dem ihm bekannten Menschen herangebildet
wurde. Bei manchen Menschen, die nicht zu schwer in ihrer Objektbeziehung
geschädigt wurden, genügt die Erleichterung, welche das Bewußtwerden und die
dadurch ermöglichte bessere Kontrolle ihrer Handlungen und die erweiterte
Genußfähigkeit mit sich bringen; sie werden mit dem Fortschreiten der Arbeit
angsam, fast unbemerkt gesund. Bei ihnen fehlt die eigentliche Endphase der
Behandlung oder sie ist höchstens angedeutet.
Bei den anderen aber, welche schwer unter der „Sprachverwirrung“ zu
eiden hatten, deren Liebesfähigkeit durch verständnislose Erziehung künstlich
ganz verkrüppelt wurde, stellt sich zuletzt eine ganz eigenartige Situation ein.
Ies dreht sich um einen Entschluß. Soll man alles erlittene Leid ad acta tun,
endgültig mit der Vergangenheit abrechnen und schließlich versuchen, aus dem
noch bevorstehenden Leben das Mögliche herauszuholen? Dieser Entschluß,
das Lieben wahrlich neuzubeginnen, ist alles andere als leicht. Der Analytiker
ann hier viel helfen. Schon das richtige Deuten ist wichtig; bekundet er da- ,
durch doch, daß er seinen Schutzbefohlenen versteht, also nicht wie einst ver¬
ständnislos behandeln will. Das Wichtigste aber ist hier, daß man die schüch¬
ternen, oft nur äußerst schwach angedeuteten Versuche zum Neubeginn der
Objektbeziehung bemerkt und sie nicht verscheucht. Man soll nie vergessen,
daß die Anfänge der Objektlibido passive Ziele verfolgen und erst durch das
ta tvolle, im wahrsten Sinne des Wortes „liebenswürdige“ Benehmen des Ob¬
jektes zur Entfaltung zu bringen sind. Auch später muß man diese neube¬
gonnenen Beziehungen schonend behandeln, damit sie den Weg zur Realität,
zur aktiven Liebe finden.
Leider will dieser Entschluß zum Neubeginn der Liebe nicht einem jeden
gelingen. Es gibt Menschen, welche nicht verzichten können, von der ganzen
Welt immer neuen Schadenersatz für all das zu fordern, was gegen sie je ge¬
sündigt wurde, welche zwar wissen, daß dieses Trachten zwanghaft, heute
schon irreal, bloß übertragen ist, und trotzdem nicht davon ablassen können,
welche nur geliebt werden wollen und nicht Liebe geben können. Ich bin
nicht oft, aber doch einige Male mit Patienten auf diesen Punkt gelangt, von
wo sie nicht weiterzubewegen waren. Diese ganz wenigen Fälle, die zwar we¬
sentlich gebessert werden konnten, die ich aber nicht zu heilen vermochte,
zwangen mich, die Grenzen meines therapeutischen Könnens einzusehen. Mit
meiner heutigen Technik kann ich nur solche Leute ganz heilen, welche im
Laufe der analytischen Arbeit die Fähigkeit erwerben können, das Lieben ver¬
suchsweise neuzubeginnen. Wie auch den wenigen anderen zu helfen wäre,
sehe ich heute noch nicht. Aber ich glaube nicht, daß wir unsere Waffen vor
den konstitutionellen Faktoren schon zu strecken haben. Ferenczi pflegte
Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung
45
immer zu sagen: Solange ein Patient willig ist, die Kur fortzusetzen, muß ein
Weg gefunden werden, ihm zu helfen. Wer seine Arbeitsweise kannte, weiß,
daß dies für ihn keine leere Phrase war. Er hat sehr vieles versucht; es ist ihm
auch gelungen, vielen zu helfen, welche schon als hoffnungslos aufgegeben
waren. Leider nicht allen. Das alte Sprichwort hat sich wieder bewahrheitet:
ars longa, vita brevis est. Es ist die Pflicht der Schüler, die begonnene Arbeit
des Meisters fortzusetzen.
Ich bin am Ende meines Vortrages. Ich glaube gezeigt zu haben, daß es ein¬
seitig war, unsere Theorie, unsere Denkweise hauptsächlich auf strukturelle
Erwägungen und auf die Triebkonstitution zu basieren. Ohne die großen Er¬
rungenschaften dieser Forschungsrichtungen zu schmälern, wollte ich darauf
hinweisen, daß das in den letzten Jahren arg vernachlässigte Studium der liebe¬
vollen Objektrelationen vieles zum Verständnis der menschlichen Seele und
zur Verbesserung unseres therapeutischen Könnens beitragen kann. Meiner
Ansicht nach spukt heutzutage zu viel konstitutionell bedingter Sadismus und
Masochismus in der analytischen Theoretik; die Devise meines Vortrages
würde also lauten: Weniger Sadismus und mehr Liebe.
Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen
Therapie 1
Von
Melitta Schmideterg
London
Jede Psychotherapie stützt sich auf die spontanen Selbstheilungstendenzen
es Individuums. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Methoden kommen
adurch zustande, daß sie sich verschiedener Selbstheilungstendenzen bedienen
und diese in verschiedenem Sinne lenken und korrigieren.
Der Psychotherapeut vermag sich zeitweise an Stelle des Über-Ichs zu
setzen, indem er eine Situation herbeiführt, in der er allein Schutz gegen die
Angst bietet. In der Hypnose z. B. wird die kindliche Schlafsituation herge-
ste t und dadurch der nie fehlende Pavor nocturnus aktiviert. Der Hypnoti¬
seur übernimmt die Rolle der Eltern, die allein gegen die irreale nächtliche
Angst schützten. Dieser Schutz wird durch völlige Unterwerfung, die maso¬
chistisch libidinisiert wird, erkauft. *
Begnügt sich der Psychotherapeut damit, die Angst durch die Beziehung zu
sich zu binden, so wird die Neurose nach Abbruch der Beziehung wieder
manifest. Nachhaltigere Erfolge erzielt er nur, wenn er seine Macht dazu be¬
nutzt, um im psychischen Haushalt eine Umschichtung vorzunehmen, indem
er z. B. den Patienten seine Symptome gegen andere, weniger störende ver¬
tauschen läßt oder ihm geeignete Mittel zur Bewältigung der Angst und des
Schuldgefühls bietet. Diese Heilvorgänge beruhen auf zwangsneurotischen und
phobischen Mechanismen.
Der Psychotherapeut kann ferner in den Verdrängungskampf eingreifen und
durch Unterdrückung von Symptomen oder erfolgreichere Verdrängung von
störenden Triebregungen eine bessere Anpassung erzielen. Er kann auch ver¬
suchen, den Verdrängungskampf im Sinne der Triebfreiheit zu entscheiden,
sei es durch Förderung der spontanen Tendenz zur Abreaktion und Projektion
(durch Anregen des Spielens, des freien Phantasierens und Aussprechens, durch
die kathartische Methode usw.), sei es durch Gestatten von verpönten Trieb-
regungen. Dies kann auf direktem Wege durch das Erlauben von bewußten,
aber verurteilten Regungen, die Abkömmlinge tiefer verdrängter Impulse dar¬
stellen, erfolgen. Der Kern des Verdrängten kann aber auf diese Weise nicht
beeinflußt werden. Indirekt können durch Scherze, Vergleiche, Märchen usw.
in mehr oder minder verhüllter Form vorbewußte Regungen gestattet wer¬
den; dies wird nur dann erfolgreich sein, wenn es sich um eine dem Ich näher-
stehende Regung hand elt und der Verdrängungskampf um diese Regung noch
Vortrag, gehalten am 31. August 1934 auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen
Kongreß in Luzern.
Melitta Schmideberg: Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen Therapie 47
nicht entschieden ist. Während der Analytiker den Wiederaufbau der durch
die Verdrängung zerstörten Assoziationsbrücken systematisch anstrebt, um den
Widerstand überwindend in die Tiefe zu dringen, errät ein guter Psychothera¬
peut intuitiv solche Assoziationsbrücken und verwendet sie zur Lockerung der
Verdrängung.
Die Tendenz solcher psychotherapeutischer Maßnahmen, die, gestützt auf
die Autorität des Therapeuten, die Verdrängung zu lockern suchen (und hieher
ist auch die „Symptomanalyse“ zu rechnen), entspricht den Zielen der Analyse,
unterscheidet sich aber von ihr dadurch, daß sie die Analyse des Widerstandes
und der Übertragungssituation vermeidet. Dies bestimmt die Grenzen ihrer
Wirksamkeit: sie darf nur so weit Vordringen, als sie es vermag, ohne Wider¬
stand zu erregen, der sich als Ablehnung der Behandlung, Angst oder Ver¬
schlimmerung des Zustandes äußern würde. Es scheint mir unwahrscheinlich,
daß man ohne tiefgehende Analyse, d. h. ohne wirkliche Modifizierung des
Über-Ichs, Triebfreiheit in einer Hinsicht geben kann, ohne das Über-Ich durch
verstärkte Triebunterdrückung auf andern Gebieten zu versöhnen. 2
Die immer vorhandene Neigung zum freien Assoziieren entspringt dem
Streben, die innere Spannung zu verringern, Unlustvolles in die Außenwelt zu
projizieren. Der Projektion liegt, wie wir wissen, 3 die Tendenz zugrunde, sich
von Bösem zu befreien. Aber meiner Ansicht nach bildet der Wunsch, gelieb¬
ten Personen etwas Gutes zu geben, ein weiteres Motiv hiezu, wie es sich am
deutlichsten beim künstlerischen Schaffen, beim Sprechen usw., in der Analyse
im Wunsche, den Analytiker zu befriedigen, äußert. Beim physiologischen
Vorbild der Projektion, dem Defäzieren, lassen sich diese beiden Tendenzen
gut beobachten.
Es besteht immer eine Neigung zum freien Assoziieren, die aber durch die
Realität gehemmt wird. Im Spiel, Witz, Tagtraum, in der Analyse werden
verpönte Regungen bis zu einem gewissen Grade geäußert, weil sie als unwirk¬
lich angesehen werden und deshalb weniger Angst und Schuldgefühl hervor-
rufen. Doch die dem freien Assoziieren durch das Über-Ich gesetzten Grenzen
können nur durch die Deutung überwunden werden.
Die Deutung, die dem Ich verdrängte, aber bewußtseinsnahe Regungen ge¬
stattet, bewirkt zufolge der Ersparnis an Verdrängungsaufwand eine Erleich¬
terung. Hierin besteht ihre ökonomische Wirkung. Die durch die Deutung
bewirkte Ersparnis an Verdrängungsaufwand und Spannung kann ähnliche
Lust gewähren wie ein Witz. Mit dieser Auffassung stehe ich in Gegensatz zu
Tausk 4 , der in der Lust die Ursache und nicht die Folge des Aufhebens von
Verdrängungsaufwand sieht.
2) Siehe ausführlicher S. 53 u. 54.
3) Freud: Triebe und Triebschicksale, Ges. Sehr., Bd. V.
4) Tausk: Entwertung des Verdrängungsmotivs durch Rekompense
I, 1913, S. 230.
Int. Ztschr. f. Psa.,
48 Melitta Schmideberg
Der topische Vorgang der Deutung wurde von Freud beschrieben. 5
Durch Verbindung mit vorbewußten Mittelgliedern, insbesondere mit Wort¬
vorstellungen, wird Unbewußtes bewußt. Durch Verknüpfung von Affekt und
Vorstellung, von Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Phantasie, der
verschiedensten Vorstellungsinhalte und Tendenzen arbeitet die Deutung den
zwangsneurotischen Isolierungsmechanismen entgegen und gibt der spontanen
Neigung der Psyche zur Synthese 6 die Möglichkeit, sich freier zu entfalten.
Die durch die Verdrängung zerstörten Assoziationsbrücken werden wieder
aufgebaut (Sachs), 7 aber auch neue Assoziationsbrücken werden geschaffen.
Dadurch fördert die Analyse die Entwicklung des Vorbewußten. Dieser Vor¬
gang ist von großer therapeutischer Bedeutung. Unbewußte Regungen yer-
mögen nur nach Passage des Vorbewußten bewußtseinsfähig zu werden; treten
sie ohne Vermittlung des Vorbewußten ins Bewußtsein, wie es sich in der
Psychose ereignet, so werden sie als unerträglich empfunden. Einen direkten
Zusammenhang zwischen dem Bewußten und Unbewußten stellen die Empfin¬
dungen 8 und die Symbolik dar. Darum bieten symbolische Deutungen, die die
Empfindungen berücksichtigen, einen direkten Zugang zum Unbewußten, der
besonders bei Patienten mit nur mangelhaft entwickeltem Vorbewußten v
(kleinen Kindern, Psychotikern usw.) wertvoll ist.
Die dynamische Wirkung der Deutung besteht darin, daß sie durch
Verstärkung der entgegengesetzten Regungen eine Triebentmischung hervor¬
ruft. Ein kleiner Junge z. B. entwickelte als Reaktion auf die Deutung der in
der Enuresis enthaltenen Beschmutzungs- und Reinigungstendenzen vorüber¬
gehend einen Waschzwang und Inkontinenz. Die passagere Triebentmischung
ermöglicht die Verschiebung von Triebenergie und ist die Voraussetzung für
eine Modifizierung der Triebregungen und somit für jede tiefere Änderung.
Dadurch, daß vorher ichgerechten Symptomen und Charakterzügen Libido
entzogen wird, werden sie erst objektiviert und in Gegensatz zum Ich ge¬
stellt und so der sekundäre Krankheitsgewinn rückgängig gemacht. Diese Li¬
bidoverschiebung wird vom Ich des Patienten reguliert, das aber durch diesen
Prozeß selbst weitgehend verändert wird. Das Ich will die Libido ichgerechten
Interessen zuführen und ist bestrebt, hiebei zugleich sein Ich-Ideal, die Wer¬
tungen der Umgebung, die Anforderungen der Realität und das Drängen der
Triebe zu berücksichtigen. Es wird hierin um so erfolgreicher sein, je mehr
durch Verringerung der Angst zwanghafte Libidinisierungen rückgängig ge¬
macht werden.
Die aktive Therapie Ferenczis begnügt sich nicht mit der durch die
5) Freud: Das Ich und das Es. Ges. Sehr., Bd. VI, S. 365.
6 ) Freud: Das Ich und das Es. Ges, Sehr., Bd. VI. Nunberg: Die synthetische Funk¬
tion des Ich. Int. Ztschr. £. Psa., XVI, 1930, S. 301.
7) Sachs: Metapsychologische Gesichtspunkte zur Wechselbeziehung zwischen Theorie
und Technik in der Psychoanalyse. Int. Ztschr. f. Psa., XI, 1925, S. 150.
8) Freud : Das Ich und das Es. Ges. Sehr., Bd. VI, S. 3 66 .
Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen Therapie
49
Deutungsarbeit erzielten passageren Triebentmischung, sondern versucht sie
durch „aktive Maßnahmen“ zu verstärken und zu beschleunigen. Die Nach¬
teile einer zu intensiven passageren Triebentmischung sind, daß die passageren
Symptome, insbesondere Angst, in heftiger Form auftreten und es zu stär¬
kerem Agieren kommt. Sie kann aber auch eine vermehrte Verdrängung be¬
wirken, denn wenn die so aktivierten unbewußten Regungen „überdosiert“
und unerträglich werden, erwehrt sich der Patient ihrer durch Verdrängung.
Die Gefahren der analytischen Therapie liegen in der Möglichkeit einer zu
weit gehenden Triebentmischung, besonders bei Patienten mit nur labiler
Triebmischung (latenten Psychosen). Die passagere Triebentmischung ver¬
ursacht das Auftreten von passageren Symptomen und Angst sowie die Über¬
tragungsneurose . 9
Die immer vorhandene Neigung, infantile Regungen an bestimmte Personen
zu heften, „zu übertragen“, kann sich in der Realitätsferne der analytischen
Situation freier entfalten. Dieser Vorgang wird aber dadurch verstärkt, daß
ein Teil der durch Triebentmischung frei werdenden Regungen auf den Ana¬
lytiker projiziert wird. Darum bietet die Analyse der Übertragungssituation
einen so guten Zugang zum Unbewußten.
Der Widerstand entspricht den ursprünglichen Haßregungen, die sich nun
auf den Analytiker konzentrieren, verstärkt durch die Abwehr des Über-Ichs.
Die Analyse des Widerstandes bildet das wichtigste Mittel zur Milderung des
Über-Ichs. Die Ubertragungsneurose entsteht, indem die Ubertragungssituation
in ähnlicher Weise zur Bewältigung der Angst verwendet wird wie früher die
neurotischen Symptome und darum diese ersetzen kann.
Die Übertragungssituation stellt eine Mischung einer phantastischen und
einer realen Situation dar. Die erstere kommt durch die Projektion der zu¬
folge der Triebentmischung frei werdenden unbewußten Regungen und Ängste
zustande. Die letztere wird durch die Wahrnehmungen, die der Patient —
bewußt oder unbewußt — am Analytiker macht, sowie seine Reaktionen dar¬
auf bestimmt. Der Analytiker ist nicht nur ein Schatten oder ein Spiegelbild,
sondern ein lebender Mensch. Und dies hat auch seine therapeutische Bedeu¬
tung. In der Analyse durchlebt der Patient Affekte und Konflikte, die in der
Kindheit nicht bewußt geworden waren oder verdrängt wurden, weil er sie als
unerträglich empfand. In der Analyse vermag er sie zu ertragen, weil er sie
allmählich, sozusagen in milderer Lösung durchlebt und an der persönlichen
Beziehung zum Analytiker einen Rückhalt findet. Je mehr der Patient im Ana¬
lytiker einen Ersatz für geliebte Imagines zu sehen vermag, um so leichter
gibt er Abwehrmechanismen auf. Hierdurch wird die Wirkung der Deutun-
9) Meiner Ansicht nach besteht auch außerhalb der analytischen Situation eine spontane
Tendenz zur Triebentmischung (und Triebmischung), die sich unter bestimmten äußeren
oder inneren Umständen verstärkt oder vermindert und Phänomene wie die normale Regres¬
sion und Progression, das Auftreten von Angst usw. verursacht.
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/i
4
5 ° Melitta Schmideberg
gen vertieft. Der analytische Abbau der Angst vermag ähnlich, wenn auch
langsamer zu wirken. Voraussetzung der Wirkung von Deutungen ist ein ge¬
wisses, sei es noch so geringes Maß an Vertrauen zum Analytiker, das sich mit
dem Fortschreiten der Behandlung durch Abbau der negativen Übertragung
verstärkt.
Der Analytiker durchbricht dadurch, daß er die sadistischen Regungen be¬
wußt macht, versteht und nicht vergilt, den Circulus vitiosus der Projektion
und bewirkt so eine Libidinisierung des Über-Ichs und zufolge der Identifi¬
zierung auch der Aggression . 10 Die Analyse wird aber diese Wirkung nur er¬
zielen, wenn der Patient fühlt, daß er für den Analytiker nicht nur ein theo¬
retischer Begriff, sondern ein lebender Mensch ist, ferner daß der Analytiker
ihm gegenüber von Angst und Haßgefühlen frei ist, unbewußte Phantasien
ohne Angst zu ertragen vermag und von der Heilwirkung der Analyse über¬
zeugt ist. Durch Freiwerden von Libido, Verminderung der Angst und der
zwangsneurotischen Isolierungsmechanismen und ermutigt durch die günstigen
Erfahrungen mit dem Analytiker, verstärken sich die Introjektionstendenzen
der Außenwelt gegenüber. Die vermehrte Fähigkeit, auf günstige Einflüsse
günstig zu reagieren, ist auch ein wichtiger Faktor für die Nachwirkung der
Analyse und erklärt die größere Bedeutung von Teilerfolgen bei Kindern.
In der Analyse wird Libido seitens des Analytikers zugeführt und zufolge
der besseren Fähigkeit zur Introjektion in verstärktem Maße aus der Außen¬
welt auf genommen. Ferner wird aus der Verdrängung und durch Triebent¬
mischung Libido frei. Diese wird in den Dienst der synthetischen Funktion
gestellt, zur Libidinisierung der Angst, des Über-Ichs und der Aggression ver¬
wendet, sowie der direkten Triebbefriedigung und Sublimierungen zugeführt.
Da das Über-Ich ein Teil des psychischen Apparates ist, der den Triebab¬
lauf reguliert, kann es durch die Analyse nicht zersetzt oder abgebaut werden.
Nur seine Strenge kann abgebaut, es selbst modifiziert oder teilweise mit dem
Ich verschmolzen werden. Modifizierungen des Über-Ichs können durch In¬
trojektion von neuen Objekten, durch Modifizierung des Projektions- und
Introjektionsvorgänge, vor allem aber durch Modifizierung der Triebregungen
selbst erfolgen. Diese Vorgänge und die dadurch bedingten Veränderungen des
Über-Ichs gehen im ganzen Leben vor sich. Am intensivsten erfolgen sie je¬
doch in der ersten Kindheit und in der analytischen Situation, wenn die Intro-
jektions- und Projektionsvorgänge lebhafter sind und Triebregungen in
stärkerem Maße frei werden.
Die Analyse bewirkt bei den durch die passagere Triebentmischung frei ge¬
wordenen Regungen eine erneute bessere Triebmischung und dadurch eine
Modifizierung der ursprünglichen Regungen: Die aggressiven Regungen werden
libidinisiert, die sexuellen feiner verteilt, d. h. sublimiert. Die in der Analyse
io) Ausführlicher in meiner Arbeit: Zur Psychoanalyse asozialer Kinder und Jugendlicher.
Int. Ztschr. f. Psa., 1932, S. 503—jo 6.
Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen Therapie
5i
frei werdende Aggression wird weitgehend zur Organisierung des Es verwendet.
Sexuelle Fixierungen werden durch die Verminderung und bessere Verteilung
der ihnen zugrunde liegenden massiven Angst und Aggression gelockert. Hierzu
kommt, daß die in der Analyse gewährte partielle Befriedigung oder Ersatz¬
befriedigung einen besseren Verzicht ermöglicht. Dies steht in Einklang mit
dem von Jones formulierten homöopathischen Prinzip : 11 Angst kann nur
durch Angst, Aggression durch Aggression, sexuelle Traumen durch Wieder-
erleben der Befriedigungen und Versagungen in kleinster Dosis geheilt werden.
Aber beim Wiedererleben muß eine Modifizierung der ursprünglichen Affekte
und Situationen erfolgen: sonst vermag es die Fixierungen nicht zu lockern,
sondern hat nur den Wert einer Abreaktion. Diese Modifizierung der Trieb¬
regungen wird in der Analyse durch die Deutung bewirkt , 12 die in feinstver-
teilter Form Libido — Verständnis — bietet und so zugleich der Verdrängung
entgegenarbeitet und die Projektions- und Introjektionsmechanismen modi-
fiziert.
Die Modifizierung der Triebregungen ist die Voraussetzung für ihre Be¬
freiung und stellt den spezifischen Heilfaktor der Psychoanalyse dar. Aber
die analytischen Erfolge beruhen nicht ausschließlich auf diesem Faktor. Immer
kommen auch suggestive, die Verdrängung fördernde Faktoren hinzu, wohl um
so weniger, je tiefer die Analyse geführt worden ist. Man kann beobachten,
wie nach Verminderung der Schwierigkeiten der Patient in einer Analysen¬
unterbrechung oder gegen Schluß der Analyse sein Gleichgewicht durch bessere
Verdrängung herzustellen sucht. (Diesen Vorgang suchte die „fraktionierte
Analyse“ auszunützen, um die Analysendauer abzukürzen.) Ein so erzieltes
Gleichgewicht ist oft analytisch schwerer anzugehen, als dasjenige, das zu Be¬
ginn der Analyse bestanden hat, d. h. der Patient hat sich jetzt durch wirk¬
samere Abwehrmechanismen gegen die Angst und die unbewußten Regungen
geschützt als vor der Analyse. Der Grad der Amnesie für in der Analyse be¬
wußt gemachte Regungen und Phantasien nach der Analyse ist oft über¬
raschend. Diese und weitere Beobachtungen sprechen für die Bedeutung der
Verdrängung als Heilungsfaktors in der analytischen Therapie.
Meiner Ansicht nach läßt sich bei keinem analytischen Erfolg die Mit¬
wirkung suggestiver, die Verdrängung fördernder Faktoren ausschließen. Für
die Beurteilung ist wichtig, ob die analytischen oder die nichtanalytischen
Faktoren überwiegen, ob der Erfolg mehr durch Veränderungen im Seelen¬
leben des Patienten oder durch Änderung und Beeinflussung der Umgebung
11) Jones: Angst, Schuldgefühl und Haß. Int. Ztschr. f. Psa., 1930, S. 9. Jones bezeich-
netc dieses Prinzip ursprünglich als „homöopathisches“, änderte es aber dann, der Anregung
Feder ns folgend, zu „isopathisch“. Da der Heilvorgang meiner Ansicht nach durch die in
kleinster Dosis erfolgende modifizierte Wiederholung der ursprünglichen Affekte erfolgt,
scheint es mir richtiger, von einem „homöopathischen Prinzip“ zu reden.
12) Auf die „mutative“ Wirkung der Deutung hat Strachey hingewiesen. (On the
Nature of the Therapeutic Process in Psycho-Analysis. Int. Journ. of Ps. A., Vol. X, 1934.)
4 *
52 Melitta Schmideberg
erzielt wurde, ob die Gesamtsumme der Triebregungen, die in ich-gerechter
Form direkt und indirekt ohne unbewußte Schuldgefühl- und Angstreaktionen
befnedigt werden können, sich gesteigert, die der latenten und manifesten
Schuldgefuhlsreaktionen sich vermindert hat. Dies ist nur möglich, wenn Trieb¬
regungen, die vorher verdrängt, in unbefriedigender Weise gebunden waren,
oder mittels Projektion bewältigt wurden, durch passagere Triebentmischung
befreit, modifiziert und hierdurch ich-gerecht wurden. Somit ist der Vor¬
gang der passageren Triebentmischung, der die Vorbedingung für die Modifi¬
zierung der Triebregungen darstellt, der Prüfstein des analytischen Heilungs¬
vorganges. Er wird durch die Analyse der Übertragungssituation, insbesondere
der negativen Übertragung eingeleitet und kann am Auftreten einer deutlichen
Ubertragungsneurose mit passageren Symptomen und Angst beobachtet wer¬
den. Eine Behandlung,, in der der Analytiker für den Patienten die gleiche
Rolle den größeren Teil der Zeit unverändert beibehält, besonders, wenn es
die des Über-Ichs ist, enthält meines Erachtens überwiegend suggestive und
nur zum geringen Teil analytische Faktoren . 13 Dieses Bild einer starren Über-
tragungssituation kann durch „aktive Maßnahmen“ verwirrt werden. Cha¬
rakteristisch für das Überwiegen der analytischen Elemente in der Therapie .
ist, daß sich spontan als Reaktion auf Deutungen — und nicht auf Gebote
und Verbote oder bestimmte Handlungen seitens des Analytikers — eine
ständig modifizierende Übertragungssituation im Rahmen einer deutlichen
Übertragungsneurose, begleitet von passageren, auch vom Analytiker nicht im
vorhinein bestimmbaren Symptomen, entwickelt. Diese dynamischen, für die
Analyse spezifischen Phänomene treten bei suggestiven Methoden nicht oder
nur in geringem Maße auf.
.Die Verdrängung ist als solche nicht pathogen, sondern nur die unvoll¬
ständige Verdrängung. Eine vollständigere Verdrängung erweist sich als
Heilung der angsterregenden Projektionsmechanismen und als Bewältigung der
Konflikte verursachenden Triebregungen. Somit können durch Steigerung der
Verdrängung oft schnellere Erfolge erzielt werden als durch analytische Mittel.
Die Schwierigkeiten und die lange Dauer der Analyse Normaler dürften da¬
durch bedingt sein, daß sich bei diesen Erfolge nur auf rein analytischem Wege
erzielen lassen. Es ist interessant, daß die Analytiker früher, mit geringeren
Kenntnissen, bei Hysterien schnellere Erfolge erzielten, als wir heute, während
sie schwerere Fälle, die heute der Therapie zugänglich sind, nicht zu heilen
----- : -----__
13) Wiederholt ist die Wirkung der analytischen Therapie dadurch erklärt worden, daß
der Analytiker für den Patienten die Rolle des Über-Ichs Übernimmt und so dessen strenges
Uber-Ich mildert. Hingegen meine ich, daß — vorausgesetzt, daß der Analytiker keine
„aktiven“, „pädagogischen“ oder „suggestiven“ Maßnahmen anwendet — die Rolle des Ober-
Ichs nur eine von vielen ist, die der Patient ihm zuschreibt. Der Patient projiziert auf
den Analytiker abwechselnd seine psychischen Instanzen (Ich, Es oder Über-Ich), bestimmte
Triebregungen, geliebte oder gefürchtete Personen usw. Vgl. Melanie Klein: Die Rollen¬
bildung im Kinderspiel, Int. Ztschr. f. Psa., 1930.
Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen Therapie
53
vermochten. Glover 14 erklärt dies so, daß die bei den Hysterien in kurzer Zeit
mit geringen Kenntnissen erzielten Erfolge weitgehend auf einer Verstärkung
der Verdrängung beruhten, während die schwereren Fälle auf diese Art nicht
geheilt werden konnten.
Glover hat gezeigt , 15 daß die ungenaue Deutung, die unbewußte Regun¬
gen dem Ich nahebringt, ohne sie durch korrekte Verknüpfung mit vorbe¬
wußten Mittelgliedern bewußtseinsfähig zu machen, die Verdrängung steigert.
Manche halbrichtigen Deutungen, wie z. B. daß die Aggression aus Liebe ent¬
standen und das Kind an der durch Enttäuschungen bewirkten Umwand¬
lung von Liebe in Haß unschuldig sei, zielen direkt auf eine bessere Verdrän¬
gung der ursprünglichen Aggression hin.
Die unvollständige Deutung wirkt durch Verschiebung der Verdrängung
auf andere Vorstellungsinhalte (Glover). Jede Deutung ist unvollständig und
muß deshalb durch weitere ergänzt werden — daher die lange Dauer der
Analysen. Bekanntlich ist die Neigung zum Verdrängen stärker als die zum
Bewußtwerden. Um der in der Analyse aktivierten Angst zu entgehen, ist der
Patient bestrebt, den Schutz des Analytikers — ähnlich wie früher den der
Eltern — durch vermehrte Triebunterdrückung zu erkaufen. Die Tatsache,
daß der Analytiker dem Patienten gewisse Triebäußerungen gestattet — ein
„guter Vater“ ist —, wirkt als Antrieb, die sonst in der negativen Übertragung
sich äußernden Ödipusstrebungen besser zu verdrängen. Ähnlich kann das
Bewußtwerden von oberflächlichen Haßregungen gegen den Analytiker die
Verdrängung tieferer nach sich ziehen. Für die wirkliche Befreiung verdrängter
Regungen ist daher die volle Analyse der negativen Übertragung eine
unerläßliche Voraussetzung.
Darum dürften alle Modifikationen der analytischen Therapie, die die gründ¬
liche Analyse der negativen Übertragung vermeiden, sowie sehr kurze Analysen
und Symptomanalysen, mehr durch Steigerung der Verdrängung als durch ihre
Verminderung wirken. Bei Modifikationen, die die Befreiung gewisser Trieb¬
regungen zugleich mit einer besseren Verdrängung anderer zu erreichen suchen,
dürfte auch die angestrebte partielle Befreiung nur selten wirklich erfolgen.
Deutungen rufen, dadurch daß sie verpönte Regungen dem Bewußtsein nahe¬
bringen, eine verstärkte Abwehr des Über-Ichs hervor. Wenn nun die immer
vorhandene Neigung zur Verdrängung durch die triebverurteilende Einstellung
des Analytikers verstärkt wird, wirkt die Deutung — ähnlich wie ein Agent
provocateur — als ein besonders geeignetes Mittel zur Herbeiführung einer
besseren Verdrängung.
Gewöhnlich wird angenommen, daß Erziehung und Analyse einander ent-
gegengesetzt sind, indem die Erziehung das Über-Ich aufbaut, das Kind durch
14) Glover: On the Therapeutic Effects of Inexact Interpretation. Int. Journ. of
Ps. A.> 1931.
15) Ibidem. '\ ;
54 Melitta Schmideberg: Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen Therapie
Angst und Schuldgefühl sozial macht, während die Analyse das Über-Ich abbaut,
Angst und Schuldgefühl vermindert. Diese Auffassung, die zu wichtigen Fol¬
gerungen, insbesondere für die Analyse von Asozialen und Kindern geführt
hat, ist meiner Ansicht nach nicht richtig. Ich meine, daß weder die Er¬
ziehung das Über-Ich aufbaut, noch die Analyse es abbaut, sondern daß
beide bestrebt sind, das primitive, der Projektion der eigenen sadistischen Re¬
gungen entspringende Uber-Ich zu modifizieren und daß es einen großen Fort¬
schritt bedeutet, wenn das phantastisch-sadistische Über-Ich durch ein nach
den wirklichen Eltern geformtes abgelöst wird. Die übliche Kinderpflege und
Erziehung enthalten trotz all ihrer Mängel ein großes, nicht zu unter¬
schätzendes Maß an Liebe und Einfühlung. Dieses ermöglicht die Modifi¬
zierung des Uber-Ichs und das Sozialwerden des Kindes. Eine wirklich soziale
Einstellung beruht nicht auf Schuldgefühl und Angst vor Liebesverlust oder
Vergeltung, sondern auf Liebe und Identifizierung mit liebevollen Eltern. Es
ist eine bedeutende Leistung des kleinen Kindes, wenn es z. B. der Mutter zu
verzeihen vermag, daß diese es mit dem Essen warten ließ, und es vermag diese
Leistung nur zu vollbringen, weil die Mutter ihm bei vielen Anlässen Nach¬
sicht gezeigt hat. Es klingt schon fast wie eine Binsenwahrheit, daß das Wesen
der Erziehung in der menschlichen Beziehung, in Verständnis und Beispiel be¬
steht, daß Verbote Notbehelfe, Drohungen und Strafen Eingeständnisse des
Versagens und Vergeltungsmaßnahmen sind.
Erziehung ist in hohem Maße Psychotherapie. Ihr Wert wird davon be¬
stimmt, welche psychotherapeutischen Maßnahmen sie bevorzugt, ob sie durch
Liebe oder Angst zu wirken sucht, ob sie Liebe oder Schuldgefühl zu wecken
trachtet,, ob sie Triebmodifizierung oder Triebunterdrückung anstrebt. Un¬
gleich wichtiger als die Prinzipien ist hierbei die Persönlichkeit und Einstellung
des Erziehers. Aber selbst die beste Erziehung kann ihr Ziel nur unvollständig
erreichen: da nur entferntere Abkömmlinge der ursprünglichen Triebregungen
zum Ausdruck gelangen, können nur diese gestattet und modifiziert werden,
während die tieferen mittels Verdrängung bewältigt werden müssen.
Hierin ist die Analyse der Erziehung überlegen: Durch Analyse der nega¬
tiven Übertragung vermag sie die Situation des Verstehens und des Nicht-
vergeltens den primitivsten, am meisten verurteilten Regungen gegenüber
immer wieder herzustellen, Triebenergie aus der Verdrängung zu befreien und
nach vorausgegangener Triebentmischung zu modifizieren. Während die Ana¬
lyse durch Befreiung von Triebkräften, die der Ich-Entwicklung zugute kom¬
men, diese indirekt fördert, hat die Erziehung vor der Analyse voraus, daß sie
die Ich-Entwicklung direkt beeinflußt. Analyse und Erziehung haben gemein¬
sam, daß sie mittels der menschlichen Beziehung primitive Triebkonflikte be¬
wältigen und primitive Triebregungen modifizieren, daß sie Gebiete des Es
dem Ich erobern, die Triebmischung fördern, die Aggression durch Eros bin¬
den und in dessen Dienst stellen.
Zum Thema des Qhertragungswiderstandes 1
Von
Grete Bibring-Lehner
Wien
Jeder erfahrene Analytiker wird wohl die Beobachtung gemacht haben, daß
er bei gewissen Fällen wenig oder keinen therapeutischen Erfolg zu erreichen
vermochte, ohne daß es an deren besonders schwierigen Struktur gelegen wäre.
Dies war der eine Ausgangspunkt meiner Fragestellung.
Der zweite waren bestimmte Beobachtungen an Patienten, deren Analyse
trotz sorgfältiger analytischer Arbeit an den Übertragungswiderständen, gleich¬
viel ob positiver oder negativer Natur, zu scheitern drohte. In vielen Fällen
nahm nämlich die Analyse einen ganz anderen Verlauf, sobald der Patient aus
äußeren oder inneren Gründen den Analytiker wechseln mußte. Besonders
häufig und ausgesprochen kann man dies beobachten, wenn der zweite Ana¬
lytiker nicht dem gleichen Geschlecht angehört wie der erste. Es zeigt sich
dann nach verhältnismäßig kurzer Zeit, daß bestimmte Widerstände, deren Be¬
wältigung durch Monate nicht gelungen war, nun für die Bearbeitung zugäng¬
lich werden, vor allem aber, daß die Übertragungssituation einen anderen Cha¬
rakter annimmt. Wir sehen zwar auch nach einer bloßen Unterbrechung einer
Analyse und Wiederaufnahme durch den gleichen Analytiker oft günstig
scheinende Änderungen in der analytischen Arbeit des Patienten als Folge dieser
Maßnahme. Sie beruhen meist darauf, daß die Unterbrechung wie eine Warnung
nachwirkt und die Bereitschaft des Patienten steigert, den Analytiker durch in¬
tensivere Mitarbeit zufrieden zu stellen. Soweit der Patient darüber verfügen
kann, werden seine Ich-Widerstände dadurch herabgesetzt, seine Bemühungen
um die Analyse werden größer. Doch sind diese Änderungen kaum je von
solcher Wirkung, wie unter den oben erwähnten Bedingungen, auch nicht von
der gleichen Dauer, und vor allem werden die Übertragungsbeziehungen nicht
in dem gleichen Maße beeinflußt.
Die Neurose kommt in der Kindheit durch das Zusammenwirken zweier
Faktoren zustande: der Triebstruktur und der Einflüsse der Realität. Die
Ubertragungsneurose hingegen, i. e. die durch die analytische Situation artifi¬
ziell wiederbelebten infantilen Flaltungen in der Beziehung zum Analytiker,
fassen wir auf als den Ausdruck unbefriedigter, verdrängter Triebwünsche,
die an den Analytiker als an ein imaginäres Objekt wechselnd herangetragen
werden — im Ganzen unabhängig von der analytischen Umwelt. Die Über¬
tragungsneurose ist nicht reaktiv, sondern aktiv, sie ist nicht durch die Reali¬
tät gesteuert, sondern durch das spontane Drängen des Es. Der Einfluß der
Analyse auf die Bildung der Übertragung ist ein mehr allgemeiner, es wird
i) Nach einem Vortrag, gehalten auf dem XIII. Int. Psa. Kongreß in Luzern 1934.
56
Grete Bibring-Lehner
durch die Eröffnung des Ubw die schon vorhandene Übertragungsneigung des
Neurotikers noch besonders gefördert und durch die fortschreitende Analysen¬
arbeit der jeweils dazugehörige Ubertragungsanteil aufgerollt.
An zwei Fällen will ich darstellen, daß diese Auffassung von der spontanen
Natur der Ubertragungsneurose und von deren Unabhängigkeit einer ge-
wissen Einschränkung bedarf, weil hier ein Stück Realität in der Person des
Ana ytikers, unter ganz bestimmten Bedingungen, einen nicht unbedeutenden
ln auf ^ en Verruf und die Gestaltung der Übertragung genommen hat.
n damit sind wir zu den zwei Fragen zurückgekehrt, warum man als Ana-
ytiker bei bestimmten Fällen fast typisch versagt, und warum der Wechsel des
Analytikers die Analyse oft so günstig beeinflußt.
Ein Patient, der durch lange Zeit bei einem sehr erfahrenen Analytiker m
Behandlung gestanden war — die Analyse mußte vorwiegend aus äußeren
Gründen abgebrochen werden —, litt unter intensiven, bis in brutale Details
ausgearbeiteten Angst- und Strafphantasien, in Verbindung mit der Vorstel¬
lung vom Jüngsten Gericht. Die Einzelheiten dieser bevorstehenden Aus¬
einandersetzung mit Gott gruppierten sich mit reichem analytischen Material
um seine Beziehung zu dem tatsächlich sehr sadistischen Vater der Kindheit,
bei dem es zu täglichen Strafexzessen dem kleinen Jungen gegenüber gekom¬
men war. Die dazugehörigen Einfälle ermöglichten die eindringliche Bespre-
c ung seiner Homosexualität, seines Masochismus, seiner aktiven und passiven
Kastrationswunsche dem Vater gegenüber, seines Schuldgefühles aus den
Onanieangsten. Die Beziehung zu seinem Analytiker stammte aus der Vater¬
ubertragung und äußerte sich dementsprechend in heftiger Aggression, provo¬
kantem Benehmen, verbunden mit einer lähmenden Angst, der Analytiker
werde sich auf ihn stürzen, ihn schlagen, ihn zur Türe hinauswerfen. Trotz
reichlicher Deutungsarbeit und trotz eingehender Analyse des Verhaltens und
der Haltung des Patienten änderte sich nichts an Form und Inhalt dieser
Übertragung, die zu einem heftigen Widerstand geworden war. In der Folge
hef die Analyse monatelang leer, das Material wiederholte sich, ohne weiter¬
zuführen.
In dieser Phase wurde die Behandlung aus einem äußeren Anlaß abge¬
rochen und der Patient zur Analytikerin geschickt, nicht weil man sich da¬
von für die Analyse noch viel erwartete (der behandelnde Analytiker be¬
urteilte den Fall sehr pessimistisch), sondern nur um den Patienten aus der für
ihn quälenden Übertragung zu lösen. Nach relativ kurzer Zeit stellte der
Patient eine Mutterübertragung her, ohne für den Beginn seine ängstliche und
aggressive Haltung aufzugeben. Dennoch zeigte er sich jetzt für die Bespre¬
chung der Übertragungssituation aus der vorigen Analyse zugänglich. Dabei
ergab sich, daß der Patient während der ganzen Dauer der ersten Analyse
^ em un k°rngierten Eindruck gestanden war, daß sein Analytiker tat¬
sächlich eine ebenso gefährliche Persönlichkeit sei wie der Vater. Dieser Ein-
Zum Thema des Übertragungswiderstandes
57
druck war bisher unkorrigiert geblieben, trotz aller Versuche des Analytikers,
ihm den Übertragungscharakter daran klar zu machen. Diese Vorstellung
wurzelte vor allem in der strengen und etwas unnachgiebigen Haltung, für
die sich der Kollege in diesem Falle entschieden hatte, was bei der sehr drän¬
genden, infantil anspruchsvollen Übertragungsform des Patienten nahe lag.
Dazu kam, daß der Analytiker zufällig gewisse Ausdrücke benützte, wie sie
der Vater dem Knaben gegenüber in der Kindheit verwendet hatte. Damit
verschwand aber auch für das Gefühl des Patienten der reale Unterschied zwi¬
schen den beiden Figuren. Seine Reaktionen entsprachen durchaus denen seiner
zornigen und ängstlichen Kindheit und hatten für ihn den Charakter
eines berechtigten, ja selbstverständlichen Verhaltens. Erst in der ermäßigten
und distanzierten Form dieser Beziehung, nach der Herstellung einer neuen
Übertragung zur Analytikerin, konnte der Patient die notwendigen Korrek¬
turen anbringen; dabei war unser Hauptaugenmerk darauf gerichtet, alle gegen
den Analytiker erhobenen Vorwürfe auf ihre reale Grundlage hin zu unter¬
suchen und gegebenenfalls die Verbindung herzustellen mit den entsprechen¬
den Kindheitserlebnissen, in denen sie wurzelten. Was sich weiter daran schloß,
war keine Überraschung. Seine Übertragungsäußerungen und -widerstände
änderten sich, neue Inhalte traten in den Vordergrund, das Material erweiterte
unsere Einsicht und erbrachte die notwendige Ergänzung zum Verständnis
seiner Symptome, die so lange Zeit ausgeblieben war. Die ursprünglich hoff¬
nungslos erscheinende Analyse konnte nun in normalen Bahnen erfolgreich
weitergeführt werden.
Was uns hier interessiert, ist vor allem die Tatsache, daß Vorgänge, die sich
gewöhnlich innerhalb einer einzigen Analyse abspielen, sich in diesem Falle
deutlich getrennt auf zwei Analysen aufteilten. Die erste Analyse scheiterte
im Grunde genommen an den heftigen Übertragungswiderständen des Patien¬
ten, die dadurch eine spezielle Note gewannen, daß der Analytiker sowohl
durch sein Geschlecht, als auch durch manches in seinem Verhalten, sogar
durch gewisse sprachliche Äußerungen sein Schattendasein gleichsam aufge¬
geben hatte und dadurch zu einer Art realen Fortsetzung des Vaters geworden
war, dieser wichtigsten Figur in Kindheit und Neurose des Kranken. Das
führte zu einer solchen Steigerung der Angst, des schweren Mißtrauens und
der Haßreaktionen des Patienten, daß trotz ständiger Deutung der im Zentrum
stehenden Vaterbeziehung im Zusammenhang mit diesem Verhalten sich für
die Analyse kein weiterer Weg in die Tiefe ergab. In der nächsten Analyse
stellte sich zunächst eine Mutterübertragung her. Diese ermöglichte es schlie߬
lich dem Patienten, seinen Konflikt mit dem Vater zu distanzieren und seine
infantile Beziehung im weiteren Verlauf zu lösen. Als es in einer späteren
Phase neuerlich zur Vaterübertragung kam, zeigte diese einen wesentlich ab¬
geschwächten Charakter. Zwei Momente sind hier wichtig: i. daß die aggres¬
sive und angstbesetzte Beziehung zum Vater leichter auf den männlichen Ana-
58
Grete Bibring-Lehner
*?,"u^ rtraS “ ™?“ k ° nnte ’ und 2 - daß d »™ im Zusammenhang die
Ähnlichkeit im realen Verhalten zwischen Analytiker und Vater den Wider¬
stand entscheidend verstärkt hatte.
Bei dem zweiten Fall wurde der umgekehrte Weg zurückgelegt, näm¬
lich der von mir zu einem männlichen Analytiker. Hier handelte es sich
UI \ Ci r en fu 3Ja n ? en Patienten > dessen Impotenz sich nur bei Prostituierten
nac us uhrung bestimmter oraler Perversionen vorübergehend besserte. Da¬
neben war besonders die Beziehung zur Mutter, einer harten, energischen und
errisc en Frau, gestört. Teils war er von ihr in völlig kindlicher Weise ab-
angig so daß er sich in allem strikte an ihre Auffassungen halten mußte,
teds bekämpfte und schädigte er sie haßerfüllt, indem er den unfähigen, zu-
ruc ge lebenen kleinen Jungen spielte, was sich sowohl in seinem Liebes¬
ieben als auch beruflich - er war im Betriebe seiner Mutter angestellt -
ochst störend auswirkte. Unbewußt waren seine Symptome durch starke
orale Ansprüche determiniert, die auf schwere Enttäuschungen durch die
Mutter zuruckgingen. Die Jugend des Patienten bestand überhaupt aus einer
Reihe von ungewöhnlichen Versagungen. Von der frühesten Kindheit an
wurde jede Gelegenheit, die sich bot, zum Anlaß genommen, um das Kind füt
Monate zu fremden Leuten in Pflege zu schicken; zu Hause blieb seine Er¬
ziehung völlig Kindermädchen überlassen, die von der Mutter zur Strenge an¬
gehalten wurden. Von der beruflich stark beschäftigten Mutter wurde er fast
nur gestraft, verspottet oder geschlagen. Der Vater stellte im Verhältnis zu
semer Frau eine Nebenfigur im Hause dar; er brachte aber dem Patienten
wenigstens bis zu seinem sechsten Lebensjahr doch etwas mehr Freundlichkeit
und Verständnis entgegen und zog sich erst, als sich schon im ersten Schuljahr
SC . wete Lernstorungen zeigten, enttäuscht und feindselig von dem Kind zu-
ruck Die Übertragung stellte sich nach kurzer Zeit in voller Intensität ein
und führte zu stürmischen Szenen. Sie bot ganz das Bild seiner Beziehung
zur Mutter. Besonders war es mein Beruf, der einen intensiven Eindruck auf
den Patienten machte. Sowohl nach der Auffassung seines kleinbürgerlichen
Milieus, als besonders infolge seiner neurotischen Hemmung auf intellektuellem
e iet, ga t ur ihn eine Frau mit intellektuellem Beruf als männliche Frau,
W!e ihm ja auch die Mutter teils wegen der geschilderten Eigenschaften, teils
weil sie die führende Stelle in ihrem Unternehmen einnahm, als solche er¬
schien. Die Hauptschwierigkeit bestand darin, daß er die Übertragungsbeziehung
m dien ihren Anteilen heftig agierte. Er forderte unter starkem Affekt, ich
so e i n auf den Schoß nehmen, ihn herumtragen, ihn füttern, weil die Mutter,
diese schlechte Frau, das nie getan hatte. Er wollte mich schlagen, beschimpfte
mich und die Mutter sprach mich nur mehr mit „du“ an, alles das unter
ar en Angst- und Schweißausbrüchen und mit solcher Intensität, daß er sich
est an das Sofa klammerte, um seine Impulse nicht auszuführen. Auf diese
Weise stellte er seine infantilen Wünsche und seine wütende Enttäuschung in
-- ‘ Zum Thema des Übertragungswiderstandes 59
seinem Verhältnis zur Mutter dar. Die eigentliche Schwierigkeit machte aber
jener Anteil seines Agierens, der seine neurotischen Reaktionen auf die Ver¬
sagung speziell ausdrückte; dieser Anteil führte auch zum Abbruch der Analyse.
Wir haben vom Symptom seiner Lern- und Arbeitsunfähigkeit in der Kind¬
heit gehört. Es bedeutete eine trotzige Weigerung, die ehrgeizigen Wünsche
der Mutter zu erfüllen, ihre spärlichen Liebesbeweise und ihr wenn auch
aggressives Interesse anzunehmen; dieser Konflikt wurde in der Analyse
agiert als Unwillen und Unfähigkeit, meine Worte zu hören, oder deren Sinn
zu verstehen. Er drückte das direkt in der Form aus: „Ich verstehe nicht! Ich
verstehe nicht! Das würde Dir so passen, daß ich Dich verstehe, und deshalb
verstehe ich Dich erst recht nicht!“ Es traten beim Patienten aus Angst und
Verwirrtheit darüber, was sich da in ihm abspielte, Suicid-Ideen auf. Auch sein
Verhalten außerhalb der Analyse wurde parallel zu den Vorgängen in der Be¬
handlung auffällig. Er begann seine Mutter tätlich zu bedrohen und benahm
sich so aufgeregt, daß die Familie den Patienten internieren lassen wollte. Mit
Rücksicht auf die kaum überwindbare Ubertragungssituation beschloß ich,
die Behandlung abzubrechen. Aus den hier mitgeteilten Erwägungen riet ich
aber dem Patienten, den Versuch zur Heilung nicht aufzugeben, sondern bei
einem männlichen Analytiker fortzusetzen. Der Patient befolgte meinen Vor¬
schlag. Nach einer gewissen Frist trat tatsächlich die erwartete Beruhigung ein:
die Analyse nahm unter dem Bilde einer aktualisierten Vater Übertragung ihren
Fortgang. Dies um so eher, als die Beziehung zum Vater in der Kindheit viel
weniger konfliktreich und weniger intensiv gewesen war . 2
Ich glaube, aus dem knapp ausgeführten Material ableiten zu dürfen, daß
diese heftige Übertragung durch folgende Momente beeinflußt war: i. weil
beim weiblichen Analytiker zuerst die Mutterübertragung aktualisiert wurde,
2. weil der Patient mir, als der Frau im Beruf, als der „männlichen“ Frau, ge¬
rade die der Analyse gefährliche Richtung dieser Übertragung, nämlich die aus
seiner Konflikteinstellung gegen die böse, lieblose, männliche Mutter stam¬
mende, ungebrochen und unverändert entgegenbrachte. Erst in der zweiten
Analyse konnte er Einsicht und Haltung soweit zurückgewinnen, daß er nicht
völlig in der Wiederholung dieser Konflikte unterging, sondern die Erleb¬
nisse der Kindheit und der Übertragung durch Überlegung und Betrachtung
bewältigte.
Unter bestimmten Bedingungen scheint somit der eingangs erwähnte illusio¬
näre Charakter der Übertragung sehr zu Ungunsten der analytischen Arbeit
durchbrochen zu werden; das kann dann geschehen, wenn die reale Person des
Analytikers vor allem im Geschlecht und weiter in Eigentümlichkeiten der Per¬
sönlichkeit mit den entscheidenden realen Objekten aus der Kindheit des
Patienten übereinstimmt. Diese Wirkung kann prinzipiell von jeder seiner
2) Der hier dargestellte Fall findet eine weit ausführlichere Besprechung in der Arbeit
von E. Bergler, „Zur Problematik der Pseudodebilität“, Int. Ztschr. f. Psa., XVIII, 1932.
6o
Grete Bibring-Lehner
Eigenschaften ausgehen, sowohl von allgemeinen, wie warmem oder kühlem Ver¬
halten, Neigung zur Härte oder Güte, als auch von speziellen, wie vor allem
z. B von der Form der Gegenübertragung. Dabei bleibt für den Zufall ein großer
pie raum frei. Von der psychischen Valenz dieser Eigenschaften für die Über¬
tragungsdispositionen des Kranken wird es abhängen, welche Rolle sie in der
Analyse zu spielen berufen sind. Der Einfluß des Geschlechtes steht im
Vordergrund, er tritt am klarsten zutage und übt die stärkste Wirkung aus.
s ist nun keineswegs gleichgültig, mit welcher Form der Übertragung eine
Analyse einsetzt. Bei Frauen mit starken Männlichkeitstendenzen und starkem
Identifizierungswunsch auf männlicher Basis wird die Analyse bei einem Mann
eine andere Situation schaffen als die bei einer Frau, bei welcher die Wider¬
stande vielleicht vorwiegend aus der projizierten Selbstverachtung kommen
werden. In solchem Falle mag der ältere, freundliche Analytiker weniger
chwierigkeiten hervorrufen als der jüngere, weil dieser sofort aus der Rivali¬
tät Widerstände auf sich zieht. Es ergibt sich eine Fülle von Beziehungen, die
ZU or nen nicht leicht fällt. 3 Dazu kommt, daß in vielen Fällen das reale Ent-
gegenkommen der Analytikerpersönlichkeit im hier gemeinten Sinn auch die
Symptome und die affektiven Verhaltensweisen des Patienten in willkommener
wr j ai ^ en mag ’ W3S dann eine für die Analyse günstige Situation schafft.
ir je oc ein gewisses Optimum der Intensivierung unter dem Eindruck
dieser Realität überschritten, dann ergibt sich folgende, durch die rein analy-
tisc e Arbeit fast nicht mehr zu bewältigende Situation: i. Die Konflikte
tauchen mit voller Intensität und ganz plötzlich, nicht allmählich, in der
Übertragung auf, was die Ich-Widerstände zur Abwehr dieses Durchbruches
steigert. 2. Es kommt zu einer Art Fixierung an diesen Übertragungskonflikt,
zu einem starren Übertragungssystem; dann ist der Patient nicht mehr im¬
stande darüber hinaus Einfälle und Affekte hervorzubringen, und es wird
auch die für die Entwicklung der Analyse notwendige Entfaltung weiterer
Ubertragungsbeziehungen gelähmt. 3. Das Zustandekommen jener positiv-ver¬
trauensvollen Übertragung, mit deren Hilfe wir erst die wechselvollen Anteile
er Ubertragungsneurose zu überwinden vermögen, wird verhindert. Das
Ich des Kranken wird in einem solchen Ausmaß von den Affekten überrannt,
daß die gesunde Restpersönlichkeit ihre Wirkung nicht entfalten kann. Die
Konfrontierung der erwachsenen Ich-Anteile mit den infantilen Anteilen,
d. h mit der Gesamtheit der lebendig gebliebenen, infantilen Reaktionen, kann
nicht eindrucksvoll genug gelingen, um allmählich die Widerstandsbewältigung
zu vollziehen. Es kommt entweder zu einer völligen Hemmung durch die
3) Der Versuch, über diese Andeutungen hinaus einige typische Situationen dieser Art
auszufuhren, aus dem sich dann Gesichtspunkte für die eventuell notwendigen Entscheidungen
hüben ?b U e W „ e so U ka S „ h • ^ iente “ L e ^e„, muß einer späteren Arbeit vorbehaken
fl,* ' E v k lch m , d ' esem Rahmen nur darauf hinweisen, daß sich von unserem
Thema em Zugang zum Problem „Übertragung und Liebe“ ergibt, sowie tu der ”
essanten Frage der zweiten Analyse überhaupt.
Zum Thema des Übertragungswiderstandes
61
V----
ständige Abwehr dieser Ubertragungsform, wie im ersten Falle, oder, wie beim
zweiten Patienten, zu einem heftigen Durchbruch der unbewußten Regungen
und zum Agieren in einem solchen Ausmaß, daß die Analyse überhaupt ge¬
fährdet wird.
Die praktischen Konsequenzen aus dem Ausgeführten sind relativ einfach
und schon gegeben. Wo wir den Eindruck gewinnen, daß eine bestimmte
Ubertragungsform nicht vorwiegend vom Ubw des Patienten, sondern in be¬
deutenderem Maße von der Realität des analytischen Milieus und von der
Eigentümlichkeit der analytischen Persönlichkeit mitgesteuert wird, und die
eben geschilderten Schwierigkeiten eintreten, wird es sich empfehlen, die Be¬
handlung nicht selbst weiterzuführen. Es besteht aber auch kein Anlaß, die
Analyse überhaupt als aussichtslos aufzugeben; man sollte vielmehr mit einem
gewissen Verzicht auf den therapeutischen Ehrgeiz zugunsten der therapeuti¬
schen Verantwortlichkeit einen wohlüberlegten Wechsel des Analytikers vor¬
nehmen. Die Wahl müßte dann, entsprechend der schon gewonnenen Einsicht
in die Struktur des Falles, so getroffen werden, daß sich die Wiederholung der
infantilen Beziehungen in der Übertragung möglichst günstig gestalten kann.
Ein Detail, das den Ablauf der zweiten Analyse oft wesentlich bestimmt,
sei hier noch hervorgehoben. Es ereignet sich häufig, daß der Patient aus Ent¬
täuschung, Trotz oder Rache gegen den ersten Analytiker die negativen An¬
teile der Übertragung dauernd bei ihm unterzubringen trachtet, einen Gegen¬
satz zwischen ihm und dem zweiten Analytiker betont, um auf diese Weise
die auftauchenden negativen Einstellungen in der zweiten Analyse zu ver¬
bergen. Es erübrigt sich wohl zu sagen, daß es eine wichtige Aufgabe der
zweiten Analyse sein muß, dieser Tatsache die volle Aufmerksamkeit zuzu¬
wenden, damit nicht in verschobener, latenter Form der alte Widerstand mit¬
genommen wird.
Die biologischen Grundlagen der Freudsdien
Angsttheorie 1
Von
Käthe Misch
London
Vor fünfzig Jahren suchte die medizinische Wissenschaft jede Störung des
Organismus auf somatische, wenn möglich mikroskopisch sichtbare Verände¬
rungen des Körpers zurückzuführen. Daraus entstanden manche uns heute
absurd anmutende Theorien über die Entstehung der Neurosen. Heute be¬
findet sich die Psychoanalyse in einer ähnlichen Gefahr nach der entgegen¬
gesetzten Richtung. In der psychoanalytischen Literatur verlangt man, soweit
es sich um psychische Tatbestände handelt, minutiöse Genauigkeit, läßt aber
nicht immer die gleiche Präzision walten, wenn es sich um körperliche Er¬
scheinungen handelt. Es kann gefährlich werden, wenn sich die Psychoanalyse
von dem Boden der Empirie entfernt, und ich glaube, wir sind uns im Grunde
genommen alle darüber einig, daß wir ein Bild der Gesamtpersönlichkeit nur
durch das Erfassen beider Seiten — der körperlichen und der psychischen —
bekommen können. Der Weg der Erforschung lediglich psychischer Zusam¬
menhänge war notwendig für die Entwicklung der Psychoanalyse zu ihrem
heutigen Niveau. Die Psychoanalyse ist jetzt so weit, die Verbindung besonders
mit der Physiologie des Körpers wieder aufnehmen zu können.
Der Zusammenhang von Psyche und Soma wird für uns bei zwei
Phänomengruppen besonders faßbar, nämlich bei den Erscheinungen der
Libido und der Angst. Ich glaube, durch die Untersuchungen, deren
Ergebnis hier in Kürze vorliegt, nachweisen zu können, daß ich durch
die doppelte Betrachtungsweise einen wenn auch kleinen Schritt weiter
m dem Verständnis der Freud sehen Angsttheorie gekommen bin. Der
vollausgeprägte, akute Angstanfall beginnt mit Parästhesien. Es läuft
kalt den Rücken herunter. Dann folgt ein Gefühl von Beklem¬
mung mit Herzklopfen und Kurzatmigkeit, das zunehmend ansteigt.
Gleichzeitig wächst das Gefühl von Angst, das mit dem Höhepunkt der kör¬
perlichen Sensationen seine Klimax erreicht. Ein Gefühl von Kälte erscheint,
verbunden mit Zittern, Zähneklappern und Frieren. Die Haut wird blaß, fühlt
sich kalt an und ist manchmal von kaltem Schweiß bedeckt. Gleichzeitig tritt
Schwindel und Übelkeit auf und manchmal — etwas später — Diarrhöe. Der
Patient sieht alles wie in einem Nebel, die Umwelt tanzt vor seinen Augen.
Die Motorik ist gelähmt, die Beine wollen nicht mehr tragen, der Patient
spricht mit großen Schwierigkeiten und langsam, seine Stimme ist schwach und
i) Vortrag, gehalten auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern
am 28. August 1934.
“ Käthe Misch: Die biologischen Grundlagen der Freudschen Angsttheorie 63
heiser. Jede Bewegung kostet enorme Anstrengung. Der Patient fühlt sich
isoliert von der Welt, manchmal hat er ein deutliches Gefühl von Gespalten¬
sein. Er fühlt sich völlig hilflos der Angst gegenüber, die über ihn hinweg¬
flutet. Die Aufmerksamkeit ist schwer gestört, die Reaktionsdauer verlang¬
samt. Eines der hauptsächlichen psychischen Erlebnisse ist das Vernichtungs¬
gefühl. Es wird nicht immer direkt als Angst beschrieben, sondern rationali¬
siert und mit einem Inhalt versehen. Dieser Inhalt kann Angst vor dem Tod
oder vor einer Geisteskrankheit sein.
Die Beobachtung des großen akuten Angstanfalls gelingt nur selten. Er
unterliegt manchen Veränderungen durch psychische Mechanismen.
Wir können aber nur solche Zustände als Angst beschreiben, bei denen be¬
wußtes Angstgefühl gleichzeitig mit bestimmten körperlichen Veränderungen
besteht; es ist jener Zustand, der gewöhnlich manifeste Angst genannt wird;
(was immer man unter latenter Angst verstehen mag, unsere weiteren Aus¬
führungen werden zeigen, daß damit nur Phänomene gemeint sein können,
die sich mit den hier als Angst beschriebenen nicht decken). Gemeinsam
mit Dr. Walter Misch habe ich über die organische Bedingtheit dieser An¬
fälle Untersuchungen angestellt. 2 Die somatischen Erscheinungen im Angst¬
anfall sind ein charakteristisches Syndrom. Im Vordergrund steht die extreme
Verengerung der peripheren Gefäße, die sich subjektiv als Parästhesien und
Kältegefühl, objektiv als außerordentliche Blässe geltend macht. An zweiter
Stelle finden wir Herzbeschwerden, wie Herzklopfen und Beklemmungsge¬
fühl. Dazu kommen Störungen in der Sekretion verschiedener Drüsen, wie
kalter Schweiß und Verminderung der Speichelsekretion. Während des An¬
falls ist häufig die Pupille erweitert, der arterielle Blutdruck steigt bis zu
150 mm Hg., die Pulszahl bis zu ijo in der Minute, die willkürliche Musku¬
latur hingegen verliert völlig ihren Tonus. Dieses Syndrom stellt eine inten¬
sive Erregung des vegetativen Systems dar. Es handelt sich dabei hauptsäch¬
lich um eine extreme Erregung des sympathischen Systems, zu welcher be¬
sonders gegen Ende der Attacke parasympathikotonische Phänomene sich hin¬
zugesellen. Letztere kann man als kompensatorische Erscheinungen ansehen.
Unsere Untersuchungen bezogen sich nun darauf festzustellen, ob man
bei Beseitigung dieser organischen Erscheinungen unter Ausschaltung jeg¬
licher Suggestivwirkung den Angstaffekt für die Dauer der körperlichen Be¬
einflussung zum Verschwinden bringen kann. Es gelang uns, eine Droge zu
finden, welche imstande ist, die genannten Symptome schlagartig zu
beseitigen. Diese Droge ist das Acetylcholin, welches als Erreger des
parasympathischen Systems bekannt ist und hauptsächlich auf die peri¬
pheren Gefäße erweiternd wirkt. Wir machten die Beobachtung, daß nach
Injektion von 0,1 Acetylcholin nicht nur die körperlichen Symptome zurück-
*) Lbcr das gesamte Material siehe das Referat im Zentralblatt f. d. ges. Neur. u. Psy¬
chiatrie (1933) un ü eine Arbeit, die in Kürze im Journal of Mental Science erscheinen wird.
64
Käthe Misch
gingen, sondern auch das Gefühl der Angst für die Dauer der Drogen Wirkung
verschwand und einem Gefühl des Wohlbefindens Platz machte. Dabei war
jede Suggestivwirkung mit Sicherheit vermieden. Es waren Kassenpatienten,
die seit Jahren wegen ihrer Angst die verschiedensten Ärzte aufgesucht hatten
und immer medikamentös behandelt worden waren. Solange wir nur das In¬
jektionspräparat zur Verfügung hatten, machten wir auch Parallelversuche mit
Injektionen von Wasser; bei diesen Kontrollversuchen blieb die Angst un¬
vermindert bestehen. Später hatten wir ein gleichwirkendes, peroral zu ver¬
abfolgendes Mittel zur Verfügung, so daß die Möglichkeit einer suggestiven
Beeinflussung durch die Injektion wegfiel. Wir trachteten, die Patienten von
Anfang an genau so zu behandeln, wie sie als Kassenpatienten bei anderen
Ärzten behandelt wurden; nach Erkennung der Beschwerden als Angstanfälle
wurden die Patienten körperlich genau untersucht (Angstpatienten stellen ge¬
wöhnlich ihre körperlichen Symptome in den Vordergrund) und es wurde
ihnen auf Kassenrezept das Präparat aufgeschrieben. Erst im weiteren Verlauf
der Behandlung kamen wir mehr auf die psychischen Vorgänge zu sprechen.
Wir gelangten mit Sicherheit zu der Annahme, daß das Verschwinden der
Angst nicht auf suggestive Beeinflussung, sondern auf die Wirkung der Droge
zurückzuführen war.
Als erste Schlußfolgerung ergibt sich aus diesen Versuchen folgendes: Der
Angstanfall ist begleitet von einer stürmischen Erregung im sympathischen
Nervensystem. Wird dieser Erregungszustand aufgehoben, verschwindet mit
ihm die Angst, ohne daß auf die Psyche des Patienten eingewirkt worden wäre.
Zur Angst gehört demnach eine körperliche Komponente, die essentiell zu
sein scheint. Die nächste Aufgabe bestand darin festzustellen, wodurch die
krankhafte Veränderung des vegetativen Systems zustande kommt. Wir kön¬
nen nun beweisen, was von vornherein für den Analytiker nicht unwahr¬
scheinlich war, daß die Sympathikuserregung eine mehr oder minder direkte
Folge einer Libidostauung ist. Die körperlichen Symptome einer beginnenden
sexuellen Erregung zeigen, worauf Freud schon vor 30 Jahren aufmerksam
machte, dieselben Erscheinungen, nämlich Beklemmungsgefühl, Herzklopfen,
Kurzatmigkeit, Zittern, Hemmung der Speichelsekretion usw. Was verschieden
ist, ist das subjektive Gefühl. Ist nämlich die Befriedigung der ansteigenden
Libido zu erwarten, so wird diese Stärke der Sympathikuserregung nicht als
unangenehm empfunden. Bei sexuellen Erregungen, die mit Befriedigung
enden, ist der weitere Verlauf der Erregungswelle im vegetativen System so,
daß im Moment des Orgasmus oder schon kurze Zeit vorher die Sympathikus¬
erregung umschlägt in eine Erregung des Parasympathikus, um nach einiger
Zeit, gewöhnlich während des nachfolgenden Schlafes, wieder in den Gleich¬
gewichtszustand überzugehen. Bei mangelnder Befriedigungsmöglichkeit
wächst die Spannung im sympathischen System immer mehr, bis der körper¬
liche Zustand erreicht ist, als dessen psychisches Äquivalent wir den Angst-
Die biologischen Grundlagen der Freudschen Angsttheorie
65
anfall anzusehen haben. Der Nachweis, daß eine beginnende sexuelle Erregung
sich in Angst um wandeln kann, ist ohne weiteres zu führen. Diese Vorkomm¬
nisse sind aus den Analysen, wo sie sich häufig vor unseren Augen wie im
Mikroskop abspielen, jedem bekannt. Sehr viel schwieriger ist es, den Nach¬
weis dieses unmittelbaren Zusammenhanges zwischen gestauter Libido und
Angst über den Mittels weg des sympathischen Systems in den Fällen zu führen,
wo die Angst im Zusammenhang mit neurotischen Symptomen auftritt. Aber
gerade die Analyse dieses Phänomens führt zu einem besseren Verständnis des
Angstphänomens überhaupt.
Wir haben als eine Entstehungsbedingung der Angst die Libidostauung ge¬
funden. Der Begriff der Libidostauung ist aber nicht eindeutig. Versteht man
nämlich, wie das häufig geschieht, unter Libidostauung einen Zustand, in dem
die normalen Abfuhrmöglichkeiten fehlen und in dem sich infolgedessen ein
höheres Libidoquantum angesammelt hat, als es normalerweise beim Gesunden
der Fall ist, so gilt unsere Behauptung nicht mehr, daß Libidostauung Angst
erzeugt. Viele schwergehemmte Neurotiker sind bekanntlich völlig angstfrei.
Es muß vielmehr, damit Angst entsteht, der Sperrung der Abfuhrmöglich¬
keiten ein zweites Agens vorausgehen. Dies zweite Agens besteht in einem
Reiz, der die in Ruhe befindliche Libido in Bewegung setzt. Dabei kommt der
Organismus in den Zustand, den wir als Erregung kennen. Um die dynamische
Veränderung, die sich dabei in der Libido vollzieht, zu kennzeichnen, wollen
wir von fließender gestauter Libido sprechen, im Gegensatz zu der in Ruhe
befindlichen gestauten, in Wirklichkeit nur angesammelten Libido. Es er¬
scheint uns zweckmäßig, den Ausdruck „Libidostauung“ für das Phänomen zu
reservieren, das entsteht, wenn fließende Libido an der Abfuhr gehindert wird,
und wir werden den Ausdruck „Libidostauung“ nur in dem oben genannten
Sinn verwenden.
Bevor wir in der Aufrollung der Angsttheorie weitergehen, müssen wir uns
noch etwas mit der Natur des Reizes beschäftigen, der die Libido ins Fließen
bringt. Daß eine sexuelle Vorstellung als Reiz wirksam werden kann, ist selbst¬
verständlich. Wir finden aber, daß auch auf ganz andersartige Reize hin Angst
entsteht und müssen dieses Phänomen zu erklären suchen. — Bisher ist bei
Besprechung der Angst das Wort „Gefahrsituation“ noch nicht gefallen. In
der Tat ist auch — wie Freud es ja wiederholt ausgedrückt hat — weder die
objektive äußere Gefahrsituation, noch die Überzeugung, sich in einer solchen
zu befinden, eine notwendige Bedingung für das Auftreten der Angst. Da¬
gegen beobachtet man so häufig das Auftreten von Angst in Gefahrsituationen,
daß die Verknüpfung der Begriffe „Angst“ und „Gefahr“ verständlich wird. Diese
Beobachtung verlangt nach einer Erklärung. Wir glauben diese Erklärung darin
zu finden, daß die Gefahr zwar im allgemeinen nicht die Abfuhrmöglichkeiten
für die Libido sperren muß, daß sie jedoch den Reiz darstellen kann, der die
Libido zum Fließen bringt.
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/i -
66
Käthe Misch
An der Tatsache, daß kein notwendiger Zusammenhang zwischen Angst
und Vorstellung einer Gefahrsituation besteht, wird übrigens auch dadurch
nichts geändert, daß der einen Angstanfall Erleidende gewöhnlich nach kurzer
Zeit anzugeben weiß, wovor er Angst hat. Es handelt sich dabei um den Ver¬
such, durch eine Vorstellungskonstruktion aus der Libidostauung herauszu¬
kommen, indem durch die Vorstellung einer Gefahr der Motilität Abfuhr¬
wege in Gestalt möglicher Vorbeugungsmaßnahmen gewiesen werden.
Ebenso wie die Gefahrsituation können auch andere Reize nicht unmittelbar
sexueller Natur Libido zum Fließen bringen, so z. B. jeder Reiz, der Aggressio¬
nen erweckt usw.
Wir sind also zu der Feststellung gekommen, daß Angst entsteht, wenn
erstens die in Ruhe befindliche Libido durch einen Reiz (sexuelle Vorstellun¬
gen, Gefahrsituationen, Aggressionen usw.) ins Fließen gebracht wird und
zweitens die Abfuhr durch äußere oder innere Bedingungen gehemmt ist, so
daß eine Libidostauung eintritt. Aber auch unter diesen Bedingungen findet
eine Abfuhr statt, allerdings eine äußerst unlustvolle. Diese Abfuhr ist der
Angstanfall.
Der Angstanfall ist ein relativ seltenes Phänomen. Wir wissen aber, daß auf
einen Neurotiker, also auf einen abfuhrgehemmten Menschen, fortwährend
Reize einwirken, die geeignet sind, Libido ins Fließen zu bringen. Warum
haben diese Menschen nicht andauernd Angst? Dies ist dadurch zu erklären,
daß sie die Fähigkeit haben, die fließende Libido rechtzeitig abzustoppen.
Wir wollen diesen Vorgang an einem Beispiel erörtern. Ein Kind wird durch
einen äußeren Reiz am Genitale in Erregung versetzt und seine Libido beginnt
zu fließen, wobei es den Wunsch zu onanieren erlebt. Da mit der Vorstellung
des Onanierens die unlustvolle einer Strafe verbunden ist, wird die Motorik,
die zur Verwirklichung des Onaniewunsches benötigt würde, gesperrt. Das
Weiterfließen der Libido bei gehemmter Abfuhr führt zur Libidostauung. Die
zunächst geringe Libidostauung ruft auf dem Wege über das vegetative System
noch nicht ausgesprochene Angst, aber Unlust hervor. Diese Unlust stellt den
Motor zur Verdrängung der Triebregung dar. Durch Einwirkung der Ver¬
drängung hört die Libido auf zu fließen. Wir sehen, daß die neurotische Sper¬
rung der Motorik nicht zusammenfällt mit der neurotischen Verdrängung des
Triebes (dem neurotischen Abstoppen des Libidoflusses). Daß es sich hier
wirklich um zwei Phänomene handelt, können wir auch erkennen, wenn wir
in der Analyse durch Aufhebung von Verdrängungswiderständen die Libido
des Patienten zum Fließen bringen (genauer: wenn wir ermöglichen, daß sie
auf einen Reiz hin zu fließen beginnt), während die Motorik des Patienten
noch neurotisch gestört ist. In solchen Fällen bekommt der Patient nämlich
Angst.
Der Vorgang, den wir eben beschrieben haben, ist identisch mit dem, was
Freud unter dem Angstsignal versteht. Bei ausführlicher Zerlegung der
Die biologischen Grundlagen der Freudschen Angsttheorie
67
Angstphänomene unter Betrachtung der somatischen Basis scheint es mir
eigentlich nicht notwendig, von einer zweifachen Lokalisation der Angst zu
reden. Angstanfall und Angstsignal unterscheiden sich dann nur in quantita¬
tiver Beziehung. Im Sinne der obigen Ausführungen ist demnach das soge¬
nannte Angstsignal ein innerer Vorgang, der nicht von dem Gefühl der Angst,
ja vielleicht nicht einmal immer von einem Gefühl der Unlust begleitet ist.
Wenn Freud sagt, daß die Kastrationsangst das Angstsignal zur Verdrän¬
gung des Ödipuswunsches sei, so hat er das Wort „Kastrationsangst“ dort nicht
j n dem Sinne gebraucht, in dem wir es hier in dieser Arbeit verwenden, näm¬
lich im Sinne eines manifesten Angstgefühls. Denn manifeste Angst zeigt an,
daß der Verdrängungsmechanismus nicht funktioniert hat. Aus unseren Unter¬
suchungen ergibt sich ferner, daß es eine sogenannte latente Angst überhaupt
nicht geben kann. Entweder hat die Libidostauung bereits zur Angst geführt,
dann ist die Angst auch bewußt. Oder die Libidostauung hat noch nicht zur
Angst geführt, dann ist im psychischen oder somatischen System auch nichts
Angstähnliches zu finden. Der geläufige Ausdruck: „Hinter diesem Symptom
steckt Angst“ mit dem Sinn: „Wenn man das Symptom analytisch auflöst,
kommt eine bisher latente Angst zum Vorschein“, ist irreführend. Die Sym¬
ptomauflösung wird zu einer Libidobefreiung und, wenn Abfuhrhemmung
besteht, in ihrem Gefolge zu einer Libidostauung und damit zur Angst führen.
Ohne das Fortbestehen einer Abfuhrhemmung tritt Angst nicht auf.
Ich hoffe, den Beweis erbracht zu haben, daß die Freudsche These, Angst
sei die Folge einer Libidostauung, somatisch nachgeprüft werden kann, und daß
sich Möglichkeiten eröffnen lassen, diesen Teil der Libidotheorie auf eine
experimentelle Basis zu stellen.
Auch dürfte das genauere Studium des Zusammenhangs zwischen dem
somatischen Phänomen Libido und der „Angst“ die Handhabung der analyti¬
schen Technik nicht unerheblich beeinflussen.
Die Rhigophohie 1
Von
Nicola Perrotti
Roma
Das menschliche Leben ist von äußeren physikalischen Kräften wie Licht,
1 emperatur, Luftdruck usw. abhängig. Unser Organismus ist gegenüber dem
Wechsel dieser Bedingungen sehr empfindlich; wenn jemand an das Leben
im Flachlande gewöhnt ist, leidet er heftig unter der brüsken Senkung
des Luftdrucks, sobald er einen hohen Berg besteigt oder im Flugzeug fliegt.
Ebenso ist unsere Empfindlichkeit gegenüber dem Wechsel der Temperatur
sehr erheblich; nur langsam und unter Schwierigkeit passen wir uns veränder-
ten äußeren thermischen Bedingungen an.
a Sehr wichtig sind die Reaktionen des Organismus gegenüber Temperaturen*
die vom Optimum abweichen. Im folgenden sollen uns nur die Reaktionen*
die auf unter diesem Optimum gelegene Temperaturen zurückzuführen sind,
d. h. die Reaktionen auf die Kälte beschäftigen.
Die physischen Reaktionen sind von der Physiologie genügend beschrieben^
aus diesem Zweig der Wissenschaft erfahren wir auch, welches die unterste
Grenze der Temperatur der Umgebung ist, die mit dem Leben vereinbar ist*
ferner daß sich in unserer inneren Temperatur die äußere Kälte nicht fühlbar
macht, daß diese zunächst eine Vasokonstriktion der peripheren Gefäße her-
vorruft, der eine Hyperämie folgt usw.
Die psychische Reaktion auf Kälte wird in der Form eines Unbe¬
hagens verspürt, das man jedoch als normal und auch als nützlich betrachten
muß, da uns diese subjektive Empfindung davon in Kenntnis setzt, daß eine
ungünstige Umweltbedingung eingetreten ist.
Schon dieses Unbehagen ist bei den einzelnen Personen verschieden: es gibt
Personen, die kein bemerkenswertes Mißempfinden gegenüber einer verhältnis¬
mäßig kräftigen Kälte empfinden, während andere bei jeder auch noch so ge¬
ringen Temperatursenkung zittern und leiden. Diese Abweichungen vom nor¬
malen Reaktionstyp, diese Unter- und Überempfindlichkeit gegenüber der
Kälte, können einen pathologischen Grad annehmen, und es bliebe die Rolle
zu klären, die den psychischen Faktoren dabei zukommt.
Dieses Problem der Interferenz der psychischen und physischen Faktoren,
die den Grad des von der Kälte hervorgerufenen Unbehagens bestimmen, ist
heute noch unentwirrbar. Wir betrachten im folgenden nur jene Form der
Reaktion, die in der Furcht vor der Kälte besteht.
Diese Furcht findet man bei Menschen, die nicht besonders unter der Kälte
leiden; sie fürchten die für die Gesundheit schädlichen Wirkungen der Kälte.
i) Vortrag, gehalten am
einigung.
27. Januar 1934 in der Italienischen Psychoanalytischen Ver-
Nicola Perrottii Die Rhigophobie
69
Deshalb ist diese Reaktion als neurotisch zu bezeichnen: es handelt sich um
eine echte Phobie.
Ich schlage vor, diese Phobie „Rhigophobie“ zu nennen, abgeleitet von §iyo$
„Kälte“.
Es finden sich sehr viele Personen, die mehr oder minder offenkundig mit
dieser Phobie behaftet sind. In den ausgesprochenen Fällen handelt es sich um
Personen, die meist auch sonst um ihre Gesundheit sehr besorgt sind, um Men¬
schen mit Neigung zur Hypochondrie, die ganz der Hygiene ergeben sind, in
fortwährender Furcht leben, krank zu werden, die von Zeit zu Zeit wirklich
eine Phobie vor Ansteckungen, Mikroorganismen, Epidemien usw. haben.
Ihre Besorgnis richtet sich jedoch in besonderer Weise auf die Kälte, die als
eine stetig mögliche Quelle für Erkrankungen angesehen wird. Nachdem sich
nun ihre Furcht zu erkranken in diesem Sinne eingestellt hat, fürchten sie jede
Temperatursenkung und besonders den Winter. Auch im Sommer sind sie
nicht frei vor Furcht, da man in der Hitze schwitzt, und der Luftzug, den man
durch die „häßliche“ Gewohnheit, die Fenster offen zu lassen, hervorruft, in
gleicher Weise die Möglichkeit von Erkältungen bietet.
Um sich vor der Kälte zu schützen, beginnen diese Personen, sich mit den
verschiedensten Dingen zu bedecken und zu bekleiden: mit Unterjacken
gröberer und feinerer Art, Schärpen, Schals, Kleidungsstücken jeder Stärke,
Paletots, Pelzen, Regenmänteln, Pelerinen, schließlich mit Strümpfen, Unter¬
ziehstrümpfen, Stiefeln, Überschuhen, Gamaschen usw.
Liegen sie zu Bett, so genügen keine Decken, Tücher, Fußdecken und
Kissen; in dieser Lage bereiten die Schultern besondere Schwierigkeit, da
sie sich kaum zwischen Decken und Kissen schützen lassen; dies ist auch ein
guter Grund dafür, um zur Vervollständigung zu den Jacken, die sie schon
tragen, noch manches Leibchen oder manchen Schal hinzuzufügen.
Die Art und Weise, den Kopf zu bedecken, ist der Gegenstand besonderer
Aufmerksamkeit; jede Art von Turban, Mütze usw. ist gut dafür.
Natürlich fliehen und meiden diese Personen jeden kalten Aufenthalt, Keller,
windige und feuchte Straßen, Ateliers, Vorzimmer und Korridore; sie suchen
warme Orte auf, wie sonnige Straßen, Häuser, die nach dem Süden zu liegen.
Man tut besser, an kalten Tagen und an Abenden nicht auszugehen, und ver¬
doppelt, wenn man dazu gezwungen ist, seine Kleidung. Aber im allgemeinen
ziehen sie es vor, sich in ihrem Hause einzuschließen, sie verstopfen alle Öff¬
nungen, durch die kühle Luft eindringen könnte, vermeiden jeden Luftzug
und hüten sich vor allem davor, Türen und Fenster zu öffnen.
In der langen Reihe ihrer Ängste, Befürchtungen und Besorgnisse sind einige
Besonderheiten bemerkenswert. Vor allem fürchten sie den Übergang von
einem warmen Raum in einen kalten, und aus dieser Angst entspringen tausend
Vorsichtsmaßregeln, zu denen jene gehört, sich erst in einer mittleren Tempe¬
ratur aufzuhalten, wenn man z. B. aus einem Theater oder einem Ball kommt.
7° Nicola Perrotti
Die beste Vorsichtsmaßregel ist es, ein Taschentuch vor den Mund zu halten,
um nicht zu kalte Luft in die Lungen gelangen zu lassen.
Mehr als der kalte Raum ist es die Zugluft, die für schädlich gehalten wird.
Vielfältig sind daher die Maßnahmen dagegen. Bemerkenswert ist, daß be¬
sonders solche Zugluft für schädlich gehalten wird, welche aus einer Mauer¬
spalte, aus einem Loch kommt, und dann, wenn sie die Schultern trifft.
Für besonders schädlich aber gilt die feuchte Kälte. Naß werden, sich ein¬
regnen lassen, nach einem Bad sich nicht gut abtrocknen, mit feuchten Füßen
bleiben, gehören zu den gefährlichsten Situationen; und unter diesen wiederum
gilt als die gefährlichste das Schwitzen und das Trocknen des Schweißes am
Körper. Nach dem Urteil dieser Menschen kann die Kälte eine unbegrenzte
Zahl von Krankheiten verursachen, und zwar besonders solche des Atmungs¬
apparates, in zweiter Linie rheumatische Erkrankungen und schließlich Darm¬
erkrankungen, z. B. Durchfälle infolge von Kälte, die auf den Leib einwirkt.
Das Wort „Erkältung“ als Bezeichnung für Schnupfen oder leichte Grippe
zeigt, wie zweifellos diese Infektionen in pathogenetischen Zusammenhang mit
der Abkühlung gebracht werden.
Den extremen Fall stellt ein Patient dar, der wegen einer solchen Kälte¬
phobie seinen Wohnsitz von Italien nach Tunis verlegte. Auch dort fand er
keine Ruhe, jeder Luftzug versetzte ihn in Angst. Seine Furcht vor Luftzug
gipfelte schließlich darin, daß, wenn er schlief, der Atem seiner Frau, der seinen
Kopf traf, die Ursache von Abkühlung und Erkältung werden könnte.
Solche Fälle, in denen die Kältefurcht zur fixen Idee, zur wahren Besessen¬
heit wurde, die die Gedankenwelt des Patienten nicht mehr verläßt, sind sehr
selten. Am anderen Ende der Reihe finden wir einen sehr leichten Grad von
Kaltephobie, den die Mehrheit der Personen zeigt, die für normal gehalten
werden: wenn er unsere Aufmerksamkeit nicht wachruft, so liegt das ledig¬
lich an seinem allgemeinen Vorkommen. In der Tat gibt es nur wenige, die
davon vollständig frei sind, und viele von uns haben Furcht davor, ’sich
schwitzend einem kalten Luftzug auszusetzen oder lange mit nassen Füßen
zu bleiben.
Im allgemeinen kann man sagen, daß ein stark betonter Grad von Kälte¬
phobie schwerlich als isoliertes Symptom vorkommt, sondern. daß er mit
anderen Phobien einhergeht, die sich auf die eigene Gesundheit beziehen. Ich
persönlich habe bemerkt — aber ich könnte nicht sagen, ob dies allgemeine
Ansicht ist , daß die Kältephobie fast immer von Befürchtungen für die
Verdauung begleitet ist.
Bei dieser Gelegenheit erwähne ich eine Patientin, eine Volksschul¬
lehrerin, die an einer Kältephobie erheblichen Grades litt, die unterwegs der¬
art in Sachen eingepackt ging, daß sie fortgesetzt schwitzte, was wiederum
die Ursache einer Reihe von Besorgnissen war. Aber sie fürchtete auch, sich
infolge Mangels von Speisen schwach zu fühlen, und war nicht ruhig, wenn sie
Die Rhigophobie
71
nicht neben sich irgend etwas zum Essen hatte. Während des kurzen Weges
von der Schule nach Hause war sie von einer doppelten Angst befallen: wenn
sie schnell lief, kam sie schnell nach Hause und fand etwas zum Essen vor,
aber dann hätte sie geschwitzt und hätte sich erkältet; wenn sie aber nicht
schnell ging, hätte sie die Schwäche mitten auf der Straße befallen können.
Die Sache endete damit, daß sie eine Bekannte, die in der Mitte des Weges
wohnte, bat, ihr jeden Morgen um dieselbe Zeit einen Suppenbrei bereitzu¬
halten.
Wie hat man nun diese neurotischen Symptome zu deuten?
Es ist hervorzuheben, daß diese Phobie lange Zeit vernachlässigt und nicht
beschrieben wurde; das lag daran, daß sie eine Abart der Nosophobie oder
Furcht vor Krankheiten im allgemeinen ist, eines Syndroms, das man für nah
verwandt der Hypochondrie hielt; diese erachtete man aber als Aktualneurose
nicht für sehr geeignet für eine nach dem „Sinn“ suchende Analyse.
Aber schon Ferenczi war nicht damit einverstanden, in den Aktual-
neurosen nur das toxisch-sexuelle Moment zu sehen, und suchte den tiefen
Sinn einiger ihrer Erscheinungen. Die Analyse der Kältephobie wird vielleicht
manche Erscheinung der Hypochondrie aufklären helfen.
Bei der Hypochondrie haben viele Beobachter den Zusammenhang mit den
Masturbationskonflikten hervorgehoben; unsere Beobachtungen über die Kälte¬
phobie bestätigen diesen Eindruck.
Bevor wir uns in diese Erörterungen einlassen, wollen wir nicht unerwähnt
lassen, daß die Kältephobie sich auf das falsche Urteil berufen kann, welches
dahin geht, daß die Kälte tatsächlich die Ursache von Krankheiten ist; man
könnte daher denken, daß diese Phobie nur die Übertreibung einer Furcht ist,
die einer wirklichen Gefahr gilt.
Aber hiermit werden wir keinen Fortschritt im Verstehen des speziellen
Sinnes des Symptoms machen, weil das gleiche von vielen anderen Phobien
gesagt werden kann. Andererseits bliebe es eine Frage, warum ein solches Fehl¬
urteil, ein wirkliches Präjudizium (Vorurteil) möglich wurde und sich bis
heute so hartnäckig im menschlichen Denken erhielt.
Von diesem logischen Irrtum spricht Jones, der einzige Autor, von dem
ich weiß, daß er sich mit dem psychologischen Wert dieses die Kälte betref¬
fenden Vorurteils beschäftigt hat. Dieser Autor bemerkt hierbei, wie in der
wissenschaftlichen Ätiologie die Kältetheorie um so mehr an Boden verliert,
je genauere Kenntnisse wir erwerben. Er erinnert beispielsweise an die
zeitlich nicht weit zurückliegende Auffassung, nach der die Eierstock¬
entzündung eine Folge davon ist, daß man während der Menstruation
offene Schlüpfer getragen hat. Gemäß dieser Auffassung steige die
kalte Luft, die durch die Vagina eindringt, längs des Zervikalkanals
bis zum Uterus auf, dringe in die Tuben ein und schließlich in den
Eierstocken vor. Der Autor versucht auch, eine psychologische Erklärung
72
Nicola Pcrrotti
für diesen veralteten und hartnäckigen Glauben zu geben. Er erinnert an die
Ansicht Tr Otters, nach der das Unbehagen, das der Mensch in kalter Luft
empfindet, sich mit der Furcht verknüpft, sich losgelöst von der warmen Um-
ge ung zu befinden, in der er sich in Sicherheit fühlt, und hebt hervor, wie
durch das Unbewußte die Vorstellung der Krankheit sich mit der Vorstellung
er Wunde verknüpft und diese mit der Kastrationsangst und schließlich mit
dem Geburtstrauma, und schließt: „Der unerwünschte Reiz, der von diesem
emperaturwechsel (der Geburt) hervorgerufen wird, verwirrt seine (des
indes) ganze Art und Weise des Seins, und von seiner (unfreiwilligen) Re-
a tion auf diese Erschütterung wird sein ganzes weiteres Leben abhängen. Da
darf man sich in der Tat nicht wundern, wenn der herrschende Eindruck, den
man auf diese Weise an der Schwelle des Lebens empfängt, für immer bestehen
bleibt, nachdem er mit der Vorstellung der Unbequemlichkeit, Unsicherheit,
Gefahr und schließlich des körperlichen Übels verknüpft war.“
Die Verknüpfung der Reaktion gegenüber der Kälte mit dem Geburtstrauma
ist nach unseren Erfahrungen vollkommen richtig; dies kann uns auch teil-
weise erklären, warum durch den Kastrationskomplex die Kälte eng mit der
Vorstellung von Krankheit verknüpft geblieben ist, mit anderen Worten, es
kann uns erklären, warum die Kälte für eine wirkliche Gefahr gehalten wurde
und noch heute gehalten wird, obwohl diese Gefahr nach unserer Meinung
ganz oder teilweise fiktiv ist; aber es erklärt uns nicht vollständig den Sinn
der übertriebenen Furchtreaktion vor der Kälte.
Denn das Geburtstrauma kann uns wohl überhaupt das Auftreten der Angst,
aber nicht den verschiedenen Inhalt der Phobien erklären und so auch nicht
die Gründe liefern, warum gerade manche Personen besonders an der Furcht
vor Käke leiden. Ich glaube, daß es auch in diesem Falle andere spätere,
arfektbetonte Situationen gegeben hat, die mit ihren traumatischen Wirkun¬
gen pathogenetisch je einen bestimmten Bestandteil des komplizierten Ge-
burtstraumas aktiv gemacht haben. Daher wird man, auch wenn man den
Wert des Geburtstraumas vollständig anerkennt, wenn möglich eine andere
traumausche Situation zu suchen haben, in der die Kälte der Gegenstand eines
Affektes war.
Die Analyse dieser Phobien müßte uns Aufklärung bringen. Es ist aber sehr
schwierig, Patienten zur Analyse einzig und allein wegen dieser Phobie zu er¬
halten, sei es, weil sie sich selten als isoliertes Symptom zeigt, sei es, weil die
Patienten sich so mit ihr abgefunden haben, daß sie weder an die Notwendig¬
keit noch an die Möglichkeit denken, sich von ihr zu befreien. Indessen be¬
gegnet man im Verlauf von Analysen anderer Neurosen so häufig diesem
Symptom, daß sich oft die Gelegenheit ergibt, es zu deuten.
Bei einer ersten Prüfung der Träume, Assoziationen und des Verhaltens der
Patienten entdeckt man plötzlich, daß die Kältesensationen einerseits eng mit
der Vorstellung von Krankheit, andererseits mit dem Empfinden des Naßseins
73
Die Rhigophobie
verknüpft sind. Selten träumt ein Patient, lediglich ein Kältegefühl zu emp¬
finden; hingegen ist es sehr häufig, daß er träumt, daß diese Empfindung auf
kaltes Wasser zurückzuführen ist, oder daß er sich erkältet, oder daß er nasse
Wäsche trägt, oder auf die Tatsache, aus einem Bad zu steigen und zu frieren
usw H i er finden wir die Bedeutung der Feuchtigkeit und der Luft, die diese
Feuchtigkeit abkühlt, wieder, also jener Faktoren, die in den Symptomen, wie
wir gesehen haben, stets zutage treten. Bei weiterer Analyse findet man, daß
dieses Naßsein, dieses Feuchte, das bei der Berührung mit der Luft ein un¬
angenehmes Kältegefühl hervorruft, zu jenem Eindruck der Kälte führt, den
das Kind empfindet, das eingenäßt hat und in den nassen Sachen daliegt.
Ein Patient z. B. träumt, sich auf einer Eisenbahnstation zu befinden und
den Zug nehmen zu müssen. Aber es herrscht große Verwirrung, weil eine
Überschwemmung war, und er fürchtet, den Zug zu verpassen. Es ist finster
und er friert. Nachdem sich der Patient an kürzlich geschehene Vorkomm¬
nisse erinnert hat, verbindet er die Überschwemmung im Traume mit der
Überschwemmung des Bettes, in das er uriniert hat. Er erinnert sich an das
Erwachen in der dunklen Nacht und an das unangenehme Kältegefühl, das
durch die abgekühlte Feuchte verursacht war. Die auf dem Bahnhof herr¬
schende Verwirrung läßt ihn an seine Verlegenheit und an seine Furcht vor
Vorwürfen seitens der Mutter denken. Den Zug zu versäumen — ein Vor¬
gang, der schon in anderen Träumen analysiert war —, bedeutete, das Glied
zu verlieren.
Ein anderer Patient, und zwar ein reiner Fall von Kältephobie, leidet unter
anderem an Pollakisurie, d. h. am Bedürfnis, oft zu urinieren, manchmal alle
io Minuten. Der Vorgang des Urinierens ist stets von einem deutlichen, lästi¬
gen Kältegefühl begleitet, und zwar einem allgemeinen und einem auf das
Glied lokalisierten, so daß er sogar das Bedürfnis verspürte, den Penis mit
irgendeinem warmen Wäschestück zu bedecken, was er gelegentlich auch tat.
Derselbe Patient leidet auch bei mancher anderen Gelegenheit an einer affekt¬
betonten Harnverhaltung, es ist ihm unmöglich, in Gegenwart von anderen
Personen, oder wenn er weiß, daß er beobachtet wird, Harn zu lassen. Wenn
es ihm unter diesen Umständen gelingt zu urinieren, wird er von einem Kälte¬
gefühl befallen. Die Assoziation der Kälte mit dem Urinieren ist sehr klar,
und die Tatsache, daß er in Gegenwart von Menschen nicht urinieren kann,
ist die Folge des Verbots der Eltern. D. h. er verhält sich, als ob er in An¬
wesenheit des Vaters nicht urinieren könnte, und wenn er uriniert, wird er
von einem Kältegefühl befallen, wie damals, als er dem Verbot der Eltern zu¬
widerhandelnd, ein Kältegefühl bemerkte, weil er ins Bett uriniert hat. Nach¬
dem er an diese Vorgänge in der Kindheit erinnert worden war, schwächten
sich die Symptome, die er beim Urinieren aufwies, derart ab, daß man sie als
verschwunden betrachten kann.
Ein anderer Patient träumt, sich zusammen mit Bruder und Schwester in
74 Nicola Perrotti
einem Zimmer ohne Tür und Fenster zu befinden, das nur von oben her offen
war. Er will hinausgehen, und im Gegensatz zu den Geschwistern, die dazu
nicht fähig sind, klammert er sich am Rande der Wand fest, hebt sich mit
Hilfe der Arme in die Höhe und kommt hinaus. Dann befindet er sich am
Meeresufer, und zwar immer zusammen mit seinen Geschwistern. Sie wollen
ein Bad nehmen, aber während die Geschwister Furcht vor dem kalten Wasser
haben, taucht er hinein. Auch hier wird durch die Assoziationen das Geburts-
symbol offenkundig, auch die Beziehung darauf, daß er der Erstgeborene ist.
r- m f e ^ a§C ^ arau ^ träumt derselbe Patient, daß er sich in einer Badewanne
befindet und aus einem Hahn Wasser laufen sieht. Das Wasser kühlt sich ab,
ann denkt er, daß er aus dem Bad steigen muß, jedoch er schämt sich, weil
sein Vater zugegen ist. Der Patient verknüpft sofort mit dem Hahn, aus dem
as Wässer lauft, den Vorgang des Urinierens; daß er sich schämt, aus dem
a zu steigen, läßt ihn an den Vorgang denken, daß er sich schämte, sich
naß von Urin auffinden zu lassen, und schließlich an seine Verlegenheit, als
die Eltern das Bett aufmachten. Die Anwesenheit des Vaters in dem Augen¬
blick, als er aus dem Bad steigt, ist bezeichnend.
Eine andere Patientin leidet unter anderem an der Furcht vor Näh- und
Stecknadeln. Lediglich der Anblick derartiger Gegenstände ruft in ihr eine be¬
sonders unangenehme Empfindung hervor, wie ein Gefühl des Gefrierens im
ganzen Körper, als ob kalte Ströme in sie eingedrungen wären. Da ich die Be-
eutung dieser Phobie zu kennen glaubte, beschäftigte ich mich nicht weiter
mit diesem Kältegefühl, bis die Patientin einmal erwähnte, daß ihr als Kind
die Eltern wegen Bettnässens heftig gedroht hatten; eines Morgens, nach er¬
neutem Einnässen, hatte auch die Tante gedroht, ihr die Geschlechtsorgane mit
emer Matratzennadel, die sie in der Hand hielt, zuzunähen. Sie sah die Szene
vollständig im Geiste wieder, wie sie wehrlos im aufgedeckten Bett dalag,
heftig fror und einen wahren Schrecken verspürte. Sie erwähnte, daß diese
Furcht, die Geschlechtsorgane würden ihr zugenäht, noch lange Zeit anhielt
Wir sehen demnach nicht nur bestätigt, daß das Kältegefühl sich mit dem
des „Naßseins“ verbindet, und daß dieses vom Harn herrührt, sondern auch,
daß das Unbehagen, die Verlegenheit und die Kälte mit Schuldgefühl ver¬
knüpft sind, weil man die elterlichen Befehle und Verbote nicht befolgt hat.
Ein indirekter Beweis wird uns hierfür noch von einer anderen Erwägung
geliefert. Bekanntlich ist der Schweiß physiologisch und klinisch ein Äqui¬
valent für den Harn, und man kennt die therapeutischen Bemühungen, Kranke
bei denen die Diurese spärlich ist, zum Schwitzen zu bringen.
Aber auch psychologisch besteht diese Äquivalenzbeziehung. In einem Fall
von dem nur Dr. Weiß mündlich berichtete, litt ein Patient unter anderem
daran, daß seine Hände stark schwitzten, und zwar besonders in unange¬
nehmen Situationen, die sich infolge seines scheuen Wesens und seiner Neur¬
ose häufig wiederholten. Wenn er sich irgendwo vorstellen, wenn er Personen
Die Rhigophobie
75
von Ansehen oder auch nur flüchtig Bekannte grüßen mußte, bereitete er sich
in der Weise darauf vor, daß er sich die Hände mit dem Taschenfutter oder
mit dem Taschentuch, das er unbefangen in den Händen zu halten suchte, oder
an der Jacke abtrocknete. Natürlich half das alles nicht, und das Schwitzen
seiner Hände blieb der Ausdruck seiner Verlegenheit; genau wie wenn ein
anderer in der gleichen Lage erröten würde. Dieser Patient hat an nächtlichem
Einnässen bis zum Alter von 3 bis 4 Jahren regelmäßig, manchmal auch später
noch gelitten, die Feuchtigkeit der Hände wiederholte das Naßwerden durch
den Harn und die Besorgnis, daß man es entdecken könnte. Schon damals hat
er auf jede Weise versucht, das Bettlaken zu trocknen. Wenn er später in
der warmen Jahreszeit aufwachte und sich feucht fühlte, war er im Zweifel,
ob er stark geschwitzt oder eingenäßt hatte. Um sich gegenüber seiner Mutter
zu rechtfertigen, sagte er, er habe nicht eingenäßt, sondern geschwitzt.
In diesem Fall trat wie so oft die Hand als Ersatz für das Glied ein; daß
aber den Patienten gerade die Vorstellung quälte, wie unangenehm die anderen
die Berührung seiner Hand empfinden mußten, die mit kaltem Schweiß be¬
deckt war, macht das Schuldgefühl evident, welche das Unbehagen oder das
Behagen der Enuresis begleitet.
Diese Vorgänge erinnern uns an den in der ganzen Welt volkstümlichen
Brauch, der sich auch heute noch eines guten Rufs im Kreise der Ärzte er¬
freut, nämlich im Falle eines jeden Leidens, das durch die Kälte verursacht ist,
schwitzen zu lassen. Dazu sind alle Mittel und alle Aspirine dieser Welt gut.
Dieses Vorgehen ist auch in einfacher Weise auf dem Vorurteil begründet,
daß die Wärme als Gegensatz die schädlichen Wirkungen der Kälte neu¬
tralisiert.
Es ist aber nicht so sehr die Wärme, die man sucht, als der Schweiß. Der
Brauch zu schwitzen läßt in Beziehung zum Urinieren daran denken, daß sich
in dieser Weise etwas mit Erlaubnis des Über-Ichs verwirklichen kann, was
dem Einnässen im Bett ähnelt. Dieser Vorgang des Schwitzens muß übrigens
nach allen Regeln der Kunst geschehen, man hat die Wäsche zu wechseln,
warme, trockene Wäschestücke zu nehmen, auch wird eine nicht zum Aus¬
bruch gekommene Schwitzprozedur als sehr große Gefahr betrachtet; es macht
wirklich den Eindruck, daß der Vorgang als eine Überschreitung und die
Krankheit als Strafe für ein Vergehen angesehen wird, daß das Schwitzen ein
der Strafe Entgegenkommen, aber auch ein Zugeständnis an das ursprüngliche
\ ergehen darstellt. Man beobachte nur, mit welchem Behagen sich die Kran¬
ken zu Bett legen, um zu schwitzen, um auf diese Weise etwas zu verwirk¬
lichen, was an die Wiege und den Mutterschoß erinnert. Das Schuldgefühl
geht auf den Zusammenhang zurück, der zwischen Harnentleerung und kind¬
licher Sexualität besteht. Freud sagt: „Das nächtliche Einnässen... entspricht
einer Pollution. Deshalb schämt man sich genau so eines Flecks, der vom
7$ Nicola Perrotti
Einnässen stammt, wie eines solchen, der vom Samen herrührt; beide möchte
man verbergen und abtrocknen.
Die Harnerotik ist erfahrungsgemäß mit der Neigung zu exhibieren und
dem Ehrgeiz verknüpft, und zwar ist es ein narzißtischer Ehrgeiz, den die
Hypochonder im allgemeinen und die mit Kältephobie Behafteten im beson¬
deren darbieten.
Als Reaktion und Verteidigung gegen diese exhibitionistische Neigung zeigt
sich die entgegengesetzte Tendenz, nämlich sich zuzudecken, zu verstecken,
mit Kleidern und Decken zu umgeben, als das offenkundigste Charakteristikum
der mit Kältephobie Behafteten; sie wird rationalisiert durch die Absicht, sich
gegen die Kälte zu verteidigen, wenn man „nackt“ ist.
Nach dem, was wir hier auseinandersetzen, scheint es klar, daß diese Phobie
auf eine exhibitionistische Stufe zurückgeht, bei der der Phallus als Organ auf¬
gefaßt wird, das uriniert. Die Unterdrückung des Einnässens, das der Samen¬
entleerung äquivalent und der Masturbation ähnlich ist, läßt Schuldgefühl und
Kastrationsangst zurück. Hierbei ist zu bemerken, daß viele Patienten, die sich
an keine Kastrationsdrohung wegen masturbatorischer Manipulationen er¬
innern, wohl eine solche wegen Einnässens in Erinnerung behalten haben.
Jede Analyse des Einnässens deckt, wenigstens beim männlichen Geschlecht,
regelmäßig die Beziehung zum Ödipuskomplex auf; so träumte z. B. ein drei¬
jähriges Kind, das an Einnässen litt, unter anderem davon, daß es den Anreiz
zum Urinieren fühlte und daß es sich anschickte, an der Fassade jenes Hauses
zu urinieren, in dem es wohnte; ein Traum, der leicht zu verstehen ist, wenn
man nur daran denkt, daß das Haus Symbol der Mutter ist.
Nach den Äußerungen der Patienten wird die Kälte besonders als etwas ange¬
sehen, das von außen kommt, das uns trifft (man sagt in der Tat, daß die Kälte
„stechend“ oder „schneidend“ ist), das besonders schädlich ist, wenn sie uns
nach Art einer Waffe an den Schultern trifft, und wenn sie aus einer Öffnung
oder einem Mauerloch kommt. Die Kranken hegen eine ewige Besorgnis um
ihre Gesundheit und fürchten jeden Augenblick, krank zu werden; sie be¬
finden sich tatsächlich in einem Zustande von Selbstanklage und unbewußter
Schuld. All das wird begreiflich, wenn man annimmt, daß die Furcht vor der
Kälte sich mit der Furcht vor einer Verstümmelung (Wunde, Krankheit) wegen
Übertretungen verknüpft, die sich auf die Harnerotik beziehen.
Wir fassen zusammen:
1. Der unangenehme Eindruck der Kälte verknüpft sich mit der unange¬
nehmen Empfindung des abgekühlten Harns und zutiefst mit dem ersten Ein¬
druck der Außenwelt, d. h. mit der Geburt.
2 . Die Vorstellung, die Kälte könnte Krankheiten hervorrufen, verbindet
sich mit der Vorstellung der Bestrafung, die der Übertretung des Verbots der
harnerotischen Erscheinungen folgt.
*- Die Rhigophobie 77
Die Furcht vor Kälte ist der bewußte Ausdruck eines unbewußten
Eindrucks einer Gefahr, die sich auf diö Kastrationsdrohung bezieht. 2 So er¬
klärt sich nicht nur die Phobie, sondern auch jedes übertriebene Kranksein
infolge der Kälte.
Man könnte meinen, daß es den Kranken mit Hilfe ihrer Kältephobie
wenigstens gelingen müßte, den so sehr gefürchteten Krankheiten zu entgehen;
wir finden aber, daß sie ihnen sogar besonders und in immer stärkerem Maße
unterworfen sind. Dies mag, wie Jones bemerkt, daher rühren, daß diese
Kranken ein Leben führen, das jeder normalen Hygiene widerspricht; doch
man hat den berechtigten Eindruck von einer unbewußten Neigung, sich zü
bestrafen, und zwar gerade in der so sehr gefürchteten Weise. Es scheinen
demnach sowohl die Phobie als auch die physische Erkrankung von einer und
derselben psychischen Ursache herzurühren.
Eine der körperlichen Reaktionserscheinungen gegenüber der Kälte ist be¬
kanntlich das Zittern, welches sowohl den Beginn des Fiebers anzeigt, als auch
die Furcht begleitet. Eine Patientin erklärte mir, sie könne das Zittern aus
Angst nicht vom Kältegefühl unterscheiden, Zittern, Angst und Kälte riefen
in ihr ein und dieselbe Empfindung hervor.
Wir müssen nun daran denken, daß diese gleiche Reaktion, das Zittern, die
Antwort auf ein und dieselbe Ursache sei, die eben eine Gefahrensituation ist.
Wir haben gesehen, daß die Kälteempfindung mit der Furcht vor dem Übel,
dem körperlichen Schmerz verknüpft ist, und wir haben auch gesehen, daß an
der Basis der Kältephobie die Furcht steht, der Mutter, der Liebe der Eltern,
der Wiege, des Gliedes beraubt zu werden. Zutiefst liegt auch hinter diesen
Ängsten stets die Furcht vor dem Tode, und der mit Kältephobie Behaftete
fürchtet im Grunde die Krankheit und bewußterweise den Tod.
Itn Gegensatz zu dem Schauer und der Kälte des Todes ist die Wärme
immer als der Ausdruck des Lebens betrachtet worden.
2) Unter den Krankheiten, von denen man annimmt, daß sie durch die Kälte hervor¬
gerufen werden, sind die sogenannten rheumatischen die bedeutsamsten. Das Wort „Rheuma“
kommt von (tew „fließen“, und erinnert wieder an das Fließen und Sichausbreiten des Harns.
Im Laufe dieser Betrachtungen sind wir aber auch mehrfach unbewußten Verbindungen zwi¬
schen Kältegefühl einerseits und physischem Schmerz und Krankheit andererseits begegnet,
die wir auch in bewußtem klinischen Vorgang so oft vereint sehen.
Zur Theorie der psychoanalytischen Technik 1
Von
Otto Fenidiel
Oslo
I.
Wenn man über „Theorie der Technik“ spricht, ist es leider noch not¬
wendig, über die Berechtigung eines solchen Begriffes zu reden. Es gibt Auf¬
fassungen von der „irrationalen“ Natur der psychoanalytischen Technik, die
sich überhaupt gegen Bestrebungen zur theoretischen Erfassung technischer
Grundsätze wenden. Einer solchen Auffassung hat z. B. in letzter Zeit Reik
Ausdruck gegeben. 2 Weil das Instrument der analytischen Technik das Un¬
bewußte des Analytikers ist („Relais“Vorstellung), weil die Intuition bei der
Erfassung der Vorgänge im Patienten nicht entbehrt werden kann, will er bei
der psychoanalytischen Technik alles dem Unbewußten und der Intuition
überlassen. Solche Auffassungen müssen schließlich dazu führen, daß, weil
der Gegenstand der Psychoanalyse das Irrationale ist, diese selbst irratio¬
nal gesehen wird, jeden Charakter einer Wissenschaft verliert und zur reinen
Kunst wird.
Demgegenüber meinen wir: Wir haben eine dynamisch-ökonomische Auf¬
fassung des Seelenlebens. Auch unsere Technik, die eine dynamisch-ökono¬
mische Änderung im Patienten anstrebt, muß nach dynamisch-ökonomischen
Grundsätzen erfolgen; sie muß konsequent in der der Psychoanalyse über¬
haupt zugrunde liegenden Denkweise bleiben und das durch die (allerdings un¬
entbehrliche) Intuition sich ergebende Handeln nach rationalen Richtungs¬
zeichen ordnen.
Freud ist der Schöpfer der Begriffe der „Dynamik“ und der „Ökonomik“
im Seelenleben. Sowohl die ganze Art, wie er neurotische Phänomene zu
studieren pflegt, als auch seine technischen Publikationen 3 lassen keinen
Zweifel daran, daß ihm auch die analytische Deutung und das Vorgehen des
Analytikers überhaupt als ein Eingriff in die Dynamik und Ökonomik des
Patienten erscheint, daß er also von der Deutung noch anderes verlangt, als
daß sie inhaltlich richtig sei. Von ihm stammt das Wort, daß nur ein solches
Verfahren Psychoanalyse zu nennen sei, das Widerstände und Über¬
tragung benutzt; 4 und das heißt ja: das in die Dynamik eingreift und nicht
etwa nur „Übersetzungen“ der Anspielungen des Patienten gibt, sobald der
Analytiker verstanden hat, worauf sie anspielen. Die Formel, der Analytiker
solle Unbewußtes bewußt machen, könnte zu solchem Mißverstehen führen.
Tatsächlich kan n auch solches Aussprechen des Sinnes etwa eines Symptoms
1) Diskussionsbemerkungen zur Arbeit von H. Kaiser: „Probleme der Technik“, Int.
Ztschr. f. Psa., XX, 1934.
2) Siehe Reik: New Ways in Psycho-Analytic Technique. Int. Journal of Psa., XIV, 1933.
3) In Band VI der Ges. Sehr.
4) Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung. Ges. Sehr., Bd. IV, S. 421.
Otto Fenichel: Zur Theorie der psychoanalytischen Technik
79
manchmal bedingen, daß das Symptom schwindet; aber es muß nicht so sein.
Wenn man verstehen will, wovon es abhängt, ob solche Wirkung der Deutung
eintritt oder nicht, kommt man mit bloß topischen Auffassungen nicht weiter.
Es hängt davon ab, ob eine Verdrängung (richtiger: eine mit Daueraufwand
einhergehende Triebabwehr) wirklich aufgehoben wird oder nicht. Was aber
hebt Verdrängung auf? — Die dynamische Auffassung begreift das Psychische
als ein fortwährendes Ringen zwischen nach Abfuhr suchenden Tendenzen und
abwehrenden oder siebenden Kräften des Ichs, zwischen den Besetzungen der
Triebe und den Gegenbesetzungen des Ichs. Daß auch diese aus jenen hervor¬
gegangen sind, interessiert uns in diesem Zusammenhänge nicht. Wir überlegen
uns den Sachverhalt bei schon bestehendem neurotischen Konflikt und stellen
dann fest, daß sich dieser zwischen einem unbewußten Triebanspruch und den
mit „Gegenbesetzung“ ausgestatteten Abwehrkräften des Ichs abspielt, die sich
in der Behandlung als Widerstände zeigen. (Es ist an sich richtig, aber mi߬
verständlich, wenn Kaiser die Energie, mit der die den Trieb abwehrenden
Kräfte arbeiten, als „narzißtische Libido“ bezeichnet. Wenn man sich
nicht in lange Diskussionen über die Problematik der Genese dieser Libido
einlassen will, gebraucht man wohl für diese Energie besser den von Freud
eingeführten Terminus „Gegenbesetzung“.) In dieses Spiel zwischen Trieb
und Widerstand haben wir einzugreifen. Wir brauchen bei einem solchen Ein¬
griff den Trieb nicht zu verstärken und könnten das auch gar nicht. Der ver¬
drängte Trieb ist bei der Arbeit unser Bundesgenosse; er drängt von selbst zu
Bewußtsein und Motilität hin. Wir brauchen nur dafür zu sorgen, daß sich
ihm keine Widerstände in den Weg stellen. Gelänge es, die Widerstände weg¬
zuräumen, so müßte sich das Verdrängte von selbst melden. Diese dyna¬
mische Auffassung der Deutung — wir haben Widerstände aufzusuchen und
aufzudecken, damit das Verdrängte sich melde — ist dann noch in ökonomi¬
scher Hinsicht zu ergänzen: Wir haben den ökonomisch wichtigsten und
stärksten Widerstand anzugreifen, um die Libido wirklich in ökonomisch aus¬
schlaggebender Weise zu befreien, so daß, was bisher in Verdrängungskämpfen
gebunden war, zur realen Befriedigung zur Verfügung stehe. Die verdrängt
gewesenen infantil-sexuellen Regungen finden dann Anschluß an das Ich und
wandeln sich damit zum größeren Teil in orgasmusfähige Genitalität, bzw.
werden zum andern Teil sublimierungsfähig.
..Theorie der Technik“ ist Kommentierung dieser Sätze und nichts sonst.
Sie wollen ernst genommen werden und es läßt sich nicht leugnen, daß die
analytische Situation Momente genug enthält, die den Analytiker in Versuchung
führen, sie nicht ernst zu nehmen, sondern früher oder später zu „schwim¬
men , die Nur-Kunst-Auffassung der analytischen Technik und die Unver¬
meidbarkeit einer gewissen Unsystematik in der Analyse als Ausrede zu be¬
nutzen, während man sich treiben läßt, planlos bzw. rein intuitiv deutend,
was dem Analytiker oder bestenfalls dem Patienten gerade einfällt.
Otto Fenichel
IL
Es ist das Verdienst Reichs, vor einem solchen Vorgehen besonders gewarnt
zu haben. Die von ihm stammenden Vorschläge zur Reform der Technik
leiten sich zum größten Teil ab aus einem Ernstnehmen der ökonomischen
Auffassung, der Einsicht, daß es gelte, im Verdrängungskampf gebundene
Energie zu befreien, verdrängte infantile Sexualität durch Aufhebung der
Verdrängung in erwachsene und orgasmüsfähige Sexualität zu verwandeln. 5
Eine Reihe „technischer Formeln“ wird als von Freud stammend
tradiert, deren nähere Überlegung Reichs Vorschläge zur Technik so er¬
scheinen läßt, als würde er im wesentlichen sagen: „Besinnt Euch doch, ob Ihr
auch wirklich die richtige Freudsche Technik immer anwendet!“ Solche
Formeln sind etwa: „Immer nur dort arbeiten, wo jeweils der Affekt der
Patienten wirklich sitzt!“ Dem denkenden Analytiker ist klar, daß das nicht
heißt: dort, wo der Patient glaubt, daß sein Affekt stecke; der Analytiker
muß also jeweils die Stellen suchen, an denen der Konflikt in ausschlaggeben¬
der Form im Moment zentriert ist. — Oder: „Die Deutung geht immer von
der jeweiligen Oberfläche aus.“ Interpretiert man das richtig, so kann es nichts
anderes heißen, als: Es hat keinen Sinn, „Tiefendeutungen“ zu geben (mögen
sie auch an sich inhaltlich richtig sein), solange oberflächliche Dinge vorge¬
lagert sind. Man kann also nicht, wie Melanie Klein will, 6 „sich mit dem
Unbewußten des Patienten direkt in Verbindung setzen“, denn analysieren
heißt ja eben, sich mit dem Ich des Patienten auseinandersetzen, das Ich des
Patienten zwingen, seine eigenen Konflikte anzusehen. — Wenn wir etwa
wissen, daß eine Zwangsneurose aus Kastrationsangst vom genitalen Ödipus¬
konflikt auf die anal-sadistische Organisationsstufe regrediert ist, so können
wir nicht dieses Wissen dazu benutzen, um nun „sofort“ den genitalen
Ödipuskonflikt zu besprechen, sondern es führt zu diesem kein anderer Weg
als die Durcharbeitung der anal-sadistischen Konflikte. Das leuchtet ein;
aber es ist auch notwendig, all die hundertfachen Analoga im Alltag ständig
im Auge zu behalten. Die Abwehrhaltung des Ichs ist immer oberflächlicher
als die Triebhaltung des Es. Bevor man einem Patienten an den Kopf wirft,
welche Triebe er hat, muß man ihm deshalb deuten, daß und warum er sich
vor seinen Trieben fürchtet und sie abwehrt.
Eine weitere solche Formel: „Widerstandsdeutung geht vor Sinn¬
deutung.“ Jeder Widerstand hindert den Patienten daran, eine inhaltliche
Deutung, d. h. das Aussprechen seiner unbewußten Tendenzen, im Sinne einer
dynamischen Veränderung zu verarbeiten. Es hat also keinen Sinn, solches zu
versuchen, bevor man nicht das Hindernis aus dem Weg geräumt hat. Da aber
nicht alle Widerstände manifest sind, hat der Analytiker fortwährend die je¬
weiligen aktuellen Widerstände herauszufinden und zu verarbeiten, indem er
5) Siehe sein Buch „Charakteranalyse“.
6 ) Melanie Klein: „Die Psychoanalyse des Kindes“, Int. Psa. Verlag, 1932.
Zur Theorie der psychoanalytischen Technik 81
erstens das vom Widerstand bestimmte Verhalten des Patienten vom ur-
teilenden Ich distanziert, zweitens es als dem Widerstand entstammend emp¬
finden läßt, drittens die Anlässe des Widerstandes findet, viertens aufklärt,
warum der Widerstand gerade in dieser Weise auf tritt, und endlich fünftens,
wogegen er sich richtet. — Daß auch Verhaltungsweisen, „zufällige <c Hand¬
lungen, Art und Weise des Gehabens des Patienten Gegenstand der Analyse
sind und nicht etwa nur der Inhalt dessen, was der Patient äußert, wurde von
Freud an vielen Stellen ausgesprochen und durch Beispiele belegt.
Es gibt freilich auch einige andere tradierte Formeln, die zunächst den
Reichschen Meinungen zu widersprechen scheinen, z. B. daß Freud davor
warnt, während der Analyse von Zeit zu Zeit eine „Bestandaufnahme“ zu
machen, um sich die Struktur des Falles zurechtzulegen; man schaffe sich da¬
durch nur Vorurteile; es sei besser, das Unbewußte des Patienten mit dem
eigenen Unbewußten zu beantworten und zu warten, bis sich ein
Strukturbild von selbst auf drängt. 7 Oder der Vergleich der Analyse mit einem
Mosaikspiel, bei dem regellos und unsystematisch ein Stein nach dem anderen,
wie er sich gerade „zufällig“ biete, betrachtet wird, bis man findet, wie die
Steine zusammenpassen. 8 — Eine weitere Formel: „Der Patient bestimmt das
Thema der Stunde.“
Die scheinbaren Widersprüche solcher Formeln lösen sich durch den
Gedanken daran, daß analytische Technik eine lebendige Kunst ist, in der
Regeln immer nur eine relative Gültigkeit haben. Sicher weist Freuds
Meinung, richtig wiedergegeben, dahin, daß die analytische Technik sich vor
zwei Extremen zu hüten habe, die beide gleich falsch wären: Man darf einer¬
seits nicht zu rationell-planmäßig mit bloßem Verstand analysieren (Begriff
des „Relais“, das eigene Unbewußte als Instrument des Analytikers, „wer
analysieren will, muß selbst analysiert sein“), und man darf anderseits nicht zu
irrationell sein, denn analysieren heißt, das Irrationale der Menschen der Ratio
unterwerfen. (Wäre es anders, so gäbe es auch keine Lehrbarkeit der analyti¬
schen Technik. Der häufig gebrauchte Vergleich zwischen analytischer und
chirurgischer Technik ist hier wirklich am Platz: Auch zur analytischen
Technik braucht man Begabung und Intuition, aber auch bei der chirurgi¬
schen kommt man damit nicht aus, wenn man nichts gelernt hat.)
Reich meint nun, das Deuten als ein dynamisch-ökonomischer Vorgang sei
noch niemals konsequent durchdacht und befolgt worden. Statt die Ein¬
sichten in die Dynamik und Ökonomik der psychischen Prozesse planmäßig
für einen systematischen Ausbau unserer Technik zu benützen, erliegen
die Analytiker der Bequemlichkeit und ermangeln aller Systematik. Trotz
besserem W issen werde in der Praxis die Aufgabe, Widerstände zu deuten,
7) Ratschläge für den Arzt bei der psycheanalytischen Behandlung. Ges. Sehr., Bd. VI,
S. 68.
8) Zur Ätiologie der Hysterie. Ges. Sehr., Bd. I, S. 420.
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/i
6
82
Otto Fenichel
immer dahin mißverstanden, daß zu deuten sei, worüber der Patient rede; zu
arbeiten, „wo der Affekt wirklich ist“, gelinge meist deshalb nicht, weil der
Analytiker gar nicht auf die Idee komme, an denjenigen Stellen zu suchen,
wo gesucht werden müsse: im charakterlichen Verhalten. Das charakterliche
Verhalten als ein den wirklichen Konflikten vorgebauter „Panzer“ werde nicht
ernst genug genommen. Denn ein Ernstnehmen der Regel, „arbeiten, wo der
Affekt wirklich sitzt“, würde bedeuten, daß man, solange der führende-Cha¬
rakterwiderstand ungebrochen ist, konsequent nichts anderes zum Gegenstand
der Bearbeitung mache und kein anderes Thema mit dem Patienten bespreche
als eben dieses. Je mehr der „Affekt“ in einer „Haltung“ „eingefroren“ ist,
desto weniger wisse der Patient davon und desto wichtiger sei es, daß zuerst
an dieser Stelle gearbeitet werde, damit die inhaltlichen Deutungen, die der
Analytiker später brauchen wird, nicht vorher vergebens verpufft werden. Der
\ ergleich mit dem Mosaikspiel sei zwar richtig, aber auch die Zusammen¬
setzung eines Mosaikspieles könne systematisch und planmäßig gestaltet wer¬
den, indem man nicht die Steine in der Reihenfolge betrachtet, wie sie sich
einem zufällig darbieten, sondern konsequent nach den Steinen sucht, die jetzt
gerade eingesetzt werden müssen. Das psychische Material im Patienten sei
in einer gewissen Schichtung gegeben. Der Widerstand des Patienten versuche,
diese Schichtung zu verdecken. Der Analytiker habe sie dennoch zu eruieren
und in seinen Deutungen genau dieser Schichtung zu folgen und zu erkennen,
wenn Material, das inhaltlich einer tieferen Schicht angehöre, nur erscheine,
um eine oberflächlichere abzuwehren; andernfalls erhalte er die gefürchtete
„chaotische Situation“, wo das Material aus allen Schichten unordenbar
durcheinander produziert wird. Also auch der Grundsatz „Immer von
der Oberfläche anfangen“ sei ernster zu nehmen und konsequenter
durchzuführen, als das bisher geschah. Die Konsequenz eines derarti¬
gen Vorgehens erfordere vor allem, anderes Material als das dem jeweiligen
Zweck dienliche nicht zu berühren, auch Träume, um nicht die Deutungs¬
arbeit „verpuffen“ zu lassen. „Der Patient bestimmt das Thema der Stunde“,
aber nicht durch das, was er sagt, sondern dadurch, daß er den Analytiker
erkennen läßt, wo sein ökonomisch ausschlaggebender Widerstand steckt. Zur
Bearbeitung dieses Themas müsse dann der Analytiker den Patienten zwingen,
auch wenn dieser lieber von etwas anderem reden möchte.
Vielleicht füge ich hier gleich einige kritische Bemerkungen bei:
Soweit ich hier versucht habe, die Prinzipien der sogenannten „Reich-
schen Technik“ darzustellen, bin ich mit diesen Prinzipien als Prin¬
zipien durchaus einverstanden. Ich sehe sie für die richtige Konse¬
quenz aus den Freudschen theoretischen und technischen Lehren an. 8a —
I ch stimme ebenso mit Rei ch darin überein, daß gegen diese Prinzipien in der
8a) Sie wurden von Reich schon ausgezeichnet formuliert in der Arbeit: Zur Technik
der Deutung und der Widerstandsanalyse. Int. Ztschr. f. Psa., XIII, 1927.
- Zur Theorie der psychoanalytischen Technik 83
Praxis von uns allen oft gesündigt wird und wir diesbezüglich nicht genug
Selbstkontrolle leisten können. — Die widersprechenden Urteile, die in Ana¬
lytikerkreisen über die sogenannte „Reichsehe Technik“ gefällt werden,
indem die einen sagen: „Das ist ja nichts Neues, sondern genau das, was
Freud tut“, die anderen: „Das ist etwas von der Analyse Freuds so Ver¬
schiedenes, daß man es nicht mehr Psychoanalyse nennen sollte“, erklären sich
so: Insofern diese Prinzipien nur der Ausbau der Freudschen Ansichten
sind, sind sie „nichts Neues“; insofern sie der konsequente Ausbau sind,
sind sie etwas Neues. .
Mein prinzipielles Einverständnis mit Reich, dem ich soeben Ausdruck
gegeben habe, wird nur eingeschränkt einerseits durch zwei kleinere theo¬
retische Einwände, anderseits durch Einwände, die sich nicht gegen das
Wesentliche an Reichs Ansichten und seinen Prinzipien, sondern lediglich
gegen die Art wenden, wie diese Prinzipien im einzelnen angewendet werden.
Die zwei kleineren theoretischen Einwände lauten:
1. Es ist nicht wahr, daß das psychische Material im Patienten in geord¬
neter Schichtung vorliegt. Diese Behauptung ist eine Schematisierung, die von
komplizierenden Einzelheiten absieht. Die Regelmäßigkeit der Schichtung ist
nämlich ebenso regelmäßig — bei verschiedenen Menschen in verschiedenem
Grade — auch ohne vorangegangene falsche analytische Deutungen
durchbrochen. Es gibt ganz allgemein das Phänomen, das man in der
Geologie „Verwerfung“ nennt, und das darin besteht, daß das ursprünglich
übereinander geschichtete und nebeneinander liegende Material durch ver¬
schiedene natürliche Ereignisse durcheinandergeschüttelt worden ist, so daß
die Reihenfolge, in der sich dem in die Erde bohrenden Geologen das Material
darstellt, nicht identisch ist mit dem Alter der jeweiligen Schichten. Das Ma¬
terial an sich ist nur „relativ“ geordnet — und entsprechend dürfen, meine
ich, die relativ richtigen Ansichten Reichs über die „Konsequenz“ der Deu¬
tung nicht absolut genommen werden. Es gibt spontane chaotische
Situationen, ja Menschen, deren Charakterneurosen ein solches Bild bieten,
daß man sie gar nicht anders diagnostizieren könnte als mit dem Worte
„chaotische Situation“. Die „Verwerfung“ schreitet aber auch noch während
der analytischen Kur fort. Auch die Schwankungen des Tageserlebens, die man
nicht unbeachtet lassen kann, schränken die „Konsequenz“ in gewissem
Grade ein.
2. Die besondere Beachtung der „eingefrorenen Widerstände“, der ge¬
wohnheitsmäßigen Aktionen und Haltungen, erfordert, daß man auch selbst
den Sinn dieser Dinge erkennt und nicht nur weiß, daß sie einen Widerstand
ausdrücken. Freilich ist es wohl auch besser, den Patienten nur darauf auf¬
merksam zu machen, als eine solche Widerstandshaltung vollkommen zu über¬
sehen. Aber es ist kein Zweifel, daß man um so leichter Erfolg haben wird,
je vollständiger man selbst ein Bild über den konkreten Sinn dieser Wider-
6*
Otto Fenichel
84
Standshaltung besitzt. Das Erraten dieses Sinnes wird wieder erleichtert durch
jedes Stück Kenntnis von der individuellen Vorgeschichte des Patienten. So
stehen wir vor einem Zirkel: Die Geschichte wird uns erst durch die Auflösung
dieser Haltungen zugänglich — und zur Auflösung dieser Haltungen be-
dürfen wir der Kenntnis seiner Geschichte. Ich meine, daß dieser Zirkel sich
am ehesten losen läßt, wenn der Analytiker von Anfang an darauf eingestellt
1St ’ ^seiner e ^ enen Kenntnisnahme (ohne große „Deutungen“) so viel wie
möglich aus der Vergangenheit des Patienten zu erfahren. Ich meine, daß es
immer gut ist, die erste Zeit einer Analyse zur Materialsammlung zu be¬
nutzen. Je mehr Kenntnisse man hat, desto gewappneter geht man dann in
en eigentlichen Kampf mit den Widerständen. Nicht immer gelingt eine
solche initiale Materialsammlung — und man muß eine Analyse nicht etwa
deshalb aufgeben, weil sie nicht gelingt. Aber ich meine, man sollte doch auch
nicht absichtlich Gelegenheiten, die zur Materialsammlung benutzt werden
können,, unbenutzt verstreichen lassen. Ich habe den Eindruck, daß Reich in
er Absicht, nur konsequent den Punkt zu bearbeiten, um den sich momentan
alles dreht, häufig Material beiseite läßt, dessen Beachtung ihm gerade zum
Verständnis dieses einen Punktes helfen könnte. Insbesondere habe ich diesen
Eindruck oft bei den „weggelassenen Traumanalysen“. — Bei der freien Asso¬
ziation macht man eine Erfahrung, auf die Freud aufmerksam gemacht hat:»
Was ein Patient sagt, wird erst durch das Nachfolgende verständlich. Deshalb,
meine ich, kann man, bevor das Nachfolgende nachgefolgt ist, noch gar nicht
wissen, welches Material man „beiseite zu lassen“ habe.
Es gibt natürlich genug Situationen, in denen wirklich jede Traum¬
deutung kontraindiziert ist, wenn nämlich das „Traumdeuten“ selbst für den
Patienten irgendeine andere von der Analyse noch nicht erfaßte unbewußte
Bedeutung hat. Wo dies aber nicht der Fall ist, meine ich, daß häufig genug
das Verständnis einer Haltung gerade durch richtige Traumdeutungen ge¬
wonnen werden kann. Der Traum ist ja ein Kommentar zu den Ich-
Haltungen des Patienten am Vortage. Unter den latenten Traumgedanken
gibt es immer welche, die der bewußten Haltung sehr nahestehen, aber gerade
em Element mehr enthalten, oder gerade die Haltung in einer Verbindung
zeigen, an die der. Patient aus Verdrängungsgründen nicht gedacht hatte.
„Traumdeuten“ heißt nicht, dem Patienten sagen: „Sie wollen mit Ihrer Mutter
schlafen , sondern kann auch heißen, „latente Traumgedanken ermitteln und
mit . ihnen dem Patienten sein wirkliches gegenwärtiges Verhalten und dessen
Absichten zeigen“. Latente Traumgedanken aber kann man nicht ermitteln,
ohne zu den Elementen des manifesten Traumes assoziieren zu lassen.
Assoziiert der Patient nicht, so wird man den Versuch aufgeben und diesen
Widerstand zu erfassen trachten. Assoziiert er aber, so ist damit nicht unbe-
s f Rats chlage für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung. Ges. Sehr., Bd. VI,
Zur Theorie der psychoanalytischen Technik 85
dingt seine Aufmerksamkeit in verhängnisvoller Weise von der Behandlung
seines augenblicklichen charakterlichen Verhaltens abgelenkt, sondern es muß
möglich sein, diese seine Assoziationen dazu zu benutzen, um ihn gerade dahin
zu lenken.
Ich nannte diese beiden Einwände „kleinere Einwände“, weil sie nicht die
Reich sehen Prinzipien angreifen, sondern sie lediglich relativieren. Es kommt
jetzt darauf an, wie diese Prinzipien angewendet werden. Das wird bei jedem
Falle wechseln, insbesondere aber auch je nach der Persönlichkeit des
Analytikers verschieden sein. Trotz Reichs Beteuerungen, daß diese
Gefahr nicht bestehe, meine ich, daß die „Zertrümmerung des Panzers“
in einer recht aggressiven Weise betrieben werden könnte, daß aber
sowohl die Aggression bei dieser Zertrümmerung als auch der Zusam¬
menbruch als dessen Folge dosiert werden können, ja, daß es eben Aufgabe
des Arztes ist, diese Prozedur für den Patienten so wenig unlustvoll wie mög¬
lich zu machen. — Das erste, worüber man sich klar werden muß, ist, daß die
Art des konsequenten Anpackens der Charaktereigenheiten den Narzißmus des
Patienten in einem weit höheren Maße verletzt als jede andere Art von ana¬
lytischer Technik. Nicht nur das Ausmaß, in dem Patienten solche Ver¬
letzungen vertragen, sondern auch das, in dem Analytiker solche Verletzungen
zufügen können und sollen, variiert. Vor „Krisen“ brauchen wir Analytiker
uns prinzipiell gewiß nicht zu fürchten (auch der Chirurg fürchtet nicht das
Blut, wenn er schneidet), aber deshalb müssen solche „Krisen“ auch nicht in
jedem Falle vom Analytiker angestrebt werden. Ich meine, daß im Gegenteil
die Allmählichkeit des Abbaues des bisherigen insuffizienten neurotischen
Gleichgewichts unser Ziel zu sein hat. Wir kennen den Widerstand mancher
Patienten, die sich nach einem „Trauma“ sehnen und die Heilung statt von
einer schwierigen Analyse von einer plötzlichen magisch wirkenden Explosion
erwarten. Es gibt auch ein analoges Verlangen nach einem Trauma auf Seite
des Analytikers. Man hüte sich davor!
Die Überzeugung, mit der konsequenten Bearbeitung des Charakter¬
widerstandes, und nur damit, auf dem richtigen Wege zu sein, kann dazu ver¬
führen, zu übersehen, daß auch das Erleben gerade dieser Art von Analysen
für den Patienten selbst zu einem Übertragungswiderstand werden kann,
der dann natürlich noch „oberflächlicher“ ist als der „Charakterwiderstand“,
und zuerst behandelt werden muß: Ein Patient, der in Angst vor dem Erleben
der eigenen sexuellen Erregung aus seiner aktiven Männlichkeit auf einem ge¬
wissen Punkte der Erregungshöhe immer wieder in eine rezeptive Oralität
verfiel — „hier wage ich mich nicht weiter, nun tu du es mir“ —, hatte die
„Aktivität", mit der der Analytiker seinen jeweiligen „Haltungen“ usw. nach¬
ging, als Erfüllung dieser seiner rezeptiven Sehnsucht erlebt und genossen,
ohne daß der Analytiker es gemerkt hatte. — Die Neurose einer Patientin
hatte den Aufstand gegen ihren Vater zum unbewußten Inhalt, der ihr wäh-
Otto Fenichel
rend der ganzen Kindheit ihre Eigenschaften vorgehalten und sie nachgeahmt
hatte. Der Versuch, hier mit „konsequenter Haltungsanalyse“, die in diesem
Falle durchaus notwendig wurde, zu beginnen, hätte zum sofortigen Ab¬
bruch der Analyse geführt.
III.
Die Arbeit von Kaiser „Probleme der Technik", 10 stimmt in vielen
Punkten mit den Reichschen Auffassungen überein, so daß die bisher ge¬
äußerten zustimmenden und kritischen Bemerkungen zum größeren Teile
auch für sie gelten. Auch in einigen Einwänden, die Kaiser gegen Reich
erhebt, pflichte ich Kaiser bei; etwa bezüglich der Unmöglichkeit, die Cha¬
rakteranalyse, wenn sie die richtige Technik sei, den Anfängern zu wider¬
raten.
Kaiser aber geht weiter und sagt: Eine Analyse muß ganz ohne „Inhalts¬
deutungen“ durchgeführt werden. Dieser Satz scheint mir verhängnisvoll.
Kaiser meint an einer Stelle, der Unterschied sei nicht gar so groß, ob man
nach eingehender Warnung vor „zu frühen“ oder „zu tiefen“ Deutungen eine
„Inhaltsdeutung“ zum Schlüsse noch zulasse, oder gar nicht. Der Unterschied
ist aber sehr groß, wenn man dies „am Schlüsse“ richtig kommentiert. Wir
müssen zu diesem Zwecke die Theorie der „Inhaltsdeutung“ diskutieren.
Kaiser hält eine „Inhaltsdeutung“ für der Einsicht widersprechend, daß
die analytische Arbeit in der Beseitigung der Widerstände und nicht etwa in
einer Verstärkung der unbewußten Triebe zu bestehen habe. Wenn wir nur
an den Widerständen zu arbeiten haben, so haben wir, meint er, nichts
anderes zu deuten als die Widerstände. Trete das Verdrängte nach
Deutung der Widerstände nicht in Erscheinung, so sei es nicht zu ,,be¬
nennen“, sondern es sei dies ein Beweis dafür, daß die Widerstandsdeutung
nicht geglückt sei, daß sie nicht differenziert genug gewesen sei. Er leugnet
zwar nicht, daß unter Umständen auch „Inhaltsdeutungen“ Verdrängungen
auf heben können, meint aber, das theoretisch nicht anders als über einen Um¬
weg erklären zu können, dergestalt, daß ohne Wissen und Willen des Ana¬
lytikers auch eine solche Deutung die Aufmerksamkeit des Patienten auf „Wi¬
derstandsgedanken“ richten könne, die durch diese Aufmerksamkeitsverände¬
rung korrigiert werden. Daß es auch so zugehen könne, daß eine „Erwartungs¬
vorstellung“ wirke, oder richtiger, daß eine Deutung wirken könne wie der
Hinweis eines Histologielehrers auf das, was der Schüler im Mikroskop zu
sehen bekommt, dessen auf das mikroskopische Sehen noch nicht eingestelltes
Auge ohne solchen Hinweis nichts sehen kann — also die wirkliche Freudsche
Ansicht über das Wesen der Deutung —, leugnet er; er hält es für ausge¬
schlossen (obwohl auch seine „Widerstandsanalyse“ in nichts anderem besteht
als darin, daß der Patient auf etwas Vorhandenes, das seiner Aufmerksamkeit
bisher entgangen ist, aufmerksam gemacht wird), und zwar begründet er dies
io) Kaiser: Probleme der Technik. Int. Ztschr. f. Psa., XX, 1934.
Zur Theorie der psychoanalytischen Technik 87
folgendermaßen: „Ein verdrängter Impuls ist weder im System W-Bw noch im
System Vbw. Auch die exakteste und zutreffendste Erwartungsvorstellung, die
wir einem Suchenden geben, kann ihm die Suche nicht erleichtern, solange er
in einem Raume sucht, in dem sich der gesuchte Gegenstand nicht befindet,
und in sein Unbewußtes kann der Patient nicht hineinschauen.“
Diese Argumentation fällt in sich zusammen, wenn wir uns darauf be¬
sinnen, daß die „Inhaltsdeutung“ in Wahrheit nicht unbewußte Triebimpulse,
sondern vor bewußte Abkömmlinge unbewußter Triebimpulse benennt.
Woraus bestehen denn die Inhalte des Bewußtseins und des Vorbewußten
überhaupt? Zunächst aus den Wahrnehmungen (und ihren Gefühlsbegleit¬
erscheinungen), sodann aus den „Erinnerungsspuren“ (Vorstellungen usw.), die
durch neue Wahrnehmungen mobilisiert werden, und zwar je nach der augen¬
blicklichen Trieberregung verschieden — also aus Triebimpulsen. Die Ab¬
wehr von Impulsen besteht darin, daß sie, bzw. ihre unentstellten Vorstellungs¬
repräsentanten von den tiefen Schichten des Ichs durch Gegenbesetzungen der
verschiedensten Art in ihrem Streben zum Bw hin aufgehalten werden. Die
Gegenbesetzung schafft eine Barriere vor dem Vbw. Der Abwehrkampf er¬
fordert einen Daueraufwand. Der abgewehrte Impuls produziert dauernd
Ersatzbildungen, d. h. er benutzt andere Vorstellungen (Impulse), die zum
Bewußtsein durchbrechen, mit denen er in assoziativer Verbindung steht, um
seine Energien mit abzuführen. Er verstärkt an sich harmlose Vbw-Ge-
bilde, sie so zu jenen von Freud behandelten „Mischgebilden“ zwischen Vbw
und Ubw gestaltend, gegen die — als gegen Abkömmlinge des Verdrängten
— sich die Abwehrtendenz des Ichs noch ebenso richten kann wie gegen den
eigentlichen unbewußten Impuls. 11 Das Schicksal dieser Abkömmlinge, d. h.
der Umstand, ob sie bewußt oder ebenfalls verdrängt werden, hängt von sehr
verschiedenen Faktoren ab; nämlich von all denen, die auf die Dynamik und
Ökonomik des Wechselspiels zwischen Trieb und Abwehr Einfluß nehmen.
Im allgemeinen kann man sagen, daß das Bewußtwerden um so leichter er¬
folgt, je größer die Entstellung des Abkömmlings ist. Die analytische Kur
kann als eine allgemeine Erziehung des Ichs zur Tolerierung immer weniger
entstellter Abkömmlinge bezeichnet werden.
Wir können nie und nimmer „Unbewußtes deuten“. Das versuchten
St ekel und die Befolger seiner Methode, welche die Patienten „mit Deu¬
tungen anschießen“. Eine „zu frühe“ oder „zu tiefe“ Deutung, d. h. eine,
du- ein Unbewußtes benennt und keinen vorbewußten „Abkömmling“, also
etwas, was der Patient wirklich bei bestem Suchen nicht finden kann, ist
keine. Die Anhänger der „Inhaltsdeutung“ — und damit Freud — deuten
nicht verdrängte Triebe, sondern deren vorbewußte Abkömmlinge. Sie
meinen bei der ewigen Verflechtung von Abwehr und Abgewehrtem auch
gar nicht immer die ses benennen zu können, ohne daß jenes mitbenannt
n)Freud: Das Unbewußte. Ges. Sehr., Bd. V, S. 50J. ~
88
Otto Fenichel
wäre. Auch die Details der Abwehr sind genau so wie die Details des Abge¬
wehrten dem Patienten unbewußt. Auch bei der „Deutung eines Widerstan¬
des“ kann man nur so viel mitteilen, als der Patient imstande ist, durch Selbst¬
beobachtung in sich zu entdecken. — Das ökonomisch Merkwürdige der ana¬
lytischen Deutung besteht aber darin, daß man, deute man nun einen Wider¬
stand oder einen Abkömmling des Verdrängten, doch nicht nur das deutet,
was vom Abgewehrten schon ins Vorbewußte gedrungen ist, sondern gerade
um ein kleines Etwas mehr, das der Analytiker schon spürt, der
Patient aber noch nicht. Wie geht es zu, daß durch solche Deutung gerade
so ein kleines Etwas tatsächlich durchbricht? Natürlich hat auch solche
Maßnahme nicht die „Besetzung des Verdrängten“ erhöht, sondern die „Ge¬
genbesetzung des Widerstandes“ geschwächt. Wahr bleibt, daß man nichts
anderes tun kann als Widerstand brechen. Aber man kann das auf verschie¬
denerlei Weise, und das „Benennen“, auch mit dem „Andeutungsverfahren“,
scheint uns die via regia dazu. Freilich hat dieses Benennen an richtiger Stelle
und in richtiger Weise zu erfolgen. Wo ist diese Stelle, wie ist diese Weise,
und wodurch wirkt diese Benennung?
Überlegen wir, um das zu verstehen, erst einmal die Theorie der Grund¬
regel. Was wollen wir mit ihr erreichen? — In jedem Menschen spielt sich der
unausgesetzte Kampf ab zwischen Triebimpulsen, die zu Bewußtsein und Mo¬
tilität drängen, und den Kräften des Ichs, die unzeitgemäße Triebforderungen
zurückweisen und, geleitet von Zielvorstellungen, nur das zulassen, was zur
gegenwärtigen Handlung oder Rede gehört. Mit der Grundregel wollen wir
zunächst diese tausenderlei „Widerstände“ des Alltags, die sonst das Leben
und die Verständigung überhaupt erst möglich machen, ausschalten. Gelänge
es wirklich, alle „Zielvorstellungen“ auszuschalten und die Aufmerksamkeit
nur darauf zu konzentrieren, das, was von selber auftaucht, zu konstatieren,
so bekämen wir auch damit noch nicht das Verdrängte zu sehen. Es wären
zwar die meisten „Widerstände“ aufgehoben, aber gerade die der Intensität
nach stärksten, die Verdrängungswiderstände, nicht, denn diese sind per de-
initionem gerade solche, die dem bewußten Willen des Ichs nicht zugänglich
sind. Wir sehen also die Folgen des Kampfes zwischen unbewußten
Impulsen und unbewußten Abwehren der tiefen Schichten des Ichs. Was
tun wir dann? Wenn wir dem Patienten „Widerstände deuten“, gleich¬
gültig ob dadurch, daß wir bestimmte „Widerstandsgedanken ins Licht seiner
Aufmerksamkeit rücken“, oder daß wir ihm vorerst nur mitteilen können,
daß etwas in ihm sich etwa gegen die Einhaltung der Grundregel oder über¬
haupt gegen die Interessen der Analyse sträube, so ist das immer eine Auf¬
forderung an den Patienten, etwas in sich zu entdecken, genau so, wie es
der Histologielehrer macht. Führt der Hinweis „Sie haben einen Widerstand“
(der natürlich nicht mit diesen Worten gegeben wird) dazu, daß der Patient,
der es bis dahin nicht wußte, merkt, daß sich tatsächlich etwas in ihm gegen
,. . t sträubt, so haben wir eine wirkungsvolle Deutung gegeben; wes-
r 1 !. m i r eine solche Feststellung dem Patienten gegenüber keineswegs immer
O lächerlich erscheint, wie von manchen modernen Technik-Diskutanten be¬
hauptet wird. Es kommt nur darauf an, daß dieser Hinweis so gegeben wird,
daß er nicht ein Vorwurf gegen den Patienten ist, sondern eine Hinlenkung
.einer Aufmerksamkeit auf ein Vorbewußtes, das er bisher nicht merkte (und
f ein Etwas mehr“)- E>as Ich, das im Widerstand ist, sträubt sich aber,
solch^Hinweise auf die wahre Natur vorbewußter „Abkömmlinge“ anzu¬
nehmen Das meint Freud, wenn er sagt, daß die tägliche Arbeit uns unaus¬
gesetzt den Beweis liefere, daß außer der Hauptzensur zwischen Ubw und
Ybw auch noch eine zweite Zensur zwischen Vbw und Bw bestehe. Wir
kämpfen zunächst nur gegen diese zweite Zensur. Wir haben dazu
verschiedene Mittel. Es sind dieselben Mittel, die Menschen überhaupt zur
Verfügung stehen, um andere Menschen dazu zu bewegen, etwas Unange¬
nehm« zu tun: nämlich erstens, sie zu überzeugen, daß das Unangenehme
nützlich sei (der Patient will Heilung und der Arzt erklärt ihm, daß dies
zur Heilung notwendig sei); zweitens, die libidinösen Bindungen an den For-
dernden zu benutzen („zärtliche Übertragung“). Mit Recht schrieb Freud
in den „Vorlesungen“, daß wir alle Mittel der Suggestion (denn das ist nichts
anderes als „Benutzen der libidinösen Bindung“) dazu benützen, den Patienten
zu bewegen, „Abkömmlinge“ zu produzieren und zu erkennen. 12 — Das ab¬
wehrende Ich, das, in seiner Realitätsfunktion eingeschränkt, selbst nicht be¬
merken kann, was vor sich geht, seine „Aufmerksamkeit nicht darauf
..richtet“, ist in der Regel durch einen „sekundären Gewinn“, durch
eine Art „Prämie“, die es dafür erhält, „bestochen“, sich so zu verhalten. 13
Wir müssen dann zunächst diese Prämien aufzudecken suchen. Können wir
das nicht, so müssen wir wenigstens die Tatsache des mangelhaften Funktio-
nierens der Realitätsfunktion des Ichs erleben lassen. (Das ist das „die Aufmerk¬
samkeit auf die Widerstandsgedanken lenken“.) Wie das vor sich geht, näm¬
lich durch ein Distanzieren eines beobachtenden Teils des Ichs von dem er¬
lebenden Teil, wobei ersterer den erlebenden Teil als irrationell verurteilen
kann, und daß und wie aus dieser Verurteilung eine Änderung der Dynamik
der Abwehr entsteht, scheint mir am besten in der Arbeit von St erb a „Zur
Dynamik der Bewältigung des Ubertragungswiderstandes“ 14 ausgeführt. Ich
gebe Kaiser gern darin recht, daß diese Distanzierung und dieses Aufmerk-
sammachen besser geleistet werden kann, wenn man immer noch schärfer und
genauer die bewußten Abwehrhaltungen in allen Details zu studieren erlernt
hat. Aber cs muß ja doch dazu kommen, mit den wieder zugänglich ge¬
machten Erlebnissen der abwehrenden Angst die Aufmerksamkeit des Patien-
12) Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Ges. Sehr., Bd. VII, S. 469.
13) Rado: Eine ängstliche Mutter. Int. Ztschr. f. Psa., XIII, 1927.
14) Int. Ztschr. f. Psa., XV, 1929.
9 »
Otto Fenichel
ten auch auf die allmählich durch Abkömmlinge ins Bewußtsein tretenden
Angstinhalte zu lenken. Diese aber stammen aus alter Zeit und sind nicht
mehr vom Abgewehrten zu trennen. Das Benennen der Abkömmlinge auch
des Abgewehrten an der richtigen Stelle, d. h. dort, wo dieses Benennen
dazu führt, daß der Patient sie auch wirklich in sich auffinden kann, läßt dann,
durch das Zusammenklingen der äußeren Wahrnehmung mit den in statu
nascendi befindlichen neuen vorbewußten Abkömmlingen den Widerstand
aufheben und diese Abkömmlinge ins Bewußtsein treten. Das „Etwas", das
wir noch hinzufügen, wird durch dieses Zusammenklingen mit ins Bewußt¬
sein gerissen.
Wir hätten Inhaltsdeutungen erst „zum Schluß“ zu geben, heißt also, meine
ich, nichts anderes als: Wir dürfen sie nicht geben, solange der Patient ihre
Repräsentanten im Vorbewußten noch nicht entdecken kann, weil vorge¬
lagerte Widerstände ihr Eintreten in das Vorbewußtsein verhindern. Ich kann
mich nicht überzeugen, daß die Deutung, die Kaiser anführt: „Sehen Sie
sich das mal genau an, wie Sie sich mir gegenüber verhalten,... kann man
das anders auffassen als so, daß Sie in Wirklichkeit einen Zorn auf mich
haben...?“ so prinzipiell falsch ist, wie er meint. Er begründet diese
Meinung folgendermaßen: Was auf eine solche Deutung hin ins Be¬
wußtsein kommt, ist nicht der abgewehrte Affekt, den wir suchen, sondern
seine „Verharmlosung“, etwas, worüber man ruhig denken und reden kann.
Statt des Erlebnisses des Affektes vermittle solche Deutung das Erlebnis einer
Beruhigung, die dem Affekt ihren wahren Ernst nimmt, und die deshalb ein
Widerstand ist. Kein Zweifel: das kann so sein. Ist das der Fall, so ist das ein
»vorgelagerter Widerstand“, der als solcher wieder erkannt und gedeutet wer¬
den muß. Es ist mir aber unverständlich, warum dies stets oder auch
nur häufiger der Fall sein sollte. Es ist keineswegs so, daß eine „Beruhigung“
immer diese Widerstandsbedeutung haben muß. Eine gewisse „Distan¬
zierung“ vom Affekt — in der mitklingt: „Hier kann ich mir ja er¬
lauben, alle Affekte kommen zu lassen, denn ich tue es ja nur probeweise
und meine eigentlich gar nicht den Analytiker, gegen den ich meinen Affekt
auftauchen spüre“ — muß keineswegs den Unernst des gesamten entdeckten
Affektes bedeuten, sondern kann die Toleranz des Ichs erhöhen und dadurch
das Entdecken des Vorhandenseins sehr ernsthafter Affekte durchaus er¬
leichtern. Ich meine, an dieser Stelle macht sich Kaiser einer Unter¬
schätzung der Ratio schuldig. Er warnt mit Recht vor analytischen
Pseudodeutungen, die den Patienten etwa dasselbe bieten wie die Lektüre
der Freudschen Schriften, dynamisch unwirksames Wissen. Aber er über¬
treibt diese Sorge, wenn er ihretwegen ablehnt, die Ratio in der Selbstbeob¬
achtung zu benutzen. Man kann durchaus wirksame Entdeckungen in sich
selber machen, und zwar durchaus Entdeckungen, die an der Realität und
affektiven Lebhaftigkeit des Entdeckten keinen Zweifel lassen, ohne sie
, , tehalb wirklich im Augenblick nurleben zu wollen. Hier müßte
doch J ‘.. h( , r das Wesen des „Agierens" gesagt werden. Es ist als Mittel
ein,g ^ s I , i-p n ntnis des Patienten oft zu begrüßen und manchmal un-
dcr ^ C .. , e £ ist a ber auch, wenn ihm nicht eine genügende analytische
C n r httkunV auf dem Fuße folgt, eine große Gefahr und ein Widerstand.
W-.Vdererleben“ von Affekten ohne entsprechende Djstanzierung des
D f* ” J en Ic bs ist mindestens ebenso gefährlich wie jene Isolierung,
ÄSÄ t Bekenntnis“ des Affektes durch das beurteilende Ich
S ltdB Im Augenblick „ntweckmäßig, als übertragen“) erleb,
werden: dazu brauchen sie aber nicht ausgeleb, zu werden, sondern es geling,
I uiig. ihr Erleben SÜU, ms*mH der intellektudlen Beurteilung zu unter-
werten. Ja, ich meine geradezu, es sei das eigentliche Ziel der analytischen
Deutung, daß dies gelinge: „mit Affekt erinnern, und das Erinnerte als in der
Gegenwart wirklich wirksam erkennen • .
nir Differenz muß sich also irgendwie auf das beziehen, was Kaiser den
..echten Triebdurchbruch“ nennt. Daß der Patient affektvoll Neuentdeckun-
’’ cn 0 d er richtiger Wiederentdeckungen, in sich machen muß, ist kein Zweifel.
Übermitteln von „Wissen über das Unbewußte“ ist keine Analyse. Aber muß
die Ausschaltung des urteilenden Ichs dabei so weit gehen, wie es Kaiser ver-
langt, wenn er als charakteristisches Beispiel für das, was er anstrebt, mitteilt:
*l3ald redet er den Analytiker mit dem Namen einer Persönlichkeit aus der
Vergangenheit an...“? Ist hier nicht etwas von der früher erwähnten „Trauma¬
sehnsucht“ des Analytikers zwischen den Zeilen zu lesen? Ich meine das, und
ich meine es, obwohl Kaiser selbst an anderer Stelle vor sogenannten „Schein¬
durchbrüchen“ warnt und genau weiß, daß die Aufgabe nicht darin besteht,
daß Unbewußtes hervorgelockt werde, sondern daß das Ich das erkannte Un¬
bewußte verarbeite. Deshalb hat es ja auch keinen Sinn, unbewußte Triebe
zu deuten, wenn kein bearbeitungsfähiges Ich vorhanden ist; in einem solchen
Falle muß erst ein solches Ich hergestellt werden. Alle „Scheindurchbrüche“
sind deshalb, wie alle „Aktion“ überhaupt, sobald es nur wieder möglich ist,
sich mit dem Patienten vernünftig auseinanderzusetzen, als Erscheinungen des
Widerstands zu entlarven. Kaiser meint, daß der Satz Freuds, den er an-
führt, um das Gelungensein eines analytischen Eingriffs zu demonstrieren,
.so erzählt der Kranke oft ohne alle Mühe...“ nicht dafür spreche, „daß
hier das Phänomen des echten Triebdurchbruches angedeutet werden soll“. Ich
meine doch, daß gerade dies angedeutet werden soll; oder sagen wir vielleicht
richtiger: nicht das Phänomen eines „Triebdurchbruchs“, sondern das einer
wirklichen Aufhebung von Verdrängungen, indem der Patient Impulse und
Affekte, die ihm bis dahin verschlossen waren, nunmehr erkennt, und sie be¬
urteilen und beherrschen kann. Die Allmählichkeit der Vergrößerung des Um¬
fanges der zugelassenen „Abkömmlinge“ bei ständiger Deutung derselben „von
92
Otto Fenichel
der Ich-Seite her“ und die damit einhergehende allmähliche Machterweiterung
des Ichs scheint mir Kaiser zugunsten einer „traumatischen“ Auffassung zu
unterschätzen, wenn er schreibt: „Tatsache ist jedenfalls, daß Veränderungen
des Patienten, die als Fortschritte in der Richtung auf eine wirkliche Heilung
aufgefaßt werden können, nur nach dem Auftreten von Phänomenen der ge¬
schilderten Art“, nämlich mehrminder traumatischer „Triebdurchbrüche“, „zu
beobachten sind“. Daß Kaiser, wenn er „scheinbar mit gutem Effekt Inhalts¬
deutungen gegeben“ hat, „nie annähernd so intensive Triebdurchbrüche er¬
zielen konnte“, wie wenn er „auf jede Inhaltsdeutung verzichtet hatte“, scheint
mir demnach noch kein Beweis dafür, daß jener gute Effekt nur „scheinbar“
gewesen ist. Kaiser meint, daß therapeutisch nichts gewonnen wäre, wenn man
einen Patienten sich davon überzeugen läßt, daß ein krimineller Impuls in ihm
tätig sei, sondern er müsse diesen Impuls verspüren, so verspüren, daß er ihn
ganz bewußt unterdrücken müsse, um nicht kriminell zu werden. Wir da¬
gegen meinen, es genüge, wenn er ihn so weit verspüre, daß er an seiner ur¬
sprünglichen Realität keinen Zweifel hat. Die Aktualität kann aber im Moment
des Verspürens von solcher Selbstverständlichkeit sein, daß es keiner beson¬
deren Unterdrückung bedarf, um kriminelle Handlungen zu vermeiden.
Auch Kaisers Kritik des „Deutungs-“ und „Andeutungsverfahrens“ kann
ich nicht beistimmen. Es hat meinem Gefühl nach keineswegs etwas Künst¬
liches an sich, wenn der Analytiker, der dem Patienten etwas demonstrieren
will, dies nicht einfach behauptet, sondern ihm das Beweismaterial so nahe¬
legt, daß er selbst den betreffenden Schluß ziehen muß. Antwortet der
Patient darauf mit einem: „Aha, Sie meinen jetzt wieder, daß ...“, so ist das
ein Widerstand für sich, der analysiert werden muß, dessen Möglichkeit aber
nicht hinreicht, das „Deutungs-“ und das „Andeutungsverfahren“ überhaupt
zu verwerfen. — Die Behauptung „der therapeutische Effekt wird ungefähr
gleich Null sein“, widerspricht durchaus meinen Erfahrungen. Wohl gibt es ein
Erschließen von Affekten, welches das Gegenteil des Erlebens ist. Aber es gibt auch
ein Erschließen, welches das Erleben herbeiführt, sogar mit einer bestimmten
Art des Erlebens identisch ist. Gibt das „Andeutungsverfahren“ dem Patien¬
ten die Möglichkeit, den Affekt neuerlich so abzuwehren, wie Kaiser das
beschreibt, so muß man das erkennen und darf nicht auf solche Weise deuten,
bevor dieser Widerstand behoben ist. Es gibt aber auch eine „Distanzierung“
vom Affekt, die mir im Gegensatz zu Kaiser gerade anstrebenswert scheint.
Das urteilende Ich des Patienten soll sich von seinem Affekt distan¬
zieren, soll ihn als unzeitgemäß erkennen und soll seine Herkunft
ebenfalls „affektiv erinnern“. Ein „Affektdurchbruch“ ohne solche „Distan¬
zierung“ ist, wie Freud einmal mit Recht gesagt hat, „ein glattes
Malheur“. Die Bemerkung von Kaiser, „nach dem ,echten Triebdurch¬
bruch* bleibt dem Analytiker tatsächlich nichts im Sinne einer Er¬
klärung oder Erläuterung der vom Patienten geäußerten Inhalte hinzu-
Zur
Theorie der psychoanalytischen Technik
« i j pn Verdacht nahe, daß er tatsächlich gerade dieses „Malheur“
zufügen*, legt ^ daß er das „Durcharbeiten“ vernachlässigt und seine
nicht a . SO S ° die wirk H c he Aufhebung der Verdrängungen nicht ver-
wesenthche Rolle Ana i yse _ eine Art „Neokatharsis“ anstrebt. Das
steht, und so ^ sta licher Bestan dteil der psychoanalytischen Arbeit
„Durcharbeiten ist e ^ emmal Gefundene an zahlreichen Stellen
und besteht ar “J’ * b ; der Widerstandsanalyse, jede einzelne der zahl-
wieder entdeckt, daß, etwa bei ^ und zwar gerade dadurch,
reichen W ^ erSt ^ ^^^^dspositionen Gemeinsame unterstreicht, indem
daß man das a dnes e f n zigen Kerns entlarvt. Die in Frage stehende
man sie _ ebenso wie ein in der Analyse entdeckter unbewußter
Ha tung ist & J^denen einzelnen Vorstellungskomplexen reprä-
Tnebanspruch de Unterhöhlung dieser Komplexe ist nichts
sentiert, und Trauerarbe it leistet, da auch die Vorstellung des vom
anderes als da , ohiekts in vielen Verbindungsvorstellungen repra-
eine KO.U.MWL gegen Jede J*lUr
au, den Forderung „ach dem „von der jewed.gen
Oberfläche ausgehen“: „Diese Konsequenz braucht nur der nicht zu ziehen,
der auch die von dem Patienten in der jeweiligen Analysenstunde vorgetragenen
.Inhalte“ mit zur Oberfläche rechnet. Eine solche Auffassung des Begn es
Oberfläche“ erscheint aber äußerst unpsychologisch. Gesetzt den Fall, ein
Patient erzähle, beherrscht von einer Tendenz, den Analytiker ungeduldig
zu machen, ein Erlebnis aus seinem vierten Lebensjahr auf eine affektlos-lang
weilige Manier, so gehört eben nur die affektlos-langweilige Darstellungsart
zur Oberfläche, nicht der Inhalt der Erzählung.“ Sehr wohl; wenn aber der
Patient nach vorgeschrittener Analyse mit entsprechendem Affekt ein Erleb¬
nis aus seinem vierten Lebensjahr erzählt, so kann der Inhalt dieser Erzählung
auch zur Oberfläche gehören. Und wenn er ein Detail aus diesem Erlebnis
nicht richtig beurteilt, während die richtige Beurteilung zum Verständnis etwa
einer gegenwärtigen Haltung führen könnte, so daß deren Benennung den
Patienten betroffen macht, so gehört der Inhalt zur Oberfläche.
Dieser Unterschätzung der Ratio, die Kaiser also auch an den beiden
Stellen nicht benutzen will, wo dies legitim ist: nämlich dazu, dem Patienten
gewisse Erlebnisse zugänglich zu machen, und dazu, die Affekte beurteilen
und den Patienten sich in der richtigen Weise von ihnen distanzieren zu
lassen — steht an anderer Stelle bei Kaiser eine Überschätzung der
Ratio gegenüber. „Widerstand deuten“ ist für ihn identisch mit „Hinweisen
auf die Widerstandsgedanken“. Aber mit diesem (gewiß nötigen) Hinweis
ist der Widerstand noch nicht gedeutet, wenn der Patient nicht auch er¬
fassen kann, warum seine Aufmerksamkeit von fehlerhaften Gedanken
abgelenkt war — nämlich, weil er Angst hatte —, wovor er Angst hatte,
15) Siehe Freud: Trauer und Melancholie. Ges. Sehr., Bd. V.
94
Otto Fenichel
wann und wie er diese Angst erwarb. Der Hinweis auf fehlerhafte Ge¬
danken bedingt noch nicht die Korrektur, solange die Ursache nicht behoben
ist, die den Patienten fehlerhaft hat denken lassen. Die Reduzierung der Cha¬
rakterwiderstände auf „Denkfehler“ ist das beste Beispiel für diese Über¬
schätzung des Rationalen bei der Deutungsarbeit. Dies wird auch besonders
deutlich, wo Kaiser „Zwang“ und „Rationalisierung“ gleichsetzt. Denn das
falsche Denken des Zwangsneurotikers ist nicht die Folge davon, daß das Ich
durch irgendwelche Kräfte vom Denkakt „abgelenkt“ wird, woran das Auf¬
merksammachen auf die Falschheit des Gedachten irgend etwas ändern könnte,
sondern der Kranke wollte vor ihm unangenehmen Trieben in das triebferne
Denken flüchten, aber das Abgewehrte brach in die Abwehr ein, die Denk¬
funktion selbst wurde „sexualisiert“ und ist dadurch krank und schief gewor¬
den. — Auch das Wesen des „Ubertragungswiderstandes“ scheint mir bei
Kaiser nicht richtig wiedergegeben. Die Übertragung wird nicht nur durch
ihre „Rationalisierungen“ zum Widerstand, sondern überhaupt durch die
Tatsache, daß ihr Übertragungscharakter nicht bewußt ist. Die Tendenz, einen
verdrängten Trieb an einem Ersatzobjekt zu befriedigen, ist an und für sich
ein Kompromiß zwischen dem Trieb, der sich befriedigen will, und einem
Widerstand, der nicht an das eigentliche Objekt herankommen läßt. In der
analytischen Kur wird daher die Übertragung (abgesehen von jener positiven
zärtlichen Form, die zunächst das Überwinden anderer Widerstände er¬
leichtert) prinzipiell zum Widerstand und muß als solche erkannt und durch¬
gearbeitet werden.
Noch entspricht, was Kaiser macht, den Prinzipien der Freudschen Ana¬
lyse, und er stellt vielfach Fehler, die von anderen Analytikern durch nicht
genügende Beachtung des dynamisch-ökonomischen Momentes begangen wur¬
den, richtig. Aber seine Arbeit übertreibt in der Verteilung der Ak¬
zente und enthält latent eine Gefahr, die bei weiterer solcher Be¬
tonung manifest werden könnte: das für die Psychoanalyse Freuds ausschlag¬
gebende Moment, das Unbewußte und seine spezifischen Eigenschaften werden
vernachlässigt. — Die Geschichte der Analyse brachte es mit sich, daß wir das
Unbewußte vor dem Bewußten, das Verdrängte vor dem Ich kennenlernten.
Heute steht die Psychologie des Ichs im Mittelpunkt der Forschung. Alle jene
feinen Differenzen im Bewußtsein der Menschen, die von den nichtanalyti¬
schen Schulen beachtet wurden, während die Psychoanalyse sie bisher vernach¬
lässigen mußte, rücken nunmehr auch in den Gesichtswinkel der Analyse.
Zweifellos kann dadurch auch die analytische Technik — durch Verfeinerung
der „Widerstandsdeutungen“ — viel gewinnen. (Man denke etwa daran, wie
überzeugend es ist, wenn Kaiser immer mehr neben den Triebbedürfnissen des
Es auch das Bedürfnis des Ichs, sein Selbstgefühlniveau zu halten, betont.) Aber
man vergesse auch nicht, daß die vorangegangene Erforschung des Unbewu߬
ten den Psychoanalytiker instand setzt, die Phänomene des Ichs, die Differen-
~ ,.r Theorie der psychoanalytisc hen Technik
, n ßt-cAins und die Phänomene des Selbstgefühls prinzipiell anders
zcn dc [ e T d ; e an deren Schulen: Die Analyse muß auch diese Erscheinungen
T'mntTndln aus dem Zusammenspiel von unbewußten, letzten Endes bto-
logischen ne itcn widerst andsanalyse“ dem „Deutungsverfahren“ (und
Kaiser V(M .r’hren“'> gegenüber. Es ist klar, was er dabei unter „Deu-
dem ,,An f hren“ § meinf die von ihm verworfene „Inhaltsdeutung“, über die
whTjett »enug diskutiert haben. Immerhin, es bleibt bestehen daß hier
w,r J 3 ) l & c*u rPn “ steht Aber wer das Deutungsverfahren im
überhaupt ™!f^ ieß S r d ‘ e n, mein« ich, könnte man nicht Ana-
ftrüLT D»n wie die Mittel der Analyse Widers,andsüberwindung
,‘nj Übertragungsbenutzung sind, so sind die Pnnz.pt«, m„ denen ... dtese
Mittel in Gang setzt, Grundregel und Deutung.
VORLÄUFIGE MITTEILUNGEN
in dieser Rubrik erscheinen die Beiträge in der Reihenfolge ihres Einlaufes bei der Redaktion
ZUR PSYCHOLOGIE DER HEUCHELEI
Vortrag von Edmund Bergler,
gehalten in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung am 9. Mai 1934
Heuchelei ist ein Vorgang am Ich und stellt einen Spezialfall des Haderns
des Ichs mit dem eigenen Uber-Ich dar, wobei dieser Kampf auf fremdem
Boden, am zufälligen Objekt ausgetragen wird. Die Heuchelei des Erwachsenen hat
mit dem Objekt der Heuchelei vorerst nichts zu tun, sie ist Ausdruck des Bürger¬
krieges innerhalb der einzelnen „Provinzen“ der Persönlichkeit des Heuchlers. Der
Kampf geht um das Ausmaß der Aggression des Ichs, gegen die das Uber-Ich
protestiert. Endlich gelingt es dem Ich, in ein ironisches ReverenzVerhältnis
zu seinem eigenen Uber-Ich zu kommen. Der Endausgang des Kampfes, der durch
die Aggression und den Narzißmus des Ich immer neue Nahrung erhält, ist der, daß
eine Unterwerfung unter die Gebote des Uber-Ichs scheinbar gelingt, das Ich sich
duckt, die Aggression teils auf das Objekt verschoben, teils in einen geheimen nar¬
zißtischen Lustgewinn verwandelt wird, der im Überlisten des Uber-Ichs besteht. Das
Uber-Ich wird also mittels des spezifischen „Mechanismus der Heuchelei“ im
eigenen Hause verhöhnt. Der Lustgewinn des Heuchlers ist ein vielfacher:
ein doppelter von seiten der Aggression des Es, ein doppelter von seiten
des Narzißmus des Ichs. Und zwar: Aggression dem Objekt gegenüber (kann
bewußt oder unbewußt sein) und vor allem dem Uber-Ich gegenüber
(immer unbewußt). Von seiten des Narzißmus: Überlistung des Objekts (kann
bewußt oder unbewußt sein) und vor allem des Uber-Ichs (immer unbewußt).
Der zentrale Vorgang bei der Heuchelei — Aggression und Überlistung des
Uber-Ichs — ist demnach stets unbewußt.
Die Aggressionsneigungen sind geschickt maskiert, die Verschiebung auf das Objekt
gestattet das Festhalten der Fiktion, daß nicht das eigene Uber-Ich bekriegt wird. Bei dei
Heuchelei ereignet sich demnach der Ausnahmefall, daß dasich dasUber-Ichtat-
sächlich übertölpelt, und zwar unter der Maske der äußeren Gefügig¬
keit. Das Sonderbare des Vorgangs liegt darin, daß bei der Heuchelei das Uber-Ich
Vogel-Strauß-Politik treibt, somit eine Rolle einnimmt, die normalster das Ich dem
Uber-Ich gegenüber agiert. Diese Umkehrung der Beziehung Ich—Uber-Ich
unter äußerlicher Aufrechterhaltung der Rollen hängt mit einer spezi¬
fischen Ich- und Uber-Ich-Entwicklung des Heuchlers zusammen, bezüglich deren
und der vielen Spezialfälle auf die Publikation verwiesen werden muß.
Ein experimenteller Nachweis für den geschilderten „Mechanismus der Heuchelei“
ist bei der „Akzeptierung“ einer Deutung in der psychoanalytischen Kur studierbar.
Die Deutung wird vorerst abgelehnt, dann erst „heuchlerisch“ akzeptiert, um endlich
nach Identifizierung mit dem Analytiker innerlich assimiliert zu werden.
Unter Anwendung der in „Übertragung und Liebe“ von Jekels und Verf.
skizzierten Anschauungen über die Entwicklung des Uber-Ichs (Imago 1934, H. 1)
Vorläufige Mitteilungen 97
läßt sich sagen, daß sich die Aggression des Ichs gegen das Ich-Ideal richtet. Die
Heuchelei ist demnach den dort geschilderten Angriffstechniken des Ichs
t£oen d as Ich-Ideal gleichzusetzen, die den Zweck verfolgen, dem Dämon das
Quälinstrument des Ich-Ideals zu entwinden (z.B. Witz, Komödie, Manie, Liebe usw.).
^ Die Bedeutung der Heuchelei als Aggression gegen das strenge Über-Ich (resp. gegen das
Ich-Ideal als Waffe des Dämons) ist für den psychischen Haushalt hoch einzuschätzen,
da sich viele Menschen innerlich der Über-Ich-Gebote bloß dadurch erwehren, daß
sie ständig die Heuchelei von Autoritätspersonen als Über-Ich-Repräsentanten auf-
zeigen.
NEUROSEN IN VERBINDUNG MIT DEM MAGEN-DARMTRAKT
Vortrag von E. Daniels,
gehalten vor der American Psychoanalytic Association in New York am 29. Mai 1934
Diese Arbeit berichtet über eine Form von psychiatrischer Behandlung jener Neur¬
osen, die somatische Symptome Vortäuschen oder mit einer somatischen Krankheit
vereint auftreten; wir wählen als Ausgangspunkt gewöhnliche Symptome am Magen-
Darmtrakt.
Obgleich die Arbeit wesentlich eine klinische ist, bringt sie in ihrem ersten Teil
die grundlegende Unterscheidung von drei Typen der Reaktionsart: 1. Die nar¬
zißtische oder psychosenhafte Reaktion, die mit Störungen der primären Ich-Funk-
tionen verbunden auftritt, 2. Reaktionen, die mit Störungen des Sexualtriebs in
engerer Verbindung stehen, einschließlich der Ubertragungs- und Psychoneurosen,
und 3. Neurosen, die direkt ohne psychische Ausarbeitung in somatischen Symptomen
zum Ausdruck kommen und dadurch die Versagung der Befriedigung für einen der
beiden Grundtriebe anzeigen.
Diese Formulierungen wurden am ganzen Material als nutzbringender Weg der
Orientierung für die Behandlung auch dort angewandt, wo eine Analyse nicht mög¬
lich war. Alle Fälle wurden an dem Columbia-Medical Centre, N. Y. C., teils im
Presbyterian Hospital, teils an der Vanderbilt-Clinic untersucht.
1 )er erste Fall, ein junger Mann mit hypochondrischen Klagen, war der seelischen
Therapie unzugänglich, bis diese mit Arzneiverwendung verbunden wurde. Man
ging nach dem Prinzip vor, daß man die Realität der Symptome, welche sie für den
Patienten dank ihrem wahnhaften Charakter hatten, akzeptieren und dieselbe für den
nächsten Schritt zu ihrer endlichen Auflösung ausnützen mußte. —• In zwei Fällen
von Erbrechen war das neurotische Symptom in weitem Ausmaß durch lebensbe-
drohendeSituationen determiniert. In dem einen Fall durch einen geschiedenen Gangster-
Ehegatten, in dem anderen Fall durch ein schweres körperliches Leiden. Das Symptom
schwand rasch, als dem Patienten Gelegenheit zur Katharsis und zum Wiedergewin-
ncn ^iner Sicherheit geboten wurde. Im Gegensatz zu diesen Fällen steht ein anderer
11111 beständigem Schmerz im Abdomen: Hier war der ganze Sexualtrieb des Patienten
in den Symptomen befriedigt; es hätte nur eine lang dauernde, ins Einzelne gehende
Analyse von Erfolg sein können.
Der Redner betont, daß es auch für die Behandlung von Wichtigkeit ist, die nar¬
zißtischen und die Ubertragungselemente zu unterscheiden. Zur Illustration erwähnt
er Fälle von Ulcus pepticum, bei denen sich zwei Arten von Schmerz zeigen, von
Int. Zeitschrift f. Psychoanalyse, XXI/i
7
98
Vorläufige Mitteilungen
denen der eine ausgesprochen ein Konversionssymptom war. Der letzte Kranke ist
einer Reihe von Fällen von Kolitis mit Diarrhöe entnommen, an denen der Autor
zeigt, wie die zugrunde liegende Neurose zu behandeln ist.
Der Vortrag war zwar für Psychiater bestimmt, betonte aber auch die Wichtigkeit
dieses Problems für den Praktiker und zeigt, wie sehr es not tut, auch ihnen die Er¬
fahrungen der Psychiater zugänglich zu machen. Dies gilt besonders dann, wenn
eine offenkundige körperliche Krankheit mit Neurose verbunden ist.
EIN FALL VON ESSENTIELLER HYPERTENSION
Vortrag von Lewis B. Hill, Baltimore,
gehalten vor der American Psychoanalytic Association in New York am 30. Mai 1934
Im Laufe der analytischen Behandlung eines Patienten, in dessen Familie seit drei
Generationen häufig Fälle von kardio-vaskulärer Erkrankung mit Hypertension Vor¬
kommen, gelang es, die essentielle Hypertension des Patienten auf eine Episode in
seinem achten Lebensjahr zurückzuführen; er war damals streng bestraft worden, was
er vollständig amnesiert hatte; auf das Aufdecken dieser Szene in der Analyse
reagierte er mit heftigen Mordimpulsen und einer deutlichen vasomotorischen Stö¬
rung. Nach der Katharsis wurde der Blutdruck normal und ist es seit vier Jahren
geblieben. — Der Fall soll zu Studien über die Ätiologie der essentiellen Hypertension
und die Möglichkeit einer radikalen Therapie anregen.
MÄRCHEN UND NEUROSEN
Vortrag von Sandor Lorand,
gehalten vor der American Psychoanalytic Association in New York am 30. Mai 1934
Das intensive Studium eines Falles von Angsthysterie ließ erkennen, daß die Struk¬
tur der ganzen Neurose auf Märchenstoffen basierte. Angenehme und unangenehme
Erinnerungen sowie Ängste der frühen Kindheit zentrierten sich um Märchen, die
die Mutter dem Patienten bis zum 6 . und 7. Lebensjahr erzählt hatte.
Seine nervösen Symptome und Ängste zur Zeit der Analyse gingen den Märchen¬
stoffen, die angenehm waren und dem Patienten in der Kindheit geholfen hatten,
den Ödipuskonflikt zu lösen, parallel. In der Pubertät wurden dieselben Märchen zu
Angstobjekten, die den Patienten in einer ständigen Panik hielten; das Ich verteidigte
sich auf diese Weise gegen die drängenden sexuellen Wünsche. Im Laufe der Analyse
entwickelte er eine Reihe von neuen Ängsten, die sich auf vergessene Märchen zu¬
rückführen ließen, die nun nach und nach aus der Verdrängung auftauchten.
Es ließ sich auf Grund dieser Arbeit feststellen, daß Märchenstoffe sich nicht nur
in den Träumen der Neurotiker finden, wie Freud ausgeführt hat, sondern daß sie auch
sowohl in den Kinderneurosen aufzuweisen sind als auch in den Ängsten der Puber¬
tät verwendet werden können. Daran schließen sich einige allgemeine Bemerkungen
über Märchen: welche Vor- und Nachteile das Erzählen von Märchen für Kinder
möglicherweise haben könne; welche Bedeutung ihnen beim Jugendlichen, der gerne
Märchen erzählt oder erfindet, als Abfuhr oder Befriedigung seiner Triebe zukommt;
Art und Zeitpunkt sowie die Situationen, in welchen man Märchen erzählt, werden
diskutiert*
PARTIELLE SELBSTVERNICHTUNG: SELBSTVERSTÜMMELUNG
Vortrag von Karl A. Menning er,
■ehalten auf der Jahresversammlung der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung,
iS. Mai bis i. Juni i934> New York
* Der Autor stellt die Motive der „lokalisierten“ Selbstvernichtung denen des Suizids
„,eich wie in einer früheren Arbeit (Psa. Aspects of Suicide, Int. Journal of Psa.,
Bd 14 Teil, Juli 1933) ausgeführt worden ist. Der Suizid repräsentiert den Sieg
des Todes über das Leben unter aktiver Mithilfe der Persönlichkeit, die von starken
unbewußten Motiven getrieben wird. Als Motive werden bezeichnet: der Wunsch zu
töten der Wunsch getötet zu werden und der Wunsch zu sterben. Um die aggressiv¬
destruktiven Triebe (Wunsch zu töten) und die passiv-masochistischen Triebe
(Wunsch getötet zu werden) zu befriedigen, ist es nicht unbedingt notwendig, daß
der Tod der gesamten Persönlichkeit eintritt. Diese Komponenten können auch
durch einen partiellen Suizid befriedigt werden, indem der Suizid zeitlich od<?r räum¬
lich abgeschwächt ist. (Zeitlich: Askese, Märtyrertum, langsames Verhungern. Raum-
l’ch: Angriffe des Ichs auf einzelne Körperteile, die jedoch nicht genügen, um den
Tod herbeizuführen.) Letztere Form, die als „lokaler“ Suizid oder partielle Selbstr
Vernichtung bezeichnet wird, ist das Hauptthema des Vortrags. ;;
Die klinischen Formen der partiellen Selbstvernichtung werden in vier Gruppen
eingeteilt:
1. „Unbeabsichtigte“ Selbstverstümmelung, wie sie bei Psychosen in bizarren, bei
Neurosen in gewöhnlicheren Formen zu sehen ist, außerdem bei religiösen Zere¬
monien und sozialen Bräuchen;
2. Simulieren; •. 1 •
3. Zwang, sich einer oder mehreren Operationen zu unterziehen;
4. Unfälle aus unbewußter Absicht, die lokale Beschädigung hervorrufen.
Alle vier Formen haben folgendes gemeinsam: Ein Teil des Körpers wird verletzt,
oder, unter teilweiser Beteiligung der übrigen Persönlichkeit, sogar vernichtet, indem
aut diese Weise sowohl die Wünsche nach Selbstschonung als auch nach Selbstbe¬
strafung befriedigt werden. !
In diesem Vortrag wird die erste Gruppe, die Selbstverstümmelung, näher unter¬
sucht. Verschiedene psychotische Fälle von Selbstverstümmelung werden darge-
stellt; unter anderem der einer jungen Mutter, die ihr Kind tötete, ins Staatshospital
eingeliefert wurde, von wo sie für kurze Zeit entkam, die sie dazu benützte, ihren
Arm auf die Schienen zu iegen, so daß er von einem herannahenden Zug amputiert
wurde. Darnach wurde sie in kurzer Zeit gesund und ist es seither geblieben.
Die Selbstkastration ist die Grundform der psychotischen Selbstverstümmelung.
Di r Patient fühlt sich wegen seiner homosexuellen und narzißtisch-sexuellen Betäti¬
gungen schuldig und bestraft sich durch einen Angriff auf sein eigenes Sexualorgan.
Gleichzeitig gewinnt er durch die Verwandlung in ein passives Wesen eine erotische
Befriedigung. Die Selbstverstümmelungen der Psychosen ähneln den Selbstverstümme-
lungen gewisser fanatisch-religiöser Sekten, wie z. B. der Skopten; dies wird in dem
Vortrag etwas ausführlicher dargestellt; sie unterscheiden sich von den Selbstver¬
stümmelungen der Neurotischen und von den zeremoniellen Verstümmelungen
vieler Religionen dadurch, daß in der erstgenannten Form die, Realität in
100
Vorläufige Mitteilungen
hohem Grad außer acht gelassen wird. Der Lustgewinn ist überwiegend passiv, die
Straffunktion in hohem Grad übertrieben. Der Neurotiker bestraft sich durch eine
symbolische Kastration, die aber als Erlaubnis, eine aktive Befriedigung von greif¬
barem, realem Wert zu erreichen, wirkt.
Pubertätsriten, wie z. B. die Zirkumzision, erweisen sich als eine Form von stell¬
vertretendem Opfer, bei dem ein Teil geopfert wird, um das Ganze zu retten. Sie
dienen als symbolische Straffe für die Inzestwünsche des Jugendlichen und als Sühne
für die antizipierte sexuelle Betätigung.
Neurotische Selbstverstümmelungen, wie Nagelbeißen und neurotisches Wund¬
reiben der Haut, werden beschrieben. Der Fall einer jungen Frau wird angeführt, die
den Zwang entwickelte, sich ganze Hände voll Haare auszureißen, und zwar entstand
diese Zwangshandlung nach der Heirat der jüngeren Schwester, auf die sie von jeher
eifersüchtig gewesen war. Ferner wird der Fall eines jungen Mannes vorgestellt, der
sein Haar in abschreckend grotesker Form ausschnitt; die unbewußten Motive seines
Handelns, Verhöhnung und Flucht, die sich beide auf den Vater beziehen, sowife
Selbstbestrafung — 1 die sich im Lauf der psychoanalytischen Behandlung aufdecken
ließen — werden in großen Zügen skizziert. Auch der bekannte Wolfsmann Freuds
wird zitiert.
Beispiele von Selbstverstümmelung bei verschiedenen Leiden infolge organischer
Erkrankung werden besprochen, wobei der Autor zeigt, daß ihre Motive sich nicht
von den Motiven der Selbstverstümmelung unterscheiden, die in Verbindung mit
Psychosen, Neurosen und religiösen Zeremonien studiert werden konnten. Die
organische Erkrankung wirkt als Befreiung der unbewußten Tendenzen, die bis
dahin durch einen maximalen Kraftaufwand beherrscht werden konnten, der nun
aber nicht mehr genügt, um der neu hinzugekommenen Belastung durch eine phy¬
sische Erkrankung standzuhalten.
Gewohnheitsmäßige und konventionelle Formen voti Selbstverstümmelung, wie das
Bohren in den Ohren, Nägelputzen, Haarschneiden, Rasieren, werden vom Stand¬
punkt der unbewußten Motivierung beleuchtet.
Der Autor hat die Selbstverstümmelung, die unter verschiedenen Umständen bei
Psychosen, Neurosen, religiösen Zeremonien, sozialen Konventionen, und gelegent¬
lich bei organisch erkrankten Menschen, die, abgesehen von dem Trieb zur Selbst¬
verstümmelung, im allgemeinen als normal erscheinen, auftritt, sorgfältig beobachtet
und gefunden, daß ihre Motive zwar von verschiedener Intensität, im übrigen aber
überall dieselben sind, und zwar: Die Akzeptierung von passiven Befriedigungen als
Ersatz für aktiv-sexuelle und aggressive Handlungen und Wünsche; ein Verzicht auf
einen Teil der aktiven Tendenzen als Opfer für vergangene Aggressionen und als
Kaufpreis für künftige Nachsicht. Die Selbstverstümmelung ist daher eine partielle
oder lokale Selbstzerstörung, deren Hauptzweck darin besteht, das Leben zu erhalten.
Es ist eine Kompromißlösung zur Abwendung der vollkommenen Zerstörung (Suizid).
ZUM SELBSTMORDPROBLEM
Vortrag von Gregory Zilboorg,
gehalten auf dem XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern (2 6 . bis
31. August 1934).
,t - Wissen um das tiefere Wesen des Selbstmordes ist sehr dürftig. Seit der
Urner di s Thema, bei der sich herausstellte, wie wenig wir
fr £72. &Ä. Arb “ ” T ” uer ” nd M ' l ““ holie "
darüber wissen. Dieser letztere und Abrahams Studien über Depression
Beitrag da?«j | e ^ wir seither darüber erfahren haben. In der Psychoanalyse
sind so ziem i ben ^ orerst dahin, die feinere Struktur jenes Mechanismus hervor-
Theben der die Wendung der Aggression, gegen das eigene Ich bewirkt, und den
zuheben, Datholo „ isc hes Merkmal zu betrachten, das mehr oder minder nur
Se lbstmord alspathologuc ^ ^ ^ Freud über dieses xhema gelernt haben ,
J" unzweifelhaft die klinische Probe auf Richtigkeit bestanden, eine Anzahl von
Erscheinungen blieb jedoch ungeklärt. Eine ausführliche Untersuchung von über
f -Urtfünfzie Selbstmordfällen, von denen vierzehn eine lange Zeit hindurch grund-
hundertfunfzig Selbstm ^ ^ ^ ^ ^ ^ Melancholiker dazu neigen,
Selbstmord tu begehen; daß »ich. nur Melancholiker Selbstmord besehen, den»
man finde, Selbstmord ebenso in Fällen von Schmophr.me, Z„a» 8 sneurose und
Hysterie - t daß eine Anzahl von Selbstmorden das ausdrückliche Kennzeichen von
starken praktisch unkontrollierbaren Triebhandlungen trägt, ohne Rücksicht darauf,
welchen nosologischen Gruppen sie angehören, sogar bei den sogenannten normalen
Individuen. Es zeigt sich, daß das, was wir als das Phänomen der Selbstzerstorung
•nsehen, nur ein Endergebnis aus verschiedenen Arten der Motivierung ist; es scheinen
,: ch auch nicht alle Motivierungen in die klassischen Formulierungen einfugen zu
wollen, die Freud in „Trauer und Melancholie“ festgelegt hat. Diese Mit-
teilun- will in Kürze nur eine einzige Form der Mechanismen und unbewußten Deter-
nrnierungen aufzeigen und den Weg weiterverfolgen, den uns Freud in seiner Studie
über Melancholie gewiesen hat. Es muß übrigens nebenbei erwähnt werden, daß eine
gründliche klinische Untersuchung von einigen Fällen schwerer Zwangsneurose und
Rauschgiftsucht (auch Alkoholismus) wenig Zweifel darüber läßt, daß es sich um
mehr als eine bloß äußerliche Parallele handelt, wenn sich Zwangsneurotiker in einem
momentanen Impuls „aus Trotz“ töten und wenn sich die primitiven Indianer Nord-
un d Südamerikas und Westindiens vor oder unmittelbar nach der Gefangennahme
durch die eindringenden Weißen zu Hunderten und Tausenden abschlachteten. Es
besteht auch eine mehr als zufällige Parallele zwischen dem plötzlichen impulsiven
Selbstmord im Zustand der Trunkenheit oder unter Einwirkung von Morphium und
der nicht weniger plötzlichen Selbstzerstörung der Rothäute des nordamerikanischen
Mittelwestens, die sich einer wilden Orgie sexueller Befriedigung ergeben, und sich
dann impulsiv töten. Man könnte sich weiterhin z. B. auch fragen, ob die Ursache
für einen Selbstmord durch den Sprung von einem hohen Gebäude in unserer
Wolkenkratzer-Kultur liegt oder eher im partiellen Wiederaufleben eines Brauches
.uif den Trobriand-Inseln, demzufolge der Eingeborene auf eine hohe Kokospalme
klettert und sich von dort in den Töd stürzt.
Beim Studium des Selbstmordes unter primitiven Rassen erhält man den für den
Psychoanalytiker besonders bedeutungsvollen Eindruck, der Selbstmord sei ur¬
sprünglich ein Ritual gewesen; eine sanktionierte, wenn nicht durch das Gesetz und
später durch die primitive Religion sogar geforderte Zeremonie. Es scheint, als ob
der Selbstmordkult der Brahmanen^ Epikuräer oder Stoiker nichts anderes gewesen
sei als eine Wiederholung, ein Wiederauftauchen primitiver, jedoch sehr verwickelter
102
Vorläufige Mitteilungen
1
Trieb reaktiohen. Die Geschichte der primitiven Rassen widerlegt offenbar auch die
traditionelle Auffassung, Selbstmord sei ein Produkt unserer modernen Zivilisation
Tatsächlich überwiegt auch noch heutzutage der Selbstmord unter den auf Zentral
Gelebes und auf vielen melanesischen Inseln lebenden primitiven Rassen, und Selbst-
mord war eines der größten Übel, das die Missionäre des 1 6 . Jahrhunderts in Neu¬
fundland und West-Kanada, sowie auch im mittleren Nordamerika zu bekämpfen
suchten. Diese Erwägungen verarilaßten den Verfasser, eine erschöpfende Unter¬
suchung des Selbstmordes bei primitiven Rassen anzustellen.
Wie es bei Psychoanalytikern, die sich aktiv mit klinischer Arbeit befassen, sehr-
häufig der Fall ist, kam die erste diesbezügliche Anregung durch Freuds eigene Be¬
merkungen, die er nicht selten „nebenbei“ macht und die seine scharfe wissenschaft¬
liche Intuition bezeugen. Freud hat 1915 iri seiner Betrachtung über Krieg und
Tod dargelegt, daß der Soldat in der Schlacht oft so empfinden muß wie der
primitive Mensch, der sich mit seinen Toten zu vereinigen sucht. Gerade dieser Ge¬
danke war es, der dem Verfasser in Erinnerung kam, als er in seinen Analysen von
Selbstmörderin das Folgende beobachtete:
Der aktive Impuls zu sterben ist besonders stark und zuweilen unbezwinglich bei
Menschen, die sich unbewußt mit einer Person identifizierten, die zur Zeit der Voll¬
endung dieses Identifizierungsvorgangs bereits tot war. Dies trifft besonders zu,
wenn der Tod jener Person in eine der kritischen Entwicklungsphasen (Ödipusphase,
Pubertät) des zukünftigen Selbstmörders fiel, oder wenn jene Person damals schon
tot war. In solchen Fällen trägt der Trieb zu sterben alle Kennzeichen des „dämoni¬
schen 4 Verlangens nach der Vereinigung mit dem Toten. Man wird dabei an das
Bedürfnis zu sterben erinnert, das manche melanesischen Frauen beim Tode ihres
Gatten zeigen. Sie müssen einfach sterben. Wenn ein warmherziger christlicher
Missionär sie in sein Flaus aufnimmt, sie überwacht, um ihre Seelen vor der Todsünde
des Selbstmordes zu retten, stehlen sie sich oft mitten in der Nacht davon, um sich
(auf ihr eigenes Verlangen) von einem nahen Verwandten toten zu lassen. Der
Selbstmord scheint ursprünglich einer Art rituellem Mord zu entstammen (Ermor¬
dung der Alten — später Selbstmord der Alten und Gebrechlichen; Ermordung -
später Selbstmord — der Frauen und Sklaven eines verstorbenen Häuptlings). Be¬
züglich der Ähnlichkeit des primitiven Selbstmordes nach dem Tod eines nahen Ver¬
wandten mit dem selbstmörderischen Impuls des modernen Individuums bietet sich
folgende Annahme an:
Die klassische Unterscheidung zwischen Selbstmordmelancholie und normaler
Trauer bedarf der Ergänzung, denn zumindest bei einigen (besonders hartnäckigen)
selbstmörderischen Individuen trägt der selbstmörderische Impuls alle Kennzeichen
der primitiven Trauer. Mit anderen Worten: manche Selbstmorde sind ein patho¬
logisch dramatisierter Ausdruck der Wiederholung einer Form von Trauer, die wieder*
von der primitiven zeremoniellen Tötung beim Begräbnis stammt. Die Literatur
über diese Seite des Lebens der Primitiven ist sehr groß, aber verstreut, und es ist an¬
zunehmen, daß eine gründlichere Erforschung der primitiven Völker (an Ort und
Stelle) und sorgfältigeres vergleichendes Studium unseres klinischen Materials mehr
als einen Anhaltspunkt zur Lösung des Rätsels: Lebenstrieb gegen Todestrieb geben
würde.
REFERATE
Aus der Literatur der Grenzgebiete
ROVET TH • Einführung in die philosophischen Grundprobleme der Medizin. Wissen-
sctl und Wirklichkeit Zürich, Rasche, i,* VIII und ,81 S.
Die These des Hippokrates, daß der philosophische Arzt göttergleich sei, gewinnt
.. ^rmphrte Beachtung des Mediziners. Das vorliegende Buch ist ein erfreu
Z: Ausdruck dieser Tendenz. Vielfache Auseinandersetzungen mit der Psa. rechtfer¬
tigen eine Besprechung an dieser Stelle. ,
Den bedeutendsten Versuch, Seelisches zu erklären, bildet heute die Freudsche Psa.
Ohne auf ihre erkenntnistheoretische Grundlage hier eingehen zu können, sei nur darau
hinsewiesen, daß die Psa. wie keine andere psychologische Forschung dazu beigetragen
hat" sinnvolle, verständliche Zusammenhänge aufzudecken. Da sie dabei leider immer noc
^ n ' Kausalität“ und „Determination“ spreche, wäre es an der Zeit, diese pseudo-natur¬
wissenschaftliche Einstellung aufzugeben und zuzugeben, daß die Psychoanalyse tatsäch¬
lich nichts kausal erklärt, sondern Symbole deutet, wie es dem Wesen des Seelischen
einzig angemessen sei (S. 73 / 74 J- Nach der Auffassung des Autors gelten die von
1 rcud am Unbewußten entdeckten Gesetze, die Raum- und Ze.tlosigkeit, die Überdeter-
minierung der Symbole, die Verschiebbarkeit der Besetzungen, die Widerspruchslosigkeit,
die Bildung von Verdichtungen usw. allgemein für alles Seelische, also auch für das
Bewußtsein. Heute treffen so grundverschiedene Psychologen wie Natorp und Freud
zusammen: Zu dem erkenntnistheoretisch einwandfreien, aber psychologisch leeren Ge¬
bäude des ersten gibt die empirisch unendlich reiche, theoretisch aber unzulänglich orien¬
tierte Forschung des zweiten den angemessenen Inhalt (S. 90). Die freie Assoziation,
wie sic in der Psa. geübt wird, stellt somit den Ur-Tatbestand jeder Psychologie dar
S. . Die Biologie studiert den Körper von der Seele aus. In diesem Sinne kann man
re lidsehe Theorie als solche als Biologie bezeichnen, während das prakti¬
sche Verhalten während der analytischen Arbeit echtes psychologisches Verständnis ist —
oder wenigstens sein sollte (S. 131). Die Psa. hat den Gegensatz von Geist und Seele
— wie ja alles — psychologisiert und spricht von Ich und Über-Ich. Zutiefst spüren wir
Aber den wesentlichen Unterschied zwischen unserem lebendigen, immer wechselnden, in
Gefühlen auf- und abschwellenden Seelenleben und den absoluten, unbeirrbaren Forde¬
rungen, die der Geist an uns stellt (S. 141). Sünde ist überall da, wo wir uns sträuben,
den Weg vom Ich zum Ganzen zu gehen. Spricht ein Mensch von Sünde, so haben wir
zwar wohl die möglichen Verschiebungen, Übertragungen und Überdeckungen seines Schuld¬
ner ühls zu analysieren, nicht aber zugleich das Gefühl seiner letzten Endes wirksamen
Verantwortung zu vernichten (S. 172).
Es wie aus diesen Stichproben ersichtlich, in dem Buche viel Anerkennung mit viel
Kritik ihr Psa. verbunden. Der Autor geht bei seinem Versuche, viele heterogene Be-
griffc und Autoren aus ganz verschiedenen Lagern und Schulen unter einen Hut zu bringen,
um zu einer einheitlichen Auffassung zu kommen, entschieden zu weit. Was sich dabei
nicht in sein Schema hineinpressen läßt, wird kritisch abgelehnt. Sein Werk verdient aber
trotzdem als Beitrag für die weitreichende Wirksamkeit der Psa. auch auf dem Ge¬
biete der Erkenntnistheorie und -kritik die Beachtung des Analytikers.
A. Kiel holz (Königsfel den)
104
Referate
COCHRANE, A. L.: Ehe Metschnikoff and his Theory of an „Instinct de Ia Mort“ Int
Journ. of PsA. XV, 2—3.
Obwohl die „metabiologischen“ Theorien Metschnikoffs von ganz anderen Aus¬
gangsgebieten her aufgestellt wurden und einer ganz anderen Denkart entsprechen, haben
sie Beruhrungspunkte mit den theoretischen Gedankengängen Freuds. Die auffallendste
Übereinstimmung liegt darin, daß auch Metschnikoff - wie Freud bestrebt, Religion
und Metaphysik durch Wissenschaft zu ersetzen — die Existenz eines Todestriebs („Instinct
e a inort“) lehrte. Allerdings verstand er unter diesem Begriff etwas anderes als Freud;
r meinte, daß der Mensch nach Ablauf der normalen Lebensdauer, die er mit ungefähr
100 Jahren ansetzte, eine Sehnsucht nach dem Tode entwickle, daß sich dann der „Instinct
e la vie durch einen „Instinct de la mort“ ersetze, der, latent stets im Menschen vorhanden,
bei alten Leuten als Mittel gegen die Todesangst eventuell mobilisiert werden könnte. An
anderer Stelle betont Metschnikoff die Zusammenhänge von Sexualität und intellektueller
oder künstlerischer Begabung. Auch manche andere Erkenntnisse der Psychoanalyse scheint
er vorgeahnt zu haben. O. Fenichel (Oslo)
RADO, KURT: Angst, Zwangserscheinungen und Angstzustände bei Nervösen. Kampen-Sylt,
Niels Kampmann-Verlag.
Um eine Verwechslung von unserem Sandor Rado mit Kurt Rado radikal zu verhin¬
dern, sei dieses Buchlein Kurt Rados hier näher gekennzeichnet. Nicht ein Laienanalytiker,
sondern — nicht zu verwechseln — ein Analysen-Laie behandelt hier das Thema des
Titels in naiver Weise. Hauptsache ist ihm aber die Anpreisung seiner pseudowissenschaft¬
lichen Suggestiv-Behandlung: „Wir kennen auf Grund jahrzehntelanger Erfahrung keine
Zwangserscheinungen bei Nervösen, die nicht zu überwinden sind.“ Anfragen an den Autor,
heißt es zum Schlüsse, sind nur durch Vermittlung des Verlages möglich.
E. Hit sch mann (Wien)
Aus der psychiatrisch-neurologischen Literatur
DANTSCHAKOFF, VERA, Professor der Columbia Universität usw.: Les Bases de la
Sexualite. (Nouv. Coli. Scient, dir. par E. Borei p. t.) Preface de E. Faure-Fremiet, Prof,
de l’embryologie au College de France. Paris, F. Alcan, 1934.
Es können zwar die Naturwissenschaften der Psychoanalyse nicht die Probleme der Trieb¬
lehre zur Lösung abnehmen; doch müssen die Antworten, welche die Psychoanalyse auf
solche Fragen gibt, mit den sichern Ergebnissen der Embryologie und Biologie übereinstimmen.
Wo sich in den erschlossenen Theorien ein unlösbarer Widerspruch findet, sind beide
Forschungsdisziphnen zu neuerlicher Untersuchung verhalten; Widersprüche dieser Art sind
unvermeidlich und fruchtbar. Abgesehen von diesem Interesse an der Erprobung hat auch
jedermann das Bedürfnis, in bezug auf die Gegenstände seiner täglichen Bemühung neue
Ergebnisse der Naturwissenschaften zu erfahren. Für unsere gesamte Anschauung und
richtige Einstellung zur Arbeit ist die Fortsetzung der Bioanalyse im Sinne Ferenczis
nahezu so wichtig wie die der Metapsychologie.
Dieses klar geschriebene und illustrierte Buch faßt in ausführlicher Kürze - nämlich
beides, wo es am Platze ist — einen bedeutenden, durch jahrzehntelange Arbeit erreichten
Fortschritt zusammen; es wird der Beweis erbracht für die Kontinuität des Keim¬
plasmas und durch experimentelle Beobachtung der Weg der „Ke im bahn“ bei den
Wirbeltieren festgestellt.
Für den Psychoanalytiker ist es ein mächtiger Eindruck, mit Augen zu sehen, wie in der
Ontogenese von Anfang an Soma und Keim, das bedeutet Individuum und Art, einander
1
'Lrüber nähergerückt, ob „Natur das zusammengebettelt oder von Ewigkeit angezettelt
Lt“'l Sehr eindrucksvoll steht auch von Beginn an der Todesvorgang nicht nur als zer¬
störender sondern, soweit er nicht total ist, auch als gestaltender Einfluß den Lebenstrieben
des Ichs und der Art gegenüber. Aus den hier gezeigten Vorgängen ist aber kein Argument
für oder gegen die Freudsche Hypothese zu ersehen, daß den Todesvorgängen die Eigen¬
schaft eines Triebes zukommt oder daß aus ihnen ein Trieb zum Tode entspringt. Es scheint
aber nicht ausgeschlossen, daß auch diese tiefste und dunkelste Frage der Trieblehre gleich¬
falls von biologischen Forderungen aus erhellt werden wird, wenn die Forscher selbst das
Problem sich zu eigen machen werden. p - Federn (Wien)
Psychotherapeutische Praxis, Vierteljahresschrift für praktische ärztliche Psychotherapie,
Herausgeber Dr. Wilhelm Stekel, Band I. Heft 2.
Wilhelm Stekel (Wien) schreitet im zweiten Heft der Psychotherapeutischen Praxis mit
einem Artikel „Das Phänomen der Gegenübertragung“ voran. Er erläutert die Genese der
Gegenübertragung, ihre notwendige Rolle in der Kur und die Störungen, die von ihr für den
Psychotherapeuten und seine Tätigkeit ausgehen. Den Sätzen, mit denen er den Artikel
schließt, dürfte auch der klassische Analytiker zustimmen: „Wenn ich die Formel für die
Übertragung gefunden habe, daß der Kranke den Arzt an die Stelle der wichtigsten Person
seines Konfliktes setzt, so muß vice versa die Formel für die Gegenübertragung lauten, daß der
Arzt seinen Patienten eine Rolle zuschreibt, die seinem Lebenskonflikt Bedeutung verleiht...
Er erliegt dem Einfluß eines Tagtraumes, der nach dem Prinzip der Wunscherfüllung ihn
weitab von der Realität in das Gebiet der Fiktion führt. Der Realitätskoeffizient dieser
Phantasie ist meist sehr gering. Trotzdem besteht die Gefahr, Affekte und Instinkte zu
mobilisieren, die den Verlauf der Behandlung stören. Ist es Aufgabe des Psychotherapeuten,
den Kranken mit der Realität auszusöhnen, so muß der Arzt, auf dem Boden der Realität
stehend, immer wieder das reale Ziel über alle egoistischen Regungen stellen. Und dieses
ideale Ziel ist und bleibt: die Heilung des Kranken und sei es auch mit Aufopferung der
eigenen Persönlichkeit."
Paul Bjerre (Stockholm) folgt mit einem Artikel „Zur Impotenzfrage". Er findet darin,
daß „die Tragödie des Impotenten nicht im Inzest, sondern in der asexuellen Grundlage seines
Gefühlslebens" liege. Ein Beweis dafür ist ihm, daß er Patienten hatte, die bei der Be¬
rührung mit dem Frauenkörper ebenso prompt mit der Erschlaffung des Penis reagierten
wie der gesunde, potente Mann mit Erektion (!). Das ursprüngliche Verhältnis zur Mutter
sei zu kennzeichnen als „asexuelle, undifferenzierte Zugehörigkeit"; eine Differenzierung und
St \ualisierung dieses ursprünglichen Zustandes des Gefühls- und Trieblebens trete erst in der
Pubertät ein. Die Impotenz rühre daher, daß das j,Asexuell-Sohnhafte" oder „Asexuell-
Bruderhafte" im Verhältnis zur Frau durch „Hochzüchtung" übersteigert sei. Die Folge
seiner Theorie ist freilich, daß er einen Fall von Impotenz nach 30 Stunden Behandlung, ver¬
teilt auf 3 Monate, als aussichtslos aufgeben mußte.
Ein Artikel von R. Hofstätter (Wien) „Über das Verhalten des Arztes bei ein¬
gebildeter Schwangerschaft" gibt eine gute Übersicht über das therapeutische Rüstzeug der
Ärzteschaft bei eingebildeter Gravidität. Der Verfasser selbst hält die Psychotherapie für das
wichtigste und erfolgreichste Mittel zur Bekämpfung des „Schwangerschaftswahnes" („Mutter-
Referate
106
schaftswahn“ schlägt er als Bezeichnung vor). Es genüge in den meisten Fällen die Autorität
des gewissenhaften Arztes in Verbindung mit leichter, bewußter Suggestion und Persuasion,
um den pathologischen Zustand zu beseitigen. Auf die tieferen seelischen Gründe für das
Zustandekommen einer eingebildeten Gravidität geht der Verfasser nicht ein.
Otto Juliusberger (Berlin) steuert einen „Kurzen Beitrag zur Neurosenlehre“ mit dem
Untertitel „Sejunktion im empirischen Ich-Bewußtsein“ bei. Er schildert zwei Fälle mit einer
Symptomatik, die wohl am ehesten den Depersonalisationszuständen zuzurechnen ist, wenn
nicht psychotische Grundlagen für sie maßgebend sind; so etwa berichtet eine Patientin:
„Mein Bewußtsein, meine Gedanken schwebten über dem völlig unwichtigen, mich gar
nichts angehenden Körper“ u. ä. Der Verfasser führt diese Symptomatik auf eine Sejunktion
oder Dissoziation, bzw. Lockerung der Sphäre des primären Ichs, dieser Summe der Organ¬
gefühle, des Fühlens und Wollens überhaupt, von der des sekundären Ichs, der Summe der
intellektuellen Vorgänge, zurück, wobei ihm das Wernickesche Schema der Dreiteilung
des Bewußtseins in autopsychisch, somatopsychisch und allopsychisch vorschwebt. Die
Sejunktion könne somatische oder psychische Ursachen haben, letztere können in Kon¬
flikten gelegen sein. Die Therapie sei dann eine Konfliktlösung; der das Oberbewußtsein und
Unterbewußtsein umfassenden psychologischen Analyse müsse man eine Lebenssynthese (?)
folgen lassen.
Jenö Kollarits (Budapest, dzt. Davos) schreibt über „Die psychische Führung der
chronisch Kranken und Unheilbaren mit besonderer Berücksichtigung der Tuberkulose“ und
hält die psychotherapeutische Beschäftigung im Berufskreis des Patienten oder in Form von
Handarbeit, Kunstgewerbe, Zeichnen, Modellieren, Deklamieren, Gesang, Musik und in ein¬
zelnen Wissenszweigen für die wichtigste psychotherapeutische Maßnahme. „Vor der Psy¬
choanalyse der Lungenkranken, für die jede Aufregung schädlich ist, ist wegen der psy¬
chischen Reaktionen, die sie hervorbringt, zu warnen.“ R. Sterba (Wien)
Aus der psychoanalytischen Literatur
BERGLER, EDMUND: Psychoanalysis of the Uncanny (Zur Psychoanalyse des Unheim¬
lichen). The Internat. Journal of PsA. XV. 2—3.
Ausgehend von den von Freud beschriebenen zwei Bedingungen des Unheimlichen („wenn
verdrängte infantile Komplexe durch einen Eindruck wieder belebt werden“ und „wenn
überwundene primitive Überzeugungen wieder bestätigt scheinen“), zeigt Verfasser, daß das
Gefühl des Unheimlichen ein Alarmsignal des Ichs vor der supponierten eigenen
Allmacht darstellt. Da aber das Auf tauchen der Allmachtfiktion auch die infantile Ka¬
strationsangst wachruft, mittels derer dem Kinde diese Fiktion „ausgetrieben“ wurde, zieht
das Ich in psychischer Aufwandersparnis die „Notleine des Unheimlichen“. Der ganze
Vorgang ist unbewußt, bewußtseinsfähig sind bloß Rationalisierungen des Gefühls des Un¬
heimlichen.
Ein Beispiel: Ein Patient (ein passiv-femininer, unbewußt homosexueller Mann) wollte die
Beziehung zu seiner Freundin lösen. Das Mädchen machte dem Patienten große Szenen,
drohte mit Selbstmord usw. Als Patient eines Nachts nach einer solchen Szene nach Hause
kam, nachdem er auf dem Heimweg Beschimpfungen und Todeswünsche gegen die Freundin
im Selbstgespräch ausgestoßen hatte, erlebte er folgende Halluzination. Patient wohnte in
einem Hinterhaus und mußte ein zwischen Vorder- und Hinterhaus gelegenes Gärtchen
passieren. Als er die Tür, die vom Vorderhaus in den Garten führte, öffnete, „sah“ er
plötzlich seine Freundin in den Ästen des Gartenbaumes hängen. Der Patient prallte entsetzt
zurück und hatte das Erlebnis des Unheimlichen. Die in der darauffolgenden Ordination
durchgeführte Analyse dieses Erlebnisses ergab den unbewußten Sinn: „Es ist also doch wahr,
„ . , 11 rnä C Kcis bin und zaubern kann: kaum habe ich dem Mädel ,Hang dich auf. ge-
Jab ich » sc hon geschehen.“ Der ebenfalls unbewußte Nachsatz lautete: „Ich bin also
wünscht, i Todeswünsche den anderen und infolge der dafür zu gewartigenden
-T Tuch mir selbst gefährlich.“ Verfasser hält - von der Ich-Seite gesehen - dieses im
s trafe auc TIn heimlichen mitenthaltene Angstsignal vor der inneren ag-
Gefuh 6S T r ; e bg e fahr — kondensiert in den infantilen Allmachtsideen — für das
g u CSS1 Weristikum des Unheimlichen. Es ist, als erlebte man unbewußt im Bruch-
C 5 "einer Sekunde das ganze tragische Schicksal der infantilen Allmachtsf.ktion.
, r Arbe i t werden an einem größeren klinischen, historischen und hterar,sehen Material
f nfzehn typische Situationen beschrieben, in welchen das Gefühl des Unheimlichen au tritt,
fünfzehn typ • nannt . beim Mitansehen des scheinbar Schuldgefühls-
ZTaSSTTSS W den „lenkbaren Wundern“ der Zwangsneurotiker;
tre.en, aggressi pischen; nor malerweise zu gewärtigenden Gefühlsreaktion des anderen;
beim Ausble Verwerteten und plötzlichen Sturzes des Trägers einer Machtsituation;
J eim M«ife n stadonen unbewußter Instanzen (Geständniszwang, Strafbedürfnis Wiederholung*-
be ' ne v drängte Trieb wünsche); bei gewissen Spezialformen des Zynismus; beim „unergrund-
3 ’ steigen des anderen; beim Unabänderlichen; beim Übergang vom ^ zum
„blutigen" Ernst usw. usw.
HORNEY KAREN: Psychogenic factors in functional female disorders (Psychische Faktoren
bd funktionellen gynäkologischen Störungen). Americ. journ. of obst. and gynec.
Bd.25, Nr. 5, S.694.
Wiedergabe eines Vortrags vor der gynäkologischen Gesellschaft in Chikago, in dem die
psychischen Wurzeln mannigfacher gynäkologischer Leiden erörtert werden. Als einzig
Methode die komplizierte psychische Genese solcher Erkrankungen zu erklären, wird die
psychoanalytische bezeichnet. Die Verfasserin fand bei jeder von ihr untersuchten Neurose
auch funktionelle Störungen des Genitalssystems. Sie stellt drei Fragen zur Diskussion. Dm
erste ob das Zusammentreffen gestörter Psychosexualität und funktioneller genitaler Storun¬
gen gesetzmäßig sei, wird mangels ausgedehnter Erfahrung nicht bestimmt beantw ortet. Das
Material der Verfasserin spricht für einen solchen gesetzmäßigen Zusammenhang, zu einer
weiteren Klärung könnte nur die von psychoanalytisch geschulten Gynäkologen verwertete
Erfahrung führen. Die zweite Frage, ob sich nicht die psychischen und genitalen Storungen
auf eine gemeinsame Ursache in der Konstitution oder Innensekretion zuruckfuhren lassen,
wird dahingehend erörtert, daß eindeutige Beziehungen bestimmt nicht bestehen und sehr
oft Verschiedenheiten im konstitutionellen und psychosexueilen Verhalten nachzuweisen sin .
Am eingehendsten wird die Frage einer gesetzmäßigen Beziehung zwischen gewissen Ver¬
haltungsweisen zum Sexualleben und bestimmten funktionellen Genitalstorungen besprochen.
Die Arbeit zeichnet sich durch eine besonders klare und verständliche Darstellung unter
Hervorhebung der wesentlichen Punkte aus, wobei dem Zwecke des Vortrages entsprechend
auf eine detaillierte Darstellung subtilerer psychischer Mechanismen verzichtet wird.
Bemerkenswert sind die Ausführungen über die Bedeutung einiger Charakterversc ie en
beiten zwischen männlicher und weiblicher Psyche für die Entstehung der Frigidität.
H. Winnik (Wien)
MALCOVE, LILLIAN: Bodily Mutilation and Learning to Eat. Psa. Quarterly II, 3—4»
Wir kennen das Zerstückelungsmotiv als eine Variante der Kastrationsidee. Die Absicht
des Motivs ist es, das Anstößige an der Kastrationsvorstellung zu mildern. Aber woher stammt
dieses Motiv? Malcove antwortet überzeugend: Aus der Erfahrung, daß das Essen zer¬
stückelt wird. Die Vorstellung, zerstückelt zu werden, ist also zunächst eine Abschwächung
Referate
iq8
der Vorstellung, gefressen zu werden; es ist wohl bekannt* daß diese Vorstellung als re¬
gressive Entstellung der Kastration auftritt. Da das kleine Kind animistisch denkt, erscheint
ihm das Essen, das ihm zerteilt wird oder das es selbst zerteilt, belebt, und gibt ihm so die
Möglichkeit, sich mit ihm zu identifizieren. —- Material aus zwei Kinderanalysen stützt diese
Gedankengänge. O. F e n i c h e 1 (Oslo)
MENNINGER, KARL A.: Polysurgery and Polysurgic Addietion. Psa. Quarterly III, 2.
Menninger untersucht das Phänomen, daß neurotische (oder psychotische) Patienten
den Wunsch haben, sieh chirurgischen Operationen zu unterziehen, und diesen Wunsch auch
manchmal -—gelegentlich serienweise — realisieren. Einleitend weist er darauf hin, daß auch
auf Seiten des Chirurgen die besondere Operationslust unbewußt determiniert sein kann
(ein Chirurg drohte seinem Sohne, er werde ihn, wenn er in der Schule nicht besser lerne,
ins Spital nehmen und operieren); ferner darauf, in wie mannigfacher Weise Operationen
Anlaß zu psychogenen Erkrankungen werden können. Dann erst kommt er auf die
„operätionslustigen“ Neurotiker zu sprechen. Gelingt es solchen, ihre Wünsche durch-i
zusetzen, so wird ihre Neurose oft wirklich gebessert, andere Male äußert sich aber bald
wieder der Wunsch nach einer neuerlichen Operation. Die hauptsächlichen Motive der
Operationssehnsucht ordnet Menninger folgendermaßen:
1. Das Bestreben, durch die Operation etwas anderes, was schlimmer ist als die Operation,
zu vermeiden. Menninger denkt dabei besonders an Patienten, die etwa dem Beginn oder
dem Fortschritt einer analytischen Kur oder einem ihnen unbewußt unangenehmen Er¬
eignis im Leben, etwa einer Heirat, durch eine Operation ausweichen. Die Besprechung des
Bestrebens, durch eine „kleine“ oder „prophylaktisch-selbstgewollte“ Kastration der „wirk¬
lichen“ Kastration auszuweichen, ist hierin nicht eingeschlossen.
2. Die Operation ermöglicht dank der „Magie der Medizin“ in ähnlicher Weise wie die
Hypnose eine besondere (sado-masochistische) Art der Vaterübertragung.
3. Die Operation wird unbewußt einer Niederkunft gleichgesetzt (und bedeutet damit
längs der symbolischen Gleichung Kind = Penis bei manchen Frauen auch das Erreichen
eines eigenen Penis). Vgl. die Appendicitis der „Dora“. 1
4. Die Operation bedeutet die Kastration, und zwar infolge zweier verschiedener Auf¬
fassungen:
a) Die Kastration wird direkt ersehnt, sei es aus Strafbedürfnis, sei es aus Masochismus,
etwa als Voraussetzung für eine feminine Befriedigung bei Männern. Manche hierher ge¬
hörigen Fälle, wie einer aus der Beobachtung des Autors und mehrere aus der Literatur,
setzen auch eine reale Kastration durch. Das Gegenstück hierzu sei die medizinische Literatur,
Welche therapeutische Kastrationen bei allen möglichen und unmöglichen Indikationen vor-
schlägt.
b) Als Äquivalent der Kastration wird eine Operation nicht aus Kastrationslust, sondern
aus Kastrations a n g s t ersehnt, sozusagen als Opfer, das dazu dienen soll, eine schlimmere
Selbstzerstörung zu vermeiden. „Ein Ersatzpenis kann geopfert werden, um den realen Penis
zu retten“, wobei dann das fortbestehende Schuldgefühl ein Opfer der körperlichen Integrität
nach dem andern verlangen kann. Ref. möchte hierzu bemerken, daß dieser Typus der
neurotischen Operationssehnsucht ihm der ausschlaggebende zu sein scheint. Beide Aspekte
der >,kastrativen“ Operation können verdichtet werden, indem ein zunächst als unangenehm
empfundenes Opfer sekundär (masochistisch) mit Libido besetzt wird.
5. Die Operationen können „sekundäre Gewinne“ bringen, die man nicht unterschätzen
darf, z. B. die Freude, sich bemitleiden zu lassen, oder Gelegenheiten zu exhibitionistischer
Befriedigung, — Diese fünf Motive werden dann noch besonders an zwei interessanten Kran¬
kengeschichten demonstriert. O. Fenichel (Oslo)
' i) ; Fr eu d : Bruchstück einer Hysterieanalyse. Ges. Sehr. Bd. VIII.
OBERNDORF, C. P.: Depersonalization in Relation to Erotization of Thought. Int. Journal
oi PsA. XV, i— 3 - ...
, . , i r,.L. n osvchoanalytische Autoren, die die Depersonalisation unter-
vorangegangenen Sexualisierung der Denkfunktion
suc . hte 'V ht Oberndorf bestätigt mit einer ausführlichen und zwei kürzeren
aufmerksam g • theoretischen Überlegungen diesen Zusammenhang und sucht ihn
u StÄSL Hsuptfaü handelt «, eich „„ eine eigen,,
in seinen D merkwürdige Art des „Gespaltenseins“: Die
lkh e Depersonalisation, ah um ^e,ne g füw ^ ^ ^ und ein als außerhalb ihrer
Person'empfundene^Üblr-Ich. Die Analyse bestätigt vor allem Freuds Deutung, daß m
den Fällen von multipler Persönlichkeit Identifizierungen mit verschiedenen Personen vor-
t” en die miteinander nicht in Einklang gebracht werden können. Die individuelle Kindheits-
liegen, a . eine problematische Klitoridektomie vorkommt) hat es der Patientin
g h 'Sch eemacht Mutter und Vater „in ihrem Innern“ miteinander zu versöhnen. Die
Mutter war eine impulsive, unlogische, nörglerische autoritäre Neurotikerin, der Vater ein
etwas zwangsneurotischer, überlogischer Denker. So hatte die Patientin - wie wir es
fie finden — intellektuelle Tätigkeit und männliche Sexualfunktion einander gleich¬
et Die Spaltung hing mit der Abwehr ihrer „Männlichkeit« durch Pro.ekuon zusammen
k Oberndorf versucht, diesen Befund dahin zu verallgemeinern, daß er anmmm^
gäbe einen männlichen (logischen) und einen weiblichen (,,heniden“artigen) Denktyp, un or-
aussetzung einer Depersonalisation wäre nicht nur eine Sexualisierung der Denkfunktion
sondern außerdem ein der Bisexualität entsprechender Konflikt zwischen Männlichkeit und
Weiblichkeit, der nach solcher Sexualisierung zwischen diesen beiden Denkarten spiele. Der
Patient müsse die dem anderen Geschlecht zukommende Denkart (die Narbe der Identifi¬
zierung mit dem gegengeschlechtlichen Elternteil) verdrängen und produziere wenn das
Verdrängte aus der Verdrängung wiederkehre, das Gefühl, er wäre unreal oder nicht er selbst.
Obwohl die Ausführungen von Oberndorf manche wichtigen Details über die Psycho¬
logie der Depersonalisation (er bestätigt u. a., daß bei ihr, wie Miß Searl ausfuhrte, die
Identifizierung mit unbelebten Gegenständen eine besondere Rolle spielt), und über die
Beziehungen von Denken und Geschlechtlichkeit aufdecken, bleibt doch die allgemeine
Gültigkeit seiner Funde fraglich. Er zitiert u. a. irrtümlicherweise den Referenten als einen
Anhänger der Auffassung, Depersonalisation sei ein Spezialfall von Sexualisierung der Denk-
funktion. An der angeführten Stelle („Hysterien und Zwangsneurosen“, S. 91) wird aber
nach Besprechung der Denkhemmung ausgeführt: „Nicht nur auf dem Gebiete des Intellekts,
auch aut dem des Fühlens und Wollens gibt es allgemeine und spezielle Hemmungen“, und
von der Depersonalisation wird nur gesagt, sie sei solchen Fühlens- und Willenshemmungen
verwandt. Noch weniger überzeugend ist es, daß bei der Depersonalisation notwendiger¬
weise immer ein bisexueller Konflikt vorliegen und das Symptom der Verdrängung
einer gegengeschlechtlichen Denkart entsprechen müsse. „Männliche und „weibliche
Denkarten scheinen uns viel zu vage Begriffe, um darauf wissenschaftlich aufbauen zu
können. Und daß der pathogene Konflikt weniger zwischen Trieb und abwehrendem Ich, als
zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit spielen sollte (Oberndorf sagt sogar zwischen
„männlicher und weiblicher Libido“), erinnert an die von Freud schon in „Ein Kind wird
geschlagen“ zurückgewiesene Theorie von der Herkunft der Verdrängung überhaupt aus
der Bisexualität. Oberndorf zitiert auch diese Stelle und meint, die von Freud ver¬
worfene Theorie, deren Zurückweisung („Ich habe sie immer für unzutreffend und irre¬
führend gehalten“, Ges. Sehr. Bd. V, S. 369) er nicht erwähnt, „nimmt die Konzeption des
Uber-Ich vorweg“. So scheinen uns hier richtige klinische Beobachtungen theoretisch un¬
richtig interpretiert.
O. Fenichel (Oslo)
Referate
HO
RESNIKOFF, PHILIP: A Note on Washington. Int. Journal of PsA., XV, i —3.
Washington schrieb 1795 an Gouverneur Morris, er sei sicher, daß Amerika
wenn es noch zwanzig Jahre der Ruhe haben könnte, in den Stand käme, jeder Macht Trotz
zu bieten. Resnikoff glaubt, diese Briefstelle erklären zu können, indem er darauf hin¬
weist, daß Washington gerade zwanzig Jahre alt gewesen war, als er beim Tode seines
Halbbruders erfolgreich die Rolle eines Familienvaters übernehmen mußte; er bemerkt dazu
die Gleichsetzung seines Ichs mit Amerika zeige „den Weg, auf dem Narzißmus sich i n
Patriotismus handeln könne“. Daß Washington sich ein anderes Mal mit einem zum
Tode verurteilten Verbrecher vergleicht, zeige seine unbewußte Feindschaft gegen seinen
Vater. Das mitgeteilte Material reicht nicht aus, um zu beurteilen, ob die Deutungen glaub¬
haft sind. O. Fenichel (Oslo)
Nachtrag zum Nachruf auf Georg Groddeck
t „ j.<? Hroddeck das Wort Es von Schwenninger übernom-
Me / n * tr i f ”i n Tchc zu. Es war sein eigener Fund. Vielleicht war der Grund meines
men ha ’ Hurch die Tatsache, daß Groddeck bei vielen Gesprächen
' u 'Twkder darauf hinwies, was er alles seinem Lehrer verdanke, dabei hatte ich
:,'-ht selten den Eindruck, als ob Groddeck nur verschämt von seinem eigenen
Arzttum sprechen konnte oder sich zu bescheiden im Hintergrund hielt
Aus einem Brief, den Freud 1922 an Groddeck schrieb, sei folgendes wieder¬
gegeben.
„Wien, Weihnachten 1922.
Erinnern Sie sich übrigens, wie frühzeitig ich das Es von Ihnen übernommen
häbc
* B war lange ehe ich Sie kennengelernt hatte, in einem meiner ersten Briefe
(I? ' Apr ü I92 Ö X ) an Sie, dort hatte ich eine Zeichnung eingeschaltet, die demnächst
WC ni g verändert vor die Öffentlichkeit treten soll.
Ich denke. Sie haben das Es (literarisch nicht assoziativ) von Nietzsche hergenom-
mcn . Darf ich das auch so in meiner Schrift sagen.“
ßaron Röder, der langjährige Schüler Groddecks, schreibt mir dazu:
„Groddecks Es ist im höchsten Grade tätig (es lebt — mich); nicht leidend, wie
Nietzsches Es (es wird — gelebt). Der Vorläufer von Groddecks Es ist kein anderer
als „Gott-Natur“, wie er den mütterlichen Urgrund alles und unseres Seins nennt, aus
dem wir niemals heraustreten. Dieser Ausdruck erschien erstmals als Titel des 1912
veröffentlichten Vortragsbuchs. — Zum Unterschied zum Es ist Gott-Natur lite-
r„irisch entlehnt, und zwar von Goethe, wie Groddeck selbst sagt.
Heinrich Meng, Basel.
KORRESPONDENZBLATT
DER
INTERNATIONALEN PSyCHOANALyTISGHEN
VEREINIGUNG
Redigiert vom Zentralsekretär Edward Glover
I. Bericht über den XIII. Internationalen Psychoanalytischen
Kongreß
Der XIII. Internationale Psychoanalytische Kongreß fand in der Zeit zwischen
dem 2 6 . und 31. August 1934 zu Luzern unter dem Vorsitz von Dr. Ernest Jones
statt. Anwesend waren 228 Personen, 132 Mitglieder und 96 Gäste.
Dem Schweizer Lokalkomitee gebührt besonderer Dank für die tätige Gastfreund¬
schaft, mit der es die Vorbereitungen für den Kongreß getroffen hatte. Bedauerlicher¬
weise wurde der Kongreß von einem tragischen Vorfall betroffen: der Sekretär des
Komitees, Dr. Behn-Eschenbürg, fiel am zweiten Tage des Kongresses in eine
schwere Krankheit, an der er einige Wochen später, am 21. September, starb. Der
Verlust eines so teuren Kollegen ist ein schwerer Schlag, nicht nur für die Schweizer
Gesellschaft, zu deren aktivsten Mitgliedern er zählte, sondern für die ganze Inter¬
nationale Vereinigung, für die er voll Eifer gewirkt hatte.
Eröffnung des Kongresses
Der Präsident Dr. Ernest Jones eröffnete den Kongreß Montag, den 27. August,
9 Uhr vormittags, mit der folgenden Ansprache:
Mein erster Gedanke bei der Eröffnung dieses, des XIII. Internationalen Psycho¬
analytischen Kongresses ist naturgemäß der Schmerz, daß wir zum ersten Male in
unserer Geschichte von 2 6 Jahren den Gründer unserer Vereinigung missen. Es ist
schwer, sich einen psychoanalytischen Kongreß ohne Ferenczi vorzustellen. Bis in
die letzten Jahre, als die Zeichen seiner ernsten Krankheit unverkennbar wurden,
war er die Seele eines jeden Kongresses. Wenn sein Vortrag an die Reihe kam, war
der Saal immer gedrängt voll, und er enttäuschte seine Hörer nie. Es besteht für mich
keine Notwendigkeit, Ihnen die unvergeßliche Lebendigkeit seines Vortrags, seinen
inspirierten Stil oder die charakteristisch franke und aufschlußgebende Art seiner
Rede in Erinnerung zu rufen. Seine Persönlichkeit strahlte seinen Enthusiasmus und
sein Interesse für die Arbeit wider, und sie stand immer allen, denen er helfen
konnte, zur vollen Verfügung. Als einer seiner vertrautesten Freunde kann ich
Zeugnis geben von seiner Großzügigkeit, seiner unerschütterlichen Loyalität und
seiner bewundernswerten Lauterkeit. Ich sehe ihn noch immer, sein ritterliches
Wesen, sein warmes, vertrauliches Lächeln, seine bereite Rede, sein schnell entschlos¬
senes Urteil. Er war eine unendlich menschliche und liebenswerte Gestalt, ein Mann,
der uns ein Beispiel war in einfacher Aufrichtigkeit und unabänderlicher Wahrheits-
1
y -be Ich fordere Sie auf, sich zu erheben zum Gedächtnis unseres lieben Freundes
und Führers. deutet uns aber noch mehr als einen schmerzlichen persön-
.. ben" Verlust und das Ende einer Fülle von wertvollen wissenschaftlichen Beiträgen.
c Ch -n Meilenstein in der Geschichte der psychoanalytischen Bewegung. Es gibt
E • a nd mehr der wie er, jedem psychoanalytischen Kongreß ohne eine einzige
obgleich einige, die bei dem allerersten Kongreß zugegen
tZZ glücklicherweise noch unter uns weilen. Dann war auch Ferenczr Professor
Freuds vertrautester Freund, so daß mit ihm wieder ein weiteres Glied zwischen
Professor Freuds Persönlichkeit und unserer Kongreßarbeit verschwindet Anderer-
seits'freue ich mich, Ihnen persönliche Grüße von Professor Freud uberbringen zu
können; ich hatte die Freude, ihn vor drei Tagen in Wien in guter Gesundheit und
St D^er Xm. S Kongreß findet jedoch in Zeitumständen statt die aus noch einem
anderen Grunde bedeutsam für die Geschichte der Psychoanalyse sind. Ich meine
natürlich den Schlag, den die Analyse in einem Land, wo sie selt erfolgreici
bestand, zu erdulden hatte. Beim letzten Kongreß sprach Dr. Eitingon in
seiner Eröffnungsrede von den ökonomischen Störungen, die es notig machten, den
Kongreß ein Jahr später abzuhalten. Er konnte damals kaum die erstaunliche po¬
litische Umwälzung voraussehen, die innerhalb einiger Monate vor sich gehen so te,
oder die zersetzende Wirkung, die sie auf unsere Arbeitsbedingungen ausuben sollte.
Diese Ereignisse berühren uns alle viel zu nahe, als daß ich es mir versagen konnte,
hier von ihnen zu sprechen. .
Es wäre ein leichtes, einen empörten Protest einzulegen gegen die Art, in der diese
politischen Geschehnisse unsere Arbeit gehindert und das Leben unserer Kollegen ge¬
stört haben. Ein solches Vorgehen wäre jedoch sicherlich nutzlos und vielleicht sogar
schädlich. Es hieße überdies, von unserem eigenen Niveau herabsteigen und an dem
Gcfühlsaufruhr unserer Gegner teilnehmen. Es wird würdiger und auch von größerem
Nutzen sein, diese Art Politik mit der Einstellung der Wissenschaft in Gegensatz zu
bringen. Wenn die Wissenschaft angegriffen wird, ist ihre beste Antwort, einfach
ihre Prinzipien noch einmal festzustellen. Auf der einen Seite sehen wir Menschen,
von höchst subjektiven, gefühlsmäßigen und sogar abergläubischen Motiven bewegt,
ihre Taten mit dem Mantel einer Pseudo-Ethnologie bedecken, die sich durch
eine krasse Unkenntnis aller ethnologischen Fakten auszeichnet. Psychoanalytiker
andererseits bezeichnen sich als Männer der Wissenschaft, die kein anderes Ziel ver¬
tonen, als den Pfad der Wahrheit. Von diesem Standpunkt aus können wir all das
nur als Ausdruck von Ursache und Wirkung betrachten. Und der Schluß, den wir
ziehen müssen, ist so augenfällig, daß er für uns beinahe eine Plattheit ist, obgleich
er noch immer in der nichtwissenschaftlichen Welt ignoriert wird. Nämlich: die
Freiheit wissenschaftlicher Arbeiter in irgendeiner Weise, unter welchem Vorwand
immer, zu stören, ist dasselbe, wie den Fortschritt der Wissenschaft selbst aufzuhalten.
Da die Wissenschaft fraglos das wesentlichste Merkmal unserer heutigen Zivilisation
ist, ja die unumgänglich notwendige Basis für deren Bestehen, ist eine solche Störung
eine Schädigung der Zivilisation. Insoferne eine Regierung einen derartigen Angriff
unternimmt oder erlaubt, schwächt sie sicher die Basis der Zivilisation, zuerst in
ihrem eigenen Land und in einem geringeren Grade in der ganzen Welt. Sie schädigt
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/i 8
Korrespondenzblatt
114
sich selbst unwissentlich; der Grad dieser Schädigung wird an dem Erfolg der stören¬
den Eingriffe zu messen sein. Wir würden unser Bereich verlassen, wenn wir
diese Eingriffe richten oder sie verurteilen wollten, doch konnte ich es mir nicht ver¬
sagen, ihre unvermeidliche Bedeutung aufzuzeigen.
So viel möchte ich über unsere Einstellung zur Außenwelt sagen. Die noch nie
vorher erreichte Anzahl, in der wir hier beisammen sind, und die verwirrend große
Zahl der wissenschaftlichen Beiträge, die uns aus der ganzen Welt zuströmten, be¬
weisen, wie unerschüttert wir von diesen äußeren Traumen sind. Wir können jedoch
aus diesen Geschehnissen auch eine Lehre ziehen. Wir sehen wieder einmal, daß Politik
und Wissenschaft sich nicht besser vermischen als öl und Wasser. Wir wissen als
Psychologen, daß die Motive, die die Menschen zwingen, eine gegebene soziale Ord¬
nung zu ändern, von verschiedenster Art sind, ein Gemisch von lobenswerten
und unedlen Impulsen, in denen der Wunsch, die Wahrheit zu finden, selten eine
andere als eine höchst untergeordnete Rolle spielt. Daher muß jeder, der sich zu
dieser Tätigkeit hergibt, notwendigerweise von anderen als wissenschaftlichen Mo¬
tiven getrieben werden. Der Meister unserer Schule, der, wie wohl bekannt, von
starken humanitären Wünschen für die Verbesserung des menschlichen Lebens bewegt
ist, hat es trotzdem immer verstanden, diese streng getrennt von seiner wissenschaft¬
lichen Arbeit zu halten, die deshalb nie in ihrer Reinheit gelitten hat. In dieser Hin¬
sicht wie in so vielem anderen hat er uns ein Beispiel gegeben, dem nachzueifern wir
gut täten. Es fehlt unter uns nicht an Zeichen der Ungeduld mit unseren sozialen
Bedingungen und an Bestrebungen, zu ihrem Wechsel beizutragen. Es folgt aus dem
eben Gesagten, daß jeder, der solchen Impulsen nachgibt, im selben Grad als
Analytiker verliert. Und der Versuch, eigene soziale Ideen im Namen der Psycho¬
analyse zu verbreiten, heißt ihre wahre Natur fälschen, ist ein Mißbrauch der Psycho¬
analyse, den ich entschieden rügen und zurückweisen möchte.
Es kann leider auch nicht behauptet werden, daß unsere Vereinigung durchaus frei
von Rassen- oder Nationalvorurteilen ist, Vorurteile, die wir in der Welt um uns so
beklagen, und die dort zu solch unglückseligen Zuständen führen. Während des Be¬
stehens unserer Vereinigung habe ich stetig und oft hart für ein einfaches Prinzip in
dieser Sache gekämpft. Obzwar wir die sozialen Bedingungen und Gesetze des Landes,
in dem es unser Los ist zu leben, respektieren müssen, sind doch — wie ich stets be¬
hauptete — unsere gemeinsamen Interessen, wie die einer jeden Gruppe von wissen¬
schaftlichen Arbeitern, in ihrem Charakter streng international oder eher über¬
national, und das Dazwischentreten lokaler Vorurteile ist in jeder Hinsicht zu mi߬
billigen. Ich denke, daß wir alle mit unserem Intellekt diesem Prinzip beistimmen, und
doch wird es oft in praxi gebrochen. Gefühlsmäßige Einflüsse von eben der gleichen
Art, wie wir sie so verderblich in der Welt der Politik wirken sehen, scheinen zu¬
zeiten einzelne Analytiker und sogar ganze Gruppen anzustecken. Doch niemals war
Einigkeit uns so nötig wie jetzt, wo wir so harte Bedingungen zu bekämpfen haben.
Um unserer selbst willen, in unserem eigenen Interesse und um der Arbeit willen, die
uns so sehr am Herzen liegt, müssen wir jeden Versuch machen, diese nationalen
Vorurteile zu begraben und uns in einem Bund freundschaftlicher Zusammenarbeit zu
vereinigen. Ich mache diesen Appell mit dem ganzen Ernst und der ganzen Wärme,
die mir zu Gebote stehen. Diese Internationale Vereinigung, die erste, die sich nach
den trennenden Schismen des Krieges wieder zusammenfand — ein historisches Ge-
, . * t Recht immer stolz sein können — , eine Vereinigung, deren
schehnis, auf as wir ^ def Hand haben, die Menschen verliehen sind, sich
Mitglieder ie Vorurtei i en zu befreien, sollte einer von Uneinigkeit und Wider-
v on emotione Beispiel von freundschaftlicher Einheit und Zusammen¬
streit zerrissenen weit ein uc v
arbeit geben. d Augenblick zu. Ich freue mich, unseren Schweizer Kol-
lch W r- 6 danken daß wir uns in ihrem wunderschönen Land treffen können.
“vo^ot: «r — Psychoanalytischen Kongreß vor
0b ° T ‘ • der Schwe iz gemacht wurden, Vorbereitungen, in denen ich selbst eine
u ih Rolle spielte ist es doch das erste Mal, daß dies ausführbar wird. Der Grund
kleine Rohe sp , Psychoana l ys e hat in der Schweiz einen Angriff ertragen
müssen* derso verheerender war, als er von innen entsprang Desto mehr Ehre
Ste denen, die feststanden und auf bessere Zeiten warteten Unter Dr.Sarasins
verläßlicher Führung dämmern diese Zeiten nun, und unser Zusammentreffen zum
K n reß im Herzen der Schweiz verkündet die festere Stellung unserer verehrten
Schweizer Kollegen. Das herzliche Willkommen, das sie uns bieten, und die sicht¬
lichen Vorbereitungen für unser Wohlbefinden machen es mir möglich, diesen Kon-
1^7 mit dem vertrauensvollen Gefühl zu eröffnen, daß er sowohl gewinnbringend
ah auch erfreulich sein wird.
Erste wissenschaftliche Sitzung
Montag, den 27. August, 9 Uhr
Vorsitzender: Dr. Max Eitingon, Jerusalem
1) Ella Freeman Sharpe: Similar and divergent unconscious determinants
in the sublimations of „pure“ Science and „pure“ art.
,. Definition of “pure” for the purpose of this paper. 2. The mechanisms of “projection”
and •'introjcction’’ as the unconscious determinants of Science and art. 3. Common basic
phantasies, common necessity for “control” and “elimination of chance” underlymg both
sublimations. 4. Divergent methods of attaining “control” and “elimination of chance in
Science and an. Divergent character development. 5. Sublimatory activity and Sublimation
products.
2) Sandor Rado: Entwurf einer masochistischen Theorie der Neurosen.
Die masochistische Dynamik der Angst, des Schuldgefühls und der deformierten Funk¬
tionen. Die Fixierung des Ödipuskomplexes durch den Masochismus. Der pathogene Druck
ilcs Masochismus auf das narzißtische Ich-Getriebe. Die Abwehr- und Anpassungs-Ma߬
nahmen des Ichs und die Durchbrüche des Masochismus im neurotischen Prozeß. Die
Schlüsselstellung der Genitalstörung in der Symptomatologie; der Begriff der kompen¬
sierten und der inkompensierten Genitalstörung. Der heuristische Vorteil der vorgetragenen
Auffassung.
3) Felix Boehm: Zur Entwicklung des Schamgefühls.
Ich gehe von zwei Beobachtungen aus dem Gebiet der Völkerkunde aus: a) Der deutsche
Ethnologe Günther Tessmann beschreibt in Kamerun zwei afrikanische Kulturen: eine
mit Vorstellungen von einer Gottheit und eine ohne solche Vorstellung. Die Formen der
sexuellen Betätigung bei Kindern, Heranwachsenden und Erwachsenen sind bei beiden die-
8 *
Korrespondenzblatt
116
selben. In der Kultur ohne Gottesvorstellung geschieht diese Betätigung ohne jegliches
Schamgefühl; über alle Formen der Sexualität wird von frühester Jugend an vollkommen
offen unter richtiger Bezeichnung aller Dinge gesprochen. Bei der Kultur der Negerstämme
mit einer Gottesvorstellung, welche in demselben Raume leben, herrscht eine ausgesprochene
Prüderie, welche an die in Europa übliche erinnert und welche die Neger veranlaßt, die
meisten Geschehnisse als asexuell hinzustellen.
b) Bei den Fulbe in Ost-Afrika ist der Zusammenhang zwischen Kohabitation und Kon¬
zeption bekannt, wird aber nicht zugegeben. Wenn man mit älteren Angehörigen des
Stammes vertraulich spricht, so geben sie den Zusammenhang zu, betonen aber, daß sich ihr
Schamgefühl dagegen sträubt, dieses Wissen einzugestehen.
Darauf untersuche ich an einem größeren ethnologischen und analytischen Material,
welche Faktoren zur Entstehung und Entwicklung des Schamgefühls beitragen.
4) Dorian Feigenbaum: Morbid Shame.
Infatuations, but persistent celibacy, reluctance to be seen with lover, and disguised
jealousy, all superimposed upon fear of destruction of the illusory phallus.
5) Otto Fenichel: Über Angstabwehr, insbesondere durch Libidinisierung.
Zwischen „Angst im traumatischen Zustand“ und „Angstsignal“ besteht kein absoluter
Gegensatz. Nicht nur wird das „Angstsignal“ dadurch ermöglicht, daß die Einsicht des Ichs
in eine Gefahr im Es dieselben Bedingungen setzt wie der traumatische Zustand — nur in
geringerem Ausmaße —, sondern die Intention zum „Angstsignal“ mißlingt oft, indem bei
vorhandener Libidostauung das akute Signal wirkt wie ein Zündholz im Pulverfaß.
Diese Möglichkeit macht es notwendig, daß das Ich nicht nur mit Hilfe von Angstent¬
wicklung Triebabwehr durchführt, sondern dann auch Versuche unternimmt, die Unlust
der Angst abzuwehren.
Die durch die biologische Hilflosigkeit des kleinen Kindes bedingten traumatischen Si¬
tuationen schaffen die Möglichkeit der Auffassung, Triebe wären Gefahr. Wirklichkeit wird
diese Auffassung durch die gesellschaftsbedingten Triebverbote der Erziehung.
Der Mangel eines vollen Realitätsprinzips, der die Objekte nur im Verhältnis zum eigenen
Triebleben erfassen läßt, führt zu einer phantastischen Verkennung der Außenwelt, von der
den eigenen als gefährlich auf gefaßten Trieben entsprechende Strafen erwartet werden. (Der
Ausdruck „frühes Ober-Ich“ hiefür ist unzweckmäßig.)
Aus den Methoden der kindlichen Angstabwehr heben sich zweierlei heraus: Die Identifi¬
zierung mit dem Angstobjekt und die Flucht zur Realität.
Eine Kombination dieser beiden Methoden ist die „Libidinisierung der Angst“. Sowohl
das krampfhafte Anklammern an ein reales Objekt als Schutz vor dem phantastisch ver¬
kannten Objekt führt zu einer Liebesbindung, als auch die Identifizierung etwa mit einem
gefürchteten Tier zu einer Vorliebe für dasselbe.
Wie es Formen von Homosexualität gibt, die einer Überkompensierung eines ursprüng¬
lichen Hasses entsprechen (Freu d), gibt es auch andere reaktive Formen, nämlich eine Identi¬
fizierung mit dem anderen Geschlecht zum Zwecke der Verleugnung der Angst vor dem
anderen Geschlecht. — Viele Züge im Liebesieben dienen dazu, gleichzeitig vorhandene
Sexualangst durch Überkompensierung abzuwehren.
Ein Fall, dessen Sexualität im Dienste der Angstabwehr stand.
Der Vergleich zwischen reaktiver und spontaner Sexualität charakterisiert erstere als
krampfhaft, zielgehemmt, widerspruchsvoll, energieverbrauchend; sie hat alle Charaktere der
Reaktionsbildungen.
Die „Libidinisierung der Angst“ in der Literatur. Über den Versuch von Jones, die
t
.... . phase als reaktiv zu erfassen. Über Searls Auffassung von der Entstehung der
phallise e „i- _r)j e Theorie der Perversionen und die zur Diskussion stehenden
rrSfSS-S- Glovers üb« Perversionen »nd Angsrebwehr.
nie biologische Bedeutung der infantilen Sexualität und die primärsomatxsche Natur der
, u-A„ Tefahren der falschen Einschätzung sekundärer Komplikationen: Bevor es eine Angst-
L bwehr mit Hilfe von Trieben gab, gab es primäre Triebe, deren Nichtbefriedigung Angst
entstehen ließ und die selbst durch Angstentwicklung abgewehrt wurden.
6) Ludwig Eideiberg: Entwurf einer vergleichenden Neurosenlehre.
Der Entwurf einer vergleichenden Neurosenlehre stellt einen Versuch dar, neben der all¬
eemeinen und speziellen Neurosenlehre eine dritte Betrachtungsweise einzuführen,
in der das Hauptgewicht auf die vergleichende Untersuchung der einzelnen neurotischen
Abwehrmechanismen fällt.
Eine Reihe von Krankengeschichten eigener und fremder Falle wird zu diesem Zwecke
benützt um die speziellen Abwehrmechanismen isoliert darzustellen.
An Hand eines speziellen Schemas werden die einzelnen Abwehrmechanismen so dargestellt,
daß sowohl ihr der Beschreibung zugänglicher Anteil als auch die durch die Analyse frei-
eelegten Wurzeln übersichtlich zum Vorschein kommen. Die so gewonnenen „Neurosen-
Querschnitte“ werden entsprechend ihren Regressionen zu den einzelnen der drei
infantilen Entwicklungsstufen geordnet. Die vergleichende Betrachtung der nach diesem
Prinzip geordneten Abwehrmechanismen gestattet folgende Probleme eingehend zu studieren:
i. Ätiologie der Neurosen. 2. Aufbau und Struktur des neurotischen Abwehrmechanismus.
3. Der quantitative Anteil der einzelnen seelischen Instanzen im Symptom. 4. Das quantitative
Verhältnis von Eros und Thanatos, die Rolle des Lust- und Nirvanaprinzipes und die Inten¬
sität der Abwehr in den verschiedenen Abwehrmechanismen.
Zweite wissenschaftliche Sitzung
Montag, den 27. August 1935, 15 30 Uhr
Vorsitzender: Dr. Philipp Sarasin, Basel
1) Paul Federn: Prinzipielles zur Ich-Psychologie.
Für die Orthriogenese (s. Internat. Zeitschrift f. Psychoanalyse, XX, 1934) werden weitere
Argumente aus den Erfahrungen der Traumdeutung mitgeteilt.
2) C. P. Oberndorf: The Genesis of the Feeling of Unreality.
Leitsätze nicht eingelangt.
3) Ludwig Jekels (gemeinsam mit Edmund Bergler): Triebdualismus
im Traum.
Die Autoren machen es sich zur Aufgabe, auch das Traumphänomen unter dem Aspekt
de« Ringens von Eros und Thanatos zu betrachten, ähnlich wie sie es kürzlich bei
„Übertragung und Liebe“ getan haben (Imago 1934. H. 1). Indem die Autoren diesen
‘I riebdualismus, aus dem Freud die Phänomene des Lebens des einzelnen und der Kultur¬
gemeinschaft erklärt, auf Detailprobleme anwenden, vermeinen sie, dem zur Zeit dringlichsten
und an Ergebnissen fruchtbarsten Erfordernis unserer Wissenschaft zu entsprechen. — Die
Autoren kommen zum Ergebnis, daß auch im Traum Manifestationen des Todes¬
triebes feststellbar seien. Diese These wird an klinischem Traummaterial auf gezeigt.
Ebenso die Konsequenzen für die praktische Traumdeutung des analytischen Alltags, wo-
Korrespondenzblatt
118
durch die Frage des Triebdualismus im Traume von einer spekulativen zu einer praktisch
bedeutungsvollen wird.
Für diesen „Kampf der Giganten“ wurde die entscheidende Bedeutung des Uber-
Ichs von den Autoren bereits hervorgehoben, wobei man sich aber vor Augen halten
muß, daß die beiden häufig nicht genügend differenzierten Anteile des Über-Ichs: Ich-Ideal
(„Du sollst“) und Dämon („Du darfst nicht“) triebpsychologisch und ge¬
netisch verschieden sind. Das Ich-Ideal hat zwei Wurzeln: eine derselben besteht in
dem Versuch des Ichs, die gegen das Ich gerichtete Aggression des Todestriebes auf Ob¬
jekte abzuleiten, wodurch diese schreckhaft werden, sohin ein Vertauschen einer inneren
gegen eine projizierte äußere Gefahr, ein mißlungener Versuch. Diese Leistung des Thanatos
wird vom Eros pariert durch Aufnahme dieser angsterregenden Objekte ins Ich, wo sie
Gegenstand des eigenen Narzißmus werden. Die zweite Wurzel der Ich-Ideal-Bildung ist zu
suchen in einem kompromissuellen Versuch des Ichs, seine supponierte Allmacht aufrecht¬
zuerhalten. Diese fiktive Allmacht wird durch die Anforderungen der Außenwelt (Still¬
intervalle, Reinlichkeitserziehung) stark erschüttert. Dieser gegenüber habe das Kind infolge
seiner Hilflosigkeit bloß die Wahl, auf seinen infantilen Größenwahn zu verzichten oder
die Gebote und Verbote der Eltern zwar aufzunehmen, den unfreiwilligen Akt aber zwecks
Rettung der fiktiven Allmacht als freiwilligen zu drapieren und die Introjekte mit dem
eigenen Narzißmus zu bekleiden. Gelänge aber dem Eros diese Abwehr des Thanatos durch
Aufrichtung des Ich-Ideals mittels Identifizierung, so wäre dieses ausschließlich Stätte der Liebe,
die es in Wirklichkeit nicht ist: Thanatos pariert diese Tendenz des Eros durch
Desexualisierung, mit der bekanntlich jede Identifizierung verbunden ist. Das Ich-Ideal
ist demnach desexualisierter Eros und entspricht jener von Freud in „Das Ich und
das Es“ postulierten indifferenten narzißtischen Energie, die jeweils zu den beiden
Grundtrieben hinzutreten und die Gesamtbesetzung des einen oder anderen Triebes erhöhen
kann. So wird das Ich-Ideal, einer neutralen Zone zwischen zwei kriegführenden Parteien
vergleichbar, zum eigentlichen Kampfobjekt der beiden Giganten, zu einem Spiel¬
ball vor allem des Dämons. Dieser verdankt seine Konstituierung dem skizzierten mißlungenen
Versuch des Eros, die ursprünglich gegen das eigene Ich gerichtete Aggression des Thanatos
mittels Projektion abzuführen. Die Projektion mißlingt in quantitativ- verschiedenem Aus¬
maß: erstens infolge der Hilflosigkeit des Individuums, da das kleine Kind gegen die Um¬
gebung machtlos ist und kaum größere Aggressionen setzen kann. Zweitens deshalb, weil die
gleichen Objekte, denen die Aggression zugewendet wird, — Eltern, — bereits ins Ich-Ideal
aufgenommen wurden und dies eine Ermäßigung der Aggression resp. Selbstaggression
zur Folge hat. Beides führt zur Stauung und Rückwendung der Aggression gegen
das eigene Ich; das so bedrohte Ich gerät in Angst und gibt das Signal der Gefahr. — Das
Ich-Ideal, die Stätte des desexualisierten Eros, wird vom Dämon seinen ich-
zerstörenden Tendenzen dienstbar gemacht: Durch ständiges Vorhalten
des Ich-Ideals als „stummen Modells“ und Aufzeigen der Diskrepanz
zwischen Ich und Ich-Ideal verschafft der Dämon dem Ich Schuldgefühle.
Somit wird das Ich-Ideal, das ursprünglich zur Aufrechterhaltung des bedrohten Narzißmus
aufgerichtet wurde, zur gefährlichsten Waffe des Thanatos gegen den Eros.
Mit welch großer, nahezu an Regelmäßigkeit gemahnenden Häufigkeit dies im Traum ge¬
schieht, dies aufzuzeigen ist die Aufgabe des Vortrages der beiden Autoren.
4) Edmund Bergler (gemeinsam mit Ludwig Jekels): Triebdualismus
im Traum.
Leitsätze siehe Ludwig Jekels
, M p ay ne: Mental Mechanisms in Dream and Trance States.
t, S ' 7 t '„„ between day-dreaming, dream States, and mediumistic trance. The dream
The relation • The dream state as a defence mechamsm against the
sute as a 1 Ubjdmal^“ n 7 ^umatic factors in the etiology. The part played by
y'T’SttSn and alienation phenomena. Mediumistic trance as an attempt at subhmat.on
tTL effort to gain relationships with objects.
Dritte wissenschaftliche Sitzung
Dienstag, den 28. August, 9 Uhr
Vorsitzender: Dr. Paul Federn, Wien
1) Fritz Wittels: Der psychologische Inhalt von „männlich“ und
des Begriffes Erlebnis in die Psychologie des Geschlechtes: Das eigene und
Einführung des Begr £rklärung des unübersetzbaren Wortes Erlebnis für eng-
das andere GescMe Wiederholung einer Definition des Geschlechtserleb-
lkche und A^anach t 93 3 und In, Journal f. Psa.
TV- d!T geschlechtslosen Polaritäten des denkenden Ichs und deren Beziehungen
1933 n- r -r dessen eigentliche Stätte das Es ist. Bisexualität neben Lust- und Todestrieb
V wTedTrhoTungszwang eine Hauptqualität des Es. Die Verschränkung zwischen drei Forde¬
rungen: Sei bisexuell komplett, sei unsexuell, bekenne dein Geschlecht Versuch eines er-
ständnisses des Narzißmus, der Ödipus- und Kastrationskomplexe auf dieser Basis.
z) R. Loewenstein: Die phallische Passivität beim Manne.
In sehr vielen Fällen von männlicher Potenzstörung sowie von mehr oder minder vol -
ständiger Hemmung der normalen genitalen Aktivität bleibt die genitale Automatik auf
passive Befriedigungsformen, Masturbation und Fellatio beschrankt. Der Autor sc ag
vor, bei der genitalen Funktion, entsprechend den beiden Phasen der phall,sehen Stufe der
Libido, zwei Aspekte zu unterscheiden. Die phallische Phase ist durch das Vorwalten von
Wünschen und Befriedigungsformen mit passiven Zielen charakterisiert. Das aktive Ziel des
Eindringens entsteht erst spät in der Kindheit und in unzweideutiger Form erst bei Beginn
der Pubertät. In der passiven Phase verhält sich der Penis wie jede andere erogene Zone:
Brustwarze oder Klitoris. Die aktive Phase gibt dann den Ausschlag bei der Errichtung des
Gcniialprimats. .
Beim Erwachsenen sind die passiven Formen genitaler Befriedigung von einer raschen
Ejakulation ohne Zuckungsbewegungen begleitet. Bei Fällen von ejaculatio praecox kann der
Orgasmus eine urethrale Form annehmen, da die genitale Funktion auf die passive phallische
Phase regrediert. Die Möglichkeit einer passiven genitalen Befriedigung bei Fällen, in denen
die Potenz gestört ist (wie auch in Fällen andauernder Masturbation oder Homosexualität)
beweist, daß der Kastrationskomplex die normale genitale Aktivität hemmen und dabei die
passive Form dieser Funktion unberührt lassen kann.
3) Marie Bonaparte: Du Masochisme feminin essentiel.
Poursuivant ses recherches sur la sexualit£ feminine exposees au dernier congr^s, et qui
touchaient la bisexualite fonci^re de la femme, Madame Marie Bonaparte traite aujourd’hui
du masochisme feminin essentiel. D*accord en ceci avec les vues d’Hel&ne Deutsch, eile
\ : t dans ce masochisme une part Constituante reguliere de la sexualite de la femme. L’etude
des fantasmes de flagellation en particulier, chez les femmes, lui permet d’etablir une phase
normale de Involution instinctuelle oü la libido phallique, de sadique, se retourne en ma-
sochique. Elle suit alors les divers destins de ces fantasmes: Conservation totale, refoulement
120
Korrespondenzblatt
de la representation avec ou sans sauvetage de Paffect, Integration ulterieure de cet affect
sauve dans la fonction £rotique adulte, formation reactionnelle ou Sublimation, et eile en
deduit les divers types erotiques de femmes que la clinique psychanalytique permet ensuite
d’etablir.
4) Melanie Klein: Zur Psychogenese der manisch-depressiven Zustände.
Aus der Erkenntnis, daß die Über-Ich-Bildung mit der frühesten oralen Einverleibung
der Objekte beginnt, ergibt sich die Auffassung, daß das Über-Ich sich aus mannigfaltigen,
den verschiedenen Entwicklungsstadien entstammenden Objektbesetzungen und Identifizierun¬
gen aufbaut. Der schichtenweise Aufbau des Über-Ichs bildet — im Falle der Erkrankung —
die Grundlage für den heterogenen Charakter der im Ich errichteten Objekte und für das
komplizierte Verhältnis des Ichs zu seinen verinnerlichten Objekten. Im Lichte dieser
Auffassung des normalen und abnormen Introjektionsvorganges läßt sich eine enge Beziehung
zwischen den Mechanismen der Paranoia und der Melancholie erkennen. Dies führt zu Er¬
gebnissen, die unsere bisherige Kenntnis des Objektverlustes und des Introjektionsvorganges
in der Melancholie ergänzen.
5) Helene Deutsch: Don Quichote und Donquichotismus.
Ausgehend von Cervantes unsterblichem Helden wird der „Donquichotismus" als ein
ständiger Faktor der menschlichen Seele angesprochen. Es werden die hemmenden und
fördernden Einflüsse dieses Faktors für die Realitätsanpassung aufgezeigt, seine Wichtigkeit
für das Verständnis der Ichpsychologie erörtert und die Bedingungen nachgewiesen, unter
denen die Grenze des Normalen aufgegeben wird, und zwar ebenso in der Richtung des
wertvoll Überdurchschnittlichen, wie auch des Krankhaften. Insbesondere werden die Be¬
ziehungen zu Psychopathien und zu klinisch-psychotischen Zustandsbildern aufgezeigt.
6) M. Kat an: Beitrag zum Restitutionsversuch in der Schizophrenie.
Versucht wird, die Lehre der beiden Triebarten auf die Wahnbildung in der Schizophrenie
anzuwenden. An der Hand von einigen Fällen wird die Möglichkeit besprochen, daß die
Triebentmischung so weit fortgeschritten ist, daß die Organe, an denen sich die Autoerotik
äußert, Objekt des Todestriebes werden. Um die daraus folgenden Gefahren abzuwehren,
wird dann projiziert und der Streit zwischen den beiden Trieben wird nun dargestellt durch
die verschiedenen wahnhaften Beziehungen zwischen einem Objekt in der Außenwelt und
dem Ich. In manchen Fällen von Dementia Paranoides schreitet der Restitutionsversuch
scheinbar so weit fort, daß der Ödipuskomplex wieder neu belebt wird. In Wirklichkeit ist
der Versuch zur Wiederherstellung dann so weit gelungen, daß es zu einer Wortbesetzung
des infantilen Materials gekommen ist, ohne daß eine dazugehörige Triebbesetzung zustande¬
gekommen wäre.
7) Edith Vowinckel: Beitrag zur Schizophrenielehre.
Von psychiatrischer Seite (Berze) wird die Grundstörung der Schizophrenie als „Hypotonie
des Bewußtseins" aufgefaßt und davon alle wesentlichen Symptome abgeleitet. Es nähert
sich diese psychiatrische Auffassung der psychoanalytischen von dem Versagen der syntheti¬
schen Funktion des Ichs. Diese Funktion ist weitgehend abhängig von dem ungestörten Aus¬
tausch von Objektlibido und narzißtischer Libido, wie ihn Freud im Bild vom Pseudopodien¬
tierchen dargestellt hat. Beim schizophrenen Realitätsverlust und bei narzißtischer Libido¬
regression erfahren die verschiedenen Identifizierungen, die beim Aufbau des Ichs beteiligt
waren, eine Überbelastung mit narzißtischer Libido. Wechselnde Zustandsbilder der Katatonie
werden einfühlbar, wenn man erraten kann, welche mit Libido überlasteten Identifizierungen
alternierend die Herrschaft über das Ich an sich reißen. Dem entspricht das subjektive Er-
Korrespondenzblatt
121
Fremdherrschaft, wie es aus Äußerungen von Katatonikern hervorgeht von der
lenen er *e^^ Q ec lanken, meine Bewegungen werden mir gemacht.“ Es besteht die
Art WIC# durch die Libidokonzentration übermächtig gewordene Identifizierung in die
£5 Cl weit zu projizieren entsprechend dem Selbstheilungsmechanismus in der Psychose, wie
^^ihn dar^estellt hat. Die Aufsplitterung des Ichs in die es konstituierenden Identifi-
*- iCU .!' kann "auch als Triebabwehrmechanismus aufgefaßt werden, entsprechend der Ver-
drängung und Isolierung auf höheren Regressionsstufen.
8) Therese Benedek, Berlin: Über einen besonderen Typ von Süchtigkeit.
An Jem Fa H e i n es schwer süchtigen, 26jährigen Mädchens wird die Süchtigkeit als
rkundäre Krankheit dargestellt. Der Ausgang des primären Triebkonflikts führt zu
,:ncr „überwertigen Idee“.
Dic „überwertige Idee“ wird als monosymptomatische Paranoia erkannt.
Die metapsychologische Untersuchung der „überwertigen Idee“ ergibt, daß sie in ihrer
Entstehung mit der Genese des Über-Ichs große Ähnlichkeiten aufweist. Die „überwertige
h-c“ hat die Funktion und die ökonomische Wirkung des Über-Ichs — gehört aber topisch
Der ü ber-Ich-Charakter der „überwertigen Idee“ hält den Triebkonflikt aufrecht, dessen
I rlcdigung in der komplizierten, vielseitigen Süchtigkeit immer neu erzwungen wird.
Die Abfuhr der im primären Triebkonflikt entstandenen Triebspannung geschieht im
, r p S ychosen alloplastisch, d. h. durch Projektion, wodurch also neue Umwelt-
hc/ichungen geschaffen werden. Im Falle der Süchtigkeit geschieht die Abfuhr der im
primären Triebkonflikt entstandenen Triebspannung autoplastisch, indem durch das aus
Jt r Außenwelt in das Ich hineingenommene Suchtmittel das Ich zu ändern versucht wird.
9) Alfred Groß: Über die Wirkung toxischer und toxoider Substanzen
auf die Psyche.
Die bisherige psychoanalytische Literatur toxischer Wirkungen betrachtet den Gegen¬
stand nur von den Perspektiven: Süchtigkeit und Paranoia. Angesichts der Ubiquität dieser
Wirkungen in unserem Alltagsleben versucht das Referat eine generellere Erfassung und ge¬
langt dabei zur Auffindung eines gemeingültigen Primär Vorgangs, der mit den Mitteln der
analytischen Dynamik, aber „jenseits des Lustprinzips“ formuliert wird. Die psychoenergetische
Grundformel der toxischen Wirkungen. — Wirkungsabstumpfung und Abstinenzwunsch im
I ichtc dieser Formel.
Gruppierung der bekanntesten Reaktionstypen mit Hilfe der analytischen Topik.
Ausblick auf Erfassung des primären toxischen Wirkungsmechanismus als eines psy¬
chischen Traumatoids.
Vierte wissenschaftliche Sitzung
Dienstag, den 28. August, 15 30 Uhr
Vorsitzender: J. H. W. van Ophuijsen, Haag
i) Käthe Misch: Die biologischen Grundlagen der Freudschen Angst-
theoric.
Leitsätze nicht eingelangt.
2 \ . ^ erner Kemper: Hinweise der vergleichenden Entwicklungs-
gesc ichte zur Frage des Orgasmus und der Frigidität.
' ] ^ U J^' men ^ assun 8 : Die Vagina nimmt entwicklungsgeschichtlich eine Sonderstellung ein.
1. Ontogenetisch: Als einzige erogene Zone ist die Vagina nicht kloakaler Herkunft,
während alle anderen erogenen Zonen sowohl der äußeren wie inneren Genitalien bei beiden
Geschlechtern, ja auch die erogenen Zonen der anal-urethralen Stufe einheitlich als Kloaken¬
abkömmlinge nachgewiesen werden, deren Erogeneität also im Gegensatz zur Vagina von
einer zu postulierenden „kloakalen Frühstufe“ abzuleiten wäre.
2. Phylogenetisch: Die Vagina ist phylogenetisch der jüngst erworbene Anteil des
Geschlechtsapparates, indem ihre Funktion als das den Penis mantelartig beim Sexualakt
umschließende Organ noch in der Säugetierreihe größtenteils vom Vestibulum, auf den
noch früheren Stufen vor der Kloakendifferenzierung sogar völlig unter Ausschluß der
späteren Vagina von der Kloake ausgeübt wird.
Bei der Frage nach der Genese dieser nicht kloakalen Erogeneität der Vagina Hinweis
auf den im Laufe der phylogenetischen Entwicklung sich vollziehenden Orgasmuswandel beim
Weibe. Er besteht darin, daß die ursprünglich bei beiden Geschlechtern an den Austritt
von Ei bzw. Samen aus dem Elterntier nach außen gebundene Orgasmusfunktion beim Weib
mit dem Auftreten der inneren Befruchtung sich dahingehend modifiziert, daß sich bei
ihm der Orgasmus von jenem (nunmehr befruchteten) Eiaustritt nach außen (= Geburt)
loslöst und zeitlich sich dem unverändert bleibenden Orgasmus des Mannes anpaßt.
Besprechung der Möglichkeit, daß die oben als genetisch unklar bezeichnete Erogeneität
der Vagina aus jener aufgelassenen primären Erogeneität des Eiausführungsganges stammen
könne.
Besprechung von kritischen Einwänden inhaltlicher und methodologischer Art.
3) Heinrich Meng: Pathoneurose und Pathopsychose.
Die Arbeit schließt an Ferenczis „Hysterie und Pathoneurosen“ (1919) an und ver¬
wertet Beobachtungen und Erfahrungen, die seit jener Publikation bei seelischer Behandlung
organischer Leiden gemacht wurden. Es soll auch nachgeprüft werden, ob der bei Be¬
handlung einer Patientin mit Simondscher Krankheit hypothetisch aufgestellte Begriff der
„Organpsychose“ brauchbar ist. Die spezifischen Veränderungen des Ichs und der Organe
bei Psychosen, Neurosen und Mischformen stehen zur Diskussion.
4) Robert Wälder: Das Freiheitsproblem in der Psychoanalyse und das
Problem der Realitätsprüfung.
Keine Erörterung des metaphysischen sog. Problems der Willensfreiheit, sondern der
„Freiheit zu“ als psychologischen Phänomens. Redewendungen in der Psychoanalyse wie: in
der Neurose fehle die Freiheit zu diesem oder jenem, die Therapie habe dem Ich einen neuen
Freiheitsgrad zu geben usw.
Dreifache Schichtung des Freiheitsproblems: allgemeinste Freiheit in der Vergegenständ-
lichung des eigenen Erlebens (Über-Ich-Funktion); Freiheit von Affekten, über Affekte;
Freiheit zur Erfassung der Realität. Dreifache Freiheitsstörung in Neurose, Psychose und
Asymbolie: Verlust des Standorts über dem eigenen Erleben in der Asymbolie, Eingenommen¬
heit von Affekten in der Neurose bei erhaltener Über-Ich- und Ich-Funktion, Verlust
der Freiheit zum Gegenstände bei der Psychose bei erhaltener Über-Ich-Funktion. Die drei¬
fache Schichtung entspricht der psychoanalytischen Dreiteilung der Persönlichkeit.
Das Kausaldenken: die Warumfrage entspringt der Spannung zwischen Möglichkeit (Über-
Ich-Funktion) und Wirklichkeit (Wahrnehmung und Triebe).
Die Intentionalitätsstörung in der Schizophrenie. Das Problem der Ich-Erweiterung („Wo
Es war, soll Ich werden“) und der Ich-Einschränkung. Pseudostärke des Ichs (Angst vor
Feigheit oder Allmachtsglaube) und wirkliche Ich-Stärke.
Der Mensch erscheint als Wesen mit beschränkten Freiheitsgraden. Ausblick auf die
psychoanalytische Pädagogik: Voranalytische Pädagogik kennt zwei Methoden, Dressur (Lohn
A A nell an das Sollen. Jene setzt keinerlei Freiheit, dieser eine unendliche
und Strafe) un ^ P , eic j 1$am t i er isch, untermenschlich, dieser göttlich, übermenschlich,
Freiheit vo ™* s ’ \ mensc hlich. Psychoanalytische Pädagogik als menschliche, auf der Voraus-
““J“ jedoch ei.seechcäotee Feeihei,.
c £rnst Kris: Zur Psychologie der Karikatur.
’’ • be j d er Karikatur (ökonomische Überlegungen). Die Übereinstimmung
P? wftz und Karikatur, der Anteil des Ubw. an der Karikatur, ihre Ähnlichkeit mit
zwischen Beziehung zu Mechanismen des Primärvorganges (topische Überlegungen),
dem Trau ”V am p ro blem der Tierkarikatur; ihre historische Beziehung zu Phy¬
siognomik und Charakterologie, ihre psychologische Beziehung zu Tierphobie und Tote-
m 'Witzarbeit und Karikaturarbeit; das Rätsel als Negativ des Witzes, der Rebus als Negativ
de n K rRddza r uber und die Anfänge der Karikatur; Spott- und Schandbilder als ihre Vor-
formen (Phylogenetische Betrachtung.) Die Karikatur und die graphische Ausdrucksweise des
Kindes (ontogenetische Betrachtung).
i-\‘ Karikatur als soziales Phänomen. ... . «
ä Klick auf allgemeine Probleme der Psychologie des Komischen: Die Komik als typischer
.„“ersuch; der „Komiker“ als Charaktertypus. Spiel- und Scherzsituation als Vor¬
läufer °der Komik, Lustgewinn und Unlustbewältigung als Aufgaben der Komik. Der Kipp-
•Karakter der komischen Phänomene (Unlust- statt Lusterregung) und der Ambivalenz¬
konflikt. Die komische Arbeit als Leistung des Ichs. Der Primärvorgang im Dienste des
Ichs. Die Beziehungen des Primärvorganges zum Denken der Kinder und der Primitiven.
Das Komische und das Erhabene, Manie und Ekstase.
Die Sonderstellung des Humors.
6) Gustav Bally: Die soziale Bedeutung der Analität.
In der analen Phase zeigt der Mensch eine Neigung zur narzißtischen (objektunabhängigen)
Befriedigung (Defäkations-, Urinierspiele), während die objektgerichteten Strebungen sich aus¬
schließlich an die Mutter wenden. Verschiedene Anzeichen legen die Vermutung nahe, daß
in der analen Position ein nicht zur vollen Entfaltung kommender Ansatz einer elternuna -
hängigen, subjektbezogenen Umweltbeziehung durchlaufen wird. Die Entfaltung wird durch
das in diesem Alter noch beinahe absolute Angewiesensein des Kindes auf die Mutter ge¬
hemmt, ähnlich wie der erste Ansatz einer genitalen Objektbeziehung einem vorzeitigen
Untergang anheimfällt. - Die Tiere (Hunde, Affen), die zum Vergleich herangezogen
werden, machen auf der entsprechenden Stufe den ersten Schritt über die Mutter hinaus.
Ihre Umwelt wird dadurch mehr oder weniger eindeutig anal gefärbt und behält diesen
Charakter bei (Kot- und Urinmarken im Umfeld). Als Orientierungsorgan behält hier der
(•cruch die entscheidende Funktion. — Im Charakter der menschlichen Analität werden die
Wcsensmerkmale des tierischen „analen Weltbildes“ in ihrer Wendung auf die Mutter und
.H.t das eigene Ich nachgewiesen.
7) Barbara Low: The Psychological Recompense of the Analyst.
I. Main problems of the analyst’s psychological deprivations. a) Inhibition
of narcissistic gratification. b) Inhibition of super-ego impulses and Standards, c) Inhibition of
dogmatic certitude. Recompense for above to be obtained by: II. the Sharing-in
process on the part of the analyst; to afford any real recompense this must involve:
a) Living other lives, not merely “looking in at” (i. e. possibility of Creative experience on
the part of the analyst, whereby he develops further the known elements in himself, and
124
Korrespondenzblatt
realizes hitherto unknown elements, so fulfilling his phantasies and releasing more of his
unconscious). b) Reliving his own inner sequence side by side with his patient’s similar
re-living. III. Reaction upon the patient of this Sharing-in with further re-action
upon analyst. a) Greater contact with analyst. b) Creation of a “sense of mo-
y e m e n t“, fitting in with patient’s instructive impulse-life. c) Furtherance of patient’s positive
ego-development.
Fünfte wissenschaftliche Sitzung
Donnerstag, den 30. August, 9 Uhr
Vorsitzender: Dr. Felix Boehm, Berlin
1) Edward Glover: A Developmental Study of Obsessional Neuroses.
Study of obsessional neuroses constitutes a focal point in research on mental development.
These neuroses represent a phase during which the first effective control of introjection and
projection mechanisms is achieved. The emotional affects peculiar to these earlier mechanisms
are to some extent mastered and more closely bound to ideational Systems thereby promoting
reality adaptation.
For these and other reasons the obsessional group requires more accurate subdivision and
Classification. Correlation with melancholia and paranoia provides a simple approach to this
Problem, but this must be combined with an investigation and Classification of perversions
and with a clearer understanding of the relation between obsessional fears and anxiety
phobias.
2) H. Christoffel: Zur Genese und Symptomatologie des Exhibitionismus.
31 jähriger tüchtiger Arbeiter, seit 12 Jahren in guter Stellung, seit 7 Jahren kinderlos ver¬
heiratet, wird vor 10 und vor 5 Jahren wegen Exhibitionismus straffällig und steht nun das
dritte Mal wegen seines Delikts in Strafuntersuchung. In dieser Situation sucht er ärztliche
Hilfe und wird dem Analytiker zugewiesen. Noch während der Strafuntersuchung, kurz
vor der entscheidenden Gerichtsverhandlung, kommt es neuerlich zu polizeilicher Festnahme
anläßlich Exhibierens. Auf gerichtsärztliches Gutachten, wobei sich der Experte mit dem
Analytiker in Verbindung setzt, wird Pat. zu zweimonatiger Gefängnisstrafe bloß bedingt
verurteilt und mit Ausweisung bedroht.
Von nun an exhibiert er zwar nicht mehr; aber der Drang dazu bleibt erst mit 8 Mo¬
naten seit Behandlungsbeginn verschwunden. Die Analyse wird weitere 9 Monate weiter¬
geführt, dann vom Pat. abgebrochen, nachdem er abgesehen von seinem auffälligsten
Symptom eine ganze Reihe sonstiger verloren hat. Die Gesamtstundenzahl der außerordent¬
lich fraktionierten Teilanalyse beträgt in den rund iV 2 Jahren bloß 50 Stunden und ist auf
halbstündige regelmäßige Sitzungen von allerdings anfänglich dichterer Streuung verteilt,
so daß z. B. auf die ersten 8 Monate 34, auf die restlichen 9 Monate 16 Stunden fallen. Der
Kostenpunkt dieser Kassenbehandlung verglichen mit den Nettoausgaben des Staates für eine
zweimonatige Gefängnisstrafe ergibt das Verhältnis 4:3.
Bearbeitung der Grundkomplexe trotz Kürze der Analyse weitgehend möglich, wenn
auch Ödipus- und Kastrationskomplex nicht genügend durchgearbeitet sind. Die also relativ
produktive Analyse ergab genetische und strukturelle Aufschlüsse, welche einige Ergänzungen
zum bisher über den Exhibitionismus Bekannten darstellen. Insbesondere die direkte und
indirekte Aggression (Abschreckungsexhibitionismus, Selbstauslieferung) soll dargelegt werden
im Zusammenhang mit dem Kastrationskomplex. Ferner bestehen bemerkenswerte Zusammen¬
hänge zwischen Exhibitionismus und Oralität (Mammakomplex).
3 ) Bertram D. Lewin: The Meaning of the Fear in Claustrophobia.
Th fear experienced in claustrophobic Situation* is coupled with ideas relating to the
intrauterine state, and is either a fear of being born or of being disturbed (smothered, mjured etc )
hv the father’s phallus during coitus. In turn these fears are reducible to defloration, b.rth,
d castration fear. Common combinations of claustrophobia with fears of being blinded,
of drowning, etc. are given Interpretation, and there are appended certain remarks Ob what
the child thinks or speculates about the intrauterine state.
4) Edoardo Weiß: Die Straßenangst und ihre Beziehung zum hysterischen
Anfall und zum Trauma.
Wahrend in den meisten Fällen die Straßenangst von einem plötzlich eintretenden Angst-
anfalle eingeleitet wird, gibt es vereinzelte Fälle, welche sich an einen hysterischen Anfall an¬
schließen, andere wiederum, die von einem auf der Straße erlebten Trauma ihren Ausgang
nehmen. Es wird dann berichtet über: . . ...
Ergebnisse aus der Analyse mehrerer Fälle dieser Phobie, einige neue Gesichtspunkte über
den hysterischen Anfall im allgemeinen, seine Beziehung zum Angstanfalle der Phobiker, meta-
psychologische Gesichtspunkte über die traumatische Natur mancher hysterischer und Angst¬
anfälle, verglichen mit psychischen Traumen, die von Reizen der Außenwelt stammen.
Gregory Zilboorg: Clinical Problems of Suicide.
Leitsätze nicht eingelangt.
6 ) Karl A. Menninger: Focal Self-Destruction.
ln a previous study of suicide the unconscious motives were shown to belong to at least
threc groups: the wish to kill, the wish to be killed and the wish to die. In order to
satisfy the aggressive, destructive tendencies (the wish to kill) and the submissive maso-
chistic tendencies (the wish to be killed) it is not essential that actual death of the total
Personality rcsults. These components may be satisfied by a partial suicide attenuated in
time (as in ascetidsm, martyrdom, slow starvation) or in space (attacks by the seif on
separate parts of the seif, insufficient to result in death). The latter might be designated
focal sclf-dcstruction.
Studics by the writer of focal self-destruction in various forms are here presented in
summary, including (i) seif mutilations (commonly seen in bizarre forms in the
psychoses and in more conventional forms in the neuroses, in religious ceremony and in
social customs); (2) malingering; (3) compulsive Submission to one or multiple sur-
g i c a 1 o p e r a t i o n s ; and (4) a c c i d e n t s of unconscious intent resulting in local injury.
All have this in common: that a part of the body is injured or destroyed with the partial
Cooperation of the rest of the personality.
In all instances of focal self-destruction it would appear that the dynamics are (1) accep-
tancc of passive gratifications as a substitute for active sexual and aggressive acts or wishes,
ar »d (2) a renunciation of a part of the active tendencies as a sacrifice for past aggressions
a °d a purchase price for future indulgence. Local self-destruction has as its chief purpose
c bcn f not the ending of life but the preserving of life, and while apparently a form of
attenuated suicide, actually constitutes a compromise formation whereby total annihilation
is averted. It seems therefore to represent dominance of the life instinct rather than (as in
suicide) of the death instinct.
Korrespondenzblatt
126
Sechste wissenschaftliche Sitzung
Donnerstag, den 30 . August, 15 30 Uhr
Vorsitzender: Dr. Istvän Hollos, Budapest
1) Franz Alexander: Psychogenic Factors in the Etiology of Peptic Ulcers.
Leitsätze nicht eingelangt.
i) George Wilson: Report of Acute Laryngitis Occurring as a Conversion
Symptom during Analysis.
Leitsätze nicht eingelangt.
3) Oskar Pfister: Neutestamentliche Seelsorge und psychoanalytische
Therapie.
Der gemeinsame Ursprung beider im Streben nach Überwindung der Schuldangst und der
als Strafe (göttliche oder selbstverhängte) aufgefaßten Übel, besonders der Krankheiten.
Metaphysische Voraussetzungen der Schuld (Gott — normatives und strafendes Ich-Ideal,
Sünde, Dämonen — ödipuswünsche, Es, Besessenheit — Obsessionen).
Die Aufhebung des religiösen bzw. pathogenen Konfliktes: Ersatz der angsterregenden
Befehls- und Strafinstanz durch eine gütige, gnädige, sowie der angst- und zwangsneurotischen
Einstellung auf sie durch eine freie und gesunde (Religion, Ethik und PsA. als Psychohygiene
des einzelnen und der Gesellschaft, Verbot des Moralisierens, Einführung der autonomen und
liebenden Hingabe an die höchste normative Instanz), event. Aufhebung aller ethischen
Grundsätze statt der Sublimierung und Vollversittlichung. Dabei Regression vom gestrengen
Vater zum „prämoralischen“ der frühesten Kindheit und Abfindung mit ihm durch liebendes
Vertrauen (Neues Testament) oder durch Gehorsam gegen das bereinigte und generalisierte
Ich-Ideal (PsA.), oder durch Zerstörung aller Normen und Entwertung des Vaters (jenseits
von gut und böse).
Bedeutung der Übertragung und des Mittlers (Christus, Priester — Analytiker), der einer¬
seits als autoritativer Ausdruck und Vertreter der Norm (Gott — Ich-Ideal), anderseits als
Repräsentant der zu liebenden Menschheit gilt (die Gottmenschlichkeit Christi als psycho¬
therapeutisches Postulat und ihr Analogon in der PsA.). Regression in die frühinfantile
Situation (Jesus: zum Kleinkind, Johannesevangelium und Paulus: zum Mutterleib — PsA.:
individuelle Verschiedenheit des Regressionsgrades); Prinzip der Wiederanknüpfung und
Umschaltung.
Trotz der vielen Parallelen, die die ntl. Seelsorge als intuitive und unwissenschaftliche PsA.,
die PsA. nach mancher Richtung hin als wissenschaftlichen Ausbau urchristlicher Seelsorge
erscheinen lassen, bestehen tiefgreifende Unterschiede in bezug auf Ziel, gedankliche Objekt¬
betrachtung (religiös mit allgemeinen psa. Einsichten — exaktwissenschaftliche Untersuchung
des Determinantennetzes), Behandlung und Topik, daß eine reinliche Scheidung der beiden
Verfahren notwendig ist. In schweren Fällen muß strenge, religionsfreie Analyse stets
vorangehen; wie weit der privativen (analytischen) Arbeit ein Neubau des Lebens nach-
folgen soll, und wie weit dabei Fremdhilfe (Psychotherapeut, Seelsorger) benötigt wird, hängt
vom einzelnen Falle ab. Bei Kindern und den meisten Heranwachsenden ist positive Er¬
gänzung der analytischen Arbeit unentbehrlich,
4) Emilio Servadio: Psychoanalyse und Telepathie.
Der Autor geht von der Annahme aus, daß die Telepathie eine bereits feststehende Tatsache
ist, und prüft gesondert die drei Hauptprobleme der spontanen Telepathie in ihrer Be¬
ziehung zur Psychoanalyse, und zwar: a) die Fälle von Telepathie während der Analyse;
Korrespondenzblatt
127
b) die sogenannten „telepathischen Träume“; c) die telepathischen Übertragungen im Wach¬
zustände, mit spezieller Berücksichtigung der halluzinatorischen Form.
ZU Was die erste Frage anlangt, entwickelt Verf. die Ausführungen von Helene Deutsch
und Istvän Hollös, indem er sie durch eigene,, sowohl theoretische als auch aus der anä¬
mischen Praxis gewonnene Beobachtungen ergänzt. Im Lichte der gewonnenen Schlu߬
folgerungen deutet er einen bekannten Bericht Freuds. Er zeigt, wie die Annahme und die
Kenntnis der telepathischen Erscheinungen während der Analyse den Gang der Analyse
fördern können. r
In bezug auf die sog. „telepathischen Träume“ schlägt Verf. eine Erweiterung der
Freudschen Aufstellungen vor und besteht hauptsächlich auf den psychischen Zuständen
und Komplexen, welche die telepathische Übertragung fördern und bestimmen. Vom
analytischen Standpunkte aus bieten die vermuteten Bedingungen für das Zustandekommen
einer solchen Übertragung das größte Interesse, und Verf. bespricht diesbezüglich sowohl
die Telepathie im Traume als auch die telepathischen Vorkommnisse in der Analyse.
Was die telepathischen Halluzinationen anlangt, sucht Verf. das Problem zu lösen,
warum sie in der visuellen Wahrnehmung der Imago des Absenders bestehen und nicht
in jener des Empfängers, während der Absender doch nur diese im Sinne haben konnte.
Er beruft sich auf die psychoanalytische Theorie der Halluzinationen, auf die Fähigkeit des
Es, eine halluzinatorische Befriedigung zu schaffen, und folgt daraus, daß das telepathisch¬
halluzinierte Bild ein psychisches Erzeugnis des Empfängers ist und eine Entschädigung für
die Verletzung oder Vernichtung der Person des Absenders, wovon das Unbewußte Kenntnis
erhält, zu sein scheint.
Zum Schlüsse betont Verf. vom metapsychologischen Standpunkte aus den „regressiven“
Charakter der Telepathie als solche; er hebt hervor, daß der telepathische Ausdruck onto-
genetisch archaischen Charakter hat und dem mimischen und sprachlichen Ausdruck voraus¬
geht. Er fragt sich, ob dieser Charakter nicht als solcher auch von einem phylogenetischen
Gesichtspunkte aus betrachtet werden kann, wie es Freud vermutet hat und wie die, auf dem
Gebiete der Ontogenese angestellten Beobachtungen zu beweisen scheinen.
5) Nicola Perrotti: Considerations psychanalitiques sur la musique.
La musique est le langage de Pinconscient. Aussi bien que les processus mentaux incon-
scients, eile est incapable de contradictions et de negations et eile est depourvue
de toute logique, sans aucun rapport avec la realite exterieure.
La musique n’exprime pas de concepts, ni de sentiments non plus, mais seulement les
passages et les variations, avec toutes leurs complications possibles, des „charges“ psychiques
adh^rent ä des etats d’äme: c’est pourquoi la musique est Pexpression du dynamisme
instinctuel de Pinconscient. Cette expression se realise sans Pintermediaire du preconscient,
directement de Pinconscient au conscient.
Mais, bien que la musique soit en elle-meme inaffective, eile excite tout de meme dans
les auditeurs des sentiments, des representations et des fantaisies, ce qui se verifie lorsqu’elle
decouvre dans le preconscient une id£e a laquelle eile puisse s’attacher et qui lui serve,
pour ainsi dire, de vehicule.
Un examen plus approfondi laisse entrevoir que ce rapport est un des traits essentiels de
la creation artistique.
6 ) Walter Kluge: Die präödipale Phase in ihrer Bedeutung für die
Religionspsychologie.
Solange der Ödipuskomplex im Mittelpunkt der psychoanalytischen Forschung stand, be¬
herrschte er naturgemäß auch die psychoanalytisch fundierten religionspsychologischen Unter¬
suchungen. Erst als die präödipale Phase sich dem tieferschürfenden Verstehen aufzuschließen
128
Korrespondenzblatt
begann, konnte auch für die religionspsychologische Frage die P-rüfung des Präödipalen in das
Gesichtsfeld rücken.
Tatsächlich ist die Wurzel des religiösen Phänomens bereits im Präödipalen zu finden,
wenn auch die Ödipussituation für dieses Phänomen einen elementaren Umbruch bedeutet,
so daß es mehr als verständlich ist, daß bisher die Ödipussituation geradezu als ursächlich
und ursprünglich für alles religiöse Geschehen angesprochen werden konnte.
Von dem sog. „ozeanischen Gefühl“ führt indes der gerade Weg nicht zum Ödipus-
komplex, sondern zur präödipalen Mutter-Kind-Gemeinschaft, zu jener Schicht, in der das
Kritikvermögen noch unentwickelt ist und unbedingtes Vertrauen vorherrscht. Von hier
aus setzt möglicherweise die Deifizierung der Mutter-Imago ein.
In der biblischen Welt wird die Umbruchstelle vom Präödipalen zum ödipalen deutlich
im Paradiesmythus symbolisiert, im „Fall“ aus der „Unschuld“ in das Inzest-Schuldbewußtsein.
Von diesem Sachverhalt aus fällt Licht auf die in den höheren Religionen zentralen Be¬
griffe der „Versöhnung“ (mit der ambivalenten Vater-Imago) einerseits und der „Erlösung“
(durch die präödipale Mutter-Partizipation) anderseits.
Weitere Vertiefung zeigt dann die Möglichkeit zum besseren psychoanalytischen Erfassen
der mystischen Phänomene, insbesondere der sog. Brautmystik, d. h. der „schuld“freien
Kommunion mit der Mutter-Imago auf dem Boden religiöser Sublimierung. Das mystische
Phänomen kann als rein narzißtische Erscheinung nicht ausgeschöpft werden.
Auf solcher Grundlage läßt sich wahrscheinlich ein erheblicher Ausbau des psycho¬
analytischen Beitrages zur allgemeinen Religionspsychologie erhoffen.
Schließlich darf man die begründete Vermutung aussprechen, daß bei allen religiösen
Manifestationen der sog. Todestrieb in seiner eigenartigen Verwobenheit mit dem Libidinösen
eine spezifische und wichtige Rolle spielt. Wahrscheinlich wird die Einbeziehung des Todes¬
trieb-Faktors auch die bisherige psychoanalytische Auffassung über das Wesen des „Opfers“
erheblich modifizieren müssen, zumal ja auch abgesehen von diesem letzteren Gesichtspunkt
das „Opfer“ schon im präödipalen Leben des Kindes in Erscheinung tritt.
Siebente wissenschaftliche Sitzung
Freitag, den 31 . August, 9 Uhr
Vorsitzender: Dr. A. A. Brill, New York
1) ReneLaforgue: Kontraindikationen für die analytische Grundregel,
La regle fondamentale du traitement analytique (analytische Grundregel) ne peut pas
toujours etre appliquee d'une fa^on rigoureuse ä moins de faire parfois le jeu de la resistance
du malade. 11 importe donc de Pappliquer avec toute la souplesse desirable. Nous nous
proposons d^tudier dans cette Conference les situations oü Papplication stricte de la regle
fondamentale pourrait etre contre-indiquee,
2) Grete Bibring-Lehner: Zum Thema des Übertragungswiderstandes.
Die Bedeutung der Realität und der Phantasie in der Theorie der Neurosenbildung. Die
Übertragung als eine spontane Verschiebung unbewußter Einstellungen des Patienten auf die
durch den Analytiker dargestellte Imago. Die Bedeutung der realen Person des Analytikers
für die Übertragung. An klinischen Beispielen wird gezeigt, wie der Charakter der Über¬
tragung und der Widerstände durch die reale Person des Analytikers beeinflußt werden
kann. Konsequenzen dieser Auffassung.
3) Theodor Reik: Ansatzpunkt, Pause, Wiederaufnahme. (Neue Wege der
psychoanalytischen Technik II.)
Die allgemeineren Voraussetzungen des Verstehens unbewußter Vorgänge beim andern.
Die Natur des zur Verfügung stehenden unbewußten Materials. Der psychische Vorgang im
I -v r Der Augenblick des Überganges vom Primärvorgang zum Sekundärvorgang als
■^^svchölogische Moment des analytischen Verstehens (Ansatzpunkt). Das Erkennen des
P y „nJs die Gefahr seiner Nichtbeachtung. Die Unklarheit vorher. Die Latenzzeit
tTpsychologischen Verständnisses. Die weitere unbewußte Benützung des Einfalls. Das
' Aktive Intervall, das Reifenlassen der analytischen Einsichten. Gegen die Hetzjagd des
Denkens Die Veränderungen im psychologischen Erkennen in der Pause. Die Wieder¬
aufnahme erster Einfälle, ihre Korrektur und ihre Weiterverfolgung. Das Erfassen ihrer
Tragweite.
4) E. Lowtzky: Zur Technik der psychoanalytischen Überwindung des zu
strengen Über-Ichs als Heilungswiderstandes.
Das Problem, um das es sich handelt, ist das der psychoanalytischen Überwindung des
Widerstandes, der in Fällen des überstrengen Über-Ichs sich gegen die Heilung des Kranken
äußert d. h. in den Fällen, in welchen es sich „um einen .moralischen Faktor, um ein
Schuldgefühl, welches im Kranksein seine Befriedigung findet und auf die Strafe des Leidens
nicht verzichten kann“, handelt. Dieser, oft unüberwindliche Widerstand, äußert sich als
tarkes Hindernis der Wiederherstellung des Kranken, so daß „bei der Intensität der Sc u
•eiühle die Therapie oft keine Gegenkraft von gleicher Größenordnung entgegenstellen
kann“. Diese intensiven Schuldgefühle haben ihren Ursprung in den aggressiven Im¬
pulsen Das Über-Ich zeigt dann eine besondere Strenge, wütet gegen das Ich in grausamer
Weise, indem es mit der Krankheit straft. Es handelt sich darum, diesen Widerstand zu
überwinden, „eine Gegenkraft von gleicher Größenordnung“ zu finden, um sie den inten-
siven Schuldgefühlen entgegenzusetzen. Diese „Gegenkraft“ finden wir in dem Nachweise,
daß die Aggressionsgefühle aus der Liebe entstehen, in der Liebe ihren Ursprung haben,
so daß man nach der Intensität des Hasses die Intensität der Liebe beurteilen kann und
daß an dieser Verwandlung der Liebe in Haß, die in Folge der Enttäuschung des Kindes an
der Elternliebe entsteht, das Kind keine Schuld trägt.
In einer Reihe von ganz schweren Fällen der Zwangsneurose und der Hysterie, wie bei
den hier angeführten vier Fällen, ist es mir gelungen, die härtesten Widerstände des Über-Ichs
zu überwinden, die Patienten zur Heilung zu bringen. Bei der Intensität der Schuldgefühle
also ist die erschöpfende Aufklärung der Genesis der Aggressionen „eine Gegenkraft von
gleicher Größenordnung“, die uns ermöglicht, die Schuldgefühle herabzusetzen, den Wider¬
stand des Über-Ichs dadurch zu brechen und den Kranken wiederherzustellen.
5) Michael Bälint: Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung.
Die bisherigen Beschreibungen des Endziels: Bewußtmachen des Unbewußten, Überwin¬
dung der Widerstände, Aufheben der infantilen Amnesie, das Erlebenlassen in der Analyse,
Jas Abreagieren des Geburtstraumas, die wirkliche freie Assoziation. Die Neubeginntheorie.
Folgerungen, betreffend die sogenannten „prägenitalen Organisationsstufen der Libido“, ins¬
besondere die „anal-sadistische Organisation“ und die „phallische Phase“. Zur Kritik der
F rk!'.irungsversuche aus dem Kastrationskomplex. Ausblicke.
6) Wilhelm Reich: Weitere Probleme und einige Konsequenzen der
Charakteranalyse.
Darstellung der Herkunft der „Ichtrieb“-Energie an Hand klinischer Beispiele. Fallangst
und oberflächliche Assoziation. Objektverlustangst und charakterliche Kontaktlösigkeit.
\egetative Reaktionen nach Lösung der charakterlichen Panzerung. Muskelrigidität, und
charakterliche Verkrustung. Einige psychophysische Grenzfragen.
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/i
9
130
Korrespondenzblatt
7) Georg Gero: Zur Theorie und Technik der Charakteranalyse.
1. Charakteranalyse ist ein Spezialfall der Widerstandsanalyse und deshalb eine notwendige
Aufgabe jeder Analyse.
2. Wir lernen immer mehr, die charakterliche Verarbeitung neurotischer Konflikte als
einen sehr häufigen Abwehrmechanismus zu verstehen.
3. Neurotisch nennen wir dann eine Charakterformation, wenn sie die Erlebnis- und
Leistungsfähigkeit beeinträchtigt und wenn sie erstarrt, nicht mehr wandlungs- und anpassungs¬
fähig wird.
4. Charakterzüge wirken nicht nur als Hemmungsvorrichtungen, sondern auch über¬
kompensatorisch.
5. Die charakterliche Abwehr erfolgt durch bestimmte Haltungsweisen, aber auch durch
die Ausbildung körperlicher Mechanismen, z. B. die muskuläre Verkrampfung der Zwangs¬
charaktere.
6. Auf die Bedeutung dieser formalen körperlichen Momente haben Ferenczi, Fenichel
und Reich hingewiesen. Es ist zu untersuchen, ob in diesen körperlichen Erscheinungen
nicht Schicksale, Verwandlungen der Libido aufzufinden sind.
7. Die technische Bedeutung dieser formalen Ausdruckserscheinungen besteht darin, daß
in ihnen die Geschichte eines infantilen Konfliktes, nämlich die Verdrängung einer sexuellen
oder aggressiven Triebregung aus Angst vor Strafe niedergelegt ist. Die konsequente Be-
wußtmachung der formalen körperlichen Ausdruckserscheinungen und die Aufdeckung ihrer
Funktion läßt die Angst, die in diesen Haltungen gebunden war, durchbrechen und es wird
dadurch möglich, den ursprünglichen Konflikt zu rekonstruieren und zu lösen.
8) Melitta Schmideberg: Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen
Therapie.
Die Psychoanalyse verstärkt und korrigiert die spontanen Selbstheilungstendenzen des
Individuums.
Wirkung der Deutung: ökonomische, topische und dynamische Voraussetzungen für die
Wirkung der Deutung. Die in der Analyse erfolgende Triebentmischung und Libidover¬
schiebung. Faktoren, die diese Vorgänge regulieren.
Beeinflussung der Projektions- und Introjektionsvorgänge. Wesen der Übertragungssituation.
Einige Faktoren, die die Grenzen der Therapie bestimmen.
Vergleich der Psychoanalyse mit andern Psychotherapien.
Achte wissenschaftliche Sitzung
Freitag, den 31. August, 15 30 Uhr
1) M. N. Searl: Infantile Ideals.
Since the Substitution of the term super-ego for ego-ideal, comparatively little additional
knowledge of the ideal aspect of the super-ego has accrued. Yet the incorporation of the
parental ideal or the ideal parent in its connection with the Oedipus Situation implies some
precedent history of ideal formation. For every psychic phenomenon has its own specific
genesis as well as occasion.
Infantile ignorance of time and of other reality limitations is an important element both
in infantile impatience and in infantile contentment: in the anxiety lest situations of tension
and discomfort, as in the desire that situations of happiness, should never end. This gives
the origin of the two inter-related extremes in super-ego formation, with impatience and
ruthlessness as the mark of their infantile origin in both. Thus the anxiety resulting from
the association of these affects with the infant’s own ideals may drive towards their
v , »nf bv the Patents» ideals, particularly when these are directed rather to externals,
w behaviour, than to the internal psychic life.
2 ) Ruth Mack Brunswick: The Preoedipal Roots of the Primal Scene
(Körperpflege, Urszene und kindliche Onanie).
The early physical care of the child provides the basis in fact for the child»s understanding
of the primal scene, and for infantile masturbation-phantasies.
3) Raymond de Saussure: Analyse du moi.
Les conflits infantiles qui sont k la base des n^vroses se forment k un age oü la logique
de l’enfant est bien differente de celle de l’adulte. 11 importe parfois d»analyser cette dif-
ference pour permettre au malade de comprendre ses conflits.
Ainsi l’enfant ne connait pas la logique des relations. Un objet est lourd ou leger, mais
il n’est pas plus ou moins lourd suivant l’objet auquel on le compare. De meme l’enfant se
considerera beau ou laid, intelligent ou bete. Cette attitude rend les sentiments d’mfenont*
si violents, car ils sont deduits des jugements absolus, caractensuques de la petite enfance.
4) Jeanne Lampl-de Groot: Einfluß der infantilen Masturbation auf
die spätere Entwicklung der Persönlichkeit.
Beobachtungen über den Zusammenhang zwischen Störungen der Leistungsfähigkeit des
gereiften Ichs und dem Verhalten des Kindes in bezug auf die Masturbation.
5) Edith Jacobsohn: Zum Heilungsproblem in der Kinderanalyse.
Die analytische Therapie erzielt beim Kind relativ bessere und raschere Resultate als beim
Erwachsenen (lockerere und reversiblere Neurosenstruktur). Aber der analytische Heilungs¬
prozeß des Kindes ist — vom libidoökonomischen Standpunkt aus — begrenzt, kann nur
ein labiles libidinöses Gleichgewicht, ein Kompromißergebnis schaffen.
Im Lauf der Analyse kommt es beim Kind leicht zu explosiven Triebdurchbrüchen. Um
daraus entstehenden Konflikten mit der kindlichen Umwelt (Familie, Schule) aus dem Wege
zu gehen, muß man dem Kind rechtzeitig den Begriff der Triebbeherrschung lebendig
machen (Anna Freud), im Dienste der Realitätsanpassung wie der direkten Förderung der
Ar aly c (Bremsen des zu heftigen Agierens). Gegen Ende der Behandlung drängt das — zu
genitaler Position entwickelte — Kind trotzdem zu sinnlicher Objektbefriedigung (se¬
xuellen Spielereien mit anderen Kindern). Beispiele folgen. Es zeigt sich schwer der Aufgabe
genitaler Triebeinschränkung gewachsen, die ihm die gesellschaftliche Moral vorschreibt.
Diese Schwierigkeiten lösen sich meist auf dem gleichen Weg, den das durchschnittlich
normale Kind zur Überwindung der Ödipuskonflikte beschreitet, nicht durch „bewußte Ver¬
urteilung“, sondern mit Hilfe von Verdrängungsmechanismen. An den triebbefreienden
Prozeß schließt sich also ein sanfter, daher nicht pathogener Verdrängungsvorgang an. Meist
kommt cs nicht mehr zu einer Latenzzeit, die Onanie ist aber nicht angstfrei, weil mit
unbewußten, verbotenen Wünschen (andere Kinder, Ödipus-Personen) verknüpft. Aktual-
ncurotischc Störungen können eintreten. Bleiben die Wünsche bewußt, so verharrt das Kind
n dauernder Konfliktsituation mit Rezidivgefahr. Die verschiedenen Ausgangsformen
schaffen jedenfalls nur eine labile Gleichgewichtslage. Wir vergleichen dieses Ergebnis zur
Klärung unserer therapeutischen Vorstellungen mit dem Heilungsziel beim erwachsenen
Analysanden: Während wir vom Kind zum Schluß den Verzicht auf sinnliche Objekt¬
beziehung fordern, nennen wir den Erwachsenen erst dann gesundet, wenn er sublimierungs¬
fähig und zu genitaler Objektbeziehung bereit ist. Das bedeutet hier ein vollkommenes,
'labiles, dort ein labiles psychisches Gleichgewicht. Ordnen wir den Begriff der „bewußten
9 1
132
Korrespondenzblatt
Verurteilung <c libidoökonomischen Gesichtspunkten ein, so entspricht er der Fähigkeit des
Ichs zur Triebregulierung auf der Grundlage eines völlig libidinÖsen Gleichgewichts. Da
dieses nur durch angstfreie Entfaltung der Genitalität gewährleistet ist, ist das analysierte
Kind soll es im Einklang mit der gesellschaftlichen Moral bleiben — zu „bewußter Ver¬
urteilung unfähig, kann also das für den Erwachsenen gültige Heilungsziel nicht erreichen.
6) Anna Freud: Zum Problem der Pubertät.
Die Parallele zwischen den Triebkonstellationen der ersten Kindheitsperiode und der
Pubertät wird weiter verfolgt und erläutert.
7 ) Siegfried Bernfeld: Über die männliche Pubertät.
Es wird eine Übersicht über die wichtigsten Verlaufsformen der männlichen Pubertät
gegeben. Unter diesen wird eine Form als die „primitive“ ausführlich dargestellt und deren
Bedingungen angegeben. Die Beziehungen zwischen der „primitiven Pubertät“ und der
Verwahrlosung werden nachgewiesen.
Geschäftliche Sitzung
am 29. August 1934, 9 Uhr vormittag.
Vorsitzender: Dr. Ernest Jones.
Anwesende Vorstandsmitglieder: Dr. Eitingon, Dr. Ophuijsen, Fräulein Anna
Freud.
Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung und stellt an die Mitglieder die Anfrage, ob
die Anwesenheit des Herrn Dr. Freud, der einerseits den Bericht über die Verlags¬
tätigkeit zu erteilen hat, andrerseits die Rolle des Schriftführers für die geschäftliche
Sitzung übernehmen soll, gebilligt wird, obwohl Dr. Freud nur außerordentliches
Mitglied der I. P. V. ist. Die Bewilligung wird erteilt.
Der Vorsitzende unterbreitet dem Kongreß den Antrag, an den sogleich nach dem
Eröffnungsabend schwer erkrankten Dr. Behn-Eschenburg ein Telegramm zu
senden, in dem ihm die Sympathie des Kongresses ausgedrückt und baldige Genesung
gewünscht wird. Der Antrag wird mit Beifall einstimmig angenommen.
Hierauf verliest Herr Dr. Jones den
Bericht des Zentraivorstandes
„Einigen von uns schien der Bericht, den Dr. Eitingon dem letzten Kongreß vor¬
legte, etwas rosiger gefärbt, als es die gegebene Situation der Psychoanalyse gestattete.
In jedem Falle aber tut es mir leid, Ihnen kein ähnlich günstiges Bild darbieten zu
können. Im Gegenteil. Ich bemerke, daß in verschiedenen Teilen unserer Vereinigung
ein Geist der Uneinigkeit herrscht, der mir ernstliche Sorgen bereitet. Glücklicher¬
weise fallen aber von anderen Seiten Lichter auf das Bild, die es weniger düster er¬
scheinen und uns auf eine gedeihliche künftige Zusammenarbeit hoffen lassen.
In Amerika ist die Situation in vieler Hinsicht ungeklärt. Auf dem letzten Kongreß
wurde der American Psychoanalytical Association die Bewilligung erteilt, sich als
Exekutivorgan aller amerikanischen Gesellschaften zu konstituieren, bei der Neu¬
aufnahme künftiger Gruppen zu fungieren und vor allem als Bindeglied zwischen
dem Kongreß der Internationalen Vereinigung und den einzelnen Zweigvereinigungen
• Amerika zu dienen. Diese vielversprechende Einrichtung, die mit Dr. Eitingons
H'lfe ins Leben gerufen wurde, ist auf ein unerwartetes Hindernis gestoßen. Das vor-
eschlagene Statut erregte einen derart heftigen Widerstand, daß sich unsere ameri¬
kanischen Kollegen im vergangenen Frühjahr entschlossen, es außer Kraft zu setzen,
bis die Möglichkeit gefunden würde, sich über ein verbessertes Statut zu einigen.
Die Angelegenheit wird uns heute noch eingehend beschäftigen, und dies scheint mir
eine Gelegenheit, in der unsere größere psychologische Instanz es uns ermöglicht,
unseren in Verwirrung geratenen Kollegen zu Hilfe zu kommen.
In der New Yorker Vereinigung selbst, so sagen Gerüchte, bestehen Span¬
nungen zwischen Untergruppen; die Angaben, die ich besitze, sind jedoch
nicht präzis genug, um sie hier Vorbringen zu können. Das von Dr. Rado
leitete Unterrichtswerk läuft ohne Unterbrechung weiter und muß daher zu gün¬
stigen Ergebnissen führen. In Chikago ist die vielversprechende Zusammenarbeit
zwischen Drs. Alexander und Horney aufgelöst worden, und Dr. Horney ist im
Begriffe, sich in New York niederzulassen. Ich darf hier einschalten, daß ich mit
Herrn Dr. Stern, der so viel für das Institut in Chikago getan hat, gelegentlich
seines letzten Londoner Besuches eine Aussprache hatte und mit Vergnügen bemerken
konnte, wie sehr ihm die Förderung der Psychoanalyse dort und überhaupt am
Herzen liegt. Eine neue hochqualifizierte Gruppe hat sich in Boston gebildet, wo
mehrere bestbekannte Analytiker, wie Drs. Coriat, Hendrick und Peck, wirken.
Ich möchte noch hinzufügen, daß Dr. Hanns Sachs seine einzigartige Lehrbegabung
von Berlin nach Boston verlegt hat. Die American Federation hat die neue Gesell¬
schaft aufgenommen, und wir werden Sie heute bitten, die Aufnahme in die Inter¬
nationale Vereinigung zu ratifizieren. Die Gruppe Washington-Baltimore ist zwar
klein, aber recht rührig. Sie hat das Bestreben, sich mit der Zeit ihr eigenes Institut
zu schaffen; diese Angelegenheit betrifft aber eher diel.U.K. als diese Versammlung.
Die nächste in meiner alphabetischen Liste ist die British-Society. Ebenso wie ein
befriedetes Land keine Geschichte aufweist, so ist auch über diese Gesellschaft wenig
zu berichten. In der wissenschaftlichen Arbeit sowie im Unterricht sind ständige
Fortschritte zu verzeichnen, und wir haben letzthin unsere Tätigkeit auf dem
Gebiet öffentlicher Vorträge ausgedehnt. Die Mitgliederzahl beträgt nun insgesamt
sechzig, ungefähr die gleiche wie in New York und Wien. Zwei Ereignisse von Inter¬
esse sind eingetreten. In Johannesburg hat sich unter der Führung von Dr. Wulf
Sachs, den wir auf diesem Kongreß persönlich begrüßen können, eine kleine Gruppe
gebildet, die die Kernzelle einer künftigen südafrikanischen Vereinigung zu werden
verspricht. Vor kurzem ist ihr Dr. Perls aus Berlin beigetreten und wahrschein¬
lich werden andere aus Europa seinem Beispiel folgen. Die Gruppe ersuchte, auf die
Dauer ihrer nächsten Entwicklung als Studiengruppe in die British Society einge¬
gliedert zu werden, und wir haben diesem Ersuchen stattgegeben. Das andere Ereignis
ist das Eintreffen mehrerer Psychoanalytiker aus Deutschland. Wir haben nun acht
solche Mitglieder in unserer Gesellschaft, von denen zwei bereits vor den politischen
Geschehnissen der letzten Zeit zu uns gekommen sind, und wir haben sie in jeder Hin¬
sicht als eine willkommene Stärkung unserer Kraft empfunden.
Die Holländische Gesellschaft hinwieder hat dem Zentralvorstand reichlich Anlaß
zu Besorgnissen gegeben. Aus verschiedenen Gründen entstanden Meinungsverschie¬
denheiten, und der Präsident Dr. van Ophuijsen trat, nachdem er eine einträch-
*34
Korrespondenzblatt
tige Zusammenarbeit mit seinen Kollegen weiterhin nicht möglich fand, von
seinem Amte zurück und gründete eine neue Vereinigung. Obwohl der Beweggrund
selbst nicht klar definiert war und die Notwendigkeit der Spaltung im Prinzip mit
Bedauern zur Kenntnis genommen werden mußte, fühlte sich der Zentralvorstand aus
prinzipiellen Gründen veranlaßt, den Schritt Dr. v. Ophuijsens zu billigen und
nahm daher die neue Vereinigung provisorisch auf. Sie besteht vorläufig aus einer
kleinen Gruppe von zehn Mitgliedern, einschließlich des früheren Präsidenten,
Dr. van Emden, Dr. Landauer, Dr. Kat an und Dr. Reik. Zum Präsidenten der
alten Vereinigung wurde Dr. de Monchy gewählt, der mir versprochen hat, bei seiner
Vereinigung für die Wahl eines neuen Namens einzutreten, damit Verwechslungen
vermieden werden. Die Arbeit in dieser Vereinigung dauert natürlich fort, ebenso wie
in der Amsterdamer Studiengruppe. Dr. Westerman-Holstijn ist zum Privat¬
dozenten für „Psychoanalyse der Psychosen“ an der Universität Amsterdam ernannt
worden, und damit ist in den Niederlanden die Psychoanalyse zum erstenmal als
Lehrgegenstand an der Universität offiziell anerkannt worden.
Das Hauptereignis in Frankreich bildet die Gründung des Pariser Psychoanalyti¬
schen Instituts, das durch die Initiative von Mme. Marie Bonaparte, die auch die
Leitung innehat, geschaffen wurde. Obwohl sich dieses Institut, mehr als es sonst bei
uns üblich ist, an die Außenwelt wendet, ist auch der Unterricht für Lehrkandidaten
nach erprobten Richtlinien organisiert. Es ist zweifellos dazu bestimmt, in der künf¬
tigen Entwicklung der Psychoanalyse in Frankreich eine sehr bedeutsame Rolle zu
spielen. Ein anderes Ereignis bildet die Gründung der Association des Psychanalystes
de France, deren Hauptfunktion in der Regelung der therapeutischen Praxis und der
Bestimmung für die Mitgliedschaft bei der französischen Gesellschaft zu liegen scheint.
Bisher scheint mein Bericht zwischen guten und schlechten Neuigkeiten seitens der
verschiedenen Vereinigungen abzuwechseln. Wir kommen nun zu unserem größten
„Sorgenkind“, der Deutschen Vereinigung. Ich möchte dem, was ich darüber zu sagen
habe, die Bemerkung vorausschicken, daß diese ganze Angelegenheit sehr verschiedene
Gefühlshaltungen wachgerufen hat, die eine objektive Ansicht über die Situation er¬
schweren. Bei jeder Diskussion sollte vor allem die eine Überlegung von überragen¬
der Bedeutung sein, wie man die Möglichkeit psychoanalytischer Arbeit für die Mit¬
glieder der Deutschen Vereinigung möglichst günstig gestalten kann, sowohl für die
in Deutschland gebliebenen Mitglieder als auch für die, die das Land verlassen
haben. Beide Gruppen arbeiten unter außerordentlichen Schwierigkeiten und
bedürfen daher unserer mitfühlenden Hilfe. Ich hoffe, wir werden sie beiden
rückhaltlos zuteil werden lassen. Die Tatsachen sind folgende: In den letzt¬
vergangenen Jahren hat die Deutsche Gesellschaft fast die Hälfte ihrer früheren
Mitgliederzahl durch Emigration verloren. Dieser Verlust ist ebenso quali¬
tativer wie quantitativer Art, nachdem in ihm jene Mitglieder inbegriffen sind, deren
Arbeiten der Gesellschaft einen hervorragenden Namen in der Welt verschafft haben.
Die Emigration erstreckt sich auf zwei Perioden: auf die Zeit vor und nach dem
Antritt des gegenwärtigen politischen Regimes in Deutschland. Der früheren Periode
gehören die Namen Alexander, Harnik, Karen Horney, Melanie Klein,
Rado, Sachs und Melitta Schmideberg an; der späteren Bernfeld, Eitingon,
Fenichel, Landauer, Reich, Reik und Simmel. Die bloße Erwähnung dieser
Namen genügt, um zu zeigen, welchen Verlust die Deutsche Gesellschaft erlitten hat.
X, ~ird aber auch bemerken, daß die Weggewanderten nur zum geringsten Teil
deutscher Nationalität und in günstigeren Tagen selbst in Deutschland eingewandert
taten- deutscher Nationalität waren, wie ich glaube, nur drei von den eben erwahn-
ln vierzehn hervorragenden Namen. Die Emigranten haben vielfach Aufnahme in an¬
deren psychoanalytischen Gruppen gefunden. Viele von ihnen sind in ausreichender
Stellung und können arbeiten, viele andere aber - besonders die jüngeren - haben
in dieser Hinsicht mit beträchtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen und sind daher.
Gegenstand ernster Sorge für uns. Die deutschen und nichtjüdischen Mitglieder
«nd zum Großteil in ihrem Vaterland verblieben, trotz mancher Schwierigkeit, der
ie dort unterworfen sind. Sonst wird in Deutschland noch immer Psychoanalyse aus-
leübt, und die psychoanalytische Arbeit hat selbst in diesen verworrenen Zeiten keine
Unterbrechung erlitten. Nichtsdestoweniger ist die Haltung der Zurückgebliebenen
Gegenstand einer zuweilen recht scharfen Kritik gewesen, die sich vor allem um die
Person des gegenwärtigen Vorsitzenden, Dr. Boehm, konzentriert. Man hat ohne
Zweifel das Recht, verschiedener Ansicht darüber zu sein, ob einzelne von Dr. Boehm
unternommene Schritte angebracht waren; der Wert solcher Meinungen hängt aber
davon ab, ob der, der sie ausspricht, die zugrunde hegenden Tatsachen wirklich
kennt. Ich habe einige sehr scharfe Meinungen gehört, die in Unkenntnis dieser
Tatsachen geäußert wurden, was an sich schon der Beweis dafür ist, daß irrationale
Faktoren am Werke sind. Ich möchte nur hinzufügen, daß Dr. Boehm zuerst per¬
sönlich bei Prof. Freud im April 1933 vorsprach, um kritischen Zusammenstößen,
zu denen es später tatsächlich kam, vorzubeugen; er benützte auch schon sehr früh
die Gelegenheit, mir als dem Präsidenten einen wahrheitsgetreuen Bericht von allem
Geschehenen gelegentlich von persönlichen Besprechungen zu geben, die ich mit ihm
und anderen Kollegen im Oktober desselben Jahres in Holland hatte. Ich habe Anlaß
zu hoffen, daß die Dienste, die Dr. Boehm der Psychoanalyse geleistet hat, jede zeit¬
weilige Kritik, der er ausgesetzt sein mag, überdauern wird.
Aus all dem resultiert eine praktische Frage, die ich dieser Versammlung vorlegen
möchte, nämlich die Frage der Mitgliedschaft. Es wurde vorgeschlagen, eine neue
Form von Mitgliedern der Internationalen Vereinigung zu schaffen, die an keine ört¬
liche Gesellschaft gebunden ist. Jemand nannte es witzig etwas wie den Nansen-Paß;
man könnte es auch — um zur analytischen Terminologie zurückzukehren — als
„frei flottierende“ Mitgliedschaft bezeichnen. Ich selbst bin von dem Bedürfnis dafür
nicht völlig überzeugt und möchte damit das Problem der doppelten Mitgliedschaft
verbinden, ein Brauch, der nach meiner Meinung in letzter Zeit unerwünscht häufig
geworden ist. Diejenigen, die für die Instandhaltung der Mitgliederliste der Inter¬
nationalen Vereinigung, für die Größe und das Wachstum der einzelnen Zweigver¬
einigungen verantwortlich sind, sind in dieser Hinsicht vor immer kompliziertere
Aufgaben gestellt. Ich frage mich, ob wir nicht an der alten Regel festhalten sollen, daß
durch die Zugehörigkeit zu einer Zweigvereinigung allein schon die Mitgliedschaft bei
vier Internationalen Vereinigung erworben wird und daß nach Möglichkeit die zu¬
ständige Zweigvereinigung diejenige des Landes sein sollte, in welchem das Mitglied
seinen Wohnsitz hat. Wenn die Umstände dies nicht zulassen, könnte eine besondere
Bewilligung zur Zugehörigkeit an eine andere Zweigvereinigung gegeben werden. Ich
kenne keinen Fall, der nicht in diese Regel paßte, die sicherlich wesentlich zur Ver¬
einfachung beiträgt.
136
Korrespondenzblatt
Das Hauptereignis in Ungarn bildet der Verlust des Gründers und Präsi¬
denten der Vereinigung. Dr. Hollos, der sich schon vorher mit Dr. Fe-renczi i n
die Pflichten des Vorstands geteilt hat, führt nun die von jenem hinterlassene Tra¬
dition fort, und die Arbeit der Vereinigung entwickelt sich aktiv weiter.
Aus Indien hören wir, daß der Präsident, Dr. Bose, einen schweren Autounfall
gehabt hat, glücklicherweise erfahren wir aber auch, daß er sich gut erholt hat. Der
Vizekanzler und Syndikus der Universität Kalkutta hat offiziell den Wunsch ge¬
äußert, dem gegenwärtigen Kongreß die Glückwünsche der Universität auszusprechen,
ein Wunsch, den ich hiermit mit Vergnügen erfülle. Die Psychoanalyse hat einen
Platz im Lehrgang aller psychologischen Abteilungen der verschiedenen indischen
Universitäten gefunden und im Carmichael Medical College in Kalkutta wurde eine
psychologische Klinik eingerichtet, an welcher vorwiegend psychoanalytische
Methoden verwendet werden. Am Indian Psychoanalytical Institut befinden sich
gegenwärtig zehn Kandidaten in Analyse.
Die Italienische Gruppe, die von unserem geschätzten Kollegen Dr. Weiß geführt
wird, macht langsame aber stetige Fortschritte. Ihre Entwicklung ist jedoch noch
nicht so weit gediehen, um ihre Aufnahme als Zweigvereinigung empfehlen zu
können.
Eine interessante Entwicklung hat in Japan stattgefunden. Im vorigen Jahr er¬
hielten wir den Besuch Professor Maruis von der Universität zu Sendai im nörd¬
lichen Japan. Wir hatten bisher nur gehört, daß er mit Übersetzungen beschäftigt sei
und daß er eine psychoanalytische Zeitschrift herausgebe. Bei persönlicher Berührung
zeigte es sich, daß er ausgedehnte Kenntnisse in diesem Gegenstand besitzt, und wir
erfuhren, daß er in seiner nächsten Umgebung eine Anstalt geschaffen hatte, in
welcher Lehranalysen durchgeführt werden. Unter diesen Umständen entschlossen
wir uns, diese Gruppe als Zweiggesellschaft unserer Vereinigung aufzunehmen, und
ich werde Sie noch darum bitten, diese Aufnahme zu ratifizieren. Gleichzeitig schrieb
ich an Mr. Yabe, den Präsidenten der früheren japanischen Gesellschaft, und machte
ihm den Vorschlag, deren Titel so zu ändern, daß eine neu zu formende „Japanese
Association“ künftig alle japanischen Gruppen vereinigen könne. Mr. Yabe ant¬
wortete sofort mit jener Höflichkeit, für die seine Nation so berühmt ist und der
nachzueifern wir Abendländer guttäten. Das Ergebnis ist, daß nunmehr zwei, durch
freundschaftliche Bande verknüpfte Gruppen in Japan existieren: die Tokyo Psycho¬
analytical Society und die Sendai Psychoanalytical Society.
Es ist nur natürlich, daß die jüngste Form von Diaspora ihre Wirkung auch in
Palästina gezeigt hat, und für uns bedeutet es einen ausgleichenden Gewinn, daß sich
die Möglichkeit für die Gründung einer Psychoanalytischen Gesellschaft dort ergeben
hat. Diese Möglichkeit ist jedoch um einen sehr teuren Preis erkauft worden, denn
der Gründer und Präsident der neuen Gesellschaft ist Dr. Eitingon, den wir alle in
Europa nur mit größtem Bedauern vermissen. Ihre Einwilligung vorausgesetzt, haben
wir die neue Gesellschaft aufgenommen, die den angemessenen Titel „Chevra Psycho-
analytith b’Erez Israel“ führt.
Aus Rußland haben wir wie gewöhnlich keine direkten Nachrichten, und
Dr. Wulff, der frühere Präsident der dortigen Gesellschaft, ist nach Palästina aus¬
gewandert und Mitglied der dortigen Gruppe geworden.
Im vorigen Jahre wurde das Ansuchen an uns gestellt, eine Skandinavische Psycho-
1
mir der Vizepräsident, Dr. Federn, mitteilt, durch deren Eintritt eine willkommene
Bereicherung erfahren. Wir haben unser Einverständnis dazu erklärt, daß die Wiener
Vereinigung sich eine Untergruppe in Prag unter der Leitung von Frau Dr. Den
angliedert, bis die voraussichtliche Entwicklung der kleinen Gruppe die Schaltung
einer selbständigen Gesellschaft gestattet.
Die Internationale Vereinigung hat seit der Zeit des letzten Kongresses außerordent¬
lich schwere Verluste durch Todesfälle erlitten. Vor allem haben wir Dr. Ferenczi
verloren, den Gründer unserer Vereinigung und die Seele unserer Kongresse. Infolge
einer Reihe ungünstiger Zufälle sowie seiner großzügigen Selbstverleugnung fand die
Vereinigung als Ganzes niemals Gelegenheit, ihn zu ihrem Präsidenten zu erwählen,
wcnn uns auch das Vergnügen machte, den Vorsitz bei einem der Kongresse, näm¬
lich dem im Haag 1920, zu übernehmen. Was Ferenczi für die wissenschaftliche
Entwicklung der Psychoanalyse bedeutet, darüber ist bereits in unseren offiziellen
Organen geschrieben worden; die meisten von uns werden darin übereinstimmen,
wenn wir sagen, daß er nach Freud die meisten Originalbeiträge zur Psychoanalyse
geschrieben hat. Bei unseren Zusammenkünften kannten wir ihn als hinreißenden
Redner, als enthusiastischen Erwecker neuer Gedanken, als liebenswürdige Erschei¬
nung, als treuen und ergebenen Freund. Sein Verlust ist der schwerste Schlag, der
uns betroffen hat.
Einer der nächsten Freunde Ferenczis überlebte ihn nur etwas über ein Jahr.
Ich meine Dr. Georg Groddeck in Baden-Baden. Wenn man ihn auch kaum der
regulären Liste der Psychoanalytiker zuzählen kann, wird uns Groddeck aus per¬
sönlichen Gründen und wegen seines geistigen Scharfblicks lange in Erinnerung
bleiben. Er hat eine Anzahl von Gedanken beigesteuert, welche die Psychoanalyse be¬
einflußten, und einer davon, das „Es“, ist in unseren täglichen Gebrauch übergegan-
zc n; Freud übernahm dieses Wort, wie bekannt, von ihm, obwohl der Begriff, den
138
Korrespondenzblatt
es bezeichnet, mit dem, was Groddeck darunter verstand, keineswegs identisch ist
Groddeck war eine markante Persönlichkeit, und wer bei seinem ersten VortraJ
auf dem Psychoanalytischen Kongreß in Berlin 1922 zugegen war, wird den Eindruck
nicht so leicht vergessen.
Amerika hat einen seiner analytischen Pioniere in der Person von Dr. Pierce Clark
ver oren. Er war eines der gründenden Mitglieder der ersten dortigen Gesellschaft
geraume Zeit vor dem Krieg, und setzte seine rege Forschungsarbeit bis zum letzten
ugenbhck fort. Der Ehrgeiz seines Lebens war es, psychoanalytische Methoden zur
Aufhellung des dunklen Problems der Epileptiker und geistig Zurückgebliebenen zu
verwenden, und er tat viel, um der Psychoanalyse auf diesem Gebiete ein weites
Feld zu eröffnen.
_ Be . rl | n , 1 ’ at den Verlusc von Frau Dr - Naef erlitten, einer Frau, deren markante
iPersönlichkeit ihr einen Einfluß gab, der weit größer war, als ihn Außenstehende nach
ihren Schriften vermuten konnten. Ich traf sie zuerst in Zürich im Jahre 1907 und
schätzte sie stets als sehr wertolle Kollegin.
Auch Frankreich wurde nicht verschont. Der Tod suchte die Gruppe zum ersten
Male heim und entriß ihr Mme. Sokolnicka. Sie wird uns als die erste, die in
Frankreich Psychoanalyse ausübte, lange in Erinnerung bleiben.
Einen weiteren Pionier haben wir in der Person Dr. Ossipows, eines gründenden
Mitglieds der Russischen Vereinigung verloren. Nach der Revolution hatte er sich
in Prag angesiedelt und starb dort im vergangenen Winter.
Auch die Wiener Vereinigung hat einen Verlust in der Person Dr. Morgenthaus
erlitten. Obwohl sein Interesse an der Psychoanalyse verhältnismäßig jungen Datums
ist, hat er sich doch vollständig mit deren Lehren identifiziert.
Ich J 31 , t . te SlC ’ Slch von Ihren Plätzen zu erheben als Ausdruck ihrer Achtung für
diese Kollegen, deren Verlust wir tief bedauern.
Wie bereits erwähnt, habe ich sieben neue Zentren psychoanalytischer Tätigkeit
zu Ihrer Kenntnis zu bringen. Zwei davon sind kleine Gruppen, in Johannesburg und
rag die der Britischen, bzw. der Wiener Vereinigung angegliedert wurden. Von der
Skandinavischen Gruppe habe ich bereits gesprochen. Ich bitte Sie nun, den Ent¬
schluß des Zentralvorstandes zu ratifizieren und folgende neuen Gesellschaften auf-
zunehmen: Die Boston Psychoanalytic Society, die Vereeniging van Psychoanalytici in
Nederland, die Palästinensische Psychoanalytische Gesellschaft und die Sendai Psycho-
analytical Society.“
Der Bericht des Vorsitzenden wird mit lebhaftem Beifall zur Kenntnis genom¬
men Es wird hierauf der Antrag gestellt, gemäß dem Vorschlag des Zentralvor-
Standes die vier Gruppen
The Boston Psychoanalytic Society,
Chewra Psychoanalytith b’Erez Israel,
Sendai Psycho-Analytical Society,
Vereeniging van Psychoanalytici in Nederland
in die LP.V. aufzunehmen. Dieser Antrag wird einstimmig angenommen.
Herr Dr. Eitingon bringt dem Kongreß zur Kenntnis, daß im Mitgliederver-
zeichnis der neugegründeten Palästinagruppe (welches Verzeichnis im Kongreßkalen-
der zum erstenmal abgedruckt war), bedauerlicherweise die Namen der beiden Ehren-
nutgheder fehlen. Es sind dies Dr. M. D. Eder, London, und Fräulein Anna Freud,
Wien.
- Kr i st i a n Schjelderup bittet um das Wort und führt aus: Schon vor
r ° ‘ Tahren haben die Bestrebungen begonnen, die Psychoanalytiker der nordi-
m f ^ Länder Norwegen, Schweden, Dänemark zu einer Gruppe im Rahmen der
tVv zusammenzuschließen. Das Interesse für Psychoanalyse in diesen Ländern ist
k im Wachsen Ein Zusammenschluß der Psychoanalytiker ist um so notwendiger,
alswilde Psychoanalytiker - die sich jedoch Psychoanalytiker nennen - sich im
^L. _ des Tahres 1933 zu einer Gruppe zusammengeschlossen haben und weil die
Gefährdung der A*ei, der wirkliche» P, y eho,»alyriker
b 'A»f e Gnind der Ausführansen des Herrn Prof. Schjelderup entwickelt sich
eine lange Debatte, in welcher insbesondere der Vorsitzende, Herr Dr. Eitingon,
Herr Dr Fenichel, Anna Freud, Herr Dr. Sachs, Herr Dr Ophuijsen und
mehrere Mitglieder der nordischen Gruppe das Wort ergreifen. Schließlich wird be¬
schlossen die Verhandlung dieser Angelegenheit zu unterbrechen und zu einem
snäteren Zeitpunkt während der gleichen Sitzung wieder aufzunehmen; eine Statuten¬
änderung, die inzwischen zum Beschluß erhoben werden soll, wird möglicherweise
dem Kongreß die Entscheidung in dieser Sache erleichtern.
II. Bericht des Zentral^Kassenwarts
Der Zentralkassenwart Dr. Ophuijsen erstattet den Kassenbericht und teilt das
Endergebnis der Kassenführung mit, wonach die I.P.V. derzeit ungefähr
Holl. Gulden 1380,— und KM 4 o6 3 » 9 8
besitzt. Das Markguthaben, welches mit 7°/ 0 verzinst wird, ist beim Verlag immobili¬
siert. Der Zentralkassenwart appelliert an alle Kassenwarte, ihre Pflicht zu erfüllen,
und führt Beispiele von vorgekommenen Säumnissen an. Für die Jahre 1935 und
1936 beantragt der Kassenwart eine Ermäßigung des Jahresbeitrages auf Schweizer
Franken 6,— oder deren Gegenwert. Selbstverständlich müssen die von einzelnen
Gruppen rückständigen Beträge bezahlt werden. Die neu aufzunehmenden Zweig¬
vereinigungen sind verpflichtet, dem Kassenwart so bald als möglich den Jahresbeitrag
für das Jahr 1934 auf der alten Basis (RM 8,— pro Jahr) zu entrichten.
Der Bericht des Zentralkassenwartes wird einstimmig zur Kenntnis genommen;
der Antrag des Zentralkassenwartes bezüglich Festsetzung des Jahresbeitrages mit
Schweizer Franken 6,— wird einstimmig angenommen.
III. Beridht des Präsidiums der I. II. K.
Herr Dr. Eitingon als Präsident der I. U. K. erteilt seinen Bericht wie folgt:
Da Sie die Berichte der Institute von Berlin, Wien, London, New York und
1 hikago usw. hören werden, habe ich eigentlich dem nicht viel vorauszuschicken,
sic wissen, wie systematisch da gearbeitet wird und wie sehr vor allem nach Richt¬
linien, die eigentlich überall sehr ähnlich sind und die sich aus der nunmehr 15jähri¬
gen Erfahrung mit psychoanalytischen Instituten herauskristalisiert haben. Es sind
in den letzten Jahren eine Reihe von neuen Vereinigungen gegründet worden, die
alle auch Lehrkomitees haben. Wenn diese auch alle nach einheitlichen Gesichts¬
punkten arbeiten, wenn das Wesen der psychoanalytischen Ausbildung mit seinen
Bestandteilen allen Psychoanalytikern auch schon selbstverständlich sind, so ist es
Korrespondenzblatt
140
doch an der Zeit, den Unterricht in der Psychologie zusammenzufassen, irgendwie
straffer zu organisieren. Das war auch der Grund, daß die Berichte der I. U. K. nun
auch nicht mehr vom Zentralsekretär herausgegeben werden, sondern im Zentral-
b att selbst vom Präsidium der I. U. K. redigiert erscheinen werden. Die Sekretäre
der Einzelvereinigungen sind verständigt worden, die Berichte für die I. U. K. nun
regelmäßig an den Präsidenten der I. U. K. einzusenden, und ich füge jetzt die Bitte
inzu an die Institute und verschiedenen Unterrichtsausschüsse, daneben einen in-
ternen Bericht über die Tätigkeit der Institute an mich nach Jerusalem (meine
Adresse kennen Sie ja) zu senden, der zwar nicht für den Druck bestimmt ist, aber
mir Einsicht geben soll in das innere Leben und Treiben der Institute und Unter-
richtsausschusse, aus dem ich ersehen könnte, noch besser und genauer als bis jetzt
was an den einzelnen Orten geschieht. Aus all diesen Erfahrungen werden wir dann
die Dinge herausnehmen, mit denen die I. U. K. sich bei ihren Zusammenkünften
zwischen den Kongressen beschäftigen soll.
J? e “ n da , S 1St nun das Novum ’ das Ihnen vorschlagen möchte, nämlich daß die
. U. K. sich in den Jahren, wo es keinen Kongreß gibt, etwa um dieselbe Zeit auf
dem Kontinent versammle, in Wien oder Paris, um da einschlägige Dinge des Unter¬
richts, der Ausbildung in der Psychoanalyse und eine Reihe von anderen Problemen
zur Diskussion zu bringen, die jetzt an der Zeit sind, oder solche, die durch besondere
regionale Bedingungen gegeben sind u. a. m.
Um die I. U. K. so auszubauen, ist eine Änderung des betreffenden Paragraphen
unserer Statuten nötig, und diese wird auch durch den Sekretär der I. U. K. einge¬
bracht werden. Eine Geschäftsordnung gibt sich die I. U. K. ja selbst, und auch diese
wird Ihnen vorgelegt werden, da eine Sitzung der I. U. K. vor der Geschäftssitzung
nicht anzuberaumen war, sondern erst Donnerstag abend stattfindet.
Die Zukunft unserer Bewegung ruht zweifellos in unseren Instituten, den Stätten
des Lernens, des Lehrens und der Forschung, und wir tun bestimmt gut, uns an-
gelegentlichst um sie zu kümmern.
Der Bericht wird mit Beifall zur Kenntnis genommen.
Herr Dr. Jones beantragt, daß sich der Kongreß in Hinkunft mit Sammelberich¬
ten zufrieden gibt. Dieser Antrag wird angenommen. Es bleibt jedoch auf Wunsch
in einzelnen Fällen auch die Erstattung von Sonderberichten statthaft.
IV. Verlagskomitee
Herr Dr. Sarasin als Sekretär des Verlagskomitees berichtet im folgenden Sinne:
Er erinnert daran, daß die Verlagsaktion auf eine Anregung Prof. Freuds zurück-
zufuhren ist, und erwähnt, daß die Aufgabe, den finanziell vollkommen deroutierten
Verlag auf eine gesunde Basis zu stellen, eine sehr schwierige war, die nur durch das
Zusammenwirken aller Mitglieder und Freunde der I. P. V. erreicht werden konnte.
Er dankt im Namen der Verlagskommission den privaten Spendern, deren Leistun¬
gen für den Verlag die Leistungen der Gruppen noch übertreffen. Hierauf schildert
Herr Dr. Sarasin die enge Zusammenarbeit zwischen Verlagskomitee und der Ge¬
schäftsführung des Verlags und die Kontrolle über die Verwendung der zur Sanierung
des Verlags aufgebrachten Gelder.
Hierauf berichtet Dr. Martin Freud als Geschäftsführer des Internationalen
Psychoanalytischen Verlages über die Durchführung der Sanierung und über die
Korrespondenzblatt
Prinzessin Bonaparte rund S 22.000—.
Eitingon rund S 18.000,—, Frau Macp
S 5000,— und so fort.
Die Geschäftsführung war in erster Linie bestrebt, das jährliche Defizit, das in
früheren Jahren bis zu S 100.000,- ausgemacht hat, abzubauen, da bei Weiterbe¬
stehen eines solchen Fehlbetrages jeder Sanierungserfolg von vornherein unmöglich
gewesen wäre. Es ist auch gelungen, im Jahre 1933 ganz ohne Defizit auszukommen;
für das Jahr 1934 rechnet die Geschäftsführung wieder mit einem Fehlbetrag, da
durch die Entwicklung der Verhältnisse in Deutschland der Absatz des Verlags
ständig zurückgeht. Doch wird sich dieser Fehlbetrag in erträglichen Grenzen halten.
Es sind weitgehende Ersparnisse erzielt worden, schon bei der Bezahlung der ver¬
schiedenen Gläubiger wurden Nachlässe von insgesamt S 33.000,— erwirkt. Die
Herstellung von Büchern und Zeitschriften kostet den Verlag jetzt rund die Hälfte
jener Beträge, die vor der Sanierung hiefür bezahlt werden mußten. Ausgaben für
Propaganda, welche z.B. im Jahre 1930 den Betrag von S 75.000,— aufgezehrt
hatten, sind fast zur Gänze eingestellt worden. Im ersten Halbjahr 1934 wurden
nicht einmal S 1000,— für Propagandazwecke verausgabt. Auch die Ausgaben für
„Allgemeine Regie" und für Gehälter konnten weitgehend hinuntergeschraubt wer¬
den. 0 Erfreulich ist vor allem, daß der Hauptzweck der Sanierung in vollem Aus¬
maße erreicht wurde, daß nämlich die gewaltige Schuldenlast gänzlich abgewälzt
wurde. Nur die Schuld an Prof. Freud und einige kleinere Schulden an Vereinigun¬
gen und Analytiker haften noch aus. Anschließend berichtet der Geschäftsführer
kurz über den Geschäftsgang des Verlags seit dem Wiesbadener Kongreß, über die
Neupublikationen und Neuauflagen, insbesondere über die Herausgabe des XII. Bandes
der „Gesamt-Ausgabe“.
Der Vorsitzende dankt Herrn Dr. Freud in anerkennenden Worten für die ge¬
leistete Arbeit, welchem Dank sich der Kongreß durch Beifall anschließt.
Herr Dr. Federn weist auf den Ubelstand hin, der dadurch geschaffen wurde,
daß wegen der prekären finanziellen Lage des Verlags nur solche Autoren Bücher
veröffentlichen können, die in der Lage sind, die Druckkosten aus eigenem zu be¬
zahlen. Hiedurch sei ein Privilegium der wohlhabenden Autoren geschaffen wor¬
den, welches er als tief bedrückend empfinde. Es wäre notwendig, dem Verlag Geld
zur Verfügung zu stellen, um ihn in die Lage zu versetzen, auch solche Bücher zu
drucken, für die der Autor die Kosten nicht bezahlen kann.
Der Vorsitzende stellt an den Kongreß die Anfrage, ob das Verlagskomitee auch
über die Sanierung des Verlags hinaus fortbestehen soll, und beantragt für diesen Fall
die Zu wähl folgender Personen in das Komitee:
Korrespondenzblatt
Dr. Max Eitingon,
Frau Dr. E. B. Jackson,
Frau Winifred Macpherson,
Flerr Dr. Hanns Sachs.
Es wird einstimmig beschlossen, das Verlagskomitee beizubehalten und die vorge¬
schlagenen vier Personen zu kooptieren. (Herr Dr. Ophuijsen legt seine Stelle im
Verlagskomitee nieder.)
V. Zeitschriften
Der Vorsitzende beantragt die Einführung einer Reihe von Neuerungen, die dazu
dienen sollen, den Bestand der offiziellen Zeitschriften zu sichern. Die I. P. V. soll
die finanzielle Verantwortlichkeit für den Bestand dieser Zeitschriften übernehmen
In Hinkunft soll jedes Mitglied der I.P.V. die Pflicht haben, zwei offizielle Zeit-
schriften zu abonnieren, während eine derartige Pflicht bisher nur bezüglich der
Vhtgkeder des deutschen Sprachgebietes statuiert war. Die Mitglieder sollen die
Wahl haben, welche der offiziellen Zeitschriften sie abonnieren wollen. Die Ein¬
gänge aus den Abonnements der Zeitschriften sollen in einen gemeinsamen Fonds
eingebracht werden, welcher Fonds vom Zentralkassenwart unter Mitwirkung von
Dr. Martin Freud verwaltet werden soll. Der Vorsitzende verspricht sich von
diesen Neuerungen eine Vertiefung und Vereinfachung der internationalen Zu-
sammenarbeit.
Dr Lewin erhebt namens der New Yorker Gruppe Einwendungen gegen das
Projekt unter dem Hinweis, daß die amerikanischen Gruppen kein eigenes offizielles
Organ besitzen. 1
Dr Löwenstein erhebt Bedenken gegen das Projekt des Vorsitzenden namens
lv nf-T GrUPPC ’ mh der Be S r ündung, daß die Mitglieder dieser Gruppe aus¬
schließlich an der französischen Publikation Interesse hätten, schon weil sie mangels
Sprachkenntmssen für nicht französische Zeitschriften gar keine Verwendung hätten.
DC j Vorsitzende bemerkt hiezu, daß eine internationale Zusammenarbeit auf
Grund der Kenntnis einer einzigen Sprache einfach unmöglich sei. Falls die franzö¬
sischen Mitglieder tatsächlich nur den geringen Teil der psychoanalytischen Literatur
lesen, der in französischer Sprache erscheint, werde seine Anregung sicher einen
willkommenen Anreiz für sie bieten, einem offensichtlichen Übelstand abzuhelfen.
Der Vorsitzende bringt ferner noch folgende Anregung vor den Kongreß: Derzeit
ist Prof. Freud der Herausgeber der vier offiziellen Publikationen (die französische
Revue erscheint unter „Patronage“ Prof. Freuds). Was soll geschehen, wenn
Prof. Freud nicht mehr in der Lage ist, als Herausgeber zu fungieren?
Der Kongreß beschließt, über die beiden vorerwähnten Fragen (Neuerungen bei
der Verpflichtung zum Abonnement und Herausgeberschaft der offiziellen Organe)
derzeit keinen Beschluß zu fassen, sondern ein Komitee zu wählen, welches die
Fragen studiert und für den nächsten Kongreß eine Regelung vorbereitet. In dieses
Komitee werden fünf Personen gewählt, und zwar
Anna Freud,
Ernest Jones,
Rene Laforgue,
Bertram Lewin,
Philipp Sarasin.
Korrespondenzblatt *43
VI. Allgemeines
Zum Programm des nächsten Kongresses stellt Dr. Rado folgenden Antrag: Der
Kongreß möge dem Zentralvorstande volle Vollmachten einräumen, den nächsten
Kongreß in bezug auf Auswahl der wissenschaftlichen Vorträge so zu arrangieren,
wie es dem Zentralvorstande mit Bezug auf die gegebenen Verhältnisse notwendig
und zweckmäßig erscheint. Dieser Antrag wird mit Beifall einstimmig aufgenommen.
Dr Rado schlägt vor, der Vorstand möge gemeinsam mit dem Verlag für eine
Revision des unentbehrlichen Glossary sorgen, das vor einigen Jahren in London
erschienen ist. Ebenso sei ein Bedürfnis für ein deutsches Glossary vorhanden. Der
Vorsitzende verspricht, sich dieser Angelegenheit anzunehmen.
Mit Bezug auf jene Mitglieder, die wegen äußerer Umstände die Mitgliedschaft
einer Ortsgruppe aufgeben mußten, denen jedoch die Mitgliedschaft der I. P. V. bis
auf weiteres gewahrt werden soll, stellt Herr Dr. Eitingon folgenden Antrag:
Die bei einer Ortsgruppe verlorene oder aufgegebene Mitgliedschaft zieht nicht
unbedingt auch den Verlust der Mitgliedschaft bei der I. P. V. nach sich. Über
Antrag des ausgeschiedenen Mitgliedes kann der Zentralvorstand nach eigenem Er¬
messen aussprechen, daß die Mitgliedschaft des aus der Ortsgruppe ausgeschiedenen
Mitgliedes bei der I. P. V. bis zum nächstfolgenden Kongreß als unmittelbare Mit¬
gliedschaft aufrecht erhalten bleibt. Diese Bestimmung bezieht sich jedoch aus¬
schließlich auf die Mitglieder jener europäischen Vereinigungen, die im Jahre 1912
bereits bestanden haben, mit Ausnahme der Wiener Gruppe. Dieser Antrag wird
mit Beifall einstimmig angenommen.
Über die Reorganisation der American Psychoanalytic Association ent¬
spinnt sich eine längere Debatte, in welcher insbesondere Dr. Lewin, Dr. Men-
ninger und andere Mitglieder der amerikanischen Gruppen zu Worte kommen.
Schließlich stellt Herr Dr. Rado folgenden
„Resolutionsantrag des Zentralvorstandes:
Der Kongreß stellt mit Bedauern fest, daß die am Wiesbadener Kongreß ein¬
geleitete Reorganisation der ,American Psychoanalytic Association (a Federation of
American Psychoanalytic Societies)“ nicht zum Abschluß gebracht worden ist. Der
Kongreß nimmt zur Kenntnis, daß die Föderation der Boston, Chicago, New York
und Washington-Baltimore Psychoanalytic Societies einen aus vier Mitgliedern be¬
stehenden Ausschuß zur Ausarbeitung eines Statutenentwurfes eingesetzt hat, und
erwartet, daß die amerikanische Föderation sich ehestens eine mit den Statuten und
Traditionen der I. P. V. in Einklang stehende Verfassung geben und diese dem Zen¬
tralvorstand vorlegen wird. Dem Zentralvorstand wird dann obliegen, diese Ver¬
fassung interimistisch zu genehmigen. Die endgültige Genehmigung bleibt dem
nächsten Kongreß Vorbehalten.“
Dieser Antrag wird mit Stimmenmehrheit angenommen.
Folgende Statutenänderungen werden beschlossen:
a) Zu Paragraph 4. Nach dem ersten Absatz ist folgender Absatz einzuschalten:
„Falls eine Zweigvereinigung durch ihr Verhalten das Ansehen oder die Interessen
der I. P. V. schädigt, so kann sie der Zentralvorstand interimistisch suspendieren, der
Kongreß kann sie aus dem Verband der I. P. V. ausschließen.
144
Korrespondenzblatt
Im Falle von Streitigkeiten zwischen Zweigvereinigungen muß vor allem die
schiedsgerichtliche Entscheidung der I. P. V. angerufen werden.“
b) Zu Paragraph 5 wird folgende Einschaltung gemacht: An Stelle der letzten vier
Worte des Paragraphen, derzeit lautend „welche sie weiterzuleiten haben“, heißt es
in Hinkunft „welche sie vor dem 1. Juli jeden Jahres weiterzuleiten haben“.
c) Zu Paragraph 6 : Aus den Gegenständen der Beratung und Beschlußfassung ist
Punkt d) „Die Tätigkeitsberichte der Psychoanalytischen Institute (Ambulatorien
usw.)“ zu streichen.
In den Punkten f) und g) sind die Worte „des Präsidenten der Internationalen
Unterrichtskommission“ zu ersetzen durch die Worte „des Vorstandes der Inter¬
nationalen Unterrichtskommission“.
d) Die ersten beiden Absätze des Paragraphen 7 erhalten folgende neue Fassung:
„Der Zentralvorstand besteht aus einem Zentralpräsidenten, einem Zentralsekretär,
einem Zentralkassenwart und vier Beiräten.
Der Zentralpräsident und der Zentralkassenwart werden für die Zeit bis zum
nächsten Kongreß vom Kongres gewählt. Der Zentralsekretär wird vom Zentral¬
präsidenten gewählt und die Wahl wird dem Kongreß zur Genehmigung vorgelegt.
Von den Beiräten muß einer der letzte Ex-Zentralpräsident und ein zweiter der
Präsident der American Psychoanalytic Federation sein. Die übrigen zwei Beiräte
werden vom Kongreß für die Zeit bis zum nächsten Kongreß gewählt. Im Falle,
daß im Vorstand eine Stelle vakant wird, wählt der Vorstand selbst einen Stell¬
vertreter.“
Der letzte Absatz des Paragraph 7 bleibt unverändert.
e) Paragraph 8 erhält folgende neue Fassung:
„Die Internationale Unterrichtskommission (I. U. K.) ist das Zentralorgan der
I. P. V. für die Organisierung und Überwachung des psychoanalytischen Unterrichts
und für die Verwaltung aller mit dem psychoanalytischen Unterricht zusammen¬
hängenden Geschäftssachen der I. P. V.
Die I. U. K. besteht aus ihrem Vorstand (council), den Lehrausschüssen der an¬
erkannten Lehrinstitute und den Lehrausschüssen der anerkannten Lehrstellen. Der
Vorstand der I. U. K., der aus einem Vorsitzenden, einem Sekretär und einem Vor¬
standsmitglied besteht, wird für die Zeit bis zum nächsten Kongreß vom Kongreß
gewählt. Der Lehrausschuß eines jeden anerkannten Lehrinstituts kann höchstens
aus 7 Mitgliedern, der Lehrausschuß einer jeden anerkannten Lehrstelle höchstens
aus 3 Mitgliedern bestehen. Es ist erwünscht, daß jeder Lehrausschuß einen Vor¬
sitzenden und einen Sekretär einsetzt.
Die I. U. K. regelt selbst ihre Geschäftsordnung. Alle Entscheidungen, für die die
I. U. K. zuständig ist, werden für die Zeit bis zum nächsten Kongreß vom Vorstand
der I. U. K., endgültig vom Plenum der I. U. K. getroffen.“
f) Zu Paragraph 10: Die zwei letzten Sätze des Paragraph 10 erhalten folgende
neue Fassung:
„Der allgemeine Teil des Korrespondenzblattes wird vom Zentralsekretär, der
Unterrichtsteil vom Sekretär der I. U. K. redigiert. Die Sekretäre der Zweigver¬
einigungen, bzw. die Sekretäre der Lehrausschüsse haben dem Zentralsekretär, bzw.
dem Sekretär der I. U. K. in regelmäßigen Abständen Berichte einzusenden.“
Korrespondenzblatt
145
Sämtliche vorstehend wiedergegebene Statutenänderungen werden vom Kongreß
einstimmig mit Beifall angenommen.
per Vorsitzende bringt die in einem früheren Stadium der Verhandlungen bereits
besprochene Angelegenheit der Aufnahme der nordischen Gruppen (vielmehr zweier
nordischer Gruppen) neuerlich zur Abstimmung und erklärt im Namen des Zentral¬
vorstandes, den Antrag auf Aufnahme dieser beiden Gruppen zu unterstützen, da
die bestehenden Gegensätze und Bedenken inzwischen geklärt wurden. Demgemäß
werden einstimmig mit Beifall auf genommen: Norsk-Donsk Psychoanalytik Forgning
und Schwedisch-Finnische Psychoanalytische Gesellschaft.
VII. Wahl des Präsidenten der Internationalen Unterriditsfcommission.
Zum Präsidenten der I. U. K. wird mit großem Beifall Herr Dr. Max Eitin-
gon gewählt, ferner werden gewählt:
als Beisitzerin Anna Freud,
als Sekretär Sandor Rado;
beide einstimmig mit Beifall.
VIII. Wahl des Zentralvorstandes.
Herr Dr. Ernest Jones wird mit großem Beifall zum Präsidenten der I. P. V.
wiedergewählt.
Der Vorsitzende teilt mit, daß die bisherige Zentralsekretärin Anna Freud von
ihrer Stelle zurücktritt, da sie anderweitig mit Arbeit außerordentlich überlastet ist.
Zum neuen Zentralsekretär wird Dr. Edward Glover gewählt. Der Vorsitzende
konstatiert, daß Dr. Brill gemäß den neuen Statuten als Präsident der American
Federation automatisch dem neuen Zentralvorstand wieder angehört. Das gleiche
trifft für Dr. Max Eitingon zu. Ais weitere Mitglieder des Zentralvor¬
standes werden gewählt:
Anna Freud,
Dr. van Ophuijsen,
Dr. Sarasin, mit der Funktion als Kassenwart.
Sämtliche einstimmig mit Beifall,
Uber Antrag des Herrn Dr. Kris wird dem scheidenden Zentralvorstand die
Entlastung und der Dank des Kongresses ausgesprochen.
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXl/i
10
II. Statuten der Internationalen Psycho¬
analytischen Vereinigung
i. Name
Die Vereinigung trägt den Namen: „Internationale Psychoanalytische Vereinigung“
(I.P.V.).
2. Sitz
Der Sitz der I. P. V. ist der Wohnort des jeweiligen Zentralpräsidenten.
3. Zweck
Der Zweck der I. P. V. ist die Pflege und Förderung der von Sigm. Freud be¬
gründeten psychoanalytischen Wissenschaft sowohl als reiner Psychoanalyse als auch
in ihren theoretischen und praktischen Anwendungen auf die Medizin und auf die
Geistes Wissenschaften; gegenseitige Unterstützung der Mitglieder in allen Bestrebungen
zum Erwerben und Verbreiten von psychoanalytischen Kenntnissen.
Zur Erreichung dieser Zwecke dienen insbesondere Errichtung und Betrieb psycho¬
analytischer Forschungs- und Lehrinstitute, Ambulatorien, Kliniken und Polikliniken,
ferner wissenschaftliche Veranstaltungen aller Art.
4. Gliederung und Mitglieder
Die I. P. V. gliedert sich in Zweigvereinigungen. Die Zweigvereinigungen sind
nationale oder örtliche psychoanalytische Vereinigungen, die in den Verband der
I. P. V. aufgenommen worden sind. Uber die Aufnahme neuer Zweigvereinigungen
entscheidet interimistisch der Zentralvorstand, endgültig der Kongreß; diesbezügliche
Anträge sind schriftlich an den Zentralvorstand der I. P. V. zu richten. Aus¬
geschlossen aus den Statuten der Zweigvereinigungen sind Bestimmungen, die den
Statuten der I. P. V. widersprechen. Die Zweigvereinigungen haben eventuelle
Statutenänderungen zur Genehmigung dem Zentralvorstand vorzulegen. Der Aus¬
tritt einer Zweigvereinigung erfolgt durch schriftliche Anzeige an den Zentralvor¬
stand der I. P. V.
Falls eine Zweigvereinigung durch ihr Verhalten das Ansehen oder die Interessen
der I. P. V. schädigt, so kann sie der Zentralvorstand interimistisch suspendieren, der
Kongreß kann sie aus dem Verband der I. P. V. ausschließen.
Im Falle von Streitigkeiten zwischen Zweigvereinigungen muß vor allem die
schiedsgerichtliche Entscheidung des Zentralvorstandes angerufen werden.
Mitglieder der I. P. V. sind die ordentlichen Mitglieder der Zweigvereinigungen.
Die Mitgliedschaft der I. P. V. wird durch die Erwerbung der ordentlichen Mitglied¬
schaft einer Zweigvereinigung erlangt. Jedes Mitglied der I. P. V. kann nur einer
Zweigvereinigung angehören. Ausnahmen kann der Vorstand der I. P. V. bewilligen.
Bewerber um die Mitgliedschaft haben sich in der Regel an die ihrem dauernden
Wohnsitz zunächst gelegene Zweigvereinigung zu wenden. Bei jeder landes- (orts-)
fremden Neubewerbung sollen sich die Vorstände der betreffenden Zweigvereinigun¬
gen in Verbindung setzen. Die Aufnahme in eine landes- (orts-) fremde Zweigver¬
einigung bedarf der Genehmigung des Zentralvorstandes.
Korrespondenzblatt
*47
Die Mitglieder der I. P. V. sind am Kongreß aktiv und passiv wahlberechtigt; sie
haben das Recht, auch den wissenschaftlichen Sitzungen aller Zweigvereinigungen bei¬
zuwohnen.
Die außerordentlichen Mitglieder der Zweigvereinigungen haben das Recht, den
wissenschaftlichen Sitzungen der I. P. V. beizuwohnen.
5. Beiträge der Mitglieder
Jedes ordentliche Mitglied der I. P. V. wie auch jedes außerordentliche Mitglied
der Zweigvereinigungen hat einen Jahresbeitrag zu zahlen, dessen Höhe jeweils vom
Kongreß festgesetzt wird. Dieser Jahresbeitrag enthält auch die Abonnementsbeiträge
für die offiziellen Organe. Diese Beiträge sind bei den Kassenwarten der Zweigver¬
einigungen zu entrichten, welche sie vor dem ersten Juli jedes Jahres weiterzuleiten
haben.
6. Der Kongreß
Die oberste Aufsicht über die I. P. V. fällt dem Kongreß zu. Der Kongreß wird
vom Zentralvorstand der I. P. V. mindestens alle zwei Jahre einmal einberufen und
vom Zentralpräsidenten geleitet.
Regelmäßige Gegenstände der Beratung und Beschlußfassung sind:
a) Das Protokoll des vorigen Kongresses;
b) die Tätigkeitsberichte des Zentralvorstandes und der Zweigvereinigungen;
c) der Tätigkeitsbericht der Internationalen Unterrichtskommission;
d) der Rechenschaftsbericht des Kassenwartes;
e) die Entlastung des Zentral Vorstandes und des Vorstandes der Internationalen
Unterrichtskommission;
f) die Neuwahl des Zentralvorstandes und des Vorstandes der Internationalen
Unterrichtskommission.
7. Der Zentralvorstand
Der Zentralvorstand besteht aus einem Zentralpräsidenten, einem Zentralsekretär,
einem Zentralkassenwart und vier Beiräten.
Der Zentralpräsident und der Zentralkassenwart werden für die Zeit bis zum
nächsten Kongreß vom Kongreß gewählt. Der Zentralsekretär wird vom Zentral¬
präsidenten gewählt und die Wahl wird dem Kongreß zur Genehmigung vorgelegt.
Von den Beiräten muß einer der letzte Ex-Zentralpräsident und ein zweiter der
Präsident der American Psychoanalytic Federation sein. Die übrigen zwei Beiräte
werden vom Kongreß für die Zeit bis zum nächsten Kongreß gewählt. Im Falle, daß
im Vorstand eine Stelle vakant wird, wählt der Vorstand selbst einen Stellvertreter.
Der Zentralvorstand vertritt die Vereinigung nach außen und faßt die Tätigkeit
der Zweigvereinigungen zusammen. Wenn der Zentralvorstand Fragen von prin¬
zipieller Tragweite dem Kongreß zur Entscheidung zu unterbreiten wünscht, obliegt
es dem Zentralpräsidenten, vorher mit den Vorständen der Zweigvereinigungen
Fühlung zu nehmen und den Zentralvorstand sowie auch den Kongreß über die in
den einzelnen Zweigvereinigungen herrschenden Auffassungen zu unterrichten.
8. Internationale Unterrichtskommission
Die Internationale Unterrichtskommission (I. U. K.) ist das Zentralorgan der
I. P. V. für die Organisierung und Überwachung des psychoanalytischen Unterrichts
IO*
148
Korrespondenzblatt
und für die Verwaltung aller mit dem psychoanalytischen Unterricht zusammen-
hängenden Geschäftssachen der L P. V.
Die I. U. K. besteht aus ihrem Vorstand (executive ), den Lehrausschüssen der an¬
erkannten Lehrinstitute und den Lehrausschüssen der anerkannten Lehrstellen. Der
Vorstand der I. U. K., der aus einem Vorsitzenden, einem Sekretär und einem Vor¬
standsmitglied besteht, wird für die Zeit bis zum nächsten Kongreß vom Kongreß
gewählt. Der Lehrausschuß eines jeden anerkannten Lehrinstitutes kann höchstens
aus 7 Mitgliedern, der Lehrausschuß einer jeden anerkannten Lehrstelle höchstens aus
3 Mitgliedern bestehen. Es ist erwünscht, daß jeder Lehrausschuß einen Vorsitzenden
und einen Sekretär einsetzt.
Die I. U. K. regelt selbst ihre Geschäftsordnung. Alle Entscheidungen, für die die
I. U. K. zuständig ist, werden für die Zeit bis zum nächsten Kongreß vom Vorstand
der I. U. K., endgültig vom Plenum der I. U. K. getroffen.
9. Offizielle Vereinsorgane
Die offiziellen Vereinsorgane werden auf Vorschlag des Zentralvorstandes vom
Kongreß bestimmt.
10. Korrespondenzblatt
Das Korrespondenzblatt der I. P. V. erscheint in je einem der verschiedensprachigen
offiziellen Vereinsorgane. Es vermittelt den Verkehr zwischen den einzelnen Gliedern
der I. P. V. durch die Veröffentlichung der offiziellen Mitteilungen und Berichte des
Zentralvorstandes, der I. U. K. und der einzelnen Zweigvereinigungen. Der allge¬
meine Teil des Korrespondenzblattes wird vom Zentralsekretär, der Unterrichtsteil
vom Sekretär der I. U. K. redigiert. Die Sekretäre der Zweigvereinigungen, bzw. die
Sekretäre der Lehrausschüsse haben dem Zentralsekretär, bzw. dem Sekretär der
I. U. K. in regelmäßigen Abständen Berichte einzusenden.
11. Statutenänderung
Die Statuten können nur vom Kongreß geändert werden, wozu die Zweidrittel¬
majorität der anwesenden Mitglieder erforderlich ist. Der Vorschlag auf Änderung
der Statuten kann nur von einer Gruppe von mindestens drei Mitgliedern der I. P. V.
gestellt werden, muß jedoch mindestens vierzehn Tage vor dem Kongreßtermin dem
Zentralvorstand in schriftlicher Form vorgelegt werden.
12. Auflösung
Die Auflösung der I. P. V. kann nur vom Kongreß mit Dreiviertelmajorität der
erschienenen Mitglieder beschlossen werden; die Abstimmung ist nur zulässig, wenn
mindestens die Hälfte der Mitglieder der I. P. V. erschienen ist. Der auflösende Kon¬
greßbeschluß hat auch über die Verwendung des Vermögens der I. P. V. zu verfügen.
III. Berichte der Zweigvereinigungen
The American Psychoanalytic Association
III. und IV. Quartal 1934
Die 33. Tagung der American Psychoanalytic Association fand am 22. Dezember
1934 unter dem Vorsitz von Dr. A. A. Brill im Hotel Drake in Chikago statt.
Dr. C. P. Oberndorf berichtet über das Zusammentreten und die Beratungen
des Ausschusses für statutarische Fragen und gibt bekannt, daß die Vorschläge des
Komitees den örtlichen Gesellschaften zur Beratung vorgelegt werden.
Wissenschaftliche Sitzung: Dr. A. A. Brill: Presidential Address. Dr. Franz Alex¬
ander: About the General Dynamic Analysis of Unconscious Processes. Dr. Karl
A. Menninger: Psychogenic Factors in Urological Disorders. Dr. Paul Schilder:
Psycho-Analysis of Space. Dr. Joseph Chassel: Vicissitudes of Sublimation. Dr. Tho¬
mas M. French: A. Dynamic Analysis of Giving. Dr. C. P. Oberndorf: The
Analysis of a Case of Asthma.
Am Abend nahmen die Mitglieder an einem von der Chicago Psychogenic Society
aegebenen Bankett teil.
Ernest E. Hadley
Sekretär
Boston Psychoanalytic Society
II.—IV. Quartal 1934
30. April. Jahresversammlung der Boston Psychoanalytic Society. Einstimmige
Wiederwahl des Vorstandes wie folgt: Dr. Martin W. Peck, Präsident; Dr. John
M. Murray, Vizepräsident; Dr. M. Ralph Kaufmann, Sekretär-Kassenwart.
Der Präsident bestimmt ein Komitee, das sich mit der Verfassung der American
Psychoanalytic Association zu befassen hat.
25. Mai. Außerordentliche Sitzung: Diskussion über die vorgeschlagene Verfassung
der American Psychoanalytic Association.
Ein Vorschlag zur Gründung eines Psychoanalytischen Institutes wird dem Lehr¬
komitee zur Behandlung zugewiesen.
6. November. Wissenschaftliche Sitzung: Dr. M. Ralph Kaufmann referiert über
Dr. Wilhelm Reichs Buch „Charakteranalyse“. Anschließend Diskussion, an welcher
Mitglieder und Gäste der Gesellschaft teilnehmen.
Geschäftliche Sitzung: Erik Homburger wird über sein Ansuchen auf einstim¬
migen Beschluß aus der Wiener Gesellschaft als Mitglied übernommen.
Dr. Hanns Sachs berichtet über den Luzerner Kongreß.
Es wird zur Kenntnis gebracht, daß Dr. Henry Murray jur. als Vorsitzender des
Lehrkomitees zurückgetreten ist und Dr. M. Ralph Kaufmann zu seinem Nach-
folger gewählt wurde.
24. November. Außerordentliche Sitzung: Dr. Hermann Nunberg: GuiltFeeling.
12. Dezember. Dr. Jacob Finesinger wird zum Mitglied gewählt.
Der zu den Verhandlungen über die Verfassung der American Psychoanalytic
Association Bevollmächtigte berichtet über den bisherigen Fortgang dieser Angelegen¬
heit.
150
Korrespondcnzblatt
Diskussion über die Luzerner Beschlüsse, betreffend die Richtlinien für die Unter¬
richtstätigkeit. Die Gesellschaft faßt folgende Resolution:
„Die Gesellschaft beschließt, durch ihren Exekutivbeirat an die I.U*K. das Ansuchen
zu richten, den Paragraph 8 der Luzerner Beschlüsse, insofern er Amerika betrifft
außer Kraft zu setzen.“
Bericht des Komitees zur Schaffung des Institutes. Folgende Mitglieder werden
dem genannten Komitee zur Mitwirkung beigegeben: Dr. John M. Murray, Vor¬
sitzender, Drs. ¥m, Barrett, M. Ralph Kaufmann, Coriat, Sachs und
Hendricks.
Der Vorsitzende des Lehrkomitees berichtet über die zum Seminar zugelassenen
Kandidaten.
Ferner werden Drs. Sachs, Kaufmann, Hendricks, Coriat, William Her¬
rn an und John Murray vom Lehrkomitee anerkannt und von der Gesellschaft als
Lehranalytiker bestätigt.
17. Dezember. Außerordentliche Sitzung: Dr. Dorian Feigenbaum: Morbid
Shame.
Die Gesellschaft hofft, im Herbst 1935 über ein vollständig ausgebautes psycho¬
analytisches Institut zu verfügen.
Ralph Kaufmann
• _ 4 Sekretär
Chicago Psycfioanaiytic Society
IV. Quartal 1934
6. Oktober 1934. Wissenschaftliche Sitzung: Drei Berichte über den Internatio-
nalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern 1934: 1. Dr. Thomas M. French gibt
einen Abriß über das wissenschaftliche Programm des Kongresses. 2. Dr. Franz
Alexander berichtet über die Sitzungen der Internationalen Unterrichtskommission
und die Geschäftssitzung des Kongresses. 3. Dr. Karl A. Menninger gibt „Allge-
meine Bemerkungen zum Kongreß“.
Geschäftliche Sitzung: Diskussion über die Sommersitzung der American Psycho-
analytic Association.
20. Oktober 1934. Dr. Karl A. Menninger: Psychological Factors in Urological
Pathology. Anschließend Geschäftssitzung.
3 - November 1934. Wissenschaftliche Sitzung: Dr. Alan Finlayson: Note on a
Criminal whose Crimes are Compensations for his Neurotic Mechanisms. Dr. Helen
Vincent McLean: Social Prestige and Castration Anxiety. Anschließend Geschäfts¬
sitzung.
17. November 1934. Dr. Ralph C. Hamill: Consciousness in Petit Mal. Geschäfts¬
sitzung.
8. Dezember 1934. Dr. Thomas M. French: Dynamic Analysis of Giving. Ge¬
schäftssitzung.
Helen Vicent McLean
■ Sekretärin
New York Psydhoanalytic Society
III. und IV. Quartal 1934
Wahrend der Sommermonate wurden keine ordentlichen Sitzungen abgehalten.
30. Oktober 1934. Die erste Sitzung ist fast ausschließlich dem Kongreß zu Luzern,
an welchem eine Anzahl von Mitgliedern teilgenommen hatte, gewidmet. Dr. O b e r n-
j f herichtet über die gegenwärtige Tätigkeit und die Zukunftspläne des Verlags.
d° rt . iL.-delt die spezifisch amerikanischen Angelegenheiten, mit denen sich
Dr. Lewin hatte- er gibt auch einen allgemeinen Überblick über den Verlauf
i 6 ' Stilles und der Vollversammlung der I.U.K. Um den an der Teilnahme Ver¬
des Kong yon der Atmosphäre des Kongresses zu vermitteln, wurden
hinderten^ und Dr Feigenbaum gebeten, ihre Kongreßvorträge zu wiederholen
Dr i 6 win- The Meaning of the Fear in Claustrophobia; Dr. Feigenbaum: Morbid
C — A^CUnical Contribution to the Castration Complex in Women). Dr.Rado
bchheßt die anregende Sitzung mit einer kurzen Zusammenfassung seiner Eindrücke
von den wissenschaftlichen Tagungen des Kongresses.
November. Dr. Smiley Bl an ton: An Analysis of the Symptom of Stuttenng.
n 2 F itz Wittels: A Short Communication on the Signature of a Kidnapper.
r 8 r Dezember. Geschäftliche Sitzung: Vorschläge zur Vorstandswahl im Januar.
Wissenschaftliche Sitzung: Dr. Margaret A. Ribble: Aggression and Regression in
a Child with Petit Mal.
Während der Berichtsperiode hat sich der Mitgliederstand nicht verändert.
George E. Daniels
Sekretär
WashingtonsBaltimore Psycfioanalytic Society
IV. Quartal 1934
Oktober 1934. Dr. William V. Silverberg: Note on a Theory of Exhibitionism.
Geschäftliche Sitzung: Drs. Benjamin Weininger, Ralph Crowley und Charles
Balfour werden zu Lehrkandidaten gewählt. Das Lehrkomitee kündigt seine
Kurse an. # , _ .
November 1934. Dr. Edward Hiram Reede: Psychic Pioneers: Marie Henri Beyle
(1783—I842).
Dezember 1934. Dr. Gregory Stragnell: Personal Inpressions of the Status of
Mental Hygiene in Russia.
Geschäftliche Sitzung: Es wird eine Resolution abgefaßt, welche die Stellungnahme
der Gesellschaft gegenüber dem Statutenvorschlag der American Psychoanalytic Asso¬
ciation festlegt.
Bernard S. Robbins
Sekretär
British Psycho* Anaiyticai Society
IV. Quartal 1934
3. Oktober. Dr. Jones berichtet über den jüngsten Kongreß in Luzern. Dr. Ed¬
ward Glover: Some aspect of Psycho-Analytical Research.
17. Oktober. Miss Sheehan-Dare: Technique in relation to phantasy.
7. November. Miss Grant-Duff: A Psycho-Analytical Study of „Mein Kampf“.
21. November. Kurze Mitteilungen, x. Dr. Melitta Schmideberg: On suicide.
2. Dr. Scott: A Delusion of Identity.
3. Dezember. Dr. Sybil Yates: Some aspects of the Problem of Time; with
particular reference to Music.
Prinzessin Marie Bonaparte wohnte der Sitzung als Gast der Gesellschaft b P -
und eroffnete eine kurze Diskussion über „Probleme der weiblichen Sexualität“. '
Edward Glover
Hon. Scientific Secretary
Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft
IV. Quartal 1934
Benedelf 5 ? Ta§eso ^ dnun S : Bericht über den Luzerner Kongreß. Referenten-
Benedek, Boehm u. a. Zu Beginn der Sitzung widmet der Vorsitzende Bo hl'
Z B Ve oTh°m en e en SC triT Beh -E-henburg einen “uh So
fBenedet R 7 Ü T berbh L ck Über die wissenschaftlichen Beiträge der Mitglieder
Konlß Id 0 / R JaC , 0 7 0bn > Ke -P er - Kluge, Vowinckel) zum Luzerne
FraU Benedek ze,chnet ei nen Querschnitt der auf dem Kongreß ver-
6 OktobeT’lcfr BeS£rebungen innerhalb der psychoanalytischen Wissenschaft.
• , kto °f Tr I ,934- Generalversammlung (Jahresversammlung). Vor der Generalver
mmlung (6 Uhr 30 nachmittags) wiederholt Frau Dr. Vowinckel ihren Luzerner
Vortrag, einen „Beitrag zur Schizophrenie-Lehre“. _ In Her Cm*™ 1 1
dk^Uh^b^T' CZe R de ? r 7 SellSChaft und Direktor des Instituts KolTe^e^ofhm
J hresberichte der Gesellschaft und der Poliklinik, Müller-Br aunschwei»
über 7 K tC p Lehrwesen, über die Tätigkeit des Unterrichtsausschusses und
berichte weTn ^ den Sti P- d -fonds. Die Jahres-
Die Ergebnisse der jährlichen Neuwahl des Vorstandes: Es werden wiedereewählt
zum J Gesellschaft und “ Direktor der Poliklinik Kollege Boehm
ric^tsauas^lmrses 6 M^liTr-^rluii sc hwelg^Als^E 18 V “ n Un -’
Frau Weigert Vowinckel als drittes vLtands^l^e^r^bl^
Kemot 7 a M nS deS T Sti f ndienfonds - 2 » KassenrLoren^r^^!
Kemper und Mette. In den Unterrichtsausschuß werden gewählt- Drs B § oehm
und Kemper, Frau Ada Müller-Braunschweig, Carl Müller-B aunschweig
(Vorsitzender) und Frau Weigert-Vowinckel. unscnweig
d sl:Z mh
«*• iÄÄLt“ " PoIil,init ™ d Leh '“'
ph(™ie° kt0btr I,!i ' Dr ' Ir '" e z » r Therapie der Sehizo-
Z " Entwicklungsgeschichte eines
MiSä“f«o™e„ Dr ' med ' * außerordentliches
27. November 1934. Dr. Boehm: Über zwei Schizophrenie-Fälle. Vor Eintritt in
ta* sZ b dZ dSr d " Z“ 5 ““ <“ Gesellschaft uid
Institut am Sonnabend, dem ,o. November, in ihre neuen und ne» eingerichteten
u iu A*c KkVierisen Hauses Wichmannstraße io, die in verschiedener
H^Tcht'eS Verbesserung gegen früher bedeuten, umgezogen sind, und dankt allen,
VT 111 , - dem Umzug und der Neueinrichtung mitgeholfen haben.
dlC 4 Dezember 1934. Vortrag: Frau Dr. Therese Benedek: Die überwertige Idee
und ihre Beziehung zur Süchtigkeit.
7 Dezember 1934. Dr. Boehm: Ergänzende Mitteilungen (zum Vortrag vom
Seit dem Luzerner Kongreß sind aus unserer Gesellschaft ausgetreten: Alexander,
Fließ Steff Bornstein, Meng, Vollrath, Anme Reich, Sachs, Fenichel,
Nie Hoel Gero, Landmark, Raknes. Die fünf letzteren gehören nunmehr zu
der'neuen skandinavischen Gruppe, Meng zur Schweizer Gruppe, die übrigen (mit
Ausnahme von Voll rat h, Steff Bornstein und Anme Reich) zu den amerikani¬
schen Gruppen. Unsere Gesellschaft besteht bei Abschluß dieses Berichtes aus 28 in
TVntschland 11 im Ausland befindlichen, insgesamt aus 39 Mitgliedern.
Dr. Carl Müller-Braunschweig
Schriftführer
Indian Psycho» Analytical Society
Jahresbericht 1933
Mitgliederbewegung. Während des Berichtsjahres blieb die Zahl der ordent¬
lichen Mitglieder unverändert 15. Die Zahl der außerordentlichen Mitglieder er¬
höhte sich auf 15 Mitglieder gegen 11 im Vorjahr.
Indian Psycho-Analytical Institute. Das Institut hat bemerkenswerte
Fortschritte zu verzeichnen. Vorstand und Institut hielten mehrere gemeinsame
Sitzungen ab, um über die Ansuchen um Zulassung zur außerordentlichen Mitglied¬
schaft und zum Unterricht zu beraten. In bisher nicht dagewesener Weise mehrten
sich die Ansuchen um Unterricht in der Psychoanalyse und während des Berichts¬
jahres unterzogen sich acht Kandidaten der Lehranalyse. Diese Kandidaten wurden
verschiedenen Analytikern zugewiesen. Die Mehrzahl dieser Kandidaten waren fort¬
geschrittene Studenten oder Absolventen der Psychologie, nur einer konnte auch ein
abgeschlossenes medizinisches Studium nachweisen.
Finanzen. Die Finanzen der Gesellschaft sind zufriedenstellend. Die Gebühren
für die Durchführung der Analyse betrugen Rs. 95 0, —> einschließlich Rs. 550. .
Es wird in nächster Zukunft möglich sein, geeignete Räume zu mieten und einen
Diener für das Institut anzustellen. Zur Erhaltung des Institutes wird eine Samm¬
lung aufgelegt werden.
29. September 1933. Gemeinsame Sitzung des Vorstandes und des Institutes. Es
wird eine Reihe von Statutenänderungen beschlossen, deren Formulierung in der
nächsten Sitzung festgelegt werden soll.
26. November 1933. Die Versammlung hört stehend eine Resolution an, in der
das Bedauern über den unersetzlichen Verlust ausgedrückt wird, der der Psycho¬
analyse durch den Tod Dr. Sändor Ferenczis entstanden ist. Eine Abschrift der
Resolution wird der Familie des Dahingegangenen zugestellt.
Auf Empfehlung des Vorstandes und der Leitung des Institutes werden folgende
Verbesserungen und Zusätze zu den Statuten genehmigt:
§ 5. Am Schlüsse hinzuzufügen: Kein Mitglied, das nicht von einem zuständigen
*54 Korrespondenzblatt
Mitglied der Indian Psycho-Analytical Society analysiert wurde, darf in die Gesell¬
schaft gewählt werden.
§ io. Am Schluß als neuer Absatz hinzuzufügen: „Mitglieder, welche die jeweilige
Jahresgebühr nicht bis Ende Mai bezahlt haben, verlieren das Stimmrecht in den
Versammlungen und das Recht, Bücher aus der Bibliothek zu entlehnen, solange, bis
alle Gebühren beglichen sind.“
§ 40. An Stelle des vorhandenen Textes ist der folgende zu setzen: „Der Kan¬
didat hat für seine durch das Institut durchzuführende Analyse eine Gebühr von
Rs. 1000.— zu zahlen (ca. ^75.— in englischer Währung). Zahlung in Raten von
je Rs. 100. ist gestattet. Die erste Rate ist vor Beginn der Analyse zu erlegen,
die folgenden Raten in Abständen von je 3 Monaten. Der Gesamtbetrag muß inner¬
halb drei Jahren voll beglichen sein. Nichtzahlung einer Rate zieht die Einstellung
der Analyse nach sich. Außerdem hat der Kandidat im Laboratorium für Psycho¬
logie mitzuarbeiten und die Gebühren dafür zu entrichten. Gründende Mitglieder
sind von jeder Gebühr für die Analyse befreit.“
§ 42. Am Schluß ist als neuer Absatz einzufügen: „Für den Unterricht der Kan¬
didaten sind die auf dem Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Wiesbaden
festgelegten Richtlinien maßgebend.“ (Siehe Appendix, International Journal of
Psycho-Analysis 1933, S. 155.)
§ 43. Am Schluß hinzuzufügen: „Das Studienjahr des Institutes beginnt ieweils
im Juli.“
§ 44 * Am Schluß ist als neuer Absatz einzufügen: „Die Gesellschaft stellt eine
Liste der Mitglieder auf, denen die Ausübung der Psychoanalyse gestattet ist, und
wird die Namen dieser Analytiker jeweils der Internationalen Vereinigung bekannt¬
geben. Der Name eines Mitgliedes darf in dieser Liste nur dann erscheinen, wenn
das^ Indian Psycho-Analytical Institute bestätigt, daß es die nötige Qualifikation
besitzt.
30. Januar 1934. Jahresversammlung unter dem Vorsitz des Präsidenten
Dr. G. Bose. Der Sekretär, Mr. M. N. Banerji, verliest den Jahresbericht, der mit
geringen Hinzufügungen angenommen wird. Der Vorstand und die Funktionäre
des Vorjahres werden wiedergewählt. Zu außerordentlichen Mitgliedern werden
gewählt. Dr. Surendra Chandra Laha, M. B. und Mr. Ramanimohan Mookerji, M. Sc.
Fortschritte der Psychoanalyse in Indien
Das Interesse für die Psychoanalyse ist in stetigem Fortschreiten begriffen.
Universitäts- und Experimentalpsychologen in Indien spüren mehr und mehr, daß
die Wissenschaft der Psychologie ohne die Idee des Unbewußten auf unsicherem
Grunde steht und die Psychoanalyse wird mehr und mehr als wichtiger Bestandteil
des Unterrichtes in der Psychologie betrachtet. Die Universität von Kalkutta hat
die Aufnahme der Freudschen Lehre in den Lehrplan der Abteilung für Experimen¬
talpsychologie schon bei deren Gründung anerkannt. Vor kurzem haben auch die
Universitäten von Dacca, Mysore und dem Punjab die Psychoanalyse in den Lehr-
plan für Psychologie für die späteren Semester aufgenommen. All dies ist auf die
Tätigkeit der Indian Psycho-Analytical Society zurückzuführen. Einige ihrer Mit¬
glieder haben auf die Grundprinzipien der Psychoanalyse in ihren Vorlesungen und
Zeitschriftenartikeln aufmerksam gemacht. Vielfach wurde Ausbildung in der
Berufszwecken verlangt und das Institut sah sich zu Statuten-
Psychoana yse um den Unterricht möglichst sorgfältig zu gestalten. Die
Änderungen gen ^ Gebübr für die Analysen auf Rs. iooo— erhöhen, die in
Gesellschaft m ^ zu beza hl en sind. Der Unterricht in der Psychoanalyse
Raten inner a ^ mög j ich) da ß j n dem Laboratorium für Experimentalpsychologie
^ ar nUr f - ltVes theoretisches Studium der Psychoanalyse gewährleistet ist. Gegen-
em sorg a ig psyc hoanalyse zur Unterstützung der Bewegung für Mental Hygiene
wärtig wir zum Studium jugendlicher Krimineller und zurückgebliebener
herangezoge Kin d er . Eltern, Erzieher und Lehrer suchen die Hilfe der
oder schwer dig von Dr . G . Bose an der Abteilung für Experimental-
psycho ogis ^ University College of Science nach psychoanalytischen Prinzipien
Psychologie ^ In dian Association for Mental Hygiene hat ebenfalls dazu beige¬
re eitet Dichtigkeit psychoanalytischer Erkenntnisse zu verbreiten. Die jährliche
^'ükehsausstellung am Indischen Museum in Kalkutta führt eine von der Ab-
dun" für Experimentalpsychologie geleitete Sektion für Mental Hygiene, in welcher
^Analytische Grundbegriffe dargestellt werden.
P V n der Indian Association for Mental Hygiene wurde ein unter der persönlichen
t des Präsidenten der Gesellschaft, Dr. G. Bose, stehendes psychologisches
Ambulatorium eröffnet, das im Carmichael Medical College Hospital, Belgachia,
Kalkutta, eingerichtet und allgemein zugänglich ist.
Auf der 20. Tagung des Indian Science Congress in Patna im Januar wur e
Dr. G. Bose zum Präsidenten der Sektion für Psychologie gewählt und hielt eine
Eröffnungsansprache über Psychoanalyse. Er hielt dort auch öffentliche Vortrage,
und zwar über „The Mysteries of the Mind" in bengalischer und über „Conjugal
Ouarrels“ in englischer Sprache. Diese Vorlesungen waren von über 2000 Menschen
besucht und wurden von indischen Zeitungen drei Monate lang kommentiert und
dV DntC. Mitra betonte die Wichtigkeit der Analyse und deren wachsende Be¬
deutung in einem öffentlichen Vortrag bei einer Tagung der „Vangiya German
Vidya-Samsat“ (Bengalische Gesellschaft für germanische Kultur). Ebenso hielt er
am Scottish Churches College einen Vortrag über „Moderne Psychologie“, in dem
er nachwies, daß die Psychologie unvermeidlich der Psychoanalyse zustrebt. In
einem anderen Vortrag über „Psychologie und Literatur“ an der Postgraduate
Literary Society der Universität Kalkutta erklärte er, wie gerade die Psychoanalyse
den Schlüssel zum Verständnis sowohl der literarischen Schöpfung als auch der
literarischen Kritik bietet.
Mr. M. N. Banerji hielt vor der Women’s Educational Conference einen Vortrag
in bengalischer Sprache über „Schwierige Kinder und ihre Behandlung". Ebenso
hielt er psychoanalytische Vorträge bei der Serampore Health Exhibition Congre-
gation und dem Calcutta Jewish Club über Mental Hygiene. Ferner veröffentlicht?
er zwei Artikel in bengalischer Sprache im „Bharatvarsha und im „Prabasi • Das
„Indian Journal of Psychologie“ unter Leitung Mr. M. N. Banerjis hat während
des Berichtsjahres mehrere Originalartikel über Psychoanalyse gebracht.
Dr. Sarasilal Sarkar veröffentlichte zwei Artikel. In dem einen legt er Freuds
Ansichten über den Narzißmus dar; in dem anderen gibt er eine Erklärung er
Geschichte von „Chaturanya“ vom psychoanalytischen Standpunkt.
*5^ Korrespondenzblatt
Prof. Rangin Haldar hielt einen Vortrag vor der Sektion für Psychologie am
Indian Science Congress 1933, unter dem Titel „Working of an Unconscious Wish
in the Creation of Plastic Art“. Psychoanalytische Studien an indischen Skulpturen
hatten ihm gezeigt, daß die Lingam, Sadyojata, Ardhanarisvara, Mahisasuramardini
und andere Bildwerke die verschiedenen Aspekte der Ödipussituation darstellen.
Die Opferung des Kopfes an die Muttergottheit auf indischen Skulpturen stellt den
Kastrationskomplex dar.
Jahresbericht 1934
Mitgliederstand. Während der Berichtsperiode hatte die Gesellschaft die
gleiche Anzahl von ordentlichen Mitgliedern wie im Vorjahre, nämlich 15. Ein
ordentliches Mitglied wurde außerordentliches, und ein außerordentliches wurde
ordentliches Mitglied. Die Anzahl der außerordentlichen Mitglieder betrug jedoch 20
gegen 15 im Vorjahre. Zwei außerordentliche Mitglieder wurden überdies zu ordent¬
lichen gewählt, haben ihre Wahl aber erst mit Beginn 1935 angenommen.
Bibliothek. Während des Berichtsjahres wurden für die Anschaffung neuer
Bücher neben den Abonnements für das Int. Journ. of PsA., die „Imago“ und das
Psychoanalytic Quarterly 130 Rupien auszugeben.
Sitzungen. 30. Jänner. XII. Jahresversammlung. Der Vorstand für 1934 wird
wie folgt gewählt: Dr. G. Bose, Präsident; Mr. H. P. Maiti, Dr. S. C. Mitra: Vor¬
standsmitglieder; Mr. M. N. Banerji, Sekretär. Außerdem wurden folgende Funktio¬
näre gewählt: Dr. S. C. Mitra: Bibliothekar; Mr. M. Samanta, zweiter Bibliothekar;
Mr. S. Bose, zweiter Sekretär. Dr. Surrendrachandra Laha, M. B., wird zum außer¬
ordentlichen Mitglied gewählt.
23. April. Gemeinsame Sitzung des Vorstandes und des Institutes. Mr. E. A. Gubbay
wird zum außerordentlichen Mitglied vorgeschlagen. Prof. M. N. Mukhdum und
Mr. Rabindranath Ghosh wurden als geeignete Lehrkandidaten nach Artikel 40 zu¬
gelassen und zur außerordentlichen Mitgliedschaft empfohlen. Der Sekretär wird
aufgefordert, sich mit dem Sekretär des Indian-Science-Congress in Verbindung zu
setzen, damit die Indian-Psycho-Analytical-Society in der vom Kongreß vorgeschla¬
genen Indian Academy of Science vertreten ist.
20. Mai. Prof. Uttam Sing Gheba, M. A., B. D., wird zum Mitglied der Gesell¬
schaft, Mr. E. A. Gubbay und Prof. M. N. Mukhdum zu außerordentlichen Mit¬
gliedern gewählt.
29. September. Gemeinsame Sitzung des Vorstands und des Instituts, im Anschluß
daran Geschäftssitzung. Mr. Amrith und Mr. Shrimali werden zu ordentlichen Mit¬
gliedern der Gesellschaft gewählt. Das Ansuchen des ordentlichen Mitglieds
Dr. Sarasi lal Sarkars vom ir. September um die außerordentliche Mitgliedschaft
wird bewilligt.
Fortschritte der Psychoanalyse in Indien. Die Stellung der Psycho¬
analyse in Indien kann nunmehr als gefestigt gelten. Die Gebildeten einschließlich
der Universitätskreise haben die Bedeutung psychologischer Faktoren bei der Ent¬
stehung geistiger Störungen erfaßt und die offiziellen Leiter der psychiatrischen
Spitalabteilungen haben die Bedeutung, die der Psychotherapie beim medizinischen
StU M U1 M^BaTeTjk TTr Sekretär der Gesellschaft, wurde zum Präsidenten der Ab-
| M n e für Psychologie am Indian-Science-Congress zu Bombay i ?34 gewählt. In
^• “r Eröffnungsansprache betonte er die Wichtigkeit der Psychoanalyse für das
sem . er . Psychologie. Lt. Col. Berkeley Hill hielt mehrere populäre Vortrage, in
Tnen Tr die Grundgedanken der Psychoanalyse auseinandersetzte. In der Dezember-
d von Probasi der bedeutendsten bengalischen Monatsschrift, verfolgte
STgÄ I- unserer außerordentlichen Mitglieder, die Geschichte der psycho-
M i '• v, Bewegung in Indien. Der Artikel erregte beträchtliches Aufsehen.
M R^Ghosh hielt auch einen psychoanalytischen Vortrag über „Staring“ innerhalb
der Abteilung für Psychologie des Indian Science Congress 1934- Mr. H. P. Mam,
d ordentliches Mitglied, wurde zum Präsidenten der psychologischen Abteilung
der Indian Philosophical Conference, die im Dezember 1934 m Waltair tagte, ge-
blt In seiner Ansprache betonte er die Wirkungen unbewußter Motive bei philo-
h- 'chen Forschungen mit besonderer Berücksichtigung der indischen Philosophie.
Äd S auc^unter den Auspizien der „Sunity Songha“ einen Vortrag über
dL Problem der Pubertät in der Amrita Samai Hall. Außerdem sprach er über
Religion und Psychoanalyse“ am Sanskrit-College. Dr. B. Ghosh hielt zehn öffent¬
liche Vorträge über Mental Hygiene und Psychoanalyse.
Chewra Psychoanalytith b'Erez-Israel
IV. Quartal 1934
13 Oktober 1934. Sitzung in Jerusalem: 1. Eröffnung des Psychoanalytischen In¬
stitutes. Begrüßung durch Dr. Eitingon. Am Institut wird eine vollständige Leih¬
bibliothek der analytischen Literatur unterhalten, welche das ganze Land versorgen
wird. 2. Dr. Eitingon: Bericht über den Internationalen Kongreß in Luzern. Ge¬
schäftlicher Teil: 1. Prof. M. Pappenheim (Tel-Aviv), außerordentliches Mitglied
der Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft, und Dr. K. Bluhm (Jerusalem), außer-
ordentliches Mitglied der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft, werden zu
ordentlichen Mitgliedern gewählt. 3. Die Errichtung der Leihbibliotheken in Tel-Aviv
und Haifa wird auf ein Jahr verschoben. 4. Es wird beschlossen, die Ausarbeitung und
Übersetzung der technischen analytischen Ausdrücke ins Hebräische in die Wege zu
leiten. ,
10. November 1934. Sitzung in Tel-Aviv. Dr. Dreyfuß: Die Bedeutung des
Traumas bei der genuinen Epilepsie (erscheint im Druck).
I. Schallt
Sekretär
Magyarorszägi PszicfioanaUtikai Egyesület
III. und IV. Quartal 1934
28. September 1934. Dr. M. Bälint: Das Endziel der psychoanalytischen Be-
handlung.
12. Oktober 1934. Dr. I. Hermann: Neuere Daten zur vergleichenden Psycho-
logie der Primaten.
Korrespondenzblatt
26 ■ ° ktober r 934- Dr. L. K. Rotten Referat über Rädos „Kastrationsangst des
9. November 1934. Dr. F. K. Hann: Poliklinische Kasuistik.
7. Dezember 1934. 1. Dr. M. Balint: Zur Analyse des Fetischismus.
Aus der Analyse einer homosexuellen Frau.
s. 2 . A. Balint:
Dr. Hermann
Nederlandsche Vereeniging voor Psychoanalyse
III. und IV. Quartal 1934
29. September 1934. (Oegstgeest.) Dr. H. C. Jelgersma: Analytische Bemerkun¬
gen über den epileptischen Charakter. - Dr. S. J. R. de Monchy: Eine Angst-
neurose bei einem fünfjährigen Mädchen.
27. Oktober 1934. (Amsterdam.) Dr. J. H. van der Hoop: Sexualität, Moral
und Lebensanscbaimncr
Sekretär
Vereeniging van Psycfioanalytici in Nederiand
IV. Quartal 1934
Jede Woche fand eine Versammlung der Mitglieder im Haag statt. Jede vierte
Woche wurde von einem der Mitglieder ein Vortrag über ein wissenschaftliches
Thema abgehalten. Die anderen Abende waren jeweils kurzen Mitteilungen, ein¬
maliger Darstellung von schwierigen Fällen und einem, fortlaufenden Referat eines
hailes von Blök gewidmet.
Unsere Vereinigung erlitt einen außerordentlich großen Verlust, dadurch daß ihr
Vorsitzender und Gründer seine Tätigkeit nach Amerika verlegte. Er hat für die
Vereinigung immer seine besten Kräfte eingesetzt, und die Psychoanalyse verdankt
es ihm, wenn sie einmal in Holland festen Boden gewinnen wird.
An seiner Stelle wurde van Emden als Vorsitzender gewählt.
Unser Mitglied Kat an kam nach jahrelanger Abwesenheit zurück und wird seine
Praxis im Haag, Prinsevinkenpark j, ausüben.
A. M. Blök
Sekretär
Norsk-Dansk Psykoanalytisk Forening
Tätigkeitsbericht über das IV. Quartal 1934
14. September 1934. Neuerliche Konstituierung des Vereines als Zweigvereinigung
der I.P.V. — Wahl des Vorstandes: Prof. Schjelderup (Vorsitzender), Drs. Fe-'
• 1 1 1T . , > -- JU v ’ vaon.z.umciy, JLVIb. rc-
nichel und Landmark.
12. Oktober 1934. Dr. Landmark: Zur Problematik der Zärtlichkeit.
18. Oktober 1934. Vorlesung eines Manuskripts von Frau Kramer (Riga): Analyse
einer schweren Zwangsneurose.
„ mer Riga Plkv. Brieza Jela 7 / 33 . wird zum Mitglied gewählt.
Frau Kramer, Kiga, Todestrie b, Angst und psychoanalytische
2^, Oktober 1934 *
T '^”oktober ,934. RefcrMenaWnd über Rado, Der Kaltration,komplex des
W f November ,„4. Kasoisrischer Abend. Referent, Frau Chris,ensen >. G.
g. Novem y} ß a G.: Probleme des Suizids.
£ November ”34. Refer.renabend Ober Sachs: Verspätung des Maschinen«.,-
J T;: November ,„4.
t'STmber'Referatenab.nd Ober Sterba, Das Schicksal des Icbs im .her,-
peutischen Verfahren. Arbeitseemeinschaft zur Einführung in die Psycho-
^e^^TÄTnV'Ä-'semina, (S Tednehmer,. Beide Kurse
werden fortgesetzt. q Fen j c hel
Sekretär
Societe Psychanalytique de Paris
IV. Quartal 1934
l6 . Oktober. Eröffnungssitzung unter dem Vorsitz des Präsidenten Dr. A^Borel
M Malinowski, der eben von einer Forschungsreise nach Afrika zuruckgekehrt
ist, ist als Gast anwesend. Die Gesellschaft nimmt die Kandidatur v ° n ^ me - °<? et ^
Codet und Dr. Lacan zur Kenntnis. Der Zusammentritt der IX.Tagung fran¬
zösischer Psychoanalytiker wird auf Ende Jänner 193 5 verschoben
Wissenschaftliche Sitzung. Dr. R. Loewenstein: Quelques reflections sur les
troubles de la puissance. Da der Inhalt dieser Arbeit die Dissertation zum staatlichen
Doktorat wiedergibt, muß der Text unveröffentlicht bleiben.
20. November. Mme. Codet und Dr. Lacan werden einstimmig zu außerordent¬
lichen Mitgliedern gewählt. Die Festsetzung des Datums der IX. Tagung französi¬
scher Psychoanalytiker wird auf die Dezembersitzung verschoben. Voraussichtlich
wird die Tagung zwischen dem 25. und 31. Jänner 1935 stattfinden. ,
Wissenschaftliche Sitzung. Dr. Charles O di er: Conflits instinctuels et bisexualite.
Mme. Reverchon-Jouve bittet davon Kenntnis zu nehmen, daß sie Doktor
der Medizin ist. Es wird entsprechende Aufzeichnung davon gemacht.
J. Leuba
S6cr6taire
Schwedisch^Finnische Psychoanalytische Vereinigung
3. und 4. Quartal 1934
I. Sitzungen:
25. September. Geschäftssitzung: Mitteilung des Beschlusses des XIII. Internatio¬
nalen Psychoanalytischen Kongresses, betreffend die Gründung der schwedisch¬
finnischen Ortsgruppe. Kooptierung außerordentlicher Mitglieder. Festsetzung des
Unterrichts- und Vortragsprogramms. Gründung einer psychoanalytischen Bibliothek.
i6o
Korrespondenzblatt
ij. Oktober. Dr. Ludwig Jekels: Triebdualismus im Traume. (Wiederholung
des Kongreßvortrages.)
13. Dezember. Dr. Ludwig Jekels: Zur Psychologie der Weihnachtsfeier.
II. Referierabende:
11. und 23. Oktober, 15. November. Ekman: Freuds Traumdeutung.
19. Dezember. Sandström: Uber die Weiblichkeit und die präödipale Phase.
III. Kontrollseminare:
16. September, 5. Oktober, 13. November, 19. Dezember; Referenten: Sand¬
ström, Nycander, Törngren, Ekman.
IV. Vorträge:
für Mediziner, Pädagogen u. a. im Stockholmer Krankenhaus „Serafimerlasarettet“
(etwa 50 bis 60 Zuhörer):
8. Oktober. Jekels: Psychoanalytische Psychologie.
12. November. Ekman: Fehlleistung und Traum.
19. November. Tamm: Kindersexualität.
26. November. Sandström: Ichpsychologie.
13. Dezember. Törngren: Grundlagen der Neurosen.
Alfhild Tamm
Schweizerische Gesellschaft für Psychoanalyse
II. Semester 1934
20. Oktober 1934. Besuch der Pflegeanstalt Malevoz (Wallis). Dir. Dr. A. Re*
pond: Die Widerstände gegen die Psychoanalyse bei den französischen Psychiatern.
17. November 1934. Trauersitzung für den verstorbenen Vizepräsidenten Dr. med.
Hans Behn-Eschenburg. Es referieren Drs. Sarasin, Boss, Blum.
Hierauf referiert Dr. Christof fel-Basel:
1. Bericht und Besprechung eines Buches von Lange über die Folgen der Ent¬
mannung Erwachsener.
2. Zur Psychologie und Symbolik von Links und Rechts.
8. Dezember. Cand. phil. W. Hennig (a. G.): Die Identifikation bei Freud.
(Teile und Zusammenfassung der phil. Doktordissertation gleichen Themas. Basler
Universität.)
Nachtrag: Am 23. Juni wurde Frau Dr. Fromm-Reichmann, Straßburg, in
unsere Gesellschaft übergenommen.
Hans Zulliger
Sekretär
Tokyo Psycho» Analytical Society
I.—IV. Quartal 1934
Außer wöchentlichen Zusammenkünften, die dem Unterricht einer außerhalb der
Gesellschaft stehenden Gruppe dienen, werden zweimonatlich reguläre Sitzungen ab¬
gehalten, die auch in der Berichtsperiode fortdauern. Folgendes ist bemerkenswert:
Korrespondenzblatt
161
Juli. Außerordentliche Hauptversammlung der Gesellschaft. Es hat sich die
19 q ergeben, daß in Japan eine neue örtliche Gesellschaft der Internationalen
Psychoanalytischen Vereinigung unter dem Namen Sendai Psycho-Analytical Society
nter der Leitung Prof. Kiyoyasu Maruis gegründet werden soll; die neu orgam-
U 'erte Gesellschaft soll gleichberechtigt mit der bisherigen Japan Psycho-Analytical
Society sein; es empfiehlt sich daher, für diese letztere künftig den Namen Tokyo
Psycho-Analytical Society zu wählen. Die Briefe von Dr. Ernest Jones, in denen
er Ratschläge und Weisungen in dieser Frage gibt, und ebenso die Mitteilungen
Prof. Maruis werden verlesen und diskutiert. Der Präsident empfiehlt, dem Vor¬
schlag beizustimmen, der dann auch einstimmig angenommen wird.
Als außerordentliche Mitglieder werden aufgenommen: Nagatoshi, Student der
Urawa Higher School; Tsutomu Tago, Absolvent des Showa Medical College; Sueo
Toda Absolvent der Waseda University; Nadamitsu Yabe, Absolvent der Rikkyo
University; alle Mitglieder sind analysiert. Der Name des verstorbenen Mitglieds
Akiya Nasu wird gestrichen.
20. September. Y.K.Yabe: Ein Fall von Schlafphobie. Ein Mann von 49 Jahren
wird durch einen Psychiater von seiner durch 5 Jahre andauernden Schlaflosigkeit
geheilt, so daß er imstande ist, durchschnittlich sieben Stunden im Tag zu schlafen.
Seine änderen Symptome jedoch, wie Angstzustände, hypochondrische Furcht und
verschiedene Arten von Zwang, steigerten sich oder erschienen von neuem. Die
Analyse ergab starke Kastrationsangst und Angst vor dem Schlaf, den der Patient
unbewußt mit dem Tode gleichsetzte.
4. Oktober. Angeregt durch die Artikel: „The Psycho-Analysis of the Uncanny
von Edmund Bergler, und „Depersonalisation in relation to erotisation of thought“
von C. P. Oberndorf, beide erschienen im Int. Journal of Psa., XV, 2/3, berichtete
und diskutierte eine Anzahl anwesender Mitglieder verschiedene Fälle von Deper¬
sonalisation und Entfremdung.
1. November. Die Diskussion über das Problem Depersonalisation wird fortge¬
setzt. Es werden viele Fälle, die dem japanischen Volk eigentümlich sind, die aber
in ihren Grundprinzipien mit den von Bergler und Oberndorf geschriebenen
Mechanismen übereinstimmen, vorgebracht.
ij. November. Y.K.Yabe spricht 1. über den Wert von Wortformeln in bud¬
dhistischen Gebräuchen, insbesondere jener, welche die Bedingungen beschreiben, die
zur Herbeiführung des Nirwanazustands erforderlich sind. 2. Über einen Fall von
Melancholie (eines 50jährigen Mannes) mit starker Oralerotik, der durch Selbstmord
mittels eines in den Mund geführten Revolvers endete.
Analysepatienten. In der vom Präsidenten geleiteten Anstalt wurden während
des Jahres 1934 31 Patienten analysiert. Die Zahl ist also um 8 höher als im Vor¬
jahr. Auch die Zahl der Konsultationen ist im Vergleich mit der des Vorjahres im
Ansteigen begriffen und zeigt, daß das Interesse des Publikums an der Psychoanalyse
langsam, aber stetig im Wachsen begriffen ist. Von den 31 behandelten Patienten
wurden 3 vollständig geheilt, 8 zeigten ein befriedigendes Ergebnis, 9 zeigten teilweise
und der Rest von 11 keine oder nur ganz geringe Besserung. Die letzte Gruppe um¬
faßt Psychosen, Grenzfälle, Fälle, in denen die Analyse plötzlich abgebrochen wurde,
sog. „Deserteure" oder Fälle, deren Analyse noch nicht beendet ist. In einem Fall
kam es zum Bedauern des Analytikers zu einem Selbstmord während der Behandlung.
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/i 11
I'
162
Korrespondenzblatt
Bei einer rohen Einteilung nach den hauptsächlichsten Symptomen ergibt sich fol¬
gende Liste von Fällen: Zwangsneurose 6 ; Melancholie 7; Manisch depressive 1; Angst¬
neurose 2; Angsthysterie 1; Schlaflosigkeit 1; Erythrophobie 1; Schizophrenie x;
Dementia paranoides 2; Dementia paranoides mit Verdacht einer sich entwickelnden
Paralyse vom nichtprogressiven Typ 1; Charakteranomalien 7; Kleptomanie 1.
Kanji Tsushima
Secretary
Wiener Psychoanalytische Vereinigung
IV. Quartal 1934
3. Oktober 1934. Dr. Ernst Paul Hof fmann: Eine Station in der Entwicklung des
Ichs. Diskussion: Federn, Anna Freud.
17. Oktober 1934. Generalversammlung. Tagesordnung: i. Bericht des Vorstandes
(Federn). — 2 . Kassenbericht (E. Bibring). — 3. Bericht des Ambulatoriums (Hitsch-
mann). — 4. Bericht des Lehrausschusses (H. Deutsch). — 5. Bericht der Erziehungs¬
beratungsstelle (Aichhorn). — 6. Verlagsbericht (M. Freud). — 7. Bibliotheksbericht
(R. Wälder). — 8. Festsetzung des Mitgliedsbeitrages für das Jahr 1935: Mitglieds¬
beitrag wird in der gleichen Höhe wie bisher festgesetzt. — 9. Absolutorium: wird
erteilt. 10. Neuwahlen. Wie alljährlich wird Prof. Freud per acclamationem zum
Obmann gewählt; im übrigen wird folgender Vorstand bestellt: Dr. Paul Federn,
Anna Freud (Obmannstellvertreter), Dr. Robert Wälder, Dr. Heinz Hartmann
(Schriftführer), Dr. Edward Bibring (Kassier), Dr. Richard Sterba (Bibliothekar). Die
übrigen Wahlen ergeben: Ambulatorium: Vorstand: Dr. Eduard Hitschmann
(Leiter), Dr. Otto Isakower (Leiterstellvertreter), Dr. Hans Lampl. Kassier des Ambu¬
latoriums: Dr. Edmund Bergler. Lehrausschuß: Dr. Helene Deutsch (Vorstand),
Anna Freud (Vorstandstellvertreter), Dr. Edward Bibring (Schriftführer), August
Aichhorn, Dr. Grete Bibring-Lehner, Dr. Paul Federn; Dr. Eduard Hitschmann.
Erziehungsberatung: Leiter: August Aichhorn. — Dem bisherigen langjährigen
1. Schriftführer Dr. Robert Hans Jokl wird der Dank der Vereinigung ausgesprochen.
— 11. Allfälliges: nichts.
31. Oktober 1934. Dr. Ernst Kris: Zur Psychologie älterer Biographik. Diskussion:
Stengel, Hartmann, Anna Freud, H. Deutsch, R. Sterba, R. Wälder, Federn, Schikola
(a.G.).
14. November 1934. Dr. Richard Sterba: Über zwei Verse von Schiller. Dis¬
kussion: Federn, E. Bibring, Schikola (a.G.), Marseille (a.G.). — Dr. Eduard
Hitschmann: Nochmals die peinlichen Träume. Diskussion: Federn, H. Deutsch,
R. Sterba, Eidelberg, Bergler. — Dr. Editha Sterba: Eine Kinderbeobachtung. Dis¬
kussion: Hoffmann, Schur, Anna Freud, Schikola (a. G.), R. Wälder, H. Deutsch.
28. November 1934. Dr. Maxim Steiner: Die Traumsymbolik der analytischen
Situation. Diskussion: Anna Freud, Federn, Hitschmann.
I2 ‘ Dezember 1934- Doz. Dr. Felix Deutsch: Über Euthanasie. Diskussion:
H. Deutsch, Hartmann, Federn, E. Kris, M. Löwy (Prag-Marienbad, a.G.), Hitsch¬
mann.
Geschäftliches: In den Vorstand wurden wie alljährlich kooptiert der Leiter
des Ambulatoriums (Dr. E. Hitschmann), die Vorsitzende des Lehrausschusses (Dr. H.
J
Korrespondenzblatt
163
Deutsch), der Leiter der Erziehungsberatungsstelle (A. Aichhorn). In den Lehraus¬
schuß wurden nachträglich kooptiert: Dr. H. Hartmann, Dr. R. Wälder. — Die Mit¬
glieder der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft Steff Bornstein, Franziska Deri
und Dr. Annie Reich wurden mit Zustimmung des Zentralvorstandes in die Wiener
Psychoanalytische Vereinigung als Mitglieder übernommen. — Zum Zwecke des
Übertritts in die respektiven neu entstandenen örtlichen Zweigvereinigungen sind
aus der Vereinigung ausgetreten: Erik Homburger (Boston), Prof. Dr. Martin Pappen¬
heim (Tel-Aviv), Dr. Alfhild Tamm (Stockholm). — Neue ordentliche Mitglieder:
Dr. Nicola Perrotti, Rom; Dr. Emilio Servadio, Rom.
Dr. Robert Wälder
Schriftführer
■
'
THE
PSYCHOANALYTIC
QUARTERLY
Thtrd year of publication
THE QUARTERLY
is devoted to original contributions in
the field of theoretical, clinical and
applied psychoanalysis, and is published
four times a year.
The Editorial Board of the QTJAR-
TERLY consists of the Editors: Drs.
Dorian Feigenbaum, Bertram D. Lewin
and Gregory Zilboorg. Associate Edi¬
tors: Drs. Henry Alden Bunker, Jr.,
Raymond Gosselin and Lawrence S.
Kubie. Associated with the Editorial
Board is a group of distinguished Ameri¬
can and European psychoanalysts.
CONTENTS FOR OCTOBER 1934:
The Influence of Psychologie Factors upon Gastro¬
intestinal disturbances: Franz Alexander: General
Principles, Objectives, and Preliminary Results. —
Catherine Bacon: Typical Personality Trends and
Conflicts in Cases of Gastric Disturbance. — George
W. Wilson: Typical Personality Trends and Con¬
flicts in Cases ot Spastic Colitis. — Harry B. Le ve y:
Oral Trends and Oral Conflicts in a Case of Duo¬
denal Ulcer. - Maurice Levine: Pregenital Trends
in a Case of Chronic Diarrhoea and Vomiting. —
Herman Nunberg: The Feeling ofGuiit. — Karen
Horney: The Overvaluation of Love. — Book
reviews.
Editorial Communications should be sent
to the Editor-in-Chief: Dr. Dorian Feigen¬
baum, 60 Gramercy Park, New York, N. Y.
Foreign subscription price is $ 5.50;
single issues, one dollar and 75 cents.
A limited number of back copies are
available; volumes in original binding
$ 6.50.
Business correspondence should be sent to:
THE PSYCHOANALYTIC
QUARTERLY PRESS
372-374 BROADWAY, ALBANY,
NEW YORK
THE
INTERNATIONAL
JOURNAL OF
PSYCHO-ANALYSIS
Directed by
SIGM. FREUD
Edited by
ERNEST JONES
This Journal is issued quarterly.
Besides Original Papers, Ab-
stracts and Reviews, it contains
the Bulletin of the Internatio¬
nal Psycho-Analytical Associa¬
tion, of which it is the Official
Organ.
Editorial Communications should be
sent to Dr. Ernest Jones, 81 Harley
Street, London, W. 1.
The Annual Subscription is 30s per
volume of four parts.
The Journal is obtainable by sub¬
scription only, the parts not being
sold separately.
Business correspondence should be ad-
dressed to the publishers, Balliere,
Tindall & Cox, 8 Henrietta Street,
Covent Garden, London, W. C. 2.,
who can also supply back volumes.
Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Band XXI, Heft 1
(Ausgegeben im März 1935 )
INHALTSVERZEICHNIS
A. Stärcke: Die Rolle der analen und oralen Quantitäten im Verfolgungs¬
wahn und in analogen Systemgedanken. 5
Marie Bonaparte: Passivität, Masochismus und Weiblichkeit... 23
R. Loewenstein: Die phallische Passivität beim Manne. 30
Michael Bälint: Das Endziel der psychoanalytischen Behandlung. 36
\ Melitta Schmideberg: Zur Wirkungsweise der psychoanalytischen Therapie. 46
>(Grete Bibring-Lehner: Zum Thema des Übertragungswiderstandes. 55
Käthe Misch: Die biologischen Grundlagen der Freudschen Angstheorie. 62
Xicola Perrotti: Die Rhigophobie. 68
Otto Fenichel: Zur Theorie der psychoanalytischen Technik. 78
VORLÄUFIGE MITTEILUNGEN
Edmund Bergler: Zur Psychologie der Heuchelei. 96
E. Daniels: Neurosen in Verbindung mit dem Magen-Darmtrakt .... 97
Lewis B. Hill: Ein Fall von essentieller Hypertension. g8
Sandor L o r a n d: Märchen und Neurosen. g8
Karl A. Menninger: Lokalisierte Selbstvemichtung: Selbstverstümmelung . 99
Gregory Zilboorg: Zum Selbstmordproblem. 100
REFERATE
Aus der Literatur der Grenzgebiete
B o v e t: Einführung in die philosophischen Grundprobleme der Medizin ( A. Kielholz J103. — Gochrane:
Elie Metschnikoff and his Theory of an „Instinct de la Mort“ (Fenichel) 104. — K. Rado: Angst,
Zwangserscheinungen und Angstzustände bei Nervösen (Hitschmann) 104.
Aus der psychiatrisch-neurologischen Literatur
Dantschakoff: Les Bases de la Sexualite ( Federn) 104. — Psychotherapeutische Praxis (Sterba) 105.
Aus der psychoanalytischen Literatur
Bergler: Psychoanalysis of the Uncanny ( Auloreferat) 106. — Horney: Psychogenic factors in
functional female disorders (Winnik) 107. — Malcove: Bodily Mutilation and Learning to Eat
( Fenichel) 107. — Menninger: Polysurgery and Polysurgic Addiction (Fenichel) 108. — Oberndorf:
Depersonalization in Relation to Erotization of Thought (Fenichel) 109. — Resnikoff: A Note on
Washington (Fenichel) 110.
Nachtrag zum Nachruf auf Georg Groddeck ( Meng) . m
KORRESPONDENZBLATT DER INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN VEREINIGUNG
I) Bericht über den XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern 112. — II. Statuten
der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung 146. — III) Berichte der Zweigvereinigun¬
gen 149. — IV) Mitgliederverzeichnis der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (als Beilage).
Preis des Heftes Mark 7.50. Jahresabonnement Mark 28.—
Jährlich 4 Hefte im Gesamtumfang von etwa 600 Seifen
Einbanddecken zu dem abgeschlossenen XX. Band ( 1934 ), sowie zu allen
früheren Jahrgängen: in Leinen Mark 2 . 30 , in Halbleder Mark 5 .—
Eigentümer und Verleger: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Ges. m. b. H., Wien I, Börsegasse li. — Herausgeber: Prof. Dr. Sigm.
Freud, Wien. — Verantwortlich für die Redaktion; Dr. Paul Federn, Wien VI, Köstlergasse 7. — Druck: Manzsche Buchdruckerei, Wien IX.