XXL Band
1935
Heft 2
Internationale A^itsclirift
f“
P L 1
tur
isychoanal
Olfixtenes Organ der Internationalen Psydioanalytisdien Vereinigung
H cFAusscscbcn
von
Sigm. Freud
Unter Mitwirkung
von
Felix Boehm
Berlin
G. Bose A. A. Brill
Kalkutta New York
Lucile Dooley
Washington
M. Eitingon
Jerusalem
J. E. G. van Emden
Haag
S. Hollos Ernest Jones
Budapest London
J. W. Kannabid)
Moskau
Kiyoyasu Marui
Sendai
Karl Menninger
Topeka
S. J. R. de Mondiy M. W. Peck
Rotterdam Boston
Edouard Picbon
Paris
Philipp Sarasin
Basel
Haraid Sdijelderup Älfhild Tamm Y. K. Yabc
Oslo Stodtholm Tokio
redigiert von
Edward Bibring Heinz Hartmann Sandor Rado
Wien Wien New York
C, D, Daly.. Der Kern dies Ödipuskomplexes*
Franz Alexander. Über den Einfluß psydiisdier Faktoren
auf gastrointestinale Störungen
Felix Deutsch.Über Euthanasie
Edward Giover. Das Prohiem der Zwangsneurose
P. M. van WuIfften^Palthe .. Koro. Eine merkwürdige Angsthysterie
Edmund Bergler und Ludwig
Eideiberg. Der Medianismus der Depersonalisation
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Internationale Zeitschrift
für Psy<Jioanalyse
Heraus3e3el)en von SigHl. FrCud
XXL Band
1935
Heft 2
Der Kern des Ödipuskomplexes*
Von
C. D. Daly
Kalkutta
L Einführung
Zwei sehr bekannte Fälle aus der psychoanalytischen Literatur, der eine von
Freud, der andere von Groddeck veröffentlicht, scheinen mir die in meinen
ersten Untersuchungen über den Mutterkomplex^ mitgeteilte Theorie zu be¬
stätigen. Auf Freuds berühmten Fall aus der „Geschichte einer infantilen
Neurose*", der heute als der „Wolfsmann** bekannt ist, bezieht sich James
Strachey,^ wenn er die prädisponierenden und die auslösenden Ursachen der
Neurose vergleicht. Ich gebe zunächst eine kurze Zusammenfassung seiner
Arbeit:
Charcot vertrat (die ausschlaggebende Bedeutung einer ererbten prädisponieren¬
den Ursache in der Ätiologie der Hysterie. Dieser Ansicht stand die von Breuer
und Freud entgegen, daß der auslösende Faktor — nämlich das psychische Trauma —
tatsächlich für die Entstehung und Form der Erkrankung entscheidend sei. Immer¬
hin behielten damals die prädisponierenden Ursachen, insbesondere der „hypnoide
Zustand“ Breuers, noch ihre Geltung.
Weitere Forschungen (1893 bis 1896) zeigten, daß die auslösenden Traumen in der
Regel mit einer ganzen Reihe traumatischer Ereignisse verknüpft waren, die sich bis
in die frühe Kindheit zu rück verfolgen ließen. Schließlich kam Freud sogar von der
Theorie der Notwendigkeit eines „infantilen Traumas“ ab; er ersetzte sie durch die
Theorie von der „infantilen Phantasie“. Entsprechend mußte die Lehre von der
„auslösenden Ursache“ neu, und zwar in den Ausdrücken der dynamischen Libido-
theorie, formuliert werden. Als wesentlich wurde gezeigt, daß das Unbefriedigt¬
bleiben libidinöser Strebungen, prädisponierende Faktoren vorausgesetzt, zum Aus¬
bruch der Neurose führt. Zu einem solchen Unbefriedigtbleiben kam es entweder
**■) Aus dem Englischen übersetzt von Helene Reiff.
1) Da ly, Imago XIII, 1927 und XIV, 1928. — Brit. Journ. of Med. PsychoL, 1930.
2) Strachey, Int. Journ. of PsA., XII, 1931.
Int Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/2
INTERNATIONAL
&■ PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
wurde die durch äußere odir inne«M T auslösenden Faktor
jenes Ausmaß hinaus, welches di ^
spätP^X‘=I^oanalyse« betonte Freud
Beispiel, wie ein Mehr oLr Weiher ^“^te zum
auslösenden Faktor ^ infantilen Neurose als auf dem späteren
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Der Leser jener Arbeit wird bemerkt haben, daß Strachey nur von der
rszene und von den Kastrationsdrohungen spricht, aber das zwanghafte
f ' 7Todesfurcht uner-
nt laßt, Freud fuhrt beides zu Beginn seiner Schilderung an und ver-
Er cheinungen als besondere Reaktionen auf die Unterleibserkrankung der
Ph^nTment ' allgemeine ätiologische Bedeutung des
Ruth Mack-Brunswick,^ wohlgemerkt einer Frau, war es Vorbehalten
ithtfs Mutter aufzudecken. Damit ermög¬
lichte sie das Abreagieren der Affekte, die sich in der Verdrängung verbargen
Sie war imstande eine der interessantesten unter den bisher bekannten Psycho¬
analysen zu beenden, was für uns überaus lehrreich ist. ^
_ Kein Analytiker hat aber die Beziehung zwischen diesem Fall und dem
übersi;i;r;;;;ri;7^^
mann, und das trotz der Tatsache daß^dk aLchheß^ pnze Neurose beim Wolfs-
durch Mack-B.unswlck
4) Ruth Mack-Brunswick, Int. Ztschr. f. Psa., XV, 1929.
Der Kern des Ödipuskomplexes 167
Menstruationskomplex“ bemerkt; niemand hat auch den Fall des Wolfs¬
mannes mit der tiefen Intuition Groddecksin Zusammenhang gebracht, der
in seinem Werk „Das Buch vom Es“^ sehr klar und unabhängig von meinen
Untersuchungen die Bedeutung der Monatsblutung in der Ätiologie der Neu¬
rosen wie auch viele andere Aspekte des Mutterkomplexes entwickelt hat.
Die Würdigung seiner Funde würde es möglich machen, über die Grenzen, die
der Genius Freuds hier gezogen hat, hinauszugehen. Mit der Redlichkeit des
Wissenschafters wies Freud auf diese Tatsachen in „Totem und Tabu“ hin; er
sagt dort, in der Besprechung des Ursprungs der Religion: „Wo sich in der
Entwicklung die Stelle für die großen Muttergottheiten findet ...., weiß ich
nicht anzugeben.“® Daraus kann man vermuten, daß es ihm auch nicht voll¬
kommen gelungen ist, das parallele Rätsel in der ontogenetischen Entwicklung
zu lösen. Wie ich anderswo zu zeigen versucht habe, besteht dieses darin, daß
der Haß gegen den Vater auf die Mutter übertragen wird, und
zwar infolge der traumatischen Verdrängung des männlichen
positiven Ödipuskomplexes. Ich stelle die Hypothese auf, daß der Um¬
schwung des Gefühls gegen die Mutter und die völlige Verdrängung des
Wissens um die anziehendsten Elemente weiblicher Geschlechtlichkeit infolge
der Furcht vor Tod und Kastration durch die Hand des Vater eintreten,
und daß diese Furcht besonders durch die Beobachtung der Monatsblutung
der Mutter bestärkt wird.
In seinen „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“^ sagt Freud über die
infantile Amnesie; „..., daß die nämlichen Eindrücke, die wir vergessen
haben, nichtsdestoweniger die tiefsten Spuren in unserm Seelenleben hinter¬
lassen haben und bestimmend für unsere ganze spätere Entwicklung geworden
sind. Es kann sich also um gar keinen wirklichen Untergang der Kinder¬
eindrücke handeln, sondern um eine Amnesie, ähnlich jener, welche wir bei
den Neurotikern für spätere Erlebnisse beobachten, und deren Wesen in einer
bloßen Abhaltung vom Bewußtsein (Verdrängung) besteht. Aber welche
Kräfte bringen diese Verdrängung der Kindheitseindrücke zustande? Wer dieses
Rätsel löste, hätte auch die hysterische Amnesie aufgeklärt.“ Dem könnte man
hinzufügen, daß er auch den Schleier lüften würde, der um die religiöse Hysterie
liegt. Diese ist ein spätes Produkt der Kräfte, die in der Phylogenese zur
Hemmung des Sexualimpulses beitrugen, indem die Frau im Zustand der
Brunst aus dem Gegenstand der größten Anziehung für den
Mann zu dem seiner größten Furcht wurde; einer Furcht, die
durch den Kastrationskomplex ihre Verstärkung und durch
das Menstruationstrauma ihre Bestätigung erfuhr.
5) Groddeck, Das Buch vom Es, 3. Aufl. 1934, Int. Psa. Verlag, Wien.
6 ) Freud, Ges. Schriften, Bd. X, S. i8o.
7) Freud, Ges. Schriften, Bd. V, $.49!.
»•
i68
C D. Daly
II. Über die Rolle der Geschlechtlichkeit der Mutter in der
Genese des Ödipuskomplexes
Es ist einer der interessantesten Züge des Ödipusmythos, daß die Inzest¬
schranke unbewußt überschritten wurde. Im Augenblick, da Ödipus die
Verbrechen, die er unbewußt begangen hat, bewußt erkennt, vermag sein Ich
das Wissen um seine Taten nicht zu ertragen — das hebt die Sage hervor. Die
Scham, die er empfindet, entspringt vor allem dem Wissen um seine blut¬
schänderischen Beziehungen zu seiner Mutter, das Gefühl der Schuld und Reue
bezieht sich auf den Vatermord. —
Der Mythos stellt die Erfüllung der verdrängten vatermörderischen und
blutschänderischen Wünsche dar; die Selbstverstümmelung des Ödipus zeigt
die volle Entwicklung des strafenden Über-Ichs. In der psychoanalytischen
Theorie vom Ödipuskomplex wird jedoch meiner Meinung nach nicht hinreichend
erklärt, was die Verdrängung jener vatermörderischen und blutschänderischen
Wünsche verursachte. Nur zur Erklärung des Mythos wird festgestellt, daß die
Blendung der Kastration gleichzusetzen ist, und daß sie die Strafe darstellt, die
er einst von seinen Eltern fürchtete: der Wunsch, den er einst gegen den Vater
hegte, hat sich in seinem Innern gegen sein eignes Selbst gewendet, zur Selbst¬
bestrafung und Sühne seiner Schuld; das Über-Ich ist siegreich gewesen.
Gemäß der allgemein angenommenen psychoanalytischen Theorie wird die
Inzestschranke durch die Kastrationsangst aufgerichtet, und diese wird ver¬
stärkt durch die Entdeckung des Knaben, daß die Mädchen keinen Penis haben;
das Fehlen des Penis überzeugt den Knaben davon, daß auch er sein Glied
verlieren könnte. Die Kastrationsangst entwickelt sich — und zwar gestützt
auf Befürchtungen, die aus der oralen Aggression stammen — zuerst der
Mutter gegenüber, welche die Neigung des Kindes zur Masturbation unter¬
drückte. Die Kastrationsdrohungen finden ihre Bestätigung in der Penislosig-
keit der kleinen Mädchen, aber diese Entdeckung muß nicht notwendig als
Trauma wirken.
Daß der kleine Knabe, der doch sonst sexuelle Dinge sehr aufmerksam beob¬
achtet, während der Ödipusphase nicht bemerkt, daß die Mutter und alle
weiblichen Wesen (ich schließe hier auch alle weiblichen Tiere mit ein, die zu
beobachten er Gelegenheit haben mag, insbesondere Hündinnen) sich ana¬
tomisch von ihm selbst unterscheiden, bedeutet einen Grads eelischerBlind-
heit, der nur das Resultat einer bereits früher eingetretenen und
bisher noch nicht erkannten Verdrängungsphase sein kann.
Sind denn Mütter während der frühen Kindheit ihrer Söhne so vorsiditig,
daß sie in deren Anwesenheit alle augenscheinlichen Merkmale ihrer
Geschlechtlichkeit verbergen? Jedermann weiß, daß sie das nicht sind.
Viele Mütter kleiden sich in Gegenwart ihrer ganz kleinen Kinder an und aus,
baden, gehen auf die große und kleine Seite, ja wechseln sogar ihre Binde, denn
Der Kern des Ödipuskomplexes
169
sie meinen alle, die Kinder seien eben noch zu klein, um diese Dinge zu
begreifen. Sehr oft schlafen Kinder während ihrer ersten Lebensjahre im
Schlafzimmer der Eltern, oft sogar in deren Bett; und es ist gar nichts Un¬
gewöhnliches, daß Eltern in diesem gemeinsamen Schlafraum den Koitus voll¬
ziehen, in der Meinung, daß die Kinder schlafen. Um wieviel weniger machen
sich solche Eltern Gedanken darüber, wenn es sich um harmlosere Dinge des
Alltags handelt, gleich den erwähnten.
In Wahrheit erfreut sich das Kind in seinen ersten Lebensjahren meist
einer völligen Vertrautheit mit dem Körper der Mutter; diese Vertrautheit
umfaßt das Schauen, Tasten, Hören, Riechen und Schmecken ihres Körpers.
Die Annahme F r e u d s,® daß der kleine Knabe von der Geschlechtlichkeit
seiner Mutter nichts wisse, scheint mir daher unzulänglich; das Wissen
des Kleinkindes um die Sexualität ist weit vollständiger als sogar die Psycho¬
analyse bisher zugeben will; das Nichtwissen ist erst das Resultat einer Verdrän¬
gung. Es muß etwas geschehen sein, was die Verdrängung jeder Erinnerung an
die Geschlechtlichkeit der Mutter bewirkt hat. Die spätere Amnesie entstand
erst, weil infolge des Menstruations- und des Gebärtraumas die
männliche, bzw. die weibliche Phase des frühen Inzestkomplexes
verdrängt wurden.
Meine Theorie besagt, daß die Inzestschranke um das Trauma der Men¬
struation zentriert ist, und daß dieses das Kind vorübergehend mit Wider¬
willen und Abscheu gegen die zuvor so anziehende Mutter er¬
füllt. Ich habe die Konflikte, die sich aus dieser Anziehung und Abneigung
ergeben, als „Menstruationskomplex“ bezeichnet. Nach der Bepgnung mit
dem Menstruationstrauma macht der Sohn eine Phase rein weiblicher psychi¬
scher Entwicklung durch,» den sogenannten negativen Ödipuskomplex, in
welchem er sich mit der Mutter identifiziert und ein Kind vom Vater er¬
sehnt.^»
Später pflegt mit der sich entfaltenden Sexualität des Knaben der positive
Ödipuswunsch wieder durchzubrechen, wenn auch in einigermaßen ver-
8) Freud, „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“, Ges. Schriften, Bd. V, S. 69 f.
9) Diese weibliche Entwicklung schließt alle dazugehörigen Phantasien in sich, wie: mit
blutender Wunde kastriert zu werden; Empfängnis, Schwangerschaft, Geburt,
Bestimmte Umstände können dazu führen, daß diese Entwicklungsphase bestehen bleibt,
und so verschiedene weibliche Charakterzüge zustande kommen.
10) Dieser Wunsch nach einem Kinde vom Vater erleidet dasselbe Schicksal^ wie der
gleiche Wunsch des kleinen Mädchens — er wird enttäuscht und verwandelt sich in Angst,
die noch durch das Wissen von der Schmerzhaftigkeit des Gebärens verstärkt wird; der
Wunsch selbst wird verdrängt. Viele Mütter prägen dem Kinde das Wiwen von den
Gebärschmerzen geradezu auf, um sie durch die erweckten Schuldgefühle an sich zu binden.
Das bewirkt eine neuerliche Verstärkung früherer Geburtsphantasien, wie der vom Platzen
des Leibes oder, daß der Doktor das Kind durch Aufschneiden des Leibes zutage fördere,
'i. a,; bei all diesen Phantasien mag die Vorstellung vom Bluten der Mutter das wichtigste
sein —, entsprechend der Wichtigkeit der Blutung in der Phylogenese, die zu übersehen man
gegenwärtig noch zu sehr bereit ist.
änderten Formen und oft begleitet von neuerlicher Masturbation, neuerlichem
Bettnässen usw. Und hier wird nun die früher von der Mutter gegen die in¬
fantilen Masturbationsneigungen angewandte Kastrationsdrohung aufs neue
als Erziehungsmittel gebraucht, jetzt aber ebenso häufig vom Vater wie von
der Mutter; die Eltern unterstützen einander bei der Unterdrückung der
Sexualität des Kindes. In dieser Entwicklungsphase, d. h. nachdem der Knabe
die Erinnerung an seinen positiven Ödipuskomplex und an den Körperbau
seiner Mutter, insbesondere das Wissen um ihre Blutungen, verdrängt hat, be¬
wirkt nun die Wiederentdeckung^^ der Tatsache, daß Frauen keinen Penis
haben, — er hatte der Frau den Besitz des Penis zugeschrieben, um über das
Wissen von ihrer blutenden Vagina und die daraus entspringende Todesfurcht
hinwegzukommen, — Reaktionen im Sinne seiner Kastrationsängste. Die Vagina,
die er nun beobachtet, ist meist die einer Schwester oder einer Spielgefährtin,
denn die Tage der Vertrautheit mit der Mutter sind vorüber. Daher ist häufig
eine nicht blutende Vagina die Ursache seiner späteren Ängste, und eine
solche fördert wiederum den Lauf der Verdrängung und dient als D^ck-
erinnerung für die frühere mehr traumatische Erfahrung von den Scheiden¬
blutungen der Mutter. Erneute Bekanntschaft mit der Monatsblutung in
dieser Periode führt zu verstärkten Kastrationsängsten und kann die Passivität
des Knaben dauernd fixieren.
Das Menstruationstrauma trägt vorwiegend die Schuld daran, daß aus der
geliebten Mutter die verhaßte, aggressive und zerstörende Mutter wird (daß
die Mutter die oralen, analen und onanistischen Strebungen gehindert hat, hat
diesen Haß vorbereitet). Aber auch dieser Aspekt ihrer Person fällt der Ver¬
drängung anheim, sobald der Sohn die angenommene passive, weibliche Haltung
auf gibt und sich aufs neue mit dem Vater identifiziert, indem er wieder eine
aktive, männliche Rolle aufgreift. Ich möchte hier noch einmal die Tatsache be¬
tonen, daß es in der modernen Zivilisation hauptsächlich die Mutter ist, weichein
den frühen Lebensjahren jene unterdrückenden Erziehungsmaßnahmen handhabt,
die bei primitiven Völkerstämmen Knaben gegenüber von Männern durch¬
geführt werden.^*
Im Mythos von Perseus und Andromeda,^* welcher der sekundären Phase des
Inzestkomplexes entspricht, erschlägt Perseus, der Sohn und Held, zuerst die ver¬
haßte Mutter, die Medusa; nach dieser Tat tötet er den verhaßten Vater, der nun
bei^ der Schwester sein Rivale ist. Der Vater hatte die Mutter überwältigt (= ka¬
striert) und war nun im Begriff gewesen, die Tochter (= Schwester) zu schwängern.
Perseus heiratet dann die Tochter und gebraucht das blutige Haupt der Mutter
( ^ Syml>oI 'des Todes und der Kasträtlon = menstruierende Vagina), um alle seine
Feinde zu Stein zu verwandeln. Das bedeutet, daß der Sohn, mit Hilfe der Identifi-
o) Es ist eine W i e d e r entdeckung, weil die infantile Theorie, daß das Genitale bei
beiden Geschlechtern die gleiche Form habe, erst in der Zeit nach dem Menstruationstrauma
aufm« (mit dieser Meinung befinde ich mich im Gegensatz zur Lehre Freuds).
12) Da ly, Brit. Journ. of Med. PsychoL, 1930.
13) Daly, Int. Journ. of PsA., XI, 1930.
Der Kern des Ödipuskomplexes
zierung mit beiden Eltern, seine Furcht vor der Kastration und vor dem Tode (sym¬
bolisiert durch das blutende Haupt der Mutter, d. h. den abgeschnittenen Penis) auf
seine verhaßten Rivalen versohiebt, während er die Schwester heiratet, eine Frau, die,
soweit sein Unbewußtes in Betracht kommt, nichts von dem blutigen Zeichen des
erwachsenen Weibes (d. h. seiner Mutter) zeigt und deshalb dem Ideale näherkommt.
(In der frühen Kindheit der beiden hat die Schwester noch nicht menstruiert.) Wir
können auch aus dieser Mythe schließen, daß die Blutung der Mutter der trauma¬
tische Faktor ist, der die Libidohemmung verursacht, denn die Blutung verwandelt
die Feinde in Stein, d. h. macht sie impotent. Die Verwandlung der Feinde in Stein
ist nur die Projektion seines eigenen Menstruationstraumas auf sie.
In der sekundären Phase des Inzestkomplexes wird die Idee einer blutenden
Wunde stets auf den gehaßten Vater verschoben — der Vater wird von
Künstlern, die Themen wie St. Georg und der Drache, oder tapfere Ritter,
die schöne Frauen befreien, usw. behandeln, als ein Ungeheu'er dargestellt, dem
der Kopf abgehauen ist, so daß die blutende Wunde zu sehen ist; neben dem
Ungeheuer wird eine Heldin nackt gezeigt, eine Idealgestalt, weiß und rein,
ohne Merkmal der Leidenschaft. Das anscheinend sinnlose Hassen, das sich
namentlich gegen den Tyrannenvater, schließlich aber auch gegen die Mutter
richtet, entstammt dem Seelenleid und der Seelenangst, die durch den Anblick
der Blutungen bei der Mutter verursacht wurden; so ist die Mutter die un¬
mittelbare Ursache des unerträglichen Leidens. Aller Haß gegen den Vater,
dessen der Sohn früher fähig war, wird jetzt auf die Mutter verschoben; sie gilt
nun als ein böses und krankes Wesen. Haß und Abscheu sind umso größer,
als die Mutter vorher anziehend und zärtlich gewesen und vom Kind
leidenschaftlich geliebt worden war; dadurch wird die traumatische Wirkung
der Situation nur erhöht. Das Gefühl für die Frauen und für Sexuelles
überhaupt erfährt eine völlige Umkehrung, und es kommt dadurch häufig zur
Regression auf die anale Stufe. Der dieser Phase zugehörige Trotz wird ver¬
stärkt, indem er sich mit dem blutigen Bild der Menstruation verbindet. So
entsteht dasjenige, was die Psychoanalyse als „analen Sadismus‘‘ bezeichnet; der
Sadismus gehört dem Menstruationstrauma an, der Trotz der ursprünglichen
analen Phase.
Ich vermute, daß der entscheidende Faktor bei den Zwangsneurosen und den
Psychosen ein zu schweres Menstruationstrauma ist, und zwar gerade, weil es
den Gedanken bestätigt, daß alle sexuelle Befriedigung Kastration und Tod
in sich schließt. Ein beträchtlicher Teil des Hasses auf der „anal-sadistischen
Stufe“, der früher als primär galt, ist meiner Überzeugung nach (jedenfalls
soweit es sich um Zwangsneurosen handelt) erst die Folge der regressiven Ver¬
stärkung eines ursprünglichen Hasses durch das Menstruationstrauma.
Wenn wir nun unser Wissen um die Zwangsneurosen und ihre religiösen
Widerspiele in Zusammenhang mit der Bedeutung bringen, die der Mutter¬
komplex aus dem Menstruationstrauma gewonnen hat, werden sowohl unsere
theoretischen Bemühungen um die onto- und phylogenetische Entwicklung
einen neuen Antrieb erhalten, als auch unsere therapeutischen Bemühungen
dem Ziele näherkommen; denn unsere Arbeit wird nun nicht mehr gestört
sein durch die rein männliche Einstellung der Forscher, diese Folgeerscheinung
ihrer eigenen homosexuellen Entwicklung.
Unsere sogenannte Zivilisation hat bisher zumeist aus Eitelkeit, Furcht und
Eifersucht die Frauen unterdrückt, ihre Evolution auf gleicher Linie mit der
des Mannes gehemmt und so dem Fortschritt unserer Art bestimmte Grenzen
gesetzt denn es leuchtet ein, daß die volle seelische Entwicklung unserer
Art nur das Ergebnis der seelischen Entwicklung beider Geschlechter sein kann.
Die Todesangst ist die Ur-Angst — sie ist biologisch bedingt, während die
Angst vor der Kastration sowohl phylogenetisch als auch ontogenetisch später
als Phänomen der sozialen Erziehung entstanden ist; sie ist rein psychologisch
begründet. Die Kastrationsdrohung verstärkt die tiefere Furcht vor dem
Tode.
Was das Trauma durch die Menstruationsblutung betrifft, haben wir schon
früher darauf hingewiesen, daß selbst unter heute lebenden Wilden ein Kontakt
mit Menstruationsblut eine so schwere innere Drohung bedeutet, daß der
betreffende Mann dahinsiecht und stirbt; oder aber das Geschehnis erweckt
einen so unbezwinglichen Haß in dem Mann, daß er die Frau tötet.
Es gelang der Psychoanalyse leicht, den Kastrationskomplex zu demon¬
strieren, da dieser in jeder Analyse so rasch seine Belege findet. Der Men¬
struationskomplex hingegen hat bei den Forschern zu sehr an die eigenen
tiefsten Verdrängungen gerührt.
Wenn nach dem Gesagten durch den Menstruationskomplex die Liebe des
Sohnes zur Mutter in Haß, Widerwillen und Abscheu^^^ verwandelt wird, so
kann sein Aggressionstrieb als Sadismus auf dem ursprünglichen Wege ver¬
bleiben und die schon bestehende Auffassung des Koitus als eines sadistischen
Aktes befestigen; oder der Aggressionstrieb kann einer Regression zur analen
oder zur oralen Stufe unterliegen und auf einer von ihnen fixiert werden und
verstärkt so neuerlich orale oder anale Charaktereigenschaften. Hat aber die
Männlichkeit des Knaben schweren Schaden erlitten, so daß er sich passiv
homosexuell einstellt, dann besteht die dritte Möglichkeit: Sein Sadismus kann
sich in Masochismus verwandeln. In der Regel ergibt sich ein mittlerer Weg:
Der Mann ist aggressiv und sadistisch gegen seine weiblichen Objekte, jedoch
passiv und unterwürfig gegen die Ersatzpersonen des Vaters. Manchmal ist
er Feigling und Rohling zugleich, grausam gegen alle, über die er Gewalt hat;
oder er benimmt sich — als Reaktionsform — tapfer bis zu einem Grade, daß
er tollkühn handelt, wo alle Vernunft Vorsicht gebieten würde.
13*) Vgl. die Träume im zweiten Teil dieser Arbeit.
Der Kern des Ödipuskomplexes I 73
III. Bemerkungen über Freuds „Geschichte einer infantilen
Neurose^*^^
Wir wollen uns jetzt mit einigen Einzelheiten aus Freuds berühmter „Ge¬
schichte einer infantilen Neurose‘^ auseinandersetzen, die mir eine Bestätigung
meiner theoretischen Anschauungen zu erbringen scheinen:
Der Patient erleidet in seinem achtzehnten Jahr nach einer gonorrhoischen Infek¬
tion einen psychischen Zusammenbruch. Seine frühen Jahre wurden von einer
Neurose beherrscht, die unmittelbar vor seinem vierten Geburtstag begann, einer
Angsthysterie, die sich in eine Zwangsneurose mit religiösem Inhalt verwandelte und
bis in sein zehntes Jahr dauerte. Diese Verwandlung ist recht wichtig für unsere
Theorie, denn sie zeigt das Rückschreiten von genitaler Angst zu analem Zwang.
Das erste, was Freud in der Geschichte dieses Falles hervorhebt, ist ein Gescheh¬
nis, das nicht später als im vierten Lebensjahr des Kindes vorgefallen sein konnte:
Der Knabe hört die Mutter, die den Arzt nach dem Bahnhof begleitet, unterwegs
über ihren Gesundheitszustand klagen; ihre Worte machten, wie Freud sagt, einen
unzerstörbaren Eindruck auf das Gemüt des Kindes; es wendet sie im späteren
Leben beständig auf sich selbst an. Der Zustand, auf den sie anspielte, waren ihre
häufigen Scheidenblutungen; die Worte, die sie gebrauchte, lauteten: „Ich kann so
nicht weiterleben.*'
Freud analysierte den Vorfall später nur auf der Regressionsstufe der Zwangs¬
neurose, aber nicht auf der genitalen Stufe; der Grund dafür war, daß ihm die Uni¬
versalität des Komplexes, dessen Mittelpunkt die Vaginalblutung ist, bewußterweise
unbekannt geblieben war. Wir werden alsbald sehen, daß er, gerade weil er diesen
Faktor nicht analysierte, auch nicht imstande war, die Analyse restlos zu Ende zu
führen. Und zwar lag dies daran, daß ohne Analyse des Menstruationskomplexes sich
keine volle Mutterübertragung auf den Analytiker entwickeln kann.
(Wahrscheinlich war es nicht nur Zufall, daß Freud in seinen „Vorlesungen zur
Einführung in die Psychoanalyse“ zwei Fälle weiblicher Patienten wählte, in denen
die Scheidenblutung eine Rolle spielt; in dem einen der beiden Fälle sind Konflikte
in bezug auf die Periode von wesentlicher Bedeutung für die Zwangsneurose; an
diesen als typisch hingestellten Fällen entwickelte Freud seine Theorien über die
Bedeutung von Symptomen, die Fixierung der Traumata und das Unbewußte [17., 18.
und 19. Vorlesung].)
Wir möchten nun weiter auf das Erlebnis des kleinen Knaben mit dem Schmetter¬
ling hinweisen: Eines Tages lief er einem schönen gestreiften Schmetterling nach und
hoffte, ihn zu fangen; plötzlich ergriff ihn jedoch entsetzliche Angst vor
dem Geschöpf und schreiend gab er die Verfolgung auf (vom Autor gesperrt).
Freud verfolgte den Vorfall zurück bis zu einem Erlebnis mit einem Dienst¬
mädchen, welches in dem Kinde eine sexuelle Erregung erweckt hatte, indem sie es
vor sich urinieren ließ; dabei hatte sie mit Kastration gedroht. Es kam ein weiterer
— für uns sehr wichtiger — Punkt ans Licht: nämlich ein Irrtum des Patienten be¬
züglich des Namens des Mädchens; er glaubte, es sei derselbe Name gewesen wie der
seiner Mutter. Als er später das sexuelle Erlebnis mit jenem Mädchen erzählte, bei
dem er sich seine Gonorrhöe holte, zeigte er einen Widerstand, deren Namen zu
nennen; es stellte sich heraus, daß er Matrona lautete —das weist darauf hin, daß
das Erlebnis mit dem Dienstmädchen eine Deckerinnerung war. Freud stellt fest.
14) Freud, Ges. Schriften, Bd. VIII.
174
C. D. Daly
daß die Scham, die den Wolfsmann daran hinderte, den Namen der Mutter zu
nennen, auf Verschiebung der früheren Scham vor dem Dienstmädchen zurückging.
Wir können diese Auslegung jedoch nicht als vollständig gelten lassen. Der
Akt des Urinierens hat an und für sich unbewußten inzestuösen Inhalt. Freud
wies vor langer Zeit schon darauf hin, daß das Bettnässen bei Knaben einer 1
Pollution gleichzusetzen sei („Drei Abhandlungen usw.“); ich habe in meiner
Schrift über den Menstruationskomplex gezeigt, daß das Schamgefühl ur¬
sprünglich auf der Verdrängung inzestuöser Wünsche des Kindes beruht.
Freud bemerkte, daß das Urinieren des Kindes dessen Art war, seine (
Männlichkeit zum Ausdruck zu bringen, und betonte dabei, daß diese J
Männlichkeit ursprünglich gegenüber der Mutter zum Ausdruck komme. 1
Daher gehe auch seine Scham offensichtlich schon auf die frühesten und '
nicht erst auf die später verdrängten libidinösen Regungen zurück. Nach
unserer Theorie sind die anziehenden Gerüche vor der Menstruationszeit
zuerst imstande, des Kindes frühe Leidenschaft für die Mutter aufs äußerste zu
erregen, während später die Blutung, infolge der Assoziation mit den Todes- !
und Kastrationsdrohungen, und auch der mit der Blutung selbst auftretende, 1
ganz anders geartete Geruch die traumatische Verdrängung der inzestuösen
Neigungen herbeiführen.
Wir wollen zu unserer Betrachtung des Vorfalles mit dem Schmetterling zurück- !
kehren. Die Analyse zeigte, daß der die Flügel öffnende und schließende Schmetter- I
hng symbolisch eine Frau bedeutete, die die Schenkel öffnet und schließt; der Patient *
hob besonders hervor, daß das Insekt schön war — er wurde anfänglich davon an-
g^ogen; als es sich aber auf eine Blume setzte und auf dieser vermutlich die Flügel
Öffnete und schloß, rannte er plötzlich schreiend davon.
Das Insekt kann den Knaben nur an etwas erinnert haben, was einst schön
gewesen war und sich dann plötzlich in etwas Häßliches und Schreckliches
verwandelt hatte. War das nicht vielleicht die blutende Vagina seiner Mutter?
Um diese Hypothese weiter zu verfolgen; Einst hatte die schöne Mutter ihm
große Vertraulichkeit gestattet, hatte ihn als kleines Kind vielleicht sogar
zwischen ihren Beinen spielen lassen, wie das so viele Mütter tun; alles an
ihr war anziehend gewesen — wie sie aussah, wie sie schmeckte, wie sie sich
anfühlte, wie sie roch, wie ihre Stimme klang; dann, nachdem er zuvor schon
mit dem Tode oder mit der Kastration bedroht worden war, oder sich in der
Phantasie davor gefürchtet hatte, sah er eines Tages ihren blutenden Zustand.
Wir verstehen, daß er entsetzt War.
Während wir diese Möglichkeit im Sinn behalten, wollen wir uns fragen;
Lehrt die Psychoanalyse, daß eine Bemerkung wie die der Mutter dem Arzt
gegenüber einen derartigen traumatischen Einfluß auf das Kind haben kann,
wenn sie an keinerlei tatsächliches Erlebnis anknüpft? Oder sollen wir an¬
nehmen, daß die ererbte abergläubische Angst vor dem Menstruationsblut, die
mit der Todes- und der Kastrationsfurcht in Zusammenhang steht, das Kind
- Der Kern des Ödipuskomplexes _ ^75
für die späteren traumatischen Vorfälle prädisponiert, die sich in der onto-
etischen Entwicklung aus tatsächlichen Drohungen und Erlebnissen ergeben?
Dann muß die Psychoanalyse zugeben, daß die Bedingungen, die im Leben der
Tiere als Brunst bezeichnet werden, irgendwo in der Ontogenese noch ihren
seelischen Einfluß ausüben.
Freuds Patient erzählt, es habe ihn ein „unheimliches“ Gefühl überkom¬
men, als der Schmetterling sich auf die Blume setzte. Also müssen wir, den
Lehren Freuds entsprechend, annehmen, daß ihn das Insekt an etwas er¬
innerte, was ihm einst vertraut gewesen, was er aber verdrängt hatte. Hier
sind zwei Auslegungen möglich; Entweder handelt es sich um die Genitalien
der Mutter und das öffnen ihrer Schenkel, durch das ihre (vielleicht blutige)
Vagina sichtbar wurde; oder es handelt sich um die Urszene; denn obgleich die
Assoziationen dafür keinen Beweis erbrachten, ist es vielleicht erlaubt zu ver¬
muten, daß der Schmetterling, der sich auf der Blume niederließ, auch den
Vater symbolisierte, wie dieser geschlechtlichen Verkehr mit der Mutter hatte
und dadurch, der Vermutung des Kindes gemäß, ihre Blutung verursachte.
Wir wissen, daß es im Volksaberglauben heißt, die Menstruationsblutung werde
dadurch hervorgerufen, daß ein Dämon Geschlechtsverkehr mit dem Mäd¬
chen habe, oder dadurch, daß eine Schlange es beiße. Die Mythologie sagt uns,
daß Gottes Sein in einer Rose ruhe; im Paradies der Brahmanen z. B.
wohnt Gott in einer silbernen Rose. In der Volkssage hören wir auch, daß die
Frauen zur Zeit der Menstruation Gott gehören.^®
Wir ziehen den Schluß, daß das Menstruationstrauma die stärkste
Furcht vor dem Vater verursacht, nämlich die Todesfurcht, und
durch die „blutende Wunde“ auch die Kastrationsfurcht und die noch tiefere
Furcht, gefressen zu werden, vermittelt.
Im Unbewußten (ebenso wie wir es für die phylogenetische Entwicklung
annehmen) hat der Vater allein das Recht, die Frau bluten zu machen, d. h.
sie zu deflorieren; daraus entstand, unserer Hypothese nach, der Gedanke, daß
die Menstruation durch den Vater verursacht werde, denn möglicherweise war
der Wilde ebensowenig wie die Kinder heute imstande, zwischen der durch die
Defloration hervorgerufenen Blutung und jener zu unterscheiden, die durch
die Menstruation — oder wie im vorliegenden Fall durch ein Unterleibsleiden
— bewirkt wird.
Freuds Analyse fördert sehr klar zutage, daß die Angst vor dem Wolf die
Furcht, vom Vater gefressen zu werden, bedeutet. Diese war datlurch ent¬
standen, daß der Knabe Zeuge des Koitus der Eltern geworden war. Ich habe
anderswo^® auf den phylogenetischen Ursprung dieser so leicht zu erweckenden
Furcht hingewiesen und dargelegt, daß sie das Mittel war, durch das der Vater
die Horde in Zucht hielt.
15) Siehe die Traumbeispiele im zweiten Teil dieser Schrift.
16 ) Daly, Brit. Journ. of Med. PsychoL, XII.
Betrachtung des vermuteten Einflusses izuwenden, den
jene zufällige Bemerkung der Mutter dem Arzte gegenüber auf das Leben des Pa¬
tienten ausubte. Freud bespricht, welche Rolle in der Zwangsneurose des Patienten
das InterMse ani Blut spielte, stellt aber nicht fest, daß es das Resultat der Regression
und der Zuruckverschiehung des Wissens um die Blutung der Mutter auf die anale
Stufe war. Er nimmt an, die Tatsache, daß der Charakter des Knaben nunmehr
ein sadistisch-analer wurde, sei das Resultat unterdrückter Onanie. Die alte Kinder¬
rau hatt dem Knaben nämlich gesagt, er werde eine Wunde bekommen, wenn er
onaniere.
Die alte Nanja ist jedenfalls nur ein Mutterersatz; auch wenn also die Mutter
selbst niemals eine ähnliche Drohung geäußert hat, müssen wir dennoch (psy¬
chologisch) annehmen, daß die Kastrationsdrohung von der Mutter ■— d. h.
von der Frau kam. Aber die Kastration wird auch vom Vater gefürchtet,
denn phylogenetisch kommt die Drohung in den Pubertätsriten vom Vater
(oder dessen Ersatzpersonen), obgleich dieser Teil der Erziehung inzwischen
von der Mutter übernommen worden ist. In der Ontogenese glaubt der Sohn,
daß der Vater die Mutter kastriert habe. Die Menstruationsblutung der Mutter
bestätigt die Kastrationsangst, vermittelt aber auch die tiefere Furcht vor dem
Tode, d. h. die Angst davor, von dem Vater gefressen zu werden. Daraus
erklärt sich, daß in Träumen,!^ in der Mythologie und in der Kunst die
Scheidenblutung so leicht nach oben auf den Mund verlegt wird.
Freud erzählt, daß der Patient, als er gehört hatte, im Stuhl eines Dysen¬
teriekranken finde sich Blut, sehr unruhig geworden sei und erklärt habe, in
seinem eigenen Stuhl sei Blut, er werde an Dysenterie sterben. Wir können
annehmen, daß er in dieser Furcht sich mit der Mutter identifizieren wollte,
von deren Blutungen er in dem Gespräch mit dem Arzt gehört hatte.
In seinem späteren Identifizierungsversuch (als er viereinhalb Jahre alt war)
sieht er von jeder Erwähnung des Blutes, die er selbst nicht mehr verstand,
ab, denn „er verstand sich nicht mehr, vermeinte sich zu schämen und wußte
nicht, daß er von Todesangst geschüttelt wurde, die sich in seiner Klage aber
unzweideutig verriet“.
Der Patient wünscht den Eindruck zu erwecken, daß er sich nicht etwa nur
einbilde, er habe sich geschämt, sondern, daß er sich vielmehr wirklich ge¬
schämt habe, denn es handelt sich hier um die Verdrängung seines auf die
Mutter gerichteten Verlangens unter der Todesdrohung; diese Verdrängung
bewirkt die tief sitzende Scham — es gibt nichts, dessen sich der zivilisierte
Mann mehr schämt, als des Koitus mit der Mutter. Indem die Menstrual¬
blutung die Furcht vor dem Tode und vor der Kastration erweckt, bewirkt sie-
die Verdrängung der männlichen Phase des Ödipuskomplexes. Hinter dem
Menstruationstrauma liegen die tiefste Leidenschaft für die Mutter und der
17) Siehe die Traumbeispiele, in denen das Bluten aus dem Munde via Verschiebung dazu
dient, die Scheidenblutung zu symbolisieren.
Der Kern des Ödipuskomplexes
177
tiefste Haß gegen den Vater. Daher kann, wenn der Menstruationskomplex
nicht aufgelöst wird, keine Analyse als vollendet angesehen werden.
Ich zitiere Freud aufs neue: „Dysenterie war ihm offenbar der Name der
Krankheit, über die er die Mutter klagen gehört hatte. ... Unter dem Einfluß
der Urszene erschloß sich ihm der Zusammenhang, daß die Mutter durch das,
w^as der Vater mit ihr vorgenommen hatte, krank geworden sei, und seine
Angst, Blut im Stuhle zu haben, ebenso krank zu sein wie die Mutter, war die
Ablehnung der Identifizierung mit der Mutter in jener sexuellen Szene..
Wir können diesem Befund Freuds teilweise zustimmen. Meine Studien
der Gepflogenheiten wilder Völkerstämme bestätigen den Widerwillen primi¬
tiver Männer, auf irgend eine Weise bewußt mit Frauen identifiziert zu
werden. Dieser Widerwille hat seinen Ursprung hauptsächlich in der aber¬
gläubischen Furcht von den Blutungen, die alle weiblichen Funktionen be¬
gleiten —- Defloration, Menstruation, Gebären. Unser Haupteinwand gegen
Freuds Befund lautet, daß hier nicht ein Einzelfall vorliegt, sondern ein
typisches Phänomen. Aus der ergänzenden Analyse des Falles werden wir
jedoch zu beweisen versuchen, daß sich der Patient in einer tieferen Schicht tat¬
sächlich im sexuellen Sinn mit der Mutter identifizierte.
IV. Ruth Mack-Brunswicks Ergänzung der „Geschichte einer
infantilen Neurose“
Wir wollen nun die besonders interessante Ergänzung der Freudschen
Geschichte einer infantilen Neurose durch Ruth Mack-Brunswick be¬
trachten. Sie stellt fest, daß die zweite Analyse die Funde Freuds in allen
Einzelheiten bestätigte und kein neues Material ans Licht brachte: „Wir hatten
uns ausschließlich mit einem ungelösten Übertragungsrest zu beschäftigen.“
Diese Bemerkung ist überaus bedeutungsvoll, wenn wir bedenken, daß gerade der
Teil der Mutterübertragung, der von dem Patienten nicht völlig durchlebt wurde,
sich auf seine Identifizierung mit der Mutter bezog. Diese ging so weit, daß er zu
bluten wünschte wie sie; dieses Bluten sollte durch Ersatzpersonen des Vaters
(Freud, Professor X, usw.) verursacht werden, und zwar auf ähnliche Art wie,
seiner Meinung nach, die Blutung der Mutter in der Urszene verursacht worden war,
d. h. durch einen die Kastration in sich schließenden Koitus. Die Erregung, die ihn
erfaßte, als der Professor sein Instrument (= Penis) nahm und einen Pickel (= Penis)
des Patienten entfernte, wobei er ihm eine blutende Wunde (= Kastration und men¬
struierende Vagina) beibrachte, bestätigt, daß er sich völlig mit der Mutter identi¬
fizierte.
Mack-Brunswick arbeitete auch die weitere Identifizierung heraus, die darin
liegt, daß er ein Geschenk (= Kinder) vom Vater begehrt. Sie sagt mit vollem
Recht: „Wenn der Patient wirklich so vollständig von seiner femininen Einstellung
zum Vater geheilt gewesen wäre, wie es den Anschein hatte, hätte diese Unterstützung
nie vermocht, eine solche Bedeutung in seinem Gefühlsleben zu erlangen.“ Ferner
bemerkt sie: „Dennoch erscheint es mir unwahrscheinlich, daß eine Analyse bei einem
männlichen Analytiker möglich gewesen wäre.“
178
C D. Daly
Wir geben zu, daß in diesem besonderen Fall das erzielte Resultat der
zweiten Analyse dadurch möglich wurde, daß der Analytiker eine Frau war.
Mack-Brunswick erweitert ihre Feststellung, indem sie sagt: „Es ist etwas
ganz anderes, ob man die Rolle eines Verfolgers gegenüber einer weiblichen
(also schon kastrierten) paranoischen Patientin einnimmt, oder einem Mann
gegenüber, für den die Möglichkeit der Kastration noch besteht. Man muß
sich vergegenwärtigen, daß in der Psychose der Inhalt der Angst als real an¬
genommen wird; der psychotische Patient fürchtet sich wirklich davor, daß
man ihm seinen Penis abschneidet, und nicht vor einer symbolischen Handlung
von seiten des Analytikers. Die Phantasie erhält bei der Psychose Realitäts¬
wert. Die Situation der Analyse bedeutet damit für den Patienten eine zu
große Gefahr. In diesem Fall mag das Geschlecht des Analytikers tatsächlich
eine Rolle spielen.“^®
Wir wollen uns nun die doppelte Bedeutung des Symbolismus des Blutes
vor Augen halten. Es symbolisiert sowohl das Leben als auch den Tod. Freud
erkannte in dem vorliegenden Fall, daß die auf die Dysenterie bezügliche Angst
des Sohnes Todesangst war, und daß diese in unlöslichem Zusammenhang mit
dem Bluten stand, ferner auch die Angst davor war, vom Wolf (Vater) ge¬
fressen zu werden, und zwar von einem Wolf, der den Fuß (Penis) vorstreckt.
Was ist nun die wirkliche Ursache der Identifizierung des Sohnes mit der
Mutter? Wir nehmen an, daß sie eine instinktive Abwehrmaßnahme zur
Selbsterhaltung ist, bei welcher der Sohn in der Phantasie seinen Penis und
seine Männlichkeit opfert, um sein Leben zu erhalten. Er ordnet sich dem
Vater völlig unter, identifiziert sich mit der blutenden Mutter und verlangt
nach der Kastration als einem Äquivalent der Defloration und der Schwänge¬
rung. Das erklärt, warum durch die symbolische Kastration des Patienten
masochistische Erregung anstatt Angst hervorgerufen wurde: das Blut wird
nämlich nun aus einem Symbol des Todes zu einem des Lebens, und dem Ich
bleibt die Angst vor völliger Vernichtung erspart. Mack-Brunswick ist sich
darüber offenbar klar, denn wo sie davon spricht, daß die Operation Er¬
regung anstatt Angst hervorrief und so eine passive Koitusphantasie darstellt,
fügt sie mit weiblicher Intuition hinzu, daß offenbar auch eine Geburts¬
phantasie daran beteiligt sei.
Für jede Frau sind Leben und Tod inniger miteinander verbunden als für
den Mann. Seelisch gesunde Frauen erleben beim Gebären eine Ekstase, die in
i8) Die von Mack-Brunswick aufgeworfene Frage ist sehr wichtig und wird künftig
eingehender Erforschung bedürfen. Wenn wir bedenken, daß die erste Belehrung des Kindes
durch die Mutter erfolgt, kann sich die Notwendigkeit ergeben, daß sich der Patient *Her
Behandlung durch eine Frau unterzieht, wenn die Analyse — insbesondere als Lehranalyse —
vollkommen sein soll. Die Männer dürfen sich hier nicht durch ihren männlichen Narzißmus
irreführen lassen. Es ist auch möglich, daß manche Fälle sich mehr für eine Behandlung
durch das andere Geschlecht eignen; vielleicht erfordern diese einen Wechsel des Analytikers,
sobald ein gewisser Punkt der Analyse erreicht ist.
Der Kern des Ödipuskomplexes
179
ihrem vollen Umfang dem männlichen Geschlecht unbekannt bleibt; patho¬
logische Fälle bilden vielleicht eine Ausnahme, aber es ist doch zweifelhaft, ob
selbst der völlig Invertierte im Orgasmus die Ekstase einer Frau erlebt oder
auch nur seelisch die Krone aller Leidenschaft, die Ekstase des Gebärens, nach¬
empfinden kann. Eine durchaus gesunde Frau erreicht mit dem Erlebnis des
Gebärens den Gipfel menschlichen Lustempfindens— eine Tatsache, auf die
der Mann allezeit unbewußt eifersüchtig gewesen ist.
Beim Manne finden wir Steigerungen der Ekstase erstens in dem Augen¬
blick, da er den Widerstand seines Libidoobjektes bricht,^® was in der Phylo¬
genese in Beziehung stand zu der Defloration des im Zustand der Brunst be¬
findlichen reifen jungen Weibes, das dadurch libidinös an den Urvater ge¬
bunden wurde; und zweitens auf der analen Stufe, da er Stuhlmassen in sich
ansammelt, um masochistisch zu leiden (bei der analen schweren Geburt eines
symbolischen Kindes), was eine der Folgen seines Neides, seines Weiberhasses
und seiner Homosexualität ist.
Im gemeinsamen Orgasmus kommt der Mann der weiblichen Ekstase nur
nahe; die weit größere leidenschaftliche Freude des Gebärens bleibt ihm ver¬
sagt. Die leidenschaftliche Lust einer gesunden Frau beim Gebären wird
jedem unvergeßlich bleiben, der sie einmal mit angesehen hat — allerdings wird
man in unseren zivilisierten Staaten nur selten Augenzeuge dieses hochinter¬
essanten Phänomens. Die eindrucksvolle Beobachtung gebärender Frauen in
Krankenhäusern bestätigte in mir die Richtigkeit der Befunde Groddecks.
Mack-Brunswick erklärt, eine erfolgreiche Behandlung fordere, daß das
gesamte unbewußte Material bewußt gemacht und die Motivierung der Krank¬
heit klargelegt worden sei. Ich stimme dem zu, und das glückliche Ergebnis
des vorliegenden Falles infolge der Entwicklung der Mutterübertragung be¬
weist, daß dieses Ideal unerfüllbar wird, sofern wir nicht dem Mutterkomplex
seinen Platz voll und ganz einräumen. Das heißt, wir können nicht hoffen,
den Vaterkomplex aufzulösen, wenn wir den Mutterkomplex ignorieren. Wir
hindern sonst den Patienten, sich der Periode der Mutter zu erinnern und die
Affekte abzureagieren, die mit seiner größten Furcht und seinem größten Haß
dem Vater gegenüber und seiner tiefsten leidenschaftlichen Liebe zur Mutter
verknüpft sind.
Mack-Brunswick stellt ferner fest, daß an dem Rückfall des Patienten nach
der ersten Analyse die Erkrankung Freuds die Schuld trug. Sie sagt: „Es ist nicht
19) Es ist ein Lustgewinn dieser Art, welcher häufig die Bemühungen mancher männlicher
Psychoanalytiker zunichte macht, denn sie denken mit übergroßer Freude an den schließ-
lichen Erfolg der Behandlung des Patienten, sehen mit unbewußter aggressiver Lust der
Überwindung seines Widerstands entgegen. Ich habe einen Analytiker mit offenkundigem
Vergnügen bemerken gehört; „Unsern entscheidenden Kampf (battle royal) haben
wir noch nicht gehabt." Damit enthüllte er die zugrunde liegende Verschiebung verdrängter
libidinöser Tendenzen auf den Patienten. Es handelt sich um etwas, was man als „elterlichen
Komplex“ des Analytikers bezeichnen könnte — er fordert die Unterwerfung des Patienten.
schwer, den Zusammenhang einzusehen. Der drohende Tod einer geliebten Person
läßt alle Liebe, die man ihr zuwendet, aufblühen. Aber diese Liebe des Patienten i
zu seinem Vater — Freud stellt ja für ihn den Vater dar — bedeutet die größte ^
Gefahr für seine Männlichkeit; dieser Liebe freien Lauf lassen, war ja verbunden mit I
der Notwendigkeit der Kastration. Diese Gefahr wehrt der Narzißmus des Patienten
mit allen Kräften ab: Die Liebe wird teils verdrängt, teils in Haß verwandelt. Die
Folge dieses Hasses ist der Todeswunsch gegen den Vater. So verstärkt Freuds Er¬
krankung die gefahrvolle passive Liebe des Patienten und den damit zusammenhän¬
genden Kastrationswunsch so sehr, daß die Abwehr und Feindseligkeit einen neuen
Mechanismus der Abfuhr nötig macht; und dieser ersteht ihm in Form der Pro-
jektdon.‘‘
■■■■• ‘ ’ »v'ii
Ich möchte dazu folgendes bemerken: Als der Patient den Gedanken faßte,
daß sein Vaterersatz vielleicht sterben werde, waren die Grundlagen seines
seelischen Lebens unterminiert, und infolgedessen lebten die verdrängten Kon¬
flikte neu auf. Wie mir die Analyse zu ergeben scheint, hatte der Patient 1
seinen tiefen Haß gegen den Vater und seine leidenschaftliche Liebe zu seiner I
Mutter verdrängt und das infolge eines psychischen Traumas, welches durch
ein Wissen um die Scheidenblutung der Mutter verursacht worden war —
(dasselbe kann meiner Meinung nach jedem Kind durch die Menstrualblutung
seiner Mutter geschehen); mit der Scheidenblutung ist Todesdrohung ver¬
knüpft —' infolgedessen hatte der Patient seine Männlichkeit unterdrückt
und war passiv homosexuell gegen seinen Vater geworden, d. h. er hatte sich
mit der Mutter identifiziert und seine libidinösen Wünsche auf den Vater ge¬
richtet, wobei er alles Wissen um seine frühere Leidenschaft für die Mutter
verdrängte. So war er imstande, seine Todesfurcht bis zu einem gewissen Aus¬
maß zu überwinden. Nun lebte die Todesangst infolge des drohenden Todes
seiner Vater-Imago neu auf. Überdies erweckte die später stattfindende
„Operation^‘ die Kastrationsangst aufs neue, die früher durch die Todesangst
verstärkt worden war.
Aus einigermaßen ähnlichen Gründen schmückt der Sohn die Mutter mit
einem Phallus und schreibt ihr eine Aggressivität zu, die dem Vater gehört:
So kommt er um die unangenehmen Gedanken herum, die der Augenschein
ihres Blutens ihm aufgedrängt hatte, und läßt sich gleichzeitig die Möglichkeit
offen, später wieder um ihre Liebe zu werben, diesmal aber als Frau. Bevor
dies jedoch geschehen kann, muß die verschobene Rivalität mit dem Vater
durchgearbeitet werden — zahlreiche Beweise für alles dies finden sich in der
Durga-Mythe der Hindu-Mythologie.
Dieser Vater, den er nun (aus verdrängtem Haß und verschobener Liebe)
auf eine passiv-homosexuelle Art liebt, ist operiert worden und hat daher in
der Phantasie dasselbe blutige Aussehen, das den Sohn dazu veranlaßte, seine
inzestuöse Liebe zu seiner Mutter zu verdrängen. So wurden seine doppelt
bedingten Todeswünsche freigemacht.
Wir sehen, daß Freuds Krankheit nicht nur die Liebe des Patienten an-
Der Kern des Ödipuskomplexes i8i
fachte, sondern schließlich all seinen verdrängten Haß gegen beide Eltern
freisetzte, ein Zustand, gegen den sein Ich nicht erfolgreich anzukämpfen ver¬
mochte, wie sich wohl begreifen läßt. Wir verstehen nun wohl leichter, warum
eine Frau ihm helfen konnte, seine Konflikte aufzulösen, und eine Kur zu
vollenden vermochte, die zuvor einem erfolgreichen Abschluß schon so nahe
gewesen war. Der Patient war nicht so sehr bemüht, seine Männlichkeit vor
der Kastration zu schützen — das zeigt seine Erregung, als er (symbolisch)
kastriert wurde und blutete (obgleich dies auf eine andere Stufe gehört) —,
sondern er strebte danach, sich seine Abwehrmittel gegen die Todesfurcht zu
erhalten. Die völlige Identifizierung eines Sohnes mit der Mutter, die nach
mancherlei Zwischenfällen auf das Menstruationstrauma folgt, scheint an¬
zudeuten, daß das Individuum die Vorstellung der Kastration der der völligen
Vernichtung durch Gefressenwerden vorzieht. Der Leser möge an jene Träume
denken, in denen der Patient seinen Penis opfert, um sein Löben zu retten.
In dem Fall meines Patienten „X“ zeigt einer seiner Träume deutlich, daß
die Furcht vor dem Gefressenwerden hinter der Kastrationsangst steht; —
normalerweise verstärkt diese die Todesangst. In diesem Traum war der
Patient schon kastriert und hoffte, daß der Vater (in der Gestalt eines Tigers)
seine Genitalien fressen, ihn aber am Leben lassen werde.
Hinter der Furcht vor dem Bluten liegt phylogenetisch die Anziehung der
weiblichen Brunst, deren ontogenetische Parallele der Tropismus der Frau ist.
Der Geruch der weiblichen Genitalien wird vom Erwachsenen nur im Zustand
der Leidenschaft lustvoll erlebt, zu anderer Zeit wirkt er abstoßend.
Frauen lassen instinktiv die Menstruation eintreten, wenn sie die Leiden¬
schaft eines Liebhabers neu entfachen wollen, denn sie wissen sehr gut, daß
dieser Zustand die Begierde eines Liebenden wieder zu entzünden imstande ist,
die, wie sie etwa fürchten, durch seine Abwesenheit abgeschwächt worden sein
mag.2» Die Menstruation errichtet im Wege des Tabu eine Schranke, die in
Wirklichkeit die Inzestschranke ist, die Vorstellung des Blutens erweckt un¬
bewußt Aggressivität und Männlichkeit. Diese müssen aber beherrscht werden,
weil die Frau zur Zeit tabu ist. So errichtet jede Menstruation die Inzest¬
schranke für den Mann, denn während ihrer Dauer ist die Frau für ihn eine
Mutter. Sobald sie vorüber ist, befriedigt er in der normalen Sexualbetätigung
auch die unbewußten inzestuösen Phantasien.
Bevor wir zur Betrachtung paralleler Fälle übergehen, möchte ich noch
einige Einzelheiten des Wolfsmann-Falles kurz erwähnen. Erstens wollen wir
die Möglichkeit erwägen, ob nicht das Kind, da die Mutter an dauernden
Blutungen litt, leicht tatsächlich Blut zu Gesicht bekommen konnte, vielleicht
auch in der Urszene im Augenblick, da der Vater sich zurückzog. Zweitens
möchte ich dem Einwand zuvorkommen, ich hätte Freuds Material erweitert
20) Ich habe dafür unverkennbare Beweise erlebt — der Leser vergleiche aber auch
Groddecks Beobachtungen im „Buch vom Es", 3.Aufl. 1934. Int. Psa. Verlag, Wien.
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/2 ^
n
182
C. D. Daly
oder übermäßig interpretiert, obgleich es klar sei, daß er, der in täglichem
Kontakt mit dem Patienten stand, weit mehr Gelegenheit gehabt haben müsse,
richtige Schlüsse zu ziehen. Ein solcher Einwand wäre jedoch nicht triftig:
Ebensowenig dürfen Anthropologen Einspruch dagegen erheben, daß ihr Ma¬
terial von Psychoanalytikern auf Grund ihres Wissens um die unbewußte
Symbolik, das durch die psychoanalytische Forschung gewonnen worden ist,
neu interpretiert wird. Drittens ist bisher noch nicht erwähnt worden, daß
das Wort „Schleier“ in allen solchen Fällen eine wichtige Rolle spielt. Es wird
von Patienten, Analytikern, Schriftstellern und Dichtern immer gebraucht,
wenn auf Dinge hingewiesen werden soll, hinter denen der Menstruations¬
komplex verborgen liegt. Ich habe in dieser kurzen Zusammenfassung des
Wolfsmann-Falles vom „Schleier“ nicht gesprochen, weil seine Bedeutung sehr
viel klarer in dem Material Groddecks zutage tritt, das wir nun betrachten i
wollen. 1
V. Eine weitere Bestätigung der Bedeutung des Menstruations¬
komplexes durch Groddecks Fall des Herrn D.^^
Ich stelle den Fall im folgenden zunächst im Anschluß an den Krankheits¬
bericht Groddecks dar.
Wer diesen Bericht gelesen hat, wird wissen, daß der Patient, ein junger deutscher
Offizier, an häufigen Anfällen von hitzigem Fieber litt, an Geschwüren, Ohnmächten,
Herzstörungen, Skleroderma usw. Er war oft gefährlich krank, „vermutlich“ auch
„syphilitisch“.
Seine Analyse zeigte, daß er Fieber bekam, wenn an seinem Ödipuskomplex ge¬
rührt wurde und die „syphilitischen“ Symptome wieder auftraten, wenn man sich
der Impotenzvorstellung näherte.
Das Fieber war, wie sich herausstellte, das Ergebnis dnes Schamgefühls darüber,
daß er gegen seine Mutter gleichgültig geworden war, die er früher leidenschaftlich
geliebt hatte; die „Syphilis“ hingegen war ein Mittel, seinen Vater zu strafen an >
seinem eigenen Geschlechtsorgan, das den Vater als Erzeuger symbolisierte. Im I
Vordergrund jedoch stand die Leidenschaft für die Mutter, und nach Groddecks ,
Meinung bewiesen die Anfälligkeit, die Häufigkeit und die Dauer der Krankheit, wie j
sehr der Patient immer noch an die Mutter-Imago gebunden war. Er wünschte,
seinem Vater zu gleichen, damit er die Mutter besitzen könne. j
Er war bei Frauen der Gesellschaft (entsprechend dem Mutterideal) impotent, bei 1
Prostituierten (entsprechend dem verdrängten Mutterersatz) hingegen potent. Die |
Anfälle von Skleroderma erwiesen sich als Selbsbestrafung dafür, daß er ein später
geborenes Geschwister loszuwerden wünschte — offenkundig eine Folge seiner I
Leidenschaft für die Mutter. Ihre Schwangerschaft und das spätgeborene Kind |
hatten ihn mit Mord- und Rachegedanken erfüllt.
Der Gedanke an Syphilis entsprang dem Mutterkomplex, der so stark war, daß er
immer wieder neue Symptome hervorbrachte. Alle Ärzte ließen sich täuschen. Der
Patient glaubte, daß er syphilitisch sei, weil er, wie er sagte, einmal Verkehr mit
einer Prostituierten hatte, die einen Schleier trug. Es leuchtet ein, daß seine
21) Groddeck, Das Buch vom Es, 3. Aufl. 1934, Int. Psa. Verlag, Wien.
Der Kern des Ödipuskomplexes
183
vermutliche“ Syphilis einerseits eine Selbstbestrafung für sein unbewußtes Inzest¬
verbrechen (Beziehungen zu Prostituierten = Mutter) war, anderseits ein Ausdruck
seiner Weiblichkeit und seines unbewußten Wunsches, von der Mutter
geschwängert zu werden.^^
Als er Zweifel in Groddecks Gesicht las, sagte er: „Alle Straßenmädchen, die
einen Schleier tragen, sind syphilitisch.“ Groddeck war dieser Gedanke neu, aber,
da er ihn für vernünftig hielt, forschte er weiter.
„Sie glauben also, daß dieses Mädchen Sie infiziert hat?“
„Ja“, sagte der Patient und fügte sofort hinzu: „Ich weiß aber nicht, ob ich in¬
fiziert wurde. Sicher nicht später, denn ich habe seither nie mehr Verkehr mit
einer Frau gehabt. Den Morgen darauf bekam ich Angst, und ich ging zu einem
Arzt, um mich untersuchen zu lassen. Er trug mir auf, in einigen Tagen wieder¬
zukommen. Das tat ich, erhielt aber aufs neue die Weisung, wiederzukommen; das
ging einige Zeit so, bis er mir eines Tages halb lachend und halb ärgerlich sagte,
daß ich ganz gesund sei und von Syphilis nicht die Rede sein könne. Seither habe
ich mich von zahlreichen Ärzten untersuchen lassen. Keiner hat es gefunden.“
„Aber Sie standen doch, bevor Ihre Erkrankung während der Kriegszeit begann,
in antiluetischer Behandlung?“ fragte Groddeck.
„Über mein eigenes Verlangen. Ich dachte, daß meine Kopfschmerzen, mein
Beingeschwür, mein Armleiden, alles von Syphilis herrühren müsse.“ (Syphilis = Schwän¬
gerung durch die mit einem Penis ausgestattete Mutter oder durch den Vater in der
passiven Phase.) „Ich hatte alles gelesen, was über Skleroderma geschrieben worden
ist, und manche Autoren bringen es mit Syphilis in Zusammenhang.“
„Aber Sie waren erst fünfzehn Jahre alt, als es anfing?“
„Mit hereditärer Syphilis“, fiel er ein. „Ich habe niemals ernstlich an die Infek¬
tion geglaubt, sondern dachte, daß mein Vater syphilitisch gewesen sei.“
Er schwieg eine Weile; dann sagte er: „Wenn ich mich recht entsinne, trug das
Mädchen, von dem ich sprach, gar keinen Schleier. Im Gegenteil, ich weiß
genau, daß sie nicht den kleinsten Fleck auf dem ganzen Körper hatte.
Ich zog sie nackt aus, ließ das elektrische Licht die ganze Nacht brennen, betrachtete
sie nackt vor dem Spiegel, las ihr Buch — mit einem Wort, es ist ganz ausgeschlos¬
sen, daß sie krank war. In Wirklichkeit hatte ich schreckliche Angst, ich sei ein
hereditärer Syphilitiker. Deshalb ging ich zum Arzt, und ich erzählte ihm den
Lügenbericht, daß das Mädchen verschleiert gewesen sei, weil ich meinen Verdacht
gegen meinen Vater nicht eingestehen wollte, und seither habe ich jene Lüge so oft
wiederholt, daß ich sie schließlich selber glaubte. Jetzt aber nach der analytischen
Behandlung weiß ich ganz bestimmt, daß ich niemals dachte, das Mädchen sei syphi¬
litisch, und daß sie keinen Schleier trug.“ Betroffen von der Absonderlichkeit dieser
Erzählung, fragte Groddeck den Patienten um seine Einfälle zum Wort „Schleier“,
Es kamen zunächst zwei Antworten: „Der Witwenschleier“ und „Raphaels Ma¬
donna mit dem Schleier“. Aus diesen beiden Assoziationen ergab sich eine lange
Reihe anderer, welche Groddeck zusammenfassend bespricht:
Der Witwenschleier führte sofort zum Tode des Vaters und der Trauer der
Mutter. Daraus ergab sich alsbald, daß D. im Lauf seines Kampfes um die Ver¬
drängung des Inzestwunsches seine Mutter mit der Prostituierten identifiziert hatte;
er hatte S'ie fiktiv mit dem schwarzen Schleier bedacht und sie in der Phantasie
Zu einer Syphilitikerin gemacht, weil sein Unbewußtes glaubte, daß es auf diese
Weise mit dem nächsten Wunsch leichter fertig werden würde: Die Mutter mußte
und sollte aus seinem erotischen Leben ausgeschlossen werden. Wer an Syphilis er-
22) Vgl. den Durga-Mythos.
13 ’
krankt ist, darf vom Mann nicht begehrt werden; deshalb mußte seine Mutter als
Syphilitikerin gelten. Das gelang aber nicht — wir werden bald sehen, warum —
und so mußte ein Ersatz gefunden werden. Dies geschah mit Hilfe der Schleier¬
assoziation, und um die Schranke zu verstärken, wurde die Vorstellung ausgearbeitet,
daß der Vater syphilitisch gewesen sei.
Daß der Patient nicht an die Syphilis der Mutter geglaubt habe, sei leicht zu be¬
greifen, sagt Groddeck; aber Herr D. habe daran einen anderen Gedanken ge¬
knüpft, der sich in der Assoziation der „Madonna mit dem Schleier“ zeigte. D. machte
seine Mutter unnahbar, unbefleckt und schaltete so den Vater völlig aus; dies hatte
noch den weiteren Vorteil, daß er von sich selbst nun glauben konnte, er sei gött¬
lichen Ursprungs, von einer Jungfrau geboren.
Um seinen Inzestwunsch zu verdrängen, trotzte er seiner Mutter und würdigte
sie gleichzeitig zu einer syphilitischen Prostituierten herab.
Groddeck hat uns noch mehr über diesen außergewöhnlich lehrreichen
Fall zu sagen, doch ist es angezeigt, an dieser Stelle eine weitere Betrachtung
der bereits dargelegten Tatsachen in bezug auf meine eigene. Theorie einzu¬
schieben, d. h. auf die Theorie, daß der Menstruationskomplex der
Kern des männlichen oder eigentlichen Ödipuskomplexes und
die Hauptursache der Verdrängung desselben ist. Die Einzelheiten
dieser Verdrängung werden in dieser Arbeit an anderer Stelle erörtert. Wir
haben im vorangehenden Bericht nur Menstruation mit Syphilis gleichzusetzen
und werden den Ursprung der Erkrankung des Patienten verstehen. Jede
„unbefleckte“ Göttin bedeutet auch eine Verleugnung der Sexualität und
der Menstruation der Mutter; sie stellt die Verdrängung des Sexuellen und ein
„Ideal“ dar. Die Erinnerung an die Monatsblutung der Mutter fällt ebenfalls
der Verdrängung anheim, desgleichen die Erinnerung an die aggressive Be¬
gierde, die jenes Bluten einst im Sohn erweckt hatte. Übrig bleibt als einziges
Anzeichen der durchlebten Konflikte gewöhnlich nur ein größeres oder ge¬
ringeres Ausmaß sadistischer Grausamkeit, und auch diese wird häufig durch
übermäßige Zärtlichkeit wieder verdeckt.
Die Anspielungen auf den Schleier, die Herr D. im Zusammenhang mit
seiner eingebildeten Syphilis macht, liefern, wie ich glaube, sehr wertvolle
Beweise für meine Theorie. Phylogenetisch läßt sich der Ursprung des
Schleiers darauf zurückführen, daß die Hülle, welche die Sexualorgane der
Frau zur Zeit ihrer Brunst verbarg, d. h. das Mittel, das der Isolierung ihres
Reizes diente, Gegenstand einer Verschiebung von unten nach oben wurde.
Vielleicht wurde der Schleier zuerst benützt, um zu verhindern, daß die ge¬
fährlichen Tropismen sich ringsum verbreiteten; später mag er dazu gedient
haben, die sichtbaren Zeichen der Menstruation zu verbergen, die als immer
wiederkehrende Krankheit galt.^^ Aus den gegebenen Assoziationen zeigt sich,
daß auch wohl eine enge Beziehung zwischen der Prostituierten, bei der
Herr D. sich die Infektion geholt zu haben glaubte, und dem unbewußten
verdrängten Mutterkomplex besteht, der in den Hinweisen auf die Madonna
23) Daly, Imago, XIV, 1928.
Der Kern des Ödipuskomplexes 185
zum Ausdruck kommt. Was kann diese parallele Assoziation sein? Geht es
dabei nicht um den Schleier? Was der Schleier ist, können wir aus den Be¬
merkungen des Patienten mit Gewißheit erraten, obgleich er die Nennung
der Sache noch unterdrückt. Wenn wir anstatt Schleier „Monatsbinde*^ setzen,
ist das Geheimnis enthüllt; doch infolge der Intensität des Menstruationstabu
wurde diese Mitteilung unterdrückt. Ob das Mädchen damals ihre Monats¬
blutung hatte oder nicht, wissen wir nicht, aber die Assoziation zwischen
Schleier und Anzeichen von Krankheit auf dem Körper zeigt sich
darin, daß er seine ursprüngliche Mitteilung, er habe sich bei einer kranken
Prostituierten Syphilis geholt, ableugnet — das sieht sehr nach einem Wider¬
stand aus. Vielleicht heuchelte er, weil er sein allzu schmerzliches, und tief
verdrängtes Geheimnis, die Menstruation der Mutter betreffend, nicht preis¬
geben wollte. „Wenn ich mich recht entsinne,** — eine solche Wendung muß
uns wohl mißtrauisch machen! — „trug das Mädchen von dem ich sprach, gar
keinen Schleier. Im Gegenteil, ich weiß genau, daß sie nicht den kleinsten
Fleck auf dem ganzen Körper hatte.** Hier haben wir den wahren Grund für
die Ableugnung seiner ersten Mitteilung. Er flieht vor dem Gedanken, daß
seine Mutter krank sei (= menstruiert); und er verschiebt den Gedanken
ebenso wie in der Kindheit auch jetzt wieder auf den verhaßten Vater. Auch
möchte er seine verdrängten muttermörderischen Neigungen nicht enthüllen.^^
Der Gedanke, daß er krank werde, wenn er mit einer menstruierenden Frau
verkehre, hat sich dem Mann schon früh in der Phylogenese tief eingeprägt; und
vielleicht war er ganz früh in der Geschichte des Menschen wifklich wahr.
Denn, wie ich schon anderswo darlegte, kann die Kongestion, die im Körper
der Frau dadurch entsteht, daß sie zur Zeit ihrer physiologischen Bereitschaft
nicht befruchtet wird (d. h. durch die Unterdrückung ihrer Brunst zur Zeit
der Pubertät), eine bakteriologische Infektion erleichtert haben; möglicher¬
weise sind daher die Geschlechtskrankheiten des Menschen gleichzeitig mit
dem Inzestgesetz entstanden. Dies ist nur eine Hypothese, aber eine, welche
die Bakteriologie auf Grund der Wahrscheinlichkeit stützen kann, denn Bak¬
terien entwickeln sich in solchen kongestionierten Organen besonders gut;
Psychologen anderseits, welche sich die Theorie des „Es** zu eigen gemacht
haben, werden der Ansicht zustimmen, daß das unbefriedigte „Es**, unfähig,
sein Endziel der Befruchtung zu erreichen, sehr wohl eine „Schwängerung**
des Körpers mit Krankheitskeimen erleichtert haben kann. Groddeck
würde meine Hypothese jedenfalls gelten lassen. Sollte es nur Zufall sein, daß
Herrn D.s Krankheit begann, kurz nachdem seine Mutter schwanger geworden
war? Sie war nun doppelt krank, und an beiden Übeln trug der Vater die
Schuld. Alles Wissen darum, sowie um die Geburt seines kleinen Bruders
und um seine grausamen Wünsche gegen die Eltern und diesen kleinen
Rivalen verdrängte er.
24) Dürkheim, La prohibition de l’incest, L’ann^e sociolog., 1898.
i86
C. D. Daly
Die Assoziationen des Patienten lassen in uns keinerlei Zweifel bezüglich der
Bedeutung des Schleiers. Denn er bringt seine Mutter mit dem schwarzen
Schleier (= Tod) in Beziehung erstens zu der Prostituierten, die Krankheit
symbolisiert, zweitens zur Syphilis und drittens zur Madonna. Auf der einen
Stufe, der der Verdrängung, kann er keine Beziehungen zur Mutter haben, weil
sie eine Prostituierte und Syphilitikerin ist, weil sie menstruiert, dem Vater ge¬
hört, usw.; auf der anderen, auf der des projizierten Ideals, kann er keine Be¬
ziehungen zu ihr haben, weil sie eine unbefleckte Jungfrau ist, ein geschlechts¬
loses Wesen, obgleich der Schleier anzeigt, daß sie dennoch ein menstruierendes
Weib ist. Mit diesen beiden Stufen stehen sein Fieber und seine Impotenz in
Zusammenhang, der Ausbruch der Krankheit hingegen mit der späten Schwan¬
gerschaft der Mutter.
Ich möchte nun Freuds ursprüngliche Theorie über das Verhalten vieler
männlicher Neurotiker, die gegenüber einer sozial gleichstehenden Frau
impotent, bei Prostituierten aber potent sind, dahin erweitern, daß dabei im
Unbewußten der Menstruationskomplex mitwirkt. In der Phase nach dem
Menstruationstrauma ist die Mutter gleich der Madonna „ideaP^ der Sohn gibt
in diesen Fällen häufig nicht zu, daß die Mutter menstruiert, und fürchtet
stets, daß er krank werden könnte, wenn er mit einer Prostituierten Verkehr
hat. Diese Furcht ist mehrfach determiniert: einerseits symbolisiert die Pro¬
stituierte im Unterbewußtsein die verdrängte „menstruierende^^ Mutter, die er
sehnsuchtsvoll begehrt und gleichzeitig haßt, und der er in seiner Identifizie¬
rung mit dem Vater dasselbe tun möchte, was dieser ihr seiner Meinung nach
tat: sie bluten machen und sie schwängern. Auf dem Wege seiner späteren ver¬
drängten passiven Homosexualität fürchtet er aber auch umgekehrt, nachdem
er Verkehr mit der Prostiuierten gehabt hat, daß die Mutter ihrerseits ihn
geschwängert, krank, d. h. syphilitisch gemacht haben könnte. Diese Furcht
wird durch Gedanken an den Vater verstärkt, dem er in der Kindheit den
Tod wünschte (diesen Wunsch verschob er auf die Mutter), und durch Scham
vor der Mutter, die, das fühlt er, seine Tat als Untreue gegen sie auffassen und
überdies merken wird, daß er sich immer noch sexueller Betätigung erfreut,
obgleich er diese sehr sorgfältig vor ihr verbarg und sie nur insgeheim betrieb;
denn alle seine späteren Beziehungen zur Mutter zeigten nichts anderes als
zärtliche Liebe.
Ich bin deshalb der Meinung, daß „Schleier“ die Monatsbinde symbolisiert
und auf der tiefsten Regressionsstufe die Windel. Eine häufig gebrauchte
Wendung lautet: einen Schleier über etwas Schmähliches oder Unangenehmes
breiten; das Schmähliche oder Unangenehme wird hier symbolisch mit der
„Schande der Frau verglichen, ein Zustand, der ihr, wie ich gezeigt habe, in
der Phylogenese durch die Inzestschranke auf gezwungen wurde, und dessen
unvermeidliches Ergebnis die Unterdrückung jener mit der weiblichen Brunst
verknüpften sexuellen Reize war, denen der Mann einst nicht zu widerstehen
'"^iSchstwahrscheinlich verursachte in der Phylogenese die Tatsache, daß die
u während ihrer Brunst nicht geschwängert wurde, beim Menschen jene
rkc Blutung, die als Menstruation bekannt ist; auf dem Wege der Re-
! ssion zu der früheren kannibalistischen Stufe (deren ontogenetische Par-
°Me sich in dem Kinde an der Mutterbrust zeigt) verwandelte dieses Bluten
die normale aggressive Seite des Sexualtriebs in Sadismus und setzte an Stelle
dir Zärtlichkeitskomponente jene der Grausamkeit und des Hasses.
Der Abscheu, der durch den Anblick der Blutung der Frau hervorgerufen
wird, erfordert, daß der daraus entstehende Haß im Leiden des Sexualobjektes
seelische Befriedigung erfahre, bevor dem Angreifer normale Befriedigung
zuteil werden kann. Das Ausmaß des geforderten Leidens steigert, sich in
extremen Fällen bis zur Notwendigkeit zu töten, damit sexuelle Befriedigung
eintreten kann.
VI. Belege für die psychologische Bedeutung der Scheiden¬
blutung in einer Arbeit Lampl-de Groots^®
In den Arbeiten Lampl-de Groots interessiert uns besonders folgender
Fall: Eine Patientin beschrieb ihre Phantasien in bezug auf Spitalspatienten
und sprach von einem Gefühl schaudernder Lust, das sie überkomme,
wenn sie sich die schmerzhaften blutenden Wunden vorstelle. Es
überrascht uns nicht, zu hören, daß diese Patientin auf dem Wege ihres Penis¬
neides und Wetteifers die Vorstellung einer blutenden Wunde auf die Eichel
ihres Bruders verschoben hatte. Daß ihre Furcht vor dieser blutenden Wunde
sich in Wirklichkeit auf ihre eigene Person bezieht, und das auf dem Wege ihrer
Identifizierung mit ihrer Mutter, zeigt sich klar aus ihrer Christus-Identifi¬
zierung. Eine weitere Interpretation dieser Identifizierung besagt,^ daß das
kleine Mädchen nach dem Menstruationstrauma ihre Männlichkeit aufgibt
und den Vater, den sie früher als Nebenbuhler betrachtet hatte, zu ihrem
Objekt macht.
Jene „schaudernde Lust*' erinnert an das ähnliche Gefühl des Wolfsmanns
beim Anblick des Blutes, das bei seiner kleinen Operation floß; ferner auch
an die angstvolle Freude, die junge Mädchen in der Pubertät bei ihren ersten
Menses empfinden. Das Schaudern gehört dem verdrängten Kastrations¬
komplex und dem Menstruationstrauma an sowie dem damit verknüpften
sichtbaren Beweis der Verletzbarkeit des weiblichen Körpers;^® in unbewußtem
Widerspruch dazu steht die stolze Freude über den Beginn des reifen Alters
und das Wissen des jungen Mädchens, daß es nun Männern ebenso begehrens¬
wert sein wird, wie seine Mutter einst dem Vater war.
25) Lampl-de Groot, Int. Ztschr. f. Psa., XIII, 1927*
16) Horney, Int. Ztschr. f. Psa., XIX, 1933.
Ohne hier auf die mythologische Bedeutung der heiligen Seitenwunde näher
ge en (siehe z, B. Pfister: „Die Frömmigkeit des Grafen Zinzendorf“)
emerken wir, daß die Vatergottheit im Zusammenhang mit der blutenden
SteX A gefürchtet wird. So nimmt der Sohn, der schließlich an
A g A-’^ ä'e^’gowheit trat, diesen Schrecken vor dem Vater, symbolisiert
durch die blutende Wunde, wieder auf sich, nachdem er ihn infolge des Z
strations- und des Menstruationskomplexes auf das Weib verschoben hatte
unserer menschlichen oder männlich-homosexuellen
Seilschaft notwendig; es wurde die schwindende Furcht des Mannes vor
Gott (dem Vater) dadurch verstärkt, daß seine größere Furcht vor der Frau
m den Dienst der verdrängenden Kräfte gestellt wurde. So wurde auch die
utter introjiziert und bildet fürderhin einen Teil des strafenden Über-Ichs
primitiveren Stadium in
der Sitte der Subinzision bei wilden Völkerstämmen. Hier flößen die Älteren
durch das Bluten der Schnitte die sie sich in den Penis machen, den Initiierten
Irrr schwindende Autorität, indem sie die Kastrations¬
angst verstärken. Auf diese Weise sichern sie sich die völlige Unterwerfung
so weit, daß sie sich der Initiierten als
homosexueller Objekte bedienen, bevor sie ihnen einen heterosexuellen
säcHit"^ Befriedigung ihrer Leidenschaft erlauben. So wird hier der Sohn tat-
sachlich zur Ehefrau gemacht.^^
mittelhr"' Lampl-de Groots findet sich zwar kein un-
TedT? Menstruationstrauma, wohl aber eine für uns
auß Z Patientin wurde während der Pubertät von einem
außerordentlich starken Widerwillen gegen jegliche sexuelle Tendenzen erfaßt
«füh • d- Minderwertigkeits-
setf (= männlich zu
sein). Sie verriet Neid, Eifersucht und deutlich erkennbare muttermörderische
N igjgen, hinter denen die tiefere Leidenschaft ihres negativen ödipus-
fnrLkht wT r., iT Kastrationskomplex
off d Schuldgefühle zwangen sie, sich seelisch zu kastrieren, so-
ihrem Gatten keine Befriedigung finden, weil sie in ihrem negativen ödipus-
komplex fixiert war Wie bei Knaben fällt auch bei Mädchen "die
donstT^"^^^' Menstrua-
tionstrauma.
(Der zweite Teil dieser Arbeit wird im nächsten Heft der Zeitschrift veröffentlicht werden.)
> 1932-
27) Rohe im, Imago, XVIII,
über den Einfluß psychischer Faktoren
auf gastrointestinale Störungen
L
Allgemeine Grundsätze, Ziele und vorläufige Ergebnisse
Von
Franz Aiexandier
Chicago
Die Erforschung des Einflusses psychischer Faktoren auf gastrointestinale
Störungen, die uns gegenwärtig am Psychoanalytischen Institut in Chikago
beschäftigt, ist nur ein Teil eines umfassenderen Arbeitsplanes, nämlich der
systematischen Ergründung des Einflusses psychischer Faktoren auf die ver¬
schiedenen vegetativen Systeme, auf das Kreislauf-, das Atmungs- und das
endokrine System. Der Grund dafür, daß wir mit der Erforschung paralleler
Fälle von gastrointestinalen Störungen beginnen, ist ein dreifacher:
1. Ich machte in früheren Jahren bei Fällen von Magenneurosen gewisse Be¬
obachtungen, die mir nicht nur typisch für derartige Erkrankungen schienen,
sondern auch wichtig für die Ätiologie peptischer Geschwüre, die eines der
großen Rätsel der internen Medizin ist. Bei einem Patienten mit einer 15 Jahre
alten chronischen Magenneurose, der vorübergehend auch ein peptisches Ulkus
bekommen hatte, konnte ich sehr deutlich eine Beziehung zwischen Gefühls¬
konflikten und gastrischen Symptomen verfolgen. Mit zunehmender Er¬
fahrung empfand ich immer stärker den Wunsch, eine Anzahl ähnlicher Fälle
zu studieren, durch die jener Zusammenhang bestätigt werden mochte. In
der Privatpraxis ist die Auswahl passender Fälle nicht immer möglich; die Er¬
richtung des Instituts für Psychoanalyse in Chikago, das vor allem der For¬
schung dienen soll, hat mir die gewünschte Arbeitsgelegenheit geboten und
zugleich die Möglichkeit, taugliche Parallelfälle auszuwählen.
2. Der zweite Grund dafür, daß wir mit dem Studium des Gastrointestinal¬
trakts begannen, lag in der sowohl von Organikern als auch von Psycho¬
analytikern anerkannten Tatsache, daß die Verdauungsorgane vom seelischen
Apparat mit Vorliebe dazu benutzt werden, gewisse Gefühlsspannungen zu
erleichtern. Der Zusammenhang zwischen psychischen Reizen und physischem
Ausdruck ist hier unmittelbar und verhältnismäßig einfach. Orale Auf¬
nahme- und aggressive Wegnahme-Tendenzen wie auch anal-sadistische und
zurückhaltende Impulse stehen in einer längst bekannten Beziehung zu Ekel,
i) Dies ist der erste Teil eines Symposions, an welchem F, Alexander, Catherine
Bacon, George Wilson, Maurice Levine und Harry Levey teilgenommen haben. Ver¬
öffentlicht in Psa. Qu., V0I.III, 1934; aus dem Englischen übersetzt von Helene Reiff.
igo
Franz Alexander
Erbrechen, Verstopfung und Durchfalld“ Auf diesem Gebiet konnte unsere
Forschungsarbeit daher von anerkannten Voraussetzungen ausgehen, wir hatten
festeren Boden unter den Füßen als etwa auf dem Gebiet der Atmungsorgane
oder auf dem der inneren Sekretion.
3. Schließlich konnten wir aus der von Internisten bereits geleisteten For¬
schungsarbeit Nutzen ziehen. Denn die interne Medizin erkennt in zunehmen¬
dem Maße, welche Bedeutung bei vielen Störungen des Gastrointestinaltrakts
psychischen Erscheinungen als verursachenden Faktoren zukommt.
Obgleich wir von wertvollen psychoanalytischen und medizinischen Beob¬
achtungen ausgingen, mußten wir doch erkennen, daß alle Feststellungen
sowohl der Organiker als auch der Psychoanalytiker unvollständig geblieben
waren. In der Medizin ist die Haltung in bezug auf die Ätiologie gewöhnlich
folgende: Sobald nachgewiesen ist, daß das Symptom keinerlei organischen
Ursprung hat, glaubt man sich berechtigt, auf psychische Faktoren zu
schließen, wenn sich nur im Verhalten des Patienten das zeigt, was man ge¬
meinhin als „Nervosität“ bezeichnet. Ist eine solche Diagnose gestellt und
mit Hilfe verschwommener Wendungen der Alltagssprache, wie etwa „nervöse
Erschöpfung“, „labile Persönlichkeit“, „Überarbeitung“, oder eines Gemisches
von alten und neuen Fachausdrücken wie „Neurasthenie“, „Psychasthenie“,
„Psychopathie“ und anderen mehr oder weniger unbestimmten Bezeichnungen
formuliert, so hält sich der Arzt bereits für fähig, eine Therapie vorzuschrei¬
ben. Die allgemeine Ansicht geht dahin, daß das Nervensystem des Patienten
durch Sorgen, Befürchtungen, Unzufriedenheit mit seinem Dasein oder ein¬
fach nur durch zu große Verantwortung oder allzuviel Arbeit zu schwer be¬
lastet sei. Und es besteht nur geringe Neigung dazu, die psychische Situation
des Patienten gründlicher zu erforschen.
Ich möchte die Bedeutung ei ner so ausgezeichneten Publikation, wie sie
I») Hier einige Hinweise auf die ursprünglichen Beobachtungen verschiedener analytischer
Autoren:
Über den grundlegenden Zusammenhang zwischen Nahrungstrieben und erotischen Trieben
siehe Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Ges. Sehr. Bd. V.
Über die Abwehr- oder Zuriiekweisungstendenz im Erbrechen siehe Ferenczi, S.: Hy¬
sterische Materialisationsphänomene, Hysterie und Pathoneurosen, Int. Psa. Verl., Wien, 1919.
Siehe auch: Ekel vor dem Frühstück, Int. Ztschr. f. Psa., Bd. V, S. 117, 119.
Über den Einfluß von Komplexen auf den Darm siehe Ferenczi: Hysterische Materiali¬
sationsphänomene, loc. cit., S. 16,
Über psychische Faktoren bei Konstipation und bei Diarrhöe siehe
Freud, S.: Aus der Geschichte einer infantilen Neurose, Ges. Schriften, Bd. VIII.
Abraham, K.: Zur narzißtischen Bewertung der Exkretionsvorgänge in Traum und
Neurose, Int, Ztschr. f. Psa., Bd, VT, S. 64, 1920; Ergänzungen zur Lehre vom Analcharakter,
Int. Ztschr. f. Psa. Bd. IX, S. 21, 1923; Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Libido,
Int. Psa, Verl., Wien, 1924.
Jones, E.: Papers on Psycho-Analysis, New York, Wm. Wood and Co., 1923, S. 6S1.
Alexander, F.: The Medical Value of Psychoanalysis, New York, N. W. Norton and
Co., 1933, S. 197.
J
. Buch „Nervous Indigestion“ von Walter C. Alvarez^ ist, gewiß nicht
SLbsetzen, doch ist die Stellungnahme des Autors zu den psychischen Fak-
” eanz und gar die eben beschriebene. Trotzdem bedeuten seine Arbeiten
‘Tdfe von Rulel H. Oppenheimer,- George M. Underwood^ Albert
T Sullivan® und W. B. Cannon’ — um nur einige wenige Publikationen
iünKSter Zeit zu nennen - unbedingt einen Fortschritt auf diesem Gebiet.
zeigen eine klare Erkenntnis der Tatsache, daß psychische Faktoren or-
aanische Störungen verursachen können, und sie versuchen überdies, durch
Lefältige klinische Beobachtung oder durch Experimente festzustellen, welche
Art von Störungen vom Gefühlsleben aus entstehen können. Sie versuchen
iedoch nicht, die psychische Situation genau zu beschreiben oder tiefere Be¬
ziehungen zwischen gewissen Typen von Gefühlsfaktoren und gewissen physio¬
logischen Vorgängen aufzudecken. Dasselbe gilt von allen ähnlichen r-
beiten, mögen sie von Internisten oder Physiologen stammen — ausnehmen
muß ich nur ein Werk von George Drap er und Grace Touraine auf das
ich noch zurückkommen werde.
Ich will hier keine in Einzelheiten gehende kritische Würdigung der psycho¬
analytischen Literatur auf diesem Gebiet geben. Der bahnbrechenden Arbeit
Georg Groddecks, Felix Deutschs und Ernst Simmels gelang es, die
Erkenntnis der hysterischen Konversionsmechanismen über das Gebiet des
willkürlichen und des sensorischen Systems hinaus auf organische Erkrankun¬
gen auszudehnen. Im allgemeinen besteht bei der analytischen Betrachtung
organischer Vorgänge eine allzu große Neigung, somatische Phänomene als
unmittelbare Äußerungen eines bestimmten psychischen Inhalts zu deuten.
Die Tatsache, daß organische Symptome in der Regel das Endergebnis einer
Kette von organischen Vorgängen sind, wird in der analytischen Literatur
fast niemals genügend berücksichtigt. Deutsch, der auf diesem Gebiet
größere methodologische Sorgfalt an den Tag legt als andere psychoanalytische
Autoren, unterscheidet in einer früheren Schrift ganz scharf die anfäng¬
lichen Störungen der Innervation und die morphologischen Veränderungen,
die sich nach einer lange andauernden fu nktionellen Störung solcher Art
2) Alvarez, Walter C.: Nervous Indigestion, New York, Paul B. Hoeber, 1931.
1 Alvarez. Walter C.: loc. cit. und Light from the Laboratory and the Clinic on the
Causes of Peptic Ulcers, The American Journal of Surgery, Vol. 18, S. 207 231, Nov. 1932.
4) Oppenheimer, Rüssel H.: Gastro-Intestinal Mamfestations of the Psychoneurotic
State, The Journal of the Medical Association of Georgia, Vol. 21, S. 431—433, Nov. 1932.
5) Underwood, George M.: Emotional and Psychic Factors in the Production o
Gastro-Intestinal Diseases, Texas State Journal of Medicine, VoL 27, S. 798—800, Marz 1932.
6 ) Su Ui van. Albert J. und Chan dler, C. A.: Ulcerative Colitis of Psychogenic Origin,
Yale Journal of Biology and Medicine, Vol. 4, S. 779—796. Juh 1932-
7) Cannon, W. B.: Bodily Changes in Pain, Hunger, Fear and Rage, Ed. 2, New York,
D. Appleton and Co., 1929. . jt>^-
8) George Dr aper und Grace Allen Touraine: The Man-Environment Unit and Peptic
Ulcer, Archives of Internal Medicine, Vol. 49, S. 615—662, April 1932.
.1
192
Franz Alexander
ergeben können.® Diese Auffassung bildete, wie der Leser merken wird, die
Grundlage unserer Theorie von der Entstehung peptischer Geschwüre. Aber
selbst Deutsch hält sich bei der Deutung organischer Fälle nicht immer
folgerichtig an diese Ansicht. So deutet er z. B. in einem Falle die Lungen¬
blutung als den unmittelbaren Ausdruck von Geburtsphantasien.*® Es erscheint
uns dies um so weniger folgerichtig, als er an derselben Stelle die Möglichkeit
in Betracht zieht, daß psychische Reize zu verstärkter Adrenalinbildung führen
und so Veränderungen des Blutdrucks hervorrufen. Die Blutung ist also nicht
der unmittelbare Ausdruck einer Phantasie, sondern das Ergebnis einer Blut¬
drucksveränderung, wenn auch der gesamte Vorgang durch einen ganz
spezifisch psychischen Reiz (spezifische Phantasien oder Wünsche) eingeleitet
wurde. Es leuchtet nicht ein, daß das Endergebnis, die Blutung, in einem
solchen Fall eine einfache und unmittelbare Beziehung zu einer speziellen
Phantasie habe. Zweifellos folgt die Konversion im vegetativen Nervensystem
nicht immer genau denselben Regeln wie im willkürlichen und im sensorischen
System, d. h. wie auf dem Gebiet, für welches die ursprüngliche Auffassung
der hysterischen Konversion formuliert worden ist. Während bei der Kon¬
versionshysterie die unbewußte Strebung unmittelbaren Ausdruck in physi¬
schen Störungen findet, liegt bei organischen Prozessen, die vom vegetativen
Nervensystem beherrscht werden, zwischen psychischem Anreiz und organi¬
schem Endergebnis häufig eine längere Reihe physiologischer Vorgänge. Es
ist ein methodischer Irrtum, wenn man ein organisches Symptom psycholo¬
gisch zu deuten versucht, obgleich es erst Endergebnis eines physiologischen
Zwischenprozesses ist — man sollte vielmehr zuvor die Beziehungen zwischen
psychischen Faktoren und jenen vegetativen Nervenerregungen verstehen
lernen, die eine Kette organischer Vorgänge einleiten, deren Endergebnis erst
die organische Störung ist. Ein Magen- oder Duodenalulkus ist das unmittel¬
bare Ergebnis einer Störung der motorischen und sekretorischen Funktionen,
diese Störung aber kann durch Faktoren des Gemütslebens hervorgerufen
worden sein. Das Endergebnis, das Ulkus, kann jedoch nicht psychologisch
gedeutet werden, denn es hat an und für sich keinerlei psychischen Sinn.
Was tatsächlich als unmittelbare Wirkung psychologischer Faktoren gedeutet
werden kann, ist die Hyper- oder Hyposekretion und die Veränderung in der
motorischen Aktivität und der Blutfülle des Magens. Ähnlich drückt sogar
psychogenes Erbrechen nicht immer etwas Psychisches aus (z. B. Abscheu),
obgleich die Bedingungen im Magen, die zum Erbrechen führten, durch
psychische Faktoren hervorgerufen worden sein können.^^
- ----- %
Deutsch, F.: Biologie und Psychologie der Krankheitsgenese, Int. Ztschr. f. Psa.,
VIII, 1922.
10) Deutsch. F.: Der gesunde und der kranke Körper in psychoanalytischer Betrachtung,
Int. Ztschr. f. Psa., XII, 1926. i- / /
11) Selbstverständlich stelle ich nicht in Frage, daß auch im vegetativen Nervensystem
^ über den Einfluß psychischer Faktoren auf gastrointestinale S törungen 193
Die psycho-physiologische Forschung muß also ihr Augenmerk gleichmäßig
auf psychologische und auf physiologische Kausalketten richten und darf die
beiden Reihen nicht verwirren.
Von diesen Überlegungen ausgehend, haben wir in den letzten zwei Jahren
am Institut für Psychoanalyse in Chikago ein systematisches Studium der
psychischen Faktoren bei gastrointestinalen Fällen betrieben. Nunmehr dehnen
wir unsere Forschungsarbeit auf andere vegetative Systeme aus — auf das
Atmungs- und das Kreislaufsystem. Die leitenden Grundsätze unserer Studien
lassen sich in drei Gruppen zusammenfassen:
1. Unsere erste Annahme oder die Flypothese, nach der wir arbeiten, lautet,
daß die psychischen Ursachen somatischer Störungen spezifische sind. Man
kann sie als bestimmte Gefühlseinstellungen des Patienten gegen seine Um¬
gebung oder gegen seine eigene Person bezeichnen. Die entsprechende Kenntnis
dieser ursächlichen Faktoren kann im Verlauf der analytischen Behandlung
des Patienten erlangt werden — keine andere Methode, auch keine noch so
sorgfältige psychiatrische Anamnese, kann die Analyse ersetzen.
2. Die bewußten psychischen Vorgänge im Patienten spielen eine unter¬
geordnete Rolle bei der Verursachung somatischer Symptome, da bewußte
Gefühlsregungen und Neigungen durch das willkürliche System zum Aus¬
druck gebracht und abreagiert werden können. Somatische Veränderungen
infolge von manifest auftretenden Gefühlen, wie Ärger, Furcht und ähnlichen
heftigen Affekten, sind akuter Art und spielen nur eine auslösende Rolle.
Verdrängte Strebungen jedoch führen zu chronischen Innervationen, die
ihrerseits eine chronische Dysfunktion der inneren Organe hervorrufen.
3. Die Lebensumstände des Patienten üben in der Regel nur einen auslösenden
Einfluß auf die Störung aus. Unser Verständnis der psychischen Ursachen muß
sich auf die Kenntnis der Entwicklung der Persönlichkeit des Patienten grün¬
den — nur aus ihr lassen sich die Reaktionen auf akute traumatische Situa¬
tionen erklären.
Unsere Forschungsarbeit will ergründen, welche Beziehung spezifische Fak¬
toren des Gefühlslebens oder spezifische Konfliktsituationen erstens zu einem
spezifischen vegetativen System und zweitens zu bestimmten spezifischen
organischen Äußerungen innerhalb dieses Systems haben. Dies ist unser theore¬
tisches Ziel. Daneben hoffen wir auch Feststellungen über die therapeutische
Wirksamkeit der Psychoanalyse in solchen Fällen zu machen und Kriterien
zu geben für die Entscheidung, welche Kranken einer psychoanalytischen Be¬
handlung bedürfen, und welchen durch praktische Veränderungen ihrer Le¬
bensweise geholfen werden kann.
Ich will nunmehr in einigen allgemeinen Sätzen unsere bisherigen Ergebnisse
darlegen. Es ist uns nützlich erschienen, eine vorläufige (rohe) Einteilung
häufig ein spezifisch psychischer Inhalt unmittelbaren Ausdruck finden kann, z. B. beim Er¬
röten, psychogenen Schwitzen, bei durch Gefühlsmomente vermehrter Peristaltik.
194
Franz Alexander
unserer Fälle in drei Gruppen vorzunehmen. Wir unterscheiden in bezug
sowohl auf die somatischen Symptome als auch auf die typische psychische
Konfliktsituation eine erste Gruppe von Magenkranken, die zahlreiche
Patienten mit geringfügigen subjektiven gastrischen Symptomen wie epigastri¬
sche Beschwerden, Ekelgefühl, Sodbrennen, Aufstoßen usw., aber auch schwere
Fälle von peptischem Geschwür sowohl des Magens wie des Duodenums
umfaßt. Die zweite Gruppe setzt sich aus Fällen zusammen, bei denen das
Symptom der Diarrhöe vorherrscht; die Krankheit wird in der Regel als
muköse oder spastische Kolitis diagnostiziert, sie zeigt die Symptome schmerz¬
hafter Krämpfe und Entleerungen, und häufig wechselt Diarrhöe mit Ver¬
stopfung ab. Die dritte und letzte Gruppe besteht aus Fällen, bei denen das
Symptom der chronischen Obstipation vorherrscht. Wir werden unter Bezug¬
nahme auf diese drei Gruppen vom gastrischen Typus, vom Kolitistypus
und vom Obstipationstypus sprechen.
Zunächst richteten wir unser Augenmerk auf die manifesten Gefühlsbezie¬
hungen des Patienten zu seiner Umgebung und versuchten zu entscheiden, ob
bestimmte offen zutage tretende Gefühlseinstellungen samt ihrem unmittel¬
baren dynamischen Flintergrund als typisch für die verschiedenen Gruppen
von organischen Erkrankungen bezeichnet werden konnten. Zu diesem Zweck
konnten wir das analytische Material von Patienten verwerten, deren Analyse
nicht völlig durchgeführt worden war, oder auch von solchen, von denen
man nur Anamnesen aufgenommen hatte. Selbstverständlich machte eine Reihe
von Patienten eine vollständige Analyse durch; bei einer Anzahl von Fällen
aber begnügten wir uns damit, die oberflächliche Einstellung sowie deren un¬
mittelbaren unbewußten Flintergrund festzustellen. In der Regel können die
unbewußten Konfliktsituationen, welche die dynamischen Quellen der ober¬
flächlichen Einstellungen sind, dargelegt werden, bevor noch eine vollständige
analytische Rekonstruktion ihrer Genese durchgeführt worden ist.
Unser zweites Ziel war, bei ausgewählten Fällen ein möglichst vollständiges
Bild der analytischen Geschichte des Patienten zu entwerfen. Ich muß be¬
tonen, daß dieses zweite Problem im gegenwärtigen Stadium unserer For¬
schungsarbeit nur untergeordnete Bedeutung hat. Gleichartigkeit der Genese
ist kaum zu erwarten, denn wir wissen ja, daß ähnliche Konfliktsituationen
sich auf sehr verschiedenem individuellem Hintergrund entwickeln können.
Zunächst wollten wir feststellen, ob sich bei Fällen mit den gleichen organi¬
schen Syndromen ein konstanter Parallelismus der psychischen Merkmale
findet. Darauf wird ein genauerer Vergleich der Einzelheiten in der Ent¬
wicklungsgeschichte der Patienten folgen.
Was das erste Problem betrifft, fiel uns schon in der jetzigen Phase unserer
Arbeit auf, daß tatsächlich mit einer gewissen Regelmäßigkeit bestimmte Arten
der Konfliktlösung bei den verschiedenen organischen Gruppen wiederkehren
und für sie charakteristisch zu sein scheinen. Diese Konstanz in den Konflikt-
lösungen wird noch auffälliger, wenn wir die Gefühlsstrebungen des Patienten
aus dem Gesichtspunkt der folgenden drei Grundtendenzen beschreiben:
I als Wunsch zu empfangen oder zu nehmen, 2. als Wunsch zu geben oder
zerstörend abzusondern und auszuscheiden (zu eliminieren) und 3. als Wunsch
zurückzuhalten. Ich möchte betonen, daß diese Analyse der Gefühlseinstellungen
keine willkürliche war, sondern sich uns aufdrängte, während wir unsere
Fälle studierten. Außerdem erheben wir keinen Anspruch auf Originalität für
die Unterscheidung dieser drei Grundneigungen — Nehmen, Eliminieren
und Behalten —, denn das Wissen um diese drei elementaren Neigungen
bildet die Grundlage für die ursprüngliche Konzeption der prägenitalen Ten¬
denzen der oralen, urethralen und analen Erotik. Die Analysen der analen
Neigungen durch Jones und Abraham, in denen zwischen anal zurückhalten¬
den und anal-eliminierenden Tendenzen unterschieden wird, und Ferenczis
Ideen über die Amphimixis anal zurückhaltender und urethral eliminierender
Tendenzen in der genitalen Sexualität haben es ermöglicht, daß wir diesen
Gesichtspunkt bei Fällen von gastrointestinalen Störungen folgerichtig ver¬
werten.^^
Von gleichartigen Konfliktlösungen abgesehen, fanden wir eine bemerkens¬
werte Ähnlichkeit der oberflächlichen Einstellungen und das besonders bei
den gastrischen Fällen, aber auch in fast ebenso starkem Maße bei den Kolitis¬
typen. Da wir bisher nur eine kleine Zahl von Fällen mit chronischer psycho¬
gener Obstipation studiert haben, können wir über typische oberflächliche
Einstellungen und typische Konfliktlösungen bei diesen Patienten noch nichts
Endgültiges sagen.
Dafür, wie diese Konfliktlösungen entstehen, haben wir noch keine vor¬
herrschend konstanten Züge finden können.
Wo wir von einer typischen oberflächlichen Einstellung (gefühlsmäßiges Ver¬
halten gegen die Umgebung) und einer typischen Konfliktlösung sprechen, ist
nicht, wie ich betonen möchte, bloß etwa eine Strebung gemeint, die sich als
eines unter anderen ebenso stark hervortretenden Merkmalen feststellen läßt,
sondern stets eine vorherrschende zentrale dynamische Strebung. Die vorherr¬
schende oberflächliche Einstellung, die der Patient gewöhnlich schon in
den ersten Behandlungsstunden äußert, und die ersten typischen Übertragungs-
manifestationen sowie auch die dahinterliegenden dynamischen Konflikt¬
situationen lassen sich in der Regel bald und ganz klar erkennen.
Wir beschränken uns im vorliegenden Bericht auf die Darlegung der typi¬
schen oberflächlichen Einstellungen und der dahinterliegenden dynamischen
12) Jones, E.: Papers on Psycho-Analysis, New York, Wm. Wood and Co., 1923, S. 696
bis 704.
Abraham, K.: Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Libido, Int. Psa. Verl., Wien,
1924.
Ferenczi, S.: Versuch einer Genitaltheorie, Int. Psa. Verl., Wien, 1924, S. 7—27.
196
Franz Alexander
Situationen; nur bei einigen wenigen Fällen geben wir in kurz gefaßten Kran
kengeschichten das genetische Material. Die Aufgabe, die wir uns hier stellen
ist, die verschiedenen Typen von gastrointestinalen Fällen hinsichtlich der
eziehung zu beschreiben, die das äußere Verhalten der Patienten, ihre Gefühls-
einstellung und ihre psycho-sexuellen Manifestationen zu den bestimmenden
unbewußten Tendenzen haben.
Das Material für unsere Forschung liegt in der Form von zum Teil wört- i
liehen Berichten über jede analytische Behandlungsstunde jedes Patienten vor. i
In diesen Berichten sind alle freien Einfälle des Patienten sowie alle Deutun-
pn des Arztes ausnahmslos enthalten. Eine Veröffentlichung dieser Berichte '
in ihrer ursprünglichen Form ist nicht geplant, doch werden spätere Publi- '
kationen Einzelheiten des Materials bringen.
I. Der gastrische Typus
Diese Gruppe zählte neun Fälle: sechs Duodenalulzera (von denen drei zur
Zeit der Analpe noch aktiv waren) und drei gastrische Neurosen. Das Stu¬
dium dieser Falle bestätigte meine früher gemachte Beobachtung, daß gastri¬
sche Symptome häufig im Zusammenhang mit intensiven oral empfangenden
Begierden auftreten, mit dem Wunsch, betreut und geliebt zu werden, der in
der Repl mehr odp wpiger stark verdrängt ist. Bei den meisten Fällen be¬
steht die Konfliktsituation darin, daß starke oral empfangende Tendenzen
verworfen werden, weil sie sich mit dem Streben des Ichs nach Unabhängigkeit
und Aktivität nicht vertragen. Die bewußte Einstellung dieser Patienten ließ
Sich folpndermaßen ausdrücken: „Ich bin tüchtig, tätig, produktiv; ich gebe
jedem, helfe andern Menschen, nehme Verantwortung auf mich, sorge gern
für andere, bin gern Führer und eine auf sich selbst gestellte, tätige oder
sogar apressive Persönlichkeit.“ Gleichzeitig finden wir im Unbewußten
genau die entgegengesetzte Einstellung: ein überaus heftiges Verlangen nach
Liebe und das Bedürfnis nach Abhängigkeit und Hilfe. Diese Tendenzen waren
bei den meisten unserer Fälle verdrängt, wurden vom Patienten geleugnet
und standen im Zusammenhang mit heftigen Konflikten.
Die nächst Fpge ist nun, warum der Wunsch, geliebt zu werden und zu
empfangen, bei diesen Patienten so konfliktreich wird, daß er stark verdrängt
und uberkompensiert werden muß. Es ist überaus charakteristisch für diese
Patienten, daß sie in ihren jetzigen Lebensbeziehungen jede Abhängigkeit ver¬
meiden und gerade das Gegenteil der infantilen oral empfangenden Haltung
einnehmen: wir sehen in ihnen häufig die Neigung, zu geben anstatt zu emp¬
fangen, zu fuhren, anstatt sich auf andere zu stützen, Verantwortung auf sich
zu nehmen, anstatt andere für sich sorgen zu lassen. Es leuchtet ein, daß sich
als Reaktmn auf diese Überkompensationen im Unbewußten die Sehnsucht
nach ppsiver Abhängigkeit steigern muß, denn diese Menschen leben über
ihre seelischen Mittel, indem sie ihr Bedürfnis nach Hilfe von außen her so
heftig unterdrücken und verleugnen. Daß ihre außerordentlich große und
übermäßig betonte Unabhängigkeit und die Anstrengungen, die sie im Leben
machen, das entgegengesetzte unbewußte Hilfsbedürfnis in ihnen steigern,
bedarf keiner weiteren Erklärung. Die Frage jedoch ist, worauf ihre phobische
Ablehnung der Rolle eines empfangenden und abhängigen Menschen beruht,
eine Ablehnung, die zuweilen zu einem grotesk übertriebenen Widerstand
dagegen führt, irgendwelche Hilfe von außen anzunehmen. Bei allen unseren
Fällen finden wir im Unbewußten eine tiefliegende orale Regression zu der
parasitischen Situation des kleinen Kindes, die sich bei den meisten dieser
Menschen mit der Einstellung und den Idealen des erwachsenen Ichs nicht ver¬
trägt und deshalb verworfen werden muß. Die Analyse unserer Fälle zeigt
unter den spezifischen Gründen dafür, daß das Ich jene parasitisch infantilen
Forderungen verwirft, zwei vorherrschende Motive: i. eine narzißtische Krän¬
kung infolge der infantilen Ansprüche, die sich an der Oberfläche als Minder¬
wertigkeitsgefühl äußert, und 2. Schuldgefühl und Furcht.
1. Wir wollen zunächst das erstgenannte Konfliktmotiv, das Minder¬
wertigkeitsgefühl, eingehender betrachten. Das übermäßige infantile
Verlangen zu empfangen erzeugt ein Gefühl der Minderwertigkeit, es läuft dem
Streben des Ichs nach Unabhängigkeit, Überlegenheit, Aktivität und Gro߬
mut zuwider.^® Dies führt zu dem typischen Mechanismus der Überkompen¬
sation. Bei den meisten unserer Fälle findet diese Überkompensation nicht nur
in Phantasien von tätiger Tüchtigkeit Ausdruck, sondern hat auch im Leben
zu einer wirklich aktiven und verantwortungsvollen Haltung geführt, zu
wirklicher Tüchtigkeit und zu Erfolg oder wenigstens zu ehrlichen Bemühun¬
gen in dieser Richtung. Die Neigung, sich aufs äußerste anzustrengen, ist für
diese Patienten überaus charakteristisch. Diese kompensierende Einstellung
auf übermäßige Betätigung und Freigebigkeit (Großmut) steigert jedoch wieder
den verdrängten Wunsch zu empfangen, das Verlangen nach Abhängigkeit und
Liebe. Diese Patienten gestatten sich offenkundig selten die Freude, etwas
zu empfangen, und gerade deshalb — als Reaktion auf ihre übermäßigen An¬
strengungen — wächst in ihnen die Sehnsucht, Ruhe zu haben und von andern
versorgt zu werden.
Ich habe eine der möglichen Lösungen dieses Konflikts zwischen der Sehn¬
sucht zu empfangen und ihrer Verwerfung in einer früheren Arbeit beschrie-
ben.i^ Sie bestand in derabwechselndenBefriedigungderbeideneinanderwide,r-
13) Abraham hat den Zusammenhang zwischen oralen Charakterstrebungen und der
Großmut, die er als einen oralen Charakterzug ansieht, beobachtet. Die Tatsache fiel ihm
auf, doch erklärte er sie durch Identifizierung mit der gebefreudigen Mutter und merkte
nicht, welche Rolle die Überkompensation in diesem Zusammenhang spielt. Dasselbe gilt von
seiner Erklärung dafür, daß sich das Verlangen zu saugen in ein Bedürfnis zu geben wandelt.
Abraham, K.: Beiträge der Oralerotik zur Charakterbildung; Psychoanalytische Studien
zur Charakterbildung, Int. Psa. Verl., Wien, 1925.
14) Alexander, F.: The Neurotic Character, Int. Journ. of PsA., XI, 1930.
Int Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/a ^4
Franz Alexander
198
Streitenden Tendenzen; aktive und passiv« Befriedigungen wechseln mit¬
einander ab oder werden durch verschiedene Lebensbeziehungen gleich¬
zeitig erreicht. Ich verweise auf den Fall eines Mannes, der der tätige
Führer eines großen Industriekonzerns war und dabei in überaus infantiler
Abhängigkeit von seiner Frau lebte. Obgleich dieser Patient einige neurotisch¬
gastrische Symptome auf wies, findet sich beim gastrischen Typus diese Lösung
nur selten. Patienten dieses Typus führen in der Regel lange Zeit hindurch ein
einseitiges Leben der überaus starken aktiven Arbeit und Verantwortlich¬
keit, und das dynamische Gleichgewicht zwischen der Befriedigung passiv¬
empfangender und der aktiv-gebender Tendenzen wird nachdrücklich von der
letztgenannten beherrscht. Diese dynamische Situation haben wir sowohl bei
männlichen als auch bei weiblichen Patienten gefunden.
2. Neben dem Motiv eines Minderwertigkeitsgefühls, das durch die un¬
bewußte Neigung, von andern etwas zu empfangen, hervorgerufen wird, ist
auch eine Schuldreaktion ein ständiges Motiv für die Verdrängung re¬
zeptiver Tendenzen. Der übermäßig starke Wunsch, von andern etwas zu
empfangen, den ich nunmehr als „parasitische Rezeptivität"^ bezeichnen will,
erzeugt nicht nur ein Gefühl der Minderwertigkeit oder der Scham, sondern
auch ein Schuldgefühl und die Neigung, diese rezeptive Haltung durch
Geben zu kompensieren, durch tatsächliches Geben wirklicher Werte —
Liebe, Hilfe, Bemühung zum Wohl anderer, produktive Tätigkeit jeder Art,
Besonders stark zeigt sich die Schuldreaktion in Fällen, bei denen die oral
aufnehmende Tendenz einen oral-sadistischen Zug bekommen hat, weil sie
früh im Leben auf Hindernisse gestoßen ist. Bei Männern und Frauen wandelt
sich der Wunsch zu empfangen unter dem Einfluß früher Enttäuschung in
das Verlangen, aggressiv zu nehmen, „Wenn es mir nicht gegeben wird, muß
ich es mir nehmen.“ In der Regel vermischen sich jedoch passiv empfangende
und oral-aggressive Tendenzen, wir finden gleichzeitig den Wunsch zu emp¬
fangen und den zu nehmen. Wir begreifen, daß eine derartige oral-aggressive
Gier nicht nur zu einer Hemmung der Angriffslust führen muß, sondern es
dem Individuum auch erschwert, seinen Wünschen, etwas zu empfangen,
nachzugeben, — es wird einem solchen Menschen unmöglich, Hilfe und Liebe
von jenen anzunehmen, die er im Unbewußten zu berauben wünscht.
Bisher hat unsere Arbeit noch keinen andern ständigen Hintergrund für
den Ursprung der starken Regression zu der parasitischen oral empfangenden
Haltung aufdecken können als die gewöhnlichen Konflikte auf dem Gebiet der
genitalen Sexualität, Konflikte, die auf rings um die Kastrationsangst gruppier¬
ten Schuldgefühlen im Menschen beruhen.
Bei weitaus den meisten unserer Fälle stellten wir fest, daß die passiv emp¬
fangenden und die oral-aggressiven Tendenzen innerlich verworfen wurden.
Bei einem Patienten jedoch wurde die Neigung zur oralen Abhängigkeit vor¬
wiegend durch äußere Umstände und weniger durch innere Verwerfung
über den Einfluß psychischer Faktoren auf gastrointestinale Störungen
199
versagt. In einem anderen Fall zeigt^e sich ein Gemisch von äußeren und
inneren Hemmungen der Neigung zu empfangender Abhängigkeit. Bei zwei
vor kurzem behandelten Patienten, die an peptischem Geschwür mit schweren
Rückfällen litten, waren die überaus starken oral empfangenden Begierden
nicht erfolgreich verdrängt noch überkompensiert, sondern deutlicher ins
Bewußtsein gedrungen. Die Geschichte beider Fälle ergab frühes und großes
orales Entbehren in der Kindheit. Anscheinend konnten diese beiden Pa¬
tienten infolge ihrer Leiden in der Kindheit und im späteren Leben sich offener
an ihre rezeptiven Begierden klammern.
Ohne Zweifel herrscht aber in unseren gastrischen Fällen ein innerer Kon¬
flikt wegen des heftigen Abhängigkeitsbedürfnisses vor; diese Tatsache mag
die Erwartung erwecken, daß man einen Persönlichkeitstyp mit Oral-Charakter-
zügen (mit überkompensiertem Oralsadismus und oraler Abhängigkeit) finden
wird, der besonders zu Magenstörungen neigt. Vielleicht wird sich dieser
Menschentyp als der „Geschwürtypus‘" erweisen, den viele Internisten so
eifrig zu beschreiben suchen. Tatsächlich sind in den letzten Jahren ver¬
schiedene Kliniker wie v. Bergmann,i5 Westphal,^« Alvarez,^^ Hart¬
man,^® Draper^® und andere dahin gelangt zu vermuten, daß Wesenszüge
der Persönlichkeit bei der Entstehung peptischer Ulzera eine Rolle spielen.
Sie stellen fest, daß gewisse Persönlichkeitstypen stärker zu peptischen Ge¬
schwüren neigen als andere. Wes tphal hebt die Labilität des vegetativen Nerven¬
systems als charakteristisch für Patienten mit einem Ulkus hervor. Sein Lehrer,
Bergmann, mißt dem Einfluß des vegetativen Nervensystems auf die Ent¬
stehung peptischer Geschwüre ebenso große Bedeutung bei und ist geneigt,
auch psychische Faktoren in Betracht zu ziehen. Einige amerikanische Ärzte
beachten die Rolle der Persönlichkeit sogar noch mehr. Alvarez bezeichnet
den tätigen und tüchtigen jüdischen Geschäftsmann der „go-getter‘* Art als
den Typus, der ganz besonders zum peptischen Ulkus mit Rückfällen neigt.^®
Hartman beschreibt als „Geschwürtypus‘‘ einen Mann, der aus seiner
Wesensart heraus sich bemühen muß, Hindernisse, auf die er stößt, zu
überwinden. 2 ^ Er sagt, daß die Indianer Südamerikas oder die chinesischen
Kulis niemals an Magengeschwüren leiden, und erklärt die Tatsache aus der
15) V. Bergmann, G.: Ulcus duodeni und vegetatives Nervensystem, Berliner klinische
Wochenschrift, Bd. 50, Dezember 1913.
16) Westphal, K.: Untersuchungen zur Frage der nervösen Entstehung peptischer
Ulzera, Deutsches Archiv für klinische Medizin, Bd. 114, 1914.
Westphal, K. und Katsch, G.: Das neurotische Ulcus duodeni, Mitteilungen aus den
Grenzgebieten der Medizin und Chirurgie, Bd. 2^, 1913.
17) Alvarez, Walter C.: loc. cit.
18) Hartman, Howard R.; Neurogenic Factors in Peptic Ulccr, Medical Clinics of North
America, Vol. 16, Nr. 6, S. 1366.
19) Draper, George und Touraine, Grace: loc. cit.
20) Alvarez, Walter C.: Light from the Laboratory and the Clinic on thc Causcs of
Peptic Ulcers, The American Journal of Surgery, Vol. 18, S. 225, 1932.
21) Hartman, Howard R.: Ipc. cit.
1
Franz Alexander
stoischen, fast apathischen Haltung und dem Mangel an Strebsamkeit und
Ehrgeiz bei diesen Rassen. Nach ihm ist das Ulkus eine Krankheit der zivili¬
sierten Welt und befällt hauptsächlich den strebsamen und ehrgeizigen Mann '
der westlichen Zivilisation.
George Drap er und Grace Touraine sind zu einer ähnlichen Annahme i
gelangt.22 ihrem Studium der Strebungen in der Persönlichkeit des Patienten ■
lag größeres psychologisches Wissen zugrunde, als Kliniker in der Regel be¬
sitzen; sie verließen sich nicht völlig auf den allgemeinen Eindruck, den ein i
guter Kliniker von dem Persönlichkeitstypus empfängt, mit dem er zu tun ■
hat. In ihrer Schrift führen sie eine Reihe von Krankengeschichten an, und |
zwar handelt es sich, wie sie sagen, zum Teil um „analysierte Fälle‘‘, zum Teil I
um solche, die einer sorgfältigen anamnestischen Prüfung unterzogen wurden. U
Infolge ihrer feineren psychologischen Methoden waren sie imstande, unter M
die Oberfläche zu dringen und außer gewissen offen erkennbaren Persönlich- H
keitsfaktoren eine typische Konfliktsituation zu entdecken. Sie kommen dem 3
Bilde, das ich soeben entworfen habe, recht nahe. Als typisch für ihre Pa¬
tienten führen sie einen männlichen Protest, eine Verwerfung unbewußter
weiblicher Tendenzen an, und zwar jener Tendenzen, die wir, unseren psycho¬
analytischen Studien folgend, lieber als oral empfangende und oral-sadistische J
Impulse bezeichnen; diese stehen, wie wir wissen, in inniger Beziehung zu Strebun- ■
gen, die gewöhnlich als weibliche angesehen werden. Drap er vervollständigte
seine Studien auch durch anthropologische Messungen. Seiner Beschreibung |
nach wird der Geschwürtypus psychologisch durch männlichen Protest charak¬
terisiert; anatomisch ist er der asthenische oder „longitudinale^^ Typus. i
Auch wir waren zu Beginn unserer Studien geneigt anzunehmen, daß sich
gastrische Symptome und selbst peptische Geschwüre bei einem gewissen Per¬
sönlichkeitstypus häufiger entwickeln dürften als bei anderen Typen, doch :
lassen uns die Ausnahmen, denen wir schon in einem früheren Stadium unserer I
Forschung begegneten, ein so einfaches und allgemeingültiges Ergebnis kaum ,
noch erwarten. Uns erscheint nicht so sehr ein bestimmter Persönlichkeits- i
typus charakteristisch als vielmehr eine typische Konfliktsituation, die sich bei
ganz verschiedener Persönlichkeitsstruktur entwickeln kann. Wenn auch ge¬
wisse Typen stärker dazu neigen, einen. Konflikt zwischen empfangenden und I
aktiv gebenden Tendenzen zu entwickeln und ihn durch Überkompen- 1
sationsmechanismen zu lösen, sehen wir doch, daß unter den entsprechen- I
den äußeren Bedingungen dieser Konflikt auch bei anderen Charakter- J
typen entstehen kann. ji
Bei einem unserer an peptischem Geschwür leidenden Patienten zum Beispiel •
— einem Mann von sechsundvierzig Jahren, der einer dreiwöchigen anamnesti- ,
sehen Analyse unterzogen wurde — war die Befriedigung der oral empfangen- V i
den Tendenzen weit mehr durch die äußere Lebenslage unmöglich geworden S
Z2) Drap er, George und Touraine, Grace: loc. cit. |
über den Einfluß psychischer Faktoren auf gastrointestinale Störungen
201
als durch eine tief lokalisierte innere Verwerfung der passiven Wünsche.
Während der Kindheit und der Jugendjahre war seine Lust zu empfangen in
starkem Maße befriedigt worden, er hatte nichts vom Führertypus gehabt, es
hatte ihm im Gegenteil aller Ehrgeiz gefehlt, der sich bei Menschen, die an pep-
tischem Geschwür leiden, doch so häufig findet. Er heiratete eine sehr begabte,
kluge und rührige Frau, die dem Führertypus angehörte und ihm geistig über¬
legen war. Seine Heirat enttäuschte alsbald seine Erwartung, in der Gattin eine
so überlegene Persönlichkeit zu finden, daß sie ihm Ersatz für die gebefreudige
Mutter hätte sein können. Nicht daß die Frau sich nach der Heirat geändert
hätte, sie widmete sich aber von Anfang an nur der Förderung ihrer eigenen
Laufbahn, studierte und leistete produktive Arbeit. Überdies war das Sexual¬
leben der beiden höchst unbefriedigend. Die Frau war frigid, und der Patient litt
an Ejaculatio praecox. Der Gatte bekam nichts von der Gattin, und da seine
rezeptiven Tendenzen keine Befriedigung fanden, verfiel er bald in eine Hal¬
tung des Wettstreits mit seiner Frau, zumal diese auch in pekuniärer Hinsicht
die Hauptstütze des Haushalts war. Anstatt von seiner Frau bemuttert zu
werden, wurde er durch ihre Überlegenheit zu Ehrgeiz und Strebsamkeit ge¬
trieben, die er verabscheute. Darin stand er im Gegensatz zu der Mehrzahl
unserer gastrischen Fälle, die ja in der Regel ihre tätige und verantwortungs¬
volle Rolle lieben. Ich habe hinzuzufügen, daß er in seinem Streben keinerlei
Erfolg hatte und in seinem Beruf stets mittelmäßig blieb. Auf der Höhe dieser
Konfliktsituation, nach zwanzigjähriger Ehe, trat als Folge eines peptischen
Geschwürs eine schwere Blutung ein. Doch hatte er alle die Jahre hindurch an
gastrischen Symptomen gelitten, hauptsächlich an Schmerzanfällen, die sich
einige Stunden nach dem Essen einstellten und durch Nahrungsaufnahme ver¬
schwanden, sowie auch an chronischer Hyperazidität. Das ülkus entwickelte
sich, nachdem diese gastrischen Beschwerden i8 Jahre angedauert hatten.
Kurz nach jener Blutung ging er eine neue sexuelle Beziehung ein mit
einer Frau von mütterlicher Wesensart, die ganz das Gegenteil seiner Gattin
war. Seine Frau wolle ihm nie etwas kochen, klagte er, die andere aber tat
das. Sie war ein nettes, sanftmütiges, alltägliches Geschöpf, das ihn nicht zu
unerfüllbarem Ehrgeiz aufstachelte. Mit ihr konnte er ein bescheidenes bür¬
gerliches Leben führen, das, wie er offen zugab, sein einziges Ideal war. Seit
er sexuelle Beziehungen zu ihr aufgenommen hat, sind alle Symptome ver¬
schwunden. Das Leben selbst hat hier eine Kur durchgeführt, indem es ihm
die Befriedigung seiner rezeptiven Tendenzen ermöglichte.
Schon dieses einzige Beispiel zeigt, daß nicht ein bestimmter Persönlichkeits¬
typus von primärer Bedeutung ist, sondern die ungestillte Sehnsucht, von
andern etwas zu empfangen. Hier schuf die spezifische äußere Situation, in
der der Patient lebte, durch äußere Entbehrung einen Konflikt, ganz ähnlich
demjenigen, der bei der Mehrzahl der Fälle durch innere Entbehrung erzeugt
wird.
202
Franz Alexander
Der typische Konflikt zwischen den verdrängten infantilen Wünschen, von
andern etwas zu empfangen, und den Forderungen eines männlichen Ichs
erklärt die folgende interessante Beobachtung. Die Magensymptome eines
meiner früheren Patienten traten regelmäßig auf, wenn er im Kino oder im
Theater eine Szene sah, in der der Held Schwieriges und Gewagtes voll¬
brachte und seine ganze Kraft auf sein Tun konzentrieren mußte. Unsere
Beobachtungen über den Zusammenhang zwischen passiv empfangenden Ten¬
denzen und Magensymptomen bringen uns auf die folgende Erklärung: Daß
der Patient sich mit einem so überaus heldenhaften und männlichen Charakter
identifizierte, rief eine Reaktion des infantilen rezeptiven Teils seiner Per¬
sönlichkeit hervor, und diese Reaktion äußerte sich in Mageninnervationen,
die zu starkem Sodbrennen und epigastrischen Beschwerden führten. Nach¬
dem er sich mit einem Grad von Angriffslust und Kühnheit identifiziert hatte,
der über seine Kräfte ging, forderte das Kind in ihm seine Rechte, und zwar
in der Form einer Flucht aus aller Gefahr in die sichere Obhut an der Mutter¬
brust. Diese Regression zur infantilen Einstellung als Reaktion auf Gefahr tritt
deutlich in traumatischen Neurosen zutage, in Fällen von traumatischem
Mutismus und traumatischer Abasie, in denen das Ich des Patienten als Reak-
ticrn auf das Trauma häufig alle im Lauf der Entwicklung erworbenen Fähig-
keiten aufgibt, die Fähigkeit zu gehen und zu sprechen verliert und zu der
völlig hilflosen Situation des kleinen Kindes zurückkehrt.
Nachdem ich nun die typische psychische Situation beschrieben habe, die
wir bei unseren gastrischen Fällen feststellen konnten, will ich kurz zu er¬
klären versuchen, auf welche Weise verdrängte oral empfangende und oral¬
aggressive Impulse zu gastrischen Symptomen und sogar zu einem peptischen
Geschwür des Magens oder des Duodenums führen dürften. Die Erklärung, die
ich Vorbringen werde, stellt einen Versuch dar, das ständige Vorherrschen
intensiver oral empfangender und oral-aggressiver Tendenzen — also der Auf¬
nahmetendenzen, wie ich sie mit einem gemeinsamen Namen nennen möchte
mit den organischen Vorgängen der Geschwürbildung in Zusammenhang
zu bringen.
Die meisten Kliniker stimmen darin überein, daß peptische Geschwüre durch
gewisse physische Veränderungen der sekretorischen und der motorischen
Funktion des Magens, vielleicht auch durch Veränderung der Blutversorgung
hervorgerufen werden. Viele Fälle von peptischem Ulkus entwickeln sich
nach einer langen Periode der subjektiven Symptome epigastrischer Beschwer¬
den und chronischen Sodbrennens. Es liegt nahe anzunehmen, daß das pep-
tische Geschwür selbst das Endergebnis gewisser Dysfunktionen des Magens där- ,
stellt, welche im Lauf der Zeit zu morphologischen Veränderungen, d. h. zur J
Ulzeration des Gewebes führen. W^ahrscheinlich ist entweder der verminderte
Widerstand der Magenwände gegen den Magensaft oder, in anderen Fällen,
eine chronische Hypersekretion der verursachende Faktor. Das ätiologische
Problem besteht darin, die Ursachen dieser chronischen Veränderungen der
Magenfunktion, die schließlich zu einem Ulkus führen, zu ermitteln.
Die Annahme, daß Ulzera das Endergebnis eines vorangehenden chroni¬
schen Zustandes der funktionellen Störung des Magens sind, berechtigt uns
dazu, ausgesprochene Fälle von Ulkus mit gastrischen Neurosen zu ver¬
gleichen. Bestätigt wird diese Hypothese auch durch die Tatsache, daß wir
in funktionellen wie in organischen Fällen dieselbe Konfliktsituation vor¬
finden. Auch Westphal stellte in Fällen von Magenneurose und von pep-
tischem Geschwür betreffs der allgemeinen Konstitution das gleiche Bild fest.^®
Er schließt auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Magenneurosen
und peptischen Geschwüren und ist sogar geneigt, das Ulkus als erschwerende
Komplikation der Neurose zu betrachten.
Im Licht der psychoanalytischen Theorie ist es nicht schwer zu verstehen,
warum sich die Ernährungsfunktionen ganz besonders dazu eignen, jene ver¬
drängten oder äußerlich unerfüllten rezeptiven Tendenzen zum Ausdruck zu
bringen, die bei allen unseren Fällen vorherrschen. Der infantile Wunsch, zu
empfangen, umsorgt und geliebt zu werden, von jemand anderem abzuhängcß)
findet seine idealste Erfüllung in der parasitischen Situation des Säuglings.
So verknüpfen sich die Gefühle des Empfangenwollens, der Wunsch, geliebt
und umsorgt zu werden, in einem frühen Lebensabschnitt aufs innigste mit den
physiologischen Ernährungsfunktionen. Gefüttert zu werden wird das Ur-
symbol des Geliebtwerdens.
Wenn der intensive Wunsch, etwas zu empfangen, geliebt zu werden, von
anderen abzuhängen, von dem erwachsenen Ich verworfen wird und infolge¬
dessen in den normalen Lebensbeziehungen keine Befriedigung finden kann, dann
bleibt nur der Weg der Regression offen: der Wunsch, geliebt zu werden, ver¬
wandelt sich in den Wunsch, gefüttert zu werden. Die verdrängte Sehnsucht
nach Liebe und Hilfe setzt die Innervation des Magens in Bewegung, die seit
dem Beginn des Extrauterinlebens aufs engste mit der ursprünglichsten Form,
etwas zu empfangen, verknüpft ist, nämlich mit dem Vorgang des Gefüttert¬
werdens. Diese Innervation bildet einen chronischen Anreiz für die Funk¬
tionen des Magens und führt zu dessen Dysfunktion, da ja dieser Reiz
nichts mit dem normalen, organisch bedingten zu tun hat, nämlich mit dem
Nahrungsbedürfnis, sondern aus Gefühlskonflikten entspringt, die von dem
physiologischen Zustand des Hungers völlig unabhängig sind. Jene Individuen,
die infolge der beschriebenen Konfliktsituation ihren übermäßig starken Trieb
zu empfangen verdrängen und verleugnen müssen, drücken ihn in der schwei¬
genden physiologischen Sprache der Magenfunktionen aus. Ein solcher Magen
benimmt sich andauernd so, wie es normalerweise nur während der Nahrungs¬
aufnahme oder unmittelbar zuvor der Fall sein sollte. Je stärker die Befriedi-
23) Westphal, K.: Untersuchungen 2;ur Frage der nervösen Entstehung peptischer
Ulzera, Deutsches Archiv für klinische Medizin, Vol. 114, i 9 i 4 '
904
Franz Alexander
gung jedes Verlangens, etwas zu bekommen, im Leben verworfen wird, desto
größer wird der unbewußte Wunsch — wir können ihn mit Recht als
Hunger bezeichnen nach Liebe und Hilfe sein. Das Verlangen zu essen
entspringt bei solchen Menschen nicht aus organischem Hunger, die Nahrung
ist ihnen vielmehr ein Symbol für Liebe und Hilfe.
Mein Eindruck ist also, daß der Magen unter dem fortgesetzten chronischen
Reiz sich andauernd so benimmt, als ob er verdaute. Eine chronische Hyper-
motilität und Hypersekretion können die Folge sein. Der leere Magen wird
andauernd jenen physischen Reizen ausgesetzt, die unter normalen Bedingun¬
gen nur zeitweise wirksam werden, nämlich wenn er Nahrung enthält oder
e en aufnehmen soll. Wahrscheinlich sind der nervöse Magen, epigastrische
Beschwerden, Sodbrennen und Aufstoßen Manifestationen dieses chronischen
Erregungszustandes, der manchmal sogar zur Geschwürbildung führen kann.
Die Frage, ob es an einer konstitutionellen oder erworbenen Schwäche des
Magens liege, daß es nur bei manchen Fällen von gastrischer Neurose zur
Bildung eines Geschwürs kommt, muß vorläufig unbeantwortet bleiben.
Für die Richtigkeit der angeführten Annahmen gibt es eine Reihe experi¬
menteller und klinischer Beweise. Alvarez bezeichnet in einer seiner jüngsten
Arbeiten eine derartige chronische Reizung des leeren Magens als einen der
ätiologischen Faktoren bei peptischem Geschwür.*^
Sehr interessant in dieser Hinsicht sind die Experimente Silbermanns, der
durch Scheinfüttern mittels einer künstlichen ösophagusfistel bei Hunden
Magengeschwüre erzeugte.26 Die Nahrung, die der Hund schluckt, fällt zu
Boden, das Tier schnappt aufs neue danach und frißt bis zu drei Viertelstunden
lang gierig. Das Ergebnis ist eine starke Reizung der Magensaftabsonderung
in dem leeren Magen, die regelmäßig zu einer Ulkusbildung führt. Der Vor¬
gang, der sich in den von uns beobachteten Patienten vollzieht, läßt sich mit
dieser Scheinfutterung von Hunden vergleichen. Der Zustand chronischer
Magenanregung, in dem sie sich befinden, wird nicht durch den Ernährungs¬
prozeß verursacht, sondern ist eine Reaktion auf den psychischen Anreiz der
Sehnsucht, geliebt zu werden und etwas zu bekommen, oder des Verlangens,
aggressiv zu nehmen, was nicht freiwillig gegeben wird. Infolge des Minder¬
wertigkeitsgefühls, das durch die Rezeptivität hervorgerufen wird, und des
Ppnrfr Lat>oratory and the Clinic on the Causes of
leptic Ulcers, The American Journal of Surgery, Vol. i8, 1932.
„Die größte Schwierigkeit bei Patienten mit einem hartnäckigen Ulkus oder mit der Nei-
gung zur Ulkusbildung hegt vielleicht darin, daß die gastrischen Zellen auch dann fort-
tahren. Saure abzusondern, wenn der Magen keine Nahrung enthält, die die Säure aufsaugen
krankte PaH Studieren, wie der an einem Ulkus er-
^ankte Patient auf Scheinfutterung reagiert, und es ließe sich daraus unser Wissen über die
MagerieT/Absonderung von Magensaft in Gang halten, während der
25) Silbermann, I. S.: Experimentelle Magen-Duodenal-Ulkuserzeugung durch Schein¬
futtern nach Pavlov, Zentralbl. f. Chir., Vol. 54, S. 2385-2392, 1927.
über den Einfluß psychischer Faktoren auf gastrointestinale Störungen
205
Schuldgefühls, das die aggressiven "Wünsche erzeugen, sind diese Tendenzen
verdrängt worden und können nicht normal auf dem Wege willkürlicher
Innervationen abreagiert werden. Indem sie nach Entladung streben, werden
sie in den Wunsch, gefüttert zu werden oder zu essen, konvertiert. Das ist
die Ursache der Magendysfunktion. Selbstverständlich ist außer einer weiteren
psychologischen Erforschung ähnlicher Fälle auch eine weitere Stützung dieser
Ansichten seitens der Physiologie notwendig.
Eine sehr interessante Bestätigung der Annahme, daß einer der verursachen¬
den Faktoren der Ulkusibildung in der fortgesetzten Sekretion unter dem Ein¬
fluß chronischer psychischer Reize (orale Phantasien und orale Tendenzen)
liege, findet sich in den experimentellen Untersuchungen von Henning und
Norpoth®* (Deutschland), eine weitere in einer Arbeit von Asher Winkel¬
stein*’ (Amerika). Henning und Norpoth stellten bei Magenkranken eine
maximale Dauersekretion der Magendrüsen während der Nacht fest. Die Mehr¬
zahl dieser Patienten hatte ein Ulcus duodeni. Eine starke nächtliche Se¬
kretion zeigte sich auch bei Fällen von chronischer Gastritis, ferner bei Pa¬
tienten, die eine „vegetative Neurose“ hatten, ohne magenkrank zu sein. Ähn¬
lich beobachtete Winkelstein hohe Säurekurven bei Patienten mit einem
durch Scheinfüttern („psychische“ Fütterung) erzeugten Ulkus. Ferner zeigten
die Patienten mit einem Magen- oder einem Duodenalgeschwür im "Vergleich
mit Kontrollversuchen hohe nächtliche Säurekurven. Diese Beobachtungen
stehen durchaus im Einklang mit unseren Ansichten. Sie bestätigen die Emp¬
findlichkeit der Magensekretion gegen Nervenreize bei Patienten mit einem
Ulkus und zeigen auch, daß bei diesen Kranken tatsächlich eine fortgesetzte
Sekretion stattfindet. Anscheinend ist nicht der absolute Grad der Hyper¬
azidität von Bedeutung, sondern der chronische Zustand von Magenerre¬
gung, die chronische Magensaftsekretion. Wir können als Ergebnis unserer
Untersuchungen diese Beobachtungen dahin ergänzen, daß die in Frage stehen¬
den Kranken von oralen Tendenzen und oralen Phantasien beherrscht werden
und daß wir diese für die psychischen Reize halten, welche die fortgesetzte
Magensaftsekretion verursachen.
Ich möchte schließlich eines noch einmal betonen: Unsere Gesamtauffassung
von den psychologischen Faktoren bei peptischen Geschwüren gründet sich auf
die analytisch festgelegte Tatsache, daß der Wunsch nach Abhängigkeit und
Hilfe, den wir bei allen unseren Kranken so regelmäßig entdeckt haben, im Un¬
bewußten gefühlsmäßig mit dem Wunsch, gefüttert zu werden, verknüpft ist.
Wir behaupten nicht, diesen Zusammenhang aufgedeckt zu haben, sondern
26 ) Henning, N. und Norpoth, L.: Untersuchungen über die sekretorische Funktion
des Magens während des nächtlichen Schlafes, Archiv für Verdauungskrankheiten, Bd. 53,
S. 64, 1933.
27) Winkelstein, Asher: A New Therapy of Peptic Ulcer, American Journal of the
Medical Sciences, VoL CLXXV, S. 695, Mai 1933.
Franz Alexander
206
verweisen auf die zahlreichen psychoanalytischen Schriften, in denen er von
verschiedenen Autoren beleuchtet worden ist.^®
Diese Erklärung soll nicht als ein Versuch angesehen werden, eine allgemein¬
gültige ätiologische Theorie für peptische Geschwüre aufzustellen. Sie bezieht
sich lediglich auf eine beschränkte Anzahl beobachteter Fälle, und wir haben
keinerlei Beweis dafür, daß peptische Geschwüre sich nicht auch auf einer
anderen und vielleicht nicht psychogenen Grundlage entwickeln können.
Überdies setzt sich unser Material leider nur aus Fällen von Duodenalgeschwü¬
ren zusammen, und infolgedessen beschränken sich alle unsere Schlußfolgerun¬
gen auf diese Art von Geschwüren.
Eine letzte Frage muß nun noch beantwortet werden. Wir fanden bei
unseren Fällen von peptischem Geschwür und Magenneurose eine starke Re¬
gression zu der infantilen oralen Rezeptivität und Aggression. Weiters sahen
wir, wie diese infantilen Strebungen von äußeren Umständen gehemmt werden,
häufiger aber von dem inneren Konflikt, der durch die oral-rezeptiven und
oral-sadistischen Impulse erweckt wird; dieser Konflikt führt zu Über¬
kompensation, zu allzu großer Unabhängigkeit, und diese wieder macht
jede normale Befriedigung des so allgemein menschlichen Wunsches, sich auf
andere zu stützen und sich von anderen helfen zu lassen, unmöglich. Wir ver¬
standen, daß dadurch die infantile Sehnsucht nach Abhängigkeit noch größer
werden muß, daß diese Sehnsucht den gefühlsmäßig mit ihr verknüpften
Wunsch gefüttert zu werden mobilisiert, und daß dieser letztere zu einem
dauernden Reiz für den leeren Magen wird und dessen Dysfunktion ver¬
ursacht. Alles das ist klar, steht im Einklang mit unserem psychologischen
und physiologischen Wissen und erklärt die beobachteten Tatsachen. Wir
finden aber die gleichen, oral-rezeptive und oral-aggressive Tendenzen be¬
treffenden heftigen Konflikte, die Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle
und den typischen Überkompensationsmechanismus verursachen, bei
vielen Formen der Neurose. Die psychologische Situation, die wir bei
unseren Fällen von peptischem Geschwür und gastrischer Neurose beschrieben
haben, ist keineswegs eine spezielle, auf solche Patienten beschränkte. Die
Konvertierung des Wunsches, geliebt zu werden und etwas zu bekommen,
in Mageninnervationen kann also nur als eine der vielen möglichen dynami¬
schen Folgen derselben unbewußten Konfliktsituation gelten. Warum be¬
stimmte Individuen gerade diese physiologische Lösung wählen, muß un¬
beantwortet bleiben — die Frage gehört dem bisher noch dunklen Gebiet der
„NeurosenwahP‘ an. Am wahrscheinlichsten ist folgender Sachverhalt: Wenn
gewisse unbekannte organische Faktoren mit der oben beschriebenen psycht)-
28) Bezüglich des Zusammenhanges zwischen oraler Befriedigung in der Säuglingsperiode
und der Freude am Nehmen und Beschenktwerden verweise ich auf die ursprünglichen Beob¬
achtungen Freuds und Abrahams.
Freud, S.: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Ges. Sehr,, Bd. V.
Abraham, K.: Psychoanalyt. Studien zur Charakterbildung, Int. Psa. Verl., Wien, 1925«
207
über den Einfluß psychischer Faktoren auf gastrointestinale Störungen
dynamischen Konstellation Zusammentreffen, führen sie im Verein mit
diesen zur Geschwürbildung. Die Tatsache, daß sich orale Regression
stets und Überkompensation sowie Verdrängung der oral-rezeptiven und
oral-aggressiven Strebungen sehr häufig haben feststellen lassen, berechtigt uns
jedoch zu der Vermutung, daß diese psychodynamische Situation der be¬
deutsamste psychische Faktor in der Ätiologie des Duodenalgeschwürs ist.
Der Beitrag der Psychoanalyse zu diesem Problem endet mit der Beschrei¬
bung der typischen psychodynamischen Bedingungen, die für die Erkran¬
kung an Ulcus pepticum charakteristisch sind.
IL Der Kolitistypus
Eine andere Lösung desselben Konflikts wurde als typisch für die zweite
Gruppe von Patienten erkannt, die ich als Kolitistypus bezeichne. Sie umfaßt
Fälle, die man gewöhnlich muköse oder spastische Kolitis nennt; Verstopfung
wechselt mit schmerzhafter, oft muköser Diarrhöe ab, die häufig auch von
Krämpfen begleitet ist. Wir haben fünf Fälle ausgewählt, bei denen das
Symptom der Diarrhöe vorherrscht.
Einer unserer Patienten hatte drei Jahre hindurch sechs bis zwanzig Ent¬
leerungen täglich. Um sicher zu sein, daß keine organischen Faktoren in Be¬
tracht kommen, haben wir bisher von Fällen mit ulzerierender Kolitis ab¬
gesehen.
Oberflächlich betrachtet sind diese Kranken ganz anders als die gastrische
Gruppe. Während die meisten unserer gastrischen Patienten alle ihre rezep¬
tiven Tendenzen, ihr Hilfsbedürfnis, ihren Wunsch nach Abhängigkeit nach¬
drücklich in Abrede stellen, betonen die an Kolitis leidenden vor allem, daß
sie von anderen nicht bekämen, was ihnen gebühre, obgleich sie selbst sehr
^ hilfsbereit, großmütig und voll Interesse für andere seien. Während die Kran-
^ ken vom gastrischen Typus häufig wirklich tüchtig, hilfreich und gro߬
mütig sind oder sich mindestens ernstlich bemühen, das alles zu sein, machen
die Kolitiskranken in dieser Hinsicht nur schöne Worte. Zwar waren manche
vor ihrer Erkrankung aktiv und tüchtig, später aber fanden sie sich leicht in
eine abhängige Lage, was bei den gastrischen Patienten durchaus nicht der
Fall ist. Sie geben ihre Arbeit bereitwillig auf; wenn sie überhaupt arbeiteten,
so geschah es in der Regel nur infolge äußerer Notwendigkeit; es fehlte ihnen
die Strebsamkeit und der Ehrgeiz, die für den gastrischen Typus charak¬
teristisch sind.
I Der Unterschied zwischen dem gastrischen und dem Kolitistypus ähnelt
dem zwischen einer Phobie und einer Zwangsneurose. Bei der Phobie besteht
J Angst vor bestimmten Handlungen, die im Unbewußten eine gefürchtete
symbolische Bedeutung haben, und diese Handlungen sind^ gehemmt — auf die
Straße zu gehen, ist zum Beispiel symbolisch für Prostitutionsphantasien und
i
2o8
Franz Alexander
Wird deshalb vermieden. Schreiben als Symbol des Inzests oder jemanden
berühren als Symbol eines Mordwunsches werden durch Angst gehemmt;
aber wir finden bei der Phobie keinerlei neurotische Mechanismen, die es
ermöglichen würden, die verbotenen Strebungen doch auszuführen.
Wird die Phobie jedoch zur Zwangsneurose, so kann sich der Patient jede
symbolische Befriedigung gestatten, wenn er nur bestimmte Bedingungen
erfüllt. Wenn er sich an bestimmte kompensierende Symptome hält, wird er
auf die zurückgewiesenen unbewußten Tendenzen nicht länger mit Angst-
und Schuldgefühlen reagieren: Er kann auf die Straße gehen, wenn er geyrisse
Zeremonien ausführt; wenn er sich zuvor die Hände wäscht, darf er einen
anderen berühren; die abgelehnten Tendenzen dürfen befriedigt werden, vor¬
ausgesetzt, daß durch andere symptomatische Handlungen für die in Sym¬
bolen phantasierten Verbrechen Buße getan, der phantasierte Schaden wieder
gutgemacht wird.
Gleich den Phobikern sind viele unserer gastrischen Fälle unter keiner Be¬
dingung imstande, sich bewußt eine freie Hingabe an ihre rezeptiven oder
oral-aggressiven Tendenzen zu gestatten; zumindest müssen sie andauernd
gegen diese Tendenzen ankämpfen. Unsere Kolitiskranken hingegen können
gleich den Zwangsneurotikern an andere Forderungen stellen und sich helfen
lassen, wenn sie nur dafür in der Form schmerzhafter Entleerungen bezahlen.
Es finden sich bei ihnen, unbewußt und oft sogar auch bewußt, dieselben oral¬
rezeptiven und habgierig aggressiven Tendenzen wie bei den gastrischen
Fällen, aber sowohl die Angst als auch das Minderwertigkeitsgefühl sind be¬
seitigt, wahrscheinlich infolge der symbolischen Bedeutung des physiologischen
Symptoms, der Diarrhöe. Diese bedeutet Wiedererstattung dessen, was sie
anderen wegzunehmen wünschen; weiters bedeutet sie auch Aktivität und
Aggression im Gegensatz zu passivem Aufnehmen.
Bei diesen Kranken wird das untere Ende des Intestinaltrakts, dessen Funk¬
tion vorwiegend in der Ausscheidung besteht, mobilisiert und zu vermehrter
Tätigkeit angeregt. Sie geben anale oder vielmehr intestinale Werte als Kom¬
pensation für orale Rezeptivität und Angriffslust und schaffen so einen Aus¬
gleich zwischen dem Streben aufzunehmen und dem zu eliminieren. Bei
zweien unserer Kranken — beide Büromädchen — war der Neid gegen die
jüngere Schwester, die sie in der rezeptiven Rolle des kleinen Kindes ersetzt
hatte, bedeutsam. Bei einer der beiden Patientinnen wirkte die Anwesenheit
der jüngeren Schwester auslösend auf die Diarrhöe. „Ich will ihr nichts weg¬
nehmen, und wenn ich ihr etwas nehme, so bezahle ich dafür‘‘, ist die dyna¬
mische Formel dieses Symptoms.
Bei einem überaus erfolgreichen Geschäftsmann, der eine schwere Kolitis
hatte, stellten wir fest, daß er, kaum dem Kindesalter entwachsen, im Wett¬
streit mit seinem Vater für die Familie gearbeitet hatte. In den Jünglings¬
jahren wurde er ihre Hauptstütze. Das Leitmotiv seines Daseins ist eine Phan-
über den Einfluß psychischer Faktoren auf gastrointestinale Störungen 209
tasie, wie er den Eltern geholfen habe. „Ich habe meine Mutter von meinem
schwachen Vater weggeholt, aber nur um ihr zu helfen. Ich unterstützte nicht
nur sie, sondern auch ihn.“ Er brachte es zu etwas im Leben, und stets war sein
Leitmotiv: „Ich gebe anderen viel, deshalb ist mein Erfolg wohlverdient.“
Dieser Ausgleich der Gefühle bleibt bestehen, bis er 44 Jahre alt ist. Dann
verliert er auf dem Höhepunkt seiner erfolgreichen Laufbahn all sein Geld.
Zu geben und mit Geld zu bezahlen, war für ihn das Mittel gewesen, sich
innerlich im Gleichgewicht zu halten. Während er bemüht ist, sein Geschäft
neu aufzubauen, befällt ihn eine überaus schwere Kolitis. Er hat sechs bis
zwanzig Entleerungen täglich; diese dienen nun demselben inneren Zweck
wie früher die Geldzuwendungen an andere.
Solche Patienten müssen nicht nur ihr aus oraler Aggression stammendes
Schuldgefühl erleichtern, sondern haben noch einen anderen innern Konflikt
zu lösen — den des Minderwertigkeitsgefühls, das durch ihre oral-rezeptiven
Tendenzen verursacht wird. Bei einer unserer Patientinnen erkannten wir
ganz klar, daß die Diarrhöe nicht nur Ersatz bedeutete, sondern auch den
narzißtischen Sinn männlicher Aktivität hatte und die männlichen Strebungen
der Patientin zum Ausdruck brachte.^® Bei allen unseren weiblichen Fällen
vom Kolitistypus fanden wir, daß die weibliche genitale Einstellung aus zwei
Gründen verworfen wurde. Erstens gilt sie als die untergeordnete Rolle, weil
sie gefühlsmäßig eng mit den parasitischen oral-rezeptiven Tendenzen ver¬
knüpft ist; zweitens wird sie wegen ihrer aggressiv-sadistischen Kastrations¬
bedeutung zurückgewiesen. Die aggressive Kastrationstendenz der weiblichen
Wünsche ist stets eine Reaktion darauf, daß die passiv-rezeptiven Tendenzen
unbefriedigt geblieben sind, und wir glauben, daß die weiblichen rezeptiven
Tendenzen meistens erst dann zurückgewiesen werden, wenn sie jene aggres¬
sive Bedeutung angenommen haben. Bei allen unseren Patientinnen be¬
deutet die Diarrhöe sowohl Wiedergutmachung von Kastrationswün¬
schen als auch männliche Aktivität im Gegensatz zu weiblicher Re-
zeptivität. Bei einer unserer Kranken kommt der Wunsch der
Wiedergutmachung oder Wiedererstattung durch die Diarrhöe in einer
tiefen Schicht dem Verlangen gleich, ein Kind zu gebären. Daß die
Diarrhöen sowohl Ersatzleistung als auch männliche Aktivität bedeuten und
manchmal auch einen aggressiven Sinn haben, konnten wir feststellen, indem
wir wiederholt beobachteten, unter welchen psychologischen Bedingungen ein
Anfall von Diarrhöe zustande kam; besonders lehrreich waren Träume, aus
denen die Patienten mit einem Anfall von Diarrhöe erwachten. Das kon¬
stanteste und auffälligste Merkmal, das den spezifischen Charakter dieser Fälle
29) über den Zusammenhang des Defäkationsaktes mit dem Wunsch, etwas zu leisten, mit
Selbstachtung und dem Gefühl der Produktivität siehe Abraham, K.: Ergänzungen zur
Lehre vom Analcharakter, Int. Ztschr. f. Psa., Bd. IX, S. 27, 1923.
Ferner Jones, E.: Anal-Erotic Character Traits, Papers on Psycho-Analysis, New York,
Wm. Wood and Co., 1923, S. 691.
Franz Alexander
210
bestimmt, ist der Wunsch nach Ersatzleistung, eine Reaktion auf das
Schuldgefühl, das aus rezeptiven und aggressiven Raubtendenzen (Kastra¬
tionswunsch) entsteht.
Wir sind vorläufig noch nicht imstande, eine in Einzelheiten gehende phy¬
siologische Theorie dafür aufzustellen, auf welche Art und Weise der Wunsch,
etwas wieder zu erstatten und zu geben (Produktivität), und aggressive Ten¬
denzen zu den physiologischen Veränderungen führen, aus denen die Kolitis¬
symptome entstehen. Es ist jedoch leicht zu begreifen, warum das untere
Ende des Intestinaltrakts, dessen Hauptfunktion in der Ausscheidung besteht,
ganz besonders dazu taugt, Aktivität, Aggression und den Wunsch zu geben
zum Ausdruck zu bringen. Wir nehmen an, daß durch einen Mechanismus
ähnlich jenem, den wir bei den gastrischen Fällen feststellten, die Peristaltik
des Darmes unter dem andauernden psychischen Anreiz des Wunsches aus¬
zuscheiden und zu geben von den normalen physiologischen Regulierungs¬
mechanismen unabhängig wird. Normalerweise wird die Peristaltik durch
den Intestinalinhalt periodisch reguliert, bei den in Frage stehenden Neuro¬
tikern aber wird sie durch eine psychische Tendenz angeregt, die mit dem
Ernährungsprozeß nichts zu tun hat. Diese Erklärung fußt auf anerkannten
Feststellungen der Psychoanalyse, und zwar auf dem Satz, daß der Intestinal¬
inhalt im Unbewußten symbolisch einerseits einen wertvollen Besitz und eine
Gabe bedeutet, anderseits ein Mittel der Aggression. Die unbewußte Einstel-
lung, nach welcher der Intestinalinhalt ein wertvoller Besitz ist und die Exkre¬
mente ein Geschenk an andere sind, entspricht der frühen koprophilen Ein¬
stellung des Kindes, bevor es die negative Einstellung des Ekels vor den Exkre¬
menten entwickelt. Daß durch die Ausscheidefunktion auch sadistische oder
aggressive Tendenzen zum Ausdruck kommen, entspricht anderseits der Ein¬
stellung, die sich entwickelt, sobald das Kind gelernt hat, negative Gefühle des
Abscheus gegen diese Funktion zu hegen. Wir haben bei allen unseren Patienten
ein Gemisch beider Tendenzen gefunden, größerer Nachdruck aber liegt bei
den Kolitisfällen auf der Auffassung der Diarrhöen als Ersatzleistung. Wir
verweisen bezüglich dieser psychologischen Zusammenhänge auf die zahlreichen
psychoanalytischen Schriften über dieses Thema, insbesondere auf die Ar¬
beiten von Jones, Brill und Abraham über Analerotik.^®
30) Über die Auffassung des Intestinalinhaltes als Geschenk siehe Freud, S.: Über Trieb¬
umsetzungen insbesondere der Analerotik, Int. Ztschr. f. Psa., Bd. IV, S. 125, 1916.
Ferner auch Jones, E.: Anal-Erotic Character Traits, Papers on Psycho-Analysis, New
York, Wm. Wood and Co., 1923, S. 691.
Über die Beziehung zwischen Verschwendungssucht und neurotischer Diarrhöe siehe be¬
sonders Abraham, K.: Ergänzungen zur Lehre vom Analcharakter, Int. Ztschr. f. Psa.,
Bd. V, S. 117, 1919.
Über die Auffassung des Defäkationsaktes als Wiedererstattung siehe Geza Röheim:
Heiliges Geld in Melanesien, Int. Ztschr. f. Psa., Bd, IX, 1923, Röheim schildert in dieser
Schrift, daß bei den Begräbniszeremonien der Tongainsulaner die wertvollsten Besitztümer
des Stammes dem toten Häuptling in das Grab mitgegeben werden, gleichzeitig
über den Einfluß psychischer Faktoren auf gastrointestinale Störungen
2II
Diese Darlegungen sollen nicht als Versuch auf gef aßt werden, eine all¬
gemeingültige ätiologische Theorie für die spastische Kolitis aufzustellen.
Immerhin ist es uns gelungen, einen Zusammenhang zwischen den Diarrhöen
und den verdrängten unbewußten Wiedererstattungs- und Aggressionsten¬
denzen nachzuweisen. Wir können jedoch nicht behaupten, daß sich die
Kolitis in jedem Fall unbedingt auf psychogener Grundlage entwickle.
Im Zusammenhang mit unseren Feststellungen ergibt sich eine interessante
Frage bezüglich der wohlbekannten Wirkung, die Angst auf die Beherrschung
des Schließmuskels und der Peristaltik ausübt. Man kann im allgemeinen
sagen, daß Angst alle aktiv-aggressiven Mechanismen des Individuums in Be¬
wegung setzt. Can non hat zum Beispiel gezeigt, wie Angst bei Flunden die
Adrenalinbildung mobilisiert, und er betont die teleologische Bedeutung dieser
Erscheinung, indem er die anregende Wirkung des Adrenalins auf die Muskel¬
tätigkeit und auf den Umsatz von Kohlehydraten hervorhebt, — beides ist für
das Tier bei der Verteidigung gegen äußere Gefahr notwendig. Cannon
weist auch auf noch andere Wirkungen des mobilisierten Adrenalins hin,
zum Beispiel auf eine gewisse Veränderung in der Blutverteilung, die bei ver¬
mehrter Muskeltätigkeit von Nutzen ist.^^ Nicht so leicht ist vom teleologi¬
schen Standpunkt aus zu verstehen, daß auch die Defäkationsfunktion dem
Zweck der Verteidigung oder des Angriffs dienen sollte. Die Erfahrungen der
Psychoanalyse zeigen jedoch, daß die Defäkationsfunktion im Gefühlsleben
eng mit aggressiven Tendenzen verknüpft ist, — auf dieser Tatsache beruht
der analytische Begriff des Analsadismus. Furcht mobilisiert Aggression,
und mit dieser ist die Ausscheidung der Exkremente psychologisch verknüpft.
Bei einem feigherzigen Menschen geraten unter der Einwirkung von Angst
die Eingeweide in Bewegung, anstatt daß er auf den Feind losginge. Der Re¬
flexmechanismus, durch den unter der Einwirkung von Angst die Darmtätig¬
keit angeregt wird, ist ein Beispiel für die pathologische, aber allgemein
verbreitete Erscheinung, daß ein Nervenimpuls vom willkürlichen auf das
vegetative System übergeht. An Stelle eines Muskelangriffs tritt eine symboli¬
sche infantile Ausdrucksform der Aggression, denn die Entleerung bedeutet
symbolisch einen Angriff.
aber auch die Männer des Stammes ihre Exkremente auf das Grab entleeren. Über
die sadistische Bedeutung des Defäkationsaktes siehe Abraham, K.: Zur narzißtischen
Bewertung der Exkretionsvorgänge in Traum und Neurose, Int. Ztschr. f. Psa., Bd. VI, S. 64,
1920. „Zur sadistischen Bedeutung der Defäkation zurückkehrend, will ich erwähnen, daß
die Patientin, welche ihre Familie im Traume durch ihre Exkretionen tötet, in hohem
Grade mit nervösen Diarrhöen behaftet war. Die Psychoanalyse ergab neben den uns ge¬
läufigen Ursachen dieses Symptoms eine sadistische Wurzel. Die Diarrhöen stellten sich als
Äquivalente unterdrückter Wutausbrüche heraus. Andere analysierte Krankheitsfälle haben
mir diesen Zusammenhang bestätigt; so kenne ich eine Neurotika, die auf jedes Ärger oder
Wut erregende Erlebnis ebenfalls mit Diarrhöe reagiert." S. 66. Siehe auch Brill, A. A.;
Psychoanalysis, Philadephia and London, W. B. Saunders Co., 1913, S. 274/75,
31) Cannon, W. B.; Bodily Changes in Pain, Hunger, Fear and Rage, Ed. 2, New York,
ü. Appleton and Co., 1929.
212 Franz Alexander
Diese interessanten Tatsachen regen zu weiteren Mutmaßungen an. Der
allgemein anerkannte, aber doch recht sonderbare Zusammenhang zwischen
der Ausscheidung von Exkrementen und feindseliger Angriffslust ist vielleicht
nicht nur ein infantiler, sondern auch ein archaischer Mechanismus. Mög¬
licherweise besteht ein fundamentaler psychogenetischer Zusammenhang
zwischen aktiv-aggressiven Impulsen und den Innervationen der Ausscheidungs¬
organe. Sie gehören vielleicht derselben Kategorie an. Bei Tieren finden sich
zahlreiche Beispiele dafür, daß Sekretions- und Ausscheidefunktionen dem
Zweck der Verteidigung und des Angriffs dienen (Ausspritzen schädlicher
Stoffe). Vielleicht entsteht die sadistische Bedeutung desDefäkationsaktes nach
eben diesem psycho-physiologischen Muster.
III. Der Obstipationstypus
Ich komme nun zu der dritten Gruppe, dem Obstipationstypus. Unsere
Arbeit auf diesem Gebiet befindet sich noch im Anfangsstadium. Daher muß
ich mich auf einige wenige Bemerkungen beschränken, die sich aus dem Ver¬
gleich meiner früheren Erfahrungen mit den Beobachtungen an fünf Patienten
im Institut ergeben haben. Man soll an Hand einiger Fälle und vereinzelter
Beobachtungen aus einer zeitlich zurückliegenden Praxis nicht generalisieren.
Überdies ist nur bei einem einzigen unserer jetzigen Patienten die Obstipation
das Hauptsymptom. Daher sind bei den übrigen vier Fällen die oberflächliche
Einstellung und die Konfliktlösungen, welche für den Obstipationstypus
charakteristisch sein könnten, notwendig mit anderen, stärker hervortretenden
Merkmalen vermengt. Immerhin lassen sich einige Strebungen feststellen, die
charakteristisch zu sein scheinen.^^^. Eine pessimistische Einstellung gegen die
Hilfeleistung anderer oder der Zweifel, sich auf andere verlassen zu können,
scheinen vorzuherrschen. Diese Patienten erhoffen sich offenbar von nieman¬
dem etwas, ganz im Gegensatz zu Abrahams oralen Typen. Gleichzeitig be¬
steht ein mehr oder minder bewußtes, sehr starkes Gefühl der Verpflichtung
zu geben, von dem der Patient sich zu befreien sucht, indem er auf alle be¬
wußten rezeptiven Tendenzen verzichtet. „Ich kann von niemandem etwas
erwarten, deshalb brauche ich auch niemandem etwas zu geben. Ich will
behalten, was ich habe.‘‘
Einer meiner an Obstipation leidenden Patienten denkt unablässig über
seine gefühlsmäßigen oder finanziellen Verpflichtungen gegen andere Men¬
schen nach. Immer wieder muß er sich klarlegen, daß er seinen Bruder nicht
unterstützen und kein Geld an die und die Frau schicken dürfe, weil er damit
im Grunde nur Schaden anrichten würde. Bei Gefühlsbeziehungen zeigt er
die gleiche Einstellung. Ein heftiges Schuldgefühl befällt ihn, wenn er Frauen
31®) In der Zwischenzeit seit der über ein Jahr zurückliegenden Abfassung dieser Arbeit
haben sich die folgenden Beobachtungen an einer Reihe von Obstipationsfällen voll be¬
stätigen lassen.
über den Einfluß psychischer Faktoren auf gastrointestinale Störungen
213
im Stich läßt, die in bezug auf ihn Hoffnungen hegen; er versucht, dieses
Gefühl der Verpflichtung dadurch loszuwerden, daß er nichts von anderen
annimmt, ja es sich nicht einmal gestattet, irgendeine Gabe zu erwarten. Mit
irgendwelchen Fragen, die Geben oder Schenken betreffen, will er nichts zu
schaffen haben. Er hat eine ältere Schwester und einen jüngeren Bruder. Seine
Verpflichtungen gegen die Geschwister hat er auf eine sehr charakteristische
Art und Weise geordnet. Sein Einkommen wird automatisch in bestimmte
Teile geteilt, ein Teil dient der Prämienzahlung auf eine Lebensversicherungs¬
polizze für seinen Bruder, ein zweiter findet für eine Lebensversicherung der
Schwester Verwendung, ein dritter für seine eigene Lebensversicherung. Den
Rest verbraucht er ziemlich vernünftig und nicht allzu sparsam. Er will, wie
er sagt, nicht weiter darüber nachdenken müssen, wen er unterstützen soll.
Dieses Problem soll aus seinem Leben verbannt sein, und für ihn selbst soll
automatisch gesorgt werden.
Einer der Patienten Wilsons®^’’ zeigt ein auffallend ähnliches Bild. Dieser
sechsundzwanzig Jahre alte Architekt leidet an einer Zwangsneurose und
gleichzeitig an hartnäckiger Obstipation, der er durch den fortgesetzten Ge¬
brauch von Abführmitteln steuert. Der Vater des jungen Mannes hat seit drei
oder vier Jahren große finanzielle Schwierigkeiten und wird von seinen beiden
Söhnen bi? zu einem gewissen Ausmaß unterstützt. Daß er den Vater unter¬
stützen muß, hat in dem Patienten einen offenen Konflikt hervorgerufen. Er
sagt, er würde gern von zu Hause wegziehen, doch sei dies unmöglich, weil
man daheim sein Geld brauche. Seine Rationalisierungen sind etwa folgende:
„Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich zu Hause nicht mehr beisteuere.
Täte ich es aber, so würde mein Vater das Geld nur für unnütze Dinge aus¬
geben. Daher ist es besser, wenn ich spare, damit ich ihm helfen kann, wenn
er sich geschäftlich völlig zugrunde gerichtet hat.“ Seine gefühlsmäßige Ein¬
stellung gegen die Familie ist ähnlich. Die Eltern verdienten gar nicht, daß
er sie liebe und achte, denn sie hätten Schuld an seiner Neurose. Leute wie
sie sollten überhaupt keine Kinder in die Welt setzen dürfen. Im Unbewußten
hat er infolge dieser feindseligen Einstellung ein starkes Schuldgefühl gegen
Vater und Bruder. Diesem Schuldgefühl ist es hauptsächlich zuzuschreiben,
daß er in seiner Laufbahn keinen Erfolg hat. Immer wieder betont er, daß
er von niemandem etwas erhoffe; alles was er brauche, müsse er selbst er¬
werben. Doch zweifle er sehr an seiner Fähigkeit dazu, deshalb müsse er
sparsam sein mit dem, was er habe.
Dieser Fall zeigt den wohlbekannten Mechanismus des analen Zurückhaltens
als Reaktion auf die Hemmung des oralen Triebes.*^
3i'>) Wilson, George W.: Typical Personality Trends and Conflicts in Gases of Spastic
Colitis, in Symposium on the Influence of Psychologie Factors upon Gastro-Intestinal
Disturbances, Psa. Quarterly, vol. III, pp. 501—588, 1934.
32) Abraham erklärt die neurotische Sparsamkeit von Menschen, bei denen eine Hem¬
mung dagegen besteht, daß sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen: „Die Lust am Er-
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/2
214 Franz Alexander
Die Abneigung gegen jede Verpflichtung, etwas zu geben, gründet sich in
einer tieferen Schicht auf eine starke Kastrationsangst, von der der Patient
sich zu befreien sucht, indem er auf seine oralen Tendenzen verzichtet und sie
in Abrede stellt.
Ich möchte hier auch auf den Fall von chronischer Obstipation verweisen,
den ich bei einer anderen Gelegenheit beschrieben habe.^® Es handelte sich dort
um eine vernachlässigte Ehefrau, die Gattin eines egozentrischen Künstlers, die
während ihrer zweijährigen Ehe an hartnäckiger Obstipation litt. Das Leiden
fand spontane Erleichterung, als ihr der Gatte eines Tages einen Blumenstrauß
brachte, das erste Geschenk seit der Eheschließung. Auf diese Gabe reagierte
sie mit einer spontanen Entleerung — zwei Jahre hindurch hatte sie keine
solche gehabt. Das Geschenk des Gatten hatte die dynamische Formel „Da ich
nichts bekomme, brauche ich auch nichts zu geben‘‘ zerstört.
Außer der positiven Wertung des Intestinalinhalts als Besitz fanden wir bei
unseren Patienten auch eine anal-sadistische Einstellung, deren Unterdrückung
zum analen Zurückhalten beitrug.^^ Der psychologische Zusammenhang
zwischen den zwei verschiedener! Einstellungen, zwischen dem Zurückbehalten
von etwas Wertvollem und der Hemmung des Ausscheidens wegen dessen
aggressiver beschmutzender Bedeutung, konnte folgendermaßen rekonstruiert
werden: Die feindselige Zurückweisung der Pflicht, etwas zu geben, führt zu
der Einstellung: „Schön, wenn ich schon durchaus etwas geben muß, dann
sollst du also etwas bekommen, aber nichts Besseres als Exkremente^^ Die
ambivalente Einstellung gegen das Exkrement macht den Wechsel der Auf¬
fassungen möglich. Die konflikthafte Zurückweisung der anal-sadistischen
Einstellung bildet die Grundlage der Obstipation.
Obstipation als Zurückweisung der Pflicht, zu geben, entspricht der posi¬
tiven Wertung der Exkremente als Besitz, während Obstipation als Ergebnis
gehemmter Aggression der negativen Einstellung gegen den Intestinalinhalt
entspricht. So kann also die Obstipation ebenso wie die Diarrhöe entweder
aus der positiven oder aus der negativen Besetzung des Defäkationsaktes re¬
sultieren, das heißt entweder aus der Weigerung, etwas Wertvolles abzugeben,
oder aus der, das Exkrement zum Zweck des Angriffs zu gebrauchen.
Ein zweiundvierzig Jahre alter Patient, der seit langem an chronischer Ob¬
stipation litt, hatte eine starke Hemmung des Sexualtriebs. Er bekam heftige
Kopfschmerzen, sooft sich ihm Gelegenheit zum Verkehr mit einem sexuell
langen begehrter Objekte erscheint hier verdrängt zugunsten der Lust am' Festhalten
vorhandenen Besitzes.“ Psa. Studien zur Charakterbildung, S. 42, Int. Psa. Verl., Wien, 1925.
33) Alexander, F.; The Medical Value of Psychoanalysis, New York, W. W. Nortoa
and Co., 1923, S. 197.
34) per in tieferen Schichten bestehende Zusammenhang zwischen Obstipation und
Kastrationsangst ist seit Freuds „Geschichte einer infantilen Neurose“ bekannt. Daß die
Obstipation jedoch auch durch eine Hemmung anal-sadistischer Impulse hervorgerufen werden
kann, wie es sich bei dreien unserer Patienten deutlich zeigt, ist meines Wissens nicht so
allgemein bekannt.
über den Einfluß psychischer Faktoren auf gastrointestinale Störungen 215
t
anziehenden Mädchen bot. Die Analyse zeigte, daß in seinem Unbewußten
der Sexualakt analer Beschmutzung gleichkam. Nachdem dieser Zusammen¬
hang bewußt geworden war, verschwanden die sexuellen Hemmungen und die
Obstipation des Patienten, und er ging so spät im Leben seine erste sexuelle
Beziehung ein.
Eine ähnliche Einstellung gegen die Sexualität ist auch für zwei Fälle von
chronischer Obstipation unter den Patienten Wilsons sehr charakteristisch.
Beide Patienten haben die Neigung, stets Sexualobjekte zu wählen, auf die sie
herabsehen; gleichzeitig äußern sie eine überkompensierte Angriffslust gegen
Frauen. Das manifestiert sich als Impotenz und Ejaculatio praecox — sie ver¬
sagen sich jede Aggression gegen Frauen. Ein unmittelbarer Zusammenhang
dieser Einstellung mit der Obstipation ist durch die Analyse noch nicht er¬
hellt worden.
Somit haben wir auch unsere bisher an der dritten Gruppe gemachten Beob¬
achtungen dargelegt, ohne jedoch behaupten zu wollen, sie schilderten typische
Einstellungen und Konfliktlösungen von solcher Gültigkeit, wie jene Mecha¬
nismen sie haben, die bei den gastrischen und den Kolitisfällen zu finden sind.
Daß wir diese Beobachtungen überhaupt in die vorliegende Schrift mit auf¬
nehmen, erscheint nur insofern gerechtfertigt, als die beschriebenen Mechanis¬
men mit einer wohlbekannten Gefühlsreaktion in Einklang stehen, mit der
Tatsache nämlich, daß die Tendenz, Exkremente zurückzuhalten, häufig eine
feindselige Zurückweisung der Pflicht, zu geben, ausdrückt, die typisch ist für
Fälle mit oraler Versagung und Hemmung der Aneignungstendenzen.®®
Zusammenfassung und Schlußfolgerungen
Wenn man die bei jeder einzelnen von unseren drei Gruppen (gastrischer
Typus, Kolitistypus und Obstipationstypus) vorherrschenden Konfliktsitua¬
tionen und deren Lösungen miteinander vergleicht, so lassen sich die Unter¬
schiede durch die folgenden schematischen Formeln zum Ausdruck bringen:
Das am stärksten hervortretende Merkmal der gastrischen Fälle (gastrische
Neurosen und Duodenalgeschwüre) sind intensive Wünsche, etwas zu bekom¬
men und zu nehmen (Aufnahme- und Einverleibungstendenzen); der Patient
kämpft gegen diese Tendenzen innerlich an, weil sie mit heftigen Konflikten
verknüpft sind, die sich als Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle äußern und
in der Regel dazu führen, daß die in Frage stehenden Tendenzen abgeleugnet
werden: „Ich will nichts nehmen, nichts bekommen. Ich arbeite und bin
tüchtig und habe keine solchen Wünsche.“ Unsere Annahme geht dahin, daß
die Magensymptome durch verdrängte und auf gestaute rezeptive Tendenzen
und aggressive Raubtendenzen bedingt werden, die chronische psychische
35) Über das 2 urückhalten der Exkremente im Zusammenhang mit Eigensinn und Bosheit
siehe Abraham, K.: Ergänzungen zur Lehre vom Analcharakter, Int. Ztschr. f. Psa., Bd. IX,
S. 29, 1923.
15 »
2i6
Franz Alexander
Erreger der Magenfunktion sind. In manchen Fällen werden die Wünsche,
etwas zu bekommen oder zu erwerben, nicht innerlich durch Konflikte ge¬
hemmt, sondern äußerlich durch die Lebensumstände.
Die dynamische Formel der Kolitisfälle lautet: „Ich habe das Recht, zu
nehmen und zu fordern, denn ich gebe immer reichlich. Trotz meines Wun¬
sches, etwas zu bekommen oder mir etwas zu nehmen, brauche ich weder ein
schlechtes Gewissen zu haben, noch mich minderwertig zu fühlen, denn ich
gebe immer etwas für das, was ich bekomme.'" Wir nehmen an, daß die
Diarrhöe nicht nur Aggression ausdrückt, sondern auch das Geben wirklicher
Werte ersetzt. )
Bei den Obstipationsfällen schließlich läßt sich der dynamische Hinter¬
grund des Symptoms folgendermaßen ausdrücken: „Ich nehme nichts und be¬
komme auch nichts, daher brauche ich auch nichts zu geben." Wir halten die
Obstipation für eine Reaktion auf die Verpflichtung, zu geben. In tieferen
Schichten ist das starke Gefühl der Verpflichtung, etwas zu geben, mit der
Kastrationsangst verknüpft.
In Anbetracht des auffallenden Parallelismus, den die dynamische Struktur
der gastrischen Fälle zeigt, besteht wohl kaum ein Zweifel darüber, daß in¬
tensive Aufnahmetendenzen von passiv-rezeptiver sowohl als auch von aggres-
siv-wegnehmender Art den Inhalt des chronischen psychischen Reizes bilden,
der die sekretorische und motorische Dysfunktion des Magens bewirkt. Diese
Tendenzen sind in der Regel durch innere Zurückweisung besonders stark
geworden, weit seltener dadurch, daß der Wunsch nach Liebe, Fürsorge und
Abhängigkeit im äußeren Leben keine Befriedigung fand. Wenn diese Im¬
pulse aus dem willkürlichen System ausgeschlossen sind, können sie durch die
normalen Lebensbeziehungen der Patienten nicht genügend befriedigt werden
und kommen infolgedessen durch vegetative Innervationen (Dysfunktion des
Magens) zum Ausdruck.
Unsere Forschungsarbeit vermag also zu erklären, weshalb eine Reihe von
Ärzten den Eindruck gewonnen hat, daß sich unter den Fällen von Ulcus
pepticum besonders häufig Menschen finden, die im Leben übermäßig aktiv
sind, Verantwortung auf sich nehmen und sich aufs äußerste anstrengen. Un¬
sere Analysen zeigen, daß hier übergroße Aktivität, Tüchtigkeit und ehr¬
geiziges Bemühen Kompensationen sind, die starke rezeptive Tendenzen und
Abhängigkeitswünsche verdecken; die letzteren sind so stark geworden, weil
sie nicht einmal in normalem Ausmaß zum Ausdruck kommen können. Ein
Circulus vitiosus ist hier am Werk. Die hohen Anforderungen, die diese Men¬
schen in bezug auf Tüchtigkeit, Aktivität, Produktivität und Erfolg an sich
stellen, veranlassen sie zu übermäßig großen Anstrengungen; diese wirken auf
die entgegengesetzte, rezeptive Seite ihres Wesens, so daß immer stärkere Über¬
kompensationen notwendig werden. Die gastrischen Symptome stehen in un-
über den Einfluß psychischer Faktoren auf gastrointestinale Störungen
217
naittelbarem ursächlichem Zusammenhang mit den Aufnahmetendenzen, nicht
aber mit dem offen zutage tretenden Bild der Überanstrengung und über¬
großen Aktivität.
Ebenso sicher scheint uns, daß der Inhalt des chronischen psychischen
Reizes, der bei der Kolitis die vermehrte Peristaltik bewirkt, entweder i. ein
narzißtischer Wunsch, zu produzieren, ist und insbesondere ein Verlangen,
etwas wiederzuerstatten (Exkrement = Gabe), oder 2. ein anal-sadistischer
Impuls, der das Exkrement als Angriffswaffe benutzt. Bei diesen Kranken
werden die psychischen Impulse, etwas wieder zu erstatten, zu produzieren
oder anzugreifen, durch das vegetative anstatt durch das willkürliche System
zum Ausdruck gebracht. Die Defäkationsfunktion, die symbolisch Geben und
Angreifen bedeutet, ersetzt entweder das Geben wirklicher Werte an andere
(Wiedererstattung, Produktion) oder den Angriff auf andere.
Es muß betont werden, daß die verschiedenen Arten der oberflächlichen
Einstellung manchmal vermengt erscheinen, wie ja auch ein und derselbe Fall
verschiedene organische Symptome aufweisen kann. Einer unserer gastrischen
Patienten zeigt neben den vorherrschenden gastrischen Symptomen auch eine
periodische Neigung zu Diarrhöe. Die Diarrhöefälle haben fast alle eine inter¬
mittierende oder periodische Obstipation aufzuweisen, deren psychologische
Bedeutung wir noch nicht haben feststellen können. Vielleicht entsteht die
Obstipation dieser Patienten nur durch physiologische Mechanismen. Das
folgende Diagramm darf daher nur als vereinfachtes Schema gelten. Es bringt
die offen zutage tretenden und die unbewußten psychischen Merkmale zum
Ausdruck, die sich bei den extremsten oder besonders typischen Fällen zeigen,
den gemischten Typen wird es aber nicht gerecht. Die dritte Spalte, in der
Einstellungen und Mechanismen des Obstipationstypus verzeichnet sind, ist
nur unter Vorbehalt hinzugefügt worden. Sie soll vorwiegend der Anregung
weiterer Forschungsarbeit dienen, und wir werden sie ohne Zögern abändern,
sobald wir zu neuen Erkenntnissen gelangen (siehe das Diagramm Seite 218).
Unsere Arbeit führt uns zu der Schlußfolgerung, daß sich der Gastro¬
intestinaltrakt, entsprechend seinen drei Hauptfunktionen, des Aufnehmens,
Behaltens und Ausscheidens, ganz besonders dazu eignet, diese drei Grund¬
tendenzen zum Ausdruck zu bringen, wenn ihre normale Äußerung durch das
willkürliche motorische System oder den Sexualapparat infolge innerer Kon¬
flikte gehemmt ist.
Das obere Ende des Gastrointestinaltrakts eignet sich, seiner normalen
Funktion entsprechend, dazu, rezeptive oder aggressive Aneignungstendenzen
auszudrücken, das untere Ende hingegen taugt für die Äußerung der Ten¬
denz, etwas zu geben, oder der, etwas zu behalten. Sowohl die Aufnahme¬
ais auch die Eliminierungstendenz kann einen mehr aufbauenden (erotischen)
oder einen mehr zerstörenden Zug haben:
2i8
Franz Alexander
Aufnehmen
passives Empfangen
aggressives Nehmen
Eliminieren
— Geben positiver Werte (Wiedererstattung, Geburt)
- aggressives und sadistisches Ausscheiden (Angriff,
Beschmutzung)
Gastrischer Typus
Kolitistypus
Obstipationstypus
Typische be-
„Ich will weder etwas
„Ich habe das Recht, et¬
„Ich nehme nichts, da¬
wußte Ein-
bekommen noch etwas
was zu nehmen und zu
her brauche ich auch
Stellung zur
nehmen. Ich habe keine
fordern, weil ich selbst reich¬
nichts zu geben**
Umgebung,
derartigen Wünsche. Ich
lich gebe. Ich brauche
schematisch
bin unabhängig, aktiv
wegen meiner rezeptiven
ausgedrückt
und tüchtig**
Wünsche weder Minder-
wertigkeits- noch Schuld¬
gefühle zu haben, denn
ich gebe etwas als Gegen¬
leistung**
*
Der tiefere
Die verleugneten und
I. Der dauernde Wunsch,
I. Die Zurückweisung
dynamische
verdrängten oral-rezep¬
für oral-aggressive Tenden¬
der Pflicht zu geben.
Hintergrund
tiven und oral-aggressi¬
zen einen Ersatz zu leisten.
bewirkt durch Furcht
der Sym¬
ven Tendenzen werden
und
vor Verlust (Kastra¬
ptome
in die ursprüngliche
tionsangst), und
Form konvertiert: in
2. der Wunsch, in eliminie¬
2. die Hemmung anal¬
den Wunsch, gefüttert
render (und nicht oral-re¬
sadistischer Impulse
zu werden oder zu essen.
zeptiver) Art und Weise
(feindselig und auf zer¬
Diese Tendenzen bilden
aktiv und aggressiv zu sein.
störende Art und Weise
einen chronischen psy¬
üben einen dauernden Reiz
zu geben)
chischen Reiz für den
auf die Peristaltik aus, der
Magen, einen Reiz, der
von den Verdauungsfunk¬
von den Verdauungs¬
tionen unabhängig ist.
funktionen unabhängig
Die Diarrhöe ersetzt das
sind die chronischen
ist
Geben wirklicher Werte,
hemmenden Reize, die
ernstliches Bemühen und
wirkliche Aktivität sowie
zur Obstipation führen
auch Aggression
Inhalt der
psychischen
Behalten aus
Reize, welche
I. Bekommen
1. Geben (Wiedererstattung
I. Angst vor Verlust
die Dys¬
des Bekommenen oder des
funktion ver¬
Genommenen)
ursachen
2 . Nehmen
2. Aggressive Eliminierung
2. Angst, Schaden afl*f
zurichten
Ich bin überzeugt, daß eine Analyse der Gefühlseinstellungen des Indivi¬
duums zu seiner Umgebung aus dem Gesichtspunkt der drei Grundtendenzen:
219
über den Einfluß psychischer Faktoren auf gastrointestinale Störungen
I. bekommen und nehmen, 2. behalten und 3. geben, nicht nur das Verständ¬
nis gastrointestinaler Störungen fördern, sondern auch von allgemeiner Bedeu¬
tung sein wird. Diese drei Gruppen der Gefühlstendenzen scheinen von grund¬
legender Art zu sein, und ihre Erkenntnis macht die weitere Analyse der Ge¬
fühlsreaktionen des Individuums gegen seine Umgebung, einschließlich der
sexuellen Beziehungen, möglich.^®
Es scheint mir, daß die Analyse des Inhalts der männlichen und weiblichen
Sexualität als eines Gemisches dieser drei Grundtendenzen den vagen Aus¬
drücken wie „aktiv‘‘ und „passiv'S „männlich“ und „weiblich“ mehr spezifische
Bedeutung gibt. In der prägenitalen Sexualität erscheinen diese drei
Grundtendenzen unvermischt. In den späteren Ausgestaltungen des Sexual¬
lebens lassen sich aktive und passive, männliche und weibliche Strebungen als
ein verschieden proportioniertes Gemisch jener elementareren Tendenzen be¬
trachten. Mir scheint, daß eine solche Analyse der Sexualorganisation zu
einer weit präziseren Beschreibung führen wird, als wir sie heute besitzen.
Freilich muß es künftiger Forschungsarbeit überlassen bleiben festzu¬
stellen, ob sich die dynamische Beziehung des Individuums zu seiner Um¬
gebung erschöpfend auf jene drei Gruppen von Grundtendenzen redu¬
zieren läßt.
Physiologisch kann der Lebensprozeß sehr gut als eine Kette der fol¬
genden drei Hauptfunktionen beschrieben werden: Aufnahme von Sub¬
stanz und Energie aus der Umgebung, teilweises Behalten (z. B. für das
Wachstum) und Ausscheidung — Ausscheidung der Endprodukte des
Stoffwechsels, Ausscheidung von Substanzen zum Zweck der Fortpflanzung
und dauernde Abgabe von thermischer und mechanischer Energie. Es wäre
durchaus nicht überraschend, wenn sich herausstellte, daß die elementarsten
psychischen Tendenzen des Individuums diesen drei biologischen Prozessen
zuzuordnen sind, das heißt, daß — wie Ferenczi in seiner „Genitaltheorie“
annimmt — die psychische Dynamik der biologischen Lebensdynamik ent¬
spricht.
36) In einer seiner frühen Schriften (1918) schlägt Ernest Jones eine Betrachtung der
Liebesbeziehungen auf dieser Basis vor: Anal-Erotic Character.Traits, Papers on Psycho-
Analysis, New York, Wm. Wood and Co., 1923. „Sowohl auf der psychologischen als auch
auf der physiologischen Seite der Liebe ist der größte Teil des Liebeslebens dem Prototyp
des Gebens und Nehmens nachgebildet.“ S. 700,
über Euthanasie'
Eine klinische Studie
Von
Felix Deutsch
Wien
Die analytische Forschung hat über den Tod und die Todesangst viel Be¬
deutsames gefunden, seit der Todestrieb als der Antipode des Eros erkannt
worden ist. Freud hat in seinem Aufsatz „Zeitgemäßes über Krieg und Tod‘‘,
und in „Totem und Tabu“ ausführlich das Todesproblem behandelt. Meine
Gedanken über Euthanasie bezwecken daher weder, den Ausführungen
über den Anteil des Schuldgefühls an der Todesangst etwas Wesent¬
liches hinzuzufügen, noch auch etwa neue Beweise dafür zu erbringen, daß
die Todesangst sich zwischen Ich und Über-Ich abspielt, oder daß sie als eine
Verarbeitung der Kastrationsangst auf gef aßt werden kann.
Die folgenden Ausführungen sind auch keine literarischen, keine philosophi¬
schen Auseinandersetzungen. Soweit die schöne Literatur herangezogen wird,
handelt es sich nur um zufällig Angeflogenes. Von dieser Seite das Problem
zu bearbeiten, steht meines Erachtens denen zu, die sich mit Geisteswissen¬
schaften befassen.
Was hier mitgeteilt werden soll, ist zumeist am Krankenbette Todkranker
Erlauschtes, aus dem sich mir ein psychologisches Verstehen des glücklichen
Sterbens ergeben zu haben scheint.
Es sind mehrere Jahre her, als sich im Spital folgender Fall ereignete:
Eine junge Lehrerin wurde in eine wenig aussichtsvolle Behandlung genommen,
nachdem sich im Gefolge einer Gebärmutteroperation wegen krebsiger Neubildung
diese im ganzen Körper auszubreiten begann. Besonders das Knochensystem wurde
in raschem Tempo von der bösartigen Krankheit betroffen. Es war kein Zweifel,
daß die Arme sich bei dem zunehmenden Kräfteverfall ebenso der Natur ihrer Er¬
krankung, wie auch der Unmöglichkeit einer Heilung bewußt sein mußte. Trotzdem
trug die Patientin eine auffallende Ruhe zur Schau, lächelte gewissermaßen überlegen,
wenn man an ihr Bett trat, beteuerte, keine Schmerzen zu haben, obwohl dies kaum
glaublich war, und lehnte narkotische Mittel direkt ab. Dieses Verhalten hätte man
geradezu bewunderungswürdig nennen müssen, wenn nicht auch im Äußeren der
Patientin allmählich eine Veränderung vor sich gegangen wäre, die im schärfsten
Gegensatz zu der fortschreitenden Todeskrankheit stand. Sie legte in ihr Spitals¬
hemd, wenn auch diskret, farbige Maschen, kämmte ihr dürftiges Haar stets mit
größter Sorgfalt und färbte ihre Lippen mit kräftigem Rouge, als ging es zu einem
Feste und nicht dem unerbittlichen Ende entgegen.
Erkundigungen bei ihren Bettnachbarinnen über ihr sonstiges Benehmen brachten
keine Aufklärung. Sie zeige sich vollkommen geordnet, sei mit allen gütig und
freundlich und für Hilfeleistungen, auf die sie, da sie keine Angehörigen hatte, an-
i) Vortrag, gehalten in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung am 12. Dezember 1934 *
über Euthanasie
221
ewiesen war, stets dankbar. Der einzige Besucher, der in den Nachmittagsstunden
mehrmals wöchentlich an ihrem Bette sitze, sei ein älterer Polizeiinspektor, der mit
ihr leise Gespräche führe.
Der diensthabende Arzt, der beauftragt wurde, sich mit diesem Herrn ms Einver¬
nehmen zu setzen, brachte in Erfahrung, daß dieser Verkehrsbeamte der Vorsitzende
eines spiritistischen Vereines sei, dem auch die Patientin angehöre; er käme nur, weil
die Patientin durch seine Anwesenheit sich stets beglückt fühle.
Die Patientin machte uns nun folgendes Geständnis; Der Wachebamte ege, wenn
er komme, seine Hände auf die ihren; sie fühle ein wohltuendes Gefühl in ihrem
Körper, und nun rufe der Mann ihren verstorbenen einzigen Bruder
_ er könne dies wirklich —, der dann mit ihr wie seinerzeit in der Kind-
Wir ließen uns dieses Auge des Gesetzes kommen. Es erschien ein mehr als
simpler, geistig recht beschränkter älterer, behäbiger Mann, der uns ^teuerte, daß
er imstande sei, verstorbene Geister zu rufen, indem er sich in einen Trancezustand
versetze. Wir ließen uns dies gleich demonstrieren. Er verfiel rasch in die Auto¬
hypnose, redete mich als Bruder an und sprach viel Unsinn. Es war nicht schwer,
die Autohypnose durch einen anderen Geist, eine imaginäre Schwester, die man aus
dem Äther rief, in eine echte Hypnose zu verwandeln. — Der Mann landete spater
als Paranoia auf der Klinik. Doch dies nur nebenbei. - Wir aber störten diesen
Richter auf Erden nicht in seiner die Todkranke so beglückenden Behandlung. Die
Kranke starb bald darauf mit einem verklärten Gesicht. Keine Sterbensangst hatte
die Tage vor ihrem Tod, obwohl sie ihn kommen «ah, verbittert. — In einer seligen,
vielleicht schuldfreien, vom Gesetz — dem Polizeiinspektor — sanktionierten Be¬
ziehung zu ihrem Bruder blieben ihr bis zu ihrem Ende Schmerzen erspart.
Seither sind Jahre vergangen — aber der Fall hatte einen nachhaltigen Ein¬
druck hinterlassen. j- • j
War das die Euthanasie, die Kunst des glücklichen Sterbens, die jeder so
gerne erlernen möchte? -t— W^as ist Euthanasie? ^
Schon bei Cicero finden wir diese Frage und von Augustus berichtet
sein Biograph, „wenn er gehört hatte, daß irgend jemand ohne Qual ver¬
schieden sei, betete er, daß ihm und den Seinigen eine ähnliche Euthanasie
beschieden sein möge“. Ein Todesbehagen! Das Wort hat später vielfach
seine Bedeutung gewandelt. • u- u •
Manche glauben, es heiße angesichts des gewissen Todes „in Schönheit
sterben“. Das hieße dem Wort eine Bedeutung geben, die dem Zuschauer
des Sterbens die Flauptrolle zuweist. Erwirbt man denn den Nachruf der
Euthanasie, stirbt man in Schönheit, wenn man auf die Zuschauer des Sterbens
einen erhebenden Eindruck macht?
In einem Nachruf auf einen seinerzeit an der Pest verstorbenen Arzt, der
sich freiwillig zum ärztlichen Dienste bei Pestkranken gemeldet hatte, hieß
es: „Er hat schön, ja erhaben zu sterben gewußt — und das ergreift, befreit
und erhebt zugleich.“ Wen aber? Nicht den Sterbenden — die Zurück-
gebliebenen!
Bei manchen, die für eine Idee starben, könnte man fast den Eindruck
haben, als würden sie in durchsichtigem Narzißmus vor dem Tode in eine
222
Felix Deutsch
Nachwelt blicken, der sie zwar nicht mehr Idbend angehören werden, von der ;
sie aber die Kränze des Nachruhms erwarten.
Ein großer und gütiger Arzt unserer Zeit, Nothnagel, meinte, daß i
Euthanasie, wörtlich übersetzt, die Kunst, das Lebensende sanft zu gestalten
sanft sterben zu lassen, bedeute.
Eine Aufgabe, die nicht so schwer zu erfüllen wäre, wenn das Sterben nur
physisch qualvoll wäre. Qualvoll ist jedoch vor allem die seelische Todesangst. '
Damit hat uns längst die Psychoanalyse bekannt gemacht.
Wie sollte man mit ihr fertig werden? Jeder Mensch weiß, daß er einmal ]
sterben muß. Der Tod bedeutet damit für ihn eine reale Gefahr. Das ist wohl
richtig; aber die Größe der Gefahr ist doch verschieden. Sollte es niclit viel¬
leicht darauf ankommen, mit welcher Kraft Eros und die Todestriebe auf- ^
einanderprallen?
Alle Triebtendenzen haben auch ihre biologischen Quellen. Wenn die or¬
ganische Tätigkeit zu Ende geht, wenn die innersekretorischen Vorgänge im¬
mer schwächer werden, ist es klar, daß auch die Quellen der Triebe zu versie¬
gen beginnen. Nur wenigen ist es aber vergönnt, den Lebensablauf so zu beenden, i
daß die Organe einfach durch ihr Altern ihre Funktion einstellen, der Zelltod ^
einfach durch den Aufbrauch der Kräfte und Säfte eintritt. Trifft dies aber
ausnahmsweise zu, dann werden Lebenstriebe und Todestriebe immer
schwächer; ihr Kampf gegeneinander klingt von selbst ab, da ihre Macht in 1
gleicher Weise geringer wird. Die Todesangst wird überflüssig, denn die Ge- 1
fahr von Innen gegen das Ich durch die inneren Triebansprüche, die Gefahr I
von Außen durch Bedrohung durch Krankheit fällt weg; da keine Gefahr |
signalisiert wird, braucht keine Angst als Schutzvorrichtung sich zu melden. 1
Doch fast me endet das Leben so, daß die Organe an der schließlichen Er- fl
müdung ihrer Funktion sterben, sondern fast immer sind es Krankheiten oder fl
äußere Einflüsse, die den normalen Ausklang des Lebens jäh unterbrechen. So fl
kann der Tod in uns nicht ausreifen und wir gebären, wie ein Dichter sagt, in fl
uns „unseres Todes tote Fehlgeburt“. fl
„Denn dieses macht das Sterben fremd und schwer fl
Daß es nicht unser Tod ist, einer der fl
Uns endlich nimmt, nur weil wir keinen reifen. fl
Der große Tod, den jeder in sich hat fl
Das ist die Frucht, um die sich alles dreht.“ (Rilke) fl
Da nun das Leben meist nicht durch normalen Ablauf endet, so ist die Bedro- fl
hung durch die Krankheit, die zum Sterben und zum Tode führt, ein Vorgang, |
auf den eine Mobilisierung aller Triebkräfte erfolgen muß. Wenn der Körpef fl
bedroht ist, dann wird die Libido von den Objekten zurückgezogen und den fl
erkrankten Organen zugewendet. Die Objektlibido wird geringer, die nar- fl
zißtische Libido mehrt sich. Jede derartige Bedrohung wird aber auch als fl
Aggression von außen empfunden, als Strafdrohung. Die gegen das Ich ge- fl
über Euthanasie
223
richtete Aggression führt zu einer Abwehr, die sich in einer Steigerung der
Aggression gegen die Außenwelt äußern kann, oder aber umgekehrt in einem
lustvoll empfundenen masochistischen Leidenserlebnis. Je mehr jedoch die
Erkrankung als eine unabwendbare Gefahr gewertet wird, vor der es kein
Entrinnen gibt, also auch keine Möglichkeit der Abwehr, je mehr sich das Ich
aufgibt, desto mehr steigert sich die Todesangst, aus der dann oft die Flucht
in die Psychose einen Ausweg darstellt. Es kann dann die Krankheit wie ein
realer Angreifer und Verfolger empfunden werden und entweder eine Paranoia
gintreten oder aber eine tiefe Depression bis zur Melancholie sich einstellen,
die die Bedrohung durch die Krankheit als eine Bedrohung vom Über-Ich her
umwertet. Dieser nunmehr von Innen drohenden Gefahr entzieht sich der
Kranke häufig durch Selbstmord. „Wenn das Ich weder fliehen noch kämpfen
kann, dann vollstreckt es selbst das drohende Unheil“ (Rado).
Wir sehen also: Zwischen den wirkenden Kräften der Aggressionen, der
Angst, dem Schuldgefühl und den Instanzen, von denen sie ausgehen, muß ein
Ausgleich, eine Versöhnung erfolgen, damit das Sterben nicht qualvoll wird.
Damit es darüber hinaus noch glücklich werden kann, ist mehr
als diese Versöhnung notwendig. Vor der Versöhnung dieser Trieb¬
kräfte jedoch sucht jede derselben noch durch Steigerung ihrer Intensitäten
oder durch deren Absättigung sich zu entlasten. So sehen wir besonders bei
manchen Tuberkulösen, wie diese Aggressionsneigung gegen die Außenwelt
mit dem Fortschreiten der Krankheit sich oft Ins Ungemessene steigern kann.
Der Versuch der Abwehr durch Aggression vor dem Tode ist auch In der
scherzhaften Geschichte illustriert, die von einem Mann erzählt, der von einem
wütenden Hund gebissen wurde und, statt sich die rettende Injektion zu holen,
ruhig sitzen bleibt, einen Bleistift herausnimmt und zu schreiben beginnt; und
als ihn sein Freund anrief: „Was machst du denn da, jede Minute Ist doch kost¬
bar, was schreibst du?“, antwortete der Mann: „Ich schreibe mir die Namen
derer auf, die ich noch vor meinem Tode beißen will.“
Ein Dichter hat auch dieses letzte lustvolle Erlebnis im Stetben,
die Aggression gegen die Außenwelt, richtig erkannt. Arthur Schnitzler
läßt in seinem Schauspiel „Die letzten Masken“ einen schwer Lungen¬
kranken, einen armen Journalisten, noch eine letzte Bitte aussprechen.
Er sieht seinen Tod herannahen und bittet den Arzt, einen Freund kommen
zu lassen, einen erfolgreichen Schriftsteller, dem er noch etwas Wichtiges sagen
wolle; eine Bitte, die ihm der Arzt nach langem Zögern zu erfüllen verspricht.
Sein Bettkamerad fragt Ihn, was er denn dem Manne noch zu sagen hätte. Da
verrät er ihm, daß er ihm noch einmal sagen möchte, wie sehr er ihn verachte,
wie er ihn hasse, daß er ihm zeigen möchte, wie wertlos und niedrig alles sei.
Was jener geschaffen habe, und wenn er auch Erfolg gehabt habe, so sei dies
alles nichts, denn er selbst habe mehr noch erreicht und besessen — des an-
224
Felix Deutsch
deren Frau; sie habe nur ihn geliebt und sei nur darum nicht bei ihm ge¬
blieben, weil er arm gewesen sei.
Da fordert ihn der andere Kranke auf, eine Art Generalprobe vor dem
Kommen des Mannes zu machen und ihm alles zu sagen, was er dem Besucher
sagen wolle. Der Lungenkranke willigt ein, und nun spielen sie die Szene, in
der der Sterbende noch einmal seinem ganzen Haß freien Lauf läßt. Als dann
der Besucher wirklich kam und eine wichtige Mitteilung erwartete, verab¬
schiedete ihn der Kranke mit inhaltslosen Worten. Die Aggression hatte sich
schon erschöpft, und der Kranke stirbt versöhnt und glücklich.
Wie unerträglich der Todesgedanke bei Menschen werden kann, die in ihrem
Beruf gewohnt waren, ihre Aggressionen los zu werden, wenn einmal ihnen
selbst der Tod droht, leuchtet in einer kurzen Nachricht auf, die vor einiger
Zeit zu lesen war. Ein Sojähriger Chirurg, der zeitlebens ein sehr beschäftigter,
erfolgreicher Operateur gewesen war, erfährt, daß er ein Darmleiden habe, an
dem er operiert werden müsse — und begeht Selbstmord.
Wenn sich die Aggression nicht mehr nach außen wenden kann, wenn der
Sterbende aus Kraftlosigkeit der aktiven Muskelaktionen beraubt ist, ist es be¬
greiflich, daß ihn diese Unfähigkeit der Abfuhr der Angst durch die Motili¬
tät den gegen sich gerichteten Aggressionen wehrlos ausliefert. Wie groß muß
diese Angst doch sein, wenn hier die Bedrohung den ganzen Körper trifft, wo
doch schon die Verlustdrohung durch die Erkrankung eines einzigen Organs
qualvoll empfunden wird! Denn ein Organverlust wird im Unbewußten
häufig auch gleichzeitig als Objektverlust in der Außenwelt gewertet.
Das zeigt recht anschaulich eine Spitalsbeobachtungj
Eine alte, im Leben immer sehr tätige Klavierlehrerin, deren Mann gestorben war,
und die dann imt ihrem Sohn der immer liebevoll für sie gesorgt hatte, zusammen¬
wohnte, erkrankte an Zuckerkrankheit und m deren Gefolge an einer Wunde am
Bein dl? sich nicht schließen wollte. Ihr Sohn pflegte sie aufopfernd; doch da der
ausdehnte, mußte sie das Spital aufsuchen, wo wir ihr
schheßhch die Eröffnung machten, daß das Bein amputiert werden müsse. Nach
einer kurz dauernden Depression, die von schweren Angstzuständen begleitet war,
wat bei der sonst immer besonders lebensbejahenden alten Frau ein merkwürdiger
Zustand auf. Sie behauptete, ihr Sohn liebe sie nicht mehr, kümmere sich nicht
um sie, vernachlässige sie, halte es mit der Ärztin, und nun sei ihr das ganze Leben
nichts mehr wert. Trotz aller Beschwichtigungsversuche und doppelten Liebes-
ezeugungen des Sohnes erklärte sie ihm und, besonders in seiner Abwesenheit, uns,
daß er sie nicht mehr hebe und sie verlassen habe. Als glücklicherweise durch die
Behandlung der Wundprozeß zum Stillstand kam und der Patientin eröffnet werden
konnte, daß die Operation nicht mehr notwendig sei, gab sie binnen kurzem ihre
Liebesverlustideen wieder auf. Sie hatte den Verlust des Beines mit dem des Sohnes
gleichgesetzt.
Je plötzlicher und je umfangreicher die Bedrohung durch eine gefährlich
empfundene Krankheit sich gestaltet, umso größer ist die Angstentwicklung.
Darauf wurde schon seinerzeit als auf eine mögliche Erklärung des großen Angst-
über Euthanasie
225
affektes bei Angina pectoris hingewiesen. Daß hier die Bedrohung durch die
Krankheit einer weitgehenden psychischen Bearbeitung unterliegen kann,
konnte vor vielen Jahren an einem Kranken mit Angina pectoris gezeigt wer¬
den, der trotz seiner Anfälle analytisch behandelt wurde.
Das Merkwürdige an seiner Krankheit war, daß seine schweren Schmerzanfälle in
der Brust unter meist unverständlichen Bedingungen auftraten, bei Anlässen fehlten,
wo sie zu erwarten waren, während sie unter Umständen auftraten, die sie eher
hätten verhüten können. Seine analytische Behandlung wurde erst dadurch aktuell,
daß man ihm eine Heilung schließlich nur durch eine Operation versprechen zu
können glaubte, zu der sich aber der Patient nicht entschließen wollte. Von seinen
Anfällen sprach er immer so: „Jetzt ist der Teufel wieder in der Brust los, jetzt hat
er mich wieder gepackt.“ In der Analyse zeigte sich, daß dieser Teufel niemand
anderen als die Mutter bedeutete, und wenn in der analytischen Situation die Be¬
ziehung zur Mutter und seine Haßeinstellunig gegen sie zur Sprache kam, dann
wurde er von einem so schweren und bedrohlich aussehenden Anfall gepackt, daß
die Analyse in diesem Moment unterbrochen werden mußte. Wie sehr die ambi¬
valente Beziehung Zur Mutter diese, nach Auffassung aller Ärzte als Todeskrankheit
zu wertende Erkrankung beeinflußte, zeigte sich in einigen recht durchsichtigen
Situationen.
Wenn er z. B. zur Behandlung ins Krankenhaus ging, das in einer Straße lag, die
„Favoritenstraße“ heißt, dann blieben die Anfälle aus. Wenn er aber in ein
anderes Spital kam, das in einer „Pelikangasse“ genannten Straße lag, dann
schilderte er immer den Passionsweg, auf dem er, von Schmerzen geplagt, alle paar
Schritte stehen bleiben mußte. Der Vogel Pelikan mit dem großen Schnabel und
die liebliche Favorita waren die Repräsentanten seiner Doppeleinstellung zur Mutter,
die er haßvoll liebte, und deren mit Angst beantwortete Strafdrohung die psychische
Auslösung seiner Schmerzen war. Alle Situationen, die sich in dieser Doppeleinstel¬
lung repräsentierten, ergaben die gleichen Reaktionen. Mit der analytischen Lösung
dieser infantilen Mutterbeziehung hörten die Anfälle des damals fast ^ojährigen
Mannes auf und noch heute, nach acht Jahren, lebt er ein fast schmerz- und angst¬
freies Leben, von dem er mir, als ein mit dem künftigen Tode Versöhnter, dankbar
berichtet.
Inwiefern ist dieser Fall für unser Problem des glücklichen Sterbens zu ver¬
werten? Man muß sich fragen: War unser Patient überhaupt ein Sterbender?
Wenn Totsein das Ende jeder biologischen Funktion, den Zelltod dar stellt, so
ist Sterben der Vorgang, der dem Totsein vorangeht. Man dürfte daher nicht
von „Sterbenden“ sprechen, wenn die Verbundenheit mit dem Folgezustand,
dem Tod, nicht eintritt. Sterben ist gewöhnlich die Bewertung eines Zustan¬
des, der in continuo zum Tode führt. Sinngemäß dürfte man daher auch nicht
von der Rettung eines Sterbenden sprechen, es sei denn, daß man doch eine
scharfe Trennung zwischen den zwei Zuständen Sterben und Tod annehmen
sollte.
Wir waren sprachlich gewohnt, die Todesangst und die Sterbensangst als
einen Begriff aufzufassen. Es scheint aber notwendig, die Sterbensangst ge¬
sondert von der Totseinsangst zu betrachten- — Schon die alten Griechen
haben, wie bei Lessing in seiner Abhandlung „Wie die Alten den Tod ge-
226
Felix Deutsch
bildet“ zu lesen ist, den Vorgang vor dem Tode und den Tod selbst durch
zwei Namen gesondert bezeichnet. Sie nannten die Notwendigkeit zu sterben,
den frühzeitigen, gewaltsamen, qualvollen, ungelegenen Tod Ker. Dagegen
verstanden sie unter Thanatos den natürlichen Tod, dem keine Ker
vorausgeht, oder den Zustand des Totseins ohne alle Rücksicht auf die vorher¬
gegangene Ker. Auch die Römer machten einen Unterschied zwischen Lethum
und Mors. Unter Lethum verstanden sie die Quelle der Sterblichkeit und
wiesen ihm die Hölle zum eigentlichen Sitz an, unter Mors jedoch den un¬
mittelbaren Tod, die Äußerung der Sterblichkeit auf unserer Erde, oder den
Tod überhaupt. Während Mors und Thanatos als ein Genius mit nach ab¬
wärts gekehrter erloschener Fackel dargestellt wurde, erschien die Ker als
ein Weib mit gräulichen Zähnen und mit krummen Nägeln,
gleich einem reißenden Tier.
Diese Zweiteilung rückt den eben erwähnten Fall in ein interessantes Licht.
Der Sterbensangst erzeugende Geist, der Teufel in der Brust des Kranken, die
angstvoll gehaßte Mutter, sollte das die „Ker“ sein, personifiziert in dem
Schrecken erregenden Weibe der alten Griechen?
In der Analyse haben wir die infantile Angst, die von der kastrierenden
Mutter ausgehen kann, kennen gelernt. Es ist recht merkwürdig, daß sich
durch eine Menge von Beobachtungen Sterbender diese Quelle der Angst ver¬
folgen läßt. Wir kennen z. B..die Gebärangst vieler Frauen, die sich zur Todes¬
angst steigern kann, eine Angst, die sie oft von jeher verfolgt: „Ich muß
beim Gebären sterben.“
Ein junges Mädchen, das in starker Mutterbindung und Haßliebe ihrer Mutter
zugetan war, hatte sich mit einem jungen Arzt verlobt, der seine Heirat durch einen
tragischen Umstand hinauszuschieben gezwungen war. Er hatte bei einer Schwan¬
geren einen kriminellen Abortus durchgeführt, bei dem die Patientin zugrunde ge¬
gangen war, und es stand ihm eine gerichtliche Verfolgung bevor. Da er einen
schlechten Ausgang des Prozesses befürchten mußte, wollte er bis zur richterlichen
Entscheidung die Hochzeit hinausschieben. Durch das Drängen seiner Braut in die
Enge getrieben, gestand er ihr die wahren Beweggründe seines Zögerns.
Der Prozeß ging jedoch gut aus, der junge Arzt heiratete und kam einige Monate
später mit seiner Frau zur Untersuchung ihrer Lunge, da sie in anderen Umständen
war. Im Verlaufe der Untersuchung, bei der zwar nichts an der Lunge, jedoch eine
auffallend erregte Herztätigkeit festzustetlen war, gestand die Patientin ihre Angst
vor der bevorstehenden Geburt, und daß sie von Todesahnungen verfolgt werde.
Sie glaube, daß ihr dasselbe Schicksal wie der unglücklichen Patientin ihres Mannes
bevorstehe. Ich hörte lange nichts von ihr, bis ich an ihr Krankenbett gerufen wurde.
Sie hatte kurz vorher unter allen aseptischen Kautelen normal entbunden, und der
ratlose Mann wie der sich der vollkommenen Asepsis bei der Leitung der Gebutt
bewußte Gynäkologe standen vor einem Rätsel. Bei der Patientin hatte unmittelbar
nach der Entbindung eine hochgradige Pulsbeschleunigung, ein Herzjagen und hohes
Fieber eingesetzt. Sie befand sich in einem schweren Angstdelir, in dem ihre Todes¬
angst unheimlich zum Ausdruck kam. Trotz aller therapeutischen Versuche war sie
in zwei Tagen eine Leiche.
über Euthanasie
227
Man darf annehmen, daß das Motiv dieser Angst in der Bestrafungsangst
vor der gefürchteten Mutter zu suchen ist, und daß das Ich schließlich wehr¬
los vor dem strafenden Über-Ich kapituliert hat.
Bei einer anderen Patientin, der diese ungünstige Mutterbeziehung durch die Ana¬
lyse bewußt war, tauchten laut ihrer nachträglichen Mitteilung, als sie durch einen
schweren Unfall dem Sterben nahe war, mit eindrucksvoller Klarheit nichts als die
Erinnerungen an die Mutter auf. Sie war sich der nahenden Todesgefahr vollkommen
bewußt und empfand zwischen halber Ohnmacht und zeitweiligem Erwachen eine
mehr als friedvolle Ergebenheit im Sterben: „Jetzt, Mutter, hast du mich dort, wo
du mich haben wolltest“, war ihr Gedanke, und in dem Dämmerzustand dieser
Stunden fehlte ihr jedes Angstgefühl. Die Patientin wurde gerettet. Später, in ihrer
Rekonvaleszenz, holte sie noch ein wenig die unterlassene Angst nach, die sie sich
vorher hatte ersparen können.
Die Angstfreiheit dieser Patientin könnte man auch in dem lustvollen maso¬
chistischen Erleben der Sterbensempfindung suchen, in dem Masochismus und
Todestrieb denselben Zielen zustrebten. Aber es scheinen hier noch tiefere
Gründe für die Ersparung der Angst Vorgelegen zu sein.
Die reale Lebensgefahr, die hier körperlich empfunden werden konnte, war
der Patientin jedenfalls vollkommen bewußt. Die dadurch bewirkte Realangst
konnte aber von ihr gut bewältigt werden, aus Gründen, auf die wir noch im
Späteren zurückkommen werden, und die sich gegen die masochistische Er¬
gebenheit siegreich erwiesen haben.
Auch bei der Angsthysterie sehen wir Todesangst, Angst vor augenblick¬
lichem Sterben auftreten, die sich in Befürchtungen vor Herzkrankheit, vor
dem plötzlichen Totzusammenstürzen auf offener Straße äußern kann, ohne
daß eine organische Erkrankung besteht.
Das Qualvolle und bis zur Verzweiflung Unerträgliche dieser neurotischen
Angst ließ einer sonst organisch gesunden, schwer angsthysterischen Patientin,
die gleichfalls unter dem Drucke der ungelösten Mutterbeziehung stand, den
Ausruf entschlüpfen: „Wie schön müßte das Sterben doch sein, wenn ich die
Krankheit in allen Gliedern spüren könnte.*' Sie wollte damit etwa sagen: „Wie
viel Angst könnte ich mir ersparen, wenn mein Körper organisch krank wäre,
denn dann hätte ich meine Strafe und brauchte sie für meine Aggressionen
nicht mehr zu befürchten."
Was konnte aber unserer früheren Patientin noch die Angstfreiheit ver¬
mittelt haben außer diesem Sich-vollständig-Aufgeben als Opfer der Mutter?
Es scheint, als wenn diese im Sterben erlebte Bestrafung, die weit über die
Schuld, für die sie vollzogen zu werden drohte, hinausging, eine captatio
henevolenfiae gewesen wäre, die an eine andere Adresse gerichtet ge¬
wesen war.
Die Erklärung liegt in folgendem: Der behandelnde Arzt, dem die Pa¬
tientin grenzenloses Vertrauen schenkte, und der schützend die Hand
über der Patientin hält, war für sie die Vaterimago, an die sich ihr Leiden
228
Felix Deutsch
wendet: „Schau, wie ich mehr von ihr (der Mutter) leide, als ich
verdiene/" Über diesem masochistischen Zurschautragen des Leidens, vor
dessen Folgen sie sich durch den Vater geschützt fühlen konnte, vergißt die
Patientin fast, daß es real zum Tode hätte gehen können. Aber sie* wußte:
„Der Vater schützt mich ja doch zu guter letzt und rettet mich zu sich vor
der Mutter."" Auch diese Einstellung muß angstersparend gewirkt haben.
Diese Zuwendung zum großen schützenden Vater als dem Belohner für er¬
littene Leiden und dem Verleiher aller erdenklichen Freuden nach durch¬
gemachten Leiden spielt ja in den Göttersagen eine große Rolle. Der Fleld,
der Taten vollbringt und der dem Tode im Kampf leichten Herzens ins Auge
blickt, träumt von dem großen Vater, neben dem er im Jenseits thronen wird,
wo es nur Seligkeiten gibt. In vielen Religionen spielt diese Erlösung durch
Leiden und die Belohnung durch den Vater eine große Rolle.
In diesem Sinne ist die folgende Beobachtung zu werten:
Vor kurzem wurde ich zu einem sterbenden alten Juden gerufen, der in schwerem
Todeskampf infolge einer Angina pectoris lag. Halb bewußtlos, nach Atem ringend,
öffnete er auf Anruf wohl die Augen, antwortete aber auf Befragen über sein Be¬
finden nicht, sondern bewegte seine Lippen in stillem unverständlichem Gemurmel.
Trotz der bedrohlichen Atemnot und des kalten Schweißes, der ihn bedeckte, war
ihm nichts von Todesangst anzumerken. Die Söhne, die sein Bett umstanden und an
die ich -mich wendete, in der Meinung, der sterbende Vater wünsche ihnen noch
etwas zu sagen, machten mich aufmerksam, daß er nichts wünsche, sondern Sterbe¬
psalmen murmle, und daß man ihn darin nicht stören dürfe.
Ein Arzt erzählte mir von einem an einer Lungenentzündung schwer er¬
krankten Türken, der in seiner Sterbestunde nicht zu bewegen war, im Bette
zu liegen. „Denn wie darf ich vor Allah liegend erscheinen!"", konnte er noch
sagen. Er starb, mit einer Blume in der Hand am Bettrand sitzend und mit
einem friedvollen Lächeln auf den Lippen,
Auch die Kirche sucht durch die Verleihung der Sterbesakramente, durch
die letzte Ölung, ihre Kinder schuldfrei zu machen, damit sie angstfrei in ein
erträumtes Jenseits eingehen.
Auch Sokrates starb angstfrei, als er den Schierlingsbecher nahm. Wir lesen
bei Plato: „Denn den Tod fürchten, ihr Männer, das ist nichts anderes, als
sich dünken, man wäre weise, und es doch nicht sein. Denn es ist ein Dünkel,
etwas zu wissen, was man nicht weiß. Denn niemand weiß, was der Tod ist,
nicht einmal, ob er nicht für den Menschen das größte ist unter allen
Gütern... Im Vergleich mit den Übeln, die ich als Übel kenne, werde ich
niemals das, wovon ich nicht weiß, ob es nicht ein Gut ist, fürchten oder
fliehen. — Unmöglich können wir Recht haben, die wir annehmen, der Tod
sei ein Übel. Denn eines von beiden ist das Totsein, entweder so viel als nichts
sein, noch irgendeine Empfindung von irgend etwas haben, wenn man tot ist,
oder es ist eine Versetzung der Seele von hinnen an einen anderen Ort. Und
ist es wahr, was gesagt wird, daß dort alle Verstorbenen sind, was für ein
J
über Euthanasie
229
größeres Gut könnte es wohl geben als dieses, ihr Richter? Denn wenn einer
in der Unterwelt anlangt, nun dieser sich ,so nennenden‘ Richter hier
entledigt, dort die wahren Richter antrifft, wäre das wohl eine schlechte
Umwandlung? Ich wenigstens will gerne oftmals sterben, wenn dies wahr ist/‘
So sprach Sokrates vor seinem Tode.
Was gibt also den Religiösen, was gibt Sokrates die Ruhe des Sterbens, die
Ruhe vor dem Tode? Sie geben die Objektbeziehungen dieser Welt
auf und vertrösten sich auf andere, jenseitige. Die dort werden gerechte
Richter sein! Frei von der Drohung des Über-Ichs blüht ein neues, durch das
Leiden und die Strafe des Todes abgebüßtes, schuldloses Leben in einer anderen
Welt. Noch bevor Kriton ihm den Becher reicht, ruft Sokrates, als Xanthippe
mit dem Kind am Arm jammernd und wehklagend erscheint, seinen Jüngern
zu: „Seht, was sie treibt, schafft sie hinweg!'^
So verbietet sich Sokrates die libidinöse Objektbeziehung, will von der Liebe
nichts wissen, erhöht sich narzißtisch, um über seinen Richtern stehen zu
können. Sie können ihn nicht strafen; denn den Tod, vor dem jene und alle
sich fürchten, empfindet er gar nicht als Strafe. Er ist und hält sich für
weiser als jene.
Zuweilen verfallen Patienten, wenn ihnen die drohende Todesgefahr be¬
wußt wird, in eine Psychose mit Megalomanie. So berichtet Schilder über
einen Patienten, der die Erkenntnis des nahenden Todes durch Entwicklung
einer Größenidee beantwortet:
Es war dies ein schwerer Fall von Tuberkulose, bei dem das Krankheits- und
Sterbensbewußtsein im Vordergrund stand. Der Kranke kann sich nicht genug tun
in der Schilderung dessen, was er in der Krankheit alles gelitten hat. Endlich erhöht
sich der Kranke in seiner Phantasie zur Gottheit. Er selbst sei Geist, Heiland, Jesus
Christus. Mit sich selbst errette er wiederum die Menschheit.
So kann der Kranke versuchen, durch narzißtische Erhöhung den Einbruch
in sein Ich zu verhüten, die drohende Vernichtung zu verleugnen, gewisser¬
maßen zu verneinen.
In dem schon erwähnten Schauspiel „Die letzten Masken“, läßt der Dichter
einen lungenkranken, hohlwangigen, mit dem letzten Atemzug kämpfenden
armseligen Komödianten auftreten, der zwischen Husten und Atemringen die
Glanzrollen großer Künstler rezitiert, um sich und seinen Bettkameraden zu
beweisen, daß er es viel besser könne, als die großen Künstler mit dem Publi¬
kumserfolg. Nicht nur deren Rollen trägt er vor, auch deren Stimmen imi¬
tiert er, gleichsam um zu zeigen: Wenn er sie wäre, dann hätte er es noch
besser gemacht als sie. So vergißt er die Welt, die Menschen um sich, ja er
vergißt fast, trotz dem schmerzenden Husten, daß der Tod so nahe ist, und
ist für den Rest seiner Tage glücklich.
Sterben heißt aber ebenso die Liebesobjekte verlassen, wie von ihnen ver¬
lassen werden. Dieser Objekt Verlust weckt die Angst, wenn sich kein
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXIJz 16
230
Felix Deutsch
Ersatz bietet. Um ihr vorzubeugen, klammern sich manche Sterbende, aus
der Doppelrichtung ihrer Liebesbeziehung heraus, an ihre Angehörigen und
sind nur angstfrei und sterben auch so, wenn alle um sie versammelt sind.
Der bekannte Kliniker Nothnagel berichtet von einem alten Freund, daß er
seinem Arzt das bindende Wort abnahm, ihm gewiß zu eröffnen, wenn nach mensch¬
licher Voraussicht sein Ende eintreten würde. Er litt an einer Verkalkung der
Kranzadern des Herzens und davon abhängigen Anfällen. Gelegentlich eines solchen
wurde ihm von seinem ärztlichen Berater gesagt: „Jetzt wird es voraussichtlich
ernst.“ Da berief er seine Familie und mit dieser verbrachte er weltabgeschlossen
noch einige Tage in heiterer Seelenruhe, ausgeglichen, friedvoll das Ende erwartend.
Eine herzkranke Patientin, die ihr nahendes Ende kommen sah, ließ ihre erwach¬
senen Kinder nicht einen Moment von ihrem Bette, nannte sie lieblos, wenn sie
das Zimmer verließen oder gar eine Zeitlang wegblieben, und wurde von Angst
und Unruhe verzehrt, wenn sie sie nicht sah. Ja schließlich verfiel sie, als sich die
Krankheit hinzog, und ihre Angehörigen nicht mehr diesen kontinuierlichen Auf¬
enthalt im Krankenzimmer durchführen konnten, in eine Art Dämmerzustand, in
dem sie sich mit allen vereint fühlte.
Es ist nichts Unbekanntes, daß Hysterien, wenn sie die Angst nicht bewälti¬
gen können, in einen Dämmerzustand verfallen.
Vor Jahren konnte ich dies in hypnotischen Experimenten zeigen, als ich eine
sehr angstfähige Patientin eine ln der Hypnose erlebte angstvolle Situation — sie
verliere auf der Straße im Gedränge die Mutter — durch posthypnotischen Auftrag
wieder erinnern ließ. Als die Erinnerung in ihr aufkeimte, überfiel sie eine so
schreckliche Angst, die in ein hysterisches Angstdelirium überzugehen drohte, daß
eine rasch einsetzende, das Erlebnis entwertende Hypnose notwendig wurde, um einen
Dämmerzustand zu verhüten.
Im Sterben scheinen nicht selten solche Dämmerzustände oder zeitweilige
Amnesien die letzte Erkenntnis zu verschleiern. So behaupten vom Ertrinken
Gerettete, die schließlich doch noch durch künstliche Atmung wiederbelebt
werden konnten, sich überhaupt nicht an Angst erinnern zu können, manche
geben sogar an, angenehme Empfindungen gehabt zu haben. Auch solche, die
in Gefahr waren, wilden Tieren zum Opfer zu fallen, aber schließlich gerettet
wurden, erzählen nachträglich, daß sie sich in einem traumartigen Zustand
befunden hätten, in dem sie nichts von Angst verspürt hätten. Aber
selbst Menschen, die durch Sichherunterstürzen aus der Höhe den Frei¬
tod wählen wollten, wissen nichts von Schmerzen im Momente des Aufschla¬
gens zu berichten. Vielmehr hätten sie ein unbeschreibliches Gefühl des Wohl¬
behagens verspürt. Ja, manche, die aus drohender Lebensgefahr sich noch be¬
freien konnten, wollen Erlebnisse der Kindheit in der Erwartung des Sterbens
auftauchen gesehen und dabei geradezu ein Glücksgefühl empfunden haben
(Nothnagel).
Sollte der Regressionszug in die Kindheit zu den früheren Liebesobjekten
sie so glücklich gemacht haben?
Hier zeigt sich uns eine neue Seite des ganzen Problems.
Wir hatten bisher gesehen, daß der Sterbende die Versöhnung mit der
über Euthanasie
231
Ananke, der unerbittlichen Notwendigkeit des Lebensabschiedes, auf mehreren
W'egen zu erreichen versucht: durch Absättigung der Aggression, durch eine
letzte Erhöhung seines narzißtischen Selbstgefühls, durch Entlastung seines
Schuldgefühls auf dem Wege masochistischer Selbstbestrafung und damit Er¬
sparung von Angst, durch letztes Festhalten oder durch Aufgeben der Objekt¬
beziehungen und durch Vertröstung auf neue, unambivalente in einer anderen
Welt.
Kürzliche Beobachtungen am Sterbebette Todkranker haben noch eine, wie
es scheint, tiefere Quelle des glücklichen Sterbens aufgezeigt.
Eine Frau in mittleren Jähren, die in kinderloser Ehe gelebt hatte, kommt vor
kurzem im Endstadium einer schweren Herzklappenentzündung, aus der es kaum eine
Rettung gibt, in Behandlung. Sie leidet schwer. Aber durch eine glückliche Über¬
tragung auf mich trägt sie die Todeskrankheit mit der unverminderten Zuversicht,
durch mich wieder gesund zu werden. Eines Tages tritt eine neue, schwere Kom¬
plikation hinzu und damit die tragische Wendung ein. Mit einem Male weiß sie es:
Sie muß sterben, auch ich werde ihr nicht helfen können. Sie verfällt in eine De¬
pression, gibt zu verstehen, daß sie von mir nichts wissen will, ist für niemanden zu¬
gänglich. Die Herztätigkeit verschlechtert sich, sie beginnt zu erbrechen, verweigert
die Nahrung, klagt nicht, wendet sich aber von allen ab, schließt die Augen, wenn
man an ihr Bett herantritt. Sie wird verschlossen negativistisch.
Diese Wendung gegen das eigene Ich, wenn das unausweichliche
Schicksal erkannt wird, in eine wirkliche Melancholie, hat schon Schilder
durch klinische Beobachtungen belegt. Er berichtet von einer Patientin
mit Mastdarmkrebs und zwei Patientinnen mit Brustkrebs, die nach der Mitteilung
über die Art ihrer Erkrankung in eine schwere Melancholie verfielen. Eine krebs-
kranke Patientin weiß davon, daß sie sterben muß; sie nimmt diese Erkenntnis nicht
ruhig hin. Sie entwickelt einen Abwehrmechanismus gegen diese Erkenntnis, indem
sie ihre Krankheit auf eine Verfolgung bezieht, welche von außen kommt, eine Ver¬
folgung, gegen welche sie sich zuerst durch heftige Aggressionen wehrt, um dann
in eine Melancholie zu verfallen.
Bei unserer herzkranken Patientin nun verschlechtert sich der organische Zustand
zusehends. Die Unfähigkeit, Nahrung aufzunehmen, erscheint als die natürliche
Folge der Stauung in den inneren Organen. Da, eines Morgens, empfängt uns die
Patientin heiter und lächelnd, wie wenn nun die Trauerarbeit beendet wäre. Auf
Befragen über ihr Befinden erklärt sie, es gehe ihr ganz gut. Sie verlangt ihre Lieb¬
lingsspeisen zu essen und verzehrt sie mit Appetit, ohne zu erbrechen. Und nun
übersteigert sich dieses Umschlagen in heitere Seligkeit. Sie wird ganz oral. Nur
das Essen interessiert s>ie. Aber sie wird auch liebeshungrig, kann nicht erwarten,
daß ihr Mann kommt (während das Interesse für die anderen Personen zusehends
abnimmt), verlangt von ihm Zärtlichkeiten, will von ihm geküßt werden und beißt
ihn, wenn er es tut, in die Nase. Bei alledem ist die Patientin zeitlich und räumlich
geordnet und, wenn auch überlegen, krankheitseinsichtig. Nur eine kleine, aber
bedeutsame Namens Verwechslung, die sie an ihrem Manne vornimmt, erhellt blitz¬
artig den tieferen Sinn ihres glücklichen Sterbens, Sie hält daran fest, wie ihrem
Manne ahnungslos auffällt, daß er nicht, wie richtig, „Victor“, sondern „Hermann“
heiße, und ruft ihn auch stets mit diesem Namen an. Wer war nun „Hermann“?
Es war, wie sich herausstellte, ihr verstorbener Bruder, an dem sie in abgöttischer
Liebe gehangen war, und nach dessen Tode sie sich erst zur Ehe entschlossen hatte.
Felix Deutsch
1
232
Auf dem Regressionsweg der Libido sinkt die Kranke also immer
mehr zur oralen Stufe. Bei dem Aufgeben ihrer Objektbeziehungen
wird sie nun nicht abgeklärt ergeben in ihr Schicksal wie die Religiösen in
ihrer Zuwendung zu den künftigen Liebesobjekten in einem Jenseits, sie wird
nach kurzer Depression ekstatisch glücklich in dem Diesseitigsten ihres Lebens,
in der Wiederfindung und der glücklichen Wiedervereinigung mit dem in¬
fantilen inzestuösen Liebesobjekt. Bald darauf stirbt sie nach kurzer Agonie
einen leichten Tod.
Seither haben wir dem Sterben vieler Menschen zugesehen. Die meisten
starben in Auflehnung oder verbittert oder bis zur letzten Minute auf die Er¬
rettung hoffend, meist nicht in voller Kenntnis ihres Leidens, „einen kleinen
Tod‘^
Vor kurzem standen wir im Spital am Totenbette zweier alter Männer, denen
ebenfalls ein restlos glückliches Sterben vergönnt gewesen ist, das uns einerseits \
durch die Gleichartigkeit, wie durch die Einfachheit seiner Motivierung in Er¬
staunen versetzte, anderseits uns die durch den früheren Fall erlaubte Annahme
über den psychologischen Vorgang bei der Euthanasie bestätigte. Diese Be¬
obachtungen wären uns sicherlich entgangen, wäre nicht unser Blick durch die
frühere Erfahrung geschärft gewesen.
Der eine dieser Patienten war ein früherer Beamter, ein witziger Alter, der mit
ebensoviel Jammern wie logischer Beweisführung und Beredsamkeit uns klar zu
machen bestrebt war, daß er ein verlorener Fall sei. Es ging ihm wirklich ganz
miserabel. Viele, trotz Operation im Körper sich ausbreitende Metastasen eines Kar¬
zinoms der Vorsteherdrüse hatten zu einer schweren Anämie mit zunehmendem
Kräfteverifall geführt, so daß es uns von Tag zu Tag rätselhafter wurde, welche
Kräfte den Armen noch am Leben hielten. Der Bestand der roten Blutkörperchen
war bereits auf ein Fünftel gesunken. Ganz im Gegensatz dazu veränderte sich sein
Wesen. Je schlechter es ihm von Woche zu Woche organisch ging, um so geringer
wurden seine Klagen, ja, ischließlich mußte man ihn geradezu auffordern, seine Be¬
schwerden mitzuteilen. So warteten wir auf seinen Tod und freuten uns täglich
um so mehr, wenn er uns am nächsten Morgen mit seinem klugen Lächeln empKng
und sich nach unserem Befinden erkundigte. So schien er mit oft fast strahlender
Heiterkeit, die nur selten durch doch zu heftig mahnende Schmerzen getrübt wurde,
dem Tod entgegen zu gehen.
Wir suchten, durch die Erfahrung belehrt, dieser Euphorie auf den Grun/d zu ,
gehen. Obwohl er ein gebrechlicher Greis war, hatte er erst vor etwa 6 oder 8 Jahren j
zum zweitenmal geheiratet, eine schüchterne, reizlose etwa 40jährige Frau, der die
Aussichtslosigkeit seines Zustandes wohl bekannt war, und die sich ängstlich nach j
der voraussichtlichen Dauer seiner Krankheit erkundigte. Er äußerte sich auf unser |
Befragen besonders lobend über sie, rühmte ihre Fürsorge und Zärtlichkeit. Wir ^
fragten ihn nach ihrem Vornamen. Er sagte; „Fanny.“ Es stimmte nicht. Wir
ließen die Frau kommen. Sie hieß anders, bestätigte uns, daß er sie in der letzten
Zeit wohl mit „Fanny“ angeredet habe; sie hätte es aber nur für ein Versprechen
gehalten und nicht weiter darauf geachtet. Wir ließen nicht locker und brachten
schließlich heraus, daß dies der Name seiner jüngeren Schwester gewesen war, die,
ebenso wie deren Mann, seit Jahren gestorben war. Er hatte auch eine ältere
über Euthanasie
233
Schwester gehabt namens „Katharina“. Als man ihn nach dem Namen seiner ersten
Frau fragte, saigte er wirklich „Katharina“. Aber es war ebenso falsch. Wir forschten
ihn vorsichtig über die jüngere Schwester aus, nnd er sprach von ihr in den höchsten
Tönen, von dem Manne aber recht geringschätzig, und sagte, daß er mit ihm zeit¬
lebens auf schlechtem Fuß gestanden sei. Trotz unseres Vorhaltes war er nicht oder
nur für Augenblicke bereit zuzugeben, daß seine Frau doch nicht „Fanny“ hieß,
während er den Irrtum bei der Nennung seiner ersten Frau rascher einsah und korri-
— Aber sein Ende zog sich doch länger hinaus, so daß er aus äußeren Grün¬
den an eine andere Anstalt abgegeben wurde, wo er, wie wir in Erfahrung brachten,
bald glücklich und ohne Kampf eines Tages für immer einschlief.
Es war naheliegend, daß wir in einem anderen, durch Zufall bis ins Detail
ähnlichen Fall, gleich zu Beginn die Nachforschungen in der gleichen Weise
anstellten.
In Kürze dargestellt, handelt es sich wieder um einen älteren Mann, der schon
öfters das Spital wegen Lungenblähung und Herzmuskelentartung aufgesucht hatte
und immer wieder gebessert werden konnte. Diesmal schien ihn das Schicksal er¬
eilt zu haben. Sein Zustand verschlechterte sich so, daß eines Tages, da der Fall
hoffnungslos schien, mit jeder Therapie ausgesetzt wurde. Auch der Kranke hielt
sichtlich seinen Tod für besiegelt. Er lag die nächsten Tage teilnahmslos, den
Rücken uns zugekehrt, nahm keine Nahrung, ließ Harn unter sich und schien, wie
die Pflegeschwestern meinten, verwirrt zu sein. Ein aufgegebener Fall, erfuhr er nur
die notwendigste ärztliche Beachtung. Aber er starb nicht, sondern wurde mit
einem Male zusehends weltzugekehrter und heiterer. Seine Nahrungsaufnahme
besserte sich ebenso schnell und unerwartet. Und so waren wir in der Lage, mit
photographischer Treue an seinem Bette denselben Tatbestand wie bei dem anderen
Patienten zu erheben. Auch er war zum zweitenmal mit einer um vieles jüngeren
Frau verheiratet, die sich nur in diesem Fall recht wenig um ihren Mann kümmerte.
Auch hier die Verwechslung der Namen, indem er der zweiten Frau den Namen
der jüngeren Schwester gab. Ebenfalls die selige Verklärtheit, wenn er von ihr —
der Frau, der Schwester — sprach. Auf den Vorhalt des Irrtums wurde er un¬
sicher, korrigierte ihn kurzdauernd, wurde aber, wenn auch nur vorübergehend
depressiv. In diesem Fall besserte sich der organische Zustand so weitgehend, daß
der Patient in häusliche Pflege genommen werden konnte. Wir erfuhren, daß er
bald darauf, nachdem er die Tage ebenso glücklich und ohne Klage verbracht hatte,
eines Morgens tot im Bett angetroffen wurde.
Man darf annehmen, daß in allen drei Fällen wie auch in dem in der Ein¬
leitung erwähnten ersten Fall die Wiederbelebung der infantilen Schwester¬
beziehung am aktuellen Objekt mit zur Euphorie, zur Angstfreiheit und auch
zur Lebensverlängerung beigetragen hat. Fragt man nach den Voraussetzun¬
gen, die die Euthanasie ermöglichen, so kann man sagen, daß sie eintritt,
wenn alle Aggressionen schweigen, wenn die Todesangst ver¬
flogen und von Schuldgefühl nicht mehr die Rede ist. Wodurch
wird dieses Glück im Sterben möglich? Dadurch, daß auf dem Regressions¬
weg der Libido zu den infantilen Liebesobjekten, an die man in der frühen
Kindheit anscheinend mit den größten Schuldgefühlen gebunden war, schuld¬
frei zurückgefunden werden kann. Nur wenige werden so weit gelangen. Daß
bei einer so tiefen Regression auch die Formen der Lustbefriedigung bis zur
234
Felix Deutseh: Über Euthanasie
oralen Stufe sinken, ist nur selbstverständlich. Vor der Schuldfreiheit muß
aber die Schuld durch die erlebte Erkenntnis des Todes mit allen psychischen
Folgen abgezahlt und gebüßt werden.
Dies hat mit dichterischer Sehergabe Rilke in folgende Verse gebracht:
„O Herr, gib’ jedem seinen eignen Tod,
das Sterben, das aus jenem Leben geht,
darin er Liebe hatte, Sinn und Not;
mach*, daß er seine Kindheit wieder weiß;
das Unbewußte und das Wunderbare
und seiner ahnungisvollen Anfangsjahre
unendlich dunkelreichen Sagenkreis/*
Das Problem der Zwangsneurose'
Eine e n t w i c k 1 u n g s g e s c h i c h 1 1 i c h e Studie
von
Edward Glover
London
Der Fortschritt im Verständnis der Zwangsneurosen wurde beträchtlich be¬
hindert durch die natürliche Neigung des Klinikers, seine Bemühungen auf
die charakteristischen klinischen Züge der Krankheit zu konzentrieren. Auf
diese Weise beschränkte er jedoch den Spielraum seiner ätiologischen Unter¬
suchungen. Das Studium der verschiedenen Übergangs- und Mischtypen zeigt,
daß die wirkliche Bedeutung der Zwangserscheinungen nicht richtig gewürdigt
werden kann, ehe nicht die Beziehungen dieser Erkrankung einerseits zur
Hysterie, anderseits zu den Psychosen festgestellt sind. Jene Geneigtheit, die
Zwangsneurosen als isoliertes klinisches Gebiet zu behandeln, wurde durch
die Besonderheit und Kompliziertheit des Symptombildes noch begünstigt.
Freud hat selbst auf diese Kompliziertheit hingewiesen und bedauert, daß
die Symptomabweichungen nicht gesammelt worden sind. Tatsächlich ist der
Grad der Verzweigung einer Neurose an sich schon bedeutsam. Je weitläufi¬
ger sich ein Symptombau ausbreitet und die Ich-Struktur durchdringt, desto
wahrscheinlicher entspricht er einer Phase der Ich-Entwicklung. Die Kom¬
pliziertheit der Zwangsneurose ist, mit anderen Worten, abhängig von dem
Umfang, der Stärke und der Elastizität ihrer Abwehrfunktionen. Die Zwangs¬
neurose ist ja bekanntlich die elastischeste aller Neurosen. Und es ist gut, daß
es so ist, hat sie doch eine wichtige und schwierige Aufgabe zu erfüllen, die
darin besteht, eine regressive Flucht vor den durch die fortschreitende Ent¬
wicklung hervorgerufenen Angstzuständen zu ermöglichen und zugleich
dieser Regression entgegenzuwirken. Das ist natürlich nicht die erste oder
einzige Richtung der Abwehr. Wir haben einige Ursache anzunehmen, daß im
Falle des Erwachsenen ein Puffer von Verdrängungs- und Konversionsmecha¬
nismen die Angstzustände, die durch den Ansturm der Sexualität und die
Lebensbedingungen des Erwachsenen jäh ausgelöst werden, bis zu einem ge¬
wissen Grad noch unmittelbarer unwirksam macht. Die klinische Unter¬
suchung zeigt jedoch, wie häufig hinter der Struktur der Angsthysterie
zwangsneurotische Schichten zum Vorschein kommen. Wenn die hysterische
Abwehr nicht imstande ist, die Regression zum Stillstand zu bringen, so ist
es diese Zwangsschicht, die bereit ist, die vermehrte Last auf sich zu nehmen.
Was für das beim Erwachsenen beobachtete Zwangssymptom gilt, das gilt
um so mehr für die Phase des „Zwangsprimates‘‘, die i ch etwa zwischen den
i) Vortrag, gehalten auf dem XIIL Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern
am 30. August 1934; hier um einiges erweitert. Aus dem Englischen übersetzt von August
Ber anek.
236
Edward Glover
Altersstufen von achtzehn Monaten und drei bis dreieinhalb Jahren ansetzen
möchte. Wenn die Zwangsneurose dazu dient, die Tatsache zu verschleiern,
daß es in den Triebkonflikten für den Patienten ohne ihre Hilfe gegen das Ab¬
gleiten in die Psychosen kein Halten gäbe, so dient die Zwangsphase der
Kindheit dazu, die Tatsache zu verschleiern, daß ohne ihre Wirkungen für
ein Kind niemals ein Fortschreiten über die „normale Allgemeinpsychose“ des
ersten Lebensjahres hinaus möglich wäre.
Bevor ich darangehe, diese These über die Entwicklungs- und Abwehrfunk¬
tionen der Zwangsmechanismen näher auszuführen, ist es notwendig, daß ich
einige allgemeinere Erwägungen vorausschicke, die sich auf die Natur der
Symptome und die Methoden, mittels welcher diese am vorteilhaftesten unter¬
sucht werden können, beziehen. Die analytische Forschung ist noch immer
stark beeinflußt durch die Tatsache, daß die ersten Untersuchungen die Exi¬
stenz einer Ödipuskernsituation erschlossen haben. Diese, wie es damals schien,
für drei- bis fünfjährige Kinder charakteristische Erscheinung wurde als allen
psychopathologischen Zuständen gemeinsam erkannt, und seither war es stets
die Gepflogenheit der Analytiker, ihr ätiologisches System rings um diesen
Kern anzuordnen. Die Entwicklungsfaktoren betrachtete man ursprünglich
ausschließlich im Rahmen der libidinösen Entwicklungsphasen, wobei der Ein¬
fluß konstitutioneller Anlagen natürlich einbezogen wurde. Unter diesen
Voraussetzungen gingen die Psychoanalytiker nun daran, versuchsweise ätiolo¬
gische Systeme zu errichten. Und für einige Zeit ging alles gut. Diese oder
jene Neurose bildete sich natürlich um den Kernkomplex, verdankte aber ihre
besonderen Züge bestimmten Fixierungsstufen. Diese Fixierungsstufen waren
durch eine regelmäßige Reihenfolge der Triebprimate in Verbindung mit spe¬
ziellen Triebkonflikten, wie sie beim Kleinkind mit dem Durchschreiten dieser
Primate auftauchen, bestimmt. So verdankte etwa die durch den üblichen
Anlaß der Kastrationsangst ausgelöste Zwangsneurose ihre typischen klinischen
Züge teils konstitutionellen Faktoren, teils vorzeitiger Ich-Entwicklung, dem
besonderen Erlebnis der anal-sadistischen Ambivalenz, der Triebentmischung
bei Versagung und einer bestimmten Form der Regression. Aber in dem Maße,
als die Forschungen vertieft wurden, drohte dieses ätiologische System un¬
fruchtbar und nichtssagend zu werden. So konnten beispielsweise die gleichen
Faktoren bei Rauschgiftsüchten und Perversionen beobachtet werden, und vor¬
zeitige Ich-Entwicklung, Entmischung und Regression sind jedenfalls eher
generelle als spezifische Einflüsse. Das Studium der Psychosen ließ zunächst in¬
sofern eine genauere Ätiologie erwarten, als es weitgehende Differenzen der
Entwicklung während des frühesten Säuglingsalters erschloß, die möglicher-^
weise für die klinischen Abweichungen verantwortlich zu machen waren. Aber
die vergleichende Erforschung der normalen und pathologischen Charakter¬
entwicklung zeigte, daß es im Prinzip jedenfalls recht wenig war, was der
Psychotiker den Normalen an Abnormalität lehren konnte.
Das Problem der Zwangsneurose
237
So kam es, daß jeder Analytiker — wie die klinischen Ausdrucksformen des
Falles jeweils auch aussehen mochten — den gleichen Phantasieinhalt, die
gleichen typischen Mechanismen, die gleichen versteckten psychopathologi-
schen Strukturen auf zeigen konnte. Auf diese Weise verloren die älteren
Ätiologien sowohl an Lebendigkeit wie an Interesse. Wie sehr die Symptom¬
bildungen auch ineinandergreifen mögen, wie viele Übergangsformen von
Neurosen und Psychosen es auch geben mag, es bleibt Tatsache, daß charak¬
teristische Unterschiede in Krankheitsform und Prognose bestehen. Und diese
spezifischen Formen zeigen eine Hartnäckigkeit der Behandlung gegenüber,
welche auf einen gewissen Grad von Beständigkeit der zugrunde liegenden
Determinanten schließen läßt. Eine befriedigende Ätiologie muß diese
Stabilität erklären können. Die konstitutionellen Faktoren werden im
allgemeinen als verschieden angenommen, und wenn auch eine Anzahl von
Umwelteinflüssen zweifellos aller infantilen Entwicklung gemeinsam ist, so ist
doch eine offenbar größere Anzahl weitgehenden Abweichungen unterworfen.
Charakteristische klinische Erscheinungen können aber wohl schwerlich auf
zufällige Kombinationen vereinzelter und höchst individueller Faktoren zurück¬
geführt werden. Anderseits neigen die Psychoanalytiker dazu, sich allzu leicht
mit der Feststellung auffälliger Umwelteinflüsse zu begnügen. Die Fixierungs¬
erlebnisse, die man anfangs als spezifisch betrachtet hatte, haben in den letzten
Jahren viel von dieser ihnen zugeschriebenen Eigenschaft verloren, und einige
von ihnen — z. B. die Beobachtung des elterlichen Koitus — können nicht
länger als universelle Vorkommnisse angesehen werden. Auch bei vollständi¬
gem Fehlen solcher Erlebnisse konnten typische Neurosen nachgewiesen wer¬
den. Man ist daher versucht, nach spezifischen Faktoren in zwei Richtungen
Ausschau zu halten: a) nach mehr oder weniger beständigen Kombinatio¬
nen endopsychischer Faktoren und b) nach Umwelteinflüssen, die, wenn
überhaupt, so ausschließlich für die besondere Neurosenform des gegebe¬
nen Falles charakteristisch sind.
*
Es ist somit klar, daß umfassendere Untersuchungen analytischer Tatsachen
notwendig sind, um die Bedeutung der Symptombildungen festzustellen. Die
Suche nach isolierten Faktoren ist in Anbetracht der Ergebnisse nicht länger
gerechtfertigt. Selbstverständlich werden die Untersuchungsmethoden, die
hierbei zur Anwendung kommen können, einander sicherlich zum großen Teil
überdecken. Aber wir können im großen und ganzen nicht weit fehlgehen,
wenn wir eine der folgenden Methoden an wenden:
I. wenn wir aufzuklären versuchen, welche spezifischen Affekt formen
oder -kombinationen durch die Symptome abgewehrt werden. Darin liegt eine
quantitative und qualitative Wertung der betreffenden Triebe beschlossen. Wir
müssen, nebenbei bemerkt, nicht allein die Frage der spezifischen Trieb-
Edward Glover
238
mischung und -entmischung, sondern auch die der spezifischen Affektmischung
und -entmischung in Betracht ziehen;
2. wenn wir aufzuklären versuchen, welche besonderen Mechanismen
oder Kombinationen von Mechanismen in einzelnen Symptombildungen zur
Anwendung gelangen;
3. wenn wir aufzuklären versuchen, welche Entwicklungsphasen im
Symptombau widergespiegelt oder verzerrt sind. Diese letzte Methode ist
die bei weitem umfassendste und beinhaltet bis zu einem gewissen Grade die
Probleme der charakteristischen Affekte und Mechanismen, hat aber einen
ganz besonders innigen Zusammenhang mit der psychischen Struktur, Glie¬
derung und Schichtung.
*
Es mag sogleich hinzugefügt werden, daß mittels all dieser Methoden die
Zwangsneurosen der Untersuchung leicht zugänglich sind. Besonders zutref¬
fend ist dies für das Studium der Mechanismen. Es ist ja interessant zu über¬
legen, daß Freuds frühe Entdeckungen in bezug auf die Bedeutung der Ver¬
schiebung hauptsächlich durch die Beobachtung zwangsneurotischer Fälle
angeregt wurden. Das ist nur natürlich, weil infolge der Eigentümlichkeiten
des Verdrängungsvorganges in dieser Neurose viel mehr Oberflächenerzeugnisse
untersucht werden müssen als etwa im Fall der Angsthysterie. Vielleicht ist
es schade, daß diese ursprüngliche Richtung der Untersuchung in späterer Zeit
nicht nachdrücklicher verfolgt wurde. Beim Studium der klinischen Züge der
verschiedenen Zwangserscheinungen läßt sich zum Zwecke der Untersuchung
leicht eine Unterscheidung zwischen gedanklichen, sprachlichen und
verhaltensmäßigen Endprodukten treffen. Diese Produkte lassen sich
dann weiter recht ausführlich unterteilen in Übereinstimmung mit der Größe
der psychischen Distanz, die zwischen den Triebabkömmlingen und deren
möglichem Ausdruck in der Ausführung liegt. Genau genommen sollen hier
zweierlei Beobachtungsreihen dargestellt werden: solche, die lediglich beim
Studium der echten Zwangsneurosen im klinischen Sinne gemacht wurden, und
solche, die sich beim Studium geringfügigerer Zwangserscheinungen im Gefolge
anderer Neurosen oder bei anscheinend Normalen ergeben haben. Der Inhalt
der Zwangs ge danken läßt sich nun in groben Zügen nach der folgenden auf¬
steigenden Reihe anordnen: aggressive Vorstellungen — sexuelle Vorstellungen
Vorstellungen von Dingen, die für den Patienten sozial bedeutungsvoll sind
Vorstellungen, die Sachverhalte sozial belangloser Natur betreffen — und
mehr oder weniger sinnlose Vorstellungen. Das heißt, wie sehr sich auch in
einer offenbar sinnlosen Zwangsidee der Trieb durch die Prozesse der Symboli-^
sierung, Verdichtung und Entstellung hindurch indirekt äußern mag, praktisch
bleibt es Tatsache, daß der direkte Ausdruck verschwindend gering ist. Die
Zwangserscheinung ist ein stark verschobener Abkömmling. In den Zwangs¬
zeremoniellen, bzw. -handlungen läßt sich eine ähnliche Anordnung
239
Das Problem der Zwangsneurose
nachweisen. Sinnlose oder triviale Zwänge sind sehr häufig, während sozial
einordenbare Zeremonielle als Ausdruck sexueller oder aggressiver Zwangs¬
handlungen sehr selten sind. Ein Vergleich dieser beiden Typen macht es
klar, daß die Zwangsgedanken viel mehr direkten Triebausdruck gestatten als
die Zwangshandlungen. Die sprachlichen Zwänge sind nicht so leicht zu
klassifizieren; dennoch sind auch sie einer weiteren Unterteilung nach den
angedeuteten Richtlinien fähig. Nur scheinen hier obszöne und aggressive
Äußerungen einen größeren Raum einzunehmen, als dies bei den beiden
anderen beschriebenen Typen der Fall ist.
Wenn wir zu den Hauptgruppen zurückkehren, so ist zu bemerken, daß
jede von ihnen eine positive und eine negative Phase aufweist. Die Zwangs¬
gedanken gehen Hand in Hand oder wechseln ab mit Phasen von Zweifel und
Grübelei. Zwangshandlungen sind mit fluktuierenden Phasen von Abulie
(Unentschlossenheit) verbunden, während die sprachlichen Zwangserscheinun¬
gen häufig mit Schwierigkeiten im sprachlichen Ausdruck einhergehen.
Es ist leicht zu sehen, daß diese komplizierten Verschiebungs- und Ersatz¬
vorgänge den Zwecken der Triebabwehr dienen, ganz besonders, wenn sie im
Verein mit den Hemmungserscheinungen von Zweifel, Grübelei und Abulie
auftreten. Sie erklären aber nur sehr unbefriedigend gewisse, bei manchen
Zwangszuständen festgestellte Affektstörungen, welche im allgemeinen drei
Typen angehören, nämlich: Schuldgefühisreaktionen, verbunden mit „verbote¬
nen“ Gedanken und Handlungen; Angst- oder Schreckreaktionen infolge der
Nichteinhaltung von Sühne- oder Schutzzeremoniellen; und schließlich ein ge¬
wisser Grad von Gefühlsverarmung, durch den manchmal der Eindruck er¬
weckt wird, daß das Ziel des Zeremoniells die Affektbeherrschung sei. Dies ist
aber nur dann richtig, wenn wir sagen, daß das Ziel der Zwangsneurose über¬
haupt darin besteht, das Auf tauchen unlustvoller Affekte zu bewältigen oder
zu verhindern.
Tatsächlich hat die auffällige Natur der gedanklichen und rituellen
Zwänge unsere Aufmerksamkeit vom Kernproblem des Affektes abgelenkt.
Einige klinische Beobachtungen der letzten Zeit haben mich zu dem Schluß
geführt, daß die Erscheinungen, die wir gewöhnlich klinisch als Zwangs¬
neurosen bezeichnen, mit ihren bis ins Detail gehenden Zeremoniellen in
Denken, Sprechen und Handeln in Wirklichkeit im neurotischen Sinne sehr
überspitzte Endprodukte sind. Der primäre Zwangszustand ist wesentlich ein
Affektzustand oder, besser, eine Folge alternierender Affekte mit sehr ein¬
fachem unbewußtem Vorstellungsinhalt. Der Grund dafür, daß solche Fälle
nicht häufiger beobachtet und berichtet werden, ist der, daß im Bevmßtsein viel¬
leicht überhaupt kein Vorstellungsinhalt irgend eines Zwangstypus vorkommt
und rituelle Handlungen als soziale Symbolismen verkleidet sind, wie etwa das
wechselnde Wohnen in der Stadt und auf dem Land. Da es kein in die Augen
springendes Erkennungsmerkmal für eine Zwangsreaktion gibt, neigt man
240
Edward Glover
dazu, solche Patienten als einem psychotischen Typus zugehörig anzusehen,
und zählt sie im allgemeinen zu den leichten Fällen von Depression. In
den von mir beobachteten Fällen bestand die Affektfolge in einem Wechsel
von gedrückter und gehobener Stimmung oder bot, um es anders auszu¬
drücken, das schnell wechselnde Erlebnis „guter“ und „schlechter" Affekt¬
zustände, wie sie sich im täglichen Leben ja häufig genug ergeben. Auf eine
gute Gemütsverfassung muß eine schlechte folgen. Manchmal kommt es zu
einer vorübergehenden Besserung — entsprechend einem Gefühl des Normal¬
seins; aber dieser, wenn auch sehr erstreibte, Zustand wird doch nur selten
erreicht, und ein gewisser Grad von Gleichgültigkeit und Depression,
der m schweren Fällen zu verschieden starken Depersonalisationen führt,
ist das weit häufigere Ergebnis. Wo Zwangsaffekte sich im Bewußtsein
rnit gedanklichen oder rituellen Zwangserscheinungen vereinigen, läßt
sich allgemein beobachten, daß das Zwangselement vom Patienten zu aller¬
erst in einem guten Gefühlszustand gedacht oder ausgeführt werden muß
und unmittelbar nachher in einem schlechten Gefühlszustand wiederholt wird.
Das Auftreten einiger von diesen Symptomen kann man selbstverständlich
überall bei den herkömmlichsten Zwangsneurosen nachweisen, so etwa, daß
eine gute Gemütsverfassung als gefährlich angesehen, oder daß der Genuß an
einer Zwanpidee als Schuld empfunden wird und durch eine Wiederholung
dieser Idee im Zustand der Reue gesühnt werden muß. In all diesen Zwangs¬
affekten liegt eine Tendenz, durch Umkehrungen oder Überlagerungen Kom¬
plikationen herbeizuführen. So können zum Beispiel statt eines plötzlichen
Umschwunges von „Es ist böse, sich gut zu fühlen“ in „Es ist gut, sich
schlecht zu fühlen“ Reihen folgender Art Vorkommen: „Es ist böse, sich gut
zu fühlen“ wird ersetzt durch „Es ist gut, sich gut zu fühlen“; dieses augen¬
scheinlich natürliche Gefühl wird gleichwohl als unnatürlich empfunden und
verwandelt sich in „Es ist schlecht, daß es gut ist, sich gut zu fühlen“; daraus
wird weiters „Es ist gut, sich schlecht zu fühlen“; das aber wird neuerlich —
vermutlich vom Realitäts-Ich — als unnatürlich empfunden und verwandelt
sich in „Es ist böse, daß es gut ist, sich schlecht zu fühlen“ und schließlich
noch einmal in „Es ist böse, sich gut zu fühlen“. Dieses Affektspiel kann mit
unzähligen Variationen ins Unendliche gehen. Nichtsdestoweniger haben diese
emotionellen Zwangserscheinungen, ihrer Komplikationen entkleidet, einen
Grundzug gemeinsam: einen Drang nach rapidem Wechsel von
„guten“ und „schlechten“ Affektzuständen.
*
Wenn wir für einen Augenblick zu den, wie ich sie nannte, überspitzteren'^
Formen der Zwangsneurose zurückkehren, so zeigt die Beobachtung, daß sie
auch der Unterteilung unter dem Gesichtspunkt derSubjekt-Objekt-Re-
1 a t i o n fähig sind. Dies ist nicht so deutlich, wo die klinischen Komplikationen
einer ausgiebigen Verschiebung zuzuschreiben sind, etwa dort, wo sich eine
Das Problem der Zwangsneurose
241
Beschmutzungsphobie rasch von einem Objekt zum andern ausbreitet. In
manchen Fällen aber ist es klar, daß die Verschiebung nicht einfach von einem
Objekt zum andern, sondern vom Subjekt zum Objekt erfolgt. So habe ich
eine Patientin beobachtet, die nacheinander Zustände von Berührungszwang,
Teile des eigenen Körpers betreffend, eine Reihe von Waschzeremoniellen, be¬
treffend ihre eigenen Kleider, dann eine Reihe von Beschmutzungs- und Berüh¬
rungszeremoniellen, die sich auf die Kleidung Außenstehender bezogen, und
schließlich eine Reihe von Berührungszeremoniellen, betreffend entblößte Kör¬
perteile anderer, durchlief. Nachdem die Patientin diese Reihenfolge absolviert
hatte, wiederholte sie den Vorgang nach der umgekehrten Richtung, indem sie
mit objektgerichteten Zwängen begann und mit subjektgerichteten schloß. In
der Regel ging dieses Hinundherpendeln allmählich vor sich; aber in Zuständen
von Angst konnte ein heftigeres Umschlagen beobachtet werden, so z. B. ein
Überspringen von einem Subjekt-Berührungszeremoniell, das heimlich im ge¬
schlossenen Raum praktiziert wurde, zu einem Objektzeremoniell, das auf der
Straße oder im Autobus ausgeführt wurde. Die Patientin spielte, mit anderen
Worten, nach rückwärts und vorwärts eine Ich-Objekt-Skala von Zwangs¬
erscheinungen und konnte, wenn nötig, heftigere, dem Ich geltende Angst
durch einen solchen Sprung in Objektzwänge bewältigen und umgekehrt.
*
Wenn wir diese Beobachtungen zusammenfassen, so sehen wir, daß die
verwickelten Zeremonielle offenbar auf das gleiche Ziel gerichtet sind, näm¬
lich, ein immer komplizierteres Netz von Begriffssystemen zu schaffen, durch
welches der Affekt in fein verteiltem Zustand hindurchgehen kann. Wenn
aus dem einen oder andern Grund diese Zeremonielle gestört werden,
treten wiederum kompakte Affekte auf. In den rein affektiven Zwangs¬
zuständen, die ich beschrieben habe, können wir einen primitiveren
Versuch erblicken, Affektqualitäten oder -intensitäten zu ändern oder zu er¬
setzen. Es ist klar, daß auch hinter diesem Zwangssystem ein ausgeprägtes
System von Ich-Objekt-Beziehungen liegen muß, und zwar offenbar eines, das
nicht den gewöhnlichen Regeln der Realitätsprüfung zugänglich ist. Es sei
zugegeben, daß wir bisher noch keine spezifische ätiologische Formel gefunden
haben. Aber wir haben hinreichende Erfahrungen zur Rechtfertigung dessen,
was ich den entwicklungsgeschichtlichen Standpunkt genannt habe. Dieser be¬
ruht auf folgenden allgemeinen Voraussetzungen: i. daß jene weitläufigeren
Symptombildungen, die wir in der Analyse aller Fälle, gleichgültig welchem
klinischen Typus sie angehören, zutage fördern, erstarrte Reste abnormer
Funktionen sind, die jede Entwicklungsphase beisteuert; 2. daß die aus¬
schlaggebenden charakteristischen Züge jeder Erkrankung mehr dem ent¬
sprechen, was wir „einen Primat der Entwicklungsphasen und Mechanismen“
nennen können, als einem einfachen „Triebprimat“, wie wir zu denken ge-
242
Edward Glover
wohnt sind, wenn wir von Fixierungen sprechen; 3. daß der Regressions¬
mechanismus eine Anzahl sowohl positiver wie negativer Funktionen besitzt,
d, h. nicht bloß eine defensive Flucht darstellt. Die Regression bildete ja stets
einen Schlüsselmechanismus in der Psychopathologie, aber sie wurde in der
Vergangenheit zu sehr als Energieverschiebung auf gef aßt. Regression
ist meiner Meinung nach zum großen Teil ein strategischer
Rückzug auf eine frühere psychische Stufe: Nachdem sich der Patient
durch diesen Rückzug die dieser früheren Stufe eigentümlichen
psychischen Ansprüche, Vorrechte und Abwehrmethoden gesichert hat, geht
er mit diesen neubelebten, aber veralteten Methoden wiederum an das Leben
heran. Die sich bei der Anpassung ergebenden Besonderheiten machen den
größten Teil des Symptombildes aus. Wenn wir sagen, daß die Gefahr der
Regression darin bestehe, daß sie zu weit fortschreiten könnte, so ist damit
auch ausgedrückt, daß jede Entwicklungsphase einen Zufluchtsort vor den
Gefahren der vorhergehenden Etappe geboten haben muß. Wenn es gelegent¬
lich vorkommt, daß eine Flucht in Zwangsmechanismen den Patienten weiter
in paranoide oder melancholische Regungen zurücktreibt, so dürfen wir füglich
annehmen, daß der Primat der Zwangsmechanismen eine Reaktion auf die
paranoiden und melancholischen Phasen der Entwicklung war und ist.
♦
Alle diese Feststellungen bieten sicherlich nichts sonderlich Neues. Freud
sagte vor langer Zeit von den Neurosen, daß sie nicht einfach Episoden in der
Entwicklung darstellen, sondern daß jeder Entwicklungsphase ein eigener
Typus von Angst zuzugehören scheine. Und es war Freud selbst, der vor
etwa zwanzig Jahren für alle folgenden Entwicklungsätiologien die Voraus¬
setzungen schuf, als er in wenigen meisterhaften Sätzen eine hypothetische
Rekonstruktion der primitiven Realitätsentwicklung gab. Er machte uns erst¬
malig auf die Rolle aufmerksam, welche Projektion und primäre Identifizie¬
rung, bzw. Introjektion bei der Errichtung der Ich-Objekt-Grenzen spielen.
Diese frühen Aspekte erfuhren eine bedeutende Erweiterung in der von Melanie
Klein angebahnten Arbeit, die zum Teil die Kluft zwischen Freuds hypo¬
thetischen Rekonstruktionen und seinen früheren klinischen Funden über den
Zustand des Ichs und der Libido bei vier- bis fünfjährigen Kindern überbrückt.
Jedenfalls können wir nun in groben Umrissen einige der besonderen Gemüts¬
verfassungen, Phantasiesysteme und Realitätssysteme angeben, wie sie in den
drei ersten Lebensjahren bestehen. So sind wir etwa in der Lage, für die
ersten eineinhalb Jahre die Existenz psychischer Objekte im Ich nachzuweisen,'^
und können die Projektion von Vorstellungen in die Außenwelt sowie frühe
moralische Unterscheidungen zwischen guten und bösen Objekten innerhalb
und außerhalb des Selbst — und damit das Vorhandensein von Über-Ich-In-
stanzen — feststellen.
Das Problem der Zwangsneurose
243
Wir müssen jedoch erkennen, daß das Kind in Ermanglung einer Organisa¬
tion des Ichs — und ich denke dabei an die Tatsache, daß das frühere Ich
vielteilig ist — während dieser Periode starken Affektschwankungen preis-
aegeben ist, die ihrerseits ein heftiges Hinundherschwingen zwischen intro-
jektiven und projektiven Vorgängen bewirken. Wie heftig und drängend
diese Affekte sind, kann man aus den Unlustaffekten ersehen, mit denen
melancholische, bzw. paranoide Zustände verbunden sind. Schon diese so¬
genannten pathologischen Zustände haben dazu beigetragen, die katastrophalen
Gefahren, durch die sich das Kind in den ersten Lebensmonaten bedroht
fühlt, zu mildern. Für diese Hilfe mußte aber ein Opfer gebracht werden.
Das Kind, gehetzt durch die Drohung überwältigender Affekte, klammert
sich bald an seine liebgewordenen Mechanismen von Introjektion und Pro¬
jektion, bald läßt es in ständigem Wechsel wieder von ihnen ab. Es ist dies
jener verworrene und quälende Zustand des Seelischen, welchen die Zwangs¬
phase zu überwinden bestimmt ist. Und dies geschieht auf eine sehr einfache
und wirksame Weise, nämlich durch Aufsplitterung der voneinander zu sehr iso¬
lierten Phasen von Introjektion und Projektion, indem diese sozusagen ineinan¬
der verwoben werden, durch Verminderung des Zeitabstandes zwischen ihnen
und durch Ausnützung der Verschiebungsmechanismen zugleich mit der Ent¬
wicklung begrifflichen Denkens und Sprechens, wodurch gleichzeitig der Zu¬
gang zur Realität erweitert wird. Der Säugling produziert nicht nur rascheren
Wechsel, sondern auch kleinere, an primitivere Gedankensysteme gebundene
Quantitäten von Angst. Dies ermäßigt die Affekte und vermindert so die
Notwendigkeit übertriebener Angst- und Schuldgefühle; ja diese werden
schließlich so weit eingeschränkt, daß beinahe der Eindruck eines Mangels an
Gefühlsregungen entsteht.
Dies ist die wesentlichste Leistung der Zwangstechnik. Verdrängung spielt
dabei sicherlich von Anfang an eine Rolle; aber Verdrängen heißt, sein ganzes
Geld auf ein Pferd setzen, — es ist eine Alles-oder-nichts-Reaktion. Der elasti¬
schere Mechanismus der Verschiebung kommt in der Zwangsphase zu seinem
Recht. Vom Gesichtspunkt der Realität aus ist er dem älteren, mehr auf den
Zufall angewiesenen und angstauslösenden System, welches wir symbolisches
Denken nennen, unendlich überlegen.
♦
Nachdem wir so die Berechtigung, die klinischen Grenzen der Zwangs¬
neurose zu überschreiten, erwiesen haben, ist der nächste Schritt die Betrach¬
tung der unbewußten Phantasiesysteme, die sich bei Kindern und in verschie¬
denen pathologischen Zuständen Erwachsener finden. Ein guter Ausgangspunkt
ist die Gruppe kindlicher Phantasien, wie sie von Melanie Klein, Melitta
Schmideberg und anderen beschrieben wurden. Wie schon bemerkt, schaffen
diese Systeme bis zu einem gewissen Grad eine Verbindung zwischen Freuds
th eoretischer Auffassung des primitiven Ichs und seiner klinisch-analy-
244
Edward Glover
tischen Erfahrung an drei- bis fünfjährigen Kindern. Die wesentlichen Züge
dieser Phantasien sind folgende: Das Kind betrachtet sich selbst (seinen Kör¬
per) als eine Art Tummelplatz sowohl innerer wie äußerer Organe, die miteinan¬
der im Kampf liegen, bzw. einander lieben, und es betrachtet Umweltobjekte
(z.B. die Eltern) in gleicherweise als Bündel einander bekämpfender, bzw. lieben¬
der Organe. Die beiden Systeme stehen auch miteinander in Wechselbeziehung:
Einerseits können Teile des Kindes außenstehende Objekte repräsentieren, ander¬
seits Teile äußerer Objekte das Kind selbst. Das Leben besteht aus einer Reihe von
Begegnungen (Kämpfen, Bündnissen usw.) zwischen diesen zusammengesetzten
Ichen und zusammengesetzten Objekten, und das Kriegsglück hängt von dem
Ausmaß ab, in dem die liebenden (guten) Teile über die hassenden (bösen) die
Oberhand gewinnen. Dies ist wiederum von der Art der primitiven Impulse
des Kindes abhängig und von dem Ausmaß, in dem sie vorwiegend durch
Introjektions- und Projektionsvorgänge bewältigt werden. Bei der Beschrei¬
bung dieser Phantasien werden alle möglichen Bezeichnungen verwendet wie
z. B. „introjizierter Penis‘S „gute'‘ oder „böse‘‘ Eltern usw., die eine genauere
Erklärung erfordern. Man neigt dazu, Phantasieprodukte mit dynamischen
Mechanismen zu verquicken. Doch davon soll später die Rede sein. Der Haupt¬
einwand, der möglicherweise erhoben werden könnte, wird zweifellos mit der
Zeit widerlegt werden können. Die Phantasiesysteme wurden zu streng in den
Begriffen der älteren — und viel schematischeren — „Primat‘‘systeme dar¬
gestellt, so z. B. die oralen und oral-sadistischen Phantasien. Es ist richtig, daß
diese Primate durch Einbeziehung nicht nur der rein libidinösen, sondern auch
der sadistischen Entwicklungsphasen erweitert worden sind. Aber es fehlt noch
eine befriedigende Unterteilung dieser Phasen im Verhältnis zu einem differen¬
zierteren primitiven Ich, d. h. einem Körper-Ich, in welchem sich eine beträcht¬
liche Anzahl zusammengesetzter Faktoren vereinigt, um ein locker organi¬
siertes Ganzes hervorzubringen. Ebenso steht fest, daß sich bei dem Ver¬
such, diese früheren Phantasien mit dem in Einklang zu bringen, was wir nun
die klassische Ödipussituation nennen können, eine gewisse Ängstlichkeit der
Rekonstruktion gegenüber fühlbar gemacht hat. Wie dem auch sei, Körper¬
phantasien irgendwelcher Art bleiben sicherlich bestehen. Der nächste Schritt
der Untersuchung ist der, zwischen solchen Phantasien zu unterscheiden, die
sekundär die Entstehung von Affekten (Angst und Schuld) bewirken, und
solchen, die einem Versuch von seiten der Psyche zuzuschreiben sind, be¬
stehende Affekte zu binden, d, h. die Spannungszustände durch Ausbau ent¬
sprechender Erklärungen zu vermindern, indem bestehende (bewußte und un¬
bewußte) Vorstellungen, z. B. symbolisches Denken, zu diesem Zweck benützt
werden. Mittlerweile können wir jedoch ohne Bedenken die Ausdrücke „Intro-
jektions-‘‘ und „Projektionsangst‘‘ und „Körperphantasien'^ (Verletzungen,
Wiederherstellungen oder Erneuerungen des Subjekt- oder Objektkörpers) an¬
wenden.
^ Das Problem der Zwangsneurose 245
Mein Interesse an der Bedeutung dieser Systeme für die Entwicklung wurde
durch Beobachtungen an ein oder zwei Fällen von Übergangsneurosen des
Typus der Rauschgiftsucht geweckt. Man konnte dabei nicht nur die gleichen
Systeme von Körperphantasien beobachten, sondern es war offenbar, daß in
dem Maß, als die Affektspannungen Zunahmen, psychisch ein Rückfall in
heftigere Formen von Introjektion und Projektion eintrat. Ich habe von einer
Patientin berichtet, bei der sich aus einer Zwangsphase eine Rauschgiftsucht
und in der folgenden Abstinenz eine paranoide Krisis entwickelte.
Als die Angst vermindert war, wurde die Symptomreihe umgekehrt.
Dies brachte mich zur Annahme einer Beziehung der Rauschgiftsucht
zur Paranoia, die in vieler Flinsicht durch die schon von Melanie Klein
dargelegten Ansichten über die Entwicklungsrelationen der Zwangsneurosen
zu den paranoiden Phobien bestätigt wird. Ich hielt die Rauschgift¬
sucht für ein Übergangsphänomen, bei dem die Projektionsmechanismen
auf das Rauschgiftsystem lokalisiert werden und auf diese Weise das
Realitäts-Ich von einer weitergehenden Störung befreien. Gewisse klinische
Erwägungen machten in diesem Punkt Schwierigkeiten. Viele Süchte bauen
sich offenbar auf einer melancholischen Grundlage auf. Auch einige Zwangs¬
neurosen haben eine melancholische Seite (siehe Abraham über den bei
Melancholikern im Intervall auftretenden Zwangscharakter), während in
anderen eine schizophrene Schicht nachgewiesen werden kann. Diese klinischen
Beziehungen konnten durch die Analyse bestätigt werden. Die Folgerung
daraus war klar: Ebenso wie es paranoide und melancholische Süchte gibt, muß
es paranoide und melancholische Zwangstypen geben. Hier erwies sich das
gewöhnliche klinische Bild der Zwangsneurosen eher als ein Hindernis. Denn
es sind selten Zwangsneurosen zu sehen, in denen die paranoiden oder melan¬
cholischen Züge das klinische Bild beherrschen, sondern dieses weist gewöhn¬
lich eine Mischform auf.
Ich hatte Gelegenheit, einige Paranoiafälle zu beobachten, in denen Zwangs¬
mechanismen noch wirksam waren, die eine gewisse Realitätsbeziehung
innerhalb des Wahnsystems bewahren halfen. Der Grundzug ist in solchen
Fällen das Vorhandensein sowohl „guter“ als „böser“ Verfolger.^
Außerdem war ich in der Lage, einige Fälle zu analysieren, die ich bereits
in früheren Arbeiten beschrieben habe, nämlich Zwangsneurosen, in denen
die Technik nur oder hauptsächlich auf Affekterlebnisse Anwendung fand,
2) Ich habe kürzlich einen solchen Fall gelegentlich einer Konsultation gesehen. Der
Patient hatte zeitweilig Einsicht in die möglicherweise wahnhafte Natur seiner Vorstellungen.
Er stand unter dem Einfluß guter und böser Systeme äußerer Einmengung. Das gute System
war ein System von „guter Beobachtung" und „Beherrschung“ mit dem Streben, ihn zu einer
Art Welterlöser zu machen. Aber als es ihn zu sehr bedrängte — d. h. sich einmengte —,
wurde dieses „gute“ System zu einem „bösen“, und der Patient reagierte wie bei gewöhn¬
lichem Verfolgungswahn, nämlich mit heftigem Toben. Die guten und bösen Systeme
hatten den Charakter des Zwanges bewahrt.
Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXI/2
17
246
Edward Glover
und die ursprünglich als leichte Depressionen diagnostiziert worden waren.
Nun gelang es mir, hinter diesen „emotionellen Zwangszuständen“ einfache und
klarumrissene Angsterscheinungen, die dem Körper, seiner Unversehrtheit
und seiner Beziehung zu den Körpern der Objekte galten, kurz die bereits be¬
kannten Systeme der Körperphantasien zu entdecken. Der Schluß lag auf der
Hand: Die Hauptfunktion des Zwangssystems muß in der vor¬
teilhaften Verbindung und Befestigung der Introjektions- und
Projektionsmechanismen und gleichzeitig in der möglichst
weitgehenden Ausschaltung der Nachteile einer zu ausschlie߬
lichen Abhängigkeit von irgend einem Mechanismus liegen. Diese
Nachteile zeigen sich deutlich in den Affektstörungen der Melancholie, bzw.
der Paranoia und in Affektschwierigkeiten melancholischer und paranoider
Rauschgiftsüchte. Es ist anzunehmen, daß in einem Zustand, in dem haupt¬
sächlich böse Objekte introjiziert wurden, panische Angst droht, und daß die
entgegensetzte Tendenz — „Bösesein“ auf Objekte zu projizieren — in ihrer !
Art ebenso gefährlich ist. Das Studium von Zwangszuständen, in denen Sub¬
jekt-Ob jekt-Relationen eine wichtige Rolle spielen, erweist die Richtigkeit
dieser Annahme. In dem früher erwähnten Fall von Beschmutzungszwang
konnte leicht ein Pendeln zwischen den Gefahren der Introjektion und denen
der Projektion festgestellt werden. Wenn böse innere Objekte das Ich be¬
drohten, entwickelte die Patientin allmählich ein „Projektions“system von
Zwangszuständen (Beschmutzungszeremonielle auf der Straße oder in öffent¬
lichen Verkehrsmitteln), indem sie sich realen äußeren Objekten zuwandte
und durch dieses Abschwenken die „Introjektions“gefahren negierte. Wenn
das ^,Projektions“system zu viel Angst erregt hatte, trat ein Umschwung zu
den „Introjektions“typen der Zwangserscheinungen ein (Ausführung der Be-
rührungszeremonielle in geschlossenem Raum). Wir sehen also, daß die Funk- |
tion der Zwangsneurose nicht nur darin besteht, psychische Spannungen aufzu- i
splittern — ehe diese das Stadium erreichen, in dem sie Panik hervorrufen — [
und ein rascheres Hinundherschwingen zwischen Introjektion und Projektion
zu ermöglichen, sondern auch darin, durch Ausdehnung des Verschie¬
bungsmechanismus die erste feste Beziehung zwischen dem Ich
und seinen Objekten zu entwickeln.^
3) In einer vor kurzem in der British Psycho-Analytical Society abgehaltenen Dis¬
kussion entstand eine gewisse Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der exakten Bedeutung der
Worte „Ambivalenz“, „Präambivalenz“ usw. Auf Grund neuerer Arbeiten ist es klar, daß
Abrahams Annahme einer vor der Periode des Zahnens anzusetzenden präambivalenten
Phase nicht die heftigen Affektschwankungen, die in den ersten sechs bis neun Lebensmonaten
auftreten, erklärt. Anderseits ist die ursprüngliche Feststellung, daß Zwangsneurotiker einen
hohen Grad von Ambivalenz an den Tag legen, zweifellos zutreffend. Dies stimmt auch
überein mit der Ansicht, daß das Kind, wenigstens im Alter von eineinhalb bis dreieinhalb
Jahren, an gleichzeitigen Liebes- und Haßgefühlen gegenüber irgend einem Objekt wirklich
leidet. Es hat, kurz gesagt, die Subjekt-Ob jekt-Relationen befestigt, Affekteinstellungen zu
Objekten vereinigt und ein gewisses Gleichgewicht der Mechanismen erlangt. In formaler
Das Problem der Zwangsneurose
247
Die Zwangsmechanismen mildern mit anderen Worten die Schärfe der Intro-
jektionen, verhindern unwiderrufliche Projektionen und binden durch ihre
Elastizität beim Eingehen wechselseitiger Verbindungen das Ich an das Objekt.
Nachdem wir die Faktoren, die zu den Zwangsphasen der Entwicklung An¬
laß geben, betrachtet haben, ist es nur folgerichtig zu untersuchen, wie es sich
mit der Beziehung der Zwangssymptome zu den Phobien verhält. Von den
letzteren nahm man gewöhnlich an, daß sie in einem weiter fortgeschrit¬
tenen Stadium der Entwicklung auftreten, und schrieb ihnen eine Reihe von
charakteristischen Mechanismen zu. Hier sind jedoch einige klinische Hinder¬
nisse zu überwinden. Einerseits folgt aus der Arbeit von Klein, Schmideberg
und anderen, daß die sogenannten phobischen Ängste modifizierte Reste ur¬
sprünglicher paranoider Ängste sind. Anderseits bestand über das Verhältnis
der phobischen Angst zur Zwangsfurcht stets eine gewisse Unsicherheit. Manche
Forscher pflegen von „Zwangsphobien*' zu sprechen, während andere diese Be¬
zeichnung als terminologischen Widerspruch empfinden. Es läßt sich natürlich
immer darüber streiten, ob die phobischen Ängste primär sind, oder ob sie sich
von früheren Zuständen paranoider Furcht herleiten. Aber es besteht keine
Notwendigkeit zur Annahme, daß sie einen engen Zusammenhang mit Zwangs¬
systemen oder -phasen haben. Ich wenigstens finde diese Ansicht nicht sehr
befriedigend. Gewiß bin ich ebenfalls der Meinung, daß viele Angstphobien
einen ganz beträchtlichen Rest paranoider Angst enthalten, wenn auch in
manchen Fällen dieser Rest so geringfügig ist, daß der Angstzustand praktisch
genommen als primär gelten kann und hauptsächlich eine Abwehr genitaler
Ängste darstellt. Aber es scheint mir bei Berücksichtigung der an klinischen
Formen gewonnene Erfahrung unmöglich, zwangsneurotische Einflüsse auszu¬
schließen, gibt es doch so viele Fälle, in denen hysterische Angst mit Zwangs¬
erscheinungen verknüpft ist. Und gerade wo dieser Zusammenhang nicht
offensichtlich gegeben ist, ist man in der Analyse gelegentlich in der Lage, ein
ursprünglich zwischen eine Hysterieangst und eine primitive Projektionsangst
eingeschaltetes Zwangssystem aufzudecken. In solchen Fällen hat es den An¬
schein, daß die hysterische Phobie ein isoliertes Fragment eines Zwangssystems
darstellt. Ein einfaches Beispiel ist das einer Frau mit einer Phobie vor Wachs¬
tuch in einer bestimmten Farbe. Es war für sie unmöglich, an einem Geschäft
für Wohnungseinrichtungen vorbeizugehen, ohne von Angst bis zum Grad des
Hinsicht mag es deshalb richtig sein, von einem präambivalenten Stadium zu sprechen, d. h.
im Sinne der Ich-Objekt-Organisation. Aber die Affektschwankungen, die vor dieser Periode
auftreten, sind sicherlich heftiger und unlustvoller; so unlustvoll auch die Ambivalenz ist, ist
sie doch ein beständigerer Zustand und bedeutet einen Fortschritt gegenüber den Haltlosig¬
keiten und Verzweiflungsausbrüchen, welche mit einer unkontrollierten Affektschwingung
Hand in Hand gehen. Befriedigungsaffekte tragen zweifellos zur Erwerbung eines Gefühles
der Sicherheit bei. Aber für lange Zeit ist dieser Einfluß auf vorübergehende Auswirkungen
beschränkt.
ir
5248
Edward Glover: Das Problem der Zwangsneurose
Unwohlseins befallen zu werden. In der Analyse erwies sich dies als das Endglied
einer Kette zwanghafter Substitutionen. Als ursprüngliche Zwangsidee fand
sich die bekannte Vorstellung, die Patientin habe ein Baby aus dem Kinder¬
wagen fallen lassen und so getötet. Das Wachstuch hatte dieselbe Farbe wie
der Bezug des Kinderwagens. Hinter dem Zwangssystem bestand ein beträcht¬
licher Grad von „Körperangst"', und diese ließ sich in eine Angst der Pa¬
tientin vor ihrer Mutter auflösen, die während der frühen Kindheit ihrer
Tochter Kleider von einer ähnlichen Farbe getragen hatte. Wenn man von
einem unvermeidlichen Ausmaß an Überdeterminierung absieht, so weisen
solche Fälle darauf hin, daß der Zusammenhang zwischen Angstphobien,
Zwangsvorstellungen und Ängsten vom Projektionstypus wesentlich enger ist,
als die klinischen Erscheinungen vermuten lassen. In der Frühzeit der Psycho¬
analyse sah sich Freud vor die Notwendigkeit gestellt, die bestehenden klini¬
schen Tatsachen neu zu klassifizieren. Nachdem er vorerst eine gewisse Ord¬
nung in den Beziehungen der verschiedenen „Aktualneurosen“ zu den
Angstzuständen festgestellt hatte, gelang es ihm auch, seine ätiologischen For¬
meln zu klären. Aber seit dieser Zeit ist weder hinsichtlich einer systemati¬
scheren Klassifikation der Neurosen, noch der der Psychosen Nennenswertes
geleistet worden. Es scheint, daß nunmehr die Zeit für weitere Bemühungen
in dieser Richtung reif ist.
♦
Im vorliegenden Beitrag wurde jener Fälle keine Erwähnung getan, in
denen ein deutliches Ineinandergreifen von sexuellen Perversionen oder Phan¬
tasien einerseits und sexuellen Zwangsgedanken und Zwangshandlungen ander¬
seits stattfindet. Es ist interessant zu beobachten, daß sich unter den klinischen
Perversionen einige klar umrissene Typen finden, welche die gleiche, natürlich
als sexuelle Regung verkleidete Tendenz zur Befestigung der Introjektions- und
Projektionsmechanismen zeigen. Solange diese verschiedenen Zusammenhänge
nicht bearbeitet sind, wäre es voreilig, im einzelnen die Aufstellung ätiologi¬
scher Formeln in Angriff zu nehmen. Der Zweck dieser Abhandlung ist es,
darauf hinzuweisen, daß einer der fruchtbarsten Wege der ätiologischen For¬
schung der entwicklungsgeschichtliche ist. Wenn wir einmal über die frühen
Manifestationen des Ichs, über die Wechselbeziehungen und Verbindungen der
verschiedenen Mechanismen in den einzelnen Stadien und über das Verhält¬
nis dieser Verbindungen zu spezifischen Affekten genügend Klarheit haben,
dann werden wir auch nach einer leistungsfähigeren Einteilung der klinischen
Syndrome und nach einer exakteren Aussage über die ätiologischen Fak¬
toren, die jeweils in einem Falle wirksam sind, Ausschau halten können.
Koro
Eine merkwürdige Angsthysterie
Von
P. M. vaii Wulfftcn^Palthc
Batavia
In der medizinischen Fachzeitschrift von Holländisch-Indien aus dem Jahre
1895 findet man einen Artikel des Militärarztes J. C. Blonk, betitelt „Koro“.^
Er beschreibt dort ein Krankheitsbild, das ihm vom Hörensagen bekannt
wurde und bei Buginesen und Makassaren (Volksstämme der Insel Celebes) Vor¬
kommen soll. Nach ihrer Angabe fühlen die an diesem Leiden Erkrankten zu¬
zeiten, daß ihr Penis die Neigung hat, sich in den Leib zurückzuziehen. Falls
in solchen Augenblicken nicht rechtzeitig Hilfe geleistet werde, so geschehe
dies tatsächlich, und der Kranke sterbe angeblich alsbald.
Aus Angst davor nehmen diese Kranken den Penis kräftig in die Hand
und lassen sich, sobald ihre Kräfte sie zu verlassen drohen, durch
Freunde und Verwandte helfen. Mit großem Kraftaufwand wird dieses
Manöver, von Angstzuständen begleitet, stundenlang ausgeführt. Wenn
dann nach Stunden oder gar erst nach Tagen der Anfall vorüber ist, fühlen
die Patienten sich äußerst ermattet.
Blonk meint, daß dieser Zustand sich auf neurotischer Basis entwickelt,
bezweifelt aber die Möglichkeit eines Zusammenhanges mit dem Geschlechts¬
leben.
In dem einen Fall, dessen er sich bei seiner Beschreibung entsinnt, handelte es
sich um einen intelligenten „Djaksa‘‘ (einen einheimischen Staatsanwalt), der
ihm seinerzeit versprochen hatte, seine Hilfe anzurufen, sobald sich wieder ein
Anfall zeigen würde. Dies ist jedoch niemals geschehen.
Obgleich also alle diese Angaben aus zweiter Hand kamen, müssen wir doch
dankbar anerkennen, daß Blonk der erste war, der die Aufmerksamkeit auf
dieses Krankheitsbild gelenkt hat.
Vorstman beschreibt im Jahre 1897 die gleiche „Krankheit'', die er in
West-Borneo beobachtet hatte. Er gab diesem Leiden denselben Nariien, Koro,
da ein anderer an diesem Ort unbekannt war. Er hatte einen eingeborenen
Radja am Fußende seiner Schlafstätte sitzend angetroffen, umgeben von seinem
Gefolge, unter welchem einem alten Mann eine besondere Rolle zuzukommen
schien. Vorstman begriff im Anfang die Art des Leidens nicht, wurde je¬
doch durch einen Chinesen aufgeklärt. Dieser erzählte ihm nämlich, daß be¬
reits seit acht Tagen der Penis des Patienten die Neigung hätte, sich zurück¬
zuziehen. Der alte Mann hätte ihn festgehalten und damit das Leben seines
Herrn gerettet. Trotz seinen Erkundigungen bei dem eingeborenen Regierungs-
i) Geneeskundig Tydschrift voor Ned. Indie, 1895.
P. M. van Wulfften-Palthe
Verwalter konnte er nichts Näheres über diese Krankheit erfahren. Nur der j
europäische Regierungsbeamte von Nangoh-Pino wußte zu erzählen, daß er j
in einem Dorf die Leiche eines Malayen angefunden hätte, der angeblich an |
dieser Krankheit gestorben sei. Irgend eine lokale Veränderung hätte er nicht
konstatiert.
Kurze Zeit nach seinem ersten Patienten traf Vorstman einen zweiten,
einen Chinesen, der im Krankenhaus fortwährend seinen Penis festhielt; wenn
die Ermüdung seiner rechten Hand ihm ein längeres Festhalten unmöglich
machte, ersetzte er diese prompt durch seine linke. Er zeigte dabei stets
Furcht, konnte jedoch durch gütliches Zureden und durch die Versicherung,
daß ihm nichts geschehen werde, wenn er den Penis loslasse, beruhigt werden.
Vorstman betrachtet Koro als eine Zwangsempfindung, die sich inhaltlich
auf Ideen und Vorstellungen aus dem täglichen Leben beziehe. Seiner Meinung ^
nach herrscht in der Umgebung des Patienten der Aberglaube, daß der Penis
sich in den Leib zurückziehen und dadurch den Tod verursachen könne.
In seinen „Vorträgen über tropische Medizin'' schildert Kiewiet dejonge
die Krankheit Koro in gleicher Weise, wie er sie in der obgenannten Literatur
dargestellt fand. Da ihm selbst kein solcher Fall bekannt war und er mit Recht |
die bisherigen Angaben für unzureichend erachtete, enthielt er sich weiterer I
theoretischer Betrachtungen. |
Im Jahre 1932 sah ich selbst einen Fall und berichtete hierüber Nach¬
stehendes
„Vor einigen Jahren untersuchten wir einen Chinesen, der längere Zeit in
West-Borneo gelebt hatte und auch an Koro litt. Er entzog sich jedoch nach
einmaligem Gespräch der Untersuchung, so daß sich hieraus so gut wie kein
Beweismaterial ergab. Wir hatten damals den Eindruck, daß der Anfall mit
einem unbestimmten Angstgefühl anfing, einem dunklen Todesahnen, das sich
sekundär durch die Befürchtung eines Zurückziehens des Penis in den Leib
motivierte. Nach den Äußerungen unseres Patienten glaubten wir annehmen
zu dürfen, daß mit diesem ,Koro' nicht allein Todesangst, sondern auch
Furcht vor Kastration einherging. Außerdem hörten wir noch von einem
Korofall bei einem malayischen Radja, wobei als Besonderheit zu vermelden 1
wäre, daß die ganze Bevölkerung mit ihrem Herrscher in Angst lebte. Tage¬
lang war es in der Umgebung des Fürsten sehr unruhig; die Leute gingen
nicht schlafen und verbrachten die Nächte im Gebet, bis im ,Kraton' die Ruhe
zurückgekehrt und die Korofurcht wieder für einige Zeit vertrieben war,
Dieser Patient war mir als typischer Psychastheniker bekannt.
Auch aus Makassar bekamen wir Nachrichten über Korofälle bei den ge- ^
z) In De Langen und Lichtenstein, „Leerboek der Tropische Geneeskunde“ (Kolff & !
Co., Batavia, Java), Abschnitt „Psychologie en Neurologie in de Tropen“. |
Koro
251
bildeteren Eingeborenen; das heißt mit anderen Worten, nur bei den Gruppen
der Bevölkerung, bei denen überhaupt Neurosen Vorkommen/"
Trotz allen eifrigen Nachforschungen ist es uns nicht gelungen, mehr Einzel¬
heiten zu erhalten, bis vor einigen Monaten ein tuberkulöser, aus Kanton stam¬
mender Chinese in die C. B. Z. (Staatskrankenhaus in Batavia) aufgenommen
wurde, der seinen Penis auf merkwürdige Art verankert hatte (Abb. i).
Mit Hilfe eines Dolmetschers gelang es uns, von ihm interessante Einzel¬
heiten zu erfahren, so vor allem den Namen, den die Chinesen dieser „Krank¬
heit“ geben, nämlich ,,Shook Jong^' (mandarinisch: Shoo Jang)y was „Schrumpfen
des Penis“ bedeutet.
Shook Jong
Schrumpfen - Penis (Sonne-männlich)
Aus weiteren Gesprächen mit unserem Patienten und aus Informationen, die
wir von Dr. Kwa, Batavia, bekamen, ergänzt durch mehrere Einzelheiten, die
wir von Kennern des chinesischen Lebens erhielten, war festzustellen, daß es
sich um zwei verschiedene Dinge handelt, die wir streng unterscheiden müssen:
eine (phantasierte) Krankheit und eine Neurose.
Allgemein bekannt bei Chinesen^) ist eine Krankheit, die man Shook Jong
nennt. Diese Krankheit besteht in einer Schrumpfung des Penis, die auf be¬
stimmte Ursachen zurückgeht, von denen uns genannt wurde: geschlecht¬
licher Verkehr in allzu jungen Jahren oder übermäßiges Onanieren zu Zeiten,
in denen noch die nötigen Kräfte fehlen, oder Urinieren gegen den Wind.
(Vergleiche hiermit den Volksglauben in Europa, daß man eine „Erkältung""
bekomme, wenn man gegen den Wind uriniere: Erkältung hier = Gonorrhöe.)
Bemerke man jene abnormale Neigung des Penis während des Koitus, dann
dürfe man die Vagina nicht verlassen, trete es jedoch unter anderen Umständen
ein, dann sei der Penis durch Helfer mit der Hand und mit dem Mund
festzuhalten. Entschlüpfe der Penis unglücklicherweise, so sei die sichere Folge
der Tod.
In allgemeinem Gebrauch ist ein Instrument, welches den Penis festhalten
kann, falls die oben beschriebene Art zu sehr ermüdet. Dieses Instrument, Lie
Teng Hok genannt, ist die Dose einer alten feinen Waagschale, die täglich
von chinesischen Goldschmieden und Apothekern gebraucht wird. Abb. 2
zeigt, wie es für diesen speziellen Fall zu gebrauchen ist: Die beiden
3) Alle weiteren Angaben beziehen sich auf Mitteilungen, die wir von Panton- und Hok-
kian-Chinesen bekamen. Ob überall in China dieselbe Meinung herrscht, ist noch nicht
festgestellt.
i
252
P. M. van Wulfften-Palthe
Hälften werden auseinandergeschoben, der Penis wird der Länge nach
in die ausgehöhlte Schale gelegt, dann wird die andere Hälfte wieder darauf-
und der kleine Ring am Stiele nach unten geschoben, und so werden beide
Teile, mit dem Penis zwischen ihnen, zusammengeklemmt.
Der chinesische Arzt, der seine klassische Praxis in einer Apotheke von
Batavias ,.China town'* ausübte, fand dieses Mittel jedoch gefährlich. Er gab
zu, daß es im Notzustand ein Hilfsmittel sein könnte und dann auch
allgemein im Gebrauch wäre; aber, wie er sich ausdrückte, die Krankheit
könnte dadurch keinesfalls geheilt werden. Dieses wäre allein möglich, wenn
man alte chinesische Heilprinzipien anwende. Die Neigung des Penis, sich
zurückzuziehen, zeige, daß das Fm-Prinzip, welches das Weibliche vorstellt,
überwiegend sei gegenüber dem y«fjg-Prinzip, welches die Männlichkeit re¬
präsentiere.
(Yang und Ying stehen für Himmel und Erde, Sonne und Mond, Tag und
Nacht, warm und kalt, Leben und Tod, positiv und negativ, stark und
schwach, männlich und weiblich.)
Lie Teng Hok
Wagschale Dose
Um also die Krankheit zu heilen, müssen Ya^g-.-Medizinen eingenommen
werden, Medikamente, die die Chinesen in Indien mit der Qualifikation ,,panas'^
(warm) andeuten, im Gegensatz zu den dingin'* (kalten) Medizinen, die das
Ym-Prinzip vertreten. Als Beispiel für gute Medikation bei ..Shook Jong"
nannte mir dieser ehrwürdige Medizinmann: Schießpulver mit Arak, Zinn mit
Schwefel und viele heilkräftige Kräuter.
Das Instrument Lie Teng Hok ist allgemein als ein Notmittel bekannt, je¬
doch auf Java nur schwierig zu bekommen, da die niederländisch-indische Re¬
gierung diese Waagschalen wegen der vielen Verfälschungen verboten hat.
Unser oben genannter C.-B.-Z.-Patient hat sich auch mit einer eigenen Kon¬
struktion (einem Brettchen, an das der Penis mit zwei Bändern festgebunden
ist, wobei zur größeren Sicherheit noch eine dicke, aus Eisen verfertigte Haar¬
nadel hinter diesem Brett angebracht war) behelfen müssen (Abb. 3). Als ich
ihm jedoch ein Lie Teng Hok zeigte, klärte sich seine sorgenvolle Miene auf,
und mit einem ..itoe dia" („das ist es‘") wollte er es nehmen.
Wir haben also den Glauben an eine Krankheit vor uns, die in einer be¬
stimmten Gegend, bei einem bestimmten Volk, allgemein bekannt und ge¬
fürchtet ist, deren Folgen jedoch niemand gesehen hat. Aus eigener Erfahrung
weiß man nichts, alles hat man vom Hörensagen, niemand hat jemals einen
Menschen an den Folgen eines sich in den Leib zurückziehenden Penis sterben
gesehen, was jedoch den Glauben an eine solche Möglichkeit keineswegs
SHOOK
SHOO
JONG
JANG
i
1
{
i
f
1
Abb. I
Koro
253
schwankend werden läßt. Die Krankheit besteht, weil sie ein Recht dazu hat;
so ist der allgemeine Volksglaube. Denn der Penis ist das Zentrum, das Essen¬
tielle des Lebens; ein Toter hat keinen Penis, bei ihm ist der Penis nach innen
gezogen. Diesen Gedankengang dreht man nun um und sagt: „Wenn also der
Penis Neigung zeigt, sich zurückzuziehen, wenn wir ihn schrumpfen sehen,
dann droht Gefahr; sollte er wirklich verschwinden, dann heißt es sterben.“
Diese kollektive Phantasie ist eine typische Folge des primitiven Denkens;
die mystische ,ypars fro befestigt trotz aller Evidenz den Glauben,
daß ein Toter keinen Penis habe: Er kann ihn unmöglich haben. Genau
so ist die hieraus erschlossene Folgerung, daß das Verschwinden des Penis den
Tod herbeiführe, unwiderlegbar, wenn auch bis heute niemand mit seinen
eigenen Augen einen anderen an Shook Jong zugrunde gehen sah und es
in China bis auf den heutigen Tag noch genug Eunuchen gibt (welche nicht
nur ihrer Testes, sondern auch des Membrums beraubt sind), die klar und
deutlich die Unrichtigkeit dieser Meinung zeigen.
Trotz alledem ist der Glaube daran so stark, daß es Chinesen gibt, die sub
finem vitae an dem Geschlechtsteil ihrer Kinder saugen, oder ein Gewicht an-
hängen, um ein Verschwinden zu verhindern.
Aus diesem eingewurzelten Glauben, aus dieser kollektiven Phantasie über
Krankheit und Tod im Zusammenhang mit der Lage der Geschlechtsteile, be¬
zieht nun diese Angsthysterie, das Koro, ihr Material. Die Erkrankten sind
an erster Stelle Neurotiker, die wiederholt Anfälle von Angst und Zwangs¬
sensationen bekommen. Diese Angst findet ihren Ursprung in sexuellen Kon¬
flikten und ist eine Todesangst, welche sich sekundär zu der Angst vor dem
Schrumpfen und Zurückziehen des Penis konkretisiert: also unter Benützung
des Glaubens an die „Krankheit“ Shook Jong,
Unser im Anfang genannter Patient erklärte, daß er seit Jugendzeiten
Schwierigkeiten im Umgang mit Frauen hatte; er wagte nicht, mit ihnen zu
verkehren und hatte damals auch noch nie koitiert. Sein sexuelles Bedürfnis
war groß, weswegen er viel onanierte. Seine Eltern hatten ihn hiervor ge¬
warnt und ihm gesagt, es werde, falls er damit fortfahre, sein Penis schrumpfen
und sich nach innen zurückziehen. Mit anderen Worten, sie hatten ihm mit
Shook Jong gedroht. Dies hatte einen großen Eindruck auf ihn gemacht,
und weil er trotzdem das Onanieren nicht lassen konnte, entstanden Angst
und Zwangsgedanken, die sich wiederholten, und deren er nur durch eine
feste Verankerung des Membrums Herr werden konnte.
Hier sehen wir also den Freud sehen Kastrationskomplex lebendig vor uns.
Wenn die Auffassung richtig ist, daß sich in Koro eine Kastrationsangst
manifestiert, so ist zu erwarten, daß Koro auch bei Frauen vorkomme. Dies
ist nun tatsächlich der Fall. Ein Arzt aus Borneo schrieb mir, daß dort
Koro häufig, auch bei Frauen, auftrete. Diese hätten dann das Gefühl, daß
die Schamlippen nach innen gezogen würden und daß die Brüste einschrump-
254 P. M. van Wulfften-Palthe
fen; eine Frau aus Kuala-Kapuas soll daran gestorben sein. Auch hier herrscht
also die Vorstellung, daß ein Verschwinden der Geschlechtsmerkmale den
Tod zur Folge habe.
Zur Erklärung des Kastrationskomplexes bei den modernen Europäern
sagt Freud, daß in früheren Zeiten die Kastration nicht allein in Volks¬
sagen, sondern auch im täglichen Leben (zur Strafe) eine so große Rolle ge¬
spielt hat, daß man es eine hereditär fixierte Reaktionsart nennen könnte, wenn
man heutzutage Menschen sieht, die bei Bedrohung ihrer körperlichen Inte¬
grität Kastrationsangst zeigen. Es ist die Bedrohung, die Strafe
In China ist die Kastration (hier = Abschneiden des Membrums) kein
„Motiv der Urzeit“, sondern eine bis zum heutigen Tag lebende Wirklichkeit
— als Strafe und um Eunuchen zu haben —, und hier sehen wir dann auch
den Kastrationskomplex ganz unverhüllt zutage treten: bei Neurotikern als
Angst und Zwang und bei Normalen als Glauben an die Krankheit Shook Jong.
Daß in unserem Archipel auch der Glaube noch lebt, die Zerstörung des Geni¬
tales bedeute die Zerstörung des Lebens, sehen wir bei dem so häufigen Ab¬
schneiden oder Verletzen des Genitales als Selbstmordversuch, nicht allein als
Regressionserscheinung der Schizophrenen, sondern gut durchdacht und ab¬
solut kaltblütig mit bewußter Begründung durchgeführt.^
Ist unsere Meinung über das Wesen von Koro richtig, dann wird es nur dort
Vorkommen, wo es Neurotiker gibt, und wo die kollektive Phantasie über die
Bedeutung des Penis für das Leben noch Allgemeingut ist.
In meiner eigenen Praxis habe ich erfahren, daß zwei Bedingungen stets zu¬
trafen: Entweder waren die Kranken Chinesen aus China (wo wir sehr oft
Neurotiker sehen) oder Eingeborene der besseren Stände mit europäischem
Einschlag, das heißt also, die einzigen Eingeborenen, die eine Neurose bekom¬
men. Das gleiche gilt auch für die Fälle von Blonk und Vorstman (ein
intelligenter Djaksa, ein eingeborener Radja, ein Chinese).
Bei den malayischen Tanis (Bauern) und bei den hier zu Lande geborenen
Chinesen habe ich Koro nie beobachtet, und auch verschiedene chinesische
Studenten, bei denen ich mich jahrelang regelmäßig hierüber informierte,
kannten Koro nicht und hatten nie davon gehört.
Am Ende noch einiges über das Wort Koro. Im Buginesischen soll Koro
„schrumpfen“ bedeuten und Matthes® spricht über eine „Krankheit“ Lasa
Koro als „Schrumpfung des Genitales, eine Art Krankheit, welche bei Einge¬
borenen vorkommt und sehr gefährlich ist“.
Im Makassarischen würde es „Gdring Koro“ heißen.
Dieses wäre also ein absolutes Äquivalent von Shook Jong {shook =
= schrumpfen).
4) van WuIfften-Pa 1 1he, „Amok.“ Ned. Tydschr. v. Geneeskunde, No. 9, März
1933. S. 77.
5) Wörterbuch der Buginesischen Sprache. 1874. S.-31.
Es gibt jedoch noch eine andere Erklärung, die mir ein alter Chinese, der
lange hier wohnte, gegeben hat.
Seiner Ansicht nach lautet das Wort nicht Koro, sondern Kuw oder Kura
und bedeutet „Schildkröte"". Nun ist der Kopf der Schildkröte, sowohl beim
Malayen als auch beim Chinesen, der Ausdruck für den Penis, besonders der
^lans penis, wie man bei uns auch wohl vom „Vögelchen"" (holländisch
,vogeUje*') spricht. „Kwee Tho'* ist im Chinesischen sowohl Kopf der Schild¬
kröte als glans penis. Der Tatbestand, daß nun die Schildkröte ihren Kopf
und runzeligen Nacken unter ihr Schild zurückziehen kann, suggeriert den
Mechanismus, der beim Koro so gefürchtet ist, und hat ihm den Namen ge¬
geben. Diese Auffassung wurde mir durch verschiedene malayisch Sprechende
IS
Jong Tho
Penis Kopf
= glahs penis
bestätigt, und obwohl sie wahrscheinlich nur auf einer Volksetymologie be¬
ruht, ist sie eigenartig genug, um hier angeführt zu werden.
Die Untersuchung einer Erscheinung, die sowohl psychologisch als ethno¬
logisch von großer Bedeutung ist, hat vierzig Jahre nach der ersten schrift¬
lichen Darstellung einige Fortschritte gemacht, wenn auch noch viele Fragen,
hauptsächlich über die ethnographische Verbreitung der SÄooÄ-/o>^g-Krank-
heit und des Koro, unbeantwortet geblieben sind.
Im Zusammenhang hiermit steht die Frage, ob der Gebrauch des sogenann¬
ten Penisstäbchens, welches in den Gegenden, die seit alters her stark unter
chinesischem Einfluß stehen, sehr populär ist, mit dem Glauben an den sich
zurückziehenden Penis zu tun hat: Mit anderen Worten, ob diese Stäbchen
ursprünglich Vorbeugungsmittel zur Verhinderung eines derartigen Vorganges
sind.
Unsere Gedanken weisen uns um so eher in diese Richtung, als die anderen
Auslegungen über die Bedeutung dieser Penisstäbchen unbefriedigend sind.
Speziell die, daß das Penisstäbchen den Geschlechtsgenuß der Frau steigern
solle, wie man sagte: augendam in coitu mulierum voluptatem'^ oder zur
Verhütung der Päderastie diene, sind sicherlich unrichtig.
Es ist wohl zu glauben, daß ein kleiner Stab {adia^ empalang, oetang) von un¬
gefähr 4 cm Länge, mit abgerundeten Spitzen, die kaum aus der Glans penis
herausragen, einen erhöhten Reiz beim Koitus hervorrufen kann; es ist aber
unmöglich, daß Instrumente, die weit aus dem Penis hervorstehen und mit
scharfen Spitzen und Ecken versehen sind, von denen manchmal sogar zwei
Kwee Tho
Schildkröte Kopf
*glans penis
256 P. M. van Wulfften-Palthe
vertikal durch den Penis gebohrt sind, überhaupt einen Koitus ohne ernst¬
liche Verletzungen der Vaginaschleimhäute gestatten.
Sowohl Schrieke als Kleiweg de Zwaan® bezweifeln denn auch diese
Ansicht über das Wesen der Penisstäbchen. Kleiweg de Zwaan führt eine
magische Bedeutung an, während Schrieke die ursprüngliche Bedeutung der
Abb. 4. Penisstab (aus Kleiweg de Zwaan, loc. cit.)
■perjoratio penis in der Verwundung (Mutilation) des Genitales sieht (als
„psychical technic to ■neutralise the evil energies at puberty“)', zu vergleichen also
mit der Zirkumzision und mit der Durchlöcherung der Lippen, Ohrlappen
und der Nase.
Dies würde wohl die Perforation erklären, jedoch nicht den hindurchge¬
stochenen Stab, der — und dies ist in diesem Zusammenhang von großer
Bedeutung — nach Gutdünken aus dem Penis entfernt werden kann. Wenn
Abb. 5. Scharfgespitzter Federkiel durch die glans penis (aus Hovorka, loc. cit.)
wir dann weiter noch sehen,^ daß die kleinen Stäbe während einer Reise und
bei der Arbeit durch große Stäbe mit Knöpfen und verzierten Ecken oder
durch scharf gespitzte Federkiele (Abb. 4 und 5) ersetzt werden, dann ist es
ziemlich klar, daß diese Stäbe wenigstens mit der Steigerung des Geschlechts¬
gefühles nichts zu tun haben, und es gewinnt hierdurch die Hypothese an
6 ) Kleiweg de Zwaan, Over de penisstaafjes der Inländers. Ned. Tydschr. v. Genees-
kunde II® 1920.
7) Hovorka u. Kronfeld, Vergleichende Volksmedizin II, p. 179. Stuttgart, Stecker
und Schröder, 1909.
Koro
257
Wahrscheinlichkeit, daß diese großen Stäbe oder Federkiele (die beim Koitus
wieder durch einen kleinen ,,palang'' ersetzt werden) ursprünglich als ein
zweckmäßiges Mittel gebraucht wurden, um das Zurückziehen des Penis zu
verhindern.
Daß die Stämme, bei denen diese Penisstäbe benützt werden, von dem ur¬
sprünglichen Zweck nichts mehr wissen, wenigstens sich hierüber nicht
den verschiedenen Forschern gegenüber geäußert haben, ist
keineswegs verwunderlich.
Während ungefähr acht Jahren habe ich nach der Bedeutung und nach dem
Vorkommen von Koro gefragt, aber niemand, kein Chinese und kein Einge¬
borener, wußte mir hierüber etwas zu sagen. Erst bis ich selber alles genau
wußte und mit ihnen hierüber sprach, tauten sie auf, und dieselben Leute, die
früher „von nichts gewußt hatten*^, berichteten mir nun mit einem verlegenen
Lächeln haarfein alle Einzelheiten, obgleich es deutlich war, daß sie eigentlich
nicht gerne hierüber sprachen, weil solche Themen doch „magisch‘‘ gefährlich
und deswegen „tabu"‘ sind.
Der Mechanismus der Depersonalisation
Von
Bdmund Bergier und Ludwig Eidciberg
Wien
Die bisher von sechs Wiener AutorenSchilder, Hartmann, Nunberg,
Reik, Federn, Sadger, vorliegenden analytischen Arbeiten über Depersona¬
lisation haben, trotz wichtigen Beiträgen zum Problem, den Mechanismus
der Krankheit teils als nicht aufhellbar festgestellt, teils Erklärungen geliefert,
die zueinander in Widerspruch stehen. Eine Zusammenfassung der zitierten
Arbeiten erscheint überflüssig, auch beabsichtigen wir nicht, gegen dieselben
zu polemisieren. Wir begnügen uns damit, unseren Beitrag zu liefern, wobei
jeder von uns eine ausführliche Krankengeschichte publiziert. Die analytische
Kasuistik der Depersonalisation ist sehr unzulänglich. Sonderbarerweise gibt es,
von einer Ausnahme (Sadger) abgesehen, keine analytische Krankengeschichte
von Depersonalisationsfällen. Leider ist auch die S a d g e r sehe Kranken¬
geschichte bloß bedingt verwertbar, da sie, obwohl sie 1928 erschien, die
metapsychologische Strukturierung der Persönlichkeit nicht berücksichtigt.
Was von den übrigen Autoren veröffentlicht wurde, entstammt entweder
ihrer voranalytischen Zeit (Schilder), ist rein psychiatrisch deskriptiv
(Hart mann), begnügt sich mit kurzen, manchmal bloß wenige Zeilen
umfassenden Andeutungen (Nunberg, Reik) oder verzichtet gar völlig
auf Kasuistik. Ferner halten einzelne Autoren in ihren kasuistischen Mitteilun¬
gen chronisch zwei völlig disparate Probleme nicht genügend auseinander: die
echte Depersonalisation, eine Krankheit sui generis, und die am Anfang oder
im Verlaufe fast jeder Neurose vorkommenden passageren Depersonalisations¬
zustände. Auf diesen Übelstand hat Sadger mit Recht verwiesen. Der Un-
geklärtheit des Problems und der Differentialdiagnose entspricht auch die
düstere Prognose: Die Autoren enthalten sich entweder jeder Meinungsäuße¬
rung oder halten die Krankheit für unheilbar.
I Die große Unsicherheit im Problem der Depersonalisation — denn dies ist
u. E. das Charakteristikum des gegenwärtigen Standes der analytischen Deper-
I sonalisationslehre — ist wohl der Tatsache zuzuschreiben, daß Freud zu dieser
Frage niemals Stellung genommen hat.
Die vollständigste Beschreibung der Depersonalisation stammt von
Schilder:
„Den Depersonalisierten erscheint die Welt fremd, eigentümlich, unheimlich,
wie traumhaft... Auch die taktilen Eigenschaften der Gegenstände scheinen merk-
würdig verändert. Aber die Patienten klagen nicht nur ü ber die Veränderung der
1) Vortrag, gehalten in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung am 6 . Dezember 1933.
2) Die interessanten Arbeiten von Searl und Oberndorf, die erst nach unserem
Vortrag im Int. Journal of Psycho-Analysis erschienen, konnten hier nicht mehr berück¬
sichtigt werden.
Der Mechanismus der Depersonalisation
259
^(T’ahrnehmungsfunktion, sondern auch das Vor stellen erscheint verändert. Die
Vorstellungen erleben die Patienten als blaß, farblos, manche geben sogar an, sie
könnten überhaupt nicht vorstellen. Das Gefühlsleben zeigt gleichfalls schwere
j Störungen. Die Patienten klagen, sie könnten weder Lust noch Unlust empfinden,
Liebe und Haß sei in ihnen erstorben. In ihrer Persönlichkeit fühlen sich die
Kranken grundlegend verändert und ihre Klagen gipfeln darin, sie seien sich selbst
fremd geworden, sie seien wie tot und leblos wie Automaten. Die objektive Unter¬
suchung derartiger Kranker ergibt nicht nur die Intaktheit ihrer Wahrnehmungs¬
leistungen, sondern auch die Intaktheit ihres Gefühlslebens. Alle diese Patienten
zeigen natürliche Affektreaktionen in Mimik, Haltung u. dgl. mehr, so daß wohl
kaum angenommen werden kann, ihre Gefühle fehlten.“ („Entwurf zu einer
Psychiatrie auf psychoanalytischer Grundlage“, S. 38 ff.)
Wir lassen vorerst zwei Krankengeschichten folgen und gehen dann auf den
Mechanismus der Depersonalisation ein.
Fall I.
(Mitgeteilt von Eid eiberg)
l Es handelt sich um eine jetzt 33jährige Patientin, die vor vier Jahren in meine
' Ordination kam. Sie hatte damals bereits eine siebenjährige Analyse (mit längeren
Unterbrechungen) hinter sich, die sie bei drei verschiedenen Analytikerinnen ab¬
solviert hatte. Ihre letzte Analytikerin schickte sie zu mir, weil sie der Ansicht war,
daß in diesem Falle die Fortführung der Behandlung durch einen Analytiker des
anderen Geschlechts vorteilhaft sein könnte.
Die Patientin hat vor sieben Jahren die analytische Behandlung wegen quälender
Gefühle von Entfremdung und „Gefühllosigkeit“ aufgesucht. Sie hatte vorher eine
Reihe von Behandlungen bei einigen Nervenärzten ohne jeden Erfolg durchgemacht.
Die analytische Behandlung führte zu einer Besserung, ohne aber die Heilung zu
bringen. Die Besserung hielt nur während der Zeit der Behandlung an, jede Unter-
] brechung derselben brachte eine Verschlimmerung. Die Patientin konnte ohne
Analsye nicht auskommen und wünschte deren Fortsetzung. In der ersten Besprechung
bat sie mich, die Geduld nicht zu verlieren und sie in Behandlung zu behalten, sie
fühle sich wegen ihrer „schlechten Fortschritte“ sehr schuldbewußt, besonders ihrer
i letzten Analytikeriin gegenüber, die sich so viel Mühe mit ihr gegeben habe und sie
sicher nicht fortgeschickt hätte, wenn sie nicht jede Hoffnung und das Vertrauen zu
ihrer Arbeitslust verloren hätte.
Ich beruhige die Patientin, indem ich ihr erkläre, daß der Vorschlag eines Wech¬
sels des Analytikers nicht ein Zeichen der Abneigung ihrer Analytikerin ist, sondern
daß bisweilen aus technischen Gründen die Fortsetzung bei einem Analytiker des ande¬
ren Geschlechts für die Behandlung vorteilhaft sein kann. Ihre Angst, daß ich die
Geduld verlieren werde, sei unbegründet; ich verspreche ihr, sie, solange sie mit¬
arbeitet, nicht wegzuschicken.
An die vorangegangenen Analysen erinnert sich Patientin nur spärlich und weiß
auch über die analytische Terminologie wenig. Im Widerspruch zu ihrer sonstigen In¬
telligenz ist ihr Interesse und ihr analytisches Wissen geradezu kümmerlich. Ich
' hätte zunächst erwartet, daß die Patientin das Material der vorangegangenen
( Analysen als Widerstand verwerten würde, doch zeigte es sich bald, daß sie fast
» alles, was in ihrer Analyse besprochen wurde, wieder vollkommen verdrängt hatte.
^ Die Patientin machte sich deswegen schwere Vorwürfe und bemühte sich, durch er-
^ höhte Aufmerksamkeit ihre Lücken auszufüllen. Es zeigte sich aber bald, daß diese
Patientin, die meist alle möglichen Dinge gut auffassen und richtig schildern konnte.
1
26 o
Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg
dann wieder vollständig versagte und einen geradezu dementen Ein¬
druck machte. Sie verstand nicht, was ich sagte, sie merkte sich keine Deutung, es
gab keinen Zusammenhang zwischen den einzelnen Stunden.
Zunächst gab die Patientin ihrer Schwerhörigkeit die Schuld. Eine fachärztliche
Untersuchung ergab eine leichte Herabsetzung des Hörvermögens auf einem Ohr,
die zu gering war, um ins Gewicht zu fallen; zudem konnte die Patientin beob¬
achten, daß das schlechte Hören bloß zeitweise, besonders häufig während der
Ordination, auftrat. Damit war die Möglichkeit einer psychischen Auffassung der
Schwerhörigkeit bzw. ihrer Verstärkung gegeben. Ich meinte, daß wir in der
Analyse vielleicht auch dieses Übel beseitigen werden, forderte aber die Patientin
auf, vorläufig mich aufmerksam zu machen, wenn ich zu leise sprechen sollte.
Die Analyse dieses Symptoms gelang erst viel später, und so mußte ich lange Zeit
sehr laut sprechen. Es zeigte sich aber bald, daß auch mein lautes Sprechen die
Schwierigkeiten nicht beseitigte. Die Patientin meinte vorerst, daß ich auf sie böse
sei, da ich so laut spreche, „man ist immer böse, wenn man laut spricht“. Mein
Hinweis, daß dieses laute Sprechen nur wegen ihrer Schwerhörigkeit erfolge, nützte
wenig. Mehr Erfolg hatte ich, als ich den Versuch machte, diese Empfindung der
Patientin zu deuten und ihr sagte, daß offenbar ein unbewußter Grund für diese
Empfindung vorhanden sein müsse, wenn sie trotz meinen Versicherungen, die sie
vernunftmäßig akzeptierte, das Gefühl, ich sei böse, nicht loswerde. Vielleicht sei der
Sachverhalt so, daß sie im Unbewußten böse sei und dieses Gefühl auf mich pro¬
jiziere. Nach heftigen Widerständen gelang es, diese Deutung teilweise durchzu¬
setzen, wobei die Patientin erinnerte, daß sie diesen Mechanismus in ihren letzten
Analysen lange Zeit gedeutet bekam, auch damals partiell akzeptierte und wieder
vergaß. Ich habe im späteren Verlauf der Analyse die Erfahrung gemacht, daß
diese Patientin Deutungen, die eingehend besprochen und verstanden wurden, immer
wieder vollständig vergessen konnte, wobei nicht etwa die erlebnismäßige Erfassung,
sondern auch die rein intellektuelle Erkenntnis verlorenging. In diesem Zeitpunkt
der Analyse habe ich diese Eigenschaft der Patientin nicht gebührend fingeschätzt
und glaubte, daß ich durch häufiges Wiederholen, „Durcharbeiten“, mit dieser
Schwierigkeit fertig werden würde. Ich habe erst nach längerer Zeit erkannt, daß
dies nicht der Fall war und daß diese Eigenschaft der Patientin die Analyse nicht
nur in die Länge zog, sondern die Erreichung eines Resultates unmöglich zu machen
drohte. Die Patientin fühlte sich in der Analyse wohl und hatte keine Lust, sie
aufzugeben. Dieses Sichwohlfühlen war ihr aber unbewußt, real bedeutete die
Analyse ein großes materielles Opfer, außerdem machte sich die Patientin schwere
Vorwürfe, daß sie meine Zeit in Anspruch nahm, ohne vorwärtszukommen.
In diesem Zeitpunkt wurde in dem Amt, in dem die Patientin angestellt war, ein
höher qualifizierter Posten frei, und die Patientin fragte mich, ob sie sich um ihn be¬
mühen solle. Da sie sehr ehrgeizig war, hätte sie ihn gerne angenommen, fürchtete
aber, daß sie infolge ihrer Krankheit den Anforderungen dieser neuen Stelle nicht ge¬
wachsen sein werde. Ich widersprach dem Kleinmut der Patientin, und tatsächlich
bekam sie nach einigen Wochen den Posten, der viele Bewerber hatte. Es gelang
ihr auch, trotz gewisser Anfangsschwierigkeiten, festen Fuß zu fassen und ihre kom¬
plizierte Arbeit zur Zufriedenheit ihres Chefs zu verrichten. Die Patientin schrieb
diesen äußeren Erfolg der Psychoanalyse zu und meinte, daß sie früher nicht im¬
stande gewesen wäre, diese Arbeit zu tun. Es war tatsächlich bemerkenswert, daß
die Patientin, die in der Analyse zeitweise so wenig auffassen konnte, so vieles
vergaß und so wenig verstand, außerhalb der Analyse eine verantwortungsvolle Ar¬
beit leistete.
Der Mechanismus der Depersonalisation
261
Dieser Erfolg war für mich und für die Patientin ein Grund für die Fortsetzung
der Analyse, die weiter vorwiegend zusammenhanglos und äußerst monoton vor
sich ging.
Zu den wenigen Dingen, die die Patientin sich aus der früheren Analyse gemerkt
hatte, gehörte die Erkenntnis, daß ihre Neurose durch Verdrängung von Sexualvor¬
stellungen entstanden war. Wenn sie gesund werden wolle, müsse sie diese Ver¬
drängungen rückgängig machen und sich zu ihrer Sexualität bekennen. Vor dem Be¬
ginn ihrer Analyse bei mir, während der Ferienunterbrechung bei ihrer letzten
Analytikerin, hatte die Patientin den Versuch gemacht, ein Verhältnis anzuknüpfen,
um auf diese — natürlich sinnlose — Weise ihre Fleilung zu beschleunigen. Es kam
zu einem Koitus; die Patientin wurde defloriert, hatte aber weder einen Schmerz ver¬
spürt, noch eine Sexualerregung empfunden.
Ich will nun kurz einige Daten aus der Lebensgeschichte der Patientin mitteilen.
Sie war die einzige Tochter eines kleinen Beamten. Ihre Erziehung war ziemlich
streng, sei litt besonders unter dem Geiz des Vaters, der seiner Frau wegen jeder
geringfügigen Mehrausgabe schwere Vorwürfe machte. Die Patientin war eine gute
Schülerin, mußte aber alles auswendig lernen und hatte deshalb zu ihrem Wissen kein
rechtes Vertrauen. Ihre Krankheit begann in ihrem 16. Lebensjahr im Anschluß an
eine Verliebtheit in einen Kollegen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Patientin den
Männern keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt. Nun trat ein eigentümliches Ge¬
fühl von Entfremdung auf; die Welt erschien ihr unwirklich, wie
durch einen Schleier, außerdem stellte sich ein Zwang ein, sich selbst
zu beobachten, der äußerst unangenehm empfunden wurde. Die Patientin glaubte
damals, daß es sich dabei um Nachwirkungen ihrer gewollten Beschäftigung mit
geistigen Dingen handelt. Sie war immer sehr ehrgeizig gewesen und hätte gerne
viel gelesen und viel gegrübelt. Sie meinte, daß ihr das intensive Denken über
geistige Probleme geschadet habe, und gab diese Gewohnheiten auf. Nach einigen
Wochen besserte sich ihr Zustand, um allmählich vollkommen zu verschwinden.
Auch die Verliebtheit in den Kollegen klang ab. Nach etwa einem Jahr machte
sie die Bekanntschaft eines Mannes, der ihr gut gefiel und der sich um ihre Hand
bewarb. Nun traten plötzlich das Entfremdungsgefühl und der Zwang zur Selbst¬
beobachtung wieder auf, und zwar viel stärker als vor einem Jahr. Dieser Zustand
verschwand nicht mehr, seine Intensität wechselte aber; während der lange dauernden
Analysen war er vorwiegend auf die Analysestunden beschränkt.
Ich glaube die Stellungnahme der Patientin zu ihrer Defloration am besten zu
illustrieren, wenn ich mitteile, daß die Patientin trotz großem Blutverlust nicht nur
keinen Schmerz verspürt, sondern auch Zweifel an der vollzogenen Entjungferung
hatte. Erst eine fachärztliche Untersuchung verschaffte ihr die Gewißheit.
Die Patientin hatte nach diesem zwecklosen und mißlungenen Versuch, „sich zur
Sexualität zu bekennen“, wieder den Mut verloren und wollte von der Sexualität
nichts mehr wissen. Nach einiger Zeit verliebte sich die Patientin dennoch in einen
Kollegen; als sie sich aber entschloß, mit ihm eine Beziehung anzuknüpfen, stellte es
sich heraus, daß er impotent war. Die Patientin war geneigt, diese Impotenz als
durch sie verschuldet darzustellen, erst als bei ihrem Freund ihr unverständliche Auf-
regungszustänide auftraten, erkannte sie, daß auch er ein Neurotiker war und schickte
ihn in die Analyse.
Aus technischen Gründen, die mit der Analyse der Patientin zusammenhingen,
wurden die Beziehungen zwischen beiden bald unterbrochen, wodurch eine unan¬
genehme Komplikation entstand. Da wir die Hoffnung hatten, daß diese Unter¬
brechung von nicht allzu langer Dauer sein werde, müßten wir uns mit ihr ab-
Int. Zeitschrift f. Psychoanal37se, XXI /2
x8
202
Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg
finden. Für die Analyse der Patientin bedeutete dieser Zwischenfall einen starken
Rückfall. Die positive Beziehung zum Analytiker verschlechterte sich, sie warf mir
vor, daß ich ihren Freund ihr vorziehe, daß ich vor allem seine Interessen vertrete.
Ihre Einstellung wurde mißtrauisch, zweifelnd. Alle diese Vorwürfe, die die Patientin
mir machte, wären vom analytischen Standpunkt nur als wünschenswert zu bezeich¬
nen, da ich jetzt in der Lage war, ihre negative Einstellung zu mir ausführlich zu
besprechen, nicht wünschenswert war aber, daß mit dem Auftreten dieser Wider¬
stände die Analysierbarkeit der Patientin wieder problematischer wurde, da ihre Ver¬
ständnislosigkeit sofort erheblich zunahm.
Selbstverständlich wurde diese Verständnislosigkeit, die von der Patientin als an¬
geborene Dummheit und Minderwertigkeit aufgefaßt wurde, eingehend gedeutet. An
zahlreichen Beispielen wurde der Patientin immer wieder gezeigt, daß sie die Dinge,
die sie nicht verstanden hatte, an anderen Tagen leicht begriff, dann wieder konnte
man auf Grund der Einfälle, die sich nachher einstellten, zeigen, daß die Deutung
verstanden wurde. Natürlich begnügte ich mich nicht damit, der Patientin mit rein
logischen Argumenten zu beweisen, daß ihre Dummheit nicht starr und unbeeinflu߬
bar sei, sondern zeigte ihr gleichfalls die unbewußte Seite dieses Symptoms, also ihre
Aggression, die sie gegen mich auslebte, und die Selbstbestrafung durch die Selbst¬
herabsetzung und die Verlängerung der analytischen Behandlung. Viel, viel später,
nachdem die Patientin die Deutung ihrer Verständnislosigkeit als eines neur¬
otischen Ab Wehrmechanismus akzeptiert hatte, passierte ihr folgendes Ver¬
sprechen: Sie wollte sagen „ich reagiere schon wieder mit Dummheit“, sagte aber
„ich regiere mit Dummheit“. Durch mich auf dieses Versprechen aufmerksam
gemacht, verstand sie es nicht, obwohl es so durchsichtig war; erst eine ausführ¬
liche Besprechung der Bedeutung der Worte reagieren und regieren führte zum Er¬
folg. Sie teilte mir eben nicht nur verbal mit, daß sie dumm sein wollte, sie agierte
es gleichzeitig. So störend dieses Symptom für den Fortschritt der Analyse war,
mußte man es trotzdem in Kauf nehmen. Nachträglich stellte es sich heraus, daß
anschließend an die Verständnislosigkeit auch die Depersonalisation zunahm, die
Patientin hörte nicht, was ich sprach, und verlor jeden Kontakt. ^
Ich hatte die Erfahrung gemacht, daß die Patientin verhältnismäßig noch am
besten auf mein ruhiges freundliches Benehmen reagierte und setzte so die Behand¬
lung fort. Nach einigen Wochen besserte sich ihr Zustand ein wenig, und ich be¬
nutzte das „freie Intervall“, um die Analyse ergiebiger zu gestalten. Es gelang in
dieser Zeit, ein Symptom, das der Patientin zeitweise sehr lästig fiel, das Erröten,
teilweise zu analysieren. An diesem Symptom konnte der Patientin zunächst der
Zusammenhang zwischen psychisch und organisch demonstriert werden. Sie sah
hier, daß psychische Gründe, Haß und Scham, eine körperliche Veränderung er¬
zeugen können. Auf Grund von Träumen und Einfällen wurde eine psychische
Analogie mit der Erektion des Penis hergestellt, und wir begannen uns mit der Ein¬
stellung der Patientin zum Penis zu beschäftigen. Der Penisneid wurde für kurze
Zeit sichtbar, doch wurde die weitere Deutung durch Wiederauftreten von schwerer
Verständnislosigkeit unterbrochen.
Ich sagte der Patientin, daß ihr Widerstand sich der Verständnislosigkeit bedient
und, abgesehen von den bereits besprochenen Gründen, noch die neurotischen Be¬
friedigungen verteidigt. Da ihr wegen ihrer Krankheit normale Befriedigungen nur
spärlich zur Verfügung stehen, hat sie begreiflicherweise wenig Lust, die neuroti¬
schen aufzugeben. Es liegt im Wesen der analytischen Behandlung, daß sie die nor¬
malen Befriedigungsmöglichkeiten schafft, nachdem sie vorher die neurotischen zer¬
stört hat. So muß die Analyse vom Patienten gewissermaßen eine Art von Kredit
Der Mechanismus der Depersonalisation
263
verlangen, indem er auf Befriedigungen verzichtet, bevor er noch neue bekom-
men hat. ^ ^ ^
Technisch schwierig war es, der Patientin zu zeigen, daß ein Symptom, das ihr
lästig war, auch gleichzeitig eine unbewußte Befriedigung bedeuten konnte. Die
Möglichkeit einer Befriedigung leugnete die Patientin energisch, und als ich ihr an
Hand von Einfällen und Träumen das Vorhandensein einer Befriedigung im Symptom
doch zeigen konnte, akzeptierte sie dies bloß vernunftmäßig. Dieselbe Schwierigkeit
wiederholte sich bei der Besprechung ihrer Benommenheit, die sie als ein „Erstarren
und Versulzen“ des Kopfes schilderte und die ebenfalls ein Konversionssymptom
darstellte. Erst nachdem wir ihre Onanie durchbesprochen hatten, begann die
Patientin an der Klitoris zu onanieren und mit dem Auftreten von bewußten Sexual¬
erregungen wurde ihr die früher gedeutete Befriedigung beim Erröten plausibler.
Zweifellos war für das Zustandekommen dieser Erkenntnis die Tatsache maßgebend,
daß sie jetzt nicht gezwungen war, mir analytischen Kredit einzuräumen, sondern
daß die Analyse ihr zuerst eine neue Befriedigung gab.
Die Patientin hatte die Gewohnheit, oft vor oder nach der Stunde das Klosett in
meiner Wohnung aufzusuchen. Ich machte sie aufmerksam, daß dies auch einen
unbewußten Grund haben müsse. Meine Vermutung wurde sofort energisch abge¬
lehnt, doch konnte die Patientin nicht verhindern, daß wir jetzt einiges über ihr
Verhältnis zum Stuhl erfuhren. Unter anderem erz^lte sie, daß sie häufig obstipiert
sei, daß sie gewöhnlich nur dann Stuhldrang bekomme, wenn sie keine Zeit zur Ent¬
leerung habe, und häufig „nachhelfen‘‘ müsse. Unter „Nachhelfen“-müssen verstand
die Patientin folgende Handlung: Bei der Defäkation blieb die Kotstange in der
Ampulle stecken, und es war unmöglich, die Defäkation zu beenden. Die Patientin
mußte mit der Hand auf die Dammgegend drücken, und dann erst gelang die Stuhl¬
entleerung. Nun machte ich der Patientin den Vorschlag, auf dieses Zeremoniell zu
verzichten, um durch die Versagung die Bedeutung dieser Handlung plastisch zu er¬
kennen. Diesen Vorschlag nahm die Patientin ungern an, und es zeigte sich bald,
daß sie nicht in der Lage war, ihn auszuführen. Sie begründete es damit, daß ohne
„Nachhelfen“ die Defäkation nicht erfolgen werde, und als ich ihr darauf den Rat
gab, eine Obstipation zu riskieren, erklärte sie, daß das Nachhelfen noch eine zweite
Bedeutung habe: sie schütze auf diese Weise ihren Mastdarm, der beim Durchtritt
des Stuhles zerrissen werden könnte.
Bei dieser Bemerkung der Patientin fiel mir der manuelle Dammschutz ein; da die
Patientin medizinisch unwissend war, wagte ich nicht, diese Deutung auszusprechen.
Da die Patientin für dieses Symptom keine Krankheiteinsicht hatte, war ich gezwun¬
gen, zunächst vernunftmäßig diese Handlung als ein neurotisches Geschehen zu
isolieren, indem ich ihr mitteilte, daß andere Menschen hier ein anderes Verhalten
zeigen. Im Anschluß an Träume und Einfälle konnte ich nun die unbewußte Be¬
deutung der Kotstange als Penis aufzeigen. Da sie ähnliche Mechanismen in der
Analyse der Konversionssymptome gesehen hatte, war der Widerstand diesmal ge¬
ringer. Nach dieser Deutung konnte die Patientin einigemal, ohne nachzuhelfen,
defäzieren, wobei sie ein angenehmes Gefühl hatte. Als ich ausführlicher auf das
„Angenehme“ einging, meinte die Patientin, daß sie, wenn sie nicht nachhelfe, ein
reines Gewissen habe. Nun mußte sie zugeben, daß das Nachhelfen offenbar eine
verbotene geheime Lustquelle war.
Die Entlarvung des Penis als Kotstange gestattete, das Problem des Penisneides in
die Besprechung wieder aufzunehmen. Langsam beginnen wir diesen Kotpenis, der
an Stelle des Penis „geschaffen“ wurde, als das anale Kind zu erkennen. Nun kommt
eine Erinnerung an ein Lexikon, in welchem die Patientin zum ersten Male eine ge- 1
18* ;
1
I
264
Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg
naue Darstellung der Geburt beschrieben fand. Das Wort Dammschutz taucht
auf, sie erinnert sich nun genau an die Beschreibung des manuellen Dammschutzes,
der vorgenommen wird, um den Damm während der Geburt vor dem Zerreißen zu
schützen. Sie erkennt, daß das Nachhelfen eben jenen Dammschutz bedeutet, von
dem sie seinerzeit gelesen hat. Das Auftauchen dieser Erinnerungen ist von starken
Affekten begleitet, die Klarheit der gefundenen Lösung erzeugt eine große Befriedi¬
gung. Das Symptom verschwindet nun für längere Zeit, taucht aber im weiteren
Verlaufe der Analyse noch gelegentlich, wenn auch nicht so hartnäckig, auf.
Die Tatsache, daß die Patientin während ihrer Menstruation keine Obstipation und
immer guten Stuhl hatte, scheint eine Bestätigung dieser Deutung zu sein. Die Men¬
struation bewies ihr, daß sie nicht schwanger war.
Nach dieser Deutung versuche ich, auf Grund der vorhandenen Einfälle und
Träume zu deuten und eine Verbindung zum Ödipuskomplex herzustellen. Man
könnte glauben, daß die Patientin jetzt bereits reif für dieses Problem geworden ist.
Wieder tritt aber als Widerstand Verständnislosigkeit ein. In dieser Zeit habe ich
mein Wartezimmer neu eingerichtet und die Patientin reagiert darauf mit Haß und
Neid, wobei ihr nur ein Bruchteil dieser Gefühle bewußt wird. Als ich sie bei den
anschließenden Besprechungen auffordere, auf die Gefühle, die sie verspürt hatte,
einzugehen, kann sie fast nicht sprechen. Einmal sagt sie, daß sie geglaubt hat, daß
ich mit meiner Frau im Nebenzimmer verkehrt habe, die Patientin ist aber nicht
imstande, diese Vorstellung zu schildern. Eingehend befragt, sagt sie „Sie gingen
durch das Zimmer ..Es ist nicht möglich, mehr darüber zu erfahren, diese Worte
sind die Darstellung, die sie geben kann.
Die Analyse erfährt erst eine gewisse Belebung, als die Patientin die zeitweise unter¬
brochenen Beziehungen zu ihrem Freund auf nimmt und nach einer Zeit eine gewisse
Befriedigung beim Verkehr erlebt. Sie ist nun wieder bereit, ihre Verständnislosig¬
keit ZU lockern, und wir wenden uns ihrer Schwerhörigkeit zu. Es zeigt sich jetzt,
daß sie nicht nur schlecht hört, sondern auch das Gehörte zeitweise nicht versteht.
Bei genauer Betrachtung finde ich, daß sie einen leicht verständlichen Satz, von d^m
ein Wort ihr entgangen ist, nicht rekonstruieren kann. Darauf aufmerksam gemacht,
berichtet sie, daß sie solche Rekonstruktionen nicht machen will und das Bedürfnis
hat, jedes Wort einzeln und deutÜch zu hören. Tritt das nicht ein, zieht sie sich
zurück. Diese Schwerhörigkeit trat nicht nur in der Analyse, sondern auch im
Bureau auf, und die Patientin, die sehr ehrgeizig war, litt sehr darunter, daß sie zeit¬
weise nicht imstande war, ein Diktat richtig aufzunehmen. Von mir aufmerksam
gemacht, daß man im allgemeinen beim Zuhören nicht unbedingt jedes Wort hören
muß, und aus dem Zusammenhang ständig das undeutlich Gehörte ersetzt, muß sie
ihr Verhalten rechtfertigen. Es ergibt sich die Frage, weshalb ihr Verhalten anders
ist, und warum sie es nicht ändert, obwohl die tägliche Realität ihr das Irrationale
dieses Benehmens anzeigt. Dieser Zustand tritt besonders dann ein, wenn die Patien¬
tin den Wunsch hat, gut zu hören; sie verspürt eine Erregung und ein leichtes Sumqien
im Ohr. Vielleicht sei dieses Summen auch ein störendes Agens. Nun tauchen Er¬
innerungen an die Mutter auf, die ein ausgezeichnetes Gehör hatte und deswegen
von der Patientin schon in der frühesten Kindheit beneidet wurde. Sie erinnert sich,
daß sie längere Zeit mit dem Finger im Ohr bohrte, wobei sie ein angenehmes Gefühl,
zugleich aber auch große Angst hatte, durch dieses Bohren taub zu werden. Allmäh¬
lich gelingt es, dieses Spiel als eine Art von Onanie zu entlarven, wobei auf Grund
des Materials klar wird, daß es sich hier vorwiegend um anale Phantasien handelt.
Schließlich erzählt die Patientin, daß sie ihren ganzen Körper immer sehr pflegt und
Der Mechanismus der Depersonalisation
265
sauber hält, mit Ausnahme der Ohren. Sie fürchtet sich, die Ohren gründlich
zu reinigen, weil sie sie dabei verletzen könnte. .
Nun wird der Versuch gemacht, einen Zusammenhang zwischen dieser kindlichen
Form der Onanie und ihren Schwierigkeiten beim Hören herzustellen. Die Schwierig¬
keiten sind vorerst eine Strafe für ihre kindliche Onanie, ferner entstehen sie durch
Sexualisierung des Ohres. Die Erregung und das Summen, das sie bei diesen Ge¬
legenheiten verspürt, sind Zeichen, daß das Ohr im erhöhten Ausmaße mit Libido,
und zwar phallischer und analer Qualität, besetzt wird. Sie versucht die Worte auf¬
zunehmen, die die Bedeutung eines Penis und einer Kotstange haben. Von diesem
Gesichtspunkt betrachtet, verstehen wir, warum sie jedes Wort genau hören will, und
warum sie das undeutlich Gehörte aus dem Zusammenhang. nicht ergänzen will. Sie
will ja nicht — im rationalen Sinne — hören, sondern mit den Worten
onanieren. In dieser Maske gelingt es den verpönten phallischen und
analen Triebregungen durchzukommen. Da das Ohr nicht für diese Art der Be¬
friedigungen gebaut ist, entstehen selbstverständlich die erwähnten Störungen.
Nach diesen Deutungen bessert sich der Zustand der Patientin, und es hat den An¬
schein, als ob damit die Verständnislosigkeit endgültig zerstört worden wäre. Es er¬
hebt sich die Frage, ob diese Verständnislosigkeit und die Depersonalisa¬
tion nicht ein und dasselbe bedeuten.
Während der Behandlung ist die Depersonalisation wesentlich geringer geworden,
und ich möchte sie nun ganz kurz mit den Worten der Patientin, die ich einem
Brief entnehme, den sie vor der Behandlung bei mir an ihre Analytikerin gerich\:et
hat, skizzieren: „Hoffe, daß Sie doch noch einmal mit mir sprechen werden, sodaß
ich daraufhin aus der S t a r rh e i t und Gefühllosigkeit herausgerissen werde... Sie
meinten, es wäre nicht nötig, daß man, wie ich es tun zu müssen glaubte, sich ständig
auf sich selbst besinnen müsse, immerfort in dieser krampfhaften Konzen¬
tration leben müsse... All die kleinen Freuden, welche mir noch verblieben, Be¬
obachtungen, welche ich über Xs Verhalten mir gegenüber anstellte, mein Bemühen,
doch nicht so ganz wertlos vor ihm zu stehen, alles verschwindet langsam
wie planmäßig, nur die Starre wird immer größer, immer unerträg¬
licher.“ So erscheint uns die Depersonalisation im wesentlichen durch drei Daten
charakterisiert: Gefühllosigkeit, gesteigerte Selbstbeobachtung und
Fremdheitsgefühl. Gefühllosigkeit oder Gefühlskälte finden wir bei vielen Patien¬
ten, entweder als hysterische Frigidität oder zwangsneurotische Affektlosigkeit, die
Gefühllosigkeit unserer Patientin unterscheidet sich schon phänomenologisch von ihnen.
Sie tritt akut auf oder nimmt wenigstens akut an Intensität zu und ist mit intensiver
Angst verbunden. Der Kontakt mit der Außenwelt wird hier plötzlich ganz erheb¬
lich unterbrochen, die Patientin hat beinahe ein Weltuntcrgangserlebnis. Die Welt
erscheint ihr verändert, wie durch einen Schleier. Sie versucht, diesen unerträglichen
Zustand abzubrechen. Die Patientin schreibt in dem Brief: „Nein, die Sehnsucht nach
Erlösung ist es sicher auch, die mich alle Möglichkeiten in Betracht ziehen läßt, und
was liegt näher, als bei meinem Hunger nach Liebe, bei der festen Überzeugung, nur
durch Liebe gerettet werden zu können, in dieser Hinsicht alles zu versuchen? Was
liegt näher, als der Gedanke, sich dadurch von dieser unüberwindlichen Angst vor
allem Sexuellen zu befreien, daß man sich endlich an die Dinge heranwagt?“
Ich dachte zunächst, daß die Veränderung der Welt, von der die Patientin be¬
richtet, durch phallische und vor allem anale Konversionen in den Sinnesorganen zu¬
stande kommt, und daß die Patientin dann sekundär, durch die Veränderung in den
W’ahrnehmungen frappiert, eine gesteigerte Selbstbeobachtung einschalte. Da aber
durch die Besprechung dieser Mechanismen die Depersonalisation nicht geändert wird.
266
Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg
kann meine Vermutung über die Bedeutung der analen Konversionen nicht zutref¬
fen, bzw. als Erklärung nicht ausreichend sein. Anschließend an ein verräterisches Ver¬
sprechen der Patientin, durch das sie ihren Kollegen ihre Beziehung zu X anzeigte,
wenden wir uns dem unbewußten Exhibitionismus zu. Es gelingt nun, das
häufige Erröten der Patientin damit in Zusammenhang zu bringen. Eine Reihe be¬
reits bekannter Symptome wird jetzt gedeutet. So litt Patientin an einer heftigen
Angst vor dem Überraschtwerden beim Koitus, obwohl die reale Gefahr nur minimal
war. Sie fürchtete, die Wohnungspartei des unteren Stockwerkes könnte das Bett¬
krachen hören und daraus Schlüsse auf ihren Lebenswandel ziehen. In Angstträumen
sah sie die Eltern, die außerhalb Wiens wohnten, plötzlich zurückkehren und sie mit
ihrem Freunde überraschen. Als ich der Patientin nun den Wunsch, ertappt zu wer¬
den, zeige und den Zusammenhang mit den Erinnerungen an kindliche Exhibitionen
herstelle, begegne ich heftigem Widerstand. Das Material ist aber so reichlich, daß
sie intellektuell die Deutung akzeptieren muß. Wir besprechen jetzt die Tatsache,
daß sie so häufig vor oder nach der Stunde bei mir das Klosett aufsuchen muß. Sie
erzählt, daß sie im Bureau sehr häufig das Klosett aufsucht, wobei sie an den Dienern
Vorbeigehen muß. Als sie in ihrem 14. Lebensjahre den Entschluß gefaßt hatte, den
Konkurrenzkampf mit den Männern aufzunehmen und geistig zu arbeiten, ging sie
häufig mit einem Buch in einen öffentlichen Garten und hatte dabei den Wunsch,
die Leute sollten sie wegen ihrer ernsten Lektüre bewundern. Sie wählte immer
ernste Bücher, war aber nicht imstande, sie zu verstehen. Sie machte sich wegen
dieser Heuchelei Vorwürfe und hatte deswegen schwere Minderwertigkeitsgefühle.
Auch heute fällt ihr das Lesen von Büchern schwer, sie gerät dann in einen eigen¬
tümlich benommenen Zustand, in dem sie nichts versteht.
Wir hatten bis dahin schon einigemal vom Penisneid der Patientin gesprochen,
ohne sie vollkommen zu überzeugen. Sie berichtet jetzt, daß sie bei ihrem letzten
Beisammensein mit ihrem Freund ein stolzes und angenehmes Gefühl hatte, als sein
Penis in ihrer Hand groß und steif wurde. Wenn man nun endgültig auf den Penis
verzichten muß — sagt die Patientin —, wenn die Analyse die Möglichkeit, einen
neurotischen Ersatzpenis zu haben, durch Zerstörung der Konversionen aus der Welt
schafft, erscheint diese Befriedigung der einzige Ausweg. Man besitzt zwar keinen
Penis, der erigierbar wäre, aber die Macht, den Penis eines Mannes in Erektion zu
setzen. Nun versteht sie ihren Haß gegen einen Bureaukollegen, der eine eigene Na¬
menstafel auf seiner Kanzleitür bekommen hat, während sie sozusagen namenlos
bleibt. Es wird auch klar, weshalb sie von Niederlagen ihres Freundes träumt, obwohl
sie bewußt das Beste für ihn ersehnt. In diesem Zusammenhänge wird nun die Ge¬
wohnheit der Patientin, zeitweise stehend zu urinieren, besprochen. Jetzt er¬
kennt die Patientin, daß sie durch diese Geste das Fehlen des Penis leugnet, daß sie
sich wie ein Knabe benimmt.
Bei der Adresse eines Briefes an ihren Freund vergißt sie das Wort „junior“, ob¬
wohl sie bereits die Erfahrung gemacht hat, daß die Briefe ihres Freundes, der den¬
selben Vornamen hat wie sein Vater, an den Vater weitergeleitet werden. Sie ist
darüber zunächst maßlos verärgert und schiebt die Schuld auf den Vater des
Freundes. Da das Ausmaß ihrer Erregung in keinem Verhältnis zu diesem Vorfall
steht, und sie ihre eigene Schuld nicht sieht, gelingt es nur mühsam, eine vernunft¬
mäßige Betrachtung zu erzwingen, dann aber muß sie die verdächtige Affektgröße
zugeben und auch hier ihre Exhibitionswünsche erkennen. Es ist selbstverständlich
unmöglich, in dieser Arbeit den Gang der Deutungen sowie das Material und die Wi¬
derstände der Patientin ausführlich mitzuteilen. Ich beschränke mich darauf, einige
Beispiele zu bringen.
Der Mechanismus der Depersonalisation
267
Da die Depersonalisationszustände im allgemeinen viel seltener und vor allem viel
schwächer geworden sind, ersuche ich die Patientin, diese, soweit sie jetzt noch auf-
treten, genauer zu beschreiben. Patientin erzählt nun, daß sie frühmorgens zum
Fenster ihres Zimmers gehe und dort längere Zeit in der Betrachtung ihrer Kakteen
verbringe. Dabei befinde sie sich in einem eigentümlich benommenen Zustande. Es
fällt ihr ein, daß sie bei dieser Gelegenheit mangelhaft bekleidet ist und daß man sie
aus der gegenüberliegenden Wohnung sehen kann. Diese Wohnung wird von einem
Ehepaar bewohnt, das die Patientin früher sehr interessiert hat, da der Ehemann
während ihrer Kindheit als Untermieter bei den Eltern der Patientin wohnte. Beim
Fenster stehend, exhibitioniert sie, wobei die Benommenheit, in der sie sich dabei be¬
findet, sie der Verantwortung für diese Handlung enthebt; gleichzeitig kann sie in
die gegenüberliegende Wohnung schauen und das Ehepaar, das die Vorhänge nicht
zuzieht, beobachten. Die Kakteen bedeuten anale Kinder. Der Exhibitionismus
und das Voyeurtum sind der Patientin unbewußt. Zum Unterschied
von Depersonalisationszuständen zu Beginn der Analyse, hat die Patientin jetzt
kaum ein Angstgefühl, die Intensität der Selbstbeobachtung ist wesentlich geringer,
sie kommt sich fremd vor und hat ein Gefühl der Benommenheit. Die ganze Situation
erscheint ihr wie ein Traum. Bald entsteht aber ein Unbehagen, die Patientin be¬
kommt leichte Schuldgefühle: „Weil ich so verloren bin.“ Erst bei diesem Punkt
gelingt es ihr, den Zustand abzubrechen. Wir verstehen den Unterschied, da die
Patientin, die vor der Analyse sexuell abstinent gelebt hat, oder beim Versuche zu
koitieren vollkommen unempfindlich blieb, jetzt bereits ein befriedigendes Verhältnis
hat. Auch sonst ist die Zahl der Befriedigungen, die ihr zugänglich sind, viel größer.
Ihre Arbeit, die Beziehung zu Kollegen, Bekannten und Eltern hat sich ganz wesent¬
lich gebessert. So erscheint das Bedürfnis nach dieser Art von Ersatzbefriedigung be¬
deutend schwächer und deshalb ungefährlicher.
Die Erinnerungen aus der Kindheit, die einen Zusammenhang mit dem
Voyeurtum und der Exhibition erkennen lassen, waren im wesentlichen
analer Natur. Zwei davon möchte ich kurz erwähnen. Im fünften Lebensjahr hatte
die Patientin folgendes Spiel: Nach Rückkehr des Vaters aus dem Amt lief sie ins
Schlafzimmer und versteckte sich in der Welse, daß sie ihren Kopf unter das Bett
steckte und das Gesäß in die Höhe hob. Die Eltern lachten darüber, insbesondere
über ihre Dummheit, die in dem Glauben Ausdruck fand, es genüge, das Gesicht
zu verstecken, um unsichtbar zu bleiben. Obwohl die Patientin sehr bald die Erfahrung
machte, daß diese Art des Versteckens unvollkommen war, blieb sie bei diesem Spiel,
weil es den Eltern gefiel und sie freundlich lachten. Der wahre unbewußte Grund
war, daß die Patientin ein Mittel fand, ihre anale Exhibition sozusagen mit
Bewilligung der Eltern zu befriedigen. Die Erfahrung, daß die „Dummheit“
besonders dann, wenn sie von änderen als echt angenommen wird, zur Befriedigung
gewisser verbotener Wünsche nützlich sein kann, war zweifellos für die im späteren
Leben der Patientin auftretende „Dummheit“ beispielgebend.
Die zweite Erinnerung stützt sich auf eine Erzählung der Mutter, die anläßlich
der Besprechung der Empfindlichkeit der Patientin dieser folgende Szene aus ihrem
5. bis 6. Lebensjahr berichtete. Sie saß in der Küche auf dem Nachttopf, als plötzlich
ein Freund der Familie die Wohnung betrat. Sie erschrak heftig und wurde leichen¬
blaß, die Mutter konnte sich diese besondere Schamhaftigkeit des kleinen Kindes
nicht erklären.
Auf Grund der Erfahrungen, die wir bei den Deutungen der neurotischen Abwehr-
mechanismen bereits gemacht haben, ergibt sich folgender Zusammenhang: Die Trieb¬
regung im Es, die nach Befriedigung verlangt, ist anale Exhibition. Das Ich setzt sich
268
Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg
zur Wehr und verhindert die direkte Befriedigung durch Verdrängung. Da der Trieb¬
wunsch damit nicht erledigt wird, sondern immer wieder den Versuch macht, ins
Bewußtsein vorzustoßen und seine Befriedigung zu erzwingen, reagiert das Ich auf
diesen Angriff mit Angst und versucht wirksamere Maßnahmen zur Abwehr der an¬
stößigen Triebregung zu finden. Vom Über-Ich unterstützt, versucht das Ich zu¬
nächst, durch genaue Selbstbeobachtung im Sinne einer verschärften Kontrolle einen
Damm gegen das Es aufzurichten. Das Betrachten und Beobachten wird für die Ab¬
wehrfunktion mobilisiert und beherrscht nun die Funktionen des Ichs. Es gelingt
auf diese Weise tatsächlich, den exhibitionistischen Triebwunsch abzuwehren. Wie
die Erfahrung in diesem Falle zeigt, ist die Patientin allen Exhibitionswünschen in
weitem Bogen ausgewichen. Wenn das der ganze Sachverhalt ist, so wäre dies ein
Fall von vollkommener Abwehr einer Es-Strebung, wie wir sie bei den anderen neu¬
rotischen Mechanismen, die ja immer Kompromißbildungen sind, nicht kennen.
Bei genauer Analyse scheint aber dieser Standpunkt nicht gerechtfertigt. Es
zeigt sich nämlich, daß der Exhibitionswunsch nur in seiner ursprünglichen
Form abgewehrt wurde und in einer Maske das Ich überrumpelt hat. Das ge¬
steigerte Beobachten und Betrachten, das im Dienste des Über-Ichs
zur Abwehr des Es erfolgt, stellt sich gleichzeitig der libidinösen
Befriedigung der Schaulust zur Verfügun.g. Diese Befriedigung ist analog
den anderen Befriedigungen bei den neurotischen Symptomen dem Patienten unbe¬
wußt. Erst ihre Aufdeckung, Deutung und Bewußtmachung eröffnet einen Zugang
zum Verständnis und damit zur Zerstörung der Depersonalisation. Die Erfahrung, daß
jedes neurotische Gebilde eine Kompromißbildung ist und gleichzeitig Anteile der
Befriedigung und Abwehr enthält, wird neuerlich bestätigt. Analog den anderen
neurotischen Abwehrmechanismen finden wir neben der bewußten Unlust eine unbe¬
wußte Lust, die mit der Befriedigung eines Partialtriebes verbunden ist.
Schließlich ist auch hier, analog wie bei den Sexualisierungen, bei den übrigen
neurotischen Abwehrmechanismen, die Funktion vom rationalen Standpunkt gestört.
Die gesteigerte Selbstbeobachtung bei der Depersonalisation zeitigt Ergebnisse, die
dem Ich fremd erscheinen und von ihm abgelehnt werden. Verglichen mit den Er¬
gebnissen von Selbstbeobachtungen Nichtdepersonalisierter, die uns als wertvolle
künstlerische oder wissenschaftliche Beiträge zur Erforschung der Realität des Psy¬
chischen dienen, sind die Funde und Angaben der Depersonalisierten kümmerlich.
Wir müssen nun die Wandlung des zunächst exhibitionistischen Triebanspruches
untersuchen, um die daraus resultierenden Fragen zu beantworten. Wir sagten, daß
der ursprüngliche Triebwunsch zuerst vom Ich abgewehrt wurde und dann in einer
Maske das Ich überrumpelt hat. Wie war nun diese Maske beschaffen? Anstatt des
Exhibitionismus trat Voyeurtum auf. Es erhebt sich die Frage, wieso diese
Veränderung erfolgen konnte. Wir wissen aus Freuds „Triebe und Triebschicksale“,
daß die Wendung ins Gegenteil eines der vier Triebschicksale bedeuten kann. An
Stelle des Wunsches, seinen Körper zu zeigen, um auf diese Weise libidinöse Befriedi¬
gung zu erleben, trat der Wunsch auf, den Körper eines anderen zu beschauen. Unter
Festhaltung dieser spezifischen Form der Befriedigung entwickelte sich beim Patienten
die erwähnte Wendung.
Ferner aber wurde dieser so veränderte Triebwunsch dem Ich nicht bewußt. Ich
meine, daß auch das Voyeurtum hier nur unbewußt und nicht in der Form einer
Perversion befriedigt wurde. Nach diesen Deutungen beginnen wir den merkwür¬
digen Verlauf der Depersonalisationszustände zu verstehen, die während der analyti¬
schen Behandlung vorwiegend auf die Stunde beschränkt waren. Gewiß spielt dabei
die Realitätsanpassung insofern eine Rolle, als ja die Patientin sehr bald erkennen
Der Mechanismus der Depersonalisation
269
mußte, daß die Ordination des Analytikers der verhältnismäßig ungefährlichste Ort
für das Auftreten des Symptoms war, und daß eine . Einschränkung auf die Stunde ein
weiteres Arbeiten im Büro ermöglichte. Entscheidend aber für das Auftreten von De¬
personalisationszuständen vorwiegend während der Stunde scheint die analytische
Situation zu sein, die ja für die Exhibitionswünsche der Patientin besonders geeignet
war« Hier konnte sie mit der Begründung, daß es sich dabei um ihre Heilung handle,
die sonst vom Ich verpönten Exhibitionswünsche befriedigen.
Da sie schon in der Pubertät an Stelle des zu gefährUchen körperlichen Exhibitio¬
nismus den Versuch gemacht hatte, auf geistigem Gebiete diese Befriedigung zu ge¬
nießen, konnte sie hoffen, in der Analyse auf ihre Kosten zu kommen. Weshalb
konnte aber dieser Vorsatz nicht ausgeführt werden, und weshalb war die Patientin
nicht imstande, in der Analyse über sexuelle Fragen zu sprechen, obwohl sie in
diesem Falle das strenge Ich mit dem Hinweis, daß es sich um eine vernünftige, der
Gesundung dienende Maßnahme handelt, beruhigen konnte? Wir wissen, daß die
Patientin es nicht tun konnte, und daß beim Versuche, es zu tun, die Depersonali¬
sation auftrat. Wir können diese Frage beantworten, wenn wir uns klar machen, daß
sich die rationale Begründung (der Hinweis auf die Heilung) lediglich an das Ich
wendete. Das Über-Ich aber, das ja in direktem Kontakt mit dem Es steht, wurde
und konnte durch diese Maßnahme nicht getäuscht werden. Als das getäuschte
Ich den Versuch machte, den maskierten Exhibitionswünsch zu befriedigen, erhob
das Über-Ich Einspruch und zwang das Ich zur Abwehr. Daß diese Abwehr nicht
vollkommen gelang, sondern daß unter dem Bilde der Depersonalisation doch eine
partielle Befriedigung der verpönten Triebregung zustande kam, entspricht unseren
Erfahrungen, dk wir in der Analyse der übrigen Abwehrmechanismen gemacht
haben.
F a 11 11 .
(Mitgeteilt von Bergler)
Eine 30jährige Rumänin — eine Sängerin — kommt in Analyse in einem Stadium
völliger Verzweiflung: ohne reale Ursache hatte sie knapp vorher dem Manne, mit
dem sie zusammen lebte, mitgeteilt, sie hätte ihn einige Male sexuell mit anderen
Männern hintergangen. Der Zeitpunkt dieser Mitteilung fiel mit dem Stagnieren der
aus einer Erbschaft stammenden Ertragsteile zusammen. Dieses Vermögen hatte seit
sieben Jahren stets der Mann, in einer für die Patientin undurchsichtigen Weise, ver¬
waltet, wobei er die jeweilige Situation so zu konstellieren wußte, daß jeder
Groschen, den die Patientin von ihm bekam, als Gnade, respektive Opfer hingestellt
wurde. Er machte sie sozusagen „mit ihrem eigenen Gelde glücklich“, wie die Pa¬
tientin es in einem späteren Stadium der Analyse drastisch ausdrückte, und ver¬
geudete den Rest des Geldes am Spieltisch. Da das Vermögen fast zur Gänze er¬
schöpft war, war es für die Patientin — wie sich später herausstellte — klar, daß die
Mitteilung der diversen Männerbeziehungen zum Bruch führen werde, das heißt in
der Sprache der Patientin ausgedrückt: „Es war mir undeutlich bewußt, daß der
Mann mich mit Recht hinauswerfen werde.“ Ebenso wenig bewußt, wie die dahinter
lauernde unbewußte Selbstbestrafungstendenz, war der Patientin, daß ihre Mitteilung
eine kindisch-kindliche Belastungsprobe der Liebe des Mannes sein sollte.
Die Reaktion des Mannes auf das „Geständnis“ war vorerst eine tiefe narzißtische
Kränkung (offenbar das einzige echte Gefühl, dessen dieser kalt-rechnende Mensch
fähig war) und — der Entschluß, die Patientin einer analytischen Kur unterziehen zu
lassen, wozu die zeitweilige Übersiedlung in eine Großstadt gehörte. Dieser Be-
’^eis von „Edelmut“ steigerte die unbewußten Schuldgefühle der Patientin sehr be-
270 Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg
deutend — war sie doch in der ganzen Zeit vor dem Geständnis völlig auf Bestraft¬
werden (Hinauswurf) eingestellt — und führte zu wilden Verzweiflungsausbrüchen
mit ernsten Suizidideen. Im unromantischen Licht der Realität besehen, bedeutete der
Entschluß des Mannes, der Patientin nicht sofort die Türe zu weisen, lediglich das
Ergebnis einer Rechenaufgabe: werden die noch vorhandenen Werte (die Reste der
Erbschaft) in absehbarer Zeit zu realisieren sein oder nicht? Da der Mann zu einem ]
positiven Ergebnis kam, drapierte er sich mit der Maske des verstehenden, über¬
legenen Mannes, bewilligte (mit dem Gelde der Patientin) die Analyse, nahm aber die
sexuellen Beziehungen mit der Patientin nicht mehr auf. Einen geringen Anteil an
seinem Entschluß hatte auch eine gewisse Gene vor den Verwandten, die dem Mann -j
stets materielle Motive unterschoben und ihn nun, im Zeitpunkt der offensichtlichen '
Krankheit der Patientin, erst recht verurteilt hätten, wenn er sie sofort verlassen
hätte.
Die Patientin schilderte ihren Zustand vor dem Geständnis vorerst so, als sei sie
das Opfer einer unheimlichen,^ imperativ drängenden Kraft, die zur Mitteilung ihrer
„Schandtaten“ zwang. Dieser „Geständniszwang“ (Reik) war kombiniert mit einem '
Gefühl völliger Desorientiertheit bezüglich der eigenen Gefühle; „Ich habe mich ‘
überhaupt nicht ausgekannt, zweifelte an meinen Gefühlen zu Valeriu (Vorname des
Mannes), ja ich zweifelte, ob ich überhaupt empfinden kann. Alles war plötzlich so
unwirklich, so schal, so unwahrscheinlich. Waren meine Empfindungen unecht oder ;
echt? War ich ich selbst? Was war mit mir los? Die Unmöglichkeit, diesen Zu- .
stand, den ich als komplette Verrücktheit empfand, irgend jemandem auseinander- ;
zusetzen, ohne für verrückt gehalten zu werden, trieb mich zur Verzweiflung.“ !
Diese spärlichen Angaben, unter Schluchzen und Verzweiflungsausbrüchen vorge- :
bracht, ergaben in den ersten Tagen der Kur den Verdacht auf weit vorgeschrittene ;
Depersonalisationsgefühle, wobei es aber vorerst unklar blieb, ob es sich um 1
passagere, auf dem Höhepunkt eines aktuellen Konfliktes ja häufig auftretende :
Entfremdungsgefühle handelte, oder ob eine komplett ausgebildete, seit :
Jahren, ja Jahrzehnten vorhandene Depersonalisation sensu strictiori vorlag. Die ^
Patientin war so verzweifelt, daß die Entscheidung vorerst infolge der Unkenntnis
des Materials unmöglich war. Für die zweite Möglichkeit — Depersonalisation —
sprach das sonderbare Verhalten dieser Frau: minutenlang dauernde, kühlste, un¬
persönlichste Selbstbeobachtung mit minutiöser Schilderung ihrer Zustände wech- ,
selten mit rasanten Verzweiflungsausbrüchen und Zuständen stumpfer Verständnis- :
losigkeit in der Kur derart ab, daß, wenn man nicht an eine Simulantin denken j
wollte, der Gedanke schwerster Depersonalisation sich unmittelbar aufdrängte. Doch ,
war ein Eingehen auf diesen Symptomenkomplex unmöglich, da die Patientin jeden |
derartigen Versuch mit den Worten „Also halten Sie mich doch für verrückt“ durch '
fassungsloses Schluchzen vereitelte.
Die Familiengeschichte der Patientin ergab, daß sie einen älteren Bruder und zwei 9
jüngere Geschwister hatte (eine Schwester und einen Bruder). Der ältere Bruder war I
ein leichtlebiger Mensch, der große Teile des gemeinsamen Vermögens in geradezu
läppischer Weise vergeudet hatte, der jüngere Bruder war ein Abklatsch des älteren; 9
beide waren geistig bedeutungslose, sehr narzißtische, in Luxus aufgewachsene, für |H
den Lebenskampf vollkommen untaugliche, sehr neurotische Menschen. Die Schwester H
der Patientin war eine energische, unbewußt stark homosexuelle, herrschsüchtige fl
Frau. Beide Elternteile waren tot: die Patientin war das Lieblingskind des Vaters ge- H
3) Vgl. bezüglich des Gefühls des Unheimlichen eine Arbeit des Verfassers „The Psycho-
Analysis of the Uncanny“, Int. Journal of Psa., XV, 1934, S. 215—244.
Der Mechanismus der Depersonalisation
271
wesen. Der Vater, ein Selfmademan, hatte die Patientin durch sein Verhalten sehr an
sich fixiert; er hatte z. B. ^die Gewohnheit, unter der Maske von „Klapsen“, das heißt
zärtlich gemeinten Berührungen, das Kind abzutasten. So nahm er die Patientin seit
ihrer frühesten Kindheit bis zum 18. Lebensjahr morgens ins gemeinsame Bett der
Eltern, wobei die Patientin, wie eine amnesierte Erinnerung ergab, ständige Angst
hatte, sie könnte an das Genitale des Vaters „anstreifen“. Als die Brüste der Patientin
sich in der Vorpubertät zu entwickeln begannen, tippte der Vater immer wieder auf
die Brustwarzen und neckte sie mit ihrer großen Brust. Ein anderes beliebtes Spiel
des Vaters bestand darin, sich an die Patientin, die über einen Tisch gebeugt war,
heranzuschleichen und ihr einen zärtlichen Schlag auf die Gesäßbacken zu verab¬
reichen. Es wurde klar, daß die Patientin dieses Spiel immer wieder provozierte (so
wunderten sich z. B. weder Vater noch Patientin, daß sie sich so häufig in der
immerhin ungewöhnlichen Lage des Über-den-Tisch-gebeugt-Seins befand; dem Vater
war lediglich unverständlich, wieso die Patientin ihn heranschleichen hörte und im
„entscheidenden Augenblick“ eine halbe Wendung zum Vater machte), und daß ihre
Angst im Bett, das Genitale des Vaters zu berühren, einem verdrängten unbewußten
Wunsch entsprach und zugleich einem Signal des Ichs vor der Triebgefahr.
Die Mutter der Patientin war eine stets vergrämte, asketische Frau, von der die
Patientin zum Teil ihre unbewußten Identifizierungen im Über-Ich herleitete, die
ausgesprochen sexualitätsfeindlich waren. Die Patientin betrachtete alles Sexuelle als
eine ausgesprochene „Schweinerei“, ekelte sich offiziell davor. Sie war frigid, es
bestand Klitoriserregbarkeit, bei der Onanie hatte sie Klitorisorgasmus.
An die Kindheitsonanie kann sich die Patientin nicht erinnern, Pubertätsonanie
wird zugegeben, die Phantasien sind verdrängt. Dagegen werden exhibitio-
nistische Aktionen mit hysterischer Aufmachung schon aus früher Kindheit er¬
innert: „zufällig“ wurde sie nackt überrascht, Freunde sahen sie „zufällig“ sich ent¬
kleiden usw. Bewußt war lediglich eine starke Hemmung der Exhibition, wobei die
rückwärtigen Körperpartien und die Brüste mit besonderen Verboten belegt waren;
der Genitalpartien schämte sich die Patientin etwa im Badetrikot weniger als der
Gesäßbacken. Es war für die Patientin unmöglich, ohne Bademantel in öffentlichen
Bädern zu erscheinen. Die Brüste schnürte die Patientin stets bis zum Ausmaß des
kaum Erträglichen zusammen. Ähnlich stand es mit den Voyeurwünschen der Pa¬
tientin; bewußt stärkste Hemmung, bei unbewußtem Schwelgen in diesen Phantasien.
Wenn eine Vergleichsskala möglich wäre, ergäbe sie, daß die Exhibition eher vom
Über-Ich der Patientin pardonniert war als das Voyeurtum.
Die „sexuellen Verirrungen“ (das Wort stammt von der Patientin) bestanden in
folgendem; Valeriu, der um 10 Jahre älter war, vernachlässigte sie; aus „Langeweile“
und „um sich an ihm zu rächen“, hatte die Patientin im Laufe der Jahre eine Reihe
von sexuellen Beziehungen angeknüpft, die alle folgendem Typus entsprachen; der
Mann war entweder wesentlich jünger als die Patientin oder entstammte einer sozial
tiefstehenden Schicht. Bei allen diesen Beziehungen war die Patientin frigid, genoß
im wesentlichen ihre Erniedrigung („Dirne“) und Angstlust in der Vorstellung,
Valeriu könnte ihr daraufkommen. Als dies nicht der Fall war, schritt sie, wie früher
hervorgehoben, zum Geständnis.
Auf meine Frage, wie «ich die Patientin bei diesen Männern verhalten hatte, und
wie sie sich selbst den Gegensatz in ihrem Wesen, das von Prüderie bis zur völligen
sexuellen Ungebundenheit oszilliere, erkläre, antwortete sie; „Das ist ja das Sonder¬
bare; ich darf entweder nichts Sexuelles tun oder — alles. Normalerweise ekle ich
mich vor dem Sexuellen, bin Dame, sexuell völlig ablehnend, bin über jeden Witz
shockiert, dann wieder mache ich alles, was die Männer von mir verlangen. Im letz-
272
Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg
teren Falle bin ich aber nicht ich selbst, bin ein Automat, heuchle Gefühle, lasse alles
mit mir geschehen, komme mir völlig fremd vor, bin wie ein anderer Mensch, den
ich dabei beobachte. Das ist ja das Furchtbare; in diesen Zuständen bin ich eigentlich
ein schlechtes Frauenzimmer, eine Dirne. Jeder Mann, der mich anspricht, kann mich
haben.“ Die weitere Exploration ergab, daß die Erkenntnis, eine „Dirne“ zu sein
(das Wort war deplaciert, die Patientin stellte sich unter einer Dirne eine Person vor,
die sich sexuell auslebt; nur daran dachte die Patientin bei ihrer Selbstbeschimpfung,
das Pekuniäre spielte keine Rolle), den psychischen Zusammenbruch, der dem Ge¬
ständnis vorausging, zum Teil mitveranlaßt hatte. Dazu kam, daß die Patientin den
Zustand der Entfremdung, in dem sie, wie ,sich später herausstellte, fast
ständig lebte und der in den Perioden des Sich-als-Dirne-Fühlens stärker hervor¬
trat, als „Wahnsinn“ empfand. „Ein normaler Mensch fühlt sich selbst, ich aber bin
eine Maschine, alles an mir ist Fieuchelei, ist unecht. Ich kann nie mit Bestimmtheit
sagen, ob mich etwas stört — etwa das freche Verhalten eines Mannes —, oder ob
es mir gleichgültig ist. Wenn ich nachzudenken beginne, komme ich zu keinem Re¬
sultat, bekomme Angst und dann kommt das Schrecklichste; ich verliere mich voll¬
kommen, löse mich sozusagen in meine Bestandteile auf, bin nicht da. Dabei beob¬
achte ich mich ständig. Dann kommt eine dumpfe Verzweiflung über mich, es gibt
keinen anderen Ausweg als den Selbstmord.“
Wie typisch in solchen Fällen, behauptete die Patientin vorerst, sie könne weder
lachen noch weinen, weder sich freuen noch überhaupt empfinden. Diese Angaben
werden — nach langen analytischen Bemühungen — von der Patientin dahingehend
eingeschränkt, daß ihr Gefühlsleben „möglicherweise“ intakt sei, sie ihre Gefühle
bloß nicht als solche empfinde, das heißt, als „richtig und echt“ anerkenne. Objektive
Intaktheit der Gefühle und Empfindungen bei Perzeption des Gegenteils war, ver¬
bunden mit der Anklage der „Dummheit“, eines der stärksten Argumente der
Patientin für ihren supponierten „Wahnsinn“.
Die Besprechung der psychischen Genese ihrer Entfremdungszustände, wobei vor¬
erst die Depersonalisation als Abwehrmechanismus gegen unbewußte sexuelle
Wünsche aufgezeigt wurde, bewirkten mit der parallel laufenden positiven Üb>r-
tragungssituation eine Beruhigung der Patientin. Es wurde der Patientin gezeigt, daß
sie sich nicht bloß des Verdrängungsmechanismus und der hysterischen
Symptombildung (die Patientin hatte eine Reihe konversions)hysterischer Sym¬
ptome, siehe später) bediente, sondern auch die Entfremdung in den Dienst ihrer
Abwehr stellte. Die Durchbesprechung der Ödipussituation in der Übertragung
löste starke Widerstände aus, wobei sich die Patientin als der geschicktesten Verteidi¬
gungswaffe des Arguments der „Dummheit“ als einer konstitutionellen Gegebenheit
— und der seit der Kindheit bestehenden Depersonalisation bediente.
Ein weiteres Eingehen auf die Depersonalisationszustände ergab, daß diese mit
Sicherheit seit der Pubertät der Patientin zu registrieren waren. Das erste Erleben der
Depersonalisation war nicht sicherzustellen. Das scheinbar auslösende Moment war
jeweils sehr verschieden: die Depersonalisationszustände traten entweder ohne äußere
Ursache, also als Antwort auf intrapsychische Vorgänge auf, oder ausgelöst durch ein
Wort mit sexuellem Doppelsinn, den Anblick eines Mannes, vielfach genügte schon
das Sichöffentlichzeigen (Spaziergang, Gesellschaft). Regelmäßig waren aber die De¬
personalisationszustände bei jedem sexuellen Beisamniensein mit einem Mann. Alle
diese „auslösenden Ursachen“ erwiesen sich als agents 'provocateufs^ der gemeinsame
Nenner lautete; sexuelle, d. h. verbotene Phantasie oder Realität.
Welches war nun der Inhalt der sexuellen Phantasien aus der Ödipuszeit? Es ergab
sich, daß neben genitalen vorwiegend anal-exhibitionistische Tendenzen;]
Der Mechanismus der Depersonalisation 273
vorherrschend waren. So weigerte sich die Patientin z. B. zeitweise in der Analyse,
auf dem Sofa zu liegen. Sie schlug vor, sie werde mit dem Rücken zum Arzt sitzen.
Als Begründung gab die Patientin an, sie sei sofort „stärker“ entfremdet, wenn sie liege.
Die Deutung der sexuell perzipierten Übertragungssituation (Vergewaltigungswünsch,
genitale Exhibition und Abwehr derselben) führte zu keiner Änderung im Verhalten
der Patientin. Es zeigte sich, daß sie in ihrer selbstproponierten Lage in der Analyse
(Sitzen mit dem Rücken zum Analytiker mit starker Vorwärtsbeugung) die früher
erwähnte Situation mit dem Vater wiederholte, in welcher der Vater der über den
Tisch gebeugten Patientin von rückwärts zärtliche Schläge auf die Gesäßbacken gab.
Somit exhibierte die Patientin anal, da der Rücken den Blicken preisgegeben war,
und erwartete die anale Vergewaltigung. Dabei ersparte sie sich Schuldge¬
fühle: sie war für das, was „hinter ihrem Rücken“ vorging, nicht verantwortlich,
vermied das Sichzeigen (wobei aber das Sichzeigen wieder lediglich genital gemeint
war), war völlig passiv (unbewußt faßte sie das Sichniederlegen als sexuellen Kon¬
sens auf) und schob für alles und jedes dem anderen die Verantwortung zu. Es be¬
stand also bei der Patientin quasi eine offizielle genitale und eine inoffizielle
anale Sexualität. Letztere war das Ziel der Wünsche, wobei sich aber die Patientin
erst durch das genitale Alibi die gewünschte anale Befriedigung ge¬
stattete. Man hatte bei der Patientin auch sonst — z. B. bei ihren Schilderungen
des Koitus — den Eindruck, daß sie sich unbewußt in ungemein raffinierter Weise
der Genitalität (an der sie infolge vorwiegend analer Libidowünsche desinteressiert
war) als Alibi vor ihrem Über-Ich zu bedienen versuchte. So war bei ihr der Koitus
im wesentlichen — Realitätsanpassung: als sie z. B. eines Tages von einem Manne wäh¬
rend des Koitus aüfgefordert wurde, obszöne Worte^ analen und oralen Inhalts aus¬
zusprechen, hatte sie ein geradezu „erschütterndes“ Erlebnis, das sie in die degoutier-
ten Worte faßte: „Also nicht bloß tun, auch sagen soll man solche Schweinereien.“
Dabei war der Eindruck nicht abzuweisen, daß das Aussprechen der obszönen Worte
der Patientin peinlicher war als der Koitus selbst. In Wirklichkeit hatte der Mann,
der dieses Verlangen stellte, die Patientin, freilich ohne es zu wissen, gezwungen, sich
zu ihren unbewußten analen und oralen Phantasien zu bekennen, die sie gerade
hinter der genitalen Hingabe verbarg.
Die genitale Betätigung hatte dergestalt für die Patientin ein Janusgesicht:
einerseits verwendete sie sie unbewußt als Rechtfertigung ihrer analen (oralen)
Wünsche, wobei sie die Fiktion aufrechterhalten wollte, als sei bloß das Genitale
„sexuell“, anderseits war ihr persönliches Vermeiden alles Genitalen, respektive ihre
genitale Frigidität eine captatio des Über-Ichs nach der Formel: ich empfinde ja
nichts dabei, bin also unschuldig; wenn ich trotzdem koitiere, tue ich es, weil der
Mann es will, und weil Erwachsene eben diese Form der Sexualität nun einmal aus¬
üben. Dieses ständige Jonglieren war aber ein Versuch mit untauglichen Mitteln: er
ging von der Fiktion aus. Anales, Orales, Exhibitionistisches und Voyeurtum seien
nichts Sexuelles. Da dieser Versuch des Ichs, das Über-Ich zu beschwindeln, mißlang,
griff die Patientin unbewußt zu anderen Mitteln im Kriege mit ihrem grausamen
Über-Ich.
In der Analyse konnte folgende Rekonstruktion des Vorganges beim jeweiligen
Einsetzen der Entfremdung vorgenommen werden: Scheinbar ohne äußere Ur¬
sache (= unbewußte Phantasie) oder durch eine „Nichtigkeit“ provoziert (= Sexuali¬
sierung der Realität, meist eine exhibitionistische Verlockung), kam die Patientin in
einen sonderbaren, mit Angst verbundenen Zustand des „Sichnichtauskennens“, der
4) Siehe die Arbeit des Verfassers „Über obszöne Worte“. Erscheint in The Psychoanalytic
Quarterly. — Vorläufige Mitteilung: diese Zeitschrift 1934, S. 112.
274
Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg
sich in Gedanken wie: „Ist alles wirklich?“ „Bin ich ich?“ „Habe ich überhaupt Ge- i
fühle?“ „Es ist alles so unecht wie im Kino“ widerspiegelte. Diese Meditation in i
Form von Zweifeln führt zu keinem Ergebnis — „ich werde immer unsicherer“ —,
die Patientin „verdummt“ und die Angst verstärkt sich. „Verdummung“, so be-
zeichnete es die Patientin, war ein Zustand, in welchem sie einen geradezu dementen
Eindruck machte; die einfachsten, ihr sonst leichtverständlichen Zusammenhänge
wurden unfaßbar, eine psychische Verständigung unmöglich. Parallel damit läuft ein
chronisches, minutiöses Registrieren eigener Gefühlsregungen, vom Beginn des „An- >
falles“, respektive Ausbleiben erwarteter Affekte. Dieses mit Angst verbundene
„Sichnichtauskennen“ mit konsekutiver „Verdummung“ + Selbst¬
beobachtung + Angst und Verzweiflung als Abschluß bilden eine Trias, die bei
der „großen Entfremdung“ (wie die Patientin in späteren Analysestadien ihren Zu¬
stand nannte) stets bei der Patientin auf trat; das Ende der Attacke war ein Ver¬
zweiflungsanfall, resp. ein dumpfes, hoffnungsloses Dahinbrüten. Doch dui^chlief der
Vorgang nicht immer die ganze Skala der Trias; manchmal — „die kleine Entfrem¬
dung“ — war der Patientin bloß die Selbstbeobachtung, die „Verdummung“, mit ■
konsekutiver Verzweiflung bewußt. Die Angst trat bei der großen Entfremdung
zweimal auf: initial und terminal. Die letztere kombinierte sich mit den den Anfall |
abschließenden Schuldgefühlen und Verzweiflungsausbrüchen.
Die Analyse ergab, daß alle drei Glieder der Trias Leistungen des Ichs
waren und dessen Versuche, das Über-Ich zu kaptivieren, darstellten. Die auf- i
tauchende anal-exhibitionistische Tendenz wird vom Ich in der Weise abgewehrt, daß
dieser Trieb wünsch vorerst verleugnet wird. Das „Verdummen“ stellte ein Plädoyer
an die Adresse des Über-Ichs dar, des Inhalts: „Es ist nicht wahr, daß ich solch einen
Wunsch habe.“ Das heißt: das „Verdummen“ war ein Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen des
Sinnes des Wunsches und die intellektuelle Unsicherheit ein Registrieren der Folgen '
dieser Abwehr. Dies erklärt auch, weshalb die Patientin immer wieder behauptete, sie
sei eben tatsächlich dumm. Dieses „Dumm-sein“ war ihre beste Verteidigungswaffe i
gegen das Über-Ich und — die Analyse, ein unerläßliches Requisit, um überhaupt ■
existieren zu können. Die Angst war, wie immer, Signal des Ichs vor der drohenden
Triebgefahr und Abwehr des unbewußten Wunsches, wirkte also ebenfalls im Sinne '
der Triebabwehr. Das Ich geht sogar noch einen Schritt weiter, leistet gewissermaßen
eine Fleißaufgabe, und beweist dem Über-Ich durch minutiöse Kontrolle seiner selbst, ;
daß es über seine Regungen wacht, und versucht damit die Strenge des Über-Ichs zu '
mildern, etwa nach der Formel: „Ich passe schon selbst auf.“ Zugleich hat aber diese ;
Leistung des Ichs zur Folge, daß fast das ganze Ich in diesem Aufpassen
auf sich selbst aufgeht und der übriggebliebene Teil bloß Klagelieder auf den .
veränderten Zustand des Ichs anstimmen kann.
Zugleich werden aber in diese Selbstbeobachtung auch Es-Regungen ,
hineingeschmuggelt: der verpönte exhibitiomstische Wunsch kommt in der Form
des Voyeurtums, des Sichselbstbeschauens, wieder. Freilich bloß in einer Maske: j
Offiziell ist dieses Selbstbeobachten eine Hilfsdienstleistung für das Über-Ich, ein M
Versuch, es zu beschwichtigen. Im Effekt dient er aber auch dem Ausleben der ■
Voyeurwünsche. Diese Umkehr: Exhibitionismus in Voyeurtum, geht um so leichter ■
vor sich, als beide ursprünglich der gleichen Tendenz entspringen: dem Wunsche, 9
sich selbst zu beschauen. Gibt es doch nach Freud keinen Exhibitionisten, der fl
nicht bei diesem Akte auch sich selbst — durch Identifizierung mit dem Voyeur — fl
lustvoll beschaute.® Ähnlich steht es mit dem unbewußten Lustgewinn aus der^H
Sexualisierung der nach innen rückgewendeten Destruktion der Pa-jfl
5) Siehe die Arbeit „Stendhal, Ein Beitrag zur Psychologie des narzißtischen Voyeurs“,
Der Mechanismus der Depersonalisation
275
tientin: Bewußt ist die Selbstbeobachtung quälend. Sie soll ja dem Über-Ich nicht
bloß sagen, daß man auf sich aufpaßt, sondern auch damit bestraft: Wie kann ich
denn genießen, ich leide ja. Zugleich wird aber die Strafe erotisiert und lustvoll
genossen.
Nun gibt es aber Situationen, in denen die Es-Tendenzen ganz eindeutig durch¬
brechen. So hatte z. B. die Patientin, die hier beschrieben wird, Zeiten, in welchen
sie „unheimliche Dummheiten“ aufführte, d. h. ihre Dirnenphantasien auslebte. Sie
war aber, wie sie mit Recht betonte, bei sexuellen Handlungen nie sie selbst, d. h. sie
war entfremdet. Der Vorgang bei solchen Durchbrüchen war kompliziert. Er stellte
ein Gemisch von intendierter und sofort mißlungener Über-Ich-Amovierung, wie in
den manischen Zuständen, dar („manchmal dachte ich mir: ach was, es ist ja ohnehin
alles egal“), von Einschaltung der früher beschriebenen Depersonalisationsmechanis¬
men, von Beschwichtigung des Über-Ichs durch Leiden, von Auf-Vorrat-
Anlegen von Depots an „Quälmaterial“ usw. Auch war bei den „Durchbrüchen“
eine ständige Captatio des Über-Ichs nach der Formel: „Ich genieße nicht, ich leide,
alles Sexuelle ist mir ekelhaft“, zu konstatieren. Das Ausleben der Dirnenphantasien
war also „getarnt“ und die Patientin wählte das hübsche Wort, sie verhalte sich nach
meiner Darstellung wie ein Hochstapler, der nie unter seinem eigenen Namen auf-
treten kann.
Nur in einem Punkt noch war der Lustgewinn der Patientin — von der maso¬
chistischen Lust abgesehen — ein fast lückenloser, lediglich durch den beschriebenen
Mechanismus gemilderter: Die Voyeurlust wurde ausgiebiger genossen. Die früher als für
die Depersonalisation geradezu charakteristisch hervorgehobene Selbst¬
beobachtung, d. h. die Übertreibung dieser normalen Ich-Funktion im Dienste des
Über-Ichs, bewirkte ein ständiges Sichbeschauen. Dieses minutiöse Registrieren
eigener Vorgänge war offiziell der Polizeibericht an das Über-Ich und die Captatio:
Tu mir nichts, ich passe ja selbst auf. Inoffiziell war es narzißtisches Selbst¬
beschauen, geradezu gefahrlos genossen mit Über-Ich-Bewilligung, weil in seinen
Diensten. Das Alibi des „Polizeiberichtes“ deckte so das Ausleben der
Voyeurlust.
Nun hatte, wie früher hervorgehoben, die Patientin eine Reihe hysterischer Kon¬
versionssymptome produziert, die sich im Bereich des Mundes abspielten. So
litt die Patientin z. B. an einer Eßstörung mit Erbrechen, die zeitweise so stark war,
daß das Zähneputzen mit der Zahnbürste bei der Morgentoilette bereits Erbrechen
hervorrief. Auch war die schwere Berufsstörung — die Patientin war unfähig, ihr
gesangliches Können zu zeigen, und war bei öffentlichem Auftreten weitgehend ge¬
hemmt —, von der Abwehr exhibitionistischer Tendenzen abgesehen, oral und anal
determiniert. Neben oralen Fellatiophantasien erwies sich für das Unbewußte der
Patientin der Gesang als Flatus, der Mund als Anus. Singen bedeutet also nach dem
unbewußten Vokabular der Patientin: öffentlich einen Flatus lassen. Anders formu¬
liert: Da der Flatus auch Penisersatz darstellt,® bedeutet das Singen neben einer Penis¬
demonstration auch: seine Penislosigkeit Öffentlich beweisen. Dies führt zum Kastra¬
tionskomplex der Patientin.
Die Patientin hatte sich als Kind mit der Tatsache, Mädel und nicht Bub, d. h.
penislos zu sein, nicht abgefunden. Geradezu unwahrscheinlich klang die Angabe
Buch des Verfassers „Talleyrand-Napoleon-Stendhal-Grabbe“. Psychoanalytisch-biographische
Essays. Int. Psa. Verlag, Wien, 1935.
6 ) Bezüglich der komplizierten Überdeterminierungen des Flatus sei auf eine Arbeit des
Verfassers „Zur analen Trieberregung“ (erscheint in der Intern. Zeitschr. f. Psychoanalyse)
verwiesen, wo auch eine Zusammenstellung der einschlägigen Literatur zu finden ist.
276
Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg
der Patientin (im zweiten Jahr der Analyse!), daß sie vielfach heute noch stehend im
Klosett uriniere und dabei ein Zwangslachen produziere. Die Brüste hatten für die
Patientin deutliche Penisbedeutung, die Erregung der Brustwarzen war bei der Pa¬
tientin Voraussetzung der sexuellen Erregung. Dazu mag auch das früher geschil¬
derte Verhalten des Vaters in der Pubertät (Streicheln und Berühren der Brüste) bei¬
getragen haben. Die Verleugnung der Penislosigk^it — in ihren Träumen kam die
Patientin immer wieder mit einem symbolisch angedeuteten Penis vor — konnte der
Patientin an einem Traum demonstriert werden, in welchem sie ihren Briider ah |
Chinesen verkleidet mit einem langen Zopf sah. Unter anderem bedeutete der Traum: j
Wenn also ein Mann Frauenkleider und Zopf tragen kann, wie eine Frau, und trotz¬
dem Mann bleibt, ist der Geschlechtsunterschied überhaupt unsicher, also kann auch
ich ein Mann sein. Zugleich wird die Aggression (Neid) gegen den Bruder sichtbar: '
„Chineser“ ist — wie der Patientin bekannt war — im Wiener Dialekt eine Ver- \
höhnung. Die bekannte Gleichsetzung von Zopf und Penis spricht im gleichen Sinne
der Verleugnung der Penislosigkeit. Diese Verleugnung wird von der Patientin zum
Teil mittels des analen Penis (Kind) vorgenommen. Beweisend war wieder ein Traum,
in welchem die Patientin vor der Schwester defäziert, worauf diese vorschlägty Milch \
n den Topf zu gießen., Diese anale Geburt mit sekundärem Stillen des Neugeborenen
(Milch), eröffnete den Zugang zu einer Reihe analer Phantasien, deren letzter Aus- ;
Täufer die Rückwendung der Aggression (Wunsch des Penisraubes am Bruder [Vater]) '
gegen die eigene Person darstellte und sich pathologisch auswirkte. Gerade
das Festhalten der Männlichkeitswünsche in Verbindung mit den nicht erledigten '
Ödipusphantasien bedingten ja die Frigidität“^ der Patientin, Ein Residuum dieser
analen Penisphantasien war der Flatus, wobei diese Penis- (Flatus-) Exhibition stark
gehemmt war. Die Patientin kam sich beim Singen sehr häßlich vor, was eine Ver¬
arbeitung ihrer Kastrationsphantasien war, da der Mund unter anderem den kastrier- <
ten Anus (später: die kastrierte Vagina) bedeutete.
Bezeichnend für die besondere Empfindlichkeit der analen Phantasien bei der Pa- j
tientin war die Tatsache, daß das Durchbesprechen derselben wohl den stärksten ;
Widerstand der Patientin während der ganzen Kur hervorrief. Auch leugnete die ’
Patientin lange Zeit jede Affinität zu analen Dingen. Erst die Erkenntnis, daß sie
beim Defäzieren Angst hatte, es könnte „von unten“ etwas in den After gelangen m
(anale Vergewaltigungsphantasien), die Tatsache vieler analer Träume und vor allem ■
die Erinnerung, daß viele ihrer Familienmitglieder noch heute anal stärker m
„interessiert“ sind, wie die Patientin es ausdrückte^ machte sie stutzig. So hatte z. B. .■
der älteste Bruder (36 Jahre!), wenn er zu Besuch war, die Gewohnheit, morgens und W
abends völlig unbekleidet im Zimmer herumzugehen und Flatus von sich zu geben, ■
Im selben Sinne sprach die Erinnerung an eine Wurmerkrankung der Patientin, die M
sie mit 18 Jahren mitmachte, die zu taktlosesten, nicht versiegenden Witzen in der ■
ganzen Familie Anlaß bot. Auch konnte der Patientin gezeigt werden, daß ihre ■
sonderbare, nach vorn gebeugte sitzende Stellung auf dem Analysesofa neben den frü- fl
her hervorgehobenen Determinanten im wesentlichen einer „Klosettstellung“ entsprach: fl
einerseits Demonstration des Kotpenis, d. h. Rückgängigmachen der Kastration, fl
anderseits Einladung zu einer masochistisch zu genießenden analen Vergewaltigung. 9
Diese Lust, die die Patientin aus der Sexualisierung des nach innen rückgewendeten fl
Destruktionstriebes bezog, war eine der stärksten Triebfedern der Patientin, wie denn fl
überhaupt ein so ausgeprägter Depersonahsationszustand, wie die Patientin ihn auf- H
wies, ohne Vorherrschen dieser Elemente nicht vorstellbar ist. Es war geradezu
7) Näheres im gemeinsamen Buch des Verfassers mit E. Hitschmann, „Die Geschlechts-
kälte der Frau“. Wien, Verlag Ars Medici, 1934,
Der Mechanismus der Depersonalisation
277
grotesk, in welchem Ausmaß die Patientin jede auch nur entfernt auftauchende
Möglichkeit innerhalb und außerhalb der Analyse zu Lust vollen Selbst¬
quälereien ausnützte. Diese Lust hatte verschiedene Zuflüsse: Sie war vorerst un¬
bewußtes Strafbedürfnis als Rückwendung aggressiver Tendenzen gegen die Mütter
aus der Ödipussituation, ferner unbewußtes Strafbedürfnis für aktive Kastrations¬
phantasien am Vater und den Brüdern, endlich Über-Ich-Bestrafüngen für Inzest¬
phantasien. Darüber hinaus aber wurden diese unbewußten Strafen sexualisiert, durch
die Prämie dieser geheimen Lust verlockt, immer wieder provoziert und dadurch
erst perpetuiert. Die beim Normalen in relativ hohem Maße gelungene Abfuhr der
Destruktion nach außen war praktisch zum Teil mißlungen, die Bindung an den Eros
nur in sexuell-perzipierten Selbstquälereien (die zutiefst ein Überwältigt-, d. h. anal
Koitiertwerden durch den Vater bedeuteten) zustande gekommen.
Dieser Lustgewinn in der Depersonalisation führte auch dazu, daß die Patientin
so spärlich und so spät den Zugang zu ihren Depersonalisationszuständen ermöglichte.
Es wäre unrichtig, den restlichen Teil des Ichs der Patientin, der nicht im Dienste
des Über-Ichs stand, als völlig machtlos und bloß den Verlust seiner Integrität beklagend,
darzustellen. So rebellierte dieses Ich z. B. zeitweise gegen die Affektlosigkeit und
nahm zu folgendem Auskunftsmittel Ausflucht: Es übersteigerte seine winzi¬
gen Affekte, brachte sich selbst in einen Zustand künstlicher, unechter
Siedehitze, um nur ja etwas zu empfinden. Es war dies auch eine vergebliche
Methode, der Entfremdung zu entfliehen. Die Patientin faßte nach einiger Zeit, als
ich ihr in der Analyse diesen Vorgang erklärte und sie meine Erklärung angenommen
hatte, diesen Tatbestand in einen Brief wie folgt zusammen:
„Vor der Entfremdung versuche ich mich dadurch zu schützen, daß ich mich
an die Dinge, über die ich spreche, krampfhaft klammere. Aus der Angst heraus,
vollkommen den Faden zu verlieren, neige ich zu Übertreibungen. Dinge,
die mich innerlich beschäftigen, verlieren, sobald ich sie ausspreche, vollkommen
an Wichtigkeit. Sie lösen sich vollständig auf. Ich habe das Gefühl, als spräche
ich aus einem hohlen Raum in einen hohlen Raum. Es entstehen starke Angst¬
gefühle, ich falle innerlich zusammen, die Stimme klingt wie aus weiter Ferne.“
Diese Übersteigerung der Affekte — ganz en passant mit den Worten
„neige ich zu Übertreibungen“ angedeutet (die Patientin war offenbar über die
Deutung narzißtisch gekränkt) — ist nach meinen Erfahrungen unabhängig von der
Diagnose, z. B. Hysterie, Zwangsneurose, narzißtische Neurose usw. in vielen Fällen
nur ein Zeichen der intrapsychischen Abwehr einer dahinter lauern¬
den latenten Depersonalisation.
Das, was die Patientin mit den Worten „ich klammere mich an die Dinge“ nennt,
bestand darin, daß sie entweder tatsächlich sich an Dinge klammerte (Zigarette,
Taschentuch, Tasche, Armhalten, Umklammern von Lehnen usw.) und sich so von
ihrer Realität überzeugte, oder sie klammerte sich an Worte. Es war z. B. ein typi¬
scher, sich regelmäßig wiederholender Tatbestand, daß die Patientin bei einer Er¬
klärung, die ich ihr geben wollte, mich mit den verzweifelten Worten unterbrach:
„Bitte sprechen Sie jetzt nicht, ich verstehe kein Wort.“ Dahinter war nicht nur
der unbewußte Widerstand und die überstarke Aggression gegen den Analytiker,
ferner das Vorherrschen von Phantasien sichtbar, sondern vor allem die Entfremdung
des Gehörten: die Patientin hörte vorerst Sätze, dann klammerte sie sich an Worte,
zuletzt an Buchstaben. Hierauf folgte der typische Verzweiflungsausbruch: „Ich bin
doch dumm, mir ist nicht zu helfen“ usw.
Die Dirnenphantasien der Patientin gingen von einem vierfachen unbewußten Mi߬
verständnis aus: Sie glaubte zuerst, die Dirne sei die Frau, die sich „sexuell auslebt“.
Int. Zeitsclir, t Psychoanalyse, XXI /3
19
278
Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg
ferner werde die Dirne angesprochen (d. h. Schuldgefühlsersparnis: „Ich kann ja nichts
dafür, der andere hat die Verantwortung“), drittens b^zog die Patientin ihre Dirnen¬
phantasie aus dem Arsenal der Kinderjahre, in welchen die asketische Mutter zur .
Dirne gestempelt wurde, weil sie — trotz Askese und Sexualverboten — mit dem
Vater koitierte. Das Entscheidende aber war, daß die Dirne mit ihrer Sexualität
öffentlich exhibitionierte. Die Patientin identifizierte sich also mit der er¬
niedrigten Mutter, rächte sich in anderer Schicht am Vater nach der Formel; „Wenn
du mich nicht liebst und die Mutter vorziehst, gebe ich mich aus Rache jedem Mann
hin“, wobei zugleich die Lust und Strafe für die Ödipusphantasien in Form der Selbst¬
erniedrigung einkassiert wurde.
Endlich sei der starken unbewußten Homosexualität der Patientin gedacht, die ur¬
sprünglich der Mutter galt, wobei einerseits die Männlichkeitswünsche der Patientin
zur Geltung kamen, anderseits ihr starker Narzißmus: sie liebte in den Objekten
vielfach sich selbst,® die jüngeren und sozial erniedrigten Männer repräsentierten
ein Entwicklungsstadium der Patientin selbst. Anderseits, zog sie wieder die sexuelle
Situation ins „Harmlose“: indem sie die Liebhaber zu Kindern machte, bewies sie
dem Über-Ich, daß die Sexualität keine Sexualität sei nach ihrer Formel: Kinder
sind asexuell.
Die Patientin hatte in ihren „asketischen“ Zeiten die sonderbare Vorstellung,
alles Sexuelle müsse sich unter Vermeidung jedes sexuellen Wortes abspielen, am
liebsten wäre ihr, wenn man dabei über — Philosophie gesprochen hätte. Sie er¬
innerte lebhaft an eine frigide Patientin, die sich von ihrem Freund lediglich unter
folgender Bedingung koitieren ließ: Der Mann mußte über — Literatur sprechen. Der
Sinn war der einer Schuldgefühlsentlastung, indem sie den realen Koitus in eine No¬
velle von der Sexualität — der anderen verwandelte.® Auch beklagte sich die Patien¬
tin über das Infantile der ganzen Sexualität, wobei sie sehr erstaunt war, als ihr ein
Mann mitteilte, das Infantile der Frau sei für den Mann gerade das Begehrenswerteste. 1
Wie sehr die Patientin im ständigen Abwehrkampf gegen ihre Dirnenphantasien war, ;
sei an zwei von ihren Fehlhandlungen demonstriert: Die Patientin wurde von einem ^
Bekannten gefragt, in welchem Hotel sie tanze. Sie will wahrheitsgemäß den Fünfuhr- j
tee des Grand Hotels, nennen, der Name entfällt ihr und sie antwortet: Im J
G.-Cafe. Nun hat, wie der Patientin bekannt war, dieses Cafe den Ruf eines Dirnen- *
lokals. Oder: In der Analyse wurde in Anbetracht des Künstlerelends über den
künftigen Beruf der Patientin gesprochen, und sie erwähnte den Vorschlag eines Be¬
kannten, Leiterin einer Autofahrschule zu werden. Plötzlich setzt sich die Patientin ,
ganz unmotiviert am Analysensofa auf, verläßt also die liegende Stellung und be- ,
kommt einen Angstzustand. Die Analyse ergab als Sinn der Handlung den unbe- '
wußten Gedanken: Ich tauge ja höchstens zur Dirne, Dieser Gedanke wurde mit
Angst abgewehrt, wobei die horizontale Lage am Sofa mit Dirnesein gleichgesetzt ,
wurde.
Die Analyse der Patientin wurde zwei Jahre sechsmal wöchentlich durchgeführt, ;
im dritten dreimal wöchentlich, und mußte infolge äußerer Schwierigkeit auf eine
wöchentliche Aussprache reduziert werden, d. h. die Behandlung wurde praktisch ■
abgebrochen. Der Erfolg bestand in einer Besserung des Befindens der Patientin, in •
einem Verschwinden der hysterischen Symptome, Verzicht auf das Ausleben der
„Dirnenphantasien“, Erreichen einer ruhigeren Stimmungslage. Das Entscheidende; :
8) Siehe die gemeinsame Arbeit mit Jekels: „Übertragung und Liebe.“ Imago, XX, I 934 * ■
9) Siehe einen ähnlichen Fall im Abschnitt „Anonymer Koitus“ meiner Arbeit „Über M
einige noch nicht beschriebene Spezialformen der Ejakulationsstörung“. Int. Zeitschr. f. Psa., S
XX, 1934. bzw. Int. Journal of Psycho-Analysis (London) 1935. fl
r
Der Mechanismus der Depersonalisation 279
die Depersonalisationszustände wurden gemildert, keineswegs be¬
seitigt.
Sehr interessant war der Modus vivendi, den die Patientin mit ihren Depersonali¬
sationszuständen einging. Sekundär wurde nämlich die Depersonalisation zum Teil
in den Dienst der infantilen Lustbefriedigung gestellt und diese nach dem Mechanis-
nius „Bestechung des Über-Ichs durch Leiden“ zwar nicht ausgelebt, aber doch an
dieser Lust zu nippen versucht. So sagte z. B. die Patientin: „Wenn Valeriu mich
geschlagen hätte, hätte ich es auch nicht zur Kenntnis genommen.“ Das heißt: Ich
lasse mir mein unbewußtes masochistisches Vergnügen durch logische Kritik —
Prügel: unwürdiger Zustand — nicht stören. Oder die Patientin fragte: „Warum
nahm ich nicht zur Kenntnis, wenn Valeriu lieb mit mir war?“ Da Valeriu mit dem
Vater identifiziert wurde und die Patientin mit dem Vater keinen Inzest begehen
durfte, schützte sie sich vor der Kritik des Über-Ichs, indem sie die Lust scheinbar
nicht zur Kenntnis nahm. — Auch bediente sich die Patientin der Depersonalisation
zum Ausleben ihrer Dirnenphantasien.
Anderseits wurde die Sexualisierung der rückgewendeten Destruktion
unbewußt voll genossen und immer wieder provoziert. Es wurde bereits hervorge¬
hoben, wie sehr die Patientin jede Strafe, Strafandrohung und Strafmöglichkeit eroti¬
sierte. In dieser unausrottbaren Lust bediente sich die Patientin auch des Mechanis¬
mus der Naivität: Sie war z. B. sehr abergläubisch, was bei ihren zwangsneurotischen
Zügen nicht weiter verwunderlich war. (Man denke an den starken Sadismus und
die Ambivalenz der Patientin.) Doch nahm sie — scheinbar paradox — lediglich
den Aberglauben mit günstiger Prophetie zur Kenntnis, den mit negativer ent¬
fremdete sie oder lehnte ihn bewußt als Unsinn ab. In Wirklichkeit war dieser „Opti¬
mismus“ wieder eine masochistische Aktion: Da die Patientin aus ihrem unbewußten
Strafbedürfnis ohnehin alles ins Ungünstige leitete, war die nachfolgende Enttäuschung
um so tiefer. Ausgepolstert wurde freilich der „Fall“ (so bezeichnete sie ihre zer¬
störten Hoffnungen) durch die unbewußt genossene Lust aus der Sexualisierung
der rückgewendeten Destruktion.
Die Widerstände der Patientin waren von größter Hartnäckigkeit: ständiges
Beleidigtsein (sie war zeitweise von mimosenhafter Empfindlichkeit), besondere
Intoleranz gegen die Übertragungssituation (was das masochistische Ge¬
nießen der Versagung nicht aus-, eher einschloß), stärkste, provokanteste Ag¬
gression mit dem unbewußten Bestrafungswünsch. So sagte z. B. die
Patientin nach eineinvierteljähriger Analyse einmal wütend: „Das einzige, was sich
geändert hat, ist, daß ich früher das Busenleibchen so fest schnürte, daß ich kaum
atmen konnte, und daß ich das jetzt nicht mehr tue.“ Freilich verstand die Patientin
nicht, daß in dieser Aggression eine Anerkennung der Lösung von Sexualhemmungen
lag. Weitere Schwierigkeiten waren: ständiges Hervorheben des Arguments der
Unheilbarkeit, der supponierten eigenen „Dummheit“, hinterhältiges Ver¬
schweigen von Material und — last not least — die fast unlösbaren materiel¬
len Schwierigkeiten, d.h. Mittellosigkeit bei früherem großem Reichtum. So
muß die Patientin aus anderen, hier nicht wiederzugebenden Gründen, trotz prakti¬
scher Lösung der Beziehung zu Valeriu weiter in derselben Wohnung leben, was sie
masochistisch grandios auswertete. Kurz, die Patientin präsentierte ein buntes Ge-
mengsel von hysterischen, zwangsneurotischen und Moral-insanIty-Zügen und bot die
konzentriertesten Schwierigkeiten einer Hysterica, einer Zwangsneurose, einer agie¬
renden Psychopathin und — einer Depersonalisation.
19*
28 o Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg
Die beiden hier auszugsweise wiedergegebenen Krankengeschichten zeigen
eine Reihe verblüffender Gemeinsamkeiten. Vorerst sei auf die im Zen¬
trum stehenden anal-exhibitionistischen Trieb wünsche^® beider Patientinnen
verwiesen. Als Beispiele seien genannt: Fall I: Klosettbesuch in der Wohnung
des Analytikers, öffentliches Bücherlesen usw. Fall II: Gesangstörung, Sitzen
auf dem Analysesofa mit dem Rücken zum Arzt, Verhalten in öffentlichen
Bädern. Der Penisneid beider Patientinnen ^eht so weit, daß sie noch als Er¬
wachsene stehend urinieren. Ganz analog sind die Abwehrmechanismen: die
Entfremdung und die „Verdummung“, die großzügige Verständnislosigkeit
mit langem Festhalten an diesem Widerstand sind gewiß keine Zufälle. Ebenso
kongruent sind die Schaulust und die nach innen gewendete sexualisierte De¬
struktion bei beiden Fällen, wobei die Schaulust unter der Maske des Polizei¬
berichtes an das Über-Ich eingeschmuggelt wird. Die Gemeinsamkeiten ließen
io) Wir meinen damit die unbewußten Wünsche, die hier wie in anderen neurotischen
Abwehrmechanismen nur latent vorhanden waren. Da manche Autoren den Unterschied
zwischen Perversion und Neurose vernachlässigen und etwa die in der Paranoia abgewehrte,
aus dem negativen Ödipuskomplex stammende passive Einstellung zum Vater mit der mani¬
festen Homosexualität gleichsetzen, erscheint es wichtig, hervorzuheben, daß wir mit dieser
Bezeichnung nicht die Perversion meinen. In der vorläufigen Mitteilung „Zur Theorie und
Klinik der Perversion“ (I. Z. f. Ps. XIX) und in der ausführlichen Arbeit unter demselben
Titel (Jahrb. f. P. u. N., B. 50) hat Eidelberg gezeigt, daß der Unterschied zwischen Neurose
und Perversion nicht darin besteht, daß erstere den Partialtrieb abwehrt, den die zweite be¬
jaht, sondern daß beide den Partialtrieb abwehren. Bejaht wird in der Perversion nicht der
Partialtrieb, sondern die perverse Handlung, die ähnlich einem Symptom, bereits
ein Abwehrprodukt, eine Kompromißbildung darstellt. Sie unterscheidet sich vom neuroti¬
schen Symptom erstens durch die Art der Befriedigung, die hier mit Orgasmus einhergeht,
zweitens durch eine weitergehende Berücksichtigung der Allmachtswünsche des Ichs.
Fenichel hat in seiner Arbeit „Über Angstabwehr, insbesondere durch Libidinisierung“
(I. Z. f. Ps. XX) den Versuch gemacht, durch eine kritische Revue einiger analytischer
Arbeiten auch zu diesem Problem Stellung zu nehmen. Leider ist ihm dabei eine Reihe
von Mißverständnissen unterlaufen, vor allem bei Jones und Laforgue. Weiter glaubt
Fenichel Eidelberg zu zitieren, indem er ihn auf die Frage: „Wieso kann das Ich den
perversen Impuls bejahen“, antworten läßt; „Dieser Unterschied im Verhalten des Ichs ist
dadurch bedingt, daß bei der Bildung der perversen Handlung der kindliche Größenwahn des
Ichs in weit größerem Ausmaß berücksichtigt wird, als beim neurotischen Symptom“, während
Eidelberg damit die Frage; „Wieso bejaht das Ich die perverse Handlung“, beant¬
wortet, nachdem er den Beweis erbracht hatte, daß perverse Handlung und perverser
(infantiler) Impuls nicht identisch sind. Dieses Verhalten des Ichs wird verständlich,
wenn wir Punkte (S. 621) der zitierten Arbeit berücksichtigen, in welchem für die Genese
der Perversion zwei Momente verantwortlich gemacht werden; erstens die Regression zu
einer der drei Stufen, zweitens die Zugehörigkeit zu einem der drei Typen (siehe „Theore¬
tische Vorschläge“, I. Z. f. Ps., B. XX, S. 114). Entscheidend für die Wahl der Perversion als
Abwehrmechanismus ist demnach jener kindliche Größenwahn, der uns als konstitutionell
gegeben bei dem narzißtischen Typus entgegentritt.
Das Ausmaß des Mißverstehens Fenichels wird dadurch illustriert, daß er die Behaup¬
tung Eideibergs; „Perverse und Neurotiker wehren also den Partialtrieb ab; der Unter¬
schied zwischen beiden besteht nicht in der Bejahung bzw. Abwehr eines Partialtriebes, son¬
dern in dem Verhalten des Ichs zu den Abwehrmechanismen“, in der gleichen Arbeit, aller¬
dings ohne Eidelberg zu zitieren, übernimmt, und einige Zeilen später dennoch die Frage
nach der Ursache der Bejahung des perversen Impulses (nicht Handlung) stellt.
Der Mechanismus der Depersonalisation
281
sich bis in Details fortsetzen, wobei der vorhandene rassische, kulturelle und
Miheuunterschied beider Fälle gar keine Rolle spielte.
Versuchen wir nun, auf Grund dieser beiden Fälle den Mechanismus der
Krankheit aufzuhellen. Wir vertreten den Standpunkt, daß der vom Ich ab¬
gewehrte Es-Wunsch eine aus dem Ödipuskomplex stammende, vorwiegend
anale Exhibition ist. Ob die bei der Depersonalisation konstant vorkom¬
mende unbewußte Exhibition mit der analen Komponente verbunden sein
muß, können wir noch nicht entscheiden. Dagegen ist unseres Erachtens für
die Krankheit Depersonalisation der Abwehrmechanismus ein spezifi¬
scher. Die Wirkungsweise dieses spezifischen Mechanismus — wir schlagen
vor, ihn den „Mechanismus der Depersonalisation“ zu nennen —
stellen wir uns folgendermaßen vor:
Durch ein äußeres Ereignis, dem lediglich die Rolle eines Ageni provocateur
zukommt (Sexualisierung der Realität), oder durch ein intrapsychisches (eine
unbewußte Phantasie), wird ein verdrängter Gedanke anal-exhibitionistischen
Inhalts vorbewußt. Darauf setzt die Abwehr des Ichs ein, die im wesent¬
lichen eine Über-Ich-Kaptivierung durch das Ich darstellt. Und
zwar treten auf:
1. Angst.
2. Verleugnung, in Form von Unwirklichkeitsgefühl, „Sichnichtaus-
kennen“, Auffassungsstörungen, Zweifeln, intellektueller Unsicherheit (bis zur
Projektion).
3. Selbstbeobachtung.
4. Der Anfall wird abgeschlossen durch eine neuerliche Angstattacke,
Schuldgefühle und Verzweiflungsausbrüche, bzw. dumpfes Hinbrüten. Es sei
ausdrücklich hervorgehoben, daß nicht jeder Anfall alle hier geschilderten
Stadien durchlaufen muß; andererseits sind Selbstbeobachtung und die Ver¬
leugnungsmechanismen stets vorhanden.
ad I. Die Angst ist wie gewöhnlich die Abwehr des unbewußten Wunsches
und zugleich Signal des Ichs vor der drohenden Triebgefahr. Da die Angst die
vom Über-Ich verpönte Handlung inhibiert, dient sie auch dem Über-Ich.
Die bewußte Rationalisierung lautet: Ich werde wahnsinnig.
ad 2. Die Verleugnung ist ebenfalls an die Adresse des Über-Ichs gerichtet
und soll etwa sagen: Es ist nicht wahr, daß ich diesen analen voyeur-exhibitio-
nistischen Wunsch hege. Die intellektuelle Unsicherheit ist zum Teil die Per¬
zeption des inneren Konflikts. Bewußt spiegelt sich die Verleugnung des
Wunsches in Form der Erkenntnis: Ich kenne mich nicht aus, resp. „ich bin
nicht vorhanden“.
ad 3. Die Selbstbeobachtung im Dienste der Realitätsprüfung ist die normale
Funktion des Ichs im Aufträge des Über-Ichs. Bei der Selbstbeobachtung des
282 Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg j
Entfrem 4 eten biedert sich das Ich an das Über-Ich in der Form an, |
daß große Teile des Ichs in den Dienst dieser vom Über-Ich dik¬
tierten Funktion treten. Das Ich wird mit seinen eigenen Waffen ^
geschlagen. Es ist etwa so, wie wenn eine politische Organisation eine De- ;
monstration veranstaltet, die die Polizei nur unter der Bedingung gestatten :
will, daß die Demonstranten von einem großen Polizeiaufgebot flankiert wer¬
den. Die Organisation stellt nun selbst Ordner zur Verfügung, übernimmt also
quasi Funktionen einer Hilfspolizei. Das Motto ist: Wir sind ohnehin
brav. So erklärt sich das von den Autoren wiederholt beobachtete Phänomen,
daß bei Depersonalisation „an Stelle des Affekts Selbstbeobachtung tritt'^
„Die Depersonalisierten verwandeln sich in eine psychische Beobachtungs-
station‘" (beide Zitate von Reik). Ein Teil der intellektuellen Unsicherheit ist
wieder Perzeption der capitis diminutio des Ichs,
Nun kann der Mensch psychisch nicht allein von Beweisen seiner Bravheit
an die Adresse des Über-Ichs leben. Wo liegt also der geheime Lustgewinn ;
der Depersonalisierten?
Vorerst ist zu sagen, daß das Ich des Depersonalisierten eine unzuläng¬
liche Methode der Es-Abwehr und Über-Ich-Unterwerfung wählt. Das Ich
stellt sich fast zur Gänze dem Über-Ich zur „freiwilligen^^ Hilfsdienstleistung
zur Verfügung, der kleine übriggebliebene Teil registriert schmerzlich den Ver¬
lust seiner Integrität. Die Lust liegt also in der Befriedigung der sexuali-
sierten, nach innen rückgewendeten Destruktion. ^
Ist aber dieser Lustgewinn das „einzig Positive^' der Depersonalisation? Ge¬
wiß nicht. Kein Zweifel, daß gewisse Es-Tendenzen — vor allem anale, ex-
hibitionistische und Voyeurlust — sich durchsetzen. Sie tun es aber •
unter falscher Flagge. Anders ausgedrückt: Die unbewußten Es-Wünsche
setzen sich zum Teil durch, werden aber infolge Einengung des Ichs vom Ich
nicht als zu sich gehörig aufgefaßt, sind sozusagen ichfremd, und die Lust ;
liegt zum größten Teil bloß im selbstbeobachtenden Re- |
gistrieren und Demonstrieren an die Adresse des Über-Ichs, wobei nar¬
zißtisches Sichselbstbeschauen genossen wird.^^ i
. _ ^ _ I
, ii) Es handelt sich also um die Verwandlung eines aktiven in ein passives Triebziel. '
Wir gehen auf die Frage, weshalb der Exhibitionist aktive, der Voyeur passive Triebziele be- '
friedigt, aus Platzmangel nicht ein und verweisen auf unsere Arbeit „Der Mammakpmplex ‘
des Mannes" (I. Z. f. Ps. XIX, S. 572). Zur Richtigstellung eines Mißverständnisses von ;
1 . Her mann bezüglich unserer Definitionen „aktiv" und „passiv" bemerken wir folgendes: ■
Hermann ( 1 . Z. f. Ps. XX, 1934, S. 263) sagt: „Auch die Begriffsbestimmung von Bergler
und Eidelberg, wonach aktiv gleich geben, passiv gleich auf nehmen bedeuten sollen, ver¬
sagt hier, da der Mann seinen Penis der Frau gibt, ihren Körper aber mit der Umarmung
aufnimmt, die Frau Penis, Samen und Körper des Mannes aufnimmt, sich selbst gibt."
In Übereinstimmung mit Hermann sind wir der Ansicht, daß die in der analytischen ■
Literatur noch geübte Gleichsetzung der Begriffe aktiv und männlich unrichtig ist. Da nach :
Freud jeder Trieb aktiv ist und die Frau ebenso wie der Mann Triebe befriedigt, würde
eine solche Bezeichnung, solange man an der einheitlichen Libido festhält, zu Widersprüchen ■
führen. — Dagegen kann man, nachdem die Aktivität für Mann und Frau als zur Trieb- '
1
Der Mechanismus der Depersonalisation 283
Das selbstbeobachtende Registrieren von verpönten Es-Tendenzen
hat den Vorteil, daß diese verpönten Wünsche doch — wenn auch mit nega¬
tivem, angeberischen Vorzeichen — indirekt genossen werden
Es wurde früher hervorgehoben, daß das Ich der Patienten den Verlust seiner
Integrität schwer beklagte, da der größte Teil desselben sozusagen vom Über¬
leb indirekt okkupiert war, d. h. in seinen Diensten die Spionage-
tätikeit der Selbstbeobachtung ausübte. Diese Selbstbeobachtung war
in höchstem Ausmaß quälend, führte zu einer Spaltung des Ichs in eine dem
Über-Ich sich freiwillig unterwerfende Satrapie mit einem machtgeschwellten
Denunziantenheer und einem winzigen, sein Unglück beklagenden Ich-Teil.
Die wahre Lust der Depersonalisation ist also narzißtische Voyeurlust.
Trotzdem darf man sich den übriggebliebenen Teil des Ichs der Depersonali-
sierten, das zwar an Haupt und Gliedern gekürzt und verstümmelt ist, nicht
als absolut machtlos vorstellen. Es wurde bereits hervorgehoben, welche
Triebtendenzen hineingeschmuggelt wurden und auf welchem Umweg das
geschah.
Für die katastrophale Rolle des Ichs bei der Depersonalisation, das
der Situation eines Tieres in der Autotomie vergleichbar ist, spricht auch die
Tatsache, daß es kein Zufall sein kann, daß bei Beginn jeder Neurose passa-
gere Depersonalisationszustände auftreten, wie dies Nunberg mit Recht
hervorhob, ohne freilich, unserer Meinung nach, eine plausible Erklärung hie-
für zu liefern. Es ist dies, wie einzelne Autoren meinen, offenbar der Zeit¬
punkt, in welchem das Ich überwältigt wird und sich noch nicht wehren
kann. Das Symptom und die Verdrängung scheinen bereits einer höher orga¬
nisierten Abwehr anzugehören.
Die Prognose der Depersonalisation galt bisher als ungünstig. Kein Analy¬
tiker hat die Depersonalisation bis heute in seinen Publikationen für heilbar
befriedigung zugehörig akzeptiert wurde, sich einem zweiten Problem zuwenden: der Frage
nach aktiven und passiven Triebzielen. Wenn man nun als Befriedigung eines aktiven Trieb¬
zieles jene Handlung bezeichnet, die kurz mit dem Wort „geben“, als Befriedigung eines
passiven Triebzieles Handlungen, die mit dem Wort „aufnehmen“ umschrieben werden
können, findet man sowohl beim Mann als auch bei der Frau bestimmte Handlungen, die
„aufnehmen“ und „geben“ bedeuten. Unsere Begriffsbestimmung würde bloß dann Ver¬
sagen, wenn man sie für die Behauptung: niännlich ist gleich aktiv, verwenden wollte. Da
uns eine solche Definition vollkommen fernliegt, glauben wir, daß gerade an diesem Beispiel
die Brauchbarkeit unserer Formulierung klar zum Vorschein kommt und anzeigt, daß die
Verwendung der Bezeichnung aktiv und passiv nur auf eine der jeweiligen Triebbefriedigung
dienende Handlung anzuwenden ist. Anstatt also zu sagen: „Im Geschlechtsleben ist der
Mann aktiv“, sagen wir lediglich: Die Handlung des Mannes, die zur Befriedigung des Trieb¬
wunsches, „den Samen der Frau zu geben“, dient, ist aktiv. Gleichzeitig wird sein passiver
Wunsch, „den Körper der Frau empfangen“, durch eine andere Handlung befriedigt, und
diese ist passiv. Unsere Definition bezieht sich nicht auf die Gesamtheit der Hand¬
lungen des Individuums, sondern immer nur auf eine einzelne Handlung und wurde von uns
für diesen Zweck aufgestellt.
12) Ebenso wie die Diagnose recht schwankend war. Fast hätte man den Eindruck, daß
Depersonalisationszustände häufig übersehen werden.
^^4 __Edmund Bergler und Ludwig Eidelberg i
erklärt. Wir meinen, daß dieser absolute Pessimismus nicht ganz gerechtfertigt j
erscheint. Doch setzt die Therapie vor allem die Kenntnis des Mechanismus j
der Krankheit voraus, d. h. ein Ansetzen am richtigen Punkt. Ferner sehr |
lange Zeiträume: Gilt schon für die Analyse eines schwereren Falles von
Zwangsneurose ein Minimum von 2 bis 2^/2 Jahren, muß bei der Entfremdung
mit dem doppelten Zeitraum gerechnet werden. Gewiß ist es nicht sehr hoff¬
nungsvoll, wenn man ein halbes Jahrzehnt als Behandlungsdauer präliminiert,
aber —amicus Plato, magis amica veritas» Auch darf man nicht vergessen, daß
die Erfahrungen mit depersonalisierten Patienten vorläufig recht spärlich
sind. Ferner, daß man die Erwartungen nicht allzu hoch spannen darf; Die
Schwäche des Ichs, die Sexualisierung der gegen die eigene Person gerichteten
Destruktion, der chronische Verlauf und der geradezu raffiniert zu nennende
Abwehrmechanismus bedingen Vorsicht bei der therapeutischen Zielsetzung.
Auch ist zu bedenken, daß dies bloß für die schwersten Fälle von neurotischer
Depersonalisation gilt.^^ Einer der Autoren (Bergler) hat bei einem schweren
und zwei leichteren Fällen, deren zusammenhängende Darstellung Vorbehalten
bleibt, ihn selbst überraschende Erfolge in einem Zeitraum von 2V2, 1^/4 und
2 Jahren aufzuweisen gehabt, deren zwei erste derzeit bereits 3 bzw. 2 Jahre l
ohne Rezidiv geblieben sind. |
yc j
Wir wollen noch, bevor wir schließen, einige Punkte unterstreichen, die ein¬
zelne unserer Vorgänger als für die Depersonalisation bedeutsam hervorge- 1
hoben haben. So Schilders Widerlegung der Gefühlstheorie Österreichers,
Hartmanns und Sadgers Hinweis auf die Bedeutung der Exhibition,
Reiks Betonung des masochistischen und analen Faktors. Freilich können wir
uns mit den übrigen Ausführungen dieser Autoren über die Depersonalisation
keineswegs identifizieren.
Zusammenfassung.
Auf Grund des mitgeteilten Materials wird der spezifische „Mechanismus
der Depersonalisation*^ als Über-Ich-Kaptivierung wie folgt beschrieben;
Der libidinöse Triebwunsch des Es ist eine vorwiegend anale Exhibition.
Das Ich wehrt diesen Wunsch ab, wobei vorerst Angst und Verleugnung in
Form von Unwirklichkeitsgefühl, Auffassungsstörungen, Zweifeln, intellektu¬
eller Unsicherheit, Verzweiflungsausbrüchen usw. entstehen. Ein großer Teil
des Ichs biedert sich dem Über-Ich an und stellt sich diesem in einer
Art von Autotomie als „Hilfspolizei** in Form der gesteigerten Selbst¬
beobachtung zur Verfügung. Die normale Funktion des Ichs: Selbst-
13) Überflüssig hinzuzufügen, daß unsere Ausführungen sich lediglich auf Neurosen
.und nicht auf Psychosen beziehen.
14) Allerdings meinen die beiden Autoren nicht das von uns hervorgehobene narzi߬
tische Beschauen und Zurschaustellen.
Der Mechanismus der Depersonalisation
285
beabachtung im Dienste des Über-Ichs, wird ins Gigantische gesteigert, das Ich
mit den eigenen Waffen geschlagen. Der abgewehrte Triebanspruch über¬
rumpelt das Ich, indem er eine Wandlung von Exhibitionismus ins
Voyeurtum durchmacht und dann unter der Maske der die Es-Wünsche ab-
w^hrenden Selbstbeobachtung vom Ich akzeptiert wird. Dabei wird bei diesem
unter der Maske des „Polizeiberichtes'^ an das Über-Ich eingeschmuggelten
narzißtischen Sichselbstbeschauen die nach innen gewendete sexualisierte De¬
struktion ausgiebig genossen. Nachträglich wird die Exhibition unter dem
Schutz des inzwischen ausgebildeten Mechanismus der Depersonalisation teil¬
weise zur Befriedigung zugelassen.
Analog den bereits bekannten Abwehrmechanismen, wie Konversion, Pro¬
jektion usw., ist der „Mechanismus der Depersonalisation"' eine Kompromi߬
bildung, an der alle drei Instanzen beteiligt sind. Seine Lust, die aus der Be¬
friedigung der Schaulust resultiert, ist dem Ich unbewußt. Ähnlich manchen
neurotischen Abwehrmechanismen ist die Depersonalisation ichfremd und
mit Krankheitseinsicht verbunden.
VORLÄUFIGE MITTEILUNGEN
In dieser Rubrik erscheinen die Beiträge in der Reihenfolge ihres Einlaufes hei der Redaktion
DAS PROBLEM DER QUANTITÄT IN DER NEUROSENLEHRE.
Vortrag von Ludwig Eid eiberg,
gehalten im Seminar über theoretische Grundlagen der Psychoanalyse am lo. November 1933.
Die Psychoanalyse hat sich die Untersuchung der Quantität als ökonomischen Ge¬
sichtspunkt zu eigen gemacht. Die Unmöglichkeit exakter quantitativer An¬
gaben gilt aber bei manchen ßeurteilern als Argument, um ihr den Charakter einer
Naturwissenschaft abzusprechen. Die Psychoanalyse verzichtet jedoch nicht auf eine
quantitative Betrachtungsweise. Solange die Maßeinheiten fehlen, benützt sie für
diese Betrachtungsweise die Methode des Vergleichens. Es handelt sich nun darum,
diese vergleichende Betrachtung so auszubauen, daß sie überprüfbar wird.
Bei einem Zwangsneurotiker werden wir z. B. beachten, wie häufig seine Zwangs¬
symptome Auftreten, wieviel Zeit er zu ihrer Erledigung benötigt usw. Wir wissen,
daß eine quantitative Änderung, wenn sie einmal eine gewisse Größe erreicht hat, bei
bestimmten Vorgängen eine Änderung in der Qualität mit sich bringt. Wir befinden
uns hier in Übereinstimmung mit anderen Naturwissenschaften, die ebenfalls — man
denke etwa an die Farbenlehre — Qualitäten quantitativ aufgelöst haben.
Viel komplizierter ist es schon, zwei verschiedene Patienten in bezug auf quanti¬
tative Momente zu vergleichen. Ein Vergleich ähnlicher Symptome bei verschiedenen
Kranken wird aber einem Erfahrenen noch gelingen, der Vergleich von zwei ver¬
schiedenen Symptomen erscheint dagegen für eine quantitative Untersuchung nicht
mehr verwendbar, so z. B. der eines zwangsneurotischen und eines hysterischen Kon¬
versionssymptoms.
Auch beim Vergleich von Symptomen derselben Entwicklungsstufe erheben sich große
Schwierigkeiten. Versuchen wir z. B., die prägenitale Konversionsneurose, das Stot¬
tern, mit einem zwangsneurotischen Symptom zu vergleichen, so zeigt weder die
phänomenologische Beschreibung, noch die Verwertung genauer analytischer Details
einen Weg, der zu einer quantitativen Schätzung der analen Libido führen würde.
Die Frage, ob der anale Anteil der Libido beim Stottern größer, kleiner oder gleich
dem bei jenem zwangsneurotischen Symptom ist, kann nicht beantwortet werden.
Auf Grund der Arbeit Freuds über libidinöse Typen glaube ich jedoch, eine ver¬
wertbare Methode für diese Untersuchung gefunden zu haben, die ich hier kurz mit-
teilen möchte.
Wir wissen, daß in jedem Symptom alle drei Instanzen berücksichtigt erscheinen,
und es erhebt sich die Frage, ob wir imstande sind, den quantitativen Anteil dieser
Instanzen im einzelnen Symptom vergleichsweise anzugeben. Sollte die Unter¬
suchung zeigen, daß bei denselben Symptomen der quantitative Anteil derselben
Instanzen immer der gleiche bleibt, so könnten wir dann ein anderes Symptom, das
Vorläufige Mitteilungen
1287
I
derselben Entwicklungsstufe angehört, von diesem Gesichtspunkt untersuchen und
das Ergebnis mit dem ersten vergleichen.
Vielleicht würde dann die quantitativ verschiedene Beteiligung der einzelnen In¬
stanzen einiges Licht auf die Frage nach der Ätiologie der Neurosen werfen.^
Auf der Einteilung und Einordnung der Neurosen unter Berücksichtigung dieses
quantitativen Momentes könnten wir Untersuchungen aufbauen, um vier weitere
Fragestellungen zu beantworten, die ich folgendermaßen formulieren möchte: i. Ist
der quantitative Anteil von Eros und Thanatos bei jeder Neurose gleich groß; oder
finden wir bei bestimmten Neurosen immer die gleichen Werte? 2. Ist die Inten¬
sität der Abwehr einer Es-Regung immer dem Ausmaße dieser Regung entsprechend
oder finden sich bei verschiedenen Neurosen regelmäßig verschiedene Abwehr¬
intensitäten? 3. Ist die Tendenz zur Aktivität und Passivität bei allen Neurosen gleich
oder liegen bei den einzelnen Neurosen regelmäßige diesbezügliche Befunde vor?
und 4. Hat das Lust- bzw. Nirvanaprinzip bei allen Neurosen die gleiche quan¬
titative Bedeutung?
Die Neurosen sind Ergebnisse von Abwehrvorgängen, entstanden im Kampfe mit
Libidoansprüchen, die einer der drei kindlichen Entwicklungsstufen angehören. Da
aber bei jedem Menschen Teile der Libido auf den einzelnen Entwicklungsstufen
fixiert geblieben sind, kann wohl als pathologisch nur ein quantitatives Übermaß
dieser Libido in Betracht kommen. Dieses Übermaß der Libido, von dem wir vor¬
läufig nur eine unklare Vorstellung haben, könnte bei einer solchen vergleichenden
Untersuchung der Neurosen besser umschrieben werden.
Die beiden Grundtriebe Eros und Thanatos sind lediglich als Triebgemische —
Sexualtriebgemisch und Aggressionstriebgemisch — der analytischen Forschung zu¬
gänglich. Wir kennen beim Erwachsenen vier verschiedene Qualitäten des Sexual¬
triebgemisches, denen bestimmte Quantitäten entsprechen. Wurde im Laufe der Ent¬
wicklung das Sexualtriebgemisch auf einer der Entwicklungsstufen länger zurück¬
gehalten (fixiert), als der Norm entspricht, oder kehrt infolge von Versagung der
weiter fortgeschrittene Anteil des Sexualtriebgemisches zu einer früheren Stufe zu¬
rück (Regression), dann wird diese gegenüber der Norm verschiedene Placierung der
vier Qualitäten des Sexualtriebgemisches zum Ausgangspunkt von Neurosen.
Wir unterscheiden Objektlibido und narzißtische Libido. Unter Objektlibido
verstehen wir jene Libido, die der Außenwelt zugewendet ist, und der meiner
Meinung nach die vier verschiedenen Qualitäten zugehören: die orale, die anale, die
phallische und die genitale.
Die narzißtische oder Ich-Libido hat die drei Anteile der psychischen Persönlichkeit
in quantitativ verschiedenem Ausmaß besetzt. Diese Verteilung der Libido ist zum
größeren Teil konstitutionell bedingt und verhältnismäßig nur wenig beeinflußbar.
Im Allgemeinen finden wir eine quantitativ geringe Verschiebung der Libidomengen
vom Es gegen das Über-Ich.
Das Aggressions- und Sexualtriebgemisch hat mit seinem quantitativ größeren
Anteil, der qualitätslosen narzißtischen Libido die drei seelischen Instanzen, das Es,
i) Siehe dazu Eideiberg, Theoretische Vorschläge, Int. Ztschr. f. Psa., XX, S. 114.
288
Vorläufige Mitteilungen
Ich und Über-Ich besetzt. So verfügen diese drei Anteile über ein entsprechendes
Ausmaß an Libido. Betrachten wir die Wirkungsweise dieser Anteile gesondert,
so können wir bestimimte Vermutungen über ihre Ziele aussprechen. Diese ge¬
sonderte Betrachtung der drei Instanzen wird nur dort möglich sein, wo ein intra¬
psychischer Konflikt entstanden ist. Der ideal Gesunde eignet sich für die Unter¬
suchung nicht. Wir können uns lediglich auf Grund der bei Neurotikern gewonne¬
nen Ergebnisse eine Vorstellung von den normalen Verhältnissen bilden. Ent¬
sprechend den zwei Triebgemischen (Aggressions- und Sexualtriebgemisch) können
wir zwei Gruppen von Aufgaben, bzw. Zielen bei jeder der drei Instanzen finden.
Versuchen wir nun die Entstehung eines Symptoms schematisch zu skizzieren.
Pat. A. hat auf einer der drei infantilen Entwicklungsstufen durch Zusammenspiei
von konstitutionellen und akzidentellen Momenten Fixierungen bzw. Regressionen
erfahren. Infolge dieser Fixierungen bzw. Regressionen befindet sich ein der Norm
gegenüber vergrößerter Anteil der Libido auf einer der drei Stufen. Setzen wir beispiels¬
weise die Gesamtmenge der Objektlibido mit lo Einheiten und postulieren wir, daß sie
normalerweise folgende Zuordnung zeigt: 2 auf der oralen, 2 auf der analen, 2 auf
der phallischen und 4 auf der genitalen. Wir nehmen an, daß der Normale diese
Libidoquantitäten im allgemeinen befriedigen kann. Der Neurotiker hat infolge der
oben erwähnten Fixierungen diese Aufteilung der Libido nicht vollzogen, sondern
einen größeren Anteil auf einer der drei ersten Stufen belassen. Nehmen wir nun an,
daß wir imstande sind, diese Quantitäten zu messen, und daß wir als Ergebnis einer
solchen hypothetischen Messung bei dem Pat. A. folgendes Resultat finden: Orale
Stufe 4 E., anale Stufe 2 E., phallische Stufe 2 E., genitale Stufe 2 E. Wir nehmen
nun weiter an, daß unser Körper unter bestimmten gleichbleibenden Bedingungen die
Libidoqualitäten in der normalen Einteilung befriedigen kann. Wir wissen, daß
uns vorläufig eine direkte Beobachtung dieser Vorgänge nicht möglich ist,
und daß wir gezwungen sind, auf Grund der psychologischen Untersuchungen
uns — selbstverständlich schematisch — die Funktionen und die ent¬
sprechenden Apparate zu skizzieren. Wenn wir nun annehmen, daß der Körper die
Libidoqualitäten nur in einer bestimmten, allerdings bis zu einem gewissen Punkt
variablen Einteilung befriedigen kann, so können wir zur Illustration folgende Bei¬
spiele bringen: Bei der Befriedigung der oralen Qualität werde unserem Körper
Nahrung einverleibt. Die Menge dieser Nahrung ist an bestimmte Grenzen gebunden,
die im Interesse unseres Körpers nicht unter- oder überschritten werden dürfen. Wir
wissen, daß in den entsprechenden Organen bestimmte regulatorische Funktionen ein¬
gebaut sind, die die Wahrung der quantitativen Grenzen überwachen. Bei dem Pat. A.
findet sich nun eine Menge von oraler Libido, deren Befriedigung, da ihre Quanti¬
tät der Norm gegenüber gesteigert ist, von den entsprechenden Organen (Mund,
Magen) abgewehrt wird. Da seine orale Sucht so groß ist, daß ihre Be¬
friedigung unter den bestehenden Bedingungen nicht möglich ist, wird der un¬
befriedigte Anteil in das Es verschoben (verdrängt). Während nun bis zu diesem
Zeitpunkte das Es lediglich eine qualitätslose Libido enthalten hat, ändert sich jetzt
das Bild, indem zu der stets vorhandenen qualitätslosen (narzißtischen) Libido etwas
neues, nämlich nicht narzißtische, sondern Objektlibido dazugekommen ist. Theo¬
retisch ergeben sich nun zwei Möglichkeiten. Die dazugekommene Objektlibido, mit
Vorläufige Mitteilungen
289
der Qualität „oral“, kann diese Qualität verlieren und in qualitätslose (narzißtische)
Libido verwandelt werden, oder sie behält weiter ihre Qualität. Nehmen wir an, das
erste hat stattgefunden, d. h. die Libido hat die orale Qualität aufgegeben und ist
narzißtisch geworden, und fragen wir nach den Folgen dieser Metamorphose. Der
quantitative Anteil der narzißtischen Gesamtlibido hat gegenüber der Objekt¬
libido eine Steigerung erfahren. Verbleibt dieser dazugekommene und veränderte
Anteil im Es, so hat sich damit auch das Verhältnis der quantitativen Anteile der
drei Instanzen verändert. Fragen wir nun, welche Folgen diese Wandlung und Wan¬
derung der Libido für das Individuum haben wird, bzw. in welcher Form wir mit
psychoanalytischen Methoden diesen Vorgang wahrnehmen können.
Es ist wahrscheinlich, daß diese Verschiebung der Libido nicht zur Neurosen¬
bildung führt. Das Fehlen der 2 E. auf der genitalen Stufe wird wahrscheinlich nur
eine quantitative Herabsetzung dieser Funktion nach sich ziehen, ohne irgendwelche
neurotische Symptome (Impotenz, Frigidität) zu bilden. Das Individuum wird
gegenüber dem ideal Gesunden weniger genital interessiert sein. Die Zunahme der
narzißtischen Libido wird eine geringere Abhängigkeit von der Außenwelt zur
' Folge haben. Das intrapsychische Gleichgewicht wird sich zugunsten jener Instanz,
in der die definitive Placierung der dazugekommenen Libido stattgefunden hat, ver¬
schieben. In allen Handlungen wird nun dieser Anteil der Persönlichkeit stärker
berücksichtigt werden. Diese Vermutungen werden durch die Arbeit Freuds über
Kbidinöse Typen gestützt. Freud vertritt dort den Standpunkt, daß eine ver¬
schieden große Verteilung der Libido auf die seelischen Instanzen die libidinösen
Typen zur Folge hat, aber allein keine Neurose bildet.
Ganz anders, wenn der dazugekommene Anteil der Libido seine Qualität nicht
verliert, und wenn nun im Es außer der narzißtischen auch ein Stück Objektlibido,
in diesem Falle oraler Qualität, vorhanden ist. Diese Objektlibido, die nicht mehr der
Außenwelt zugewendet ist, sondern gegen das Ich vordrängt, wirkt auf den intra¬
psychischen Schauplatz wie ein Fremdkörper. Ihr Auftreten bedeutet eine Gefahr
für das Ich, das ja sozusagen vom Es wie ein Stück der feindlichen Außenwelt auf¬
gefressen werden soll. Das bisher „harmlose“ Zusammenspiel der drei seelischen
Instanzen, in dem die Entscheidungen der Gesamtpersönlichkeit nach der Art eines
* Kräfteparallelogramms stattfanden, verwandelt sich plötzlich in ein erbittertes
j Ringen. Jetzt handelt es sich nicht mehr um eine stärkere Berücksichtigung einer
der drei Instanzen, also etwa um Betätigungen, die mehr dem erotischen als dem
Zwangs- oder narzißtischen Typus entsprechen, sondern um Zerstörung einer Instanz.
Auf diese Gefahr reagiert das Ich mit dem Signal „Angst“ und versucht, vom Über¬
leb unterstützt, den Es-Angriff abzuwehren. Diese Abwehr wird durch die Bildung
des neurotischen Symptoms durchgeführt. Es handelt sich dabei immer um ein
Kompromiß, in dem niemals das Es vollkommen unterdrückt erscheint. Ein Teil
des Ichs geht verloren und wird vom Es besetzt, das um diesen Preis auf eine voll¬
kommene Eroberung der Ichs verzichtet. Dieser vom Es besetzte Anteil des Ichs,
der nun nach den Gesetzen des Es verändert wird, wird dort, wo wir mit einem
, Symptom zu tun haben, von dem übrigen, gesund gebliebenen Anteil des Ichs als
I, Fremdkörper betrachtet. Er ist Ich-fremd und das Ich versucht ihn abzustoßen.
Wir wissen, daß es (z. B. bei neurotischen Charakteren, Perversionen, Psychosen) Ab¬
wehrmechanismen gibt, in denen dieser Sachverhalt komplizierter aufgebaut ist.
290
Vorläufige Mitteilungen
Nicht nur das Ich wird teilweise vom Es besetzt, so daß wir in der Neurose
die Es-Wünsche als Ich-Funktionen maskiert vorfinden, auch Teile des Über-Ichs
werden vom Es überschwemmt; ich will an dieser Stelle an die Sexualisierung der
Moral erinnern.
Die nachfolgende Tabelle zeigt schematisch die Aufteilung der beiden Trieb-
gemische auf die einzelnen Instanzen.
THANATOS £ffOS
AGGRESS/ONSTRIE BGeMlSCH
SEXUALTRIEBGEMISCH
ÜBER-
ICH ICH
ANALE STUFE
GENITALE STUFE
REFERATE
Aus der Literatur der Grenzgebiete
STEHR ALFRED, S.-R. Dr. med., Dr. rer.polit.: „Arzt, Priesterarzt und Staatsmann.“ I. Teil:
Ärztliche Synthese, 2. Teil: Arzt und kranke Kultur. Verlag der Ärztlichen Rundschau,
Otto Gmelin, München 1933, m Seiten.
In seinem eigenartigen Büchlein versucht der Verfasser Erfahrungen und Gedanken, die
ihn bald 40 Jahre beschäftigt hatten, zusammenzufassen und niederzulegen. „Die Harmonie
des menschlichen Strebens überhaupt, die Gesundung der sozialen Formen, die Findung des
gleichen Weges für alle Menschen erschien mir einer Lebensarbeit wert.“
Frühzeitig fühlte er sich von einem Forschungsgebiet angezogen, das später unter .dem
Titel „Soziale Hygiene“ bekannt wurde, im Sinne dner Sozialwissenschaft, „welche nicht nur
Vorteile und Schädigungen der wirtschaftlichen Technik behandelt, sondern auch die der
sozialen Gesundung dienenden Berufsgruppen des Priesterarztes — des Arztes im en¬
geren Sinne und des Sozialarztes — zusammenfaßt und auf ein gleiches Ziel einstellt“. Dieses
Studium der Sozialpolitik und der Staatswissenschaften drängte ihn schon vor 30 Jahren zu
einer Synthese, die auch in seinem doppelten Doktorat seinen Ausdruck fand (Dr. med. und
Dr. rer, polit.). So entstand in ihm der Gedanke, dem ärztlichen Denken auch innerhalb
der politischen Welt dominierende Stellung zu verschaffen, und die Weltanschauung des
Staatsmannes mit der des Arztes zur Deckung zu bringen.
Die Arbeit zerfällt in zwei 'Teile. Im ersten Teil sucht er den Entwicklungsgang des Arzt-
tums aufzuzeigen, mit den sumerischen Zeiten anhebend, über das Hippokratische Zeitalter
hin bis in die Neuzeit, vergißt weder die Machtstellung des katholischen Christentums mit
seinem christlichen Priesterarzte, noch die Probleme der modernen sozial-kapitalistischen
Weltordnung, um seine Grundsätze herauszuarbeiten, welche Ärzte, Priesterärzte und Staats¬
männer in die gleiche Richtung ärztlichen Handelns einstellen sollen. Im zweiten Teil
schildert er erst die Pathologie der europäisch-amerikanischen (abendländischen) Kultur, das
Versagen der Autorität des christlichen Prinzips und argumentiert mit dem Versailler Ver¬
trag, der bestimmt, „was dem deutschen Volk geraubt werden soll, und wie der Raub be¬
sonders unter die Nachbarn Deutschlands verteilt wird“. Er schildert den Niedergang von
Staat und Wirtschaft und schließlich an Hand von eindringlichem Zahlenmaterial die Ent¬
artung von Familie und Nachwuchs.
Ob die von ihm vorgeschlagenen Wege zur Therapie der Kultur gangbar sind, darüber
muß wohl die Zukunft entscheiden. Zur Gesundung der internationalen Beziehungen durch
das christliche Prinzip schlägt er z. B. vor, „den Zankapfel Elsaß-Lothringen nach Schweizer
Muster zu neutralisieren, mit oder ohne Anschluß an die von der gleichen alemannischen
Bevölkerung bewohnten Schweiz, so daß Frankreich und Deutschland sich überhaupt nicht
mehr berühren“. Er fordert Hebung der Staatsautorität und Sicherung eines Existenzmini¬
mums usw. Vor allem sei „die krebsartige Wucherung des individual-kapitalistischen Wirt¬
schaftssystems“ zu bekämpfen.
Er empfiehlt, „die großen christlichen Feste mehr für Gesundung und Neuaufbau der
Familie nutzbar zu machen“, z. B. Weihnachten als Gelegenheit zu verwenden, um das Thema
»Kind und Zukunft des Volkes“ der Neuzeit angepaßt in Vorträgen (Predigten) zu erörtern
und dieses Fest zugleich zum Ehrentage der Mutter als Gebärerin der Zukunft zu gestalten
und Ostern als Fest des Geistes zum Ehrentage des Familienvaters zu erheben usw. „Hier
liegen“, bemerkt der Verfasser, „noch reichliche Möglichkeiten für den Priesterarzt“.
Mit einem sozialpolitischen Gesundungsprogramm schließt die Arbeit. „Die Angehörigen
292 Referate
der freien Berufe" — so können wir da lesen — „sind entsprechend anzuhalten, ein unangreif¬
bares Familienkapital zu bilden." Der Autor fordert Gesundung des Familiensinnes, „Drosse¬
lung der nächtlichen Genüsse, Förderung der Domestikation durch einfachste Ffeimstätten
mit Radioanschluß in jeder Wohnung", Musik zu den Mahlzeiten, Ausrottung der Aso¬
zialen usw.
Schließlich tritt er warm für die Versöhnung der abendländischen Völker ein, „damit sie
gewappneter seien gegenüber dem bedrohlichen Wachstum der asiatischen Völker^ die auf
dem Sprunge stehen, die europäisch-amerikanische Kultur zu verdrängen".
„Gegen dieses drohende Unheil hilft keine Vogel-Strauß-Politik. Es gilt, rechtzeitig eine
gemeinsame Plattform des Handelns zur Rettung der kranken europäisch-amerikanischen
Kultur zu formen." 5^
Aus der psychiatrisch-neurologischen Literatur
OBERHOLZER E.: Zur Differentialdiagnose psychischer Folgezustände nach Schädeltraumen
mittels des Rorschachschen Formdeutversuchs. Vorläufige Mitteilung an Hand der Aus¬
wertung eines Einzelbeispiels. Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie,
Die Besprechung der obenstehenden Arbeit auf eine Einladung der Redaktion hin bedarf
an dieser Stelle wohl noch einer sachlicheren Begründung als nur der Feststellung, daß es be¬
sonders Psychoanalytiker waren, die den Rorschachschen Versuch der Psychoanalyse dienst¬
bar zu machen versucht, und mit ihm auch andere Gebiete der Psychiatrie betreten haben.
Die vorliegende Arbeit stellt eigentlich das Gegenstück zu Rorschachs zweiter Ver¬
öffentlichung dar, der einzigen, mit der er selber seine „Psychodiagnostik"^ noch weiter¬
führen, und in ihrem letzten Drittel zusammen mit Oberholzer den Versuch selber mit
der Psychoanalyse verknüpfen konnte, mittels der bedeutsamsten Versuchsfaktoren, der
Kinästhesien und der Farbantworten. In jenem Falle^ handelt es sich um die eingehende
Ableitung und Darstellung einer einzelnen komplizierten Neurose aus dem Versuchsprotokoll
und die Konfrontierung des Psychogramms mit dem aus der Psychoanalyse Oberholzers
gewonnenen Bilde; hier bei einem klinisch strittigen posttraumatischen organischen Syn¬
drom noch um ein weiteres, um die Differenzierung des organischen Symptomenanteils vom
rein neurotischen bzw. unfallneurotischen. Es war auch offenbar die Absicht des Ver¬
fassers, dem bisher einzigen ausführlich publizierten Beispiel eines Psychogramms ein zweites
mit wesentlich anderen Anomalien, solchen der intellektuellen Leistungsfähigkeit, beizufügen.
Ein Versuch, der so weit auseinanderliegende psychiatrische Krankheitsbilder, wie eine
Neurose und ein organisches Syndrom aufzufangen und wiederzuspiegeln vermag, daß seine
Ergebnisse denjenigen der Psychoanalyse bzw. der psychiatrisch-neurologischen Befundsauf¬
nahme standhalten können, verdiente grundsätzlicheres Interesse und eingehendere Pflege als
ihm bis jetzt beschieden waren. Mußte doch jeder eingehenderen Veröffentlichung über
eine Untersuchung mit dem Rorschachschen Versuch eine Darstellung des Experimentes
vorausgeschickt werden; auch der vorliegenden.
Hier sei nur soviel hervorgehoben: Der Rorschachsche Versuch ist ein Wahrnehmungs¬
experiment. Seine Voraussetzung, daß schon im Wahrnehmungsvorgang des einzelnen die
1) Rorschach, Psychodiagnostik, Methodik und Ergebnisse eines wahrnehmungsdia¬
gnostischen Experimentes (Deutenlassen von Zufallsformen). Ernst Bircher Verlag in Bern
und Leipzig 1921. Zweite Auflage Hans Huber Verlag, Bern 1932.
2) Rorschach, Zur Auswertung des Formdeutversuchs für die Psychoanalyse. Nach
dem Tode des Verfassers herausgegeben von Emil Oberholzer. Zeitschrift für die ge¬
samte Neurologie und Psychiatrie, 82, 1923, Festschrift für Bleuler. Abgedruckt in der
zweiten Auflage der „Psychodiagnostik".
Referate
293
ganze Persönlichkeit mit ihrer Intelligenz, ihrer Begabung, ihrer Erlebnisfähigkeit und auch
ihren allfälligen psychischen Störungen enthalten sei, wird durch seine Ergebnisse immer
wieder bestätigt. In der Erfassungs- und Verwertungsmöglichkeit dieses individuellen Wie
der Wahrnehmung liegt zugleich das Wesentliche und Ingeniöse des Rorschachschen
Versuchs.
Zehn festgelegte und in gleicher Reihenfolge präsentierte Zufallsbilder bieten ungezählte
Wahrnehmungsmöglichkeiten, von denen die jeweils gegebenen Deutungsantworten die
Grundlage der Versuchsfaktoren bilden. Zu den wichtigsten gehören: das Prozent der
gut gesehenen Form-, das der Tier-, der Original- und der Vulgärantworten; die Anzahl
der Bewegungs- und der Farbantworten, ihr gegenseitiges Verhältnis = der Erlebnistypus,
Rorschachs typologisches Koordinationssystem sozusagen; dann die Erfassungsmodi, der Er¬
fassungstypus der gesehenen Entitäten und ihre Sukzession bei den einzelnen Tafeln. Diese
Werte, bzw. ihr gegenseitiges Verhältnis, behalten für das Individuum eine auffällige Kon¬
stanz, mögen auch die Inhalte der Antworten bei verschiedenen Aufnahmen wechseln. Dies
gilt auch von den beiden Versuchen des vorliegenden Falles.
Oberholzer skizziert zuerst die verschiedenen kaum zu vereinenden Auffassungen über
die psychischen Unfallsfolgen nach Schädel- und Hirntraumen* gibt dann die Darstellung
eines solchen Gutachtenfalles, wie er von verschiedenen Experten psychiatrisch — nicht
neurologisch — im wesentlichen gleich gesehen, aber verschieden interpretiert wurde, einmal
als Unfall- (Begehrungs-) Neurose, dann als organischer Defektzustand, und fügt zwei im
Abstand von zehn Tagen auf genommene Rorschachsche Versuche an, den ersten nur als
Verrechnung, den zweiten als Beispiel eines vollständigen Protokolles wie es zum eigent¬
lichen Psychogramm unerläßlich ist. Zum Vergleich ist noch das Versuchsprotokoll samt
Verrechnung eines gesunden Intelligenten beigegeben.
Als ganz augenfällige Abweichung von diesem Normalbefunde zeigt sich eine schwere
Beeinträchtigung der Erfassungsmodi, der Repräsentanten der intellektuellen und logischen
Funktionen, was allein eine Neurose ausschließt. Im einzelnen sind es hier die Ganzant¬
worten vor allem, die fehlen bzw. durch sekundäre, konfabulierte G. ersetzt sind, die durch
ihren stereotypen Inhalt auch noch die organische Perseveration demonstrieren. Andere
Versuchsfaktoren, wie das schlechte Form- und das hohe Tierprozent, der Mangel an
Kinästhesien und die ungewöhnlich lange Versuchsdauer, gestatten dem Verfasser Funktion¬
störungen und Defekte der psychischen Leistungsfähigkeit einzeln abzuleiten und herauszu¬
stellen: Erschwerung und Verlangsamung der psychischen Vorgänge, mangelnde Präsenz und
Assoziationsarmut, Schwerbesinnlichkeit und Schwerfälligkeit, Perseveration im Dienste von
Verlegenheitskonfabulationen, Hilflosigkeit gegenüber höheren Anforderungen und ver¬
wickelter Aufgabenfolge, Mangel an Kombinationsfähigkeit, leichte Kritik und Urteilslosig¬
keit und eine leichte Merkfähigkeitsstörung. Nicht nur die Ausfälle zeigt dieser Versuch^
sondern auch die ursprüngliche Intelligenzstufe und den Grad der noch erhaltenen Wahr-
nehmungs-, Auffassungs- und Aufmerksamkeitsfähigkeit, und zwar an den vorwiegend guten
Formen mit den nicht stereotypen Inhalten der Detailerfassungen. Aus anderen Faktoren
wie den Kleindetailantworten geht hier beides, Verlust und Besitzstand, hervor.
Hinsichtlich der Affektivitätsstörung läßt der Mangel an stabilisierenden Bewegungsant¬
worten eine Affektlabilität, und Zahl, Qualität sowie gegenseitiges Verhältnis der Farbant¬
worten eine große Emotivität annehmen. Die Stärke der Farbantworten schließt eine psycho¬
gene Depression aus. Daß die Einbuße an intellektueller Einfühlung und Anpassung größer
sein muß als die affektive Ansprechbarkeit, geht aus dem Verhältnis der Vulgärantworten zu
den Farbantworten hervor.
Die Zusammenfassung der Interpretationen des bisherigen Versuchsbefundes kann sich' nur
^uf einen Defektzustand im Sinne des organischen Syndromes beziehen* Differentialdia¬
gnostische Abgrenzungsmöglichkeiten des Rorschachschen Versuchs gegenüber anderen or-
Int. Zeitschr. t Psychoanalyse, XXI/2
20
294
Referate
ganischen Syndromen und gegenüber der Oligophrenie und die Kenntnis der Ätiologie lassen
diesen Befund noch genauer als posttraumatischen Schwächezustand (Kräpelin) oder post¬
traumatische Hirnleistungsschwäche (Poppelreuter) präzisieren. Damit ist aber nicht
alles ausgeschöpft. Ein Farbenschock, d. h. der direkt oder indirekt nachzuweisende Stupor
gegenüber den farbigen Tafeln, weist auf eine neurotische Komponente neben deni organi»
sehen Befunde. Qualitative Identität der beiden Versuchsbefunde und fehlende anatomische
Deutungen sprechen gegen Versicherungs- bzw. Rentenneurose und machen eine sekundäre
Psychoneurose wahrscheinlich.
Im Resume, das nur den Weg, nicht jeden einzelnen Stützpunkt angeben kann, muß diese
Ableitung an Reiz und Überzeugungskraft einbüßen. Auch so wirkt die Übereinstimmung
dieser Blinddiagnose mit den gutachtlichen Schlußfolgerungen des zweiten Experten, Doktor
Brun, verblüffend: ...Verschiedene objektive neurologische Symptome, die zweifellos als
Residuen einer organisch-zerebralen Herdläsion aufzufassen sind ... Auch die psychiatrische
Prüfung ergibt das eindeutige Bild eines mittelschweren organisch-psychischen Defektzu¬
standes ... Keine Simulation oder auch nur Aggravation — Gegenwärtig Erscheinungen
einer sekundären Psychoneurose...
; Daß diesem Resultate über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt, wegen der
diagnostischen Unsicherheiten gerade auf einem Gebiete, das in der hochentwickelten
schweizerischen sozialen Unfallgesetzgebung und der damit zusammenhängenden ausgedehnten
psychiatrisch-neurologischen Gutachtertätigkeit eine besondere Rolle spielt, ist von zuständi¬
ger Seite schon erkannt worden. Blum nennt in einer Arbeit „Zur Begutachtung von
Hirn- und Schädeltraumen“ (Schweizerische Medizinische Wochenschrift, 1933, Nr. 30) An¬
wendung und Ausbau des Rohrschachschen Versuchs beim Hirntraumatiker durch Ober¬
holzer eine wertvolle Bereicherung der Untersuchungstests.
Beim Vergleich des klinischen Untersuchungsergebnisses mit dem Psychogramm, den Ver¬
fasser im einzelnen nun durchführt, tritt eine wesentliche Eigentümlichkeit des Rorschach-
schen Versuchs, nämlich auf die formal-strukturellen Momente alles Psychischen, nicht auf
dessen Inhalte abzuzielen, hier weniger gut demonstrierbar hervor als in anderen Fällen. Wie
den Inhalten der Deutungsantworten nur bedingte Bedeutung zukommt, so erfaßt der Ror-
schachsche Versuch die psychischen Inhalte nur indirekt und in zweiter Linie. Bei einer
Neurose beispielsweise verrät der Rorschachsche Versuch ein Konversionssymptom, aber nicht
notwendigerweise die spezielle hysterische Lähmung oder Frigidität; er zeigt die Angst an,
aber nicht die Phobie oder den freien Angstanfall.
Dieser Mangel an Anschauung läßt den Versuch lange spröd erscheinen, bis allmählich
auch die Verrechnungen ihr Leben bekommen und dann den ganzen Vorsprung dieser ab¬
strakt-formelhaften funktionellen Darstellungsweise vor jeder klinischen Beschreibung und
Typisierung enthüllen. Gewiß ist auch das Ziel des Rorschachschen Versuchs kein anderes
als die Verrechnung zu interpretieren, ihr also im Psychogramm sprachlichen Ausdruck zu
geben. Aber es ist doch etwas grundsätzlich anderes, ob eine Funktionsstörung oder eine
Persönlichkeit in einen festen Typus eingeordnet bzw. beschrieben wird, oder ob ihnen in
einem so umfassenden Bezugssystem ihr zugehöriger Ort bestimmt werden kann.
Eine zweite Schwierigkeit des Rorschachschen Versuchs besteht darin, daß man sich für
das Psychogramm trotzdem nie mit der Verrechnung allein begnügen kann, sondern stets
die Stellung der einzelnen Faktoren zueinander und die Genese jedes einzelnen, also stets
das ganze Versuchsprotokoll mitberücksichtigen muß, was die vorliegende Arbeit, die auf
Schritt und Tritt über das rein Rechnerische und Zahlenmäßige des Befundes hinausgeht, be¬
sonders eindringlich illustriert.
Weitere Schwierigkeiten bereitet die Notwendigkeit der ebenso unerläßlichen wie nicht
eben leicht zu erwerbenden Erfahrung mit dem Rorschachschen Versuch, und sie erklären
vollends seine eingangs festgestellte geringe Verbreitung. Wie die korrekte Bewertung und
Referate
295
Formulierung einer Antwort die Kenntnis vieler Deutungen der gleichen Entität zur Vor¬
aussetzung haben muß, so müßten einem bei der Aufstellung eines Psychogramms die Durch¬
schnittswerte und die Verhältnisse von normalen Versuchsbefunden und die der hauptsäch¬
lichsten psychiatrischen Krankheitsbilder präsent sein, von den Oligophrenien zu den Schizo¬
phrenien und von den Neurosen zu den organischen Syndromen.
Für das Gebiet, dem Verfasser diese vorbildliche Analyse eines Einzelfalles entnahm, hat
er auch die als letzte Schwierigkeit erwähnte Aufgabe erfüllt, in einer Arbeit, die unter dem
gleichen Titel im Bericht über den 1 . Internationalen neurologischen Kongreß in Bern 1931
erschienen ist.
Die Sprödigkeit ihrer Resultate und all die erwähnten Schwierigkeiten mögen manchen
vom Rorschachschen Versuch abschrecken. Doch von den reichen Möglichkeiten, die ihre
Überwindung bieten kann, ist das referierte Beispiel einer Differentialdiagnose nur eine.
Und darf nicht die Psychoanalyse selber dafür angeführt werden, daß gerade in das frucht¬
barste psychologische Neuland besonders mühselige Wege führen? F. Weil (Basel)
Psychotherapeutische Praxis, Vierteljahrsschrift für praktische ärztliche Psychotherapie, Her¬
ausgeber Dr. Wilhelm St ekel, Band i, Heft 3.
Der erste Artikel von A. Kronfeld (Berlin) hat den Titel: „Gibt es einen Tod an
Neurose?“ A. Kronfeld bejaht die Möglichkeit eines Todes durch Neurose, er weist auf
die intensive Beteiligung der Vaguserscheinungen am körperlichen Ablauf bestimmter Affekte
hin und spricht die Ansicht aus, daß bei entsprechender Intensität des Affekts und ge¬
nügender körperlicher Disposition auch jenseits des Status thymicolymphaticus ein Herztod
durch neurotische Reaktion beobachtbar sei. Er illustriert seine Annahme durch den Fall
eines Turnlehrers, den die Angst vor gerichtlicher Verfolgung wegen sexueller Delikte an
halbwüchsigen Mädchen unter Erscheinungen eines vagalen Kollapses zum Tode führte. Er
meint, daß die Angstreaktion in diesem Falle so intensiv ausgefallen sei, weil aus den Ver¬
gehen neben der kriminellen Schuld auch die infantile Schuld wirksam wurde und dadurch
die Angst des Patienten aus Kastrationsangst, Vitalangst und Gewissensangst sich zusammen¬
setzte und so eine übermächtige Quantität erlangte.
Der zweite Fall, den Kronfeld berichtet, litt an einer nervösen Eßstörung, die, wie die
kurze analytische Untersuchungszeit ergab, deutlich infantilen Motiven, Phantasien und
Wunschvorstellungen ihre Entstehung verdankte. Die Patientin aß sehr wenig und nahm
sofort nach jeder Mahlzeit regelmäßig Abführpillen, bis dreißig Tabletten täglich neben
Bitterwasser und Sennatee, um möglichst schleunig den „Unrat“ aus ihrem Leib zu ent¬
fernen. Kronfeld leitet aus der kurzen Krankengeschichte als neurosenätiologische Basis
einen phallisch-aggressiven Charakter, maßlosen Penisneid, Übernahme der männlichen Rolle,
latente Homosexualität, Haß- und Rivalitätsgefühle gegen beide Geschlechter ab. Vielleicht
betont er die aus dem Material deutlich sichtbare Angst vor der Gravidität und die Abwehr
der Schwangerschaftsphantasien zu wenig. Die neurotische Erkrankung führte zum Tode der
Patientin durch enorme Abmagerung und Verhungern.
W. Bircher (Zürich) schreibt „Vom Nervenzusammenbruch“. Er faßt den Nervenzu¬
sammenbruch als ökonomisches Problem und spricht mit Ja net von einem „konstanten, in¬
dividuellen Einkommen an ,energie psychique*“. Er unterscheidet zwei Formen des Nerven¬
zusammenbruchs; die eine sei bedingt durch mangelnden Zufluß aus der Quelle der psychi¬
schen Energie beruhe also auf biologischer Basis. Er nennt als Ursache dieser Form Mangel
an akzessorischer Nahrungsfaktoren (Mangel an bestimmten Mineralsalzen, Vitaminen,
Lipoiden, Enzymen usf.), Übermaß an Toxinen, Eiweißspaltprodukten, Alkaloiden, Allergenen,
mikrobiellen und chemisch noch nicht faßbaren Giften, Stoffwechselleiden, Zirkulations¬
störungen, Zahnwurzelgranulom.
Die zweite Form, der der Aufsatz sich hauptsächlich widmet, wurzle in der schlechten
20 ^
2 g 6
Referate
Verteilung der psychischen Energie. Ein angeführter Fall wird durch Muskelentspannung»
Atemübungen, vor allem Summen in verlängerter Ausatmung zur inneren Konzentration
gebracht und so in ihm aus der „Anarchie des Denkens“ langsam eine „Hierarchie der
Werte“ gebildet. Überhaupt sei die wichtigste Aufgabe des Psychotherapeuten, seinem Pa¬
tienten zu helfen, in den Geschehnissen seines Schicksals den Sinn aufzudecken oder zu
schaffen. Die Sinngebung setzt die Anerkennung der Naturgesetzlichkeit voraus und führt
zum transzendenten, religiösen Sinn hin. „Wenn aus Sinnlosigkeit Sinn wird, wird auch Liebe
aus Haß oder Angst; so werden Sinn und Liebe eins.“
„Biopsychische Betrachtungsweise des Asthmas“ ist der Titel eines Artikels von A. Fried-
länder (Freiburg i. Br.), wobei er unter „biopsychisch“ die Mischung von seelischer mit
körperlicher Therapie versteht; so etwa wird möglichst flüssigkeitsarme Kost, reichliche Er¬
nährung, bei auftretenden Beklemmungen warmer Stamm- und kalter Kopfumschlag, und
täglich mehrmalige Atemgymnastik nach erteilter Anweisung, kombiniert mit aufm.unternder
und hypnotischer Behandlung, eventuell St ekelscher Analyse. Der Verfasser ist dafür,, daß
der Arzt in das krankhafte Geschehen möglichst wenig mit Arzneien eingreife, sondern daß
er bestrebt sei, „die natürlichen Abwehrkräfte des Körpers naturgemäß zu unterstützen“.
„Zur Psychotherapie des Asthma bronchiale“ schreibt Ernst Jolowicz (Paris). Er tritt
vor allem für die psychische Behandlung des Asthmaleidens ein und schildert an einigen
Fällen die durch oberflächliche Analyse zutage geförderten affektiven Anlässe der Erkran¬
kung, bzw. der einzelnen Anfälle (Fixierung an die Mutter, unterdrückter Zornaffekt usw.).
Die kathartische Entladung führe zur Kupierung des Anfalls. Der Verfasser meint, daß der
Psychotherapie auch für Fälle mehr somatischer Genese ein größerer Spielraum eingeräumt
werden muß.
„Experimenteller Hypnotismus“ nennt sich ein Artikel von J. Fla tau (Berlin). Der
Verfasser versteht darunter, „daß i. Versuche anzustellen seien, was das Wesen des Hypno¬
tismus, wieweit die Wirkung der sogenannten hypnosigenen Mittel, und 5 as Verhalten der
Hypnotisierbarkeit dem experimentellen Hypnotismus zuzurechnen seien. 2. Sind psy¬
chische und psychophysische Verhaltensweisen und Abläufe normaler und nicht normaler
Art unter Einwirkung des Hypnotismus zu studieren.“ Der Verfasser meint, der experimen¬
telle Hypnotismus habe differenzialdiagnostische und forensische Bedeutung. Er breitet sich
über die differenzialdiagnostische Bedeutung weiter aus und schildert zwei Fälle von un¬
klarem Erbrechen, die durch hypnotische Exploration und Untersuchung als hysterisch
sichergestellt wurden. Es gelte durch den experimentellen Hypnotismus Krampfzustände,
Veränderungen der Herztätigkeit, Erröten und Schwitzen zu erzeugen und zu überprüfen.
Fla tau tritt für die Hypnose als Therapie ein, meint allerdings, es müsse sich um eine
dem Fall angemessene Beeinflussung handeln, „deren Weg sich aus dem, was die Analyse ge¬
bracht hat, ergeben wird“.
A. Gallinek (Amsterdam) erscheint mit einer Mitteilung über „Sexualtrieb.und Eisen¬
bahn“, ausgehend von einem Fall, der durch zwanghaftes Eisenbahnfähren, eventuelles
Schwarzfahren im dicht besetzten Abteil zur Sexualbefriedigung kam. Verfasser spricht von
„Eisenbahnfetischismus“ und versucht, ihn auf infantile Erlebnisse zurückzuführen. Als
tiefste Determinante nimmt er die „animale Lust“ an der Fortbewegung an, die er mit
J. H. Schulz von sexuellen Gefühlen unterscheidet. R. Stcrba (Wien)
Aus der psychoanalytischen Literatur
BENEDEK, THERESE: Some Factors Determining Fixation at the Deutero-Phalüc Phase.
Int. Journal of PsA., XV/4.
Frau Benedek knüpft in dieser Arbeit theoretische Überlegungen an eine ausführliche
klinische Studie über einen Fall von Homosexualität, der nach dem Typus eines über-
Referate
297
kompensierten Flasses, wie ihn Freud in seiner Arbeit „Über einige neurotische Mecha¬
nismen bei Eifersucht, Paranoia und Homosexualität“ beschrieben hat, gebaut war; sein
ursprüngliches Objekt war aber in diesem Falle kein Bruder, sondern der Vater selbst
gewesen. Der Patient war aus Kastrationsangst auf der „deutero-phallischen“ Stufe fixiert
und wies neben seiner Perversion phobische und paranoide Züge auf.
Der Patient war ein einziges Kind. Als er elf Jahre alt war, starb sein Vater. Am Anfang
der Analyse glaubte er, ihn nur zu lieben. Die Mutter war eine strenge und in Zärtlich¬
keiten sehr zurückhaltende Natur. Dennoch war der Patient noch als Erwachsener von
ihr, die ihn wie ein Kind behandelte, völlig abhängig. —- Im ii. Lebensjahre wurde der
Patient homosexuell verführt; im 17. und 18. versuchte er kleinere Annäherungen an
Frauen, seither war seine Sexualbetätigung ausschließlich homosexuell. Das Merkwürdige
war, daß er seine homosexuellen Objekte offenkundig nicht liebte; vielmehr, war er bestrebt,
so zu werden, wie sie, er beneidete sie um ihre Männlichkeit. Er fühlte im Verlaufe der
Analyse, daß der homosexuelle Verkehr für ihn einen Kampf bedeutete, jeder einzelne Akt
eine Introjektion, durch die er sich ihm fehlende Männlichkeit zu holen suchte. Der Akt
bedeutete für ihn; ein Vater stärkt die Männlichkeit seines Sohnes und macht ihn zu
einem Manne, wie er selbst einer ist. — Dabei interessierte den Patienten am Manne im
Grunde einzig der Penis. Er beobachtete die sinnliche Erregung des Partners, hatte dabei
wenig zärtliche Gefühle und wechselte häufig und leicht die Objekte. Er war narzißtisch-
phallisch orientiert. — Frauen erschienen ihm als ideale asexuelle Wesen, die doch nur
Männer nehmen, die männlicher sind als er selber. Sein Über-Ich war ein mütterliches.
Die Psychoanalyse ergab: Grundlegend war die Angst vor dem weiblichen Genitale als
vor einer Kastrationsgefahr. Im Vordergründe standen schwere Hemmungen einer ge¬
steigerten Exhibitions- und Schaulust. Er vermied auf jede Weise, etwas „intim Weib¬
liches“ zu sehen, je männlicher die Objekte seines Schautriebs, desto besser. In seiner frühen
Kindheit war dieser Schautrieb noch ungehemmt gewesen. Die Hemmung begann im vierten
Lebensjahre, als der Patient eine zweimalige Phimosenoperation erfuhr. (Die vorangegangene
„konservative Behandlung“ der Phimose hatte die Peniserogeneität frühzeitig geweckt bzw.
gesteigert.) Von der Operation an wollte das Kind nicht mehr zur Mutter ins Bett, sondern
einzig zum Vater. Er wählte nunmehr den Vater zum Objekt, aber weniger in einer
Mutteridentifizierung, als vielmehr in einer Art narzißtischer Identifizierung mit ihm selbst.
Diese war von seiner „Objektliebe“ nicht zu trennen und wurde die Hauptkomponente
seiner Libidoökonomik. Es war deutlich, daß Erlebnisse, die unbewußte Erinnerungen an
die Mutter mobilisierten, die Homosexualität verstärkten. Er hatte u. a. die paranoide Idee,
ein Mann könnte ihn in Gegenwart seiner Mutter attackieren, und die Mutter dadurch
etwas von seiner Perversion erfahren — ein Beweis für die Bedeutung der unbewußten Be¬
ziehung zur Mutter in seiner Homosexualität. Er war auch tatsächlich in seinen Lebens¬
verhältnissen vom Urteil der Mutter und anderer Frauen sehr abhängig, wollte sich von
Frauen geliebt fühlen, meinte aber, dazu nicht männlich genug zu sein und sich erst
Männlichkeit vom Vater holen zu müssen. Die Homosexualität war ein Versuch, sein
Selbstgefühl wiederherzustellen, das ihm durch die Operation verlorengegangen war. Die
normale Über-Ich-Bildung wurde nicht vollendet, sondern der Patient behielt ein archaisches
mütterliches Über-Ich.
Vor der Operation hatte der Patient schon das weibliche Genitale gekannt und libidinöses
Interesse daran genommen. Erst als das Trauma die Kastrationsangst in die Höhe trieb, pro¬
jizierte er diese Angst auf die Mutter, die schon kastriert war. Die starke Entwicklung
des Schautriebs hatte wohl schon die Funktion, Kastrationsgedanken zu überkompensieren.
Nach der Operation fühlte er sich der Mutter gleich und rebellierte gegen diese Identifi¬
zierung.
Die Entwicklungsgeschichte der Erogeneität des Penis sei, meint Frau Benedek, noch
298
Referate
wenig studiert. Er sei zunächst ein passives (wir möchten sagen: urethralerotisches) Lust¬
organ. Nur wenn die Entwicklung der Peniserogeneität zur eigentlich „phalHschen" schon
vollzogen sei, wenn der volle Ödipuskomplex sich entwickle und untergehe, entwickle sich
das normale Bild. Dies scheine die Voraussetzung für die volle Über-Ich-Bildung nach dem
Vatervorbild.
Im vorliegenden Falle hatte die Operation den Penis des Jungen schon vorher bedroht.
Dies sei schuld daran, daß sich in solchem Ausmaße ein mütterliches Über-Ich entwickelte,
wenn nicht schon oral-sadistische Konflikte nach Klein und Jones hier den Grund gelegt
hatten, was die Analyse nicht eindeutig nachweisen konnte.
Die Ambivalenz den homosexuellen Objekten gegenüber, stammte aus den frühen
Aggressionsneigungen gegen den Vater. Auch die Strenge des mütterlichen Über-Ichs
entsprach der Stärke dieser Aggression.
Perversionen sind aus Angst vor der Sexualität erfolgende Überbesetzungen eines Partial¬
triebes, dessen Betätigung das Angstmotiv leugnet, und dessen Überbesetzung das Ich be¬
fähigt, den anstößigen Rest der infantilen Sexualität zu verdrängen. Von solcher Art
scheint Frau Benedek auch die Überbesetzung der (homosexuellen) Phallizität des Pa¬
tienten. Das erinnere an Jones’ „deutero-phallische“ Phase, einer Verstärkung des phalli-
schen Narzißmus aus reaktiven Gründen bei Steigerung der Kastrationsangst. Woher
nimmt das Ich die Energie zur Errichtung solcher Überkompensationen, solcher „Gegen¬
besetzungen“ zur Abwehr von Angst? Nach Freud aus „desexualisierter Libido“, die ge¬
wonnen wird anläßlich von Regressionen, die mit Triebentmischungen einhergehen. Die
Aggression, die bei solcher Entwicklung frei werde, entwickle, meint Frau Benedek, teils
freie Aggressionsneigung, teils schlage sie sich zum Über-Ich. Eine solche Benutzung von
Destruktionsenergie sei die wesentliche Bedingung für die Errichtung der Gegenbesetzungen
der deutero-phallischen Phase. Die Frage nach den konstitutionellen Verhältnissen der
Bisexualität könnte vielleicht damit Zusammenhängen, insofern ein größeres Quantum
Destruktion vielleicht einer gesteigerten Männlichkeit entspreche.
Zusammengefaßt: die extreme Fixierung auf einem narzißtisch deutero-phallischen Sta¬
dium ginge zurück auf i. den Zeitpunkt, in dem ein schweres Kastrationstrauma eintrat;
2. auf die Intensität dieses Traumas; 3. auf die Verhinderung der weiteren Entwicklung der
Peniserogeneität durch das Trauma, was gleichbedeutend ist mit der Verhinderung der
Entwicklung eines väterlichen Über-Ichs. — Die oralen und analen Besetzungen wurden nach
dem Trauma durch Regression wieder mobilisiert; sie wurden von ihren ursprünglichen
Zielen abgelenkt und dienten, besonders in ihren aggressiven Anteilen, dem Ich zur Er¬
richtung von Gegenbesetzungen.
Die ausgezeichnete klinische Studie von Frau Benedek scheint uns sehr interessant,
besonders der Hinweis auf die noch zu erforschende Entwicklungsgeschichte der Erogeneität
des Penis. Aber zwei Bemerkungen seien in diesem Zusammenhänge gestattet: i. Die
reaktive narzißtisch-phallische Besetzung des Penis ist von der primären aus der Erogeneität
stammenden und biologisch bedingten libidinösen Besetzung des Penis sehr verschieden. Das
beweist ja gerade dieser Fall, der ja schwer pathologisch, nämlich pervers und orgastisch
impotent war; 2. es leuchtet ein, daß die reaktiven Gegenbesetzungen des Ichs von der
Energie zielabgelenkter prägenitaler Impulse stammen. Es wurde nicht ganz klar, warum
Frau Benedek in diesem Zusammenhänge auf die „Destruktionsenergie“ und die Trieb¬
entmischung so besonderes Gewicht legt. O. Fenichel (Oslo)
EDDISON, H. W.: The Love Object in Mania. Int. Journal of PsA., XV/4.
Maniker machen krampfhafte Anstrengungen zu libidinösen Objektbeziehungen, und zwar
scheinen die Personen, die Objekte solcher Übertragungsaktionen werden, weitgehend gegen¬
einander austauschbar. Nicht einmal das Geschlecht der Betreffenden scheine wesentlich.
Referate
299
Die Beziehungen seien meist gleichzeitig sehr haßerfüllt („negative Übertragung") und vom
Charakter einer passiven Oralität (der Patient möchte für sich sorgen lassen). — Eddison
beschreibt zwei Fälle, bei denen es besonders deutlich wurde, daß sie gleichzeitig ein Objekt
zum Hassen und eines zum Erfüllen ihrer Bedürfnisse brauchten. Es handle sich dabei um
eine Re-Projektion der in der Melancholie introjizierten gehaßten Mutter.
O. Fenichel (Oslo)
HORNEY, KAREN: The Overvaluation of Love. A Study of a Common Present Day
Feminine Type. PsA. Quarterly III, 4.
Frau Horney beschreibt einen in vielen Varianten auftretenden modernen Frauentyp,
dessen bezeichnendes Merkmal eine „Überschätzung der Liebe" ist, eine Pseudohypersexualität,
die reaktiven Charakter trägt, da sich hinter ihr narzißtische und prägenitale Konflikte ver¬
bergen. Ihr Verhältnis zu Männern ist für sie von der größten Wichtigkeit, und doch bringen
sie keine dauernde Bindung zustande; ihre Sehnsucht danach hat oft den Charakter einer
„fixen Idee", während gleichzeitige Arbeitshemmungen von den Patientinnen weit weniger
bemerkt oder beachtet werden; manchmal treten diese auch erst während der Analyse in Er¬
scheinung. Alle diese Patientinnen hatten auch eine Angst, wahnsinnig oder sonstwie „nicht
normal" zu sein; in der Übertragung waren sie oft bestrebt, der Analytikerin zu zeigen, daß
sie nichts erreichen könne; erotische „Aktionen" spielten eine große Rolle. Die Patientinnen
wollten mit all dem eine Abhängigkeit von der Analytikerin vermeiden bzw. leugnen. (Sie
benutzten, möchten wir sagen, Männer, um präödipale Mutterkonflikte abzuwehren.) Das
unbewußte Ziel der Übertragungsaktionen war stets, die Eifersucht der Analytikerin zu er¬
regen oder ihr, der eine Neigung zu Sexualverboten zugeschrieben wurde, zu trotzen. Die
Ambivalenz zur Analytikerin ist groß, die Übertragung oft fast paranoid. Es ist die Ab¬
wehr der maskulinen (präÖdipalen) Homosexualität, die zum Manne treibt. Innerhalb dieser
maskulinen Homosexualität aber prävalieren sadistische und destruktive Impulse. Daß diese,
wie bei anderen Frauen, durch liebevolles äußeres Betragen überkompensiert würden, kommt
kaum vor. — Diese enorme Rivalität gegenüber den Mutterfiguren tritt besonders in der
erotischen Sphäre in Erscheinung, und zwar in der Form von Projektionen. Die Phantasie,
daß zum Zusammensein mit dem Mann ein Kampf mit der Frau nötig wäre, ist Ursache der
Schuldgefühle, die die Sexualität hemmen. Die weibliche Hauptfigur, letzten Endes die
Mutter, ist oft durch eine ältere Schwester repräsentiert, mit der die Patientin in der Kind¬
heit tatsächlich zu rivalisieren versucht hatte. Gegen die Rivalin gerichtete Vorwürfe wech¬
seln jetzt mit Selbstvorwürfen ab. — Die Angst, nicht „normal" zu sein, deckt oft eine Häß-
lichkeits- oder sonstige körperliche Minderwertigkeitsangst („schlechte Kleidung"), die oft mit
Männlichkeitswünschen abgewehrt wird, öfter aber noch durch ein übertriebenes Demon¬
strieren des Umstandes, daß man doch auf Männer Eindruck mache. — Das Minderwertig¬
keitsgefühl erweist sich in der Analyse als genital (man habe sich durch Masturbation ver¬
letzt o. dgl.); die Onanieschuldgefühle hängen mit typischen sadistischen Onaniephantasien
zusammen. Es sind allesamt Frauen mit gesteigerten oralsadistischen Konflikten. Diese
färben wohl von vornherein den von Frau Horney ebenfalls als charakteristisch für die
hohen Rivalitätskonflikte hervorgehobenen ödipuskoniplex. Aggressive Haltungen Männern
gegenüber sind zwar auch immer vorhanden, aber die Männer erscheinen hierbei als Ersatz¬
figuren für Frauen.
Im ganzen seien folgende Faktoren für die „Hypersexualität" bestimmend: Wege zu
anderen „sublimierten" Befriedigungsarten sind verlegt; homosexuell-destruktive Fixierungen
müssen überkompensiert werden; endlich weist die Analyse oft frühe sexuelle Erlebnisse
nach, die eine intensive Orgasmusangst zurückließen; die „Überschätzung der Liebe" ent¬
spricht dann einem ständigen Suchen nach etwas, was man gleichzeitig nicht finden will.
Liebe erscheint den Patientinnen als Abhängigkeit — und diese wird gefürchtet. Oft ent-
300
Referate
wickeln sie einen Despotismus, damit der Partner von der Patientin abhängiger sei als diese !
von ihm. Verletzte weibliche Eitelkeit und gesteigerte weibliche Rivalität treiben zu hohem j
Ehrgeiz an; dieser wird dann unter Umständen auf den Ehemann verschoben. Die Kon¬
flikte zwischen dem hohen Ehrgeiz und dem geringen Selbstgefühl haben dann wieder weitere ^
komplizierende Folgen. — Alle diese Voraussetzungen lassen solche Frauen oft in einen Kon¬
flikt zwischen Mann und Arbeit geraten, so daß die Psychoanalyse dieser Konflikte eine !
akzidentelle persönliche Quelle aufdeckt für diesen aus soziologischen Gründen heute so typi¬
schen Konflikt. Daß eine solche persönliche Vorgeschichte gerade heute häufig in diesen Kon¬
flikt drängt, das, sagt Frau Horney mit Recht, ist eben Folge sozialer Faktoren, die der
Analytiker als gegeben hinnehmen muß. (Aber, würden wir hinzufügen, auch das Häufiger¬
werden solcher persönlicher Vorgeschichten, auch das Hervortreten der prägenitalen ambi- j
valenten homosexuellen Fixierungen müßte selbst wieder durch „soziologische" Faktoren,
durch Änderung in Erziehung und Moral, erklärt werden.) I
Zu bedauern ist, daß Frau Horney bei der Besprechung ihrer interessanten Beobachtun¬
gen die zahlreiche analytische Literatur über „reaktive Sexualität" und ähnliche Frauentypen
nicht herangezogen hat. O. Fenichel (Oslo)
KAUFMANN, M. RALPH: Projection, Heterosexual and Homosexual. PsA. Qu. III/i.
Ein zwanzigjähriger Schizophrener beschuldigte seine Mutter, ihn sexuell zu begehren, so
daß er durch ihre Schuld nun auch seinerseits nach ihr Verlangen trage. Die Formel seiner
Abwehr lautete; „Ich liebe sie nicht — sie liebt mich.“ — Der gleiche Patient erklärte einen
Mitpatienten für homosexuell, mit dem er bis dahin nicht gut gestanden hatte; von dem
Augenblick dieser projektiven Beschuldigung an konnte er ihn besser leiden, offenbar, weil
die Projektion andere Abwehrarten überflüssig machte.
Die Projektion erfolgte beide Male nicht „ins Blaue", sondern der Patient bewies hiebei
eine feine Spürnase für das Unbewußte der Mutter und des Mitpatienten.
O. Fenichel (Oslo)
ORGEL, SAMUEL Z.: Reactivation of the Oedipus-Situation. PsA. Qu. III/i.
Orgel teilt eine Episode aus einer Analyse mit. Unter dem Eindruck von zufälligen
(übrigens nicht sehr bedeutungsvollen) Begebenheiten im realen Leben eines Patienten brach
im fortgeschrittenen Stadium der Analyse analytisches Material aus dem Bereich des Ödipus¬
komplexes mit seltener Plötzlichkeit in Übertragungsaktionen durch. Die nachträgliche ana¬
lytische Erfassung dieser Aktionen ermöglichte die Rekonstruktion der frühkindlichen Vor¬
kommnisse. O. Fenichel (Oslo)
RÖHEIM, GEZA; The Evolution of Culture. Int. Journal of PsA. XV/4.
„Die Entwicklung der Kultur": ein großes Thema. Vieles kann die Psychoanalyse dazu
beitragen. Das wesentliche Problem, das auch in den kulturphilosophischen Büchern Freuds
immer wieder gestreift wird, besteht darin, zu erkennen, wie weit die von der Psychoanalyse
aufgedeckten Begleiterscheinungen bestimmter Kulturen als Ursachen, und wie weit sie als
Folgen gesellschaftlicher Veränderungen und Institutionen aufzufassen sind. — Die Psycho¬
analyse hat Z.B. erkannt, daß die Energien, mit denen die Menschen die sogenannten '
„kulturellen Leistungen" betreiben, tatsächlich abgelenkte, sexuelle Triebkräfte sind j
(Sublimierung). Es ist wahrscheinlich, daß die relativ verlängerte Kindheit des Menschen, j
die biologische Hilflosigkeit des menschlichen Säuglings (die selbst wieder phylogenetisch er- |
klärt werden müßte) die erste Voraussetzung für die Entwicklung von „Kulturfähigkeit" war. J
Aber sicher, kann man nicht etwa deshalb in mechanistischer Weise sagen: je länger einer- a
seits die Kindheit, je länger anderseits eine von außen gesetzte Triebunterdrückung wäre, 1
desto höher wäre die Kulturstufe. (Mechanische Unterdrückung macht Verdrängung, läßt das §
Referate
301
Unterdrückte im Unbewußten unverändert fortbestehen und stört auf diese Weise alle
„sublimierten“ Tätigkeiten.) — Eine derartige mechanistische Schlußfolgerung liegt aller¬
dings auch Röheim fern. Nachdem er die Verlängerung der Kindheit als eine Bedingung
der Kulturhöhe beschrieben hat, meint er zum Schluß, eine solche Entwicklungsverzögerung
habe auch Gefahren, und sieht die heutigen Kulturschwierigkeiten als solche an. Aber er
fragt — alle Kulturprobleme nur von der psychologischen Seite her angreifend — weder da¬
nach, was wohl die Ursache der sich steigernden „Kindheitsverlängerung“ sei, noch danach,
ob die heutigen Kulturschwierigkeiten nicht auch andere äußere Ursachen in den materiellen
Bedingungen der Gesellschaft haben könnten. R 6 h e i m legt z. B. großes Gewicht darauf, daß
in höher entwickelten Kulturen das Über-Ich entwickelter (d. h. vollständiger introjiziert),
die Analerotik stärker und verdrängter sei; aber er fragt nicht nach den materiellen Ur¬
sachen solcher Veränderungen der menschlichen Triebstrukturen, sondern scheint sie für
eine Art biologischer Mutationen zu halten, die, selbst unbekannten Ursprungs, genügende
Ursache für die Kulturveränderungen wären.
Die kulturellen und nationalen Unterschiede, sagt Röheim einleitend, betreffen nicht
das Es, denn dieses sei relativ uniform. Die Unterschiede liegen vielmehr in den „Ideal¬
setzungen“. Das scheint uns im wesentlichen richtig. Nur die Abhängigkeit dieser Ideal¬
setzungen von realen äußeren Faktoren, deren Differenzen an sich wieder zu erforschen sind,
scheint uns weit stärkerer Unterstreichung zu bedürfen. Wo, wieweit und wie Triebäußerun¬
gen verboten oder zugelassen werden, scheint allerdings höchst charakteristisch für die
spezifischen Kulturen. Aber diese Differenzen müssen dann aus ihren historischen mate¬
riellen Voraussetzungen erklärt werden!
Die Manus (Margaret Me ad) nehmen „nur ein Ding ernst“, die kawas, ihre Handels¬
fahrten. Die Kinder sollen damit noch nichts zu tun haben, werden aber zu Scham in Ex¬
kretionsangelegenheiten erzogen. Die gesellschaftliche Ideologie gehe — analytisch gesprochen
— darauf aus, Libido von der Genitalität auf die Analität zu verschieben (und dann dort
noch zu verdrängen); aber dieser Prozeß scheine noch nicht alt zu sein. Das goldene Zeit¬
alter gelte dort auch als erst seit ein paar Generationen vergangen. — In Duau spielen die
kune die gleiche Rolle wie dort die kawas. Die „analen Ideale“ zeigen sich etwa beim sagari,
bei den großen Schenkfeiern. Das dort relativ gleichfalls starke genitale Element in der Cha¬
rakterbildung bringt Röheim in überzeugender Weise mit dem entwickelteren Ackerbau zu¬
sammen. Verboten sei dort das aggressiv-männliche Element, projiziert in die männliche
schwarze Kunst des har au. Auch hier bestehe ein Idealzug vom Genitalen weg zum Prä¬
genitalen hin. Das sei, sagt Röheim mit Recht, gar nicht so sehr unterschieden von
unserer Kultur, für die auch eine hohe Sexualmoral bei einer Hochschätzung des Eigentums
charakteristisch sei. — Ganz anders sei es in Zentralaustralien: kein Eigentum, kein Handel,
keine Verteilung. Aber die Männer betreiben gemeinsame Masturbation mit phallischen
Scherzen und phallischen ernsten Gebräuchen (ijurunga). Die Gesellschaft hier sei nicht
anal, sondern phallisch (mit Ausschluß der Frauen) orientiert. — Auf Samoa ist das größte
gesellschaftliche Vergehen, mehr zu wissen oder mehr zu können als die andern. Die Kinder
werden zu höchster Bescheidenheit angehalten. Sie leben nach einem moralischen „Kollektiv¬
schema“. — Die Yuma (Amerika) sind scheu und schweigsam, ein richtiges Traumvolk, und
der wesentliche Inhalt all dieser Träume sei die Urszene.
Was lehren diese Unterschiede? Bei den Primitiven seien nicht nur die Triebstrukturen,
sondern auch die Ideale weitgehend uniform und gesellschaftlich vorgeschrieben. Das müsse
Folge der Gleichförmigkeit der Erziehungsmaßnahmen sein, die diese Ideale reproduzieren. —
Wir möchten hiezu bemerken, daß uns dies richtig, aber nicht gerade ein wesentlicher Unter¬
schied zwischen primitiver und zivilisierter Gesellschaft scheint. Auch bei uns sind Ideale
und Denkweisen in einem ganz außerordentlichen Grade gesellschaftlich vorgeschrieben. Das
Problem der Kulturdifferenzen kon^zentriert sich also nach der Frage, was die Unterschiede in
302
Referate
den Idealsetzungen, in den Erziehungsmethoden und -inhalten bewirke. Macht die Ver- i
Schiebung des Akzents von der Genitalität zur Analität ein Handelsvolk oder verschiebt sich i
bei einem Handelsvolk der Akzent von der Genitalität auf die Analität?
Wir meinen, daß bei der Art, an solche Probleme heranzugehen, die größten Differenzen
zwischen der Röheimschen und meiner Auffassung liegen. j
Allerdings ist es nicht nur, wie Röhe im meint, das Über-Ich, das in verschiedenen Ge¬
sellschaften in verschiedener Weise gebildet wird und verschiedene Inhalte aufweist. Die¬
selben materiellen Momente, die auf das Über-Ich einwirken, beeinflussen auch die Trieb¬
struktur selbst. — Röhe im diskutiert nur das Über-Ich, zitiert Gegensätze in den An¬
schauungen über die Entstehung des Über-Ichs bei Freud und Klein und findet bei man¬
chen Primitiven, vor allem im Dämonenglauben, viel Analogien zu den von Frau Klein auf¬
gedeckten oralsadistischen Kinderphantasien. — Wir glauben oft. Primitive hätten ein be¬
sonders strenges Über-Ich. So stelle sich Laforgue das primitive Leben als ganz erfüllt
dar von Ängsten, Tabus und Hemmungen. Das sei nicht richtig. „Das Über-Ich ist aggressiv,
aber nicht sehr tief introjiziert.“ (Und diese Formulierung Röheims ist besonders inter¬
essant, weil eben das auch für das Kind in unserer Gesellschaft zu gelten scheint; die er¬
warteten Strafen sind übertrieben streng, die strafenden Instanzen aber noch nicht introjiziert
sondern die Strafe wird von der Außenwelt erwartet.) — In Zentralaustralien sind die
urethralen und analen Impulse ungehemmt. (Und wie entstand bei Manus und in Duau
Akzent und Hemmung dieser Impulse, wenn nicht durch Änderung der wirtschaftlichen
Grundlagen?) Entsprechend seien die Götter in Zentralaustralien nicht „gut". Es fehlen
sadistische und masochistische Perversionen, deren Voraussetzung ein strengeres, stärker trieb¬
unterdrückendes Über-Ich wäre. Dort gebe es, entsprechend dieser Triebfreiheit, weder
schmachtende Minnesänger noch ein unbewußtes Strafbedürfnis,
Im Gegensatz hiezu scheine eine stärkere Akzentuierung des Über-Ichs (der Triebverbote)
einerseits, der Analerotik anderseits Voraussetzung der in Zentralaustralien rloch mangelnden
„Zivilisation". (Aber offenbar, möchten wir nach psychoanalytischen Erfahrungen hinzu¬
fügen, sind diese Voraussetzungen der Zivilisation gleichzeitig Gefahren für sie. Und die
psychoanalytische Kulturforschung wird immer mehr nach der Frage nach den äußeren Ur¬
sachen dieser für das Weitere verantwortlichen Triebstrukturveränderungen gedrängt.) —•
In Duau, jener zivilisierteren Gesellschaft, deren Ähnlichkeit mit der unsrigen in puncto
Sexualmoral und Analerotik Röheim betont hat, spiele „Geld" eine sehr große Rolle. Auch I
darin stimmt diese Gesellschaft mit der unsrigen überein. Röheim behauptet nun, daß dem '
Geld in Duau keinerlei reale und wirtschaftliche Bedeutung zukomme, sondern daß es dort
„noch" lediglich Objekt des analerotischen Sammeltriebes sei. Dies erscheint mir äußerst
unwahrscheinlich, wir hoffen, demnächst an anderer Stelle zu zeigen, warum. Eine Kontrolle
der diesbezüglichen Ansichten Rö heims wäre nur möglich bei genauer Kenntnis aller in der ^
Duau-Gesellschaft herrschenden wirtschaftlichen Momente, die uns Röheim nicht vermittelt, j
Immer noch hält Röheim die wirtschaftliche Funktion des Geldes für eine „Rationali- f
sierung" einer irrationalen analerotischen Funktion desselben; „Die Leute ersehnen nicht i
eigentlich Geld, weil man dafür Dinge kaufen kann, sondern man kann für Geld Dinge j|
kaufen, weil die Leute es ersehnen." Und er nennt den Zustand eines solchen „analeroti- ll
sehen" Geldes den „narzißtischen Kapitalismus". — Dagegen ist es selbstverständlich 41
wieder richtig, daß erst in einer Gesellschaft mit verstärkter Analerotik und verstärkten {J
Analkonflikten, mit introjizierterem Über-Ich und mit' der Existenz von Geld und Han- |
del (welche von diesen Kriterien sind primär, welche sekundär?) das aufzutreten be- fl
ginnt, was wir „Analcharakter" nennen. Röheim meint, aus Befunden, wie daß nur bei S
solchen Völkern Ackerbau und später Handel zu finden sind, zwingend den Schluß ziehen ||
zu müssen, daß Libidoverschiebung die Gesellschaft verwandle. Aber vielleicht bedingt auch
auf andere Weise erzeugte Gesellschafts Veränderung Libido Verschiebung? Mag sein, daß fl
Referate
303
„wichtige Ich-Veränderungen“ oft „nicht das direkte Resultat der Anpassung an die Umwelt“
sind, „sondern des Drucks des Über-Ichs auf das Ich“; denn das Über-Ich (bzw. die Straf¬
androhung) ist nun einmal das Mittel, mit dem vorwiegend (aber nicht einzig) eine Gesell¬
schaft ihre Individuen umstrukturiert, ihre Ideologie reproduziert. Nennen wir aber alle
diese hundertfachen Weisen, in denen durch gesdlschaftliche Institutionen Menschen zu für
die Gesellschaft charakteristischen Triebstrukturen und Idealsetzungen gezwungen werden,
„Über-Ich“ — so wird eben der Schluß gerade problematisch, den Röheim nunmehr zieht:
Weil das eigentliche „Über-Ich“ bei unseren Analysanden anläßlich des Unterganges des
Ödipuskomplexes entstehe, müsse für alle die in Rede stehenden Differenzen der Ödipus¬
komplex verantwortlich sein. Wie weit das der Fall ist, sollte eben erst Gegenstand der
Untersuchung sein, während Röheim hier das Vorurteil vom Ödipuskomplex in seinem
engsten Sinne als et origo** aller Dinge mitbringt. Der Unterschied scheint ihm ledig¬
lich darauf zu beruhen, daß die „Verlängerung der Kindheit“ mit dem Fortschreiten des kul¬
turellen Prozesses zunehme. Daß diese sogenannte Verlängerung der Kindheit direkte Folge
materieller Realitäten sein könnte, kommt Röheim selbst dann nicht in den Sinn, da er
selbst nicht nur die Erreichung der ökonomischen Unabhängigkeit als Kriterium des Ab¬
schlusses der „Kindheit“ angibt („ein Pitchentara-Kind erreicht einen beträchtlichen Grad
ökonomischer Unabhängigkeit, wenn es sechs oder sieben Jahre alt ist“); sondern da er sogar
schreibt: „Aber wir finden den gleichen Unterschied bei uns daheim, wenn wir Kinder der
Bauernschaft oder des Proletariats mit denen der Aristokratie oder der reichen Bourgeoisie
vergleichen.“
Daß bestimmte Sitten und Gebräuche, die direkt oder indirekt das Leben der heran-
wachsenden Kinder beeindrucken, mögen sie direkt erzieherische sein oder nicht, für die
Trieb- und Idealentwicklung der betroffenen Kinder von Bedeutung sein müssen, ist klar.
Für die sogenannte AlknaYintjas\t\jLZ.tion in Zentralaustralien hat dies Röheim schon in
früheren Arbeiten gezeigt, und er tut es hier wieder. Worauf es aber ankäme, wäre, nunmehr
die Entstehung dieser speziellen Sitten und Gebräuche nicht aus mutationsartigen Libidover¬
schiebungen, sondern aus den materiellen Bedingungen des Lebens dieses Volkes (die auch
Libidoverschiebungen verursachen) zu erklären. Röheim sieht hier nur einen Beweis dafür,
daß das Verhalten der Eltern auf dem Umwege über Ödipuskomplex Ursache von Ideal¬
bildungen und damit von Kulturveränderungen ist. Er sieht aber nicht, daß dieses Ver¬
halten der Eltern selbst wieder real bedingt ist und deshalb nur als Mittler zwischen den
realen Bedingungen und den erzeugten Kulturveränderungen wirkt. Was ist denn die , Ur¬
sache für die nach Röheim für die Kultur ausschlaggebende „Kindheitsverlängerung“, z. B.
für die Entstehung der Latenzzeit, die Röheim nicht wie Freud für ein Charakteristikum
der Menschenart hält, sondern von der er meint, daß sie den primitiven Gesellschaften noch
mangle?
Die heroischen Mythen, denen zufolge ein Heros sich aus der Menge der gewöhnlichen
Volksgenossen leuchtend erhebt, kommen nach Röheim nur bei kultivierteren Völkern vor,
weil die Primitiven weniger individuelle Charaktere haben. In Australien z. B. gebe es
heroische Motive nur in pädagogisch gemeinten Erzählungen für Kinder, nicht in „ernsten“
Mythen. Bei uns hingegen sei das Heroische, das Individualistische, das Zivilisatorische
bereits so weit gediehen, daß die Gefahren der „Kindheitsverlängerung“ sichtbar werden:
„Jedermann rast in einem Zustand fieberhafter Hast herum, mit Nachdruck irgend etwas
tuend, d. h. ständig seine sexuelle Potenz erprobend.“ Ist es nicht psychologistische
Voreingenommenheit, bei Besprechung der „Hast des modernen Lebens“ nicht in erster
Linie an die tatsächliche materielle Notwendigkeit dieser Hast zu denken? Den Prozeß der
jjKindheitsverlängerung“, der also — wohl gemerkt — die Kinder der Aristokratie und der
reichen Bourgeoisie stärker trifft, als die der Bauernschaft und des Proletariats, nennt
Röheim einen „biologischen Prozeß“, der allerdings nicht einfach aus Erwachsenen Kinder
Referate
304
mache, sondern nur verschiedene Mechanismen ins Werk setze, die einer Verlängerung der j
kindlichen Situation entsprechen, 1
Die Meinung Röheims, daß die speziellen Kulturen durch ein jeweiliges habituelles |
„infantiles Trauma" bedingt seien, möchten wir also darauf reduzieren, daß die Grundlage I
zu den beobachtbaren Differenzen der in verschiedenen Kulturen lebenden Menschen in der |
Verschiedenheit der Erlebnisse zu suchen ist, die diese Menschen während ihrer Kindheit !
durchgemacht haben.
Interessiert zur Kenntnis nehmen müssen wir wieder die Feststellung Roheims, daß
die Untersuchungen Primitiver vielfach die Entdeckungen von Melanie Klein von der
Bedeutung der Konflikte um den Oralsadismus bestätigen. Gesellschaftliche Institutionen,
die auf solchen frühen oralsadistischen Konflikten beruhen, wären dann archaischer als der
Totemismus, der schon auf eigentlicher Kastrationsangst basiert.
Röheim vernachlässigt nun aber die Frage nach den Zusammenhängen zwischen der
Erzeugung derartiger Ängste bei den Kindern und den materiellen Situationen der be¬
treffenden Völker, sieht in den zivilisatorischen Prozessen nicht oder weniger Produkte des
sich komplizierenden Kampfes des Menschen mit seiner Umgebung um der Befriedigung
seiner Bedürfnisse willen, sondern „eine Serie von Versuchen, mit infantilen Ängsten fertig
zu werden". Die infantilen Ängste sind offenbar biologisch gegeben. Demgemäß unter
scheidet Röheim primitive Kulturen, die vorwiegend der Abwehr der Angst der oral¬
sadistischen Mutterleibszerstörung dienen, Kastrationsangst-Ödipuskomplex-Kulturen und
endlich Kulturen mit dem Hauptziel, magisch Getötete zu rekonstruieren.
Daß vor Etablierung aller Kulturen kein Über-Ich und somit keine Strafe und keine
Angst existierte, sei der wahre Kern der Sagen vom goldenen Zeitalter. Aber wann und
wie brachen Angst und „Über-Ich" herein? — Jedenfalls brachen sie herein — und damit
Phänomene wie das Strafbedürfnis, „die Sehnsucht der Menschheit nach Unglück", die
Röheim — darin in Übereinstimmung mit dem an anderer Stelle von ihm befehdeten
Laforgue — manifestiert sieht „in allen anti-individualistischen politischen Systemen".
Politische Bestrebungen entstehen nach ihm nicht dort, wo reale gesellschaftliche Tatsachen
ihr Entstehen herbeiführen, sondern sie entstehen dadurch, daß das Erstarken des Über-Ichs
im Verlaufe des Zivilisationsprozesses auch ein Erstarken der Macht des das Individuum zer¬
störenden Todestriebes mit sich gebracht hat. O. Fenichel (Oslo)
SHEEHAN-DARE, HELEN: On Making Contact With the Child Patient. Int. Journal
of PsA., XV/4.
Diese Arbeit zeigt in voller Schärfe den Unterschied zwischen der englischen Schule der
Kinderanalyse und der von Anna Freud. — Anna Freud meint, in Übereinstimmung mit i
der Auffassung, die sich in der Erwachsenenanalyse so sehr bewährt hat, daß Analysieren .j
heiße, das Ich eines Menschen zur Auseinandersetzung mit seinen unbewußt gewesenen
Konflikten zu zwingen, daß also die Voraussetzung einer analytischen Deutung das Vor¬
handensein eines Ichs sei, das sich mit dieser Deutung auseinandersetzen kann. Fehle so ein ^
Ich, so sei eine präanalytische Behandlung von irgend einer Art nötig.— Melanie Klein
und mit ihr Miß Sheehan-Dare meinen, man könne mittels einer Deutung (eines Be- j
nennens unbewußter Impulse) ein solches Ich herstellen.
Das Problem, wie man erst einmal mit dem Kinde Kontakt findet, fällt für eine solche
Auffassung weg. „Im allgemeinen ist, wenn einmal die erste richtige Spieldeutung gegeben j
ist, ein Kontakt hergestellt, der, wenn er durch genügende weitere Deutung und eine
wirkliche Zugewandtheit von seiten der Analytikerin bei jeder Gelegenheit und bei jeder .9
Schwierigkeit unterstützt wird, das Kind durch eine lange Analyse bringen wird." — Durch M
die richtige Deutung fühle das Kind sich verstanden und könne leichter auf die Verwirk- fl
lichung seiner Phantasien verzichten, da es statt dieser das Verständnis erhalte. Freilich fl
Referate
305
sei es auch wichtig, auf die Einstellung der Mutter des Kindes der Analyse gegenüber Bedacht
zu nehmen.
Kontakt wird hier also durch Deutung und nur dadurch hergestellt. Das geschah z. B.
auch bei einem mutistischen Kind, das taub schien, aber nur von ungeheurer Angst vor
fremder und eigener Aggression erfüllt war. Daß die Analytikerin diese Aggressionsgedanken
kenne und trotzdem weiterlebe, setze beim Kind die Intensität der Angst herab. — Die
Gefahren falscher Deutungen seien in der Kinderanalyse geringer als beim Erwachsenen.
Ein Erwachsener könne eine falsche Deutung aus Widerstand annehmen; ein Kind werde
sein Spiel oder seine Spielhemmung nicht ändern, solange nicht die richtige Deutung
gefallen sei. ^
Sind die Erfolge, über die die englischen Kinderanalytikeriiinen berichten können, ein
Beweis für die Richtigkeit ihrer theoretischen Anschauungen, ein Beweis für die Möglich¬
keit, daß der Analytiker sich „direkt mit dem Unbewußten des Patienten in Verbindung
setze“? Wir meinen, diese Erfolge seien auf noch zweierlei Weise denkbar: Entweder war
doch noch ein Rest Ich vorhanden, das stark genug war, um die Deutung zu verarbeiten,
oder — wahrscheinlicher — schafft das Aussprechen sonst verbotener Dinge durch die Analy¬
tikerin (als „Verführung“) eine Vertrauensatmosphäre und Entlastung von Schuldgefühlen,
die das Ich dazu bewegen kann, in der Intensität seiner Widerstände nachzulassen.
O. Fenichel (Oslo)
KORRESPONDENZBLATT
DER
INTERNATIONALEN PSyCHOANALyTISCHEN
VEREINIGUNG
Redigiert vom Zentralsekretär Edward Glover
I. Bericht über den XIII. Internationalen Psycho«^
analytischen Kongreß
(Schluß)
Plenarversammlung der Internationalen Unterrichtskommission
Luzern, 30. Juni 1934
Vorsitzender: Dr. Max Eitingon
1. Der Vorsitzende Dr. Eitingon begrüßt die Versammlung, wirft einen Rück¬
blick auf die Ereignisse der letzten zwei Jahre und verweist auf die Aufgaben, die
ihre Lösung von der Versammlung erwarten.
2. Die Psychoanalytischen Lehrinstitute erstatten ihre Tätigkeitsberichte. Für das
Berliner Institut spricht Dr. Müll er-Braunschweig, für das Budapester Institut
Dr. Bali nt, für das Institut in Chikago Dr. Alexander, für das Institut im Haag
Dr. Landauer, für das neugegründete Institut in Jerusalem Dr. Eitingon, für das
Londoner Institut Dr. Glover, für das New-Yorker Institut Dr. Rado, für das
Institut in Paris Mme. Bonaparte, für das Wiener Institut Frau Dr. Deutsch,
für das W^iener Ambulatorium Dr. Hitschmann. Dr. Alexander bittet um eine
Aussprache über prinzipielle Punkte seines Berichtes. Frl. Anna Freud und Dr.
Bai int leisten der Aufforderung Folge; erörtert werden die Haltung der Institute
gegenüber der Öffentlichkeit und Fragen der Finanzierung.
Anschließend an die Berichte der Lehrinstitute spricht Dr. de Monchy über
die Lehrtätigkeit in Amsterdam (Holland), Dr. Sachs über die Lehrtätigkeit in
Boston (U. S. A.), Dr. Ra kn es über die Lehrtätigkeit in Oslo (Norwegen), Doktor
Jekels über die Lehrtätigkeit in Stockholm (Schweden) und Dr. Sa ras in über die ^
Lehrtätigkeit in der Schweiz. \
Die Versammlung nimmt alle Berichte genehmigend zur Kenntnis. .1
3 a. Der Sekretär Dr. Rado unterbreitet im Namen des Vorstandes der I. U. K. i
Vorschläge zum weiteren Ausbau des Unterrichtswesens. Anfangs lag der psycho- 4
analytische Unterricht in den Händen einzelner. Der Homburger Kongreß tat 1925 1
den ersten organisatorischen Schritt, indem er den Zweigvereinigungen die Aufgabe jj
übertrug, für den psychoanalytischen Unterricht besondere Einrichtungen zu schaf- m
fen. Unsere führenden Gruppen haben in Erfüllung dieser Aufgabe der Reihe nach ■
psychoanalytische Lehrinstitute ins Leben gerufen. Diese Institute nahmen sich alle
das von Dr. Eitingon im Jahre 1920 in Berlin geschaffene erste psychoanalytische
Korrespondenzblatt
307
Lehrinstitut zum Vorbild. Ihre Anzahl ist gegenwärtig auf neun gestiegen — das
jüngste in der Reihe, das Institut in Jerusalem, ist abermals eine Schöpfung von
L)r. Eitingon —, ihre Leistung hat sich vervielfacht, ihr Ansehen befestigt. Es ist
ein Gebot der Zweckmäßigkeit, diesen tatsächlichen Verhältnissen, die eine organische
Entwicklung hervorbrachte, auch in organisatorischer Hinsicht Rechnung zu tragen.
Der eingebrachte Satzungsentwurf geht daher vom Grundsatz aus, daß die Erteilung
psychoanalytischer Berufsausbildung die Aufgabe der psychoanalytischen Lehrinstitute
ist, die von der 1 . U. K. anerkannt sind und unter ihrer Aufsicht wirken. Der Ent¬
wurf registriert die bestehenden anerkannten Lehripstitute, knüpft die Gründung
neuer Lehrinstitute an die vorherige Genehmigung der 1 . U. K. und enthält eine
Reihe von Einzelbestimmungen betreffs der Aufsichtsrechte und -pflichten der
I. U. K. Die Institute sollen an die von der LU. K. aufgestellten „Internationalen
Richtlinien für die Ausbildungstätigkeit“ (Oxford, 1929) gebunden sein, sonst aber
ihren Betrieb — einschließlich der Ernennung ihrer Lehrkräfte — im eigenen Wir¬
kungskreis regeln.
Für Orte, an denen die Voraussetzungen für ein psychoanalytisches Lehrinstitut
noch nicht gegeben sind, sieht der Entwurf die Einrichtung psychoanalytischer Lehr¬
stellen vor. Der Entwurf macht die Errichtung solcher psychoanalytischer Lehr¬
stellen von der vorherigen Genehmigung der I. tJ. K. abhängig; diesbezügliche An¬
träge können von Gruppen wie auch von einzelnen Mitgliedern gestellt werden. Zur
Wahrung des Unterrichtsniveaus soll ferner bei den Lehrstellen — im Gegensatz zu
den Lehrinstituten — auch die Erteilung der Lehrbefugnis an die einzelnen Mitglieder
der I. U. K. Vorbehalten bleiben. Wir erblicken in den Lehrstellen Keime, von denen
wir hoffen, daß sie sich unter günstigen Umständen zu Lehrinstituten entwickeln
werden.
Die Neuregelungen des Entwurfes steigern, wie ersichtlich, die Aufgaben und da¬
mit auch die Verantwortung der LU.K., namentlich die Verantwortung des Vor¬
standes der 1 . U. K.,' der in der Zeit zwischen den Plenarversammlungen der 1 . U. K.
interimistische Entscheidungen zu treffen haben wird. Dies macht gewisse Änderun¬
gen in der Organisation und Zusammensetzung der I. U. K. selbst erforderlich; diese
Änderungen hat die Geschäftssitzung des Kongresses bereits in der Form von Statuten¬
änderungen durchgeführt. Nach den soeben beschlossenen neuen Statuten der 1 . P. V.
besteht der Vorstand der 1 . U. K. aus drei Mitgliedern; alle drei werden direkt vom
Kongreß gewählt. Außer aus ihrem Vorstand setzt sich die 1. U. K. zusammen aus den
Lehrausschüssen der anerkannten Lehrinstitute und den Lehrausschüssen der an¬
erkannten Lehrstellen; die ersteren können aus höchstens je sieben, die letzteren aus
höchstens je drei Mitgliedern bestehen.
An den Entwurf, den Dr. Rado verliest und kommentiert, knüpft sich eine leb¬
hafte Diskussion, an der sich Drs. Jones, Federn, Bibring, Kubie, French,
Anna Freud, Drs. Sachs, Fenichel und Helene Deutsch beteiligen. Dr. Rado
beantwortet die gestellten Fragen; die Einzelprobleme sollen später in dem hier ge¬
schaffenen Rahmen schrittweise gelöst werden. Der Satzungsentwurf wird mit einer
von Dr. Jones beantragten stilistischen Änderung einstimmig angenommen. (Der
Wortlaut der „Satzungen der 1. U. K. betreffs Lehrinstitute und Lehrstellen [Luzerner
Satzungen]“ ist in diesem Korrespondenzblatt im Anschluß an den vorliegenden Be¬
richt abgedruckt.)
3o8
Korrespondenzblatt
3 b. Die Ansuchen um Genehmigung fzur Errichtung von Lehrstellen und zur Er-
teilung von Lehrbefugnissen für diese Lehrstellen werden wegen der vorgerückten !
Zeit an den Vorstand der L U. K. verwiesen. Dr. Eitingon führt auf die Anfrage
von Dr. Jones aus, daß für die Erteilung interimistischer Lehrbefugnisse seitens des
Vorstandes der 1 . U. K. nur solche Mitglieder in Frage kommen, die sich bereits als !
Lehrkräfte an unseren Instituten betätigt und bewährt haben. In anderen Fällen
bleibt die Entscheidung bis zur nächsten Plenarversammlung der 1 . U. K. in Schwebe.
Die Versammlung efteilt dann ihre Zustimmung. !
3 c. Der Vorsitzende Dr. Eitingon schlägt im Hinblick auf den erweiterten !
Wirkungskreis der I. U. K. vor, daß das Plenum der I. U, K, sich alljährlich zu einer
Tagung versammeln soll. Falls es die Zeitverhältnisse gestatten, wünscht er die
nächste Plenarversammlung der I. U. K. im Sommer 1935 nach Paris oder Wien ein¬
zuberufen. Die Versammlung erteilt dazu per acdamationem ihre Zustimmung.
3 d. Der Sekretär Dr. Rado bittet die Versammlung, sich der Sprachen- und *
Übersetzungsfragen anzunehmen. Er beantragt, die Versammlung möge Dr. Ernest |
Jones ersuchen, ein Redaktionskomitee einzusetzen, das unter seiner Leitung eine
revidierte und erweiterte Auflage des Psychoanalytic Glossary herstellen soll. Der 1
Antrag wird einstimmig angenommen. Dr. Jones nimmt die Betrauung an. j
4. Anna Freud bringt die Laienfrage in bezug auf die Kooperation zwischen der 1
New-Yorker und der Wiener Gruppe zur Sprache. Im Oxforder Abkommen ver- j
pflichteten sich die europäischen Gruppen^ keinen Amerikaner zur Ausbildung zu- I
zulassen, der nicht vorher vom Unterrichtsausschuß seiner Heimat als Kandidat,
akzeptiert worden ist. Andrerseits stellte die New-Yorker Gruppe im Prinzip die
Zulassung nichtärztlicher Kandidaten in Aussicht. Während die Wiener Gruppe
ihren Verpflichtungen nachgekommen ist, konnte die New-Yorker Gruppe infolge
der laienfeindUchen Haltung der Behörden ihre Zusage nicht erfüllen. Anna Freud
fragt, wie sich die amerikanischen Gruppen unter diesen Umständen zum Oxforder
Abkommen stellen. Dr. Lewin, Vorsitzender des New-Yorker Unterrichtsaus¬
schusses, betont, daß es sich in New York nicht etwa um veraltete und unbeachtete
Gesetzesparagraphen, sondern um eine akute und mit größter Energie durchgeführte
behördliche Aktion handle. Die Zulassung von Laienkandidaten würde die Schlie¬
ßung des Institutes und die behördliche Verfolgung der Vorschub leistenden Ärzte
nach sich ziehen. Ähnliches berichten über Chikago Dr. Menninger, Vorsitzender
der dortigen Gruppe, und Dr. Alexander, Direktor des dortigen Instituts.
Dr. Lewin schlägt im Namen der New-Yorker Gruppe die Aufhebung des Oxforder
Abkommens für die amerikanischen Gruppen vor. Er bittet jedoch die europäischen
Institute, insofern sie nach eigenem Ermessen Laienkandidaten zur Ausbildung zu¬
lassen, dieselben vor Beginn der Ausbildung dahingehend aufzuklären, daß sie nicht
in der Lage sein werden, ihre Studien am New-Yorker Institut fortzusetzen, bzw.
der New-Yorker Gruppe als Mitglieder beizutreten. Der Vorschlag wird an¬
genommen.
Frau Dr. Deutsch beantragt die Einsetzung eines Sonderausschusses, der sich der
Sache der emigrierenden Lehranalytiker annehmen solle. Der Antrag wird ange- i
nommen. In den Ausschuß werden gewählt: Dr. Alexander, Dr. Brill, Mme. |
Bonaparte, Frau Dr. Deutsch, Dr. Jones, Dr. Sarasin und die drei Mit- j
glieder des Vorstandes der 1. U. K. j
Korrespondenzblatt
309
Satzungen der 1 . U. K. über Lehrinstitute und Lehrstellen
(Luzerner Satzungen)
1. Die Erteilung psychoanalytischer Berufsausbildung ist die Aufgabe der Psycho¬
analytischen Lehrinstitute, die von der 1 . U. K. anerkannt sind und unter ihrer Auf¬
sicht wirken.
2. Die Liste der gegenwärtig von der 1 . U. K. anerkannten und beaufsichtigten
Lehrinstitute lautet (in der Reihenfolge ihrer Gründung): Berliner Psychoanalytisches
Institut, Lehrinstitut der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, Institute of Psycho-
Analysis, London, New-York Psychoanalytic Institute, N^ederlandsch Institut voor
Psychoanalyse, Haag, Lehrinstitut der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung,
Budapest, Institute for Psychoanalysis, Chicago, Institut de Psychanalyse, Paris, Pale*
stine Institut for Psychoanalysis, Jerusalem.
3. Die Errichtung eines psychoanalytischen Lehrinstitutes bedarf der vorherigen
schriftlichen Genehmigung der 1 . U. K.
4. Die I. U. K. nimmt als selbstverständlich an, daß sich Mitglieder der 1. P. V. an
der Gründung, bzw. dem Betrieb von Institutionen, die vorgeben, psychoanalytische
Berufsausbildung zu erteilen, ohne von der I. U. K. anerkannt worden zu sein, nicht
beteiligen. Die Lehrtätigkeit der Mitglieder der I. P. V. an andersartigen Lehrinstitu¬
tionen (Universitäten, Volkshochschulen usw.) wird durch diese Bestimmung nicht
berührt.
5. Die Satzungen, bzw. Satzungsänderungen der Lehrinstitute sind der 1 . U. K. zur
Genehmigung vorzulegen. Sie dürfen keine Bestimmungen enthalten, die den Be¬
stimmungen der 1 . U. K. widersprechen.
6 . Für die Lehrtätigkeit der Lehrinstitute sind im allgemeinen die von der 1 . U. K.
aufgestellten „Internationalen Richtlinien für die Ausbildungstätigkeit“ maßgebend.
Jedes Institut erläßt auf dieser Grundlage seine besonderen Ausbildungsbestimmun¬
gen; diese bedürfen der Genehmigung der I. U. K.
7. Falls ein Lehrinstitut durch sein Verhalten das Ansehen oder die Interessen der
I. P. V. schädigt, so kann ihm die 1 . U. K. die Anerkennung entziehen.
8. Auf Grund der vorherigen schriftlichen Genehmigung der I. U. K. können
Zweigvereinigungen oder auch einzelne Mitglieder der 1. P. V. an Orten, an denen
es kein anerkanntes psychoanalytisches Lehrinstitut gibt, eine „Psychoanalytische
Lehrstelle“ errichten. An solchen Lehrstellen können nur diejenigen Mitglieder 'der
!• P« V. eine Lehrtätigkeit ausüben, denen die Lehrbefugnis durch die I. U. K. ad pet-
sonam erteilt worden ist. Die für Lehrinstitute geltenden Bestimmungen sind auf
die Lehrstellen sinngemäß anzuwenden.
Aus dem Beschluß der Plenarversammlung der 1. U. K. zu Luzern,
am 30. August 1934.
Int. Zeitschr. f. Psyclioanalyse, XXI/2
31
310
Korrespondenzblatt
II. Bericht der Internationalen Unterrichts^s^
kommission
Berliner Psychoanalytisches Institut
September 1932 bis Juli 1934
1. Bewegung der Hörerzahl.
2. Arbeit in den Seminaren.
3. Die Aushildungskandidaten.
4. Lehr- und Kontrollanalytiker.
5. Unterrichtsausschuß.
7. Zahl der poliklinischen Patienten.
I. Hörerzahl
Die Einwirkung der veränderten äußeren Verhältnisse und des Weggangs einer
Reihe prominenter Lehrkräfte (siehe 6 ) zeigte sich am stärksten in dem Absinken der
Zahl der Hörer des Institutes. Die absolute Hörerzahl, die im Jahre 1932 im
Durchschnitt der drei Quartale etwa 130 pro Quartal betrug, zeigte 1933 im Durch¬
schnitt etwa 63, und zeigt für die ersten beiden Quartale 1934 ein weiteres Absinken.
Eine Übersicht über die Hörerzahlen ab Quartal Oktober bis Dezember 1929 er¬
gibt die folgende Tabelle:
Absolute Hörerzahlen
1929
Jänner—März
April—Juli
Oktober—Dezember
116
1930
118
83
153
1931
132
III
222
1932
164
107
138
1933
104
64
39
1934
34
32
•—
2. Arbeit in deil Seminaren
Das Absinken der Zahl der Hörer der Institutskurse hat auf die Intensität der Ar¬
beit in den einzelnen Kursen keinen Einfluß. Von dem Absinken det Hörerzahl sind
im übrigen wesentlich nur die Vorlesungen, in denen außer den Aushildungs¬
kandidaten auch andere als Hörer teilnehmen dürfen, betroffen. In den Seminaren,
in denen von jeher das Schwergewicht der Ausbildung lag, ist die Zahl der Teil¬
nehmer bereits immer beschränkt gewesen und daher der Rückgang der Teilnehmer¬
zahl nicht auffällig. Das Interesse und der Fleiß der Teilnehmer sind ausgezeichnet,
es wird intensiv gearbeitet, sowohl in den technischen Seminaren (in denen die prakti¬
schen Fälle der Ausbildungskandidaten besprochen werden) als in den Seminaren
über Freuds „Schriften zur Technik“, über Freuds „Theoretische Schriften“, über
die „Krankengeschichten“ und die „Drei Abhandlungen“, als auch in den pädagogi¬
schen Seminaren und in dem von den Herren Boehm und v. Sydow geleiteten
ethnologischen Seminar.
Korrespondenzblatt
311
3. Die Ausbildungskandddaten
Die Zahl der AusbiWungskandidaten ist von 34 im Herbst 1932 über 23 im No¬
vember 1933 auf 18 im Juli 1934 gefallen. Die Zahl von 18 bedeutet unter den ob¬
waltenden Verhältnissen eine immer noch respektable Größe.
Unter den 18 Ausbildungskandidaten der Liste vom Juli 1934 befinden sich noch
4 Ausbildungskandidaten der Liste vom Herbst 1932. Im Jahre 1933 Jahre
1^34 (bis Juli) sind insgesamt 14 neue Kandidaten in Ausbildung genommen worden,
davon 9 im Jahre 1933 und 5 im i. Halbjahr 1934.
Die Zahl der Lehr- und Kontrollanalysen ergibt sich aus folgender Tabelle;
%
Herbst 1932
November 1933
Juli 1934
Gesamtzahl der Kandidaten
34
23
18
davon in Lehranalyse
20
II
16
in Kontrollanalyse
21
16
10
4. Lehr- und Kontrollanalysen
An Lehr- und Kontrollanalytikern sind zwischen dem Wiesbadener und dem
Luzerner Kongreß durch Weggang aus Deutschland ausgeschieden: Bernfeld, Eitin-
gon, Fenichel, Harnik, Reik, Simmel. Über die bisherigen Lehr- und Kon-
trollanalytiker Boehm und Müller-Braunschweig hinaus sind neu mit der
Durchführung von Lehranalysen und Kontrollanalysen betraut worden:
Frau Benedek, Frau Jacobsohn, Frau Kempner, Frau Vowinckel.
3. Der Unterrichtsausschuß
Aus dem Unterrichtsausschuß schieden während der Berichtszeit die gleichen wie
unter 4 erwähnten Namen aus. In der Jahresversammlung vom 18. November 1933
wurden zu dem einzigen zurückbleibenden Mitglied des Unterrichtsausschusses neu
hinzugewählt: Boehm und Frau Vowinckel. Müller-Braunschweig wurde
zum Vorsitzenden bestimmt. Kooptiert wurden Frau Benedek und Frau Jacob¬
sohn.
6. Die Bewegung der Dozentenschaft seit dem September 1932
Aus der Dozentenschaft schieden seit dem September 1932 aus:
Bernfeld (nach dem Quartal Oktober—Dezember 1932); Steff Bornstein (nach
dem Sommerquartal 1933); Eitingon (nach dem Sommerquartal 1933); Fenichel
(nach dem Sommerquartal 1933); Harnik (nach dem Quartal Jänner—März 1933);
Jeanne Lampl de Groot (nach dem Sommerquartal 1933); Reik (nach dem Quar¬
tal Oktober—Dezember 1932); Reich (nach dem Quartal Jänner—März 1933);
Simmel (nach dem Sommerquartal 1933); Staub (nach dem Quartal Jänner—März
1933)-
Das Ausscheiden von Alexander (1930), Rado (1931), Horney, Sachs aus der
Dozentenschaft fällt vor die Berichtszeit.
Neu zur Dozentenschaft hinzugezogen wurden;
Kemper, Mette, Ada Müller-Braunschweig, v. Sydow (als Gast), Vo¬
winckel.
* 1 *
312
Korrespondenzblatt
Zusammen mit dem früheren Bestand an Dozenten, den Herren
Boehm und Carl Müller-Braunschweig
verfügt das Institut derzeit über 7 Dozenten gegenüber 12 vom September 1932.
7. Zahl der poliklinisch behandelten Patienten
Im erfreulichen Gegensatz zu dem Absinken der Hörerzahl scheinen die veränder¬
ten Verhältnisse so gut wie keinen Einfluß auf die Nachfrage nach therapeutisch¬
psychoanalytischer Behandlung zu haben. Der Durchschnitt der gledchzeitig laufen¬
den, von den Mitgliedern der D. P. G. und den Ausbildungskandidaten behandelten
poliklinischen Fälle während der Jahre 1920—1930 betrug 72, die Zahl der im Juli
1934 behandelten Fälle 65. Diese Zahl liegt kaum nennenswert unter dem Durch¬
schnitt. Die kaum veränderte Nachfrage nach analytischer Behandlung trotz so
wesentlicher Veränderung der äußeren Verhältnisse ist wohl ein erfreuliches An¬
zeichen davon, wie sehr bereits d^s Vertrauen des Publikums in die therapeutische
Wirksamkeit der Psychoanalyse Wurzel gefaßt hat.
Die Sprechstunden in der Poliklinik werden abgehalten Montag, Dienstag, Don¬
nerstag, Freitag von den 4 Kollegen Boehm, Frau Fuhge, Frau Vowinckel,
Witt, von denen jeder einen der 4 Tage übernimmt.
IV. Quartal 1933
I. Vorlesungen
Carl Müller-Braunschweig; Einführung in die Psychoanalyse, I. Teil, ^Stun¬
den, Hörerzahl 15.
Edith Vowinckel: Spezielle Neurosenlehre, II. Teil (Perversionen, Charakter¬
störungen, narzißtische Neurosen, Psychosen, Süchte), 6 Stunden, Hörerzahl 8.
Eckart von Sydow (a. G.): Allgemeine Einführung in die Völkerkunde, II. Teil:
Kunst und Gesellschaft der Naturvölker (mit Lichtbildern), 6 Stunden, Hörerzahl ii.
II. Seminare, Übungen, Arbeitsgemeinschaften
Felix Boehm; Seminar: Fehlhandlungen, Traum (Teilnahme ohne Einschränkung),
6 Doppelstunden, Hörerzahl 17.
Carl Müller-Braunschweig; Freud-Seminar: Theoretische Schriften, I.Teil.
Nur für Ausbildungskandidaten und für Hörer mit Empfehlungskarte. 3 Doppel¬
stunden, Hörerzahl 14.
Felix Boehm; Technisches Seminar. Nur für Ausbildungskandidaten. 3 Doppel¬
stunden, Hörerzahl 7.
Praktisch-therapeutische Übungen (Kontrollanalysen). Nur für Ausbil-
dungskandidaten.
Eckart von Sydow und Felix B oehm: Ethnologische Arbeitsgemeinschaft. 4 Dop¬
pelstunden. Für Fortgeschrittene. Beschränkte Teilnehmerzahl. Hörerzahl 21.
Carl Müller-Braunschweig: Pädagogisches Seminar. 3 Doppelstunden. Hörer¬
zahl 19.
Korrespondenzblatt
3^3
I I. Quartal 1^34
I I. Vorlesungen
1. Edith Vowinckel: Einführung in die Psychoanalyse, II. Teil (Allgemeine Neu¬
rosenlehre).
2. Carl Müller-Braunschweig: Psychoanalytische Technik.
3. Eckart v. Sydow (a. G.): Probleme der psychoanalytischen Ethnologie.
II. Seniiinare, Übungen, Arbeitsgemeinschaften
4. Werner Kemper: Freud-Seminar: „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie.“
5. Felix Boehm: Freud-Seminar: Krankengeschichten, I. Teil.
6. Carl Müller-Braunschweig: Freud-Seminar: Theoretische Schriften, II. Teil.
7. Praktisch-therapeutische Übungen (Kontrollanalysen).
8. Eckart von Sydow und Felix Boehm: Ethnologische Arbeitsgemeinschaft.
9. Ada und Carl Müller-Braunschweig: Pädagogisches Seminar.
IL Quartal 1934
I. Vorlesungen
Edith Vowinckel: Spezielle Neurosenlehre, I. Teil. Übertragungsneurosen
(Hysterie, Phobie, Zwangsneurose und Aktualneurose). 7 Stunden, Hörerzahl 8.
Alexander Mette: Aus der Psychologie des Tragischen und Dionysischen. 6 Stun¬
den, Hörerzahl 4.
II. Seminare, Arbeitsgemeinschaften Übungen
Werner Kemper: Freud-Seminar: Krankengeschichten, II. Teil. 7 Doppelstunden.
Hörerzahl 9.
Carl Müller-Braunschweig: Freud-Seminar: Schriften zur Technik. Vierzehn-
; tägig, Hörerzahl 7.
> Felix Boehm: Seminar über Karl Abrahams „Klinische Beiträge zur Psychoana¬
lyse“. 7 Doppelstunden, Hörerzahl 7.
' Felix Boehm: Technisches Seminar. (Nur für Ausbildungskandidaten.) Vierzehn-
^ tägig, Hörerzahl 5.
Praktisch-therapeutische Übungen (Kontrollanalysen). Nur für Ausbildungs¬
kandidaten.
»
Ethnologische Arbeitsgemeinschaft (Eckart von Sydow und Felix Boehm). Vier¬
zehntägig, Hörerzahl 10.
* I Referate über neuere — psychoanalytische und nichtpsychoanalytische — päda¬
gogische Literatur (Ada Müller-Braunschweig). Vierzehntägig, Hörerzahl ii.
Pädagogisches Seminar (Ada Müller-Braunschweig). Vierzehntägig, Teil-
i nehmerzahl 9.
Pädagogische Arbeitsgemeinschaft (Carl Müller-Braunschweig). Vierzehntägig,
Hörerzahl 10.
Korrespondenzblatt
314
Chicago Institute for Psythoanalysis
IV. Quartal 1933
Vorlesungen und Seminare
L Für Aus'bildungskandidaten und ausübende Analytiker:
1. Dr. Horney: Technisches Seminar. 13 Hörer.
2. Dr. Horney: Psychoanalytische Technik. 16 Hörer,
3. Dr. Alexander: Seminar über psychoanalytische Literatur. 20 Hörer.
4. Dr. Alexander: Theorie und Technik der Traumdeutung. 17 Hörer.
5. Dr. Blitz,sten: Seminar über Traumdeutung. 17 Hörer.
6. Dr. French: Realität und Triebschicksale. 9 Hörer.
II. Ärzte:
Dr. Horney: Ärztliche Diskussionsabende. 13 Hörer.
Wahrend der Berichtsperiode wurden im Institut 51 Analysen durchgeführt, davon
7 Lehranalysen, 19 Analysen zu Forschungszwecken und 2j therapeutische bzw. unter
Kontrolle durchgeführte Analysen.
Dansfc^'Norsfc Psyfcoanaiytisfc Fofcning
In Ergänzung ihrer wissenschaftlichen Arbeit hat unsere neugegründete Gesell-
schaft — wie Dr. Fenichel auf dem Luzerner Kongreß berichtete — einen be-
schwdenen Anfang zur psychoanalytischen Lehrtätigkeit gemacht. Bisher beschränkt
sich dieser Zweig unserer Arbeit hauptsächlich auf Lehranalysen. Dr. Fenichel
fuhrt zwei solche Analysen mit Ärzten durch, ferner zwei mit Studentinnen, von
denen es aber bisher noch mcht feststeht, ob sie sich später der Ausübung der Psycho¬
analyse zuwenden werden. Prof. Schjelderup und Dr. Raknes führen je eine
Lehranalyse durch.
Dr. Fenichel hielt Vorlesungen über Neurosenlehre.
In der Arbeit des von Prof. Schjelderup geleiteten Psychologischen Universi-
tatsinstitutes spielt die Psychoanalyse nunmehr eine bedeutende Rolle. Zum Staats¬
examen in Psychologie ist eine gewisse Kenntnis dieses Gegenstandes erforderlich.
Dr. Raknes hielt im Rahmen seiner Dozentur an der Universität in Oslo Vor¬
lesungen über psychoanalytische Trieblehre (60 Hörer). Der gleiche Vortragende
hielt auch ane Anzahl von Vorlesungen für Lehrer, und Frau Hoel sprach vor einer
eihe von ^Seilschaften, so z. B. vor der Elternvereinigung der Nationalschule über
„Kindhche Sexualität“. An der psychiatrischen Universitätsklinik hielten Fenichel
und andere Mitglieder unserer Vereinigung Vorträge. Einer unserer Ausbildungs-
kandidaten ist Assistent an dieser Klinik. Dr Qla Raknes
Indian Psycfio^Analytical Institute
Jahresbericht 1934
Die Tätigkeit des Institutes konzentrierte sich hauptsächlich auf die Durchführung
von Lehranalysen, für welche mehrere Ansuchen im Sinne des nunmehr geänderten
ehemaligen Punkt 40 der Statuten Vorlagen.
Korrespondenzblatt
315
Zur psychiatrischen Ausbildung ist für die Kandidaten nunmehr der Besuch der
psychologischen Klinik am Carmichael Colledge erforderlich, die vom Präsidenten
der Vereinigung um die Mitte des Jahres eröffnet wurde.
Die Sammlung der Beiträge für die Psychoanalyse zeigt bisher ein Totalergebnis
von 1300 Rupien einschließlich der in diesem Jahre erzielten 250 Rupien, gegenüber
550 Rupien im Vorjahr.
Das Vermögen der Gesellschaft reicht derzeit noch nicht aus, um die zur Grün¬
dung einer Klinik erforderlichen Beträge aufzubringen. T. B.
Institute of Psycho»Analysis, London
Jahresbericht 1933—1934
Seit dem Bericht auf dem Wiesbadener Kongreß 1932 waren die Bemühungen des
Britischen Unterrichtsausschusses weitgehend auf die Festigung der bestehenden Or¬
ganisation gerichtet. Hievon abgesehen, war das bedeutendste Ereignis die Erweite¬
rung der zum Unterricht in der Kinderanalyse bestimmten Gruppe. Damit ging
die Vergrößerung der Kinderabteilung des Institutes und der Klinik Hand in Hand.
Das Institut hat das ganze Gebäude j6 Gloucester Place übernommen und ist nun in
der Lage, eine größere Anzahl von Fällen ohne die Unzukömmlichkeiten, die bei
einer gleichzeitigen Behandlung von Erwachsenen und Kindern in so beschränkten
Räumlichkeiten unvermeidbar sind, zu behandeln.
Klinische Arbeit
Die Gesamtzahl der an der Klinik während des Jahres untersuchten Fälle betrug 98
(49 m., 49 w.). Davon waren 86 Erwachsene (46 m., 40 w.) und 12 Kinder (3 m., 9 w.).
Erwachsene:
Bei der Untersuchung beraten . 24 (14 m., 10 w.)
Zur Behandlung empfohlen.. 62 (32 m., 30 w.)
Von diesen der Behandlung zu gewiesen .... 16 (9 m., 7 w.)
Auf der Warteliste vorgemerkt. 46 (23 m., 23 w.)
Kinder;
Während der Untersuchung beraten . i (i w.)
Zur Behandlung empfohlen. 11 (3 m., 8 w.)
Von diesen der Behandlung zugewiesen _ 4
Auf der Warteliste vorgemerkt. 7
Warteliste:
Die Anzahl der vorgemerkten Personen betrug am Ende des Jahres 166 gegenüber
137 im Jahre 1933, und zwar:
Erwachsene (85 m., 63 w.) .148
Kinder. 18
In Behandlung. Zu Ende dieses Jahres standen 51 Fälle in Behandlung, und
zwar 39 Erwachsene und 12 Kinder.
3 i 6
Korrespondenzblatt
Ausbildung der Kandidaten
Am 30. Juni 1933 standen 23 Kandidaten auf der regulären Ausbildungsliste,
und zwar;
Zur Erwachsenenanalyse: 15 in Ausbildung, 3 vorgemerkt zur Lehranalyse und 4,
deren Ausbildung unterbrochen wurde.
Zur Kinderanalyse: 3 Kandidaten, von denen 2 auch in der Ausbildung zur Er¬
wachsenenanalyse stehen. Während des Jahres kam i Kandidat zur Liste für Er¬
wachsenenanalyse hinzu, und einer wurde vom deutschen Unterrichtsausschuß
zur Vervollständigung der Ausbildung zugewiesen.
Dr. Scott wurde als praktizierender Analytiker (für Erwachsene und Kinder)
anerkannt.
Dr. Winnicott wurde als praktizierender Analytiker (für Erwachsenenanalyse)
anerkannt.
Am Jahresende standen 24 Kandidaten auf der Liste, und zwar:
In Ausbildung. 14
Zur Lehranalyse vorgemerkt . 2
Zur Kinderanalyse vorgemerkt . 3
(2 davon von der Erwachsenenliste).
Ausbildung unterbrochen. 5
13 Kandidaten stehen gegenwärtig in Analyse.
8 Kandidaten sind unter Kontrolle mit der Analyse von 13 Fällen beschäftigt.
Kontrollanalytiker: Dr. Brierley, Dr. Jones, Dr. Glover, Mrs. Klein, Doktor
Payne, Dr. Rickmann, Mrs. Riviere, Miß Searl, Miß Sharpe, Dr. Strachey.
Vorlesungen für Kandidaten
Herbstperiode: Miß Searl: Psychoanalyse der Kinder.
Frühjahrsperiode: Dr. Brierley: Sexualtheorie.
Sommerperiode: Dr. Glover: Neurosenlehre.
Praktische Seminare. Der Versuch, ein Gruppenkontrollseminar unter der
Leitung eines Kontrollanalytikers durchzuführen, wurde fortgesetzt. Eine Anzahl
solcher Sitzungen wurde in der Oktoberperiode von Mrs. Riviere und in der
Januarperiode von Dr. Strachey geleitet. In der Sommerperiode wurden Einzel¬
seminare von Dr. Payne und Miß Searl durchgeführt.
Theoretische Seminare. Diese wurden während der Oktober- und Januar¬
periode von Dr. Glover in monatlichen Sitzungen fortgesetzt.
Seminare für Kinderanalyse. Diese Seminare wurden wie im Vorjahr unter
der Leitung von Mrs. Klein weitergeführt.
Externe Arbeit
Während des Jahres wurden vom Public Lecture Committee zwei Kurse veran¬
staltet (über den ersten wurde im Int. Journal of PsA., Vol. XV, p. 114 berichtet).
Der zweite Kurs, bestehend aus 6 Vorlesungen, wurde unter dem Titel „Familien¬
probleme“ im Frühjahr abgehalten. Die Teilnehmerzahl betrug 80 Hörer.
Korrespondenzblatt
317
I. Februar. Dr. M. D. Eder: Schwieriges Familienmilieu.
8. Februar. Miß Searl: Kindheit und Pubertät.
15. Februar. Miß B. Low: Brüder und Schwestern.
22. Februar. Dr. S. Yates: Die Rückwirkung von Eheschwierigkeiten auf die
Kinder.
I. März. Dr. S. Isaacs: Widerspenstige Kinder.
8. März. Miß E. Sharpe: Der Austritt aus dem Familienkreis.
Miß Low führte während des Jahres zwei Arbeitsgemeinschaften mit 20 Teil¬
nehmern durch. In der einen wurde das Thema „Stufen in der Entwicklung des
Individuums“, in der anderen das Thema „Das Unbewußte und seine Rückwirkung
auf das bewußte Leben und Verhalten“ behandelt.
Publikationen und Bücherverkauf
Freuds „New Introductory Lectures“ wurden in diesem Jahre im Verlag der
Hogarth Press und des Institute of Psycho-Analysis veröffentHcht. Der Verkauf von
Büchern war im großen und ganzen zufriedenstellend. Es besteht eine ständige Nach¬
frage nach Freuds „Collected Papers“ und „Introductory Lectures“.
Edward Glover,
Sekretär
Nedcriandsch Instituut voor Psychoanalyse, Haag
Bericht, erstattet auf dem Kongreß zu Luzern, 1934
Mit Rücksicht auf die Jugend unseres neuen Unternehmens und auf die Kürze der
Zeit, die seit der Vereinigung der Lehrkräfte des Frankfurter psychoanalytischen In¬
stitutes mit dem früheren Institut in Haag verstrichen ist, wäre es unbillig, schon
jetzt große Resultate zu erhoffen.
Heuer sind 7 Lehranalysen in Durchführung begriffen. Derzeit werden keine
Vorlesungen für die Ausbildungskandidaten abgehalten; deren theoretischer Unter¬
richt wird statt dessen in Arbeitsgemeinschaften durchgeführt, wo die geringen Teil¬
nehmerzahlen individuelle Arbeit ermöglichen.
Dr. Reik und Dr. Landauer hielten zwei Kurse für an der Psychoanalyse inter¬
essierte Personen (15 bis 20 Hörer), während sich weitere Kurse und besondere Vor¬
lesungen in Vorbereitung befinden.
Unsere Bemühungen gelten in erster Linie der Erweiterung von Wissen und Er¬
fahrung unserer Mitglieder. Zu diesem Zweck teilte sich die Vereinigung in zwei
Arbeitsgemeinschaften, von, denen sich die eine nach dem Vorschlag von Helene
Deutsch mit einer gemeinsamen Kontrollanalyse, die andere mit der Diskussion
der verschiedenen Lösungen des Ödipuskomplexes befaßt. Diese wöchentlichen Ar¬
beitsgemeinschaften haben zur inneren Festigung der Vereinigung wesentlich bei¬
getragen. Dr. Karl Landauer, Amsterdam
New York Psydioanalytic Institute
1933—1934
A. .Ausbildungsk urse (nur für Mitglieder und Ausbildungskandidaten)
I- Dr. Sandor Rado: Ausgewählte Kapitel der psychoanalytischen Technik.
8 Stunden (43 Hörer).
3i8
Korrespondenzblatt
2. Dr. Sandor Rado: Mutterschaft und Genitalität. 8 Stunden (47 Hörer).
3. Dr. Sandor Rado: Störungen der männlichen Potenz. 8 Stunden (47 Hörer).
4. Dr. Sandor Rado: Technisches Seminar. 24 Doppelstunden (20 Hörer).
5. Dr. Bertram D. Lewin: Probleme der Deutung. 10 Doppelstunden (15 Hörer).
6 . Dr. Abraham Kardiner: Seminar über angewandte Psychoanalyse. 12 Vor¬
träge (9 Hörer).
B. „Extension“-Kurse
1. Die Anwendung der Psychoanalyse a/uf die soziale Fürsorge. Seminar für vor¬
geschrittene soziale Fürsorger (Drs. Broadwin und Glu eck). 12 Doppelstunden
(23 Teilnehmer).
2. Einführung in die Psychoanalyse. Vorlesungen für soziale Fürsorger
(Drs. Broadwin, Kubie, Meyer). 10 Stunden (27 Hörer).
3. Psychoanalyse und Medizin. Einführungskurs für Ärzte (Drs. Broadwin,
Feigenbaum, Kardiner, Lehrman, Lorand, Meyer, Oberndorf, Rado,
Schilder), ii Stunden (34 Hörer).
4. Psychoanalyse und Pädagogik. Fortbildungskurs für Lehrer (Drs. Bonnett,
Broadwin, Liss, Meyer). 15 Doppelstunden (16 Hörer).
5. Populäre Vorlesungen über psychoanalytische Topik. Allgemein zugänglich
(Drs. Brill, Daniels, Kenworthy, Lehrman, Meyer, Oberndorf, Rado).
8 Stunden (durchschnittlich 24 Hörer).
6 . Die Verwendung psychoanalytischer Gesichtspunkte in der sozialen Fürsorge.
Seminar für soziale Fürsorger (Dr. Adolph Stern). 10 Doppelstunden (18 Hörer).
7. Seminar für vorgeschrittene soziale Fürsorger. Fortsetzung von Kurs i
(Dr. 1. T. Broadwin). 12 Doppelstunden (ii Hörer).
8. Psychoanalyse und Recht. Einführungskurs für Richter (Dr. Bernard Glu eck).
8 Stunden (durchschnittliche Hörerzahl 12).
Palestine Institute for Psydio»Analysis, Jerusalem
Bericht, erstattet auf dem Kongreß zu Luzern, 1934
Die Arbeitsbedingungen sind in diesem kleinen Land, dessen Größe meist über¬
schätzt wird, sehr schwierig und die Anforderungen, die an uns gestellt werden, sind
außerordentlich hohe. Wir müssen die äußerste Vorsicht üben, da manche Fälle, in
denen unsere Hilfe in Anspruch genommen wird, oberflächlicher Art sind, während
andere, wie etwa Fragen der Kindererziehung, so wichtig und dringlich sind, daß es
nicht leicht ist, die Verantwortung zu übernehmen.
Das „Palestine Institute for Psycho-Analysis“ wurde im Herbst 1934 eröffnet.
Wir gaben den Behörden sein Bestehen unter diesem Namen bekannt und begegneten
in dieser Hinsicht keiner Gegnerschaft. Man betrachtet es als ein Institut zur aka¬
demischen Weiterbildung, und dies ist so ganz in Ordnung. Bisher ergab sich kein
Konflikt mit dem Educational Department und wir hoffen, daß dies auch in Hin¬
kunft nicht der Fall sein wird. Ich möchte mit aller gebotenen Vorsicht sagen, daß
wir wahrscheinlich in der Lage sein werden, Lehrer zur therapeutisch-pädagogischen
Arbeit einschließlich der Kinderanalyse auszubilden. In anderer Hinsicht ist die
Korrespondenzblatt
319
Frage der Laienanalyse hier sehr schwierig, und zwar in solchem Maß, daß wir nur
bitten können, diese Angelegenheit vorläufig unserer Beurteilung zu überlassen. Ich
hoffe, in zwei Jahren über die Durchführung ausführlich Rechenschaft ablegen zu
können. Dr. M. Eitingon
Sc&weizeriscjbe Gesellsdiaft für Psydioanalyse
Bericht, erstattet auf dem Kongreß zu Luzern, 1934
Wir besitzen kein Lehrinstitut im eigentlichen Sinn des Wortes, sind jedoch be¬
müht, für die Ausbildung künftiger Analytiker Vorkehrungen zu treffen. Wir
unterbreiten deshalb dem Unterrichtsausschuß die Namen solcher Analysanden, die
zur berufsmäßigen Ausübung des Faches geeignet scheinen. Es ist sodann Sache des
Unterrichtsausschusses, zu entscheiden, ob eine zum Abschluß gebrachte Analyse als
Lehranalyse bewertet werden kann, den Kandidaten in diesem Falle bei der Erlan¬
gung der nach den „Internationalen Richtlinien“ erforderlichen Ausbildung zu unter¬
stützen und ihn zur Aufnahme ah eines der bestehenden Lehrinstitute zu empfehlen.
Analysanden, deren Studien der Psychoanalyse genügend weit vorgeschritten sind,
werden zu den Veranstaltungen der Gesellschaft zugelassen, teils um ihnen Gelegen¬
heit zu weiterem Studium zu verschaffen, teils um sie mit praktizierenden Ana¬
lytikern in Fühlung zu bringen.
Zu einem Lehrinstitut entstand, wie wir hoffen, ein Ansatz durch die Bemühun¬
gen unseres Kollegen Behn-Eschenburg,i der ein psychoanalytisches Seminar
für eine Anzahl unserer jüngeren Kollegen anregte, dessen besondere Aufgabe das
Studium praktischer technischer Probleme ist.
An der Flochschule in Basel entfaltete Meng eine rege Tätigkeit und brachte in
seinen Vorlesungen über pädagogische Psychologie die psychoanalytische Theorie
hervorragend zur Geltung. Sarasin
Lehrinstitut der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung,
Budapest
IV. Quartal 1933
1 . Vorlesungen
1. Frau K. F. Levy: Psychoanalyse für Pädagogen. 6 Vorlesungen (55 Hörer).
2. Dr. Szüts: Depression, i Vorlesung (15 Hörer).
3» Dr. 1 . Hol lös: Auszüge aus der Psychiatrie. 6 Vorlesungen (20 Hörer).
II. Seminar für Ausbildungskandidaten
4. Frau V. Koväcs: Technisches Seminar. 5 Stunden (14 Hörer).
5 * Dr. M. Bali nt: Psychoanalytische Literatur über die Perversionen. 5 Stunden
(8 Hörer).
^ 6. Dr. E. Almasy: Psychiatrische Krankengeschichten (für nichtärztliche Aus¬
bildungskandidaten). 3 Stunden (15 Hörer).
320
Korrespondenzblatt
I. Quartal 1934
I. Vorlesungen für Pädagogen
1. Frau Dr. K. Rotter: Verstehen und Erziehen.
2. Dr. Szüts: Das hysterische Kind.
3. Frau Dr. G. Lazar: Kindliche Angst.
4. Frau K. F. Levy: Hemmungen.
5. Dr. Pfeiffer; Das Spiel des Kindes.
6 . Frau Dr.K. F. Levy: Asoziales Verhalten. Zusammen 6 Vorlesungen (6o Hörer).
II. Seminar für Ausbildungskandidaten
7. Frau Kovdcs: Technisches Seminar. 5 Stunden (12 Hörer).
8. Dr. I. Hermann: Theoretisches Seminar. Diskussion von Freuds „Hemmunc^
Symptom und Angst“. 5 Stunden (12 Hörer).
II. Quartal 1934
I. Vorlesungen
I'tau Dr. L. G. Hajdu: Masochismus, i Vorlesung (30 Hörer).
2. Dr. L. Revesz: Hysterie. 2 Vorlesungen (30 Hörer).
3. Dr. I. Hollos: Die Theorie der Traumdeutung. 5 Vorlesungen (40 Hörer).
4. Dr. E. Almasy: Psychiatrische Krankengeschichten. 3 Vorlesungen (20 Hörer).
II. Seminare für Ausbildungskandidaten
5. Frau V. Kovacs: Technisches Seminar. 5 Stunden (ij Hörer).
6. Frau A. Bdlint: Über Verdrängung. 2 Stunden (ij Hörer).
Bericht, erstattet auf dem Kongreß zu Luzern, 1934
Die Berichtsperiode stand unter dem Eindruck des Verlustes, den wir durch
Vereinigung, besonders aber die
Pohkhmk, betrachten es als unsere höchste Dankespflicht, den therapeutischen Geist
zu pflegen, der in Ferenczi seine Verkörperung fand.
Dr. Hollös folgte Ferenczi als Direktor; sonst ergaben sich keine Änderungen
in der Leitung.
1933 war ein Absinken der Vormerkungen zur Behandlung zu verzeichnen, deren
Gesamtzahl 149 betrug. Hingegen ist die Zahl der in Behandlung stehenden Fälle
im ständigen Anwachsen begriffen.
1932 (Wiesbadener Bericht) ergab einen Durchschnitt von 25 Analysen mit iioBe-
ha^lungsstunden wöchentlich. Zur Zeit werden 47 Analysen in 160 wöchentlichen
Behandlungsstunden durchgeführt; ferner sind 25 Kinderanalysen mit 40 Behand¬
lungsstunden pro Woche im Gang.
Leider besteht eine lange Vormerkliste von 75 Personen, von denen einige schon
jahrelang warten.
Der Vorsitzende des Unterrichtsausschusses Dr. Hermann berichtet über 17 Lehr- i
analysen und 4 Kontrollanalysen.
Statt in systematischen Kursen, die bei einer so geringen Zahl von Dozenten und
Kan^daten schwer zu arrangieren sind, wurde die Hauptarbeit in folgenden Seminaren
geleistet:
I. Technisches Seminar, geleitet von Frau V. Kovacs.
Vorläufige Mitteilungen
321
2. Theoretisches Seminar, geleitet von L Hermann.
3. Seminar über psychoanalytische Literatur, geleitet von M. Bali nt.
Die Teilnehmerzahl betrug 10 bis 15 Hörer. Einige unserer älteren Kollegen
nahmen öfters an den Diskussionen teil. Dr. Michael Bali nt
The Washington^Baltimofc Psychoanaiytic Society
I. Quartal 1933
Dr. William V. Silverberg: Freuds Krankengeschichten. 10 Seminarabende
(18 Hörer).
11 . Quartal 1933
Dr. Ernest E. Hadley: Traumdeutung. 6 Vorlesungen (ii Hörer).
Dr. H. St.Sullivan: Die Psychiatrie der Schizophrenie. 8 Vorlesungen (18 Hörer).
IV. Quartal 1933
Dr. Lewis B. Hill: Die Theorie der Neurosen. 10 Vorlesungen (i^ Hörer).
Dr. Ernest E. Hadley; Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. 6 Seminarabende
(12 Hörer).
Dr. Lewis B. Hill: Technisches Seminar. 10 Stunden (4 Hörer).
I. Quartal 1934
Lucile Dooley: Spezielle Neurosenlehre. 10 Vorlesungen (13 Hörer).
Dr. Ernest E. Hadley: Die Theorie der Traumdeutung. 6 Vorlesungen (6 Hörer).
Dr. Ernest E. Hadley: Die Technik der Traumdeutung. 10 Seminarabende
(12 Hörer).
Dr. Lewis B. Hill: Technisches Seminar. 10 Stunden (6 Hörer).
II. Quartal 1934
Dr. Lewis B. Hill: Trieblehre. 5 Vorlesungen (ii Hörer).
Dr. Lewis B. Hill; Technisches Seminar. 10 Stunden (6 Hörer).
Dr. Lucile Dooley: Die Technik der Psychoanalyse. 8 Vorlesungen (12 Hörer).
III. Quartal 1934.
Dr. Lewis B. Hill: Allgemeine Neurosenlehre. 10 Vorlesungen (5 Hörer).
IV. Quartal 1934
Bernard S. Robbins: Die Theorie der Traumdeutung. 6 Vorlesungen (4 Hörer).
Dr. Lucile Dooley; Technisches Seminar. 10 Seminarabende (7 Hörer).
Dr. William V. Silverberg; Metapsychologie. 8 monatl. Vorlesungen (Oktober
1934 bis Mai 1935) (25 Hörer).
Dr. Harry St. Sullivan: Die Psychiatrie des Charakters und seine Abweichungen.
8 monatl. Vorlesungen (Oktober 1934 bis Mai 1933) (23 Hörer).
____ Dr. Ernest E. Hadl ey, Chairman
i) Wir müssen leider mitteilen, daß Behn-Eschenburg seit der Abfassung dieses Be¬
richtes nach kurzem, schwerem Leiden verschieden ist.
322
Korrespondenzblatt
III. Berichte der Zweigvereinigungen
British Psycho*Anaiytical Society
1 . Quartal 193 j
16. Januar: Mrs. Klein: „A contribution to the psycho-genesis of manic-depres¬
sive States.“
6. Februar: Miß Sharpe: „Some unconscious determinants in the sublimations
of pure Science and pure art.“
20. Februar: Miß Searl: „Infantile Ideals.“
6 . März: Dr. Payne: „A Conception of Fenaininity.“
20. März: Dr. Brierley: „Specific determinants in feminine development.“
II. Quartal 1935
3. April. J. C. Flügel: Das Tannhäusermotiv.
8. Mai. Symposion: Psychoanalyse und Erziehung. Dr. Edward Glover, Dr. I
Susan Isaacs, Dr. Melitta Schmideberg. Die Diskussion wurde von Miß Barbara j
Low eröffnet. j
21. Mai. Barbara Low: Die psychologischen Kompensationen des Analytikers. Die
Diskussion über das Symposion wird fortgesetzt.
5. Juni. Walter Schmideberg: Agoraphobie und Schizophrenie, ein Beitrag zur
Analyse der Psychosen.
19. Juni. Die Diskussion über das Symposion wird nach Aufzeichnungen von
Dr. Edward Glover fortgesetzt. '
Edward Glover, j
Hon. Scientific Secretaiy j
Dansk*Norsk Psykoanalytisk Forening
I. Quartal 1935
I. Februar 1935. Referatenabend über Glover: „War, Sadism, Pacifism.“
Dn Trygve Bratoy, Vinderen b. Oslo, Psykiatrisk klinik, und Frau Doktor
Christensen, Oslo, Huitfeldtsgate 7, werden als Mitglieder auf genommen.
8. Februar 1935. Kasuistischer Abend. Referent: Dr. Raknes.
22. Februar 1935. Dr. Fenichel: „Das Phallus-Mädchen.“
Die symbolische Gleichung Penis — Kind nimmt unter Umständen bei beiden Ge¬
schlechtern die Form an: Penis — Mädchen. Diese spezielle Form ist von Bedeutung
für Neurosenlehre (Perversionen), Mythologie, Religionspsychologie und Literatur¬
geschichte. ■ ij
8. März 1935. Dr. Gero, Kopenhagen, a. G.: „Über orgastische Potenz und Prä-
genitalität.“
Ein Fall von zyklothymer Neurose mit leichter Affektsperre bot das Bild eines
äußerlich geordneten Seelenlebens. Die Analyse ergab, daß ein seinem scheinbar un¬
gestörten Sexual verhalten (ebenso wie in seinem sonstigen Lebensverhalten) Konflikte
um einen ursprünglichen starken oralen Sadismus „gebunden“ waren. Die Probleme
der Beziehungen zwischen Oralität und Genitalität, besonders der scheinbaren or¬
gastischen Potenz trotz starker oraler Fixierung wurden erörtert.
Korrespondenzblatt
323
15. März 1935. Kasuistischer Abend. Referent: Dr. Landmark.
22. März 1935. Referentenabend über Bernfeld: „Die Gestalttheorie.“
29. März 1935. Dr. Fenichel: „Zur Theorie der psychoanalytischen Technik.“
Die in der Int. Ztschr. f. Psa. erscheinende Arbeit gleichen Titels, vermehrt um einige
weitere Auseinandersetzungen mit den technischen Vorschlägen von Reich.
5. April 1935. Kasustischer Abend. Referent Dr. Hoel.
II. Quartal 1935
14. Mai 1935. Kasuistischer Abend. Referent: Prof. Schjelderup.
20. Mai 1935. Dr. Fenichel: „Der Trieb, sich zu bereichern.“ Das heute in den
verschiedensten normalen und pathologischen Formen zu beobachtende triebhafte
Verlangen, sich zu bereichern, bietet Gelegenheit, das Ineinander von Biologisch-
Triebhaftem und gesellschaftlich Bedingtem zu studieren. Dieses hat sowohl auf die
relative Verteilung der Libido auf die einzelnen PartiaJtriebe großen Einfluß,
wie es auch den biologischen Triebansprüchen bestimmte Gegenstände zu geben
vermag. — Die ibisherigen Untersuchungen über die Beziehungen von Geld und
Analerotik sind in vielfacher Flinsicht ungenügend.
31. Mai 1935. Referentenabend über Laß well: „Psychopathology and Politics.“
7. Juni 1935. Kasuistischer Abend. Referent: Dr. Brätoy.
17. Juni 1935. Referentenabend über Cannon: „Bodily Changes in Fear, Hunger,
Pain and Rage.“
21. Juni 1935. Referentenabend über die Arbeit von Piaget.
24. Juni 1935. Dr. Fenichel: Gedanken über Selbstironie als Angstabwehr. Die
Erkenntnisse der Psychoanalyse über Ironie und Humor ermöglichen in manchen
Widerstandsformen innerhalb der analytischen Kur und — vor allem — in manchen
Kinderspielen die Funktion der Selbstironie als einen spezifischen Mechanismus der
Angstabwehr zu erkennen.
I. Juli 1935. Dr. Nie. Hoel: „Zur Problematik der Hypochondrie.“
O. Fenichel
Sekretär
Deutsche Psyctoanalytisdie Gesellsdiaft
»
I. Quartal 1935
I. Januar 1935. Dr. Roellenbleck: „Peer Gynt als erotischer Typ suigeneris/*
Diskussion: Mette, Jakobsohn, Kempner, Herold, Benedek, Müller-Braunschweig.
Weigert-Vowinokel, Kamm, Zeif (a. G.).
21. Januar 1935. Frau Dr. Liebeck-Kirschner: „Frühe Wurzeln der Aktivität.“
Diskussion: Mette, Jakobsohn, Benedek, Müller-Braunschweig, Zeif (a. G.).
5. Februar 1935. Dr. Ernst Lewy (a. G.): „Frühkindliches Erleben und Erwach-
senen-Kultur bei den Primitiven (nach G. M. Mead),“
Diskussion: Herold, Kamm, Benedek, Buder-Schenk (a. G.), Müller-Braunschweig,
Boehm.
16. Februar 1933. Festsitzung in erweitertem Rahmen mit anschließendem geselligen
Zusammensein anläßlich des 15jährigen Bestehens des Berliner „Psychoanalytischen
Instituts“.
324
Korrespondenzblatt
I. Dr. Boehm gibt einen Überblick über die Entwicklung und Tätigkeit des
Instituts. 2. Dr. Müller-Braunschweig hält einen Vortrag über „Die erste
Objektbesetzung des weiblichen KLindes in ihrer Bedeutung für Penisneid und Weib¬
lichkeit“.
27. Februar 1935. Diskussion über den Vortrag vom 16. Februar nach einleitendem
Referat Müller-Braunschweigs: Benedek, Boehm, Jakobsohn, Schultz-Hencke,
Kamm, Weigert-Vowinckel.
6 . März 1935. I. Frau Gertrud Göbel: „Analytische Unterhaltungen mit einer
75jährigen Frau.“ 2. Frau Dr. Jakobsohn: „Über das Heilungsproblem in der
Kinderanalyse.“ (Vortrag Luzern 1934.) Diskussion zu i. und 2.: Jakobsohn, Müller-
Braunschweig, Buder-Schenk (a. G.), Schultz-Hencke, Kamm, Liebeck-Kirschner.
20. März 1935. Frau Dr. Jakobsohn und Frau Dr. Benedek: „Kritisches
Referat über Sandor Rado: Die Kastrationsangst des Weibes.“
30. März 1935. Dr. Steinfeld-Mannheim (a. G.): „Aus der Behandlung eines
Falles von Zwangsneurose mit Berücksichtigung des Zwillingsproblems.“
Diskussion: Jakobsohn, Kempner, Schulte (a. G.), Graf (a. G.), Boehm.
Adressenänderung: Frau Dr. med. Weigert-Vowinckel, Ankara (Türkei),
Beivü-Palas-Oteli.
Dr. Carl Müller-Braunschweig
Schriftführer
Finnisch*Schwe<iischc Psychoanalytische Vereinigung
I. Quartal 1935
31. Januar 1935. Kontrollseminar; Törngren: Patient.
7. Februar 1935. Geselliges Zusammensein anläßlich des Besuches Dr. Rene
Allendy, Paris.
11. Februar 1935. öffentlicher Vortrag; Nielson: Sexuelle Aufklärung.
12. Februar 1935. Referierabend; Ekman: Zur präÖdipalen Phase.
18. Februar 1935. öffentlicher Vortrag; Nielson: Onanie.
21. Februar 1935. Kontrollseminar; SandstrÖm: Patient.
22. Februar 1935. öffentlicher Vortrag im Medizinerverein von Upsala; Törn¬
gren: Medizin und Psychoanalyse.
25. Februar 1935. öffentlicher Vortrag; Ekman: Strafen.
28. Februar 1935. Kontrollseminar; Ekman: Patient.
II. März 1935. öffentlicher Vortrag; Törngren: Medizin und Psychoanalyse.
14. März 1935. Kontrollseminar; Törngren: Patient.
28. März 1935. Vorträge in der Sektion für Neurologie und Psychiatrie der
schwedischen Ärztegesellschaft; Jekels: Die psychoanalytische Therapie; Tamm:
Die Kindersexualität.
Alfhild Tamm
Korrespondenzblatt
325
Magyarorszagi Pszidioanafitikai Egyesület
I. Quartal 1935
18. Januar 1935. Dr, I. Hermann; Über ein in der analytischen Literatur bisher
vernachlässigtes Triebpaar (Sich-Anklammern und Sich-Losreißen).
I. Februar 1935. Generalversammlung. Wahl des Vorstandes und der Funktionäre.
Präsident Dr. Hollos, Sekretär und Vorsteher des Lehrausschusses Dr. Hermann,
Leiter der Poliklinik Dr. Bali nt, stellvertretender Leiter der Poliklinik Dr. Revesz,
Kassier Dr. Pfeifer, Biblothekar Dr. A 1 m ä s y.
I. März 1935. Frau A. Bälint; Das Realitätsprinzip in der Erziehung.
15. März 1935. Kasuistik, i. Frau Dr. M. Dubovitz: Aus der Analyse eines
Kindes. 2. Frau Dr. L. G. Hai du: Epileptische Anfälle während einer Analyse.
29. März 1935. Kasuistik, i. Dr. I. Hollos: Zur Frage der analytischen Auffassung
der Epilepsie. 2. Frau E. Gyömröi: Aus der Analyse eines Homosexuellen.
II. Quartal 1935
12. April 1935. Dr. I. Hol lös: Referat des Buches von 1 . Hermann, „Die Psy¬
choanalyse als Methode“.
IO. Mai 1935. Frau Dr. L. K. Rotter: Tiefenpsychologischer Hintergrund der
inzestuösen Fixierung.
24. Mai 1935. Dr. N. Sugar (als Gast): Blick in die Zukunft der Psychoanalyse.
25. Mai 1935. Gedenks'itzung für Dr. S. Ferenczi. i. Dr. 1 . Hollös: Eröff¬
nungsrede. 2. Dr. G. Röheim: Ferenczi-Gedenkvortrag. Der Garten Eden oder die
Psychologie der Menschheit.
14. Juni 1935. Dr. L. Revesz: Referat über die Vierländertagung.
21. Juni 1935. Dr. G. Dukes: Über die beschränkte Zurechnungsfähigkeit.
Dr. I. Hermann
Sekretär
Ncderlandscfic Vcrecniging voor Psydioanalysc
L und II. Quartal 1935
26. Jänner 1935 (Leiden). Jahresversammlung. Vorstand ungeändert. In den Unter-
richtsausschuß wird statt Dr. A. J. Westerman Holstijn^ welcher sich zurück¬
gezogen hat, Dr. H, G. van der Waals gewählt.
Dr. H. C. Jelgersma und Dr. S. J. R. de Monchy bringen kurze Mitteilungen.
9. März 1935 (Amsterdam). Dr. A. Stärcke: Die Rolle der analen und oralen
Quantitäten bei den Systemgedanken. (Dieser Vortrag wurde in Heft I, 1935 der
Int. Ztschr. f. Psa. veröffentlicht.)
25. Mai 1935 (Haag). Dr. S. Weyl: Das Abenteuer (wird veröffentlicht).
Dr. J. Tas, bisher außerordentliches Mitglied, wurde als ordentliches Mitglied auf¬
genommen.
Als außerordentliche Mitglieder wurden aufgenommen: Dr. Jacques de Bus scher,
14 rue Guinard, Gent, Dr. P. A. I. J. Nuysink, ii Koningskade, Haag.
A. Endtz
Sekretär
Int, Zeitschr. t Psychoanalyse, XXI/2
22
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326
Korrespondenzblatt
Vcrccniging van Psychoanalytici in Nedcfland
I. und II. Quartal 1935
Als ordentliches Mitglied wurde Dr. A. Stärcke aufgenommen. Als Gäste sprachen
Frau Dr. Jeanne Lampl-dc Groot über Masochismus, und Frau Dr. Schönber¬
ger, welch letztere Mitteilungen aus dem Kinderambulatorium in Wien brachte.
Von unseren Mitgliedern hielt Frau Dr. Versteeg-Solleveld einen Vortrag
über „Das Wiegenlied“, Dr. Landauer über „Weibliche Genitalfunktionen“ und
über „Unlustvolle Verwirklichung lustvoller Phantasien“. Dr. Reik sprach einige
Male über „Überraschung“, Dr. Watermann über „Masochismus“, Dr. Katan
über Schizophrenie, während Dr. van der Waals das Buch von Bühl er, „Aus¬
druckslehre“, besprach.
Jede vierte Sitzung setzte Dr. Blök die Besprechung einer Analyse fort.
A. M. Blök
Sekretär
Societe Psydianalytique de Paris
I. Quartal 1935
15. Januar 1935. Vorsitz; Dr. A. Borei.
Geschäftliche Sitzung; Der Ausschuß wird für das Jahr 1935 gewählt; Präsident
Dr. Eduard Pichon; Vizepräsident Mme. Marie Bonaparte; Sekretär Dr. J.
Leuba; Kassier M. Jean Frois-Wittmann. Über Antrag von Mme. Marie
Bonaparte wird ein psychoanalytisches Seminar gegründet. Mme. Marie Bona¬
parte wird bereitwillig die Organisation übernehmen. Aufgabe des Seminars wird es
sein, in technischen Sitzungen die Schriften Freuds sowie klinische Fälle gemeinsam
zu studieren.
Wissenschaftliche Sitzung; M. Dalbiez, eifriger Gast unserer Sitzungen, hält einen
Vortrag über „Les criteres de Pinterpretation en psychanalyse et les exigences de la
methologie scientifique“. Diskussion; MM. Lacan, Leuba, Mme. Marie Bonaparte,
MM. Schiff, Loewenstein, Frois-Wittmann, Laforgue, Dalbiez.
13. Februar 1935. Vorsitz; Dr. E. Pichon.
Dr. P. Schiff; „Psychanalyse d’un crime incromprehensible.“ Diskussion; M.
Pichon, Mme. Marie Bonaparte, MM. Laforgue, Odier, Godet, Spitz, Lacan, Dalbiez
(a. G.), Schiff.
19. März 1935. Vorsitz; Mme. Marie Bonaparte.
Geschäftliche Sitzung; Monsieur Philippe Marette, 2, rue du Colonel Bonnet,
Paris XVI, wird zum außerordentlichen Mitglied gewählt. Wir verzeichnen gerne die
Kandidaturen von Herrn Dr. J. L. Pierre, 39 Avenue Charles Floquet, Paris VII,
und des Sohnes von Mme. Marie Bonaparte, des Prinzen Peter von Griechen¬
land, 6 rue Adolphe Yvon, Paris XVI. (In der infolge der Ferien vorverlegten April¬
sitzung erfolgte die Wahl beider Kandidaten zu außerordentlichen Mitgliedern.)
Wissenschaftliche Sitzung; Dr. Parcheminey; „Expose clinique d’un cas d’im-
puissance.“ Diskussion; MM. Loewenstein, Codet, Schiff, Laforgue, Mmes. Morgen-
J
Korrespondenzblatt
327
stein et Codet, MM. Frois-Wittmann, Odier, Pierre, Mme. Marie Bonaparte, M. Par-
cheminey.
Dr. J. Leu'ba
Sekretär
Wiener Psydioanalytisdie Vereinigung
1. Quartal 1935
9. Jänner 1935. Dr. Jeanne LampI-de-Groot: Referat über das Buch von
Sandor Rado, „Die Kastrationsangst des Weibes“. Diskussion: R. Wälder, Hartmann,
Federn, H. Deutsch, E. Kris.
23. Jänner 1935. Anna Freud; Die Verwendung der analytischen Technik zum
Studium der psychischen Instanzen (I. Teil). Diskussion: Fenichel (Oslo, a. G.), Federn,
Eidelberg, M. Löwy (Prag-Marienbad, a. G.), G. Bibring, Sperling, H. Deutsch,
Stengel, R. Sterba, R. Wälder, J. Lampl-de-Groot, E. Kris.
6. Februar 1935. Anna Freud: Die Verwendung der analytischen Technik zum
Studium der psychischen Instanzen (II. Teil). Die Diskussion wird auf den nächsten
Abend verlegt.
20. Februar 1935. Diskussion zum Vortrag Anna Freud: Die Verwendung der
analytischen Technik zum Studium der psychischen Instanzen (II. Teil). Diskussions¬
einleitung: Anna Freud. Diskussion: J. Lampl-de-Groot, Hartmann, Federn, M. LÖwy
(Prag-Marienbad, a. G.), Stengel, R. Sterba, R. Wälder, E. Kris.
6. März 1935. Dr. Edith Buxbaum; Eine Rechenstörung. Diskussion: Federn,
Hofifmann. — Dr. Editha Sterba: Eine Kinderbeobachtung. Diskussion: Anna Freud,
Federn. — Dr. Eduard Hitschmann: Über Erweiterung der Traumbeobachtungen.
Diskussion: Federn. — Dr. Paul Federn: Angsttraum und Schrecktraum. —
Dr. Paul Federn: Über das Zeitgefühl beim hysterisch und beim melancholisch
Deprimierten. Diskussiion: R. Sterba, Hartmann, Stengel, Max Müller (Bern, a. G.).
20. März 1935. Dr. Robert Wälder: Über Zivilisation. Diskussion: Winterstein,
Federn, E. Kris, Friedjung, M. Löwy (Prag-Marienbad, a. G.), Hartmann, Anna Freud.
Geschäftliches: Dr. Yrjö Kulovesi (Tampere, Finnland) ist in die finnisch-
schwedische psychoanalytische Vereinigung übergetreten.
2. Quartal 1935
24. April 1935. Dr. Ernst Jones (London, a. G.): „Über die Frühstadien der
weiblichen Sexualentwicklung. Diskussion: H. Deutsch, W. Schmideberg (London,
a. G.), R. Wälder, Anna Freud, B. Bornstein, Friedjung, Federn, J. Lampl-de Groot.
13. Mai 1933. Dr. Michael Bali nt (Budapest, a. G.): „Zur Kritik der Lehre von
den prägenitalen Organisationen.“ Diskussion: Federn, G. Bibring, J. Wälder, B. Born¬
stein, E. Kris, Anna Freud, J. Lampl-de Groot, A. Bälint (Budapest, a. G.), R. Wälder.
29. Mai 1935. Dorothy Tiffany Burlingham: „Die Einfühlung des Kleinkindes
in die Mutter.“ Diskussion: G. Bibring, Federn, M. Kris, E. Kris, B. Bornstein, Hart¬
mann, Anna Freud, Eidelberg, R. Wälder.
Über die gemeinsamen mit der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung, der
Prager Arbeitsgemeinschaft und der Societä Psicoanalitica Italiana durchgeführte
Vierländertagung (8.—10. Juni) wird gesondert berichtet.
328
Korrespondenzblatt
i
19. Juni 1935. Dr. Erwin Stengel: „Die zwangsneurotische Persönlichkeit im
schizophrenen Prozeß.“ Diskussion: Hartmann, Katan (Haag, a. G.), Eidelberg, Mack-
Brunswick, Isakower, R. Wälder, Federn, Bergler.
Geschäftliches: Das o. Mitglied der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft,
Frau Else Heilpern-Fuchs, wird in die Wiener Vereinigung übernommen.
Dr. Robert Wälder
Schriftführer
Psychoanalytickä skupina v C. S. R.
(Psychoanalytische Arbeitsgemeinschaft in der C. S. R.)
Die Arbeitsgemeinschaft nahm ihre Arbeit in Prag im Oktober 1933 auf. Schrift¬
führer der Arbeitsgemeinschaft ist Dr. Richard Karpe, Truhlarska 20, Praha. Vor
ihrer Begründung hatte Dr. Em. Windholz einen Kurs: „Eii^fhhrung in die Psycho¬
analyse“ abgehalten (10 Abende, Teilnehmerzahl 10). Außerdem hielt Francis Deri
zwei Vorträge über: „Traumdeutung“ (Teilnehmerzahl 20) und „Grundbegriffe der
Psychoanalyse“ (Teilnehmerzahl ca. 100).
Oktober bis Dezember 1933
Steff Bornstein: Pädagogisches Seminar. 12 Abende, Teilnehnierzahl 20.
Francis Deri: Theoretisches Seminar (für Fortgeschrittene): Zwangsneurose.
3 Abende, Teilnehmerzahl 12—15.
Francis Deri: Technisches Seminar (für Analytiker): 8 Abende, Teilnehmerzahl 8.
Populäre Vorträge
Edith Glück: Das Märchen vom Glück der Kindheit.
Dr. Annie Reich: Die Ängste der Kinder und die Neurosen der Erwachsenen.
Dr. Heinrich Löwenfeld: Wege der Charakterbildung.
Teilnehmerzahl der Vorträge: 50—80.
I. und IL Quartal 1934
Steff Bornstein: Pädagogisches Seminar, 23 Abende, Teilnehmerzahl 30—-40.
Steff Bornstein: Drei Abhandlungen über Sexualtheorie (für Pädagogen). 18 Kurs-
stunden, Teilnehmerzahl 10.
Francis Deri: Theoretisches Seminar (für Fortgeschrittene): Zwangsneurose (Fort¬
setzung), Hysterie; Traumdeutung, Reaktionsbildung und Sublimierung, ii Abende
Teilnehmerzahl 14—18.
Francis Deri: Technisches Seminar (für Analytiker). 12 Abende, Teilnehmerzahl 7
Populäre Vorträge
Steff Bornstein: Das Unbewußte der Eltern in der Erziehung der Kinder. Teil
nehmerzahl 70.
Steff Bornstein: Eß- und Schlafstörungen des Kindes. Teilnehmerzahl 150.
Dr. Richard Karpe: Zivot a dilo Zigmunda Freuda (Leben und Werk Sigmunc
Freuds). Teilnehmerzahl 25.
Korrespondenzblatt
329
In Teplitz:
Steff Bornstein: Über infantile Sexualität.
III. und IV. Quartal 1934
Steff Bornstein: Pädagogisches Seminar I. 5 Abende, Teilnehmerzahl 20—25.
Steff Bornstein: Pädagogisches Seminar II. 7 Abende, Teilnehmerzahl 30—45.
Francis Deri: Theoretisches Seminar (für Fortgeschrittene): Todestrieb und Maso¬
chismus. 4 Abende, Teilnehmerzahl 12.
Francis Deri: Freud-Seminar (für Fortgeschrittene): Metapsychologie. 5 Abende,
Teilnehmerzahl 15.
Dr. Annie Reich: Freud-Seminar (für Anfänger). 7 Abende, Teilnehmerzahl 30—40.
Francis Deri: Technisches Seminar. 5 Abende, Teilnehmerzahl 7.
Am Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern 1934 wurde die
Prager Arbeitsgemeinschaft der Wiener Gruppe angegliedert.
Gastvorträge
Dr. Edward Bi bring, Wien: Trieblehre (2 Vorträge).
Dr. Robert Wälder, Wien: Allgemeine Neurosenlehre (2 Vorträge).
Dr. Rene Spitz, Paris: Die Psychologie des Kleinkindes (4 Vorträge).
Dr. Rene Spitz, Paris: John, ein unvollkommen untergegangener Ödipuskomplex.
Dr. Rene Spitz, Paris: Frühkindliches Erleben und Erwachsenenkultur bei den
Primitiven.
Dr. Otto Fenichel, Oslo: Die Psychoanalyse der Langweile.
Populäre Vorträge
Francis Deri: Der Kampf um die Psychoanalyse. Teilnehmerzahl 70.
Dr. Richard Karpe: Warum sind Erziehungsfehler unvermeidbar? (2 Vorträge).
Teilnehmerzahl 60 und 180.
In Brünn:
• Francis Deri: Die Bedeutung des Traumes für die Psychoanalyse. Teilnehmer¬
zahl 200.
Francis Deri
IV. Änderung im Rcdaktionskomitec der Intern
nationalen Zeitschrift für Psychoanalyse
Herr Dr. Paul Federn hat seine Funktion als Mitredakteur der Internationalen
Zeitschrift für Psychoanalyse niedergelegt. An seiner Stelle ist Herr Dr. Edward
Bibring in das Redaktionskomitee eingetreten. Dieses Komitee besteht nun aus
den Herren Dr. E. Bibring, Dr. H. Hartmann und Dr. S. Rado.
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fei
THE
PSYCHOANALYTIC
QUARTERLY
Fourth year of publication
THE QUARTERLY
is devoted to original contributions in
the ficld of thcorctical, clinical and
applied psychoanalysis, and is published
four times a year.
The Editorial Board of the QUAR-
TERLY consists of the Editors: Drs.
Dorian Feigenbaum, Bertram D. Lewin
and Gregory Zilboorg. Associate Edi¬
tors: Drs. Henry Alden Bunker, Jr.,
Raymond Gosselin and Lawrence S.
Kubie. Associated with the Editorial
Board is a group of distinguished Ameri¬
can and European psychoanalysts.
CONTENTS FOR APRIL mS:
Bertram D. Lew in: Claiutrophobia. — Sandor
Lorand: Fairy Tales and Neurosis. — WilliamJ.
Spring: Words and Masses: A Pictorial Contribu-
tion to the Psychology of Stammering. — Marie
Bonaparte: The Murders in the Rue Morgue.—
Hanns Sachs: Edgar Allan Poe. — Lieutenant-
Colonel C. D. Daly: The Menstruation Complex
in Literature. — Henry Alden Bunker. Jr.: Three
Brief Notations Relative to the Castration Complex. —
In memnriam William Her man. — Book reviews.—
Current Psychoanalytic Literature. — Notes.
Editorial Communications should he sent
to the Editof~in~Chief: Dt. Dorian Feigen-
bäum, 6o Grametcy Park, New York, N. Y.
Foreign subscription price is $ 5.50;
single issues, one dollar and 75 cents.
A limited numher of back copies are
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THE PSYCHOANALYTIC
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THE
INTERNATIONAL
JOURNAL OF
PSYCHO-ANALYSIS
Directed by
SIGM. FREUD
Edited by
ERNEST JONES
This Journal is issued quarterly.
Besides Original Papers, Ab-
stracts and Reviews, it contains
the Bulletin of the Internatio¬
nal Psycho-Analytical Associa¬
tion, of which it is the Official
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Editorial Communications should he
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The Annual Subscription is 50s per
volume of four parts.
The Journal is obtainable by sub¬
scription only, the parts not being
sold separately.
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Tindall & Cox, 8 Henrietta Street,
Covent Garden, London, W. C. 2.,
who can also supply back volumes.
Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Band XXI, Heft 2
(Ausgegeben im Juli 1935)
INHALTSVERZEICHNIS
Seite
Der Kern des Ödipuskomplexes. 165
Über den Einfluß psychischer Faktoren auf
gastrointestinale Störungen. 189
Über^uthanasie... 22 (^
Koro. Eine "iSerl^urSige Angsthysterie. 249
Eidelb erg: Der Mechanismus der Depersonalisation.... 258
VORLÄUFIGE MITTEILUNGEN
Ludwig Eidelberg: Das Problem der Quantität in der Neurosenlehre.... 286
REFERATE
Aus der Literatur der Grenzgebiete
St ehr: Arzt, Priesterarzt und Staatsmann (S.) 291.
Aus der psydiiairisdi-neurologischen Literatur
Oberholzer: Zur Differentialdiagnose psychischer Folgezustände nach Schädeltraumen mittels
des Rorschachschen Formdeutversuchs (Weil) 292. — Psychotherapeutische Praxis (R. Sterba) 295.
Aus der psydioanalytisdien Literatur
Benedek: Some Factors Determining Fixation at the Deutero-Phallic Phase (Fenidiel) 296. —
Eddison: The Love Object in Mania (Fenichel) 298. — Horney: The Overvaluation of Love
(Fenidiel) 299. — Kaufmann: Projection, Heterosexual and Homosexual (Fenidiel) 300. — Orgel:
Reactivation of the Oedipus-Situation (Fenidiel) 300. — Roh eim: The Evolution of Gulture
(Fenidiel) 300. Sheehan-Dare: On Making Contact With the Child Patient (Fenidiel) 304.
KORRESPONDENZBLATT DER INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN VEREINIGUNG
I) Bericht über den XIII. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Luzern (Schluß) 306. —
II) Bericht der Internationalen Unterrichtskommission 310. — III) Bericht der Zweigvereini¬
gungen 322. — IV) Änderung im Redaktionskomitee der Internationalen Zeitschrift für Psycho¬
analyse 329.
C. D. Daly:
Franz Alexander:
Felix D 0 sch:
P. M. '^n^\^^u(^fien-PaW^
Edmund Bergler u. Ludxmg
Preis des Heftes Mark 7.50. Jahresabonnement Mark 28.—
Jährlich 4 Hefte im Gesamfumfang von etwa 600 Seiten
Einbanddecken zu dem abgeschlossenen XX. Band (1934), sowie zu allen
früheren Jahrgängen: in Leinen Mark 2.50, in Halbleder Mark 5.—
Eigemümcr und Verleger: Internationaler Psydioanalytisdier Verlag, Ges. m. b. H., Wien I, Börsegasse ti. — Herausgeber: Prof. Dr. Sigm.
Freud, Wien. — Verantwortlich ßr die Redaktion; Dr. Edward Bibring, Wien VII, Siebenstemg. 3i. — Druck: Manzsche Budidrudterei, Wien IX.
Printcd in Austria.