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Full text of "Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse XXII 1936 Heft 4"

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XXII. Band 



1936 



Heft 4 



Internationale ^eitscnrilt 
tut Psycnoanaly^se 



OffixtelUs Organ der Internationalen PsyJioanalytisJien Vereinigung 



Her&usseseben von 

jigm« rreua 

Unter Mitwirkung von 



INTERNATIONAL 

PSYCHOANALYTIC 

UNIVERSITY 

DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN 




Felix Boehm 

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M.W.Peck 

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Stockholm 

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Heinz Hartmann 

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Basel 



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Sandor Rado 

New York 



Marjorie Brierley Die Affekte in der Theorie und Praxis 

Michael Bälint Eros und Aphrodite 

Otto Isakower Beitrag zur Pathopsychologie der Einschlafphänomen 

Fanny Hann^Kende Zur Übertragung und Gegenübertragung in der Psycho« 

analyse 

Joan Riviere Zur Genese der psychischen Konflikte im frühen Lebens* 

alter 

Robert Wälder Zur Frage der psychischen Konflikte im frühen Lebensalter 

Ludwig Eideiberg Zur Genese der Platzangst und des Schreibkrampfes 

Referate 



i 



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" '7 „ 24 „ „ 25 „ „ 30. -, „ 50 „ „ 40.- 

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Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien IX, Berggasse 7. 



Internationale Acitscnritt 
TÜr I sycnoanalyse 

Herausse3et>en von jigm. rrcud 

XXII. BanJ 1956 Heft 4 

Die Affekte in der Theorie und Praxis^ 

Von 

Marjorie Brierley 

London 

In der Frühzeit der Psychoanalyse spielte der Affekt in Theorie und Praxis 
eine Hauptrolle. Freuds früheste Hypothesen gewannen ihre dynamische 
Bedeutung durch den Begriff der Affektbesetzung. So sagte man, die 
Hysterika leide unter verdrängten unbewußten Erinnerungen, und die Be* 
handlung hatte den Zweck, diese Erinnerungen wiederzuerwecken und zu# 
gleich damit die adäquate Abfuhr der mit ihnen verbundenen Affekte zu 
bewirken. Die Heilung bei der kathartischen Behandlung erfolgte durch Ab* 
reagieren der Affekte. Psychische Spannung erschien zuerst als Affektspan;= 
nung der Konflikt als ein Konflikt von Vorstellungen, die mit unerträglichen 
Affekten besetzt schienen. Bald jedoch wurde Freud durch das Studium des 
verdrängten Unbewußten zu den Triebproblemen geführt. Mit der Aufstel* 
lung der Libidotheorie und der Auffassung des Konflikts als eines Konflikts 
zwischen Ich;* und Sexualtrieben geriet die ideomotorische Terminologie 
außer Gebrauch. Heute beherrscht die Triebterminologie das theoretische 
Feld. So sprechen wir eher von Objektbesetzungen als vom Affektgehalt von 
Vorstellungen und neigen in der Praxis dazu, diese beiden Ausdrucksweisen 
als synonym zu betrachten, wiewohl die genaue Beziehung zwischen Trieb 
und Affekt bisher keineswegs völlig geklärt ist. Die moderne Auffassung 
von der dreiteiligen Struktur des seelischen Apparates umfaßt ein unorgani!= 
siertes Ess=Reservoir von Trieben, dessen differenzierte Anteile die organijs 
sierten Ich«=, bezw. Über^Ich^Systeme darstellen. Wenngleich eine starke Ten* 
denz besteht, die Systeme Ich und Übersieh zu personifizieren, wenngleich 
wir in England eine Phase durchlaufen, die man (im Zusammenhang mit dem 

i) Nach einem auf dem XIV. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Marienbad 
(2. bis 7. August 1936) gehaltenen Vortrag. Aus dem Englischen übersetzt von Lilly 
N e u r a t h, Wien. 



■ 



440 Marjorie Brierley 



Begriff „einverleibte Objekte") nahezu als animistisch bezeichnen kann, so 
ist es nichtsdestoweniger im allgemeinen richtig, daß wir die Triebe als 
Quellen und Antriebe für das seelische Geschehen ansehen. Wir fassen die 
Seele auf als einen Apparat zur Regulierung der Triebspahnung und als 
einen Mittler zwischen Trieb und Außenwelt und suchen die seelische Ent« 
Wicklung als eine fortschreitende Organisierung, Anpassung und Modifi«^ 
zierung der Triebe zu verstehen. Nichtsdestoweniger sind wir auch gewöhnt, 
die Entwicklung als ein Fortschreiten der Angstbewältigung anzusehen, also 
im Zusammenhang mit einem Affektbegriff, und wir zögern nicht, die 
Triebabwehr als Abwehr gegen das Auftreten von unerträglichen Affekten 
zu begreifen. Aber bis vor kurzem wurde in der Theorie den Affekten als 
solchen nur sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt, abgesehen von der Angst 
und von einigen Studien über besondere Gefühlsregungen, wie etwa Mitleid 
und Eifersucht. Tatsächlich bringt erst Federns^ letzte Arbeit die erste 
systematische Affekttheorie in der psychoanalytischen Literatur. 

Trotz dieser zeitweiligen Außerachtlassung in der Theorie wurde die Ben 
deutung der Affekte in der Praxis niemals übersehen. Welche Meinungsver=» 
schiedenheiten immer über die Grundsätze der Technik bestehen mögen, es 
unterläßt doch kein Analytiker, seine Aufmerksamkeit den Gefühlen seiner 
Patienten zuzuwenden. Diagnose, Prognose und Behandlungsmethoden enU 
halten immer irgendeine Wertung der Affektivität. Auch die Patienten lassen 
uns darüber nicht im Zweifel. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, klagen 
sie alle über irgendwelche Gefühlsstörungen und neigen dazu, ihre Fort» 
schritte an den Veränderungen ihrer Gefühlsbeziehungen und an ihrer Fähig* 
keit, sich mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen, zu messen. Praktisch iin:> 
den wir unseren Weg nur, wenn wir dem Ariadnefaden der Affektübertra« 
gung folgen, und wir gehen in die Irre, wenn wir diesen Kontakt verlieren. 
Es wird Zeit, daß wir den Affekten in der Theorie einen Platz einräumen, 
der ihrer Bedeutung in der Praxis entspricht. Diese Arbeit ist ein Versuch, 
durch einen kurzen Überblick über einige Hauptprobleme der Affektlehre 
die Grundlagen klar zu machen. 



Jeder Analytiker wird vermutlich mit der allgemeinen Feststellung ein* 
verstanden sein, daß die Affekte eine besonders intime Beziehung zu den 
Trieben haben, daß sie aber ihrem Wesen nach Ich^Erlebnisse sind. So sagte 
F r e u d^ vor Jahren: „Zum Wesen eines Gefühls gehört es doch, daß es ver* 
spürt, also dem Bewußtsein bekannt werde". Wir werden ferner wohl darin 
einer Meinung sein, daß Affekte eine spezifische Art oder Form von Ichä= 

2) P. Federn: Zur Unterscheidung des gesunden und kranken Narzißmus. Imago, 
Bd. XXII, 1936, S. 5. 

3) F r e u d: Das Unbewußte. Ges. Sehr., Bd. V, S. 492. 



Die Affekte in der Tlieorie und Praxis 441 



Erlebnissen darstellen, daß sie qualitativ wie quantitativ variieren, und daß 
die Individuen sich sowohl durch den Umfang als auch durch die Intensität 
ihrer Affektivität bemerkenswert unterscheiden. Je präziser wir diese allge# 
meinen Feststellungen zu machen versuchen, desto mehr geraten wir in 
Schwierigkeiten. 

Zunächst einmal könnte folgendes eingewendet werden: Da der Affekt mit 
dem Trieb in so enger Verbindung steht, hieße es, den Karren vor das Pferd 
spannen, wenn wir uns unterfangen wollen, eine Affektheorie zu schaffen, 
ehe wir eine vollständige Triebtheorie besitzen. Die Literatur der letzten Zeit 
gibt reichliche Beweise dafür, daß sich unsere Triebtheorie noch im Ent= 
Wicklungsprozeß befindet. Wenn wir aber die im Gang befindliche Diskus»= 
sion betrachten, sehen wir, daß ihre Tendenz nicht dahin geht, irgendeine 
der von Freud formulierten primären Arbeitshypothesen aufzugeben, son* 
dem eher dahin, sie zu überprüfen und in solche Formen umzugießen, die 
unserem zunehmenden Wissen, insbesondere von den frühkindlichen Enti» 
Wicklungsstufen, besser entsprechen. Um ein Beispiel zu nennen: Die Libido»« 
theorie ist nicht unrichtig; sie erscheint aber in ihrer ursprünglichen Fassung 
jetzt in mancher Hinsicht inadäquat, in anderer wieder zu starr. Es wird 
auch für unser Studium der Affekte einen geringen Unterschied ausmachen, 
ob wir den Todestrieb oder seine Varianten „Destrudo"* oder „Mortido"ä 
akzeptieren, oder ob wir den Aggressionstrieb, der sich leichter nachweisen 
läßt, zur Grundlage nehmen. So werden z. B. die Beziehungen von Angst, 
Schuld und Haß untereinander, die von Ernest Jones"^ erforscht wurden, 
nicht verändert, welchen Standpunkt wir auch sonst einnehmen mögen. Da# 
her können wir, ohne auf die Triebtheorie zu warten, berechtigterweise an«= 
nehmen, daß ein eingehenderes Studium der Affekte zur Lösung einiger 
Triebprobleme beitragen werde. Die Schichtung der Affekte, die J o n e s be# 
schrieben hat, entspricht ihrer genetischen Aufeinanderfolge. Vollständigere 
Kenntnis dieser Entwicklungsstufen und ebenso dessen, was Glover' 
Affektmischungen nennt, könnte einen brauchbaren Ansatz für die Stufen 
und Phasen der seelischen Entwicklung abgeben. 

Unser Wissen von den Beziehungen zwischen Trieben und Affekten vas> 
riiert, je nachdem, ob wir glauben, daß Triebregungen an sich bewußt sein 
können, oder nicht. Freud neigt zur letzteren Auffassung. So schreibt 
er^: „Würde der Trieb sich nicht an eine Vorstellung heften oder nicht als; 
ein Affektzustand zum Vorschein kommen, so könnten wir nichts von ihm 



4) E. Weiss: Todestrieb und Masochismus. Imago, Bd. XXI, 1935, S. 393. 

5) P. Federn, zitiert bei E. Weiss, vgl. Anm. 4. 

6) E. Jones: Angst, Schuldgefühl und Haß. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XVI, 1930. 

7) E. Glover: Das Problem der Zwangsneurose. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XXI, 1935, 
235. 

8) Freud: Das Unbewußte. Ges. Sehr., Bd. V, S. 492. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXn/4 28a 



wissen". Dieser Erkenntnis, daß der Trieb seine psychische Repräsentanz 
entweder als Vorstellung oder als Affekt finden kann, gibt auch N u n b e r g« ' 
Ausdruck. Er beschreibt die Affekte als die unmittelbaren Abkömmlinge der 
Triebe im Psychischen, wo sie sich leicht mit den anderen Triebrepräsen«= 
tanzen, wie Vorstellungen und Gedanken, verbinden. Diese alternierenden 
Repräsentanzen erinnern an Freuds' Beschreibung des Bewußtseins als 
eines Sinnesorgans mit zweifacher Wahrnehmungsfläche, einer nach außen 
und einer nach innen gerichteten, und legt die Annahme nahe, daß Ge# 
danken Phänomene der äußeren Fläche sind, während Affekte durch Reizung 
der inneren Fläche Zustandekommen. Dies zielt darauf hin, die Affekte mit 
Organisationen gleichzusetzen, was der Jamess^Lange sehen Theorie, 
mit der sich in unserer Literatur K u 1 o v e s i" kritisch auseinandersetzt, sehr 
nahekommt. Tatsächlich wissen wir, daß Affekte mit Organgefühlen sehr 
eng verknüpft sind, doch pflegen wir die sensorischen und die emotionalen 
Elemente eines Affekterlebnisses voneinander zu trennen. Freud" unter* 
scheidet mit Hufe der Tatsache, daß typische organische Reaktionen einen 
wesentlichen Bestandteil der Angst ausmachen, diese von anderen Affekten. 
In seinen früheren Arbeiten teilte er jedenfalls die Affekte eher der moto<* 
rischen als der sensorischen Seite des Triebablaufbogens zu. So schreibt er 
191512, daß „Vorstellungen Besetzungen — im Grunde von Erinnerungs* 
spuren — sind, während die Affekte und Gefühle Abfuhrvorgängen ent* 
sprechen, deren letzte Äußerungen als Empfindungen wahrgenommen wer* 
den". Und weiter: „Die Affektivität äußert sich wesentlich in motorischer 
(sekretorischer, gefäßregulierender) Abfuhr zur (inneren) Veränderung des 
eigenen Körpers ohne Beziehung zur Außenwelt, die Motilität in Aktionen, 
die zur Veränderung der Außenwelt bestimmt sind"." Dieser Gedanke einer 
Abfuhr ist auch noch in „Hemmung, Symptom und Angst" vorhanden in 
der Vermutung, daß Affekte die normalen Äquivalente hysterischer An* 
fälle sein könnten, doch in einer weit loseren Verbindung. Freud definiert 
dort" die Angst zwar als einen Niederschlag des Geburtserlebnisses, der 
aber nicht notwendigerweise eine vollständige Wiederholung desselben sein 
muß, und wirft die Frage auf, ob nicht alle Affekte solche Niederschläge sein 
könnten, vielleicht von phylogenetischen Erlebnissen. Diese Auffassung liegt 
nicht weit ab von seiner früheren Definition", daß „die Triebe selbst, wenig* 



8a) H. Nunberg: Allgemeine Neurosenlehre, Bern 1932, S. 174. 

9) Freud: Traumdeutung. Ges. Sehr., Bd. II, S. 532. 

10) Y. Kulovesi: Psychoanalytische Bemerkungen zur James==Langeschen Affekt« 
theorie. Imago, Bd. XVII, 1931. 

11) Freud: Hemmung, Symptom und Angst. Ges. Sehr., Bd. XI, S. 72f. 

12) Freud: Das Unbewußte. Ges. Sehr., Bd. V, S. 493. 

13) Freud: Das Unbewußte. Ges. Sehr., Bd. V, S. 494, Fußnote. 

14) Freud: Hemmung, Symptom und Angst, Kap. VIII., Ges. Sehr., Bd. XI. 

15) Freud: Triebe und Triebsehicksale. Ges. Sehr., Bd. V. S. 447. 



Die Affekte in der Theorie und Praxis 443 



stens zum Teil, Niederschläge äußerer Reizwirkungen sind, welche im Lauf 
der Phylogenese auf die lebende Substanz verändernd einwirken". 

Alle unsere modernen Auffassungen von der Beziehung der Angst zur 
Symptombildung und von ihrer Rolle in der Entwicklung widersprechen dem 
Gedanken, daß der Affekt selbst eine Abfuhr sei, und unterstützen die Auf»= 
fassung, daß er ein Spannungsphänomen ist, welches zur Abfuhr in der 
Außenwelt oder in der Innenwelt drängt. Sowohl die Tatsache, daß der 
Affekt eine Form des Bewußtseins ist, als auch die klinische Erfahrung 
machen uns geneigt, ihn topisch und zeitlich in die Mitte des Triebreaktions;» 
bogens zu verlegen. Affekte, welche anscheinend spontan auftauchen, haben 
immer unbewußte Antriebe, und in der Praxis finden wir, daß die Affek* 
tivität immer dort hochgradig zu sein pflegt, wo Versagung, besonders innere 
Versagung, beobachtet wird. Walde r« unterscheidet neurotische von an=» 
dern psychisch kranken Patienten durch ihre Hyperaffektivität und setzt diese 
einer Triebstörung gleich. Glover" meint: „Der primäre Zwangszustand 
ist wesentlich ein Affektzustand oder, besser, eine Folge alternierender Mo 
fekte^ mit sehr einfachem unbewußtem Vorstellungsinhalt" und, „daß die 
verwickelten Zeremonielle offenbar auf das gleiche Ziel gerichtet sind, ein 
immer komplizierteres Netz von Begriffssystemen zu schaffen, durch dessen 
Passieren vielfach der Affekt in kleinste Mengen aufgeteilt wird. Wenn aus 
dem einen oder anderen Grund diese Zeremonielle gestört werden, treten 
wiederum kompakte Affekte auf." Eine Patientin, die an einer Konversions* 
hysterie litt, wurde sich sehr bald darüber klar, daß sie entweder sich sehr 
schlecht fühlte oder aber Symptome produzierte. Niemand konnte sie eines 
andern belehren oder ihre Ansicht über die Motive ihrer Symptombildung 
ändern. In der Praxis kann man oft nicht nur Symptome, sondern auch 
Impulshandlungen beobachten, die auf eine Verhinderung der Affekt» 
entwicklung hinauslaufen. Ich habe eine Patientin, die regelmäßig das drin»« 
gendste Bedürfnis fühlt, die Analyse sofort abzubrechen, wenn sie von einer 
auch nur einigermaßen beträchtlichen Dosis von Übertragungsaffekten sich 
bedroht fühlt. 

Die Auffassung der Affekte als Spannungsphänomene liegt gewiß in einer 
Linie mit Freuds frühesten Formulierungen über die Funktionsweise des 
psychischen Apparats und über das Lust^Unlust^Prinzip. Wir müssen ims, 
glaube ich, in quantitativer Hinsicht eine Art Schwelle vorstellen, bis zu 
der die Triebspannung als Affekt tragbar ist; bei höheren Spannungsgraden, 
die entweder durch die Reizstärke selbst oder durch Stauung von Versagung 
erreicht werden können, wird der Affekt unerträglich und fordert eine sofort 

16) R. Wälder: Über Mechanismen und Beeinflussungsmöglichkeiten der Psychosen. 
Int. Ztschr. f. Psa., Bd. X, 1924. 

17) E. Glover: Das Problem der Zwangsneurose. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XXI, 
1935, S. 239. 

28a* 



444 MaJ-jorie Brierley 



tige Entladung nach außen oder nach innen. Die Ansichten von E. Weisses 
über die Analogien zwischen Körperschmerz und Seelenschmerz stimmen 
damit überein. Die Tatsache, daß alle Affekte entweder lustvolle oder un=« 
lustvolle Tönung an sich tragen und nicht selten von gemischten AUge* 
meingefühlen begleitet sind, weist auf allgemeine Verwandtschaft zwischen 
dem Spannungsgrad und der Lust=«, bezw. Unlust*Tönung hin, aber die ge# 
nauen Beziehungen sind noch vollkommen unklar. Wie Freud'" im Hinj> 
blick auf libidinöse Spannungen feststellte, ist es ganz klar, daß sehr hohe 
Spannungen lustvoller Affekte genußvoll, hingegen sehr niedere Spannungen 
unlustvoller Gefühle imerträglich sein können. Auch qualitative Faktoren 
muß man berücksichtigen. Wenn man weiter Freuds früheste Ansichten^" 
über die Entstehung von Unlust neben seine jüngsten Auffassungen^.' über 
die Angstentwicklung stellt, bekommt man das Gefühl, daß man immer mehr 
in eine Situation gerät, in der Unlust und Angst dasselbe sind und an die 
Stelle der Triebspannung die Angsterregung zu treten droht. Damit würde 
etwas beseitigt, worauf Freud selbst immer bestanden hat, nämlich die Ver:* 
schiedenheit der Triebregungen, welche in der Natur des Menschen liegt. Es 
scheint sicherer, anzunehmen, wie es M a c d o u g a 1 1«^ tut, daß jeder primäre 
Impuls fähig ist, seine eigenen qualitativ spezifischen Affekte zu erregen, und 
vermutlich auch seine eigenen quantitativen Schwellen besitzt. Sicherlich wird 
die ganze Situation, was die Angst anlangt, wesentlich vereinfacht, wenn man 
mit Emest Jones^s übereinstimmt, daß Angst als etwas Primäres angesehen 
werden muß, das nicht von libidinösen oder Aggressionstrieben abgeleitet 
werden darf, sondern in Verbindung mit ihnen leicht auslösbar ist. Die 
klinischen Beziehungen zwischen Angst und Sadismus sind gut be«^ 
kannt. Die Beziehung der Furcht zum Selbsterhaltungstrieb und die Stel* 
lung des letzteren in der Eros*Tod==Reihe sind aber noch unklar. Das stimmt 
mit Freuds Ansicht über das Wesen der Angst^* als Angst vor der Hüf* 
losigkeit überein und widerspricht nicht der Auffassung von dem Geburts* 
erlebnis als dem Vorbild des Angsterlebnisses des Menschen. Die erste er* 
lebte Angstsituation muß in der Psyche ihre Spur hinterlassen und zur Rea 
aktivierung in späteren Situationen neigen, die denselben primären Affekt ent# 
halten. Es scheint dies tatsächlich eine Ansicht zu sein, die einen starken bio;* 
logischen und psychologischen Rückhalt hat. Überdies kann man die drei 
Typen der Reaktion auf Angst, die man bei Tieren findet, auch bei kleinen 

i8) E. Weiss: Körperschmerz und Seelenschtnerz. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XIX, 1933. 

19) Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Ges. Sehr., Bd. V, S. 84. 

20) Freud: Triebe und Triebschicksale. Ges. Sehr., Bd. V, S. 447. 

21) Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Ges. 
Sehr., Bd. XII, S. 247 f£. ^ 

22) W. Macdougall: Social Psychology. 17. Aufl., London 1922, S. 47. 

23) E. Jones: Die Psychoanalyse und die Triebe. Imago, Bd. XXII, 1936, S. 129. 

24) Freud: Hemmung, Symptom und Angst. Ges. Sehr., Bd. XL 



Die Affekte in der Theorie und Praxis 445 



Kindern beobachten (sie haben ihre Parallelen in psychischen Mechanismen), 
nämlich Flucht, Lähmung und Angriff. Die Schwierigkeit liegt natürlich 
darin, herauszufinden, was primäre Triebe und Gefühle sind. Oft zeigt es 
sich, daß die gleichen Triebregungen eine Vielfalt von Gefühlen auslösen 
können, und überdies haben wir es nie mit vereinzelten Impulsen zu tun. 
Aber Vermischungen von Impulsen und Variationen von Affekten spielen 
sich in Beziehung zu den Objekten ab. Es ist klar, daß wir nicht weitere 
kommen werden, wenn wir die Beziehung von Affekt und Trieb betrachten, 
ohne ihre Beziehungen zum Ich zu berücksichtigen. Die aussichtsreichste 
Annäherung scheint wohl die auf entwicklungsgeschichtlicher 'Grundlage zu 
sein. 

Klassifikationen der Bewußtseinsinhalte oder der Arten des Ich;=Erlebnisses 
beruhen insgesamt auf der Introspektion bewußter erwachsener Iche. Wie 
stehen die Dinge in dem dämmernden Bewußtsein des SäugHngs? Darüber 
können wir nur Spekulationen anstellen; welche Schlüsse bezüglich des Ver=» 
haltens des Säuglings können wir aus der klinischen Erfahrung und aus unser 
aller zu spärKchen Erinnerungen ziehen? Es wird immer deutlicher, daß die 
ursprünglichen Annahmen durch den üblichen Irrtum, nämlich dem Säugling 
ein ausgebildetes Ich vom Typus des erwachsenen Individuums zuzu* 
schreiben, unbrauchbar wurden. Ich selbst bin überzeugt, daß Gloveräs 
recht hat, wenn er erwägt, „daß die frühesten Ich^Tendenzen von zahlreichen 
verstreuten Trieben herstammen und allmähHch immer mehr konvergieren, 
bis, ungefähr im Alter von zwei Jahren, eine zusammenhängende anal^sadi* 
stische Organisation begründet ist", und daß im Anfang so viele Ich^Kerne 
da sind wie — mehr oder weniger endgültige — Reaktionssysteme. Schließlich 
wissen wir aus der Beobachtung, daß das Bewußtsein zuerst intermittierend 
und diskontinuierlich ist. Das Neugeborene verbringt mehr Zeit schlafend 
als im Wachzustand, und sein Wachsein rührt, wenn es spontan ist, gewöhn»- 
lieh von irgendeinem Bedürfnis oder einem Unbehagen her. Wird es dazu 
gezwungen, so erschrickt es. In beiden Fällen ist es oft hochgradig erregt. 
Seine Reaktionen sind voller Affekte und tragen das Gepräge des „Alles*^ 
oder»<nichts"=<Gesetzes an sich. In der in Rede stehenden Zeit lebt der Säug*= 
ling psychisch völlig im unmittelbar gegenwärtigen Erlebnis, das in keiner 
Weise der Perspektive des Erwachsenen entspricht. Wesentlich ist, daß 
jeder dieser sporadischen Bewußtseinsblitze insofern eine Erfahrung des 
Ichs darstellt, als er bewußt ist und eine Erinnerungsspur hinterläßt, 
die reaktiviert werden kann und die man vom Standpunkt der Ich* 
Struktur als ein Ich^Element ansehen kann. Jedes solche durch wieder* 
holte Erfahrung geprägte Element könnte einen Ich^Kern bilden, und es ist 
nicht schwierig zu verstehen, daß ein Primat des oralen Triebs dem Primat 

25) E. Glover: A Psycho* Analytic Approach to the Classification of Mental Disor* 
ders. Journal of Mental Science, Okt. 1932, S. 8. 



446 Marjorie Brierley 



eines oralen Ich#Kerns zugehört, ferner, woher es kommt, daß verschiedene 
IchrfKerne frühzeitig Verknüpfungen eingehen, schließlich, daß diese Ver* 
kettungen sehr verschiedenartig gestaltet sein können. So spiegelt die Koms» 
plexheit der oralen Symptomatologie, die von Melitta Schmideberg in 
einer unveröffentlichten Arbeit über Eß^'Störungen^'' betont wird, das Maß 
der Variationen wider, welche durch die Art der Anfangskerne und ihre 
frühen Verknüpfungen ermöglicht werden. Aus der Analyse erhält man den 
Eindruck, daß Verknüpfungen sehr leicht infolge gleichzeitiger oder rasch 
aufeinanderfolgender Aktivierung verschiedener Kerne in bezug auf ein ge# 
meinsames Objekt erfolgen können. Uns interessiert hier jedoch nicht so 
sehr die Ich^^Entwicklung als solche, sondern ihre Beziehung zum Affekt. 
Ein Affekt, den man aus seinem Ausdruck im Verhalten erschließt, kann 
durch innere Bedingungen oder äußere Geschehnisse hervorgerufen werden. 
Er wird sowohl von dem inneren Bedürfnis als auch von der Reaktion der 
Außenwelt, auf die jenes Bedürfnis stößt, beeinflußt. Der manifeste Affekt 
ist in der Tat ein Anzeichen für das Triebschicksal ebenso wie für die Art 
der beginnenden seelischen Objektbeziehung. Ein gutes äußeres Objekt ist 
eines, das den Trieb befriedigt und so den Gefühlszustand der Befriedigung 
erzeugt. Wie Freud andeutete^', ist die gute oder böse Natur der psychi«= 
sehen Objekte bestimmt durch die lustvollen oder unlustvollen Gefühle, die 
das Kind im Verhältnis zu ihnen erlebt. Oder, wie es JoanRi viere-'* vor 
kürzerer Zeit ausdrückte, ein gutes Gefühl schafft ein gutes Objekt, ein 
böses Gefühl ein böses Objekt. Wohl auf keinem andern Gebiet ist das forfc« 
währende Inaneinandergreifen von äußerer und innerer Realität deudicher 
als auf dem des Affekts. 

Wir sind gewohnt, eine Phase an den Anfang der seelischen Entwicklung 
zu setzen, die wir primäre Identifizierung nennen und die wir in die Zeit vor 
Eintritt der Objektdifferenzierung und Ausbildung einer Objektbesetzung 
verlegen; in diesem Initialstadium gibt es, wie wir annehmen müssen, kein 
erkenntnismäßiges Unterscheidungsvermögen. Es ist ein Stadium der gefühls^s 
mäßigen Erfassung, eines Zustandes von „Gefühlsbewußtsein", in dem aber 
Sinneseindrücke keineswegs fehlen. Die Doppelsinnigkeit des Wortes 
„Fühlen" weist darauf hin, daß dieser Zustand eine Mischung von Sinness* 
und Gefühlswahrnehmungen darstellt. Das Kind z. B. muß die Brust 
„spüren", noch ehe es beginnt, sie zu „empfinden", d. h. sie als solche zu 
erkennen, und es muß Saugempfindungen erleben, noch ehe es seinen Mund 
„erkennt". Es wird ein Erkenntnisvermögen entwickelt, wo immer eine 
Basis dafür im sensorischen Erleben gegeben ist. Auf diese Weise werden 

26) Die Arbeit wurde vor der British Psychos^Analytical Society vorgetragen. 

27) Freud: Triebe und Triebschicksale. Ges. Sehr., Bd. V. 

28) J. Riviere: Zur Genese der psychischen Konflikte im frühen Lebensalter. Diese 
Ztschr., dieses Heft, Seite 487. 



Die Affekte in der Theorie und Praxis 447 

das Wissen vom Selbst und seine Besetzung, und ebenso das Wissen um die 
Außenwelt und die Besetzung der Objekte gleichzeitig fortschreiten. F r eud 
sagte^^: „Das Ich ist vor allem ein körperliches . . .", aber es scheint fast, als 
könnte es beim gegenwärtigen Stand unseres Wissens vorteilhafter sein, zu 
sagen, daß das Ich zunächst aus einer Reihe von Empfindungs=Ichen, d. h. 
aus Ich^Kernen besteht, die aus Repräsentanzen teils von Körperteilen, teils 
von Teilobjekten aufgebaut sind. 

Joan Riviere=*° hat vor kurzer Zeit ihre Bedeutung für die innere Ob* 
jektgestaltung herausgearbeitet. 

Das Kind ist zuerst nur insoweit an Objekten interessiert, als sie mit seinen 
eigenen Gefühlen und Empfindungen in Beziehung stehen, aber sobald die 
Gefühle mit den Objekten fest verknüpft sind, wird der Prozeß der Trieb*« 
abwehr zu einem Prozeß der Objektabwehr. Das Kind versucht dann, seine 
Gefühle zu bewältigen, indem es deren Träger, die Objekte, zweckent* 
sprechend behandelt. Die Mechanismen der Introjektion und Projektion sind 
hauptsächHch Methoden zur Bewältigung der Gefühle, die als Realverhalten 
Objekten gegenüber phantasiert werden. In der Praxis finden wir häufig, daß, 
wo immer ein Symptom wie etwa Diarrhöe vorkommt, das nach den Grund* 
Sätzen von Melanie Klein" als angstvolle Ausstoßung von bösen intro* 
jizierten Objekten gedeutet werden kann, man es ebensogut als einen Ver* 
such, sich von unerwünschten Affekten zu befreien, auffassen kann. So trug 
zum Beispiel eine Zwangsneurotikerin ihr Kind mit Hilfe der Erledigung 
ihrer negativen Affekte durch immer wiederkehrende diarrhöische Attacken 
aus. Die „Objektbedeutung" des Kindes ging gewiß nicht verloren, aber, 
was sie versuchte, war, ihre ambivalenten Gefühle gegenüber dem Kinde 
zu heilen, indem sie sich von ihrem Haß gegen das Kind frei machte. Der 
scharfe Kontrast, der in der Kindheit zwischen guten und bösen Objekten 
zu bestehen scheint, ist vielleicht zum Teil das Resultat eines oft völligen 
Umschlagens der frühkindlichen Gefühle (das Kind in einem Zorn* 
anfall ist psychisch ein ganz anderes Kind als das befriedigte), viel* 
leicht aber auch der Tatsache zuzuschreiben, auf die Hardcastle^^ 
aufmerksam gemacht hat, daß vermutlich der Säugling zuerst die reale 
Empfindung und die durch eine Versagung hervorgerufene halluzinierte 
Vorstellung voneinander nicht unterscheiden kann. Diese unbefriedigende 
Phantasie kann nicht nur, wie Freud='s dachte, das Kind zur Realität hin 
zwingen, sondern sie kann auch eine ständige Bildungsstätte von bösen 
Objekten erzeugen. 

29) F r e u d: Das Ich und das Es. Ges. Sehr.. Bd. VI, S. 369. 

30) J. Ri viere: I. c. 

31) M. Klein: Die Psychoanalyse des Kindes. Int. Psa. Verlag, Wien 1932. 

52) D. N. H a r d c a s 1 1 e: A Suggestiv Approach to the Problems of Neuro^Psychiatry. 
Journal of Mental Science, 1935, S. 9 f. 

33) Freud: Triebe und Triebschicksale, Ges. Sehr., Bd. V. 



448 Marjorie Brierley 



Es ist klar, daß die Affekte bei der fortschreitenden Organisation des Ichs 
eine bedeutsame Rolle spielen müssen, doch haben wir immer den sich hier 
abspielenden reziproken Vorgang zu berücksichtigen, bei welchem die Af# 
fekte selbst wieder durch ihre Organisierung in Ich;»Systeme modifiziert wer* 
den. Das Kind, das glückselig uriniert, nachdem es nach Herzenslust gesaugt 
hat, wird einen ganz anderen Typus der Verknüpfung seiner oralen und ure# 
thralen Ich«=Niederschläge hervorbringen als das Kind, das sich im Zorn 
über Versagungen dauernd naß macht. Im allgemeinen werden solche Kerne 
dazu neigen, sich zu vereinigen und mit ähnlichen Gefühlen zu verschmelzen. 
Freuds „reines Lust^Ich" mag in der WirkHchkeit niemals vorkommen, 
aber wir fassen die Synthese des Ichs als eine Funktion der Libido auf. Po* 
sitiv besetzte gute Objekte und die ihnen zugeordneten guten Körpersysteme 
sichern einen stabilen Kern für das langsam wachsende Ich=<System, das koor* 
dinierte persönliche Ich, das ungefähr im zweiten Lebensjahr in Ansätzen 
erscheint. Das Auftauchen dieses endgültigen Ichs mit seiner Fähigkeit zur 
Selbstbewußtheit, die sich von dem, was die Akademiker gewöhnlich Bewußt? 
sein nennen, unterscheidet, korrespondiert mit dem von Klein^* und Ri:« 
viereäs beschriebenen Übergang von der Phase der Partialobjekte zu jener, 
in der ganze Objekte erfaßt und besetzt werden; dies ist ein Übergang, der 
nach der Ansicht von Melanie Klein in eine depressive Position hinüber*! 
leitet, die dem begleitenden Erkennen der eigenen Ambivalenz den Objekten 
gegenüber zuzuschreiben ist. Dieses primitive ambivalente „Ich" mag zu der 
manischen Abwehrform der Verleugnung der eigenen Aggression seine Zu# 
flucht nehmen, oder es mag, was Glover^'^ aufgezeigt hat, dazu gelangen, 
den weiten Bereich der Zwangshandlungen anzuwenden, um sich vor den 
melancholischen und paranoischen Situationen zu schützen, die seine Affekts^ 
Schwankungen leicht hervorrufen. Ich möchte hier gern einschalten, daß ich 
bezweifle, ob irgendein Mensch je zur Bildung einer vollständigen, von 
Partialobjekten völlig freien Objektbeziehung gelangt; ebensowenig wie eine 
vollständige Ichvereinheitlichung je erreichbar ist. Es handelt sich hier um 
graduelle Unterschiede. 

Die Einordnung der Affekte in dauernde Liebes»« und Haßbeziehungen zu 
realen Personen muß sich auf der frühen Stufe der definitiven Ichgestaltung 
abspielen. Ich meine, wir würden uns eine Menge unnötiger Verwirrung er# 
sparen, wenn wir verschiedene Bezeichnungen für die verschiedenen Grade 
der Affektivität benützten. Es ist wahr, wir haben uns noch nicht entschieden, 
welches die primären Affekte sind, wenngleich wir, wie gezeigt wurde, gute 
Gründe haben, die Angst als solchen anzuerkennen; wir dürfen berechtigter 



34) M. Klein; The Psychogenesis of Manie Depressive States, Int. Journal of PsA., 
Bd. XVI, S. 147. 

35) J. Ri vi er e: I. c. 

36) E. G 1 o V e r: Das Problem der Zwangsneurose. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XXI, S. 235. 



Die Affekte in der Theorie und Praxis 449 



Weise annehmen, daß sie, soweit sie sich qualitativ unterscheiden, einfach 
(unzusammengesetzt) sind, z. B. Hungergefühle, Angst und Wut. Ernest 
Jones' Einteilung der Triebe in aktive und reaktive" kann auf die Affekte 
gut angewendet werden. Alexanders^s Vektoren, die Einverleibung, Auss» 
Scheidung und das Zurückbehalten, sind eher der Ausdruck der Logik der 
Triebimpulse als der Gefühle selbst und finden ihre Parallelen in den er*' 
wachsenen Abwehrmechanismen. Sie tragen zur qualitativen Unterscheidung 
der Affekte nichts bei. Man kann jedoch die Affekte nach ihrer Qualität in 
sympathetische (im wörtlichen Sinn dieser Bezeichnung)jund in antipathetische 
einteilen. 

Wenn wir die Bezeichnung „Affekt" als Gattungsbegriff behalten, so 
würde (zumindest im Englischen) das Wort „Zustandsgefühl" (feeling) wohl 
am besten für diese frühesten Schwingungen einer relativ unaufgelösten Af# 
fektivität vorbehalten werden, die im erwachsenen Sinn objektlos sein mag, 
die aber ausnahmslos mit „Empfindungen" (sensations) verknüpft und eng 
verv/oben ist. Die ersten mit Objekten verknüpften Affekte, die sich in den 
einzelnen Ich<=Kernen in Verbindung mit einfachen Teilobjekt^Systemen ent# 
wickeln, könnte man als die ersten „Emotionen" (emotions) einordnen. Ein* 
Stellungen, die nicht selbst Emotionen (emotions) sind, sondern Disposi»; 
tionen zum Erleben bestimmter Emotionen in bezug auf bestimmte Objekte, 
können wir passend nach dem von S h a n d»" gebrauchten Terminus „Gefühlss^ 
bereitschaften" (sentiments) nennen. Ich meine, wir könnten aus einem mehr 
ins Detail gehenden Studium des gesetzmäßigen Wechsels der „emotions" 
und der Genese der „sentiments" viel lernen. 

Es gibt aber noch eine weitere Schwierigkeit. Wir haben es nicht nur mit 
der Entwicklung des Ichs und der Affekte vor und nach der Ausbildung der 
Persönlichkeit zu tun. Wir müssen uns auch mit der Differenzierung des 
Ichs, mit dem Über»=Ich und auch mit der Ich==Integration auseinandersetzen. 
Die meisten englischen Analytiker neigen zur Übereinstimmung mit der Auf* 
fassung von Melanie Klein, daß die Ausbildung des Über^^Ichs frühzeitig 
einsetzt; aber es bleibt weiterhin rätselhaft, warum manche Introjektionen 
zu Über#Ich»=Identifizierungen führen, andere zu Ich#Identifizierungen. Viel* 
leicht ist in der Tendenz guter Objekte, mit den in Entwicklung begriffenen 
Ich*Systemen zu verschmelzen, ein Schlüssel hiefür zu finden. Beim Erwach* 
senen ist die Grenzlinie zwischen Ich und gutem Übersieh oder Ich*Ideal 
selten so scharf gezogen wie die zwischen Ich und feindlichem Übersieh. 
Das Kind will vor allem unlustvolle Gefühle vermeiden, und daher pflegen 
von Anfang an böse Systeme isoliert zu werden, außer wenn sie sich mit* 



37) E. Jones: Die Psychoanalyse und die Triebe. Imago, Bd. XXII, 1936, S. 129. 
jS) I. Alexander: Die Logik der Gefühle und ihre dynamischen Grundlagen. 
Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XXI, 1935, S. 471. 

39) Alex. Shand: The Foundations o£ Character. Maonillan, Lenden, 1914. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXII/4 29 



einander zu zusammengesetzten bösen Systemen vereinigen. Man muß hei 
tonen, daß alle Vorstellungssysteme — wenn auch nur rudimentäre — Ich* 
Objekt^Systeme sind und aUe von Sinneserfahrungen herstammen, mögen 
diese auch in der Phantasie verzerrt worden sem. Es können zahlreiche solcher 
Systeme entstehen, die nachher niemals mit dem definitiven Ich zu einem 
Ganzen verwachsen; in diesem Sinne mag Melanie Klein recht haben, wenn 
sie darauf besteht, daß manche in der Analyse aufgedeckten Phantasien nie 
bewußt gewesen sind, d. h. in dem Sinne, daß sie niemals dem voUent* 
wickelten Ich oder dem Selbsfc^Bewußtsein zugänglich gewesen sind. Dies 
ist zweifellos mit eine Ursache, warum manche Affekte so unzugängHch und 
die mit ihnen verbundenen Phantasien so schwer in Worte zu fassen sind. 
Ihr Ursprung geht auf die Zeit vor der Ausbildung der Sprache zurück. 

Die Ausdrucksmittel des Affekts sind älter als die Sprache. Das Kind he^ 
dient sich seiner Stimme zur Mitteüung seiner Gefühle schon lange, bevor 
es Worte hat. Es steUt, wie Ferenczi« gezeigt hat, lange bevor es sprechen 
lernt, mittels einer Gefühlssprache, wie Weinen und Schreien, eme Ver=« 
bindung mit der Außenwelt her. Regressionen zu dieser Gefühlssprache sind 
in tiefen Analysen nicht selten. 

Hier führt ein Ausweg aus dem Dilemma, das durch das offensichtliche 
Vorhandensein verdrängter Affekte geschaffen wkd. Das Verdrängte ist 
wirklich vom Haupfe^Ich und von der aktuellen Realität abgeschnitten, aber 
es ist an sich selbst ein primitives Ich^Fragment. An dieser Stelle gibt es in 
der Theorie ein bestimmtes Paradoxon. Nach der Definition ist das Es ein 
unorganisiertes Reservoir von Triebregungen, und doch wird ihm auch das 
verdrängte Unbewußte, das immer ein gewisses Maß von Organisation vor== 
aussetzt, zugeordnet. Es scheint, als sollten wir das verdrängte Unbewußte 
dem primitiven Ich=<System zuteilen. Wenn wir uns mit Affekten befassen, 
so haben wir es nicht nur mit Trieb:»Objekt*Spannungen zu tun, sondern auch 
mit Spannungen zwischen und innerhalb der „Iche". 

Was geschieht, wenn ein verdrängtes Fragment eines Ich^Erlebnisses be»= 
wüßt wird? Der Patient fühlt die Erregung, die er vorher nicht zu ertragen 
vermochte. Wenn wir durch Deutung der Übertragung ihm die Bedingungen, 
die dieses Gefühl ursprünglich hervorriefen, rekonstruieren können, wenn 
wir insbesondere die reale infantile Grundlage seiner Phantasien aufzudecken 
imstande sind, so wird er das Erlebnis in historischer Perspektive als einen 
Teil seiner persönlichen Entwicklung erfassen. Strukturell ausgedrückt: das 
dissoziierte Ich*^Fragment kann mit dem RealitätsJch wieder vereinigt wero 
den. Das Abreagieren schafft den Drang, die Erregungen zu erleben, nicht 
aus der Welt, wenn es auch die krankhafte Intensität der infantilen Emotion 
herabsetzt. Seine Hauptfun ktion ist die Erschließung des bis dahin verram^ 

i=j'*°T-^ ^aJV^^'^"'^'^'- Entwicklungsstufen des \S^irklichkeitssinnes. Int. Ztschr. f Psa 
ßd. I, 1913, S. 124. ■' 



U, 



Hielten Weges vom Es zum Persönlichkeits<=Ich. Das Durcharbeiten ist zum 
Teil ein Schaffen von Abfuhrmöglichkeiten für Affektrückstände, aber im 
wesentlichen ist es ein stabilisierender Prozeß der Ich«=Assimilation und der 
Wiedervereinheitlichung des Ichs. 

Diese Arbeit wurde vor dem Erscheinen der letzten Arbeit Federns" 
skizziert. Beim Lesen dieser Veröffentlichung konnte ich feststellen, daß 
Federn teilweise sehr ähnliche Anschauungen vertritt; doch bestehen ge# 
wisse Unterschiede, die ich dem Umstand zuschreibe, daß er sich bemüht, 
seine Affekttheorie mit seinen Ansichten über den Narzißmus und die Ich^ 
Grenzen in Übereinstimmung zu bringen. So stellt er zuerst einen Gegensatz 
zwischen Affekten und Besetzungen auf. Er sagt«: „Bei den Objektinteressen 
tritt das Ich mit einem libidobesetzten Objekt in Beziehung, bei den Af:* 
fekten mit einem libidobesetzten Vorgang des Ichs selber". Er muß aber 
zugeben, daß Affekte auch im Zusammenhang mit Besetzungen entstehen. 
Seine Definition der Affekte lautet«: „Affekte entstehen stets zwischen zwei 
aufeinander wirkenden Ichgrenzen und sind verschieden je nach der Art 
der Triebbesetztheit des Ichs an diesen Grenzen". Aber er ist genötigt, dar.* 
über hinauszugehen in Fällen von gewissen Affekten, besonders von Angst, 
die, wie er sagt, innerhalb des Ichs entstehen. Im ganzen lassen sich die 
Affekte leichter in eine Theorie der Ich*Kerne als in eine Ichgrenzen^Theorid 
einfügen. ' 

Zum Schlüsse möchte ich aus Raumgründen nur eine möglichst kurze 
Würdigung der praktischen Seite geben. Die psychische Dynamik ist eine 
Dynamik der Affekte. In der Praxis können wir nicht oft genug daran den«< 
ken, daß wir es bei der Arbeit an Affekten mit lebendiger psychischer Energie 
zu tun haben. Mit welchem Objekt immer der Analytiker in irgendeinem 
Zeitpunkt identifiziert werden mag, welcher Mechanismus oder welche Kom»« 
bination von Mechanismen immer es sei, die für das Zustandekommen der 
unmittelbaren Übertragungssituation verantwortlich ist, — die Übertragungsi* 
beziehung ist immer und durchwegs eine affektive Beziehung. Ich habe 
keineswegs die Absicht, die Bedeutung des intellektuellen Faktors beim Ana* 
lytiker zu bagatellisieren, aber es ist von vitaler Bedeutung, dessen eingedenk 
zu sein, daß der analytische Prozeß kein intellektueller, sondern ein affektiver 
ist. Die Analyse kann nicht vorwärtskommen, wenn nicht zwischen Ana»« 
lytiker und Patienten jener geheimnisvolle affektive Kontakt besteht, den 
wir Rapport nennen. Wir müssen die Affekte intellektuell deuten, aber wir 
können das nur, indem wir mit ihnen durch Einfühlung in eine unmittel*» 
bare Beziehung treten. Nur vermöge der Einfühlung können wir sicher 

41) P. Federn: Zur Unterscheidung des gesunden und krankhaften Narzißmus. 
Imago, Bd. XXII, 1936, S. 5. 

42) P. Federn: ebenda, S. 13. 

43) P. Federn: ebenda, S. 14. 

29* 



452 Marjorie Brierley: Die Affekte in der Theorie und Praxis 

erfassen, was der Patient empfindet. Meiner Auffassung nach ist Ein=< 
fühlung — echte Telepathie — für eine gründliche Analyse unerläßlich. 
Einsicht, die wir brauchen, ist ein intellektuelles Verständnis, verbunden 
mit emotionaler Intuition. Außerdem genügt es nicht, die Affekte in Begriffen 
der Triebs»Objekts=Relationen zu ordnen und zu erklären; uns obliegt die 
weitere Aufgabe, die Affekte selbst zu analysieren. Beinahe alle Affekte, 
denen wir auf dem klinischen Gebiet begegnen, sind hochdifferenzierte End# 
Produkte. Im selben Maße, in dem \vir den verworrenen Knäuel eines zu# 
sammengesetzten Affekts entwirren können, legen wir einen Teil der EnU 
Wicklungsgeschichte der Person frei. Wir können da nicht nur den histo* 
rischen Spuren folgen, wir können die Entwicklung selbst werden sehen. 
Wir sind imstande, den vor unseren Augen sich abspielenden Prozeß der 
Affektmodifizierung zu verfolgen. Man ist berechtigt, den Prozeß der 
Heilung in struktureller Betrachtungsweise zu definieren als eine ständige 
Modifizierung des Übers^Ichs, aber in Wirklichkeit bewirken wir eine solche 
Modifizierung nur, insoweit wir den Patienten dazu befähigen, aufs neue 
jene Gefühle zu erleben, die er ursprünglich für die introjizierten Objekte 
empfand. Praktisch besteht das Problem der Veränderung des Über^Ichs 
darin, die Übertragungsangst und die Übertragungsambivalenzen aufzulösen. 
Die Geschichte der Veränderung des Über^Ichs besteht in der fortschreitenden 
Libidinisierung der übertragenen Haßregungen. Wir brauchen zwar eine 
logische Theorie, aber wir arbeiten nicht mit Theorie, wir arbeiten mit leben* 
digen Gefühlen. Wir würden gut daran tun, unsere Theorie durch dauerndes 
Vergleichen mit unserem praktischen Wissen von den Affekten zu kontrol*^ 
lieren. 






Eros und Aphrodite^ 

Von 

Michael Bälint 

Budapest 

Das klassische Altertum hat die Herrschaft über die Liebe zwei Gottheiten 
anvertraut, welche keine Doubletten, sondern zwei im Wesen verschiedene 
Gestalten sind. Die eine, Aphrodite, gehört wahrscheinlich zu der Gruppe 
Istar — Astarte — Isis, ist also ursprünglich eine Muttergöttin. In der ent^« 
wickelten Form der klassischen Zeit wird sie aber als eine junge, bezaubernd 
schöne Frau dargestellt, die stets Liebe entfacht und auch selber meistens 
verliebt ist. Sie hat mit der Moral nichts zu tun, hat viele Liebhaber, wie 
Adonis, Anchises, und auch einige Gatten, wie Hephaistos, Ares, Hermes. 
Sie lebt zweifellos ein reifes sexuelles Leben; zwar nicht immer mit dem* 
selben Partner, wenn sie aber jemanden liebt, dann geht sie in dieser Liebe 
auf. Die andere Liebesgottheit ist Eros. Ein mächtiger Gott und doch ein 
Kind, spitzbübisch, nichtsnutzig, frech, ein Schelm. Die Ethnologen werden 
natürlich nachweisen, daß er eigentlich den Penis symbolisiert, aber das soll 
uns jetzt nicht stören. Für uns wird es wichtig sein, daß Eros nie als Mann 
gedacht wurde; er ist zwar ein ständiger Begleiter der Aphrodite, jedoch nie 
ihr Partner. Er spielt nur, doch spielend löst er die schwersten Aufgaben. 
Ein Kind, das aber mächtiger ist als die großen Götter: eine beliebte Darf« 
Stellung ist der Triumphzug des Eros, in dem Zeus selbst lächelnd, aber in 
Ketten geschlagen dem Triumphwagen nachfolgen muß; eine andere zeigt, 
wie die Eroten mit den Insignien der höchsten Götter spielen oder wilde 
Bestien zähmen usw. Eros ist sicher ein Kind, dessen Pfeile aber niemanden 
zu respektieren haben; er ist als allererster Gott direkt aus dem Chaos ent« 
standen, und ihm zu Ehren hat Piaton seinen schönsten Dialog geschrieben. 

Die Erscheinungen der Liebe zerfielen also für die Griechen in zwei 
Gruppen, die sie dann als zwei Ideen, als zwei Gottheiten erlebten. Eine ähn# 
liehe Zweiheit des libidinösen Erlebens ist auch in den „Drei Abhandlungen" 
von Freud beschrieben worden. Bei der Befriedigung sind Vorlust und 
Endlust zu unterscheiden, von diesen beiden kennt die infantile Sexualität die 
Endlust noch nicht. Seither stehen diese Sätze am Anfang jeder Arbeit, die 
sich mit der Trieblehre befaßt, nur haben wir diese Erkenntnis nie genügend 
ausgewertet. Die Endlust wird stillschweigend als eine entwickeltere, etwas 
kompliziertere, sagen wir erwachsene Form der Lust aufgefaßt, nicht aber 
wesentlich von der Vorlust unterschieden. Selbst Ferenczi, der die Sonder»« 
Stellung der Genitalität unter den übrigen Partialtrieben besonders betont hat, 

i) Vortrag, gehalten im Magyarorszägi Pszichoanalitikai Egyesület am 23. Mai 1936 
(Sändors>F€renczi*Gedächtnis=<Vortrag) und auf dem XIV. Internationalen Psychoana;» 
lytischen Kongreß in Marienbad am 7. August 1936. 



454 Michael Balint 



betrachtet in seiner Amphimixis^Theorie^ die Endlust als eine einfache Sum# 
mation der Vorlustmechanismen. Diese Annahme erscheint mir probier' 
matisch, und so möchte ich die Frage aufwerfen, ob nicht vielmehr Vorlust 
und Endlust zwar verwandte, doch voneinander wesentlich verschiedene 
Arten des Lusterlebens sind. Diese Verschiedenheit wollte ich mit der Gegen«* 
überstellung von Eros und Aphrodite hervorheben. 

Meine Annahme wird durch die allgemein bekannte Tatsache unter* 
stützt, daß Endlust und Angst eng zusammenhängen, etwa so, als ob die 
Endlust den erwachsenen Menschen gegen die Angst immunisieren würde. 
Je weniger jemand fähig ist, den Orgasmus zu ertragen, je weniger innere 
und äußere Möglichkeiten zum periodischen Endlusterleben für den Mens' 
sehen vorhanden sind, umso leichter überfällt ihn die Angst. Auch diese Er*' 
fahrung ist bereits in den allerersten Arbeiten Freuds beschrieben. Sie er* 
innern sich an das bekannte Beispiel der Angstneurose, bei der immer wieder 
Angst auftritt, solange die frustranen Erregungen andauern; sobald aber die 
volle Befriedigung, die Endlust gesichert ist, hören die Angstanfälle auf. 
Wir wissen auch, daß das Kind, das den Orgasmus noch nicht kennt, viel 
leichter Angst erlebt, als der Erwachsene. Demnach scheint eine Bedingung 
der Angstentstehung die Disproportionalität zwischen den tatsächlichen Er* 
regungen und den gegebenen Befriedigungsmöglichkeiten zu sein. Sind die 
Erregungen zu groß, dann ist nur der Orgasmus, die Endlust die adäquate 
Erledigung. 

In diesen Zusammenhang gehört eine wichtige klinische Beobachtung, auf 
welche mich Ferenczi 1925 aufmerksam gemacht hat. Einige Jahre später 
hat Sadger' sie als erster beschrieben — seltsamerweise nur nebenbei, in 
einer Fußnote — , und auch seither hat sie nicht mehr Beachtung gefunden. 
Von echten Perversen kann man nämlich erfahren, daß ihnen die eigentliche 
perverse Handlung keine Befriedigung bringt, nur eine ungeheuer große Er* 
regung. Die endliche Erlösung wird erst in der darauf folgenden genitalen 
Onanie oder im Koitus gefunden. Dies gilt gleicherweise für Exhibitionisten, 
Voyeurs, Fetischisten, Sadisten, Masochisten usw. 

Nur zwei Beispiele statt vieler: Ein Mann, etwa 40 Jahre alt, ist obligat homo^ 
sexuell; er hat nur aus Neugier ein» oder zweimal ausprobiert, wie es ihm bei 
einem Mädchen ergehen würde, wurde aber nicht im mindesten erregt. Er war 
zeitlebens beim Akt passiv, übte beinahe nur den coitus per aniim, hat auch für 
lange Perioden seinen Lebensunterhalt als männlicher Prostituierter, meistens in 
weiblichen Kleidern, verdient. Er sucht die Poliklinik wegen zwanghafter Onanie 
auf. Auch wenn er Gelegenheit hat, den Akt mit einem entsprechenden Partner, 
selbst mehrmals, auszuüben, wird er nur erregt und muß sich schließlich mit ge* 



2) Ferenczi: Versuch einer Genitaltheorie. Inf. Psa. Verlag, Wien 1924, Kap. I. 

3) Sa dg er: Genitale und extragenitale Libido. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XV, 1929, 
S. 185, Fußnote. , 




Eros und Aphrodite 455 



I 



häufter Onanie beruhigen. Die einzige Form, welche ihn befriedigen kann, ist die, 
daß er sich selbst — während einer Paedicatio — masturbiert. 

Der andere, ein junger Mann, etwa 30, zeigt ein äußerst buntes Bild von Per* 
Versionen: verschiedene onanieartige Spiele mit dem Anus; Voyeurtum, dessen 
Objekte jüngere Burschen in enganliegenden, kurzen Hosen sind (wie Pfad* 
finder, Athleten, usw.); ein lustvoller Zwang, sich solche kurze Hosen anzu* 
schaffen, um sie sich dann anzuziehen; verschiedene homosexuelle Versuche 
aktiver und passiver Art, aber auch heterosexuelle bei Prostituierten. Er kombi* 
niert oft in seiner Jagd nach Befriedigung verschiedene dieser Betätigungen mit* 
einander, wird aber durch all das nur äußerst intensiv erregt, nie befriedigt. 
Befriedigung bringt ihm nur die entweder durch ihn selbst oder durch einen 
anderen vollführte Onanie. 

Ich möchte die Auswertung dieser Beobachtungen für die allgemeine 
Theorie der Perversionen auf ein anderes Mal verschieben. Jetzt nur so viel: 
Wir dachten uns, daß bei den Perversionen ein Partialtrieb die Genitalität 
aus der Führerrolle verdrängt hat und daß nun die ganze Sexualität unter 
dem Primat dieses Partialtrieb es organisiert wurde. Das ist aber nur ein Teil 
der Wahrheit. Tatsächlich steht bei dem Perversen ein Partialtrieb im Vordere 
gründe, seine Erregung überwiegt alles andere, aber schließlich wird die Er* 
regung, wenn auch fast im Geheimen, doch auf dem genitalen Endlustweg 
abgeführt. Demnach wäre die Perversion nur ein aufregender, oft sehr um^ 
ständlicher, manchmal sogar für die Person gefährlicher Umweg zur geni* 
talen Endlust, welcher durchlaufen werden muß, da alle anderen Wege — 
durch Verdrängungen — gesperrt sind. Die Perversion arbeitet also, wie der 
Traum, mit Affektverschiebung. Der Perverse verschiebt den Akzent vom 
Eigentlichen auf das Uneigentliche — auf den Partialtrieb — , um dann um 
diesen Preis doch zur endgültigen, genitalen Befriedigung gelangen zu kön«= 
nen. Die lauten Symptome der Perversionen sind eigentlich nur Schein, ja 
sogar Betrug, Schwindel, was sehr gut zum sonstigen Charakter dieser uns= 
glücklichen Menschen paßt. 

Diese Erkenntnis ist auch der Inhalt des alten Witzes, in welchem zwei 
wetten, wer von ihnen mehr Arten des Liebesgenusses kenne. Der eine er* 
wähnt den normalen Koitus als erste Art und hierauf erklärt sich der andere 
— meist ein alter Roue — als besiegt, daran habe er gar nicht gedacht. Nun, 
dies mag zutreffen, aber sicher kennt er viele andere Arten der Lustauslösung. 
Warum führt er diese nicht an? Wohl darum, weil alle diese zusapimen — 
auch in seinen Augen — einen normalen Koitus nicht aufwiegen. 

Diese Auffassung, welche der genitalen Endlust eine Sonderstellung im 
Libidohaushalt zuspricht, erledigt auch die alte Frage, warum die Genitalität 
keine Perversion ist. Diese Frage war als eine logische Konsequenz der 
Libidotheorie aufgetaucht, für welche die Genitalität nur ein Partialtrieb war, 
durch nichts vor den anderen Partialtrieben ausgezeichnet. Solange nur die 
Vorlustmechanismen funktionieren, hat die Genitalität tatsächlich keinen 



^^^ Michael Baiini 



™Sre?lT ^°f t ^^"^.S^-^^^^g- --'i -"ders, sobald Endlust regel. 
mäßig erlebt werden kann; scheint sie doch irgendwie an die Genitalität 
gebunden zu sein. Perversionen, d. h. Umwege können dag^^en nufau 
Vorlustmechamsmen gebildet werden. 
Ein weiterer Unterschied ist ebenso wichtig, scheint aber nicht so allge. 

Sich ' ':; ""• ?'^r.t^ ''' '"'^ Vodusterotik weder männlchno'h 
weiblich, wurd von den beiden Geschlechtem auf die gleiche Weise mit 
den g eichen Zielen, oft auch an den gleichen Objekten erlebt undTt'aC 
-gentlich geschlechtslos. Wir deuten zwar manche dieser Handlungen^ " 

großen Wilkur; außerdem dienen beinahe allen diesen Deutungen die bei. 

Sis'tzSh^'f '^^^^^^^^^^^ aktiv = männlich, passiv =LibthSs 
idl ß^^^^^h^!^derwf se ^st dies auch für die Vorlustgenitalität gültig. Wie 

chlrt L'T tf ^^'V^'* ^l' ^°^^"^^ ^^^ Endlusterleben noch nicht ge! 
^hert ist, tatsächlich nicht mehr Bedeutung als die anderen Partialtriebe 
Wenn wir dies bedenken, wird vielleicht die viel diskutierte phallische Phase 
einfacher zu beschreiben sein. Vor allem auch die sehr merkwürdige Beob! 
achtung, daß m ihr di. beiden Geschlechter eigentlich noch immer nTch 
i^'GZTf^:':Ti'\f'' Endlustfunktion immer sexueH dTffe'en 
h !t r ^'^'^ ^"'^^"'*' ""'^ ""^ ''^' ™ Gegensatze zu den Vor. 

lusünechanismen, zwei Formen - männlich und weiblich. 

Der Mechanismus, der zur Vorlustauslösung führt, ist sehr einfach hat 
meistens die Form des Streicheins, des Kitzeins, des Leckens, des Saugen 
Die Reaktion darauf ist beim Erwachsenen dementsprechend: Lächeln Ki. 
chein Lachen, event. Schreien, Kreischen usw. Das ganze steht dem Witz 
dem Komischen sehr nahe. Demnach ist die Vorlusterotik für den Erwa £ 
senen eher em Spiel, einfach, nicht streng zielgerichtet, daher zersplittert aut 
emanderfallend, eigentlich ein Amüsement. Die Endlustfunktion dage^ni 
ernst, drai^tisch, wenn nicht tragisch, oft auch todernst, sterben doch viele 
Tierarten im ersten Orgasmus. Auch der Gesichtsausdruck wird in dielm 
Sinne beemflußt^er wird beinahe düster; denken wir z. B. an M i c h e 1 a n gS 
los Leda. Der Koitus ist also vor allem streng zielstrebig, kein Amüsement 
sondern genau gerichtet, eine zu erledigende Arbeit. Der enige tber d^r "s 
gut versteht, beim Koitus auch die Vorlustmechanismen a JsgiebVund kuns 
gerecht_ zu verwenden, wird nicht nur von der strengen kathofischen ode 
puntamschen Theologie, sondern aUgemein auch von Laien pervers genannt 
Dies paßt gut zu memen vorigen Ausführungen, handelt es sich doch auch 
hier um einen verlängernden Umweg, mit dem Ziele, die Erregungen mC 
liehst hoch zu steigern. Vorlust und Endlust stehen zueinander dahTr- zu 
mal bemi erwachsenen Menschen - im V erhältnisse von Spiel und Ernst. 



Eros und Aphrodite 



457 



Dies kann uns nicht wundern, da erst der sicher erreichbare Orgasmus aus 
dem Jüngling einen Mann, aus dem Mädchen eine Frau macht. 

Und schließlich wird die Vorlusterotik vom Kinde von Anfang an be* 
tätigt, die Endlustfunktion ist dagegen sicher in der Zeit begrenzt. Zwar 
können weder der Anfang, noch das Ende genau angegeben werden, doch 
ist die Aufteilung des menschlichen Lebens in Kindheit, Pubertät, Erwachsen»* 
sein, Klimakterium und Alter eben auf diese Phasen der Endlustfunktion 
basiert. Die Fähigkeit zur Endlust ist ursprünglich nicht vorhanden, wird 
wahrscheinKch während oder knapp vor der Pubertät entwickelt und dann 
langsam. Schritt für Schritt gefestigt. Mit dem Alter wird sie dann schwächer, 
verschwindet schHeßlich oder wird höchstens ganz sporadisch erlebt. Da* 
gegen ist die Vorlusterotik ewig wie das Leben, sie beginnt mit der Geburt 
und hört erst mit dem Tode auf. Diese Differenz kommt in den Gestalten 
der beiden griechischen Liebesgottheiten gut zum Ausdruck: Eros entsteht 
aus dem Chaos als Kind und wird nie Erwachsener, dagegen war Aphrodite 
nie Kind, nach dem Mythus taucht sie, die Anadyomene, gleich als erwach* 
sene Frau aus dem Meere empor und bleibt dann ewig jung. 

Einige weitere Unterschiede zwischen Vorlust und Endlust möchte ich 
nur summariter in Tabellenform erwähnen, umso mehr, als sie zum Teil be* 
reits durch Sadger^ beschrieben worden sind. 



V r I u s t 


E n d 1 u s t 


von der Geburt an vorhanden 

immer bereit 

bis zum Tod anhaltend 


erst später entwickelt, 

wahrscheinlich um die Pubertät 

ganz ausgesprochene Periodizität 

unbedingt begrenzt 

die Grenze individuell verschie=< 
den 


verhältnismäßig einfacher 
Mechanismus 

kein eigenes Exekutivorgan 


sehr kompliziert 

(erectio, frictio, ejaculatio; 
schlüpfrige Schleimsekretion, 
Kontraktionen) 

eigenes Organ 


immer an Ichfunktionen gebunden 

das Organ, die Funktion dient nur 
nebenbei dem Lusterwerb 


selbständiges System 

mit der Fortpflanzung eng ver« 
bunden 

das Organ ist direkt auf Lusterwerb 
eingerichtet 


eigentlich geschlechtslos 


zwei sexuell verschiedene Formen 



S) Sadger: Genitale und extragenitale Libido. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XV, 1929,8. 183. 



1 



458 



Michael Bälint 



V o r I u s t 


E n d 1 u s t 


" 


kein ausgesprochenes Ende 
kann endlos fortgesetzt werden 


im günstigen Fall: Orgasmus 

dann beendet, sogar nachher für Reize 
refraktär 




kann zur Perversion werden 


ist der Schlußakt 






immunisiert gegen die Angst 




Spiel 


ernste Arbeit 











Damit sind wir zu unserem Hauptproblem gekommen. Ist die Endlust* 

funktion aus der Vorlusterotik entstanden, oder hat sie eine eigene Ent# 

Wicklung? Es ist sehr bemerkenswert, daß diese Frage nach der Herkunft nie 

m bezug auf die Vorlusterotik gestellt wurde. Die Vorlust stammt — an^ 

scheinend wie Eros selbst — direkt aus dem Chaos. Hingegen haben die 

Menschen sich von jeher vielfach den Kopf darüber zerbrochen, warum, 

woher und wie die Endlust zu uns gekommen ist. Mythen, Sagen, Märchen, 

Schwanke, philosophische und wissenschaftliche Theorien haben versucht, 

dieses Problem zu lösen. In der psychoanalytischen Literatur wurde — 

zwar ohne Diskussion — angenommen, was R a n k'' am schärfsten formu*^ 

liert hat: „Es steht fest, aus der prägenitalen Erotik wird die Genitalität enti= 

wickelt, durch Verschiebung von Libido." Die diesbezügliche Literatur, vor=< 

wiegend aus den Jahren 1924—1930, wohl unter der Wirkung von 

Ferenczis Genitaltheorie entstanden, steht einheitlich auf diesem Stand== 

punkte. In der Genitaltheorie selbst gibt F e r e n c z i eine ausführliche Phy*^ 

siologie der genitalen Endlust, nach ihm ist die Genitalität in der Phylo^* 

genese — wie Aphrodite Anadyomene — aus dem Meere entstanden; ganz 

deutlich wollte er ihr eine Sonderstellung einräumen, stand aber zu sehr 

unter der Wirkung der allgemeinen Ansicht, um unsere Frage überhaupt 

aufwerfen zu können. Ranks oben zitierte Arbeit behandelt trotz ihrem Titel 

„Zur Genese der Genitalität" nur die Genese der genitalen Objektbezie*^ 

hungen. Sadgers ausgezeichneter Aufsatz^ ist eine musterhafte klinische 

Deskription, befaßt sich aber nicht mit der Genese des Orgasmus. Reich 

ist in seinem Buche „Die Funktion des Orgasmus"« zum Ergebnis gekommen, 

daß die Genitalität aus folgenden drei Grundelementen besteht: 1. der lokalen 

Erogenität der Genitalzone (genitale Reizbarkeit), 2. der am Genitale 

zentrierten somatischen Libido (genitalen Drang), 3. der psychogeni«= 

6) Rank: Zur Genese der Genitalität. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XI, 1925, S. 411. 

7) Sa dg er: Genitale und extragenitale Libido. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XV, 1929 S 183 

8) Int. Psa. Verlag, Wien, 1927, bes. Kap. VI. ' ' " 



Eros und Aphrodite 459 



talen Libido (genitale Sehnsucht). Unter Punkt 2 wird Ferenczis 
Amphimixiss=Theorie wiedergegeben. Punkt 3, die genitale Sehnsucht, rich# 
tiger die aktive Liebe, gehört nicht ganz zu unserem Thema, auch habe ich 
vor kurzem zusammenzufassen, versucht, was ich darüber zu sagen weiß.^ 
Pimkt 1, die genitale Reizbarkeit, d. h. die Frage, weshalb gerade das Geni* 
tale geeignet ist, Orgasmus zu produzieren, würde direkt zu unserem Pro* 
blera führen. Reich bleibt aber stehen und verweist uns auf die Physio* 
logie: „Es muß am physiologischen Aufbau der verschiedenen erogenen 
Zonen liegen, daß nur der Genitalapparat orgastische Befriedigung zu ver«> 
mittein vermag" (1. c, S. 150). Dies ist sicher wahr, trotzdem wollen wir 
den Versuch nicht aufgeben, auf dem Boden der Psychologie wenigstens 
einen Schritt vorwärts zu kommen. 

Zuerst aber ein Exkurs in die Biologie. Wie wir gesehen haben, ist die 
Vorlust dauernd, wie das menschliche Leben, sie wird fortwährend ausge* 
löst und knüpft sich untrennbar an alle körperlichen Funktionen (wie z. B, 
Ernährung, Verdauung, Exkretion, Sinneswahrnehmungen, Muskelarbeit 
usw.). Sie ist also wahrscheinlich eine Urfunktion unseres Körpers, des Soma. 
Die Endlust, der Orgasmus dagegen, scheint verhältnismäßig spät erworben 
zu sein. Es bleibt auch zeitlebens etwas Fremdartiges an ihr haften; das Soma 
wird von ihr wie berauscht oder gar betäubt. Man kann auch, ganz im Gcf 
gensatze zur Vorlust, für ziemlich lange Zeiten ohne sie auskommen, auch 
dauert sie nicht durch das ganze Leben. Oft hört man sogar, daß die Alten: 
eigentlich froh seien, sich von ihren Anforderungen endlich frei fühlen zu 
können." Demnach könnte man denken, daß das Soma, also unser Körper 
ursprünglich asexuell und anorgastisch war, wohl aber erotisch, nur die Vor* 
lust kennend, und daß ihm erst im Laufe der Phylogenese die sexuelle Diffe=» 
renzierung und die Endlust aufgezwungen wurde. Wie wir wissen, bestehen 
wir — wie alle Wirbeltiere — eigentlich aus zwei differenten Systemen: 
aus den diploiden Körperzellen und aus den haploiden Keimzellen, und es 
muß doch eine Bedeutung haben, daß die Periode der Endlust ungefähr mit 
der Zeit zusammenfällt, wo reife haploide Keimzellen im Körper vorhanden 
sind. Ich habe schon einmal versucht," diese Zusammenhänge klarzustellen, 
konnte aber nur bis zur Schlußfolgerung gelangen, daß die Begattungs* 
funktion, der Orgasmus, die Individualisation und der Tod zusammen in 
der Phylogenese auftreten, parallel sich entwickeln und daher wahrscheinlich 
zusammen erklärt werden müssen, da keine dieser Funktionen eine Ureigen:» 
Schaft des Lebens oder des Somas bildet. 

9) M. Bälint: Zur Kritik der Lehre von den prägenitalen Libidoorganisationen. Int. 
Ztschr. f. Psa., Bd. XXI, 1935, S. 525. 

10) Cicero: De senectute; 'Schopenhauer: Vom Unterschiede der Lebensalter; 
Wells: William Clissold, um nur einige zu nennen. 

11) M. Bälint: Psychosexuelle Parallelen 2um "biogenetischen Grundgesetz. ImagOj Bd.. 
XVIII, 1932, S. 28 ff. 



460 



MkliMl Bälint 



Auch für die Seele bedeutet ein intensiver genitaler Wunsch, die Sehnsucht 
nach EndJusterleben (manchmal auch das Erleben selbst), eine beträchtliche 
Störung. Dieses Streben führt - viel häufiger, als irgendein anderes - zu 
K^onilikten, und dann ist die Lösung oft die uns wohlbekannte Regression, 
liie hndlust wird verpönt, statt ihrer tritt die Befriedigung in einer „prä. 
gemtalen Form, eben als Vorlust auf. Auch für die Seele, nicht nur für das 
^oma, scheint also die Vorlustfunktion viel verwandter, viel ungefährlicher 
zu sein, als ob die Endlust von fernher, wie aus einem anderen System 
konimen würde. Dem entspricht auch der Umstand, daß die Endlust, ver. 
glichen mit den beinahe kontinuierlichen Vorlustformen, deutlich diskon* 
tmuierlich ist, also auch in dieser Hinsicht gleichsam ein Mittelding zwischen 
den echt somatischen Triebreizen und den 'Außenweltreizen. 

Dieser biologische Gedankengang spricht also eher dafür, daß Vorlust 
und Endlust zwei verschiedene Funktionen sind, d. h. die Endlust sich nicht 
aus den Vorlustmechanismen entwickelt hat. 

_ Nun wenden wir uns zur Psychologie. Die orgastische Funktion wurde 
m unserer Literatur zumeist, mit Ausnahme von Ferenczi,i= vom Stande 
punkte der Dynamik behandelt. Versuchen wir uns nun an der Ökonomie 
Der erste Gedanken wäre, Vorlust mit einer kleineren, Endlust mit einer 
grolJeren Erregung in Verbindung zu bringen; dem ist aber nicht so Wie 
wir bei den Perversionen und den Finessen der ars amandi gesehen haben 
können gerade durch Vorlustaechanismen sehr große Erregungen hervor, 
gerufen werden; hervorgerufen, aber nicht abgeführt. Es scheint, als ob eine 
grol5ere Erregungsmenge nur durch die genitale Endlust abgeführt werden 
konnte. Ist diese Möglichkeit durch Verdrängungswiderstände versperrt und 
bleiben dem Menschen somit nur Vorlustwege offen, so endet der Zustand 
entweder m Angstneurose oder in einer Form der Süchtigkeit. Die Angst, 
neurose wurde - ökonomisch betrachtet - der immer steigenden Spannung 
entsprechen die Süchtigkeit dagegen einer forcierten Abfuhr in vefracta dosi 
bei dauernd peinlich großer Spannung, ähnlich der Ischuria paradoxa. 

Das Genitale hingegen ist zur Hervorbringung solcher übergroßer Span, 
nungen wenig geeignet, da leicht die Endbefriedigung eintritt, der dann ein 
refraktäres Stadium folgt. Darum ist die Koketterie nur solange Koketterie 
als sie die Endlust nicht gewährt, ihre Waffen sind die Vorlustmechanismen' 
Ihr Untergang die Endlust. Anderseits ist ein Koitus ohne entsprechende 
Vorbereitung durch Vorlust weniger befriedigend, wie dies Ferenczi be. 
reits im Jahre 1912 in seinem Beitrag zur Onaniediskussion^^ beschrieben 
hat. Die vorausgehende beträchdiche Spannungssteigerung gehört also zu 

-undll-^Ä ISA Pt 'bIxÄ 

13) Ferenczi in: Die Onanie. J. F. Bergmann, Wiesbaden, 1912. S. 6. 



Eros und Aphrodite 451 



den wesentlichen Eigenschaften einer guten Endlust, wogegen dies bei der 
Vorlust keine Bedingung ist. 

Diese Spannungssteigerung wird zum Teil durch die reale Situation her* 
beigeführt. Um sich genital befriedigen zu können, muß man zuerst sein 
Liebesobjekt gefügig machen. Nicht jeder Trieb stellt diese Bedingung. Bei 
den oralen und analen Trieben ist dies viel weniger notwendig, etwas mehr 
beim Exhibitionismus oder Voyeurtum. Bei vielen Perversionen ist das 
Liebesobjekt nur ein lebloses Ding, wie bei der Kleptomanie, beim Feti* 
schismus usw. Die meisten Ansprüche an die Gefügigkeit des Liebesobjekts 
stellt eben die Genitalität (und der Sado^masochismus). Wenn unser Objekt 
nicht gefügig ist, nicht mit uns kommt, sich nicht eins mit uns fühlt, so ist 
eine genitale Befriedigung kaum möglich. Es muß also Arbeit geleistet wer* 
den, um aus dem Objekt einen genitalen Partner zu machen." 

Dieser Umstand erklärt zum Teil die notwendige Spannungssteigerung 
vor der Endlust. Aber diese Erklärung ist sehr dürftig. Die klinischen Er* 
scheinungen vor und während eines Koitus sind doch viel zu gewaltig, als 
daß sie durch diese Arbeit des Gefügigmachens erklärt werden könnten. 
Die Bewegungen sind kaum mehr koordiniert zu nennen, und auch das Be* 
vnißtsein wird mehr oder weniger getrübt. Wenn wir nach ähnlichen Er* 
scheinungen suchen, so finden wir zuerst den epileptischen Anfall, dann den 
Affektausbruch, z. B. den Wutausbruch und die Panik, und schließlich die 
traumatische Neurose. Bei allen ist charakteristisch die unerträgliche Span* 
nung, welche unaufhaltsam zu bestimmten Bewegungen führt; diese sind 
beinahe oder ganz unkontrollierbar, reflexartig, dennoch rhythmisch, müssen 
auch eine bestimmte Zeit andauern, um die Spannung verschwinden zu 
lassen. Nach Freuds Gedankengang« hat ein übergroßer Reiz diese Men* 
sehen getroffen; die dadurch hervorgerufene Erregung war so hoch, daß 
sie nicht imstande waren, sie auf einmal abzuführen; die Herrschaft des Lust* 
Prinzips wurde interimistisch aufgehoben, d. h. es war nicht mehr ausschlag* 
gebend, ob lustvoll oder peinUch, es sollte nur die Erregung — um welchen 
Preis auch immer — vermindert werden. D i e F o r m, in welcher diese Ver* 
minderung angestrebt wird, ist immer die einer Bewegung. Diese 
archaische Arbeitsweise des seelischen Apparates hat Freud eben aus der 
traumatischen Neurose, aus bestimmten Kinderspielen und aus den Über* 
tragungserscheinungen erschlossen. Als viertes Studienobjekt empfiehlt sich 
die Endlustfunktion; hier könnten wir — nach meiner Meinung — eine trau* 
matische Situation in statu nascendi beobachten. Leider beziehen sich die 
meisten Angaben unserer Analysanden auf den Körper. Über die seelischen 



ö 



14) Dieses Gefügigmachen geschieht ehen vermittelst der Vorlustmechanismen, als ob 
zuerst die beiden Partner zusammen Kinder werden müßten, um dann miteinander zum 
Orgasmus aufwachsen zu können [Bemerkung von Alice Balint). 

15) Freud: Jenseits des Lustprinzips. Ges. Sehr., Bd. VI. 




462 Michael Bälint 



Vorgänge kann man nur sehr wenig erfahren, vielleicht gerade, weil sie in 
archaischen, schwer zugänglichen Schichten ablaufen. Das wenige JVLaterial 
lautet etwa so: anwachsende Spannung, welche den Drang nach rhythmischer 
Bewegung auslöst; die Spannung wird noch größer . . . man möchte von 
ihr befreit werden, um jeden Preis, selbst wenn es Leiden bedeuten sollte . . . 
man kann es kaum aushalten ... oft wird gestöhnt, geächzt, gejammert, sogar 
geflucht, manchmal kommt es zu aggressiven, gewalttätigen Handlungen 
gegen den Partner . . . das Gefühl vor der Akme wird als ein Nichtmehr* 
haltenkönnen, Bersten, Hineinfließen, Sichauflösen angegeben . . . und erst 
das Ende ist ein stilles, ruhiges Wohlbehagen. Dieses stille, ruhige 
Wohlbehagen scheint die Urform der Lust zu sein. Sicher streben alle Vor* 
lustfunktionen direkt nach ihr, und auch wo sie nicht mehr ausreichen, wird 
dieser Zustand auf dem Umwege: anwachsende Erregung — Endlust doch 
angestrebt und auch erreicht. 

So wird uns eine bestimmte Störung der Sexualfunktion verständHch. 
Wenn der Reiz allzu groß ist — dies ist gut zu beobachten bei Männern, 
die lange abstinent gelebt haben — , dann wird die Tendenz, sich von der 
Spannung zu befreien, so mächtig, daß die Befriedigungslust erheblich ver;» 
mindert, eventuell gleich Null wird. Dies wird bei manchen Männern zum 
System erhoben; der erste Koitus ist solch ein traumatischer, bringt nur die 
Befreiung, und erst der zweite ist lustvoll. Also nur wenn die Erregung sicher 
2U dosieren ist, wenn man genau weiß, daß sie nicht höher steigen kann, als 
man selber will, als man sicher gut ertragen kann, nur dann ist die Befriedig« 
gung, die Endlust gut. 

In ökonomischer Hinsicht ist demnach die Endlust eine Integration 
zweier, einander entgegengesetzten Strebungen. Die eine ist die archaischere, 
beinahe biologisch zu nennende. Sie stammt aus den Zeiten vor dem Lusl^ 
prinzip, ihr Ziel ist: sich von derSpannung um jeden Preis zu 
befreien, sie ist nicht unbedingt lustvoll. Als Vorbild dieser Strebung 
kann die Autotomietendenz von Ferenczi dienen." Die andere Strebung 
ist viel jünger, sie ist sicher seelisch. Ihr Ziel ist, die Erregung auf 
einem bestimmten, für das Individuum erprobt ungefähr* 
liehen Niveauzuhalten, diesen Grad der Erregung bewußt, absieht* 
lieh auf sich zu nehmen und sie dann sicher zu lösen. Diese Funktion, man 
könnte sagen: dieses Kunststück, ist eminent lustvoll. 

Ähnliche Gedanken finden sich bei S. Pfeife r." Auch er unterscheidet 
zwei „Ablaufstypen". Je primitiver ein Trieb entwickelt ist, desto kleiner ist 
die ertragbare Spaimungsdifferenz, desto mehr muß darauf geachtet werden, 
daß) „Reiz und Befriedigung zeitlich fast zusammenfallen". Der Unterschied 



i6) Genitaltheorie, Kap. IV. 

17) Die neurotische Dauerlust. Int.Ztschr. f. Psa., Bd. XIV, 1928, S. 210. 



I 
I 



Eros und Aphrodite 463 



z\vischen dieser Ablauf sart und der Genitalität besteht nach ihm eben darin, 
daß etwas „Katastrophales" sich in den Ablauf eingeschaltet hat. 

Die Fortsetzung dieses Gedankenganges führt uns geradewegs in die Ich* 

Psychologie. Wir haben, besonders in den letzten Jahren, häufig den Be:» 

griff „Ichstärke" benützt. Streng definiert war dieser Begriff noch nicht, aber 

H ganz deutlich beruht er auf einer quantitativen Vorstellung. 

^L Ich möchte nun vorschlagen, als Maß der jeweiligen Ichstärke die maxiniale 

^^^^Spannung oder Erregung zu nehmen, die vom Ich noch störungsfrei era 

^^^B&agen werden kann. Halbwegs normale Verhältnisse vorausgesetzt, ist die 

^^^■einzige Erregung, welche beim Erwachsenen nahe an diesen Maximalwert 

^^^B heranreicht, eben die Erregung vor und im Orgasmus. Und wenn sie nicht 

^^^P die einzige sein sollte, so ist sie sicher die häufigste, gehört sie doch zu den 

^P normalen Erfordernissen des erwachsenen Lebens. Hierdurch wird die etwas 

mystisch klingende „Vorbildlichkeit des Sexuallebens" einfach verständlich. 

Die ersten Zeichen einer latenten Störung, eines latenten Fehlers des Ichs 

j werden wahrnehmbar, falls man es mit Erregung schwerer belastet, d. h. 

eben bei der „orgastischen Funktion". Hingegen haben Menschen, die fähig 

sind, sich periodisch einem Orgasmus auszusetzen, ein genügend starkes. Ich, 

das auch andersartigen Belastungen gewachsen ist. 

Jede Erziehung arbeitet — prinzipiell betrachtet — nur mit zwei Arten 
von Mitteln. Einerseits wird das Kind liebevoll behandelt, d. h. in ökono=* 
mischer Hinsicht libidinös belastet. Hierher gehören: Streicheln, Schaukeln, 
Umarmen, Küsse, Auf^dens^Schoß^nehmen usw. Anderseits aber werden ihm 
gewisse Vorlustwege abgesperrt, bei der Entwöhnung, dem Verbot des Luts» 
Sehens, der Reinlichkeitsgewöhnung, dem Einhalten von fixen Terminen 
usw. Die Erziehung bedroht also gleich von zwei Seiten das ohnedies labile 
Libido:«Gleichgewicht des Kindes: es werden sowohl die aktuellen Erres» 
gungen gesteigert, als auch die Abfuhrmöglichkeiten beschränkt. 

Wenn eine Überbelastung eintritt, kann das Kind auf zwei Arten sein 
Gleichgewicht wieder herstellen. Bei der einen wird sein Ich von der wachW 
senden Erregung überflutet, es bricht ein panikartiger Zustand aus, der sich 
dann in einem Affektausbruch, in unkoordinierten Bewegungen entlädt. Oder 
aber, es wird sich anstrengen, alle Kräfte aufbieten, um doch der Erregung 
standhalten zu können. Die erste Art ist einem klonischen, die zweite einem' 
tonischen Krämpfe nahe. Zweifellos aber sind diese beiden Reaktionsweisen 
die Urabwehrformen des Ichs, und ich glaube, daß die späteren, welche A. 
Freud" in ihrem neuen Buche zum ersten Male systematisch zusammen* 
gefaßt hat, in diesen beiden wurzeln, gleichsam als psychische Überbauten 
über diesen beiden, beinahe körperlichen Abwehrformen. 

Die Erziehung bevorzugt deutlich das Ertragen; für sie ist jeder Affekt* 

i8) Anna Freud: Das Ich und die Abwehrmechanismen, Int. Psa. Verlag, Wien, 1936. 



464 Michael Bälint 



ausbruch ein Greuel. Manchmal gelingt es ihr zu gut; die Kinder lernen 
tatsächlich, alles zu ertragen, aber sie bezahlen es mit einem ständigen krampf* 
haften Zustand. Sie antworten auf jeden Reiz mit einem erhöhten Krampf, 
besonders, wenn sie unsicher sind, ob der Reiz nicht noch intensiver werden 
könnte. Ferenczi" hat uns zuerst auf solche körperliche Abwehrformen 
(bes. dauernde Muskelspannungen) aufmerksam gemacht. Solche krampf* 
bereite Menschen können sich nur unter großen Widerständen den freien 
Assoziationen überlassen, können sich in der Liebe nie hingeben, kaum 
im Genuß aufgehen. Es ist dann eine Wiederkehr des Verdrängten, wenn 
krampfhaft frigide Frauen im Augenbhck, wo der Orgasmus eintreten sollte, 
statt dessen krampfhaft lachen oder weinen müssen. Durch den tonischen 
Krampf hat sich bei ihnen der klonische Affektausbruch doch Bahn ge# 
brechen. 

Auch in der Endlustfunktion finden wir diese beiden Tendenzen, die mehr 
biologische klonische Befreiungstendenz und die mehr psychologische, ich* 
nähere Tendenz zum Ertragen, sogar zum Steigern der Erregung. Wie wir 
jetzt verstehen, ist die Voraussetzung für das störungsfreie Zusammenarbeiten 
dieser beiden Tendenzen eine gewisse Stärke des Ichs (und der Triebe). 
Wahrscheinlich bringen dies erst die biologischen Umwälzungen der Pu* 
bertät zustande, aber auch dann hat noch, wenigstens in unserer Kultur, die 
Entdeckung der Endlust eine traumatische Wirkung. Wie V. K o v ä c s-" es 
zuerst beschrieben hat, ist das erste Endlusterlebnis oft furcht« und angster* 
regend, so bei den Männern die erste Ejakulation, bei den Frauen der erste 
Orgasmus, sowohl durch Onanie, als auch durch Koitus (Defloration). Es 
ist sehr selten, daß diese Vorgänge ganz störungsfrei verlaufen. Die von 
A. Freud beschriebene „Spontanheilung der Prägenitalität''^^ wird nur mit 
ganz langsamen Schritten erreicht, die ersten Akte sind beinahe nie lustbe* 
-tont, sie befreien zwar den Menschen von der Spannung, aber nur ganz, ganz 
langsam werden sie auch genußbringend. Es könnte so manches für die 
Verteidigung der — paradox klingenden — Behauptung angeführt werden, 
daß der Koitus, der Prototyp der Lust, ursprünglich durchaus nicht lustvoll 
ist und bloß der Autotomietendenz dient; erst später wird er durch Erotisie* 
rung lustvoll, genußbringend. 

Die vielen Menschen, die an Potenzstörungen oder Frigidität leiden, wären 
also eigentlich nicht krank, nur in ihrer Entwicklung gehemmt. Ihr Ich ist 
noch immer nicht stark genug, eine so große Spannung zu ertragen; entweder 
entledigt es sich ihrer in einer Art von Kurzschluß (z. B. durch Ejaculatio 

19) Ferenczi: Technische Schwierigkelten einer Hysterieanalyse in „Hysterie und 
Pathoneurosen". Int. Psa. Verlag, Wien, 1919; — Psychoanalyse von Sexualgewohnheiten. 
Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XI, 1925, S. 6. 

21) Anna Freud: 1. c, S. 170. 

20) V. Koväcs: Das Erbe des Fortunatus. Imago, Bd. XII, 1926, S. 321. 



Eros und Aphrodite 



465 



praecox), oder es verliert sich in krampfhaften Anstrengungen, die Erre* 
gungen doch höher zu treiben (Frigidität). Dies gelingt manchmal bis zu 
einem gewissen Grade, aber eben infolge des Krampfes bleibt die Endlust aus, 
und es bleibt nichts anderes übrig, als erschöpft aufzuhören. Die Fortschritte 
der Psychoanalyse werden in allen diesen Fällen stereotyp mit denselben (heo 
zeichnenden) Worten beschrieben: „Ich war fähig, weiter zu gehen", „es ist 
mir gelungen, höher zu kommen", „ich konnte mehr ertragen" u. dgl. 

Mein Gedankengang würde uns zu einer Reihe von interessanten Pro* 
blemen führen, wie dem Unterschied männhch — weiblich, der primären 
Angst vor Triebgefahr, den ökonomischen Unterschieden zwischen dem 
kindlichen und dem erwachsenen Triebleben u. dgl. m. Bei dieser Gelegenheit 
kann ich sie aber nicht behandeln. Ich möchte nur das Hauptresultat meiner 
Arbeit kurz zusammenfassen. 

Der Unterschied zwischen Vorlust und Endlust ist viel tiefergehend, als 
wir ihn bisher angenommen haben. Die Vorlustfunktion ist verhältnismäßig 
einfach, sie scheint eine Ureigenschaft der Lebewesen zu sein. Die End<= 
lustfunktion hingegen ist ein phylogenetischer Neuerwerb, so kompliziert, 
daß sie vom einzelnen noch immer neu erlernt werden muß. Sie setzt sich 
aus zwei einander entgegengesetzten Strebungen zusammen; die Integration 
dieser beiden zu einem Orgasmus, dieses Kunststück hängt vom Ertragen*» 
können einer beinahe schon traumatischen Erregung ab. In meinem Vor* 
trage habe ich versucht, diese Beobachtungen in die Libidotheorie, bezw. in 
die Ichpsychologie einzubauen. 



Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXII/4 



30 



Beitrag zur Pathopsychologie der Einschlafe 

phänomene^ 

Von •' " 

Otto Isakower 

Wien 

Es soll hier zunächst eine Gruppe von eigenartigen Phänomenen be* 
schrieben werden, die ich in vielen Fällen von ganz verschiedenen psychischen 
Erkrankungen und auch bei Gesunden beobachten konnte. Um die Darstel* 
lung zu erleichtern, und auch zu dem Zweck, die Zusammengehörigkeit der 
mannigfaltigen, unter verschiedenen Bedingungen auftretenden Erschein 
nungen zu betonen, möchte ich, so weit es angeht, im folgenden so von ihnen 
sprechen, als ob es sich um ein Phänomen handelte. 

Dieses Phänomen nun steht den bekannten hypnagogen Erscheinungen 
sehr nahe, hauptsächlich darum, weil es sehr oft beim Einschlafen, im Halb=« 
schlaf, auftritt. Es kann aber auch, wenngleich seltener, beim Erwachen be* 
obachtet werden und ganz besonders häufig bei fieberhaften Erkrankungen. 
Eine regelmäßige Bedingung ist, daß die Person sich dabei in liegender Stek 
lung befindet. Alle, die es an sich selbst beobachtet haben, geben an, daß sie 
diese Sensationen in der Kindheit oft erlebt haben, dann wieder häufiger 
im Pubertätsaltier. In späteren Jahren nimmt die Häufigkeit des Auftretens 
rasch ab. 

Einige Berichte im Original werden deutlich zeigen, worum es sich han* 
delt. Zuerst die Selbstschilderung eines solchen Erlebnisses von einer Pa*^ 
tientin: 

„Wenn ich Fieber habe, so bekomme ich ein merkwürdiges Gefühl am Gaumen 
— ich kann es nicht beschreiben — ich habe es gestern beim Einschlafen auch 
gespürt, obwohl ich kein Fieber hatte. Dabei das Gefühl, wie wenn ich auf einer 
rotierenden Platte wäre. Schwindel, ein allgemeines Unbehaghchkeitsgefühl. Wie 
wenn ich auf etwas Zerknittertem liegen würde; dieses Zerknitterte ist aber 
gleichzeitig im Mund, das Ganze geht vom Gaumen aus — ich spüre es jetzt 
fast auch, wenn ich daran denke. Besonders als Kind habe ich es öfters gehabt. 
Ich scheine auf einem Tuch zu hegen, das zerknittert ist, und das dreht sich; 
dieses Zerknitterte ist nicht unter mir, wie etwa ein zerknittertes Leintuch, son* 
dem um mich herum, und es ist unangenehm. (Einige Tage später:) Wie ich 
müde war, habe ich wieder das Gefühl gehabt; es war so, wie wenn der Gaumen 
und alles angeschwollen wäre, — es war noch ein Gefühl dabei, das ich aber 
nicht beschreiben kann, wieder so etwas Zerknittertes, Zackiges; es war nicht so 
geschwollen, wie bei einer Kokaininjektion, sondern wie wenn der Mund ganz 
voll wäre, aber nicht mit etwas Fremdem ..." 

i) Nach einem auf dem XIV. Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Marienbad 
am 7. August 1936 gehaltenen Vortrag. 



Beitrag zur Pathopsychologie der Einschlafphänomene 467 

Stücke aus der Schilderung einer anderen Patientin sollen einige Züge 
dieses Bildes unterstreichen und andere hinzufügen: 

„ . . . Da bin ich klein wie ein Punkt — wie wenn etwas Schweres, Großes auf 
mir liegen würde — es erdrückt mich nicht — und ich zeichne meist mit der 
Hand ein Dreieck <, bei dem die dritte Linie fehlt, das zeichne ich in die Masse 
hinein — ich kann so hineinzeichnen wie in Teig — dann empfinde ich auch, daß 
ich das Ganze im Mund habe — aber es ist kein schlechtes Gefühl — und im 
Kopf, das ist so wie ein Luftballon, so ein körperloses Gefühl, es beschwert mich 
nichts, ich bin trotzdem nicht erdrückt . . . aber das ist so oft, daß ich das habe, 
und immer wieder dasselbe ... Es ist nicht angenehm und es ist nicht unange* 
nehm — ich kann es nicht schlucken, auf keinen Fall . . . Dieses Große ist am 
ehesten rund, aber — ich empfinde nur etwas Rundes, wie es genauer aussieht, 
das weiß ich nicht. Ich bin trotzdem leicht dabei, körperlos, es ist so wie ein 
Rausch, angenehm müde. Als Kind habe ich auch etwas gehört dabei, das ist jetzt 
vergangen: daß ich monotones Sprechen höre, hinter mir links; ich verstehe 
nichts, nur so ein Murmeln, es erschreckt mich nicht. Manchmal war dabei Feuer 
unter meinem Bett ..." Bei dieser Patientin trat der Zustand eines Tages wäh« 
rend der Behandlungsstunde auf, als sie gerade von der Onanie in der vergan* 
genen Nacht sprach; bei der sexuellen Handlung hatte sie sich die Person des 
Arztes vorstellen wollen; „aber es gelingt mir nicht, weil ich Sie immer wieder 
ausschalte, weil ich nicht will — (?) Weil Sie noch nie in Wirklichkeit zärtlich 
zu mir waren ..." 

Es handelt sich also um einen Zustand, in dem Sensationen an bestimmten 
Zonen des eigenen Körpers und auf mehreren Sinnesgebieten auftreten, die 
vom wachen Erleben weitgehend abweichen. Im Vordergrund des Erlebens 
steht die Mundzone, die Hautdecke und die Hand. In vielen Fällen treten 
deutlich auch Sensationen von Schweben, Sinken und Schwindelempfin=« 
düngen hinzu. Das Ganze ist begleitet von einem Gesamtgefühl, über das 
die Angaben am meisten auseinandergehen. Einmal heißt es: „Nicht un=5 
angenehm, aber auch nicht angenehm", ein andermal: „Unbehagen bis zur 
Übelkeit", dann wieder Ängstlichkeit, Gefühl des Unheimlichen, oder 
schließlich: unangenehme Spannung mit darauffolgender Lösung. Einige 
geben an, daß sie den Zustand manchmal mit Absicht hervorrufen könnten, 
andere, daß sie ihn, wenn er einmal eingetreten ist, willkürlich festhielten, 
z. T. aus Neugierde, um ihn zu studieren. (Übrigens ein Unterschied gegen* 
über den meisten hypnagogen Gebilden, die zu entschwinden pflegen, soä^ 
bald man sie scharf mit Aufmerksamkeit besetzt.) Ein bemerkenswerter Zug 
ist ferner, daß der Zustand sich sehr oft sofort in voller Lebhaftigkeit daim 
einstellt, wenn die betreffende Person nur davon berichtet. 

Am auffallendsten ist das Verschwimmen von ganz verschiedenen Zonen 
des Körpers miteinander, nämlich von Mund und Hautdecke, damit aber 
auch von Innen und Außen, Körper und Umwelt. Dann der amorphe Cha* 
rakter der von den Sinnesorganen gelieferten Eindrücke. Auf optischem Ge^ 
biet: etwas schattenhaft Unbestimmtes, meist als „rund" empfunden, nähert 
sich immer mehr, wächst zu riesiger Größe an und droht einen zu erdrücken; 

30* 



1 1 



dann wird es allmählich kleiner und schrumpft zu nichts zusammen. Manch«» 
mal ist Feuer irgendwo im Raum. Auf akustischem Gebiet: Summen, Sausen, 
Rieseln, Murmeln, unverständliches monotones Sprechen. Auf taktilem Ge=» 
biet: etwas Zerknittertes, Zackiges, Sandiges, Trockenes wird im Mund und 
zugleich an der Haut des ganzen Körpers gefühlt, oder man fühlt sich davon 
eingehüllt oder weiß es in der Umgebung. Oder es wird eine weiche, nach* 
giebige Masse im Mund gespürt, die man zugleich außen in der Umgebung 
weiß und in die man mit dem Finger wie in einen Teig Figuren einzeichnet. 
Charakteristisch ist femer die leichte Erweckbarkeit, das willkürliche Fest=* 
halten des Zustandes — zumindest das Gefühl, daß man es könne — , und 
schließhch das Verhalten der Person in und zu dem Erlebnis, die deutliche 
Einstellung auf Selbstbeobachtung. Hervorheben möchte ich noch die 
Häufigkeit des Auftretens in der Kindheit und im Fieber, und daß viele Per== 
sonen bei der Schilderung des Phänomens fast wörtlich übereinstimmend 
ganz spontan äußern: „Es ist so, als ob das ganze Kindergefühl zurück.» 
kommen würde." 

In nicht sehr vielen Fällen wird zu dem Phänomen direkt ein Erlebnis 
aus der Kindheit, in einigen Fällen deutlich sexuellen Charakters, erinnert; 
einmal wurde sogar angegeben, daß damals, während des Erlebnisses, das 
jetzt dazu erinnert wurde, etwa im Alter von sieben Jahren, der beschriebene 
Zustand ebenfalls aufgetreten sei. Manchmal wieder zeigen gewisse Et^ 
innerungen, die dazu assoziiert werden und im übrigen auffallend den Cha»» 
rakter von Deckerinnerungen tragen, in ihrem Inhalt deutliche Übereinstim* 
mungen mit den typischen Inhalten des Phänomens, wie z. B. folgende: 

„Als Knabe von ungefähr sechs Jahren hatte ich einmal an einem Samstag 
bei Tisch Zahnschmerzen bekommen. Da niemand auf meine Bitte um Zahn» 
tropfen hörte — man war in anregendem Gespräch begriffen — , bestieg ich 
selbst den Buffetschrank, in dem die Tropfen aufbewahrt wurden. Auf dem un* 
teren Teil des Büffets angelangt, verlor ich das Gleichgewicht und fiel hinunter. 
Dabei zog ich den Aufbau des Büffets, den ich bereits erfaßt hatte, mit mir. 
Körperlich hatte ich mich nicht ernstlich beschädigt. Der Inhalt des Büffet* 
schrankes, Gläser usw., fiel klirrend, wie ein Regen, auf den Boden. Später 
erzählte man mir, daß Milch, die auf dem Büffet stand, sich über mich ergossen 
habe. Ein Freund der FamiUe, der unmittelbar nachher zu Besuch kam, führte 
mich auf das Klosett, damit ich uriniere. Ich höre noch jetzt die Worte meiner 
Mutter zu dem Herrn, es habe da vor einer Weile ausgesehen, als ob ein Kosaken* 
Überfall stattgefunden hätte." Nach diesem Tage pflegte er, so erzählt er weiter, 
zunächst jede Nacht, dann immer seltener, aus dem Schlaf aufzuschrecken. Seit 
Jahren schon leide er nicht mehr darunter. Er erlebte dabei folgendes: Er hatte 
das Gefühl, auf dem Rücken liegend in der Luft zu schweben, und die von Angst 
begleitete Sensation von etwas winzig Kleinem, das in unendlich Großes über* 
ging. Zugleich mit dem unendlich Großen (das winzig Kleine war dabei nicht 
immer schon verschwunden) stellte sich die Empfindung eines angenehmen 
Kitzels ein, dicht hinter der oberen und unteren Zahnreihe am Gaumen und am 
Mundboden. Es war, wie wenn er etwas Gutes trinken würde; das Wesentliche 



Beitrag zur Pathopsychologie der Einschlafphänomene 469 

war die Temperatur des „Getränks", die ganz der seines Mundes angepaßt war. 
Das Allgemeingefühl dabei sei „wie beim Koitus", nur er und das Weltall sei 
da, „nichts als er selbst und das unendlich Große", er „sei darin". Dabei zuckten 
die Lippen angenehm und es war noch die Empfindung dabei, als wäre die 
Unterlippe eingedellt. 

Ich meine nun, daß es sich lohnt, gerade diese spezielle Gruppe von Phäno* 
menen genauer zu untersuchen und den sich aufdrängenden mannigfachen 
Beziehungen zu anderen Erlebnisarten ein Stück weit nachzugehen, haupt* 
sächlich deshalb, weil „das Phänomen" besondere Einblicke in das Ver=« 
halten des Ichs beim Einschlafen zu geben verspricht. 

Die größte Ähnlichkeit mit dem beschriebenen Phänomen in wesentlichen 
Zügen bieten gewisse Formen der Aura vor dem epileptischen Anfall. Die 
Visionen der Aura haben oft die Neigung, auf den Patienten zuzukommen 
und immer größer zu werden; im Moment, da sie seine Brust berühren, 
schwindet das Bewußtsein.^ Optische, akustische, taktile und Raumempfin* 
dungserlebnisse kommen in der Aura oft in ganz ähnlicher Form vor. Ja 
selbst das dejä vu, das in der Aura so häufig eine Rolle spielt oder sie gam? 
vertritt, kann man in mancher Andeutung bei unserem Phänomen wieder^ 
finden: „Das ist jetzt das Gefühl, das ich schon so oft gehabt habe (das mir 
so vertraut ist)" oder „Wie in der Kindheit" ist oft die erste subjektive Fest^ 
Stellung beim Einsetzen des Phänomens, und auch das Gesamtgefühl ist 
dem beim dejä vu ganz ähnlich, auch hier ist eine leise oder stärkere Enti« 
rücktheit oder Entfremdung spürbar. Auf eine weitere Gemeinsamkeit zwi# 
sehen dem beschriebenen Phänomen, der epileptischen Aura und dem dejä 
vu scheint ferner eine Eigentümlichkeit hinzuweisen, die vorläufig schwer 
mit einem Wort zu erfassen ist: Das Phänomen kann, wie erwähnt, will;« 
kürlich in der Dauer verlängert, festgehalten werden ; manche Epileptiker 
sind imstande, während der Aura den drohenden Anfall zu kupieren durch 
eine Anstrengung motorisch:«intentioneller Art, indem sie den sich ankündi* 
genden ersten Krämpfen durch eine antagonistische Innervation entgegene' 
arbeiten.^ Beim dejä vu endlich werden Teile der eben Gegenwart werdenden 
Zukunft, die nach dem Eintreten des Gefühls zunächst abrollenden Er# 
eignisse, mit der Marke ,, Schon früher einmal genau so gewesen, erlebt" 
versehen und i n d a s c? e; ä ve cu einbezogen,* manchmal mit dem leisen 
Gefühl, als ob man das willkürlich tue. Durch diese Nebeneinanderstellung 
sei der vermutete gemeinsame Zug vorläufig umrissen und angedeutet, der 

2) Siehe Bleuler: Lb. d. Psychiatrie, 4. Aufl., p. 339. 

3') Pötzl, Zur Metapsychologie des „dejä vu", Imago XII; p. 402. 

4) Es ist vielleicht nicht überflüssig, noch einmal ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß 
das dejä vu in seiner voll ausgeprägten Form sich nicht bloß auf das Stück des Erlebens 
erstreckt, auf das es im Moment seines Einsetzens trifft, sondern auch auf die nun zeitlich 
unmittelbar sich anschließenden Gegenstände der äußeren und inneren Wahrnehmung, 
u. zw. generell, ohne Auswahl. 



470 Otto Isakower 



sich bei diesen drei verschiedenen Erlebnisformen in verschiedenem, ge=» 
gebenenfalls direkt entgegengesetztem Sinne auswirkt. Von hier aus darf man 
dann vieUeicht auch einen Blick werfen auf das Problem der traumatisch be^ 
dingten Amnesien, u. zw. speziell der retrograden und der — viel selteneren 
— anterograden Form. Besonders die retrograde Amnesie erscheint, von hier 
aus betrachtet, wie ein Negativ des dejä vu in zweifachem Sinn, wie ein Ne» 
gativ mit spiegelbildlicher Umkehrung auch der R i c h t u n g des Geschehens : 
Beim dejä vu sagt sich der Erlebende: „Alles, was jetzt kommen wird, habe 
ich schon früher einmal genau so erlebt." Bei der retrograden Amnesie da^ 
gegen heißt es: „Auch das, was v o r dem Trauma war, ist nicht gewesen (wird 
mit verdrängt)." Vielleicht gelingt es mir an späterer Stelle, dieser Auffassung 
den Charakter einer vagen Analogie zu nehmen. Bei unserem Phänomen, 
bei der epileptischen Aura und beim dejä vu ist es so, daß die erlebende 
Person ganz genau den kommenden Ablauf kennt — oder zu kennen glaubt 
— ; immer aber steht sie ihm mit gesteigerter Selbstbeobachtung und einer 
gewissen Distanzierung gegenüber, nimmt das, was sie erlebt, nicht ganz 
für real.^ 

Das Ich zieht beim Einschlafen seine Interessen, seine Besetzungen von 
der Außenwelt ab; wir wissen, daß das nicht schlagartig, sondern allmählich 
vor sich geht; die Welt entschwindet dem Einschlafenden nicht plötzlich 
und nicht gänzlich. Mit der Änderung der Besetzungsverteilung auf Ich und 
Außenwelt ist aber notwendigerweise eine Veränderung des Ichs verbunden, 
die, wie ich glaube, hauptsächlich durch zwei Vorgänge gekennzeichnet ist: 
1. ein Auseinanderfallen der verschiedenen Anteile des Ichs und seiner Furik* 
tionen und 2. eine Entdifferenzierung des Ichs. Die Entdifferenzierung scheint 
etwas später einzusetzen als die Dissoziation der Ichanteile und ^funktionen. 
Es bleibt nicht bei einem Zurückziehen der Besetzungen von der Außenwelt 
ins Ich, sondern es findet auch eine andere Verteilung innerhalb des Ichs statt, 
u. zw. hauptsächlich zwischen dem Körperlich einerseits und den wahrneh* 
menden und prüfenden Anteilen anderseits. Während nun dem Körperlich 
im Verhältnis zu den Wahrnehmungsanteilen größere Mengen der einge=* 
zogenen Besetzungsenergie ^-ufließen, geht auch eine relative Besetzungsver;» 
armung zunächst der nach außen gerichteten Front des W^^Systems zugunsten 
der dem Ich zugewendeten vor sich. So wird die wahrnehmende und be* 
obachtende Instanz dem Körper^ch, mit dem sie sonst enger verbunden 
zu sein scheint, schärfer gegenübergestellt. Inzwischen hat sich das mit Libido 
überschwemmte Körper^ch aber auch für sich weiter verändert. Der dem 



S) Dieser letzte Zug weist auf eine weitere pathologische Erlebnisform hin, auf die D e^ 
personalisation. Ich muß es diesmal unterlassen, auf diese höchst wichtige Be^ 
Ziehung einzugehen, und behalte mir das für einen anderen Zusammenliang vor. 



Beitrag zur Pathopsychologie der Einschlaf phänomene 



471 



Ich zugekehrte Anteil des Wahrnehmungsapparates beobachtet nun dieses 
sich verändernde Körper:«Ich, dessen Grenzen zu verschwimmen und mit 
der Umwelt zu verschmelzen beginnen. Dieses Stadium derlchver* 
änderungistesnun, wie ich meine, das dem eingangs beschries» 
benen Phänomen entspricht und sich in ihm widerzuspiegeln 
scheint: Wahrnehmungen werden als Empfindungen an einer bestimmten 
Körperzone und zugleich als Vorgänge in der Umwelt lokalisiert, genauer 
gesagt in der unmittelbar an den Körper angrenzenden, ihn gleichsam ein»! 
hüllenden Grenzzone dieser Umwelt. Es sind aber in dem Beobachtungs* 
material über das Phänomen, so weit ich es überblicke," nicht beliebig ver>« 
schiedene Körperzonen, die sich melden, sondern es dominiert die 
Mundzone, genauer ausgedrückt: die Mundhöhle (gelegentlich repräsen* 
tiert durch die Atmungswege und die Atemfunktion), währentl von den an= 
deren Körperregionen so gut wie regelmäßig nichts berichtet wird — mit 
der einen wichtigen Ausnahme der Hand. Es liegt nun die Vermutung sehr 
nahe, daß das Körperlich in diesem Zustand dem Modell der allerersten 
postnatalen Ichstruktur gleicht.' Die Empfindungen in der Mundhöhle, die 
intensivsten und wahrscheinlich lebenswichtigsten auf dieser Stufe des Da* 
seins, werden auf die ganze Hautdecke ausgedehnt, die äußerste Körperbe* 
grenzung, die zwar kaum schon als solche gekannt und vielleicht eben so 
gut zur Aiißenwelt gerechnet wird, jedenfalls aber die Berührungsfläche mit 
ihr darstellt. Die taktilen und kinästhetischen Erlebnisse der Mundzone sind 
also wohl die allerwichtigsten und darum werden solche an anderen Zonen, 
an der Hautdecke, zunächst ohne weiteres mit den am besten bekannten der 
Mundzone vereinheitlicht und so auch die beiden Zonen selbst miteinander 
verschmolzen. Es herrscht eine Überbesetzung der Mundzone : „Ich bin ganz 
Mund." 
Auf dem Wege der regressiven Entdifferenzierung beim Einschlafen wäre 

6) Außer dem eigenen planmäßig gesammelten Material fand ich im engeren Bereich 
der psychoanalytischen Literatur neben den zwei schönen frühen Arbeiten von Federn: 
Über zwei typische Traumsensationen, Jb. der Psa., VI; und: Zur Frage des Hemmungsi^ 
traumes, Int. Ztschr. f. Psa., Bd. VI, 1920 (diese beiden nicht eigentlich wegen ihres Mate* 
rials, sondern mehr wegen der Einstellung und des methodischen Ansatzes hiehergehörig), 
■nur vereinzelte Erwähnungen, die mir sicher hieher zu gehören scheinen, so z. B. bei 
Sa dg er, Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XV, 1929, S. 428, und in v. Weizsäcker: Körper<= 
geschehen und Neurose, Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XIX, 1933, S. 82 oben. — Im Handbuch 
d. Geisteskrankheiten, Bd. I, Berlin 1928, berichtet Mayer^Gross, S. 436 ff, über 
Untersuchungen über das Einschlaf denken ; die Auszüge aus den Protokollen und die eben* 
dort zitierten Selbstschilderungen H o c h e s sind auch von unserem Gesichtspunkt aus 
interessant. Im Hinbhck auf die an späterer Stelle unserer Arbeit versuchte Einordnung des 
„Phänomens" sei gleich hier vorwegnehmend darauf hingewiesen, daß es sich bei den Er* 
gebnissen der eben zitierten Untersuchungen ja offenbar auch um ein — durch die Auf* 
gäbe des Beobachtens — gestörtes Einschlafen handelt. 

7) Cf . K a r d i n e r : The Bio*Analysis of the Epileptic Reaction, Psa. Quarterly, vol. I, 
p. 441; "The first units of mastery are the mouth and the hand with the eye as an 
auxiliaiy organ." — Vgl. auch Bernfeld: Psychologie des Säuglings, Wien, 1925, 



472 



Otto Isakower 



demnach das Körper=»Ich auf diesem Stadium angelangt, es hätte eine &xo 
chaische Entwicklungsstufe wiederbelebt. Einem so T^eschaffenen Körperlich 
steht nun infolge der bereits eingetretenen Dissoziation das System Ws^Bw 
mit seiner noch nicht von Besetzung entleerten nach innen gekehrten Front 
gegenüber. Dieses Gegenüberstehen mag teilweise auch bedingt sein durch 
das im Beginn des Einschlafprozesses noch vorhandene Schwanken der Be*^ 
Setzungsquantitäten zwischen dem regressiv veränderten Körper^älch und dem 
Wahrnehmungsapparat, dem die Besetzung zwar immer mehr entzogen wird, 
dessen Struktur aber noch erhalten bleibt. Man kann sich vorstellen, daß die 
auf das W^^System gerichteten intermittierenden Besetzungsstöße noch nicht 
ganz aufgehört haben, sondern in geringerer Frequenz und Stärke noch forts= 
dauern, woraus dann ein Schwanken in der Funktion entstände. 

Die Verschiebung der Besetzungsverteilung verursacht nun eine weitere 
wichtige Veränderung in der Funktion des Wahrnehmungsapparates: Es 
werden die Vorgänge in den körperlichen Anteilen der Sinnesapparate vor* 
übergehend stärker besetzt und selbst Gegenstand der Beobachtung. Es sei 
da nur an die bekannten entoptischen und entotischen hypnagogen Phäno* 
mene erinnert. Aus all dem möchte ich die Folgerung ableiten, daß die Wahr«» 
nehmungsvorgänge auf der vermuteten zugehörigen Entwicklungsstufe viel 
enger dem Körperlich zugeordnet sind; sie werden mehr als ein Geschehen 
am und um den eigenen Körper erlebt und weniger als Nachrichten über 
eine Umwelt. 

Wahrnehmung ist nach Freud immer ein aktiver Vorgang. Das Mund^ 
öffnen des Säuglings auf optische Reize hin und das etwas später auftretende 
Nachgreifen sind Zeichen einer noch sehr engen Verknüpfung von Wahr«» 
nehmung und motorischer Intention, Zeichen einer die Wahrnehmung be* 
gleitenden Spannung im Körper, im Ich. Eine so enge Verknüpfung bleibt 
später nur beim Vestibularapparat erhalten, der zwar auch ein Sinnesorgan 
ist, einer der wichtigsten Mittler zwischen Innens^ und Außenwelt; dessen 
Nachrichten aber bezeichnenderweise in verschwindend geringem Ausmaß 
isoliert zum Bewußtsein gelangen, obwohl mit seiner Wahrnehmungstätigkeit 
die relativ intensivsten Veränderungen im Körper selbst einhergehen.^ 

Wir sehen nun auf dieser ganz frühen Stufe die durch die Sinnesorgane 
vermittelten Nachrichten aus der Umwelt aus? Auch darüber könnte uns, 
wie ich glaube, das beschriebene Phänomen einige Auskunft geben. Ein 
wesentlicher Bestandteil dieses Erlebnisses sind amorphe Sensationen auf 
mehreren Sinnesgebieten. Das könnte für die viel umstrittene Auffassung 
sprechen, daß die Sinnesorgane auf dieser Entwicklungsstufe im allgemeinen 
lediglich chaotische Eindrücke zu vermitteln imstande sind. 

8) Vgl. Th. M. Fr euch: Beziehungen des Unbewußten zur Funktion der Bogen* 
gänge, Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XVI, 1930. — Femer Schilder, zuletzt in: The Image; 
and Appearance of the Human Body, London, 1935. 



Beitrag zur Pathopsychologie der Einschlafphänomene 



473 



Ich füge hier die Beschreibung eines solchen Erlebnisses beim Ers» 
wachen ein. Sie stammt von einer Patientin, die wegen einer hysterischen 
Astasie»» Abasie wochenlang das Bett nicht verlassen hatte: 

„Es ist ein ekelhaftes Gefühl, das ich jetzt manchmal habe, dasselbe Gefühl 
wie damals in der Kindheit ... Es steht beim Bett ein Kasten, er erscheint direkt 
so überlebensgroß, wie wenn er mich erdrücken wollte; ich will das fassen oder 
von mir wegschieben, oder meine Bettdecke — ich will sie aufheben und kann 
sie nicht fassen; und wache ich dann auf, so ist das Ganze wie nach einem Regen, 
wie wenn es ganz zusammengefallen wäre; die Kasten sehen förmlich wie über* 
schüttet aus. Und dann ist alles ganz klein zuerst, wenn man aufwacht, alles 
scheint eher entrückt und weit entfernt; ich selber komme mir so wie ein RieSfe 
vor. Alles ist trocken, wie wenn eine "Windhose dar üb er gegangen und alles zu* 
sammengef allen wäre; so zusammengeprackt steht alles da. Ich wache abgeschlagen 
und kaputt auf, und so kommt mir auch alles in der Umgebung vor — wie wenn 
alles von einem Erdbeben überschüttet worden wäre und jetzt so dastünde — es ist 
alles wie natürlich, aber doch so tot. Meine eigenen Hände — ich wache mit 
ganz geschwollenen Händen auf — wie wenn ich ein Blatt Papier in die Hand 
nehmen wollte und es ist statt so dünn so dick (zeigt das Maß einer Spanne!) 
und entschwindet den Händen. Diese Gefühle immer nur beim Liegen! . . oft 
ist es dabei so, daß man mit dem Bett immer tiefer kommt ..." 

Hier handelt es sich um das Auftreten dieses Zustandes beim Erwachen, 
wo also der Prozeß der Ichveränderung in progressiver Richtung durchlaufen 
werden soll.'' In einem gewissen Stadium dieses Prozesses nun wird die Um* 
weit „wie übergössen, wie von einem Erdbeben verschüttet" erlebt, devi# 
t a 1 i s i e r t." Sieht diese ganze Schilderung nicht so aus wie die eines Welt* 
Untergangserlebnisses? Die Weltuntergangserlebnisse beim Versinken des Ich 
im epileptischen Anfall, in den epileptischen IDämmerzuständen sind aller* 
dings oft viel großartiger in ihrer Ausstattung und in ihrem affektiven Erleb* 
niswert. Aber dem voll ausgeprägten wahnhaften Weltuntergangserlebnis der 
Schizophrenen pflegen Zerfallserscheinungen des Ich vorauszugehen mit 
Überempfindlichkeit gegen Eindrücke aus der Umwelt, räumlichen und zeit* 
liehen Verzerrungen der Wahrnehmungsgegenstände. Das sinnliche Material 
zu einem Weltuntergangserlebnis ist bereits vorhanden, wird aber noch nicht 
wahnhaft verarbeitet. In derartigen Zuständen wird oft die Verwischung des 
Unterschiedes zwischen Wachen und Schlaf vom Kranken selbst emp* 
funden.'^ 

Ein Schizophrener meiner Beobachtung hatte (im Zustand der Remission) 
eines Tages folgendes Erlebnis: Er war in Wien, fern von seinen Angehörigen, 
durch die Nachlässigkeit seiner Mutter aller Mittel entblößt und hatte über 
24 Stunden lang nichts gegessen; „da habe ich alles so klein und dürr gesehen. 

9) Ich erinnere hier an F e d e rn s Ausführungen über die Orthriogenese, Int. Ztschr. 
f. Psa., Bd. XX, 1934. 

10) Hier wäre dasselbe zu sagen wie in der Fußnote 4 auf S. 469. Man beachte übri« 
gens die großen Ähnlichkeiten dieser Schilderung mit den Details der auf S. 468 wiedere> 
gegebenen Deckerinnerung. 

11) Mayer*Gross, im Hdb. d. Geisteskrankh., Bd. I und IX. 



474 



Otto Isakowec 



Als ich dann von meiner Quartiergeberin einen Schilling bekam, ging ich in ein 
Milchgeschäft; nachdem ich da das erste Glas Milch getrunken und das erste 
Butterbrot gegessen hatte, da habe ich, zugleich mit dem Gefühl der Sättigung, 
alles gleichsam voller gesehen, die ganze Außenwelt, auch das was ich nicht ge* 
sehen habe, alles, was nur meines Wissens da herum war, saftiger. Es ist ein 
sehr großes Behagen, man lächelt so zu sich. Was den Körper anlangt: ein Sicher* 
sein, — es kann mir nichts geschehen." 

Die Beziehungen zu dem vorhergehenden Beispiel und zu dem Phänomen 
sind wohl ohne weiteres klar. 

Das Phänomen im engeren Sinne tritt auf im Verlauf des Einschlafens und 
sehr häufig auch im Fieber, also dann, wenn eine besonders intensive Be* 
Setzung des Ich erfolgt, die auf Kosten der Besetzung der Objektwelt geht. 

Wenn man Ernst macht mit der Annahme, daß es sich dabei um die 
Wiederbelebung ganz früher Ichhaltungen handelt,^^ so führt der nächste 
Schritt konsequent zu der Frage, ob diese Reproduktionen nicht vielleicht 
auch Spuren der Umweltsituationen, in denen sie aktuell waren, eingeprägt 
enthalten. Ich bin mir der spekulativen Natur der Antwort voll bewußt, die 
ich darauf geben möchte: Ja, diese Spuren scheinen sehr deutlich lesbar zu 
sein; es sind Bilder vom Saugen an der Brust der Mutter, vom Einschlafen 
an der Brust nach der Sättigung: das Große, das näher kommt, könnte die 
Nahrung verheißende Brust darstellen, die dann mit der Sättigung an Inters^ 
esse verliert, immer kleiner gesehen wird und ganz verschwindet. Die 
Mutterbrust ist die einzige Objekte Außen Weltrepräsentanz; nicht die Mutter 
als Person, nur die Brust ist in diesem Stadium Objekt. Der Mund ist voll 
von etwas, das nichts Fremdes ist; die Hand macht Eindrücke wie in einen 
Teig. Das zerknitterte oder sandige Gefühl im Mund scheint auf Trockenst 
heitsempfindungen im Mund beim Säugling hinzudeuten, die ihm unange* 
nehm und ungewohnt sind (im intrauterinen Dasein dürfte es das ja nie 
geben). Andere Schilderungen weisen Züge auf, die an den Geburtsvorgang 
oder an die intrauterine Situation gemahnen. Ich müßte das ganze Material 
noch einmal aufrollen, um das zu illustrieren. 

Die wichtigen Fragen nach den physiologischen Apparaten, den physios» 
logischen Vorgängen, mit deren Hilfe eine solche Regression sich abspielt, 
müssen hier übergangen werden. Es sei aber gestattet, ein hirnpathologisches 
Phänomen zu erwähnen, das auffallend viele der uns hier interessierenden 
Züge vereint darbietet. P. Stewart" hat „auf die Bedeutung von Geruchs«^ 



12) u. zw. in keinem anderen Sinne, als Freud selbst von Anfang an diese Auffassung 
in die Wissenschaft vom Menschen eingeführt und vertreten hat (besonders eindringlich 
dargestellt in den Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, Ges. Sehr., Bd. VII, 
S. 84 f, dann in: Metapsychologische Ergänzung zur Traumlehre, Ges. Sehr., Bd. V), die 
dann immer mehr in den neueren Forschungen und Anschauungen über den Schlaf sich 
Geltung verschafft; siehe die Darlegungen von Pötzl in der von Sarason herausge^ 
gebenen Sammelschrift über den Schlaf, München 1929. 

13) zit. nach Kroll: Die neuropathologischen Syndrome, Berlin 1928, S. 322. 



Beitrag zur Pathopsychologie der Einschlafphänomene 



475 



halluzinatiohen hingewiesen, die durch Reizungen der Riechapparate im 
Gyrus uncinatus erklärt werden. Er beschreibt als Uncinatusanfälle (Uncinate 
fits) solche, die mit Riech* und Geschmacksensationen einsetzen, von Ben 
wegungen des Schnüffeins und Riechens begleitet werden oder auch von 
Schmatzen des Mundes. Diese Phänomene sollen mitunter von einem selts^ 
samen Traumzustand begleitet sein, während dessen die umgebenden Gegen=* 
stände irreal und weit entfernt erscheinen und zur gleichen Zeit merkwürdig 
.familiär', als ob dies alles schon einmal dagevvresen wärefde/a vu)." Kroll" 
faßt das dejä vu als Lokalsymptom des Schläfenlappens auf und gibt an, daß 
er es öfters mit amnestischen Störungen vergesellschaftet gefunden habe. 
Ich habe schon vorhin auf eine mögliche Beziehung zwischen dem deja vu 
und gewissen Formen der Amnesie hingewiesen und möchte diesen Hinweis 
jetzt ausgestalten zu der Vermutung, daß es sich hier um einen Zug des 
psychischen Primärvorganges handelt, der sich unmittelbar neben die leichte 
Verschieblichkeit psychischer Besetzungen im Primärvorgang einreihen läßt: 
„Auch die Hemmung (auf psychischem und organischem Erscheinungsge* 
biet) hat die Eigenschaft, über den ursprünglich zu hemmenden Vollzug 
hinaus weitere Gebiete einzubeziehen"" (retrograde Amnesie) und: die 
Wiederbelebungstendenzen einer versunkenen Haltung hat die Neigung, sich 
in der Form des Gefühls des Wiederkommens von bereits Erlebtem auf Be* 
nachbartes auszudehnen (dejk vu). Die Verwandtschaft läge also in folgens^ 
dem: Die Amnesie nimmt die Stelle des (unlustvollen, traumatischen) 
Erlebnisses ein und neigt dazu, retrograd über es hinauszugreifen. Das dejk 
vu trittaufanStelle des zur Wiederbelebung in irgendeiner Form drän* 
genden früheren Erlebnisses und neigt dazu, anterograd darüber hinauszus= 
greifen. Die Verwandtschaft liegt also im Formalen : In beiden Fällen hat der 
Prozeß nicht nur die Tendenz, den eigentlichen Inhalt nicht zum Vorschein 
kommen zu lassen, sondern auch, sich in einer bestimmten Richtung über 
sämtliche benachbarten Erlebnisinhalte auszudehnen. Somit wäre das dejk vu 
ein Phänomen, das im Wachzustande dort auftritt, wo im Zustand des Ein* 
Schlafens das andere sich einstellt," das der Hauptgegenstand dieser Arbeit 
ist. 



Wo aber stellt dieses sich denn ein? Warum wird dieses Phänomen nur von 
manchen Menschen und auch von diesen nur gelegentlich erlebt? Zur Beant* 



14) Ebenda, S. 322. 

15) Schilder: Einige Bemerkungen zu der Problemsphäre: Cortex, Stammganglien 
— Psyche, Neurose; Z. f. d. ges. Neurol., Bd. LXXIV, 1922. 

16) Diese Formulierung, die nicht den Vorzug besonderer Klarheit für sich in Anspruch 
nimmt, hat keineswegs die Absicht, sich der Auffassung vom dejä vu entgegenz(ustellen,' 
die Freud vertritt und der Schilder sowohl als auch P ö t z 1 sich in Wesentlichem 
anschließen; sie möchte sich ihr mit einem neuen Gesichtspunkt einfügen. 



476 



Otto Isakower 



wortung dieser Fragen stehen uns bisher gewonnene Forschungsergebnisse 
in reichlicherem Ausmaß zur Verfügung. 

Für ihre Auswahl ist entscheidend, daß es sich nicht um ein normales Ein* 
Schlafphänomen handelt, sondern um den Ausdruck einer Störung 
des Einschlafens, u. zw. in einem Stadium, wo der Einschlafprozeß be=> 
reits längst eingesetzt hat. E c o n o m o hat bei der Encephalitis lethargica 
eine Dissoziation des Körpers;» und des Hirnschlafs beschrieben. Ich meine, 
daß im Zeitpunkt des Auftretens des hier beschriebenen Phänomens das 
„Einschlafen" des Körper^^Ichs im Sinne der weiter oben skizzierten Be^ 
Setzungsverschiebungen und Regressionen bereits viel weiter gediehen ist als 
das Einschlafen desWahrnehmungs=Ichs, das, wie oben erörtert, seine Struktur 
und auch einen Teil seiner Besetzung noch festhält und — fast möchte man 
sagen — nicht preisgeben will. Hier hätten wir es also mit einer Dissoziation 
zweier Komponenten d e s H i r n s c h 1 a f s zu tun. Es kommt zu 
einem teilweisen Realitätsverlust in dem Sinne, daß die erhaltene Realitäts*' 
funktion dazu verwendet wird, das Erleben des Phänomens zu beobachten, 
daß diesem Phänomen also nicht volle Realität zuerkannt wird. Es wird eine 
„Entfremdung" zwischen zwei Anteilen des Ichs erlebt, von denen der eine 
noch mehr wache, auf höherer Differenzierungsstufe verharrende einen zno 
deren, schon weit regredierten beobachtet, der im halluzinatorischen Besitz 
des in der Realität verlorenen Objektes schwelgt. Durch dieses Beobachten 
wird aber auch das „Schwelgen" wieder beeinträchtigt; daher dann vielleicht 
die Angabe: „Es ist nicht unangenehm, aber auch nicht angenehm." 

Die Einziehung der Besetzungen und die Veränderungen innerhalb des 
ganzen Ich^Bereiches erfolgen also in manchen Fällen nicht reibungslos. Das 
Auseinanderfallen der Ichanteile und die Entdifferenzierung des gesamten 
Ichs beim Einschlafen, im Fieber, bei gewissen Intoxikationen, vornehmlich 
solchen, die mit Rauschzuständen verbunden sind, verursacht ja eine 
„Schwächung" des Ichs, besonders in seinen übergeordneten Anteilen. Damit 
wird es sonst verdrängten Strebungen leichter gemacht, aufzutauchen. Es sei 
der Kürze halber gestattet, ein scbematisches Beispiel zu geben : Die kindliche 
Einschlafonanie, auf deren Rolle bei den hypnagogen Zuständen überhaupt 
Fenichel^' hingewiesen hat, verbunden mit inzestuösen Phantasien, wird 
vom Übersieh abgelehnt. Das Fortschreiten des Einschlafprozesses ist durch 
einen aktuellen Instanzenkonflikt gefährdet. Da bietet sich das Körperlich 
in semem momentanen Zustand, der eine ganz frühe Befriedigungssituation 
mit repräsentiert, als Ersatz für den störenden genitalen Triebwunsch auf 
das inzestuöse Objekt an. An dessen Stelle tritt die harmlose, nicht verpönte 
Situation an der Mutterbrust oder die des intrauterinen Daseins. So ist beiden 



17) Über organlibidinöse Begleiterscheinungen der Triebabwehr, Int. Ztschr. £. Psal. 
Bd. XIV. 1928. 



Beitrag zur Pathopsychologie ^er Einschlafphänomene 



477 



Tendenzen, der durch das Über^^Ich vertretenen Ablehnungstendenz und dem 
Drängen des Triebwunsches, Genüge geschehen. Wenn aber das Ich imstande 
ist, es so zu machen, so spricht das dafür, daß auch normalerweise diese frühen 
Ichhaltungen beim Einschlafen eingenommen werden, wenn sie auch dem 
Einschlafenden nicht bewußt werden. Im beschriebenen Fall bedient sich 
ihrer das Ich zur Bewältigung der konflUctuösen Situation, um den Fortgang 
des Einschlafprozesses doch noch zu ermöglichen. Die mit Es^Libido aus* 
gestatteten verdrängten Triebwünsche geben den Anstoß dazu, daß das 
Phänomen, mit Bw«=Qualität ausgestattet, in Erscheinung tritt; diese Trieb* 
wünsche werden nun beschwichtigt und durch die Wiederbelebung ganz 
früher Seligkeitssituationen befriedigt. Eine der ontogenetisch frühesten Ein* 
Schlafbedingungen ist wiederhergestellt. Libidinöse Besetzung des Genitales 
überflutet den ganzen Körper — der ganze Körper ein Phallus. Diese Seite 
der Wiedergeburts* und Mutterleibsphantasien ist auch bisher sehr deutlich 
gesehen worden. Aber ich möchte nochmals betonen, daß erst die vollzogene 
Ich*Regression eine halluzinatorische Wiederbelebung dieser längst ver* 
lassenen, ^I^rlorenen Objekte ermöglicht. 

Man kann also wohl behaupten, daß wir in dem beschriebenen Phänomen 
die regressive Wiederbelebung ontogenetisch primitiver Ichhaltungen vor uns 
haben; ökonomisch wird das Bewußtwerden dieses Ichstadiums ermöglicht 
durch den Zuschuß von Es*Libido. Es ist nicht von der Hand zu weisen, 
daß historisch spätere Phantasien über die Situation im Mutterleib, bei der 
Geburt, an der Mutterbrust bei diesem Regressionszug mitgenommen und 
in der Form der geschilderten Sensationen mit belebt werden. Letzten Endes 
handelt es sich aber um die Feststellung, daß die primären Haltungen des 
Organismus wiederbelebt werden können. 

Es ist eine gute Einrichtung, daß das Ich nicht die volle Souveränität über 
die Steuerung des Schlaf mechanismus in seiner Hand hat. Freud hat uns 
gelehrt, „als Bedingung für die Einsetzung der Realitätsprüfung" zu er* 
kennen, „daß Objekte verloren gegangen sind, die einst reale Befriedigung 
gebracht hatten". Im Traum und in dem hier vorgeführten Phänomen haben 
wir die am wenigsten bedenklichen unter den Möglichkeiten vor uns, wie die 
Realitätsfunktion aufgegeben werden kann, um verloren gegangene Objekte, 
versunkene Welten wieder hervorzuzaubern. 



Zur Übertragung und Gegenübertragung 
in der Psychoanalyse 

Von 

Fanny Hann*Kende 

Budapest 

Der Vorgang der Übertragung ist von jeher, von der Zauberei bis zur Psy<* 
choanalyse, der wichtigste Faktor beim Erfolg aller psychotherapeutischen 
Verfahren gewesen. Doch während vor Freud die mit Hypnose oder Sug* 
gestion arbeitenden Ärzte nur einen Teil der dynamischen Kraft der Über* 
faagung, nämlich die positiven Gefühle, und auch diese nur gefühlsmäßig, 
als Heilungsmittel verwendeten, gaben uns Freud' und nach ihm vornehm* 
lieh F e r e n c z i^, indem sie uns mit der ontogenetischen, der deskriptiven 
und dynamischen Seite der Übertragung bekanntmachten, einen Mecha=' 
nismus der Tiefenpsychologie in die Hand, dessen Vorhandensein eine con= 
ditio sine qua non der analytischen Therapie und dessen Beachtung ein 
unerläßlicher Teil der analytischen Arbeit ist. Die Übertragung, d. h. die 
unbewußte libidinöse und sonstige Relation des Individuums zur Objekt*^ 
weit, bildet sich nicht ausschließlich innerhalb einer psychoanalytischen Kur 
heraus; wohl aber fördert die psychoanalytische Situation die volle Ent=» 
faltung ihrer dynamischen Kraft. 

Zum Zustandekommen der Übertragung sagt Freud: „Machen wir uns 
klar, daß jeder Mensch durch das Zusammenwirken von mitgebrachter An=* 
läge und von Einwirkungen auf ihn während seiner Kinderjahre eine be== 
stimmte Eigenart erworben hat, wie er das Liebesleben ausübt, also welche 
Liebesbedingungen er stellt, welche Triebe er dabei befriedigt, und welche 
Ziele er sich setzt. Das ergibt sozusagen ein Klischee (oder auch mehrere), 
welches im Laufe des Lebens regelmäßig wiederholt, neu abgedruckt wird, 
insoweit die äußeren Umstände und die Natur der zugänglichen Liebes* 
Objekte es gestatten, welches gewiß auch gegen rezente Eindrücke nicht 
völlig unveränderlich ist. Unsere Erfahrungen haben nun ergeben, daß von 
diesen das Liebesleben bestimmenden Regungen nur ein Anteil die volle 
psychische Entwicklung durchgemacht hat; dieser Anteil ist der Realität zu* 
gewendet, steht der bewußten Persönlichkeit zur Verfügung und macht ein 
Stück von ihr aus. Ein anderer Teil dieser libidinösen Regungen ist in der 
Entwicklung aufgehalten worden, er ist von der bewußten Persönlichkeit 
wie von der Realität abgehalten, durfte sich entweder nur in der Phantasie 



i) Zur Dynamik der Übertragung, Ges. Sehr. Bd. VI.' Bemerkungen über die Über^ 
tragunsliebe, ibid. 

2) Introjektion und Übertragung, Bausteine zur Psychoaijalyse, Bd. I. 



Zur Übertragung und Gegenübertragung in der Psychoanalyse 



479 



ausbreiten oder ist gänzlich im Unbewußten verblieben, so daß er dem Be=« 
wußtsein der Persönlichkeit unbekannt ist. Wessen Liebesbedürftigkeit nun 
von der Realität nicht restlos befriedigt wird, der muß sich mit libidinösen 
Erwartungsvorstellungen jeder neu auftretenden Person zuwenden, und es 
ist durchaus wahrscheinlich, daß beide Portionen seiner Libido, die bewußfes 
seinsfähige wie die unbewußte, an dieser Einstellung Anteil haben." 

Natürlich entbehren auch die Gefühlsrelationen des Gesunden nicht der 
unbewußten Übertragungselemente, die sich auch bei ihm zum Teil als ar# 
chaische Elemente in der Kontinuität der Seele vererben, zum Teil sich au^ 
Grund der Erfahrungen des frühen Kindesalters herausbilden; doch kom* 
men beim gesunden Individuum die Relationen zu den Objekten vom bes« 
wußten Ich kontrolliert und von ihm geleitet zustande, passen sich der Rea* 
lität an, sind also elastisch. Demgegenüber ist der Neurotiker nicht Herr 
über seine Handlungen und Gefühle, er haßt oder liebt grenzenlos, oft ohne 
sein Gefühl rationalisieren zu können; ein Beispiel dafür ist die „Liebe auf 
den ersten Blick", Ist das Gefühl einheitlich, so bringt es vielleicht, weniger 
subjektives Unbehagen mit sich, weil es imstande ist, ein fanatisches Streben 
in den Individuen zu erwecken, meist jedoch ist es die Legierung entgegenge;« 
setzter Gefühle, die den Kranken antreibt: Liebe paart sich mit Haß, Vertrauen 
mit Argwohn, WoUen mit Hemmung, und dies ist — mögen beide Koms^ 
ponenten des Gefühlspaars bewußt sein oder nicht — dazu geeignet, das 
Individuum in jeder Richtung zu lähmen. Das sind dann diejenigen Kran* 
ken, die gewöhnlich darüber klagen, daß sie gar keine Gefühle haben. 

Die Übertragung in der psychoanalytischen Behandlung, diese für jeden 
Kranken charakteristische Bindung, ist bereits in den ersten Behandlungss= 
stunden vorhanden, nur gesteht der Kranke, obgleich wir ihn mit den ana?* 
lytischen Grundregeln bekanntgemacht haben, oft erst später seine ersten Ge«! 
danken ein. Ich führe einige FäUe an, die den Mechanismus der Übertrai* 
gung zeigen, mit anderen Worten: die dartun, daß der Kranke seine Überi# 
tragung als fertige Komplexe mitbringt, deren Ursprung im Unbewußten 
des Kranken verborgen liegt und unabhängig ist von der Person des Ana:« 
lytikers. 

Einer meiner Patienten, ein dreißigjähriger Mann, der wegen Impotenz zu 
mir zur Behandlung kam, begann die erste Stunde mit der Äußerung: „Welch ein 
Glück, daß Sie so alt und häßlich sind, so brauche ich keine Angst zu 
haben, ich könnte mich in Sie verlieben." Dadurch verriet er seine vorhandene 
Angst, die der Kern seiner Impotenz war. 

Eine sechsundzwanzigjährige, auffallend hübsche Patientin begann die erste 
Stunde folgendermaßen: „Sie sind mir eine angenehme Enttäuschung. . . Sie 
sind ja sehr hübsch .... Ich dachte, alle Ärztinnen seien häßlich, und häßliche 
Frauen mag ich nicht. . ." Zögernd gestand dann diese Patientin ein, daß sie 
auch die Frauen nicht möge, die hübscher sind als sie. Auch ihre Schwestern seien 
schöne Frauen, aber sie sei die schönste. Somit hatte ich das Glück, 



gleich in der ersten Stunde in die Geschwister*Rivalitätsreihe einbezogen zu 
werden. 

Eine Patientin, etwa zehn Jahre älter als ich, blieb entsetzt in der Tür des 
Sprechzimmers stehen und rief aus: „Nein, ich habe doch dem Professor (der 
sie zu mir geschickt hatte) gesagt, daß ich nicht zu einer Frau gehen will, und 
nun gar zu einer so jungen! Sie könnten ja meine Tochter sein! Sie sollen mir 
helfen können? Sie sind ja noch ein kleines Mädel!" Bald darauf erfuhr ich, daß 
die Leiden dieser Kranken Jahrzehnte zurückreichten und auf einen nicht in 
normaler Weise erledigten Ödipuskonflikt zurückzuführen waren. Dieser Kon= 
flikt wurde dann durch die Heirat der Tochter exazerbiert, und die Leiden der 
Kranken stiegen ins UnerträgUche, als die Tochter schwanger wurde. 

Mit Berücksichtigung der Übertragung weist die Heilung vom Standpunkt 
der Technik und der intrapsychischen Konstellation aus drei Phasen auf. Im 
ersten Abschnitt, den Ferenczi die „Honigmonate" der Analyse nennt, 
deuten wir die Übertragung nicht, verfolgen jedoch im Stillen beständig ihre 
Entwicklung mit der gleichen Aufmerksamkeit, die wir sämtlichen Aussagen 
und dem ganzen Benehmen des Patienten widmen. Während dieser Periode 
fühlt der Kranke gewöhnlich eine große Erleichterung, häufig glaubt er, 
schon gebeilt zu sein. Dies ist verständlich: er wird eine Menge Geheimnisse 
los, die ihn lange Zeit hindurch bedrückt haben, die ihn zur Verschlossenheit 
veranlaßten; aber auch der Kranke, der offensichtlich nicht in sojcher Isolie=< 
rung lebt, klagt, daß seine Angehörigen oder Freunde, wenn sie sich auch 
seine Beschwerden anhörten, ihn nicht verstünden, sein Klagen bald satt*' 
bekämen und ihm auch nicht helfen könnten. Wenn er darüber klagte, 
nicht arbeiten zu können, rieten sie ihm, er möge es nur versuchen; wenn 
er sich in eine forcierte Arbeit flüchten wollte, gaben sie den Rat, er solle 
ruhen und sich erholen; wenn er nicht imstande war, sein Geschlechts.« 
leben zu gestalten, sagten sie, er solle nur den Anfang machen, dann 
würde es schon gehen; wenn er von einem Objekt zum andern lief und 
immer unbefriedigt blieb, meinten sie, er solle diese Jagd aufgeben und mo::^ 
nogam leben wie andere anständige Menschen; seine Zwangszeremonien 
hielten sie für sinnlose Übertreibungen, seine Ängste für kindische Dumm.* 
heit. Dieser Zustand dauerte gewöhnlich Jahre, schließlich bildete sich der 
Kranke sogar ein, er sei vielleicht gar nicht krank, sondern tatsächlich bloß 
faul, nichtsnutzig, arbeitsscheu und spiele deshalb beständig mit seinen Ge.* 
danken herum; er habe seine Potenz beim Onanieren eingebüßt, von seinen 
Ängsten könne man gar nicht sprechen, sie seien so irreal, und so fort. End# 
lieh macht er dann einen letzten Versuch und kommt zu uns, und da darf 
er zum erstenmal krank sein, ganz ohne Schuldbewußtsein und 
Schamgefühl. 

Diese Freiheit, die der Kranke von uns zum erstenmal bekommt, diese 
scheinbar passive Geste, ist in ihrem Wesen eine sehr aktive Handlung, und 
ihr völlig adäquat ist das Befreiungsgefühl, das erleichterte Aufatmen des 



Zur Übertragung und Gegenii bertragung in der Psychoanalyse 481 

Kranken; denn bekanntlich ist die Neurose die Erscheinungsform eines un* 
bewußten intrapsychischen Konflikts: gewöhnlich des Konflikts zwischen 
dem unbeugsam strengen Über=*Ich und den Es^Repräsentanten in einem 
relativ schwachen Ich. Ein solches Ich ist eben durch seine Schwäche oder 
Fehlentwicklung unfähig, die normalen Kräfteverhähnisse herzustellen. Wir 
kommen also dem Ich zu Hilfe, wenn wir den Kranken dazu bringen, alle 
Scham und allen Vorbehalt beiseite lassend und auf alles Streben nach 
logischer Formulierung verzichtend, frei zu assoziieren. Dadurch stärken wir 
das Streben im Ubw des Kranken, wenigstens einen Teil der verdrängten 
Wünsche und Phantasien ins bewußte Ich gelangen zu lassen. In dieser Phase 
verursacht die Übertragung keinen Widerstand. Der Kranke ist uns dankbar 
dafür, daß er seine Klagen laut werden lassen kann und daß wir ihn ver^» 
stehen. Er arbeitet mit uns, und bei dieser Arbeit bekommt er neue psy^^ 
chische Perspektiven. Je narzißtischer der Kranke ist, je mehr er fürchtet, 
„sich selbst zu verlieren", desto später gelangen wir zur zweiten Phase, in 
der die Widerstände sich häufen. Zunächst ändert sich meist das Tempo 
der Mitteilungen. „Ich habe, schon alles erzählt", pflegt der Kranke zu sagen 
und schweigt. Oder er bringt oberflächliche Assoziationen vor. Erinne»» 
rungen kommen ihm nicht, statt dessen wiederholte er sie in seinen Hand* 
lungen. Schon allein die Tatsache, daß das Material zur Neige geht, ist für 
den Kranken äußerst quälend; er erwartet von uns die verschiedensten 
Strafen. Freud macht uns darauf aufmerksam, daß hinter dem hartnäckigen 
Schweigen des Kranken gewöhnlich Gefühle oder Vorstellungen stecken, die 
mit der Person des Analytikers verbunden sind, und wenn wir dies dem 
Kranken mitteilen, so lösen wir dadurch meistens sein Schweigen. 

In dieser Periode sind wir tatsächlich ständig im Mittelpunkt der Ge»= 
danken=< und Gefühlseinstellung des Patienten. Wir können beobachten, daß 
wir in seinen Träumen und Vorstellungen immer gegenwärtig sind, entweder 
mit den verschiedenen Imagines identifiziert oder von Symbolen überdeckt; 
oder aber der Schauplatz des Traumes ist — wenngleich er das „Heim" dar»» 
stellt — die Wohnung des Analytikers. Vor jedem Entschluß will er uns 
nach unserer Meinung fragen, jede Handlung will er von uns abhängig 
machen. Es ist qualvoll für ihn, daß er bloß zu einer bestimmten Stunde des 
Tages zu uns kommen kann, daß er nicht bei uns wohnt, daß wir Familie 
haben, daß wir außer ihm andere Kranke behandeln usw. Er möchte seine 
Familiensituation bei uns voll und ganz wiederholt sehen, erwartet und pro»« 
voziert von uns stets eine Strafe — daß wir ihn verlassen oder hinauswerfen 
— oder aber eine Belohnung. Mit andern Worten: die Übertragung 
gelangt völlig in den Dienst des Wiederholungszwanges, 
wird zum Symptom und ist als solches zu deuten. Der Kranke überträgt die 
Eigenschaften seines Überpälchs auf uns, erwartet von uns jene Verbote und 
Befehle, die von seinem Übersieh repräsentiert werden. Welchen Nutzen 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXII/4 31 



482 Fanny Hann=Kende 



hat der Kranke von dieser Phase, in der er sich subjektiv häufig viel 
schlechter fühlt, reizbarer und empfindlicher ist, und in der vor allem die 
Abhängigkeit vom Analytiker — besonders für den narzißtischen Kranken 
— recht qualvoll ist? Wir können sagen, daß der Kranke einen zweifach-eh 
Nutzen von dieser Phase hat. Erstens ist es dadurch, daß wir infolge der 
Übertragung jene Personen repräsentieren, die im frühen Kindesalter des 
Kranken von größtem Einfluß waren, — daß wir also die Komponenten 
seines Überr*Ichs repräsentieren — , gelungen, diese Komponenten oder wemg*^ 
stens einen Teil von ihnen aus ihrer intrapsychischen Lage durch die Pro»! 
jektion auf uns in die extrapsychische Lage zu rücken und zu objektivieren. 
Zweitens kann das Ich, da es vom Druck des Über^Ichs befreit ist, nun 
bereits eine Anzahl der vom Über=<Ich diktierten Verdrängungen freimachen. 
Dadurch kann eine neuerliche Menge des unbewußten Materials bewußt ge^ 
macht werden. 

In die dritte Phase der therapeutischen Arbeit gelangen wir meist unbe*= 
merkt. Neu auftauchendes Erinnerungsmaterial bekommen wir nun kaum 
mehr. Neben der Bearbeitung des bisherigen Materials wird unsere wich* 
tigste Arbeit nunmehr der A b b a u der Übertragung sein. Die Über»» 
tragung möchte sich wieder in Wiederholungenein lassen; 
der Kranke identifiziert sich mit uns und will uns als IchJdeal an die Stelle 
des aufgegebenen Über=«Ichs setzen. Durch die anhaltende Arbeit des Be# 
wußtmachens gelingt es uns, das Ich so weit zu stärken, daß der Kranke 
auch darauf zu verzichten imstande ist, d. h., der geheilte Patient wird zu 
der Persönlichkeit, die er geworden wäre, wenn die verschiedenen trauma« 
tischen Erlebnisse der Entwicklung des Ichs nicht hinderlich in den Weg 
getreten wären. 

Betrachten wir nun die Gegenübertragung des Analytikers zum Kranken. 
Mit diesen libidinösen Vorgängen hat sich die analytische Literatur wenig 
befaßt. Dabei ist es die Erkentnis der Gegenübertragung, die die zweite 
Grundregel vorbereitet hat. Freud definiert das Wesen der Gegenüber;* 
tragung nicht, er betont vielmehr die Notwendigkeit, daß der Analytiker 
seine Gefühle für den Kranken kontrolliere und die Äußerungen des posi^ 
tiven Übertragungsgefühls des Patienten nicht verwechsle mit realer, seiner 
Person geltender Liebe. Helene Deutsch' versucht, die Gegenübertragung 
näher zu bestimmen, sie hält sie für einen sich während des Prozesses der 
Analyse herausbildenden Mechanismus, der zwei im Unbewußten wurzelnde 
Komponenten hat. Die eine ist die Identifizierung des Analytikers mit be^^ 
stimmten Anteilen des infantil besetzten Ichs des Patienten, die zweite ist 
der von H. Deutsch „Komplementäreinstellung" genannte Vorgang, 
worunter sie die Aufgabe des Analytikers versteht, in der u b w Einstellung 
seine reale Persönlichkeit aufzugeben und gleichsinnig zu den Übertragungs* 

3) H. D e u t s c h : Okkulte Vorgänge während der Psychoanalyse. Imago, Bd. XII, 1926. 



Zur Übertragung und Gegenübertragung in der Psychoanalyse 483 

Phantasien des Patienten seine Identifizierung mit den Imagines desselben 
vorzunehmen. 

Ferenczi beleuchtet — hauptsächlich in denjenigen seiner Schriften, die 
sich mit den technischen Problemen der psychoanalytischen Praxis befassen 
— weitgehend die Gefahren der Gegenübertragung und sieht, ebenso wie 
Freud, eine der wichtigsten Funktionen des Analytikers in der völligen Be«= 
wältigung der Gegenübertragung. Ferenczi* sagt: „Der Ps!ychoanalytiker 
darf aber nicht mehr nach Herzenslust milde und mitleidsvoll oder grob und 
hart sein und abwarten, bis sich die Seele des Kranken dem Charakter des 
Arztes anpaßt; er muß es verstehen, seine Anteilnahme zu dosieren, ja, 
er darf sich seinen Affekten nicht einmal innerlich hingeben, denn das Be» 
herrschtsein von Affekten oder gar von Leidenschaften schafft einen un»» 
günstigen Boden zur Aufnahme und richtigen Verarbeitung von analytischen 
Daten. Da aber der Arzt immerhin ein Mensch und als solcher Stimmungen, 
Sym# und Antipathien, auch Triebanwandlungen zugänglich ist, — ohne 
solche Empfänglichkeit hätte er ja kein Verständnis für die Seelenkämpfe des 
Patienten, — so hat er in der Analyse fortwährend eine doppelte Arbeit zu 
leisten: einesteils muß er den Patienten beobachten, das von ihm Erzählte 
prüfen, aus seinen Mitteilungen und seinem Gebaren sein Unbewußtes kon# 
struieren; andernteils hat er gleichzeitig seine eigene Einstellung dem Kranken 
gegenüber unausgesetzt zu kontroUieren, wenn nötig, richtigzustellen, d. h. 
die Gegenübertragung zu bewältigen. Die Vorbedingung dazu ist natürlich 
das Analysiertsein des Arztes selbst; aber auch der Analysierte ist von Eigen*^ 
heiten des Charakters und aktuellen Stimmungsschwankungen nicht so un:f 
abhängig, daß die Beaufsichtigung der Gegenübertragung überflüssig wäre." 

Das dauernde Bewußtmachen und Lenken der dynamischen Kraft der 
Gegenübertragung ist bei der Arbeit des Analytikers vielleicht die schwier« 
rigste Aufgabe. Die Gegenübertragung beginnt im Analytiker genau so bei 
der ersten Berührung mit dem Kranken wie im Kranken die Übetragung auf 
den Analytiker. Der Kranke löst durch sein bloßes Erscheinen, seine Rede=< 
weise, sein Gebärdenspiel, seine Stimme, durch den Inhalt dessen, was er sagt, 
im Analytiker nicht nur das Verstehen der Zusammenhänge und bewußte 
emotionale Reaktionen wie Mitleid, Sym# und Antipathiegefühle aus, son* 
dern bringt gleichzeitig damit auch die vorbewußten Erinnerungsspuren in 
ihm in Schwingung. Und so sehr wir auch bestrebt wären, jeden neuen 
Fall unbefangen, objektiv, nur unter Lenkung unserer bewußten Be# 
obachtungen abzuwägen, nimmt dennoch unser Vorbewußtes, ja sogar 
unser Unbewußtes an der Arbeit teil. Das prompte Korrespondieren 
der beiden Unbewußten, genauer gesagt: der beiden Vorbewußten, 
ist sogar eine Vorbedingung der ungestörten Arbeit in der psycho.« 



ana: 



S. Ferenczi: Die Bewältigung der Gegenübertragung, Bausteine zur Psycho^ 
lyse, Bd. II. 



31« 




analytischen Therapie. In dem Maße, wie der Analytiker durch bewußte 
oder unbewußte, positive oder negative dem Kranken gegenüber gehegte 
Affekte daran gehindert wird, den Kranken zu verstehen, im gleichen Maße 
wäre er unfähig, ihn zu heüen, — wenn ihn nicht auch desexualisierte libidi.« 
nöse Relationen mit dem Kranken verknüpften. Die Kranken reagieren sehr 
empfindlich auf die libidinöse Einstellung des Analytikers. In der Literatur 
haben F r e u d^ und Deutsch" eklatante Beispiele hiefür angeführt. 
H o 1 1 6 s bekräftigt diese Beobachtungen in seinem Aufsatz über die Psychos' 
Pathologie alltäglicher telepathischer Erscheinungen.' 

Meine eigene diesbezügliche Wahrnehmung stammt aus einer Periode, in der 
die Verquickung mehrerer Umstände mir die tägliche psychoanalytische Arbeit 
zur Last machte: ich hatte zu viele Patienten; für ein analytisches Problem, das 
ich iii mir als herauskristallisiert empfand, konnte ich keine befriedigende Formu* 
lierung finden; und vor allem beschäftigte mich fortwährend die unerwartete 
schwere Erkrankung eines guten Freundes. Der Freund — wir wollen ihn X 
nennen — war bereits den fünften Tag krank, und es gelang mir nicht, 
die Diagnose von dem behandelnden Arzt zu erfahren, der mir nur aus* 
weichende Antworten auf meine Fragen gab. Ich fühlte, daß meine Unruhe mir 
die analytische Tagesarbeit sehr erschweren würde, und dachte gerade: könnte 
ich doch jetzt für zwei Wochen verreisen, irgendwohin ans Meer! — , als mein 
erster Patient des Tages eintrat, und zwar mit den Worten: „Während ich im 
Wartezimmer saß, dachte ich, was wohl sein würde, wenn Sie jetzt für zwei 
Wochen verreisen! Sie sagen zwar immer, wir seien hier ganz gleiche Partner, 
aber mit Unrecht; denn Sie können mich doch im Stich lassen, wann immer Sie 
wollen!" Die weiteren Assoziationen des Patienten führten zu ähnlichen Erleb* 
nissen des Verlassenwordenseins aus der Kindheit. Nach der Stunde überlegte 
ich: Nein, ich kann tatsächlich nicht fort, aber vielleicht kann ich eine oder zwei 
Stunden absagen. Ich dachte dabei an den in der Reihe nächsten Patienten, bei 
dem die Analyse ihrem Ende zuging und der sich seit längerer Zeit wohlfühlte. 
Dieser Patient fing nun, nachdem sein Gesichtsausdruck bereits alles verraten 
hatte, die Stunde mit den Worten an: „Ich bin so einsam, ich habe niemanden, 
nur Sie. . ." und so weiter, und es folgten Erinnerungen an eine Anzahl von 
Kindheitsenttäuschungen. Die Art und Weise, wie dieser Kranke auf meine un» 
ausgesprochenen Wünsche reagierte, veranlaßte mich, diese Wünsche aufzugeben. 

Der nächste Kranke litt an einer Neurose, die ihn in jeder Richtung lähmte; 
die Pflicht zur Diskretion verbietet mir in diesem Falle, das Krankheitsbild zu 
detaillieren. Ich möchte nur auf eine Erscheinung, nämlich die Depression, ein* 
gehen. Diese recht schwere Depression, die nur in gewissen Zeitabständen auftrat, 
brachte der Patient mit einem körperlichen Gebrechen in Zusammenhang, das 
bei ihm vorhanden war, objektiv indessen als alltäglich und unbedeutend be* 
zeichnet werden kann. Der Patient führte trotzdem gewisse Mängel in seinem 
Sexualleben auf diesen anatomischen Faktor zurück: deswegen fehle es ihm an 
männlichem Selbstvertrauen, getraue er sich nicht, aktiv und initiativ zu sein, 

5) Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, S. 66 — 
79. 

6) H. Deutsch: Okkulte Vorgänge während der Psychoanalyse, Imago, Bd. XII, 
1934. 

7) Imago, Bd. XIX, 1934. 



Zur Übertragung und Gegenübertragung in der Psychoanalyse 



485 



und könne vor allem nicht daran glauben, daß jemand sich in ihn verlieben 
könnte. Mit dieser Depression als Hauptsymptom kam er zu mir; in seinem depres* 
siven Zustand trug er sich ernstlich mit Selbstmordgedanken. Die Stunde fing 
er wieder mit seinen Selbstmordgedanken an und kam auf sein körperliches 
Gebrechen zu sprechen. In diesem Augenblick fiel mir die Frage ein, ob X, der 
den gleichen körperlichen Mangel hatte, wohl unter ebensolchen unangenehmen 
Gefühlen leide. Da sagte der Patient folgendes: „Seit fünf Tagen habe ich ein 
sonderbares Gefühl; wenn ich mich im Spiegel betrachte, bemerke ich, daß ich 
immer mehr Herrn X gleiche; und das beruhigt mich einigermaßen, er hat das 
gleiche körperliche Gebrechen wie ich, ich glaube — aber lachen Sie mich bitte 
nicht aus — , daß er Ihnen gefällt; und jetzt fühle ich sogar, daß auch ich Ihnen 
gefalle . . . ." und so weiter. Der Patient kannte X, der während seiner langen 
Analyse bis dahin keine Rolle gespielt hatte, nur flüchtig; er wußte nicht, daß X 
krank war, doch hatte er in seinem Unbewußten anscheinend gefühlt, daß ich 
meine Libido ihm momentan zugunsten von X entzogen hatte. In der Übertrag 
gungsbeziehung dieses Patienten hatte ich die Rolle einer Mutter==Imago ; seine 
Depressionen traten eigentlich immer dann auf, wenn er eine bewußt zwar er* 
wünschte, unbewußt jedoch wegen der Kastrationsängste nicTit zugelassene sexu* 
eile Beziehung herstellen wollte. Seine Kastrationsängste galten dem Vaterp=Ri* 
valen. Auch jetzt hatte dieser Umstand die Depression ausgelöst; er regredierte 
vom versagten realen Objekt zu der aus der infantilen Vorzeit stammenden und 
gegenwärtig durch mich repräsentierten Mutter*Imago. An die Stelle des ge# 
fürchteten Vaters setzte er X, aber er getraute sich jetzt zum erstenmal, sich mit 
ihm zu identifizieren. Die Depression des Patienten hörte in derselben Stunde 
auf. 

Bei dem ersten Patienten könnte man daran denken, daß mein müder 
Gesichtsausdruck seine Phantasie von meiner Abreise motiviert haben 
mochte, doch entbehrt diese Annahme einer etwaigen Wahrnehmung meiner 
Müdigkeit von seiten des Patienten jeder objektiven Grundlage : hatte doch 
der Patient schon im Wartezimmer, also fast zur gleichen Zeit, als mir meine 
zweiwöchige Reise einfiel, daran gedacht, ich könnte ihn für zwei Wocheri 
verlassen. Auch das „Erfühlen" bei den beiden anderen Fällen beruhte auf 
einem unbewußten Mechanismus. Das Wesen dieses Mechanismus ist noch 
nicht bekannt; es ist mir bloß gelungen, einige charakteristische Bedingungen 
festzustellen: 1. Der Patient produziert den Mechanismus, wenn er die Ab* 
nähme der Libido des Analytikers unbewußt erfühlt. 2. Zu dieser „telepathiä= 
sehen" Fähigkeit des Patienten gehört die positive Übertragungseinstellung. 
3. Diesen Mechanismus benutzt er zur Rückgewinnung der ihm entzogenen 
Libido. 

Mit diesen Wahrnehmungen möchte ich die Beobachtung belegen, die 
Ferenczi» so formuliert: „Allmählich kam ich zur Überzeugung, daß die 
Patienten ein überaus verfeinertes Gefühl für die Wünsche, Tendenzen, 
Launen, Sym;» und Antipathien des Analytikers haben, mag dieses Gefühl 
auch dem Analytiker selbst ganz unbewußt sein." 

8) S. Ferenczi: Sprachverwirrung zwischen den Erwachsenen und dem Kind, Int. 
Zeitschr. f. Psa., Bd. XIX, 1933. 



486 Fanny HannsKende: Zur Übertragung und Gegen übertragung in der Psychoanalyse 

Diese intuitive Empfindlichkeit des Patienten, die mit dem Mechanismus 
der Übertragung verbunden ist, erfordert schon allein eine vollkommene, 
vom Prozeß der Bewußtmachung unabhängige Aufrichtigkeit seitens ides 
Analytikers, doch erfordert sie auch, daß der Analytiker das therapeutische 
Verfahren nicht anderen Zwecken unterordne, also den Patienten weder mit 
der Absicht behandle, die Bestätigung eines psychoanalytischen Lehrsatzes 
zu suchen, noch mit der Absicht, den Beweis für theoretisch stichhaltig er*^ 
scheinende Wahrheiten zu finden. Der ausschließliche Zweck der analy=« 
tischen Kur ist, den Patienten zu heilen. Da aber die Psychoanalyse parexceU 
lence eine auf der Empirie beruhende Wissenschaft ist, führt die therapeu* 
tische Anwendung selbstverständlich außer zu dem eigentUchen Ziel in jedem 
einzelnen Fall auch zu neuen Eröffnungen. 

Das Wesen der analytischen Therapie ist die Bekämpfung der Wider* 
stände und die Bewußtmachung des verdrängten Materials. Bei dieser Ar* 
beit lenken den Analytiker drei Faktoren: sein theoretisches und erfahrungs* 
gemäfks Wissen, die desexualisierte Ich^Libido und die Gegenübertragung. 

Die Gegenübertragung ist eine Funktion der Über* 
tragungen des Analytikers und des Patienten. Die Übertra* 
gungen des Analytikers, seine unbewußten Vorstellungen, libidinöse und 
destruktive Neigungen, sind während seiner eigenen Analyse zum größten 
Teil bewußt gemacht worden und haben den Sublimierungsprozeß durch* 
gemacht; Teile jedoch sind im Vorbewußten als Erinnerungsspuren aufge* 
speichert geblieben. Diese Erinnerungsspuren sind es, die mit den Über* 
tragungen des Patienten unbewußt korrespondieren. Diese mit Schicksals* 
gestaltenden dynamischen Kräften versehenen Erinnerungsspuren muß der 
Analytiker beständig bewußt kontrollieren und entkräften, um eine für das 
Resultat unentbehrliche, von jener Seite aus affektfreie Atmosphäre, die 
„Grundstimmung",« herzustellen. Diesen Prozeß hindert nur der Wider* 
stand jener Erinnerungsspuren, die im Laufe der Analyse und der Kontroll* 
analyse des Analytikers nicht bewußt gemacht worden sind. Da jedoch jede 
analytische Behandlung bis zu einem gewissen Grade auch die weitere Selbst* 
erkenntnis des Analytikers mit sich bringt und immer mehr Erinnerungs* 
spuren in sein Bewußtsein fördert, verliert die Gegenübertragung um so mehr 
an Bedeutung, Intensität und dynamischer Wirkung, je weiter die fortge* 
setzte Selbstanalyse des Analytikers schreitet. Diese Gegenübertragung ist 
ebenso unvermeidlich wie die Übertragung des Patienten; wenn aber beide 
in ein entsprechendes Gleichgewicht gebracht werden können und die 
„Grundstimmung" die führende Rolle übernimmt, wird sie die Arbeit des 
Analytikers nicht hemmen, sondern fördern. 



9) Hermann: A pszichoanalizis mint modszer. 



Zur Genese des psychischen Konfliktes im 
frühen Lebensalter' 

Von 

Joan Riviere 

London 

Ich will in dieser Arbeit eine kurze allgemeine Darstellung der frühesten 
psychischen Entwicklungsprozesse des Kindes versuchen, d. h. in erster Linie 
der Probleme der oralsadistischen Triebregungen und der ihnen zugehörigen 
Ängste. In diesem Zusammenhang berücksichtige ich sodann die vom frühen 
kmdlichen Ich gegen diese Triebregungen angewendeten grundlegenden Ab= 
Wehrmechanismen, insbesondere die Funktionen der Projektion und Intro:» 
jektion auf dieser Entwicklungsstufe. 

Allem Anschein nach wird durch das vollere Verständnis der Wirksamkeit 
dieser Faktoren in den ersten (zwei bis drei) Lebensjahren die ganze Ent> 
Wicklung in ein neues Licht gerückt, das geeignet ist, das Dunkel auf;* 
zuhellen, in dem bisher noch die früheste Ichentwicklung sowie der Ur* 
Sprung des Über*=Ichs und deren Beziehung zur infantilen Sexualität und 
zur Libidoentwicklung lagen. Jeglicher Anspruch, den die Psychoanalyse 
erheben kann, daß sie die Struktur des Ichs beim Erwachsenen und beim 
älteren Kinde versteht, schließt notwendigerweise die Voraussetzung ein, daß 
sie die Ichentwicklung auch bis zu ihren frühesten Wurzeln zurückziiver=< 
folgen vermag. Größeres Verständnis der Ängste und Abwehrmaßnahmen, 
die sich im Ich als eine Folge der frühesten Objektbeziehungen entwickeln, 
muß deshalb für die gesamte analytische Arbeit von besonderer Bedeutung 
sein. Die Orientierung der Arbeit der letzten Jahre nach dieser Richtung hin 
bedeutet keineswegs eine Unterschätzung der Wichtigkeit der Libidoentwick*= 
lung und der libidinösen Prozesse als solcher. Im Gegenteil, die Bedeutung 
der Wechselwirkung und der Beziehungen zwischen Ich^ und Libido^Enfc* 
Wicklung läßt die grundlegende Wichtigkeit infantiler libidinöser Bedürfnisse 
für die gesamte psychische Entwicklung nur noch deutlicher hervortreten. 
Melanie Kl eins Pionierarbeit hat in der Britischen Psychoanalytischen 
Gesellschaft zu einem intensiven Studium dieser Probleme geführt 
' und, meiner Ansicht nach, direkt oder indirekt auf die Arbeit ihrer Mit* 
glieder einen bedeutsamen Einfluß ausgeübt. Ich muß jedoch betonen, daß 

_ i) Diese Arbeit wurde vor der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung am 5. Mai 1936 
m Rahmen der Austauschvorträge zwischen London und Wien vorgetragen. In seinem 
Vortrag vor der British Psycho^ Analytical Society im November 1935 hatte R. W ä 1 d e r 
besonders die Themen des oralen Sadismus und der Projektion und Introjektion hervor* 
gelioben, weshalb ich sie hier nachdrücklicher behandle. — Aus dem Englischen übersetzt 
' von Dr. Paula H e i m a n n, London. 



488 Joa» Riviere 

ich allein für die hier vorgebrachten allgemeinen Formulierungen verant* 
wortlich bin. Ich versuche eine Gesamtdarstellung vieler wesentlicher theo;« 
retischer Beiträge unserer Mitglieder, aber der Versuch einer Einordnung 
dieser neu erkannten Gegebenheiten in eine brauchbare theoretische Kon=» 
zeption ist mein persönliches Unternehmen.^ Ich muß es ablehnen, die hier 
vorgebrachten Ansichten beweisen zu wollen, ich betrachte sie auch nicht 
alle als völlig gesichert. Ich darf behaupten, daß meine Hypothesen von 
allen Funden Freuds Gebrauch machen und keiner der von ihm nieder^ 
gelegten Grundansichten widersprechen; aber sie erweitern die Anwendung 
dieser Grundbegriffe nach manchen Richtungen, in die er selbst sie bisher 
nicht verfolgt hat. 

In „Hemmung, Symptom und Angst" hat Freud bei der Betrachtung 
der Beziehungen zwischen Angst und Triebansprüchen sich ausschließlich 
mit den Ansprüchen des Eros befaßt, aber die des anderen wichtigen Triebes 
(Todestrieb) nicht behandelt. Die Angstsituationen, die aus der Aggression 
in der Wechselbeziehung zur Libido erwachsen, bilden jedoch die Grund* 
läge der Arbeiten einer Anzahl von englischen Analytikern. 

Wir wissen, daß psychoanalytische Tatsachen und Gesetze sich nicht 
auf dem Papier beweisen lassen. Meine eigene Arbeit erfolgt an Erwachsenen, 
und ich kann sagen, daß sie deutliche Beweise für die Richtigkeit meiner 
Annahmen über die frühen kindlichen Entwicklungsstadien liefert. Es scheint 
einigen von uns mit dem uns zur Verfügung stehenden Material völlig 
übereinzustimmen, wenn wir annehmen, daß orale und kannibalistische 
Triebregungen, die im Zusammenhang mit unmißverständlichen Ödipussitua* 
tionen auftreten, nicht etwa auf regressivem Wege, sondern primär in der 
Säugeperiode entwickelt werden. Der spezifische Inhalt arialytischen 
Materials dieser Art, das uns jetzt zur Verfügung steht, und seine Reiche 
haltigkeit haben uns instandgesetzt, zumindest aus heuristischen Grün*^ 
den Hypothesen darüber aufzustellen, was in den frühesten Monaten und 
Jahren vor sich geht, und zu versuchen, wie diese Hypothesen mit unserem! 
Kenntnissen von der seelischen Entwicklung dieser Periode in Einklang ge=* 
bracht werden können. Ausschließlich auf Grund außeranalytischer Beob* 
achtung ließe sich der wichtigste Teil des Ödipuskomplexes, nämlich die 
Intensität der aufs Physische gerichteten sexuellen und aggressiven Trieb* 
regungen und Phantasien den Eltern gegenüber, kaum als bewiesen, noch 

2) Von wenigen Ausnahmen abgesehen, habe ich es unmögUch gefunden, speziellere 
Hinweise auf die Veröffentlichungen anderer Autoren zu geben, da das Material, auf dem 
meine Ansichten basieren, zu groß und umfassend ist und weil es im Rahmen einer solchen 
Zusammenfassung notwendig ist, Einzelheiten zu vermeiden. Meine VerpfHchtung einer 
Anzahl von Autoren gegenüber — und ich möchte hier ihnen allen meinen Dank tur 
die Einsicht und das Verständnis, das ich aus ihren Arbeiten gewonnen habe, aussprechen 
— wird allen klar sein, die mit den von mir im Literaturnachweis angeführten Arbeiten 
vertraut sind. 



Zur Genese des psychisch en Konfliktes im frühen Lebensalter 489 

auch überhaupt ihre Existenz als gesichert ansehen. Man kann gewiß nicht 
folgern, daß ein Säugling keine Gefühle habe, weil er seine Gefühle nicht in 
einer uns verständlichen Art ausdrücken kann; gerade dieser Umstand mag 
vielleicht sogar eine der Hauptursachen sein, warum er diesen frühesten Et^ 
lebnissen gegenüber so besonders empfindlich ist und warum diese so be== 
sonders bedeutungsvolle Nach\virkungen haben. Schlußfolgerungen über 
Triebregungen und Konflikte, die zu einer Zeit entstehen, da das Kind fast 
kein Mittel hat, sie direkt zum Ausdruck zu bringen, müssen auf dem Be* 
weis ihrer Wiederholung in der Analyse aufgebaut werden: diese ist die ein^ 
zige Quelle für die Kenntnis der unbewußten seeHschen Inhalte, die exi== 
stierten, bevor Bewußtsein und Erinnerung entwickelt waren. Ich erwarte 
es deshalb nicht, daß ich Sie von der Gültigkeit unserer Ansichten über«» 
zeugen könnte; denn eine solche Überzeugung kann sich nur aus eigener 
analytischer Erfahrung in dieser Richtung — durch Überprüfung unserer 
Funde am Material — entwickeln. 

Das Seelenleben des kleinen Kindes in seinen ersten Lebenswochen ist von 
narzißtischem Charakter und wird vom Lust=»Unlust*Prinzip beherrscht, 
während das Ich primär ein Körper^'Ich ist. Dies ist die Stufe der primären 
Identifizierung; die dämmernde Psyche ahnt noch nichts von der äußeren 
Welt. Vom Lebensbeginn an erregen gewisse Reize Unlust, z. B. Hunger, 
Kolikschmerzen, Blähungen und etwa äußere Reize, wie z. B. laute Ge* 
rausche oder der Verlust der stützenden Unterlage und damit die plötzliche 
Gefahr, fallen gelassen zu werden. So werden Eindrücke schmerzlicher Art 
in der Psyche geformt zugleich mit den beständigeren Erlebnissen von Wohl^ 
befinden und Befriedigtheit, die rein narzißtisch erlebt werden. F r e u d hat in 
verschiedenen Arbeiten (besonders in „Triebe und Triebschicksale''^) be# 
schrieben, wie das primitive Ich auf Lust und Unlust reagiert. Es versucht 
sein Lust=Ich unverletzt zu erhalten, indem es sich mit allen Lustreizen iden;= 
tifiziert und sich von allen Unlustreizen abwendet. Die Allmacht der Psyche 
m ihrem eigenen Reich, der subjektiven Welt, befähigt es, so zu reagieren. 

F re u d hat uns so in großen Zügen gezeigt, wie die Psyche zu arbeiten be^* 
ginnt. Aber die Entwicklung der Psyche von dieser frühesten Stufe bis zur 
phallischen Libidoorganisation, bis zum Untergang des Ödipuskomplexes 
und der vollen Ausbildung des Über<=Ichs ist nicht in allen Einzelheiten 
aufgedeckt worden, und man kann nicht behaupten, daß die psychoanaly^ 
tische Theorie einen befriedigenden genetischen Zusammenhang von den 
ersten bis zu den letzten Stufen hergesteUt hat. 

Die Arbeit von Melanie Klein und anderen, die ihr folgten, hat 
uns gezeigt, daß die Prozesse der Projektion und Introjektion von weit 

3) Ges. Sehr., Bd. V. ; , 



I 



490 



Joan Riviere 



größerer Bedeutung sind und auf jeder Stufe seelischer Entwicklung eine 
weit größere Wirkung haben, als bisher angenommen wurde.* 

Wir vermuten, daß Freuds oben beschriebene primäre narzißtische Stufe 
die psychische Grundlage bildet, auf der sich diese Prozesse entwickeln. 
Freud selbst hat die Vernichtung unlusterregender Reize mit dem Prozeß 
der Projektion in Zusammenhang gebracht. Sobald lustvolle „gute" von un# 
lustvollen „bösen" Zuständen unterschieden werden, werden die guten Tm» 
stände und Sensationen psychisch dem Ich zugeschrieben und die bösen ver* 
worfen und ausgestoßen. Es scheint, daß dieser frühe psychische Prozeß 
dem Muster der wichtigen physiologischen Funktionen nachgebildet ist, die 
der Lebenserhaltung dienen, insbesondere dem Stoffwechsel, bezw. den Er;» 
nährungs;» und Verdauungsvorgängen. F r e u d hat die narzißtische Stufe mit 
der Funktion des Schlafes verknüpft; ich möchte meinen, daß die psychische 
Introjektion der Aufnahme der „guten" Nahrung nachgebildet ist, während 
die Projektion dem physiologischen Vorbild der Ausscheidung der Abbau* 
Produkte folgt. Man darf nicht vergessen, daß diese narzißtische Welt der 
Psyche eine Welt der „Halluzination" ist, auf S e n s a t i o n e n aufgebaut und 
von Empfindungen (unter der Führung des Lust^Unlust^Prinzips) be# 
herrscht, daß sie völlig autistisch ist und nicht nur der Objektivität, sondern 
zunächst auch der Objekte entbehrt: von diesem Allmachtsstandpunkt aus 
ruht alle Verantwortung auf dem Ich, und alle „Kausalbeziehungen" gehen 
von der inneren Welt des Ichs aus. 

Ich sagte, diese Welt habe keine Objektivität; aber es gibt von Anfang an 



4) Im Rahmen dieser Arbeit liegt mir vor allem daran, die Funktionen der Projektion 
und Introjektion als Abwehrmechanismen gegen die Triebansprüche und die daraus ent^« 
stehenden Ängste zu diskutieren. Wie sich zeigt, entstehen alsbald im innigen Zusammen^ 
hang mit diesen Abwehrmechanismen gegen die frühen Objektbeziehungen neue Ängste 
(Angstsituationen), auf die ich späterhin näher eingehe. Offenbar unterüegen diese psychi* 
sehen Prozesse (wie meiner Meinung nach auch alle andern) einer „mehrfachen Funktion" 
(Wälder) tmd dienen der Förderung der Triebbefriedigung, wie auch dem Wachstum 
und der Entwicklung des Ichs und der Persönlichkeit im allgemeinen. Wiewohl ich hier 
diese ganz frühen Abwehrmechanismen besonders zur Diskussion stelle, unterschätze ich 
keineswegs die Bedeutung zahlreicher anderer Abwehrmechanismen, die auch schon ganz 
früh am Werke sind: so vor allem die der Verleugnung und Skotomisation, die in 
direktem Zusammenhang mit dem halluzinatorischen narzißtischen Zustand stehen, und 
auch der bald auftretenden eigentlichen Verdrängung. Ferner führe ich an: die Ver* 
Schiebung, die Abwendung vom Objekt, die Zuwendung zu neuen Objekten (insoweit dies 
ein Abwehrmechanismus ist gegen die Angst, die sich auf das ursprüngliche Objekt be* 
zieht); Unterdrückung der Liebe und Intensivierung des gegen die Objekte gerichteten Hasses, 
um das (gefährliche) Begehren nach ihnen zu vermindern; die Tendenz zur Beherrschung 
der Objekte usw. Die meisten dieser vom frühen Ich ausgehenden Maßnahmen, von denen 
bisher eine Anzahl nicht als Abwehrmechanismen klassifiziert waren, behandle ich in 
dieser Arbeit. — Die Auffassung, daß alle Abwehrmechanismen, einschließlich der Vj^r' 
drängung, schon in den ersten Lebensmonaten am Werke sind, ist vsdederholt von Melitta 
Schmideberg ausgesprochen worden, insbesondere in mündlichen- Mitteilungen in 
der Britischen Psychoanalytischen Gesellschaft. 



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in der Erfahrung einen Kern und eine Grundlage für Objektivität.s 
Diese Grundlage kann sich nur aus Körpersensationen ergeben; ein Er^ 
lebnis von körperlicher Lust oder Unlust, oder ein neutrales Erlebnis, wenn 
genügend intensiv, wird unfehlbar als solches empfunden — in diesem Sinne 
wahrgenommen — und erwirbt so eine Realitätsqualität, die nichts verändern 
oder zerstören kann. (Solche unfehlbar und objektiv wahre Erlebnisse dürften 
die Grundlage der späteren Einrichtung der Realitätsprüfung bilden.) Ich 
lege besonderen Nachdruck darauf, daß die Psyche so, nach Freuds Hypo=» 
these, vom Lebensbeginn an auf die Realität ihrer Erlebnisse reagiert, indem 
sie sie subjektiv deutet — oder, besser, mißdeutet — mit dem Ziel, Lustge^ 
fühle zu vermehren und Unlustgefühle zu vermeiden. Dieser Akt subjektiver 
Deutung einer Erfahrung, der mit Hilfe der Projektions* und Introjektions* 
Prozesse vor sich geht, wird von Freud Halluzination genannt. Er bildet 
die Grundlage dessen, was wir später unter Phantasieleben verstehen. Das 
Phantasieleben des Individuums ist demnach die Art, in der es unter dem 
Einflüsse des Lusfe^Unlust^Prinzips seine wirklichen inneren Empfindungen 
und äußeren Wahrnehmungen versteht und darstellt. Mir scheint, man 
braucht nur einen Augenblick nachzudenken, um zu sehen, daß diese primi* 
tive Elementarfunktion der Psyche ~ Wahrnehmungen zu verfälschen, bis 
sie befriedigend werden — trotz allen Fortschritten, die der Mensch in der 
Realitätsanpassung gemacht hat, für die große Mehrzahl sogar der zivilisierten 
Erwachsenen noch ihre Macht behalten hat. Zu Anfang des Lebens wird 
die äußere Realität völlig mißdeutet, wenn aucTi Wahrnehmungen als solche 
erkannt werden. Ich möchte hier betonen, daß meiner Meinung nach das 
Phantasieleben aus richtigen Wahrnehmungen und falschen Deutungen be* 
steht, so daß alle Phantasien Mischungen von äußerer und innerer Realität 
darstellen.« 

Wenn sich die Sinneswerkzeuge des Kindes entwickeln, nimmt es allmäh* 
hch die Welt wahr, und es beginnt Reize zu lokalisieren. (Gleich* 
zeitig beginnt die Entwicklung des eigentlichen Ichs aus dem Körperlich 
und der topographischen Differenzierungen im seelischen Apparat). Aber 
die psychische Reaktion des Kindes auf äußere Reize bleibt eine Zeitlang 
die gleiche wie bisher; es mißdeutet lustvolle äußere Wahrnehmungen als 
einen Teü der eigenen Person und stößt aus und vernichtet, was immer 
sein Mißfallen erregt. Dies, glaube ich, kann wohl die Grundlage des psy* 
chischen Prozesses der Verschiebung sein. Denn wenn der physische 
Sinnesapparat des Kindes Objekte auch richtig lokalisieren mag, der psy* 



5) E. G 1 o V e r hat Nachdruck darauf gelegt, daß das ganz kleine Kind einen gewissen 
Keahtatssinn hat. 

wr^l ^^}' ^""^"d: Die Verneinung (Ges. Sehr., Bd. XI, S. 3): „Die Reproduktion der 
Wahrnehmungen in der Vorstellung ist nicht immer deren getreue Wiederholung; sie 
können durch Weglassungen modifiziert, durch Verschmelzungen . . . verändert sein". 



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Joan Riviere 



chische Apparat verschiebt sie willkürlich. Diese Verschiebung von Ob^ 
jekten, die Begehren oder Haß erregen, und ihre Verteilung auf die eigene 
Person, bezw. auf die anderer, würde eine Parallele zu der uns vertrauten 
Verschiebung von Affekten sein. Die ersten äußeren Objekte sind die 
Brüste, und wir nehmen an, daß sie die ersten Dinge sind, die als außerhalb' 
der eigenen Person liegend erfaßt werden, wiewohl sie auch zugleich mit 
dieser Erfahrung als Teil der eigenen Person empfunden werden. Ich meine, 
daß die orale Einverleibung der Milch und die zeitweilige Einverleibung der 
Brustwarze nicht nur der physische Prototyp der Introjektion ist, sondern 
daß infolge einer affektiven Überschätzung der physi* 
sehen Einverleibung seitens des Kindes sowohl alles psychische 
Insichaufnehmen(Introjektionsprozesse) als auch die auf die 

Objekteinverleibung gerichteten Phantasien verstärkt und intensiviert werden. 
Das erklärt meiner Meinung nach die innige Verbindung zwischen oraler 
Libido und Introjektion, die wir immer finden. Die Brustwarze mit ihrem 
Milchstrom, die zugleich eine außen und innen gelegene erogene Zone be# 
friedigt (Mund und Magen), erscheint beständig bei beiden Geschlechtern 
als das früheste Urbild jeder später begehrten Befriedigung, wie verschieden 
in ihrem Charakter diese auch sein mag. Nach dem gleichen Muster würden 
alle späteren Befriedigungsquellen, bezw. Objekte ebenfalls (in die eigene 
Person) verschoben und so als ein Teil des Ich verinnerlicht werden — ein 
Prozeß, der als Introjektion bezeichnet worden ist. 

Aber wir müssen die Situation betrachten, in der ein Unlustgefühl so 
stark ist, daß es den Sieg über das narzißtische Allmachtsgefühl davonträgt. 
Nehmen wir als ein Beispiel, wo die Lust auf ein Minimum gesunken ist, den 
saugunlustigen Säugling oder den extremen Fall, wo ein Säugling krank ist 
oder vernachlässigt wird und hungert. Solch ein Kind ist im Verschmachten, 
erlebt keinerlei Befriedigung, ist in einer Depression, ja, wir sagen: „Es hat 
kein Leben in sich". Es ist dem Tod offenbar viel näher als das kräftig 
schreiende Baby. Ich glaube nun, daß das Ich eines solchen Kindes die 
Realität seines Zustandes empfindet, daß es die Todesnähe und die Gefahren, 
die ihm von seinem Todestrieb drohen, und seine Hilflosigkeit demgegen* 
über fühlt. Sein Körper hat nicht genug Leben (Eros) in sich, um eine Mi:* 
schung herzustellen, die stark genug wäre, um den Todestrieb in einem ag* 
gressiven Akt des Schreiens nach außen zu entladen und dadurch auch Hilfe 
anzurufen. Ich glaube, daß eine solche Hilflosigkeit gegenüber inneren zeiv 
störenden Mächten die größte psychische Gefahrsituation ist, der der mensch* 
liehe Organismus ausgesetzt sein kann, und daß diese Hilflosigkeit die tiefste 
Angstquelle des Menschen ist.' Diese Situation würde der „traumatischen 

7) Nach Melanie Kleins letzter Arbeit über depressive Zustände: „A Contribution 
to the Psychogenesis of Manic=^Depressive States" (Int. Journal of Ps. A., vol. XVI, 1935; 
ref. in dieser Ztschr., dieser Jg., H. 2, S. 280) Haben wir Grund anzunehmen, daß alle Neu«^ 



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Situation" (Freud) und der „vorgedanklichen primären Angst" (Jones) 
entsprechen. Freud schreibt in „Hemmung, Symptom und Angst":« „Die 
Situation des Säuglings, die er als Gefahr wertet, ist die des Anwachsens 
der Bedürfnisspannung, gegen die er ohnmächtig ist". Freud verbindet 
diese Gefahr mit der späteren Kastrationsangst; von dieser aber sagt er: „Als 
letzte Wandlung dieser Angst (und der vor dem Übersieh) ist mir die Todes:* 
(Lebens)»=Angst erschienen".^* Hingegen anerkennt F r e u d beim Säugling 
keine Todesangst, nicht einmal bei der Geburt. Er sagt: „Sicherlich dürfen 
wir beim Fötus nichts voraussetzen, was sich irgendwie einer Art von 
Wissen um die Möglichkeit eines Ausganges in Lebensvemichtung an* 
nähert"." Ich möchte nicht behaupten, daß es eine solche „Art von Wissen" 
gibt, aber ich glaube, wir haben Grund anzunehmen, daß der Säugling 
Empfindungen dieser Art erlebt, gerade wie ein Erwachsener das Ge* 
fühl haben kann, „als ob er stürbe", und in einem Zustand starker Angst 
wirklich fühlt, daß er stirbt. Das Wort „ohnmächtig", das Freud für 
„hilflos" benützt, wird, meine ich, mit Tod assoziiert. Ich gebe zu, daß meine 
Hypothese noch keineswegs gesichert ist, aber einige unter uns finden sie 
durchaus vereinbar mit vielen anderen Ergebnissen Freuds, und sie erweist 
sich von höchstem Wert für die Erklärung vieler klinischer Probleme. 

Lassen Sie mich eine andere typische Reaktion auf ein schweres Unlust* 
erlebnis anführen, diesmal eine akute, nicht ständige Entbehrung (Bedürfnis* 
Spannung). Die typische Reaktion des Säuglings z. B. auf akuten Hunger 
ist eine Reaktion, an der jeder Körperteil beteiligt ist; wir finden: Schreien, 
Zuckungen, Sichwenden, Stoßen, krampfhaftes Atmen, Urin* und Stuhlent* 
leerung, alles unmißverständliche Zeichen überwältigender Angst. Analy* 
tische Erfahrung läßt keinen Zweifel daran zu, daß diese Reaktion auf eine 
angesammelte Spannung eine aggressive Abfuhr darstellt und als solche emp* 
funden wird. (Als solche erscheint sie auch dem Beobachter.) Wenn diese 
Reaktion zur verlangten Befriedigung führt, so wird die narzißtische Phan* 
tasie ihre volle Macht wieder gewinnen. Wenn aber die gewünschte Brust 
nicht sofort erscheint und die Aggression des Säuglings das Maß körper* 
lieber Ausdrucksfähigkeit überschreitet, dann wird diese einer unlustvollen 
Empfindung automatisch folgende Abfuhr an sich in höchstem Grade un=« 
lustvoll. Das Kind wird von einem Erstickungsgefühl überwältigt, seine 
Augen sind von Tränen geblendet, seine Ohren taub, seine Kehle ist wund, 
seine Därme schmerzen, die Entleerungen sind brennend. Die aggressive 
Angstreaktion ist eine vi el zu starke Waffe im Dienste eines so schwachen 

rosen verschiedene Variationen der Abwehr dieser fundamentalen Angst darstellen, derart, 
daß m jeder einzelnen bestimmte Mechanismen zur Anwendung kommen, die dem Ich 
nacheinander im Laufe seiner Entwicklung verfügbar werden 

8) Ges. Sehr., Bd. XI, S. 78. 

9) ibid. S. 80. ■ . - 

10) ibid. S. 75. • ■ 



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Joan Riviere 



Ichs, die Reaktion ist nun übermäßig, unbeherrscLbar geworden und droht 
das Ich zu vernichten. Solch eine reale körperliche Erfahrung hinterläßt ihre 
Spur im Ich, wie reichliches analytisches Material zeigt. TatsächUch kann 
sie nicht „ungeschehen gemacht" werden, wenn auch die Psyche ihre nar* 
zißtische Methode der sofortigen Projektion solcher Erlebnisse nach außen 
fortsetzt. 

Überdies treibt diese wilde Abfuhr von Aggression (Sadismus) am Ende 
das Kind vorübergehend in den gleichen Abgrund ohnmächtiger Erschöpfung 
und Leblosigkeit, wie die konstante Bedürfnisspannung es tut (Eros ist vor* 
übergehend aufgebraucht worden). Die nach außen gerichtete Aggression — 
wofern sie nicht begrenzt und beherrscht werden kann — führt als End^^ 
resultat wieder zur schlimmsten Gefahrsituation, nämlich in die nächste Nähe 
des Todes, so daß meiner Meinung nach die inneren Mächte des Todestriebes 
und der Aggression von Anfang an als die Hauptgefahr empfunden werden, 
die dem Organismus droht." Ich glaube, daß trotz allen späteren Kompli* 
kationen und Umkehrungen die Angst vor der Hilflosigkeit gegenüber den 
inneren zerstörenden Mächten (eine schwere Verarmung an Eros im Orga*^ 
nismus) das grundlegende Vorbild aller späteren Ängste darstellt. Alle wei*' 
teren psychischen Entwicklungen sind auf dieser Grundlage aufgebaut, und 
als ihren Kern findet man immer wieder diese Situation, d. h. psychische 
Entwicklungen sind nicht nur Anpassungen an die äußere Umgebung und 
die wechselnden Bedürfnisse des Organismus, sondern gleichzeitig Schutz* 
maßnahmen — Abwehrmechanismen — gegen diese Urgefahrsituation, die in 
den Tiefen dem Ich immer gegenwärtig ist. Alle psychischen Entwicklungen, 
nicht nur die neurotischen Symptome, sind Kompromisse. Sie zeigen das 
Ineinanderwirken von Eros und Thanatos, ordnen sich dem Drängen der 
Libido unter, aber beugen sich auch vor den Forderungen des Todestriebes, 
während sie zugleich die Macht beider Triebe, insoweit sie Gefahr bedeuten, 
abzuwehren trachten.^^ 

Solange die primäre Identifizierung vorherrscht und die Brust auch als 
ein Teil des Ichs empfunden wird, muß solch ein überwältigendes Unlust* 
erlebnis des Ichs auch ein gleichartiges Erlebnis der Brust bedeuten, da Brust 
und Ich eins sind. Außerdem verfügt die Psyche auf dieser Stufe noch nicht 
über die Erfahrungen von Zeit und Raum, mittels derer sie solche angst* 
erregenden Eindrücke berichtigen könnte. So erscheint auch die Brust als 
völlig zerrissen und vernichtet." Aber ich glaube, daß gerade eine solche 

ii) Vgl. Klein: Die Psychoanalyse des Kindes. Bes. Kap. VIII, S. 134 ff ; Searl: 
The Psychology of Screaming. Int. Journal of PsA., vol. XIV, 1933. 

12) Vgl. Searl: „Das Wesen des Ichs ist, daß es weiß, was es zu tun hat, nicht, um 
zu leben, sondern um dem Tod zu entgehen." (The Roles of the Ego and the Libido in 
Development. Int. Journal of PsA., vol. XI, 1930). 

13) Clifford Scott, der auf Grund seiner Erfahrungen mit Psychotikern M. Kl eins 
Ergebnisse bestätigte, findet, daß das Verschwimmen und Verzerrtwerden der äußeren Um« 



Zur Genese des psychischen Konfliktes im frühen Lebensalter 



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schmerzliche Erfahrung viel zur Erkenntnis des äußeren Objekts beiträgt. 
Denn es versagt nicht nur die Brust die Forderungen der eigenen Person 
und erzwingt dadurch einen Zusammenbruch der narzißtischen Phantasie, 
sondern es ist auch die Notwendigkeit für das Ich, sich von der überaus 
gefahrbringenden Unlust zu trennen, so groß, daß es ein Objekt 
braucht, auf das es sie abschieben und das es mit dem „bösep", un«^ 
lustvollen Ich identifizieren kann. 

Demnach trägt gerade der narzißtische Zustand dazu bei, das frühe Ich 
zu Objektbeziehungen, zunächst negativer Natur, zu drängen,'* da Objekte 
gebraucht werden, um die Last der Unlust und der Aggression auf sich zu 
nehmen, die das primitive Ich nicht ertragen kann. Wenn der physische 
Wahrnehmungsapparat Objekte erkennt, stellt die Psyche diese Objekte in 
ihren Dienst, indem sie sie auf Grund der narzißtischen Phantasie zu Trägern 
der eigenen Unlusterlebnisse macht. Aber auch die objektive Erfahrung führt 
in die gleiche Richtung wie die Phantasie; denn das Kind macht beständig 
die Erfahrung, daß alle seine Befriedigungen und alle seine Befreiung von 
Unlust, äußerer oder innerer Art, von der realen Mutter, so weit sie 
als äußeres Objekt erfaßt wird, herkommen. Von Anfang an wird so ein 
unerbittliches inneres Bedürfnis als Verlangen nach der realen Mutter emp== 
funden: sie und das Bedürfnis sind eins. (Auch die aggressive Angstreaktion 
bedeutet einen Anruf an sie). Befriedigt sie das Verlangen nicht, so wird 
sie genau so unerbittlich, wie das innere Bedürfnis; sie 
wird mit dem inneren Bedürfnis und der Unlust identi* 
fi ziert. Hier ist die einfachste und tiefste Schichte der Projektion: die 
innere Entbehrung und Bedürfnisspannung werden immer als Versagung 
von außen gefühlt." Eine innere Notsituation wird notwendigerweise als 
eine äußere behandelt, z. T. weil Hufe von einer äußeren Quelle kam und 
kommt (Erlebnis), und daher kommen muß (Allmacht). (Dieser Weg zur 
Befreiung von Unlust, die der schmerzerregende innere Zwang erzeugt, 
wird zweifellos auch durch die Erfahrung gebahnt, daß die Ausstoßung der 

gebung, wie dies infolge der Tränen bei einem Wutanfalle eintritt, von großer psychischer 
Bedeutung ist, weil es als eine Bestätigung der phantasierten Zerstörung des Objekts emp* 
tunden wird. (Nach einer mündlichen Mitteilung.) 

i4) Freud schreibt, daß „jedes Übermaß den Keim zu seiner Selbstaufhebung in sich 
tragt. (Hemmung, Symptom und Angst, Ges. Sehr., Bd. IX, S. 54.) 

i5) In einem frühen Beitrag (Int. Journal of Ps. A.. vol. VIII, 1927) und in einem ganz 
anderen Zusammenhang nahm ich an, daß die Unerreichbarkeit einer Befriedigung (Ent=» 
behrung) psychisch gleichbedeutend mit Versagung und die Quelle des Schuldgefühls 
(Uber:<Ich) sei. Damals fehlte noch die Aufhellung dieser Probleme, die inzwischen durch 
das Verständnis der Projektionsmechanismen erreicht wurde. Die Gleichung Entbehrung = 
Versagung wurde weiterhin von Ernest Jones ausgearbeitet. („Die erste Entwicklung 
der weibHchen Sexualität". Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XIV, 1928, S. 11). In dem vorliegenden 
Zusammenhang bin ich Susan Isaacs zu Dank verpflichtet, die mir EinWick in ihre 
Notizen gab, die eine Erweiterung ihrer früheren Arbeit über „Entbehrung und Schuld^ 
Sefühl (Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XV, 1929, S. 200) bedeuten. 



496 Joan Riviere 



Unlust erregenden Stuhlmassen Befreiung von Schmerz mit sich bringt.) 
Das Kind fühlt eine unerträgliche Hilflosigkeit und Abhängigkeit zuerst in 
seiner Beziehung zu den eigenen inneren Zuständen, dann (als erste 
Abwehrmaßnahme) eine Abhängigkeit in seiner Beziehung zu äußeren Fak* 
toren, die in mehrfacher Hinsicht als Hilfsquellen angesehen werden. Die 
Abhängigkeit von der Mutter und die Angst vor ihrem Verlust, die Freud 
als die tiefste Angstquelle ansieht, ist von einem bestimmten Gesichtspunkt 
aus (dem der Selbsterhaltung) bereits eine Abwehr gegen schlimmere Ges> 
fahren (der Hilflosigkeit gegen innere Zerstörung). So werden Objektbe^« 
Ziehungen gesucht, um die Mängel, die sich aus dem narzißtischen Zustand 
ergeben, auszugleichen, und um Schutz gegen diese Ängste zu finden (ähn# 
lieh wie später eine Heirat als Zuflucht und Verteidigung gegen Onanieängste 
dienen kann). 

Ich möchte hier noch einmal auf die Unlust und Angst, die der Hungen 
auslöst, zurückkommen. Die Hungerschmerzen werden nicht nur als ich* 
fremde Kräfte im Innern gefühlt, nicht nur als ein Beißen, Nagen, Verzehren 
von innen her, gegen das man hilflos ist, sondern die intensiven "Wünsche 
nach Ergreifen und Verschlingen (der Brust), die akut werden, wenn starker 
Hunger einsetzt, werden mit diesen inneren verschlingenden Kräften oder 
Schmerzen identifiziert.^'^ So entsteht die Gleichsetzung zwischen dem ztxfi 
Störerischen Zustand (des Verhungerns) und den zerstörerischen Impulsen: 
„Meine Wünsche in mir verzehren und zerstören mich". In 
diesen unlustvollen und zerstörerischen Gefühlen (innen), die als gefähr* 
liehe, fremde Kräfte behandelt werden, haben wir die tiefste Wurzel der 
phantasierten inneren „bösen" Objekte, für die ein äußerer Ersatz gebraucht 
wird (weil dieser weniger gefährlich ist). In ihnen liegt auch der Keim des 
strengen Über*Ichs, in dessen Entwicklung dieselben Phantasien von gefähr* 
liehen inneren Objekten eine Rolle spielen (vgl. „Gewissensbisse"). 

Wir haben das Recht anzunehmen, daß die aggressiven Angstausbrüche 
des Kindes teilweise direkt aus Wut entstehen und Haß* und Rachegefühlen 
Ausdruck geben. Auch diese Vergeltungswut ist primär gegen die innere Un* 
lust gerichtet, und so ist der erste Haß des Kindes gegen sich selbst ge* 
richtet (vgl. Beobachtungen an Säuglingen, die sich selbst kratzen, beißen, 
reißen, etc.). Alle diese Gefühle werden in der Phantasie auf die Brust proji* 
ziert. „Die Brüste hassen und berauben mich, weil ich sie beraube und hasse" 
und umgekehrt; so entsteht ein circulus vitiosus. Auch die erste Erkenntnis 
von Ursache und Wirkung wird so projiziert. „Du kommst nicht und hilfst 
mir nicht und du hassest mich, weil ich böse bin und dich fresse, aber ich 
muß dich hassen und fressen, damit du mir hüfst". Der rachsüchtige Haß, 

i6) Dies würde das Vorbild für alle späteren Situationen sein, in denen ein libidinöser 
und aggressiver (sadistischer) Impuls gleichzeitig als für das Ich destruktiv empfunden wird 
(das klassische Beispiel ist die Masturbation). 



w 



Zur Genese des psychischen Konfliktes im frühen Lebensalter 



497 



der nicht befriedigt werden kann, vergrößert die Bedürfnisspannung, und 
die versagende Brust wird mit der ganzen ungestümen Unnachgiebigkeit 
der eigenen Empfindungen des Kindes ausgestattet. „Gute" und „böse" in* 
nere Zustände werden so in der Phantasie mit einem „guten" und einem 
„bösen" äußeren Objekt identifiziert. Die einfachste narzißtische Position, 
in der es noch keine Objekte gibt, in der das Ich alle Verantwortung, die Ur* 
Sache zu allen Ereignissen, alle Macht über Leben und Tod für sich selbst 
in Anspruch nimmt, entwickelt sich demnach bald zu einem weiteren narzi& 
tischen System, das der Paranoia vergleichbar wäre, in dem alle Verant* 
wortung und Verursachung einem Objekt zugeschrieben wird, mit dem das 
Ich identifiziert wird und das die Macht über Tod und Leben usw. besitzt. 
Zugleich mit diesen Verfolgungsängsten treten auch schon ansatzweise 
Schuldgefühle und Sorge für das Objekt auf, sobald sich die Liebe zur Brust 
und zur Mutter geltend macht. 

Mit dem Ausdruck „oralsadistische Ängste" bezeichnen wir den Abwehr=< 

kämpf, der nun einsetzt. Das Drama spielt sich zwischen „guten" und „hö» 

sen" inneren und äußeren Zuständen ab; die Objektbeziehungen entstehen 

zum Teil aus der Wahrnehmung solcher Zustände, zum Teil entwickeln sie 

sich, wie wir wissen, aus der Reaktion auf die erlebten Befriedigungen und 

auf die Liebe der Mutter. In dem Entwicklungsstadium, das an die primäre 

Identifizierung anschließt, bis zur vollen Erkenntnis der realen Objekte und 

der Entwicklung eines integrierten Über^chs (vom Alter von etwa drei bis 

sechs Monaten bis zum zweiten oder dritten Jahr) zeigt das Kind seine größeren 

Ängste (Phobien) vor äußeren Gefahren. Indem an Stelle innerer Hüflosig»* 

keit und Unlust eine äußere grausame und ohnmächtige Brust erscheint, wird 

ein böses äußeres Objekt geschaffen, obgleich die Imago der guten Brust 

von Anfang an zugleich wirksam ist und weiter besteht. Ein Ziel der Phaa* 

tasietätigkeit ist nun, diese beiden Imagines getrennt zu halten; 

vermengt man sie, so hört eine gute Brust, da sie dann auch grausam und 

rachsüchtig wäre, auf, eine „gute" zu sein." Aber die Existenz einer bösen 

Brust läßt an und für sich mannigfaltige Ängste entstehen: z. B. 1. Angst vor 

ihrer Grausamkeit und Vergeltung; 2; Angst vor der eigenen gegen sie ge* 

richteten Aggression und 3. insoweit sie mit der guten Brust identifiziert wird 

— da ja die Teilung nie vollkommen gelingt — Angst, die gute Brust durch 

die eigene Aggression zu gefährden. Diese Situation schließt die Möglichkeit 

ein, daß beide, das äußere Objekt und das Ich, als völlig destruktiv und ge* 

fährlich empfunden werden, v/as zu Verzweiflung führt. Dieser Zustand liegt 

der Melancholie zugrunde und geht auf den Veriust des Liebesobjektes zu* 

rück. Als Abwehr gegen diese Verzweiflung wird das primäre Mißtrauen 

i^ Unserer Auffassung nach liegt hier die Wurzel der Ambivalenz. Wir glauben, daß 
das Kmd schon im ersten Lebensjahre den widerstreitenden Gefühlen von Liehe und Haß 
und auch von Schuldgefühl ausgesetzt ist. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXII/ 4 32 



498 Joan Riviere 



gegenüber dem Objekt verstärkt. Dieses Mißtrauen aber kann zu Verfolg 
gungsangst führen und tritt in der späteren Paranoia wieder auf, wenn es 
durch die weitere Entwicklung nicht überwunden wird. 

Gegenüber diesen Ängsten vor unbeherrschbaren zerstörerischen Kräften 
innen und außen nimmt das Ich seine Zuflucht zu der sehr intensiven An* 
Wendung der Abv/ehrmethoden der Introjektion und Projektion, die für 
diesi Periode so charakteristisch ist." Das „Gute" muß im Innern gesichert 
und das „Böse" zerstört und ausgestoßen werden. So werden die bösen Im;* 
pulse nicht nur projiziert, d. h. als außerhalb der eigenen Person behandelt, 
sondern jetzt setzen auch aktive Bemühungen ein, sie aus der eigenen Person 
auszuscheiden. Das Kind muß sich seiner destruktiven Impulse entledigen, 
muß sie loswerden. (Später entwickelt sich z. T. hieraus die Zerstörungslust 
des kleinen Kindes, die demnach nicht nur eine Entladung der Im«^ 
pulse darstellt.) Es halluziniert sie auch nach außen (projiziert sie). Aber 
der Säugling ist nicht nur deswegen unfähig, seine Zerstörungssucht an seinem 
einzigen Objekt (der Brust) zu entladen und seinen Haß (durch Beißen usw.) 
zu befriedigen, weil die Bewegungen noch nicht genug koordiniert sind, 
sondern auch, weil die Liebesgefühk, die auf dieser Stufe schon der Brust 
und der Mutter gegenüber empfunden vs^erden, eine hemmende Wirkung aus* 
üben. Hier kommt ihm die Phantasie wieder zu Hilfe. 

Wenn wir von „Phantasien" bei Säuglingen sprechen, so schreiben wir 
ihnen nicht eine ausgearbeitete Inszenierung oder zusammenhängende Drama* 
tisierungen zu, noch auch anfangs plastische und Wortvorstellungen. Ich 
nehme an, daß das Kind das Gefühl hat, als ob es die gewünschte Hand* 
lung tatsächlich ausführe, und daß dieser Affekt von entsprechenden körper* 
liehen Erregungen in bestimmten Organen (z. B. Mund oder Muskulatur) 
begleitet ist. Ich glaube, daß auf dieser frühen Stufe das Kind seine Aggres* 
sionen hauptsächlich dadurch abführt, daß es Empfindungen und Sensationen 
aggressiver Natur gegen ein Objekt hervorruft. Hieraus entsteht meiner Mei* 
nung nach die überaus wichtige psychische Bedeutung der Exkrete als feind* 

i8) Freud schreibt: „Es kann leicht sein, daß der seelische Apparat vor der scharfen 
Sonderung von Ich und Es, vor der Ausbildung eines Übers^Ichs, andere Methoden der 
Abwehr übt als nach der Erreichung dieser Organisationsstufen" (Hemmung, Symptom und 
Angst, Ges. Sehr., Bd. XI, S. 107). 

Ich möchte hier betonen, daß unserer Auffassung nach „Introjektion" nicht einfach 
gleichbedeutend ist mit „Insichaufnehmen von etv/as Gutem" und „Projektion" mit dem 
„Ausstoßen von etwas Bösem". Eine solche Gleichsetzung mag weitgehend dort bestehen, 
wo es sich um die Abwehr dieser frühen Ängste handelt. Die Termini Introjektion und 
Projektion bezeichnen Primärprozesse, die nicht nur als Abwehrmechanismen zu betrachten 
sind. Das Kind, das die spendende Brust, die Milch und die erlebten Befriedigungen vom 
Lebensbeginn an als etwas Gutes empfindet, projiziert alsbald auch gute Gefühle in die 
äußere Welt. In späteren Entwicklungsstadien macht das Ich reichlich Gebrauch sowohl 
von der Projektion von „Gutem" — wie z. B. in Sublimierungen — und von Introjektion 
von „Bösem^", wie dies insbesondere in Wahnzuständen, Melancholien und Zwangsneu* 
rosen, und in geringerem Maße in der allgemeinen Entwicklung der Fall ist. 




Zur Genese des psychischen Konfliktes im frühen Lebensalier 



499 



licher Instrumente und Mittel der Abfuhr von Aggression. Die Erziehung zur 
Sphinkterbeherrschung mag früh oder nicht früh beginnen — es kann keinen 
Zweifel darüber geben, daß diese körperlichen Funktionen ihrer Natur nach 
dazu geeignet sind, die Bedeutung einer Abfuhr vOn „Unlust" zu gewinnen; 
und wenn, wie ich glaube, die Psyche die Lokalisierung dieser „Unlust" 
auf einen bestimmten Punkt außerhalb des Ichs (auf ein Objekt) braucht, 
so wird der Stuhlgang in der Phantasie als Verlegung der sehmerzerregenden 
Stuhlmassen auf oder in dieses Objekt empfunden. (Die Fernwaffe ist die 
Reproduktion dieser primitiven Phantasiesituation in der objektiven Rea* 
lität.) Ungeformte Stuhlmassen, Flatus und Urin werden als brennend, ätzend 
und giftig empfunden. Nicht nur die Ausscheidungen, sondern alle körper* 
liehen Funktionen werden in den Dienst des Bedürfnisses nach aggressiver 
(sadistischer) Abfuhr und Projektion gezwungen. Die Glieder sollen stram* 
peln, schlagen und stoßen; Lippen, Finger und Hände sollen saugen, greifen 
und kneifen; die Zähne sollen beißen, mahlen, schneiden; der Mund soll 
verschlingen, verschlucken und töten (vernichten); die Augen sollen mit 
ihrem Blick stechen, durchbohren und töten; Atem und Mund sollen durch 
Geräusche verletzen, wie die eigenen empfindlichen Ohren des Kindes es 
erfahren haben. Man kann annehmen, daß ein Säugling im Alter von einigen 
Monaten nicht nur fühlt, daß er diese aggressiven Handlungen ausführt, 
sondern auch eine Art von Vorstellungen mit diesem Gefühl verbindet. Und 
dann folgt die Angst vor der Vergeltung des Objektes. 

Die Furcht vor der Vergeltung selbst hat sicherlich eine Grundlage in 
der Erfahrung, nämlich in der Erfahrung, daß innere Unlust, Bedürfnisspan* 
nung und Aggression immer wiederkehren. Projektion glückt nie; die 
gefürchtete und gehaßte Unlust kommt immer, immer wieder. Hier dürfte 
der Kern der Talionsstrafvorstellung liegen (Rückkehr und Wiederholung 
von Ursache und Wirkung in umgekehrter Richtung). In der Paranoia wer*^ 
den die Verfolger wie „revenants" gefürchtet, die von überall und nirgends 
her erscheinen; und wir v/issen, daß sie vom Stuhlstück abgeleitet sind. Das 
Stuhlstück aber ist auch immer noch vorhanden, obgleich es ständig ausge^ 
schieden wird. Solche Phantasieprodukte gewähren auch wirklich keine aus^ 
reichende Befreiung; die unerfüllten Wünsche sind keineswegs erledigt. Ein 
weiterer circu/us vitiosus ist entstanden. Der Versuch, die Unlust nach aufkn 
abzuschieben, ist zu einem gewissen Grade mißglückt und die ursprüngliche 
innere Gefahrsituation ist wiedergekehrt. 

Als ein Mittel, die „guten" inneren Zustände zu erhalten und zu verstärken, 
y/ird gleichzeitig die Inteojektion sekundär eingesetzt. Natürlich ist die Intro* 
jektion primär von Anfang an beständig wirksam, sobald der erste Begriff 
von „etwas außerhalb" des „Ichs", d. h. von der Brust, dämmert; „jenes 
,etwas' ist gut, und ich will es in mir haben". Introjektion und Projektion 
sind parallel mit der Ausbildung von Objektbeziehungen am Werk; eines 



32* 



500 Joan Riviere 



fördert das andere. Aber Empfindungen von Hilflosigkeit, Leere (an „guten" 
Sensationen) und Abhängigkeit von der Brust erregen und vermehren alle 
das Begehren, was immer als „gut" empfunden wird, in sich aufzunehmen. 
Dieses orale Verlangen wird so zum Kern aller Gier. Die Wunschregungen, 
die dahin zielen, das Gute anzuhäufen, sind machtvoll und verbinden sich 
mit den aggressiven Triebregungen des Ergreifens (auch des geheimen Steh* 
lens). Der Wunsch, sich die gute Brust zu sichern, sie zu beherrschen, sie 
für immer zu behalten, und dadurch einen ständigen Schutz gegen den 
Mangel an Befriedigung und die Gefahren der Hilflosigkeit und der inneren 
und äußeren Aggression zu besitzen, führt zu einer starken Intensivierung 
der Introjektion. Dieser Prozeß steht auch in Beziehung zur Phantasiebildung 
im Allgemeinen. Die große theoretische und praktische Bedeutung der Intro* 
jektion liegt in den auf dieser Stufe entwickelten Phantasiesystemen, die sich 
auf die verinnerlichten (introjizierten) Objekte beziehen. Die Verinner.« 
lichung alles Guten wird als eine absolute Notwendigkeit empfunden. Zus; 
erst müssen die Teilobjekte, die „gute" Brust, die Arme und Hände einer 
guten Mutter, das Gesicht einer guten, liebevollen Mutter im Ich in Sicherheit 
gebracht, der Macht des Ichs unterstellt werden. Auf dieser Stufe nimmt das 
Kind bekanntlich alles in den Mund. 

Diese Gefühle gehen mit den frühesten Erfahrungen einher, in denen 
Dinge aus der Außenwelt durch Mund, Augen, Ohren und durch Greifen 
aufgenommen wurden. Der starre saugende Blick, mit dem ein etwa sechs 
Monate alter Säugling einen ansieht, zeigt deutlich, wie sehr er einen in sich 
aufnimmt. Wenn das Kind es auch noch nicht weiß, so fühlt es doch 
sicherlich, daß es tagtäglich „Kenntnisse erwirbt", die Kenntnisse neuer Ein== 
drücke und Töne usw. Wir sagen: „Es erkennt mich!", und das heißt: „Es 
hat ein Bild von mir unversehrt in sich erhalten, seitdem es mich zum ersten 
Mal in sich aufnahm". Ich glaube, das Kind weiß es auf seine Art auch, daß 
e s in den Prozeß einbezogen istj sein „Erkennen" bedeutet für sein Gefühl 
ebenso, daß es mich in sich hat, wie, daß ich in konkreter Form außen wieder 
erschienen bin. Dieser Antrieb zur Verinnerlichung zeigt eine andere Seite 
des erweiterten narzißtischen Systems, u. zw. die volle Abhängigkeit vom 
guten äußeren Objekt, mit dem das Ich identifiziert ist. Mit dieser Abhängige* 
keit geht der Wunsch nach Totaleinverleibung aller guten Objekte einher. 
Abhängigkeit vom realen Objekt und die intensive Beziehung zum einver^» 
leibten Objekt — diese beiden Gegenstücke stellen die Ziele und die Bedeu=ä 
tung der Projektionss^ und Introjektionsprozesse dar, die aus dem primären 
Narzißmus entstehen, sobald das Kind reale Objekte zu erfassen beginnt. 

Die analytische Erfahrung zeigt deutlich, daß die Stärke dieses Bedürfä^ 
nisses nach Einverleibung alles Guten daher kommt, daß hier erotische Im# 
pulse in den Dienst des Abv/ehrkampfes gegen sadistische Ängste gestellt 
und ausgenützt werden. Ich möchte hier betonen, daß diese Auffassung 



Zur Genese des psychischen Konfliktes im frühen Lebensalter 



501 



keineswegs die primäre Bedeutung der libidinösen Befriedigung an der Brust 
verringert, sondern nur ihre sekundäre Verstärkung zum Zweck der Angst* 
abwehr hervorhebt. Das Verlangen nach solchen „Einverleibungs"*Be^ 
friedigungen wird dadurch verstärkt, daß diese Befriedigung die innere Leere 
und Hilflosigkeit verschwinden macht. Die wirklich erlebten physischen ero:* 
tischen Sensationen steigern und „bestätigen" das beruhigende Gefühl, daß 
wirklich mehr „Gutes" in das Ich aufgenommen wurde. Das Bedürfnis nach 
Angstberuhigung und das nach erotischer Befriedigung verstärken einander 
gegenseitig.» Freud hat die Frage aufgeworfen, warum ein Verlangen über* 
mäßig, d. h. unersätdich, unbefriedigbar wird. Manche Analytiker glauben, 
daß Libido nur biologisch, durch somatische Reize erregt wird. Aber viele 
psychische Erscheinungen zeigen, daß eine vom Todestrieb ausgehende Dro* 
hung zu einer Steigerung des Eros führt, und wir dürfen wohl daraus 
schließen, daß diese Reaktion das Ziel hat, den inneren zerstörerischen 
Kräften entgegenzuwirken.ä» Die wohlbekannte „Gier der Neurotiker" ent* 
steht im ganzen meiner Meinung nach weitgehend als eine Reaktion auf die 
beständige Angst vor der eigenen inneren Aggression (Sadismus, Todestrieb), 
die auch die tiefste Ursache ihrer neurotischen Symptombildungen ist.^i 

Der Mangel an oraler Befriedigung und die aus dem oralen Sadismus re* 
sultierenden Ängste und Konflikte aktivieren, so scheint es, die frühen xMani* 
festationen genitaler Erregung bei kleinen Kindern. Genitale Onanie und 
Erektionen können, wie wir wissen, an Kindern beobachtet werden, die nur 
wenige Monate alt sind, und vieles spricht dafür, daß weibliche Kleinkinder 
vaginale Erregungen erleben. Eine Ursache für die oft traumatische Wirkung 
der Entwöhnung liegt darin, daß das Kind keine Gelegenheit mehr hat, 
erotische Befriedigung von irgendeinem Körper außer dem eigenen zu 
erlangen. Dadurch werden alle seine Ängste, daß es aller guten inneren Ge* 
fühle und Sensationen verlustig gegangen sei und sie nicht selbst erzeugen 
könne, aktiviert: die Angst der Aphanisis (Jones). Die Folge ist eine 
immer wiederkehrende Notwendigkeit, sich diese Fähigkeit zu beweisen-^^ 

Die Verstärkung der Libido ve rgrößert jedoch die Notwendigkeit zur Ein* 

19) Vgl. Melitta Schmideberg: Einige unbewußte Mechanismen im pathologischen 
Sexualleben. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XVIII, 1932, S. 51. 

20) Dies mag wohl ein Ursprung der sexuellen Orgien sein, denen in Zeiten von Krieg, 
verheerenden Krankheiten usw. gefrönt wird. 

_ 21) Dies zeigt sich deutlich in der Melanchohe und Süchtigkeit, wo die orale Begierde 
emen besonderen Zug bildet. Die „Reinkultur des Sadismus" in dieser Krankheit, wie 
freud es nennt, gehört zu dem Konflikt zwischen dem Ich und den phantasierten 
inneren Objekten, wobei das Gefühl besteht, daß jedes das andere angreift. Die Zufuhr 
von außen wird weitgehend als Mittel zur Milderung dieses Kampfes zwischen zwei gie^ 
ngen fressenden Kräften begehrt. 

22) Die analytische Erfahrung an Bundern und Erwachsenen, die an Zwangsonanie 
leiden, bestätigt diese Auffassung entschieden; der Zwang verschwindet, wenn die Ängste 
vor der Aggression und die äefverborgenen Liebesimpulse gegenüber den phantasierten 
inneren Objekten ans Licht gebracht werden, und zwar in direktem Verhältnis dazu. 



502 Joan jRiviere 



Verleihung van Objekten und hieraus ergibt sich wieder erhöhte Aggressivität 
und erhöhte Angst vor der Zerstörung der Objekte. Die wachsende Fähig* 
keit zu anderen Aktivitäten als denen des Saugens (z. B. Strampeln, Beißen 
etc.) ist geeignet, diese Angst zu verstärken und zu bestätigen. Auch ver# 
schwinden die guten Objekte innen wie außen und werden durch Uns» 
lustsensationen, die auch als böse Objekte empfunden werden, durch schmer^^ 
zende Stuhlmassen, schmerzende Wirkungen des Schreiens usw. ersetzt. Die 
gute verinnerlichte Brust wird im Leibesinnern in ein böses Ding verv^^andelt. 
Die Schwierigkeit, zu behalten und zu bewahren, bildet die 
Klippe, an der Projektion und Introjektion zerschellen. Leere, Aggression, 
sadistische Impulse kehren wieder; der gute Zustand der Sättigung kann 
auch nicht immer erhalten werden. Die Allmacht der Phantasie ist eine zwei=« 
schneidige Waffe; sie kann Gutes schaffen. Böses vernichten und vertreiben. 
Aber was geschieht, wenn die Zerstörungssucht die Zügel ergreift und in 
ihrer Allmacht das Gute vernichtet? Das beständige Verschwinden des 
„Guten" im Innern führt zu der Angst, es durch die eigenen Organe und 
giftigen Stoffe „schlecht gemacht" zu haben. Der destruktive Apparat, der 
der Phantasie nach im Innern des Körpers besteht, wird den bösen, fremden 
Kräften (verinnerlichten Objekten) als Verfolgern zugeschrieben, sobald sich 
das Ich nicht aktiv mit dem Zerstörungswunsch identifiziert, sondern alles 
im Innern unversehrt erhalten will. Hiezu kommen die Ängste vor inneren 
vergeltenden Objekten, fressenden Ungeheuern und wilden Tieren, die die 
gleiche Zerstörungssucht haben, wie sie das Kind der Brust oder Personen 
gegenüber, die es sich einverleibt hat, betätigt zu haben fühlt. Diese rächenden 
inneren Verfolger sind zweifellos der Kern des späteren strengen Über=älchs.^'' 
Wenn nichts Gutes innen dauernd ist, kann das Kind Selbstvertrauen und 
Selbstsicherheit nicht bewahren. Nur die sichtbare Gegenwart einer starken, 
guten Mutter in der Außenwelt kann gegen solche Ängste schützen: so be* 

23) Diese Phantasien von wilden Tieren und zerstörerischen Kräften aller Art im 
eigenen Inneren werden natürlich teilweise mit Hilfe von äußeren Eindrücken aufgebaut 
und geformt (Bilder und Geschichten von wilden Tieren, Erlebnisse mit Tieren in den 
Sommerferien usw.). So leitet sich beispielweise die Phobie oder Wahnvorstellung von 
bösen Geschwülsten (Krebs) — einem heimtückischen fressenden Geschöpf, das im Inneren 
unaufhaltsam verTieerend weiterkriecht — direkt von dieser Schichte der Phantasiebildungen 
a&. Das uns jetzt zugängliche Verständnis für diesen Typus von Phantasien wirft, so 
scheint es mir, ein Licht aut die allgemeine psychische Tendenz, die Vorstellungen von 
einem dynamischen Geschehen, das sich körperlich oder psycTiisch abspielt und als un« 
abhängig von und außerhalb der eigenen Person empfunden wird, zu „anthropomorphi«' 
sieren". Wie entsetzlich auch solche Phantasien sein mögen, es scheint, daß die Angst, die 
sie ausdrücken, erträglicher wird, wenn sie mit einem bestimmten Namen und einer um" 
grenzten Form verbunden werden können. Eine andere und gewiß noch bedeutungsvollere 
(Quelle solcher Phantasien von wilden Tieren im Innern ist der „totemistische" Mecha* 
nismus, das Bemühen, für die Eltern, die ja die Objekte aller aggressiven und sadistischen 
Impulse sind, Tiere einzusetzen, die man vielleicht mit Erlaubnis töten (und essen) könnte, 
ohne der schlimmsten Folgen gewärtig zu sein. 



t^ 



Zur Genese des psychischen Konfliktes im frühen Lebensalter 



503 



ginnt nun die Angst vor Dunkellieit, vor dem Alleinsein etc. Die äußere Si* 
tuation wird als Schutz gegen die innere und als Ersatz für die innere ver* 
wendet. Eine äußere Mutter muß stark genug sein (und gewöhnlich ist sie 
es auch), um den nach außen gerichteten Sadismus zu zähmen und zu be# 
wältigen; daher ist es wieder das Beste, ihn nach außen abzuführen und 
ihr (dem Objekt) die Verantwortung, sich selbst und das Kind zu schützen, 
zu übertragen.^* 

Zur Zeit, wo ein Erkennen wirklicher Personen eintritt, beginnt auch 
fCin gewisses Erkennen des Ichs: die Entwicklung des eigentlichen Ichs hat 
eingesetzt. Es scheint, daß die ersten bewußten Vorstellungen vom „Ich" 
weitgehend von unlust\^ollen Assoziationen gefärbt sind. Dann wird die 
Phantasiebildung als Schutz vor dieser Erkenntnis des „Ichs" aufgenommen. 
Das Gefühl „Ich bin ein unbeherrschtes und unbeherrschbares Bündel von un.« 
lustvollen und gefährlichen Triebregungen gegen mich und andere, und des*^ 
halb sind die anderen gefährlich für mich" führt nun zu dem Gefühl „Ich 
habe jemand, wie meine gute hilfreiche Mutter in mir, der auf mich acht 
geben und mich niemals zu weit gehen lassen wird, der mich und sich selbst 
(in mir und außen) vor ernsten Gefahren schützen wird." Zweifellos ist 
dieses Gefühl, daß im Inneren eine gute, hilfreiche, schützende Mutter da 
ist, das Rudiment des späteren hilfreichen und wachsamen Über==Ichs, dem 
man bereitwillig gehorchen kann. Das Wahrnehmen und Erkennen von Per* 
sonen der Umgebung als ganze, v/irkliche Objekte, die Wirkungen hervor.* 
rufen (im ganzen gute Wirkungen), verstärkt sich allmählich und wird mehr 
oder weniger festgehalten, obgleich dieses objektive Wissen infolge der anhal* 
tenden narzißtischen Einstellung verinnerlicht und dadurch gefärbt und ent# 
stellt wird. Es kann sich nun eine Phantasie entwickeln, der zufolge ganze, un:« 
verdorbene (vollkommene), geliebte Objekte einverleibt werden, so daß sie 
im Ich erfolgreich bewahrt werden können. Das geschieht, indem sie, sozu:^ 
sagen, in einem tiefen, verborgenen Platz im Innern abgesondert werden, wo 
die Aggressionen und die schädlichen Einflüsse der eigenen Person sie nicht 
erreichen können.^« Das körperliche Vorbild dieser guten und sicheren Ein:« 
Verleihung besteht in der guten „Saugtätigkeit" an der Brust, die aufnimmt, 
ohne zu verletzen, (tatsächlich mehr Milch hervorruft) und innerlich die gute 
Milch zum Wachsen verwendet und zu dem Wunsch, für die Mutter ein 
gutes Kind zu werden. Auch hier wird die aufgenommene gute Substanz 



24) Diese unbewußte Einstellung determiniert teilweise den asozialen Charakter und, 
in milderer Form, viele kindisch „unverantwortliche" und abhängige Charaktere. 

2.5) Das Denken und die Gedanken scheinen später eine besondere Rolle in dieser 
Phantasie zu spielen, indem sie eine für die guten, gehebten Objekte weniger gefährliche 
(Art des Beherbergens darstellen, wobei das intellektuelle Insichaufnehmen betont wird, 
um der Einverleibung durch körperliche Vorgänge (dem Essen, Schlucken usw.) auszu* 
weichen. Wenn die mit solchen Phantasien verbundenen Ängste zu stark werden, kann 
es zum libidinisierten Zwangsdenken kommen. 



504 Joan Riviere 



versteckt und unauffindbar, aber das Kind weiß und fühlt, daß sie zweifellos 
da ist; Wachstum und Wohlbefinden bezeugen ihre Anwesenheit. 

Inwieweit das Erkennen und Insichauf nehmen ganzer Objekte^"^ gelingt, ist 
von ausschlaggebender Bedeutung. Wir finden, daß dieses der genitalen 
Stufe entsprechende Stadium der Objektbeziehung zu einem gewissen Grade 
schon sehr früh erreicht wird. Das bedeutet nicht etwa, daß die oralen und 
analen Teilobjektbeziehungen schon aufgegeben sind, sondern daß von 
einem frühen Entwicklungsstadium abwechselnd verschiedene Positionen 
und Gefühlshaltungen angenommen werden. Wenn das liebevolle Gesicht 
der Mutter; die Hände und Arme, die pflegen, halten und liebkosen; die 
Brust, die nährt — weim all diese Teilobjekte eins werden und die deutliche 
Wahrnehmung der Mutter als eines wirklich hilfreichen Menschen erfolgt, 
dann erwachen im Kinde Gefühle von ZärtHchkeit und Liebe zum Unter;» 
schied vom rein libidinösen Verlangen. Liebe ist eine komplizierte Gefühls.* 
einsteUung und entwickelt sich durch viele Stadien und Grade hindurch. Im 
frühesten Lebensalter ist offenbar die einfachere egoistische Haltung stark 
vorherrschend, in der die Objekte als Befriedigungsquellen oder als gefürch* 
tete und gehaßte Feinde angesehen werden. In diesem Stadium hängt die Be^ 
Ziehung des Kindes zu Personen seiner Umgebung — ob es sie als freundlich 
oder feindlich empfindet, ob es sie begehrt oder haßt und fürchtet, — weit«= 
gehend davon ab, ob es seine eigenen Gefühle, seinen eigenen inneren Zu.* 
stand als gut (befriedigend) oder böse, für sich selbst und andere, empfindet. 
Das Verhalten der realen Objekte wird zum großen Teil als eine Wieder«: 
Spiegelung dessen, was das Kind ihnen gegenüber fühlt, empfunden. Diese 
Tatsache bestimmt die Bedeutung, die die realen Erlebnisse des Kindes und 
die Umweltfaktoren für seine Entwicklung haben. Wenn in der Umgebung 
des Kindes Liebe und Verständnis, Geduld und Einsicht vorhanden sind, 
so schaffen sie eine stabüe Welt, von der das Kind fühlen kann, daß seirue 
bösen und gefährlichen inneren Mächte und Triebregungen beherrscht und 
überwunden, seine guten, hilfreichen Gefühle und Bedürfnisse befriedigt 
und ermutigt werden. Die Stürme von Begierde, Haß und Angst, die in 

26) Die Phantasien, die sich auf die überaus wichtige Frage der „ganzen" Objekte be* 
ziehen (im Gegensatz zu Objekten, die in „Stücken" zerstört und zugrunde gerichtet sind), 
erweisen sich für die khnische psychoanalytische Arbeit von größter Bedeutung. Um 
diesen Punkt zentrieren sich die schwersten Widerstände, die ndt der tiefsten Verzweiflung 
und Depression verbunden sind. Die früheste Erkenntnis, daß Menschen „ganz" sein 
können und sein sollten, und der Wunsch, daß sie „unzerstört" und „vollkommen" sein 
mögen, geht schon mit der Erkenntnis der eigenen Aggression einher und löst wiederum 
tiefe Ängste aus, daß die geliebten Personen infolge der gegen sie gerichteten destruktiven 
Impulse (Beißen, Zerschneiden usw.) wieder in Stücke zerfallen könnten. Auch der 
Wunsch, gewisse Objekte gewaltsam von ihren Liebesobjekten zu trennen Cehenfalls durch 
Zerschneiden, Stücke von ihnen abschneiden usw.), und zahlreiche Phantasien dieser Art, 
die z. T. aus Angst und Wiedergutmachungstendenzen entspringen, tragen zur Angst vor 
der Zerstörung des „ganzen" Objektes bei. 



Zur Genese des psychischen Konfliktes im frühen Lebensalier 



505 



ihm wüten, können sich äußern, ohne daß es wieder in Hilflosigkeit, Ver^^ 
zweiflung und Zerstörung verfallen muß (Flucht in die Realität). 

Wenn anderseits das Kind wirklich unfreundliche Behandlung oder 
Mangel an Liebe und hilfreichem Verständnis erfährt, so fühlt es, daß seine 
eigene Fähigkeit zu guten Gefühlen, die den Eltern und ihm selbst wohltun, 
herabgesetzt ist, und es kann seine eigene Aggression nicht überwinden. 
Wirklich strenge oder grausame Eltern (oder Eltern, auf die es seinen Sa;* 
dismus übermäßig projiziert hat, weil seine Angst nicht beruhigt wurde) 
kann es nur schwer ertragen und in sich aufnehmen — und später d a r f e s 
sich ihnen nicht unterordnen, weil sie die eigene Gefährlichkeit 
darstellen (die Macht und den Zwang seiner eigenen unbeherrschbaren 
Triebe).^' Wenn diese angstvolle Beziehung zu realen Objekten (das Re== 
sultat äußerer oder innerer Faktoren) nicht von Liebe und Glauben an sie 
übertroffen und ersetzt werden kann, mißglückt die Verinnerlichung eines 
ganzen geliebten Objektes. Das bedeutet, daß die Liebe und das Vertrauen zu 
den guten Gefühlen für Objekte nicht genügend befestigt wurden, und daß 
infolgedessen den äußeren Objekten nicht zugetraut wird, daß sie (wirk*- 
lieh) gut und hilfreich sind. Das echte Gefühl ihnen gegenüber ist eigentlich 
^ nur Angst und Mißtrauen, obwohl eine oberflächliche Anpassung auf der 
[ Linie von Besänftigung und geheimer Überlistung erfolgen kann, wenn der 
Trotz nicht offen durchbricht. Aber diese Ängste stören die Entwicklung 
Ides Kindes zur Unabhängigkeit erheblich; die allen Personen in der Um=« 
Igebung geltende Angst schafft eine unüberwindliche, wenn auch uneinge* 
standene Abhängigkeit. Diese Haltung kann sich z. B. in ganz frühen E& 
Schwierigkeiten (versteckte Vergiftungsängste) und in Schwierigkeiten bei 
der Beherrschung der exkretorischen Funktionen verraten.^s Diese Ängste 
[verschlimmern sich oft, wenn die Mutter schwanger ist und ein Geschwister 
geboren wird, obwohl die phantasierte Verinnerlichung guter, hilfreicher 
Menschen diese Schwierigkeiten verringert. Bis zu einem gewissen Grade 
werden alle diese Dinge schon im ersten Lebensjahr während des Zahnens 
und der Entwöhnung empfunden. 

Mit dem wachsenden Verständnis für die wirklichen Beziehungen, für 
die rau;n<<zeitlichen Verhältnisse, ist alles weniger absolut, als es einst war. Die 
Erfahrung lehrt: daß eine gute äußere Mutter doch stärker ist als das Böse^ 
sem (Unlust usw.) des Kindes; daß Unlust überwunden werden kann und 
nicht zum Tode führt; daß ein bißchen warten noch nicht verhungern heißt; 



27) Dies kann zu der „Ungezogenheit" und den neurotischen Schwierigkeiten führen, 
die oft zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr entstehen. 

28) Das ganze Thema der Anal:» und Urethralerotik ist zu umfangreich, um hier darauf 
einzugehen. Es ist, auf der Grundlage der primären Identifizieruiig und der Projektions^ 
und Introjektionsvorgänge, mit allen Gefühlen und Regungen verknüpft, die sich auf den 
Jvorper der Mutter und seine Inhalte richten. . . ■ 



506 Joan Riviete 



daß die „verlorene" Mutter doch zurückkommt u. dgl. Auch der Beginn des 
Gehens, Sprechens und alle Fortschritte in der intellektuellen Entwicklung 
vermehren die Antriebe zur Selbstbeherrschung und Unabhängigkeit im 
Ich.2= 

Die Fähigkeit zu echter Objektliebe, im Gegensatz zu rein libidinösem 
Verlangen nach einem Objekt, entwickelt sich kraft der Identifizierung mit 
solchen guten, hilfreichen äußeren Gestalten, — einer Identifizierung, die 
das Resultat ihrer Verinnerlichung ist. Die volle Liebesfähigkeit besteht aus 
vielen Elementen und ist kein einfaches Primärphänomen; wie wir wissen, 
wird sie oft in keinem befriedigenden Maß erreicht. Die Objektliebe enthält 
die Fähigkeit, um des Objektes willen — d. h. um der Liebe willen — ein 
gewisses Maß von Unlust oder einen Verlust zu ertragen (ohne eine sofortige 
oder konkrete Entschädigung zu verlangen). Beim kleinen Kind ist die 
früheste und einfachste Form der Liebe wohl der Wunsch, sein eigenes Wohl»« 
befinden in der Außenwelt, in einem anderen Wesen wieder zu entdecken. 
Dies entspricht der Tendenz, das innen gefühlte Gute zu projizieren und 
es einem äußeren Objekt zu gev/ähren; es beinhaltet weder Verlust noch 
Verzicht. Wenn das Erkennen von Objekten fortschreitet, kommt es zu dem 
Wunsch, seinen guten äußeren Objekten (Mutter) wohlzutun und zu ge<= 
fallen und ihnen etwas Gutes zurückzugeben. Solche zärtliche Liebesgefühle 
kann man ansatzweise schon sehr früh beobachten, d. h. schon beim Säug* 
ling an der Brust.'" Dadurch, daß diese ersten und einfachsten Antriebe, den 
anderen Gutes zu bereiten, in das Gewebe der rein libidinösen Objektbes= 
Ziehungen verwoben werden, tragen sie zur Entwicklung des Gefühls der Be* 
sorgtheit um das Glück imd Wohl der geliebten Personen, u. zw. sov/ohl 
der äußeren wie der inneren, bei (Angst vor ihrer Zerstörung). Dabei spielen 
die mir der libidinösen Entwicklung zusammenhängenden Ängste und Ab=> 
wehrmaßnahmen eine entsprechende Rolle. Dies führt zu Mitgefühl und 
Reue und dem eifrigen Bemühen, den Schaden, der in aggressiven Phantasien 
begangen wurde, wieder gut zu machen und das verletzte Gute innen und 
außen wieder herzustellen — die guten Gefühle in der eigenen Person und 
im Objekt wieder aufzurichten. So entwickeln sich Schuldgefühle und Vers« 
antw'ortung gegenüber dem Objekt; die Wünsche, es zufriedenzustellen und 
v/ieder in Ordnung zu bringen, vervielfältigen sich: Leiden für das Objekt 

29) Analytisches Material spricht aber dafür, daß diejenigen kleinen Kinder, die sozu=< 
sagen "in dem Glauben leben, daß sie alle nötigen guten Dinge inirojiziert haben, und zur 
Sicherung gegen böse äußere Objekte zu stark nach Unabhängigkeit verlangen, — daß 
diese Kinder durch die neue Einsicht in ihre Hilflosigkeit und in ihre Unfähigkeit, zu gehen 
und zu sprechen usw. einen schweren Schlag gegen ihre Sicherheit und Zufriedenheit 
erleiden. 

30) Das kleine Kind teilt nicht nur in seinem Allmachtsgefühl Geschenke aus, um 
der bloßen Lust willen, um Belohnung zu erhalten oder um Strafe zu vermeiden, sondern 
kann auch aus Liebe Opfer bringen, etwas aufgeben. 



Zur Genese des psyehischsn Konfliktes im frühen Lebensalter 



507 



— Mitleiden — kann nun gefühlt werden." All diese Gefühle — 2. T. 
überaus schmerzlicher Natur und der Boden für die schwersten Konflikte 

— sind in der voll entwickelten Liebe enthalten. Im Keime treten sie zuerst in 
der Gefühlsbeziehung des kleinen Kindes zur Mutter auf, sobald es sie als 
eine ganze und hilfreiche Person erkennt. Vermag das frühe Ich diese Ge* 
fühlsbelastung bis zu einem gewissen Grade zu ertragen, d. h. entwickelt es 
nicht zu früh und zu stark die Abwehrmethoden, die zur Abschwächung des 
Konfliktes (zugleich aber auch zur Abschwächung, Verschiebung oder gar 
Abtötung von Gefühlen) führen, so kann es diese Konflikte der Verarbeitung 
unterziehen. Alle diese Gefühle umfassen dann eine bestimmte Organisation 
in den Objektbeziehungen des Ichs und eine gewisse Vereinheitlichung der 
verinnerlichten Elternfiguren (der hilfreichen, ebenso wie der versagenden) 
zu einer Über^Ich:«Funktion. Auf allen Entwicklungsstufen bestehen Identifi:* 
zierungen mit Elternfiguren, von der primären, narzißtischen Identifizierung 
angefangen bis zur vollen Objektliebe, die ohne ein vollentwickeltes Über:« 
Ich nicht erreicht werden kann (die beiden stehen in einer funktionalen Ab* 
hängigkeit zueinander). Was aber die späteren Identifizierungen von den 
ersten unterscheidet, ist die Fähigkeit, für das Glück der anderen Person 
einen Triebanspruch aufzugeben. 

Es ist unmöglich, im Rahmen eines Vortrages die Kompliziertheit und 
Vielfältigkeit der Angstsituationen und der Abwehrmechanismen, die die 
Psyche des Kindes in diesen frühen Jahren beherrschen, erschöpfend darzu* 
stellen. Die Faktoren, um die es sich hier handelt, und Ilire Verbindungen 
und Wechselwirkungen sind äußerst mannigfaltig. Um Befriedigung und 
Schutz zu finden, werden die inneren gegen die äußeren und die äußeren 
gegen die inneren Objekte ausgespielt; das Begehren wird gegen den Haß 
und gegen die Zerstörungssucht eingesetzt; Allmacht gegen Ohnmacht, und 
sogar Ohnmacht (Abhängigkeit) gegen eine zerstörerische Allmacht; die 
Phantasie gegen die Realität und die Realität gegen die Phantasie. Außerdem 
werden Haß und Zerstörungssucht dazu verwendet, um die Gefahren des 
Begehrens — und der Liebesgefühle — abzuwenden. Allmählich setzt die 
Entwicklung, deren genetische Vorgänge ich hier in größeren Umrissen zu 
zeichnen versuchte, ein, und zwar zufolge der Wechselwirkung dieser und 
anderer Faktoren, sowie äußerer Einflüsse, aus denen sich das Ich des Kindes, 
seine Objektbeziehungen und SexualentvNdcklung, sein Über:=Ich, sein Cha# 
rakter und seine Fähigkeiten bilden. 

Der stärkste Beweis für unsere Auffassung ist der von Melanie Klein und 
ihren Schülern bei kleinen Kindern entdeckte Reichtum des Phantasielebens, 
aas den Wünschen dient, dem Objekt um seinetwillen, um seines Glückes 



31) M. Klein: „A Contribution to fhe Psychogenesis of Manic^Depressive States". 
Int. Journal of Ps. A., vol. XVI, 1935, p. 154; ref. in dieser Ztsdhr., dieser Jg., H. 2, S. 280. 



508 joan Riviere 



und Wohlbefindens willen, Gutes zu erweisen. Das weite Gebiet der Wieder^« 

gutmachungstendenzen und die große psychische Bedeutung der Wiedergut:» 

machungsversuche ist vielleicht die wesentlichste Seite von Melanie Kleins 

Arbeit; aus diesem Grunde sollten ihre Ergebnisse nicht so betrachtet wers» 

den, als ob sie sich einseitig auf die Erforschung der aggressiven Triebres: 

gungen und Phantasien beschränkten. Die Bedeutung dieser Seite ihrer Kx* 

beit liegt in der innigen Beziehung zu der ganzen Theorie der Abwehrma& 

nahmen gegen die Aggression. (Das Verständnis der vollen Bedeutung der 

Wiedergutmachungstendenzen wirft auch ein neues Licht auf die spätere Ent:« 

wicklung schöpferischer Antriebe und Sublimierungen.) Es heißt nämlich, 

daß die inneren guten Zustände und Gefühle gerettet, zurückgebracht, wieder 

hergestellt und bewahrt werden müssen, wenn die vollkommene Auflösung 

und Vernichtung des Ichs und seiner Objekte in der Phantasie verhindert 

werden sollen. Schuldgefühle und Leiden, die aus den sich entwickelnden 

Liebesgefühlen und aus der Über#Ichs=Funktion entstehen, im Zusammenhang 

mit der Hilflosigkeit des Ichs, das der Angst vor dem Verlust seines Liebesob*' 

jektes ausgesetzt ist, aber auf dieser Stufe noch sehr schwer seine Aggress^ 

sion zu bewältigen vermag — das sind die Faktoren, die zur Wiedergut* 

machung drängen. Die inneren Objekte und die Gefühle zu anderen Men«! 

sehen müssen wieder hergestellt werden, denn sie sind Teile des Ichs ; ohne 

sie kann das Ich nicht gerettet und bewahrt werden. Zugleich müssen aber 

auch die realen Objekte, Eltern, Geschwister usw. zufriedengestellt und 

glücklich gemacht werden, sowohl in deren als in des Kindes eigenem Inlier5= 

esse. Wenn die verinnerlichten Objekte nicht heil sind, verwandeln sie sich 

sowohl in zerstörerische Verfolger, als in unerträglich schmerzliche Kn-f 

kläger, die Vorwürfe auf das Ich häufen. Diese Ängste führen dazu, daß das 

Kind sich selbst mißtraut, und stören auf diese Weise auch seine Beziehungen 

zu den realen Objekten, die es ebenfalls als „böse" und angsterregend empfin»» 

det, wobei diese Einstellung des Kindes tatsächlich auch einen ungünstigen Eins! 

fluß auf das wirkliche Verhalten der Umgebung ausübt. Von der vertrauenss« 

vollen Sicherheit, daß die inneren Objekte gut bewahrt und wohl versorgt 

sind, hängt der ganze Seelenfrieden ab ; daher bilden die Wiedergutmachungs>s 

versuche einen so grundlegenden Teil der Entwicklung. Wenn die äußeren 

Umstände schwierig und belastend sind, so können sie nur dann ertragen 

oder auch gebessert werden, wenn diese innere Stabilität wohlbefestigt ist. 

Auf dieser Grundlage beruht das ganze Leben hindurch die Fähigkeit, ' Gutes 

zu schaffen : Harmonie, Einheitlichkeit, Wohlbefinden und jeder Sieg der 

Lebenskräfte.^^ 

32) Das asoziale Kind und der verbrecherische Charakter haben auch diese Strebungen; 
aber in diesen Fällen sind sie in der Tiefe verborgen. Außerdem sind die Wiederguti« 
machungsversuche in solchen Fällen, bei denen das Vertrauen zu der eigenen inneren 
Güte nie genügend befestigt wurde, noch auf eine magische Phantasiewelt beschränkt 
und ihre Beziehung zur objektiven Realität und zu den Objekten ist unzureichend. Vgl. die 



Zur Genese des psychischen Konfliktes im frühen Lebensalter 



509 



Wie alle seelischen Tätigkeiten beginnen die Wiedergutmachungsver* 
suche in Gefühlen und Phantasien. Ebenso wie das kleine Kind seine körper:* 
liehe und libidinöse Befriedigung halluziniert, so phantasiert es auch, daß 
es verlorene gute Gefühle zurückbringen kann. Da in der Phan^ 
tasie die aggressive Gier und Rachsucht das Gute zerstören und es in Böses 
verwandeln, soll die konstruktive Allmacht sie wieder zurückbringen und 
die bösen Gefühle in gute verwandeln.ä^ Wenn die äußere Realität eine 
größere Rolle zu spielen beginnt und in diese Welt innerer Wertungen mehr 
und mehr einbezogen wird, erstreckt sich der Zwang zum Ordnungmachen 
und Inordnunghalten auf die realen Dinge. Auf einer gewissen Altersstufe 
müssen z. B. das Waschen, Essen, Spielen „richtig" gemacht werden, und 
die Pflegepersonen müssen das Bedürfnis des Kindes nach dieser „Richtig* 
keit" ausführen. Dies hängt mit den Tendenzen zusammen, Zerstörungen 
„ungeschehen" zu machen und die Objekte in magischer Weise in Ord^ 
nung zu bringen." Nach und nach, wenn die ungeschehenmachenden und 
heuenden Handlungen vom Kinde selbst in der Realität ausgeführt werden 
können, geben sie ihm mehr und mehr das Vertrauen, daß es fähig ist, selbst 
„etwas zu tun" — daß es in einer wirklichen und konkreten Art in sich 
und für andere etwas Böses wieder gutmachen kann. Die Kiesel und Steine, 
die es der Mutter bringen mag, sind Wiederherstellungen der Kinder und 
der anderen Körperinhalte, die es der Mutter hat rauben wollen — in der 
Phantasie geraubt hat. Wenn die Angst des Kindes vor seinen bösen Trieb* 
regungen noch zu stark ist, wird es die Steine als neue Angriffe auf die 
Mutter fühlen, und die Unmöglichkeit zur Wiedergutmachung erzeugt neuer* 
hch Hilflosigkeit und Verzweiflung. Normalerweise ermöglichen Wachstum 
und Entwicklung dem Kind, seine Eltern in realen Dingen zufriedenzustellen 
und glücklich zu machen; und das befriedigt es z. T. deshalb, weil das be* 
deutet, daß es die Eltern für seine zerstörerischen Phantasien und seine wirk* 
liehen Ungezogenheiten entschädigt. 

Ich versuchte zu zeigen, daß innere Zustände (Gefühle, Sensationen) die 
ersten Vorläufer der Objektbeziehungen sind. Objekte werden mit inneren 
Zuständen identifiziert und so „verinnerlicht". So bedeutet ein gutes Ge* 
fühl für ein Objekt auch ein gutes Objekt (in der Phantasie schafft es ein 
gutes Objekt); ebenso bedeuten (schaffen) böse, feindselige Gefühle böse 
Objekte. Projektion und Introjektion dienen den Versuchen, Gutes und 
Böses zu trennen, das Gute drinnen zu behalten und das Böse draußen zu 



Ausführungen über den manischen Abwehrmechanismus in der Arbeit von Melanie 
JMein: A Contribution to the Psychogenesis of Manic:<Depressive States 
hJu rf^^ "°^ '^^'' mächtige Einfluß zum Guten, den religiöse Gefühle besitzen, 

neren Ov"kt ^°'' ^"™^*^ ^'^ ^^' Identifizierung mit einem „guten" in. 

34) Dies zeigt sich z. B. in der oft sehr ausgesprochenen Zwangshalfung im zweiten 
WS vierten Lebensjahr. 



lassen. Aber diese bösen Gefühle können nicht dauernd ausgestoßen wer* 
den. Das orale Verlangen und die beißenden und zerreißenden Wutgefühle 
gegen unerreichbare begehrte Objekte werden als unerträgliche innere Ver* 
folger empfunden, die einen selbst beißen, verschlingen und zerstören. Diese 
„archaischen" Gefühle sind ein beständiges Element in dem Aufbau des 
Über*Ichs, auch wenn sie sicherlich nicht zuerst (vielleicht niemals) vom 
Ich anerkannt und akzeptiert wurden. Sie werden verleugnet und inneren 
fremden Kräften zugeschrieben. Diese fremden Kräfte sind aber im tiefsten 
Unbewußten identisch mit den ursprünglich begehrten und verinnerlichten 
Objekten und auch mit den realen Eltern; bewußt gilt die Auflehnung und 
der Haß, die gegen die inneren Verfolger gerichtet sind, oft allen Ersatz«« 
figuren der Eltern (jeder Autorität). Die volle Erkenntnis und Verinne»* 
lichung vnrklicher Personen, die als hilfreiche und geliebte Gestalten emp^ 
funden werden, hat nun zur Folge, daß das Ich die Abwehrmethode des 
Spaltens von Gefühlen und Objekten in gute und böse weitgehend aufgeben 
muß. Das bedeutet, daß alle Gefühle des Hasses und der Liebe, die z. B. der 
Mutter gelten, sich wirklich auf die reale „Mutter" beziehen, und daß es 
v/irklich die geliebte Mutter ist, die gleichzeitig gehaßt wird und die das 
Kind mit seiner unbeherrschbaren Aggression so schwer angegriffen zu 
haben fühlt. Dieses Verschmelzen von Gut und Böse — der 
AmbivalenzkonfUkt — ist gerade das, was alle vorhergehenden Abwehr^« 
maßnahmen zu verhindern suchten, weil es bedeutete, daß das gute Objekt 
verschwinden und in ein böses verwandelt werden würde. Nur wenn die 
Erfahrung eindringlich genug gelehrt hat, daß die Liebe stärker ist als der 
Haß, können diese beiden Gefühle gemeinsam in der Beziehung zu einer 
realen Person gehalten und bewahrt werden, ohne wieder in der Phantasie 
zu stark geteilt zu werden. Aber dieses Vertrauen in die Kraft der Liebe wird 
schweren Prüfungen ausgesetzt, weil Liebe zu jemand, der verletzt vv^orden 
ist, schmerzliche Schuldgefühle weckt, und ein Kind (oder auch der Er*= 
wachsene), dessen Angst vor einem inneren Leiden zu groß ist, wird unfähig 
sein, das Leiden der Schuldgefühle zu ertragen — das Leiden, das seine K%o 
gression andern verursacht hat, das zufolge der Identifizierung von ihm selbst 
mitgefühlt wird. Und das ist es, was die vom Übersieh kommenden Selbst* 
vorwürfe bedeuten. Aus der Stärke dieses Schmerzes entsteht erneut die Ver* 
suchung, die Aggression nach außen zu verlegen und auf äußere Autoritäten 
zu projizieren. Es ist leichter, sich von ihnen oder seinem eigenen Gewissen 
(masochistisch) quälen zu lassen^^, als diesen Schmerz in der Identifizierung 

35) Das masochistische Leiden gewährt dem Ich den Vorteil einer erotischen Befriedi* 
gung, die beim Schuldgefühl fehlt; und ebenso befriedigt es in beträchtlichem Maße die 
Aggression, zufolge der gleichzeitigen Projektion von Schuldgefühlen und Aggressions* 
regungen auf den „Verfolger", der dem Ich das masochistische Leid auferlegt. Schuld* 
gefühle gewähren weder eine Befriedigung der Erotik noch eine solche der Aggression; 
sie legen vielmehr den beiden ursprünglichen Trieben Versagungen auf. 



m 



Znr Genese des psychischen K onfliktes im frühen Eebensalter 511 

mit dem leidenden Objekt auf sich zu nehmen und zu ertragen. Liebe zu 
einer realen Person weckt Schuld und Gewissensbisse, aber auch eine tiefe 
Sehnsucht danach, ihr angetanes Unrecht ungeschehen zu machen und sie 
wieder herzustellen und selbst ganz gut zu werden. Aber dann kommen 
wieder Haß und Rachsucht in die Quere und es entsteht die Tendenz: das 
Objekt für alles verantwortlich zu machen. 

Diese Entwicklungsschwierigkeiten sind sehr kompliziert und eröffnen den 
Weg zu vielen mehr oder weniger neurotischen Lösungen. Die normale Ent# 
Wicklung und ein vollentwrickeltes Über^^Ich setzen die Fähigkeit voraus, den 
Schmerz echter Schuldgefühle zu ertragen, sowie dk Fähigkeit zu wirklichen 
Opfern für andere Personen, um sie zu entschädigen und wieder herzustellen. 
Das kann nur erreicht werden: a) wenn die inneren Objekte überwiegend als 
gut, d. h. nicht zu gefährlich empfunden werden, so daß die Unterw^erfung 
unter sie und die Identifizierung mit ihnen nicht in der Phantasie mit dem, 
Tod bezahlt werden muß; b) werm die Liebe zu ihnen stärker ist als die 
Begierde oder der Haß, so daß der Verzicht auf die Raub* und Zerstörungs* 
gelüste (Fressen) um der Liebe v/illen zustande kommen kann, und die ver«= 
schlingende „Liebe" nicht zu sehr verleugnet werden muß; c) wenn das 
Leiden, das aus den Schuldgefühlen stammt, ertragen werden kann, weil die 
Liebe zum Objekt überwiegend ist und dafür entschädigt. Wenn das der 
Fall ist, so verstärkt das Schuldgefühl die Liebe und belohnt reichlich durch 
die Befriedigung der inneren guten Gefühle, was gleichbedeutend mit Har=* 
monie und Versöhnung mit den geliebten inneren und äußeren Objekten ist. 
Wenn daher ein bestimmter Grad von Gewißheit darüber erreicht ist, daß 
wir fähig sind, gute Gefühle für die, die wir lieben, und von deren Liebe 
wir abhängig sind, zu bilden und zu erhalten, so wird diese Sicherheit gleich* 
bedeutend mit der Liebe unserer inneren Objekte zu uns. Das schließt auch 
die Harmonie zwischen den Gefühlen, Erinnerungen und Erlebnissen, die 
das Ich bilden, ein. Diese guten inneren Objektbeziehungen und Gefühle 
werden dann als der kostbarste Besitz des Ichs gewertet; auf sie (das Ich* 
Ideal) werden Liebe und Vertrauen gerichtet, und um sie zu behalten und 
zu bewahren, lernt das Ich, egoistischen Triebregungen, die Konflikte er* 
zeugen, wirklich zu entsagen, sie zu modifizieren und zu wertvollen Zwecken 
zu verwenden. 

Literatur: 

Marjorie Brierley: Some Problems of Integration in Women. Int. Journal of Ps. A., 
vol. XIII, 1932. 

— Specific Determinants in Feminine Development. Int. Journal of Ps. A., vol. XVII, 
1936. 

Edward Glover: A Psycho* Analytic Approach to Classification of Mental Disorders. 
Journal of Mental Science, October, 1932. 

- Zur Ätiologie der Sucht. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XIX, 1933. 



I . 

I l 



512 Joan Riviere:Zur Genese des psychischen Konfliktes im frühen Lebensalier 

Edward G 1 o v e r : The Relation of Perversioni^rormation to the DevelopiMnt of Re* 

ality*Sense. Int. Journal of Ps. A., 1933. 
Susan Isaacs: Entbehrung und Schuldgefühl. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XV, 1929. 
Ernest Jones: Der Ursprung und Aufbau des Über*Ichs. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XII, 

1926. 

— Die erste Entwicklung der weiblichen Sexualität. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XIV, 1928. 

— Angst, Schuldgefühl und Haß. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XVI, 1930. 

— Die phänische Phase. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XIX, 1933. 

— Über die Prühstadien der weiblichen Sexualentwicklung. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XXI, 
1935. 

Melanie Klein: Zur Frühanalyse. Imago, Bd. IX, 1923. 

— Die psychologischen Grundlagen der Frühanalyse. Imago, Bd. XII, 1926. 

— Frühstadien des Ödipuskonfüktes. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XIV, 1928. 

— Note on a Dream. Int. Journal of Ps. A., vol. IX, 1928. 

— Die Rollenbildung im Kinderspiel. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XV, 1929. 

— Die Bedeutung der Symbolbildung für die Ichentwicklung. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XVI, 
1930. 

— Frühe Angstsituationen im Spiegel künstlerischer Darstellungen. Int. Ztschr. f. Psa., 
Bd. XVII, 1931. 

— A Contribution to the Theory of Intellectual Inhibition. Int. Journal of Ps. A., vol. 
XII, 1931. 

— Die Psychoanalyse des Kindes. Int. Psa. Verlag, Wien, 1932. 

— A Contribution to the Psychogenesis of Manic^Depressive States. Int. Journal of 
Ps. A.. vol. XVI, 1935. 

Sylvia Payne: Zur Auffassung der Weiblichkeit. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XXII, 1936. 
Joan Ri viere: The Negative Therapeutic Reaction. Int. Journal of Ps. A., vol. XVII, 

1936. 
Melitta Schmideberg: The Role of Psychotic Mechanismus in Cultural Development. 

Int. Journal of Ps. A., vol. XI, 1930. 

— A Contribution to the Psychology of Persecutory Ideas. Int. Journal of Ps. A., vol. 
XII, 1931. 

— Einige unbewußte Mechanismen im pathologischen Sexualleben und ihre Beziehung 
zur normalen Sexualbetätigung. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XVIII, 1932. 

— Zur Psychoanalyse asozialer Kinder und Jugendhcher. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XVIII, 
1932, und Ztschr. f. psa. Päd., Bd. VIII, 1934. 

— Die Spielanalyse eines dreijährigen Mädchens. Ztschr. f. psa. Päd., Bd. VIII, 1934. 
M. N. Searl: The Fhght to Reality. Int. Journal of Ps. A., vol. X, 1929. 

— Dangers^Situations of the Immature Ego. Int. Journal of Ps. A., vol. X, 1929. 

— The Roles of Ego and Libido in Development. Int. Journal of Ps. A,, vol. XI, 19301 

— A Note on Depersonalization. Int. Journal of Ps. A., vol. XIII, 1932. 

— The Psychology of Screaming. Int. Journal of Ps. A., vol. XIV, 1933. 

— Play, Reality and Aggression. Int. Journal of Ps. A., vol. XIV, 1933. 

— A Note on Symbols and early Intellectual Inhibition. Int. Journal of Ps. A., vol. XIV, 
1933. 

Ella Sharpe: Über Sublimierung und Wahnbildung. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XVII, 1931. 

— Unconscious Determinants in the Sublimations of Pure Art and Pure Science. Int. 
Journal of Ps. A., vol. XVI, 1935. 

Karin Stephen: Introjection and Projecfion, Guilt and Rage. British Journal of Medical 

Psychology, vol. XIV, 1934. 
On the Upbringing of Children, by Five Psycho^Analysts. Kegan Paul, London, 1936. 



Zur Frage der Genese der psychischen 
Konflikte im frühen Kindesalter' 

Bemerkungen zur gleichnamigen Arbeit von Joan R i v i e r e. 

Von 
Robert Wälder 

Wien 

Von verschiedenen Seiten hat sich im Laufe der letzten Jahre in der psycho* 
analytischen Literatur in wachsendem Ausmaß das Interesse an den frühen 
Stadien der Ichentwicklung bekundet und mehrfach sind Ansätze unter»= 
nommen worden, um in dieses dunkle Gebiet Klarheit zu bringen. Einer 
dieser Ansätze, der besonders durchgearbeitet ist, bildet die Anregung zu den 
vorliegenden Überlegungen. Es handelt sich hiebei um ein System von Be»= 
obachtungen und Theorien, zu dem verschiedene Autoren beigetragen haben. 
Es sind Arbeiten von Melanie Klein zu nennen, die aus der Kinderanalyse 
nach der von ihr eingeführten Spielmethode hervorgegangen sind; diese 
Theorien sind in dem Buch „Die Psychoanalyse des Kindes"«, zusammen:» 
fassend dargelegt, doch gehen die Arbeiten Melanie Kleins zu diesem Ge* 
genstand bis auf das Jahr 1926 zurück. Ernest J o ne s hat in einer Reihe von 
Untersuchungen verwandte Gesichtspunkte entwickelt; seine Arbeiten be* 
treffen zum größten Teil das Problem der weiblichen Sexualentwicklung, 
die Probleme von Haß und Schuldgefühl und die von ihm „Aphanisis" ge* 
nannten Erscheinungen. Die Ansätze zu diesen Schriften reichen über mehr 
als zwei Jahrzehnte zurück. Joan R i v i e r e hat in einigen Arbeiten Probleme 
der Neurosenlehre mit dem Rüstzeug dieser Theorien studiert; ihr ist auch 
eine Gesamtdarstellung von vorbildlicher Klarheit zu danken.» Ed. Glover 
hat Probleme der Ichentwicklung und der Neurosenwahl, die Entstehung der 
Zwangsneurose und den Alkoholismus studiert und die Anwendungsmög* 
lichkeiten auf dem Gebiet der Soziologie verfolgt. J. Strachey hat den 
therapeutischen Prozeß auf Grund dieser Theorien untersucht. J. Rickman 
und andere haben sich mit den pädagogischen Auswirkungen befaßt. Eine 
große Anzahl anderer Arbeiten legt Zeugnis ab für die Fruchtbarkeit und 
vielfältige Anwendbarkeit der verwendeten Gesichtspunkte.'' 

Nun besteht aber keineswegs völlige Übereinstimmung zwischen den ge* 

i) Die nachfolgenden Diskussionen stellen ein Produkt vieler Erörterungen dar, die 
diese Probleme in Kreisen der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung gefunden haben. 
Für manches davon bleibe ich allein verantwortlich; in anderen Fällen habe ich Gesichts^ 
punkte verwendet, die von anderer Seite beigebracht wurden 

2) Int. Psa. Verlag, Wien, 1932. 

3) Joan Ri viere: Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Lebens* 
alter. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XXII, 1936. 

4) Vgl. dazu den Literaturnachweis bei Joan Ri viere, 1. c. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse. XXII/4 33 




nannten Autoren; wir finden zum Teil ganz verschiedene Hypothesen. Es 
sei nur auf ein Beispiel einer solchen Meinungsverschiedenheit verwiesen: 
Glover^ erklärt das Phänomen der Ambivalenz dadurch, daß Intro^ 
jektion und Projektion, die im ersten Lebensjahr in großen Wellen mit 
großer Amplitude aufeinander folgen, später, im zweiten Lebensjahr, immer 
rascher und mit verkleinertem Ausschlag wechseln; die Ambivalenz wäre 
dementsprechend ein sehr rasches Alternieren von Introjektions=< und^ Pro# 
jektionsvorgängen mit verhältnismäßig geringer Intensität. JoanRi viere" 
beschreibt als Grundlage der Ambivalenz das Bestreben des Kindes, die 
Vorstellung des guten Objekts von der Vorstellung des bösen Objekts ge# 
trennt zu halten, da andernfalls, wenn man sie zusammenfließen ließe, auch 
das gute Objekt nicht mehr wirkhch gut und daher keine Zuflucht und 
Stütze für die Wiederguünachungstendenzen wäre. Das ist ein Beispiel für 
zwei verschiedenartige Theorien innerhalb der erwähnten Gruppe von Ar=< 
beiten; man mag daher fragen, wodurch es überhaupt gerechtfertigt er^ 
scheint, diese Theorien gemeinsam vorzustellen und sie zum gemeinsamen 
Ausgangspunkt von Überlegungen zu machen, wenn sie selbst nicht in allen 
Punkten homogen sind. 

Nun, es scheint, daß trotz dieser und manch anderer Divergenz doch in 
allen diesen Theorien etwas Gemeinsames liegt, so daß sie sich dennoch 
einer gemeinsamen Würdigung empfehlen. Dieses Gemeinsame scheint mir 
etwa in folgenden Punkten zu liegen: 

1. Es wird stets angenommen, daß die Erlebnisse einer sehr frühen Lebenss= 
Periode, vor allem des ersten Lebensjahres, a) bekannt sind, bezw. durch die 
Mittel der Analyse in ähnlicher Weise erkennbar sind wie Erlebnisse späterer 
Perioden, daß sie b) beschreibbar sind in terms of mental life, daß ihnen 
c) große Wichtigkeit für die spätere Entwicklung von Neurosen und Cha» 
rakterbildung zukommt und daß d) diese frühe Lebenszeit von reger Phan# 
tasietätigkeit erfüllt ist oder doch von einer Art psychischen Lebens, die 
dem, was wir sonst Phantasietätigkeit nennen, nahesteht und vergleichbar 
ist, und daß diese seelischen Aktivitäten ein Maß von Durchbildung und 
JR.eife aufweisen, das über das hinausgeht, was Freud und andere Autoren 
diesem Alter zuzuschreiben geneigt sind. 

2. Über die Natur dieser Vorgänge im ersten Lebensjahr wird ange^ 
nommen, daß es sich auf der Triebseite um oral»=sadistische Impulse, auf 
der Seite der Ichmechanismen um Introjektion und Projektion handle. 

In diesem Punkt besteht eine enge Verknüpfung zu manchen sonstigen Er^ 
gebnissen der Psychoanalyse, die von Freud gefunden wurden, wie zu 
den Arbeiten Abrahams, doch gehen die Arbeiten, die wir im Augen* 
blick im Sinne haben, in der Verallgemeinerun g wie in der Datier 

5) Das Problem der Zwangsneurose, Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XX'I, 1935, S. 243. 

6) 1. c, S. 497. ....:,. . - 



Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Kindesalter 515 



r u n g über das, was allen Analytikern in dieser Frage gemeinsam ist, hinaus. 

3. Diese Triebseite und diese Ichseite der frühen Erlebnisse erscheinen 
nun als in enger Beziehung zueinander stehend; so ist etwa die kanniba* 
listische Triebregung die Grundlage für den Mechanismus der Introjektion, 
die anale Ausscheidung für den Mechanismus der Projektion. Von da aus 
treten Triebentwicklung und Icbentwicklung in innige Nähe zueinander und 
erscheinen in eindrucksvoller Weise verflochten. 

4. Ferner wird in allen erwähnten Arbeiten das Verhältnis zwischen Phan# 
tasie und Realität etwas anders angesetzt, als das sonst in der Psychoanalyse 
gebräuchlich ist. Wenngleich an dem grundlegenden Prinzip der Freude» 
sehen Ergänzungsreihe durchgängig festgehalten wird, so erscheint doch vieles 
an der Entwicklung, was man sonst aus dem Wechselspiel des Individuums 
mit seiner Umwelt zu verstehen gewohnt war, als Produkt einer inneren 
Phantasieaktivität, die durch äußere Erlebnisse angeregt und intensiviert 
vmrde, aber auch ohne sie in wenigstens prinzipiell ähnlicher Weise ablaufen 
muß. Zwischen den beiden möglichen extremen Standpunkten über das Ver:» 
hältnis zwischen Prädisposition und Umwelteinflüssen — einerseits das Lebci* 
wesen als plastisches Material, in das die zufällige Umwelt ihre Eindrücke 
versenkt, und andererseits die geprägte Form, die durch Umwelteinflüsse in 
ihrer Entfaltung höchstens beschleunigt oder verlangsamt werden kann, — 
zwei extremen Konzeptionen, zwischen denen Freud stets bestrebt war, eine 
mittlere Linie zu halten, scheinen die zitierten Autoren der zweiten Möglich* 
keit näherzukommen als andere Analytiker. 

5. Indem diese Erlebnisse der Frühzeit untersucht werden und spätere 
Stadien der kindlichen Entwicklung aus der Entwicklung dieser frühen Pro# 
zesse abgeleitet werden, fällt nun das Schwergewicht auf die solcherart er^^ 
schlossenen oder vermtiteten frühen Vorgänge. Anderes tritt damit eher 
zurück; es ist dies vor aUem auf der Triebseite die klassische Ödipus.* 
Situation mit dem nahe zu ihr gehörigen Kastrationskomplex, auf der Ich* 
Seite sind es alle späteren höheren Ichverarbeitungen, Lösungsversuche in 
Konflikten, Methoden der Abwehr von Angst und Unlust und dergl., wie 
sie jedenfalls das spätere Schicksal der Neurosen und Charakterbildung ent:* 
scheidend formen.' 

Man mag dem entgegenhalten, daß durch die besprochenen Theorien nichts 
von dem Altbekannten aufgelassen werde, nur etwas zu ihm hinzukomme. 
Aber es scheint uns, daß es ein schlichtes Dazukommen, das an dem bisheij 
Bekannten nichts ändert, nicht gibt. Es handelt sich immer nicht nur um 
Akzent*, sondern auch um Strukturverschiebungen. Als Freud etwa zu 

7) Vgl. hiezu das Studium dieser „höheren" Ichverarbeituagen in dem jüngst erschien 
nenen Buch von AnnaFreud „Das Ich und die Abwehrmechanismen", Int. Psa. Verlag, 
Wien, 1936. Unter „höheren" Ichverarbeitungen sind solche gemeint, die nicht oder nicht 

notwendig in den ersten zwei Lebensjahren wirksam sind. 

33' 



516 Robert Wälder 



den in der alten Psychiatrie bekannten akzidentellen Momenten der Krank*^ 
heitsentstehung die infantilen hinzufügte oder zu den auch zuvor bekannten 
bewußten Seelenvorgängen die unbewußten, war das keine einfache Addis= 
tion, die das schon zuvor Dagewesene unverändert beließe. Wir schätzen die 
akzidentellen Erkrankungsursachen anders ein, wenn und seitdem wir ihre 
infantile Vorgeschichte kennen. 

Dies scheinen uns nun die gemeinsamen "Merkmale der in Rede stehenden 
wissenschaftlichen Bemühungen zu sein, wie immer sie sich auch in dieser 
oder jener Einzelfrage voneinander unterscheiden mögen. Und ob dieser 
Gemeinsamkeit scheint es uns gerechtfertigt und geboten, alle diese Ansätze 
auch gemeinsam zu studieren. 

Der vorliegende Aufsatz will eine Anzahl von Problemen erörtern, die 
durch diese Theorien aufgeworfen werden. Es sei vorweg bemerkt, daß seine 
Absicht keine polemische ist. Polemik wäre schon darum zumeist wenig 
fruchtbar, da ich diesen Fragen als Außenstehender gegenüberstehe und 
keine andere Möglichkeit habe, ein Urteü über den ihnen zugrundeliegenden 
Erfahrungsschatz zu gewinnen als durch die vorliegenden Publikationen und 
deren Vergleich mit eigenen Erfahrungen, bezw. Erfahrungen anderer Ana* 
lytiker; ferner auch darum, da mir nicht bekannt ist, welches die Stellungs<= 
nähme der besprochenen Autoren zu all den Problemen ist, die in der Folge 
berührt werden sollen. In manchen Fällen, scheint mir, würden wahrschein*i 
lieh auch diese Forscher einen ähnlichen Standpunkt einnehmen, wie der ist, 
dem ich in den folgenden Überlegungen besondere Wahrscheinlichkeit zu* 
messen möchte; in anderen FäUen mag das nicht der Fall sein, aber da ich 
nicht weiß, in welchen der nachfolgend aufgeworfenen Fragen eine Mei* 
nungsverschiedenheit überhaupt besteht, erscheint es — einige wenige Punkte 
ausgenommen — schon darum allein ausgeschlossen, daß ihre Aufwerfung 
einen polemischen Charakter tragen könnte. Die Absicht dieser Arbeit ist 
vielmehr eine viel bescheidenere. Sie will die Fragen erwähnen und zur Dis* 
kussion stellen, die meines Erachtens durch die in Rede stehenden Theorien 
akut werden, und damit einen Behelf für deren weitere Prüfung oder Dis* 
kussion zur Verfügung stellen. 

Bei einem so eng gezogenen Rahmen mag man fragen, ob noch von einer 
wissenschaftlichen Arbeit eigentlich gesprochen werden kann. Wissenschaft* 
liehe Arbeiten dienen in der Regel der Veröffentlichung von Funden, die 
der Autor gemacht, oder von Theorien, die er aufgestellt hat; in einer zweiten 
Gruppe von Fällen der Darstellung von Ergebnissen, die nicht der Autor 
gefunden hat; in einer dritten schließlich der Kritik und Polemik gegen die 
Meinung anderer Autoren. Keiner dieser drei Fälle liegt hier vor. Der Ven* 
such, die Probleme, die durch eine Theorie aufgeworfen werden, zu sichten 
und eine Art Problemkatalog für die weitere Arbeit aufzustellen, müßte 
weit eher als wissenschaftliche Hilfsarbeit bezeichnet werden. 




Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Kindesalter 517 

I. Die Grundlagen unseres Wissens von den Vorgängen des 

ersten Lebensjahres. 

Jede Art Theorie über die Vorgänge einer frühen Lebensperiode wird sich 
grundsätzhch mit der Frage des Erkenntnismittels zu befassen haben: Woher 
wissen wir überhaupt etwas über die seelischen Vorgänge, wie können wir 
etwas von ihnen erfahren, wie können wir unsere Vermutungen erhärten? 
Diese Frage besteht natürlich immer, auch für die Erlebnisse beliebig an* 
derer Lebensperioden, und wir wissen, daß gerade an dieser Stelle 6ines der 
Argumente gegen die Psychoanalyse überhaupt einsetzt. Manche Gegner be== 
streiten uns das Recht, von unbewußten Vorgängen zu sprechen. Die Frage 
nach den Quellen unseres Wissens von den seelischen Vorgängen könnte 
also m sehr breitem Rahmen zur Tagesordnung gestellt werden. Doch scheint 
uns an dieser SteUe keine Notwendigkeit für eine so umfassende Fragestel* 
lung zu bestehen. Wir können für die Zwecke dieser Untersuchung getrost 
davon ausgehen, daß wir alle darüber einig sind, welche Quellen uns für das 
Erkennen seeHscher Vorgänge in späteren Lebensaltern zur Verfügung stehen. 
Was von dieser Problematik etwa in den vorliegenden Gegenstand hinein^ 
spielt, mag zur Erörterung kommen, wenn wir die Kriterien der Deutung 
untersuchen werden. 

Sonach bescheiden wir unsere Fragestellung auf das, was uns Analytikern 
hier noch allein problematisch scheinen kann, auf die Quellen für ein Wissen 
von seelischen Vorgängen in einem Alter, in dem das Kind der Mittel sprach* 
hchen Ausdrucks noch entbehrt und in das auch die Erinnerung späterer 
Lebensalter scheinbar nicht hinabreicht. 

Es gibt grundsätzlich zwei Wege, um zu den seelischen Vorgängen in 
einem Objekt, das wir studieren, zu gelangen: der eine ist die unmittelbare 
Beobachtung m der Zeit, da sie vor sich gehen, der andere ist die Analyse 
m einem späteren Zeitpunkt. In dieser zweiten Methode gibt es wiederum 
zwei Wege, einmal die Erinnerung des Analysierten, das anderemal die Re* 
konstruktion des Analytikers und des Patienten. Unmittelbare Beobachtung, 
Ermnerung, Rekonstruktion:'- das sind auch die Verfahren, die zur Aufhel^ 
lung der infantilen Vorgänge in späteren Lebensaltern, etwa im dritten bis 
fünften Lebensjahr, geführt haben. Wir wollen nun prüfen, was diese Me* 
thoden leisten können, wenn es sich um das Studium des ersten Lebensjahres 
handelt. 



7») Wir bezeichnen hier als Rekonstruktion nicht nur das, was die analytische Alltags^ 
spräche darunter versteht, sondern jegliche Konstruktion der Vergangenheit, die nicht Er. 
lii ^"""^ des Erlebenden ist - so wie man etwa im Gerichtsverfahren alles Indizienbeweis 
aennt. was nicht durch Geständnis oder Zeugenaussagen gestützt ist. Es gibt verschiedenes 
Material für Rekonstruktionen. Manchmal geht es so vor sich, daß aus verschiedenen 
Mucken analytischen Materials rekonstruiert wird. Das ist der Fall, in dem die Analvtiker 
gewöhnlich von Rekonstruktion sprechen. In anderen Fällen wird die Vergangenheit aus 
«r Wiederholung, dem Agieren (in der Übertragung) allein erschlossen. Eine 



518 Robert Wälder 



Was zunächst die unmittelbare Beobachtung betrifft, ist zu sagen, daß 
ihr in einem späteren Lebensalter viel mehr Daten zur Verfügung stehen als 
in einem früheren. Die Beobachtung des dreijährigen Kindes hat als Mate^» 
rial nicht nur das Verhalten des Kindes, sondern auch seine sprachlichen 
Äußerungen. Auch ist das Verhalten des dreijährigen Kindes reich geglie* 
dert, besteht nicht nur aus Ausdrucksbewegungen, wie Triebäußerungen und 
dergleichen, sondern auch aus hochzusammengesetzten Handlungen. Bei dem 
Kind des ersten Lebensjahres müssen wir die sprachlichen Mitteilungen völlig 
entbehren; nur das Verhalten steht uns zur Verfügung und auch dieses ist 
auf eine geringe Zahl von Lebensäußerungen beschränkt, die auf der Linie 
der Ausdrucksbewegung oder — und auch das nicht gleich von Geburt an, 
sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt — der heischenden Aufforderung 
liegen; höher zusammengesetzte Handlungen gehören nicht dazu. Sonach ist 
man bei der Untersuchung des ersten Lebensjahres auf Grund von unmittel=» 
barer Beobachtung auf behaviouristische Untersuchungen beschränkt und 
innerhalb des behaviour stehen nur dimensionsarme Verhaltungsweisen zur 
Verfügung. Man möchte also meinen, daß man auf behaviouristischer Grund=* 
läge nur auf verhältnismäßig wenige und einfache seelische Vorgänge in dem 
kindlichen Organismus schließen kann und daß andere, kompliziertere, ent* • 
weder nicht vorhanden sind, oder, wenn vorhanden, sich im behaviour nicht 
verraten und zumindest für die behaviouristische Untersuchung unerkennbar 
bleiben. Es ist zumindest, wie mir scheint, eine offene Frage, wie man aus 
dem an sic& wohl bekannten, vielfach auch von der Schulpsycbologie unter.* 
suchten und inventarisierten Verhalten der Frühzeit einen großen Reichtum 
kompliziert gebauter Seelenvorgänge mit hinlänglicher Wahrscheinlichkeit er«= 
schließen könnte. 

Betrachten wir etwa im besonderen die Äußerungen oral«sadistischer Im* 
pulse. Was hier behaviouristisch festgestellt werden kann, ist allenfalls der 
Affekt und das Ziel und Objekt eines Triebes. So könnte etwa: die behaviour 
ristische Untersuchung das Vorhandensein von Wut nachweisen, sowie die 
Tatsache, daß Beißgelüste vorliegen, die auf ein bestürmtes Objekt gerichtet 
sind, oder Einverleibungsgelüste von sadistischer Färbung. Eine über die 
schlichte Feststellung der Trieb* und Affektlage hinausgehende Phantasie 
kann auf behaviouristischem Wege nicht nachgewiesen werden. Es gilt das 
zum Beispiel von der von Melanie Klein beschriebenen Phantasie vom 



genaue Untersuchung muß diesen Fall unterscheiden. Wir haben ihn hier unter „Rekon«= 
struktion" mitbegriffen und zwar aus folgenden Gründen: Wenn wir etwas als wieder^ 
holendes Agieren' beschreiben, so haben wir schon eine Theorie darüber aufgestellt. Ohne 
Theorie könnte man nur feststellen, daß sich der Patient in bestimmter Weise verhält. 
Daß dieses Verhalten eine Wiederholung ist, muß bewiesen werden. Daher ist das Agieren 
nicht ohne weiteres schon ein Beweis für die aus ihm; erschlosseilen vergangenen Erlebnisse: 
Wenn wir daher aus dem Agieren^ also aus einer Art von Verhalten, vergangene Erlebe« 
nisse ,jnachkonstruieren",; so ist dies, wie uns scheint, auch eine Art von Rekonstruktion^ 



p 

^B Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Kindesalter 51? 

^B Nfäterlichen Penis im Mutterleib und von den Tendenzen zur Zerstörung und 
^K Einverleibung des mütterlichen Körperinhalts, einer Phantasie, die aus einer 
^W üpäteren Lebensperiode, etwa dem vierten Lebensjahr, durch verbale Mit* 
teilungen des Kindes feststellbar ist; aber soweit die behaviouristische Me^» 
thode in Frage kommt, sehe ich keine Möglichkeit, das Vorhandensein dieser 
Phantasie im ersteh Lebensjahr aus dem auf Ausdrucksbewegungen bc:* 
schränkten Verhalten des Kindes nachzuweisen. 

Hiezu kommt ein Zweites: die oral^sadistischen Manifestationen sind nicht 
bei allen Kindern des ersten Lebensjahres in gleicher Intensität zu beobachten. 
Es gibt Kinder, die in oraler Versagung stundenlang schreien, in Wutschreien 
kommen, und auf den Kinderkliniken, auf denen ein diszipliniertes Ernäh* 
rungsregime herrscht, findet man die Säuglinge, die ihr Gesicht mit ihren 
Nägeln blutig kratzen. Aber das gilt nicht für alle Kinder. Es gibt auch 
Kinder, die nach der Beruhigung der Anfangsschwierigkeiten in den ersten 
vier bis acht Lebenswochen wenig oder fast gar nicht schreien, bei denen 
kein Wutanfall in der Frühzeit auftritt, die ersten Äußerungen der Wut 
nicht vor dem Ende des ersten Lebensjahres auftreten und die den Eindruck 
einer glücklichen Kindheit mit starker positivlibidinöser Zuwendung zu den 
Pfiegepersonen machen. Gewiß, wir schreiben dem Kinde aggressive Impulse 
unter allen Umständen zu und wir haben auch Grund, es zu tun;"' aber es 
scheint vielleicht nicht angemessen, dies als bloßen Unterschied der Inteii* 
sität beiseite zu lassen; es gibt einen Punkt, wo die Quantität in Qualität um== 
schlägt. Daß niemand, auch der Reichste nicht, alle materiellen Wünsche be^ 
friedigen kann, mag gewiß richtig sein, hilft aber vielleicht nicht weiter, wenn 
es sich um die soziale Frage, um den Unterschied zwischen reich und arm 
handelt. Jedenfalls aber muß eine Theorie, welche einen blühenden Reich* 
tum oral=»sadistischer Impulse und Phantasien in der ersten Lebenszeit bei 
allen Kindern annimmt, sich mit der Tatsache auseinandersetzen, daß die im 
behaviour sich manifestierenden Äußerungen des oralen Sadismus bei den 
Kindern kaum geringere Unterschiede aufweisen'"^, als es Unterschiede mate;« 

7b) Die bloße Existenz aggressiver Regungen genügt für die Klein sehe Theorie offen* 
bar nicht. Melanie Kl ein sagt darüber: „Das Bild des kleinen, etwa sechs bis neun Monate 
alten Kindes, das mit allen Mitteln des Sadismus, mit Zähnen, Nägeln, Exkrementen und 
seinem ganzen in der Phantasie zu gefährlichen Waffen verwandelten Körper die Zer^^ 
Störung der Mutter anstrebt, scheint nicht nur abschreckend, sondern auch unglaublich. 
Es ist — wie ich aus Erfahrung weiß — schwer sich zu der Erkenntnis zu entschheßen, 
daß dieses abschreckende Bild der Wahrheit entspricht. Die Fülle und reichhaltige Graui» 
samkeit der mit diesen Begierden einhergehenden Phantasien, wie wir sie in Frühanalysen 
mit voller Deutlichkeit und Eindringlichkeit dargestellt sehen, ist überwältigend." (L. c, 
S. .140.) . 

7"^) Es scheint uns, daß im ersten Lebensjahr — von allfälligen konstitutionellen Disposi* 
tionen abgesehen — schwerere Aggressionen des Kindes nur dann auftreten, wenn ge* 
wisse außenweltliche Verhältnisse bestehen, z. B. ein strenges Ernährungsregime -- es gehört 
nicht viel dazu, daß ein Etnährungsregime strenge sei —, Unruhe in der Umgehung,: Aggres* 
sionen der Erziehungspersonen, schmerzhafte körperliche Erkrankung, Fehlen; einer unambi* 



I 



520 Robert Wälder 



rieller Wohlfahrt zwischen verschiedenen Individuen in unserer Kultur gibt. 

Ich sehe im gegenwärtigen Augenblick nicht, daß eine befriedigende Er^* 
klärung dieses Phänomens vom Standpunkt einer Theorie, die die Ubiquität 
eines blühenden oralen Sadismus im ersten Lebensjahr lehrt, bereits vor* 
liegen würde. Da wir wissen, daß, wie ja auch gerade von den zitierten 
Autoren nachdrücklich hervorgehoben wird, die oral*sadistischen Reaktionen 
des Kindes Reaktionen auf orale Versagungen sind — und darüber hinaus, 
wie kaum erwähnt zu werden braucht, auf Ruhe und Unruhe in der Um«« 
gebung, Aggressivität der Erziehungspersonen und dergl. mehr — und da 
sonach das Ernährungsregime je nach seiner Strenge oder Laxheit einen be«= 
trächtlichen Einfluß auf die Entfaltung der kindlichen Aggression hat, liegt 
es nahe, zu fragen, ob nicht alle Kinder, die in den vorliegenden Unter* 
suchungen studiert wurden, eine Art der Erziehung erfahren hatten — Er* 
Ziehungsgewohnheiten variieren ja nach Nation, sozialer Schicht etc. — , etwa 
ob nicht ein bestimmtes, von der neueren, nur um das körperliche Wohl der 
Säuglinge bemühten Kinderheilkunde angewendetes oder empfohlenes 
strenges Ernährungsregime verfolgt wurde. Aber man sträubt sich gegen den 
Gedanken, eine letzten Endes zufällige Auslese des Materials könne die Ent* 
Wicklung einer umfassenden Theorie mit beeinflußt haben, und wird diese 
Möglichkeit verwerfen. Doch bleibt der Eindruck übrig, daß eine solche von 
der Realität selbst vorgenommene Materialauslese dazu beigetragen haben 
könnte, den Intensitätsunterschied zwischen Maxima und Minima der Säug* 
lingsaggression nicht ganz in Erscheinung treten zu lassen. 

Wenden wir uns nun den beiden anderen Wegen zu, um etwas über die 
Erlebnisse der frühesten Kindheit zu erfahren. Hier ist zunächst die Erinne* 
rung zu besprechen. Erinnerungen, die in der Analyse nach Aufhebung der 
Amnesien auftreten, sind eine Quelle unseres Wissens von den frühen Vor* 
gangen. Wir gebrauchen dabei das Wort Erinnerung im strikten Sinne der 
Wiederkehr eines Stücks Vergangenheit als Wissen, daß es sich einmal abge* 
spielt hat und daß man es einmal erlebt hat. Andere Weisen der Wieder* 
kehr einer fortlebenden Vergangenheit, die gewiß auch zur mnemischen 
Funktion gehören, scheinen uns besser mit einem anderen Namen be* 
zeichnet. Nun besteht hier eine ernsthafte Schwierigkeit, wenn es sich um 
diese früheste Lebensperiode, um die Zeit vor der Sprachfähigkeit, handelt. 
Man hat den Eindruck, daß die frühesten Erinnerungen, die die Menschen 
aufbewahren oder die in der Analyse wieder auftreten, bis ins zweite Lebens* 
jähr zurückreichen; mir ist zumindest kein Fall einer sichergestellten 
bewußten Erinnerung an Vorgänge des ersten Lebensjahres bekannt ge* 

valent liebenden Mutter, frühe Reinüchkeitserziehung, und dergleichen mehr. Wo diese 
außenweltlichen schädigenden Einflüsse fehlen, scheinen uns auch frühe Aggressionen prak^« 
tisch weitgehend vermeidbar zu sein, jedenfalls so weitgehend, daß sie nicht die Schwelle 
pathogener Wirksamkeit überschreiten. 



'- ■ 

Zur Frage der Genese der psychischen K onflikte im frühen Kindesalter 521 

worden, wohl aber Beispiele für vorgebliche Erinnerungen, die als Phantasie* 
Produkte späterer Zeiten erwiesen werden konnten. Man wird sich gewiß 
hüten, einen negativen Satz zu voreilig als Gesetz anzusprechen, und bleibt 
des Einwandes gewärtig, was bisher nicht nachgewiesen wurde, könne noch 
nachgewiesen werden; die Schwierigkeit der Erinnerungen werde stets größer, 
ihre Zahl spärlicher, um ein je früheres Alter es sich handelt, aber grundJ 
sätzlich gebe es keine Grenze für die Erinnerungsfähigkeit. 

Man wird also zögern, für einen bisherigen Mangel an Material eine grund* 
sätzliche Unmöglichkeit einzusetzen. Doch darf an dieser Stelle eine theore* 
tische Überlegung zu Worte kommen. 

Es gibt einen guten Grund für die Erwartung, daß bewußte Erinnerungen, 
so wie wir sie oben definiert haben, an die erste Lebensperiode gar nicht mög* 
lieh seien. Wer sich an einen Vorfall erinnert und von ihm weiß, daß er sich 
in der Vergangenheit abgespielt hat, intendiert diesen Vorfall als Gegenstand 
seines Erlebens, und es liegt nahe, zu vermuten, daß auch nur solche Erleb;* 
nisse Objekt eines späteren eigentlichen Erinnerns bilden können, die schon, 
als sie vorfielen, mit einem Stück Distanz, intentional, erlebt wurden. Man 
muß schon im Momente des Erlebens ein Stück weit fern von ihm gestanden 
sein, es vergegenständlicht haben, um es späterhin in der bewußten Et'mne» 
rung wieder zum Gegenstand des Erinnerns machen zu können. Alles, was 
nicht in dieser Weise erlebt wurde, bleibt gewiß als Engramm der Seele er* 
halten, lebt fort und wirkt fort, aber in einer primitiveren Wirksamkeit der 
mnemischen Funktion, die eben nicht Erinnerung ist. Es bewahrt sich seine 
determinierende Kraft für das spätere Leben und mag in seinem Affektgehalt 
oder in Bildern reproduziert, aber eben nicht erinnert werden. Wir treffen 
hier, scheint es, auf die alte, der Analyse geläufige Unterscheidung von 
Agieren und Erinnern.^ 

Diese vergegenständlichende Form des Erlebens ist aber scheinbar nicht 
von allem Anfang da; sie ist erst das Produkt einer Entwicklung. Man hat 
wahrscheinlich recht, zu vermuten, daß das Kind mit dem Ende des ersten 
oder Beginn des zweiten Lebensjahres diese Stufe erreiche. Wir werden, 
später darauf zurückkommen, wenn wir das Problem der Über*Ich*Bildung 
erörtern werden, und mögen uns für den Augenblick damit bescheiden, daß 
die Anfänge der Sprachfähigkeit — korrekter ausgedrückt: der Darstellungs* 
funktion der Sprache — ein Indikator dafür wären, wann jene Stufe des Er* 
lebens erreicht ist, die auch die Voraussetzung des späteren Erinnerns bildet. 
All das, was früher erlebt wird, behielte seine fortwirkende Kraft, würde 

8) Das ist in, wie mir scheint, glücklicher Weise von Max S c h e I e r, zweifellos unter 
Einfluß der Psychoanalyse, formuliert worden („Die Stellung des Menschen im Kosmos". 
Darmstadt 1927), wenn er Tradition und Erinnerung unterscheidet und von jener sagt, daß 
in ihr die Vergangenheit in die Gegenwart hinein fortlebe, von dieser aber, daß das Er* 
lebnis in die Vergangenheit, in die es gehört, durch die Erinnerung gleichsam zurückge»- 
werfen werde. j , 



aber nur nicht den Gegenstand möglicher bewußter Erinnerung bilden. Ein* 
drücke dieser ersten Zeit bleiben vielleicht gerade darum in besonders hohem 
Maße wirksam, vml ja die Erinnerung ihnen nichts von ihrer Kraft nehmen 
kann, sie nicht als unaktuell erfassen und in die Vergangenheit zurückwerfen 
kann; es scheint, daß man JoanRi viere voll zustimmen muß, wenn sie 
sagt, daß der Umstand, daß der Säugling seine Gefühle nicht in einer für uns 
verständlichen Art ausdrücken kann, „vielleicht sogar eine der Hauptur». 
Sachen sein mag, warum er diesen frühesten Erlebnissen gegenüber so beson=» 
ders empfindlich ist und warum diese so besonders bedeutungsvolle Nach* 
Wirkungen haben". Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß diese theo* 
retischen Überlegungen ein weiterer Hinweis dafür sind, daß der bisherige 
Mangel sichergestellter Erinnerungen aus dem ersten Lebensjahre kein zu* 
fälliger sei, sondern ein notwendiger, wohl begründet in der Ichentwicklung 
des Kindes. Aber dann dürften wir nicht hoffen, durch Erinnerungen ein 
Material zur Erhärtung von Theorien über Vorgänge im ersten Lebensjahre 

zu gewinnen. . 

Man mag sagen, dies seien theoretische Vermutungen, die ihrerseits nicht 
sichergestellt und darum kaum brauchbar sind, um eine unübersteigbär© 
untere Grenze für die eigentliche Erinnerung überzeugend zu machen. Aber 
diese Überlegungen stehen nicht nur an und für sich da; es gibt manches 
andere, was uns geläufig ist und was sie stützt. Wir nehmen gewiß nicht an, 
daß die Fähigkeit, ein wenig außerhalb des Erlebens, das vor sich geht, zu 
stehen, sich in einer Objektrelation zu ihm zu befinden, die wir als Vor* 
aussetzung künftigen Vergegenständlichens im Erinnern betrachten, mit 
einem Schlage bei der Erreichung der Sprachfähigkeit auftritt und von da ab 
endgültig fertig da ist; sie macht gewiß eine lange Entwicklung durch, ebenso 
wie die Sprache selbst. Wenn also, vvie wir vermuten, ganz zu Anfang des; 
Lebens in dem noch völligen Fehlen der Fähigkeit zur Vergegenständlichung 
eine grundsätzliche Schranke für das spätere Erinnern besteht, so müssen wir 
in einer späteren Lebensperiode in der noch geringen Ausbildung dieser 
Fähigkeit eine quantitative, wenn auch nicht grundsätzliche Schwierigkeit 
für späteres Erinnern wiederfinden. Damit betreten wir aber wieder vertrau.* 
teren Boden. Freud hat von der präödipalen Phase gesagt, daß alle Erleb* 
nisse dieser Vergangenheit „altersgrau und schattenhaft" erscheinen,^^ und 
andere Analytiker haben daran die Vermutung angeschlossen, daß die^ Er* 
innerung des Menschen nur schwer, nur gelegentlich vor die: Ödipusperiode 
zurückgreife. Tatsächhch gehört die große Mehrzahl der Kindheitsermne* 
rungen der Periode der Kastrations* und Ödipuskonflikte an. Für dieses 
Phänomen gäbe es nun in Analogie zu dem oben Ausgeführten eine einfache 
Erklärung. F r e u d hat bei der Entwicklung vom Mufterrecht zum Vaterrecht 
darauf hingewiesen, daß sich hier ein geistiger Fortsc hritt bekunde; an, die 
9) Freud, l^Iber die weibliche Sexualität, Ges. Sehr., Bd. XII, S. 122. 



Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Kindesaller 523 



Stelle des Zeugnisses der Sinne trete das Vertrauen auf Schlußfolgerung und 
Gedänkentätigkeit.^" Der Fortschritt ging also parallel zu einem Stück Ich:» 
entwicklung, zu einem Fortschritt in der Lösung von der vitalen Gebundene^ 
heit an die Triebbedürfnisse des Augenblicks und die Wahrnehmungssitua=« 
tion. Dasselbe mag vom Entwicklungsschritt von der präödipalen Muttern 
bindung zum Vaterrecht des Ödipuskomplexes gelten. Die Spärlichkeit der 
Erinnerungen aus präödipaler Vorzeit wäre damit ähnlich aus einer geringen 
Entwicklung des Ichs zu jener Zeit zu erklären, wie das völlige Ausbleiben 
der Erinnerungen aus dem ersten Lebensjahr aus der völligen Abwesenheit 
der fraglichen Ichfunktion. 

So scheint uns manches dafür zu sprechen, daß bewußtes Erinnern aus der 
ersten Lebensperiode grundsätzlich nicht zugänglich ist und daß jene sparst 
liehen Beispiele, die man als solche Erinnerungen ansprechen möchte, doch 
einer späteren Lebenszeit angehören, aus später Gehörtem stammen. 

Man mag an dieser Stelle einwenden, daß man nicht so viel entbehre, wenn 
man über eigentliches Erinnern nicht verfügt; Erinnerungen seien keine reine 
Quelle, v/ir kennen die zahlreichen Fälle der Erinnerungstäuschung. Das ist 
gewiß richtig, niemand wird jede Erinnerung für sichergestelltes Material 
nehmen und gerade der Analytiker ist ja ständig damit befaßt, in den Erinne* 
rungen des Menschen die Verarbeitungen und Entstellungen aufzuweisen. 
Aber dieser Fehler des Materials zeugt nicht für seine Wertlosigkeit, so 
wenig wie Fälschungen, die sich an Ausgrabungsstätten finden mögen, für 
die "Wertlosigkeit der Archäologie zeugen. Auch die Wahrnehmung unterliegt 
Täuschungen und doch vermag die Wissenschaft auf sie nicht zu verzichten. 
Man ist versucht, auch hier den anekdotischen Ausspruch des Mannes über 
das Weib zu zitieren, den Freud über die ärztliche Vorbildung für die 
Psychoanalyse heranzieht: „Die Frau ist aber doch das beste, was wir In 
der Art haben"." 

Ein anderer Einwand würde lauten: Auch wenn wir keine Erinnerungen 
aus dem ersten Lebensjahr haben, so haben wir doch andere mnemische 
Produkte, eben das Fortwirken und Fortleben dieser Erlebnisse und ihre 
Reproduktion, so etwa das Wiederauftauchen von Bildern oder von Affekten 
in der Übertragungssituation der Analyse. Das ist nicht zu bezweifeln, aber 
es gehört schon zum nächsten Punkt: Zur Rekonstruktion aus analytischen 
Daten. 

' .Dazu können nur Allgemeinheiten gesagt werden, die allgemeiner Über^* 
einstimmung sichfer sind. Niemand bezweifelt, daß bei der Rekonstruktion 
äußerste Vorsicht geboten erscheint, und das umso mehr, je größer das Miß* 
Verhältnis zwischen Umfang und Details der rekonstruierten Vorgänge und 
den sichergestellten Daten ist. Es sei hier nur auf ein Beispiel aus der ana# 

'Jo) Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose. Ges. Sehr., Bd. VIII, S. 338. 
ii) Nachwort zur „Frage der Laienanalyse"» Ges. Sehr., Bd. XI, S. 392. 



524 



Robert Wälder 



lyrischen Literatur verwiesen: welche Fülle von Überlegungen Freud in 
seiner „Geschichte einer infantilen Neurose" der Frage gewidmet hat, ob 
das von ihm rekonstruierte Erlebnis der Koitusbeobachtung im zweiten 
Lebensjahr tatsächlich real sei, obwohl doch gerade dieses Erlebnis im ganzen 
sehr plausibel ist und sicher die weitaus überwiegende Zahl aller Menschen^« 
kinder in sehr früher Zeit zufolge der Enge der Raumverhältnisse oder aus 
Sorglosigkeit der Eltern zu Zeugen eines solchen Vorgangs geworden sind. 
Und wir wissen, trotz allem kam Freud auch hier nicht zu einem defini* 
tiven Ergebnis und läßt zum Schlüsse auch die Möglichkeit offen, daß das 
reale Erlebnis nicht der elterliche Koitus gewesen sei, sondern der Verkehr 
von Tieren, den zu beobachten das am Lande aufgewachsene Kind Gelegen^« 
heit in Hülle und Fülle gehabt hatte. 

Man wird sich so dem Eindruck kaum verschließen können, daß jede Art 
von Versuchen, Erlebnisse des ersten Jahres zu erfassen, gesteigerten 
Schwierigkeiten begegnet und daß Theorien über ein abundantes Phantasie»« 
leben dieser Periode schwieriger zu belegen sind als Aussagen über ein spä* 
teres Lebensalter. Man könnte auch hier wieder sagen, um dieser Schwierigs» 
keit willen sei es unberechtigt, von den Forschern, die sich mit dieser Lebens* 
Periode befaßt haben, die gleiche Bündigkeit der Beweise zu fordern, die die 
Psychoanalyse für ihre Ergebnisse in späteren Lebensperioden zur Verfügung 
stellen kann. Aber man überzeugt sich leicht, daß dies kein Argument wäre, 
denn, um wieder mit einem Worte Freuds zu sprechen: „Die Unwissen** 
heit ist die Unwissenheit; kein Recht etwas zu glauben, leitet sich aus ihr ab."^^ 

Man kann natürlich trachten, nach Ersatz für fehlendes Material zu suchen 
und etwa, von der Überlegung ausgehend, daß die Vorgänge in sehr frühem 
Alter den biologischen Prozessen noch sehr nahestehen dürften, sie in der 
Biologie zu finden trachten." Aber das ist bisher noch nicht geschehen. 

Nichts von all dem Vorgebrachten stellt natürlich ein Argument gegen die 
Richtigkeit der Lehren Melanie Klein s oder anderer Forscher über die 
erste Lebensperiode dar. Wohl aber scheint uns daraus hervorzugehen, daß 
sie nicht in gleicher Weise als bewiesen gelten können wie andere Bestandteile 
der Psychoanalyse. 



IL Kriterien der Deutung."^ 

Beim Studium der zitierten Schriften begegnen wir häufig einer Wendung, 
die man auch in der übrigen analytischen Literatur ständig findet: dies oder 

12) Die Zukunft einer Illusion. Ges. Sehr., Bd. XI, S. 441. 

13) Unter Biologie meinen wir hier natürlich nicht nur die physiologische und ver< 
wandte Forschung, sondern jene neuere umfassende Biologie, die Erforschung der Lebens« 
Vorgänge überhaupt sein will. 

13a) Die Ausführungen dieses Abschnittes berühren sich mehrfach mit Darlegungen 
bei H. Hart mann, Grundlagen der Psychoanalyse, Leipzig 1927. 



Zur Frage der Genese der psychischen Konflikt e im frühen Kindesalter 525 

jenes, heißt es, habe sich in der Analyse herausgestellt, die Analyse habe 
ein bestimmtes Resultat ergeben und dergl. mehr. Eine solche Wendung ist 
geeignet, weitere Diskussion zu verschließen. Wer etwa dem Autor an dieser 
Stelle nicht zu folgen vermag, muß sich dagegen verwahren, daß er nicht 
etwa die Mitteilungen in Zweifel ziehe, sondern nur die Schlußfolgerungen 
nicht für gesichert ansehe; und er bleibt dem Verdacht ausgesetzt, daß per;» 
sönliche Schwierigkeiten ihm versagt hätten, die Ergebnisse ebenso einleuch;= 
tend zu finden wie der Autor. 

Es ist dies, wie erwähnt, selbstverständlich nicht ein Merkmal der zitierten 
Schriften, sondern es gilt für die psychoanalytische Literatur überhaupt. Es 
ist nicht möglich, jedesmal das aus einer ungeheueren Zahl von Details be* 
stehende analytische Material anzuführen, das die Schlußfolgerung sicher== 
stellt. Aber es ist offenbar auch nicht erforderlich; denn, abgesehen von jenen 
wenigen Schriften, welche sich an einen nicht^analytischen Leserkreis wenden, 
sind die analytischen Arbeiten für Analytiker geschrieben und man vertraut 
darauf, daß jeder analytische Leser das nicht ausdrücklich Beschriebene und 
Mitgeteilte aus seinem eigenen Erfahrungsschatz ergänzen kann. 

Hier aber haben wir offenbar einen Fall vor uns, in dem die Ausführungen 
mancher analytischer Forscher nicht allen auf diesem Gebiet Arbeitenden in 
gleicher Weise sichergestellt erscheinen, und darum erhebt sich manchmal 
der Wunsch, sich nicht mit der schlichten Mitteilung, dies oder jenes habe die 
Analyse ergeben, zu begnügen, sondern genau zu erfahren, welches in allen 
Details die beobachteten Tatsachen waren, welches die aus ihnen gezogenen 
Schlußfolgerungen, und warum gerade diese und nicht andere Schlußfolge;* 
rungen gezogen wurden. Ich glaube nicht, daß man sich an dieser Stelle mit 
einer Analogie begnügen dürfte, die sich von selbst darbietet: der Analogie 
zwischen dem zurückhaltenden Zögern mancher Analytiker gegenüber ein* 
zelnen analytischen Theorien und dem Zweifel der nicht;*analytischen Welt 
an den Produkten der Analyse überhaupt. Insbesondere die Wendung von 
der Erörterung der sachhchen Frage zur Frage der möglichen psychischen 
Motive des Skeptikers scheint nicht fruchtbar zu sein; Psychologie ist ja 
ein Stock mit zwei Enden und so hat auch Freud betont, daß die „agonale 
Verwendung der Analyse offenbar nicht zur Entscheidung führe"." Die 
Psychologie ist offenbar stets doppelt zu verwenden. Auch ist der allge^ 
meine Widerstand gegen die analytischen Ergebnisse, der uns allen als affek=» 
tiye Grundlage der Ablehnung der Analyse in der Außenwelt geläufig ist, 
nicht als Argument für die Richtigkeit analytischer Funde verwendet wor* 
den; es war vielmehr so, daß, nachdem die Richtigkeit dieser Funde sieben* 
gestellt zu sein schien, Freud sich die Frage vorlegte, wie es denn zu er*= 
klären sei, daß diese Ergebnisse nicht längst Allgemeingut waren und nach 
ih rer Auffindung auf Ablehnung trafen. Wollte m an konsequent jeden 

14) Freud: Über die weibliche Sexualität. Ges. Sehr., Bd. XII, S. 126. " 



1 



526 



Robert Wälder 



Zweifel an dem Ergebnis eines Analytikers diskreditieren, müßte man dazu 
kommen, zu sagen, daß jede Deutung eines Analytikers richtig sein müsse: 
eine kaum annehmbare Schlußfolgerung. 

Mit einem Worte, die Frage nach den Kriterien der Deutung, die auch an 
und für sich unseres Interesses in hohem Maße würdig erscheint, wird durch 
das Vorhandensein von Deutungen, die nicht allen Analytikern auf Grund 
ihres Erfahrungsmaterials zwingend erscheinen, aktuell. Insolange zwischen 
allen analytisch Arbeitenden eine praktische Übereinstimmung bestand, 
mochte ihre Erörterung vertagt werden; wenn sich aber umfangreiche Unter.* 
schiede ergeben, scheint sie auf die Tagesordnung des psychoanalytischen 
Interesses gestellt. 

Wir wollen auch hier die Frage nach den Kriterien der Deutung nicht in 
ihrem vollen Gehalt erörtern; es würde dies den Rahmen dieses Beitrages 
ungebührlich überschreiten. Wir bleiben weiter an den Gegenstand gebun»= 
den, der durch gewisse kontroverse Theorien vorgezeichnet ist, und dürfen 
daher unbesprochen lassen, was unter Analytikern selbst nicht in Frage steht. 

Fragen wir uns zunächst, welches unsere Kriterien in jenen Gebieten der 
Psychoanalyse sind, in denen Kontroversen nicht bestehen. 

Es ist dabei gut, zwischen zwei Arten von Deutungen zu unterscheiden: 
solchen, welche das gegenwärtige Leben des Analysierten, unbewußte Vore= 
gänge, die hie et nunc in ihm wirksam sind, betreffen, und solchen, die die 
Vergangenheit nachkonstruieren. Die Kriterien der Deutung sind offenbar 
in beiden Fällen nicht ganz die nämlichen. 

Bei der Deutung gegenwärtiger unbewußter Vorgänge, gleichviel, ob sie 
der Triebsphäre oder der Sphäre der Ich* Verarbeitungen angehören, er* 
warten wir eine unmittelbare Bestätigung. Die unbewußten Vorgänge wers» 
den manchmal sofort, manchmal erst etwas später bewußt; der Patient be* 
stätigt, daß sie tatsächlich in ihm vorgehen, bezw. vorgegangen sind. In 
der Regel folgen auf solche Deutungen Einfälle, welche das Wirken dieser 
unbewußten Vorgänge auf anderen Gebieten als dem, auf Grund dessen 
gerade die Deutung erfolgte, zeigen. In anderen Fällen, in denen das nicht 
geschieht, kann die Deutung dennoch richtig gewesen sein; aber wenn sie 
es war, gelingt es stets, die anders geartete Reaktion des Patienten selbst zu 
verstehen, zu deuten: die Widerstandsdeutung; für diese gilt dann wieder das 
oben Gesagte, der Widerstand wird dem Patienten bewußt. Nach der Durch* 
arbeitung der Widerstandsdeutung ist dann der Weg für das Bewußtwerden 
der anderen Deutungen, bezw. für deren Ergänzung durch neues Einfalls* 
material frei." 

Schwieriger ist die Lage bei Deutungen, die die Vergangenheit betreffen. 

15) Von. dem technischen Problem des Deutens, sowie von gewissen schwer patho^ 
logischen FäUen, bei denen die Dinge nicht ganz nach diesem Schema verlaufen, darf für 
die Zwecke dieser Untersuchung abgesehen werden. 



Zur Frage der Genese der ps ychischen Konflikte im frühen Ivindesaller 527 

Hier nehmen die auftauchenden Erinnerungen des Patienten oft die Stelle 
ein, die bei Deutung gegenwärtigen Erlebens der bewußten Bejahung des 
Patienten zukommt. Und manche dazugehörigen Erinnerungen sind das Ana== 
logon für die Einfälle, die im ersten Falle die Wirksamkeit der gedeuteten 
Triebregungen oder Ich^Verhaltungsweisen bei anderen Gelegenheiten auf* 
weisen. Aber diese Bestätigungen sind nicht immer in gleicher Weise bündig. 
Auf jeden Fall bleiben auch Erinnerungen dem Einwand der Erinnerungs=» 
täuschung, der Bestätigung aus Gefälligkeit und dergl. mehr ausgesetzt.« 

An dieser Stelle setzen nun verschiedene Bestätigungsmöglichkeiten ein. 
In einigen Fällen gibt es die Möglichkeit, von dritter Seite, etwa von Ange^ 
hörigen des Patienten, eine Bestätigung für äußere Vorgänge, die durch die 
Deutung erschlossen wurden, zu erhalten. Man macht aus technischen Grün* 
den in der Regel keinen Gebrauch von dieser Möglichkeit, aber das ändert 
nichts an der Tatsache, daß auf diesem Wege Bestätigungen gefunden wer* 
den können und in vielen Fällen gefunden worden sind. In wieder anderen 
Fällen ergeben sich aus dem Erinnerungsschatz des Patienten selbst Be* 
stätigungen für äußere Vorgänge, die nur aus der Deutung erschlossen 
v/urden. 

Aber die entscheidende Bestätigung für die Resultate, die die psychoana* 
lyrische Deutung fördert, wird außerhalb der Analyse geleistet: durch un* 
mittelbare Kinderbeobachtung. Freilich ist es nicht möglich, damit die Deu* 
tung in einem Einzelfall sicherzustellen, denn man kann den Analysanden 
nicht in die Zeit seiner Kindheit zurückversetzen und nunmehr beobachten, 
was er tatsächlich getan hat. Aber gewisse grundsätzliche Dinge können 
durch die unmittelbare Beobachtung an Kindern verifiziert werden. So war 
es etwa mit dem Ödipuskonflikt und dem Kastrationskomplex. Sie sind ur* 
sprünglich aus den Analysen erwachsener Personen als Vorgänge in ihrer 
kindlichen Vergangenheit gedeutet worden, aber die entscheidende Verifi* 
kation liegt doch in der Tatsache, daß sich alle diese Vorgänge in der un* 
mittelbaren Beobachtung sicherstellen lassen. Die Ergebnisse der Beobach* 
tung sind in diesem Falle von aulkrordentlicher Präzision. Es genügt, Kinder 
in ihren verbalen Äußerungen nicht einzuschüchtern, damit alle diese Ten* 

16) Man könnte meinen, daß es auch hiefür ein Analogen bei der Deutung gegenwärtiger 
Vorgänge gibt: das Bekenntnis des Patienten, gewisse Regungen zu verspüren, könne auch 
eine Tauschung sein, aus GsfäUigkeit vorgebracht worden sein und dergl. mehr, also etwa 
Produkt des suggestiven Einflusses des Analytikers sein. Man müßte sich mit diesem Ein*» 
wand ausführhch beschäftigen, wenn es gälte, die Kriterien der Deutung für Nicht^^Ana^»' 
lytiker darzustellen. Für die Zwecke dieser Arbeit mag es außeracht bleiben, denn wir 
wissen, daß die Suggestion keinen Spielraum in der Analyse hat und daß es von besonderer 
Ungeschickhchkeit eines Analytikers zeugen müßte, Gefälligkeitseinfälle nicht zu verstehen 
und ihre Motive nicht selbst in die Analyse hineinzuziehen. — Offenbar schätzen wir die 
Taxischungsmöglichkeiten bei Bestätigungen des Analysanden für Deutungen der Ver= 
gangenheit höher ein als bei Bestätigungen für die Deutung gegenwärtig wirksamen Ge=< 
schehens. , . , 



528 Robert Wälder 



denzen und Ängste in völlig unzweideutiger Weise zur Beobachtung ge* 
langen. Man geht wohl nicht fehl, wenn man sagt, der Nachweis für diese' 
kindlichen Vorgänge wäre durch einen Tonfilm zu erbringen." 

Nun ist das gewiß an sich noch keine Bestätigung für die Deutung der 
individuellen Variationen in einem Einzelfall. Wohl aber ist durch diese 
außeranalytische Bestätigung geleistet, daß man eine Reihe von Vorgängen 
als gesetzmäßig und nie fehlend kennt; daß man von den individuellen Varia* 
tionen weiß, daß sie vorkommen, und daß man darüber hinaus wieder durch 
unmittelbare Beobachtung den Nachweis führen kann, daß diese indivi^ 
duellen Variationen später zu den gleichen Produkten führen, wie die, die 
wir später in der Analyse jener Fälle kennenlernen, bei denen diese individu=s 
eilen Variationen der Infantilgeschichte sich als Deutung ergeben. So wird 
man z. B. in der Analyse bestimmter weiblicher neurotischer Symptome 
und Charakterzüge zu der Deutung einer Verarbeitung des Kastration,s^ 
komplexes geführt, so z. B. wenn sich eine Art der Objektbeziehung als ak# 
tive Kastrationstendenz erweist, die als Ergebnis des Penisneides entstanden 
ist; der Nachweis in der unmittelbaren Kinderbeobachtung besteht dann 
darin, daß man feststellen kann, daß kleine Mädchen, welche die Tatsache des 
Geschlechtsunterschiedes in solcher Weise verarbeiten, dann zu einer solchen 
Objektbeziehung gelangen. 

Somit sind wir auf die behaviouristische Beobachtung als letzte Verifiä= 
kation der analytischen Deutung gekommen. Man sieht, es ist kein kleiner 
Verlust, v/enn wir auf die Bestätigung durch unmittelbare Beobachtung ver=> 
ziehten müßten. 

All dies kann noch durch eine umfassendere Betrachtungsweise weiter 
geklärt werden. Man findet im Schrifttum nicht selten den Hinweis, eine 
Theorie müsse richtig sein, weil in ihr eins zum andern stimme, eins das 
andere trage."^' Fragen wir uns, ob dieses Zusammenpassen aller Bestandteile 

17I Eine Stelle in der Arbeit von Joan Ri viere (1. c, S. 488 f) mag nicht unwidere- 
sprochen bleiben. Es heißt dort: „Ausschließlich auf Grund außeranalytischer Beobachtung 
ließe sich der wichtigste Teil des Ödipuskomplexes, nämlich die Intensität der aufs Phy«= 
sische gerichteten sexuellen und aggressiven Triebregungen und Phantasien den Eltern 
gegenüber, kaum als bewiesen, noch auch überhaupt ihre Existenz als gesichert ansehen." 
Wir meinen, daß sich dieser Beweis mit der gleichen Bündigkeit führen läßt, mit der 
Fremdseelisches überhaupt bewiesen werden kann. Wenn man den massiven Charakter 
der Belege für solche psychoanalytische Ergebnisse verkennt und dazu neigt zu glauben, 
daß sie nur durch Plausibilitätserwägungen und Evidenzerlebnisse des Analytikers gerecht* 
fertigt sind, so kommt man leicht dazu, zu meinen, daß diese Stützen dann überhaupt für 
analytische Behauptungen genügen müßten; wer mehr an Beweis verlangt, scheint dann eine 
Forderung aufzustellen, der die Psychoanalyse auch sonst nicht genüge und nicht genügen 
müsse. Man unterschätzt so die große Spannung, die zwischen den stärkeren Beweisen he^ 
steht, die die psychoanalytische Lehre sowohl braucht als auch findet, und der viel schwan* 
kenderen Begründung für die Hypothesen über Vorgänge des ersten Lebensjahres. 

17a) Man könnte hier darauf hinweisen, daß sich auch Freud eines ähnlichen Ge=< 
dankens zur Rechtfertigung der Deutungstechnik des Traumes bediene. Er sagt in der 
„Traumdeutung" (Ges. Sehr., Bd. II, S. 448 f): „Wenn uns solche Einwände wirklich 



Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frü hen Kindesalter 529 

wirklich ein Kriterium für die Richtigkeit des ganzen Systems bildet. 

Sicher ist vor allem, daß das Fehlen eines solchen inneren Zusammenhangs 
emmcht Zusammenstimmen der einzelnen Teüe ernsthaft gegen eine Theorie 
spricht; sie ist dann entweder zur Gänze nicht richtig, oder es sind doch 
Teile revisionsbedürftig. Das Zusammenstimmen ist sonach sicher eine not* 
wendige Bedingung für die Richtigkeit einer Theorie; aber es fragt sich, ob 
es auch eine hinreichende ist. Die Frage so stellen heißt sie verneinen. Auch 
ganz falsche Theorien scheinen oft alles zu erklären; um ein extremes Bei== 
'spiel zu geben: auch der Paranoiker findet nicht selten, daß jedes Detail 
seines täglichen Eriebens seine Meinungen bestätige, und beruft sich darauf 
daß sie offenbar allein der Schlüssel zur Erklärung von all dem seien, was 
ihm mderfährt. Deutungen können sich also gegenseitig nicht stützen sie 
müssen zumindest an einer Stelle extra.sy s tematisch gestützt lein, 
auf etwas, was nicht Deutung ist. 
Das ist recht unbe friedigend formuliert, weil es dem Sachverhalt nicht 

vorgerückt werden, so können wir uns zur Abwehr auf den Eindruck unserer Traumdeutung 
gen berufen, auf die überraschenden Verbindungen mit anderen Traumeiementen. die sich 
wahrend der Verfolgung der einzelnen Vorstellungen ergeben, und auf die Unwahrschein. 
hchkeit daß etwas, was den Traum so erschöpfend deckt und aufklärt wie eine unserer 
Traumdeutungen anders gewonnen werden könne, als indem man vorher hergestellten 
ps^xhischen Verbindungen nachfährt . . ." Aber die „überraschenden Verbindungen mit 
anderen Traumelementen werden von Freud hier noch nicht als Beweis, sondern zur 
Illustrierung des -Eindrucks unserer Traumdeutungen angeführt und es wird darauf 
hingewiesen daß dabei oft bei der Verfolgung eines Traumelements für den Analytiker 
lIchTeirr« % '™"I''V''^'^"" Traumekmente sich ergeben. Die „Unwahrschein, 

hchkeit daß etwas, was den Traum so erschöpfend deckt und aufklärt wie eine unserer 
Iraumdeutungen anders gewonnen werden könne, als indem man vorher hergestellten 
psychischen Verbindungen nachfährt." besagt etwa, daß es nicht wahrscheinlich ist, daß 
eme Erklärung die eine große Anzahl von Phänomenen in einem umfaßt, auf Zufall 
beruhe. Bleuler hat dann in seiner Schrift „Die Psychoanalyse Freuds, Verteidigung 
und kritische Bemerkungen versucht, diese Wahrscheinlichkeit zu schätzen. Aber bei 
i^reud sind dies keineswegs die eigentlichen Belege zur Rechtfertigung der Deutungs* 
X r. ; !J xf ff ^'*' Argument, das Fr e u d an der zitierten Stelle heranzieht - die 
Identität „des Verfahrens bei der Traumdeutung mit dem bei der Auflösung der hyste. 
rischen Symptome, wo die Richtigkeit des Verfahrens durch das Auftauchen und Schwin. 
den der Symptome zu ihrer Stelle gewährleistet wird", wird von Freud noch nicht ak 
voller Beweis angeführt. Diesen sucht und findet Freud erst in dem Eingehen auf die 
Problematik der freien Einfälle. Zudem gibt es für die psychoanalvtische 
iraumdeutung noch eme ganze Anzahl anderer Kriterien, wie zum Beispiel das häufige 
Wiederauftauchen vergessener Traumstücke nach der Deutung eines Traumstückes, die 
Aufdeckung verschütteter Kindheitserlebnisse im Anschluß an eine Traumdeutung, die 
Bestätigung des aus der Traumdeutung gewonnenen Eindrucks über den jetzigen Zustand 
des Patienten durch seine direkte Zustimmung, die Möglichkeit, aus der Traumdeutung 
gegenwartige körperliche oder psychische Vorgänge richtig zu diagnostizieren, - z. B. eine 
der Träumerin noch nicht bekannte Schwangerschaft oder ein dem Analytiker noch nicht 
mitgeteiltes Symptom, z. B. Platzangst - oder künftige Ereignisse zu prognostizieren - 
z.- ß. aus einem Traum, der das Auftauchen negativer Übertragung verkündet, eine 
nerannahende Tendenz, die Analyse zu verlassen, die erst in einer Weile manifest werden 
wird. Vergleiche zu diesem Punkt auch die Ausführungen von H. H a r t m a n n, „Grund* 
lagen der Psychoanalyse", Leipzig 1927. 

Int. Zcitsclir. f. Psychoanalyse, XXII/4 34 



Rechnung trägt, daß auch das, worauf sich ein System von Deutungen stutzen 
kann und was selbst nicht Deutung ist, doch gleichfalls Deutungselemente 
in sich enthält. (So wie etwa unsere unmittelbare Kinderbeobachtung — wie 
jede andere Kinderbeobachtung - selbstverständlich auch Deutungen m sich 
enthält.) Aber es gibt Deutungen, welche sich vom intersubjektiv Verifiziere 
baren weiter, und solche, welche sich weniger weit entfernen. Man konnte 
eine Stufenordnung der Deutungen aufsteUen und dann sagen, daß alle Deu=< 
tungen der Stufe n gestützt sein müssen auf wenigstens eine Deutung der 
Stufe n — 1, so daß letzten Endes der Beweis im intersubjektiv Verifiziere 
baren zu finden ist. Eine solche Stufentheorie wäre wahrscheinlich korrekt; 
für unseren Zweck reicht es aus, uns damit zu begnügen, daß das Zusammen^ 
stimmen aller Deutungen allein eine Theorie nicht trägt, sondern wemgstens 
an einer Stelle extraesystematisch auf Tatsachen gestützt sein muß. 

Die Bestätigung der iti der Analyse von Erwachsenen deutend erschlose 
senen infantilen Vorgänge durch unmittelbare Kinderbeobachtung scheint 
uns eine Anwendung dieses Gesichtspunktes zu sein. 

Es ist kaum nötig, zu erwähnen, daß auch ein anderes Kriterium, das Kritee 
rium ex iuvantibus, nicht herangezogen werden sollte. Tatsächlich scheint es 
mir das hohe Niveau aller psychoanalytischen Diskussionen zu beweisen, 
daß auf dieses Argument durchgängig verzichtet wird. Man kann oft durch 
verschiedene Mittel heüen. FragUch ist überhaupt, was Heilung ist. Dte Anae 
lytiker haben sich längst an dieser Stelle am weitesten von der klinischen 
Psychiatrie und den anderen Psychotherapeuten entfernt, die von Heilung 
sprechen, wenn einige Symptome, die sie kannten, fortgefaUen sind; in der 
Regel kennen aber die Psychotherapeuten nicht alle Symptome des Pae 
tienten, können sie auch nicht kennenlernen, und sie verfolgen den Kaufe 
preis nicht, der für die Entfernung eines Symptoms bezahlt wurde. Die- 
gleichen Probleme der Heüung treten, wenn auch in ungeheuer verfeinerter 
Weise, auch in der Analyse wieder auf. Es ist also nur gut, daß wir uns auf 
dieses Argument nicht berufen. 

Vielleicht sei uns zum Abschluß dieses Abschnittes noch ein allgemeiner Aus= 
blick auf die Verifikationsverfahren der Analyse gestattet. 

Die grundlegende Schwierigkeit besteht darin, daß das menschliche Indivi* 
duum dem Experiment nicht zugänglich ist. Experiment ist die willkürliche Varia, 
tion einer Bedingung bei Konstanthaltung aller übrigen und setzt daher voraus, 
daß es nur eine endliche Anzahl von Bedingungen gibt und daß diese willkure 
lieh variierbar sind und willkürlich konstant gehalten werden können, gilt also 
im strengen Sinn nur für die Sphäre des Beherrschbaren, für die Objekte der 
unbelebten Natur. Das Leben entzieht sich dem Experiment im strengen Sinn; 
es ist ein geschichtlicher Prozeß. Variiert man eine Bedingung bei zwei verschie>= 
denen Individuen in verschiedener Weise, so liegt doch kein Experiment im 
strengen Sinn vor, da das zweite Individuum nicht als Blindversuch für das erste 
gelten kann, — sind doch, diese beiden Individuen nicht in allen übrigen Be* 
dingungen identisch; man hat daher nicht ohne weiteres das Recht, die Ver* 



Zur Frage der Genese der psychischen Ko nflikte im frühen Kindesalter 531 

schiedenheit des Versuchsergebnisses bei beiden dieser einen variierten Bedin* 
gung zuzuschreiben. Variiert man aber eine Bedingung bei demselben Individuum 
nacheinander in zwei Experimenten, so lassen sich auch daraus im allgemeinen 
keine überzeugenden Schlußfolgerungen ziehen; denn wenn der zweite Versuch 
vorgenommen wird, befindet sich das Individuum nicht mehr in demselben Zu* 
stand wie bei der Vornahme des ersten Versuches, sondern hat diesen eben be* 
reits erlebt. Will man etwa wissen, wie ein Kind auf zärtliche oder strenge Er»' 
Ziehung reagiert, und nimmt die beiden Versuche nacheinander vor, versucht 
es etwa zuerst mit der Strenge, später mit der Zärtlichkeit, so ist das Kind, das 
die Strenge erfahren hat, nicht mehr dasselbe, das es vordem war, und es steht 
nicht fest, wie es auf die Gewährung reagiert hätte, wenn ihr keine Versagung 
vorausgegangen wäre. Die Bedingungen des Experiments sind sonach auch auf 
diese Weise nicht herstellbar. 

Freilich: die oben angegebenen Bedingungen des (idealen) Experiments gelten 
in voller Strenge nicht einmal für das naturwissenschaftliche Experiment. Auch 
in der Physik gibt es in Wirklichkeit nicht nur eine endliche Anzahl von ;Be^ 
Stimmungsstücken, von denen alle bis auf eines konstant gehalten werden, son« 
dern eine unendliche Anzahl, und ein Teil von diesen ist nicht beherrschbar. 
Ein etwa im Jahre 1900 unternommenes Experiment kann, ganz exakt genommen, 
im Jahre 1936 nicht reproduziert werden, da nicht alle damaligen Bedingungen, 
etwa die Lage der Milchstraße, wieder hergestellt werden können. Streng ge* 
nommen ist auch das physikalische Experiment ein geschichtlicher Akt in einem 
nicht reproduzierbaren Ablauf. Doch haben die Erfahrungen gezeigt, daß man 
von einer hinlänglichen Anzahl von Bedingungen abstrahieren darf. 

Doch kann man an der Möglichkeit von Verifikationen in der Psychologie, 
die denen des Experiments vergleichbar sind, nicht vorübergehen. Für sie spricht 
schon das Zeugnis einer experimentellen Biologie; auch das tierische Leben ist 
ein geschichtlicher Prozeß, wenngleich von geringerem Dimensionsreichtum als 
das menschliche, und ist doch dem Experiment zugänglich. 

Wenn so auch die Situation des physikalischen Experiments gegenüber dem 
menschlichen Individuum nicht voll herstellbar ist, so gibt es doch Experimente 
oder ihnen Vergleichbares unter folgenden Bedingungen: 

1. in personperipheren Schichten: Hier kann man tatsächlich Versuche bei zwei 
verschiedenen Individuen machen, die unter Variation einer Bedingung unter* 
sucht werden, oder dieses eine Bestimmungsstück bei ein und demselben Indivi* 
duum nacheinander variieren; das Individuum hat sich durch einen Versuch etwa 
auf dem Gebiete der Kontrastfarben in seinem künftigen Verhalten nicht ver* 
ändert. Hierauf beruht ein gut Teil der Schulpsychologie; für die Analyse, die 
es mit den zentralen Persönlichkeitsphänomenen zu tun hat, ist dieser Fall von 
geringem Interesse.^* 

2. Quasi=>Experimente, die mit einer großen Zahl von Versuchspersonen durch* 
geführt werden. Wir hatten oben bemerkt, warum es nicht überzeugend ist, wenn 
man bei einer Versuchsperson eine Bedingung variiert und sie bei einer anderen 
konstant hält; die Verschiedenheit der übrigen Eigenschaften der beiden Indi* 
viduen ist zu groß, als daß man mit Sicherheit die Verschiedenheit der Resultate 
der Verschiedenheit dieses einen Faktors zuschreiben könnte. Je größer die Zahl 
der Versuchspersonen ist, desto geringer wird diese Fehlerquelle. Bei einer hin* 

i8) Es sei im übrigen bemerkt, daß man personperiphere Verhaltungsweisen geradezu, 
definieren kann als solche, bei denen sich das Verhalten des Menschen bei einem zweiten 
Experiment durch das Stattfinden des ersten Experiments nicht ändert. 

34* 



1 



532 Robert Wälder 



länglich großen Zahl darf man von ihr abstrahieren; die große Zahl gestattet die 
Erwartung, daß diese verschiedenartigen Umstände auf beiden Seiten gleich ge* 
streut sind und sich daher aufheben. 

Hierher gehören auch Erfahrungen mit einer planvollen, auf Grund von Theo* 
rien unternommenen psychischen Beeinflussung von Menschen (z. B. Pädagogik). 

Diese Art von Quasi*Experimenten spielt in der Analyse schon eine große 
Rolle, wenn wir Schlußfolgerungen aus einer großen Zahl von Fällen ziehen. 
Es ist natürlich nicht notwendig, daß eine Bedingung willkürlich variiert 
wurde. Die Beobachtung eines großen Materials, in dem sie zufällig variiert 
ist, z. B. durch die Erziehung, leistet denselben Dienst. So gestatten wir es uns 
etwa, aus der Regelmäßigkeit schwerer Neurosen bei Männern, welche zwischen 
dem dritten und siebenten Lebensjahr einer Phimoseoperation unterzogen wur* 
den, im Vergleich zu dem wesentlichen geringeren Prozentsatz schwerer Neu* 
rosen bei anderen Männern, unsere Schlußfolgerungen zu ziehen. 

3. Experimente der Natur: In vielen Fällen hat die Natur selbst die Bedin* 
gungen des Experiments hergestellt. Vielleicht darf man sagen, daß jede Störung 
ein Experiment der Natur sei; darum vertritt die Erforschung des Pathologischen 
für die Psychoanalyse die experimentelle Forschung in den Naturwissenschaften. 

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für Experimente der Natur sind die 
eineiigen Zwillinge, da man bei ihnen Erbgleichheit als gegeben annehmen und 
ihre Verschiedenheiten auf Umweltfaktoren zurückführen kann. H. Hart* 
mann konnte z. B. zeigen, daß die Eigenschaften des Analcharakters bei ein* 
eiigen Zwillingen gemeinsam auftreten, etwa der eine geizig, der andere ver* 
schwenderisch ist, und derart die Einheit des Analcharakters nachweisen.^" 

4. Experimente an Fällen, in denen durch irgendwelche Umstände der Frei* 
heitsgrad des Lebewesens beschränkt ist (zum Beispiel in der Hypnose oder 
Experimente mit der posthypnotischen Suggestion). Hierher gehören z. B. die 
experimentellen Bestätigungen der Traumsymbolik durch Schrotte r, Rof* 
fen stein, Betlheim und Hartmann. Dies spielt auch in der Analyse eine 
Rolle, wenn wir etwa aus den gesetzmäßig auftretenden Übertragungserschei* 
nungen auf das, was übertragen wird, schließen. 

In dieser Art und Weise finden wir auch in der Analyse letzten Endes unsere 
Bestätigungen, wo sie nicht schon in der unmittelbaren Zustimmung des Analy* 
sierten und ausreichend durch sie sichergestellt sind. 

Es ist Zeit, zu unserem Gegenstand zurückzukehren. Wir haben einen 
weiten Bogen beschrieben und uns scheinbar sehr weit von ihm entfernt- 
Doch konvergieren alle Überlegungen auf einen Punkt: daß uns für Theorien 
über Vorgänge des ersten Lebensjahrs derzeit ausreichende Beweise meines 
Erachtens noch nicht zur Verfügung stehen. 

Alle Phantasien, die als Inhalt dieser frühen Lebensperiode beschrieben 
werden, sind in einem späteren Lebensalter, etwa bei Kindern des vierten 
Lebensjahres ausreichend sichergestellt. Ich zweifle nicht, daß es gelingen 
wird, sie ebenso auch im dritten Lebensjahr zu erhärten. Es scheint mir ein 
nicht geringes Verdienst der Arbeiten, mit denen wir uns beschäftigen, zu 
sein, auf diese Phantasien hingewiesen zu haben. Nicht ihre Existenz bleibt 
also zweifelhaft, nur ihre Zugehörigkeit zu einer so frühen Lebensperiode. 

19) Psychiatrische Zwillingstudden, Jahrb. f. Pychiatr. u. Neur., Bd. 50/51, 1935/34.. 



Z«r Frage der Genese der psychischen Koafükte im fr.ih.. Kir,A...U.. 



533 

Man wäre vielleicht versucht zu sagen, diese Phantasien könnten nicht erst 
im zweiten oder dritten Lebensjahr entstanden sein und müßten in frühere 
Perioden zurückreichen; offenbar wird sich eine solche Überlegung darS 
berufen, daß es sich um orale Phantasien handelt und wir gewohnt sind das 
erste Jahr als orale Phase zu beschreiben. Aber dieses Argument scS mi 
nicht bundig zu sem. Was zunächst die Zuweisung orir Phan S'n " 
oralen Phase betafft: Die Oralität findet nicht ihren Abschluß mTt d;^ 

IT Z f-u^^^ ^^''*^'°^ '^^' ^*^^^' «^^^* ^^ Ausschließlichkeit einer 
bestimmten Libidoposiüon wollte Freud behaupten, nur eine Organisation 
^ der Libido. Im übrigen war die Phaseneinteilung ein erster Ansatz; großartig 
: da er mit erstem Gn f sich der Erscheinungen bemächtigen konnte, abt 
eben doch em erster Ansatz und manches an dieser PhasenentwickluLg er. 
schemt noch dunke : eben gerade aus den früher erörterten Gründen der 
Dunkelheit jener .altersgrauen und schattenhaften" Perioden. Was aber die 
, Negung betraft, Phantasien, denen man begegnet, schon als aus früherer 
Zeit stammend zu beurteilen, etwa zu sagen, sie könnten nicht erst jetzt ent. 
[s anden sem. so scheint mir, daß dieses Argument nicht überzeugender ist 
als wenn man sagen wollte, Shakespeares Hamlet oder Lear misse "hon 
m seiner Kindheit m ihm vorhanden gewesen sein. Gewiß, die Ansätze dazu! 
Phantasien, die er spater verarbeiten konnte, eine Begabungsrichtung und 
vieks andere mehr gehören der frühen Kindheit des Dichters an; aber das 
ferüge Produkt ist doch erst in der Reifezeit entstanden. So mögen auch die 
Phantasien- des dritten Lebensjahres ihre Vorgeschichte in Vorgängen Z 
ersten Vergangenheit haben und aus ihrem Material unter Verarbeitung des 
H^tJr J.r'^ Ichentwicklung und äußere Erlebnisse später 

Hmzugekommenen gebildet werden. Aber ich sehe nichts, was dazu zwänge 
sie selbst schon dieser frühen Periode zuzuschreiben. 

IIL Die Über.Lch.Bil düng. 
Eine der kontroversen Fragen betrifft bekanntlich das sogenannte frühe 
Übersieh Es sei uns dies die Anregung, die Frage der Bildung und EntwTck! 
lung des über.Ichs zu beschreiben; solch ein Versuch mag von gewt^ 

MruniTkitl" '^"^ ''' ""'"^'^ ''' ""^ ""^^^^ ^^-^^^-^ 

dirZ^'r?- ^^f^"""^''^ ^ "Das Ich und das Es" von der Büdung 
des überJchs beim Untergang des Ödipuskomplexes. Als seine Grundlage 

ZtZl^T^TTr "'' ''" ^'*"" ''^^^^"^^"' d- -h ungleich dt 
dS Idttif- ' " umT".^"^ ^'^" ^^"^ "''"^^^ I^h entgegenstellen. 

^ntbehren.TeL?Ä?Z*A^^^^^^^^^ 



534 Robert Wälder 



nehmen in ihrer Beziehung zum Ich einerseits die libidinösen und aggressiven 
Tendenzen des Objekts, andererseits die eigenen, sich gegen das Ich zurück* 
wendenden Tendenzen. All dies ist wohlbekannt; bekannt auch, wie es von 
Freud erklärt wird, daß der Ödipuskomplex gerade zu diesem Ausgang 
führt. Hier schließt sich auch leicht der Unterschied des männlichen und 
weiblichen Über!»Ichs an. Der Untergang des Ödipuskomplexes ist beim 
Knaben jäher, plötzlicher als beim Mädchen, bei dem er eher langsam abzu;» 
klingen scheint; wird er doch beim weiblichen Geschlecht nur durch Ver«= 
sagung und Angst vor Liebesverlust, beim Knaben zudem durch die Kastra<< 
tionsangst zerstört. Der Mann wird viel später gleichsam seine Revanche 
am anderen Geschlecht nehmen; das Ende der zweiten Sexualphase, der Reife«» 
zeit, wird für das weibliche Geschlecht ein jäher und für den Mann ein 
gleitender Prozeß, ein Absinken sein. Aus diesen Unterschieden im Untere» 
gang des Ödipuskomplexes und der Über;äIch=Bildung versucht man be«» 
kanntlich dann die Unterschiede des Über!=Ichs bei beiden Geschlechtern 
zu erklären: das Übers^Ich bewahre beim Mann die Spuren seiner Herkunft 
von der Kastrationsangst, beim "Weibe die der Angst vor Liebesverlust. So 
sei das Übersslch des Mannes minder abhängig von der Meinung der Welt 
und das des Weibes stehe der sozialen Angst näher. Der Ausspruch, den 
Martin Luther getan haben soll: „Hier stehe ich, ich Tcann nicht anders!", 
das Übertflchs^Gebot, das ihn in offenen Gegensatz zu den Mächten der 
Gemeinschaft treten läßt, sei charakteristisch für das Übersieh des Mannes , 
und beim Weibe nicht leicht vorstellbar."]'' 

Diese Lehre von der Übers=Ich*Bildung im fünften Lebensjahr hat nun 
manchen Widerspruch erfahren. Das Über=»Ich, heißt es, sei in Wahrheit 
viel älter, schon in sehr frühen Zeiten aufgerichtet. JEs sei ähnlich irrig, das 
Übers^Ich beim Vierjährigen, wie etwa die Sexualität erst in der Pubertät ent* 
stehen zu lassen. 

Nun, die oben wiedergegebene Lehre von der Über*Ich;äBildung war nicht 
so gemeint, daß nichts, was den Übersslchs; Vorgängen vergleichbar ist, schon 
früher beim Kind auftauche. Gemeint ist vielmehr, daß in diesem Alter 
eine Instanz gebildet wird, die ein in sich zusammenhängendes Gesetzbuch 
enthält, die Welt einteilt in gut und böse und daß das Verhalten des Kindes 
nachher ein entscheidend anderes ist als zuvor. Der Unterschied zwischen 
dem kindlichen Verhalten im vierten und dem im sechsten Lebensjahre ist 
vor allem in der Erziehung deutlich. Anna Freud hat diesen Wandel mit 
folgenden Worten beschrieben :2'' 

19b) Damit soll nicht gesagt werden, daß dergleichen bei Frauen nie vorkomme, nur, 
daß es vergleichsweise selten ist und daß Frauen mit solchem Übersieh auf uns leicht 
einen männlichen Eindruck machen. 

20) Anna Freud: Die Erziehung des Kleinkindes vom psychoanalytischen Stand* 
punkt. Ztschr. f. psa. Päd., Bd. VIII, 1934, S. 24 f. 



Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Kindesalter 535 



- „Mit dieser Phase wird das Leben der Erzieher leichter. Wenn sie bisher 
einen Kampf mit einem Wesen geführt haben, das ihnen ganz gegensätzlich 
gegenübergestanden hat, das immer das nicht wollte, was sie wollten, so haben 
sie jetzt im Lager des Feindes — sagen wir es ruhig — einen Verbündeten. Der 
Erzieher des größeren Kindes kann sich vertrauensvoll immer an dieses Übersieh 
wenden und sagen: wir beide halten zusammen gegen das Kind. Und das Kind 
sieht sich nun zwei Mächten gegenüber, dem umgewandelten Teil seiner eigenen 
Person und dem noch immer vorhandenen Liebesobjekt in der Außenwelt. Es 
wird auf eine bis dahin ungekannte Art gefügig". 

So wird dieser Wandel, der sich mit dem Ausgang der ersten Sexualperiode 
im Kinde abspielt, dem Pädagogen geläufig sein. Es ist gewiß kein Zufall, 
daß die Kulturvölker den Beginn der Schulerziehung etwa um das sechste 
Lebensjahr ansetzen; es ist dies nicht nur durch die geistige Entwicklung des 
Kindes, sondern auch durch den von Freu d als Über*Ich;»Bildung bezeich:* 
netea Sachverhalt bedingt, da das Kind nunmehr in der Lage ist, den Begriff 
der Pflicht zu erfassen. Kaum anders dürfte es zu verstehen sein, daß dasi 
Kind des Mittelalters um diese Zeit aus der alleinigen Fürsorge der Frau 
genommen wird und in den Interessenkreis des Vaters rückt. 

So gehen um diese Zeit zweifellos umstürzende Vorgänge auf dem Gebiet 
vor sich, das wir zum Über;=Ich zählen. Aber das soll nicht heißen und 
sollte nie heißen, daß es nicht auch schon früher, bis hinab ins zweite Lebens*^ 
jähr, über=*ich*ähnliche Phänomene, etwa Schuldgefühle, gegeben hätte. 
Auch d>s ist ein Gemeingut der psychoanalytischen Literatur, wird schon 
in ihr behandelt, seit durch Freuds „Das Ich und das Es" das Interesse 
auf die Problematik des Über^^Ichs gelenkt wurde. Freilich sprach man ge* 
wohnlich von „Vorstufen" des Über^chs^^. Sehen wir im Augenblick von 
der Frage ab, ob diese Erscheinungen zweckmäßig als Vorstufen bezeichnet 
werden. Wir glauben jedenfalls, daß es Phänomene des Schuldgefühls oder 
der Reue schon in viel früherem Alter gibt. Es ist freilich noch recht schwer, 
beim Zweijährigen zwischen der Angst vor dem Objekt in der Außenwelt 
und dem Schuldgefühl zu unterscheiden. Nur zu oft gewinnt man den Ein* 
druck, daß diese Schuldgefühle nur auftreten, wenn das in der Außenwelt 
gefürchtete Objekt um das Vergehen weiß oder — auf Grund der vom Kind 
den Erwachsenen zugemuteten Allwissenheit — vermeintlich weiß, und daß 
sie sonach eines Merkmals des Über=»Ichs, seiner Wirksamkeit unabhängig 
von der Anwesenheit des in der Außenwelt gefürchteten Objekts, entbehren. 
Doch, trotz aUem: auch wenn alles vorsichtig berücksichtigt wird, was zur 
Angst gehört,"'' verbleibt ein Rest, der einer inneren Stimme zugehört. 

21) Vgl zum Beispiel O. Fen i ch e I: Die Identifizierung. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XII, 

2ia) Bei dieser Gelegenheit sei auch auf eine andere Schwierigkeit verwiesen. In den 
zitierten Arbeiten wird oft vom introjizierten Objekt gesprochen und der Beweis dafür, 
daß es sich nicht uni ein reales Objekt, sondern um ein liitrojekt handle, darin gesucht, dal5 
dieses „introjizierte Objekt" nicht die Züge des realen trägt, sondern phantastisch 



536 



Robert wader 



Es scheint, daß wir zwei Quellen für diese Phänomene kennen: die eine 
ist die Identifizierung mit den Erziehungspersonen, die andere kommt aus 
den Schicksalen des Ambivalenzkonfliktes und aus den Schranken, die die 
Aggression in der Außenwelt findet. Im ersten Falle handelt es sich um eine 
Identifizierung mit den Erwachsenen, ganz ähnlich wie später beim Unters» 
gang des Ödipuskomplexes; ihre Gebote und Verbote werden vom Kinde 
übernommen, man kann von ihrer Introjektion sprechen. Der Sachverhalt 
ist kaum fraglich; im zweiten Lebensjahr, eher seinem Ende zu, kann man 
beobachten, daß Kinder mit einer tieferen Stimme sprechen, die nicht die 
ihre ist, wenn sie die Gebote des Erwachsenen aussprechen. Melanie Klein 
hat ein ähnliches eindrucksvolles Beispiel beschrieben. 

Bei der Entstehung von Gewissensphänomenen aus dem Ambivalenzkon* 
flikt und den Schranken der Aggression in der Außenwelt haben wir zwei 
Fälle zu unterscheiden: die libidinose und die aggressive Wurzel dieser Phä* 
nomene. Einmal ist es die Aggression, die durch ein Hindernis in der Außen* 
weit oder durch die eigenen Liebestendenzen daran gehindert wird, sich in 
Tat umzusetzen, und die gegen das Kind zurückschlägt; hierher gehört die 
häufige Beobachtung, daß ein Kind, gehindert ein anderes Kind zu schlagen, 
sich selbst schlägt. Diese Rückwendung der Aggression mag auch zu einem 
dem Strafbedürfnis vergleichbaren Verhalten führen. 

Wenn aber eine aggressive Triebregung in der Tat ausgeführt worden ist 
und das Objekt durch sie beschädigt wurde, so regen sich zufolge der Ambi« 
valenz der Objektbeziehungen die Tendenzen der Wiedergutmachung. Die 
Aggression ist durch die Tat befriedigt, gesättigt und sinkt in ihrer Intensität 
ab, die Liebe kann wieder zu Worte kommen und wünscht, das geschädigte 
Objekt wiederherzustellen. Dies hat Freud als die Entstehung der Reue 
beschrieben.^" Von allen frühen Phänomenen der besprochenen Art ist dieses, 

ist. Man möchte vorschlagen, daß zwischen zwei Dingen unterschieden werde: zwischen 
einer inneren Instanz und der Vorstellun,g von einem äußeren Ob* 
j e k t. Eine solche Vorstellung mag sich mit der Realität des Objekts nicht decken, das 
Objekt mag phantastisch entstellt sein durch Zutaten, die aus dem Innern des Individuums 
stammen. Aber es ist doch noch etwas anderes als ein introjiziertes Objekt. Es ist etwas aw 
deres, ob in einem Patienten eine innere Stimme eine Handlungsweise verwirft oder ob es sich 
um die Angst vor einer äußeren Person handelt — wie immer irreal diese Person auch sein 
mag, wie wenig auch die Züge, mit denen sie vorgestellt wird, sich mit der Realität des 
Objektes decken mögen. Es gibt verschiedene Kriterien, um diesen Unterschied zu er* 
härten. Hier sei nur auf eines verwiesen: die Entwicklung der Neurose ist scheinbar eine 
andere, wenn es sich um echtes Schuldgefühl oder um Angst vor dem vorgestellten 
Rächer handelt; die Lösungsversuche gegenüber dem Druck einer inneren Instanz und 
der Angst vor dem phantasierten Objekt sind nicht die nämlichen. Im zweiten Falle 
werden oft Abwehrformen mobilisiert, die die Beschwichtigung oder Täuschung oder 
Überlistung des imaginären Gegners versuchen; diese Lösungsversuche sind nicht in 
gleicher Weise praktikabel, wenn es sich um eine wirkliche innere Instanz handelt. 

22) Freud: Das Unbehagen in der Kultur, Ges. Sehr., Bd. XII. Auf libidinose 
Komponenten im Schuldgefühl hat übrigens H. N u n b c r g schon in setner Arbeit „Sdiuld* 
gefiihi und Sfeafbedürfnis", Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XII, 1926, hingewiesen. 



Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Kindesalter 



537 



[ die Reue, wahrscheinlich das älteste. 

' Alle diese Regungen werden nun in der psychoanalytischen Literatur ge. 
wohnlich als Vorstufen des Über. Ichs beschrieben. Sie sind dem 
eigentlichen Über.Ich sehr ähnlich. Ihr Auftreten ist schon im zweiten Lebens. 
Jahr zu verfolgen. Warum nennt man sie Vorstufen? Fenichel -sagt 
darüber: - ° 

„Alle diese Vorstufen sind dadurch gekennzeichnet, daß sie lose und unab. 
hangig vonemander bestehen - etwa so wie die Partialtriebe vor ihrer Zu. 
sammenfassung zu einer einheitlichen Sexualorganisation. Die wesentlichen Cha. 
raktere des über. Ichs: seine Einheitlichkeit, seine Strenge, sein Gegensatz zum 
Ich, seine Unbewußdieit und Machtstärke, die ihm als Erben des ödipuskom. 
plexes zukommen, fehlen in ihnen".2s *^ 

Es scheint mir, daß auch heute noch die meisten Analytiker diese Vor. 
stufen und ihren Unterschied zum späteren eigentiicben Übersieh ähnlich 
beurteilen würden. Man mag an diesem und jenem Punkte fragen, ob Fe. 
nichels Beschreibung nicht etwas zu scharf ist, wie etwa, wenn er ihnen 
den Gegensatz zum Ich oder die Unbewußtheit durchgängig abspricht, aber 
im ganzen bleibt der Eindruck bestehen, daß es sich um relativ isblierte Er. 
scheinungen handle, um einzelne verinnerlichte Gebote und Verbote die 
noch nicht zu einem einheitlichen Gesetzbuch zusammengewachsen sind, um 
einzelne Akte der Reue und des Strafbedürfnisses, dk relativ unverbindlich 
bleiben. 

Fragen der Nomenklatur sollten keinen Gegenstand von Meinungsver. 
schiedenheiten bilden, sondern durch das Übereinkommen einer Definition 
aus dem Wege geräumt werden. Ich glaube, daß nichts dagegen spricht, auch 
diese Vorstufen als „Über.Ich" zu bezeichnen, wenn man so will. Aber um 
den Tatsachen gerecht zu bleiben, müßte man dann das, was etwa im fünften 
Lebensjahr geschieht, als den entscheidend wichtigen Schritt in der Entwick. 
Jung des Uber.Ichs ansprechen, vielleicht als Integration des Über.Ichs An 
der Sache selbst würde damit wenig geändert sein. 

Gehen wir nun noch einen Schritt weiter zurück und fragen, ob man schon 
zu einem früheren Zeitpunkt etwas zu finden vermag, was man in den Be. 
gaff Uber.Ich einbeziehen könnte. Wie mir scheint, gibt es etwas von dieser 
Art zu Ende des ersten oder zu Beginn des zweiten Lebensjahrs. Ich meine 
jenen Schntt m der Entwicklung, durch den das Kind dahin kommt, die 
eigene Person zu vergegenständlichen, - eben jene Entwicklung, die wir 
schon zuvor bei der Frage einer etwaigen prinzipiellen unteren Grenze für 
das Erinnern erwähnten. Es handelt sich dabei um die Loslösung von der 
durch die vitalen Triebbedürfnisse und die Wahrnehmungsumwelt charak. 
terisierten biologischen Situation und um die Fähigkeit, einen anderen, fik. 
ttven Standort emzunehmen. Damit eröffnet sich de r EntwicUung ein Reich 
23) O. Fenichel, I. c. ~ ~ ' 



538 



Robert Wälder 



ungeahnter Möglichkeiten, Sprache und Kultur. Viele Untersuchungen in 
der Tierpsychologie haben es nahegelegt, gerade darin den Unterschied zwi# 
sehen Mensch und Tier zu suchen. Die neue Erwerbung verrät sich viel* 
fältig, z. B. in der Fähigkeit, eine fiktive Situation zu verstehen. Manche Hirn* 
Pathologen meinen, daß bei den asymbolischen Störungen gerade diese Funks 
tion gestört werde und teilweise wieder verlorengehe. 

Es gäbe gute Gründe, diese Funktion dem Übersieh zuzuweisen. Die Ver* 
gegenständlichung der eigenen Person, die Abstraktion von ihr, und von 
ihren augenblicklichen vitalen Bedürfnissen beruht ja wohl auf einer Stufen* 
bildung im Ich, die das allgemeinste Charakteristikum des Über*Ichs bildet. 
Wir fühlen uns an dieser Stelle daran erinnert, daß Freud das Übersieh 
erstmalig in „Zur Einführung des Narzißmus" an Hand der Phänomene 
des Beobachtungswahns eingeführt hat und auch in seiner neuesten Dar* 
Stellung in der „Neuen Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psy* 
choanaiyse" das Problem an Hand der Frage aufrollt: Wie kann das Ich 
sich selbst zum Gegenstand nehmen? Ferner ist es sicher, daß alle Phäno* 
mene des Über*Ichs die Wirksamkeit dieser Funktion voraussetzen; ob man 
sich nun bestraft oder tröstet, jedenfalls muß eine Stufenbildung im Ich 
vorliegen, ein imaginärer Standort, von dem aus man der übrigen Person 
entgegentritt. Aus diesen Gründen hatte ich versucht, in dieser Funktion das 
Charakteristikum des Über*Ichs zu suchen und damit die Grenze zwischen 
Tier und Mensch in vertrauter psychoanalytischer Terminologie mit dem Auf* 
treten der Über*Ich*Funktion zusammenfallen zu lassen, und für die Funk* 
tion selbst den Terminus „formale Über*Ich*Funktion" gebraucht. ^^ Aber 
das ist eine Einteilung und eine Terminologie, die ich persönlich verant* 
Worten muß, und ich bin nicht sicher, wieviele Analytiker sie teilen würden. 
Will jemand diesen Schritt in der Ich*Entwicklung anders benennen, den 
Terminus „Über*Ich" für ein viel konkreteres Gebilde vorbehalten wissen, 
ist nichts dagegen einzuwenden. Ebenso aber bleibt, wie mir scheint, die 
Berechtigung bestehen, den Begriff des Über*Ichs so zu erweitern, daß er 
auch diese Funktion mit umfasse. In diesem Falle wäre das Auftreten der 
ersten Keime dieser Entwicklung, die ja erst allmählich zu ihrer vollen Entj* 
faltung kommt, nach den uns exakt bekannten Daten der geistigen Entwick* 
lung an das Ende des ersten oder den Begijnn des zweiten Lebensjahres: 
anzusetzen. 

Was aber könnte gemeint sein, wenn man in einem noch früheren Zeit* 
punkt, in den ersten Lebensmonaten, von einem Über*Ich spricht? Wir haben 
keinen Anhaltspunkt für das Auftreten dieser Funktion der Selbstvergegen* 
ständlichung, ohne die es jedenfalls Über*Ich*Phänomene nicht gibt, in 



24) In den Arbeiten „Das Prinzip der mehrfachen Funktion", Int. Ztschr. f. Psa., 
Bd. XVI, 1930, S. 299 f, und „Das Freiheitsproblem in der Psychoanalyse und das Problem 
der Realitätsprüfung", Imago, Bd. XX, 1934. 



Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Kindesalter 539 

diesem frühen Zeitpunkt. Alles, v/as wir von der geistigen Entwicklung 
wissen, scheint dagegen zu sprechen. 

Von manchen Autoren wird auf autosadistische Tendenzen oder Aggres* 
sionen, die gegen das eigene Ich wüten, hingewiesen; sie seien durch Introi* 
jektion eines Objekts, das durch die Projektion eigener aggressiven Impulse 
böse geworden ist, entstanden und werden gelegentlich als frühes Übersieh 
bezeichnet. Von dieser Entstehungsgeschichte von Aggressionen gegen sich 
selbst mag man hier absehen, wie auch von der Frage, ob ihnen die Mächtig* 
keit zukommt, die einige Autoren ihnen zuzuschreiben geneigt sind. Wir 
wollen getrost annehmen, daß solche Aggressionen gegen sich selbst exis» 
stieren, und uns fragen, ob sie schon als Übers^Ich bezeichnet werden dürfen. 

Nicht jede Aggression gegen sich selbst ist eine Aggression des Über^Ichs, 
so wenig wie jede Liebe zum eigenen Ich Liebe des Über#Ichs ist. Freud hat 
den Humor dahin beschrieben, daß in ihm das Übersieh das eigene Ich liebe* 
voll trostreich behandelt, und wir haben die Anwendungen dieser seiner 
Einsicht kennengelernt: das Werben des Ichs um die Liebe des Über^Ichs 
und die liebevolle Verzärtelung durch das Über^Ich.^'^ Aber nicht jede Eigen* 
liebe gehört hierher, sonst wäre der Narzißmus ein Phänomen des Über*Ichs 
und man müßte von jeder narzißtischen Regung sagen, sie sei Humor — was 
gewiß nicht empfehlenswert ist, wieviel auch immer der Humor mit Nar* 
zißmus zu tun haben mag. Ahnlich verhält es sich mit der Selbstaggression. 
Nicht jede selbstzerstörerische Tendenz ist durch das Übersieh gegangen, 
nicht jede autosadistische Regung zeugt darum für sein Vorhandensein. Es 
hieße den Begriff des Über*Ichs weit über die Grenzen, die sich durch wissen* 
schaftliche Zweckmäßigkeit verteidigen lassen, erweitern, wollte man hier 
schon vom Über*Ich sprechen, wo nur Es*Regungen in Frage stehen. Dann 
müßte schließlich konsequenterweise der Todestrieb selbst als zum Über*Ich 
gehörig beschrieben werden. 

Anders verhält es sich freilich, wenn man mit Joan Ri viere sagt, daß 
die „archaischen Gefühle ein beständiges Element in dem Aufbau des Über* 
Ichs" seien.^'' Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden. Auch die auto* 
sadistischen Tendenzen einer frühen Lebensperiode mögen an der späteren 
Über*Ich*Bildung mitwirken und ihm etwas von ihrer Aggression verleihen, 
nicht anders, als der Narzißmus niitwirkt an den positiven Zuwendungen 
des späteren Über*Ichs zum Ich, etwa am Humor. Aber das ist Vorgeschichte. 

Wollten wir jetzt versuchen, den synthetischen Weg zu gehen und die 
Entwicklung des menschlichen Über*Ichs zu beschreiben, so könnten wir 
sechs Perioden unterscheiden. Die erste wäre eine Zeit der Latenz, in der 
nichts über*ich*artiges vorliegt, roh gesagt: das erste Lebensjahr. Das ändert 
nichts daran, daß die Triebschicksale auch dieser Zeit sich natürlich in der 

25) So insbesondere in Arbeiten von L. Je k eis. 

26) 1. c, S. 510. 



540 



Robert Wälder 



Späteren Über=«Ich=<Entwicklung auswirken. Die zweite Etappe wäre gekenn* 
zeichnet durch das Auftreten der formalen Über«iIchs=Funktion, die bis in 
die Erwachsenheit hinein eine lange Reifung durchmacht. Die dritte ist ge* 
geben mit dem Auftreten der sogenannten Vorstufen, der verschiedenen iso* 
Herten Verinnerlichungen äußerer Gebote und Verbote durch Identifizierung 
und der ersten Phänomene von Reue und Selbstbestrafungstendenz. Die 
nächste Phase wäre die der Übers^Ich^Bildung — oder, wenn man will, der 
Integration des Über^Ichs — beim Untergang des Ödipuskomplexes; in ihr 
werden diese Vorstufen zusammengefaßt, wie Fenichel sagt, wie die Pars= 
tialtriebe der Sexualität zu einer einheitlichen Sexualorganisation; es bildet 
sich ein starkes inneres Gesetzbuch, in dem die einzelnen Gebote und Ver* 
böte zusammenhängen, die Welt ist eingeteilt in gut und böse. Ein Stück 
im Seelenleben des Kindes ist von da ab der Bundesgenosse der päd<« 
agogischen Bemühungen, der Ansprüche der Außenwelt. 

Nun folgt eine lange Phase, in der das so gebildete Übersieh noch nicht 
fixiert ist und noch in Kommunikation mit den Objekten der Außenwelt 
steht, wie Anna Freud dies beschrieben hat.^' Es kann noch leicht ges= 
schehen, daß der Prozeß der Über^Ich^Bildung partiell rückgängig gemacht 
wird, sich in die Beziehung zu einem neuen Objekt zurückverwandelt und 
eine Verinnerlichung dieses neuen Objekts stattfindet. Man sagt, das Kind 
oder der Jugendliche sei in seinem. Charakter noch nicht gefestigt, man trägt 
Bedenken, ihn in schlechte Gesellschaft geraten zu lassen. Diese Periode der 
Beeinflußbarkeit des Übers^Ichs dauert lange an, wahrscheinlich bis an das 
Ende der Zwanzigerjahre, wenngleich die Beeinflußbarkeit freilich je früher 
desto größer ist. Dann erst tritt das Übersieh in seine letzte Phase und g€n> 
winnt jenes Maß von Fixierung, das das Individuum überhaupt erreicht. 
Freilich bleiben auch dann Beeinflussungsmöglichkeiten des Über^Ichs weiter 
bestehen, die nach ähnlichem Mechanismus vor sich gehen wie in der voran* 
gegangenen Periode: so beim liebenden Weibe, in der Hypnose, in der 
Massensituation. Über all dies hinaus hat die strenge Analyse noch ein 
Mittel zur Wandlung des Über*lchs durch die Analyse seiner individuellen 
Genese. 



IV. Phantasie und Realität. 

Ein anderes Problem, dessen Erörterung durch die Schriften, mit deren 
Studium wir uns hier befassen, zur Tagesordnung gestellt wird, ist das 
von Phantasie und Realität, oder, wie man auch sagen kann: von Realität 
und psychischer Realität. Im Prinzip besteht zweifellos unter allen Ana* 
lytikern Einigkeit darüber, daß man es mit einer Ergänzungsreihe zu tun 
hat; für das Zustandekommen eines bestimmten Phänomens sind um so mehr 



27) Zur Theorie der Kinderanalyse. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XlVi, 1928. 



Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Kindesalter 541 

Faktoren der einen Gruppe erforderlich, je weniger Faktoren der anderen 
Gruppe dafür zur Verfügung stehen. 

Man muß hier zwei Probleme unterscheiden, die sich nicht decken: die 
biologischen und sozialen Faktoren in der Psychoanalyse und das Problem 
von Konstitution und Umwelteinflüssen. In dem einen Fall handelt es sich 
darum, welche Phänomene biologisch vorgezeichnet sind und welche durch 
die sozialen Einflüsse provoziert werden, bezw. welchen relativen Anteil an 
jedem Phänomen Biologie und soziale Umwelt haben. Hierher gehört zum 
Beispiel die oft erörterte Frage, ob der psychische Krankheitsbegriff ein 
bio ogischer oder em sozialer sei, oder die Frage, ob der Ödipuskomplex ein 
biologisches oder soziales Phänomen sei, ob die Pubertät des Kulturmen^ 
sehen em artifizielles Produkt sei, und dergl. mehr. Das Problem von Koiv 
stitution und Umwelt hingegen betrifft alle Fragen, wieviel an Neurose, 
Char^akter oder sonstigen Eigenschaften der individueUen Konstitution, wie* 
viel der Umwelt zuzuschreiben ist. 

Das Problem von Phantasie und Realität, wie es durch die Arbeiten von 
Melanie Klein und anderen aufgeworfen wird, gehört offenbar zur ersten 
Problematik. Die Psychoanalyse hat in dieser Frage bisher keine detaillierte 
Theone aufgestellt; darin verrät sich die Zurückhaltung Freuds gegenüber 
Verallgemeinerungen und seine stete Zuwendung zu den konkreten Einzel* 
fragen. Offenbar sind zwei extreme Standpunkte denkbar. Der eine wäre ge* 
neigt, m den psychischen Produkten Niederschläge von Außenweltein* 
drücken zu finden ; man könnte ihn den s o z i o 1 o g i s t i s c h e n Standpunkt 
nennen. Seinen extremsten Niederschlag hat er in den Schriften des ehe* 
maligen Analytikers W. Reich gefunden, der sich dann schließlich an 
dieser Stelle — aber auch in einer Reihe anderer Fragen — völlig von 'der 
Psychoanalyse getrennt hat. Nach Reich ist die Neurose ein soziales Phä* 
nomen; sie hätte Chance, bei einer Änderung der sozialen Bedingungen, die 
ihm als möglich erscheint, wegzufallen. Weniger extrem finden wir einen 
soziologistischen Standpunkt auch im psychoanalytischen Schrifttum. So ver* 
teeten zum Beispiel manche Analytiker den Gedanken, daß Angst stets auf 
Bedrohung durch die Außenwelt zurückgehe, sonach jede Angst auf Real* 
angst zurückgehe. Ein ähnlicher, wenngleich gemilderter Standpunkt wird 
zum Beispiel von F e n i c h e 1 veiireten, wenn er, soweit im Sinne Freuds, 
das Trauma als das übermäßige Anwachsen von Bedürfnisspannungen be* 
schreibt, sodann aber scheinbar meint, daß diese traumatische Situation ent* 
weder durch eine von der Außenwelt aufgerichtete Schranke gegen die Be* 
tnedigung oder durch die Unzulänglichkeit der Befriedigungsapparate ent* 
steht; Fenichel kommt so folgerichtig zu dem Satz, daß bei Intaktheit 
des Befriedigungsapparates keine Angst vor der Triebintensität bestehen 
könne. Obgleich hier der Faktor physiologische Unreife, bezw. Hüflosigkeit 
gegenüber dem Triebe durch das Fehlen adäquater Exekutionsapparate ein* 



542 



Robert Wälder 



geführt ist, so darf man wohl auch diesen Standpunkt zum soziologistischen 
rechnen. Der Soziologismus spielt dann auch in die Diskussion um den 
Todestrieb hinein; hierher gehören die Gedanken jener Autoren, die die K%t 
gression ausschließlich als Reaktion auf äußere Versagung beschrieben. 

Der biologistische Standpunkt würde dann diese Ümweltfaktoren 
zurückstellen; die von der Außenwelt gebrachten Erlebnisse wären dann 
allenfalls das Material, an dem sich die inneren Kräfte betätigen. 

Wollte man nun die Schriften Melanie Klein s und andere hier be<^ 
sprochene Arbeiten einreihen, so müßte man sagen, daß in ihnen jedenfalls 
ein dem soziologistischen extrem entgegengesetzter Gesichtspunkt, also ein 
biologistischer vertreten wird. Doch ist diese Einteilung nicht ganz korrekt, 
denn man fühlt sich dann in der Erwartung getäuscht, daß die von Melanie 
Klein beschriebenen Fakten der psychischen Realität biologischer Natur 
seien, bezw. sich mit biologischen Gesetzmäßigkeiten decken. Man könnte 
sagen, es handle sich gleichsam um einen Biologismus ohne Biologie. 

So wenig die Psychoanalyse über das gegenseitige Verhältnis biologischer 
und sozialer Faktoren schon jetzt eine Theorie aufgestellt hat, die Anspruch 
auf Allgemeingültigkeit erhebt, so kann man doch sagen, daß sie im wesent* 
liehen eine mittlere Linie hält oder, wenn man will, eine dialektische Theorie 
ist. In der Geschichte der Psychoanalyse war es gewiß so, daß zu Anfang 
mehr außenweltliche Krankheitsanlässe studiert wurden (zum Beispiel in der 
Traumatheorie). Später kam F r e u d s Entdeckung hinzu, daß die Phantasien 
von Hysterischen nicht selten gar nicht der Wahrheit entsprechen, aber darum 
nicht weniger pathogen seien; sie gehörten der psychischen Realität an. 

Wir wollen nun versuchen, bei aller Zurückhaltung vor Verallgemeinerung, 
das, was uns der Standpunkt der Freud sehen Psychoanalyse in diese» 
Frage zu sein scheint, schematisch zu skizzieren. Es kann sich hiebei infolge 
der Ungeklärtheit vieler Punkte nur um einen Rahmen handeln, der noch 
Raum für viele Divergenzen in Einzelfragen läßt. 

Ich habe an anderer Stelle versucht, in einem Schema aufzuzeigen, auf 
welche Weisen es im Seelenleben Entwicklung oder überhaupt Veränderung 
gibt.^"^ Ich bin dabei von dem als Prinzip der mehrfachen Funktion bezeich^ 
neten Satze ausgegangen, daß jeder psychische Akt eine mehrfache Funk« 
tion hat, den Anforderungen der Außenwelt, des Trieblebens und des Über«» 
Ichs entsprechen muß, aber auch dem Willen des Ichs, sich diesen ichfremden 
Instanzen gegenüber expansiv durchzusetzen. Ist so jeder psychische Akt 
ein mehr oder weniger glücklicher Lösungsversuch mehrerer Aufgaben, — 
der Aufgaben, die Es, Über^^Ich und Realität^^ dem Ich stellen, und der Auf* 

28) Das Prinzip der mehrfachen Funktion. L. c, S. 297 f. 

29) Es ist dabei etwas ungenau, von Aufgaben, die die Realität stellt, zu sprechen, ohne 
hinzuzufügen, wie die Geschehnisse der Realität zu innern Aufgaben werden. Es geschieht 
dies durch alle auf die Objektwelt gerichteten Tendenzen der Person: durch die libidinösen 



^»■^ -^ 



Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Kindesalter 543 



gaben, die das Ich sich selbst stellt, — so ergeben sich folgende Mögliche* 
keiten der psychischen Veränderung: es können sich sowohl die Aufgaben 
als auch die Lösungsmethoden ändern. 

Zu den Änderungen der Aufgaben gehören: die Entwicklung des Jneh=> 
lebens, die Änderung der Außenwelt, die Entwicklung des Über^Ichs. Ferner 
macht auch das, was wir als expansives Bestreben des Ichs gegenüber den 
Nichfc'Ich^Gewalten bezeichnet haben, eine Entwicklung durch. Dazu kommt 
die Entwicklung der Lösungsmethoden; ihre Erforschung bildet einen der 
Gegenstände der Ichpsychologie. Dann gibt es noch einen Faktor, der eigent* 
lieh zur Veränderung in den Aufgaben gehört: wenn ein psychischer Akt als 
Lösungsversuch einer vielfältigen Aufgabesituation unternommen wird, so 
ändert ^ich gerade durch ihn die Situation. Wir tun etwas, aber gerade daa 
durch verändern wir die Außenwelt und es treten damit neue Aufgaben von 
der so veränderten Außenwelt an uns heran; nicht minder verändert sich die 
Triebsituation, wenn wir einen Trieb befriedigen oder ihm Befriedigung ver^* 
weigern usw. — Dieses Schema durfte vielfach annehmbar erscheinen, offene 
bar darum, weil es allgemein genug ist. 

Welches ist nun der Standpunkt zu dieser Frage in den Arbeiten, die uns 
hier beschäftigen? Wenn man bei James Strachey die Aufeinanderfolge 
der Projektions^ und Introjektionsvorgänge in dem bekannten circulus vU 
tiosus liest, so gewinnt man den Eindruck, daß es sich dabei um einen „Kreis=< 
lauf der Phantasien" handelt.^s 

Melanie Klein sagt über das Verhältnis von Realität und Phantasie. 

„Wir wissen, daß das frühe Triebleben und die Eindrücke der Realität in= 
einandergreifen und daß ihr Zusammenwirken das Entwicklungsresultat be* 
stimmt. Die realen Objekte und die Realität beeinflussen meiner Meinung nach 
von den frühesten Stufen an die Angstsituationen (und damit auch die Trieb* 
entwicklung) in der Weise, daß sie als positive oder negative Beweise für die 
in die Außenwelt verlegten Angstsituationen gewertet werden. Das Verhalten 
der Objekte und Erlebnisse trägt auf diese Weise zur Verstärkung und Vermin* 
derung der beherrschenden Angstsituationen bei. Indem der äußere Faktor mit« 
tels der Wechselwirkung von Projektion und Intrpjektion den Verlauf der Über* 
Ich*Bildung, die Entwicklung der Objektbeziehung und der Triebentwicklung 
beeinflußt, wird er auch mit entscheidend für den Ausgang der Sexualentwick* 
lung".3i 

In dieser recht klaren Formulierung vermag also die Realität als Intens 
sivierung oder Abschwächung der Angstsituationen zu wirken. Es ist dann 
nur eine logische Anv^^endung dieses Gedankenganges, wenn Strachey 

und aggressiven Triebe des Es, den Selbsterhaltungsdrang, die Angst und das expansive 
Ich^Erweiterungsstreben des Ichs und die das Verhältnis zur Außenwelt normierenden 
Forderungen des Über*Ichs. 

30) Nach einer Namengebung von E. B i b r i n g. Aus einer bisher ungedruckten Arbeit 
über Technik. > 

31) Melanie Klein: I. c, S. 231. 



ri / 



544 Robert Wälder 



den therapeutischen Vorgang als allmähliche Widerlegung der Angstsitua* 
tion durch die Realität des Analytikers beschreibt. Die Realität liefert also 
nur quantitative Steigerungen oder Verminderungen; ihre weitere Wirkung 
besteht dann insoferne, als die Entwicklung eben davon abhängig ist, wie 
intensiv die Ängste sind: wie dies im letzten Satz der zitierten Stelle formuliert 
ist. 

Dies wäre somit der Unterschied in der Beurteilung des Faktors Realität. 
Wer das von uns früher skizzierte Schema für richtig hält, wird kaum an den 
„Kreislauf der Phantasien" glauben und die Beschreibung von Melanie 
Klein für zu eng halten. Die realen Erlebnisse, scheint uns, sind mehr als 
nur Bestätigungen und Wiederlegungen der Ängste. 

Jedenfalls ergibt sich ein sehr merklicher Unterschied, wenn man das 
Schema, das wir zu skizzieren versucht haben, mit der Beschreibung der 
Genese bei Joan Ri viere vergleicht; dort wird eine praktisch zwangss« 
läufige Entwicklung der Ängste und deren Verarbeitung durch den Projeki^ 
tions* und Introjektionsvorgang beschrieben. Die Realität wird dabei nicht 
hoch eingeschätzt; es heißt zwar, daß die Aggressionen des Säuglings die 
Folge oraler Versagungen seien, aber es wird angenommen, daß schon jenes 
Mal? oraler Versagungen, das immer da ist und nie vermeidbar ist, praktisch 
ausreiche. Wenn schon ein Maß realer Erlebnisse, das immer vorhanden 
ist, ausreicht, so darf man sagen, daß eine Abhängigkeit von der Realität 
nicht mehr besteht. Die Realität tritt mildernd und verschärfend ein; Joan 
R i v i e r e beschreibt sehr eindringlich die günstigen Folgen des Vorhanden«» 
seins guter Objekte, aber all das doch nur als Quantitätsverschiebungen' 
innerhalb des Prozesses, die dann auch freilich einen wesentlichen Einfluß 
auf die weitere Entwicklung ausüben. 

Wir meinen nun natürlich nicht, durch die vorangegangenen Überle= 
gungen etwa den Standpunkt Melanie Kl eins widerlegt zu haben. Es lag 
uns vielmehr daran, den Unterschied der Meinungen an dieser Stelle heraus:« 
zuarbeiten. Daß ich selbst die von mir vertretene Meinung für richtig halte, 
ist natürlich kein Argument, ebensowenig, daß sie sich mit der Meinung der 
meisten Analytiker deckt. Nur eines darf gesagt werden, wenn es auch nur 
ein argumentum ad hominem ist: daß sich das oben skizzierte Schema gleich«^ 
sam natürlich darbiete und daß man von einer anderen Theorie, ob sie von 
ihm nun in der biologistiscben oder soziologistischen Richtung abweiche, 
sorgfältige Beweise werde fordern dürfen. Damit aber münden wir wiederum 
in die in den ersten Abschnitten diskutierten Fragen ein und fragen, welches 
die entscheidenden Beweise für diese Art der Grenzziehung von Phantasie 
und Realität seien. Der Hinweis auf Analysenergebnisse ist offenbar auch 
kein Argument, da ja gerade in Frage gestellt wird, ob aus den Analysen^* 
ergebnissen diese Schlußfoigerungen gezogen werden dürfen. Anderseits wäre 
es auch unzutreffend, zu sagen, daß dergleichen nicht exakt bewiesen werden 



Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Kindesalter 545 

könne; im Rahmen der im zweiten Abschnitte diskutierten möglichen Veri:* 
fikationen psychoanalytischer Ergebnisse könnte auch hier ein praktisch aus^ 
reichender Beweis geführt werden. Die unmittelbare Kinderbeobachtung in 
einer hmlanglich großen Anzahl von Fällen wäre das Material. 

Zur Klärung der Divergenzen sei noch darauf aufmerksam gemacht, daß 
es ein Mißverständnis wäre, den hier vertretenen Standpunkt dahin zu' ver:» 
stehen, daß wir etwa meinten, es seien mehr Dinge durch die Realität ver* 
ursacht als in den Schriften von Melanie Klein dargestellt wird. Es handelt 
sich nicht einfach um ein additives Problem, nicht einfach darum, wieviel 
seelische Vorgänge von Eindrücken der Realität hervorgerufen seien. Es han=» 
delt sich viehnehr darum, daß unseres Erachtens die Realität noch in ganz 
anderem Sinne in die psychische Entwicklung eingeht, daß es einen Kreislauf 
; der Phantasien gar nicht gibt, sondern daß der Bogen des Lebens immer 
1 wieder seinen Weg durch die Außenwelt nimmt: etwa so wie das ja aus dem 
besprochenen Schema ablesbar ist. 

Der Leser von Krankengeschichten der Kinderanalytiker um Melanie 
Klein möchte manchmal bei den verschiedenen auftretenden Phantasien 
mehr von realen Vorgängen aus dem Leben des Kindes erfahren. Ag* 
gressionen gegen den Leibesinhalt der Mutter treten — wie allgemein 
bekannt — zumeist auf, wenn die Mutter schwanger ist oder wenn das Kind 
gesprächsweise von der Möglichkeit, daß die Mutter ein Kind bekommen 
konnte, vernommen hat oder sonst einen Anhaltspunkt dafür hat, sich mit 
der Ankunft eines Geschwisters zu beschäftigen. Aktionen, in denen ein 
Kmd Stücke eines Säuglingsverhaltens darstellt, treten auf, wenn es in der 
aktuellen Situation ein Motiv hat, das Baby zu spielen, oder sonst ein Motiv 
zu einem ähnlichen Verhalten. Was auch immer diese Phantasien inhaltlich 
enthalten mögen und wie notwendig es auch sein mag, alle ihre inhaltlichen 
Elemente zu studieren, — ohne Kenntnis dieser aktuellen Situation wird die 
Phantasie des Kindes doch nicht ganz verstanden. Daher genügt es nicht, 
diese Phantasien inhaltlich zu untersuchen; sie sind niemals ein einfaches 
Fortleben und Sichfortspinnen alter Phantasien, losgelöst vom realen Leben. 
Nur wenn man die von der Realität gestellten Probleme mit berücksichtigt, 
kann man ganz beurteilen, warum das Kind diese Phantasie, dieses Spiel 
gerade jetzt gebracht hat und was es damit sagen will. 

Wir wollen nun, was uns als Unterschätzung der Realität erscheint und 
was man vorsichtiger als eine verschiedene Einschätzung des Faktors Rea^ 
lität bezeichnen sollte, an einem konkreten Beispiel diskutieren: Wir springen 
damit aus der Theorie mitten in ein technisches Problem; aber alles, was wir 
hier rein theoretisch erörtert haben, hat offenbar seine Auswirkungen in allen 
großen und kleinen Fragen der analytischen Arbeit. 

In den Arbeiten von Melanie Klein und anderen Autoren wird gewöhn?= 
hch dargestellt, daß die Beziehung des Analysierten zum Analytiker zur 



Int. Zeifschr. l. Psychoanalyse, XXII/4 



35 



tL 



546 Robert Wälder 



Gänze Übertragung sei; die Möglichkeit, daß es auch eine Realbeziehung des 
Analysierten zum Analytiker geben könnte, wird nicht in Betracht gezogen. 
Dies entspricht jedenfalls nicht der Idee Freuds über die Übertragung. 
Nach dieser gibt es Realbeziehungen, welche in der realen Situation begründet 
sind, freilich auch in den mitgebrachten, in der Vergangenheit entwickelten 
Wünschen und Reaktionsweisen des Individuums. Jede Beziehung enthält 
Bestandteile von Wiederholungscharakter und aktuelle Bestandteile. Die 
Wiederholungsbestandteile sind in einer Obiektbeziehung um so größer, je 
größer der innere Drang zu ihrer Realisierung ist und je besser das Objekt es 
gestattet, d. h. je weniger das Objekt durch ein Gegenagieren aus seiner 
eigenen psychischen Struktur heraus die Ansätze zur Wiederholung zerstört. 
Wenn der Realgehalt gegen Null konvergiert, sprechen wir von Über* 
tragung.^^ 

Nun ist gewiß aus mancherlei Gründen, die hier nicht darzustellen sind, 
die analytische Situation der Entstehung der Übertragung besonders günstig, 
so daß das Auftreten der Übertragung in der Analyse ein ausnaihlnsloses 
Gesetz ist. Entscheidend ist vor allem das Verhalten des Analytikers als 
receiver, der Verzicht auf alle Gegenaktionen, wodurch die Bereitschaften 
zur Übertragung im Patienten zerstört werden können. Aber es wäre doch 
übertrieben, zu sagen, daß die Beziehung des Analysanden zum Analytiker 
ausschließlich Übertragung sei und nicht auch reale Bestandteile enthalte; eine 
solche Übertreibung wird, wie uns scheint, schon durch die gar nicht seltene . 
Tatsache treffender Urteile von Analysanden über die Person des Analytikers 
widerlegt. Auch dies mag Übertragungselemente enthalten, muß es aber nicht. 
In jenen Fällen, da solche Urteile nicht angenehm klingen, ist der Analytiker 
vielleicht versucht, sich zu schützen, indem er sie als Übertragung deutet; 
nur ist das eben nicht immer richtig. 

So ist zum Beispiel bei Melanie Klein die Angst von Kindern in der 
Analyse stets als Übertragung beschrieben worden; anderen Kinderanaly^ 
tikern ist es aber durchaus nicht überzeugend geworden, daß die Angst vor 
der Analytikerin, die etwa schon in der ersten Stunde der Analyse 
auftritt, so zu verstehen sei und nicht eine in der aktuellen Situation begrüne 
dete Angst sei. Wir wissen aus reichem Material, das Kind hat mancherlei 
Grund, sich vor der Analyse zu fürchten. Es versteht ja zunächst noch nicht, 
was die Analyse von ihm will, ebensowenig wie auch der Erwachsene zu 
Beginn der Analyse, und muß es erst allmählich lernen. Doch fühlt das 
Kind sehr bald — und gerade bei der Technik Melanie K 1 e i n s sofort — , 
daß in der Analyse seine geheimen und verborgenen Gedanken, seine kleinen 
Sünden zur Sprache kommen. Kinder glauben vielfach, der Erwachsene 

32) Diese Bedingungen der Übertragung sind ausdrücklich formuliert bei Anna Freud: 
Technik der Kinderanalyse ; doch war die Freud sehe Konzeption des Übertragungs* 
begriffes immer so gedacht gewesen. 



Zur Frage der Genese der psychischen Konflikt e im frühen Kindesalter 547 

Iwolle diese Dinge von ihnen erfahren, um sie zu bestrafen oder um es den 

[Eltern mitzuteilen, die die Kinder bestrafen werden; wenn das nicht der Fall 

list, so fürchten die Kinder, gerade der Erwachsene werde sie verführen 

•wollen. In seinen eigenen Konflikten zwischen Trieb und Triebabwehr ver* 

mag sich das Kind nur vorzustellen, der Erwachsene, der sich damit be* 

schäftigt, werde Partei ergreifen wollen für die eine oder für die andere Seite 

des Konfliktes; so fürchtet es die Strafe oder die Verführung. Es daueil- ge=» 

räume Zeit, bis das Kind begreift, daß der Erwachsene weder dies noch jenes 

will, sondern ihm helfen will in der Bewußtmachung und Bewältigung seiner 

Konflikte.^' " 

So wäre es denn auch möglich, daß manche zu Beginn der Analyse, und 
nicht nur zu Beginn der Analyse, auftretende Angst des Kindes von solcher 
Natur ist, also einer realen Situation angehört; denn seiner bisherigen Erfah* 
rung nach kennt das Kind wohl Strafe und Verführung, nicht aber die Be^ 
mühung analytischer Hilfe.^* 

So möchte man auch die Möglichkeit erwogen wissen, die Angstreaktion 
auf die mitgeteilte Tiefendeutung — und in der Technik von Melanie Klein 
werden bekanntlich solche Tiefendeutungen sehr rasch, praktisch sofort ge^ 
geben — könnte eine solche Verführungsangst sein. Es liegt uns ferne, be=< 
haupten zu wollen, daß es sich so verhalte; aber daß dergleichen nicht in 
Erwägung gezogen wird, scheint mir doch die geringere Einschätzung der 
Realität bei Melanie Klein und den Kinderanalytikem ihrer Richtung zu 
dokumentieren. Wenn die Angst des Kindes „real" wäre, könnte man sich 
vorstellen, daß ihre Deutung als Übertragung beruhigend wirkt; es treten 
dann gewiß die kindlichen Reaktionen auf, die Melanie Klein beschrieben 
hat und die auch therapeutische Wirkung haben mögen. Aber — und dies 
führt uns abermals zu dem Problem der Kriterien der Deutung zurück — h& 
weisend ist das nicht. 

Zu dem Problem von Übertragungsliebe und Realbeziehung gehört auch 
die Kritik, die ein anderer Gedanke inAnnaFreuds „Technik der Kinder:* 



33) Siehe die Darstellung dieses Sachverhaltes bei Jenny Wälder: Analyse eines 
Falles von Pavor nocturnus, Ztschr. f. psa. Päd., Bd. IXj, 1935, S. 18 f. 

34) Man mag hier mit Recht einwenden, dies sei ja auch keine reale Angst, denn in der 
Realität habe ja das Kind vom Analytiker weder Strafe noch Verführung zu erwarten; und 
es komme dies aus den Erwartungen des Kindes, die aus anderen Erfahrungen gewonnen 
sind, sei von ihm in die Situation hineingetragen. Wenn man will, kann man das dann 
auch Übertragung nennen, aber es ist doch offenbar nicht das, was man gewöhnlich unter 
Übertragung versteht. Wenn Melanie Klein die ersten Ängste des Kindes in der Analyse 
als Übertragung deutet, so meint sie, es habe eine Übertragung von aggressiven Phantasien 
auf die Person des Analytikers stattgefunden mitsamt den dazugehörigen Ängsten; Er* 
Wartungen, die das Kind gemäß all seinen bisherigen Erfahrungen in eine neue Situation 
imtbrmgt, die in ihrem Realgehalt noch nicht bekannt ist und noch nicht verständlich sein 
kann, stehen offenbar der Realangst viel näher, so daß der Fehler in unserer Darstellung 
und die Unexaktheit der Ausdrucksweise die Verständigung über das Gemeinte nicht be* 
einträchtigen mu'ß. 

35' 



1 



548 Robert Wälder 



analyse" gefunden hat: daß der Analytiker des Kindes zu Beginn der Kinder== 
analyse bemüht sein müsse, den Kontakt mit dem Kinde herzustellen. Das 
wird von den Kinderanalytikern des Kreises um Melanie Klein bekannt* 
lieh abgelehnt. Von ihrem Standpunkte aus nur konsequent: wenn jede Bes= 
Ziehung zum Analytiker Übertragung ist, Kontakt und Übertragung also 
identisch, dann hat der Analytiker eine solche Übertragungsbeziehung nicht 
künstlich herzustellen; sie entwickelt sich von selbst, er hat die Übertragung 
nur zu deuten. Ja, wir hören, die Deutung selbst stelle den — analytischen 
~— Kontakt her. Mit dem Freud sehen Konzept der Übertragung deckt sich 
das aber nicht. Diese Konzeption hat Raum für eine Realbeziehung und 
dieser Raum wird um so größer sein, je geringer die für die Herstellung der 
Übertragung entscheidenden Faktoren sind: der Wiederholungshunger des 
Patienten und das Entgegenkommen des Analytikers durch seine vollständige 
Passivität; nach den Ausführungen Anna Freuds sind aber beide Bedin*: 
gungen beim Kinde und beim Analytiker des Kindes in ungleich geringerem 
Maße gegeben als beim Erwachsenen und seinem Analytiker. Der Wiederf= 
holungshunger des Kindes sei gering, da es die Objekte in der Realität noch 
besitzt, die Passivität des Analytikers sei zwar technisch variabel, aber doch 
keinesfalls in vollem Unfang herstellbar.^^ 

Im übrigen hat diese Kontaktgewinnung ja auch in der Erwachsenen* 
analyse von altersher ihren, wenn auch bescheidenen, Platz. Auch in der 
Erwachsenenanalyse ist man ja in den ersten Stunden bestrebt, einen Kon* 
takt mit dem Patienten herzustellen. Freilich dauert das in der Erwachsenen* 
analyse sehr kurz, so daß man nicht viel darüber gesprochen hat. 

V. Zur frühen Ich*Entwicklung. 

Wir haben es in diesem Abschnitt schwieriger als in den vorangegangenen. 
In jenen, wie z. B. bei der Über*Ich*Entwicklung oder der Frage von Phan* 
tasie und Realität, konnten wir versuchen, einen eigenen Standpunkt zu skiz* 
zieren und zwei Thesen einander gegenüberzustellen. 3ei der frühen Ich* 
Entwicklung hingegen gibt es eine solche Theorie kaum und wir müssen 

35) Das Letztere darum, weil der Erwachsene für das Kind, wie passiv er sich auch immer 
verhalten mag, unter allen Umständen Autoritätsperson ist und daher, ob er nun will oder 
lücht, einen pädagogisclien Einfluß ausübt. Dergleichen gibt es auch — durch die Überf« 
tragung — in der Erwachsenenanalyse, kann aber dort durch die Analyse der Übertragung 
aufgelöst werden, während es beim Kinde, das nun einmal unvermeidlich ein unselbstän* 
diges, unreifes Wesen ist, eine unzerstörbare Realität bildet. 

Die vielfach mißverstandenen Ausführungen Anna Freuds über Pädagogik in der 
Kinderanalyse hatten ja auch nie gemeint, daß man einen pädagogischen Faktor — als einen 
systemfremden — aus 'bestimmten technischen oder therapeutischen Erwägungen in die 
Analyse einführen solle, — als etwas, das man tun oder auch unterlassen kann, — - sondern, 
daß der Erwachsene gar nicht vermeiden kann, daß er für das Kind zum Erzieher wird, 
weil jede Situation Erwachsener=Kind eine pädagogische Situation ist und es daher zwecks» 
mäßig erscheint, das, was notwendig geschieht, willkürlich zum Besten zu lenken. 



Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Kindesalter 



549 



H uns damit bescheiden, auf Unsicherheiten und offene Fragen hinzuweisen. 
1 ^ f , ,^1"'^'""^ 'i^^ Theorien, die uns beschäftigen, gewinnt man den 
H Eindruck, daß vielfach eine Identität zwischen Phasen der Libidoentwick=» 
^ lung und solchen der Ich^Entwicklung angenommen werde. Das von 
Abraham versuchte Schema der Libidoentwicklung wird zu einem Schema 
der Ich.Entwicklung.^« Eine solche Identität scheint uns bereits probier 
matisch. 

Wir greifen einen Punkt heraus: die Introjektion geschehe nach dem Vor=* 
büd der oralen Einverleibung, die Projektion nach dem Vorbüd der analen 
Ausstoßung. Orale Einverleibung und anale Ausstoßung sifid Ich==Funk^ 
funktionen zur Erhaltung des Lebens; gewöhnlich meinen wir aber damit 
Tendenzen des Es. Projektion und Introjektion sind Lösungsver^ 
s u c h e d e s I c h s. Die einfache Gleichsetzung von beiden ist nun nicht frei 
von Bedenken. 

Man versteht unter Introjektion und Projektion sehr verschiedene Phäno;. 
mene. Beginnen wir mit der Projektion. Manchmal ist vermutet worden 
daß alle Wahrnehmung auf Projektion beruhe. Das ist nicht bewiesen, aber 
es ist eine der Gelegenheiten, bei denen man von Projektion spricht. Man 
heißt es weiter Projektion, wenn ein eigener Reiz in die Außenwelt verlegt 
wird; an dieser Stelle hat Freud den Begriff der Projektion eingeführt. 
Em anderes Beispiel: Zu Beginn des zweiten Halbjahrs zeigen die Kinder 
mit dem Finger auf Nase oder Ohr, wenn die Erwachsenen es tun. Das 
Kmd dieses Alters besitzt also bereits ein Körperschema und weiß vom 
Korperschema des Erwachsenen. Dies hat Pötzl durch Projektion des 
Korperschemas zu erklären versucht. Ein anderer Punkt: Gegen Ende des 
zweiten Lebensjahres kommt es zuerst vor, daß Kinder, die man eines Ver^ 
gehens beschuldigt, antworten, ein anderer oder die Puppe u. dergl. habe es 
gemacht. Das ist der Mechanismus der Schuldabwälzung, auch er eine Art 
Projektion; oder: in einem späteren Alter, etwa im fünften Lebensjahr, 
kommt es vor, daß Kinder einem Angriff, den sie erwarten, zuvorzukommen 
versuchen, indem sie selbst den Angreifer spielen — der von Anna Freud 
als „Identifizierung mit dem Angreifer" beschriebene Mechanismus. Auch 
das ist Projektion. Schließlich sprechen wir von Projektion beim Beein:* 
flussungsapparat der Schizophrenen, oder wenn Psychotiker Stimmen hören. 
Ist all das, was man Projektion nennt, wirklich dasselbe? Stellt all dies wirk^ 
lieh genetisch und morphologisch eine Einheit dar? Es mag ja sein, daß es so 
ist, aber es liegt doch in dem Wort Projektion, das ein formales Merkmal 
all dieser Prozesse kennzeichnet, eine Gefahr, zu übersehen, daß diese Frage 
gesonderter Untersuchung bedürfte. 
Kaum anders ist es, wie mir schein t, um all das bestellt, was man Introt* 

■o/^l^^l'^h^- ^^- Glover: Das Problem der Zwangsneurose. Int. Ztschr. f. Psa,. 
JtSa. XXI, 1935. 



550 



Robert Wälder 



jektioii nennt: auch hier ein ungeheuerer Reichtum von Formen, deren Ein* 
heit keineswegs feststeht; um so weniger steht es dann fest, daß überall dort, 
wo dieser Mechanismus spielt, eine orale Einverleibungstendenz am Werke 
sei. Ich möchte hier nur drei Mechanismen der Introjektion besprechen, bei 
denen es sich um die Abwehr aggressiver Impulse handelt. 

Ein Mechanismus geht etwa nach der Formel vor sich: Ich hasse nicht 
ihn, sondern mich. Was dabei zustandekommt, kann auch als Identifizierung 
bezeichnet werden; doch handelt es sich um einen Mechanismus zur Vers= 
meidung der Gefahrsituation, in die die Aggression gegen das Objekt führt. 
Es scheint mir nicht bewiesen, daß dabei orale Einverleibungstendenzen im 
Spiele sein müssen oder doch das Vorbild liefern. Das Endprodukt kann 
doch als Identifizierung imponieren. 

Deutlicher wird dieses Auseinanderfallen von Oralität und einem Lösungs* 
versuch, der den Eindruck der Identifizierung macht, bei zwei anderen 
Mechanismen. Der eine hat die Formel: Tue mir nichts Böses, ich tue es 
mir schon selber; du mußt mich nicht strafen, ich strafe mich schon selbst. 
Unter den Techniken der Angstbewältigung bei einer von einem menscL^ 
liehen Wesen drohenden Gefahr gehört dies zu den Beschwichtigungsver=* 
suchen. Dieser Mechanismus spielt eine große Rolle bei der Überj^Ich^Bil* 
düng. 

Eiii ähnlicher Mechanismus ist die Identifizierung mit dem Bedrücker. 
Es ist eine aufkrordentlich bedrückende Situation, als wehrloses Opfer einem 
Stärkeren ausgeliefert zu sein. Es ist eine Erleichterung in dieser Situation, 
v/enn man sich mit dem Bedrücker identifiziert; man gehört dann gleichsam 
nicht mehr zu den Beherrschten, sondern zu den Herrschenden und kann 
ein Stück ihres Triumphes mitgenießen. Auch dieser Mechanismus hat seinen 
Platz in der Über*Ich#Bildung. 

In diesen beiden Fällen kommt etwas zustande, was man auch als Identi* 
fizicrung beschreiben kann. Doch scheinen sie mir mit oraler Einverleibung 
kaum etwas zu tun zu haben. Es handelt sich einfach um den bekannten 
Lösungsversuch der Wendung von der Passivität zur Aktivität. Man darf 
vielleicht sagen: nicht alles, was nach Identifizierung aussieht, ist orale Ein»» 
Verleihung. So sicher die Neigung zur Identifizierung als bevorzugtem Mecha* 
nismus rnit oralen Tendenzen zu tun hat, so wenig scheint mir andererseits, 
daß all das, was man als Identifizierung bezeichnet, mit oraler Einverleibung 
gleichzusetzen sei. 

Das war nur ein Beispiel, das die ungeheuere Vielfalt der Probleme charak» 
terisieren soll. Man fragt sich, ob es fruchtbar ist, diese Erscheinungen in 
das Prokrustesbett eines einfachen Schemas zu spannen. 

'Wir gehen nun über zur Erörterung der sogenannten psychotischen Mo^» 
delle im Verhalten früher Kinderzeit. Glover spricht von den „psychi* 
sehen, öfters psychotischen Reaktionen und seelischen Systemen des Säug* 



Zur Frage der G enese der psychischen Konflikte im frühen Kindesalter 551 

lings<= und Kindesalters". Er sagt, daß „das kleine Kind etwa im Alter von 
einem Jahr an seine Schizophrenie* und Zwangsphasen durchmacht"." 

Andere Autoren deuten an, daß man die psychotischen Modelle im ersten 
Lebensjahr, etwa von dem Alter von drei Monaten an, zu suchen habe, 
und sprechen von paranoiden Ängsten und melancholischen Depressionen. 
Nun ist damit natürlich nicht gemeint, daß es in der normalen Entwicklung 
des kleinen Kindes eine Phase gebe, die der Psychose gleichzusetzen wäre, 
wohl aber, „daß das Verhalten aller Kinder bis zum Alter von ungefähr drei 
Jahren dem Typus nach psychotisch ist, das heißt also, daß die primitiven 
Triebe des Kindes, seine archaischen Ängste und seine bizarren Reaktionen 
auf die Realität das Grundgewebe späteren Wahnsinns bilden."'^» Diese Idee, 
so ansprechend sie auch ästhetisch sein mag, unterliegt nun manchem Be;= 
denken. Wir greifen wieder auf die unmittelbare Kinderbeobachtung zurück. 
Es fällt schwer, beim normalen Säugling als regelmäßige Phase etwas zu 
entdecken, was paranoide Angst oder melancholische Depression wäre. Säug* 
linge in sehr günstigem Milieu -- so wie wir Gunst des Milieus oben be* 
schrieben haben — zeigen oft überhaupt keine Zeichen von Angst, wenigstens 
nach den ersten Lebenswochen. Die früheste Angst scheint Angst vor dem 
Verlust der Brust zu sein; sie kann durch Gewißheit der Gewährung weg* 
fallen. Erst später, wenn das Kind gelernt hat, die vertrauten Personen zu 
erkennen, tritt Angst bei der Annäherung von Fremden auf: bei vielen Kin* 
dern dann die einzige Angstsituation in der zweiten Hälfte des ersten Lebens* 
Jahrs. Wie aber sollte paranoide Angst behaviouristisch aufgezeigt werden? 
Auch für irgend etwas, das an melancholische Depression gemahnen könnte, 
fehlt bei den meisten Säuglingen in der unmittelbaren Beobachtung jeder 
Hinweis. 

Die Idee, eine normale Stufe der Ich*EntwickIung in so nahe Beziehung 
zur Psychose zu bringen, erscheint überhaupt befremdend.-^" Man fürchtet, 
daß damit das Wesen der Psychose verkannt ist und die Größe der Kluft^ 
die sie vom Normalleben auf jeder Stufe trennt. Man soll den Unterschied 
zwischen der in Entwicklung begriffenen Funktion der Realitätsprüfung und 
deren Zerstörung nicht gering veranschlagen. Es scheint mir, daß dieser 
Unterschied nicht geringer ist als der zwischen einem frühen Stadium der 
geistigen Entwicklung und der Debilität. Es gibt in der normalen geistigen 
Entwicklung keine Phase, die mit der Debilität vergleichbar wäre. 



37) Medizinische Psychologie oder akademische (normale) Psychologie, Imago, Bd. XXII, 
1936, S. 46 und S. 50. res 

38) Ed. G 1 o V e r in : A Symposium on the Psychology of Peace and War. Brit. Journ. 
of Med. Psych., Vol. XIV, 1934, p. 276; vgl. auch Almanach der Psychoanalyse, 1935, 
S. 218 f. 

39) Nicht darum, glaube ich, weil es sich um eine vierte Kränkung des menschlichen 
Narzißmus handeln würde. Was über eine so frühe Stufe ausgesagt wird, geht uns emo* 
tionell gar nicht so nahe. 



552 



Robert Wälder 



Im ganzen scheint mir hier eine Überspannung des Regressionsbegriffes 
vorzuliegen. Es ist so, als müßte alles, was in der Pathologie auftritt, sein 
Vorbild in einer normalen Stufe der individuellen Entwicklung haben. Ob 
das so sei, mag auf dem Gebiet der Psychosen kontrovers sein; daß es n i c h t 
allgemein in der Psychopathologie gelten kann, läßt sich durch ein BeL* 
spiel aus der Hirnpathologie beweisen. In der optischen Agnosie verlieren 
die Kranken die Fähigkeit zur Gestalterfassung; sie können sich in einer 
Umwegleistung praktisch behelfen — etwa durch ein sehr rasches Umfahren 
der Konturen der Gegenstände mit kaum merklichen Bewegungen der Augen 
oder der Hände und durch rasch gezogene Schlußfolgerungen daraus. Aber 
diese bei der Störung auftretende Leistung hat keinen Platz in der normalen 
Entwicklung. 

Bei der Psychose kommt es zu einem Zusammenbruch der Ich*Organisa# 
tionen und zu deren pathologischem Funktionieren. Vieles davon mag Re.* 
gression zu früheren Stufen des Ichs sein, anderes vielleicht ein Zurückgreifen 
auf primitivere Funktionsweisen des Systems, die in der Entwicklung nie«i 
mals einen selbständigen Platz hatten: auch eine Art Regression, aber keine 
Regression zu einer früheren Stufe. Wieder anderes mag Neubildung von 
Reaktionen des geschädigten Organismus sein — wie etwa beim heran>« 
gezogenen Beispiel der Agnosie — , wobei denn freilich alles Vorhandene 
verwertet wird. Das wären dann psychotische Lösungsversuche, die weder 
in der Ontogenese noch in der Phylogenese ein Vorbild haben, noch auch 
aus der Primitivisierung der Arbeitsweisen allein erklärbar sind. 

M. Katan hat behauptet, daß die Psychosen über Mechanismen ver* 
fügen, die es in der Normalentwicklung überhaupt nicht gebe,*" Projektion 
und Introjektion bei Geisteskrankheiten seien gar nicht identisch mit Pro* 
jektion und Introjektion bei Normalen und Neurotikern. Handle es sich 
doch bei den Psychosen immer um einen Restitutionsversuch; bei der Pro.« 
jektion in der Schizophrenie werde die verlorengegangene Außenwelt nach 
dem Vorbild des Ichs wieder aufgebaut, bei der Introjektion in der Melant» 
cholie das zerstörte Ich nach dem Vorbild der Objekte. Ob man seine SchluIS* 
folgerung teilen wird, daß es sich hier schon um andere Mechanismen handle, 
ist eine Frage für sich, doch bleibt der Eindruck bestehen, daß diese Dinge 
nicht so eng miteinander verwandt sind, wie manche Arbeiten anzunehmen 
scheinen. 

Das analytische Studium der Psychosen steht am Anfang. Bis jetzt ist 
noch nicht enträtselt worden, was gerade das Wesen der Psychose ausmacht. 
Was immer in der Psychose gefunden wurde, gibt es — abgesehen von 
Katan s Beschreibungen — ähnlich auch im Normalleben und in der Neu* 
rose. Das Charakteristikum in der Psychose, die unkorrigierbare Störung 

40) Vorträge auf dem XIII. Int. Psa. Kongreß in Luzern am 28. August 1934 und aUf 
dem XIV. Int. Psa. Kongreß in Marienbad am 7. August 1936. 



Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Kindesalfer 553 



der Realitätsprüfung, bleibt vorläufig unverstanden. Wahrscheinlich ver»= 
sperrt man sich die Chance der wirklichen Aufklärung psychotischer Er* 
scheinungen, wenn man sie durch Zuordnung zu Phasen der normalen Enfe> 
Wicklung zu lösen versucht.*"^ 

Hier sei noch ein kleines Beispiel diskutiert, das von diesen grundsätz«« 
liehen Erwägungen abliegt und an dem — wie vielleicht an jedem Detail, 
wenn man es genauer untersucht, — alle Unterschiede in den Meinungen 
enthalten sind. Joan Ri viere sagt in der Arbeit, die die Grundlage unserer 
Überlegungen bildet, daß „der Stuhlgang in der Phantasie als Verlegung der 
schmerzerregenden Stuhlmassen auf oder in das Objekt empfunden" werde. 
„In der Paranoia werden die Verfolger wie revenants gefürchtet, die von 
überall und nirgends erscheinen; und wir wissen, daß sie vom Stuhlstück 
abgeleitet sind." Die Tatsache der analen Verfolgung ist von Stärcke und 
vanOphuijsen entdeckt worden. Hier wird offenbar eine Erklärung für 
sie geboten. Nun hat Jenny Wälder in einem Stück einer Kinderanalyse 
eine Aufklärung über die anale Verfolgung erhalten." Ein Kind der Latenz* 
Periode hatte Angst vor der Verfolgung durch eine Phantasiegestalt; der Name, 
den das Kind dieser Figur gegeben hatte, war lautlich fast identisch mit einer 
Vulgärbezeichnung für Exkremente. Dieses Kind hatte auch lebhafte Angst 
vor den eigenen Exkrementen und vor dem ihm unheimlichen Klosett* 
schlauch. Eines Tages gab das Kind Auskunft über die Gründe dieser Angst. 
Die Tiere, sagte es, fressen ja ihre Feinde auf und die gefressenen bösen 
Feinde kommen dann bei der Entleerung wieder aus dem Körper heraus; 
so müsse man doch fürchten, daß sie sich rächen würden. Vielleicht enthält 
dies die Lösung für die seltsame Phantasie vom analen Verfolger; man hat 
seine Feinde gefressen und der Kot ist nichts anderes als diese verschlungenen, 
nach der „Ichpassage" (E. Weiss) wieder herausgekommenen Feinde. Die 
Phantasie ist ganz märchenhaft, klingt an bekannte Motive an, so etwa, daß 
Rotkäppchens Großmutter, im Bauch des Wolfes verschlungen, wenn auch 
ein wenig beengt, weiterlebt. Diese Phantasie ist sehr ähnKch den von Melanie 
Klein berichteten Phantasien; dennoch gibt es Unterschiede. Es handelt 
sich um eine völlig durchkomponierte Phantasie, die scheinbar einer späteren 
Stufe der Entwicklung angehört, nicht einfach um die Hinausverlegung als 
feindlich empfundener, weil schmerzhafter Stuhlmassen in der Säuglingszeit. 
Die gehaßten Objekte, gegen die die Aggression gerichtet war, waren in dem 
erwähnten Beispiel ödipale Objekte; daß es dabei zu dem Impuls des Eres* 
sens und zur analen Ausstoßung kommt, ist natürlich in den prägenitalen 
Schicksalen begründet. In anderen Fällen wird sich der Haß vielleicht nicht 

40a) Im Gegensatz dazu ginge die Meinung englischer Autoren dahin, daß man sich 
dadurch die Chance der wirklichen Aufklärung psychotischer Erscheinungen eröffne. 

41) Mitgeteilt in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung am 17. Juni 1936. Noch 
unveröffentlicht. 



554 



Robert Wälder 



gegen das ödipale Objekt richten, aber bestehen bleibt, daß es sich um eine 
märchenhafte Phantasie späteren Alters handelt, die mit bereitliegenden 
oralen und analen Motiven gesponnen wird, nicht um den einfachen von 
Joan Ri viere beschriebenen Vorgang. Ein weiterer Unterschied besteht 
darin, daß die von dem kleinen Patienten Jenny W ä 1 d e r s erzählte Phan?« 
tasie nicht eine Stufe der normalen Entwicklung darstellt, sondern einer 
pathologischen Entv/icklung angehört. Die anale Verfolgung wird so das eine 
Mal als Erlebnis bei der Ausstoßung der Stuhlmassen des Säuglings, einem 
alltäglichen Vorfall, als regelmäßige Stufe der normalen Entwicklung in sehr 
früher Zeit, das andere Mal als eine nicht alltägliche Phantasie viel späteren 
Alters, die nicht der normalen Entwicklung angehört, verstanden. 

Man mag nun hier sagen, es stehe Theorie gegen Theorie und die eine habe 
den Vorzug, die „tiefere" zu sein.^^ Aber die eine Theorie ist gut begründet; 
ein einsichtiges Kind hat die Lösung des Rätsels selbst gegeben. Die andere 
ist auf Konstruktionen in einer sich im Dunkel verlierenden Vergangenheit 
angewiesen. 

VI. Ein Beispiel. 

Einiges von dem bisher Ausgeführten kann an Hand eines Beispiels illustriert 
werden, das mir eine Analytikerin aus ihren Beobachtungen an eigenen Kindern 
zur Verfügung stellt. 

Bei einem dreijährigen Mädchen, bei dem es im ersten Lebensjahr keine und 
im zweiten und dritten keine ernsthaften Schwierigkeiten in der Erziehung. ge# 
geben hatte, treten plötzlich Schwierigkeiten auf. Sie wird eines Tages dabei 
belauscht, wie sie zu sich sagt: ,,Die Mama hat mich kaputt gemacht". Um die» 
selbe Zeit geschieht es auch, als die Mutter das Kind einmal badete und den 
Körper des Kindes nachher abtrocknete, daß das Kind große Angst zeigte, als 
sich die Mutter mit dem Handtuch auch dem Genitale näherte. 

Halten wir einen Augenblick inne. Man könnte hier vermuten, daß wir es 
mit den von Melanie Klein beschriebenen Prozessen zu tun haben, etwa mit 
Vergeltungsängsten für eigene gegen den Leib der Mutter gerichtete Aggres* 
sionen oder mit der Projektion eigener Aggressionen auf die Mutter. Aber 
diese Vermutung bestätigt sich zunächst nicht; vielmehr gibt es ernsthafte 
Gründe, die Ursachen für diese plötzlich aufgetauchten Schwierigkeiten des 
kleinen Mädchens anderswo zu suchen: in den wohlbekannten Schwierigkeiten 
des Kastrationskomplexes, des Penisneides. 

Einige Monate vor den beschriebenen Ereignissen hatten das kleine Mädchen 
dieses Berichtes und seine um ein Jahr ältere Schwester beim Spielen am Strande 
einen kleinen nackten Jungen gesehen. Wahrscheinlich ist dies die er.ste Beob* 
achtung des Geschlechtsunterschiedes gewesen. Die ältere Schwester, damals drei* 
einviertel Jahre alt, hat darauf auf der Stelle sehr entschieden reagiert; die kiel* 
nere hatte zunächst nichts dergleichen getan. Die Reaktionen der älteren zu be;= 
schreiben gehört nicht hierher; nur so viel sei gesagt, daß das ältere Mädchen 
lange Zeit mit der Verarbeitung beschäftigt v\rar und daß es in dieser Zeit zu 
wiederholten Malen auch Gespräche der Mutter mit dem älteren Kinde über 

43) Die Frage der Valenz des tiefen Unbewußten soll uns in einem späteren Abschnitt 
beschäftigen. ' 



Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Kindesalter 555 

dieses Thema in Gegenwart des jüngeren gegeben hatte. So möchten wir ver* 
muten, daß die oben beschriebenen Reaktionen des kleineren Mädchens dem 
Kastrationskomplex angehören, die Klage, die Mutter habe es geschädigt, der 
wohlbekannte, von Freud beschriebene Vorwurf an die Mutter wegen der 
eigenen Penislosigkeit sei. Wir werden gleich sehen, welches weitere Material 
diese Deutung stützt. 

Ein anderes Argument dagegen, das Verhalten des kleinen Mädchens durch 

oralsadistische Aggressionen und Angst zu verstehen, liegt nun darin, daß im 

ersten Lebensjahr des von der Mutter sorgfältig beobachteten Kindes gar kein 

Anhaltspunkt dafür da ist, daß solche Aggressionen und Ängste in der oralen 

Phase in größerem Ausmaß vorhanden gewesen seien. Das Kind hatte in den 

ersten drei Monaten seiner Säuglingszeit wenig geweint; eigentliches Wutschreien 

war nicht aufgetreten. Im zweiten Lebensmonat gestatteten die Sommerferien der 

Mutter, die ohnehin sehr milden Regulierungen der Brustmahlzeiten völlig aufzu* 

lassen, d. h. dem Kind die Brust zu geben, wann es sie verlangte. Die Wirkung 

war die folgende: Im Alter von drei Monaten hörte das Kind überhaupt auf, zu 

weinen und Nahrung zu fordern. Man mußte den Eindruck gewinnen, es sei 

eine Beruhigung der Angst, einmal hungrig zu sein und die Brust nicht zu be* 

kommen, eingetreten, die so vollständig war, daß es dem Kinde von da ab schein* 

bar überhaupt gleichgültig wurde, wann man es stillte; es protestierte nicht, wenn 

eine Mahlzeit einmal ausfiel, oder wenn in der Nacht eine selbst zehnstündige 

Pause zwischen zwei Mahlzeiten eingeschaltet war. Durch Monate hindurch 

konnte man das Kind, das im übrigen auch körperlich gesund war, nicht weinen 

hören, geschweige, daß ein Wutschreien aufgetreten wäre. Dabei war das Kind 

keineswegs stumpf, machte vielmehr den Eindruck eines aktiven, geistig reg;= 

samen kleinen Geschöpfs. Zeichen der Aggression sind erst viel später, am Ende 

des ersten Lebensjahres, im Zusammenhang mit anderen Anlässen aufgetreten. 

Difte frühinfantile Vorgeschichte macht es an sich unseres Erachtens unwahr* 

scheinlich, daß sich in dieser Vorzeit schwerere oralsadistische Aggressionen und 

Ängste gebildet hätten. 

Aber völlig beweisend, wie uns scheint, für die Natur der bei dem dreijährigen 
Mädchen aufgetretenen Schwierigkeiten sind andere Vorkommnisse dieser Zeit, 
sowie die weitere Entwicklung. So geschah es um dieselbe Zeit, da das Kind die 
oben berichtete Bemerkung gemacht und die Angst vor der Berührung des Geni* 
tales durch die Mutter gezeigt hatte, daß der Vater der Kinder das Kinderzimmer 
betrat und den Kindern die Hand geben wollte; die Kleinere verweigerte ihre 
Hand mit den Worten: „Ich geb' dir nicht die Hand, ich geb' dir nur den 
Finger". Auf die erstaunte Frage des Vaters, warum sie das tue, antv/ortete ,sie 
rnit ihren kindhaften Bezeichnungen: weil der Vater einen Penis und weil er 
ein „Sackerl" habe. (Das Wissen um das Scrotum kann nur aus der um Monate 
zurückliegenden Erfahrung am Badestrand stammen; in den Gesprächen der Er* 
wachsenen mit der altern Schwester war es nie vorgekommen.) Freihch war diese 
Auskunft nur einmal erhältlich. Schon wenige Stunden später, als der Vater die* 
selbe Mitteilung provozieren wollte und nach der Hand des Kindes verlangte, 
schlug sie es ihm ab wie das erstemal und gab als Begründung an: „Weil du eine 
Schürze hast". Die Verschiebung ist hier mit außerordentlicher Schnelligkeit, 
binnen Stunden, erfolgt. (Daß der Vater dabei zum Weibe gemacht wird, gehört 
auf ein anderes Blatt.) 

Von da an entwickelt das Kind einige Schwierigkeiten, die man vielleicht 
schon als Symptome bezeichnen könnte. Es will bei den Mahlzeiten sein Fleisch 



556 



Robert Wälder 



nicht zerschneiden lassen, will überhaupt alle Nahrungsmittel nur in großen 
Stücken, unzerteilt, so daß es sie praktisch gar; nicht essen kann; so duldet ^ie 
etwa nicht, daß von einem Backwerk ein Stück für sie abgebrochen werde und 
dergl. mehr. Der Besuch eines ihr bekannten Hundes, dem kurz vorher die Haare 
geschoren werden mußten, wirkt schockartig. Das Thema „groß und klein" be* 
schäftigt sie in wachsendem Maße und füllt schließlich ihr ganzes Denken aus. 
Im Verhältnis zur älteren Schwester, das längst beruhigt war, leben die Riva* 
litäten wieder auf. Sie beschäftigt sich damit, um wieviel die Schwester älter sei 
und wann sie sie einholen werde. Sie phantasiert, daß sie selbst groß sei und die, 
Schwester klein, und erfindet ein Spiel, daß sie die Mutter und die ältere 
Schwester das Baby sei; das Spiel bereitet ihr großes Vergnügen. Jede Person, 
die das Kinderzimmer betritt, wird auf ihre Größe geprüft, sie fordert Erwach* 
sene des Abends auf, sich an ihr Bettchen zu setzen, mit der Wendung: der, bezw. 
die große X solle sich zu ihr setzen und dergl. mehr. Brillen Erwachsener bilden 
Gegenstand regsten Interesses, so daß eine gewisse Zeit hindurch, wenn der 
Vater, der eine Brille trägt, zu dem Kinde kommt, das Kind sofort von der 
Brille zu sprechen und sie zu untersuchen beginnt und kein anderes Thema mög* 
lieh ist. Sie entwickelt auch die Theorie, sie sei einmal groß geweseir~und jetzt 
erst klein geworden. 

Dieses ganze Material spricht, wie uns scheint, dafür, daß wir in allem früher 
Erzählten wohlbekannte Verarbeitungen des weiblichen Kastrationskomplexes 
vor uns haben und nicht Konflikte aus oralsadistischen Aggressionen und Ängs 
sten. Man könnte vielleicht beim Wunsch nach unzerkleinerter Nahrung an die 
von Melanie Klein beschriebenen Phantasien denken; doch bleibt die Tatsache 
bestehen, daß dieses kleine Symptom gerade jetzt aufgetreten ist und daß das 
Kind das, worum es sich ihm handelte, in der Bemerkung zum Vater so klar, als 
man nur erwarten darf, ausgesprochen hat. 

Vorübergehend war auch ein Tic^Symptom aufgetreten. Das Kind hatte nach 
der Nase gegriffen und gefragt, ob es eine große Nase habe; sehr rasch wurde 
daraus ein Tic, die Finger griffen jeden Augenblick zur Nase. Die Mutter hatte 
hier mit der Deutung eingegriffen und daran auch die Erklärung angeschlossen, 
die man in solchen Fällen anzuschließen hat, daß dem Kinde nichts wegge» 
nommen worden sei, daß alle Buben und Männer von Geburt an so seien wie 
der kleine Junge ihrer Bekanntschaft, an dem sie ihre Beobachtung gemacht 
hatte, alle Mädchen und Frauen, einschließlich der Mutter, so wie das Kind selbst 
und daß dies so schön sei wie jenes, daß sie einstmals Kinder bekommen werde. 
Diese Deutung wirkte zunächst nicht, wirkte aber sofort, als sie von dem anderen 
Kinde, der um ein Jahr älteren Schwester, gegeben wurde; der Tic ist mit selbigem 
Tage verschwunden. 

Schließlich entwickelte das Kind auch die Gewohnheit, für alles Unerwünschte, 
was irgendwo geschah, die Mutter zu beschuldigen. Fiel ihr etwa ein Gegenstand 
zu Boden, so war die oft gar nicht in der Nähe befindliche Mutter daran schuld, 
weil sie nicht genug auf das Kind achtgegeben habe. Auch dieses Stück kann man 
ähnlich verstehen wie das andere; es ist der Vorwurf gegen die Mutter, die ja 
wirkhch dadurch, daß sie das Mädchen nicht als Knabe geboren hatte, „an allem 
schuld" ist. So standen die Dinge nun schon einige Monate lang, als es den 
kleinen Vorfall gab, um dessentwillen wir dieses Beispiel herangezogen haben: 

Die Mutter wird eines Nachts durch das Weinen des Kindes geweckt; das Kind 
sagt, auf seinen Bauch habe es geblasen. Die Mutter war zunächst versucht, zu 
glauben, — das Kind war ein wenig aufgedeckt, — es handle sich um eine Kälte* 



I 



Zur Frage der Genese der psychischen Kon flikte im frühen Kindesalter 557 

empfindung. Aber das Kind fährt fort, zu sagen, es habe sich in sein Genitale 
beißen wollen, da habe es geblasen. Es handelt sich also um einen Traum und 
zwar um einen im Vergleich zu den meisten anderen Träumen von Kindern dieses 
Alters schon reichlich entstellten Traum. Die Mutter beruhigt das Kind für den 
Augenblick und schlägt ihm vor, zu schlafen und am nächsten Morgen darüber 
zu sprechen. 

Am nächsten Morgen läßt sich die Mutter den Traum wieder erzählen. Sie 
erfährt ein weiteres Detail: am Fenster sei ein Mann mit kaputtem Gesicht und 
einem Stück Brot in der Hand gewesen. Der Mann solle nicht ins Zimmer kom- 
men. Die Mutter fragt nach Näherem über das erstaunliche Traumelement, daß 
das Kind sich selbst habe ins Genitale beißen wollen. Da sagt das Kind — natür* 
lieh mit seinen kindlichen Bezeichnungen —: „Das Genitale war groß, das Geni;> 
tale war klein". Das Kind richtet sich auf, bläst seinen Bauch auf und sagt: „So 
hat es geblasen". 

Halten wir wieder für einen Augenblick inne. Auch hier fühlt man sich wieder 
versucht, an die von Melanie Klein beschriebenen Phantasien zu denken. Es 
liegt nahe, gerade hier bei „beißen" und bei Aufblasen des eigen Körpers an 
Aggressionen gegen den mütterhchen Körper und an die Ängste für die Inte* 
grität des eigenen Körpers zu denken. Aber die Untersuchung führt zu einem 
anderen Ergebnis. 

Die intime Kenntnis von allen Details im Leben des Kindes gestattet der 
Mutter, bei den zitierten Worten und Demonstrationen des Kindes die Situation 
mit einem Schlage zu verstehen. Das Kind hatte in den vorangegangenen Monaten 
eine schwere Angst gezeigt. In diesem wie in vielen Kinderzimmern gab es als 
Spielzeug aufblasbare Luftballons. GelegentHch war ein zu stark aufgeblasener 
Ballon geplatzt. Das Kind hatte nun große Angst gezeigt, wenn es selbst ver= 
suchte, den Ballon aufzublasen oder wenn die Kindergärtnerin, die die Kinder be* 
treut, es unternahm; sie hatte dabei oft kläglich gerufen, man solle es doch nicht 
tun, der Ballon werde platzen. Das Kind hatte sich selbst bei eigenen Versuchen 
zum Aufblasen ungeschickt erwiesen, das Mundstück, das auch aus weichem 
Gummi ist, zwischen die Zähne statt nur zwischen die Lippen genommen, so daß 
ihm das Aufblasen meist nicht glückte; es war darauf aufmerksam gemacht wor* 
den, es solle dabei nicht beißen, dann werde es besser gehen. Es muß auch be* 
merkt werden, daß der Ballon im nicht aufgeblasenen Zustand, die Gummiblase 
mit dem schlauchförmigen Mundstück, einem Penis mit Scrotum tatsächhch sehr 
ähnlich sieht. 

Aus der Kenntnis dieses Details ergab sich für die Mutter nun das Verständnis 
für ein Traumstück. Der Traumgedanke war offenbar der, daß das Kind ver* 
suchen wollte, sein eigenes Genitale aufzublasen, damit es groß werde, so groß 
wie das der Jungen, und dabei war die Angst aufgetreten, es werde dabei platzen. 
Damit wird auch das andere Traumstück, es habe auf ihren Bauch geblasen, ver* 
ständlich. Das Beißen ist dabei scheinbar kaum eine Aggression, sondern be* 
zeichnet das, was sie bei ihren eigenen Bemühungen mit dem Luftballon tat. 

Die Mutter gibt dem Kinde die Deutung dieses Stücks und sagt dem Kind, es 
habe gefürchtet, das Genitale werde beim Aufblasen platzen. Darauf sagt das 
Kind: „Aber es ist schon geplatzt", und verrät damit die Phantasie, sein Genitale 
sei einmal aufgeblasen worden, geplatzt und so in den jetzigen beklagenswerten 
Zustand gekommen. Offenbar war die Mutter — in der Phantasie des Kindes — 
daran schuld gewesen. 

Das Detail von dem Mann mit zerstörtem Gesicht und dem Stück Brot in der 



558 



Robert Wäldef 



Hand, der am Fenster sei und nicht ins Zimmer kommen solle, klärt sich in foU 
gender Weise auf: es gibt einen verkrüppelten Bettler, der um Brot bittet und 
dem die Kinder auf ihrem täglichen Spaziergang begegnen. Er ist hier im Traum 
ein neuerlicher Beweis für die Möglichkeit des Kaputtwerdens: „er soll nicht 
ins Zimmer kommen". 

Die Mutter deutet dem Kinde den Traum und ein Aufleuchten im Gesicht des 
Kindes bildet auch eine Bestätigung dafür, daß das Richtige getroffen und wirk* 
lieh ein Stück befreit wurde. Da, wie aus dem früher erwähnten psychoanaly* 
tischen Erfolg der älteren Schwester hervorgeht und auch sonst allgemein bes 
kannt ist, es für die Kinder besondere Wirkung hat, was andere Kinder ihnen 
sagen, wiederholt die Mutter die Deutung und dazugehörige Aufklärung in ver* 
änderter Form. Sie antwortet auf die Frage des Kindes, ob auch sie träume, und 
die Aufforderung des Kindes, einen Traum zu erzählen, mit der Erzählung eines 
angeblichen eigenen Traumes; sie habe von einem kleinen Mädchen geträumt, 
das sehr darüber geweint habe, weil es ein Mädchen sei und geglaubt habe, die 
Mutter habe es einmal aufgeblasen, da sei es geplatzt uiid so kaputt geworden; 
aber eine andere große Kinderschar sagt dem Mädchen, daß sie nicht kaputt sei, 
sondern gerade so schön wie die Knaben. Die Mutter schildert in ihrem erdich* 
teten Traum das Zwiegespräch zwischen dem kleinen Mädchen und den anderen 
Kindern, in dem das kleine Mädchen schließlich überzeugt wird und nun auch 
zufrieden ist. Das Kind folgt dieser Erzählung mit seli;gem, befreitem Lächeln. 

Nun ist der Traum damit noch lange nicht erschöpft. Das Kind hatte am Tage 
vor dem Traum — nicht zum ersten Male — eine Bemerkung darüber gehört, daß 
die Kinder im Bauch der Mutter gewesen sind. Es wußte natürlich längst von 
Schwangerschaft; es hatte auch früher eine Nurse gehabt, die geheiratet hatte und 
schwanger wurde und ihren Dienst noch eine Zeitlang versah; die Kinder hatten 
gewußt, sie werde ein Baby bekommen, und die Nurse hatte sie später mit ihrem 
Kinde besucht. So verarbeitet der Traum auch die Gefahren der weiblichen Exi* 
stenz: nicht nur ihr eigenes ursprünglich männliches Genitale sei geplatzt, auch 
wenn sie später ein Baby bekommen werde, stehe sie in der gleichen Gefahr. 

Auch sonst ist der Traum gewiß noch nach vielfältiger Richtung aufschluß* 
reich; insbesondere haben wir hier für unsere Zwecke von den ödipalen Be* 
standteilen abgesehen. 

In diesem Beispiel sind scheinbar alle Elemente der von Melanie Klein be# 
schriebenen Phantasien gegeben: die Aggression gegen die Mutter, die oral* 
sadistische Aktivität („Beißen"), die Angst vor der Beschädigung des eigenen 
Leibes, die Wendung zur Selbstbeschädigung, die Idee der Beschädigung des 
Leibes durch die Mutter. Und doch schien sich alles einfach und befriedigend 
und unter ausdrücklicher Zustimmung des Kindes anders aufzuklären, als man 
nach der Beschreibung von Melanie Klein erwarten sollte. 

Man könnte nun gewiß in der Analyse noch weitergehen und etwa meinen, das 
Beißen weise doch auf eine orale Aggression hin. Aber selbst wenn eine weitere 
analytische Durchforschung in die oralsadistischen Ängste führen würde, fragt 
man sich doch, wie der Eindruck verwischt werden könnte, dal? der Konflikt 
des Kindes und die Bildung von kleinen neurotischen Erscheinungen durch den 
Penisneid und seine Verarbeitung entstanden sei, von ihm seine lebendige Kraft 
beziehe. Mit einer solchen weiteren Durchforschung käme man aber wohl kaum 
zur Klein sehen Theorie, sondern nur dazu, daß prägenitale Impulse, wie etwa 
auch orale, das spätere Erlebnis der wohlbekannten Kastrations* und Ödipus* 
Konflikte beeinflussen. Eine solche prägenitale Vorgeschichte des Kastrations* 



Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Kindesalter 



559 



und Ödipuskomplexes ist immer gesucht und beschrieben worden; niemand hat 
etwa bezweifelt, daß zum Beispiel eine durch Verabreichung von Klistieren bei 
Verdauungsschwierigkeiten beförderte passiv anale Position die stsäteren Erleb, 
nisse des Kastrations, und Ödipuskomplexes beeinflußt. Wenn es sich nur um 
solche Einwirkungen prägenitaler Entwicklungen auf die Konflikte des dritten 
und vierten Lebensjahres handelt, so besteht darüber gewiß kein Zweifel 

Allem es scheint uns daß eine solche prägenitale Ausprägung der Konflikte des 
dritten und vierten Lebensjahres da sein kann, aber nicht da sein muß Die Er. 
lebmsse des Kastrationskomplexes, des Penisneides, des Ödipuskomplexes 
scheinen unter allen Umständen - aus bisher noch unbekannten Gründen - 
pathogenen Konfliktstoff in sich zu bergen. Die Entwicklung in der oralen und 
analen Phase kann, wie mir scheint, auch ohne pathogene Konflikte durchlaufen 
werden; sie kann wahrscheinlich durch pädagogische Maßnahmen allein - 
wenigstens bei konstitutionell nicht zu sehr belasteten Kindern - von patho. 
genen Stoffen freigehalten werden. 

Mail glaubt nun den Einwand zu hören, dieses Material sei nicht verwertbar 

das Kind sei ja nicht analysiert worden. Nun, das Wort „Analyse" ist keine 

Zauberformel. Wir sind gewohnt, ein Material als nicht beweisend zu bezeichnen, 

weil das betreffende Individuum nicht analysiert worden sei, und meinen damit 

man wisse mcht genug über dieses Individuum; der Analytiker hätte zufolge der 

angen und intimen Beschäftigung mit dem Kranken und der Arbeit mit der ana. 

lytischen Grundregel sehr viel mehr über die betreffende Person erfahren und 

durch die freien Einfälle ein großes Material gesammelt, das man sonst nicht hat 

Im vorliegenden Falle liegen die Dinge anders. Man fragt sich, ob die analytische 

Beobachtung des Kmdes von seiner frühesten Zeit an durch die Mutter und Ana. 

ytikerin, die intime Kenntnis aller Vorfälle seines Lebens und die ganz der Ana. 

iyse gemäße Besprechung dessen, was noch unverstanden war, nicht ein Material 

bietet, das der Analyse durch eine dem Kinde fremde Analytikerin äquivalent 

ist; ja, vielleicht weiß die Mutter mehr als die Analytikerin leicht erfahren kann 

Die Autlosung des Traumes war der Mutter in diesem Falle möglich, weil sie ,das 

Leben des Kindes genau kannte. Eine fremde Analytikerin wäre hier in viel 

schwierigerer Lage gewesen. Man kann nicht sicher sagen, ob sie von dem zu 

dieser Zeu dreiemhalbjährigen Kinde die Mitteilung über den Luftballon und 

"'f.^'^^^f^ss* '^^^ K^"^«^s beim Aufblasen des Luftballons und über die Unge. 

schickhchkeit oei der Bedienung des weichen Mundstückes erfahren hätte Man 

darf aber vermuten, daß bei der Analyse noch jüngerer Kinder dergleichen Mit. 

teilungen des Kindes an die Analytikerin wohl überhaupt nicht erfolgt wären.« a 

42a) Es scheint vielleicht nicht unzweckmäßig, noch einmal zusammenzufassen^ wie sich 
die Deutung dieses Analysebruchstückes aus dem Material aufbaut 

Daß das Kind einige Monate vor dem Beginn der beschriebenen Schwierigkeiten ge. 
memsam mit der älteren Schwester einen kleinen nackten Jungen gesehen hatte, ist Tat. 
Sache. Wir hatten es also mit der nachträglichen Wirkung eines Erlebnisses zu tun. Hiezu 
Ware folgendes zu bemerken: 

1. Wir wissen aus einer großen Zahl von Erfahrungen, daß es nachträgliche Wirkungen 
von Erlebnissen gibt (vgl. dazu die Ausführungen von Freud in „Aus der Geschichte 
emer mfantilen Neurose", Ges. Sehr., Band VIII, S. 481 f). Die Nachträglichkeit der Wir. 
Kung ist sonach möglich. 

\^^I ^?fi'^ ^^^ ^"'' ^^'^ ^^'^ Beobachtung verhältnismäßig jung; es ist also nicht über. 
raschend, daß eine sofortige Wirkung damals nicht eintrat, und man mußte, nach den 
£.rtahrungen, daß alle Mädchen auf die Tatsache des Geschlechtsunterschieds in einer 
der bekannten Arten reagieren, eines schheßlichen Auftretens dieser Probleme gewärtig 



560 



Robert Wälder 



Ein anderer Einwand könnte lauten, die Mutter sei eine untaugliche Person zur 
Beobachtung des eigenen Kindes, auch dann, wenn sie Analytikerin sei. Wir 
haben alle ein reiches Material von der Unverläßlichkeit elterlicher Aussagen 
über eigene Kinder. Das ist gewiß ein Einwand, über den man nicht ohneweiteres 
hinweggehen kann. Aber man fragt sich, wie es kommen soll, daß die Mutter 
ohne innere Schwierigkeiten Aggressionen des Kindes gegen sie, die aus dem 



sein. Fraglich konnte überhaupt nur sein, ob das durch eine nachträgliche Wirkung des 
Erlebnisses am Strand oder zufolge rezenter Erfahrungen gleicher Art geschehen würde. 
In diesem Falle kommt aber hinzu, daß die ältere Schwester auf die damalige Beobachtung 
reagiert hatte und ilire Reaktionen mit ihr in Gegenwart des jüngeren Kindes durcii 
Monate hindurch besprochen wurden. Das Auftreten einer. Reaktion bei der Jüngeren ist 
also nur das, was man erwarten mußte. 

3. Zudem entspricht die Nachträglichkeit der Reaktion dem Charakter dieses Kindes. 
Es ist ein eher stilles, sehr interessiertes Kind, das die Umgebung öfter damit überrascht 
hat, daß es auf Vorfälle nach einer Weile zu sprechen kam; wahrscheinlich hatte es sich 
mittlerv>'eile still damit beschäftigt. 

Sonach scheint es, daß eine nachträgliche Wirkung des seinerzeitigen Erlebnisses, das 
durch die Gespräche mit dem älteren Kind ständig frisch gehalten wurde, nunmehr, da 
die Kleine älter geworden war, durchaus plausibel ist. 

Die Erscheinungen, die dann auftreten, seien hier noch einmal zusammengestellt: 

1. Die Idee, die Mutter habe sie kaputt gemacht. 

2. Die Angst, als sich die Mutter beim Abtrocknen dem Genitale näherte. 

5. Die Weigerung, dem Vater die Hand zu geben, und die Begründung dieser Weige== 
rung durch das Kind: weil der Vater ein männliches Genitale habe. 
'i. Das rege Interesse für Brillen. 

5. Das wiederholte Greifen nach der eigenen Nase, das von der Frage begleitet ist, 
ob sie eine große Nase habe, und das sich schließlich zum Tic^Symptom verdichtet. Der so= 
fortige Wegfall dieses Symptoms bei der durch das größere Kind gegebenen Deutung aus 
dem Kastrationskomplex. 

6. Das rege Interesse für „groß und klein". 

7. Die Idee, sie sei einmal groß gewesen und dann erst klein geworden. 

8. Die Neigung, der Mutter an allem Unliebsamen, das vorfällt, die Schuld zu gehen, 
weil sie nicht auf das Kind achtgegeben habe. 

9. Die Weigerung, das Fleisch bei den Mahlzeiten zerschneiden zu lassen, von großen 
Stücken Backwerk etwas abbrechen zu lassen, von einem Apfel u. dgl. ein Stück zu nehmen, 
und das Verlangen, alle diese Dinge in unzerkleinertem Zustand zu bekommen, in dem 
sie sie gar nicht essen kann. ' 

10. Die starke Angst beim Aufblasen des Luftballons, er könnte platzen, und die Er* 
schütterung über einen solchen gelegentlichen Vorfall. 

11. Die Angst bei dem Anblick des geschorenen Hundes, den sie in seinem vollen Haar»» 
schmuck gekannt hatte. 

Alle diese Vorfälle lassen sich nun einheitlich als Äußerungen des weiblichen Kastra* 
tionskomplexes verstehen. Es gilt im allgemeinen als ein Vorteil, wenn eine große Zahl 
von Erscheinungen aus einem einzigen Prinzip erklärt werden können. Es wäre gewiß mög« 
lieh, einzelne der oben beschriebenen Verhaltungsweisen auch anders zu erklären, z. B. 
die Abneigung gegen zerkleinerte Nahrung, und es scheint wohl möglich, daß in solchen 
einzelnen Punkten andere Determinanten auswählend mitspielen. Aber keine andere Er<= 
klärung würde alle Erscheinungen treffen. 

Hiezu kommt, daß die aufgetretene Erscheinungen Varianten von Verhaltungsweisen 
sind, von denen wir aus der Erfahrung (Kinderbeobachtung) wissen, daß sie bei allen 
Mädchen als Reaktion auf die Wahrnehmung des Geschlechtsunterschieds, — oder, vor* 
sichtiger und ohne petitio piincipii gesagt, — daß sie nach der Wahrnehmung des Ge* 
schlechtsunterschieds auftreten. 

Weiter ist zu bemerken, daß wir es in einem der oben aufgezählten Punkte nicht mit 



Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Kindesalter 561 

Vorwurf stammen, daß sie es als Mädchen geboren oder durch das „Platzen" zum 
Mädchen gemacht habe, und die ödipale Abwendung des kleinen Mädchens ruhig 
registrieren kann und eine Scheu empfinden sollte, Aggressionen des kleinen 
Mädchens aus den oralen Konflikten zu verstehen. Nach Erfahrungen, die man in 
Erwachsenenanalysen sammeln kann, zu schließen, ist es ja gar nicht so, daß die 
stärksten Widerstände bei dergleichen Erlebnissen der Frühzeit liegen; was sich im 
ersten Lebensjahr abgespielt hat, quasi^biologische Entwicklungen, geht uns nicht 
so nahe wie die schweren Konflikte des Ödipus* und Kastrationskomplexes.*' 

VII. Die Valenz des „tiefen" Unbewußten. 
In den Arbeiten, mit denen wir uns beschäftigen, findet man gelegentlich 
den polemischen Vermerk, etwas, was von anderer Seite gesagt sei, gelte nur 

Deutungen, sondern vergleichsweise mit eiiier Tatsache zu tun haben, d. h. im Sinne 
der im Abschnitt II dargestellten Stufentheorie mit einer Deutung niedrigerer Ordnung. 
Das gilt für den Punkt 3, da das Kind dort selbst ausdrückhch und ohne von irgendwelchen 
Erwartungen der Eltern beeinflußt zu werden, den Besitz des männhchen Genitales des 
Vaters als Grund für die Verweigerung der Hand angibt. 

AU das gilt nun für die Erscheinungen vor dem Auftreten des besprochenen Traumes. 
Die Deutung des Traumes stützt sich auf folgende Überlegungen: Die Mutter war dem 
Traum gegenüber zunächst ratlos, brachte also keine Erwartungen mit. Sie wird erst durch 
die Äußerungen des Kindes, das Genitale sei groß und klein gewesen, und durch das Auf»» 
blasen des Bauches auf die Spur geführt. Besonders bemerkenswert ist dann die Antwort des 
Kindes auf den ersten Deutungsversuch der Mutter, es habe gefürchtet, das Genitala 
werde beim Aufblasen platzen: „Es ist schon geplatzt". Diese Bemerkung ist eine teilweise 
Akzeptierung der Deutung bei gleichzeitiger Korrektur eines Teiles. Ein solches Ein« 
gehen mit Korrektur scheint darum als Bestätigung besonders wertvoll, weil die Tatsache, 
daß das Kind eine Modifikation vornimmt, die Wahrscheinlichkeit, es könnte einem sug* 
gestiven Einfluß nachgegeben haben, herabsetzt und damit die Akzeptierung dessen, was 
akzeptiert ist, viel glaubwürdiger macht. In der Tat, der allfälHge Verdacht der sugge« 
stiven Beeinflusseng wird damit, wenn auch vielleicht in den Augen des Skeptikers nicht 
völlig ausgeschlossen, so doch viel weniger wahrscheinlich gemacht. 

Jedenfalls ist festzuhalten, daß die Deutung nicht an Hand von Symboldeutungen, 
also ohne Mitwirkung des Kindes, sondern auf Grund der ausdrücklichen Mitteilungen 
des Kindes sowie auf Grund der intimen Kenntnis, die die Mutter von den Details des 
Alltagslebens des Kindes hat, gewonnen wird. 

Wie reagiert nun das Kind auf die schheßHche Deutung? Wir können natürlich beim 
Kind nicht erwarten, daß es darauf sagt, was der Erwachsene sofort oder eine Weile später 
in solchen Fällen sagt: Ja, ich spüre das in mir, und es ist immer so in mir gewesen. Aber 
anstatt dessen tritt beim Kinde das glücküche, befreite Lächeln auf. Freilich mag man 
auch hier einwenden, es sei auch eine Deutung, daß das Lächeln ein Ausdruck von Zu* 
Stimmung und innerer Befreiung gewesen sei, aber es ist doch jedenfalls, im Sinne der 
Stufentheorie, eine Deutung von niedrigerer Ordnung; gegebenenfalls hätte dieser Cha* 
rakter des Lächelns durch einen Film auch einem weiteren Kreise von Personen über* 
zeugend gemacht werden können. i 

43) Wir haben uns zuvor gegen die agonale Verwendung der Psychoanalyse ausge* 
sprochen und sie für unfruchtbar gehalten; die wissenschaftliche Diskussion muß an Hand 
des Vergleiches mit der Realität geführt werden. Es liegt uns also ferne, eine Verschiebung 
der Diskussion zu versuchen, die zur Klärung von Problemen nichts leistet und die Ana* 
lyse zum Machtinstrument degradiert, im übrigen auch selbst in ihrem analytischen Teil nie 
überzeugend ist. Es geschieht also keineswegs in solcher Absicht^ wenn wir an dieser Stelle 
feststellen, daß die von Melanie Klein vorgenommene Akzentverschiebung von den 
Konflikten des dritten und vierten Lebensjahres zu Fragen der oralen Wünsche und Ver* 
sagungen, Aggressionen und Ängste in einem früheren Lebensalter eine Verschiebung von 
der Linie größeren Widerstandes auf eine Linie geringeren Widerstandes ist. 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXII/4 36 



562 



Robert Wälder 



für das Bewußtsein oder für die dem Bewußtsein näherstehenden Schichten; 
im Unbewußten, in der Tiefe, sehe es aber anders aus. Gegen einen solchen 
Hinweis wäre an sich gewiß nichts einzuwenden; wir alle sind bestrebt, die 
tieferen Schichten des Seelenlebens kennenzulernen und betrachten ohne ihre 
Erforschung, innerhalb der Grenzen praktischer Möglichkeiten, keine Ana« 
lyse für abgeschlossen. Aber es scheint, daß in solchen Bemerkungen noch 
etwas mehr darin liegt, daß der Hinweis, etwas gelte nur in höheren Schichten, 
zugleich so viel besagen soll, daß es den Analytiker wenig oder nichts an# 
gehe und daß es im Grunde genommen gar nicht existiere. Es steckt hier 
so etwas drinnen wie die Idee, daß „eigentlich" nur das Unbewußte existiere. 
Wer die oberflächlicheren Schichten des Seelenlebens studiere, sei vielleicht 
selbst oberflächlich.!* 

Wir woUen diesen Punkt, der sich vielfältig belegen ließe, einmal an Hand 
eines technischen Beispiels erörtern: 

AnnaFreud hat bekanntlich in ihrer „Technik der Kinderanalyse" '^ aus* 
geführt, daß es in der Kinderanalyse notwendig sei, dem Kinde Krankheits«« 
einsieht oder etwas, was an ihrer Stelle steht, zu erwecken. Das Kind komme 
nicht in die Analyse wie der Erwachsene, der weiß, daß er krank ist, zumeist 
aus eigenem Entschlüsse kommt und Hilfe für sein Leiden sucht; das Kind 
werde stets durch einen Entschluß der Eltern zur Analyse gebracht. Seine 
Symptome seien vielfach solcher Natur, daß die Eltern darunter mehr leiden 
als das Kind selbst. Das Kind sei gleichsam ein unabgeschlossenes System; 
was sich beim Erwachsenen in ein und derselben Person abspiele — Krank* 
heit und Krankheitseinsicht, Krankheit und Gesundungswille — sei beim 
Kinde auf mehrere Personen zerlegt; das Kind sei krank, die Krankheitseinää 
sieht und der Wille, es solle gesund werden, gehöre den Eltern zu. 

Dagegen sind nun aus dem Kreise der Kinderanalytiker um Melanie^ 
Klein zahlreiche Einwendungen erhoben worden. Eine solche Bemühung 
sei unanalytisch, sei ein Stück Pädagogik, das sich ungerechtfertigtere« 
weise an die Stelle der Analyse setze; man wisse dann gar nicht bestimmt, ob 
eine solche — mehr oder weniger zweckmäßige — pädagogische Einwir=« 
kung nicht überhaupt verhindere, daß ein regelrechter analytischer Ablauf 
zustandekomme. Mit dem Gesundungswillen der Erwachsenen sei es auch 
nicht weit her. Er bestehe ja „nur" im Bewußtsein der erwachsenen Kranken; 
analysiere man den Genesungswunsch, so offenbarten sich in ihm die ver=ä 
schiedenen neurotischen Wünsche, so der Wunsch nach Befriedigung der 
infantilen Triebregungen oder der Wunsch nach Niederhaltung dieser Triebä» 
Impulse und Verstärkung der Abwehr, der Wunsch nach magischem Wege« 



44) Man skht, wie verführend es ist, 
lytischen Topik zu wörtlich zu nehmen. 

45) Int. Psa. Verlag, Wien, 1927. 



die bildlichen Bezeichnungen der psychoana* 




Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Kindesalter S63 



zaubern von Triebimpulsen, wie das Nunberg gezeigt habe.*« Bei der Er*> 
weckung von Krankheitseinsicht werde im Kinde Angst erzeugt, statt daß 
sie analysiert werde. 

Bei dieser Kritik ist man versucht, zu vermuten, die Gedanken Anna 
Freuds seien ein vollständiges Novum in der psychoanalytischen Technik, 
gleichsam ein Einbruch der Pädagogik in die Analyse. Das ist aber nicht der 
Fall. In Wahrheit sind diese Gedanken über die Kinderanalyse eine An# 
Wendung altvertrauten, zuvor nicht in Frage gestellten psychoanalytischen 
Gedankenguts auf den Gegenstand Kind. 

Niemand bezweifelt die analytischen Ergebnisse über den Genesungs* 
wünsch, die Nunberg in der erwähnten Arbeit dargestellt hat. Gewiß, 
alle diese der Neurose gemäßen Wünsche können und müssen bei der Ana^ 
lyse des Genesungswunsches zutage gefördert werden. Aber das heißt nicht, 
daß ein Genesungswunsch überhaupt nicht vorhanden sei, und es ist Nun* 
berg durchaus ferngelegen, eine solche Schlußfolgerung daraus zu ziehen. 
Beim Erwachsenen liegt ein Konflikt vor. Ein Stück Persönlichkeit, eben die 
bewußte Persönlichkeit, will gesund werden, ein anderer Teil hält an der 
Neurose fest. Daß sich selbst noch im Gesundungswillen Tendenzen der 
Neurose durchsetzen, ändert im Grunde genommen tuchts an dem Sach# 
verhalt des Konfliktes. Und einen solchen Konflikt braucht man jfür die 
Durchführung der Analyse; man arbeitet ja im Bunde mt diesem Stüick gcf 
sunder Persönlichkeit in der Bekämpfung der Krarfkheit. Ich habe an an«= 
derer Stelle vom „archimedischen Punkt" gesprochen, den man braucht, Mia 
die Krankheit aus ihren Angeln zu heben.*^' 

Wo immer in der Analyse von Erwachsenen diese Krankheitseinsicht und 
dieser Gesundungswille vollständig fehlt, wo gar kein Konflikt vorhanden 
ist, das Ich also mit der Krankheit völlig einverstanden ist, entsteht be* 
kanntlich eine besondere Schwierigkeit für .4ie analytische Therapie. Wenn 
ein Perverser mit seiner Perversion zufrieden ist, sie jaicht zu verliejipn 
wünscht, wird die analytische Bemühung \^ergeblich sein, es sei denn, es 
gelingt ihr, ihn mit seiner Perversion doch noch zu entzweien. Man hat daher 
nicht selten gesagt, der Mensch müsse leiden, um analysiert zu werden. Wo 
immer in der Analyse eines erwachsenen Neurotikers Krankheitseinsicht oder 
der Wille zur Gesundheit nicht besteht, hat auch die Erwachsenenanalyse 
seit jeher versucht, ihm diese Krankheitseinsicht künstlich zu erwecken und 
ihn mit seinen Symptomen zu entzweien. Die große Schwierigkeit der Anas« 
lyse von Charakterneurosen, bei denen die Symptome ins Ich eingebaut sind, 
ist darin begründet. 

Man versucht natürlich, in der Erwachsenenanalyse diese Erweckung der 

46) H. Nunberg: Der Genesungswunsch, Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XI, 1925. 

47) Das Freiheitsproblem in der Psychoanalyse und das Problem der Realitätsprüfung, 
Imago, XX, 1934, S. 471, S. 483. 

36* 



Krankheitseinsicht nach Möglichkeit mit rein analytischen Mitteln zu machen: 
indem man dem Patienten zeigt, wie er ist. Manchmal genügt dies zur Ent* 
stehung von Krankheitseinsicht. Es sind diese solche Fälle, in denen ein 
Stück inneren Widerspruchs doch vorhanden ist. Aber das muß nicht in allen 
Fällen genügen; manchmal gibt es Einwirkungen, die man getrost pädago.» 
gisch nennen kann, so etwa, wenn man den Patienten auf die möglichem 
realen Folgen seiner Symptome hinweist oder auf die ungünstige Wertung, 
die sie bei anderen Menschen, nicht zuletzt beim Analytiker, finden. 

Das ist altes Gut der Erwachsenenanalyse und ist immer wieder diskutiert 
worden, einesteils bei der Frage der Behandlung solcher Fälle, bei denen die 
Krankheit vom Ich bejaht wird oder ins Ich eingebaut ist, wie der Perver=* 
sionen und Charakterneurosen, andererseits bei der Analyse von sehr weit* 
gehend Gesunden. 

A n n a F r e u d hat nun dieses vertraute Prinzip der Analyse auf die Kinder* 
analyse übertragen und darauf hingewiesen, daß dort regelmäßig auftritt, 
was man bei Erwachsenen nur gelegentlich begegnet, und daß daher jenes 
Vorgehen regelmäßig erforderlich ist, das bei Erwachsenen gelegentlich 



notig ist. 



In der von uns wiedergegebenen Kritik scheint der Gedanke zu liegen, daß 
das, was nur in der bewußten Persönlichkeit wirksam ist, so gut wie nicht 
vorhanden sei. Weil auch der Genesungswunsch des Erwachsenen im großen 
und ganzen nur in seinem Bewußtsein, nur den höheren Schichten seines 
Ichs angehört, gebe es ihn gleichsam nicht, denn reale Wirksamkeit komme 
nur dem menschlichen Unbewußten zu; und um so realere, um ein je tieferes 
Unbewußtes es sich handelt. Das ist aber ein Gedankengang, den man als 
Mythisierung des Unbewußten bezeichnen möchte. 

Man fragt sich, welchen Sinn Deutungen des Unbewußten haben sollten, 
wenn es nicht einen solchen Konflikt im Menschen, eine Entzweiung zwi* 
sehen dem, was die höheren Schichten seines Ich wollen und dem, was ihm 
Es, Übersieh und tiefere Schichten des Ich auferlegen, ^äbe. Handelt es 
sich doch bei der Deutung stets darum, daß durch die Bewußtmachung eben 
diese höheren Schichten des Ich in die Lage versetzt werden, sich nunmehr 
anders mit den Triebkonflikten auseinanderzusetzen. Wenn es keinen solchen 
inneren Widerspruch im Menschen gäbe, wäre ja die Deutung wirkungslos. *>* 

Jones hat unserer Wissenschaft einen ihrer wichtigsten Begriffe ge# 
schenkt, der so völlig ins allgemeine Sprachgut übergegangen ist, daß, wer 
ihn benutzt, kaum mehr weiß, daß er ein psychoanalytischer Begriff ist: die 

48) Vergl. hiezu z. B. die Darstellung der Wirkung der Psychoanalyse in meiner Arbeit 
„Die Psychoanalyse im Lebensgemhl des modernen Menschen", Almanach der Psycho* 
analyse, 1929. — Man versteht im übrigen besser, warum, wenn diese therapeutische 
Wirkung der Deutung nicht geschätzt wird, die Theorie der psychoanalytischen Therapie 
auf die Auflösung des circtdus viticsiis dsr Phantasien durch die reale Persönlichkeit des 
Analytikers begründet wird. ' 



N 



I 



Zur Frage der Genese der psychischen Ko nflikte im frühen Kindesalter 565 

Rationalisierung. Gewiß, wenn wir etwas als Rationalisierung entlarven, so 
enthüllen wir anders geartete unbewußte Motive. Aber doch hat nicht nur 
dieses Andere „eigentlich" Existenz; denn daß es überhaupt rationalisiert 
wird, weist auf eine zweite Tendenz im Seelenleben hin. Diese, wie der 
Genesungswunsch, mag schwach sein; sie war so schwach, daß sie sich gegen 
den Trieb nicht durchsetzen konnte, aber doch stark genug, dem Trieb seinen 
geraden Weg zu verlegen. 

Es scheint sich bei der Mythisierung des Unbewußten um eine Antithese 

Izu einer voranalytischen These zu handeln. Nach der voranalytischen und 
nicht analytischen Psychologie gibt es nur das Bewußtsein; nach dieser Anti* 
these gäbe es eigentlich nur das tiefe Unbewußte oder wäre doch nur diesies 
der Arbeit des Analytikers wert. Diese Antithese enthält vielleicht mehr 
Wahrheit als die These, doch wahr ist auch sie nicht. 

Man versteht so, daß die Bemühungen vieler analytischer Arbeiter aus*= 
schließlich darauf aus waren, in die „Tiefe" zu dringen, das unbewußte 
Phantasieleben weiter zu erforschen und die Inhalte früherer Stufen aufzu:« 
decken. Bei einer solchen Forschungsrichtung, die an sich berechtigt und 
notwendig ist, insolange sie nicht zur Verabsolutierung 
ihres Gegenstandes schreitet, kommt dann leicht das Interesse für andere 
seelische Schichten, für das ganze komplizierte Netz der Verarbeitungsweisen 
im Ich — soweit es sich nicht gerade um die ältesten oder für am ältesten 
gehaltenen Abwehrmechanismen handelt — zu kurz.«» Aber damit kommen 
wir zum Gegenstand des nächsten Abschnittes. 

VIII. Die Beziehung des tiefen Unbewußten zu ich=» 
näheren Schichten. 

Bekanntlich haben in der gleichen Zeit, da die hier besprochenen Versuche 
einer Ausdehnung unseres Wissens vom unbewußten Phantasieleben unter?: 
nommen wurden, andere Analytiker, ohne darum an Interesse für das tiefe 
Unbewußte zu erlahmen, sich in wachsendem Maße mit dem Studium des 
Ichs beschäftigt. Die letzten beiden theoretischen Werke Freuds hatten 
die Grundlagen für diese Erweiterung des psychoanalytischen Interesses geo 
schaffen. In „Das Ich und das Es" ist eine der revolutionärsten Einsichten | 

der Psychoanalyse festgelegt: daß der Gegensatz von Ich und Es nicht mit ^|J 

dem von Bewußten und Unbewußtem zusammenfällt, daß auch ein Teil ^^M 

des Ichs unbewußt ist. In „Hemmung, Symptom und Angst" lehnt Freud 
eine dämonologische Theorie des Seelenlebens, nach der wir von dunklen 

48a) Ed. Glover sagte in seinem Vortrag am Symposion des XIV. Internationalen 
Psychoanalytischen Kongresses in Marienbad am 4. August 1936, es gebe drei Themen 
der Analyse: die Mechanismen, die Affekte und Triebe, und nannte als Mechanismen die 
mißglückte Verdrängung, die Verschiebung, die Reaktionsbildung, die Projektion und die 
Introjektion; es müsse wohl mehr davon geben, doch wisse man wenig darüber. 



566 



Robert Wälder 



Kräften in uns gelebt werden, eine Theorie, die als eine Art Antithese zur 
Adler sehen Lehre von der Allmacht des Ichs zu entstehen schien, ab und 
weist der analytischen Einzelforschung die Aufgabe zu, in jedem Falle zu 
prüfen, was der Anteil des Ichs und was der Anteil des Es an einem Phäno«» 
men sei. Die Verallgemeinerung des Abwehrbegriffes in dem gleichen Buche 
zu einem Oberbegriff, unter den die Verdrängung und andere Mechanismen 
als Abwehrformen fallen — zwei solche neue Abwehrformen, die Isolierung 
und das Ungeschehenmachen, werden in diesem Werke erstmalig beschrieben 
— stellt die Aufgabe nach einer weiteren Untersuchung von Abwehrformen. 
Diese Keime wurden mehrfach aufgegriffen. Die Ideen der Widerstands»« und 
Charakteranalyse stellen wahrscheinlich einseitige Versuche in dieser Rich«= 
tung dar; sie haben die Diskussionen vergangener Jahre wiederholt bes* 
schäftigt. Aber auch abgesehen davon steht eine umfangreiche Literatur als 
Zeugnis für das wachsende Interesse an Ich^Psychologie. Ihren letzten 
Niederschlag haben diese Bemühungen in dem mehrfach zitierten Buche 
Anna Freuds gefunden. 

Man weiß seit langem, daß die Neurose ein Prozeß ist, vergleichbar den 
Prozessen organischer Krankheiten. Aus einem Konflikt entsteht zum Bei* 
spiel Angst; gegen die Angst werden Abwehrmechanismen ergriffen, die 
ihrerseits wieder zu Unerwünschtem führen. Joan Riviere hat ja auch die 
von ihr angenommenen Vorgänge des ersten Lebensjahres schon als einen 
außerordentlich komplizierten Prozeß beschrieben. Im Prinzip handelt es sich 
immer wieder darum, daß Lösungsversuche unternommen werden, die sich 
dann als untauglich erweisen und Gegenstand neuer Konflikte bilden. Wir 
haben es mit Ich* Verarbeitungen zu tun, deren Produkte wieder die Abwehr 
des Ichs herausfordern; unter Berücksichtigung der mannigfachen Verändes^ 
rungen von Triebleben und Außenwelt entsteht hier ein außerordentlich ver# 
wickelter Prozeß, der noch lange nicht in allen seinen Phasen genau bekannt 
ist. Was uns als Neurose eines erwachsenen Menschen oder eines größeren 
Kindes entgegentritt, ist das vorläufige Endprodukt eines solchen kompli* 
zierten Prozesses, in dem der pathogene Konflikt zahlreiche Überlagerungen 
durch spätere Ich* Verarbeitungen erfahren hat. In der Analyse hat man nun 
diesen Prozeß wieder rückgängig zu machen und die alten pathogenen Situa* 
tionen neu zu beleben.*" Die Idee, daß die Analyse in Schichten vor sich 
zu gehen habe und von den jüngeren Schichten allmählich zu den älteren 
vordringe, ist alles Gut der Analyse. Doch ist sie manchmal dahin mißven» 
standen worden, daß das in der Analyse auftauchende Material stets einer be* 
stimmten Schicht angehöre, was offenbar nicht der Fall ist. Als eigentlicher 
Sinn dieses Satzes enthüllt sich, daß die Neurose — oder der Charakter, den 

49) Diese und die folgende Darstellung folgt der Beschreibung von Anna Freud; eine 
damit Übereinstimmelide Beschreibung ist auch von E. B i b r i n g in seinem Vortrag am 
Symposion des XlV. Int. Psa. Kongresses in Marienbad am 4. August 1936 gegeben worden. 




Zur Frage der Genese der psychifchen Konflikte im frühen Rindesalter 567 



wir analysieren — durch die Analyse zurückverwandelt wird in immer ältere 
Formen, daß der ganze bisherige Prozeß der Neurosenentwicklung in der 
Analyse nach rückwärts durchlaufen wird. Da nun die Neurose ein sehr 
spätes Stadium eines solchen Prozesses ist, so wird die Analyse die ganzen 
Ich* Verarbeitungen zu studieren und analytisch aufzulösen haben und damit 
die Neurose allmählich in ihre ältere Form und damit schließlich in den 
alten pathogenen Konflikt zurückverwandeln. Das bedeutet aber, daß die Ana* 
lyse nicht umhin kann, sich mit dem ganzen ungeheuren Weg des neurio* 
tischen Prozesses, mit allen hohen und höchsten Verarbeitungsweisen des 
Ichs zu beschäftigen. Im Grunde ist das einfach eine Folge der Tatsache, 
daß die Neurose kein lineares Phänomen ist, sondern ein Prozeß. 

Damit ist aber etwas über die Beziehung der tieferen Schichten des Unbe# 
wußten zum Ich und den ich*näheren Schichten ausgesagt. Das Studium 
dieser höheren Schichten ist der Analyse unentbehrlich. Bei den Bemühungen, 
mit denen wir es hier zu tun haben, begegnet manchmal das Bestreben, 
sich direkt, mit einer tieferen Schicht in Verbindung zu setzen. Es 
kommt dies vielleicht in der Kinderanalyse deutlicher zum Vorschein 
als in der Erwachsenenanalyse. Hier vertritt bekanntlich Melanie Klein 
den Standpunkt, daß man sich mit dem Unbewußten des Kindes direkt in 
Verbindung setzen könne, daß sogenannte Tiefendeutungen auch sofort zu 
geben sind, ja daß sogar ihnen die Funktion zufalle, den Kontakt des Kindes 
mit der Analytikerin herzustellen. Ein solcher Versuch aber ist das, was 
andere Analytiker von ihrem Standpunkt aus als einen Sprung bezeichnen. 
Man wird gewiß den Gedanken vertreten können, daß das Kind in 
größerer Nähe zu den unbewußten Inhalten des Es lebe wie der Erwachsene 
— wenngleich auch hierin noch viel Problematik ist. Jedenfalls darf man 
mit Recht erwarten, daß die kindliche Neurose noch in einem früheren Stas* 
dium des neurotischen Prozesses stehe; das ist einer der Gründe für die 
größeren Hoffnungen, die wir an die Kinderanalyse knüpfen. Aber auch beim 
Kinde hat schon ein Verarbeitungsprozeß stattgefunden; die Geschwindig* 
keit solcher Verarbeitungen ist manchmal sehr groß. Und darum möchten 
viele Analytiker glauben, daß auch in Kinderanalysen der Sprung nicht 
fruchtbar sei und man auch dort alle komplizierten Verarbeitungen des Ichs 
im breitesten Rahmen aufwerfen und studieren müsse. 

Nun werden in den Arbeiten von Melanie Klein einige Verarbeitungs* 
weisen des Ichs sehr eingehend behandelt, vor allem die Introjektion und die 
Projektion. Aber die Verarbeitungen, die es zu studieren gut, sind zum Teile 
auch andere, „höhere", kompliziertere Techniken der Antwort auf Trieb, 
Angst und Affekt. 

Es wurde auch vielfach darauf hingewiesen, daß das durch einen Sprung 
Erreichte, auch wenn es an sich wahr ist, nicht den Wirklichkeitswert für 
den Erlebenden habe. Man weiß aus der Erwachsenenanalyse: es sind 



568 Robert Wälder 



Schatten der Vergangenheit, durch spätere Ichverarbeitungen zu Schatten ge=> 
worden. Werden sie dem Patienten jetzt vorgestellt, sind sie Gebilde, die 
er vielleicht intellektuell versteht, aber nicht affektiv erlebt. Erst wenn der 
Verarbeitungsprozeß aufgelöst ist, gewinnen sie ihre Lebendigkeit zurück. 

Wir haben bisher gegen die Überspringung der höheren Schichten des Ichs 
Bedenken vom technisch^therapeutischen Standpunkt aus geltend 
gemacht. Aber es scheint uns, daß ohne das genaueste Studium der höheren 
Ichs^Prozesse auch die Richtigkeit des so erschlossenen tieferen Unbe»' 
wußten in Frage gestellt ist. Wir haben eine ungeheure Mannigfaltigkeit von 
Phänomenen in den Fertigprodukten: die ganze Vielfalt des Lebens. Auf der 
anderen Seite haben wir eine relativ geringe Anzahl unbewußter Motive. Es 
wird also eine sehr große Mannigfaltigkeit einer verhältnismäßig geringen 
Zahl von Elementen zugeordnet. Was dazwischen liegt, ist eben die Mannig«' 
faltigkeit der Lösungen des Ichs. Um nun die unbewußten Motive richtig 
herauszuarbeiten, bedarf es einer außerordentlich genauen und detaillierten 
phänomenologischen Untersuchung der Fertigprodukte. Das impliziert aber 
das genau Studium auch jener Seiten des Phänomens, die wir dann in der 
Begriffsbildung zu den jetzt wirksamen Lösungsmetlioden des Ichs rechnen. 
Verhältnismäßig kleine Differenzen in der Phänomenologie einer Erschei* 
nung können dazu führen, daß man einen ganz anderen Konflikt als Ent* 
stehung zu finden glaubt. Man kann Beispiele dafür finden, wie kleine Unter* 
schiede in der Beschreibung der aktuellen Situation zu anderen Themen des 
Unbewußten führen, wenn man direkt versucht, ohne die Detailjunteti« 
suchung des ganzen Ablaufs zum Unbewußten zu gelangen und sich mit dem 
Unbewußten in Verbindung zu setzen.^" 

Das Ergebnis scheint nun dahin zu gehen, daß die Analyse nicht umhin 
kann, auch über Introjektion und Projektion oder Verschiebung und Ver=ä 
drängung etc. hinaus das mit fortschreitendem Alter sich reich vermehrende 
Arsenal der Verarbeitungsweisen des Ichs zu studieren. Auch weiterhin 
bleibt die Durchforschung der tieferen Schichten des Unbewußten ein 
Desiderat der Analyse, in jedem einzelnen Falle wie auch in der analytischen 



50) E. B i b r i n g spricht davon, daß wir aktuelle Verhaltensmo'delle herauspräparieren 
und über eine große Zahl von Zwischenmodellen zum infantilen Modell gelangen. Das 
aktuelle Modell enthält die jetzt wirksamen Triebregungen und Ängste sowie die jetzt wirk* 
Samen Verarbeitungsweisen des Ichs (die zum Teil eingeschliffene Antworten auf nicht 
mehr lebendige Triebregungen und Ängste sind). Es kann nur auf Grund sorgfältigster 
^Phänomenologie und unter voller Berücksichtigung aller heute am Werke befindlichen Ich* 
Mechanismen richtig herauspräpariert werden. Ist dieses aktuelle Modell unvollständig 
präpariert — also etwa ohne das genaue Studium der höheren Ich*Verarbeitungen — , oder 
sind nicht alle früheren Modelle in gleicher Vollständigkeit herausgearbeitet, so besteht die 
Gefahr, daß man gar nicht zu dem genau richtigen infantilen Modell gelange. Es könnte 
sich dann leicht um eine ungenaue Deutung des Infantilen handeln — auf die Folgen der 
ungenauen Deutung hat Ed. Glover hingewiesen. (The Therapeutic Effect of Inexact 
Interpretation, Int. Journal of PsA., Bd. XII, 1931.) 



Zur Frage der Genese der psychischen Konflikte im frühen Kindesalter 569 

Lehre überhaupt. Ohne das Studium des Ichs aber, auch seiner bewußten und 
bewußtseinsnahen Schichten, besteht ein techniscLätherapeutisches Bedenken 
und die so erschlossenen unbewußten Phantasien sind zudem mit einer Un* 
Sicherheit mehr belastet. 

' Zusammenfassung. 

- Wir haben es in den vorausgegangenen Erörterungen mit Absicht vevo 
mieden, in eine .polemische Erörterung der einzelnen Elemente der bespro* 
chenen Theorien einzutreten, und uns damit beschieden, rings um diese Theo* 
rien eine Reihe von Problemen aufzuwerfen, von deren Studium wir eine 
Vertiefung der Diskussionslage hoffen. Doch sei mir gestattet, einen vor* 
läufigen Gesamteindruck anzudeuten, der gewiß der Revision offen bleibt, 

Melanie Klein und ihre Mitarbeiter haben eine Reihe von Phantasien, 
vor allem orale Phantasien, beschrieben, die man in den Analysen Er* 
wachsener wie größerer Kinder findet. Sie haben dabei eine Arbeitsrichtung 
fortgesetzt, welche der Analyse von jeher eigen war und die vor allem in 
Arbeiten von K. Abraham ihren Niederschlag gefunden hat. Man nimmt 
gerne die Bereicherung unseres Wissens entgegen, die auf diese Weise ge* 
boten wird. Schließlich wird man auch dankbar betonen, daß Melanie 
Klein sehr frühzeitig einen von Freud in ,,Das Ich und Es" skizzierten 
schwierigen Gedanken aufgegriffen und ausgearbeitet hat, der unterdessen 
zum Gemeingut der Analyse geworden ist: die Tatsache, daß die Aggression 
des Über*Ichs nicht nur die vom Objekt entlehnte, sondern die eigene, gegen 
sich selbst zurückgewendete Aggression ist. 

Aber darüber hinaus besteben Bedenken. Man zögert, zu glauben, daß die 
Realität wesentlich nur als Bestätigung oder Widerlegung irrationaler Ängste 
eingreife; daß es einen vorgezeichneten Ablauf von Phantasien gibt, der 
durch die Realität geschwächt oder intensiviert werden kann, aber in ge* 
wissem Ausmaß immer wirksam ist; daß die schweren aggressiven Äuße* 
rungen des ersten Lebensjahres ein ubiquitäres Phänomen seien; daß in 
frühem Lebensalter psychoseähnliche Mechanismen am Werke seien, so daß 
die spätere Psychose durch das Wirken von der normalen Entwicklung ange* 
hörigen Reaktionsweisen erklärbar werde; daß die fraglichen Phantasien einem 
frühen Lebensalter angehören — man ist eher geneigt, ihre Entstehung erst 
auf einer späteren Stufe, im dritten oder vierten Lebensjahr zu suchen, wo* 
bei denn freilich Fixierungen aus den ersten zwei Lebensjahren Determi* 
nanten für ihre Entwicklung abgeben — ; überhaupt, daß wir genug Anhalts* 
punkte zur Verfügung hätten, um die Erlebnisse der ersten Frühzeit mit dem 
gleichen Grade von Sicherheit oder irgendeinem wissenschaftlich ausreichen* 
den Grade bis in Details erraten zu können. Schließlich bleibt doch der Ein* 
druck, diese Reise in eine schattenhafte Vergangenheit sei unternommen 



570 



RoWt Wälder: Zur Fr<^e der Genese der psychisdien Konflikte usw. 



worden und vieles, was mit weit größerer Sicherheit zugänglich ist und was 
die Analyse nicht entbehren kann, sei dabei unbearbeitet geblieben. 

Wem es um die Klärung dieser Probleme zu tun ist, der wird nicht umhin 
können, alle diese Fragen an einem möglichst reichen Material zu prüfen. 
Eine stete Wiederholung von Behauptung und Gegenbehauptung, die sich 
beide darauf berufen, was man die eigene Erfahrung nennt, wird kaum 
fruchtbar sein. 

Die Psychoanalyse hat eine dialektische Struktur. Die Pole ihrer Dialektik 
sind Phantasie und Realität, Biologie und soziale Umwelt, Konstitution und 
Erlebnis, Unbewußtes und Bewußtes, Übertragung und Realbeziehung, Es 
und Ich. Die hier besprochenen Arbeiten sind sehr nahe ari das eine mög^ 
liehe Extrem gerückt, während die meisten Analytiker, in den Spuren 
Freuds, an einer mittleren Linie festhalten. 



Zur Genese der Platzangst und des Schreib^ 

krampfes 

Von 

Ludwig Eideiberg 

Wien 

Herr A., ein im Zeitpunkt der Behandlung Sljähriger Mann, von Beruf Be» 
amter, bekam vor einundzwanzig Jahren zum erstenmal schwere Angstanfälle, 
die immer nur auf der Straße auftraten und verschwanden, sobald er zu Hause war. 
Er hatte dabei Blutandrang in den Kopf und fürchtete, vom Schlage getroffen zu 
werden und auf der Straße zusammenzufallen. Er brachte diese Angst in Be= 
Ziehung zur Lage seines Amtes, erstrebte und erreichte deshalb seine Transferier 
,rnng in eine an der Peripherie der Stadt gelegene Abteilung, worauf der Zustand 
allmählich abklang. 

Vor 15 Jahren trat die zweite Attacke der Platzangst akut auf. Die Anfälle 
waren diesmal so heftig, daß Patient zu Hause bleiben mußte. Er blieb ein Jahr 
im Krankenstand und wurde mit physikalischen Heilbehelfen, sowie mit Sugge? 
stion und Hypnose, allerdings mit geringem Erfolg, behandelt. Sein Zustand 
besserte sich erst, als er eine Wohnung in seinem Amt bekam, doch waren 
Spaziergänge nur mit Begleitpersonen möglich. Vor fünf Jahren trat ein Schreib* 
krampf auf. Dieses Symptom verschlechterte sich immer mehr, so daß Patient 
mit der linken Hand schreiben lernte. Einige Monate vor Beginn der Behandlung 
trat der Schreibkrampf auch beim Schreiben mit der linken Hand auf, aller;= 
dings war der Patient zu Beginn der Behandlung noch imstande, mit großen 
Anstrengung zu schreiben. 

Der Patient hatte vor dem Beginn seiner Behandlung bei mir nie etwas über 
Psychoanalyse gehört. Er erwartete zunächst, in ihr etwas ähnliches wie die 
Hypnose zu finden, die ebenfalls ohne Medikamente Krankheiten heilen wollte. 
Da seine diesbezüglichen Erfahrungen nicht günstig waren, hatte er selbstver* 
ständlich wenig Vertrauen zu der neuen Behandlung. 

In der ersten Ordination machte Patient einen sehr ängstlichen Eindruck, er 
zitterte am ganzen Körper, ging mit einem leise schleichenden Schritt auf den 
Zehenspitzen im Wartezimmer herum. In meinem Ordinationszimmer konnte 
er sich erst hinlegen, nachdem ich den Vorhang am Fenster zur Seite geschoben 
hatte. Nach Überwindung der ersten Schwierigkeiten in der Mitteilung der Ein* 
fälle, gelang es sehr bald, eine leichte Übertragung herzustellen. Der Patient 
wurde ruhiger und begann seine Lebensgeschichte zu erzählen. 

Er war das Kind armer Eltern, die nicht imstande waren, ihn zu erziehen, und 
so kam er schon mit fünf Wochen zu Pflegeeltern aufs Land. Er wurde dort gut 
behandelt, hätte auch ständig dort bleiben können, zog es aber vor, im zehnten 
Lebensjahr in die Stadt zurückzukehren. Da es seinen Eltern auch weiterhin un* 
möglich war, für ihn zu sorgen, kam er in ein Waisenhaus und wurde dann von 
einem Gemeindediener, der kinderlos war, an Kindesstatt genommen. In dieser 
neuen Umgebung gewann er bald die Liebe der Pflegeeltern, lernte fleißig in 
der Schule und begann bald, durch Nachhilfeunterricht Geld zu verdienen. Mit 
23 Jahren heiratete er. Die Ehe war glücklich. Nach 13jähriger Ehe starb, vom 
Patienten tief betrauert, die Frau. Fünf Jahre später heiratete er zum zweitenmal, 
die Ehe war unglücklich und wurde bald geschieden. Vor sechs Jahren ging; 



572 



Ludwig Eideiberg 



Patient seine dritte Ehe ein, die, bis auf die Frigidität der Frau, glücklich verläuft. 

Während der Behandlung teilte der Patient die näheren Umstände mit, unter 
denen seine Angst auftrat, bezw. stärker wurde. Zu Hause war er angstfrei, auf 
der Straße wurde die Angst geringer, wenn die Aussicht frei war, nahm aber zu, 
wenn die freie Sicht behindert war. In meinem Ordinationszimmer mußte ich in 
den ersten Stunden den Vorhang zur Seite ziehen. Scheinbar im Widerspruch 
damit, war die Angst im Flachland größer als im bergigen Terrain. Es gab })ea 
stimmte Orte, in denen die Angst unerträglich groß war, und zwar in einem 
Postamt und einem bestimmten Haus, besonders auf der Stiege, und wenn das 
Tor des Hauses geschlossen wurde. Dagegen konnte er ohne Schwierigkeiten 
mit dem Motorrad fahren, wurde aber wieder ängstlich, wenn er irgendwo) 
warten mußte. Sein Benehmen war häufig so, als ob die Gefahr nicht vor ihm, 
sondern hinter ihm liegen würde. Oft trat die Angst auf, wenn er lediglich die 
Absicht hatte, einen Weg zurückzulegen, also bevor er noch sein Haus verließ. 
Ging oder fuhr er auf der Straße, mußte er sich zwangsläufig den ganzen Weg 
nach Hause vorstellen. Zeigte es sich dann, daß die Vorstellung mit der Realität 
nicht haargenau übereinstimmte, wurde die Angst gesteigert. Er giflg am liebsten 
in der Mitte der Straße, obwohl er dadurch genötigt wurde, den Fahrzeugen aus* 
zuweichen. 

Nachdem die ersten Schwierigkeiten beseitigt waren, der Patient ein Stück 
seines Mißtrauens gegen die analytische Art der Behandlung überwunden hatte 
und die Grundregel zu befolgen anfing, ereignete sich in einem in meiner Nähe 
gelegenen Postamte ein Einbruch. Patient hatte dies in einer Zeitung gelesen 
und sprach in der Stunde ausführlich darüber, wobei er die Meinung vertrat, 
daß der Einbruch durch den Postbeamten fingiert worden sei, der auf diese 
Weise seine Defraudation kaschieren v/^olle. Da eigentlich kein äußerer Anlaß 
vorhanden war, um diese Hypothese zu stützen, der Täter nach einigen Tagen 
gefaßt wurde und der Patient darauf wegen seiner Verdächtigungen Schuld* 
gefühle bekam, benutzte ich diese Gelegenheit, um ihm etwas über die Projektion 
eigener Gedanken, bezw. Wünsche auf einen Fremden mitzuteilen, wobei ich ihn 
aufmerksam machte, daß es sich dabei vorwiegend um unbewußte Wünsche 
handelt. 

Ich sagte ihm, daß jeder Mensch eine Reihe von unbewußten Wünschen beher» 
berge, die verbrecherisch sind und eben deswegen vom Bewußtsein ferngehalten 
werden. In der Kindheit aber, bevor die Erziehung beendet sei, seien auch sie 
im Bewußtsein vorhanden. Wenn wir jetzt einen Zugang zu ihnen ^finden 
wollten, müßten wir uns vorwiegend der Erinnerung seiner Kindheit zuwenden. 
Patient erinnert sich nun, daß er seiner Pflegemutter, die leidenschaftlich gern 
im kleinen Lotto spielte, öfters ohne Wissen des Pflegevaters Geld vorgestreckt 
hatte. Dieses Geld mußte er sich häufig ausborgen, wobei er angab, daß es im 
Auftrage der Mutter geschähe, während er ihr gegenüber das geborgte Geld als 
sein Eigentum bezeichnete. So kam es, daß er große Angst vor Entdeckung hatte 
und verschiedene Schliche anwenden mußte, um sein Geheimnis zu wahren. Diese 
kleinen Betrügereien waren geeignet, seine aggressiven Impulse zu befriedigen, 
wobei er das beruhigende Gefühl hatte, daß er sie nicht zum eigenen Vorteile, 
sondern für die Pflegemutter beging. Die Tatsache, daß die Pflegemutter auf 
seine Unterstützung angewiesen war und diese kleinen Zuwendungen vor dem 
Vater verheimlichte, verschaffte ihm ein angenehmes Gefühl der Überlegenheit. 

Er hatte an diese Erlebnisse nicht mehr gedacht und war bereit, sie jetzt streng 
zu verurteilen. Er meinte, daß man in Geldsachen besonders korrekt sein müsse. 



I 



Zur Genese dar Platzangst und des Schreibkrampfes 



573 



und berichtete, daß man ihm sogar den Vorwurf machte, daß er diesbezüglich 
von einer übertriebenen Pedanterie sei. So lehnte er eine Einladung zu einer 
einfachen Jause deshalb ab, v/eil sein Gastgeber in geschäftlicher Verbindung mit 
seinem Amt stand. Es gelang bald, eine Wurzel dieser besonderen Vorsicht zu 
finden, als der Patient von seinem ersten Chef erzählte, der ihn in das Amt ein* 
geführt hatte. Dieser Mann, der dem Patienten sehr gewogen war, und an dem 
dieser sehr hing, mußte in Pension gehen, da er einige Unregelmäßigkeiten in 
der Kassa begangen hatte. 

Abgesehen von diesem „Fehler", war er aber, wie der Patient berichtet, ein 
tadelloser Beamter, ein Mann, der ihm imponierte, und dem er gerne ähnlich 
geworden wäre. Nun fällt ihm ein, daß sein Chef noch einen „Fehler" hatte: 
er war nämlich krank, und zwar litt er an schwerer Platzangst. 

Es ergeben sich nun folgende Vermutungen: Vorhandensein von aggressiven 
Tendenzen, die in der Jugend durch die kleinen Betrügereien befriedigt wurden, 
jetzt aber abgewehrt werden; Wunsch nach Identifizierung mit dem verehrten 
Chef und daraus resultierende Gefahr der Defraudation; Zusammenhang seiner 
Platzangst mit den Identifizierungswünschen mit dem Chef. 

Weitere Einfälle scheinen eine Bestätigung dieser Vermutungen zu bedeuten. 
So erinnert sich Patient, daß er vor seinem Eintritt in sein jetztiges Amt einej 
kurze Zeit bei der Post gedient hatte. Er hatte den Verschleiß von Briefmarken 
über, und trotz großer Vorsicht ergab sich einmal bei der Abrechnung ein 
kleines Manko. Patient wollte es ersetzen, doch sein Chef erließ es ihm. Es 
scheint, daß das Mißtrauen des Patienten, das anläßlich des Einbruches in das 
Postamt aufgetreten und als Projektion eigener "Wünsche zu deuten war, mit 
diesem Jugenderlebnis zusammenhing. 

Es sieht so aus, als ob der Patient zur Befriedigung seiner Wünsche nach Iden== 
tifizierung mit dem Chef die Platzangst gewählt hätte, um so durch eine Art 
partieller Befriedigung auf die zweite Eigenschaft seines Lehrers — seinen Hang 
zur Defraudation — verzichten zu können. 

So ergibt sich zunächst noch dunkel und unbestimmt ein Zusammenhang zwi* 
sehen abgewehrter Aggression und Platzangst. Die Analyse wendet sich seinen 
Symptomen zu, und es ergibt sich die Vermutung, daß sein Benehmen geeignet 
ist, den Anschein zu erwecken, als ob er eine Aggression befürchten würde. V/ir 
erinnern uns, daß sein bewußter Angstinhalt lautete, er könnte vom Schlage ge* 
troffen werden, und versuchen nun, die Vorsichtsmaßnahmen, die er aus diesem 
Anlaß getroffen hatte, kritisch zu betrachten. So ging er z. B. viel lieber in de,^ 
Mitte der Straße als auf dem Bürgersteig. Er muß nun zugeben, daß diese Maß* 
nähme ungeeignet war, ihn vor dem Schlaganfall zu schützen. Wenn sie aber 
trotzdem wesentliche Beruhigung erzeugen konnte, muß der Mechanismus dieser 
Wirkung erst untersucht werden. 

Eine oberflächliche Betrachtung seines Benehmens auf der Straße, bezw. außer* 
halb seiner Wohnung gestattet die Vermutung, daß er einen Angriff eines un* 
bekannten Feindes befürchtet. Durch diese Annahme werden nämlich eine Reihe 
von Handlungen verständlich, und zwar: Zunahme der Angst auf freiem Felde, 
ihre Abnahme in gedecktem Terrain. Im ersten Fall ist er eingesehen, im zweiten 
kann er sich verstecken. Verstärkung der Angst, wenn er irgendwo warten muß, 
Verschwinden der Angst, wenn er auf seinem Motorrad rasch wegfährt. Die 
Angst, die auftaucht, wenn er im Gasthaus sitzt und die Aussicht auf die Straße 
durch einen Vorhang verdeckt ist, würde eine Reaktion auf die Gefahr eines 
plötzlichen Überfalles sein. 



1 1 



574 Ludwig Eidelbers 



Diese Deutung leuchtet dem Patienten ein. Anstatt der Angst vor dem Schlag* 
anfall hat er jetzt Angst vor einem unbekannten Gegner. Mit dieser Erkenntnis 
ist die Intensität seiner Angst geringer geworden und sein Vertrauen zur Analyse 
gestiegen. Auf welchem Wege diese Wirkung eingetreten ist, ist in diesem 
Stadium noch nicht ganz durchsichtig. Warum die Angst vor einem unbe.» 
kannten Feinde geringer sein sollte als die vor Schlaganfall, war nicht 
ohne weiteres verständlich. Keineswegs bedeutet die Tatsache, daß er jetzt seine 
Symptome besser versteht, sie unter einem einheitlichen Gesichtspunkt betrachten 
kann, ohne dabei wie früher mit der Vernunft so sehr in Widerspruch zu geraten, 
einen ausreichenden Grund für diese Besserung. Wahrscheinlich ist die Er? 
kenntnis, daß sein Arzt ihm etwas erklären konnte, das durch eine Reihe von 
Einfällen bestätigt wurde, maßgebend für eine Zunahme der Übertragung und 
der therapeutische Erfolg ein Übertragungseffekt. 

Die Analyse geht weiter und bringt folgendes Material: Die zweite Attacke 
seiner Platzangst trat vor 15 Jahren auf, ein Jahr nach dem Tode seiner Frau. 
Er erzählt, daß er sich zeitweise noch immer Vorwürfe mache, wArend ihrer 
Krankheit nicht genügend vorsichtig gewesen zu sein. Als seine Frau erkrankte, 
wollte er sofort einen Arzt holen, als sie aber dagegen war, gab er nach und so 
wurde der Arzt erst nach zwei Tagen, nachdem sich ihr Zustand bereits yer* 
schlechtert hatte, geholt. Vielleicht wäre sie am Leben geblieben, wenn der Arzt 
gleich gekommen wäre. Die Platzangst trat auf, als die intensive Trauer bereits 
(i I im Begriffe war, zu verschwinden, und der Patient die Absicht faßte, eine 

zweite Frau zu wählen. So war das Symptom geeignet, einerseits als Bestrafung 
für seine Treulosigkeit zu fungieren und gleichzeitig seine Heiratspläne zu stören. 
Seine Schuldgefühle werden verständlich, als die Erinnerung an einen Abend 
auftaucht, an dem der Patient, in Begleitung seiner Frau und eines Freundes, 
der eben eine reiche Frau geheiratet hatte, auf dem Nachhausewege die Idee 
bekam, daß auch er reich heiraten könnte, wenn seine Frau stürbe. Kurze Zeit 
nachher erkrankte sie und starb. Die Schuldgefühle wären also eine Reaktion auf 
die Todeswünsche, die durch die Realität befriedigt wurden. 

Infolge dieser Erinnerung wurde der Begriff der Aggression dem Patienten 
klarer. Er versteht nun, daß man auch gegen geliebte Personen aggressive Wün* 
sehe haben kann, daß sie dann häufig aus dem Bewußtsein verdrän;gt werden, 
ohne daß sie damit endgültig erledigt wären. 

Unsere erste Vermutung über das Vorhandensein von aggressiven "Wünschen, 
die vom Bewußtsein ferngehalten werden, wird durch diese Todeswünsche 
bestätigt. Überdies scheint ein Zusammenhang zwischen den Todeswünschen und 
der Platzangst zu bestehen. 

Wenn es richtig ist, daß seine Platzangst eigentlich eine andere Angst, nämlich 
die vor einem unbekannten Verfolger, verdeckt, so wäre dieser Verfolger seine 
nach außen projizierte Aggression. Je grausamer sein Unbewußtes, umso größer 
die Feindseligkeit des Verfolgers und damit auch seine Angst. Doch woher 
stammt diese Aggression? Ich teile dem Patienten einiges über die Triebwünsche 
der Kinder mit und über die scheinbare Umwandlung dieser primitiv grausamen 
Inhalte in mildere unter dem Einfluß der Erziehung. Häufig gelingt es nicht, 
diese Veränderung vollkommen durchzuführen, und ein Teil der Wünsche ver* 
bleibt unverändert infantil; er wird zwar dem Bewußtsein entzogen, vermag 
aber vom Unbewußten her immer wieder vorzustoßen und in maskierter Form 
das Ich zu bedrängen. Die Sexualtriebe leisten häufig der kulturellen Arbeit 
einen besonderen Widerstand. Es ergibt sich die Aufgabe, das Sexualleben des 



Zur Genese der Platzangst und des Schreibkrampfes 



575 



Patienten eingehend zu besprechen. Seine Potenz, die vor einigen Jahren eine 
Zeitlang nicht ganz auf der Höhe war, ist jetzt vollkommen in Ordnung, er koi= 
tiert ohne Schutzmittel und benützt den Konzeptionskalender. Seine Frau ist 
frigid und dem Verkehr abgeneigt. Das wäre ein Gxund, um an andere Frauen 
zu denken, so daß die Platzangst, ähnlich wie nach dem Tode seiner ersten Frau, 
den Sinn hätte, ihn vor polygamen Tendenzen zu schützen. Jetzt erinnert sich 
der Patient, daß er nach dem Tode seiner Frau einem Fräulein, das an der Post 
beschäftigt war, den Hof gemacht .hatte, womit wieder ein Zusammenhang her* 
gestellt erscheint, da seine Platzangst besonders stark auf der Post war. Bei 
der Besprechung des Sexualverhaltens seiner Frau meint der ICranke, daß ihre 
Ablehnung vielleicht mit folgendem Erlebnis zusammenhänge. Tm Stiegenhause 
trat ihr ein Mann entgegen und entblößte plötzlich sein erigiertes Glied. Die 
Frau erschrak damals sehr heftig. Ich teile dem Patienten einiges über diese Per* 
Version mit und erinnere ihn, daß in der Kindheit diese Wünsche sehr häufig 
vorkommen. Nun taucht eine Erinnerung aus dem fünften Lebensjahr auf, in 
der der Patient mit seinen Geschwistern auf dem Land spielt, wobei die Knaben 
Kühe darstellen und von den Mädchen an dem Penis gemolken werden. Einmal 
wurden sie dabei von den Eltern überrascht, worauf seine Geschwister bestraft 
wurden, während er, da er noch sehr klein war, ohne Strafe davonkam. Es folgen 
nun einige Träume, in denen exhibitionistische Wünsche zum Vorschein kom* 
men, und es ergeben sich Vermutungen über den Zusammenhang zwischen diesen 
Wünschen und der Platzangst. So hat er, während ihn die Platzangst überfällt, 
das Gefühl, als ob er auf einem Podium stünde, als ob der Punkt, auf dem; ier 
sich gerade befindet, erhöht wäre, was auf eine Schaustellung des Patienten hin* 
weist; anderseits hat er auch das Gefühl, nicht der Mittelpunkt zu sein, was 
offenbar eine Abwehr dieser Exhibitionswünsche bedeutet. Durch die Platzangst 
fällt er gleichzeitig anderen Leuten auf und erregt ihre Aufmerksamkeit. Als er 
einmal trotz seiner Angst den Versuch gemacht hatte, auf die Straße zu gehen, 
war er zu Boden gestürzt und mußte von seinen Kollegen in einem Wagen nach 
Hause gebracht werden. Wir erfahren jetzt, weshalb er seine Angst mit einem 
Schlaganfall in Zusammenhang bringt; er hatte dabei ein Hitzegefühl im Kopfe. 
Nun gelingt es bald, dieses Symptom als Darstellung einer Erektion zu verstehen, 
die vom Penis auf den Kopf verschoben ist. 

Diese Deutung, die seine Sexualwünsche demonstriert, bedeutet eine Bestäti* 
gung unserer Annahme, daß der Aufenthalt außerhalb seiner Wohnung wegen 
der Gefahr der Befriedigung von polygamen imd exhibitionistischen Wünschen 
verbindet werden soll. Die auftretende Angst wäre somit ein Signal gegenüber 
dieser Gefahr. Die Erektionssymptome am Kopf wären Zeichen, daß die Sexual* 
erregung vom Genitale verdrängt wurde und statt dessen ein anderes Organ über* 
flutet. Selbstverständlich erzeugt dieses hysterische Konversionssymptom eine 
Störung der Ichfunktion des betroffenen Organes. 

Es ergibt sich, daß die Verschiebung seiner Sexualerregung (Phallisierung) 
sich nicht auf den Kopf allein beschränkt, sondern daß sie auch im Bereich eines 
Beines stattfindet, ja sogar die Grenzen seines Körpers überschreitet. Die Emp* 
findung, der Fußboden sei gehoben oder die Häuserreihen seien verlängert, 
scheint eine ähnliche Bedeutung zu haben. Die Angst vor Stiegenhäusern hängt 
mit dem Erlebnis seiner Frau mit dem Exhibitionisten zusammen und wird durch 
folgende Einfälle noch ergänzt. In seiner Jugend hat Patient einige Male im 
Stiegenhaus koi tiert und dabei große Angst vor Überraschtwerden empfunden; 
heute versteht er, daß dieser Koitus nicht nur aus realen Motiven außerhalb der 



I 



Wohnung stattfand, sondern daß er gleichzeitig der Befriedigung von unbe* 
wußten Exhibitionswünschen diente. Das Haus bedeutet symbolisch die Frau, 
und jetzt verstehen wir, warum er in der Mitte der Straße geht: auf diese Weise 
befriedigt er einerseits seine Exhibitionswünsche, gleichzeitig vermeidet er die 
gefährhche Nähe der an die Frauen erinnernden Häuser. Wir verstehen auch, 
daß der Patient seine Sexualwünsche als etwas Verbotenes abwehrt, möchten 
aber gern die historische Entstehung dieses Verbotes erfahren. Die Erinnerung 
an das Melken am Penis zeigt ein solches Verbot an, da aber damals nur seine) 
Geschwister bestraft wurden, fehlt der Erinnerung ein tieferer Affekt. 

Nun taucht eine neue Erinnerung auf, aber nicht in der Analysenstunde, son* 
dem in einer vom Patienten schlaflos verbrachten Nacht. Diese Erinnerung ist 
mit großem Affekt verbunden und leitet eine wesentliche Besserung seiner 
Symptome ein. Beim Bericht in der Analyse ist seine große Erregung noch 
immer deutlich. Ich habe ihn gebeten, diese Erinnerung und seine Einfälle nieder* 
zuschreiben und gebe seinen Bericht wörtlich wieder. 

„Ich liege noch immer wach im Bette, obwohl der Zeiger der Uhr bereits auf 
drei Uhr früh vorgerückt ist. Es ist merkwürdig, daß ich heute nicht einschlafen 
kann. Unruhig wälze ich mich hin und her und die Gedanken schwirren durch 
m-einen Kopf. Verschiedene Richtungen nehmen diese Gedanken, bis sie schheß* 
lieh bei meiner Krankheit und ihrer Behandlung angelangt sind. Ich fange zu 
grübeln an, obwohl ich dies nicht tun soll. Was kann es sein, was meine Krank» 
heit hervorgerufen hat, werden wir (der Arzt und ich) doch noch eruieren, wie 
sie entstanden ist, und ihrer Herr werden? Dabei werden mein Kopf und meine 
Hände, besonders die inneren Handflächen, heiß, es ist, als ob sich das Blut zu 
diesen Körperteilen drängen würde. Es bemächtigt sich meiner eine gewisse Auf* 
regung, kaum zu erklären, warum also? Und nun tritt wie aus weiter Ferne 
etwas heran, es ist, als ob eine Erinnerung auftauchen würde, meine Aufregung 
wächst und schon drängen sich die Gedanken vor. Kaum zu sehen ist etwas, aber 
an meiner linken Stirnseite spüre ich ein eigentümliches Berührungsgefühl, und 
jetzt tritt mit aller Deutlichkeit ein Bild vor meine Augen: Eine Katze hat mich 
angesprungen und ich wehre sie unter dem Angstrufe „Gehst" mit beiden Händen 
ab. Dabei verspüre ich eine seelische Angst, so als würde es um mein Leben oder 
vielmehr um mein Augenlicht gehen. Hauptsächlich die Angst um mein Augen* 
licht hat mich rasch zur Abwehr mit beiden Händen an den Kopf greifen lassen. 
Bei dem Gedanken an die Gefahr, der ich ausgesetzt war, schüttelt es mich noch 
nachträglich. Ja, aber ich habe das Ganze bisher an einem unbestimmten Orte 
gesehen. War es wirklich wahr? Ja, wo hat sich denn das ereignet? Ja, es warf 
WirkHchkeit, ich fühle es, aber wo? Und verschiedene Orte treten in meinen 
Gedankenkreis. Den Keller meiner Pflegemutter in Wien oder war es irgendwo 
ein Schuppen? Und jetzt steigt es wieder wie eine Erinnerung auf ich sehe auf 
einmal das Fenster auf dem Gange, der die Verbindung der Wohnstube zum 
Stalle meiner ersten Pflegeeltern herstellte. Und sitzt nicht auf dem Pampete 
des Fensters eine Katze, ja, jetzt aufrecht und unbeweglich und das Licht fällt 
direkt auf sie. Und warum ist sie auf mich los? Ja, ich habe sie angegangen und 
da sie keinen Ausweg fand in dem schmalen Gange, so griff sie mich an. Und! 
ich sehe jetzt auch vor meinem Auge die Stiege, die zum Boden führt, lauter 
Dinge, die meiner Erinnerung entschwunden waren. Hat sich denn das wirklich 
ereignet? Ja, ich fühle es, es war wirklich so. Und dann stimmt doch alles. Habe 
ich Ihnen nicht oft erzählt, daß ich bei meinen Angstgefühlen so gehe, als ob ich 
auf Eiern gehen würde? Nun, die Katze tritt doch leise auf. Und sie schleicht 



Zur Genese der Platzangst und des Schreibkrampfes 



577 



doch auch so wie ich in meinen Zuständen! Ja, es ist ganz bestimmt so. Es 
muß auch so sein, denn sonst hätte ich nicht jetzt diese Empfindungen durchs 
gemacht Ich habe schon öfter nachgedacht, ob mir nicht ein bösartiger Hund 
auf dem Lande etwas gemacht hat. Es ist mir nichts eingefallen. Und jetzt taucht 
diese Erinnerung so von selbst auf? Ja, es ist bestimmt so. Und über diesen Ge* 
danken schlafe ich leicht ein, denn es war mir wohler geworden. 

Und nun haben Sie, Herr Doktor, erklärt, daß dieses Erlebnis zweifelsohne 
für meine Krankheit von großer Bedeutung war. Ich hätte mich mit der Katze 
identifiziert und mich unbewußt förmlich als Katze gefühlt. Ich kann Ihnen nur 
zustimmen, es ist richtig. Der Gang war damals abgeschlossen und die Katze 
suchte einen Ausweg. Ist es hei mir nicht dasselbe, wenn ich mich in einem frem=» 
den oder kleinen Räume befinde? Habe ich nicht immer die Türe zum Aus* 
gang gesucht und mußte ich nicht immer ins Freie blicken, um den Rückweg zu 
wissen? (Rückzug decken!) Fürchtete ich nicht, daß mir der Rückzug verlegt 
wäre? Mußte ich nicht immer durchs Fenster sehen, ob meinem Rückzuge eine 
Gefahr drohe? Ja, und die Stiege? Hat nicht die Katze bei ihrem Sprunge den 
Umweg über die Bodenstiege gewählt, weil sie von da ihren Angriff in ge* 
sicherter Stellung unternehmen konnte? Ich weiß es nicht, es ging zu rasch. Viel* 
leicht daher auch die Angst auf Stiegen? Und habe ich nicht erzählt, daß mich 
bei grellem Licht oder bei Wechsel von Licht und Schatten die Augen schmerzen 
und Angstzustände hervorrufen? Hängt das nicht mit meiner damaligen Angst 
um das Augenlicht zusammen? Eine solche Einwirkung ist sehr wahrscheinlich. 
Ja und dann: Eine Katze sucht sich zu verbergen. Haben Sie nicht gesagt, daß 
meine Angst auf dem Flachlande nur davon herrührt, weil ich mich nicht ver^ 
bergen kann, während ich mich im Gebirge, wo dies der Fall ist, wohl fühle? 
Dann: Wenn am Wege oder am Flachlande Bäume sind, fühle ich mich schon 
leichter, es ist so, als könnte ich mich an Bäumen festhalten, wenn ich schwindlig 
werde. Nun, für die Katze ist ein Baum ein Zufluchtsort. Ich habe auch jetzt .die 
Erklärung, warum ich Angst bekam, wenn mir durch Fuhrwerk oder andere 
Hindernisse die Aussicht entzogen wurde. Es war Angst, daß der Rückweg ver* 
legt wäre." " 

Versuchen wir nun, diese Erinnerung einzuordnen. Unsere Arbeit wird durch 
folgende drei Einfälle des Patienten erleichtert. Der erste Einfall lautet: Er jagit 
eine Katze, die unter einen Steinhaufen flüchtet. Während er nach ihr zu greifen 
versucht, bricht der Haufen zusammen und begräbt die Katze. Er sieht, wie die 
Katze verendet, möchte ihr helfen, hat aber nicht genug Kraft, die Steine zu ent* 
fernen, und als er sich endlich entschließt. Erwachsene zu Hilfe zu rufen, ist die 
Katze tot. Eine zweite Erinnerung lautet: Im Alter von 12 Jahren liegt Patient im 
Bett, im Nebenzimmer befinden sich seine Pflegemutter und sein Vater; er vert» 
spürt eine Sehnsucht nach der Mutter, möchte mit ihr koitieren und den Vater; 
vertreiben. Eine Katze kommt in sein Bett, er versucht, ihr Genitale zu betrachten 
und sich vorzustellen, es wäre die Mutter. Obwohl die Katze ruhig bleibt, kann 
er ihr Genitale nicht finden. Die dritte Erinnerung aus dem 16. Lebensjahr 
lautet: Der Bruder erzählt ihm, daß man Katzen vom dritten Stock werfen könne, 
ohne ihnen etwas zuleide zu tun. Die Buben fangen eine Katze und werfen sie 
vom Balkon hinunter; die Katze läuft unverletzt davon. 

Die Katze, die im Zentrum dieser Ängste steht, bedeutet offenbar einerseits 
das Wesen, an dem er seine Aggression befriedigt hat, anderseits erinnert sie an 
die Gefahr der Blendung als "Strafe für diese Tat. Es wäre sicher falsch, wenn 
man annehmen wollte, daß er gegenüber der Katze nur aggressive Wünsche 

Int. Zeit ehr. f. Psychoanalyse, XXII/4 37 



578 Ludwig Eidelberg 



!l 



hatte; im Gegenteil, es ist sicher, daß die Katze auch geliebt wurde. Als sie unter 
den Steinen verendete, nachdem seine Versuche, sie zu befreien, mißlungen 
waren, hatte er schwere Schuldgefühle. Beim Versuch, das Genitale der Katze 
zu finden, drückte er sie zärtlich an sich, als ob es die Mutter wäre. So erinnört 
sie ihn an die begangene Sünde und lockt zu ihrer Wiederholung, zeigt aber 
gleichzeitig die darauf folgende Strafe. Diese Strafe erscheint zunächst durch die 
geduckte, zum Sprung auf den Patienten bereite Haltung der Katze angedeutet. 
Als wir aber die Gefahr der Blendung als Kastrationsgefahr erkannten, ergeben 
sich folgende wichtige Ergänzungen. Patient erinnert sich an eine Reihe von 
direkten Kastrations drohungen, die auf dem Lande von den Erwachsenen häufig 
t bei verschiedenen Gelegenheiten ausgesprochen wurden, so etwa, wenn das Kind 

Tabak aus der Trafik nicht holen wollte, usw.; doch fehlt diesen Erinnerungen 
der entsprechende Affekt. Abgesehen von der Katzengeschichte, finden wir ihn 
nur in der Erinnerung an einen Knecht, der beim Schneiden mit einer Häcksel« 
maschine sich am Finger verletzte. Auch der Anblick des »weiblichen Genitale, 
dessen Wirkung wir bei anderen Patienten kennen, wird hier ohne Affekt er* 
innert. Die Tatsache aber, daß er bei der Katze das Genitale nicht finden konnte, 
zeigt, daß hier eine Verdrängung stattgefunden hat. Die Blendung trat an die 
Stelle der Kastration, weil das Schauen für den Patienten besonders lustvoll war. 
Er sollte also an dem Organ gestraft werden, mit dem er gesündigt hatte. Das 
Nichtfinden des Genitale bedeutet die Strafe und erspart den Affekt. 

Es drängt sich unwillkürlich die Frage auf, weshalb der Patient statt der Platz» 
angst nicht eine Katzenphobie bekam. Ich werde im theoretischen Teile der Ar* 
beit den Versuch machen, diese Frage zu beantworten; hier möchte ich lediglich 
sagen, daß etwas wie eine leichte Phobie dieser Art trotzdem bestanden hat. Pa# 
tient teilte mir auf meine Frage mit, daß er eine gewisse Angst vor Katzen habe 
und häufig andere vor ihnen warne, besonders wenn die Leute die Katzen reizen. 
Doch erschien ihm diese Angst, die nicht allzu groß ist, niemals als etwas TCrank* 
haftes. Die Katze bedeutet also gleichzeitig das kastrierende und kastrierte Ob* 
jekt und ist so aus zwei Gründen geeignet, die Angst auszulösen. Die dritte Er* 
innerung des Patienten, in der die Katze abgeworfen wird, ohne daß ihr etwap 
passiert, gestattet die Vermutung, daß damals die Katze dem Patienten als ein 
Wesen erschienen ist, das Gefahren überstehen kann, ohne Schaden zu nehmen. 
Dieses Ereignis überdeckte offenbar die Erinnerung an die tote Katze. Die Tat* 
sache ihrer Kastration wurde nicht vergessen, gelangte aber in den Hintergrund, 
wobei die Idee auftauchte, daß ihre Überlegenheit vielleicht gerade um den 
Preis der Kastration zustande gekommen ist. Jedenfalls entstand irgend einmal 
der Wunsch, den Katzenkonflikt durch Identifizierung mit dem geliebten und 
gefürchteten Objekt zu liquidieren. Da ich einen solchen Vorgang noch nie 
gesehen hatte, erkannte ich ihn erst, als der Patient selbst die Initiative ergriff 
und bei der Reproduktion der nächtlichen Erinnerung die Worte gebrauchte: 
„Habe ich Ihnen nicht oft erzählt, daß ich bei m,einen Angstgefühlen gehe, ^Is 
ob ich auf Eiern gehen würde? Nun, die Katze tritt doch leise auf. Und sie 
schleicht sich doch auch so wie ich bei meinen Zuständen." Diese Angabe er* 
möglicht, unsere Vermutungen über die Entstehung der Neurose des Patienten 
weiter zu ergänzen. Wir sagten, daß ein Zusammenhang mit der Neurose seines 
Chefs zu bestehen scheint, und meinten damals, daß Patient den Wunsch nach 
der Identifizierung mit ihm partiell befriedigte, als er dieselbe Neurose bekam, 
und damit gleichzeitig die Annahme einer zweiten Eigentümlichkeit dieses 
Mannes (seinen Hang zur Defraudationen) abwehrte. Wir erfahren nun, daß die 




Zur Genese der Platzangst und des Schreibkrampfes 



579 



erste Attacke seiner Platzangst ein Jahr nach der Pensionierung seines Chefs 
auftrat, der wegen einiger Defraudationen den Dienst quittieren mußte. Es fällt 
uns jetzt die Ähnlichkeit mit dem Ausbruch der zweiten Attacke auf, die ein 
Jahr nach dem Tode seiner ersten Frau erfolgte. Sein Chef hatte nach seiner 
Pensionierung die Verbindung mit dem Patienten nicht aufgegeben. Da er große 
Schulden hatte, mußte ihm der Patient einige Male aushelfen. Mit der Zeit wurde 
dem Patienten diese Verbindung immer lästiger. Abgesehen von den Geldaus:« 
gaben, war die Gefahr vorhanden, daß seine Vorgesetzten ihm den Umgang mit 
dem Defraudanten übel nehmen könnten. So bedeutete die Platzangst sekundär 
die willkommene Begründung für den Abbruch dieser Verbindung: sein früherer 
Chef konnte, da er selbst an Platzangst litt, ihn deshalb nicht aufsuchen; als 
jetzt der Patient selbst an Platzangst erkrankte, war ein Zusammentreffen un* 
möglich. Gewiß war auch diese sekundäre Funktion der Neurose geeignet, ein 
Stück Aggression gegen den ehemaligen Chef zu befriedigen. Nach Besprechung 
dieser Zusammenhänge taucht eine zweite Erinnerung, wieder außerhalb der 
Analyse, auf. Ich gebe sie ebenfalls mit eigenen Worten des Patienten wieder: 

„Schon oft habe ich darüber nachgedacht, warum eine besonders lästige Ev^ 
scheinung noch immer nicht verschwunden ist. Es ist dies ein plötzliches Er» 
schrecken, mit Blutandrang im Kopf und Angstgefühlen, wenn ich in Gedanken 
versunken bin, lese oder eine Sache mit Aufmerksamkeit betrachte, wobei ich 
die ganze Umgebung nicht übersehen kann. Dieselben Erscheinungen treten auf, 
wenn ich in einem geschlossenen Räume bin und zur Türe sehe, wobei es mir 
vorkommt, als ob mir die Erinnerung an die Umgebung beim Ausgang wie ver:» 
schlagen wäre. Nun habe ich endlich, nachdem ich sehr oft vergessen habe, 
meinen Arzt auf diese Übel aufmerksam gemacht. Mein Arzt meint, ich suche 
unbewußt etwas. Ich habe mir diese Worte durch den Kopf gehen lassen, finde 
aber noch keine Erklärung. Nun bin ich heute um halb vier Uhr früh aus dem 
Schlaf erwacht und unwillkürlich fallen mir die Worte des Arztes ein. Ja, was 
suche ich eigentlich? Die Erinnerung an die Umgebung des Ausganges ist mir wie 
verschlagen? Ist das der richtige Ausdruck für das lästige Gefühl? Halt, nein, 
die Umgebung des Ausganges ist vermummt! Das ist der richtige Ausdruck. Ja, 
aber kann denn eine Gegend vermummt sein? Nein, was denn? Nun, Gestalten! 
Ja, welche Gestalten sind denn vermummt? Jetzt geht es wie eine Erleuchtung 
durch meinen Kopf! Geister oder Gespenster sind es! Gespenster suche ich, Gcf 
spenster, von denen mir eine Gefahr droht. Wo habe ich die gesehen? War es 
nicht als Kind, wo man mich als Gespenst vermummt im Wald erschreckte, (So 
daß ich mit einem Gespielen über Stock und Stein nach Hause rannte? Sehe 
ich nicht im Hof meines Ziehvaters einen Geist, eine Gestalt mit übergeworfenem 
Leintuch, auf mich zueilen? Ich werde erregt, und als ich mit der Hand über 
meine Augen fahre, bemerke ich erst, daß Tränen über meine Wangen rinnen. 
Ich habe offenbar geweint, ohne es zu wissen. Aber jetzt wird mir vieles klar. 
Habe ich nicht das Gefühl gehabt, daß mir vor dem plötzlichen Erschrecken eine 
Gefahr drohte? Ja, die Gespenster sind es, die ich unbewußt fürchtete. War es 
nicht so beim Lesen, daß seitwärts Gespenster standen? Wenn ich über eine 
Stiege ging, lauerten sie nicht auch da? Und wenn ich mich nach einer Seite 
wendete, drohte nicht von der anderen eine Gefahr? War ich in einem fremden 
Räume, warteten die Gespenster nicht draufkn? Ja, an allen Ecken Gespenster 
und Geister. Und jetzt bin ich sie los. Seitdem mir dies zum Bewußtsein ge» 
kommen ist, kenne ich diese Furcht, dieses ängstliche Erschrecken nicht mehr. 
Ein wichtiges Symptom meiner Krankheit ist ausgemerzt. Dabei denke ich erst 



580 Ludwig Eideiberg 



zum Schluß dieser Ausführungen daran, daß dieses Symptom auch beim Wechsel 
von Licht und Dunkelheit aufgetreten ist." 

Wenden wir uns jetzt dem zweiten Symptom des Patienten zu, seinem Schreib* 
krampf. 

Schon nach einigen Wochen der Behandlung, nachdem der Patient etwas über 
die unbewußte Sexualerregung und Befriedigung erfahren hatte, verschwand 
der Schreibkrampf der linken Hand, und bald begann auch der Krampf in der 
rechten Hand zu schwinden. Wir finden zunächst, daß der Schreibkrampf ein 
Jahr nach seiner dritten Hochzeit auftrat, und erinnern uns, daß die erste KU 
tacke seiner Platzangst nach der Zwangspensionierung seines Chefs, die zweite 
nach dem Tode seiner ersten Frau, ebenfalls ein Jahr danach^ aufgetreten war. 
Der Schreibkrampf ist wie die Platzangst geeignet, seine unbewußte Exhibition 
zu befriedigen, indem er allen in seinem Amt auffällt. Doch ist dieser Grund 
allein nicht imstande, das Symptom zu erklären. Da der Patient inzwischen den 
Mechanismus der Konversion kennengelernt hatte, gelingt es, ihm zu zeigen, 
daß sich etwas ähnliches auch an der Hand abspielt. Es fragt sich bloß, weshalb 
denn in so spätem Alter dieses zweite Symptom aufgetreten ist. Der zeitliche 
Zusammenhang mit seiner Ehe scheint auch einen kausalen anzuzeigen. Da seine 
Frau frigid ist, ist sein Sexualgenuß geringer als zuvor, und das Stück unbe» 
friedigter Libido besetzt als Entschädigung die Hand. Dem Patienten fällt ein, 
daß die Hand zur Onanie verwendet wird, wobei sie die Rolle der Scheide über* 
nimmt. Es ist, als ob der Patient sich selbständig machen wollte; da die Scheidei 
seiner Frau versagt, findet er in der eigenen Hand einen Ersatz für sie. Danri 
ist die Sexualerregung in der Hand weiblich, so daß der Patient eigentlich 
bisexuell ist. Es ergibt sich jetzt die Möglichkeit, die Stellungnahme des Patienten 
zu diesem Problem zu erörtern. Er weiß nichts von homosexuellen Erlebnissen 
oder Wünschen. Als ich ihn aufmerksam mache, daß in der Kindheit die Unter* 
Scheidung von Homo* und Heterosexualität nicht so exakt ist wie beim Erwach* 
senen, fällt ihm folgendes Erlebnis aus seinem 12. Lebensjahr ein. Ein Freund 
seines Pflegevaters hatte mit ihm einen Ausflug gemacht und ihn, als sie ausgeW 
zogen waren, gefragt, ob er schon verkehrt habe. Als Patient dies verneinte, sagte 
ihm der Mann, daß man das allmählich lernen müsse, und forderte den Patienten 
auf, ihn zu onanieren, wobei er selbst den Patienten onanieren wollte. Patient 
lehnte diesen Vorschlag ab. Dabei hat er auch jetzt, als er den Vorfall berichtete, 
keine Ahnung, daß der Freund seines Pflegevaters ein homosexuelles Ansinnen 
an ihn gestellt hatte. Als ich den Versuch mache, ihm dies zu erklären, begegne 
ich einem heftigen Widerstand. Er versucht, die ganze Angelegenheit als etwas 
HarmJoses darzustellen, und meint, daß er lediglich aufgeklärt werden sollte. 
Nun fällt ihm aber ein zweites Erlebnis mit dem gleichen Mann ein, in welchem 
er zu einem coitus per anum aufgefordert wurde. Jetzt taucht aber auch ein Ge* 
fühl von Ekel und Angst auf. Er erinnert sich, daß er damals entsetzt war, und 
muß nun zugeben, daß er damals die Situation unbewußt nicht als harmlosei 
sexuelle Aufklärung, sondern als sexuelle Gefahr gewertet hatte. So bedeutet der 
Schreibkrampf nicht allein: „Ich brauche die Frau nicht, da ich mich mit Hilfe 
der Hand selbst befriedigen kann", sondern auch: „Ich brauche die Frau nicht, 
da ich selbst eine Frau bin und mittels meiner Hand meine weiblichen Wünsche 
ausleben kann." Schließlich erinnert sich der Patient, daß der Freund seines 
Pflegevaters einen Schreibkrampf gehabt hatte. 

Damit ist unser Wissen wesentlich erweitert; wir verstehen, daß das Symptom 
nicht nur eine unbewußte Befriedigung, sondern auch die Abwehr dieser Befrie* 




Zur Genese der Platzangst und des Schreibkrampfes 



581 



digung bedeutet, daß die Schreibhemmung nicht ledighch durch die Sexualisie* 
rung bedingt ist (weibüche Rolle). Daß er dabei ein Symptom produziert, das 
der homosexuelle Verführer gehabt hat, bedeutet offenbar, daß er unbewußt 
infolge der Frigidität seiner Frau der Homosexualität nähergerückt ist und dabei 
an das Erlebnis mit dem Homosexuellen erinnert wurde. Es entstand so die Ge^ 
fahr, homosexuell zu werden, so zu werden wie dieser Freund des Pflegevaters. 
Ähnlich wie bei Entstehung der Platzangst wurde dieser Wunsch durch partielle 
Identifizierung indirekt befriedigt. Anstatt homosexuell zu werden, nahm er das 
Symptom des Homosexuellen an. Nach Durcharbeitung dieses Materials kommt 
es zu einer weitgehenden Besserung des Schreibkrampfes. Ich zitiere jetzt den 
Patienten, indem ich zwei Träume mit den dazugehörenden Einfällen so, wie sie 
von ihm nach der Analyse aufgeschrieben wurden, anführe. 

I. Traum: Ich fahre mit meinem Motorrad samt Beiwagen durch eine belebte 

Straße, in der sich viele Menschen stehend unterhalten. Es sind auch einige Fuhr-= 

werke da, mehr im Hintergrund zu denken. Die Straße soll die Hietzinger Haupt' 

Straße sein, obwohl Aussehen und Lage nicht besonders übereinstimmen. 

Ich sitze auf der Maschine und bin im Begriffe, gegen das Geleise der Straßen^ 

bahn zu fahren, als eine Dampftramway langsam heranfährt. Die Maschine ist 

ähnlich gebaut, wie die seinerzeit benützten Straßendampfmaschinen, doch ist 

sie größer (länger) und scheint auch mehr Räder zu haben. Die Räder sind groß 

wie bei einer Expreßmaschine. Ich mache dem Maschinenführer Zeichen, er möge 

nicht heranfahren, denn ich bin dem Geleise zu nahe und kann wegen des Ver= 

kehrs nicht zurück. Der Maschinenführer lächelt ungläubig und fährt trotzdem 

sehr langsam heran. Und nun habe ich den Eindruck, daß meine Maschine durch 

die Verschalung der Dampflokomotive entzweigeschnitten wird, aber nur ein 

Schnitt an der Verbindungsstrebe ist sichtbar. Ich, der bisher auf der Maschine 

saß, bin auf der Stelle geblieben, wobei es mir vorkommt, als sei ich auf einmal 

im Beiwagen und schimpfe auf den Maschinenführer ob des entstandenen Scha= 

dem ein. während mein Motorrad sich auf der anderen Seite der Lokomotive 

befindet, wobei mein Freund auf dem Sattel sitzt und mir zuruft, es sei nichts ge= 

schehen. Auffällig ist, daß ich die Schnittfläche genau sehe und dieses geschnit' 

tene Stück sich auf einmal auf der Lokomotive befindet. Ich verlange Polizei um 

das Nationale der Bahnbediensteten feststellen zu lassen. Es taucht auch unter 

anderen Leuten ein Mann auf, der ein Polizist sein soll, aber wie ein Leicheji= 

trager umformiert ist. Er schreitet offenbar nicht ein, die Sache ist ihm 'zu 

harmlos, er sieht nicht einmal auf mich. Ich denke: Na ja, gegen die Bahn' Auch 

einmal eine Gerichtskanzlei. Meinen Klagen wird kaum Gehör geschenkt und 

die vielen anderen Leute kümmern sich nicht um das Ganze. Mir geht es durch 

den Kopf: Das lasse ich mir nicht gefallen, ich werde klagen. Ich befinde mich 

^"/,.^'"'"r J" TerscAzecfenen Bureaux, einmal soll es ein Bahnhofsgebäude sein, 

schließlich komme ich beinahe selbst zur Ansicht, daß das Ganze nicht dafür- 

stehe. Ich bin noch im Zweifel, aber angesichts der weiteren Sachlage verliere 

ich zur weiteren Klage die Lust. 

Was dazu zu bemerken ist: Es war dichter Verkehr. Abgeschnitten in sexueller 
Hinsicht (Frigidität). Kastrationsdrohung in der Kindheit. Erlebnis mit dem 
bekannten Freund des Ziehvaters. Die Dampflokomotive deutet auf diese Zeit 
hm. Kastrationsdrohung gegen Exhibitionismus. Das Klagen ist überflüssig, man 
hat keinen großen Schaden genommen. Der Leichenträger deutet darauf hin, daß 
man die Sache als erledigt betrachten soll. Daß die Schnittfläche nicht auf 
meiner Maschine sondern auf der Dampfmaschine zu sehen ist, kann bedeuten. 



582 



Ludwig Eidelberg 



daß der Schaden (Entstehung der Krankheit) eben auf die Zeit der Dampf* 
Straßenbahnen zurückzuführen ist. Daß meine Klage als harmlos betrachtet 
wurde, soll vielleicht auch dartun, daß mein noch vorgebrachtes Jammern über 
noch bestehende Krankheitssymptome die Berechtigung schon verloren hat. 

IL Traum: Ich gehe im Freien, halb Acker und halb Wiese. Ganz deutlich sehe 
ich einen Zaun, von drei Seiten mit runden Hölzern versehen, die vierte Seite 
ist frei, als ob daran ein Haus stoßen sollte, doch sehe ich nichts von einem Hans. 
Der Zaun ist so ähnlich ausgeführt wie bei meinen ersten Pflegeeltern, doch ist 
die Lage verdreht. Es ist, als ob an der mir zugewendeten Seite, am Boden eine 
Katze stünde, die ein Gehaben an den Tag legt, als ob sie Hilfe suche. Bei 
näherem Zusehen habe ich den Eindruck, als ob die Katze mit ihrem Schwänze 
zwischen Erde und Zaunstecken eingeklemmt wäre. Ich komme näher, um ihr 
Hilfe zu leisten, wobei ich Ausdrücke des Erbarmens gebrauche, mit der Frage, 
was denn das Katzerl eigentlich habe? Darauf streckt mir die Katze die rechte 
Pfote entgegen, und ich habe den Eindruck, als hätte die Katze sich durch einen 
Dorn, an dem noch Erde klebt, verletzt. Es ist, ßls ob die Katze an den Krallen 
einen Wulst von Erdklumpen hätte. Ich streife ihr das Gemengsei ab, worauf 
ich den Eindruck gewinne, als wäre wieder alles in Ordnung. Ich streichle die 
Katze und frage sie, ob sie etwas zum Fressen wolle. Ich sehe sie dabei erwar= 
iungsvoll an, als erwarte ich eine Antwort. Und siehe da: Die Katze macht eine 
anstrengende Miene, als wollte sie mit aller Gewalt sprechen, wobei ich mir 
denke, ob das wirklich der Fall sein könnte, und zu meiner Freude gelingt es ihr 
wirklich, die Worte hervorzustoßen: „Ja, eine gebratene Blunzen möchte ich"! 
Ich schüttle verwundert den Kopf, betrachte die Katze, die jetzt förmlich an 
Größe zunimmt und sich der Länge nach ausstreckt, wobei ich zur Antwort gebe: 
„So, sonst willst gar nichts mehr, ausgerechnet eine Blunzen! Was, eine Maus 
schmeckt gar nicht mehr? Ah, da schau her!" Die Katze schüttelt verneinend den 
Kopf, und ich ha.be den Eindruck, als sage sie, daß ihr sonst nichts schmeckci 
Soweit der Traum. 

Was mir dazu einfällt: Zunächst das Erlebnis mit der Katze im allgemeinen. 
Im Traume habe ich die Katze von ihrer Verletzung befreit. In Wirklichkeit hat 
die Erinnerung an das Erlebnis mit der Katze zu meiner Gesundung beigetragen, 
also hätte die Katze mir geholfen. Die Katze machte alle Anstrengungen, um 
sprechen zu können. Umgekehrt mußte die Analyse erst die Erinnerung wach== 
rufen, um das Erlebnis erzählen zu können. Die Verletzung des Schwanzes war 
eine Täuschung. Statt des Schwanzes waren die Krallen verletzt, also statt des 
Penis die Finger. Bei verletzten Fingern gibt es kein Schreiben, daher ein Schreib* 
Krampf, der eine Aggression gegen die Frau an Stelle der Katze darstellt. Die 
Aggression ist hervorgerufen durch die Frigidität der Frau, die damit eine, wenn 
auch unverschuldete Verletzung aufweist, wie dies der Traum zeigt. Daß die 
Katze nach einer bestimmten Speise Verlangen trägt, beweist das Bestreben der 
Frau, ihrer Krankheit ledig zu werden und statt deren ein zusagendes Verlangen 
zu erreichen," 

Der weitere Verlauf der Analyse ergab ein vollständiges Verschwinden des 
Schreibkrampfes und eine ganz wesentliche Besserung seiner Platzangst. Zum 
Schluß möchte ich noch kurz einige weitere Einzelheiten mitteilen. 

Die Angst trat nicht ledigUch auf der Straße auf, Patient bekam sie schon zu 
Hause, wenn er sich den Weg, den er machen sollte, vorstellte. Ja, zeitweise war 
diese Vorangst sogar größer, als die eigentliche Angst. Der Patient hatte den 
Zwang, sich den Weg ganz genau vorzustellen, und verglich dann diese Vor* 



Zur Genese der Platzangst und des Schreibkrampfes 583 

Stellung mit der Realität, wobei die geringste Abweichung heftige Angst aus* 
löste. Für dieses Symptom ergaben sich folgende Deutungen: Die plastische Vor« 
Stellung des Weges und der Häuser war unbewußt eine Befriedigung des Schau* 
triebes. Der bereits mitgeteilten unbewußten Bedeutung der Häuser (Frauen) 
entsprechend, führte diese Vorstellung zu einer Erregung, die aber nicht im 
Bereich des Genitale, sondern im Kopfe, als Blutwallung auftrat. Die Konzentra«» 
tion auf den Schautrieb ist die Folge einer Umkehrung des in diesem Falle offen* 
bar gefährlicheren Exhibitionismus. Die Vorstellung erfolgt in der Phantasie und 
bedeutet den Versuch, die Angst aufzuheben, indem die Besetzung von den 
wirklichen Häusern auf die phantasierten Objektrepräsentanzen zurückgenommen 
wird. (Chronologisch sieht der Vorgang vermutlich so aus: Ein Stück unbefrie« 
digter Sexualität, das die Entwicklung zur genitalen Stufe nicht mitgemacht hat, 
versucht vom Ich eine Befriedigung zu erzwingen. Es handelt sich dabei um 
phallische Inhalte aus dem positiven und negativen Ödipuskomplex und um 
exhibitionistische und Voyeurwünsche. Das Ich setzt sich zur Wehr, die abge* 
wehrten Es^Wünsche gelangen aber unter einer Maske zur Befriedigung. Dabei 
scheint als unmittelbare Auslösung im ersten Falle die Erkrankung des Chefs, im 
zweiten der Tod der Frau und beim Schreibkrampf die Frigidität der dritten Frau 
zu dienen. In allen drei Fällen handelt es sich um eine aktuelle Gefahr: Defrau* 
dation infolge Identifizierung, Treulosigkeit der Verstorbenen gegenüber, 
schließlich Homosexualität. So erscheint die Erkrankung vor allem vom Stand* 
punkt des Über*Ichs als das kleinere Übel.) An diesen phantasierten Objekten 
spielt sich nun ab, was zuerst an den realen Häusern erfolgte. Dadurch wird 
tatsächlich die Angst auf der Straße etwas kleiner. Dieser Mechanismus wurde 
bewußt, als der Patient in diesem Zusammenhang den Ausdruck „Vorangst" ge* 
brauchte und mir die Ähnlichkeit mit dem Wort „Vorlust" auffiel. Ich erinnerte 
den Patienten, daß man normalerweise vor dem Sexualverkehr, etwa beim 
Denken an die bevorstehende Zusammenkunft mit der Geliebten, in einem Zeits» 
punkt also, in welchem noch keine Befriedigung stattgefunden hat, eine gewisse 
Lust verspüre. Die Unsicherheit beim Gehen war der Ausdruck einer partiellen 
Blendung, also Akzeptierung der Stxaße für das Voyeurtum. Die Angst, vom 
schützenden Hause abgeschnitten zu werden, entsprach einer Projektion der 
Kastrationsgefahr. Die Empfindung „der Raum ist verrückt" war eine intrapsy* 
chische Wahrnehmung der Vorgänge im eigenen Ich. 

Bei dem Versuch die Ergebnisse dieser Analyse zusammenzufassen und 
einzuordnen, möchte ich die Platzangst und den Schreibkrampf gesondert be« 
sprechen. 

Das bei Beginn der Behandlung einheitliche Symptom der Platzangst ei^ 
scheint uns jetzt, wenn wir die Krankengeschichte betrachten, aus vier vers« 
schiedenen Anteilen zu bestehen: 1. der eigentlichen Platzangst, 2. einem 
Konversionssymptom im Bereiche des Kopfes, das als Blutwallung perzi=> 
piert wurde, 3. verschiedenen optischen Sensationen wie: die Häuserreihe 
ist verlängert usw., 4. einem Schwindel und einer Unsicherheit. 

Ich möchte nun das ganze unbewußte Material, das mit diesen vier 
Symptomen zusammenhängt, besprechen und dann erst eine spezielle Zu.« 
Ordnung versuchen. 



584 Ludwig Eideiberg 



Die unbewußten Trieb wünsche lauten: 1. zu exhibitionieren, 2. sich koi* 
tieren zu lassen, 3. zu morden. 

Der Wunsch zu exhibitionieren, geht auf eine Erinnerung aus denj 
5. Lebensjahr zurück, in der der Patient mit seinen Geschwistern spielt, wobei 
er und seine Brüder Kühe darstellen, die von den Schwestern gemolken wer= 
den. Von Erwachsenen dabei überrascht, wurden die Geschwister bestraft; 
er selbst blieb wegen seiner Jugend straffrei, erkannte aber,.daß es sich um 
etwas Verbotenes handelte. Das Verbotene war offenbar jene eigentümliche 
Lust, die mit diesem Spiel verbunden war. Die Strafe für diese Lust war der 
Entzug jenes Körperteiles, der die Lust auslöste, also des Penis. Der Patient 
erinnerte sich auch einer Reihe von Kastrationsdrohungen aus seiner Kind* 
heit, ohne daß jedoch der entsprechende Affekt zutage getreten wäre. Dieser 
verdrängte Affekt kam aber an anderer Stelle zum Vorschein, so in der 
Erinnerung an den Knecht, der beim Schneiden mit der Häckselmaschine 
eine Fingerverletzung erleidet. In der Analyse wurde dann der gelöste 2.Uf 
sammenhang wieder hergestellt. 

Worin bestand nun die Lust bei diesem Spiel? Offenbar in der Reibung 
des Gliedes beim Melken und in der damit verbundenen Exhibition. Diese 
Exhibition finden wir, aufs Intellektuelle verschoben, im späteren Leben des 
Patienten immer wieder. Er war ein fleißiger Schüler und Beamter, immer 
bestrebt, sich auszuzeichnen und einen Preis zu bekommen. Mit 12 Jahren 
verdient er durch Stundengeben Geld und borgt es seiner Pflegemutter, die 
im Geheimen in der Lotterie spielt. Dabei übertreibt er in hochstaplerischer 
Art sein Einkommen, borgt sich Geld aus, um die Fiktion seines Reichtums 
aufrechtzuerhalten, hatte aber fortwährend Angst, daß man ihm darauf* 
kommen könnte. Wenn er mit seiner Pflegemutter einen Besuch machte, 
lief er voraus, um die Leute, von denen er Geld ausgeliehen hatte, und die 
der Meinung waren, daß es im Auftrage der Mutter geschehen war, wege,n 
des Verzuges um Entschuldigung zu bitten. 

Die Straße war ein Ort, der mit Rücksicht auf das Vorhandensein anderer 
Menschen geeignet war, die Exhibitionswünsche auszulösen und -sie zu be* 
friedigen; deshalb trat die Angst gerade auf der Straße auf, worauf der 
Patient durch den Verzicht auf das Ausgehen, also durch eine Hemmung, 
imstande war, die Gefahrsituation zu inhibieren. Doch war nicht nur die 
Straße für ihn gefährlich; auch fremde Stiegenhäuser lösten intensive Angst 
aus. Das Erlebnis seiner dritten Frau mit dem Exhibitionisten, sein G^ 
schlechtsverkehr mit der ersten im Stiegenhause, schließKch die bekannte 
sexualsymbolische Bedeutung des Stiegensteigens fügen sich in unsere Deu;» 
tung ein. 

Die Angst w^r so intensiv, daß Patient in seiner Bewegungsfreiheit weit» 
gehend eingeschränkt war. Versuchte er, dieser Angst zu trotzen, so nahm 



I 



Zur Genese der Platzangst und des Schreibkrampfes 585 



sie entweder zu und zwang ihn zur Flucht, oder er sank zusammen pnd 
mul5te nachhause gebracht werden. 

Wenn er mit dem Motorrad fuhr, war die Angst wesentlich geringer, dafür 
trat aber eme Reihe von Symptomen auf, die ihn beträchthch störten Diese 
Symptome waren vorwiegend auf die Augen, bezw. das Sehen beschränkt 
wobei zeitweise ein Gefühl von Schwindel, der nicht unbedingt optisch sein 
müßte, dazu kam. Die optischen Symptome bestanden in einer eigentüm^ 
liehen Veränderung der Umgebung: die Häuserreihe erschien verlängert die 
Straße hob sich plötzUch; dabei mußte er gespannt alle diese Phänomene be^ 
trachten. Es zeigte sich, daß dieses Betrachten mit dem gewöhnHchen Schauen 
nicht identisch war. Nachdem sich sein Zustand gebessert hatte, traten diese 
Symptome nur dann auf, wenn Patient im Soziussitz fuhr und die Gegend be^ 
trachtete. Wenn er aber selbst das Rad lenkte, traten keine Symptome auf. 
Das gespannte Betrachten erwies sich als eine sexualisierte Funktion der 
Augen; unter der Maske einer der zweckmäßigen KontroUe der Umgebung 
dienenden Handlung fand eine unbewußte sexuelle Befriedigung statt. Die 
Häuser, Straßen, die ganze Umgebung wurden sexualisiert und dann lustvoll 
beschaut. Die Sexualisierung bestand darin, daß die Häuser, bezw. die Straße 
die ubw Bedeutung von Penissen gewannen. Die Empfindungen, die 
Häuserreihe sei verlängert, oder die Straße habe sich gehoben, bedeuteten: 
der Penis ist erigiert. Es fand also zunächst eine Projektion von Sexuale 
Inhalten auf die Außenwelt statt; an Stelle des Wunsches: „Ich möchte 
meinen erigierten Penis sehen", trat die VorsteUung auf : „Die Häuser sind 
verlängert." An diesem Beispiel sehen wir — sozusagen in statu nascendi - 
die Entstehung eines Symbols. Nachdem die Projektion stattgefunden hatte, 
die Häuser also erigierte Penisse bedeuteten, wurden sie beschaut und damit 
sein Voyeurtum befriedigt. Diese Befriedigung war aber nicht auf die Straße 
beschränkt. Der Patient hatte die Gewohnheit, vor jedem Weg sich alle 
Details desselben in der Phantasie genau vorzustellen. Es gelang bald, ihm 
zu zeigen, daß die Vorstellung real unnötig war. Als er sie trotzdem nicht 
aufgeben konnte, mußte er zugeben, daß sie einen anderen Grund haben 
mußte. Nun tiat während dieser Tätigkeit Angst auf. Offenbar war der Pa* 
tient auch in der Phantasie imstande, seine Sexualinhalte zu projizieren, wo* 
bei dieselbe Befriedigung eintrat, wie bei der wirkhch vollzogenen Fahrt. 
Wegen dieser Befriedigung, die ja nur dem Ich und nicht dem Übersieh 
unbewußt blieb, bekam er Angst. 

Es erhebt sich die Frage, was der Ursprung dieses Voyeurtums ist. Er 
scheint ursächKch mit dem Exhibitionismus des Patienten pusammenzu* 
hängen. Bei einer Patientin die an schwerer Depersonahsation Htt, habe ich 
denselben Zusammenhang gesehen.^ Wie Freud in „Triebe und Trieb:» 

i) Bergler und E i d e Ib erg: Der Mechanismus der Depersonalisation. Int. Ztschr. 
f. Psa., Bd. XXI, 1935. ., 



586 Ludwig Eideiberg 



Schicksale"^ ausgeführt hat, ist der Exhibitionismus eine Umkehrung des 
Voyeurtums. 

Nach Ansicht Freuds ist der Schautrieb vor dem Exhibitionismus vor^ 
banden und zunächst ein autoerotischer Trieb. 

Wir wissen, daß er bei jedem Menschen vorkommt und daß quantitativö 
Schwankungen offenbar konstitutionell zu erklären sind. Wenn aber der 
Schautrieb in einem neurotischen Symptom als abgewehrter Triebinhalt vor;* 
kommt, wie das bei diesem Patienten der Fall war, so müssen wir in Anaf= 
logie mit der Entstehung anderer Neurosen außer den konstitutionellen Ele* 
menten noch spezielle fixierende Traumen annehmen. Mit den anderen Par# 
tialtrieben verglichen, scheint der Schautrieb dadurch ausgezeichnet, daß seine 
Betätigung dem Kinde im allgemeinen länger gestattet wird, als dies bei an?» 
deren Partialtrieben der Fall zu sein pflegt. Darüber hinaus erscheint pr 
sozusagen harmloser, seine Befriedigung kann aus der Ferne, ohne Berührung 
oder Zerstörung des Objektes erfolgen. Zweifellos kann seine Unterdrückung 
schwer überwacht werden. Diese Tatsachen scheinen geeignet, den Schau* 
trieb bei allen Versagungen zu verstärken, indem die Libido nach jeder Ent<= 
täuschung an Stelle der mißglückten Befriedigung auf einer der drei Ent* 
wicklungsstufen den Versuch macht, in ihm zur Befriedigung zu gelangen. 

Ich habe in der Analyse des Patienten wiederholt beobachten können, daß 
seine Angst und die geschilderten Veränderungen der Umgebung besonders 
dann entstanden, wenn die Gegend dem Patienten fremd war. Er meinte, daß 
seine Beschwerden in einer Umgebung, die ihm bekannt war, wesentlich geo 
jringer seien, und erklärte dies durch Gewöhnung. Es zeigte sich, daß eine 
ihm wohlbekannte Umgebung viel weniger geeignet war, als Material für 
seine oben beschriebenen Sexualisierungen zu dienen. Ihr Realitätscharakter 
störte seine Phantasie. So stört auch die persönliche Bekanntschaft des Ana* 
lytikers die Patienten in ihren Projektionen. 

Die Zunahme der Angst im Flachland, ihre Abnahme im Gebirge be* 
deuten, daß Patient nicht gesehen werden will, sondern sich verstecken 
möchte, also Abwehr des Exhibitionismus. Scheinbar im Widerspruch damit 
stand seine Forderung, den Vorhang in meinem Ordinationszimmer ^ur 
Seite zu schieben. Es stellte sich aber heraus, daß der Patient damit nicht 
sich zeigen, sondern auf diese Weise freie Aussicht haben wollte. Da in 
jedem Symptome aufier der Versagung auch ein Stück Befriedigung des 
abgewehrten Triebes stattfindet, wird es uns nicht überraschen, daß auch 
hier ähnliches zustandekam. Seine Erkrankung war geeignet, die Aufmerk* 
samkeit der anderen in hohem Grade zu erregen, und einzelne Details, wie 
etwa die Tatsache, daß er nicht auf dem Bürgersteig, sondern in der Mitte der 
Straße ging, zeigen ganz deutlich die exhibitionistischen Tendenzen. 



2) Ges. Sehr., Bd. V. 



I 



Zur Genese der Platzangst un d des Schreibkrampfes 587 

Der Patient fürchtet sich zunächst vor einem Schlaganfall. Wir wissen 
nicht, ob diese Angst lediglich mit der tatsächlich einsetzenden Blutwallung 
im Sinne eines direkten Zusammenhanges verknüpft war, oder ob die Angst 
auch unabhängig von diesem Konversionssymptom entstanden ist und die 
Organempfindung nur als Rationalisierung verwendet wurde. Aus Analysen 
anderer Patienten, die nur Konversionssymptome haben, wissen wir, daß 
diese Symptome ohne Angst einhergehen. Wir müssen also annehmen, daß 
hier entweder eine andere Form der Konversion entstand, die mit Angst 
verbunden war, oder aber, daß diese Angst neben der Konversion auftrat. 
Wenn das letztere der Fall ist, so müssen wir fragen, wodurch diese Angst 
ausgelöst wurde. In der Analyse ergab sich anschließend an die Bemerkung 
des Patienten über den Raub in einem Postamte, daß er voll von unbewußten 
Aggressionswünschen war. Sein Benehmen auf der Straße, das der be== 
wußten Angst vor dem Schlagtreffen keineswegs entsprach, wurde verstand* 
Hch, als ich sein Benehmen mit dem eines Menschen, der sich im Feindes* 
lande befindet, verglich. Es zeigte sich, daß der Patient die eigene unbe*^ 
v/ußte Aggression nach außen projizierte und vor ihr floh. Ein Mechanismus, 
der uns an die Projektion bei der Paranoia erinnert, nur daß hier die Emp# 
findung der Verfolgung unbewußt blieb und erst in der Analyse zum Vor.« 
schein kam. 

Die Äußerungen des Patienten anläßlich eines Raubüberfalles in einem 
Postamt eröffnen den Zwang zu der unbewußten Aggression, worauf fol* 
gende Erinnerungen aus der Kindheit und Jugend erfolgen: 

a) Mit 18 Jahren liest er in der Zeitung über einen Mord, den ein Angei# 
stellter an seinem Chef verübt hat, worauf er so aufgeregt wird, daß er deol 
Vorsatz faßt, nie mehr ähnliches zu lesen. Er fürchtete damals, verrückt zu 
werden. / 

b) Mit 12 Jahren borgt er sich Geld aus, um auf diese Weise seiner Mutter, 
die im kleinen Lotto spielte, gegen den Willen des Vaters Geld zu verf« 
schaffen. Dabei belügt er seine Kreditgeber, indem er angibt, im Auftrag der 
Mutter zu handeln. 

c) Verfolgung einer Katze und Angstausbruch, als das gehetzte Tier sich 
zum Sprung gegen den Verfolger duckt. 

d) Verfolgung einer Katze, die unter einem Steinhaufen verendet; Schuld»« 
gefühle deswegen. 

e) Abwurf einer Katze vom dritten Stockwerk und Bewunderung des 
Tieres, als es heil davonläuft. 

f) Eine Reihe von Raufereien mit Altersgenossen, in denen er siegt öden 
besiegt wird, und besonders lebhaft eine Verfolgung durch den älteren 
Bruder, der ihn schließlich erwischt und verprügelt. 

Die Erziehung führte endlich zu einer weitgehenden Unterdrückung der 
Aggressionstriebe. Die Erfahrung, daß ihre Befriedigung mit Strafen der 



588 Ludwig Eideiberg 



Außenwelt verbunden ist, zwang den Patienten, die Unterdrückung der 
eigenen Aggression schon vor ihrer Ausführung, also noch im Wunsch* 
Stadium, vorzunehmen. Diese Aufgabe wurde durch die Ausbildung des 
Schuldgefühls erfüllt. 

Das Schuldgefühl erscheint uns als Reaktion des Über^Ichs' auf eine ag* 
gressive Triebregung im Es. Wird diese Triebregung nach außen projiziert, 
so entsteht an Stelle des Schuldgefühls Angst.^ Je kiel s und Bergler 
haben in der Arbeit „Übertragung und Liebe"* den Versuch gemacht, eine 
eingehende Beschreibung der Funktionen des Über^Ichs zu liefern. Nach 
ihnen entsteht Schuldgefühl, wenn zwischen dem Ich und den selbstaufges« 
richteten Ich^Idealen eine Diskrepanz besteht. Die Autoren gehen von einer 
Zweiteilung des Über^Ichs in Ich^Ideal („Du sollst") und Dämon („Du 
darfst nicht") aus und meinen, daß diese beiden Anteile triebpsychologisch 
und genetisch völlig verschieden sind: Das Ich=äldeal ist desexualisierter Eros 
und entspricht jener von Freud supponierten indifferenten narzißtischen 
Energie, die jeweils zu den Grundtrieben Eros und Thanatos hinzutreten 
und einen der beiden zum Herrn der Situation machen kann. Der Thanat'os* 
Anteil im Über:«Ich»^Dämon bedient sich des IchJdeals zu seinen antilibidi* 
nösen Zwecken: durch ständiges Vorhalten des Ich#Ideals als eines „stummen 
Modells" und Aufzeigen der Diskrepanz zwischen Ich:«Ideal und Ich bewirkt 
der Dämon im Ich Schuldgefühle. So wird sekundär das Ichs^Ideal zur ge« 
fährlichsten Waffe des Thanatos gegen den Eros, obwohl es ursprünglich 
zur Rettung des eigenen Narzißmus aufgerichtet wurde. 

Die Angst vor der Katze bedeutet: a) Angst vor einer realen Gefahr: den 
Krallen der Katze, b) Diese Gefahr entstand dadurch, daß er die Katze ver# 
folgte, also durch eigene Aggression. 

Neben den aggressiven Wünschen gegen die Katze waren gleichzeitig 
auch zärtliche vorhanden. Die Erinnerung an die Szene, in der seine Pflege* 
eitern im Nebenzimmer verkehren und er eine Katze statt der Mutter stneL^ 
chelt und nach ihrem Genitale sucht, erlauben die Deutung, daß die Katze 
die geliebte und gehaßte Mutter verkörpert. Da diese beiden Triebwünsche 
nicht befriedigt werden konnten, versuchte der Patient den aus dieser Versa* 
gung resultierenden Konfhkt durch eine Identifizierung mit dem geliebten und 
gehaßten Objekt zu lösen. Die Bewunderung für die vom dritten Stock 
hinuntergeworfene Katze drückt die Erkenntnis aus, daß auf diese Weise 
tatsächlich eine Befreiung von den Gefahren erfolgen kann, die inzwischen 
durch die aus dem Ödipuskomplex stammende Rivalitätseinstellung gegen 
den Vater kompliziert wurden. Die Identifizierung mit der Mutter befreite 
ihn von der Gefahr einer Aggression seitens der Mutter, gegen die er ag# 

3) Siehe dazu L. Eideiberg: Entwurf einer vergleichenden Neurosenlehre. A sug« 
gestion for a comparative theory of the neuroses. Int. Journal of PsA., vol. XVI, 4. 

4) Image, Bd. XX, 1934, S. 1. 



Zur Genese der Platzangst und des Schreibkrampfes 539 



gressiv sem woUte, und von den Gefahren durch die Aggression des Vaters 
dem er die Mutter wegnehmen wollte. An ihrer Stelle trat aber eine neue Ge=« 
tahr auf, die der passiven Homosexualität, als konsequente Folge der Identi* 
fizierung mit der Mutter. 

Wieder befreite ihn die^ Identifizierung mit dem Vater von den Folgen 
der gegen ihn gerichteten aggressiven und zärtlichen Wünsche. Patient war 
em fleißiger und ehrgeiziger Schüler, der sich mit Vater und Vorgesetzten 
ausgezeichnet vertrug. Da er rechtzeitig Sexualbeziehungen anknüpfte, ge. 
lang es, an neuen, nicht ödipalen und deshalb ungefährlichen Objekten die 
vorhanoenen Libidoquantitäten zu befriedigen. Zu einem Konflikt kam es 
als Patient vor 20 Jahren an die Stelle seines verehrten Chefs und Lehrers trat' 
der wegen Defraudation in Pension geschickt wurde. Es zeigte sich nun,' 
daß auch die Identifizierung mit der Vaterimago gefährlich werden kann 
weil dieser Vater mit der Außenwelt in Konflikt geraten war. Die Ver>= 
suchungssituation bestand darin, daß der Patient ebenfalls wie sein Chef Geld 
unterschlagen wollte. Die Situation wurde dadurch kompliziert, daß sein 
Chef ihn öfters um Geld bat, und daß Patient Schulden bei einem Diener 
aufnahm. Nun bekam er Angst, daß man ihn wegen dieser Schulden diszipli^ 
nieren könnte. Er konnte sich zu einer Absage an seinen Chef nicht ent^ 
schlielSen, dabei war schon der gesellschaftliche Verkehr mit ihm für den 
Paüenten gefährHch. In dieser Konfliktsituation trat zum erstenmal die Platze 
angst auf. Sie befreite ihn von den Zusammenkünften mit seinem Chef, den 
er nicht mehr besuchen konnte, und war eine Identifizierung mit dem Chef 
wobei aber nur seine Neurose, nicht sein Hang zur Defraudation überJ 
nommen wurde. Dieses Stück, das vom Patienten in der Identifizierung ak. 
zeptiert wurde, zeichnete sich dadurch aus, daß es weiter ichfremd blieb 
und von der Gesamtpersönlichkeit abgelehnt wurde. 

Die wichtigste Erinnerung, die während der Analyse bewußt wurde, war 
zweifellos jene Szene, in der der Patient, nachdem er eine Katze verfolgt 
hatte, vor dem m die Enge getriebenen und zum Sprunge geduckten Tier 
Angst bekam. Charakteristischerweise hat er Angst um seine Augen Wir 
erkannten m der Analyse, daß es sich dabei um eine Kastrationsangst han. 
delte, und daß die Vertauschung mit der Blendung durch den bereits damals 
vorhandenen starken Schautrieb bedingt war. Damals erkannte Patient daß 
seine eigene Aggression für ihn gefährlich werden kann, und sah, wie durch 
eine Umkehrung aus dem Verfolgten der Verfolger wird. Wir wissen nicht 
ob sich damals eine wirkliche Katzenphobie etablierte; als kümmerliches 
Fragment einer solchen wäre eine gewisse Vorsicht den Katzen gegenüber zu 
erwähnen. Er ermahnte häufig die Nachbarskinder, die Katzen nicht zu reizen 
Dabei hatte er, wie er angibt, nie Angst um sich, sondern um die anderen. 
Daß es zu keiner ausgesprochenen Katzenphobie kam, bezw. daß sie bald 
verschwand, scheint mit der Identifizierung mit der Katze zusammenzuhängen. 



590 Ludwig Eideiberg 



Der eigentümlich schleichende Gang des Patienten v/ar eines von den Merb= 
malen der Katze, die er übernommen hatte. Diese Identifizierung war ge»- 
eignet, ihn von der Gefahr des Verfolgens und Verfolgtwerdens gleichzeitig 
zu befreien. Wenn er selbst die Katze war, entfiel das Bedürfnis, die Katze 
zu besitzen. Wir wissen von Freud, daß darauf der wesentliche Untere» 
schied zwischen der Liebe des Knaben zu seiner Mutter und der Identifizic:* 
rung mit seinem Vater beruht. Die Mutter will er besitzen, dem Vater ahn* 
lieh sein. 

Die Identifizierung dieses Patienten war hysterisch und muß von den 
narzißtischen Identifizierungen unterschieden werden. H. Deutsch^ hat 
nachgewiesen, daß in der Platzangst die selbstbestrafende Identifizierung mit 
dem gehaßten Objekt stattfindet, und den Unterschied zwischen den zwei 
Formen der Identifizierung durch folgende zwei Momente gekennzeichnet: 
1. Die hysterische Form entsteht auf einer höheren Stufe als die nar^ 
zißtische. 2. Sie ist passager und korrigierbar. Das Material des Falles be«> 
stätigt vollkommen den ersten Punkt. Bezüglich des zweiten möchte man 
vielleicht mit Rücksicht auf die lange Dauer der Erkrankung (20 Jahre) die Be^ 
Zeichnung passager ablehnen, bezw. aus diesem Grund die hysterische Identi* 
fizierungsform bezweifeln. Es ist nun sicher richtig, daß wir eine große Reihe 
von hysterischen Identifizierungen kennen, die sich durch ihre Flüchtigkeit 
und Wandlungsfähigkeit auszeichnen, trotzdem glaube ich, daß auch hier 
eine hysterische Identifizierung vorliegt, und möchte zur Unterscheidung der 
beiden Begriffe auf die Tatsache hinweisen, daß jenes Stück des Objektes, 
das in der hysterischen Identifizierung vom Subjekte übernommen wird, 
uns immer als ein Fremdkörper imponiert, von ihm nicht assimiliert wird 
und ichfremd verbleibt. Ohne hier auf eine erschöpfende Diskussion dieser 
Probleme einzugehen, möchte ich nur noch an die folgenden Ausfuhr 
rungen Freudsi= erinnern: „Wir dürfen aber den Unterschied der narzi& 
tischen Identifizierung von der hysterischen darin erblicken, daß bei ersterer . 
die Objektbesetzung aufgelassen wird, während sie bei letzterer bestehen 
bleibt und eine Wirkung äußert, die sich gewöhnlich auf gewisse einzelne 
Aktionen und Innervationen beschränkt." a- 

Tatsächlich waren in diesem Falle sowohl die Platzangst als auch der 
Schreibkrampf vollkommen ichfremd geblieben. 

Die Zahl von publizierten Analysen des Schreibkrampfes ist sehr gering. 
Jokl' hat die urethrale Komponente des Schreibkrampfes hervorgehoben; 
seine Befunde werden durch B e r g 1 e r^ bestätigt. 

5) H. Deutsch: Zur Genese der Platzangst. Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XIV, 1928, 
S. 297. 

6) Ges. Sehr., Bd. V, S. 544. 

7) Zur Psychoanalyse des Schreibkrampfes, Int. Ztschr. f. Psa., Bd. VIII, 1922. 

8) Bergler und Eideiberg: „Der Mammakomplex des Mannes", Int. Ztschr. f. 
Psa., Bd. XIX, 1933, S. 566. 



J 



Zur Genese der Platzangst und des Schreibkrampfes 591 



, ,?'^ .therapeutisch erfolgreiche Analyse des Patienten, dessen Frau eben. 
faUs frigid war, zeigt, daß in diesem Symptom aggressive exhibitionistische 
und phallische Tendenzen enthalten waren, wobei die tiefste Wurzel auf 
orale Elemente zurückgeht. In dem von mir mitgeteilten Falle, der im wesent. 
liehen die Befunde Berglers bestätigt, hat das orale Material quantitativ 
eme genngere Rolle gespielt. 

Der Schreibkrampf bedeutet hier zunächst eine PhaUisierung der Hand, 
also ein Konversionssymptom. Es wurde ausgelöst durch die Frigidität der 
dritten Frau, trat das Symptom doch nach etwa einjähriger Ehe auf. Die Frigi* 
dität der Frau und ihre Ablehnung des Koitus verhinderten die gewöhnliche 
Befriedigung der passiven Triebwünsche, die durch Identifizierung mit der 
normal empfindenden Frau erledigt werden (siehe dazu meine Arbeit ■ Zur Er. 
niedrigung des Liebesobjektes"). Durch PhaUisierung der Hand wurde diese 
em weibliches Geschlechtsorgan, wobei der Bleistift, bezw. die Feder die 
Rolle des Penis übernahmen. Als Folge dieser PhaUisierung kam es zu einer 
Störung der Ichfunktion des betroffenen Organes. Als verschiedene thera. 
peutische Versuche ohne jeden Erfolg blieben, lernte Patient links 
schreiben. Nach einigen Monaten trat aber auch links die Störung auf. Die 
Unfähigkeit zu schreiben hätte eine vorzeitige Pensionierung des Patienten 
zur Folge gehabt. In der Analyse erkannten wir, daß auf diese Weise die unbe. 
wußte Aggression gegen die Frau, wie in dem Fall von Bergler, befriedigt 
werden sollte, da die bei solchen Situationen häufige Flucht in die Impotenz 
wegen der Frigidität der Frau nicht zum Ziele geführt hatte. Der unbewußte 
Exhibitionismus war ebenfalls in diesem Symptom enthalten. Da das 
Schreiben für den Patienten eine sexuelle Bedeutung bekam, also zu einer 
Art Koitus mit sich selbst vor den Augen der anderen wurde, mußte die 
Funktion des Schreibens gehemmt werden. Nachträglich wurde das fertige 
Symptom, da es die Aufmerksamkeit der Umgebung hervorrief, in (den 
Dienst der Befriedigung der unbewußten Exhibition gestellt. 

Schließlich bedeutete das Symptom eine partielle Identifizierung mit dem 
Freund des Pflegevaters, der den Patienten zum homosexuellen Verkehr ver. 
fuhren wollte und wegen eines Schreibkrampfes seinerzeit vorzeitig pen^ 
sioniert worden war. 

Die therapeutischen Erfolge waren in diesem Falle so deutlich, daß sie 
einer Reihe von Bekannten des Patienten auffielen. Im ganzen haben vier 
Kollegen des Patienten, die seit Jahren an Schreibkrampf litten, bei ihm Er^ 
kundigungen über die analytische Behandlung eingeholt. Obgleich der Pa. 
tient die Analyse begeistert empfahl, konnte sich nicht ein einziger zur Be. 
handlung entschließen. Es scheint danach, als ob der Schreibkrampf trotz 
der stets vorhandenen Krankheitseinsicht und Ichfremdheit des Symptoms 
vom unbewußten Anteil des Ichs viel weniger energisch abgelehnt würde, 
als dies bei anderen Konversionssymptomen der Fall ist. Dies^ ist vielleicht 



592 



Ludwig Eideiberg 



einer der Gründe für die therapeutisch nicht sehr günstige Prognose. 

Nachfolgende Zusammenstellung zeigt unser Material den einzelnen Ins« 
stanzen entsprechend geordnet. 



03 



Projektion 
Platzangst 

Es* Wünsche 

1. töten 

2. exhibitionieren 

3. koitiert werden 

Ich 

Abwehr der Angst vor der Straße 
durch eine Hemmung i. e. Vermei* 
düng der Straße, als des Ortes in 
dem die Es^Wünsche befriedigt 



Konversion 
Schreibkrampf 

1. koitiert werden 

2. exhibitionieren 

3. töten 






l werden könnten. 



Projektion der eigenen Aggression 
nach außen. Dadurch Abschwä* 
chung der eigenen Aggression und 
ihre Bewachung durch den nach 
außen projizierten und gegen das 
Subjekt gewendeten Anteil. 

Übersieh 

Die Wendung der Aggression gegen das 

eigene Ich. 



CO:- 

3 S 

G 

D 



Phallisierung der Hand. 
Befriedigung des Wunsches koitiert 
zu werden durch das Symptom, 
wobei die Feder den Penis, die 
Hand die Vagina darstellt. Störuiig 
der Ichfunktion. Befriedigung des 
Exhibitionismus und der Aggres* 
sion gegen die Frau. 



Partielle Identifizierung mit dem 
Verführer. 



In der Projektion und in der Konversion wird der Es* Wunsch, der nach' 
außen gerichtet war, nach innen gewendet. In der Konversion besetzt dann 
die Objektiibido als Ausdruck des Es* Wunsches ein bestimmtes Organ (Ovo 
ganrepräsentanz), was zu einer Sexualisierung und konsekutiven Störung der 
Ichfunktion dieses Organes führt; aus „ich liebe ihn" wird „ich liebe mich, 
mein Organ" ; in der Projektion bleibt die Libido an der Objektrepräsentanz, 
wird aber gegen das Ich gewendet. Aus „ich hasse ihn" wird „er haßt mich". 

Diese Wendung erfolgt durch das Übersieh, das die vom Es gelieferte 
Energie benützt, um gegen das Ich vorzugehen. Die Wahrnehmung der 
gegen das Ich gerichteten Aggression erfolgt in der Paranoia als Verfolgungss= 
idee, in der Tierphobie als Angst vor dem Objekt, in der Platzangst als Angst 
vor einem Ort. 

In der Projektion scheinen die aggressiven, in der Konversion die sexuellen 
Es* Wünsche zu überwiegen. 

Die Abwehr durch die Projektion bestand demnach darin, daß der auf 
ein Objekt gerichtete Es*Wunsch nach seiner Innenwendung durch das Üher^ 



Zur Genese "der Platzangst und des Schreibkrampfes 593 

Ich vom Ich aufgefangen wird. In der Konversion wird der auf ein Objekt 
gerichtete Es«= Wunsch auf ein Organ verschoben. Das Überä=Ich spielt hier 
eine kleinere Rolle und ist offenbar an der Bildung der Konversion nicht 
direkt beteiligt. Die Abwehr besorgt das Ich allein, allerdings im Auftrage 
des Über«=Ichs. Das Leiden, das an das bereits fertige Symptom geknüpft ist, 
bedeutet sekundär eine Befriedigung des Übers>Ichs. 

Versuchen wir nun die Intensität der beiden Abwehrmechanismen navts 
einander zu vergleichen, so muß zwischen der Abwehr des Es^Wunsches 
durch das Ich und der Abwehr des Symptomes durch die Gesamtpersönlich«! 
keit unterschieden werden. 

Eine quantitative Aussage über die erste scheint schwierig, dagegen ist 
die Abwehr durch die Gesamtpersönlichkeit in der Projektion energischer 
als in der Konversion. Dieser Unterschied scheint durch das Phänomen der 
Angst gegeben zu sein, die in der Projektion das Bild beherrscht und in der 
Konversion fehlt. 

Die äußere Auslösung einer Projektion ist die Versagung von vorwiegend 
aggressiven, die einer Konversion von sexuellen Wünschen. 

(Eingegangen im Januar 1935.) 

Nachschrift 

Nach Beendigung dieser Analyse habe ich noch eine ergänzende Deutung 
gefunden, die ich aber, da der Patient bereits als gesund entlassen war, nicht 
mehr verifizieren konnte. Da diese Deutung auch für andere Fälle von Platzä^ 
angst zu passen scheint, gestatte ich mir sie mitzuteilen. 

Die Frage, weshalb bei diesen Patienten gerade die Straße die Angst mobi# 
lisiert, wurde damit beantwortet, daß sie eine Verlockung der Exhibitions.« 
wünsche bedeute. Diese Antwort ist zweifellos richtig, doch wird ihr Wert 
dadurch eingeschränkt, daß viele Patienten, wenn sie die Straße mit einer Be* 
gleitperson betreten, keine Angst bekommen und daß die Angst in der Nähe 
des eigenen Hauses abnimmt. Zweifellos spielt die Aggression bei der Genese 
der Platzangst eine zentrale Rolle. Es scheint uns, daß der Es* Wunsch, der 
hier abgewehrt wird, ein Todeswunsch ist und daß dieser Todeswunsch in 
der Sprache des Kindes, das sich auf der phallischen Stufe befindet ,,du sollst 
weggehen" lautet. Dieser Wunsch wird in der Weise abgewehrt, daß er 
gegen die eigene Person gewendet wird. Aus dem „du sollst weggehen — 
sterben" wird „ich soll weggehen — sterben". 

Die Straße, bezw. das Verlassen des eigenen Hauses — oft tritt die Angst 
schon bei der Absicht wegzugehen auf — scheint nun diesen Wunsch und 
den dazu gehörenden Affekt Angst zu mobilisieren. Das Fehlen der Angst 
beim Vorhandensein der Begleitperson würde neben der von H. Deutsch 
nachgewiesenen Bedeutung „es ist dem, dem man den Tod wünscht, nichts 

Int. Zeitschr. f. Psychoanalyse, XXn/4 38 



594 Ludwig Eidelbets: Zur Genese der Platzangst und des Schireibkrampfes 



geschehen" den Sinn haben „ich bin nicht weggegangen, ich habe ihn nicht 
verlassen, er ist ja bei mir". Auch würde durch diese Deutung verständlich, 
warum die meisten Patienten angstfrei sind, wenn sie die Wohnung nicht zu 
Fuß, sondern im Wagen verlassen, den sie häufig selbst lenken können. Die 
Angst scheint nur an das Weggehen gebunden zu sein. 

Auch die Zunahme der Angst auf unbekannten Straßen, ihr Abnehmen auf 
bekannten scheint mit dem Sinn des Weggehens als Sterben (d. h. nicht mehr 
zurückkehren, nicht zurückfinden) im Einklang zu sein. 

Zusammenfassend möchten wir sagen: 

Jedes Weggehen, auch jede Absicht es zu tun, mobilisiert den ubw Es# 
Wunsch: „er soll weggehen". Die Abwehr erfolgt erstens durch die 
Wendung des Wunsches gegen die eigene Person auf dem Wege der Identi* 
fizierung, aus „er soll weggehen" wird auf diese Weise „ich soll weggehen, 
sterben". Gleichzeitig wird der zu dem Todeswunsch dazugehörende Affekt 
„Haß" (im weitesten Sinne) durch den Affekt des entgegengesetzten Trieb* 
gemisches „Liebe" übertönt. Die Angst, die bewußt wird, bedeutet ein Signal 
der Gefahr, in die das Individuum durch die Wendung der Aggression gegen 
sich selbst gerät. Die Sorge um das Objekt, die Anhänglichkeit und die Zu«' 
nähme der Bindung entsprechen dem zur Abwehr gegen den aggressiven Es«» 
Wunsch mobilisierten Affekt des Sexualtriebgemisches „Liebe". 



^ 



REFERATE 



Aus der psychoanalytischen Literatur 

FREUD ANNA: Das Ich und die Abwehrmechanismea. Internationaler Psychoana^ 
lytischer Verlag, Wien 1936, 208 S.i x «^ ^«r 

I. 

Der Inhalt dieses Buches wird von anderer Seite besprochen werden, doch ergreife ich 
gerne die Gelegenheit, um die allgemeinen Eindrücke, die ich davon gewonnen habe 
hier zusammenzufassen. Drei hievon seien besonders hervorgehoben. 

Vor allem die ungewöhnliche und erquickende Klarheit. Es hat nicht nur jeder Satz 
seine ganz unmißverständliche Bedeutung, sondern Anna Freud besitzt auch gleich 
Ihrem Vater, die hervorragende Fähigkeit, auf die verschiedenen Themen, die sie berührt 
Licht fallen zu lassen und die Dinge wirklich klar zu machen. Vielleicht ist das gläJ 
«ndste Beispiel dafür das zweite Kapitel, in welchem sie mit sicherer Hand die verschieb 
denen Formen analytischer Technik hinsichtlich ihrer Eignung zur Erforschung des Ichs 
klarstellt. Das bildet eine ausgezeichnete Einleitung zu der hierauf folgenden Besprechung 
der verschiedenen Abwehrtypen. Diese Klarheit gibt dem ganzen Werk die besondere 
Note des „Erleuchtens" und macht es als Lehrbuch besonders wertvoll. 

Ein anderer auffallender Zug ist die in diesem Buch beobachtete Reserve. Die Autorin 
konnte an vielen Stellen ihre Argumente und Analysen weiter fuhren, als sie es getan hat 
aber sie zieht es vor, nicht über das ihrer Ansicht nach mit Sicherheit Feststellbare hinaus, 
zugehen. Auch dies macht das Werk zu einem verläßhchen Lehrbuch für Studierende 
wenn auch der erfahrene Analytiker an vielen Stellen, wo Anna Freud ihre Enfc^ 
deckungsfahrt in die Tiefe abbricht, über ihre Ansichten gerne mehr erfahren hätte; so 
streift sie zum Beispiel nur sehr flüchtig das Thema der Introjektion und Projektion Ein 
ehrgeiziger Autor hätte ohne Zweifel mit leichter Hand irgendwelche Klassifizierungen 
der zehn Abwehrformen (S. 52) versucht und hätte sich zu allerlei positiven Behauptungen 
über die chronologische Ordnung ihres Auftauchens (S. 60-62) und ihrer Verbindungen 
untereinander verstiegen. Anna Freud erkennt weise und klar die unserem gegenwärtigen 
Wissen hier gezogen Grenzen und zeigt die anderen Faktoren und Umstände auf, die erst 
geklart werden müssen, ehe der Weg für solche Aufgaben frei ist. Auf der anderen Seite 
allerdings findet der Autor dieses Referates einige Behauptungen, die er selbst vielleicht in 
vorsichtigerer Form vorgebracht hätte und von deren Endgültigkeit er nicht so überzeugt ist 
wie Anna F r e u d es zu sein scheint. So schreibt sie z. B. dort, wo sie von den drei Haupt^ 
quellen der Abwehr im allgemeinen spricht - der Angst vor dem Übersieh, der Außenwelt 
und der Triebstärke -, mit Bezug auf die zweite: „Das Ich des Kindes fürchtet den Trieb 
w eil es die Außenwelt fürchtet" (S. 67, Sperrung vom Ref.). Ich halte dies für eine sehr an. 
fechtbare Behauptung und es ist leicht mögÜch, daß die endgültige Wahrheit hier eher in 
der entgegengesetzten Richtung liegt. Allerdings spricht sie im nächsten Abschnitt von 
einer unerklärhchen Angst vor den Trieben anundfürsich, aber es wäre interessant, 
irgend eine Andeutung über die möglichen Beziehungen zwischen beiden - d. h. zwi* 
sehen der zweiten und der dritten der oben angeführten Hauptquellen - zu finden. 
Ferner scheint Anna Freud mehr geneigt, die drei Abwehrformen der Regression, der 
Verkehrung ins Gegenteil und der Wendung gegen die eigene Person als angeTsoren oder 

i) Anmerkung der Redaktion: Mit Rücksicht auf die Bedeutung des Buches hat sich die 
Redaktion entschlossen, wie sie es in ähnlichen Fällen schon früher geübt hat, auch in 
diesem Falle verschiedene Referenten zu Wort kommen zu lassen. 

38* 



596 Referate 

doch als sehr primitiv aufzufassen, als es meiner Meinung nach durch das Beweismaterial 
gerechtfertigt erscheint (S. 62). Und ist es wirklich so sicher, daß alle anderen Arten 
der Abwehr sich von der Verdrängung dadurch scharf abheben, daß neu auftauchende 
Triebschübe die Bedingung sind, daß sie aufs neue in Tätigkeit gesetzt werden? Der Be= 
griff der Gegenbesetzung enthält seinem Wesen nach gewiß nicht das Merkmal der Bes» 
ständigkeit, wie man daraus folgern müßte. Schließlich hätte ich bei der Feststellung, daß 
die analytische Forschung sich sicher nicht mehr mit dem Namen „Tiefenpsychologie" 
deckt, zumindest das Wort „sicher" ausgelassen. Natürlich handelt es sich hier um eine 
Definitionsfrage. Immerhin bleibt jedoch unser Interesse vorwiegend den unbewußten 
(also tiefen) Seiten des Seelenlebens — sei es des Ichs, des Über^Ichs oder des Es — zxw 
gewandt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß wir uns derzeit weniger als frühes 
auf das „Es" konzentrieren. 

Eine dritte hervorragende Eigenschaft des Werkes ist der gefällige Stil, in dem es ge* 
schrieben ist. Es bereitet reines Vergnügen, einer solchen Meisterschaft der Sprache zu 
begegnen, wo jeder Satz klar und sicher in seiner Schlichtheit ist. Man weiß nicht, ob 
man Anna Freuds Stil mehr bewundern soll, wenn sie schwierige theoretische Gesichts»» 
punkte entwickelt, oder bei der faszinierenden Beschreibung khnischen Materials. 

Ohne Zweifel wird sich dieses Buch in die klassischen Werke der psychoanalytischen 
Literatur einreihen und sich auch als wertvolle Ergänzung unserer kleinen Liste gediegener 
Lehrbücher erweisen. E. Jones (London) 

II. 

Die historische Entwicklung der Psychoanalyse bestimmte, daß sie sich zuerst mit den 
neurotischen Symptomen als mit Durchbrüchen von ichfremden Kräften, die der Ein* 
heitlichkeit der Person widersprechen, befaßte. So wurde das Ichfremde, die vom Ich abge»= 
wehrten und dennoch wiederkehrenden Triebe, ihr Hauptgegenstand. Erst später kam sie 
dazu, die Fragen nach dem Abgewehrten durch die, wie und warum das Ich abgewehrt hat, 
zu ergänzen. Besondere Dringlichkeit erhielt diese neue Aufgabe bei den immer häufiger 
werdenden Neurosetypen, bei denen nicht eine einheitliche Persönlichkeit durch das eine 
oder andere Symptom durchbrochen ist, sondern bei denen das ganze Ich in den 
Krankheitsprozeß einbezogen scheint. Auch mit der Erweiterung der Psychoanalyse von 
einer Psychopathologie zu einer Psychologie überhaupt gewann die Ichpsychologie an 
Bedeutung. In den unbewußten Trieben scheinen die Menschen mehr oder weniger uni«< 
form. Zwar gibt es auch da sowohl weitgehende konstitutionelle Verschiedenheiten als 
auch Differenzen der Triebstruktur, die durch Erlebnisse entstanden sind und denen die 
Aufmerksamkeit der Psychoanalyse stets besonders gegolten hat. Aber im ganzen werden 
die Menschen doch einander um so ähnlicher, je mehr wir bei unserer Forschung in diei 
Tiefen des Es steigen und uns damit dem „Biologischen" im Menschen nähern. Die 
Differenzen der Menschen und menschlichen Gruppen sind vor allem Differenzen der 
Charaktere, der Haltungen und Reaktionsweisen, der Mannigfaltigkeit der Erlebnisarten, 
kurz, Verschiedenheiten des Ichs, die zu beschreiben stets Hauptaufgabe der deskriptiven 
Psychologie war. Die Psychoanalyse kommt erst relativ spät dazu, sich mit ihnen zu bej* 
fassen. Nun, da sie dazu kommt, tut sie es auch anders als jene Psychologien. Sie wird 
auch auf diesem Gebiete genetisch denken, und die Entstehung und Formung ihres 
Gegenstandes aus dem Wirken bestimmender Kräfte dynamisch und ökonomisch e x' 
klären. Diese bestimmenden Kräfte aber sind die Triebenergien des Individuums und 
die Einflüsse der Außenwelt, die diesen Energien besondere Richtung und Form auf=< 
drängen. Insoferne bleibt auch die psychoanalytische Ichpsychologie, die die sogenannten 
„oberflächlichen" Schichten untersucht, „Tiefenpsychologie", weil sie die Herausdifferen* 
zierung der Oberfläche und ihrer Eigenheiten aus der „Tiefe" begreifen will. 




Referate 597 

Der größere Teil der gegenwärtigen psychoanalytischen Literatur befaßt sich mit dieser 
.Ichpsychologie", davon wieder der größere Teil mit den Eigenheiten der primitivsten 
Stufen des Ichs, wie sie in den ersten Lebensjahren und regressiv in den Psychosen in 
Erscheinung treten. Die Ansichten der Autoren, ja, die ganzen Denkweisen, mit denen 
sie sich ihrem Gegenstande nähern, gehen noch weit auseinander. 

Das neue Buch von Anna Freud ist sehr geeignet, in das hier herrschende Durch* 
einander erfreuliche Klarheit und Ordnung zu bringen. Es befaßt sich nicht von vorn* 
herein mit jenen primitiven Ich^Phasen, sondern zunächst mit denjenigen Funktionen des 
Ichs, die dem praktischen Analytiker bei neurotischen und normalen Analysanden vor 
allem als direktes Forschungsobjekt entgegentreten, mit seinen Abwehr funktionen. Deren 
gründliches empirisches Studium ist ja Voraussetzung für die Erfassung der Problematik 
des Werdens eines intrapsychischen Vertreters der Außenwelt überhaupt, der Eigenheiten 
der primitiven Wahrnehmung und Motilität u. dgl. Anna Freud gibt in einem ersten 
Abschnitt eine — immer empirisch orientierte — Theorie der Abwehrmechanismen, 
während die folgenden Teile praktische Erläuterungen zu dieser Theorie darstellen. Der 
zweite Abschnitt bespricht die ersten Maßnahmen des Ichs zur Unlustvermeidung, 'die 
„Vorstufen der Abwehr", der dritte stellt zwei neue, bezw. neu in ihner Bedeutung ge* 
würdigte Abwehrtypen dar, der letzte endUch die besonderen Abwehrformen der Pubertät. 

Vom Es gelangen nur „Abkömmhnge", die Spannungsgefühle im Ich, die die Trieb* 
erregung andeuten, zur Beobachtung, das Übersieh wird der Beobachtung nur deutlich, 
wenn es dem Ich gerade kritisch gegenübersteht. Das I c h aber ist „das eigentliche Gebiet' 
auf das unsere Beobachtung sich ständig richten muß", „das Medium, durch das hindurch 
wir ein Bild der beiden anderen Instanzen zu erfassen versuchen". Über die Vorgänge im 
Es gibt das Ich überall dort noch verhältnismäßig gute Auskunft, wo es als Vermittler 
zwischen Trieb und Motilitätsapparat jenem den Zugang zu diesem verschafft und ihm 
ev. nur etwas Aufschub der Befriedigung auferlegt; die Regungen des Es verändern sich 
bei dieser „Ich*Passage", indem sie dem Sekundärvorgang unterworfen werden; diese 
Veränderung wird aber viel bedeutsamer, wenn sie die Abwehrtätigkeit des Ichs in Funk* 
tion setzt. Das beobachtete Bild ist dann vom Analytiker in seinen Es* und Ich* (ev. Über* 
Ich*) Anteil zu zerlegen. Die abwehrenden Aktionen des Ichs gehen dabei relativ stumm 
und unsichtbar vor sich, die wichtigsten Aufschlüsse über die Abwehr erhalten wir bei 
ihrem Mißlingen, z. B. über die Reaktionsbildungen bei ihrem Zerfall. 

Solange man nur das Es erforschen wollte, erschien das abwehrende Ich nur als eine 
Störung, die möglichst rasch — erst durch Hypnose, dann durch die freie Assoziation — 
ausgeschaltet werden sollte. Da „analysieren" heißt, das Ich mit seinen Triebvorgängen 
zu konfrontieren, können Kurzschlußmethoden, die das „störende" Ich ausschalten, zwar 
dem Analytiker Kenntnisse über das Es vermitteln, aber an der Dynamik der Konflikte 
nichts ändern. Die freie Assoziation schaltet aber auch die dynamisch ausschlaggebenden 
Abwehren gar nicht wirklich aus. „Eine volle Fügsamkeit des Patienten gegenüber der 
Grundregel" ist dadurch „praktisch unmöglich", und das Bild, das die realen „freien, 
Assoziationen" liefern, ist ein Hin und Her zwischen AbkömmMngen des Es und ab* 
wehrenden Aktionen des Ichs, die der Analytiker ebenso wie jene (ja, im Prinzip 
früher als jene) erraten und durch „Deutung" erfassen muß. Während aber die Re* 
gungen des Es selbst zum Bewußtsein hinstreben, also Bundesgenossen des Analytikers 
sind, haben die unbewußten Anteile des Ichs „keine Neigung und keinen Vorteil davon, 
bewußt zu werden", und erst die gegen ihren WiUen erfolgende Erfassung ihrer Wirk* 
samkeit durch das bewußte Ich gibt diesem die Möglichkeit, sie allmählich auszuschalten. 
„Also nicht die Befolgung der analytischen Grundregel an und für sich, sondern der 
Kampf um die Befolgung der Grundregel ist es, worauf es uns ankommt", genau so, wiei 
das Erraten des Traumwunsches nicht einzige Aufgabe der Traumdeutung ist, die außerdem 



auch noch die Wirksamkeit der Zensur aus ihrer Wirkung auf die Traumgedanken zu 
rekonstruieren hat. Die Symbol* und oft auch die Fehlhandlungsanalyse eröffnet zwar 
überraschende Erkenntnisse über das Es, aber ist nicht dynamisch für die Änderung der 
Abwehrhaltung des Ichs zu verwenden. Viel wichtiger ist die Analyse der Übertragung, 
bei der immer eine Es* und eine Ich:»Seite des Vorganges zu unterscheiden ist. Zwar, wenn 
nur libidinöse Regungen übertragen werden, so daß der Patient Gefühlsregungen, die 
ursprünglich anderen Objekten galten, nunmehr auf den Analytiker richtet, so sind das 
Es^'Durchbrüche, die vor allem die Erkenntnis des Es fördern (freilich, insoferne sie aus 
dem Zusammenhang gerissen, am unrechten Objekt und in ihrer Bedeutung verkannt, aui" 
treten, haben auch sie ihre Ich*Seite, die sie zum Widerstand werden läßt, und die vopi 
Analytiker beachtet werden muß). Aber die Patienten übertragen ja nicht nur ihre Triebe, 
sondern die ihnen spezifischen Abwehrmethoden, zunächst, indem sie die Es^Regungen 
nicht als solche, sondern „in allen jenen Formen von Entstellung, die bereits im infantilen 
Leben ausgeprägt worden sind", in Erscheinung treten lassen. Dann aber, indem sie nur 
mehr die Abwehr einer speziellen libidinösen Regung und nicht diese wiederholen. Dann 
ist es nicht Aufgabe des Analytikers, „mit Überspringung aller Zwischenstufen der Trieb» 
Umwandlung um jeden Preis direkt die abgewehrte primitive Triebregung zu erraten". 
Wenn man statt dessen die Aufmerksamkeit des Patienten zunächst auf seine Abwehr* 
tätigkeit richtet, so greift man in den dynamischen Kampf der seelischen Kräfte an der 
Stelle ein, wo er geführt wird, und mit der Erkenntnis, warum ein Patient gerade in dieser 
einen Form und nicht anders abwehrt, „erhalten wir Auskünfte, die die Geschichte der 
Ich*Entwicklung des Patienten, wenn wir anders sagen wollen, die Geschichte seiner Trieb* 
Umwandlungen ausführen und ergänzen". 

Diese Methode scheint Ref. nicht nur, wie Anna Freud sagt, „lohnender", sondern 
die analytisch einzig korrekte. Freilich ist dabei die Schwierigkeit die, daß der Patient 
selbst Übertragungsreaktionen dieser Art „nicht als Fremdkörper" „empfindet". Wir 
müssen deshalb — S t e r b a hat das für die Deutung des Übertragungswiderstandes prinzi* 
piell ausgeführt^ — den selbstbeobachtenden bewußten Teil des Ichs in Gegensatz zum 
erlebenden Ich setzen, die in Frage stehende Verhaltungsweise gegenüber dem übrigen 
Ich erst einmal „isolieren", um sie dann analytisch weiter behandeln zu können. Als 
„eine dritte Form -d'er Übertragung" bezeichnet Anna Freud schheßlich noch das 
„Agieren", das im Grunde wohl eine besondere Form der beiden anderen Übertragungs* 
arten ist. Das Agieren hat außer dem Vorteil, daß man oft daran Es*Inhalte direkt ablesen 
kann, auch den, „daß es uns die innere Struktur des Patienten in ihren natürlicheni 
Größenverhältnissen zwangsmäßig vor Augen führt. Wo immer die Deutung des Agierens 
gelingt, dort können wir die Übertragungsaktionen in die Bestandteile zerlegen, die der 
wirklichen momentanen quantitativen Beteiligung der einzelnen Instanzen entsprechen"; 
dem stehen aber große Nachteile gegenüber : Anna Freud erwähnt gar nicht den Umf 
stand, daß beim „Agieren" die „Isolierung" der Aktion vom übrigen Ich so schwer gelingt, 
daß daher in ihr Energien leicht verpuffen, statt analytisch verarbeitet, d. h. mit dem ver=» 
nünftigen Ich konfrontiert zu werden, sondern schätzt eine andere Gefahr des Agierens 
höher ein: Da das Ich beim Agieren im Dienste des Es voll funktioniert, wird es 
analytisch unzugänglich: „Die Möglichkeit zur Bewußtmachung des Unbewußten und die 
therapeutische Einflußnahme auf die Beziehungen zwischen Ich, Es und Übersieh beruhen 
offenbar auf dem künstlich hergestellten, immer noch hypnoseähnlichen Zustand der 
analytischen Situation, bei dem die Aktivität der Ich*lnstanzen herabgesetzt ist"; welcher 
Zustand beim Agieren wegfällt. 

„Die Ich^Seite der Analyse", d. h. praktisch die Widerstandsanalyse, ist also nicht nur 

2) R Sterba: Zur Dynamik der Bewältigung des Übertragungswiderstandes. Int. 
Ztschr. f. Psa., Bd. XV, 1929. 



. J* 



I 



___^ Referate 599 

keine Störung der „Es.Analyse", sondern sie ist als Weg zur dynamischen Änderung des 
Patienten unentbehrlich. Wird entweder die Es. oder die Ich^Analyse einseitig bei 
vorzugt, so erhalten wir „nur verzerrte, entstellte oder zumindest unvollständige Bilder 
der psychischen Persönlichkeit." Wer nur Symbole übersetzt, ist leicht geneigt die 
unbekannten Anteile der Ich^^Instanzen zu vernachlässigen oder doch geringer 
zu schätzen", - noch mehr, möchte Ref. meinen, er gibt überhaupt 'keine Deutung im 
eigentlichen Sinne, da die - inhaltlich richtige - unzeitgemäße Benennung von Es.An. 
spruchen dem Patienten ja nicht ermöglichen kann, diese in sich zu entdecken. Eine Ana. 
lyse die nur das Ich behandelt, aber die Es^Inhalte nicht beachtet und ihrem spontanen 
Auftauchen überläßt, würde entsprechend „auf die Tiefe und Vollständigkeit" der Es. 
Analyse verzichten". (Auch ist nicht nur das Benennen des Widerstandes, sondern an'der 
richtigen Stelle auch das des Abgewehrten, das ja oft mit jenem verbunden ist, eine Me>> 
thode zur Überwindung des Widerstandes.) 

Man muß also auch das abwehrende Ich analysieren. Anna Freud schreibt: , Der 
Analytiker richtet seine Aufmerksamkeit gleichmäßig und objektiv auf alle drei Instanzen, 
soweit sie unbewußte Anteile enthalten; er verrichtet seine Aufklärungsarbeit, wie man 
mit einem anderen Ausdruck sagen könnte, von einem Standpunkt aus, der von Ich, Es 
und Über.Ich gleichmäßig distanziert ist". Dies ist wohl so zu verstehen: Prinzipiell ist 
immer die Ich.Seite eines Phänomens oberflächücher, daher früher der Beobachtung des 
Patienten zugänglich, daher der Weg, auf dem man zur „Es.Seite" gelangt; der Analytiker 
ist nur insoferne von den Instanzen gleichmäßig distanziert, als er alle drei Seiten der 
psychischen Phänomene sieht und in Kämpfen der Instanzen untereinander neutral ist 
Aber seine Tätigkeit „beginnt" prinzipiell „am Ich"; man könnte in diesem Sinne also 
sagen, er stehe dem Ich näher als dem Es. Aber die Instanzen verhalten sich ihrerseits 
zum Analytiker verschieden. Dem Es, das ja zum Bewußtsein will, ist der Analytiker 
Helfer, dem abwehrenden Ich Feind. Das Ich steht so in drei Beziehungen zum Ana. 
lytiker: es ist Bundesgenosse als Vernunft und Selbstbeobachter, Gegner als alte Ab. 
wehrinstanz und endlich Gegenstand der Analyse. Das Ich als Abwehrinstanz bekommt 
der Analytiker prinzipiell als Widerstand zu spüren. „Nicht jeder Widerstand ist 
das Ergebnis einer Abwehrhandlung des Ichs" (denn es gibt auch sekundäre Gewinne, 
Es. und Uber.Ich. Widerstände). „Aber jede solche Abwehrhandlung des Ichs gegen das 
Es kann, wenn sie in der Analyse vorfällt, nur als Widerstand . . . gespürt werden." 

Abgewehrt werden nicht nur die „Triebe", d. h. die sie repräsentierenden Vorstellungen, 
sondern auch die Affekte, die mit ihnen jeweils in Beziehung stehen, und zwar mit den 
gleichen Abwehrtechniken. Ein weiteres besonderes Gebiet zum Abwehrstudium sind die 
„permanenten" Abwehrerscheinungen, auf die Reich in seiner „Charakter, 
analyse so besonderes Gewicht legt, d. h. Eigenheiten körperlicher oder seelischer Art, die 
als „erstarrte", nunmehr chronisch wirkende Abwehrhaltungen aufzufassen sind. Ihre Ana. 
lyse ist besonders schwer (Schwierigkeiten der „Isolierung") und Anna Freud meint dazu: 
„Man ist sicher nur dort berechtigt, sie in den Vordergrund der Arbeit zu schieben, wo 
überhaupt kein lebendiger Kampf zwischen Ich, Triebe und Affekt mehr zu finden ist." 
Allerdings ist es wohl auch oft wichtig, einen noch vorhandenen lebendigen Kampf 
dazu zu benutzen, an anderer Stelle wirksame „permanente" Abwehrhaltungen zu mobi. 
li&ieren und als erstarrte Niederschläge analoger Kämpfe zu demonstrieren, da man andern. 
taUs ausschlaggebende Anteile der im Konflikt liegenden Triebenergien analytisch unan. 
gegriffen ließe. j 

Auch an den Symptomen selbst, die ja bekanntlich Kompromisse sind, lassen sich die Ab. 
wehrtatigkeiten und ihre Eigenheiten studieren. Bestimmte Neurosen haben „feste Be. 
Ziehungen zu bestimmten Abwehrtechniken", etwa Jie Hysterie zur Verdrängung, die 



^00 Referate 

Zwangsneurose zur Isolierung und zum Ungeschehenmachen. Daher kann man auch um^» 
gekehrt aus der Abwehrart auf den Charakter des Symptoms schließen. (Darauf beruhen 
Ausdrücke wie „hysterischer" oder „zwangsneurotischer Charakter"). 

Die besondere Form der Affektabwehr in der Analyse ist nicht immer eigentliche 
„Übertragung" einer speziellen Vergangenbeitssituation, sondern oft nur eine typische 
Art, gewissen unangenehmen Gefühlen entgegenzutreten. (Das Verhältnis zwischen diesen 
nicht ganz korrekterweise meist „Charakterwiderstand" genannten Haltungen, die darauf 
beruhen, daß der Patient sich in der analytischen Kur zunächst nicht anders verhält als 
außerhalb derselben, und die doch auch aus dem historischen Erleben des Patienten 
stammen, zu den eigenthchen „Übertragungswiderständen" wäre noch zu untersuchen.) 
Technisch ist der richtige Weg der von der Analyse der Affektabwehr zur Erklärung des 
Übertragungswiderstandes und damit erst zur Analyse der Angst, die Veranlassung 
zur Abwehr gab, und ihrer Vorgeschichte. Diese Analyse der Affektabwehren schätzt 
Anna Freud für die Technik der Kinderanalyse besonders hoch ein. Sie ist, wenn man, 
aus Bedenken gegen eine zu einseitige Durchführung der Symboldeutung, auf die 
„Spieltechnik" von Melanie Klein verzichten möchte, ein Weg, den in der Kinderanalyse 
wegfallenden „Kampf um die Grundregel" als ein Mittel für die Erkenntnis der Abwehr«« 
dynamik zu ersetzen. Dies wird an Beispielen demonstriert; ein Junge deckt etwa Kastra^^ 
tionsangst durch kriegerisches Benehmen, ein Mädchen Penisneid durch magische All* 
machtsspiele. 

Was entscheidet nun darüber, welche Abwehrmechanismen vom Ich gewählt werden, 
und was erklärt die Bevorzugung mancher Abwehrtechnik durch bestimmte Iche? Die 
verschiedenen Leistungen der einzelnen Mechanismen kann man am besten bei Fällen be* 
obachten, die verschiedene Abwehrtechiüken nacheinander anwenden: Ein Mädchen, das 
Neid und Eifersucht auf Mutter und Brüder abzuwehren hat, beginnt mit der Verschieß 
bung ihres Hasses von der Mutter auf ein Ersatzobjekt: „Die Mutter bleibt das geliebte 
Objekt. Neben ihr aber gibt es von da an im Leben des Mädchens immer eine zweite 
wichtige weibliche Person, die intensiv gehaßt wird." Dann wendet sie den Haß gegen die 
eigene Person. Dann endhch beginnt sie zu projizieren, und fühlt sich selbst zurückgesetzt 
und verfolgt. Dadurch hat sie, ohne eigentlich als krank zu gelten, sich sehr beeinträchtigt, 
und doch ist es ihr zum Schluß nicht gelungen, Angst und Schuldgefühle wirklich zu 
bewältigen. Sie hat sich zwar die Fiktion, daß sie die Mutter liebe, erhalten, muß aber bei 
jedem Neidanlaß alle Mechanismen aufs neue in Tätigkeit setzen. Eine verdrängende 
Hysterikerin hätte statt dessen den Haß aus dem Bewußtsein gestrichen und die an jhn 
geknüpften Regungen ev. in Konversionen körperlich abgeführt, oder das Ich wäre durch 
phobische Vermeidung allen Neidanlässen ausgewichen. Eine Zwangsneurotikerin hätte 
etwa reaktive Fürsorge und Umsicht für die Mutter und andere Personen entwickelt und 
mit Zwangssymptomen und durch eine Übermoral die geliebten Objekte vor der eigenen 
Aggression geschützt. So eine Hysterie oder Zwangsneurose scheint pathologischer als die 
Charaktemeurose, hat die Herrschaft über ein Stück Gefühlsleben verloren, ist aber dafür 
im Ich besser zur Ruhe gekommen. Oft gibt es Kombinationen zwischen den eigentlicB 
neurotischen und anderen Abwehrmethoden, so wenn die Abwehr einer unbewußten 
Neigung, einen Penis abzubeißen, erst zu hysterischen Eßstörungen, dann aber zur Ent« 
Wicklung einer besonderen Genügsamkeit und Anspruchslosigkeit führte. Die Verdrängung, 
meint Anna Freud, nimmt unter den Abwehrmethoden eine Sonderstellung ein. 
Sie kann „starke Triebregungen noch bewältigen, gegen die andere Abwehrversuche 
machtlos bleiben." Die chronische Gegenbesetzung, die sie aufrecht erhält, erspart je* 
weilige kostspieligere Erneuerungen der Abwehr; aber gerade die ständige Absperrung eines 
bestimmten Energie^Anteils durch diese Gegenbesetzung macht die Verdrängung besonders 
gefährlich; ihre Folgen bleiben eben dadurch allerdings außerhalb des Ichs, während die 



anderen Methoden zu „Verwandlungen, Verzerrungen und Deformierungen des Ichs" 
führen. 

Das Problem der „Abwehrwahl" ist damit noch nicht gelöst. Anna Freud diskutiert 
die Möglichkeiten: „Vielleicht bekämpft die Verdrängung vor allem sexuelle Wünsche, die 
anderen Methoden lassen sich besser gegen andere Triebkräfte . . . gebrauchen." (Das 
scheint nicht mit der Erfahrung von anderen Abwehrmethoden gegen sexuelle, ,vor 
allem prägenitale Triebe übereinzustimmen.) „Vielleicht haben die anderen ' Ab* 
Wehrmethoden nur aufzuarbeiten, was die Verdrängung übrig läßt, oder was von ver* 
pönten Vorstellungen nach Mißglücken der Verdrängung wiederkehrt." (Dem widerspricht 
die Erfahrung, daß es andere Abwehrmethoden vor der Verdrängung gibt.) „Vielleicht ist 
jedes erste Auftreten einer bestimmten Abwehrmethode ... an eine bestimmte Phase 
der infantilen Entwicklung gebunden." (Das scheint weit wahrscheinlicher.) Man kann 
nicht verdrängen, solange Ich und Es nicht voneinander endgültig gesondert sind. Ebenso 
könnte man meinen, „Projektion und Introjektion seien Methoden, die auf einer Sonde«- 
rung von Ich und Außenwelt beruhen." (Aber, möchte man hinzufügen, auf einer noqh 
nicht endgültig vollzogenen; Projektion und Introjektion könnten also gerade einem Sta* 
dium der beginnenden Differenzierung von Ich und Außenwelt entsprechen.) Die Ab* 
wehrvorgänge, die zur Sublimierung führen, basieren auf dem Übersieh, können also nicht 
vor dessen Existenz ausgebildet sein. Endlich könnten die Abwehrvorgänge, die die geringste 
Beteiligung des Ichs aufweisen, „wie Regression, Verkehrung ins Gegenteil, Wendung gegen 
die eigene Person" „so alt sein wie der Trieb selbst oder doch so alt wie der Kampf zwischen 
Triebregungen und irgendeinem Hindernis der Triebbefriedigung." Besonders für die 
Regression, bei der die Aktivität des Ichs die allergeringste zu sein scheint (in unlust* 
vollen Zuständen greift man auf Zeiten zurück, die noch nicht so unlustvoll waren), scheint 
das einleuchtend. Aber die Klinik entspricht dieser Chronologie nicht ganz. Auf Ver* 
drängung beruhende Symptome erscheinen schon sehr früh, der Masochismus, der auf 
einer Wendung des Ichs gegen die eigene Person beruht, erst spät. Die Problematik der 
„Chronologie" ist noch nicht gelöst, und Anna Freud zieht es vor, sie zu verlassen, um 
zunächst einmal die Einzelheiten der Abwehrsituationen besser zu studieren. 

Warum werden die Abwehrmechanismen überhaupt ins Werk gesetzt? Weil der Trieb 
als Gefahr aufgefaßt ist, also in der Absicht, Unlust, die als mit dem Triebgeschehen ver* 
bunden gedacht ist, zu vermeiden. Aber woher dieser Glaube? In den Neurosen des Er* 
wachsenen erfolgt die Abwehr meist auf Geheiß des Über*Ichs, d. h. die Gefahr, die ver* 
mieden werden soll, ist das Auftreten von Schuldgefühl. Diese Erkenntaiis führt dazu, das 
Übersieh als pathogenen Faktor hoch einzuschätzen und es „zertrümmern" zu wollen. Der 
Schluß, man müßte, um das pathogene Übersieh zu vermeiden, „milde" erziehen, ist, unab* 
hängig von der Frage, welche Rolle das Übersieh in der Neurosen*ÄtioIogie spielt, falsch, 
weil die Stirenge des Über*Ichs ja nicht nur durch strenge Erziehung veranlaßt ist.) Aber die 
Veranlassung der Abwehr durch das Übersieh ist ja nur die Fortsetzung einer anderen Ver* 
anlassung, über die die Kinderneurosen Auskunft geben: Der Kampf zwischen Ich und 
Übersieh spiegelt nur etwas wider, was vor der Entstehung des Über*Ichs zwischen Es und 
Außenwelt gespielt hatte. Das Kind wehrt ab, „um nicht in Widerspruch mit den Ver* 
boten der Eltern zu kommen." Ausschlaggebend für die pathogene Abwehrentwicklung 
ist also die Angst des Ichs, gleichgültig, wovor es sich fürchtet. Kann man nun Neurosen* 
Prophylaxe betireiben durch Vermeidung von Triebunterdrückung? Anna Freud ist dies* 
bezüglich sehr skeptisch, nicht weil sie eine Verringerung der kindlichen Triebunter* 
drückung unter den heutigen gesellschafthchen Verhältnissen für undurchführbar hielte, 
sondern weil sie meint, hinter dieser „Realangst" noch eine ältere dritte „Gefahr" auf* 
zeigen zu können, die das Ich für mit Triebbetätigung verbunden hält: „Das Ich des Men* 
sehen ist seinem Wesen nach überhaupt kein geeigneter Boden für ungestörte Trieb* 



60^ Referate ~~ 

befiiedigung." Es ist errichtet, um den Realitätsansprüchen Geltung zu verschaffen, also 
um, da die „ungestörte Triebbefriedigung" dank der Beschaffenheit der Außenwelt utimög»» 
lieh ist, bei Gegebenheit dieser Beschaffenheit, eine wenigstens relativ ungestörte Trieb« 
befriedigung zu ermöglichen. In dieser Absicht hat es Realitätsprinzip, Sekundärvorgang etc. 
entwickelt. Anna Freud meint, daß das ein ewiges Mißtrauen gegen die Triebe, die mit 
einem Durchbruch in zu großer Quantität die Organisation des Ichs wieder zerstören 
könnten, bedeutet. Ref. meint, daß sie dabei die Absicht des Ichs unterschätzt, mit all seiner 
Organisation schheßhch Triebbefriedigung doch zu ermöglichen. Freiüch: Vor Entwick« 
lung der Befriedigungsapparate droht bei jedem Triebbedürfnis der „traumatische Zw 
stand", die Überflutung des der suffizienten Abfuhr noch nicht fähigen seelischen Appa* 
rates mit Erregungsmengen. Um solche „traumatische Zustände" zu vermeiden, ent<= 
wickelt ja das Ich überhaupt seine Urteilsfunktion und seine Fähigkeit zum „Angstsignal" 
(Vorwegnahme des „traumatischen Zustandes" in kleiner Dosis zum Zwecke seiner Ver* 
meidung). Dank dieser Genese ist in jeder Angst ein solches Stück „Angst vor dem trauma« 
tischen Zustand", d. h. Angst vor dem Überflutetwerden durch die Quantität der Triebe 
enthalten. Darüber hinaus möchte Ref. aber die Realgefahr höher einschätzen und meinen, 
daß oft, wo im späteren Leben eine Angst vor der Quantität der Triebe vorzukommen 
scheint, diese in Wahrheit doch einer Verhinderung der vollen Befriedigung durch Erleb* 
nisse zu verdanken ist.3 

Daneben gibt es noch andere Motive der Triebabwehr: Nach der Entwicklung des 
„Sekundärvorganges" kann das Ich Widersprüche in sich nicht mehr dulden, und enU 
wickelt Abwehrtendenzen gegen Triebe, die inhaltlich anderen Trieben widersprechen. 
Wenn Alexander im Gegensatz zu strukturellen Konfhkten zwischen Ich und Es 
„Triebkonfhkte", z. B. zwischen Homosexualität und Heterosexualität, Aktivität und Passi* 
vitäf, als neurosenverursachend beschrieb, so ist also auch da, möchte Ref. hinzufügen, 
immer einem Eingreifen des Ichs zu verdanken, daß der objektive Widerspruch der 
Triebziele einen Konflikt verursachte; bei Alexanders Beispielen handelt es 
sich immer darum, daß die eine der beiden in Konflikt liegenden Triebregungen jeweils 
dem Ich näher stand als die andere, relativ Abwehr war und nicht Trieb, so daß im Grunde 
doch ein struktureller Konflikt vorlag. 

Die Affektabwehr hat im allgemeinen die gleichen Gründe wie die Triebabwehr. Affekte 
werden abgewehrt, wenn sie abgewehrten Trieben zugeordnet sind. Freihch sucht sich das 
Ich außerdem vor unlustvollen Affekten immer zu schützen. (Dies ist wichtig ?ür die; 
Phänomene der Angstabwehr, die ihre Bedeutung nur durch die Möglichkeit erhalten, daß 
die Intention des Ichs, ein „Angstsignal" zu geben, dank der „Libidostauung" mißhagen 
kann.) Umgekehrt können lustvolle Affekte, da das Ich sie erhalten will, „gegen den Druck 
eines Verbotes etwas länger vom Ich gehalten werden oder sich auch gelegentlich in plötz* 
lichem Durchbruch für kurze Dauer Duldung vom Ich erzwingen.^' 

Die verschiedenen Angstarten können in der analytischen Praxis nachgeprüft werden: die 
Rückgängigmachung einer Abwehr, die unter dem Druck des Über^Ichs entstanden ist, 
macht Schuldgefühl frei, solcher, die von der Außenwelt erzwungen wurde, Angst; wollte 
das Ich mit der Abwehr peinliche Affekte vermeiden, so treten diese auf; entsprach schließ* 
lieh die Abwehr der Angst vor der Triebgröße, so dringen nun die niedergehaltenen Es* 
Abkömmlinge ungehindert in das Gebiet des Ichs vor. (Aber warum erscheint dies — 
ohne Angst und bei suffizientem Befriedigungsapparat — unlustvoll?) Therapeutisch 
ist die Lage im Falle eines Über*Ich*Konfliktes günstig, weil das Übersieh durch Analyse 
der Identifizierungen und Aggressionen sich ändert. Auch im Falle der Realangst ist 
therapeutisch Hoffnung dank dem Ums tand vorhanden, daß diese Angst der Vergangen* 

3) Vgl. die demnächst erscheinende Arbeit des Referenten „Der Begriff ,Trauma' in 
der Jieutigen psychoanalytischen Neurosenlehre". 



hat, und meist einer animistisch mißverstandenen Vergangenheit, angehört, und sich nur 
dank der Abwehr unverändert erhalten konnte, so daß nach Aufhebung dieser das Motiv 
zu ihrer Aufrechterhaltung wegfällt. (Daß durch die Aufhebung der Abwehr die verdrängt 
gewesenen Triebanteile Anschluß an das Gesamt^Ich finden, daher ihren Charakter ändern 
und befriedigungsfähig werden, und daß nun tatsächliche Befriedigungen die Stauung 
aufheben, möchte Ref. dabei nicht unterschätzen.) Zur Erzielung einer Toleranz gegen= 
über unlustvollen Affekten bedarf es eines pädagogischen Zusatzes: „Das Kind muß lernen, 
immer größere Quantitäten von Unlust zu ertragen, ohne sofort seine Abwehrmechanismen 
zur Verteidigung zu Hilfe zu rufen." (Was durch Ermöglichung von größeren Befriedig 
gungen an andern Stellen wesentüch erleichtert wird.) Bleiben als prognostisch schlecht 
die Folgezustände der Abwehr aus Angst vor der Triebgröße. Der Analytiker verspricht, 
daß bewußte Triebe weniger gefährlich und beherrschbarer sein würden als unbewußte': 
„Die Situation der Abwehr aus Angst vor der Triebstärke ist die einzige, in der der Ana.=^ 
lytiker seine Versprechungen nicht halten kann." Diesem Satze möchte Ref. ein ernsthaftes 
Fragezeichen zusetzen. Er meint, der Analytiker könne dieses Versprechen halten, wenn es 
ihm gehngt, die Störung der Befriedigunsfähigkeit wieder aufzuheben. Freilich, bei drohen* 
dem Ausbruch einer Psychose wirkt ein Kampf gegen die Abwehr „als Schwächung des 
Ichs und befördert den Krankheitsprozeß"; aber die Psychose scheint uns ein Sonderfall, 
bei dem es verwickelter zugeht: sie ist nicht einfach Durchbruch einer ungeheuren Trieb* 
menge gegen das Ich, sondern eine besondere Abwehrart (Regression bis in Zeiten vor 
Errichtung des Ichs), die teilweise als Triebdurchbruch, richtiger als Ich^Auflösung sich 
manifestiert. 

Der erste der diese Theorie erläuternden Abschnitte befaßt sich, wie gesagt, mit den 
„Vorstufen der Abwehr", nämlich mit der Art und Weise, wie das Ich zunächst versucht, 
aus der Außenwelt stammende Unlust zu vermeiden. Es entwickelt hiebei Fähigkeiten, die 
ihm später bei der Ausbildung der eigentÜchen Abwehrmethoden sehr zustatten kommen. 
Zu einer Veränderung der Außenwelt nach seinem Willen ist es noch zu schwach. Dem 
kleinen Hans führt die reale Außenwelt auch nach der Heilung seiner Neurose zwei unr- 
liebsame Umstände immer wieder vor Augen, den Umstand, daß der Vater größer und 
stärker ist als er (einen größeren Penis besitzt), und den, daß Mutter und Schwester ein 
gemeinsames Vergnügen bei der Körperflege genießen, von dem er ausgeschlossen ist. Und 
am Ende seiner Analyse erzählt der kleine Hans die Phantasien von 'den vielen Kindern, 
die er auf dem Klosett betreut, und von dem Installateur, der ihm Gesäß und Glied abi= 
schraubt, um ihm größere und bessere zu bringen. Also: Hans verleugnet die Realität mit 
Hilfe seiner Phantasie, gestaltet sie für seinen eigenen Gebrauch nach seinen Wünschen 
um, und ermöglicht sich erst damit ihre Anerkennung. Die Verleugnung der eigenen 
Schwäche in der Phantasie ist offenbar ganz allgemein für die Kinder die Bedingung, die 
es ihnen ermögUcht, die narzißtische Kränkung dieser Schwäche zu ertragen. Ein anderer 
kleiner Junge hat in seiner Phantasie einen Löwen zum beschützenden Freund, so daß 
dessen Stärke ihm dient, anstatt ihn zu bedrohen. (Offenbar ist die Möglichkeit, an der 
Stärke des verhaßten Stärkeren — real oder in der Phantasie — Anteil zu haben und so die 
eigene Schwäche zu leugnen, das, was die Existenz von Stärkeren zunächst überhaupt er* 
träglich macht. Die Ambivalenz dem Totem gegenüber ist ja von der gleichen Art: dem 
aussichtslosen Haß gegen den Mächtigen wird ausgewichen durch den Gedanken, daß 
man mit ihm eines Stammes ist, daß er „Ich*Qualität" besitzt, daß ein Teil seiner Stärke 
die eigene ist.) Kein Wunder, daß dieser Mechanismus nicht immer glatt gelingt, und daß 
Fälle vorkommen, bei denen die gleichen Tiere abwechselnd als Schutzgötter und als be* 
drohende Ungeheuer in Erscheinung tireten, wie in einem von Anna Freud zitierten 
Falle von Berta B o r n s t e i n. Die Tierphantasie eines andern kleinen Patienten war etwas 
komplizierter: Neben der Gestalt der schützenden Tiere gab es noch in ihr die eines „Räu* 



604 Referate 

bers", der das Kind bedroht, seine Vafervorstellung war also gespalten. So wurde deutlich^, 
„daß die Macht des Vaters, die sich in den Tieren verkörpert, dem Schutz vor dem Vater 
selber dient." „Die Phantasie nimmt dem beneideten Vater diese wertvollen Attribute und 
schreibt sie dem Knaben zu, der jetzt mit ihrer Hilfe den Vater bedroht." (Von hier aus 
ginge ein vielversprechender Gedankengang zur Psychologie der „Trophäe".) Die allgemeine 
Natur dieser „Verleugnungen", die in eine „Identifizierung mit dem Angreifer" fheßend 
übergehen, zeigt der Umstand, daß solche Phantasien nicht nur individuell vorkommen, 
sondern mythenbildende Kraft haben. Anna Freud analysiert in diesem Zusammenhang 
das Grimm sehe Märchen „Die zwei Jäger", und es läßt sich vermuten, daß viele ma^ 
gische Riten und pebräuche sich in gleichem Sinne werden auffassen lassen. Auch in 
der Kinderliteratur (im „Kleinen Lord Fauntleroy" und im „Little Colonel") findet 
Anna Freud die gleichen Motive wirksam. Gegenüber der unliebsamen Wirk* 
lichkeit „wendet" sich also hier das Ich „erst einmal von der Realität ab, ver» 
leugnet sie und ersetzt das Unerwünschte bei sich durch die Vorstellung vom 
umgekehrten Sachverhalt". In bestimmten psychotischen Verwirrtheitszuständen be>= 
nimmt das Ich sich gegenüber der Außenwelt genau so. Woran liegt es, daß diese „Leugf» 
nung" vom Gesunden so wenig ausgenutzt werden kann, und daß der Widerspruch zwi* 
sehen Phantasie und Wirklichkeit, der in der frühen Kindheit kein Hindernis für die 
ökonomische Wirksamkeit der Phantasie ist, später zu einem solchen Hindernis wird? Die 
Fähigkeit, sich über größere Mengen realer Unlust mit Hilfe von Phantasien hinwegzu== 
setzen, erlahmt beim Gesunden bald. Der Tagtraum kann nicht annähernd so große 
Quantitäten von Unbehagen bewältigen wie das phantastische Spiel des Kindes. Dies hängt 
sicher damit zusammen, daß einerseits die Realitäfsprüfung objektiv erstarkt, andererseits 
das „Bedürfnis nach Synthese" des er^vachsenen Ichs das Nebeneinander von Wider* 
sprechendem überhaupt verbietet. Wo es sich bei der Phantasiebefriedigung im Erwach* 
senenleben um ernsthaftere Besetzungsgrößen handelt, ist ein gefährlicher Weg beschritten, 
der zur Psychose führen kann. 

Im kindlichen Leben ist diese „Verleugnung" nicht auf die Phantasien beschränkt, son* 
dern findet auch in Wort und Handlung Ausdruck. Sie ist als solche eine der Funjktionen 
des Kinderspiels. (Die allgemeinere von Wälder hervorgehobene,'' das Spiel 
bewältige durch nachmalige aktive Wiederholung Erregungsgrößen passiver Erlebnisse, 
verdichtet sich sicher oft damit; schon die Umwandlung der Passivität in die Aktivität 
ist ja eine gewisse „Verleugnung" des wirküchen Sachverhaltes, die Wiederholung, die 
die Erregung nachträglich zu bewältigen sucht, wird aber oft noch in andern Punkten, in 
denen das „Originalerleben" dem Kinde unangenehm war, von diesem abweichen.) Mit 
Recht macht Anna Freud darauf aufmerksam, „wie bereit die Erwachsenen sind, gerade 
auf der Basis dieses Mechanismus mit Kindern zu verkehren"; viele pädagogische Streit* 
fragen laufen auf die Frage hinaus, „wie weit es die Aufgabe der Erziehung ist, schon das 
kleinste Kind ausschließlich auf die Verarbeitung der Wirklichkeit hinzuweisen, wie weit 
es der Erziehung gestattet ist, ihm bei der Abkehr von dieser WirkUchkeit und dem Aufbau 
einer Phantasiewelt Vorschub zu leisten." Dabei bleibt ja das freiwillige Mittun der Er* 
wachsenen stets an gewisse strenge Bedingungen gebunden, und das Kind erfährt Wider* 
Spruch, wenn es aus der Phantasie Konsequenzen für sein wirkliches Benehmen ab* 
leiten will. Die Beziehungen der „Verleugnung" zu der vor der Angst schützenden 
„Trophäe", die ein Stück Macht des Mächtigeren zur Verfügung dessen stellt, der die 
Trophäe im Besitz hat, wird besonders deutlich in einigen Beispielen, die Anna Freud nun 
anfügt: ein kleiner Patient mußte den Hut seines Vaters, und später eine ihn ersetzende! 
Schirmmütze stets k rampfhaft in der Hand halten (und kommt schließlich dazu, bei einer 

4) R. Wälder: Die psychoanalytische Theorie des Spieles. Ztschr. f. psa. Päd 
Bd. VI, 1932. 



Referate 505 

Gelegenheit, wo er beide Hände braucht, die Mütze in seine Hosentüre zu schieben). Von 
einem richtigen Zwangssymptom unterscheidet sich ein solches Verhalten dadurch daß 
damit nicht ein eigenes Triebverlangen abgewehrt wird, sondern nur ein peinlicher Ein^ 
druck aus der Außenwelt, der ein Triebvergnügen verleidet. (Ref. möchte darauf hin^ 
weisen, daß man ein solches Verhalten in einem gewissen Sinne auch mit der Pervers 
sion vergleichen kann, wenn die Theorie richtig ist, daß das perverse Tun dazu diene 
die Möglichkeit der Kastration zu leugnen und damit die Hingabe an den sexuellen Genuß' 
die durch den Gedanken an die Kastration unmöglich war, zu ermöghchen) Im alW 
meinen verliert die „Verleugnung" durch Wort und Tat bei der weiteren Entwicklung ihre 
Bedeutung ebenso wie die durch Phantasie. Eine Ausnahme scheint der „Talisman" 
mancher Zwangsneurotiker zu sein, der auch nicht immer vor dem eigenen Triebverlangen 
sondern auch vor Außenweltgefahren schützt. Die Verleugnung in Wort und Tat unter^^ 
scheidet sich auch dadurch von der in der Phantasie, daß sie sich in der wirklichen Außen.» 
weit abspielt, also Mithilfe braucht (sie ist somit eine Rückkehr von der Phantasie zur 
Realität, ein Übergang von der „Verleugnung" zur „Änderung" der Realität, ein Versuch 
andere zu den gleichen Phantasien zu verführen; der Funktion der „gemeinsamen Tag^ 
ö'äume" wäre in diesem Zusammenhang zu gedenken, ebenso wahrscheinlich mancher 
Phänomene der pathologischen Lüge, mit der der Lügner ebenfalls einen Rückweg von 
der Phantasie zur Realität sucht). f 

Wenn „das Ich des et-was älteren Kindes durch seine größere körperliche Bewegungs^ 

freiheit und seine größeren psychischen Aktionsmöglichkeiten dem Reiz entrinnen kann", 

kann auch die „Verleugnung" durch eine „Vermeidung der Unlustanlässe" ersetzt werden 

So wie der Phobiker der Gelegenheit zur Versuchung des Triebes, den er für gefährlfch 

halt, ausweicht, so weichen die Kinder auch andern Betätigungen aus. die unlustvolle 

Erfahrungen, z. B. die der eigenen Inferiorität, mit sich gebracht haben, auch an sich 

lust\'ollen Erlebnissen, die mit etwas derartigem verbunden waren. Das führt oft dazu, daß 

Kinder, etwa in Kindergärten und Schulanstalten, sich an gemeinsamen Tätigkeiten nicht 

beteiligen, weil sie auf einen Mißerfolg sofort mit einer dauernden Abneigung gegen eind 

Wiederholung des Versuches antworten. Von den eigentlichen neurotischen HenTmungen 

sind solche Hemmungen, die Anna Freud „Ich==Einschränkungen" nennt, dadurch untere 

schieden, daß nicht eine geheime verbotene sexuelle Bedeutung der gemiedenen Tätigkeit, 

sondern nur eine unerwünschte äußere Begleiterscheinung ihr Motiv ist. Daher sind sie 

auch leichter technisch anzugehen: es genügt ein Wechsel der Arbeitsbedingungen. Die 

Vermeidung gilt nicht der Handlung selbst, sondern der mit ihr verbundenen Unlust. Die 

Vermeidung kann, solange diese Unlustbedingungen fortbestehen, leicht vollständig sein, 

weil hier nicht wie bei den echten Hemmungen der unbewußte, doch noch vorhandene 

abgewehrte Trieb das hemmende Ich immer wieder in Versuchung und damit in Konflikt 

und zu neuen Gegenbesetzungsaufwänden führt. (Die „Ich^Einschränkungen" gehen in 

der Praxis wohl ebenso in die „Hemmungen" füeßend über, wie die „Verleugnungen" in 

die „Verdrängungen"; die Unterscheidung, ob ein Abwehrvorgang gegen eigene Triebe 

oder gegen die Außenwelt gerichtet ist, kann schon deshalb nicht immer "scharf getroffen 

werden, weil in der eigenen Trieberregung die Strafmaßnahmen der Außenwelt, in der 

Außenwelt die Triebversuchung gefürchtet sein kann.) Die Unlust des Unterliegens im 

Vergleich ist natürlich nicht die einzige Unlust, die zu solchen „Ich^^Einschränkungen" 

führt; ein kleiner Patient von Anna Freud stellte gerade die Tätigkeit, in der er am er^ 

folgreichsten war, nämlich das Fußballspiel, ein, weil er den Neid der größeren Jungen. 

die schlechtere Spieler waren, fürchtete. Er wendete sein Interesse vom Sport ab und litera* 

rischen Gebieten zu. Man sieht oft, daß als Reaktion auf solche Ich^Einschränkungen 

inhaltlich entgegengesetzte Interessengebiete kompensatorisch überbetont werden. Durch 

solche Angstvermeidungen betreibt das Kind „Neurosenprophylaxe auf eigene Gefahr", 



^^ Referate 

was auf Kosten seiner Leistungen und Entwicklungsmögliehkeiten solange geht, als das 
Leben die Einhaltung der Beschränkungen ermöglicht. Entzug solcher Angstschutzbedin^ 
gungen kann dann Anlaß zum Ausbruch einer Neurose werden. Auch um den Umfangi 
der Gestörtheit eines neurotischen Kindes zu beurteilen, muß man es erst seinen SchutJ 
bedingungen, bei deren Einhaltung die Umgebung oft kräftig mithilft, entziehen. 

Die beiden besonderen Abwehrtypen, die der dritte Abschnitt beschreibt, sind die 
„Identifizierung mit dem Angreifer" und „eine Form von Altruismus". Jener sind wir 
schon bei den kindlichen Tierfreunden begegnet. Es hängt mit der „aktiven Wiederholung 
des passiv Erlebten" (das sich in eine „aktive Vorwegnahme der erwarten Wiederholung des 
Erlebten" verwandelt) zusammen. Eindrucksvoll ist das Beispiel des grimassierenden Jungen, 
an dem der Erziehungsberater (Aichhorn), zu dem der Junge von seinem Lehrer ge^ 
bracht wird, erkennt, daß sein Grimassieren „ein verzerrtes Abbild der Gesichtszüge des 
ärgerlichen Lehrers" ist; oder des Mädchens, das einer Gespensterangst entgeht: „Du 
brauchst dich im Vorzimmer nicht zu fürchten', sagt sie, ,Du mußt nur spielen, daß" du 
selber der Geist bist, der dir begegnen könnte'."^ Auch von hier aus führt ein Wpg zum 
Verständnis des kindlichen Rollenspieles. Die „Identifizierung mit dem Angreifer" über* 
nimmt oft nicht dessen spezielle Tätigkeit, sondern nur seine aggressive Haltung, oder auch 
nur die Attribute seiner aggressiven Haltung (wie in den Tierphantasien und beim Talisman). 
Bei sich weiter ausbildender Urteilsfunktion kommt es dann zu einer prophylaktischen 
Identifizierung mit dem Angreifer, der noch gar nicht angegriffen hat. Die Stärke eines 
prophylaktischen Schimpfens entspricht dann der Stärke der Angst. Dabei ist schon äußere 
Kritik verinnerlicht, aber noch nicht — wie beim richtigen Übersieh — in Selbstkritik 
verwandelt. Dieser Umstand, daß die vom Objekt übernommene Kritik weiter nach außen 
gewendet bleibt, erklärt, was Anna Freud nun ausführlich und an zahlreichen Bei* 
spielen belegt, nämlich, daß eine solche Identifizierung mit dem Kritiker oft mit einer Pro* 
jektion der eigenen kritisierten Regungen kombiniert auftritt: ein neugieriger Knabe machte 
seiner Mutter Vorwürfe wegen Neugierde, ein unaufrichtiges Mädchen der Analytikerin 
wegen Geheimnistuerei u. dgl. Tritt diese Abwehrkombination in ausgesprochener Form 
auf, so erklärt das die häufige Erscheinung, daß ein Mensch besonders intolerant gegen 
Erscheinungen in der Außenwelt wird, die er in sich selbst zu unterdrücken sucht. Es ist 
dies eine Zwischenstufe der über4ch=<Bildung, auf der manche Personen stehen bleiben. 
Es stellt aber (dank der Verwendung der Projektion) auch eine Zwischenphase in der 
Entwicklung zu paranoiden Zuständen her, bei denen dann noch weitere Komplikationen 
wie Verkehrung von Liebe in Haß hinzukommen. Echte unbewußte Aggressionen, die 
analytisch bewußt gemacht werden, werden „abreagiert" und lassen dann nach; Aggression, 
die in der beschriebenen Weise nur Angst deckt, schwindet erst nach Aufhebung der Angst.' 
Als „eine Form von Altruismus" beschreibt dann Anna Freud einen anderen Ab* 
wehrtyp, der mit Projektion arbeitet. In seiner Arbeit „Über einen Fall von weiblicher 
Homosexualität" hat Freud das „Ausweichen" beschrieben, das darin besteht, daß jemand 
auf ein ihm anstößig erscheinendes Trieb* oder Interessengebiet zugunsten eines anderen 
verzichtet, dessen Betätigung dann in Identifizierung mitgenossen wird. In „Über einige 
neurotische Mechanismen bei Eifersucht, Paranoia und Homosexuahtät" führte er dies 
weiter aus. Dieser Mechanismus ist, wie Anna Freud nunmehr zeigt, nicht auf den Be» 
reich der Homosexualität beschränkt; man kann ihn „als altruistische Abtretung eigener 
Triebregungen an andere Menschen bezeichnen": Ein habgieriges und ehrgeiziges Mädchen, 
das vor allem schöne Kleider und viele Kinder ersehnte, war als Erwachsene kinderlos 

^2 P"""" ^^^-J^f^ J^'"^ Patient sehr eindrucksvoll, der in den Analysestunden Automobile 
nachalimend „Toff*Töff" machen mußte; es stellte sich heraus, daß er damit eine Angsfj 
vor den aur der Sfa-aße töffenden Autos, die für ihn Ungeheuer bedeuteten, abwehrte Vgl 
„Über respiratorische Introjektion", Int. Ztschr. f. Psa., Bd. XVII 1931 



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und ärmlich gekleidet; aber sehr aktiv darin, andern bei EheschÜeßungen und KI.M 
au^sta^tung zu helfen und sich Kindern anderer fürsorglich zuzuwenden' Man lh^^£ 
Emdruck, als wäre Ar «genes Leben von Wünschen und Interessen entle;rt . . Sk S 
mt anderen Manschen init. statt selber etwas zu erleben." In der Projektion der Trilbe 
stimmt dieser Mechanismus mit der „Identifizierung mit dem Angreifir" üSeSn In„ 
aber tritt an Stelle einer Distanzierung eine Identifizierung mit dem Träger des eigene^ 

werden' l"V f ' T ^"^^^^^^" *""^*^"* ^'"^« Mechanismus. An was füT SSe 

werden die Triebe abgetreten? „Es ist möglich, daß die Wahrnehmung der verpönten 

Ir ebreg in der Außenwelt dem Ich als Anhaltspunkt für Projektion genügI"Tsow2 

be der hysterischen Identifizierung der „gleiche ätiologische Anspruch" einen sonst GleiX 

gulügen zum Identifizierungsobjekt machen kann). „In den meisten Fällen" aber ist die 

Ersa^person ein altes Neidobjekt." Darum handelte es sich auch in den Fällen von V e u t 

ZtvT it ^"^'"^^^"^^^« ^" Geschwister abgetreten wurden. Besonders häufig können 

weibhche Ehrgeizwünsche auf solche Weise den Ehemännern abgetreten werd n Ak 

bestes Beispiel dieser Kategorie analysiert Anna F r e u d den Cyrano de b" gerac vot 

imme X pif "' ""''r'^f^' '^"" ^'^ ^'"^ merkwürdige Feststellung macfen: „Wo 

Z dem betr ff ^^ "t ^"^J'^^^^'^f ^ ^^ ^^ere in größerem Umfange stattfindet, dort 

fehlt dem betreffenden Individuum das Erlebnis von Todesangst". Sie bemerkt noch - 

^cher mit Recht -, daß der Genuß, den der „Altruist" dann dennoch hat, nicht einfach 

idenüsch ist mit dem Genuß durch Identifizierung, sondern daß schon die IdealerfSlung 

des Verzichtes selbst ein Stück entstellter Triebbefriedigung ist. - Es gibt au h anders 

geartete Altruismen, z. B. masochistische. 

Der letzte Abschnitt befaßt sich mit den speziellen Abwehrvorgängen der Pubertät 

Si pZLnaL e 1 1'^" f tt' ''^ ^'' ^'"^'^ ^"^ ^"^^* ^°^ '^^ Trieb'stärke erf^Te nen. 
Die Psychoanalyse hat sich bisher relativ wenig mit der Pubertät befaßt, sicher weil sie ihre 

Sh IfÄf , K?'/''^'""*"/ '" ^'^^^'^*'^^" Sexuaütät relativieren konnte. Sie arbe tete 
?it /';^^^f =^k^!*^" «" der Zeit der Frühblüte der infantilen Sexualität und ^em 
Klimakteriuni (quantitative Steigerung der Triebenergien und dadurch Änderung im GleiX 
gewicht der Konfhkte) heraus als die Differenzen. Das Es ist zwar in diesen verschiedenen 
Ar f h K-''"^u' f " '" '^' ''''' ^^rscU.^.n, so daß PubertätspsXlogS 
ttef LrittTch f f ^" '"'"' 'r" Lebensabschnittes untersuchen will.'in 

erster Linie Ich^Psychologie ist, die untersucht, wie das Ich mit der zu dieser Zeit erfoL 

spTilTAnrFf '"d '"'"^ri r.?^^^"^^^-^ ^^^^^ -■"^- U- dies Tu Häfe: b. 
Laa l l ^ '"'''''''* ^'^ Ich.Situation in der Triebkonflikten der frühen Kindheit 
die dadurch charakterisiert ist. daß das Ich sich im Konflikt überhaupt erst bildet "n dt 

kümmern xT .Tl '" """"^'"''^ '^^='' ""'' ^^^ ^^^ ^ei, sich um andere Aufgaben zu 
V^^LnTi:^r ^:''' ""*'* ^--l'^r.,st. Dann aber beginnt die Vorpubertät. Die 
und ED./ .^"t'^S""^^'^ ^«-"^dert gründlich das „Obereinkommen" zwischen Ich 
und Es. Die zunächst nur quantitativ verstärkten Triebe stoßen aber auf ein durch die 

AtXmeZdf f ^- T^- ^'"'" "?' konsolidiertes Ich, das sich nun ..wahllofaS 
Abwehrmethoden bedient, die es im infantilen Leben und in der Latenzzeit jemals geübt 
hat ^ Der Fortschritt der Pubertät bringt dann auch eine qualitative Veränderung der 
mactnlbr% " ""'mI"'" ''^"'"' ""' ^°^^^^ stark prägenital orientiert waren 
Za^L \ "T™ ^^t T'" Sü^^«g««^ Eindruck, solche, bei denen phallischc 
Strebungen schon vorher im Vordergrunde standen, scheinen sich zu verschlimmern. Das 
Ich elbst fühlt sich beunruhigt durch die Triebquantität. Es ist nicht etwa so, daß die 
absolute Triebstarke darüber entscheidet, ob das Es oder das Ich in diesem Kampfe relativ 
siegt denn ein stärkerer Trieb bewegt das Ich auch zu stärkerer Abwehr, ein geringerer 
irieb schwächt auch die Abwehrbemühungen des Ichs. Wichtiger als die absolute Trieb, 
starke, die wir ja doch nicht messen können, ist für die Entscheidung der Kämpfe die aus 



608 Referate 




den bisherigen Erlebnissen stammende relative Triebtoleranz des Ichs und die Art und 
Leistungsfähigkeit seiner verschiedenen Abwehrmechanismen. 

Nun fallen zwei Einstellungen der Jugendlichen besonders auf: ihre Neigung zur 
Askese und ihre Intellektualität. Die Triebfeindlichkeit der Pubertät ist gekennzeichnet 
einmal dadurch, daß sie sich unterschiedslos gegen alle Triebe richtet, dann dadurch, 
daß der Trieb gegen sie nicht in gelegentlichen Ersatzbefriedigungen und Kompromiß»^ 
bildungen durchbricht, sondern in krassen Befriedigungsaktionen, die mit Zeiten der Askese 
abwechseln. (Offenbar das Normalvorbild des von Reich geschilderten Verhaltens 
„triebhafter Charaktere".)^ Zum ersten meint Anna Freud, daß die Jugendlichen eben 
„die Quantität des Triebes zu fürchten scheinen, nicht seine Qualität". Ref. scheint hier 
kein prinzipieller Gegensatz gegenüber neurotischen Askeseneigungen zu bestehen, denn 
auch die zwangsneurotische Reaktionsbildung hat die Eigenart, von einem bestimmten 
Triebgebiete ausstrahlend, die ganze Persönlichkeit in Mitleidenschaft zu ziehen; auch für 
die Abwechslung zwischen Askese und Exzeß zitiert Anna Freud selbst — etwa im 
zweizeitigen Symptom — neurotische Analoga. Trotzdem bleibt ihr der Eindruck, „daß es 
sich bei der Askese des Jugendlichen um einen primitiveren, weniger zusammengesetzten 
Prozeß handelt, als bei der eigentlichen Verdrängung". Es ist eine „primäre Triebfeind« 
lichkeit des Ichs", die schon vorher erwähnte (und von Ref. kritisierte bezw. kommentierte) 
„Angst vor der Quantität der Triebregungen", die Angst des Ichs, es könnte durch Triebs» 
Vorstöße in seiner Organisation aufgelöst werden. „Was wir in der Pubertätsaskese zu 
sehen bekommen, wären dann nicht eigentlich qualitativ bedingte Verdrängungsaktionen, 
sondern eben die unterschiedslose, primäre und primitive angeborene Feindschaft zwischen 
Ich und Trieb." (Kein Zweifel, daß die Beschreibung der Pubertätserscheinungen voll* 
inhaltlich zutrifft. Aber man müßte Pubertätserscheinungen unter andern Kulturbedin* 
gungen als den unsrigen, die nicht die Befriedigungsmöglichkeiten der Kinder und Jugend* 
liehen so weit abschwächen, untersuchen, um festzustellen, ob dieser Überrest aus der 
Zeit der Insuffizienz der Befriedigungsapparate auch dort die gleiche Rolle spielt.) 

Die Intellektualisierung in der Pubertät wird uns in überzeugender Analyse ebenfalls 
als ein Versuch des Jugendlichen, mit dem Triebansturm, den er fürchtet, fertig zu werden, 
nachgewiesen. Das Merkwürdige an den Pubertätsgrübeleien und »»diskussionen ist, daß sie 
so wenig Einfluß auf das wirkliche Leben nehmen. Nicht Vorbereitung für die Wirklich'» 
keit sind sie, sondern Tagträume, die einen Eigenzweck zu erfüllen scheinen. Dieser Eigen* 
zweck liegt in einer gedanklichen Zuwendung zum Trieb. Die Gedankenarbeit „ent* 
spricht eher einer gespannten Wachsamkeit für die Triebvorgänge in seinem Innern und 
einem Umsetzen dessen, was er spürt, in abstrakte Gedanken". Anna Freud erinnert 
daran, daß das Denken überhaupt ein „Probehandeln" ist, ein Versuch, die Herrschaft des 
Ichs über die Motilität zu befestigen, indem man die Triebimpulse mit Wortvorstellungen 
verknüpft. (Rumpelstilzchen, der Dämon, verliert seine Macht, wenn man seinen Namen 
nennen kann.) Die Intellektualisierung in der Pubertät ist dann „die Übersteigerung dieser 
allgemeinen Ich«Einstellung, unter den besonderen Bedingungen eines Libidos chubes." 
Wenn die Denktätigkeit in der Latenzzeit nachläßt, müßten also nicht nur Denkverbotq 
daran schuld sein, sondern es kann sich auch um einen Mangel an Antrieb zum Denken 
handeln, weil weniger Trieb zu bewältigen ist. Die Objektbeziehungen der Pubertät sind 
in auffallendem Grade von Identifizierungen durchsetzt. Die Abwehr der Inzestobjekte 
läßt den Jugendlichen vereinsamen, ja sogar sich seinem eigenen Übersieh entfremden. 
Die identifizierungsdurchsetzten Objektbeziehungen sollen nun gegen diese Einsamkeit 
ankämpfen. Der Jugendliche ist (infolge seiner Trieb» und Inzestobjektfeindlichkeit) „in 
Gefahr, seine ObjektHbido von der Umwelt auf die eigene Person zurückzuziehen . . ." 
Dieser Gefahr entzieht er sich durch die krampfhaften Bemühungen, doch wieder An* 

6) W. Reich: Der triebhafte Charakter. Int. Psa. Verlag, Wien, 1925. 



Referate gQ9 . 

Schluß an die Außenweltsobjekte zu finden, wenn auch erst einmal in Anlehnung an den' 
Narzißmus, also durch Identifizierungen. Die stürmischen Objektbeziehungen des Jugend* 
liehen hätten nach dieser Auffassung - wieder ähnlich den Zuständen im Beginn psycho* 
tischer Schübe — den Charakter von Restitutionsversuchen. Diese prinzipielle Erklärung 
für Intellektualitätserscheinungen und Eigenheiten der Objektbeziehungen in der Pubertät 
ist überzeugend und besteht, unabhängig von unseren Bedenken betreffs der Angst 
vor der Triebquantität", zu Recht. " ' 

Eine „Schlußbemerkung" macht darauf aufmerksam, was nun die Hauptaufgaben der 
weiteren „Abwehrpsychologie" sind: genauere Zuordnung der einzelnen Abwehrmecha* 
nismen zu bestimmen Angstsituationen und ihre historisch*chronologische Ordnung. Deut* 
lieh ist die Parallele zwischen der Abwehrtätigkeit des Ichs nach außen und der nach 
innen (die ja überall ineinander übergehen): Verdrängung - Verleugnung, Reaktions* 
bildung - Phantasie vom Gegenteil, Hemmung — lch*Einschränkung, IntellektuaÜsierung 
— Wachsamkeit des Ichs nach außen. Man kann nicht sagen, ob die Richtung der Auf* 
merksamkeit gegen die Triebe oder die gegen die Außenwelt die Abwehrformen Ursprung* 
hcher gestaltet. (Es scheint Ref., daß die Außenweltsabwehr doch insoferne „primärer" 
ist, als die Vorstellung von der Beschaffenheit der Außenwelt — von jenen frühen trauma* 
tischen Situationen aus Insuffizienz der Abfuhrapparate abgesehen — Triebabwehr erst 
notwendig macht.) Wie weit sind die Triebabwehrformen vom Charakter des Triebes be* 
stimmt und wie weit folgt das Ich dabei eigenen Gesetzen? Keinesfalls sind die Abwehre 
methoden „reine Ich*Leistiingen", so wenig wie die Traumentstellung. Es gäbe keine 
Sublimierung ohne Verschiebbarkeit der Libido, keine Reaktionsbildung ohne Wendung 
der Triebe ins Gegenteil. Dennoch bleiben die Abwehrleistungen des Ichs, trotz ihres 
häufigen Fehlschlagens in Form von neurotischen Symptomen, respektabel. „Das Ich ist 
siegreich, wenn seine Abwehrleistiingen glücken, d. h. wenn es ihm gelingt, mit: ihrer 
Hilfe die Entwicklung von Angst und Unlust einzuschränken, durch notwendige Trieb* 
Umwandlungen dem Individuum auch unter schwierigen Umständen hoch Triebgenuß zu 
sichern und damit, soweit es möglich ist, eine Harmonie zwischen Es, Über*Ich und den 
Außenweltsmächten herzustellen." Zur möglichen „Sicherung des Triebgenusses" aller* 
dings muß — scheint uns — die „siegreiche Abwehrleistung" sich auf die Verhinderung 
unzeitgemäßer und in der Form unerwünschter Befriedigungshandlungen beschränken und 
so erfolgen, daß nicht große Quanten Triebenergie von der Abfuhr abgehalten werden; 
der Zirkel besteht ja darin, daß solche Abhaltung den Trieben erst wieder unzeitgemäßes 
Auftreten und unerwünschte Formen aufzwingt, die wieder weitere Abwehr notwendig 
machen. 

Die Bedeuhing dieses Buches liegt, scheint uns, in der Art, wie es dem Leser kom^ 
plizierte und dunkle Verhältnisse überschaubar und hcht macht, indem es - in einer 
Weise, die den klassischen Werken Freuds vergleichbar ist — von Analytikern nach* 
prüfbare empirische Befunde in einer neuen Weise so demonstiriert, daß es die „Theorie 
der Abwehrmechanismen" nur als die Zusammenfassung wirklicher Sachverhalte erscheinen 
laßt, die man bisher in ihren Zusammenhängen nicht begriffen hatte, dazu geeignet, nun* 
mehr weitere wirkliche Sachverhalte zu klären und übersichtÜch zu erfassen, nämlich vor 
allem die G e n e s e aller dieser Abwehrfunktionen. O. F e n i c h e I (Prag) 

III. 

Bei dem Versuch, die Bedeutiing von A. F.'s Buch für die psychoanalytische Psvcho* 
logie in einer Nachlese zu würdigen, seine Stellung zu theoretischen Fragen von der zu 
technischen und kHnischen zu trennen, kann es sich nur darum handeln, aus dem Ganzen 
der Darstellung da und dort ein Problem als Fragment zu isoheren. Denn die Verflech* 
tung technischer und theoretischer Problematik ist für dieses Buch in besonderem Maße 

Int. Zeitschr. 1. Psychoanalyse, XXU/4 39 



610 Referate 

kennzeichnend; sie bestimmt einen Teil seiner Fragestellung und inacht seinen Charakter 
aus. 

Technische Fragen und ihre Beziehung zur psa. Theorie bildeten offenbar im histo>= 
rischen Sinn A. F. 's Ausgangspunkt. Scheint doch die „Vorgeschichte" dieser Arbeit bis 
auf das Buch über die „Technik der Kinderanalyse" (1927) zurückzureichen. Wird dort 
gezeigt, wie die Kinderanalyse, die auf die Verwertung der freien Assoziation weitgehend 
verzichten muß, die Analyse des kindlichen Verhaltens in den Vordergrund rückt, um 
dem neurotischen Kind zum Erwerb der Krankheitseinsicht und der Grundeinstellung 
zum analytischen Verfahren zu verhelfen, so wird hier im Rahmen der allgemeinen Problem 
matik der Ichpsychologie erörtert, welche Bedeutung ein analoges Vorgehen im Rahmen 
der klassischen Technik bei bestimmten Störungsfällen gewinnt und wie weit es den Zu* 
ganz zur Analyse der „unbekannten Anteile des Ichs, der alten Ich^Tätigkeiten" eröffnet. 
Wenn 1927 in der Diskussion um Melanie K I e i n s Spieltechnik die Frage aufgeworfen 
wird, wie weit die Deutung des Symbolgehaltes im Kinderspiel geführt werden kann, so 
wird in dem vorliegenden Buch ganz allgemein gefragt, wie die Deutung der „Es^Inhalte", 
die uns etwa die Kenntnis der Traumsymbolik nahelegt, vorzubereiten ist, wie der Weg 
verläuft, der über Abwehrhaltung und unbewußte Ich* Anteile zum Triebleben und zu 
den frühen kindlichen Phantasien führt. 

Andere Grundgedanken des Buches stammen aus drei unveröffentlichten Kongreß:* 
vortragen der Verfasserin (in Oxford, Wiesbaden und Luzern). 

1929 schilderte sie, wie dieselben Elemente, welche sich sonst in der Struktur einer infan* 
tilen Tierphobie nachweisen lassen, zum Aufbau einer Tierphantasie verwendet werden, 
deren Mechanismus auch in Träumen, Märchen und Kindergeschten zu finden ist.' 
Was damals an einem Typus kindlicher Phantasie als Leistung im Dienste des Lustprinzips 
beschrieben wurde — das gefürchtete Tier der Phobie wird zum Beschützer erhoben — , 
tritt im VI. Kapitel des Buches als Durchgangsstadium menschlicher Ichentwicklung auf. 
„Die Verleugnung in der Phantasie" wird als eines der Mittel des Ichs im Kampf gegen, 
die Angst beschrieben, als ein Mittel, das freilich schon nach der ersten Kinderzeit un* 
tauglich wird und mit dem Bedürfnis des reiferen, an die Wirklichkeit angepaßten Ichs 
nach Synthese in Widerspruch gerät. Die Mißachtung dieses Widerspruches oder die Fälle, 
in denen er nicht eigenthch zustandekommt, bezeichnen die Grenze zum Pathologischen. 
„Die neurotischen Mechanismen unter dem Einfluß der Erziehung", die A. F. 1932 an 
Beispielen „für die Wechselwirkung zwischen Innenwelt und Außenwelt bei der Aus* 
bildung der kindlichen Neurose" behandelt hat werden jetzt im VI. und VII. Kapitel 
diskutiert.8 Die Kinder, die sich wie Erwachsene benehmen, treiben „Verleugnung in 
Wort und Handlung". Das „wie ein Großer", das der Erwachsene dem Kind zuruft, 
bildet eine Zeitlang das Motto, um das sich das Verhalten des Kindes und seiner Umgebung 
gruppiert. Wenn das Spiel des Kindes dabei die Grenze zwischen Phantasie und Handlung 
überschreitet, wird der Konflikt mit der Umwelt unvermeidlich. Aber Duldung oder 
Ablehnung scheinen über das Schicksal dieses Phantasiespiels nicht allein zu entscheiden. 
An einer Stelle bekämpft, wird es leicht auf harmlose Verhaltensweisen verschoben; es 
scheint für manches, was im Leben als Schrulle des Sonderlings imponiert, die Grundlage 
abzugeben. Die „Ich*Einschränkung", die der gleiche Kongreßvortrag an Beispielen plötz»! 
liehen Interessenwechsels, maskierten Fluchtreaktionen von Kindern der Latenzzeit, in 
die psa. Betrachtung eingeführt hat, stellt diesen Ve r le ugnu ngs aktionen einen Fall 
von Vermeidung gegenüber. Wie sich die Verleugnung von der Verdrängung ab* 

7) Vgl. diese Zeitschrift, Bd. XV, 1929, S. 518. „Ein Gegenstück zur Tierphobie der 
Kinder". (Kongreßbericht). Ich kenne den Vortrag aus einer Wiederholung in der Wiener 
Psa. Vereinigung. 

8) Vgl. diese Zeitschrift, Bd. XIX, 1933, Kongreßbericht. 



Referate 611 

heben läßt, so ist das ernstere Gegenbild der Vermeidung die Hemmung. Verleugnung 
und Vermeidung stehen in gemeinsamer Front gegen die Gefahren der Außenwelt. Die 
der Untersuchung dieser Verhaltensweisen gewidmeten Kapitel werden als „Beispiele für 
die Vermeidung von Realunixist und Realgefahr" zusammengefaßt.^ Sie fügen sich so 
dem Gesamtplan des Buches ein, dessen erstem theoretischem Teil („A. Theorie der Ab<= 
Wehrmechanismen") drei Abschnitte folgen.i" die der dreifachen Abhängigkeit des Ichs 
von Außenwelt, Übersieh und Trieb entsprechen. Schon diese Disposition weist darauf hin, 
an welcher Stelle der psa. Forschung das vorliegende Buch ansetzt, an der „Wendung der 
Arbeitsrichtung in den Schriften Freud s", die von „Massenpsychologie und Ichanalyse" 
ab die „Beschäftigung mit dem Ich vom Odium des Unanalytischen . . . befreit hat". 
Diese Wendung aber wird von A. F. in einer ganz bestimmten Richtung weitergeführt» 
Wenn andere Forscher etwa die frühen Stadien der Ichentwicklung, die Bildung und 
Entstehung des Ichs selbst zu klären versuchen — ich meine damit jene von M. K 1] e i n, 
E. Jones, E. Glover und anderen seit mehreren Jahren vertretene Forschungsrich«« 
tung — oder andere bestimmte Typen primitiver Ichreaktionen untersuchen, scheint dieses 
Buch die Frage nach der Funktionsweise des reifen Ichs dort fortzusetzen, wo Freud sie 
1926 in „Hemmung, Symptom und Angst" verlassen hat. Eines der Grundprobleme dieser 
Arbeit Freuds ist durch die neue Verpflichtung bestimmt, die Kräfte des „Es" und 
des „Ich" in ihrem Wechselspiel abzugrenzen; dieser Fragestellung entstammt die neue 
Angsttheorie, aber auch andere grundsätzliche Aufstellungen, etwa die über die Wider* 
Standstypen ;ii diese Fragestellung steht auch im Hintergrund von A. F. 's Buch. Der An;» 
Schluß an „Hemmung, Symptom und Angst" bestimmt auch den Ausgangspunkt ihrer 
Darstellung. Freud hat dort den älteren Begriff der Abwehr wieder aufgenommen und 
die Verdrängung als eine Form der Abwehr angesprochen. A. F. setzt diese Ausführimgen 
fort und stellt dar, was in der psa. Literatur bisher an Abwehrmechanismen bekannt ge« 
worden ist. Sie prüft die verschiedenen Möglichkeiten, sie geschichtlich, nach dem Zeit* 
punkt ihres Auftretens oder systematisch, nach der Art ihrer Leistung zu ordnen, aber ver# 
tritt mit offenbarem Recht den Standpunkt, daß diese Aufgabe noch nicht lösungsreif sei. 
Sie stellt sie zugunsten einer anderen Aufgabe zurück, in deren Eigenart ihr Buch mib 
größter Eindringlichkeit einführt: Art und Umfang der Leistungen des Ichs werden mit 
(einer Anschaulichkeit und einer Präzision untersucht, die bisher in der Psa. selten erreicht 
•waren, die verglichen mit dem meisten, was in dieser Richtung in der Psa. üblich war, nicht 
nur durch die Form der Darstellung, sondern auch durch die Durchdringung 
der Phänomene neuartig sind. 

Es scheint geboten, ein Wort der Erläuterung einzuschalten. Wir müssen uns darüber 
Idar sein, wie es derzeit um das Neue in der Psychoanalyse bestellt ist. Ich meine 
damit nicht die Frage, wie weit es möglich ist, die Leistung Freuds zu ergänzen, meine! 
also nicht die Anschauung, daß die Größe dieser Leistung es ausschließe, daß „Neues" zu 
finden wäre. Ein solcher Standpunkt ist unsinnig, wenn man an die Leistung jener Genera* 
tion von Männern denkt, die Freud seit dem ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts gefolgt 

g) Der Inhalt des dritten vorbereitenden Vortrages (Luzern, 1934), der die „Parallelen 
zwischen den Triebkonstellationen der ersten Kindheit und der Pubertät . . . weiter ver* 
folgt und erläutert" (vgl. diese Zeitschrift, Bd. XXI, 1935, S. 132, Kongreßbericht) ist im 
XL und XII. Kapitel des Buches, die den Triebkonflikten der Pubertät gewidmet sind, ver* 
arbeitet. Dieser Kongreßvortrag enthielt schon in der Formuüerung viel von dem, was die 
entsprechenden Abschnitte des Buches schildern. 

lo) „B. Beispiele für die Vermeidung von Realunlust und Realgefahr (Vorstufen der Ab* 
wehr), C. Zwei Beispiele für Abwehrtypen, D. Abwehr aus Angst vor der Triebstärke (dar* 
gestellt am Beispiel der Pubertät)". 

ii) Vgl. dazu diese Zeitschrift, Bd. XIV, 1928, S. 416 ff. (R. Wälder.) 

39* 



612 ' Referate 

sind, unsinnig auch, wenn man etwa an die Fortentwicklung der Psychoanalyse in den 
letzten Arbeiten Freuds selbst denkt. Das Problem, das ich im Auge habe, liegt in 
einer anderen Richtung. Eine heute nicht mehr geringe Zahl von Wissenschaftlern in 
verschiedener. Ländern, unter verschiedenen Lebensbedingungen, arbeitet an einem 
gleichartigen Beobjachtungsmaterial unter relativ konstanten Bc' 
ob a cht ungsbe dingungen, die die analytische Technik festlegt. Das Neue in 
der Psa. — wenn ich von den großen frühen Funden Freuds absehe — stammt oft ju,s 
einer Änderung im Beobachtungsmaterial: Es muß hier nicht daran erinnert werden, 
welche entscheidenden Anregungen die Beschäftigung mit den Psychosen der Psa. brachte 
und bringt, oder daran, daß eine Veränderung der Neurosenform selbst das Problem der 
Charakteranalyse ausgelöst zu haben scheint, daran, daß die Beschäftigung mit dem Kind, 
dem Kleinkind und dem Kind der Latenzzeit, neue Perspektiven schuf; denn auch das 
vorliegende Buch scheint ja einen ersten Impuls einer solchen Erfahrung zu verdanken. 
Aber was dieses Buch leistet, ist nicht durch den Wechsel im Beobachtungsmaterial ge* 
Wonnen, sondern durch eine — stille — Veränderung des zweiten Konstanzfaktors, der 
Beobachtungsart. Solche Veränderungen pflegen in der Psa. mit vollem Recht 
skeptisch aufgenommen zu werden. Denn die Geschichte der Psa. hat gelehrt, daß die 
großen Mißverständnisse im Zeichen des Widerstands öfters aus einem Versuche hervor^* 
wachsen, ihre Technik zu verändern. Niemand wird finden, daß diese Gefahr hier besteht. 
Gewiß nicht. Ich meine vielmehr, im Falle dieses Buches besteht die umgekehrte Gefahr; 
maii könnte übersehen, wo es diese Beobachtungsart ändert. Allen Analytikern sind 
die von A. F. vertretenen Anschauungen biszueinemgewissenGrad gemeinsam, 
ist die Grundeinstellung vertraut. Und doch besagt das nicht, daß, was hier vorgetragen 
wird, der bisher allgemein herrschenden Anschauung wirklich voll entspräche. Es handelt 
sich dabei um Unterschiede, die gering scheinen mögen — und doch gewichtig genug sind. 

Aus dem Buche von A. F. spricht eine Art der Beobachtung, die zunächst — ganz allge* 
mein gesagt — detailreicher, eingehender ist als die bisher gewohnte; sie geht in höherem 
Maße von der Oberfläche aus. Exemplifizieren wir an einem Beispiel. Die „Identifizierung 
mit dem Angreifer" oder die „altruistische Abtretung" sind Phänomene, die man (wenn 
man sie einmal zu erkennen gelernt hat) an klinischem Material leicht findet. Sie sind auf 
zwei der großen Abwehrmechanismen rückführbar, auf Introjektion und Projektion. x\ber 
diese beiden Mechanismen und ihre Verbindung decken nicht das psychische Geschehen; 
«iieses ist auf sie rückführbar, aber es ist ein Sonderfall mit eigener Struktur. Auch die 
Abhängigkeit vom Triebleben ist leicht zu durchschauen, die Beziehung zu Aggression 
und Masochismus — aber auch diese Beziehung gilt nur für einen Teil des Phänomens, 
Es muß nicht eigens betont werden, welchen Fortschritt es bedeutet, wenn man nun in 
der Deutungstechnik dem von A. F. gezeigten Wege folgt, erst die ganze Breite der Ver=» 
haltensweise aufzeigt, die Tätigkeit des Ichs, und dann in tiefere Schichten eindringt; 
dieses Vorgehen verspricht die Erreichung des therapeutischen Zieles, die Änderung der 
Persönhchkeit und ihrer Unfreiheit, entscheidend zu unterstützen, ist aber — was nui1 
betont sei, um Mißverständnisse auszuschließen — ein Deutungsschritt, der 
wirkungslos bleibt, wenn er nicht durch die anderen, längst gewohnten ergänzt wird. Aber 
es bedarf eines besonderen Hinweises auf das, was diese Art Einsicht für die Theorie; 
der Psa., für die Psa. als Psychologie bedeutet : Die Oberfläche des Seelischen, 
die an das Ich gebundenen Funktionen des psychischen Apparates haben sich lange Zeit 
der psa. Psychologie entzogen. Das war notwendig, unvermeidhch : Die Psa. ist Natur* 
Wissenschaft vom Seelischen, sie ist n i c h t deskriptiv, sie kann es ihrem Wesen nach nicht 
sein; sie kann weder mit jenen Psychologen wetteifern, die sich die einfühlende Be== 
Schreibung seelischer Phänomene zum Ziel gesetzt haben, — ich nenne als ihren glän.» 
zendsten Vertreter in der jüngsten Vergangenheit Max S c h e 1 e r — , noch auch mit den 



Referate 613 

Dichtern, die die gleiche Aufgabe mit höherer, unanfechtbarer Kompetenz lösen. Man 
hat der Psa. denn auch den schematischen Charakter ihrer Darstellung und ihrer Kuh 
fassung immer wieder zum Vorwurf gemacht, sie mit ihrem unbestrittenen Anspruch kon=< 
fronüert. die Psychologie der zentralen seelischen Vorgänge, des Menschen in seinem 
Ji^onUikt zu sein, — und sich nur von den Krankengeschichten Freuds selbst einigere 
maßen befriedigt erklärt. Dabei wurde gelegentlich betont, daß die intuitive, Genialität 
dieses einen Psychologen — unterstützt von der Meisterschaft des Stilisten — über die 
Unzulänglichkeit der Betrachtungsweise hinweghelfe. Wir erkennen leicht den Wider* 
Standscharakter — oder sagen wir vorsichtiger: das Mißverständliche — dieser Argument 
tation. Denn was diese Kritik hervorhebt, war eine notwendige, kaum vermeidliche Folge 
der wissenschaftsgeschichtlichen Situation. Die Psa. ist am Unbewußten entstanden, ihr 
Interesse galt zunächst dem Es und seinen Inhalten; der dem Biologischen nächsten 
Schichte des Menschen, in der das Individuum am stärksten in der Art aufgeht. Daneben, 
das muß mit aUer Deutlichkeit um der geschichtHchen Korrektheit wiUen immer wieder 
betont werden, hat F r e u d s Konzept von vornherein, seit den „Studien über 
Hysterie", das Ich mit umfaßt, das Abwehrende neben dem Abgewehrten, als Zensur 
oder unter anderem Namen, ohne darum etwas an der Grundhaltung, an der einer Tiefen^ 
Psychologie einzubüßen; aber die Erforschung des Ichs bedeutete — Freud selbst hat 
das hervorgehoben — den zweiten Schritt nach dem ersten. F r e u d hat die Aufgaben, 
die dieser zweite Schritt mit sich bringt, selbst angegeben; das vorliegende Buch bedeutet 
einen entscheidenden Vorstoß zu iher Lösung. Dieser Vorstoß führt zunächst auf die 
Phänomene selbst, führt auf die Beobachtung zurück. - 

Ein Gestaltpsychologe, K. Kof fka, hat einmal das anschauliche Beispiel gewählt, daß, 
wer eine Maschine beschreiben will, ihren Bau, ihre Funktion verstehen müsse' 
Mntatis muiandis gilt das auch für die Psychoanalyse. Darin liegt ihr Sondercharakter als 
Psychologie. Das Verständnis für die Arbeitsweise des psychischen Apparates bildet die 
Grundlage der Darstellung, die in diesem Buche von den Abwehrmechanismen des Ichs 
gegeben sind. Man lese in A. F.'s Buch eine behebige Schilderung eines „Verhaltens", 
et\va die des kleinen Buben nach dem Besuch beim Zahnarzt (S. 127), und achte darauf, >vie 
die Erklärung, die Einsicht in die „Identifizierung mit dem Angreifer", das Ganze des Ver* 
haltens umgreift. Fragen wir nun, wie sich diese Auffassung von einer anderen bisher 
üblichen psychoanalytischen Auffassung des gleichen Vorganges unterscheidet: diese — 
ich stelle sie exempli gratia völlig schematisch, vielleicht karikierend dar — würde etwa an 
das anknüpfen, was in der Darstellung A. F.'s vom VerWten des Knabens zuletzt bei. 
richtet wird, daß er die Bindfäden abschneidet und die Bleistifte „köpft". Das Verständnis 
für die symbolische Bedeutung dieser Handlung, das Verständnis dafür, daß die Kastraf^ 
tionsangst hier durch die für das Spiel typische Übernahme der Aktivität erledigt wird, hat 
nie gefehlt. Aber daß es sich hier um eine bestimmte, vom Motor der Identifizierung betrieb 
bene a 1 1 g e m e i n e Abwehrmethode des Ichs handelt, d i e n i c h t hi e r a 1 1 e i n g e üb t 
wird," die Einsicht in ihre Verbreitung und ihren Charakter, ist ein Gewinn des neuen 

12) Vielleicht kann A. F's Standpunkt auch dadurch gekennzeichnet werden, daß 
Wir eine terminologische Übereinstimmung aufgreifen: Schon Fr enCzi hat in seinem 
Wiesbadener Kongreßvortirag (Sprachverwirrung zwischen dem Erwachsenen und dem 
Kmde; vgl. diese Zeitschrift, Bd. XIX, 1933, S. 10 f.) von einer „Identifizierung mit dem 
Angreifer (oder dem „Bedroher") gesprochen. Aber was Ferenczi so bezeichnet, ist 
von grundsätzlich anderer Art, ist die Reaktion des Kindes auf eine umschriebene tirauma* 
^T" v L "^*'°f ■ ■'?/^ ''^°'^^ ^" schwach entwickelte Persönlichkeit" des Kindes reagiere „auf 
plötzliche Unlust", die durch die verführende Haltung der Erwachsenen ausgelöst werde, 
„anstatt mit Abwehr, mit ängstlicher Identifizierung" mit dem Angreifer, dessen Willen 
es sich so unterordnet. ' 



614 



Referate 



Standpunktes. Voraussetzung einer solchen Erklärung ist eine genaue Beobachtung, die das 
psychische Geschehen als Kontinuum, in einem größeren Zusammenhang zu überblicken 
sucht. Ihr Nutzen ist darin gelegen, daß sie uns näher an das konkrete psychische Ge-» 
schehen heranführt, daß sie die Oberfläche des Seelischen zugleich mit der Tiefe erfaßt 
Es wird nach der Ansicht der Verfasserin gewiß möglich sein, über das, was dieses Buch 
darstellt, hinaus, noch eine ganze Anzahl anderer solcher typischer Methoden des Ichs 
zu erkennen. Sie alle werden erst auf Grund der geschilderten Beobachtungsweise faßbar 
werden und setzen, ehe sie beschreibbar oder erkennbar geworden sind, neue Einsicht in das 
Ganze des psychischen Geschehens, im besonderen neue Erkenntnisse über die unbewußten 
Ich*Tätigkeiten voraus. 

Aber fassen wir das gleiche Problem noch von anderer Seite her ins Auge; fragen 
wir. worin sich dieser Versuch von anderen Versuchen unterscheidet, die Arbeitsweise 
des „Ichs" im psychischen Geschehen auf Grund bestimmter Annahmen über das Grund* 
sätzliche seiner Arbeitsweise zu untersuchen. Ein solcher Versuch liegt in Adlers Indivi»^ 
dualpsychologie vor. (Ich zweifle nicht, daß manche wohlbekannte Kritiker Ser Psycho=« 
analyse und vielleicht auch andere, denen die Lage der Probleme nicht klar geworden ist 
jetzt finden werden, die Psa. „werde adlerianisch".) Ich meine, der Abstand zwischen Psy^ 
choanalyse und Individualpsychologie war nie größer oder nie grundsätzhcher als hier, wo 
der Untersuchungsgegenstand teilweise gemeinsam ist; teilweise, denn von einer strikten 
Deckung kann man — wegen der Verschiedenheiten dessen, was hier und dort unter Ich* 
funktion verstanden wird - nicht sprechen. Das Ich der Psychoanalyse wächst im Gegen* 
satz zu der Lehre der Individualpsychologie aus dem Es hervor und wird durch den Prozeß 
seiner Entstehung geprägt." A. F. hat immer wieder auf die Bildungsgeschichte des Ichs 
hingewiesen und dargestellt, an welchem Triebgeschehen eine Abwehrhaltung er* 
worben wird, wo ihr Kern liegt und wie sie sich ausbreitet. Das kleine Mädchen, das zur 
Magierin wird, um die Rolle des Geistes, den sie im Vorzimmer fürchtet, zu übernehmen, 
verarbeitet in dieser Identifizierung ein bestimmtes Erlebnis, die Wirkung des Penisneides'. 
Die Paäentin, die sich von einem Geheimnis ausgeschlossen fühlt und in einer bestimmten 
Phase der Übertragung gegen die Analytikerin ausfällig wird, hat selbst das Geheimnis der 
kindhchen Onanie gewahrt, und die Kritik, die sie in ihrer Identifizierung übernimmt, 
ist die Kritik, die von der Analytikerin ihrer Onanie entgegengebracht werden könnte usw. 
So ist die Form der Abwehr aus dem Kontinuum der Lebensgeschichte zu verstehen. Dieser 
Gedanke ist nicht an allen SteUen des Buches durchgeführt, denn es ist nicht die Absicht 
des Buches, dieses Problem in den Vordergrund zu schieben, aber Andeutungen, die an 
verstreuten Stellen gegeben sind, genügen, um die Vermutung nahezulegen. A. F. folge 
einer Forschungsrichtung, die sie schon 1922i* — vielleicht ohne sich über ihre Konsequenzen 
Rechenschaft abzulegen — in ihrer ersten psychoanalytischen Veröffentlichung einge* 
schlagen hat; sie hat damals an den Phantasien einer jugendlichen Patientin beschrieben, 
wie eine bestimmte kindliche Sexualphantasie (vom Typus: Ein Kind wird geschlagen) 
sich in dem reichen Phantasiegespinst des Tagtraumes, abgewehrt und verarbeitet, doch 
immer wieder durchsetzt. Was in dieser älteren Arbeit am Inhalt der Phantasien versucht 
wurde, mag sich auch für die Genese bestimmter Methoden des Ichs nachweisen lassen 
und könnte so die Konstanz oder Monotonie gewisser Formen der Abwehr verstehen 

13) In der Frage, wie diese Bildung des Ichs im einzelnen geschieht, hat sich trotz ver* 
schiedenen fruchtbaren Ansätzen eine einheitliche Auffassung noch nicht ergeben. Hier liegt 
eines der Probleme, die die psychoanalytische Forschung in der nächsten Zeit zweifellos 
noch von vielen Seiten her beschäftigen werden. 

14) Anna Freud: Schlagephantasie und Tagtraum. Imago, Bd. VlIL 1922. 



lassen.*^ Danach möchte ich, was ich als die entscheidende Leistung des Buches empfinde, 
dahin beschreiben, daß es zu neuer Beobachtung am Ich und seinen Aktionen anregt, den 
methodischen Weg zu solcher Beobachtung weist und damit eine neue Weite der psa. 
Betrachtungsweise anbahnt. 

Welche Bedeutung diese Leistung gewinnt, erfährt man aus den beiden letzten Ab* 
schnitten des Buches, in denen — über den Titel hinaus — im Kern eine Psychologie 
des Pubertätsalters geboten wird. Den Ausgangspunkt dieser Darstellung — der für mein 
Gefühl geschlossensten dieses Buches — bilden die Triebkonflikte des Jugendlichen und 
ihre Verarbeitung in Askese, Identifizierungshunger und Idealisierung. 

Die Darstellung der Triebkonflikte der Pubertät bieten A. F. den Anlaß, eine bestimmte 
Anschauung zu vertreten, die sie als die Anschauung von der „primären Triebfeindlichkeit 
des Ichs" beschreibt. Diese primäre Einstellung des Ichs wird unter den besonderen Bedin* 
gungen der Pubertät zu einem lebendigen Abwehrmechanismus, in dem sich nach der 
Auffassung der Verf. die spezielle Angst des Ichs vor der Jriebquantität äußert. Dieser 
Gedanke, der in Freuds „Hemmung, Symptom und Angst" vorbereitet ist, stellt eine 
Hypothese dar, wie sie sich in der Heuristik der Psychoanalyse so vielfach bewährt 
haben.16 Annahme oder Ablehnung der These kann also nicht durch den Hinweis auf 
bestimmte psychische Phänomene begründet werden, ebensowenig, wie vor dem psychischen 
Geschehen selbst ein „Todestrieb" oder ein „primärer Masochismus" erkannt werden 
kann — auf deren Annahme doch viele von uns nicht zu verzichten geneigt sind. Denn 
daß es eine Angst vor der Triebstärke gibt, ist unbestritten — auch von denen, die eine 
primäre Triebfeindschaft des Ichs ablehnen. In Kenntnis der Gegenargumente habe 
ich nicht die Überzeugung gewonnen, daß an unserem Erfahrungsmaterial oder unseren 
psychoanalytischen Grundanschauungen etwas enthalten ist, was gegen A. F.'s Hypothese 
spricht, vielmehr in steigendem Maße den Eindruck, daß die Annahme einer primären 
Triebfeindschaft des Ichs (namentlich der höheren IchsFunktion) Schwierigkeiten und 
Widersprüche aufklärt. Denn schon der Grundgedanke der Freudschen Anschauungen 
über das Ich — die Annahme seiner Ablösung vom Es — setzt ein gewisses Maß 
an Ablehnung des Triebes voraus. Ich füge, um das Problemgebiet zu kennzeichnen,; 
hinzu: Tritt das Ich dann in Kontakt mit dem Trieb, sucht es seine Ansprüche durchzu»= 
setzen, so müssen sich diese doch eine Ermäßigung gefallen lassen, unter dem Einfluß des 
Ichs ihr Ziel verändern, etwa die Befriedigung aufschieben, um sich an die Wirklichkeit 
anzupassen.^' Gewiß kann weder die Berufung auf die Vorgänge im Initialstadium der 
Schizophrenie noch auf die gleichgerichteten oder verwandten der Pubertät — die übrigens 
auch in der außeranalytischen Literatur gelegentlich als „Normalvorbild" der schizophrenen 
Erscheinungen angesehen werden (H o m b u r g e r) — einen Beweis für das Bestehen 
einer primären Trieb^eindlichkeit des Ichs erbringen; und doch sind diese Phänomene 
so eindrucksvoll, daß es denen, die die von A. F. vertretene Anschauung ablehnen, zu== 
fallen wird, eine andere Zusatzerklärung zu "finden. A. F. denkt sich diese Triebangst des 
Ichs in der Ontogenese frühzeitig erworben, in „der Periode der allmählichen Ab« 
lösung eines Ichs vom undifferenzierten Es". In der Phylogenese ist sie „als Niederschlag 

15) Über das, was in dem Buche angedeutet ist, hinaus, hat A. F. in Diskussionen 
der Wiener Psa. Vereinigung weitere Anregungen gegeben, nach denen es sich um eine 
Konstanz der Lösungsmethoden handelt, die das Ich den Ansprüchen von Trieb oder 
Affekt, Außenwelt und Übersieh gegenüber gleichmäßig anwendet. 

16) Die „primäre Triebfeindlichkeit des Ichs, seine Ajigst vor der Triebstärke, wie wir 
sie nennen, ist aber in ruhigen Zeiten nicht viel mehr als ein t h e o r e t i s c h e :r B t* 
griff" (vom Ref. gesperrt). 

17) Von hier aus wäre dann die (graduelle) Sonderstellung genitaler gegenüber präge* 
nitalen und aggressiven Triebregungen zu erörtern. . 



^^^ Referate ~ 

der Triebverdrängungen, die viele Generationen bereits geübt haben und die im indivi. 
duellen Leben fortgesetzt, nicht neu eingeführt werden", zu verstehen. Das ist der Punkt 
an dem .ich der Ausblick auf Freuds Vorstellung von der organischen Verdrängung 
auftut, auf den anthropologischen Ansatz der psa. Ichpsychologie. Er gewinnt durch A F 's 
Darlegung eine erhöhte Bedeutung. 

Es kann hier nicht versucht werden, alle oder auch nur die wichtigsten Gedanken dieses 
Buches wiederzugeben oder die große Zahl von Anregungen zu verarbeiten, die da und 
dort gleichsam im Vorbeigehen, gegeben werden. So wird in wenigen Worten die ganze 
ftoblemafak der psychoanalytischen Pädagogik umrissen oder in einem flüchtigen Satz 
die Losung für ein auffallendes und viel erörtertes Problem gegeben: Die Analytiker 
seien vielleicht darum schlechtere Menschenkenner, als man erwarte, weil, was sie in der 
Analyse zu sehen bekommen, das durch die analytische Situation eingeschränkte Ich des 
Patienten ist. Oder es wird im Anschluß an die Probleme der Triebfeindlichkeit des Ichs 
das Problem der IndikationssteUung zur Psychoanalyse neu formuliert. Ich möchte nur 
noch auf zwei solche Erwägungen hinweisen. Die eine bezieht sich auf das Verhältnis 
zwischen affektiver und intellektueller Entwicklung beim Kinde, eine Frage, auf die an 
mehreren Stellen angespielt wird. Wir sind bisher offenbar zu einseitig geneigt gewesen 
intellektueUe Hemmung und Denkverbote allein zu beachten und ihre Verbreitung auf 
die Wirkung der Kastrationsangst zurückzuführen. A. F. weist einerseits auf die Ich. 
Einschränkung hin, die Lernfähigkeit und intellektuelle Entwicklung entscheidend beein. 
trachtigen kann, andererseits aber auf den engen Zusammenhang zwischen der R i c h t u n g 
der intellektuellen Entwicklung und den Problemen der Triebabwehr. Der einfache Sat- 

^^u ,"I" i!^ • • • ^^''^"* ™^=^*"' ^^^ ^^' Individuum „in triebruhigen, also unge.' 

fahrhchen Perioden ... es sich eher erlauben kann, dumm zu sein" (S. 189), daß das Kind 
der Latenz es nicht nötig hat, abstrakt zu denken (statt der Annahme, es dürfe nicht 
abstrakt denken), umreißt ein ganzes Forschungsprogramm. Es ist unausweichÜch, daß wir 
wenn wir es ausführen wollen, in Kontakt mit der Schulpsychologie treten müssen. In 
diesem Kontakt kann es sich füglich nur darum handeln, daß wir gesicherte Einsichten 
und Daten entlehnen, nicht darum, daß Forschungsrichtungen übernommen werden- viel, 
mehr wird sich, wie ich mich getrauen möchte vorauszusagen, eben bei solchem Kontakt 
die alte Kluft neu auf tun - nur an anderer Stelle. Die Psychoanalyse aber kann die gei. 
stige Entwicklung des Kindes mit ihren Rätsehi und Problemen ihrem Arbeitsgebiet an. 
tugen. In ahnliche Richtung würde der Ausbau jener Anregungen führen, die an mehreren 
stellen zum Verständnis einer bestimmten Form kindlichen Spiels, des „Rollenspiels" 
geboten werden. Auch hier gibt es Erfahrungstatsachen im Arbeitsgebiet der „akademischen" 
Psychologie, auf die A. F. selbst ausdrücklich hinweist, aber auch hier führt, wenn ich 
-recht sehe, die Forschungsaufgabe der Psychoanalyse in andere Richtung: Denn ihr bleibt 
es vorbehalten zu prüfen, wie das Rollenspiel entsteht und unter welchen Bedingungen das 
KoHenspiel fortleben kann, als Störung des Normalen oder als seine Überbietung 4n 
manchen Zweigen künstlerischer Produktion. 

So weist uns dieses Buch immer wieder, auf zukünftige Aufgaben und Arbeitsrichtungen 
hm. Ihnen allen ist die Weite des Bhckes gemeinsam. - gemeinsam, daß sie konsequent 
die ganze Breite des Psychischen umfassen, vom Pathologischen zum Normalen reichen 
und die Psychologie der Norm selbst lebendig durchdringen. Der BHck auf eine psycho, 
analytische Psychologie der Gesamtpersönlichkeit tut sich auf, und ich meine, daß nicht 
nur die Klinik, sondern auch alle Anwendungsgebiete der Psychoanalyse von hier aus 
neue Anregungen empfangen könnten.i8 

•irhlfJ It '^*'"' es mir nicht versagen, hier von einem Versuch in dieser Richtung Rechen^ 
^inJu T''^ '^^V^. selbst in eimem der: Lehrkurse der Wiener Psa. Vereinigung =un. 
mittelbar unter dem Eindruck der Lektüre von A. F.s Buch angestellt habe. Im AnsdiSß 



Referate g-.^ 



Niemand kann entscheiden, welche der Forschungsrichtungen, die von Freuds ich- 
psychologischen Arbeiten ausgehen, in der Zukunft fruchtbarer werden wird, ob — wie ich 
glauben möchte — die von A. F. vertretene Richtung oder der Weg, den andere gehend 
Denn auch die scheinbar disparatesten Bestrebungen konvergieren doch zu dem Ziele 
Genese und Funktion des Ichs zu erforschen und damit einer Aufgabe zu dienen, vor 
die die Psa. seit bald zwei Jahrzehnten gestellt ist. Im Rahmen dieser Arbeiten aber vertritt 
das vorliegende Buch eine Position, zu der sich alle Wissenschaft zu aller Zeit bekannt hat 
Es tritt vor die psychischen Phänomene hin, um sie i^eu zu befragen; es ist den Weg von 
der Beobachtiing zur Theorie gegangen und lehrt, Erfahrung und Überlegung in redlichem 
Gleichmaß gegeneinanderstellen. E. K r i s (Wien) 

Ans der Literatur der Grenzgebiete 

HAEBERLIN, C: Lebensrhythmen und Heilkunde. Entwurf einer biozentrisehen arzt* 

liehen Betrachtung. Hippokrates:>Verlag, Leipzig 1935. 

Die „biozentrische Wissenschaft", die „das Leben zum Mittelpunkt und zum Ausgangs* 
punkt aller Betrachtungen nimmt" zeigt den Verlauf der Lebensvorgänge in Rhythmen. Sie 
können im Gesamtleben der Natur harmonisch ineinandergreifen (z. B. Befruchtung der 
Blütenpflanzen durch Insekten). Die Rhythmen können sich in Überschneidungen und 
Interferenzen treffen (z. B. in der Erkrankung eines größeren Geschöpfes durch eind'rin* 
gende Kleinlebewesen) oder ein Rhythmus kann durch einen anderen vernichtet werden 
(Gefressenwerden eines Geschöpfes durch ein anderes; diese Beispiele zeigen zur Genüge 
die groteske Ausdehnung des Rhythmusbegriffes bis zur Unkenntlichkeit und damit Un* 
faßbarkeit und Nichtigkeit). Niemals aber kommt es in der „unbegeisteten Natur" vor, daß 
ein Lebensrhythmus durch seinen Träger selbst gehemmt würde, das geschieht allein bei 
dem einzigen begeistigten Geschöpf dieser Welt, beim Menschen. Inwiefern diese mensch== 
liehen Hemmungen der Lebensrhythmen zu Lebensstörungen führen können und auf 
welche Weise den hier drohenden Störungen begegnet werdeii kann, wird in dem Buch 
näher auszuführen versucht. Die Krankheit wird somit als Rhythmusstörung aufgefaßt 
und die Aufgabe des Arztes in der „neuen Rhythmisierung des Gegenwartslebens" er* 
blickt. Machtverlangende; besitzgierige Willenstrebungen, vom Rechengeist besessene uüd 
von der Entseelung bedrohte Anschauung, Materialismus und Mechanisierung müssen 
überwunden werden. Dies scheint dem Verfasser weitgehend gelungen zu sein; Der Ge* 
winn besteht nicht in einem „schöpferischen Erlebnis", sondern in verwaschenen, gefühls* 
mäßigen Anschauungen, in einem kläglichen wahrhaft „ünbegeistigten" Ersatz. 

M. Grotjahn (Topeka, Kansas) 

SCHWARZ, OSWALD: Sexualpathologie, Wesen und Formen d^r abnormen Geschlecht» 

, lichkeit. Verlag für Medizin, Weidmann & Co., Wien, XIV und 271 S. 

Aus dem Buch spricht eine gereifte Erfahrung. Ein großes Material ist sachgemäß 
und lesenswert verarbeitet. Seh, betont mit Recht, daß Störungen der Sexualfunktion nur 
in einer verschwindenden Minderzahl von Fällen auf Störungen körperlicher Apparate zu* 
rückgeführt werden können. Sexualpathologie, ist für Seh. nicht Triebpathologie, sondern 
Pathologie der Zuwendung zum anderen, Die Perversionen sind spezielle Formen dieser 
abnormen Zuwendung. „Zwang an Stelle von Entschluß und .Sucht ^n Stelle voii Be* 

an eine der bewährtesten, wie mir scheint schlechthin vorbildlichen Arbeiten zur ange* 
wandten Analyse, — an E. Jones Untersuchiirigen über Shakespeares „Hamlet" — 
habe ich versucht, das dort (zuerst 1910) Vorgetragene im Sihrie der Auffassungen A. F. 's 
zu ergänzen. Aus der Reaktion; die dieser durchaus aihetnatisch^' Veiisticli auslöste, häbfc 
ich den Eindruck gewonnetii'daß hier ein fruchtbares Arbätsgebiet vor urts liegt. ' ' '' 



gehren kennzeichnen den Verfall des Menschseins zum Kranksein." Der Verfasser ist 
zeitweise sehr strikt: „Die einzige Form der normalen Geschlechtsbetätigung ist der be* 
fruchtende eheliche Koitus." 

Man sieht, daß Sch.'s Grundauffassungen sehr verschieden von denjenigen der Psycho* 
analyse sind. Er schenkt der Gesamtsituation, den Zielen und Zwecken größere Beach* 
tung. Ich bin geneigt, in dieser Grundhaltung etwas Wesentliches zu sehen, das die Be* 
achtung des Psychoanalytikers verdient. Doch beachtet Seh. die tatsächlichen Funde der 
Psychoanalyse nicht hinreichend und hat auch übersehen, daß der immanente Sinn der 
psychoanalytischen Forschung zu der Lösung jener Probleme hinführt, um die sich Seh. 
zum Teil mit anderer Nomenklatur bemüht. Es kann nicht in Abrede gestellt werden, daß 
viele Formulierungen des Autors komplizierte Fragen allzu dogmatisch von fragwürdigen 
allgemeinen Prinzipien her lösen wollen. Eine Diskussion der Grundposition des Ver* 
fassers, die zweckmäßigerweise an seine medizinische Anthropologie anknüpfen müßte (der 
vorliegende Band ist 'weitaus schematischer), würde sich für den Analytiker lohnen. 
Der Analytiker kümmert sich im allgemeinen zu wenig um Probleme des Wertes und der 
Moral und verkennt auch vielfach die Bedeutung objektiver Strukturen und der Ziele und 
Zwecke. Die enge Berührung mit der Tatsachenwelt, die eingehende Beziehung zum Men* 
sehen in der Psychoanalyse, führt ihn jedoch zu einer Toleranz und zu einer menschlichen 
Einsicht, die oft wertvoller ist als seine Theorie. Seh. bezieht seine Einsichten weniger aus 
geduldiger Beobachtung als aus einer Grundhaltung, die ich als moralische Ungeduld 
bezeichnen möchte. Sätze wie: „Niemals ergibt im Seelischen eine einfache quantitative 
Übersteigerung des Normalen ein pathologisches Verhalten, sondern immer handelt es sich 
um eine quantitative Deformation", zeigen eine philosophische und moralische Grund* 
haltung, die die Psychoanalyse meines Erachtens mit Recht ablehnt. 

P. Schilder (New York)' 

STUMPFL, F.: Die Ursprünge des Verbrechens. Dargestellt am Lebenslauf von Zwil* 
lingen. Georg Thieme, Leipzig, 1936. 176 S. 

Eine Untersuchung, die sowohl das Verbrechen wie auch die Zwillingsforschung zum 
Gegenstand hat, muß mit den größten methodischen Schwierigkeiten rechnen. Ein Pro* 
blem, wie das des Verbrechens und des Verbrechers, ist nicht allein biologisch zu klären, 
sondern es bedarf noch psychologischer und soziologischer Forschung. Die Untersuchung 
und Verwertung von Zwillingen hinwiederum erfordert eine ungewöhnliche Beherrschung 
erbwissenschaftlicher Methoden und eine Vereinigung aller dieser Forschungsrich* 
tungen setzt also eine umfassende begriffliche Klärung voraus. Der Verfasser ist keiner 
dieser Schwierigkeiten ausgewichen und die begrifflichen Formulierungen, die Schilderung 
der Untersuchungsergebnisse und ihre Auswertung .sind von erstaunlicher Gründlichkeit 
und Bestimmtheit. Obwohl in vielen Punkten die Darlegung bei dem Leser den Eindruck 
zwingender Überzeugung entstehen läßt, scheint die psychologische Frage, inwiefern 
Konkordanz und Diskordanz der Zwillinge biologisch oder psychologisch bedingt ist, 
keineswegs geklärt zu sein. Das gibt der Verfasser auch damit zu, wenn er als großzügiges 
Experiment vorschlägt, durch getrennte Erziehung von 100 Zwillingskindem die Frage 
einer Konkordanz bei grundverschiedenem Milieu nachzuprüfen. Vielleicht wäre es ein 
ebenso interessanter Versuch und weniger im Bereich einer Utopie liegend, wenn endlich 
einmal ein Analytiker Vater von Zwillingen würde und somit Gelegenheit hätte die Rolle 
psychologischer Faktoren in der „Konkordanzentstehung" zu beobachten. Die Ambivalenz 
eines Menschen, der niemals auch nur einen Augenblick lang die Liebe seiner Mutter 
allein besessen hat, die Einstellung zu einem Geschwister, mit dem immer geteilt werden 
muß, die Ich*Bildung einer Persönlichkeit, die sich ihrem eigenen Ich körperlich gegen* 
übergestellt sieht, und viele andere psychologische Probleme der Zwilhngserziehung würden 



Referaie 619 

«in Licht werfen auf die Bedeutung der Identifizierung für die Konkordanz und vielleicht 
auch für die Entstehung krimineller Neigungen. 

Das Ausgangsmaterial besteht in Untersuchungen von 65 Zwillingspaaren; von den 
37 gleichgeschlechtlichen Paaren werden die Lebensläufe in lebensnaher Schilderung wieder»^ 
gegeben. Da eine mehr oder weniger autoritative Beurteilung von Konkordanz und Dis* 
kordanz sich bisher als undurchführbar und unfruchtbar ergeben hat und der Kompliziert* 
Jieit der zu vergleichenden Lebensläufe in keiner Weise gerecht zu werden vermochte, 
stellte der Verfasser fünf „Konkordanzstufen" auf: Allgemeine Straf gleichheit. Gleich* 
heit der Schwere der Kriminalität, Gleichheit der Begehungsart, Gleichheit der alltäg* 
liehen sozialen Verhaltungsweisen und Gleichheit des Charakters und der Psychopathie« 
form. Es fällt auf, daß bei eineiigen Zwillingen eine fast vollkommene Gleichheit hin* 
sichtlich des Charakters und der Psychopathie besteht, sowie ein Überwiegen hoher Kon* 
kordanzstufen (Stufe vier). Deutlich ist ferner die nahezu alle Konkordanzstufen umfas* 
sende Gleichheit der eineügen Rückfallverbrecher. Die nur einmahg Bestraften zeigen bei 
toehr oder weniger hochgradiger Charakterähnlichkeit ein überwiegend ungleiches Ver* 
halten in strafrechtlicher Beziehung, ohne daß dabei zwischen Erbgleichen und Erbun* 
gleichen erhebliche Unterschiede festzustellen gewesen wären. Schon diese kurze Über* 
sieht zeigt die Fruchtbarkeit dieses neuartigen modifizierten Konkordanzbegriffes. Be- 
sonders ungünstige Prognosen in bezug auf ihre Rückfälligkeit und Erziehbarkeit zeigen 
die streitsüchtigen und haltlosen Psychopathen und Hypertymiker und die willenlosen 
gemütlosen oder fanatischen Psychopathen. Diese Gruppe bildet den Hauptbestandteil 
der Schwerkriminahtät und der mit ihr identischen Frühkriminalität. In einem gewissen Ge* 
gensatz zu diesem im wesentlichen erbbedingten Verbrechertum steht die hauptsächlich 
situationsbedingte Leichtkriminalität oder Konfliktkriminalität. Wesensmäßige Zusammen* 
hänge zwischen Hirnschädigung und Verbrechen sind außerordentlich selten. 

M. Grotjahn (Topeka, Kansas); 



i 



Inhaltsverzeichnis 

des XXII. Bandes (1936) 

Seite 

Endre Almäsy: Zur Psychoanalyse amentia^ähnlicher Fälle . . . . 72 
Alice Bälint: Handhabung der Übertragung auf Grund der Ferenczi* 

sehen Versuche 47 

Michael Bälint: Eros und Aphrodite 453 

Therese Benedek: Die überwertige Idee und ihre Beziehung zur 

Suchtkrankheit , . , , , 59 

Edmund Bergler: Bemerkungen über eine Zwangsneurose in ultimis. 
., Vier Mechanismen des narzißtischen Lustgewinns im Zwang . . . 238 
I^arjode Btierley: Die Affekte in der Theorie und Praxis . . . . 439 
Daniel K. Dreyfuß: Über die Bedeutung des psychischen Traumas 

' in der Epilepsie , . , 249 

Ludwig Eidelbetg: Zur Genese der Platzangst und des Schreibe 

. krampfes 571 

Ofto Fenichel: Die symbolische Gleichung: Mädchen = Phallus . . 299 
Fanny Hann=Kende: Zur Übertragung und Gegenübertragung in 

der Psychoanalyse ....,.,,,,, 478 

Imre Hermann: Sichs= Anklammem — Auf=«Suche«=Gehen 349 

Otto Isakower: Beitrag zur Pathopsychologie der Einschlafphänomene 466 

&nesf Jones; Gedenkworte für M.D. Eder (1866—1936) 295 

R. Laforgue: Ausnahmen von der analytischen Grundregel .... 223 
Jeanne LampUde Groot: Hemmung und Narzißmus ..... 198 V 
Carl MüllenBraunschweig: Die erste Objektbesetzung des 
: Mädchens in ihrer Bedeutung für Penisneid und Weiblichkeit ... 137 

H. Nunberg: Homosexualität, Magie und Aggression 5 

S. M. Payne: Zur Auf fassung der Weiblichkeit 19 

Annie Reich: Klinischer Beitrag zum Verständnis der paranoiden 

Persönlichkeit . 315 

Joan Riviere: Eifersucht als Abwehrmechanismus 177 

-- Zur Genese der psychischen Konflikte im frühen Lebensalter . . . 487 



^ v — . V 



Inhaltsverzeichnis 



Seite 

Lillian RottevKertesz: Der tiefenpsychologische Hintergrund der 
inzestuösen Fixierung 338 

Richard Sterba: Das psychische Trauma und die Handhabung der 
Übertragung. (Die letzten Arbeiten von S. Ferenczi zur psychoana*» 
lytischen Technik) .....,,,.. 40 

Robert Wälder: Zur Frage der psychischen Konflikte im frühen 
Kindesalter , , , , > , t > • 513 

Fritz Witt eis: Frauen mit dreigeteiltem Liebesleben 229 

KLINISCHE BEITRÄGE 

Georg Gero: Der Aufbau der Depression 379 

Edith Jacobssohn: Beitrag zur Entwicklung des weiblichen Kind* 
Wunsches ,.,.,...,. 371 



REFERATE 

Aus der Literatur der Grenzgebiete: 

Bezdek: Das Rätsel von Krankheit und Tod . (R. Sterba) 'm 

Haeberlin: Lebensrhythmen und Heilkunde (Grotjahn) 617 

Hippokrates: Die Träume (Hitschmann) 409 

Hoskins: Die Hormone (Federn) 409 

Moser: Okkultismus ...,.., (Winterstein) 410 

Rittershaus: Konstitution oder Rasse? (Christoffel) 21 A 

Schwarz: Sexualpathologie, Wesen u. Formen der abnormen Geschlechtlichkeit . 

(Sdiilder) 617 

Stumpfl: Die Ursprünge des Verbrechens (Grotjahn) 618 

Weizsäcker: Studien zur Pathogenese , . . . . (F. Deutsch) 97 

Wengraf: Psychotherapie des Frauenarztes (Gero) 274 

Aus der psychiatrischsneurolo^schen Literatur: 

Curtius: Die organischen und funktionellen Erbkrankheiten des Nervensystems 

(Grotjahn) 99 

Groves: The Development of Social Psychiatry (Marseille) 99 

Hey er: Praktische Seelenheilkunde (Grotjahn) 275 

Kehr er: Wach* und Wahrträumen bei Gesunden und Kranken , . (Grotjahn) 412 
K r a p f : Die Seelenstörungen der Blutdruckkranken ....... (Grotjahn) 100 

Kretschmer und E n k e : Die Persönlichkeit der Athletiker . . . (Grotjahn) 413 
Kunkel: Grundzüge der praktischen Seelenheilkunde ...... (Grotjahn) 276 

Neutra: Rationalpsychagogik (Hitsdimann) 100 

Paneth: Seelen ohne Kompaß (R. Sterba) 413 

Psychotherapeutische Praxis , , (R. Sterba) 276 

Psychotherapeutische Praxis , (R- Sterba) 413 

Schneider: Pathopsychologie der Gefühle und Triebe (Grotjahn) 278 



Inhaltsverzeichnis 



CT. 1 -ri Seite 

J> Chor seh: Eigenständigkeit, Fremdhalt und Haltlosigkeit .... (Grotfahn) 279 

Schultz: Übungsheft für das Autogene Training (Groijahn) 101 

Stekel: Erziehung der Eltern (Friedjmg) 279 

— Fortschritte und Technik der Traumdeutung ........ (Hitschmann) 41 

Aus der psychoanalytischen Literatur: 

Alexander und H e a 1 y : Roots of Crime (Fenidiel) 416 

Alexander und Wilson: Quantitative Dream Studies (Fenidiel) 419 

Allen: Introjection in Schizophrenia (Marseille) 101 

Briehl and Kill ka: Lactation in a Virgin (Fenidiel) 420 

Dorsey: The Psychology of the Person Who Stutters . ..... (Marseille) 101 

Freud, Anna : Das Ich und die Abwehrmechanismen . . Qones, Fenidiel, Kris) 595 

Grab er: Primal Scene, Play and Destiny (FemdieZ) 421 

Hill: A Psychoanalytic Observation on Essential Hypertension . . . (Marseille) 102 
Klein: A Contribution to the Psychogenesis of Manic^Depressive States (Fenidiel) 280 
Menninger: A Psychoanalytic Study of the Significance of Self^Mutilations 

(Fenidiel) 422 

Oberndorf: The Genesis of the Feeling of Unreality (FenidieO 284 

Robb ins: A Note on the Significance of Infantile Nutritional Disturbances in 

the Development of Alcoholism (Marseille) 102 

Saul: A Note on the Psychogenesis of Organic Symptoms .... (Fenidiel) 425 
Sharp e: Similar and Divergent Unconscious Determinants Underlying the Subli* 

mations of Pure and Pure Science . (Fenidiel) 102 

Yates: Some'Aspects of Time Difficulty and their Relation to Music . (Fenidiel) 285 

KORRESPONDENZBLATT DER 
INTERNATIONALEN PSYCHOANALYTISCHEN VEREINIGUNG 

Mitteilungen der Internationalen Unterriditskommission 

Boston Psychoanalytic Society 426 

Chicago Institute for Psychoanalysis _ jq5 

Lehrinstitut der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft, Berlin . . . ." ." 106, 287 

Finnisch*Schwedische Psychoanalytische Vereinigung ' jqö 

Institute of Psycho^Analysis, London ' ! 107 

Lehrinsfitut der Pariser Psychoanalytischen Vereinigung . ! ! 110 

Sendai Psycho^Analytical Society 111 

Lehrinstitut der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung, Budapest . . ! . . 113 
Ambulatorium der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung, Budapest ..." 288 

Lehrausschuß der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung 114, 426 

Wiener Psychoanalytisches Ambulatorium .427 

Psychoanalytickä skupina v C. S. R 289 248 

Berichte der Zweigvereinigungen 

The American Psychoanalytic Association 428 

The Boston Psychoanalytic Society . . , . 431 

Chicago Psychoanalytic Society 116, 431 

The New York Psychoanalytic Society 290, 432 

Washington#Balfimore Psychoanalytic Society 433 



British Psycho»^ Analytical; Society . . ^""= 

Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft ' • ••434 

Hnnisch.Schwedische Psychoanalytische Vereinigung' ' ' ' ' "^' *^* 

Magyarorszägi Pszichoanalitikai Egyesület ^^^ 

Nederlandsche Vereeniging voor Psychoanalyse .' .' ,;. " "J' j^ 

Societe Psychanalytique de Paris ' ^^^' ^^^ 

Wiener Psychoanalytische Vereinigung .' ' " ' " ' '''''' W' ' ' ^^^ 

Psychoanalytickä skupina v C. S. R. . . . ' ' ' ^^^' ^^^ 

Preisausschreiben des PsyAoanalyiisdren Lehrinstitates in London .'/''' ^^^' f^. 
Redaktionelle Mitteilung ' ' ' ' 

'^''slieden.er.eid^nis der Internationalen PsyAoanalytischen Vereinigung'. [ " [ m', Z 



THE 

PSYCHOANALYTIC 

QUARTERLY 

Fifth year of publication 

THE QUARTERLY 

is devoted to original contributions 

in the field of theoretical, clinical and 

applied psychoanalysis, and is 

published four times a year. 

The Editorial Board of the QUAR- 
TERLY consists of the Editors: Drs. 
Dorian Feigenbaum, Bertram D.Lewin 
and Gregory Zilboorg. Associate Edi- 
tors: Drs. Henry Alden Bunker, Jr., 
Raymond Gosselin and Lawrence S. 
Kubie. 

CONTENTS FOR JULT 1^36: 
Dorian Feigenbaum: On Projection. — Ives 
H e n d r i c k : Ego Development and CertainCharacter 
Problems. — Felix Deutsch: Euthanasia. — Rene 
Laforgue: Exceptions to the Fundamental Rule 
of Psychoanalysis. — Editha S t e r b a : An Abnormal 
Child. — Sigmund Freud: Inhibitions, Symptoms 
and Anxiety. — In Memoriam : Montagu David 
Eder. — Book Reviews. — Current Psychoanalytic 
Literature. — Notes. 

Editorial Communications should be 
sent to the Editor-in- Chief: Dr. Dorian 
Feigenbaum, 88 J Park Avenue, Neiv 

York, N. r. 

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A limited number of back copies are 

available ; volumes in original binding 

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THE PSYCHOANALYTIC 
QUARTERLY PRESS 

372-374 BROADWAY, ALBANY, 
NEW YORK 



THE 

INTERNATIONAL 

JOURNAL OF 

PSYCHO-ANALYSIS 

Directed by 

SIGM. FREUD 



Edited by 
ERNEST JONES 



This Journal is issued quarterly. 
Be.sides Original Papers,Abstracts 
and Reviews, it contains the 
Bulletin of the International 
Psycho - Analytical Association, 
of which it is the Official Organ. 



Editorial Communications should be 

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Street, London, W. i. 

The Annual Subscription is 50s per 
volume of four parts. 

The Journal is obtainable by sub- 
scription only, the parts not being 
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Tindall & Cox, 8 Henrietta Street, 
Covent Garden, London, W. C. 2., 
who can also supply back volumes. 



Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Band XXII, Heft 4 



(Ausgegeben Ende Dezember 1936) 



Marjorie Brierley : 
Michael Bdlint: 
Otto Isakower: 
Fanny Hann-Kende: 

Joan Riviere: 

Robert Wälder: 

Ludwig Eideiberg: 



INHAL TSFERZEICHNIS 

Seite 

Die Affekte in der Theorie und Praxis 459 

Eros und Aphrodite ^f.- 

Beitrag zur Pathopsychologie der Einschlafphänomene . 466 

Zur Übertragung und Gegenübertragung in der Psycho- 
analyse ^^8 

Zur Genese der psychischen Konflikte im frühen Lebens- 
^^^^^ 487 

Zur Frage der psychischen Konflikte im frühen Lebens- 
alter 

515 

Zur Genese der Platzangst und des Schreibkrampfes . . 571 



REFERATE 



Aus der psycho anafytischen Literatur 

Anna Freud: Das Ich und die Abwehrmechanismen {Jones, Fenichel, Kris) 595. 



Aus der Literatur der Grenzgebiete 

Haeb erlin: Lebensrhythmen und Heilkunde {Grotjahn) 617. 
und Formen der abnormen Geschlechtlichkeit {Schilder) 617. 
brechens {Grotjahn) 618. 



— Schwarz: Sexualpathologie, Wesen 

— Stumpfl: Die Ursprung des Ver- 



Preis des Heftes Mark 7.50. Jahresabonnement Mark 28,- 

Jährhch 4 Hefte im Gesamtumfang von etwa 600 Seiten 



Einbanddecken zu dem abgeschlossenen XXII. Band (1956), sowie zu allen 
früheren Jahrgängen: in Leinen Mark 3.50, in Halbleder Mark 5.— 



P- 

■ Herausgeben P "oTorsr™ Irlufw '"'""v""'''^'^ Psychoanalytischer Verlag, Ges. m. b. H., Wien IX, Berggasse 7 
_ '■"'^•^•^'"•^""''•W^en. -Verantwortlich für die Redaktion: Dr.EdwardBibring 

^m Druck; Jakob Weiß, Wien II, Große Sperlgasse 40 

^^^ Printed in Austria 

t-— 



, Wien VII, Siebensterngasse 31 



XXII. Band 



1936 



Heft 4 



Marjorie Brierley: 
Michael Bdiint: 
Otto Isakower: 
Fanny Hann-Kende: 

Joan Riviere: 

Robert Wälder: 

Ludwig Eideiberg: 



REFERATE 



(Ausgegeben Ende Dezember 1956) 



INHAL TSFERZEICHNIS 

Seite 

Die Affekte in der Theorie und Praxis 4^9 

Eros und Aphrodite 455 

Beitrag zur Pathopsychologie der Einschlafphänomene . 466 

Zur Übertragung und Gegenübertragung in der Psycho- 
analyse 478 

Zur Genese der psychischen Konflikte im frühen Lebens- 
alter 487 

Zur Frage der psychischen Konflikte im frühen Lebens- 
alter 515 

Zur Genese der Platzangst und des Schreibkrampfes . . 571 



Aus der psychoanalytischen Literatur 

Anna Freud: Das Ich und die Abwehrmechanismen (Jones, Fenichel, Kris) 595. 



Aus der Literatur der Grenzgebiete 

Haeberlin: LebensrhyÜimen und Heilkunde {Grotjahn) 617. 
und Formen der abnormen Geschlechtlichkeit {Schilder) 617. 
brechens {Grotjahn) 618. 



— Schwarz: Sexualpathologie, Wesen 

— Stumpf 1: Die Ursprung des Ver- 



Preis des Heftes Mark 7.50. Jahresabonnement Mark 28. — 

Jährlich 4 Hefte im Gesamtumfang von etwa 600 Seiten 

Einbanddecken zu dem abgeschlossenen XXII. Band (1956)? sowie zu allen 
früheren Jahrgängen: in Leinen Mark 2.50, in Halbleder Mark 5. — 



Eigentumer und Verleger: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Ges. m. b. H., Wien IX, Berggasse 7 
>-r,imi.eber: Prof. Dr.Sigm. Freud, Wien. —Verantwortlich für die Redaktion: Dr. Edward Bibring, Wien VII, Siebensterngasse 31 

Druck: Jakob Weiß, Wien II, Große Sperlgasse 40 
Printed in Austria 



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Internationale Acitscnritt 
tür Psycnoanar 



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Lyse 



OffixielUs Organ der Internationalen Psyclioanalytisclien Vereinigung 



Her&usseseben von 

jigm« Freua 



Unter Mitwirkung von 



Felix Boehm 

Berlin 

J. E. G. van Emden 

Haag 

Karl Menninger 

Topeka 



G. Böse 

Kalkutta 

S. Hollös 

Budapest 

S.J. R. de Monehy 

Rotterdam 



Harald Schjelderup 

Oslo 



Edward Bibring 

Wien 



A.A.Brill 

New York 

Ernest Jones 

London 

M.W.Peck 

Boston 

Alf hild Tamm 

Stockholm 

redigiert von 

Heinz Hartmann 

Wien 



Lucile Dooley 

Washington 

J. W. Kannabich 

Moskau 

Edouard Fichon 

Paris 



M. Eitingon 

Jerusalem 

Kiyoyasu Marui 

Sendai 

Philipp Sarasin 

Basel 



Y. K. Yabe 

Tokio 



Sandor Rado 

New York 



Marjorie Brierley Die Affekte in der Theorie und Praxis 

Michael Bälint Eros und Aphrodite 

Otto Isakower Beitrag zur Pathopsychologie der Einschlafphänomen 

Fanny Hann-Kende Zur Übertragung und Gegenübertragung in der Psycho« 

analyse 

Joan Riviere Zur Genese der psychischen Konflikte im frühen Lebens* 

alter 

Robert Wälder Zur Frage der psychischen Konflikte im frühen Lebensalter 

Ludwig Eideiberg Zur Genese der Platzangst und des Schreibkrampfes 

Referate