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Full text of "Franz Kafkas Inferno. Eine psychologische Deutung seiner Strafphantasie."

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Eine psychologische Deutung 






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Internationaler 






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Eine psychologische Deutung 
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Sonderabdrude aus „Imago, Zeitsdirift für Anwendung der 
Psydioanalyse auf die Natur- und GeUteswissensdiaften" 
(herausgegeben von Sigm. Freud), Bd. XVII (xgzi) 



193l 

Internationaler Psychoanalytischer Verlag 

Wien 



AM 



Alle Rechte, 
insbesondere die der Übersetzung, 

vorbehalten 




INTERNATIONAL 

PSYCHOANALYTIC 

UNIVERSITY 

DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN 









Druck: Christoph Relsier's Söhne, Wien V 



„Der wahre Weg jährt über ein Seil, das nicht 
in der Höhe gespannt ist, sondern knapp über dem 
Boden; es scheint weniger bestimmt, begangen zu 
werdenah stolpern zu machen.' 1 (Kafka.) 



Die Werke Franz Kafkas, in ihrer Mischung ans kühner Phantastik und 
strenger Realistik Träumen gleichend, durch die lebendige Kraft der Sprache 
und die zwingende Anschaulichkeit der Darstellung Kunstwerken höchsten 
Ranges verwandt, erlauhen der analytischen Betrachtung so reiche Ein- 
blicke in die sie erzeugenden Strömungen des Unbewußten, wie wohl kaum 
eine Kunstdichtung sonst. 

In der Geschlossenheit ihres Symbolgehalts Märchen und Mythen vergleichbar, 
haben sie für das psychologische Interesse diesen gegenüber den Vorzug, daß sie 
die inneren Schicksale einer einzigen Individualität verkörpern und daher die 
Zusammenhänge einer ganzen Persönlichkeitsentwicklung erkennen lassen. 

Den Hauptgegenstand der vorliegenden Studie bildet eine 69 Seiten um- 
fassende, im Jahre 1919 erschienene Erzählung Kafkas, die den Titel trägt: 
„In der Strafkolonie. ' 



1) Wir benutzen 
Bericht 

Landarzt 

Verwandlung 

Urteil 

Strafkolonie 

Schloß 

Prozeß 



beim Zitieren Kafkascher Dichtungen folgende Abkürzungen: 
= „Ein Bericht für eine Akademie". Enthalten in: Ein Landarzt. 

Kleine Erzählungen. Kurt Wolff Verlag, 1919. 
= „Ein Landarzt". Ebenda. 

sc „Die Verwandlung". Kurt Wolff Verlag, 1917. 
es „Das Urteil". Eine Geschichte. Kurt Wolff Verlag, 1916. 
= „In der Strafkolonie". Eine Geschichte. Kurt Wolff Verlag, 1919. 
as „Das Schloß". Roman. Kurt Wolff Verlag, 1926. 
— „Der Prozeß", Roman. Verlag Die Schmiede, Berlin 1925. 



Jbicllmuth JVa 



Sie enthält eine Art Privatmythologie, die gleichwohl bedeutsame An- 
klänge an die Mythologie der jüdisch-christlichen Religion nicht vermissen 
läßt. Der Verfall und endgültige Zusammenbruch dieser religiösen Schöpfung 
macht die Handlung der Dichtung aus. 

Der Besprechung dieses Werkes stellen wir die Deutung zweier anderer 
kurzen Erzählungen voran, von denen die erste in der Sammlung: Ein 
Landarzt, kleine Erzählungen, 191g erschienen ist. Ihr Titel lautet: Ein 
Bericht für eine Akademie. Die zweite heißt: Die Verwandlung. Sie ist 
1917 erschienen. Über die Reihenfolge der Entstehung dieser Dichtungen 
wissen wir nichts. Wir glauben aber, mit der von uns eingehaltenen Reihen- 
folge, in der wir die Dichtungen besprechen, der historischen Entwicklung, 
zum mindesten ihres psychologischen Gebalts, Rechnung zu tragen; in der 
Tat stellt die psychologische Interpretation der beiden ersten Geschichten 
eine wesentliche Erleichterung und Vorbereitung für das Verständnis der 
dritten dar. 

Der Natur einer analytischen Untersuchung entsprechend, wird das, was 
wir an psychologischen Tatsachen finden werden, nicht dem Kafkaschen 
Charakter angehören, der sich in bewußten Handlungen, Gedanken und 
Worten äußerte, sondern es werden Elemente, die dem Bewußtsein des 
Dichters ganz oder teilweise entzogen waren, eine große Rolle spielen. 

Wir müssen daher den mit solchen Untersuchungen nicht vertrauten 
Leser warnen, etwa zu glauben, daß durch diese Untersuchungen der „eigent- 
liche Kafka ans Licht käme, während die auf Grund nichtanalytischer 
Anschauung erfaßte, bewußtseinsnähere Gestalt des Dichters nur eine trüge- 
rische Maske sei. 

Es kommt nicht in Frage, daß wir das Charakterbild Kafkas, wie es 
seine Freunde und Bekannten sich bildeten, korrigieren. Wir erforschen 
vielmehr eine Schicht seines Wesens, die eben nur der analytischen Be- 
trachtung zugänglich ist, und die bei den meisten Menschen dauernd im 
Dunkel bleibt. Wir wollen diesem Umstand, daß unsere Aussagen sich auf 
ein der gewöhnlichen biographischen Forschung nicht angehöriges Objekt 
beziehen, um Mißverständnisse nach Kräften auszuschließen, auch äußer- 
lich Rechnung tragen und werden die Persönlichkeit, deren unbewußte 
Seelenschichten wir zu erforschen suchen, mit dem Decknamen „K," be- 
zeichnen, mit dem Kafka die Helden seiner Romane meistens benannte. 






Frans Kafkas Inferno 



Min Bericht für eine Akademie 

In der Erzählung „Ein Bericht für eine Akademie" läßt Kafka einen 
„gewesenen Affen" die Geschichte seines Eintritts in die Menschenwelt dar- 
stellen nebst Vorgeschichte, Randbemerkungen und einem Überblick über 
seine gegenwärtige Artisten existenz. 

Auf dem Transportschiff, das ihn von der Goldküste, wo er eingefangen 
wurde, nach Europa tragt, führt er in einem engen Käfig ein qualvolles Dasein : 

„Ich hatte keinen Ausweg, mußte mir ihn aber verschaffen, denn ohne ihn 
konnte ich nicht leben. Immer an dieser Kistenwand — ich wäre unweiger- 
lich verreckt. Aber Affen gehören bei Hagenbeck an die Kistenwand — nun, 
so hörte ich auf, Affe zu sein. Ein klarer, schöner Gedankengang . . . K (Bericht, 161.) 

In Konsequenz dieses Gedankens übt er sich in der Nachahmung der 
Menschen. Der entscheidende Schritt vom Affentum zum Menschendasein 
geschieht, indem der Affe es lernt, Schnaps zu trinken, und zwar aus der 
Flasche, wie es die Matrosen tun. Dies glückt erst nach vielen vergeblichen 
Versuchen, die vor allem durch den Ekel des Tieres vor dem Schnaps er- 
schwert werden. 

„Der Geruch peinigte mich; ich zwang mich mit allen Kräften; aber es 
vergingen Wochen, ehe ich mich überwand- Diese inneren Kämpfe nahmen die 
Leute merkwürdigerweise ernster als irgendetwas sonst an rnir." (Bericht, 174.) 

Die Schilderung dieser Bemühungen, das Schnapstrinken zu erlernen, 
nimmt einen breiten Raum in dem Bericht ein und ist in einer Sprache 
gegeben, deren zupackende Kraft und dramatische Spannung keinen Zweifel 
darüber lassen, daß es sich hier um Entscheidendes handelt. 

Diese Szenen bilden einen Anknüpfungspunkt für die psychologische 
Interpretation; denn der Alkoholgenuß hat eine ganz allgemeine symboli- 
sche Bedeutung. Das „Trinkenkönnen", die Trinkfestigkeit, wie wir sagen, 
ist im Bewußtsein unseres Volkes eine charakteristische Fähigkeit des dem 
Knabenalter entwachsenen Mannes. Der Abschiedskommers der Abiturienten, 
die Biergelage der studentischen Verbindungen, die Liebesmahle der Offi- 
ziere, der Wirtshausbesuch des konfirmierten Schulentlassenen sind Initiations- 
riten und bedeuten die Aufnahme in die männliche Gemeinschaft. Selbst 
unzweifelhafte Exzesse werden — wenn man sie auch öffentlich tadelt — 
doch unter der Hand mit verständnisvoll lächelnder Nachsicht beurteilt, 
so daß die Haltung, die man dem Alkoholgenuß gegenüber einnimmt, 
deutlich an diejenige erinnert, die man gegenüber dem Geschlechtsgenuß 
zur Schau tragt. 



Hcilmutli Kaiser 



Nehmen wir einmal an, daß die Bedeutung des Alkoholgenusses — näm- 
lich ein Kennzeichen und Ausdruck der Männlichkeit zu sein — nicht zu- 
fällig ist für die Betonung des Schnapstrinkens in dem Bericht des Affen, 
so können wir sagen, daß dem Eintritt des Affen in die menschliche 
Gesellschaft — deutungsweise — der Eintritt K.s in die männliche Ge- 
sellschaft entspreche. Wir werden diesen Gedanken nun weiter verfolgen 
und es von seiner Zusammenstimmung mit weiteren Einzelheiten abhängig 
machen, ob wir ihm definitive Anerkennung gewähren wollen. 

Ist deT Ausweg, ein Mensch zu werden, psychologisch deutbar als der 
Wunsch, ein Mann zu werden, so muß der qualvolle Aufenthalt im Käfig 
dem qualvollen Zustand entsprechen, in dem sich jemand befindet, der 
nicht Mann ist und es doch aus irgendeinem Grunde nötig hat, Mann 
zu sein. 

Um herauszubekommen, um was für einen Zustand es sich da handelt, 
verfolgen wir die Geschichte des Affen rückwärts, bis wir erfahren, auf 
welche Weise er in den Käfig hineinkam: 

„Eine Jagdexpedition der Firma Hagenbeck ... lag im Ufergebüsch auf dem 
Anstand, als ich am Abend inmitten eines Rudels zur Tränke lief. Man schoß; 
ich war der Einzige, der getroffen wurde; ich bekam zwei Schüsse." (Bericht, 152.) 

Mit dem „ersten Schuß**, der den Affen in die Backe traf, können wir 
vorläufig nichts anfangen. Wir gehen daher gleich zu dem zweiten über: 

„Der zweite Schuß traf mich unterhalb der Hüfte. Er war schwer, er hat 
es verschuldet, daß ich noch heute ein wenig hinke." {Bericht, 153-) 

Hier bietet sich die Möglichkeit einer Anknüpfung. Ein Schuß, dessen 
Einschlagstelle auffällig unbestimmt durch die Worte „unterhalb der Hüfte 
beschrieben wird, könnte es in der Tat bewirken, daß ein an und für sich 
männliches Individuum genötigt ist, sich um Männlichkeit zu bemühen — 
ein solcher Schuß könnte nämlich das Genitale getroffen haben. 

Der Schuß bewirkt ein Hinken. 

Nun dient das „Hinken in der Symbolik der Mythen, Sagen und Dichtun- 
gen zur Andeutung einer im Sinne der Kastration wirkenden Schädigung. 
Man denke etwa an ödipus, Hephäsrus und Tollers „Hinkemann . 

Unsere Vermutung findet nun gleich eine neue Stütze, wenn wir den 
Text der Erzählung weiter verfolgen; es heißt da: 

„Letzthin las ich in einem Aufsatz irgendeines der zehntausend Windhunde, 
die sich in den Zeitungen über mich auslassen: Meine Affennatur sei noch nicht 
ganz unterdrückt; Beweis dessen sei, daß ich, wenn Besucher kommen, mit 
Vorliebe die Hosen ausziehe, um die Einlaufstelle jenes Schusses zu zeigen. Dem 



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Kafkas Inh 



Kerl sollte jedes Fingerchen seiner schreibenden Hand einzeln weggeknallt werden. 
Ich, ich darf meine Hosen ausziehen, vor wem es mir behebt. Man wird dort 
nichts finden als einen wohlgep Hegten Pelz und die Narbe nach einem . . . frevel- 
haften Schuß. . . . würde dagegen jener Schreiber die Hosen ausziehen, wenn 
Besuch kommt, so hätte dies allerdings ein anderes Ansehen ..." (Bericht, 155.) 

Daß man bei ihm, dem Affen, „nichts finden wird als einen wohl- 
gepflegten Pelz und die Narbe", also nichts, was das Schamgefühl verletzen 
könnte, während es bei dem „Schreiber" ein „anderes Ansehen" hätte, läßt 
sich kaum anders verstehen, als daß er, der Affe, im Gegensatz zu jenem 
Schreiber das Genitale nicht mehr besitzt; denn der Anblick des Genitales 
dürfte wohl in erster Linie das sein, was Anstoß erregt. 

Einen weiteren Hinweis gibt die Strafe, die der Affe dem Schreiber zu- 
denkt. Das, was dem Genitale des Affen geschehen ist, soll den Fingern 
an der Hand des Schreibers geschehen, nämlich, sie sollen abgeschossen 
werden! Der Finger ist ein Ersatz für den Penis; der Plural entspricht 
einer Intensivierung, wie es in unserer Umgangssprache gebräuchlich ist, 
wenn wir etwa sagen: bitte tausendmal um Verzeihung I 

Es muß auffallen, daß der Affe den Schreiber durch Kastration strafen 
will, aber sich doch offenbar seiner eigenen Kastriertheit rühmt. Auf das 
hierin liegende Problem werden wir später zurückkommen. Zunächst wollen 
wir uns darüber klar werden, wie wir das Kastrationserlebnis des Affen in 
unserer psychologischen Interpretation verwenden wollen. 

Ein solches Erlebnis ist nun in der psychoanalytischen Forschung wohl- 
bekannt. Wenn das männliche Kind den ersten Höhepunkt seiner Sexual- 
entwicklung erreicht hat, was etwa um das Ende des dritten Lebensjahres 
der Fall zu sein pflegt, erlebt es jede Einschüchterung seiner sexuellen 
Strebungen als eine Bedrohung seines Geschlechtsgliedes — als eine Kastra- 
tionsdrohung. Die sich summierenden Wirkungen mehrerer solcher Erlebnisse 
führen dann zur Verdrängung der auf das Genitale konzentrierten Libido 
und somit zum Eintritt der sogenannten Latenzperiode. 

Hiermit stimmt es gut zusammen, wenn es in dem „Bericht", S. 156, heißt: 
„Nach jenen Schüssen erwachte ich - und hier beginnt allmählich meine 

ii 

eigene Erinnerung . , . 

Der zweite Teil dieses Satzes lehrt uns, daß für die ganze der Gefangen- 
nahme voraufgehende Zeit Amnesie besteht, und dies trifft mit geringen 
Ausnahmen tatsächlich für das kindliche Leben vor der Latenzzeit zu. 

Der erste Teil des Satzes läßt uns schließen, daß der Affe durch die 
Schüsse das Bewußtsein verlor. Auch diese — scheinbar unwesentliche — 



Hellmuth Kaiser 



Tatsache gestattet eine Deutung, und zwar eine, die für das Verständnis 
des Gesamtzusammenhanges der Erzählung von Wichtigkeit ist. 

Das Ohnmächtigwerden und Wiederaufwachen des Helden ist nämlich 
ein nicht nur von Kafka angewandtes Symbol der Dichtung und bedeutet 
etwa so viel wie das Fallen und Wieder-in-die-Höhe- Gehen des Vorhanges in 
einem Theaterstück. 1 Dieses will nämlich sagen, daß hier eine längere oder 
kürzere Zeit als verstrichen gedacht werden muß, in der gleichwohl nichts 
Erzählenswertes geschehen ist; so daß nun, nach dieser Zeit, die Handlung 
sozusagen da wieder ansetzen muß, wo sie abgebrochen wurde. Psychologisch 
gesehen heißt das: Es ist zwar Zeit vergangen, aber die Problematik ist 
dieselbe gehlieben, oder, anders ausgedrückt, wir befinden uns (nach der 
Ohnmacht) zwar auf einer anderen der historisch aufeinanderfolgenden 
Seelenschichten — aber an einer analogen Stelle. 

Diese Symbolübersetzung ergibt — wie wir gleich sehen werden — in 
unserer Erzählung einen guten Sinn: Es ist wohl einleuchtend, daß der 
durch die Deutung zu entschleiernde, dem Dichter unbewußte Gehalt einer 
Dichtung, unbeschadet seiner Unbewußtheit, irgendwie mit dem aktuellen 
Leben des Dichters zu tun haben muß. So gehört das Problem K.s: „wie 
werde ich ein Mann?" — dargestellt durch das Problem des Affen: „wie 
werde ich ein Mensch?" — sicher in die Zeit, in der die Erzählung ent- 
stand, hinein. Um nun die Entstehungsgeschichte seiner Notlage (d. h. der 
Unvollkommenheit seiner Genitalität) zu erzählen, greift K, — in Über- 
einstimmung mit den Erfahrungen der Psychoanalyse, die genitale Störungen 
bis in die Infantilität verfolgt, — auf seine Kinderzeit zurück und weist 
auf den Kastrationsschock hin, der offenbar bei K. besonders heftig ausfiel. 
Nach dem — traumatisch wirkenden — Kastrationsschock trat zunächst die 
Latenzperiode ein, in der sich die besondere Heftigkeit jenes Schocks nicht 
unmittelbar in Gestalt einer Störung der genitalen Sexualität auswirken 
konnte, da in dieser Zeit ja ohnehin die Sexualität verdrängt ist. Erst nach 
dem Wiedererwachen der Sexualität in der Pubertätszeit machte sich — 
wie wir annehmen müssen — die Störung der Genitallibido bemerkbar. 

Nun verstehen wir, was das Ohnmächtig werden und Wiedererwachen des 
Affen bedeutet. In der Erzählung geht die symbolische Darstellung des 
Kastrationsschocks (Schüsse) der Schilderung der Sexualnot (Käfig- Qual) 
unmittelbar voran, denn das Verdrängte bleibt — vergleichsweise — un- 
berührt von der Zeit; gleichwohl aber gehört das Kindheitserlebnis einer 

1) Soweit nämlich die „Pause" nicht nur den Wechsel der Szenerie technisch er- 
möglichen soll. 






Franz Kafkas Inferno 



alteren (wohl mindestens um anderthalb Jahrzente älteren) Seelenschicht 
an als die aktuelle Not, und diese Zeitlücke wird durch die Ohnmacht 
angedeutet. 

Nachdem wir uns so über die Bedeutung des zweiten Schusses verständigt 
haben, wollen wir versuchen, auch die des ersten zu erklären. Sehen wir 
uns zuerst wieder den Text an: 

Einen in die Wange; der war leicht; hinterließ aber eine große, abrasierte 
Narbe, die mir den widerlichen, ganz und gar unzutreffenden, förmlich von einem 
Affen erfundenen Namen Rotpeter eingetragen hat, so, als unterschiede ich mich 
von dem unlängst krepierten, hie und da bekannten Affentier Peter nur durch 
den roten Fleck auf der Wange. Dies nebenbei. (Bericht, 152.) 

Der Name Rotpeter erinnert an das Kinderspiel „Schwarzer Peter". Dies 
Spiel besteht bekanntlich darin, daß nach Verteilung der Karten der Reihe 
nach jeder von seinem Nachbar eine Karte „zieht" und die paarweise zu- 
sammengehörenden Karten, wie Kaiser und Kaiserin, Bauer und Bäuerin, 
Müller und Müllerin usw. ablegt. Zuletzt bleibt einem der Kinder eine 
Karte, zu der es keine dazugehörige gibt, der sogenannte „Schwarze Peter" 
(gewöhnlich eine greuliche Mohrenfigur) in der Hand. Das Kind wird als 
Schwarzer Peter" verhöhnt und bekommt mit Kohle einen Schnurrbart 
ins Gesicht gemalt. 

Der aufgemalte Schnurrbart verspottet das Männlichkeitsstreben des Kindes : 
Du willst erwachsen sein und einen Bart haben wie der Vater, dein Bart 
i"st aber nur ein scheinbarer und bedeutet zugleich eine Beschmutzung zum 
Zeichen, daß du noch ein schmutziges Kind bist; also bist du so wenig 
paarungsfähig wie die Karte, die dich kennzeichnet." Das ist der grausame 
Sinn dieses Spieles, das, wenn es sich um kleine Kinder handelt, oft genug 
und begreiflicherweise einen Tränenstrom bei dem „Schwarzen Peter" auslöst. 
Nach dem Sinn dieser Parallele würde also der erste Schuß auch wieder 
eine Kastrationsdrohung bedeuten, nur daß die Angriffsrichtung von unten, 
vom Genitale, nach oben auf die Wange verschoben ist. Solche „Verschie- 
bungen nach oben" sind bei der Darstellung unbewußter Erlebnisse überaus 
häufig und stehen im Dienst einer Verhüllungstendenz. - Hier soll wohl 
auch die relative Unbedeutendheit des ersten Schocks durch die Verschiebung 
angedeutet werden. Die Gereiztheit, die der „gewesene Affe" über den ihm 
angehängten Namen Rotpeter zeigt, und die seiner Verachtung für den Affen 
Peter entspringt, hängt - wie es scheinen will - wieder mit dem uns 
vorläufig noch rätselhaften Umstand zusammen, daß der Verfasser des Be- 
richts auf seine Kastriertheit stolz ist. Was ihn von jenem dressierten 






Hi:llmtmi Kaiser 



Affen unterscheidet, ist — so will er sagen — nicht nur der rote Fleck 
auf der Wange, sondern er trägt — wie wir ergänzen können — noch eine 
andere, bedeutungsvollere Narbe. 

Über den realen Anlaß jener Sexualeinschüchterung, die als Kastrations- 
drohung wirkte, wollen wir erst später eine Vermutung anstellen. Ihre Folge 
war, daß — nach dem Text der Erzählung — der Affe gefangengenommen, 
an Bord gebracht und in einen engen Käfig gesperrt wurde. Im Sinn der 
Deutung heißt das, daß der erwachsene K, infolge seiner Kindheitserlebnisse 
an einer Sexualhemmung litt und durch die Stauung der Libido, der keine 
Abfuhrmöglichkeit gegeben war, gequält wurde. Wahrscheinlich waren diese 
Qualzustände auch von schweren Minderwertigkeitsgefühlen begleitet; dafür 
spricht das dick aufgetragene Selbstbewußtsein des Affen, das eine Über- 
kompensation der Selbstverachtung andeutet. 

Wir kommen nun, in der Lebensgeschichte des Affen vorschreitend, 
wieder zu dem „Ausweg", der ihn aus seiner Zwangslage befreit. Das Er- 
lernen des Schnapstrinkens ist zwar — wie wir jetzt wohl mit einiger Sicher- 
heit sagen dürfen — ein Symbol für das Mannwerden oder wenigstens für 
eine Kompensation der fehlenden Männlichkeit, aber es ist doch keines- 
wegs das einzige Symbol, das hier in Betracht kam, und so sind wir auch 
berechtigt, den Umstand, daß gerade dieses gewählt wurde, inhaltlich aus- 
zudeuten. 

Wie aus unserem Zitat (S. 5) hervorgeht, ist der Schnapsgenuß dem 
Affen ekelhaft. Schon der Geruch des Fusels widersteht ihm. Dem Ekel 
entspricht bekanntlich immer eine verdrängte Lust, die ekelhafte Sache 
mit dem Munde zu berühren oder zu verschlucken, sie zu riechen oder 
2U schmecken. — Das Schnapstrinken muß also den Affen an einen anderen, 
früheren Genuß erinnern, der später mit Hilfe des Ekels verdrängt wurde. 
Dieses Übergehen der Lust in Ekel finden wir — und zwar gerade bei 
einem Fall von Alkoholgenuß — in einem anderen Werke Kafkas unmittelbar 
dargestellt. 

„Wie es sich beim Trinken verwandelte, aus etwas, was fast nur Träger 
süßen Duftes war, in ein kutschermäßiges Getränk." (Schloß, 301.) 

Dasjenige, was den kleinen Kindern lustvoll ist und was ihnen später 
ekelhaft wird, ist aber Kot und Urin. Da es sich hier um das Trinken 
einer Flüssigkeit handelt, könnte nur Urin in Frage kommen. — Was 
leistet aber eine solche Deutung für das Verständnis der Tatsache, daß 
das Trinken der Menschwerdung des Affen oder der Man nwer düng K.s 
dient? 









Frans Kafkas Inferno 



11 



Wir müssen uns hier daran erinnern, daß der Affe den kastrierenden 
Schuß erhielt, als er aines Abends „zur Tränke lief". Diese Angabe ist 
gewiß keine zufällige, d. h. keine bloße Zeitbestimmung. Wir wollen uns 
getrauen, aus dieser zeitlichen Koinzidenz in der Erzählung in der Deutung 
ein „propter hoc" zu machen und behaupten, daß der Kastrationsschock wegen 
dieses Zur-Tränke-Laufens oder dieses Trinkenwollens erfolgte. Daraus ergibt 
sich dann weiter, daß dieses „Trinkenwollen" einen genitalsexuellen Sinn 
gehabt haben muß. Ja, es scheint nicht zu kühn, anzunehmen, daß K. 
schon in der Kindheit die Vorstellung hatte, daß man durch „Trinken 
zum Manne werden könne. Dieser Trinkversuch muß nun für die Erwach- 
senen den Charakter einer „Unart" gehabt haben, so daß von ihrer Seite 
ein schroffes Verbot ausgesprochen, vielleicht sogar eine Strafe verhängt wurde. 
Als nun beim erwachsenen K. die Folgen jener Einschüchterung in Gestalt 
einer Sexualstörung, einer Neurose, fühlbar wurden, und er den Mangel 
eigener Männlichkeit empfand, muß er in einer unbewußten Phantasie auf jene 
alte Vorstellung vom Männlichkeitserwexb durch Trinken zurückgekommen 
sein, indem er sozusagen an derselben Stelle seine Sexualentwicklung wieder 
aufnahm, wo er sie auf den Kastrationsschock hin unterbrechen mußte. 
Nun wird man aber immer noch den Zusammenhang von „Trinken , 
Männlichkeitserwerb" und „Urin" vermissen. Diesen Zusammenhang liefern 
uns zwei dem Kindheitsalter eigentümliche Theorien. Die eine ist die in- 
fantile Sexualtheorie, wonach der Urin das Genitalprodukt ist, das der Mann 
beim Geschlechtsverkehr in die Frau hinein-entleert. Die andere ist die 
dem magischen Weltbilde nahestehende Vorstellung, daß man eine Fähigkeit, 
die ein anderer besitzt, erwerben kann, wenn man diesen anderen oder 
auch nur dasjenige seiner Organe, an das die betreffende Fähigkeit geknüpft 
ist verschlingt. Nimmt man diese beiden Theorien zusammen, so ergibt 
sich der Satz,* daß man Männlichkeit erwerben kann, wenn man den Urin 
aus dem väterlichen Penis saugt. 

Wenn wir am Anfang unserer Betrachtungen auf den Zusammenhang 
der Trinksitten mit der Schätzung der Männlichkeit hinwiesen, so waren 
wir vielleicht von diesem letzten Resultat nicht so weit entfernt, wie es 
scheinen möchte. Wir brauchen uns nur zu erinnern, daß die Studenten- 
kommerse Vorbilder in der nordischen Götter- und Heldensage finden, bei 
denen das feierliche Trinken, insbesondere das Wetttrinken aus Hörnern 
geschieht, und daß das Hörn ein phallisches Symbol ist. 

In der Schilderung der Trinkübungen des Affen findet sich folgende 
Stelle, die unsere Deutung stützen kann: 



Hellmuth Kaiser 



Diese Verunreinigung - wir nehmen an, daß K. an urinieren gedacht hat - 

Et SLv g6dUM ' d - h - 5ie 1St *» V «*«"*«I «*«* nimmt 
ol . Tn U \ g T"** ZU d6r daS Schna P st "«ken den Affen befähigen 
11= die phalhsche Es ist bekannt, daß das mannliche Kind das Urinieren 
als einen Beweis seiner Männlichkeit betrachtet. 

Wir hatten gesehen, daß das Affen tum ««■«„ u j 

AfF^v* j I» Anenmm offenbar wegen der sogenannten 

a ■ . u *. , ^«acnsenen infantileres Em Wicklungsstadium darstellt- 
u„ä„, r haben d.ese Infantilität K. s auf eine Entwicklungsstörung S 

5 al dt d "- r . V - a rr , « eB ^ S °' Che infeMil - ^"quellen £ 
bHen „ T" ™ " " AWrf ™^h m en (EM) voll erhalten 

d «ende R„,, ' T TT' «*-*"«» Erwachsenen nur eine unbe- 

b „ hru ^ SP " u ^ " *"" dM •**'■ *» Sich »- *> Mensch 

benehmen will, eine Ekelschranke zu durchbrechen 

«li!^ Ü-'Tjf D,m daS We " ere Schickri deS Afe "? *» »«entliehen 

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r ich ""i ™, » ? all ° ! ~ In H ™ bUr ^ ei " m «"-» « Vergeben, sieht 
neu r7 £ ZWilCh8n ^ Z^*-*» G"«en, w0 ihn nur ein 

neuer Gr. erkafig erwartet, und dem Variete, wo er sein eigener Herr werden 
Kann; und wählt das letzte. 

we^lntiin A ""^ 2^ ^ "^ ^ WeM ™ n ■»* — lernt, 
sXt mt de, p iZT* WlU; man kmt "«****«• Man beaufsichtigt sich 
(Berief j8 g e ) PmSChe; man Zerfleischt sich »"*» gerieten WidersLd." 

So der Weg I — Nun das Erreichte: 

W»"S! W ^ ich J^ine bisherige Entwicklung, so klage ich weder, noch 
hm ich zufrieden Die Hände in den Hosentaschen, die Weinflasche auf dem 
lisch, hege ich halb, halb sitze ich in dem Schaukelstuhl und schaue aus dem 
enster. Kommt Besuch, empfange ich ihn, wie es sich gebührt. Mein Impresario 
T \T y?™ ,ier i läute ich > k °™™t « und hört, was ich zu sagen habe 
S , « 4f f3St immer VarateUim fc und ich habe wohl kaum mehr zu steigernde 
Erfolge. (Bericht, 186.) * Qe 






Kafkas lnle 



Das Leben, das der Affe sich unter verzweifeltem Kräfteeinsatz geschaffen 
hat, ist ein Artisten dasein . Allein, vereinzelt, steht er auf der Variete'bühne 
der Masse der Schauenden gegenüber, die er durch seine Leistungen ver- 
blüfft. Diese Leistungen und die Anerkennung, die sie finden, sind es auch 
nur, die ihm die Kraft zu der stolzen Resignation geben, mit der er sein 
Dasein — dem die Zufriedenheit fehlt — klaglos erträgt. — Denn voll ist sein 
Ziel nicht erreicht. Er ist nicht ganz und gar Mensch geworden, trotz der 
„Durchschnittsbildung eines Europäers", trotz der Anhäufung von Wissen 
und trotz der „kaum mehr zu steigernden Erfolge". — Die folgende Stelle 
schließt sich unmittelbar unserem letzten Zitat an: 

„Komme ich spät nachts von Banketten, aus wissenschaftlichen Gesellschaften, 
aus gemütlichem Beisammensein nach Hause, erwartet mich eine kleine halb- 
dressierte Schimpansin, und ich lasse es mir nach Affenart bei ihr wohlgehen. 
Bei Tag will ich sie nicht sehen; sie hat nämlich den Irrsinn des verwirrten, 
dressierten Tieres im Blick; das erkenne nur ich, und ich kann es nicht er- 
tragen." (Bericht, 187.) 

Man sieht, trotz aller intellektuellen Leistungen ist das Triebleben äffisch 
geblieben. Hier klafft eine Lücke. Die Persönlichkeit ist gespalten. 

Wir brauchen nicht viel hinzuzusetzen, um aus diesem Affenschicksal 
die Deutung zu gewinnen. Durch keine noch so gewaltige Anstrengung 
des Willens kann der Triebgestörte zu dem Leben eines vollentwickelten 
Menschen gelangen. Nachahmung bleibt Nachahmung. Diese Nachahmung 
ist ja nicht das freudige Sichaneignen eines Verhaltens, das der eigenen 
Natur gemäß ist: . 

„Ich wiederhole: es verlockte mich nicht, die Menschen nachzuahmen; 
ich ahmte nach, weil ich einen Ausweg suchte, aus keinem anderen Grund." 
(Bericht, 181.) 

Es ist ein gewaltsamer Versuch, sich aus einer Zwangslage zu befreien. 
Menschen, die an Entwicklungshemmungen leiden, pflegen zu sagen: „Ich 
tue so, als wäre ich wie die anderen. Ich spiele Theater, wenn ich wie 
ein Erwachsener rede und handle. 

Freilich gibt es auch in einem solchen Leben Befriedigungen: 

„Diese Fortschritte! Dieses Eindringen der Wissensstrahlen von allen Seiten 
ins erwachende Hirn! Ich leugne nicht: es beglückte mich." (Bericht, 185.) 

Ja, es ist nur ein Ausweg, den der Affe, den K. gefunden hat — 
nicht „dieses große Gefühl der Freiheit nach allen Seiten". — „Als Affe 
kannte ich es vielleicht" — geht es im Text weiter — „und ich habe 
Menschen kennengelernt, die sich danach sehnen." (Bericht, 162.) 



* Hellmutli Kaiser 



Aber das Merkwürdige ist, daß der Ausweg dem Affen lieber ist, als 
jene „Freiheit nach allen Seiten*. 

„Was mich aber anlangt, verlangte ich Freiheit weder damals noch heute." 
(Bericht, 181.) 

„Freiheit* bedeutet ja hier offenbar, der Käfig-Qual enthoben 2u sein, 
den Druck der unbefriedigten Triebe nicht zu spüren — zufrieden zu sein, 
mit einem Wort. Der „Ausweg* aber ist der schmale und steile Weg zu 
einem künstlichen, gesteigerten, schwierigen, auf Triebsublimierung beruhen- 
den Dasein, in dem man des Triebdrucks niemals ledig, zu außerordent- 
lichen Leistungen genötigt und befähigt ist. Es ist das Dasein eines Künstlers, 
der keine Zufriedenheit kennt — sich über das Schicksal aber auch nicht 
beklagt, weil er die Zufriedenheit ja gar nicht will. — Wie würde denn 
die Freiheit aussehen? 

„Oft habe ich in den Varietes vor meinem Auftreten irgendein Künstler- 
paar oben an der Decke an Trapezen hantieren sehen. Sie schwangen sich 
sie schaukelten, sie sprangen, sie schwebten einander in die Arme, einer trug 
den anderen an den Haaren mit dem Gebiß. ,Auch das ist Menschenfreiheit' dachte 
ich, selbstherrliche Bewegung . Du Verspottung der heiligen Natur ! Kein Bau 
würde standhalten vor dem Gelächter des Affentums bei diesem Anblick " 
(Bericht, 163.) 

Dies Schaukeln und Sich-in-die-Arme-Schweben ist eine symbolische Dar- 
stellung der normalen Triebbefriedigung, aber zugleich auch ihre Verspottung. 
Der seelisch komplizierte, in stetem inneren Kampf gespannte Künstler ver- 
achtet die Monotonie im Leben des einfachen, seinen Trieben folgenden 
Menschen, mag diese Verachtung auch mit Neid gemischt sein. 

Und nun verstehen wir, warum der Affe seiner körperlichen Verstüm- 
melung gegenüber ein so ambivalentes Verhalten zur Schau trägt warum 
wenn er den Schuß, der ihn kastrierte, einen „frevelhaften* nennt er die 
Worte einschaltet: „. . . wählen wir hier zu einem bestimmten Zweck ein 
bestimmtes Wort, das aber nicht mißverstanden werden wolle. " (Bericht 1 54 ) 
Er erkennt, daß diese körperliche Beeinträchtigung die Bedingung 'seiner 
ungewöhnlichen Leistungen ist, und in diesem Sinn legt er Wert auf die 
„Narbe m seinem wohlgepflegten Pelz«, die ihn von dem Journalisten unter- 
scheidet und ihn zu einem exhibitionistischen Verhalten berechtigt, das 
jenem verwehrt ist. Der andere ist eben nur ein Journalist geworden, er 
selber aber ist ein Künstler. 

Die Mischung von äffischen und menschlichen Zügen in dem Verfasser 
des „Berichts" zeigt genau das Bild des hochbegabten aber entwicklungs- 



Frau« Kafka* Inferno 



gehemmten — neurotisch erkrankten Menschen eines bestimmten Typs. 
Die intellektuellen Leistungen überragen durchaus den Durchschnitt, die 
beruflichen und gesellschaftlichen Beziehungen zu Menschen beruhen auf 
Routine und geschickter Nachahmung, das Triebleben, insbesondere das 
Sexualleben, ist äffisch, d. h. unentwickelt geblieben. Der Mangel reifer, 
normaler Männlichkeit ist teilweise kompensiert, aber nicht behoben. 

Dies noch sehr lückenhafte, noch sehr schematische Bild von der Pro- 
blematik der K. sehen Seele werden wir nun durch die Ausdeutung einer 
zweiten Erzählung zu ergänzen suchen, die, so wenig das bei ihrer Lektüre 
zunächst in die Augen springen mag, mit dem Bericht des Affen mancherlei 
Verwandtschaft hat. 



Die Verwandlung 



Die Erzählung »Die Verwandlung" beginnt damit, daß der Held, ein 
junger Handlungsreisender, eines Morgens, als er gerade im Begriffe ist, 
sich in Erfüllung seiner Berufspflichten auf eine Geschäftsreise zu begeben, 
beim Aufwachen entdeckt, daß er in ein häßliches, unappetitliches Insekt 
(etwa in eine Wanze, von freilich übernatürlicher Größe) verwandelt 
worden ist. 

Eine Ursache dieser Verwandlung, aus der man etwa ihre Symbol- 
bedeutung herleiten könnte, wird nicht genannt. Wir werden daher ihre 
Wirkungen, die Veränderungen, die sie hervorruft, studieren, um daraus 
auf ihren Sinn zu schließen. 

Dem Eintritt der Verwandlung geht ein Zeitraum von fünf Jahren vor- 
aus, innerhalb dessen sich an dem Helden, Gregor Samson und an seiner 
elterlichen Familie, in der er lebt, eine stetige, immer im gleichen Sinn 
verlaufende Entwicklung vollzieht. Eingeleitet wird diese Entwicklung durch 
den Zusammenbruch des väterlichen Geschäftes, der eben um fünf Jahre 
dem Anfang der Erzählung vorausgeht. Dieses Ereignis veranlaßt Gregor, 
sich mit verdoppeltem Eifer seiner Berufstätigkeit hinzugeben, so daß er bald 
vom Kontoristen zum Reisenden avanciert, seine Einnahmen vermehrt und 
der Erhalter und Ernährer seiner Eltern und seiner Schwester wird. Die 
Mutter war wegen eines körperlichen Leidens immer schon untätig gewesen, 
der Vater versinkt, offenbar von seiner wirtschaftlichen Niederlage seelisch 
schwer getroffen, in einen Zustand physischer und psychischer Lethargie, in 
dem er sein Äußeres vernachlässigt, viel schläft, teilnahmslos vor sich hin- 
dämmert und meistens ruht. Die Schwester sorgt mit Hilfe eines Dienst- 



1 j l'I ImutJi K.;i 






mädchens für die Wirtschaft und widmet sich im übrigen ihrem Geigenspiel. 
Der Sohn, Gregor, dessen Ehrgeiz mit seinem Erfolge wachst, geht in der 
Sorge für die Familie schließlich so weit, daß er den Entschluß faßt, die 
Schwester aufs Konservatorium zu schicken, obwohl er sich deswegen in seiner 
geschäftlichen Bewegungsfreiheit würde einschränken müssen. Er nimmt sich 
vor, der Schwester diesen Plan am Weihnachtsabend — der beim Beginn 
der Erzählung kurz bevorsteht — zu verkünden, „ohne sich um irgend- 
welche Widerreden (Verwandlung, 63.) zu kümmern. 

Nun tritt die Verwandlung ein. Gregor wird arbeitsunfähig und stirbt 
schließlich nach ein paar Monaten einen freiwilligen Hungertod, nachdem 
er eingesehen hat, daß er in diesem Zustande seiner Familie ein Grauen 
und eine schwere Last und Sorge ist. 

Die Wirkung dieses Ereignisses auf die Familie ist die folgende: Die 
Schwester nimmt eine Stellung in einem Büro an, die Mutter näht 
Wäsche für ein Moden geschäft, der Vater wird Diener bei einer Bank. 
Die Geschichte endet mit einem gemeinsamen Ausflug von Vater, Mutter 
und Tochter, bei dem die wirtschaftliche Lage der Familie erörtert wird 
und sich als relativ sehr günstig herausstellt. Die letzten Sätze gelten 
hoffnungsvoll aufkeimenden Wünschen für eine glückliche Versorgung der 
„schönen und üppigen" Tochter durch Heirat mit einem „braven Mann". 

Am auffälligsten aber ist die Veränderung, die im Laufe der Erzählung 
mit dem Vater vorgeht. Fast eine ganze Seite (49} ist ihrer Beschreibung 
gewidmet. Aus einem alten Manne, der meistens einen Schlafrock trägt, 
sich kaum allein vom Sessel erheben kann und beim mühseligen Gehen 
einen Krückstock benutzt, wird ein „gut aufgerichteter", in eine „straffe 
blaue Uniform" gekleideter Bankbeamter, dessen Blick unter buschigen 
Augenbrauen frisch und aufmerksam hervordringt, der das sonst „zerzauste 
weiße Haar zu einer peinlich-genauen, leuchtenden Scheitelfrisur nieder- 
kämmt" und sein Doppelkinn über einem hohen steifen Kragen trägt. 
(Verwandlung, 49.) 

Der Verlauf der Ereignisse ist also, zusammengefaßt, der, daß der Sohn 
an der beruflichen Niederlage des Vaters erstarkt, durch seine Tüchtigkeit 
den Erwerbssin und die Selbstachtung seines Vaters lähmt und schließlich 
in der Familie die Stellung des Vaters einnimmt, während dieser zu einem 
unselbständigen, hilflosen und pflegebedürftigen Wesen herabsinkt. — Nach 
der katastrophalen Verwandlung, die der Geschichte ihren Namen gegeben 
hat, vollzieht sich genau die umgekehrte Entwicklung; der Vater nimmt 
seine Stellung als Familienoberhaupt wieder ein, und der Sohn sinkt zum 



m- 






Frans Kafkas Inferno 



unnützen Ballast herab, bis er durch seinen freiwilligen Tod die Familie 
erlöst. 

Die Erzählung schildert also den Kampf zwischen Sohn und Vater wie 
er dem Ödipuskonflikt entspringt. Und zwar werden zwei Phasen dieses 
Kampfes hart gegeneinander gesetzt, eine erste, in der der Sohn im Vorteil 
ist, und eine zweite, in der der Vater den Sohn besiegt. Zwischen den beiden 
Phasen steht als die Grenze oder richtiger als das den Entwicklungssinn 
umkehrende Ereignis die Verwandlung. 

Natürlich bedeutet die Verwandlung des Sohnes — psychologisch be- 
trachtet — kein äußeres Ereignis, sondern einen inneren Wechsel der Trieb- 
richtung. Sie ist eine Art Selbstbestrafung für das vorangehende, gegen den 
Vater gerichtete Konkurrenzstreben, ein Sich-Zurückziehen aus der an- 
spruchsvollen genitalen Position. 

Das Wort „Strafe" scheint nicht angemessen zu sein, da doch der Sohn 
nichts anderes getan hat, als was ein reges Verantwortungsgefühl für die 
Familie einem jeden an seiner Stelle vorgeschrieben hätte. 

Allein wir müssen damit rechnen, daß feindselige Gefühle gegenüber 
dem Vater, eben wegen ihrer Strafwürdigkeit, in der Erzählung nicht offen 
zum Ausdruck gelangen durften. Sehen wir recht genau zu, so können 
wir noch ihre verhüllten Spuren auffinden. Wenn nämlich auch das 
Handeln des Sohnes sowohl vor wie nach der Verwandlung so geschildert 
wird, daß ihn keinerlei Vorwurf treffen kann, 1 so ist doch das Verhalten 
des Vaters von einem deutlichen Rachedurst getragen : Dies Gefühl tritt 
zutage, wenn der Vater in dem Moment, wo er Gelegenheit und äußeren 



1) Genau besehen, gibt es hievon sogar eine Ausnahme. Gregor will die Schwester 
aufs Konservatorium schicken, „ohne sich um irgendwelche Widerreden" zu kümmern. 
Das ist sozusagen sein letzter und kühnster Wille vor dem Eintritt der Verwandlung. 
Dem steht, am Ende der Erzählung, der Wunsch der Eltern, die Tochter zu ver- 
mählen, gegenüber. Wenn Gregor also die Schwester aufs Konservatorium schicken 
wollte, so geschah das nicht nur aus brüderlichem Interesse an ihrer musikalischen 
Entwicklung, sondern — wie wir eben dem gegensätzlichen Wunsch der Eltern ent- 
nehmen können — um sie durch die Bindung an einen künstlerischen Beruf an einer 
Vermählung zu hindern. Die sich hierin ausdrückende brüderliche Eifersucht auf 
die Schwester mag nun ihrerseits wieder durch eine Verschiebung der der Mutter 
geltenden Eifersucht der Ödipussituation entstanden sein. Diese Überlegung mag 
eine Stütze darin finden, daß der Entschluß Gregors, die Schwester aufs Konser- 
vatorium zu schicken, sein letzter Gedanke vor der Verwandlung ist, von dem wir 
durch die Erzählung erfahren, so daß wir annehmen dürfen, die Verwandlung werde 
durch ihn ausgelöst. Daraus folgt, daß in diesem Entschlüsse etwas zum Ausdrucke 
kommen muß, was geeignet ist, starke Schuldgefühle und somit ein starkes Straf- 
bedürfnis auszulösen. 

Kaiser: Kafkas Inferno 2 



I 



riclJitiutli Kai.v 



Anlaß hat, gegen den Sohn aggressiv vorzugehen, nicht nur „wütend 
sondern auch „froh ist . (Verwandlung, 48.) Die verhüllende Tendenz hat 
hier bewirkt, daß die Schilderung der Haßgefühle des Sohnes gegen den 
Vater eingekleidet ist in die Schilderung der korrespondierenden Gefühle 
des Vaters gegen den Sohn. Diese Interpretation ist der Natur unserer 
psychologischen Deutung nach nicht nur eine allenfalls in Betracht 
kommende Möglichkeit, sondern geradezu eine Notwendigkeit. Denn jede 
markante Erscheinung innerhalb der Dichtung muß ihren psychologischen 
Grund in der Seele des Dichters haben, nichts Wesentliches darf als das 
zufällige Merkmal einer nun eben so gestalteten und angeblich wahrheits- 
getreu abgeschilderten „Natur" oder „Umwelt betrachtet werden. 

Die Strafe, die sich K. durch die Verwandlung zudiktiert, hat einen 
grauenvollen, unheimlichen Charakter. Wir werden verschiedene Züge an 
ihr sondern müssen. 

Das Tier, in das sich Gregor verwandelt, ist ein Insekt, ein unappetit- 
liches, ekelerregendes Wesen. Aus den Speisen, die ihm vorgesetzt werden, 
wählt er sich das Verdorbene, Verfaulte, für Menschen Ungenießbare heraus. 
Das andere mag er nicht. Wir sehen, daß auch hier, wie in dem Bericht 
des Affen, die Tierheit ein niedrigeres, infantileres Entwicklungsniveau des 
Trieblebens bezeichnet. Es ist kein Zufall, daß das Tier hier ein Insekt ist 
also ein Wesen, das auf der Stufenleiter der Entwicklung weit unter dem 
Affen steht. Was den Ekel betrifft, verläuft ja die Entwicklung so, daß 
zunächst eine Kotlust besteht, die gänzlich ekelfrei ist. Bei der Verdrängung 
der Kotlust entsteht der Ekel vor dem Kot. Solange die Verdrängung noch 
nicht konsolidiert ist, ist der Ekel heftig und das Objektbereich, auf das 
er sich richtet, verwaschen, da jede Kotähnlichkeit eines Genußmittels als 
solche erkannt und aufgegriffen wird und das betreffende Genußmittel in 
das Bereich des Ekelhaften hineinzieht. Mit zunehmender Konsolidierung 
der Kotlustverdrängung werden die Grenzen, die das Ekelhafte vom Nicht- 
ekelhaften trennen, schärfer und enger, weil keinerlei Kotlust mehr die 
Verwandtschaft oder Ähnlichkeit mit dem Kote sucht Im Sinne dieser 
Tatsachen ekelt sich der vergleichsweise höher entwickelte Affe vor dem 
Schnaps, weil seine unvollkommen verdrängte Urinlust ihn dabei an Urin 
denken läßt, während das Insekt der „Verwandlung" noch ausgesprochene 
Lust am Unreinen, Ekelhaften, also am Kot empfindet und daher die ver- 
dorbene Speise ekelfrei genießen kann. 

Nach dem, was wir uns eben überlegt haben, können wir bei der Ver- 
wandlung von einer Regression in die anale Phase sprechen. 






L. 



Frans Kafkas Inferno 19 



Bemerkenswert ist, daß der Triumph des Sohnes über den Vater genau 
so von einem Schmutzig werden des Vaters begleitet ist (und zwar nicht nur 
hier, sondern auch in anderen Dichtungen Kafkas), wie der Triumph des 
Vaters von einem Unrein wer den des Sohnes. Der Sohn kann sich nicht an 
des Vaters Stelle setzen, ohne daß sich der Vater an des Sohnes Stelle setzt. 
Die Unreinheit, die Analität, wird hier wie ein Dämon aufgefaßt, der, aus 
der einen Person ausgetrieben, in eine andere hineinfahren muß. 1 Die Triebe, 
die man in seinem Handeln nicht mehr zur Auswirkung kommen läßt, 
werden auf den Partner, auf den „Gegner" projiziert. 

Ein weiteres Moment an der „Verwandlungsstrafe" ergibt sich aus dem 
Verhalten des Vaters gegen den Sohn. Wie wir schon sagten, kehrt sich das 
Macht Verhältnis zwischen Vater und Sohn durch die Verwandlung des Sohnes 
um. Die bisher unterdrückte Feindseligkeit und Rachbegierde des Vaters — 
das Spiegelbild des von uns erschlossenen Ödipushasses, den der Sohn gegen 
den Vater hegt, äußern sich in zwei aggressiven Akten, bei denen der Vater 
den Sohn körperlich mißhandelt. 

Die erste dieser Mißhandlungen ereignet sich, als der verwandelte Gregor 
in seiner Mißgestalt versucht, den über Gregors Ausbleiben erzürnten Pro- 
kuristen seiner Firma zu besänftigen und zu diesem Zweck sein Zimmer 
verläßt. Der Vater, von dem Entsetzen, das sowohl die Mutter wie den 
Prokuristen beim Anblick Gregors packt, angesteckt, sucht das „Insekt" 
unter wütendem Zischen zurückzuscheuchen. Gregor, der in seinem neuen 
Zustand seinen Körper nur mangelhaft beherrscht, bleibt in der nur halb 
geöffneten Tür seines Zimmers stecken, seine eine Flanke reibt sich wund, 
an der weißen Tür bleiben häßliche Flecke: 

„, . . da gab ihm der Vater von hinten einen jetzt wahrhaft erlösenden starken 
Stoß, und er flog, heftig blutend, weit in sein Zimmer hinein." (Verwandlung, 27.) 

Die zweite Mißhandlungsszene ist reicher an Einzelheiten : Die Schwester 
beabsichtigt, die Möbel aus Gregors Zimmer auszuräumen, um ihm dadurch 
das Herumkriechen zu erleichtern. Sie gewinnt auch die Mutter für diesen 
Plan, obwohl diese mit richtigem Instinkt zunächst dagegen Bedenken hat 
weil ein solches Tun den Sohn glauben machen müsse, die Familie sei 
von der Unveränderlichkeit seines jetzigen Zustandes überzeugt. Gregor, der 
sich früher die Entfernung der Möbel gewünscht, empfindet die Ausräumung 



1) Vgl. „Die Affennatur raste, sich überkugelnd aus mir hinaus und weg, so daß 
mein erster Lehrer seihst davon fast affisch wurde und in eine Heilanstalt gebracht 
werden mußte." (Bericht, 184.; 



2* 



Hellmuth Kaiser 






der ihm lieb gewordenen Einrichtungsgegenstände, da sie zur Tat werden 
soll, schmerzlich, und in dem Bestrehen, wenigstens etwas zu retten, bricht 
er aus der Verborgenheit, in der er sich aus Rücksicht auf Mutter und 
Schwester hält, hervor und deckt mit seinem Leib ein Bild, das an der 
"Wand hängt und eine Dame darstellt, die in Pelzhut und Pelzboa aufrecht 
dasitzend, „einen schweren Pelzmuff, in dem ihr ganzer Unterarm ver- 
schwunden ist, dem Beschauer entgegenhält . (Verwandlung, 5.) Die Mutter 
fällt bei seinem Anblick in Ohnmacht. Sie liegt in Gregors Zimmer; die 
Schwester, die sich um die Mutter bemüht, läßt Gregor im Wohnzimmer 
wohin er ihr nachgefolgt war, zurück und sperrt die Tür seines Zimmers, 
damit er ihr nicht dorthin nachfolge. Gregor, der sich nun also im Wohn- 
zimmer aufhält, wird dort vom Vater überrascht. Der, in falscher Auffassung 
von Gregors Verschulden an der Ohnmacht der Mutter, jagt den Sohn um 
den Tisch herum und bombardiert ihn schließlich mit Äpfeln: 

„. . . da flog, knapp neben ihn leicht geschleudert, irgend etwas nieder und 
rollte vor ihm her. Es war ein Apfel. Gleich flog ein zweiter nach. . . , Ein 
schwach geworfener Apfel streifte Gregors Rücken, glitt aber unschädlich ab 
Ein ihm sofort nachfliegender drang dagegen förmlich in Gregors Rücken 
ein. Gregor wollte sich weiterschleppen, als könne der überraschende, unglaub- 
liche Schmerz mit dem Ortswechsel vergehen. Doch fühlte er sich wie fest- 
genagelt und streckte sich in vollständiger Verwirrung aller Sinne." (Verwand- 
lung, 51.) 

Es sind zwei Mißhandlungsszenen. In der ersten Szene kommen zwei 
Verwundungen vor, in der zweiten sind es zwei Äpfel, die treffen. Diese 
mehrfach auftretende Zweizahl erinnert an die zwei Schüsse, die der Affe 
erhält, und dies bekräftigt die ohnehin naheliegende Deutung der Miß- 
handlungen als „Kastrationsakte" in jenem weiten Sinn, in dem wir das 
Wort auch bei der Besprechung des Affenberichts brauchten. 

In der zweiten Szene finden wir auch leicht deutbare Anspielungen auf 
die sexuelle Basis der ganzen Vorgänge. Das Verhalten von Mutter und 
Schwester schildert mit unheimlicher Genauigkeit das typische Verhalten 
einer wohlgesinnten Familie gegen ein neurotisch erkranktes Mitglied. „Die 
Möbel werden ausgeräumt", d. h. das Familienleben wird auf die Neurose 
hin orientiert. Man gibt dem Erkrankten eine Sonderexistenz, macht, teils 
um ihm wohlzutun, teils um besser mit ihm auszukommen, Konzessionen 
und räumt Konfliktstoffe aus dem Wege. Auch die Gefahr, die hierin liegt, 
ist in der Erzählung angedeutet: Dies Verhalten raubt dem in die Regres- 
sion Geflüchteten die letzten Beziehungen zur Realität, Dies empfindet K. 
instinktiv und, um wenigstens etwas von seinem früheren Leben zu retten, 



■ 



xrnn? ivatkaä Inlerzio 



»1 



stellt er sich schützend — und zwar durch Verhüllung schützend — vor 
seine Beziehung zur Frau, zur Sexualität. Ans anderen Werken Kafkas kann 
man entnehmen, daß der Pelz für ihn fast immer Symbol für das weib- 
liche Genitale ist {wie dies Symbol auch im Folklore häufig angetroffen 
wird) und daß für K. als Liebesobjekt nur erotisch -aktive und aggressive 
Frauen in Betracht kommen. Diese Hinweise werden genügen, um die Be- 
deutung des „Bildes", das, wie im Anfang der Erzählung erwähnt wird, 
von Gregor aus einer illustrierten Zeitung ausgeschnitten wurde, verständ- 
lich zu machen. 

Daß es sich hier wirklich um den Ödipuskonflikt, d. h. um die Eifer- 
sucht auf den Vater der Mutter wegen handelt, geht aus dem Ende der 
zweiten Mißhandlungsszene hervor, das sich unmittelbar an unser letztes 
Zitat anschließt: 

Nur mit dem letzten Blick sah er noch, wie die Tür seines Zimmers auf- 
gerissen wurde und vor der schreienden Schwester die Mutter hervoreilte, im 
Hemd, denn die Schwester hatte sie entkleidet, um ihr in der Ohnmacht Atem- 
freiheit zu verschaffen, wie dann die Mutter auf den Vater zulief und ihr auf 
dem Weg die aufgebundenen Röcke, einer nach dem andern, zu Boden glitten, 
und wie sie stolpernd über die Röcke auf den Vater eindrang und, ihn um- 
armend, in gänzlicher Vereinigung mit ihm — nun versagte aber Gregors Seh- 
kraft schon — , die Hände an des Vaters Hinterkopf, um Schonung von Gregors 
Lehen bat." (Verwandlung, 51.) 

Hier finden wir im unmittelbaren Zusammenhang mit der „kastrierenden , 
gewalttätigen Einschüchterung durch den Vater eine Urszenenbeobachtung 
des Sohnes angedeutet, kenntlichgemacht durch das typische, dem Verdrän- 
gungseffekt entsprechende „Erlahmen der Sehkraft". 

Es mag vielleicht Befremden erregen, daß in der Erzählung sich zunächst 
die Verwandlung, d. h. also die Regression vollzieht und erst im weiteren 
Verlauf dieses Prozesses der Kastrationsschock und die Urszenenbeobachtung 
auftreten. Wenn wir aber — wie es im folgenden geschehen wird — diese 
Erlebnisse genauer betrachten, so werden wir, wenigstens was den Kastrations- 
schock angeht, finden, daß es gar nicht die ursprünglichen, der Regres- 
sion zeitlich um Jahre voraufgehenden Kindheitserlebnisse sind, sondern 
Fortbildungen dieser Eindrücke, komplexe Gebilde, die durch Verflechtungen 
verschiedenartiger Strebungen innerhalb des Unbewußten entstanden sind. 
Aber auch da, wo — wie bei der „Urszenenbeobachtung" — eine Weiter- 
bildung nicht zu erkennen ist, braucht nicht das entsprechende primäre 
Erlebnis gemeint zu sein, sondern nur ein Wiederauftauchen dieses Erleb- 
nisses in der Erinnerung oder in der Phantasie. Denn die Symbolsprache 



''A 



\ 



** Hellmuth. Itai*er 



der Dichtung macht zwischen einem realen Erlebnis und dem Wieder- 
vordringen des Verdrängten zum Bewußtsein keinen Unterschied. 

Wir haben bisher an der Verwandlungsstrafe zwei Momente betrachtet j 
die Regression aufs Anale und die Wiederbelebung der Ödipussituation 
(Kastration, Urszenenbeobachtung) . Wir kommen nun zu einem dritten Mo- 
ment, dem für die besonderen Ziele unserer Untersuchung wichtigsten. 

Wenn Gregor während seiner Strafzeit in Wiederholung des Kastrations- 
erlebnisses von seinem Vater mißhandelt wird, so liegt hierin nicht nur 
eine Befriedigung des Strafbedürfnisses. Die Frucht, deren sich der Vater 
bei der Mißhandlung bedient, der Apfel, ist ja die typische, sprichwört- 
liche Belohnung des Kindes, wie sie beispielsweise in vielen „moralischen 
Erzählungen" vorkommt, von der Bedeutung des Apfels im Sündenfall der 
Bibel gar nicht zu reden. Was der Vater dem Sohne bei dem Bombarde- 
ment gewährt, ist also nicht nur Strafe, sondern auch Lust, und zwar 
masochistische Lust. Wir ahnen nun, daß das „Unglaubliche, Überraschende" 
an dem Schmerz, den Gregor nach dem Apfel wurf empfindet, der Um- 
stand ist, daß dieser Schmerz Lust enthält. Diese Lust ist es auch di^ „ 
bewirkt, daß Gregor sich „wie festgenagelt" fühlt und daß er sich „streckt" 
oder, wie wir jetzt sagen können, „wollüstig dehnt" in „vollständiger Ver- 
wirrung" aller Sinne. Die Verwirrung rührt natürlich ebenfalls daher, daß 
Schmerz und Lust sich aufs innigste vermischen. 

Die Verletzungen treffen den Sohn allemal von hinten. In der ersten 
Szene ist es „ein Stoß von hinten", der ihn bluten läßt, die Äpfel in der 
zweiten Szene treffen seinen Rücken, und der eine von ihnen bleibt sogar 
darin stecken. Dies deutet darauf hin, daß der Masochismus hier mit der 
analen Sphäre zu tun hat, was gut damit zusammenstimmt, daß die Ver- 
wandlung in das schmutzige Insekt eine Regression auf anale Fixierungen 
darstellt. Man könnte sich etwa denken, daß die Wirkungen einer vom 
Vater erlittenen Züchtigung (Schläge auf das Gesäß) in Verbindung ge- 
treten ist einerseits mit der vom Vater angedrohten Kastration, anderseits 
mit den Lustgefühlen, die mit der Defakation verbunden sind. Aus dem 
Zusammentreffen dieses Komplexes mit den Anregungen, die von einer 
Urszenenbeobachtung ausgegangen sind, mag sich als Resultante der Wunsch 
nach einer gewaltsamen Befruchtung durch den Vater in Form eines 
coitus per anum gebildet haben, ein Vorgang, dessen Bezeichnung durch die 
Apfelwurfszene dargestellt wird, wenn wir sie wie einen Rebus oder einen 
Kalauer auffassen. Unter Zuhilfenahme von Parallelen aus anderen Dich- 
tungen Kafkas (die wir zum Teil noch erörtern werden) können wir noch 






tranz Kafkas Inferno 



einen Schritt weitergehen und annehmen, daß auch das Steckenbleiben des 
Apfels im Rücken des „Insekts" die Erfüllung eines Wunsches bedeutet, 
nämlich, bei diesem Koitus den Penis des Vaters als Ersatz für den ver- 
lorenen eigenen zu gewinnen. 

Hiermit haben wir das in der kleinen Erzählung vorhandene Material 
soweit ausgeschöpft, wie es für die Zwecke der vorliegenden Arbeit erforderlich 
ist. Es erübrigt nur, die Beziehung zwischen ihr und dem Bericht des Affen 
herzustellen. Dazu wird uns eine Zeitangabe von Nutzen sein, die sich 
— hier wie dort — d. h. in beiden Dichtungen vorfindet. Im Affenbericht 
heißt es: „Nahezu fünf Jahre trennen mich vom Affentum . . ." (Bericht, 146.) 

Im Sinne der Deutung will dies besagen, daß seit dem Kastrationserlebnis 
fünf Jahre der Kompensationsarbeit vergangen sind, um K. zu der — wie 
gesagt recht unvollkommenen — Lösung zu führen, die durch den Beruf eines 
Varietekünstlers und die teilweise Mensch enhaftigkeit des Affen symbolisiert ist. 

Wir können es nicht als zufällig ansehen, daß auch in der Verwandlung 
ein Zeitraum von fünf Jahren vorkommt, und schließen daher, daß die 
beiden Zeiträume identisch sind. Die „fünf Jahre" der „Verwandlung" 
umfassen die Zeit von dem Zusammenbruch des väterlichen Geschäftes bis 
zu der Verwandlung Gregors, also eine Periode genitalen Aufschwunges. 
Demnach würde sich der Inhalt der „Verwandlung" dem Inhalt des Affen- 
berichtes anschließen; sofern man allein die aktuelle Gegenwart in diesen 
Erzählungen in Betracht zieht. Nimmt man auch auf die Vorgeschichten 
Rücksicht, so beginnt der Affen bericht ja mit der Kastration, die Ver- 
wandlung etwa kurz nach diesem Ereignis. Fünf Jahre der Entwicklung, 
die nun hier wie dort folgen, sind beiden Geschichten gemeinsam. In dieser 
Zeit erobert sich der Affe die Aufnahme in die Menschenwelt, Gregor 
wird das Oberhaupt der Familie. Während der Affenbericht an dieser Stelle 
abbricht, tritt in der „Verwandlung" jetzt die Katastrophe ein. Es ist so, 
als ob die im Bericht des Affen gefundene „Lösung" des Lehensproblems in 
der „Verwandlung" als „doch nicht tragbar" erkannt und verworfen würde. 

In der Strafkolonie 

Nach ihrem manifesten Inhalt schildert diese Erzählung das Strafsystem 
und die dazugehörige Hinrichtungsmaschine, die der „alte Kommandant 
der Strafkolonie nach eigenen Plänen dort einführte. Zu Beginn der Er- 
zählung ist der „alte Kommandant" schon tot; an seiner Stelle sitzt ein 
neuer Kommandant, der den Ideen des „Alten" abgeneigt ist, und unter 






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%4 



HellmutJi Ka 



dessen Führung das alte System seinem Ende entgegengeht, wie auch die 
Hinrichtungsmasehine, die es gewissermaßen verkörpert, langsam verfällt. 
Die Handlung besteht darin, daß ein Forschungsreisender, der Einladung 
des neuen Kommandanten folgend, das einsame Tal, in dem die Maschine 
steht, aufsucht, um sich bei Gelegenheit einer gerade stattfindenden Exekution 
von dem „Offizier", einem fanatischen Anhänger des alten Systems, die 
Maschine zeigen und ihren Gebrauch vorführen zu lassen. Der Offizier 
hofft, in dem Reisenden einen Parteigänger und Fürsprecher des alten 
Systems zu gewinnen, und tut alles, ihn für die Maschine und das Straf- 
verfahren einzunehmen. Das ablehnende Urteil des Reisenden besiegelt das 
Schicksal der Partei des alten Kommandanten. 

Das Vergehen des Verurteilten besteht in einer Tat der Auflehnung gegen- 
über seinem Vorgesetzten, einem Hauptmann. Es wird sehr flüchtig ab- 
getan, wie ja auch der Verurteilte selbst als ein „stumpfsinniger, hündisch- 
ergeben" dreinschauender Mensch, wenig Interesse beansprucht. 
Wir aber wollen uns gleich wohl für seine Tat interessieren: 
Der Hauptmann findet seinen Rurschen schlafend, während er der Dienst- 
ordnung nach wachen sollte, holt die Reitpeitsche und schlägt ihn übers 
Gesicht, Statt nun aufzustehen und um Verzeihung zu bitten, faßt der 
Mann seinen Herrn bei den Beinen, schüttelt ihn und ruft: 
„Wirf die Peitsche weg, oder ich fresse dich." (Strafkolonie, i 9 ) 
Der Vorgesetzte, also in diesem Falle der „Hauptmann", ist eine Vater- 
figur. Das Delikt bedeutet den uns aus der Verwandlung schon bekannten 
Versuch, den Vater zu überwältigen. Die Aufforderung, die Peitsche weg- 
zuwerfen, deutet auf eine Kastrationsabsicht. Die Androhung des Auffressens 
verrat den Wunsch, sich den Vater einzuverleiben (um dadurch zum Vater 
zu werden), eine Tendenz, die an die Bedeutung des Schnapstrinkens im 
Affenbericht erinnert. Die schon bei der Besprechung der Verwandlung 
angemerkte Doppelheit der Ziele des Ödipuskampfes mit dem Vater zeigt 
sich auch hier. Entweder der Vater soll die Peitsche wegwerfen, sich also 
selbst kastrieren und so zum unmännlichen (schmutzigen) Kinde werden, 
oder der Sohn wird zum Vater werden. (Durch Verschlingen des Vaters.) 
Aus der Verwandlung wissen wir nun schon, daß diese beiden Möglich- 
keiten untrennbar miteinander verknüpft sind, sozusagen das gleiche be- 
deuten. Die Alternative, die der Bursche dem Hauptmann stellt, ist also 
nur eine scheinbare, wie das in der Sprache des täglichen Lebens sehr häufig 
vorkommt und als Mittel einer vulgären Redekunst meistens eine Ver- 
spottung des Angeredeten bezweckt. 



Franz Kafkas Inferno a5 



Auf die Meldung des Hauptmanns von dem Vorfall — so erzählt der 
Offizier dem Reisenden — habe er, der Offizier, gleich das Urteil verfaßt, 
ohne den Burschen zu verhören oder ihm Gelegenheit zur Verteidigung 
2U geben, denn: 

„Der Grundsatz, nach dem ich entscheide, ist: Die Schuld ist immer zweifellos." 
(Str af koloni e , 18.) 

Die Strafe, die den Verurteilten erwartet, ist fürchterlich. Die „Maschine", 
die sinnreiche Erfindung des alten Kommandanten, schreibt, oder richtiger, 
sticht den Urteilsspruch dem Verurteilten mit Nadeln in die Haut, um ihn 
erst nach zwölfstündiger Qual zu töten. Zu dieser Hinrichtung muß der 
Verurteilte entkleidet werden. Dies geschieht so, daß der „Soldat" (der dem 
Offizier bei der Exekution assistiert) dem Verurteilten „mit einem Messer 
hinten Hemd und Hose durchschneidet". (Strafkolonie, 29.) Schon diese 
Art des Entkleiden s, die ja nicht zweckmäßiger ist als irgendeine andere, 
gibt der Strafe den Charakter des „Angriffes von hinten", wie er auch der 
Verwandlungsstrafe eigentümlich ist. 

Zur Exekution wird der Verurteilte auf ein mit Watte bedecktes Lager — 
im Volksmund „das Bett" geheißen — gelegt, und zwar bäuchlings, so daß 
die von oben her wirkenden Nadeln in die Rückseite des Körpers eindringen. 
Freilich erzählt der Offizier, daß die Maschine während der Exekution den 
Körper herumwälzt, so daß der ganze Körper des Delinquenten mit den 
Schriftzeichen und den Verzierungen des Urteils bedeckt wird. In der Dichtung 
selbst aber kommt es zu diesem Stadium der Exekution gar nicht; was un- 
mittelbar geschildert wird, ist immer nur die Bauchlage. Diese muß daher 
auch für unsere Deutung entscheidend sein. 

An der Maschine gibt es zwei Arten von Nadeln, lange und kurze. Sie 
stehen paarweise zusammen, jedesmal steht eine lange bei einer kurzen. 
Die lange Nadel dringt in den Körper ein; die kurze ist hohl und spritzt 
Wasser aus, um das Blut abzuwaschen. 

„Früher aber tropften die schreibenden Nadeln eine beizende Flüssigkeit aus, 
die heute nicht mehr verwendet werden darf. (Strafkolonie, 57.} 

An den Ecken des „Bettes" erheben sich vier Messingstangen; diese tragen 
den Zeichner, einen Kasten von der Größe des Bettes, in dem das „Räder- 
werk" deT Maschine untergebracht ist und in den die Zeichenvorlage ein- 
gelegt wird, die Form und Inhalt der Beschriftung bestimmt. 

An einem Stahlseil hängt vom Zeichner die „Egge" herab, eben jenes 
System von Nadeln, das den Körper des Verurteilten beschreibt. 



HellmutL Ko 



„Bett und Egge" zittern rhythmisch und genau abgemessen in feinster 
Bewegung, wodurch die Stiche und die aus den Stichwunden gebildete 
reichverzierte Schrift Zustandekommen. 

„Wenn der Mann auf dem Bett liegt und dieses ins Zittern gebracht ist 
wird die Egge auf den Körper gesenkt. Sie stellt sich von selbst so ein, daß 
sie nur knapp mit den Spitzen den Körper berührt; ist die Einstellung voll- 
zogen, strafft sich sofort das Stahlseil zu einer Stande." 

Die Ähnlichkeit des ganzen Vorganges mit einem Koitus springt in die 
Augen: Das zur Stange sich straffende Stahlseil deutet die Erektion an. 
Die Nadeln, die zugleich stechen und eine Flüssigkeit ausspritzen, stellen 
Penes dar. Die „beizende" Flüssigkeit, die die Nadeln früher austropften, 
dürfte Urin bedeuten, der seines Säuregehalts wegen wohl als „beizend* 
empfunden werden kann, so, wie er in dem Bericht des Affen und auch 
sonst bei Kafka durch den „scharfen, brennenden" Schnaps symbolisiert 
wird. Wenn gesagt wird, daß diese beizende Flüssigkeit früher gebraucht 
wurde, jetzt aber nicht mehr verwendet werden darf, so kann darin zum 
Ausdruck kommen, daß die Vorstellung, das Sexualsekret sei Urin, eine 
alte, kindliche Vorstellung ist, die zu einer Zeit, als die Strafphantasie 
noch modulationsfähig war, der wachsenden Einsicht zum Opfer fieL Das 
rhythmische Zittern des Bettes und der Egge ahmt die rhythmischen Be- 
wegungen der beiden koitierenden Partner nach. 

Wir haben hier als Strafe für die Auflehnung gegen den Vater eine 
Marterung, die die Züge eines mit grausamer Gewaltsamkeit ausgeführten 
coitus a tergo trägt, und befinden uns damit in guter Übereinstimmung 
mit der Deutung, die wir für die Apfelwurfsszene der Verwandlung fanden. 
Diese Übereinstimmung berechtigt uns zu der Vermutung, daß auch die 
Marterung der „Strafkolonie" ein Lustmoment enthält. Dafür finden wir 
auch die ein und andere Bestätigung im Text der Erzählung, obwohl hier 
wie in der „Verwandlung" gerade über den Lustcharakter der Strafe die 
dichtesten Schleier gebreitet sind: 

„Wie still wird dann aber der Mann um die sechste Stunde! Verstand geht 
dem Blödesten auf. Um die Augen beginnt es. Von hier aus verbreitet es sich. 
Ein Anblick, der einen verführen könnte, sich mit unter die Egge zu legen." 
(Strafkolonie, 36.) 

Und an einer anderen Stelle heißt es: 

„Wie nahmen wir alle den Ausdruck der Verklärung von dem gemarterten 
Gesicht ..." (Strafkolonie, 38.) 

Und da, wo von der mißglückten Marterung des Offiziers selbst die Rede ist : 



~r rr*— 



Franz Kafkas Inferno 27 



„Kein Zeichen der versprochenen Erlösung war zu entdecken. Was alle 
andern in der Maschine gefunden hatten, der Offizier fand es nicht ..." (Straf- 
kolonie, 65.) 

Wir sagten schon, daß die Hinrichtung als ein Vom -Vater-koitiert -Werden 
aufzufassen sei. Aber genau wie in der „Verwandlung die Apfelwurfsszene 
erst das Ende eines Entwicklungsverlaufes innerhalb der Regressionsphase 
darstellt, und erst durch Reaktivierung der Kastrationserlebnisse und anderer 
Triebumwandlungen (Speise- Ekel, Kot- Lust) die komplexe, aus analen und 
masochistischen Strebungen, aus einer homosexuellen Identifizierung mit 
der Mutter und einem Verlangen nach dem väterlichen Penis zusammen- 
gewobene Libidoorganisation zustandekommt, die das Genießen der in der 
Apfelwurfsszene gebotenen Lust ermöglicht, so durchläuft auch in der Straf- 
kolonie die Libidogestaltung des Verurteilten einige Phasen, ehe die Möglich- 
keit zu dem orgastischen Erlebnis der Hinrichtung erreicht wird. 

Wenn der Verurteilte auf das „Bett" geschnallt wird, dringt ihm ein 
Filzstumpf in den Mund. 

„Er hat den Zweck, am Schreien und am Zerbeißen der Zunge zu 
hindern" (Strafkolonie, 12), wie der Offizier in seinen einleitenden Erläute- 
rungen bemerkt. Nachher, wenn die Exekution an dem Verurteilten wirklich 
vorgenommen wird, verursacht dieser Filz eine Störung, Da er infolge der 
Vernachlässigung der Maschine, die sich der neue Kommandant zuschulden 
kommen läßt, lange nicht erneuert worden ist, so ruft er bei dem Ver- 
urteilten einen unwiderstehlichen Brechreiz hervor. 

„Wie kann man ohne Ekel diesen Pilz in den Mund nehmen, an dem mehr 
als hundert Männer im Sterben gesaugt und gebissen haben." (Strafkolonie, 34.) 

Wir betrachten nun wieder den normalen Exekutionsverlauf, wie er sich, 
wenn kein Zwischenfall eintritt, vollziehen soll: 

„Nach zwei Stunden wird der Filz entfernt, denn der Mann hat keine 
Kraft zum Schreien mehr. Hier, in diesen elektrisch geheizten Napf am Kopf- 
ende wird warmer Reisbrei gelegt, aus dem der Mann, wenn er Lust hat, 
nehmen kann, was er mit der Zunge erhascht. Keiner versäumt die Gelegen- 
heit . . . Erst um die sechste Stunde verliert er das Vergnügen am Essen . . . 
Der Mann schluckt den letzten Bissen selten, er dreht ihn nur im Munde 
und speit ihn in die Grube. Ich muß mich dann bücken, sonst fahrt es mir 
ins Gesicht." (Strafkolonie, 37.) 

Wenn wir uns über die Bedeutung dieser oralen Zeremonien klar zu 
werden suchen, so fällt uns zunächst der Reisbrei als die typische Kinder- 
speise ins Auge, an dem sich der Verurteilte eine Zeitlang (von der zweiten 



aß HelWtt K* 



bis zur sechsten Stunde) erquickt. Da wir die ganzen Vorgange in die Kinder- 
zeit zu verlegen haben, bedeutet der Reisbrei die normale Nahrung, und 
das Verlangen nach dem Reisbrei die normale Eßlust. Diese normale Eß- 
lust erleidet nun um die sechste Stunde (das sechste Lebensjahr?) eine 
Störung, und zwar dadurch, daß das Kind mit dem Essen im Munde 
spielt; das bedeutet, daß die Funktion der Nahrungsaufnahme erotisiert 
worden ist und ihrem eigentlichen Zweck dadurch entfremdet. Dieser 
neue Lustgewinn läßt sich nicht lange ausbeuten; dann wird diese Be- 
tätigung von einem inneren Verbot des „Ich" getroffen und die' Kaulust 
oder Zungenspiellust verwandelt sich in Ekel: Der Bissen wird ausgespieen 
und die Lustgewinnung geht von der oralen Zone auf die anale über' 
denn nun setzt ja die orgastische Verklärung und Erlösung ein, bei der 
der Verurteilte den Urteilsspruch - mit Hilfe seiner Wunden - zu ent- 
ziffern beginnt. Daß zu diesem Erkenntnis Orgasmus aber auch die der 
oralen Zone angehörige Libido einen Beitrag liefert, werden wir später 
zu zeigen versuchen. 

Welche ältere libidinöse Strebung ist es nun, die sich an die Stelle der 
normalen Eßlust setzt und sich unter der Wirkung der Zensur in Ekel 
verwandelt? - Vermutlich war diese Strebung schon einmal, nämlich in 
ihrer primären Form verdrängt und durch Ekel abgelöst und hat dann 
die Gelegenheit des Essens benutzt, um wieder für eine Weile als Lust- 
quelle manifest zu werden. Nun ruft die Aufnahme des abgenutzten Filz- 
stumpfes beim Verurteilten Erbrechen, also Ekel hervor, so daß wir auch 
hier die Spuren einer verdrängten oralen Lust gefunden haben. Nehmen 
wir diese Tatsache mit dem Umstand zusammen, daß bei der ordnungs- 
gemäßen Exekution der Mund des Delinquenten zunächst zwei Stunden 
lang durch den Filz ausgefüllt wird - um den Verurteilten am Schreien 
zu verhindern! - und daß dann der Filz entfernt und durch den Reis- 
brei ersetzt wird, so werden wir in dem Filz die mütterliche Brustwarze 
erkennen, die ja auch das Schreien des Kindes „verhindert", und in dem 
Spiel mit dem Essen (Herumdrehen des Bissens) eine Reaktivierung der 
Sauglust. Das Saugen an der Mutterbrust (zwei Zeiteinheiten), darauf das 
Essen von Reisbrei (vier Zeiteinheiten), dies stellt ziemlich genau ein Stück 
der Entwicklung der oralen Sphäre in der Kindheit dar. Die dann auf- 
tretende Eßstöruug (Spielen mit dem Bissen, Ausspeien des Bissens, Auf- 
hören mit Essen) und der Übergang zur analen Lust (wie wir der 
Kürze halber sagen wollen) ist durch Andeutungen der Erzählung selbst 
nicht weiter motiviert. Wir müssen annehmen, daß ein Fortschritt in der 



Frans Kafkas Inferno 29 



Triebentwicklung — vielleicht in Richtung auf das Anale — auch auf 
die Munderotik Einfluß nimmt, den Vorgang des Essens umdeutet, ihn 
dadurch zensurwidrig macht und ihn so dem Verbot des Ich anheimfallen 
läßt. Dies ist die Deutung des normalen Verlaufes der Exekution, die uns 
ein Stück der frühesten Libidoentwicklung K.s in schattenhaften Umrissen 
zeigt. Die Besonderheiten bei der Exekution des verurteilten Burschen 
scheinen uns eine im ganzen zeitlich spätere Stufenfolge anzudeuten, die 
eine modifizierte Wiederholung der durch die normale Exekution symboli- 
sierten früheren Entwicklung darstellen dürfte. 

Beim Festschnallen der rechten Hand des Burschen reißt dem Soldaten 
der Riemen. Darauf folgt eine Klage des Offiziers über die Vernach- 
lässigung, mit der die Maschine behandelt wird, und hierauf die Ein- 
führung des Filzes und das Erbrechen des Verurteilten, worauf sich der 
Offizier wiederum beklagt, und zwar diesmal über die Weichherzigkeit des 
neuen Kommandanten, der sich nicht dazu verstehen will, den Verurteilten 
den letzten Tag über fasten zu lassen, und es gestattet, daß seine Damen 
dem Verurteilten „den Hals mit Zuckersachen vollstopfen". 

„Riemen" ist ein vulgärer Ausdruck für den Penis. Das Abreißen des 
Riemens deutet die Kastration an. Da der Riemen bestimmt war, die 
rechte Hand zu „fesseln", und die als Ersatz gewählte Kette „die Zart- 
heit der Schwingung für den rechten Arm beeinträchtigt*, können wir 
uns vorstellen, daß die Kastrationsdrohung ein Onanieverbot war. Als Ent- 
schädigung für die versagte Onanie wurde das Saugen — vielleicht als 
Daumenlutschen — reaktiviert. (Die Hand ist ja nun nicht mehr durch 
den Penis „unten" gefesselt.) Bei einer solchen Verschiebung der Libido 
von unten nach oben ist es wohl nie etwas rein Quantitatives, was ver- 
schoben wird. Etwas von dem qualitativen Wesen des Penis geht auf den 
Daumen über oder gegebenenfalls auf die Brustwarze der Mutter, die ja 
auch durch den Lutschdaumen repräsentiert wird. 

Handelte es sich nur darum, den Ekel vor dem Filz zu erklären, so 
wären wir schon fertig: Die von der Onanie auf eine Saugphantasie ver- 
schobene Libido stößt auf die bei der Entwöhnung gebildete Saugtrieb- 
abwehr und wird dadurch in Ekel verwandelt. Schwierigkeiten macht der 
Hinweis auf die „mehr als hundert" Männer, die an dem Filz vorher ge- 
saugt und gebissen haben. Man könnte hier an die Eifersucht auf jüngere 
Geschwister denken, die von der Mutter genährt werden. Von solcher 
Eifersucht finden wir bei Kafka sonst nirgends eine Andeutung und meinen 
darum, diese Deutung aufgeben zu müssen. Dagegen dürfen wir nach 



Mellm-utn Kaiser 



unserer obigen Bemerkung hinsichtlich der Übertragung des Penischarakters 
auf das Objekt der Sauglust uns vorstellen, daß ein Saugen an einem 
„mütterlichen Penis* phantasiert wird. In der Erzählung „Ein Landarzt" 
finden wir Andeutungen der — ja sehr häufigen — infantilen Sexual- 
theorie, nach der die Vagina der Frau dadurch zustande kommt, daß der 
Mann den Penis der Frau abbeißt. Wenn wir daran denken, daß wir uns 
bei diesen oralen Strebungen in der phallischen Phase K.s befinden (Onanie 
und Kastrationsdrohung!), so gelingt es uns nun, in dem Hinweis auf 
die „hundert Männer" eine Eifersucht auf den Vater zu erkennen, der 
den Penis der Mutter abgebissen hat — „hundertmal ehe K. ihn hätte 
abbeißen können". 

Der Ekel vor dem Filz entspringt, wie wir jetzt sehen, nicht sowohl 
einer verdrängten Sauglust als vielmehr einer verdrängten Beißlust; dies 
findet eine Bestätigung darin, daß der Filz ja nicht nur „am Schreien" 
sondern auch „am Zerbeißen der Zunge" hindern soll. Dieses „Hindern" 
besorgt der Filz natürlich auf mechanischem Wege; aber zugleich auch 
auf einem psychologischen. Die Beißlust, die ohne den Filz die Zunge zum 
Objekt genommen hatte, kann sich jetzt an dem Filz austoben und darum 
die Zunge verschonen. Auf „das Zerbeißen der Zunge" werden wir später 
noch in einem anderen Zusammenhang zurückkommen. Jetzt wollen wir 
uns die Frage vorlegen, ob wir aus dieser Aufklärung über den Grund 
des Ekels, den der Verurteilte vor dem Filz empfindet, auch Nutzen ziehen 
können für das Verständnis des Speiseekels, der den Verurteilten veranlaßt, 
den letzten Bissen auszuspeien. Wir waren aber über das in diesem Speise- 
ekel liegende Problem hinweggegangen, indem wir die sehr allgemein 
gehaltene Vermutung aussprachen, irgendeine Triebwandlung werde zu einer 
Umdeutung des Essens in eine — verbotene — Form der Lustgewinnung 
geführt haben. Jetzt können wir die spezieBere Vermutung wagen, daß 
die Eßstörung auf einer auftauchenden Beißlust und auf deren Verdrängung 
beruht. Der letzte Bissen wird nicht hinuntergeschluckt sondern ausgespieen, 
und der Offizier muß sich ducken, damit es ihm nicht ins Gesicht fliegt] 
Hieraus kann man erkennen, daß in dem Essen ein aggressiver Impuls 
erlebt wird, der gegen den Vater gerichtet ist. (Denn für den Verurteilten 
ist der strafende Offizier eine Vaterfigur.) So wird auch durch den Ekel 
vor dem Filz ein Erbrechen hervorgerufen, in dem der Verurteilte die 
Maschine, d. h. den väterlichen Genitalapparat verunreinigt. Wir dürfen 
nun schließen, daß der aggressive Impuls gegen den Vater und die Beißlust 
identisch sind, so daß wir von einem Antrieb, den Vater zu beißen, sprechen 






Frans Kafkas Inferno 



können. Dieser Antrieb ist uns ja schon bekannt als die Reaktion des Ver- 
urteilten auf die Peitschenschläge des Hauptmanns, wo der Verurteilte aus- 
ruft: „Wirf die Peitsche weg, oder ich fresse Dich!" Hier, beim Hin- 
richtungsakt, wird der Beißtrieb zweimal geweckt, einmal durch das Ein- 
dringen des Filzes, das wir wegen seines zeitlichen Verhältnisses zum Reis- 
breiessen mit der Ernährung an der Mutterbrust in Verbindung bringen 
durften, das zweitemal durch den Fortschritt der Marterung, wodurch 
natürlich feindselige Impulse gegen den Vater aktiviert werden. 1 Wir finden 
hier eine Bestätigung für unsere Erklärung des Zusammenhangs zwischen 
Männlichkeitserwerb und Schnapstrinken im Bericht des Affen. In dem 
Schnapstrinken vereinigt sich wie hier beim Filzekel die Vorstellung des 
Saugens und Trinkens mit der einer Aggression, und zwar einer oralen 
Aggression gegen den Vater, genauer: gegen den väterlichen Penis. 

Nach diesen Betrachtungen müssen wir sagen, daß der in der „Straf- 
kolonie" agierende Sadismus zu einem großen Teil oraler Natur ist, während 
der Sadismus, der in der „Verwandlung" zum Ausdruck kommt, im wesent- 
lichen anale Züge zeigt. Genau besehen, konnten wir freilich in der „Straf- 
kolonie" einen oralen Sadismus nur auf seilen des „Sohnes" nachweisen — 
und das ist auffällig. 

Im Unbewußten herrscht mit größter Strenge das Gesetz der Talion, 
nach dem die Strafe dem Verbrechen gleichartig sein muß. In der „Ver- 
wandlung" war dies Gesetz erfüllt. Wirtschaftlicher Aufschwung des Sohnes 
und wirtschaftlicher Niedergang des Vaters werden durch das umgekehrte 
Verhältnis gesühnt; dem früheren Schmutzigwerden des Vaters entspricht 
als Strafe ein Unreinwerden des Sohnes. Die anale Mißhandlung in der 
Apfelwurfsszene ist eine „Heimzahlung" des „Geldes , das der Sohn den 
Eltern gezahlt hatte. (Geld = Kot.) Der Verfügung des Sohnes über die 
Schwester steht eine entgegengesetzte Verfügung der Eltern über die Schwester 
gegenüber. Was entspricht nun in der „Strafkolonie" der oralen Aggression 
des rebellierenden S »hnes ? Nun, wir können die Maschine auch als ein 
beißendes Werkzeug auffassen, das den lebenden Bissen herumwälzt, ihn 
mit Speichel benetzt und zerkaut, um ihn schließlich zu verschlingen, 
d. h. in die bei der Maschine befindliche Grube zu werfen, „wo er auf 
das Blutwasser und die Watte niederklatscht". (Strafkolonie, 29.) Dabei hat 
die Grube nicht etwa den Magen sondern wohl die Abortgrube zu repräsen- 
tieren, dafür spricht ihr ausgesprochen schmutziger Charakter. Diese zweite 

1) Wir vermuten, daß die hier besprochenen Zusammenhänge auch ein Licht auf 
die heute noch bestehende Sitte der sogenannten „Henkersmahlzeit" werfen. 



3a Hellmuth Kaiäer 



Deutung der Hinrichtungsmaschine steht natürlich nicht im Widerspruch 
mit der zuerst gegebenen, wonach sie den väterlichen Genitalapparat dar- 
stellt. Die beiden Deutungen überlagern sich vielmehr, und sie treffen sich 
in der Rolle, die das Anale in beiden Deutungen spielt. Bei der ersten 
Deutung dringt der Penis des Vaters von hinten in den Körper des Sohnes 
ein und übt eine Reizung aus, deren Lustbestandteil wir der analen, durch 
den Kotreiz ausgelösten Lust vergleichen konnten, in der zweiten Deutung 
wird der Sohn vom Vater verschlungen und wie ein Kotballen ausgestoßen 
und in die schmutzige Grube geworfen. Das Anale tritt hier also in zwei 
Erscheinungen auf: Einmal in der durch einen Kotpenis (wie wir der Kürze 
halber sagen wollen) bewirkten Lustempfindung, das andere Mal durch das 
„Ganz-und-gar-Kot-Werden der Sohnesfigur. Beide Erscheinungsformen des 
Analen treten auch in der „Verwandlung" auf. Die erste im Apfel wurf, 

die zweite in dem Ganz-und-gar-zum-schmutzigen-{braunen)-Insekt-Werden 
des Sohnes. 

Es ist wichtig, daß wir das Gemeinsame in diesen Dichtungen lebhaft 
herausfühlen, um die Unterschiede zwischen ihnen und die Entwicklung, 
durch die sie bedingt sind, um so deutlicher empfinden zu können. Das 
Gemeinsame liegt im Stofflichen. Wir wollen es, so gut es geht, benennen, 
und bezeichnen es als „Hingabe an die Bestrafung der Ödipustat". Der 
Unterschiede sind mehrere, und wir müssen sie einzeln betrachten und 
auf ihre Bedeutung prüfen. 

Der auffallendste Unterschied ist vielleicht der, daß es in der „Verwandlung" 
offensichtlich die Hauptperson der Erzählung, der „Held" der Geschichte 
ist, der die Ödipustat vollzieht und die darauf folgende Strafe erduldet, 
während in der „Strafkolonie" der sich gegen die Vatergewalt des Vorgesetzten 
auflehnende Rebell ein armer, tierisch-dumpfer, stumpfsinniger Mensch 
ist, der in der Geschichte eine äußerst nebensächliche Rolle spielt. 

Durch diese Personenverteilung — aber auch durch die Ausführlichkeit. 
oder besser Nicht- Ausführlichkeit der Darstellung — kommt in der Straf- 
kolonie" die Auflehnungsphase gegenüber der Bestrafungsphase gewaltig zu 
kurz. Verglichen mit dem entsprechenden Verhältnis in der „Verwandlung", 
und dies als Ausgangspunkt betrachtet, hat hier eine sehr deutliche Akzent- 
verschiebung zugunsten der Bestrafung stattgefunden. 

Dies zeigt sich auch in der psychologischen Motivierung, der „Auflehnung*. 
Während in dem Affenbericht das Wiederaufleben nach dem Kastrations- 
schock, durch das hier die Auflehnungsphase repräsentiert wird, ein sinn- 
voll-planmäßiges Ringen um den Eintritt in die Menschheit ist, wobei aber 



Frans Kafkas Inferno 33 



der Kampf mir gegen die eigene Affennatur geführt wird, und eine nach 
außen gewandte Aggressivität allein in der unbetonten Bemerkung über 
das Äffischwerden eines Lehrers schattenhaft in Erscheinung tritt, kollidiert 
in der „Verwandlung" das „Erwachsen werden" des Sohnes ganz offensichtlich 
mit dem Interesse des Vaters, wobei freilich die bewußte Absicht des Sohnes 
eine friedliche, ja sogar liebevolle bleibt; in der „Strafkolonie" endlich stellt 
die Auflehnung einen primitiven, unüberlegten und von vornherein zur Er- 
folglosigkeit verurteilten „Ausbruch" dar, wobei die der Vatergestalt geltenden 
Haß ge fühle deutlich sichtbar werden. Nur die moralische Integrität der 
Sohnesfigur bleibt auch hier gewahrt. Die Insubordination des Burschen 
gegenüber dem Hauptmann ist so geschildert, daß das Rechtsgefühl des 
Lesers sich auf die Seite des Burschen stellen muß, wenn auch der „Offizier" 
die Tat bedingungslos verdammt. 

Was die Auflehnung verliert, gewinnt die Strafe. In dem Affenbericht 
ist sie kaum als solche erkennbar: „Ich beklage mich nicht, bin aber 
auch nicht zufrieden." (Bericht, 186.) Das ist alles, was sich in dem 
Bericht an Hindeutungen auf ein dem Aufstieg des Affen folgendes „Arges" 
finden läßt. — In der „Verwandlung besteht die Strafe in einer alle Existenz- 
bedingungen des Sohnes umstürzenden und ihn dem Tod in die Arme 
treibenden Katastrophe und in körperlichen, das Kastrationserlebnis reaktivieren- 
den Mißhandlungen durch den Vater. Überdies steckt in dem durch diese 
Mißhandlungen bereiteten Schmerz auch eine Lust, die aber nur zaghaft 
angedeutet und schwer hinter den Verhüllungen zu erkennen ist. 

Einen völlig anderen Aspekt gewinnt die Strafe in der „Strafkolonie". 
Zunächst fällt es auf, daß ihr Zusammenhang mit der Straftat erheblich 
gelockert ist. Denn die Straftat ist ja ein herzlich unbedeutender Einzelfall, 
der nur erwähnt wird, weil er ein — wie es scheinen will — zufälliger 
Anlaß oder Vorwand für die Strafe ist. Die Strafe aber, wie die begeisterten 
Worte des Offiziers sie uns schildern, ist kein Einzelfall, sondern ein System, 
eine Institution, Sie erscheint uns als eine lange, unüberblickbare Reihe 
von Exekutionen, vollzogen an gleichgültigen, namenlosen „Opfern" für 
unbekannte, mit keinem Wort erwähnte Taten, so daß keine Teilnahme für 
das Individuum unsere Aufmerksamkeit ablenkt von der Würdigung des 
Scharfsinnes, des Ernstes und der liebevollen Mühegabe, die an die Exe- 
kutionen gewendet werden. 

Wir ahnen schon, daß an dieser Akzentuierung der Strafe in der „Straf- 
kolonie" der Umstand schuld hat, daß hier das in der Strafe liegende Lust- 
moment eine viel größere Rolle spielt als etwa in der „Verwandlung". Diese 

Kaiser: Kafkas Inferno , 



£>4 Hellmuth. K :u.s 



Tatsache hat zwei Folgen, die beide ihren Grund darin haben, daß der 
masochistische, aus einer homosexuellen Einstellung zum Vater geschöpfte 
Lustgewinn natürlich dem männlichen Selbstbewußtsein K.s besonders zu- 
wider ist. Die eine Folge besteht in der Übertragung der Leidensrolle von 
dem K. unmittelbar vertretenden Offizier auf eine Nebenperson (den Ver- 
urteilten). Der Offizier genießt die analmasochistische Lust des Verurteilten — 
oder vielmehr der vielen Verurteilten, die er hinrichtet — zwar auch selbst, 
aber doch nur durch die Einfühlung und Identifizierung, wie sie der Zu- 
schauer vollzieht. Man kann sich vorstellen, daß die Entwicklung K.s von 
einem Stadium masochistischer Phantasien infolge eines von der Zensur 
ausgeübten Druckes zu einem Stadium führte, in dem diese Phantasien 
durch sadistische ersetzt werden mußten. Daß diese Entwicklung keine 
eigentliche Überwindung der masochistischen Triebgestaltung im Sinne einer 
Lockerung der die ursprünglichen sadistischen Antriebe niederhaltenden Ver- 
drängung ist, sondern selbst ein Verdrängungsprodukt, geht aus der Stellung 
des Offiziers zu der Vatergestalt des alten Kommandanten hervor. Gegenüber 
dem alten Kommandanten empfindet der Offizier nichts als Liebe und ehr- 
furchtsvolle Bewunderung. Keine Spur einer rivalisierenden, rebellischen 
Tendenz, wie sie dem Ödipuskomplex angehören würde, ist hier zu finden. 
Der ganze Vaterhaß K.s ist aus der Seele des Offiziers herausgelöst auf die unbe- 
deutende und kulturlose Gestalt des Delinquenten übertragen und so isoliert. 
Die zweite Folge des Anwachsens der anal-masochisti sehen Lust und der 
dadurch wachgerufenen herberen Kritik der höheren Instanzen ist die Ent- 
persönlichung der Strafe. Die „Strafe" ist eigentlich erst hier — in der 
„Strafkolonie" — zu einer „Strafe" im juristischen Sinne geworden. In 
der „Verwandlung" war sie noch als ein väterlicher Racheakt dargestellt, 
soweit sie nicht als eine freiwillige Büß etat des Sohnes erschien oder ai 
eine Vergeltung des Schicksals. An die Stelle des individuellen Vaters ist 
hier die durch den Tod entrückte und verklärte, schon legendär gewordene 
Persönlichkeit des alten Kommandanten getreten, einer Amtsperson, also 
einer von höheren Stellen eingesetzten Autorität, die nicht einen indivi- 
duellen Familienkonflikt auf gut bürgerliche Manier mit Rohrstock und 
Polterstimme austrägt, sondern ein Gesetz schafft, „ein System", eine Öffent- 
lich-rechtliche Institution, einen Brauch, einen Kult. Der Schauplatz der 
von ihm eingeführten bluttriefenden Zeremonien ist nicht mehr die gute 
Stube einer Kaufmannsfamilie, sondern ein weites, sandiges Tal in der Welt- 
ferne der Strafkolonie, unter dessen freiem Himmel sich eine zahlreiche, 
andächtige Zuschauerschaft versammelt. 



s 



Franz Kafkas Inferno 35 



„Wie war die Exekution in früherer Zeit! Schon einen Tag vor der Hin- 
richtung war das ganze Tal von Menschen überfüllt; alle kamen nur, um zu 
sehen; früh am Morgen erschien der Kommandant mit seinen Damen; Fan- 
faren weckten den ganzen Lagerplatz; . . . kein hoher Beamter durfte fehlen. 
. . . Vor hunderten Augen — alle Zuschauer standen auf den Fußspitzen bis 
dort zu den Anhöhen — wurde der Verurteilte vom Kommandanten selbst 
unter die Egge gelegt." (Strafkolonie, 56.) 

Diese Ausweitung des seelischen Raumes, in dem die Strafe vollzogen 
wird, eine Ausweitung, die das Erlebnis eines einzelnen umbildet zu dem 
Ritual einer sozialen Gemeinschaft, müssen wir als eine Art Sublimierung 
der ursprünglichen Triebe bezeichnen. Diese Form der Sublimierung ist 
aber nicht die einzige, die hier vollzogen wird. Auch innerlich — wenn 
wir hier so sagen dürfen — erfährt das Leidenserlebnis eine Umwandlung. 
Bezeichnend für diese Umwandlung ist der Gebrauch zweier Worte, die 
die seelische Wirkung der Strafe auf den Verurteilten schildern. Es sind 
die Worte „Erlösung" und „Verklärung". 

Hier eröffnet sich der analytischen Betrachtung ein reiches Material an 
Einzelheiten und Beziehungen, dessen Erörterung wir aber — aus dar- 
stellerischen Gründen — noch zurückstellen müssen. Wir hatten bisher 
unsere Erläuterungen im wesentlichen nach dem Zusammenhang orientiert, 
in dem die Erzählung von der „Strafkolonie" mit der „Verwandlung" und 
dem „Bericht des Affen steht. Das Fundament unserer psychologischen 
Interpretation bildete die Triebkonstellation, die sich aus dem schroffen, 
durch den Kastrationsschock ausgelösten Zusammenbruch des Ödipuskom- 
plexes ergab. Wir konnten dann noch vermutungsweise zwei Entwicklungs- 
phasen unterscheiden. Die eine stellte eine Art künstlicher Restaurierung 
der Genitalitat dar (Menschwerdung des Affen), wobei älteres, verdrängtes 
Triebmaterial (im wesentlichen der oralen Phase entstammend) mit den 
Resten der genitalen Organisation eine neue — freilich nicht sehr trag- 
fähige — Verbindung einging. Die andere Phase erwies sich als eine um- 
fangreiche Regression auf die anale Stufe (Verwandlung), wobei sich vor- 
übergehend (später nämlich von den Selbstmordtendenzen überdeckt) die 
Spur einer anal-masochistisch-homosexuellen Libidoorganisation zeigte. In 
der Erzählung von der „Strafkolonie" fanden wir eine Art Fortentwick- 
lung dieser letztgenannten Organisation, die hier durch starke orale Züge 
erweitert und kompliziert erscheint. 

Damit haben wir uns aber erst der einen Seite der psychischen Phäno- 
mene K.s bemächtigt. In allen unseren bisherigen Erörterungen handelte 
es sich immer nur um solche Triebregungen, die dem „Es" angehören. 

3* 



• 









3b Hellmuth Kaiser 



Die Sphäre der Ich-näheren Triebe haben wir zwar überall da gestreift 
wo von Verdrängungen, von zensurierenden Instanzen und dem Begriff der 
Bewußtseinsfähigkeit die Rede war. Aber wir haben sie eben auch nur 
gestreift, sie als ein undifferenziertes Ganzes summarisch und eben nur als 
das die Triebbefriedigung einschränkende „Etwas" abgetan. Dies Verfahren 
mochte bei der Besprechung des „Berichts für eine Akademie" und der 
„Verwandlung" zur Not genügen, bei der Erzählung von der „Strafkolonie" 
reicht es nicht aus, da hier Ichtriebe eine äußerst markante Rolle spielen. 
Sie sind es nämlich, die den Gang der Handlung, sozusagen das dynamische 
Moment der Erzählung wesentlich bestimmen. 

Es ist daher an der Zeit, die Betrachtung der Ausgangssituation zu unter- 
brechen, um den Gesamtverlauf der Erzählung und damit eben die be- 
wußtseinsnäheren Phänomene, die sich darin ausdrücken, ins Auge zu fassen. 
Danach erst werden wir die spezielle Betrachtung der Es -Triebe und ihrer 
Sublimierungen fortsetzen. 

Der Reisende ist von dem Kommandanten, dem „neuen", eingeladen 
worden, der Exekution beizuwohnen. Der Offizier äußert sich über diese 
Einladung folgendermaßen : 

„Ich war gestern in der Nähe, als der Kommandant Sie einlud. Ich hörte 
die Einladung, ich kenne den Kommandanten. Ich verstand sofort, was er mit 
der Einladung bezweckte. Trotzdem seine Macht groß genug wäre, gegen mich 
einzuschreiten, wagt er es noch nicht. Wohl aber will er mich Ihrem, dem 
Urteil eines angesehenen Fremden aussetzen. Seine Berechnung ist sorgfältig 
Sie sind in europäischen Anschauungen befangen ..." (Strafkolonie, 40.) 

So spricht der Offizier, während der Verurteilte schon angeschnallt auf 
dem „Bett" liegt, und fährt dann mit der Erörterung eines Planes fort, 
der darin besteht, in öffentlicher Sitzung den Reisenden zur Frage der 
Exekutionen zu Wort kommen zu lassen und durch sein Eintreten für das 
alte Strafsystem dieses wieder zu Ansehen und Geltung zu bringen. Nach- 
dem der Offizier dem Reisenden, in unerhört eindringlicher Weise, alle 
möglichen Eventualitäten vorsorgend, den Entwurf ihres gemeinsamen Vor- 
gehens unterbreitet hat, indem er zuletzt seine Stimme zu einer lauten Be- 
schwörung erhebt, heißt es weiter: 

„Die Antwort, die er zu geben hatte, war für den Reisenden von aUem 
Anfang an zweifellos; er hatte in seinem Leben zu viel erfahren, als daß et 
hier hätte schwanken können; er war im Grunde ehrlich und hatte keine Furcht. 
Trotzdem zögerte er jetzt im Anblick des Soldaten und des Verurteilten einen 
Atemzug lang. Schließlich aber sagte er wie er mußte: ,Nein!' Der Offizier 



1 



Frans Kafkas Inferno 



blinzelte mehrmals mit den Augen, ließ aber keinen Blick von ihm. ,Wollen 
Sie eine Erklärung?' fragte der Reisende. Der Offizier nickte stumm. ,Ich bin 
ein Gegner des Verfahrens', sagte nun der Reisende, ,noch ehe Sie mich ins 
Vertrauen zogen — dieses Vertrauen werde ich natürlich unter keinen Umständen 
mißbrauchen — habe ich schon überlegt, ob ich berechtigt wäre, gegen dieses 
Verfahren einzuschreiten und ob mein Einschreiten auch nur eine kleine Aus- 
sicht auf Erfolg haben könnte . . . Ehre ehrliche Überzeugung geht mir nahe, 
wenn sie mich auch nicht beirren kann.' " (Strafkolonie, 50.) 

Wir haben diese Stelle mit solcher Ausführlichkeit zitiert, um, so gut 
als möglich, auch den Lesern, die die Erzählung Kafkas nicht zur Hand 
haben, das im Vergleich zu dem Benehmen des Offiziers ganz auffällig 
leidenschaftslose, kühl - sachliche Verhalten des Reisenden nahezubringen. 
Der Reisende wird von beiden Parteien als Richter, als Unparteiischer, an- 
gerufen, und er ist für diese Rolle wirklich wie geschaffen. Auch die 
Deutung muß diese Eigenschaft der Sachlichkeit und Nüchternheit als 
maßgebendes Kennzeichen verwerten. Nüchtern und sachlich aber sind nicht 
die Affekte, sondern Verstand und Vernunft. Der Dialog, in dem die Er- 
zählung im wesentlichen verläuft, das Ringen des Offiziers um die Teil- 
nahme und Zustimmung des Reisenden ist also der Kampf einer Trieb - 
konstellation gegen die Macht vernünftiger Einsicht. Aber mit dieser 
Formulierung haben wir schon der Erzählung Gewalt angetan, denn der 
Kampf geht ja eigentlich zwischen der Partei des alten und der des neuen 
Kommandanten, und der Reisende ist so wenig aktiv, so zurückhaltend und 
maßvoll, daß wir ihn und die psychische Instanz, die er vertritt, kaum als 
„Gegner", als Mitkämpfer, sondern eben nur — wie wir es oben taten 
als „Richter" bezeichnen dürfen. Diese Tatbestände zwingen uns eine Formu- 
lierung auf, die auch psychologisch bedeutsam ist. Vernunft und Verstand 
sind überhaupt keine Kräfte, die unmittelbar einen Trieb einzuschränken 
vermöchten. Ein Trieb kann immer nur von einem Trieb bekämpft werden. 
Und Einsicht hat für sich allein überhaupt keine bewegende Gewalt. Sie 
ist nur ein Vermögen, das anderweit vorhandene Mengen von Triebenergie 
auslösen und hinsichtlich ihrer Zielrichtung bestimmen kann. Diesem Sach- 
verhalt trägt die Kafkasche Erzählung in erstaunlich getreuer Weise Rech- 
nung. Die Stimme des Reisenden braucht in der Sitzung, auf der nach dem 
Plane des Offiziers der neue Kommandant bekehrt und geaemütigt werden 
soll, nicht zu „brüllen" — es genügt, wenn sie ihr Urteil „flüstert". Und 
da dieses Urteil denn, dem wirklichen Gang der Ereignisse nach, zu Un- 
gunsten des alten Straf Systems ausfällt, ist gar keine weitere Aktion des 
Reisenden vonnöten, als daß dieses Urteil eben ausgesprochen wird — so- 



3ö Hcllmutli Jva 



gleich ändert der Offizier seine Haltung: Er gibt den Verurteilten frei und 
legt sich selbst unter die Maschine. 

Die Kraft, die sich dem über das Grab hinaus wirksamen Willen des 
alten Kommandanten entgegenstellt, ist also nicht der Reisende — sondern 
eigentlich und genau gesprochen — der neue Kommandant, der ja den. 
Reisenden zum Resuch des einsamen Tales, wo die Richtstätte liegt, ver- 
anlaßt hat. Um nun unsere Deutung zu vervollständigen, müssen wir uns 
überlegen, welchem psychischen Tatbestand denn der neue Kommandant 
und seine Partei entspricht. 

Zunächst müssen wir die Tatsache hinnehmen, daß der neue Kommandant 
der Nachfolger des alten Kommandanten und somit die von oben eingesetzte 
Autorität und die mächtigste Persönlichkeit der Insel ist, auf der die Straf- 
kolonie liegt. Den alten Kommandanten hatten wir als eine VaterTmago 
gedeutet, wir werden daher versuchen müssen, auch den neuen als eine 
VaterTmago — nur als eine neue, das heißt jüngere zu verstehen. Die Vor- 
stellung vom Wesen des Vaters, wie sie der K.schen Imagination des alten 
Kommandanten zugrunde liegt, entspricht natürlich nur einem bestimmten, 
engbegrenzten Lebensalter K.s. Wie auch immer der wahre Vater K.s be- 
schaffen gewesen sein mag, dem Bilde des alten Kommandanten, dem 
Erfinder jener teuflischen Foltermaschine, konnte er nicht gleichsehen. 
Nun brauchte freilich der Widerspruch zwischen den beiden Vaterbildern, 
dem neuen, verhältnismäßig wirklichkeitsgerechten und dem alten, zum 
sadistischen Schreckbild verzerrten, nicht immer in Erscheinung zu treten. 
Die alte Vater -Imago war von K. mitsamt der masochistischen Befriedigungs- 
phantasie, der sie entsprach, sicher tief verdrängt worden und stand wie 
alles Verdrängte unter hermetischem Abschluß von allen anderen und neueren 
Bewußtseinsinhalten. Wir können und müssen aber annehmen, daß diese 
Verdrängung nicht auf die Dauer voll wirksam war (sonst wäre ja schon 
die Erzählung von der „Strafkolonie" nie geschrieben worden) und daß mit 
der Zeit die Erkenntnis der Wirklichkeit — das heißt hier „des wirklichen 
Vaters mit jener alten Phantasie in Berührung und damit auch in Konflikt 
kam. Der wirkliche Vater war vergleichsweise human, milde, nachsichtig, 
gerecht und damit untauglich, den an das alte Vaterbild anknüpfenden, ver- 
drängten Wunschphantasien eine Entladung zur Realität hin zu verschaffen. 
Er mußte vielmehr dem ganzen sado-masochistischen Komplex, wo immer 
er sich dem Bewußtwerden nähern wollte, als eine Art lebenden Beweises 
seiner Absurdität entgegentreten. Eine Szene wird uns hier lebendig, eine 
Szene aus der Kindheit K.s, die, ohne selbst auf historische Wirklichkeit 



Frans Kafkas Intenio ->9 



Anspruch machen zu können, — dazu reicht das Material, aus dem wir 
sie rekonstruieren, nicht aus — doch das, was wir meinen, zutreffend ver- 
anschaulichen mag. Wir erinnern uns, daß der Offizier versucht hatte, die 
Verurteilten vor der Exekution einen Fasttag durchmachen zu lassen, damit 
der durch den Filzstumpf hervorgerufene Brechreiz nicht zu einer Be- 
schmutzung der Maschine führen könne. Der neue Kommandant aber hatte 
davon nichts wissen wollen und seinen Damen erlaubt, dem Verurteilten 
den Hals mit Zuckersachen vollzustopfen. Wir stellen uns nun den acht- 
jährigen K. vor, wie er beim Mittagessen im elterlichen Hause vor dem 
Genuß des Fleischgerichtes von einem unerträglichen Speiseekel überfallen 
wird. Da er sich weigert zu essen, wird er als schlimmes, ungezogenes 
Kind vom Tisch geschickt und muß fasten. Dies Fasten aber ist ihm will- 
kommen; denn es dient ihm als Selbstbestrafung für die unbewußten und 
auch nicht mehr bewußtseinsfähigen Wünsche, die ihm bei der Vorstellung 
des Fleischgenusses aufsteigen und sein Gewissen belasten. Er hat — wenn 
auch unbewußt — den Vater fressen wollen; deswegen quält ihn ein rätsel- 
haftes Schuldgefühl, und diese Qual wird erst durch die Wohltat einer Strafe, 
eines Leidens gemildert. Wenn der, der fressen wollte, was nicht gefressen 
werden durfte, hungern muß, dann und nur dann geschieht „Gerechtigkeit", 
empfindet der kleine K., und es ist eine Enttäuschung für ihn, daß der 
Vater der Mutter oder einem weichherzigen Dienstboten erlaubt, ihm „den 
Hals mit Zuckersachen vollzustopfen". Aber trotz der Sehnsucht nach einer 
Stillung des Schuldgefühls, trotz des Wunsches zu leiden, und neben diesen 
Strebungen ist natürlich auch der Wunsch nach den „Zuckersachen", nach 
Liebe und Güte in der Seele des Knaben K. vorhanden und dieser Wunsch 
gibt „dem neuen Kommandanten" über die bloße Existenz hinaus auch ein 
Stück Macht, der es ihm ermöglicht, dem Strafkodex und der Hinrichtungs- 
maschine des alten Kommandanten Abbruch zu tun. 

Die Humanität des neuen Kommandanten zeigt sich aber auch in einem 
positiven Bestreben. Dieses — es ist nur eines — gilt den Hafenbauten. (Straf- 
kolonie, 47.) Hafenbauten können ja nur den Zweck haben, den Verkehr der 
Strafkolonie mit der übrigen Welt zu erleichtern. Im Sinne der Deutung zeigt 
sich hier ein Verlangen, die Inselexistenz des verdrängten, an die masochisti- 
schen Phantasien gebundenen Partial-Ichs zu sprengen und es in Verkehr mit 
den übrigen Gebieten der Seele zu bringen, es der Gesamtpersönlichkeit ein- 
zugliedern, wodurch denn ein Wesen entstünde, das seinerseits nun wieder 
aus der Isolierung des Neurotikers herauszutreten vermöchte und den An- 
schluß an die Welt, an die anderen, an die soziale Gemeinschaft fände. 



4° Hcllmuti Kaiser 



Die Partei des „neuen Kommandanten" verspricht also — im Sinne der 
Deutung geredet — dem Ich einen Zuwachs an Geschlossenheit und eine 
Annäherung an humane, soziale Ideale und stellt somit einen Triebkomplex 
dar, der sozusagen im Zentrum des „Ich" liegt. Aber natürlich sind diesen 
Strebungen auch solche angegliedert, die, ohne Ich-widrig zu sein doch 
zum Ich peripherer liegen. Der Offizier empfiehlt dem Reisenden, in der 
Sitzung die Hände „für alle sichtbar" hinzulegen, ,. . . sonst fassen sie die 
Damen und spielen mit den Fingern . . .• (Strafkolonie, 48.) Diese Warnung 
des Offiziers zeigt, daß unter dem Schutz des neuen Kommandanten erotische 
Beziehungen zur Frau, die unter dem Regime des alten unterdrückt wurden 
zum Vorschein kommen dürfen. 

Mit den eben gegebenen Erläuterungen glauben wir aber die Bedeutung 
des neuen Kommandanten noch nicht völlig ausgeschöpft zu haben Wir 
können an dem eigentümlichen Umstand nicht vorübergehen, daß der neue 
Kommandant - der doch nun einmal vom Standpunkt schlicht-realistischer 
Betrachtungsweise aus - die absolut mächtigste Persönlichkeit der Insel 
ist, bei seiner Bekämpfung des überkommenen Strafsystems gar zu leise- 
treterisch verfährt. Statt einfach die Fortsetzung der Exekutionen zu ver- 
bieten, verhalt er sich passiv abwartend und mildert nur in Kleinigkeiten 
das grausame Zeremoniell. (Verbot der Anwendung der ätzenden Flüssigkeit 
und Verbot des Fastens.) Statt die Maschine zerschlagen zu lassen, beschränkt 
er nur die Mittel zu ihrer Erhaltung, so daß sie langsam zerfällt Seine 
Gestalt ist auffällig blaß. Das Positive, was von ihm gesagt wird, daß er 
sich für Hafenbauten interessiert, ist nicht stark ge „ U g, zu irgendeiner 
anschaulichen Darstellung seiner Tätigkeit und ihrer Erfolge zu führen 
Wahrend wir von der Hinrichtungsmaschine jede Einzelheit deutlich vor 
Augen sehen, erblicken wir von den Hafenbauten nichts. Es ist, als seien 
die Hafenbauten nicht Mittel des Weltverkehres, sondern bedeuteten den 
Hafen der Ruhe, in dem jede Bewegung endet. 

Die Frage, ob es Todestriebe gibt, soll hier nicht diskutiert, geschweige 
denn in diesem oder jenem Sinne entschieden werden. Wir haben hier nur 
auf die Tatsache hinzuweisen, daß in dem neuen Kommandanten, diesem 
Vertreter der Ich-nahen Strebungen K.s, eine Tendenz nach Ausgleich 
Entspannung und Zerfall merkbar wird, die jedenfalls einigen der Tat- 
bestande verwandt ist, um derentwillen Freud den Begriff der Todestriebe 
einführte. 

Wir kommen nun zu dem „Ereignis", von dem die Geschichte erzählt. 
Das Ereignis besteht — wie wir schon früher sagten — in dem Zusammen- 



Kafkas Inferno jf 1 



bruch des alten Straf Systems. Es vollzieht sich in zwei Phasen, von denen 
die erste sich beim Beginn der Erzählung schon im Lauf befindet, während 
die zweite ganz in die Gegenwart der Dichtung hineinfällt. Unter der ersten 
Phase verstehen wir die Gesamtheit der Auswirkungen der passiv-ablehnen- 
den Haltung, die der neue Kommandant gegenüber dem alten Strafverfahren 
einnimmt, unter der zweiten die durch das Urteil des Reisenden bewirkte 
Selbstaufgabe des Offiziers. Psychologisch gesehen handelt es sich bei jener 
um einen Widerstand, der sich gegen die anal-sadistische Libidoorganisation 
erhebt, bei dieser um etwas, was wir nur als eine Auflösung, eine Zersetzung 
dieser Organisation bezeichnen können. In der ersten Phase gerät die Wunsch- 
phantasie in Konflikt mit der Realität (Vatergestalt des neuen Kommandanten !), 
in der zweiten mit der Kritik einer vernünftigen, ethischen Überzeugung. 

Das psychologisch bemerkenswerteste Detail der ersten Phase ist das vom 
Offizier lebhaft geschilderte Abflauen des öffentlichen Interesses an der Exe- 
kution. Während früher die Zuschauer sich drängten, ist jetzt der Offizier 
der einzige, der mit liebe und Begeisterung der Hinrichtung beiwohnt. 
Ein Haufen von Rohrsesseln am Rande der Grube bildet ein kümmerliches 
Denkmal der einstigen Volksstimmung. Für unsere Deutung heißt dies, 
daß der Untergang der Strafphantasie damit begann, daß K. das Eigen- 
brötlerische, Asoziale in ihr empfinden lernte. Die hinzuphantasierten, 
begeisterten Zuschauer — die natürlich einer Komponente von passiver 
Schaulust (vgl. Artistenberuf des „gewesenen" Affen) ihr Dasein verdankten, 
erfüllten zugleich die Funktion, der ganzen Handlung die soziale Sanktion 
zu verleihen, das Schuldgefühl durch Teilung der Verantwortung zu mildern. 
Erlaubt es die erwachende Realitätserkenntnis nicht mehr, eine solche 
Phantasie für das Wunschziel vieler oder aller Artgenossen (z, B. Alters- 
genossen) zu halten, so ist ihr Fortbestehen äußerst gefährdet, da nun die 
ganze Verantwortung für den Inhalt der Phantasie von dem „Träumer selbst 
getragen werden muß. 1 Das dadurch sich anstaunende Schuldgefühl bereitet 
natürlich die zweite Phase, die der Kritik und Zersetzung vor. 

Diese zweite Phase wollen wir nun an Hand des Textes unserer Erzählung 
genauer studieren. 

i) Ein von zwei Brüdern in ihrem sechsten bis zwölften Lebensjahr ausgesponnener 
gemeinsamer Tagtraum, worin sie eine Unterwelt imaginierten, in der sie Herrscher- 
stellungen einnahmen, behandelte jahrelang im wesentlichen Staatsaktionen und soziale 
Institutionen des Unterweltreiches, an denen die ganze Bevölkerung teil hatte. Ihr 
Ende fanden diese Träumereien erst, nachdem die Ereignisse, die sich die Träumer 
erzählten, immer mehr den Charakter privater Erlebnisse der beiden „Helden" an- 
genommen hatten. 



T 3 Hellmuth Kaiser 



Nachdem der Reisende sein Urteil abgegeben hat, sagt der Offizier: „Dann 
ist es also Zeit", läßt den Verurteilten frei und schickt sich an, sich selbst 
unter die Maschine zu legen. — Die innere Stellungnahme des Offiziers zu 
der Entscheidung des Reisenden ist nicht leicht zu bestimmen. Keinesfalls 
dürfen wir annehmen, daß er durch den Reisenden überzeugt worden sei: 

„Das Verfahren hat Sie also nicht überzeugt", sagte er für sich und lächelte 
wie em Alter über den Unsinn eines Kindes lächelt und hinter dem Lächeln 
sein eigenes, wirkliches Nachdenken behält." (Strafkolonie, 52.) 

Wie eine grundsätzliche Änderung seines Standpunktes mutet es freilich 
an, wenn er die für den „Verurteilten« bestimmte, in den Zeichner ein- 
gelegte Schablone mit dem Urteilsspruch „Ehre deine Vorgesetzten" für 
den Zweck seiner eigenen Hinrichtung austauscht gegen eine Schablone 
deren Text lautet: „Sei gerecht!« Zweifellos hat das Wort „gerecht" i n 
diesem Imperativ einen gründlich anderen Sinn als das Wort „Gerechtig- 
keit , wenn der Offizier, von seinen früheren Exekutionen erzählend, saet- 
„Hier geschieht Gerechtigkeit.« Die Gerechtigkeit, die den andern Delin- 
quenten zuteil wurde, ist ein religiös -mystisches Erlebnis und hat mehr 
mit „gra.ua zu tun als mit „iustitia", während in dem Urteil, das der 
Offizier sich selbst zuerkennt, der humane Begriff der Billigkeit, der demo- 
kratischen Gleichheit, gemeint sein dürfte. 3 

Einer solch „billigen, humanen« Gesinnung schlägt es dagegen wieder 
ms Gesicht, wenn der Offizier sich ihre Formel in der alten mystisch- 
sadistischen Weise ins Fleisch stechen will - ein Verfahren, dem freilich 
auch der Reisende Folgerichtigkeit ausdrücklich zubilligen muß. Wir können 
über diese Gegensätzlichkeiten nicht mehr sagen, als daß wohl auch hier 
die bekannte Wiederkehr des Verdrängten im Verdrängenden stattfindet. Bei 
dem Abbau der alten Strafphantasie scheint sogar durch die Marterung des 
Utnziers eme - allerdings nur von uns vermutete - frühere und durch 
em Weniger an Verdrängung charakterisierte Stufe wieder erreicht zu 
werden, bei der nämlich die Phantasie noch unmittelbar masochistischen 
Charakter trug und noch nicht die Ersetzung des Leidens durch das ein- 
fühlende Zuschauen beim Leiden anderer ihr einen „sadistischen" Aspekt 
verliehen hatte. 

In der Tat trägt der in den nun folgenden Geschehnissen ausgedrückte 
psychische Prozeß auch sonst das Gepräge eines Abbaues, einer Rück- 

1) Im umgekehrten Sinn ist es wohl wieder aufzufassen, daß nur der Offizier 
dagegen nicht der Reisende den Urteilsspruch „Sei gerecht!« entziffern kann. 



Frans Kafkas Inferno ^3 



Verwandlung psychischer Bildungen, wie wir sogleich im einzelnen sehen 
werden . 

Nachdem der Offizier das Blatt mit dem Urteil: „Sei gerecht" in den 
Zeichner eingelegt und diesen darauf eingestellt hat, entkleidet er sich. 
Er tut es umständlich und sorgfältig. Einzelne Kleidungsstücke werden 
erwähnt und zum Schluß heißt es ausdrücklich: „Nun stand er nackt da." 
(Strafkolonie, 58.) Die Uniform mit ihrem metallisch-glänzenden Schmuck 
dient neben anderem der Eitelkeit, und diese ist ein narzißtisch orientierter 
Abkömmling der passiven Schaulust. Wenn der Offizier sich nun entkleidet, 
so macht er diese Entwicklung wieder rückgängig. Die Freude am Hübsch- 
und-adrett- gekl ei det-Sein zerlegt sich in die ästhetische Wertung des Uniform- 
schmuckes, wie sie in seiner sorglichen und zärtlichen Behandlung der 
Monturstücke während des Entkleidens zum Ausdruck kommt, und in die 
kindliche Lust am Sich-(nackt-)zur-Schau-Stellen. 

Zu der pfleglichen Behandlung der eigenen Kleidung liefert natürlich 
auch das Beinlichkeitsbedürfnis einen Beitrag, ein Bedürfnis, das aus dem 
Überwiegen der einen Seite des ambivalenten Verhaltens zum Schmutz 
resultiert. Bei der Entkleidung des Offiziers zeigt sich auch hier ein Aus- 
einanderfallen der Libidoorganisation. Sobald er ein Stück seiner Kleidung 
mit Sorgfalt ausgezogen und zurechtgeschüttelt hat, wirft er es mit einem 
unwilligen Ruck in die Grube. Es ist, als ob sich aus seinem Ordnungs- 
sinn die ursprüngliche anale Komponente der Schmutzfreudigkeit heraus- 
gelöst hätte. 1 

Nun legt sich der Offizier auf das Bett; er wird von dem Soldaten und dem 
Verurteilten festgeschnallt und von selbst beginnt die Maschine zu arbeiten. 

Jetzt aber tritt eine Störung ein: 

„Langsam hob sich der Deckel des Zeichners und klappte dann vollständig 
auf. Die Zacken eines Zahnrades zeigten und hoben sich, bald erschien das 
ganze Rad, es war, als presse irgendeine große Macht den Zeichner zusammen, 
so daß für dieses Rad kein Platz mehr übrig blieb, das Rad drehte sich bis 
zum Rand des Zeichners, fiel hinunter, kollerte aufrecht ein Stück im Sand 
und blieb dann Hegen. Aber schon stieg ein anderes auf, ihm folgten viele, 
große, kleine und kaum zu unterscheidende, mit allen geschah dasselbe, immer 
glaubte man, nun müsse der Zeichner jedenfalls schon entleert sein, da erschien 
eine neue, besonders zahlreiche Gruppe, stieg auf, fiel hinunter, kollerte im 
Sand und legte sich ... die Maschine ging offenbar in Trümmer ..." (Straf- 
kolonie, 62.) 

1) Wir erinnern daran, daß auch in der „Verwandlung" die Uniform (des Vaters) 
und Schmutz polar entgegengesetzte Symbole sind. 



44 Hellmuth Kaiser 



Erinnern wir uns daran, daß wir den Hinrichtungsakt als einen Koitus 
auffaßten. Wir betrachteten den Delinquenten samt dem „Bett", das ihm 
die rhythmischen Schwingungen erteilt, als den passiven Partner. Der aktive 
wird durch die übrigen Teile der Maschine, das heißt durch den auf seinen 
vier Messingstangen wie auf vier Extremitäten ruhenden Zeichner symboli- 
siert, in dessen Mitte die Egge, einem Penis gleich, an ihrem Stahlseil 
herunterhängt. Der Zeichner ist also der Leib des aktiven Partners. Was 
aber durch gewaltsame Pressung in unregelmäßigen Gruppen und in zahl- 
reichen rundlichen Gebilden aus dem Leibe herausgedrückt wird, ist der 
Kot. Es liegt also nahe, den im Texte geschilderten Vorgang als eine Kot- 
entleerung aufzufassen. Tun wir dies, so zeigt sich auch hier der Zerfall 
der komplizierten Libidoorganisation in ihre ursprünglichen Komponenten. 
Die grausame Vernichtung, die die Maschine leistet (insbesondere in der 
oral-analen Auffassung ihres Mechanismus) wird hier durch die primitivste, 
ursprünglichste Form analer Vernichtung: die Kotentleerung, dargestellt. 

Das Räderwerk ist der subtilste Teil der Maschine. In ihm verkörpert 
sich ihre Genauigkeit, ihre wahrhaft unerhörte Präzision, durch die allein 
das Zusammenwirken in den Bewegungen der Egge und des Bettes er- 
möglicht wird. Auch in der „Genauigkeit" steckt bekanntlich eine Fort- 
bildung analer Antriebe, so daß die Umwandlung des Räderwerkes in Kot 
eine Rückentwicklung sublimierter analer Strebungen bedeutet. 

Wir würden jedoch der Bedeutung dieses ausführlich geschilderten, merk- 
würdigen Zerfallphänomens nicht gerecht werden, wenn wir es nicht noch 
einem weiteren Sinnzusammenhang einreihten. Sehen wir uns die Folgen 
dieser Entleerung des Zeichners an, so finden wir sie in der Wirkung der 
Maschine deutlich ausgeprägt: 

„Die Egge schrieb nicht, sie stach nur, und das Bett wälzte den Körper 
nicht, sondern hob ihn nur zitternd in die Nadeln hinein ... das war ja 
keine Folter, wie sie der Offizier erreichen wollte, das war un- 
mittelbarer Mord." (Strafkolonie, 63.) 

und weiter: 

„Es (das Gesicht der Leiche des Offiziers) war, wie es im Leben gewesen 
war: Kein Zeichen der versprochenen Erlösung war zu entdecken; was alle 
anderen in der Maschine gefunden hatten, der Offizier fand es nicht. . ." (Straf- 
kolonie, 65,) 

Offenbar ist das, was der Offizier in der Maschine nicht findet, was alle 
seine Vorgänger gefunden hatten, und was er selber dort sucht, — Lust. 
Die Maschine kann jetzt nach der Beschädigung, die sie erlitten hat, nur 



Frans Kafkas Inlc 



<5 



noch töten aber nicht mehr beglücken. Wir müssen suchen, uns dies ver- 
ständlich zu machen. Die Wirkungsweise der Maschine faßten wir als einen 
coitus per anum auf, als eine „von hinten erfolgende" Befruchtung durch 
den Vater, wie wir in Analogie zu der Apfel wurfsszene der „Verwandlung" 
sagen konnten. Das in den Körper des Delinquenten eindringende Instru- 
ment, die Egge mit ihren Nadeln, war ein Modell des väterlichen Penis. 
Daß das Eindringen des väterlichen Penis in den anus als lustvolles Erlebnis 
phantasiert und ersehnt wird, geht bekanntlich auf folgende einzelne, in 
ihren Auswirkungen aber sich unauflöslich durchdringende Tatbestände zurück : 

1) Eine mechanische Reizung der Darmschleimhaut, zum Beispiel durch 
zurückgehaltene Kotmassen wird (oder wurde) als lustvoll empfunden. 

2) Es besteht der Wunsch, an die Stelle der Mutter zu treten und vom 
Vater gewaltsam etwas angetan zu bekommen. 

3) Es besteht der Wunsch, den Penis des Vaters (als Ersatz für den ver- 
lorenen eigenen) zu erhalten. 

4) Es besteht die infantile Theorie: Einen Penis kann man durch eine 
Defäkation erzeugen: der Penis ist eine Kotstange, 

Durch diese Aufstellung wollen wir daran erinnern, daß die in der 
Hinrichtungsphantasie erlebte Lust durchaus komplexer Natur ist und eine 
nicht zu unterschätzende genitale oder, noch genauer, phallische Komponente 
enthält. Die von K. dort einmal erreichte phallische Position ist durch die 
Regression nicht völlig vernichtet worden. Ja gerade in der Erscheinungs- 
form der durch die regredierende Libido reaktivierten, infantileren Strebun- 
gen zeigen sich sehr merkbare Spuren der zerstörten phallischen Organisation. 
So bedeutet das Schnapstrinken des Affen zwar eine Wiederbelebung der 
Sauglust der oralen Phase, aber die Flasche ist nicht — oder nicht nur — 
ein Abbild der mütterlichen Warze, sondern auch und vorwiegend ein Symbol 
des väterlichen Penis, der verschlungen und so durch Einverleibung zum 
eigenen (Ersatz-) Penis gemacht werden soll. Das Endziel des Schnapstrinkens 
ist nicht Befriedigung einer Sauglust, sondern die Gewinnung phallischer 
Lust. Diese Triebgestaltung einmal vorausgesetzt, erhält das Herausquellen 
der Zahnräder des Zeichners und die dadurch angedeutete Kotentleerung 
einen neuen Sinn. Da nämlich die Folge dieses Ereignisses in dem Aus- 
bleiben der sonst bei der Marterung zu gewinnenden Lust besteht, können 
wir annehmen, daß das eigentliche Lustinstrument, der Penis, an dem auch 
die anal angeregte Lust im wesentlichen empfunden wird, bei jenem Er- 
eignis zugrunde geht: Der aus Kot gebildete Penis wird in Kot zurück- 
verwandelt und ausgestoßen. Dabei geht die Lust, die einer komplizierteren, 



I — ^1 

J 






46 Hellmutli Ka 



eine phallische Komponente enthaltenden Libidoorganisation entspricht, ver- 
loren — aber die rein anale Ausstoßungslust kommt zustande, ein Sach- 
verhalt, der sich darin ausdrückt, daß der höher organisierte Offizier nicht 
gefoltert (lustvoll gereizt), sondern nur getötet wird, während der primitive 
Verurteilte von den herausquellenden „Zahnrädern" „völlig entzückt" ist. 

Überhaupt werden die beiden primitiven Nebenfiguren, der Soldat und 
der Verurteilte, jetzt zum Schluß besonders lebendig und treiben allerlei 
kindlichen Scherz; so dreht sich der Verurteilte in seiner hinten zerfetzten 
Kleidung vor dem Soldaten im Kreise herum, und beide raufen sich um 
ein paar Taschentücher, die der Verurteilte von den Damen geschenkt be- 
kommen hatte. Es ist so, als ob durch die Zerstörung und kritische Auf- 
lösung der kombinierten Wunschphantasie primitive Partialtriebe frei ge- 
worden wären. 

Es ist natürlich nur konsequent, daß die zerstörte Maschine dem Offizier 
nicht wie den früheren Verurteilten zur Erkenntnis und zum Verständnis 
seines Urteilsspruchs verhelfen kann. Trotzdem glauben wir, daß in der 
Schilderung des Toten: 

«... die Lippen waren fest zusammengedrückt, die Augen waren offen 
hatten den Ausdruck des Lebens, der Blick war ruhig und überzeugt, durch 
die Stirn ging die Spitze des großen eisernen Stachels ..." (Strafkolonie, 65.) 
neben der Vernichtung der „Erlösungskraft" der Maschine, auch gerade 
das Gegenteil, nämlich die Unzerstörbarkeit des alten Systems zum Ausdruck 
kommt. — Etwas bleibt von jeder psychischen Bildung erhalten. 

Nach dem Tode des Offiziers begibt sich der Beisende in die Kolonie; 
der Soldat zeigt ihm im Teehaus unter einem Tisch das Grab und den 
Grabstein des alten Kommandanten. Er liest unter dem Lächeln der Arbeiter, 
die dort herumsitzen, die Aufschrift des Steines mit der Prophezeiung von 
der Wiederkehr des Alten und verläßt das Haus, um sich an den Hafen 
zu begeben. Den Soldaten und den Verurteilten, die sich in das Boot, das 
zum Dampfer übersetzt, hineindrängen wollen, wehrt er mit einem Tau- 
ende ab. Und das Boot löst sich vom Ufer. 

Auf die Bedeutung dieses Wenigen, was nach dem Tode des Offiziers 
noch geschieht, wollen wir später eingehen. Wir wenden uns jetzt wieder 
zu der Ausgangssituation der Strafphantasie zurück, deren Auflösung wir 
soeben studiert haben, mit der Absicht, die darin verwobenen „Sublimierungen* 
genauer zu betrachten. 

Das Urteil wird dem Verurteilten nicht verkündet, sondern die Strafe 
besteht darin, daß er gezwungen wird, den Urteilsspruch, den ihm die Maschine 



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in die Haut gestochen hat, mit seinen Wunden zu entziffern. — Dieser 
Vorgang — wir müssen ihn einen Erkenntnisprozeß nennen — beginnt am 
die sechste Stunde und währt bis zum Tode des Mannes, das heißt bis zur 
zwölften. Um die gleiche Zeit, zu der der Verurteilte zu erkennen beginnt, 
verliert er die Lust am Essen. Wir hatten oben die Vermutung ausgesprochen, 
daß infolge der Marterung und der dadurch hervorgerufenen aggressiven 
Impulse gegen die Obrigkeit, das bei der Nahrungsaufnahme betätigte Kauen 
und Beißen eine Bedeutungsverschiebung, eine Erotisierung erfährt, so daß 
der Impuls zu einer oralen Aggression gegen den Vater auftritt. Der gegen 
diese Aggression gerichtete Verdrängungsdruck bringt mit der Beißlust auch 
die Eßlust zum Verschwinden, die libidinöse Besetzung der oralen Funktionen 
verwandelt sich in Ekel und der Bissen wird ausgespieen (worin sich dann wieder 
ein Stück Aggression gegen die Vatergestalt äußert). — Wir haben mit 
dieser Erläuterung aber wohl nur den Verbleib eines Teils der oralen Libido 
getroffen. Der Umstand, daß das Essen von der Erkenntnis abgelöst wird, 
läßt an eine Libido -Verschiebung zwischen diesen beiden Funktionen denken, 
dergestalt, daß das Erkennen einer „ sublim ierten" Beiß- und Verschlinglust 
gleichzusetzen wäre. 

Ein solcher Zusammenhang ist ja der analytischen Psychologie wohl 
bekannt, — er besteht bei allen Menschen. 1 Unsere Aufgabe ist es, die 
spezielle Natur dieses Zusammenhanges bei K. zu untersuchen. 

Eine Stelle aus den Tagebüchern Kafkas vermag uns hier einen Fingerzeig 
zu geben. Es heißt da: 

„Beim Diktieren einer größeren Anzeige bleibe ich stecken . . . Endlich 
habe ich das Wort „brandmarken" und den dazugehörigen Satz, halte aber 
alles noch im Mund mit einem Ekel und Schamgefühl, wie wenn es rohes 
Fleisch, aus mir geschnittenes Fleisch wäre (solche Mühe hat es mich gekostet). 
Endlich sage ich es, behalte aber den großen Schrecken, daß zu einer dich- 
terischen Arbeit alles in mir bereit ist und eine solche Arbeit eine himmlische 
Auflösung und ein wirkliches Lebendigwerden für mich wäre, während ich 



1) Ein paar geläufige bildliche Ausdrücke 
Denken gleich Beißen: 

Eine harte Nuß iu knacken geben. 

Sich an einer Aufgabe die Zähne ausbeißen. 

Schärfe des Verstandes. 

Messer der Logik. 

Schneidende Dialektik. 

Jemandem etwas vorkauen. 

Sich auf etwas abkauen. 

(aus dem reiterlichen Sprachgebrauch.) 



der Volkssprache mögen als Belege dienen : 
Erkennen gleich Verschlingen: 

Ein Buch verschlingen. 

An den Brüsten der Weisheit trinken. 

Geistige Nahrung. 

Erkenntni s qu eile . 

Habt ihr's gefressen? 

(militärisch: gleich: „habt ihr's ver- 
standen?") 

Etwas nicht verdauen können. 



\ 















1 

1 






48 HeUmutk K a 



hier im Büro um eines so elenden Aktenstückes willen einen solchen Glückes 
fähigen Körper um ein Stück seines Fleisches berauben muß." 

Wir müssen zunächst auf den Unterschied aufmerksam machen, der 
zwischen der Situation des Verurteilten und der Situation Kafkas in jeuer 
Tagebuchstelle besteht. Der Verurteilte soll einen ihm — wenn man so 
sagen darf — vorgelegten Gedanken verstehen, Kafka soll einen Gedanken 
produzieren. Man wird daher das, was sich aus der Betrachtung der Tage- 
buchstelle ergibt, nicht ohne weiteres auf die Situation der „Strafkolonie" 
übertragen dürfen. 

In der Tagebuchstelle zeigt sich deutlich, daß für Kafka das Ausdenken 
eines Gedankens und seine Formulierung Akte sind, die mit dem Beißen 
zu tun haben, und zwar mit einem Zerbeißen des eigenen Körpers. Die 
Vorstellung einer solchen Verwandtschaft zwischen dem „Erkennen" und 
dem „Etwas-vom-eigenen-Körper-Lostrennen" ist nicht ganz so absurd, wie 
sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Als das wesentliche Merkmal der 
Erkenntnis, das sie beispielsweise von der bloßen Reizempfindung unter- 
scheidet, betrachten wir ihr „Bezugnehmen" auf ein vom Ich verschiedenes 
Etwas, den Gegenstand. Nehmen wir — was naheliegt — an, daß in der 
Entwicklung des Kindes der Wahmehmungserkenntnis von Sehdingen die 
Empfindung von Lichtreizen vorausgeht, so müssen wir den kritischen Punkt, 
in dem „Erkenntnis" auftritt, an der Zeitstelle suchen, wo zuerst der Licht- 
reiz, der bisher als Qualität schlechthin erlebt wurde und sozusagen ganz 
in das Ich hineinfiel, nun teilweise als „Nicht-zum-Ich- Gehörig" gewertet 
wird. Genau gesagt: Der Gegenstand — und natürlich auch das Ich — 
entstehen durch einen Schnitt, der den bisher unterschiedslosen Stoff der 
Empfindung in Objekt und Subjekt zerlegt. — I n ganz analoger Weise 
bedeutet die gedankliche wie die künstlerische „Darstellung" des Erlebens 
em Abtrennen gewisser Lebensinhalte vom Ich. 

Nun zurück zu K.I In der Szene, die das Tagebuch beschreibt, sucht 
er das Wort „brandmarken". Es ist verständlich, daß er es nicht leicht 
findet. Denn dies Wort bezeichnet ja eine Körperverletzung, eine schimpf- 
liche, entehrende, und er selbst ist gerade dabei, eine ebenso entehrende 
und schimpfliche Körperverletzung an sich selbst zu vollziehen. Worin be- 
steht hier das Schimpfliche? Dem K.schen Texte nach in dem Mißbrauch 
des Produktionsprozesses für die „elenden" Zwecke der Büroarbeit. In 
Wirklichkeit wird durch die Ausdrücke „Ekel" und „Schamgefühl" eine 
andere Motivierung nähergelegt. Das Schamgefühl deutet auf eine der 
bewußten Kritik mißliebige, also schimpfliche Entblößungslust, die eben 






Frans Kafkas Inferno 



49 



wegen ihrer Zensur Widrigkeit nicht voll zum Durchbruch kommen kann. 
Was K. zu zeigen wünscht, ist natürlich das, was er eine Weile scham- 
haft zurückhält: das abgebissene rohe Stück Fleisch in seinem Munde. 
Soweit ist die Situation verständlich. Wie aber kommt das Stück Fleisch 
in seinen Mund, dieses Stück seines eigenen Körpers? Die uns bei K. schon 
bekannte Beiß- und Verschlingungslust kann für sich allein noch nicht ver- 
ständlich machen, warum es gerade der eigene Körper ist, gegen den sie 
sich richtet. Wir nehmen daher an, daß diese oralen Strebungen hier in 
den Dienst einer Selbstbetraf ungstendenz getreten sind. Das „Delikt" werden 
wir in eben der Strebung zu suchen haben, die sich auch nach der Be- 
strafung noch regt : in der Exhibitionslust. Wir haben bisher von dem männ- 
lichen Exhibitionsdrang, den Penis zur Schau zu stellen, noch nie etwas bei 
K. entdeckt, es zeigte sich vielmehr immer nur der weibliche, der auf die 
Zurschaustellung des ganzen Körpers abzielt. (Varieteberuf des Affen, Ent- 
blößung des Offiziers, Zuschauer bei der Hinrichtung.) Dieser männliche 
Exhibitionismus ist offenbar bei K. besonders stark verdrängt worden, und 
wir können uns vorstellen, daß er frühzeitig in der Phantasie durch die 
Strafe der Selbstkastration verscheucht wurde. Er mag dann durch eine „Ver- 
schiebung nach oben", wie bei vielen Kindern, im Herausstrecken der Zunge 
wieder zum Vorschein gekommen sein. Und auch hier folgte ihm die Strafe, 
nun unter Verwendung anderweit vorgebildeter oraler Strebungen, die das 
Moment des Ekels hineinbringen : durch das Abbeißen der Zunge. In dieser 
Strafe aber setzt das Verdrängte sich wieder durch: Die abgebissene Zunge 
oder der Penis, wie wir auch sagen können, muß ja ausgespien und auf 
diese Weise sichtbar gemacht werden, wodurch freilich auch die „Brand- 
markung" K.s, nämlich seine Kastriertheit, sichtbar wird. Die Parallele zur 
dichterischen Produktion ist nun deutlich zu sehen. Der dichterische Pro- 
duktionsdrang entsteht ja auch durch eine Triebeinschränkung, nämlich durch 
die Versagung, von der die ödipusstrebung getroffen wird. Dem Abschneiden 
des Penis entspricht hier die Abstoßung, die Entpersönlichung, die Verobjekti- 
vierung der ödipustriebe in einem Dichtwerk. Und wie dort das Ausspeien 
des Fleischstückes einem exhibitionistischen Triebe zugute kam, so geschieht 
etwas Ähnliches auch bei der Veröffentlichung der dichterischen Produktion, 
mag dieser Lustgewinn auch nicht das einzige Motiv sein, das zur Veröffent- 
lichung drängt. Unbeantwortet bleibt freilich die Frage, warum die dichte- 
rische Arbeit eine „himmlische Auflösung" für Kafka wäre, während ihn 
die Büroarbeit nur beraubt. Diese Frage ist keineswegs mit einem Hin- 
weis auf den höheren Rang künstlerischer Produktion zu erledigen. Wir 

Kaiser: Kafkas Inferno 4 



"1 



I 



5o Hellmuth Kai 



können sie aber im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht beantworten, 
da uns das in den großen Romanen enthaltene Material hier fehlt. Wir 
lassen sie also offen. 

Wenn wir nun zu der Strafphantasie unserer Erzählung zurückkehren 
so werden wir den Umstand, daß der Verurteilte den letzten Bissen aus- 
speit, wieder in einem neuen Lichte sehen. 

„Erst um die sechste Stunde verliert der Mann das Vergnügen am Essen. 
Ich knie dann hier nieder und beobachte diese Erscheinung" (Strafkolonie, 28) 

sagt der Offizier, und dieses Beobachten, dieses gespannte „Draufschauen" 
auf seiner Seite setzt ein Zeigen wollen auf der anderen voraus. Denken 
wir ferner daran, daß der Filzstumpf auch das Zerbeißen der Zunge 
hindern sollte, gewissermaßen um durch Verhinderung der primitiven 
körperlichen Aktion die Sublimierung der auf das Zungezerbeißen zielenden 
Impulse zu Erkenntnisimpulsen zu erzwingen, so scheint die Situation des 
Verurteilten in der Strafkolonie doch derjenigen K.s, die in der Tagebuch- 
steile zum Ausdruck kommt, ähnlicher, als wir anfangs vermuten konnten. 
Zusammengefaßt sagt das Verfahren, den Verurteilten das Urteil mit 
seinen Wunden entziffern zu lassen, etwa aus: Erkenntnis ist eine Marter — 
aber eine lustvolle, verklärende. Sie zerreißt uns, aber sie gewährt uns auch 
„Gerechtigkeit". 

Wir hatten schon einmal Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß das Wort 
„Gerechtigkeit" hier eine andere Bedeutung hat, als die einer bürgerlichen 
oder — wie wir auch sagen können — weltlichen Tugend, unter der das 
Wort in der Ethik eine Rolle spielt. Dies wird aus der folgenden Stelle 
vielleicht noch deutlicher: 

„Wie nahmen wir alle den Ausdruck der Verklärung von dem gemarterten 
Gesicht, wie hielten wir unsere Wangen in den Schein dieser endlich erreichten 
und schon vergehenden Gerechtigkeit!" (Strafkolonie, 38.) 

Die Art, wie das Wort hier gebraucht wird, atmet nicht den Geist der 
Jurisprudenz, sondern den der Theologie, sie erinnert lebhaft an die Sprache 
der lutherischen Bibelübersetzung, wo es z. B. Rom. 3, Vers 28 heißt: 

„So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes 
Werke allein durch den Glauben." 

Diese Einzelheit, der wir später noch eine ganze Menge ähnlicher an- 
reihen werden, mag uns ahnen lassen, daß wir die in der K. sehen Phantasie- 
bildung enthaltenen Sublimierungen nicht beschreiben können, ohne sie 
als ein Analogon zu den religiösen Schöpfungen — insbesondere der jüdisch- 



v- 



Frans Kafkas Inferno 



christlichen Religion zu betrachten; ja das Wort „Analogon" ist vielleicht 
noch zu schwach, so daß wir geradezu von einer Nachschöpfung jüdisch- 
christlicher Mythologien sprechen müssen. 

Wenn wir bisher unsere Darstellung von jeder Andeutung dieser Be- 
ziehungen freigehalten haben, so geschah es, um zu zeigen, daß die K.sche 
Phantasiebildung weitgehend durch die primitive Trieb anläge K.s und deren 
nächste Umwandlungen und Fortentwicklungen determiniert ist, so daß das 
mythische Element nur wie eine Art Patina die schon geprägte Form des 
Problemkomplexes überzieht, gewissermaßen durch eine weitere Behandlung 
der Oberfläche aus dieser erwachsen. 

Der alte Kommandant ist ein Gott, ein strenger, grausamer, aber auch 
ein weiser und einsichtiger. Er schuf die Welt — die Welt der Strafkolonie, 
die Hinrichtungsmaschine, die kunstvollen Zeichnungen der Urteilssprüche, 
das Gesetz und die kultische Zeremonie, durch die es verherrlicht wird, 

„Hat er denn alles in sich vereinigt? War er Soldat, Richter, Konstrukteur, 
Chemiker, Zeichner?" 

„, Jawohl', sagte der Offizier." (Strafkolonie, 15.) 

Sein Grab und der Stein mit der Inschrift sind von einem Tisch bedeckt. 
So sind auch heute die Steinbilder der Gottheit als Tische maskiert. Der 
Altar, der „Tisch Gottes", ist ja eigentlich ein Opferstein und dieser ist 
ursprünglich ein Steinbild des Gottes und letzten Endes der Gott selbst. 1 

Der Mensch ist mit der Erbsünde behaftet: 

„Die Schuld ist immer zweifellos." (Strafkolonie, 18.) 

Diese Erbsünde besteht im Ungehorsam gegen Gott. „Ehre deinen Vor- 
gesetzten" lautet ja das Urteil. Die Strafe besteht in dem durch die Folter 
erzwungenen quäl- und lustrollen Erkennen des Urteils. Wir möchten an- 
nehmen, daß hier eine Verdichtung stattgefunden hat, kraft derer die Strafe 
das Verbrechen und seinen Lustgewinn in sich schließt; wir behaupten: 
die Sünde besteht gerade im Erkennen - genau wie die Strafe. Dieses 
sündhafte Erkennen finden wir ja auch in der Bibel in der Geschichte 
vom Sündenfall. (Mose 1.) Dort erreicht Adam diese Erkenntnis, indem er, 
dem Verbot Gottes zum Trotz, die Frucht vom Baum der Erkenntnis ver- 
zehrt. Baum und Frucht stellen, wie Reik 2 gezeigt hat, den Penis Gottes 
dar. Wir erinnern hier an den Apfelwurf in der Kaftasehen „Verwandlung", 
wo auch der Apfel an die Stelle des väterlichen Penis getreten ist. Die 

1) Vgl. Reik: Der eigene und der fremde Gott. 

2) Reik: Religionspsychologie. 






5* Hellmuth Ka 



Sünde der „Erkenntnis" entspricht also der Sünde, Gott zu verschlingen. 
Und diese Tat ist es denn auch, die der Verurteilte der Strafkolonie begeht 
er droht ja, seinen Hauptmann zu fressen. 

In der Bibel stellt die Schlange Eva in Aussicht, daß sie durch den 
Genuß der Früchte gottähnlich würde: 

„Da^sprach die Schlange zum Weibe: ihr werdet mit nichten des Todes 
sterhen. 

„Sondern Gott weiß, daß, welches Tages ihr davon esset, so werden eure 
Augen aufgetan und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse 
ist. [t, Mose, Kap. 3, 4. — g.) 

Diese Aussicht gründet sich auf den Gedanken, daß man durch Ein- 
verleibung eines Wesens dessen Eigenschaften und Kräfte erwirbt. In der 
Strafphantasie K.s geht dieses „Gottähnlichwerden" zusammen mit dem 
Erkennen in die Strafe ein: denn als ein solches Gottähnlich werden dürfen 
wir wohl die Verklärung deuten, die auf dem Gesicht des Gemarterten 
erscheint. Auch für den Umstand, daß Vers 5 zunächst von dem Aufgetan- 
werden der Augen spricht, finden wir eine Parallele in der Kafkaschen 
Erzählung: 

„Wie still wird aber dann der Mann um die sechste Stunde! Verstand ceht 
dem Blödesten auf. Um die Augen beginnt es." g 

Was das Aufgetanwerden der Augen in der Bibel bedeutet, geht be- 
kanntlich aus dem Vers 7 hervor, wo es heißt: 

„Da wurden ihrer beider Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie 
nackt waren. (1. Mose, Kap. 5, Vers 7.) 

Hier enthält die K.sche Phantasie insofern eine Modifikation, als die 
durch oder mit dem Sündenfall erregte Schaulust im wesentlichen auf den 
Offizier verschoben worden ist, wie ja überhaupt die Zerlegung des „Sohnes" 
m die beiden Gestalten, die des Verurteilten und die des Offiziers, in dem 
Sündenfall der Genesis nicht vorkommt. 

Die von Gott angedrohte Todesstrafe: 

--denn welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben* 
(1. Mose, Kap. 2, Vers 17), 

die in der Genesis nicht sofort vollstreckt wird, tritt in der Kafkaschen 
Dichtung wirklich ein — aber, genau besehen, auch bei Kafka nicht sofort, 
sondern erst nachdem die tragende Rolle von dem kindlich-primitiven Ver- 
urteilten an den Offizier übergegangen ist. Es ist ja nicht der Verurteilte, 
der des Todes stirbt, sondern der Offizier. Auch er muß, wie Adam, zuvor 
das „Paradies", das heißt die Ideenwelt seines Hinrichtungskultes verlassen. 



Kafkas Inferno 53 



Von dem Moment an, wo der Reisende ihm sein leises „Nein" entgegen- 
gesetzt hat, ist von einer „Verklärung", einem Gottähnlichwerden nicht mehr 
die Rede. Jetzt geht es nur noch um den irdisch-menschlichen Tod. Das 
die Gottähnlichkeit gewährende Lustinstrument löst sich auf und wird zu 
Kot, wie es aus Kot gemacht war. 

„Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen, bis daß du 
wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und 
sollst zu Erde werden." (1. Mose, Kap. 5, Vers 19.) 

Wir glauben, daß man sich dem Eindruck des Parallelismus zwischen 
jenem ersten Sundenfall der Bibel, jener Auflehnung Adams gegen Gott, 
und den Ereignissen in der Kafkaschen „Strafkolonie" nicht wird entziehen 
können. Aber auch ein zweiter „SÜndenfall", eine zweite revolutionäre 
Wendung der jüdischen Religion spiegelt sich in der Kafkaschen Dichtung: 
die Tat Christi. Auch sie bedeutet ja eine Erhebung des Gottessohnes gegen 
Gott-Vater mit dem Ziel, an Gottes Stelle zu treten — selber Gott zu 
werden. 1 Hier ist es wesentlich die Bestrafung, der Kreuzestod Christi, der 
in der Marter des Verurteilten dargestellt wird. Hier wie dort wird der 
nackte, von vielen kleinen Wunden zerrissene Leib — man denke etwa 
an die' Darstellung des Isenheimer Altars — vor einer Zuschauermenge in 
langen Stunden zu Tode gequält. Der tödlichen Beschriftung bei Kafka ent- 
spricht die Überschrift: „Jesus von Nazareth, der Juden König" (Job. XIX, 19), 
die Pilatus aufs Kreuz setzen ließ und die ebenfalls auf das Vergehen man- 
gelnder Ehrfurcht vor der Obrigkeit hindeutet. 

Die Tränkung Christi mit dem Essig erinnert an den Reisbrei, den der 
Verurteilte bei Kafka bekommt. Eine weitere Übereinstimmung liegt darin, 
daß auch beim Tode Christi „um die sechste Stunde" eine Wendung eintritt: 
Luk. 23, Vers 44 heißt es: 

„Und es war um die sechste Stunde, und es ward eine Finsternis über das 
ganze Land bis an die neunte Stunde. Und die Sonne verlor ihren Schein, und 
der Vorhang des Tempels zerriß mitten entzwei. 

Und Jesus rief laut und sprach: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine 
Hände, und als er das gesagt hatte, verschied er. 

Dieser, wie der Schilderung der anderen Evangelien, darf man entnehmen, 
daß der eigentliche Todeskampf Christi mit der sechsten Stunde beginnt, 
derselben Stunde (freilich nicht des Tages, sondern der Marterung), in der der 
Verurteilte anfängt, die Schrift des Urteils zu entziffern. 







$4 Hellmuth K. 



Die Ergriffenheit der Zuschauer bei Kafka ist mehr als bloße Anteil- 
nahme an dem Sterben eines Verbrechers: 

„Und nun begann die Exekution! Kein Mißton störte die Arbeit der Maschine. 
Manche sahen nun gar nicht mehr zu, sondern lagen mit geschlossenen Augen 
im Sand; alle wußten: ,Jetzt geschieht Gerechtigkeit/ . . . Nun — und dann kam 
die. sechste Stunde! Es war unmöglich, allen die Bitte, aus der Nahe zuschauen 
zu dürfen, zu gewähren. Der Kommandant in seiner Einsicht ordnete an, daß 
vor allem die Kinder berücksichtigt werden sollten ..." (Strafkolonie, 37) 
und weiter: 

«... Wie hielten wir unsere Wangen in den Schein dieser endlich erreichten 
und schon vergehenden Gerechtigkeit . . ." (Strafkolonie, 38.) 

Die Hinrichtung ist für die Zuschauer offenbar ein Gottesdienst, ein Akt, 
der sie alle angeht, an dem sie alle innerlich aufs stärkste beteiligt sind! 
Die Gründe hiefür sind voraussichtlich die gleichen, die die Feier des 
Kreuzestodes Christi und seiner Auferstehung zu einer gemeinsamen Sache 
aller Gläubigen machen. Der Tod Christi bedeutet die Ablösung der mensch- 
liehen Schuld gegen Gott. 

Die aufgeführten Übereinstimmungen zwischen der Kafkaschen Dichtung 
und dem jüdisch-christlichen Mythus verdienen zweifellos auch an sich ein 
gewisses Interesse. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sollen sie aber nur ein 
Mittel sein, den Leser auf das Anerkenntnis des religiösen Gehalts der Kafka- 
schen Erzählung vorzubereiten. An und für sich ist es natürlich möglich 
daß eine Dichtung, die sich in Inhalt und Form weitgehend einer historisch 
gegebenen, religiösen Schöpfung anpaßt, dennoch ihrerseits keinen Hauch 
religiösen Gefühls enthält, wie es umgekehrt auch möglich wäre, daß eine 
Ausdrucksform religiösen Erlebens mit keiner der bisher vorhandenen eine 
wesentliche Verwandtschaft aufwiese. Für die Beurteilung der Kattaschen 
Dichtung ist natürlich vor allem die erste dieser beiden Möglichkeiten von 
Bedeutung, also die, daß die gefundenen Übereinstimmungen mehr äußer- 
licher Natur sein könnten. Wir glauben, daß gegen diese Möglichkeit schon 
allem der Umstand spricht, daß die in Betracht gezogenen Übereinstimmungen 
zum Teil gar nicht leicht in die Augen fallen, und daß sie sogar oft auf 
recht mühsame Weise zur Evidenz gebracht werden mußten. Insbesondere 
scheint dadurch eine absichtliche Anlehnung an die biblischen Formen, 
wie sie sonst als ein Kunstmittel des Sarkasmus, der Ironie oder des Witzes 
in Frage käme, ausgeschlossen zu sein. 

Auch von einem unbewußten ^Nachwirken" oder „Im-Gedächtnis-hängen- 
Bleiben" der biblischen Szenen kann bei Kafka nicht gut die Rede sein. 



w~ 



Frans KafUs Inferno ^ 



Zwar mag etwa der Ausdruck: „, . . um die sechste Stunde als eine so che 
Bibelreminiszenz aufgefaßt werden, da er bei Kafka in dem gleichen Wort- 
laut auftritt wie in dem Evangelium. Dagegen läuft die Parallele zwischen 
dem sündigen Apfelbiß Adams und dem „Wirf die Peitsche weg, oder ich 
fresse dich" des Verurteilten soweit abseits anschaulicher Ähnlichkeit, daU 
wir wohl mit voller Sicherheit sagen dürfen: Hier ist nicht die biblische 
Form für einen anderen Inhalt übernommen worden, sondern die Gleich- 
heit der Inhalte hat zu Darstellungsformen geführt, die zwar anschaulich 
sehr verschieden sind, aber, jede in ihrem Zusammenhang gedeutet, auf 
den gleichen seelischen Gehalt zurückweisen. 

Natürlich kann die Frage, ob die Kafkasche Schöpfung wirklich reli- 
eiösen Gehalt besitzt, in letzter Instanz nur gefühlsmäßig entschieden werden. 
Den zweifelnden Leser müssen wir daher auf die Lektüre der Dichtung 
selbst verweisen. Aber einiges läßt sich vielleicht doch durch Erläuterungen 
zur Verstärkung des Echtheitseindruckes beitragen, und wir wollen »m 
folgenden ein paar solche Hinweise geben. 

Ein Charakteristikum der religiösen Kulte ist ihre Unabhängigkeit von 
irdischen Zwecken. Dieses Merkmal finden wir auch in dem Strafkult der 
Kafkaschen Erzählung. Das Ziel des ganzen Aufwandes tat, dem Verur- 
teilten zur „Einsicht" zu verhelfen, ihn das Urteil lesen und verstehen 
zu lassen, bis die wachsende Erkenntnis ihn verklärt. Wenn diese Absicht 
auch an den human-vernünftigen und heute besonders gern diskutierten 
„Besserungszweck" der Strafe denken läßt, so hat sie doch im Grunde nichts 
mit ihm gemein. Denn dem „humanen« Standpunkt erscheint eine Todes- 
strafe mit Besserungszweck als ein vollendeter Widersinn, weshalb auch die 
leitliche Institution unserer Justiz auf jede moralische Bearbeitung zum 
Tode verurteilter Verbrecher verzichtet. Im Gegensatz dazu lassen es sich 
die Vertreter der Kirchen angelegen sein, den „armen Sunder nicht nur 
zu trösten, sondern auch in eine religiös angemessene, bußfertige Seelen- 
verfassung zu bringen, gerade im Hinblick auf seinen «^Sl 
Das, was in der „Strafkolonie" mit dem Verurteilten ge schient entspricht 
durchaus den kirchUchen Bemühungen um den *^^™^ 
Erkenntnis und Erlösung sollen ihm zuteil werden, nicht damit er danach 
Jüricnnrow s sondern weil Erkenntnis und Erlösung 

ein sittlich besseres Leben führe, sondern 
an sich wichtig sind und sogar den Preis des Lebens aufwiegen. 

Wir hatten schon an früherer Stelle darauf hingewiesen daß die „Ge- 
rechtigkeit« der Strafphantasie etwas anderes ist als die so benannte zivile 
Tugend. Bürgerlich-weltliche Gerechtigkeit wägt die Taten und bestimmt 






56 Hellmuth Kaüer 



danach das Urteil. Aber bei dem Verfahren des Offiziers ist die Schuld 
„immer zweifellos". Das bedeutet, daß sie von den besonderen Taten des 
einzelnen Verbrechers unabhängig ist, daß sie eine „tragische", eine Schick- 
sals-Schuld ist. Der Begriff - oder besser - das psychische Phänomen 
der Schicksals-Schuld, der Erbsünde, wie wir auch sagen können, ist aber 
das notwendige Gegenstück zu der religiösen Lehre von der Erlösung 
Wahrend für eine rationale Betrachtung die Unvermeidlichkeit einer Schuld 
ihren Schuldcharakter aufheben würde, dient gerade diese Vereinigung der 
Widerspruche (notwendige Schuld) dem Religiösen zur Wiedergabe eines 
charakteristischen Erlebnisses, nämlich zur Darstellung unserer moralischen 
Ohnmacht vor Gott. 

Wie die Erlösungsbedürftigkeit ein Zustand ist, der unabhängig v on der 
Moralitat des Menschen ihm schicksalsmäßig zukommt, so isf auch die 
Befreiung von diesem Zustand, das heißt also die Erlösung, weitgehend un- 
abhängig von dem individuellen moralischen -Verhalten und Leiden. Dadurch 
wird es möglich, daß die Erlösung eines Menschen nicht durch ihn selbst 
sondern durch einen anderen, einen Stellvertreter oder einen Mittler be- 
werkstelligt wird. Diese spezifisch religiöse Bedeutung der Mittlerschaft 
oder, von der andern Seite aus gesehen, der Anteilnahme, findet sich auch 
» der „Strafkolonie . Die Zuschauer der Hinrichtung sind nicht nur Zu- 
schauer, so wenig wie die Gemeinde einen Gottesdienst nur anschaut oder 
anhört. Wenn es dort heißt: 

„nd"^ hi6lten i wir j alle ™ se 'e Wangen in den Schein dieser endlich erreichten 
und schon vergehenden Gerechtigkeit" (Strafkolonie, 3 8), 

so deutet diese Schilderung etwas durchaus anderes an als ein Kenntnis- 
nehmen, wie es durch die Augen oder Ohren vermittelt würde. Hält man 
die Wangen in den Schein der Sonne, so will raan die Sonne nicht bloß 
-hen, mcht bloß ihr Vorhandeilseill feststeHen) sondem man wüi . hre 

Wirkung spuren, man will durch sie verändert (etwa gewärmt oder gebräunt) 
werden. Die Teilnahme an dem Hinrichtungsakte bedeutet also für die Zu- 
schauer auch so etwas wie eine Läuterung, eine Erlösung. 

Dieser Eindruck, daß die geheimnisvoll erlösende Wirkung des Straf- 
aktes, ganz ohne Vermittlung rationaler Prozesse, auf die Teilnehmer über- 
greift, wird noch verstärkt, wenn wir daran denken, daß man auch Kinder 
denen man ein intellektuelles Verständnis der Vorgänge ja nicht zutrauen 
darf, zu diesem Akte zulaßt: 

„Und der Kommandant in seiner Einsicht ordnete an, daß vor allem die 
Kinder berücksichtigt werden sollten." (Strafkolonie, 37.) 



Kafkas Inferno ^7 



Sollte sich der Leser — sei es unmittelbar durch Lektüre der Kafka- 
schen Erzählung, sei es erst mit Hilfe unserer Anmerkungen — davon über- 
zeugt haben, daß es sich bei dem „Strafkult" wirklich um einen Kult im 
religiösen Sinne handelt, so wird sich ihm eine Reihe von Fragen aufdrängen, 
deren wichtigste wir hier sogleich behandeln wollen. 

Wir haben uns in der vorliegenden Arbeit bemüht, ein und dasselbe 
Phänomen, nämlich die Hinrichtungszeremonie, in einer doppelten Weise 
zu behandeln. Einmal deuteten wir sie als das Abbild eines ziemlich 
komplexen Systems von Triebregungen, wie sie sich um das infantile Er- 
lebnis der Ödipussituation herumgruppieren, das zweite Mal versuchten wir, 
sie in die Erscheinungen des religiösen Lebens einzureihen. Die Verbindung 
zwischen diesen Betrachtungsweisen stellten wir bisher lediglich durch einen 
bildlichen Ausdruck her, indem wir sagten, daß der religiöse Charakter 
das System primitiver Triebe wie eine Patina überziehe, die sozusagen durch 
eine Art weiterer Oberflächenbehandlung aus jenem erwachsen sei. Für 
ein Verständnis dieser zwar anschaulichen, aber vom Psychologischen ab- 
führenden Darstellung, steuerten wir dann noch gelegentlich aus dem Vor- 
rat der analytischen Terminologie den Ausdruck „SublimieTung" bei, ohne 
damit die Klarheit unserer Ausführungen wesentlich zu fördern. 

Es scheint, daß wir hier vor die folgende Alternative gestellt sind: Ent- 
weder ist die religiöse Nomenklatur, deren wir uns bedient haben, eben 
nur eine Nomenklatur und wir müßten, um Klarheit zu schaffen, statt 
„Gott" — „Vater-Imago", statt „Erbsünde" — „unbewußtes Schuldgefühl", 
statt „Verklärung" — „Orgasmus", statt „Erlösung" — „Befriedigung des 
Strafbedürfnisses" und „Ablösung des Schuldgefühls" und, zusammengefaßt, 
statt „Religion" — „Zwangsneurose" sagen — oder wir müssen uns herbei- 
lassen, ausdrücklich zu erklären, was es bedeutet, wenn wir sagen, das religiöse 
Erleben entwickele sich aus einer bestimmten Libidoorganisation und sei 
ihr Sublimierungsprodukt. 

Zunächst erkennen wir leicht, daß beide Glieder der Alternative auf ein 
und dieselbe Schwierigkeit stoßen: Diese gemeinsame Schwierigkeit besteht 
in der Tatsache, daß — um ein Beispiel herauszugreifen — das Erleben von 
Lust ein wertindifferenter Vorgang ist, während es im Begriffe der „Ver- 
klärung" liegt, daß in ihrem Zustandekommen ein Wert realisiert wird. 
Wenn wir dies etwas weniger nüchtern ausdrücken, so heißt es, daß die 
Gestaltung unserer Triebe — ob sie nun verdrängt sind oder nicht — eine 
triviale, prosaische und profane Sache ist, während wir dem religiösen 
Erlebnis, auch wenn wir es nicht teilen, mit Respekt, Achtung und Be- 



' 



58 Hellmuth Ka 



■ 

wunderung gegenüberstehen, als einer Erscheinung, die auf jeden Fall an 
das Erhabene rührt. Sind nun, wie es mit dem obigen gesagt ist, Trieb 



und religiöses Gefühl wesensverschiedene Dinge, so ist es unzulässig, sie 
mit dem gleichen Namen zu nennen (was dem ersten Glied unserer Alternative 
entspricht), und es ist unfruchtbar, das Triebleben als den Keim des religiösen 
Lebens zu betrachten, da das, was für dieses wesentlich ist, in jenem fehlt 
und wir weiter fragen müßten, wo denn das für die Religion Wesentliche 
nun herstammt. 

Wir behaupten, daß das Dilemma, in dem wir uns befinden, wirklich ganz 
unauflöslich wäre, wenn sich in unsere Überlegungen nicht ein Fehlschluß 
eingeschlichen hätte, dessen trügerische Scheinwahrheit man nur zu zerstören 
braucht, um die Schwierigkeiten schwinden zu sehen. 

Um dies klar zu machen, müssen wir zunächst einmal unseren Sprach- 
gebrauch etwas berichtigen. Das Wort „Trieb" bezeichnet ja nicht einen 
unmittelbar aus der Wahrnehmung gewonnen, sondern einen durch Ab- 
straktion geschaffenen Begriff, Wir verstehen darunter eine in bestimmter 
Weise gerichtete seelische Kraft. Der Begriff des Triebes ist genau so eine 
Hilfskonstruktion wie in der Physik der Begriff der Schwerkraft. Wie diese 
kann auch der Trieb nicht unmittelbar beobachtet werden. Wohl aber gibt 
es unter Umständen in unserem Bewußtsein etwas, was dem Triebe ent- 
spricht, — eine Triebrepräsentanz, — die uns ihrerseits anschaulich ge- 
geben ist. So ist das bewußt erlebte Hungergefühl die Triebrepräsentanz 
des Ernahrungstriebes. Triebrepräsentanz und Trieb sind demnach ver- 
schiedene Dinge und stehen in demselben Verhältnis zueinander wie der 
Ton, den wir hören, und die Wellenbewegung der Luft oder unseres Trommel- 
fells, die diesem Ton entspricht. Zwischen der anschaulichen Qualität des 
Tones und dem gedachten physikalischen Sachverhalt, den wir mit dem 
Wort „Schallwelle" bezeichnen, bestehen gewisse Relationen, deren Er- 
forschung (nebenbei bemerkt) für uns den Sinn hat, daß wir zum Beispiel 
bei dem Bau eines Musikinstruments gewisse Wirkungen vorausberechnen 
können. Unser ästhetisches Urteil aber trifft nur das anschauliche Erlebnis 
und nicht das physikalische Korrelat, so daß es sinnvoll ist, von einem 
schönen Ton, aber ungereimt, von einer schönen Schallwelle zu reden. 

Kehren wir nun wieder zu dem Verhältnis: Trieb zu Gefühlserlebnis 
des Triebes zurück, so finden wir, daß auch hier das anschauliche 
Phänomen des Gefühls allein der Träger eines eventuellen Wertes ist. 
Die Ehrfurcht, die wir etwa einer starken, leidenschaftlichen Liebe ent- 
gegenbringen, meint das Gefühl, in dem diese Liebe erlebt wird, nicht 



_J 



Frau; Kafkas Inlerim 



die zugrunde liegende Libidoorganisation. Aber wie bei unserem physikali- 
schen Beispiel bestehen zwischen der Libidoorganisation und dem Gefühl, 
in dem sie dem Träger zum Bewußtsein kommt, Belationen, deren Kenntnis 
uns unter Umständen befähigen kann, den Verlauf der Gefühlserlebnisse 
vorauszusagen oder ihn zu beeinflussen. 

Wir sehen hieraus, wie wir uns zu jener oben erwähnten Alternative 
zu stellen haben. Eine Gleichsetzung des Triebes mit dem Gefühlserlebnis 
des Triebes müssen wir ablehnen. Wir müssen auch zugestehen, daß das 
religiöse Erlebnis ein Moment enthält, — und zwar ein wesentliches, — das 
in der Libidoorganisation, die dem religiösen Erleben zugrunde liegt, nicht 
enthalten ist. Aber wir sehen jetzt, daß dieser Sachverhalt keineswegs für 
das Religiöse charakteristisch ist, sondern für jedes Erleben überhaupt gilt. 
Es erübrigt somit nur, daß wir zu der Frage Stellung nehmen, welchen 
Sinn es hat, dem religiösen Erleben (wie übrigens jedem anderen auch) 
eine Trieborganisation als seine Grundlage gegenüberzustellen. Nun, darauf 
können wir jetzt reicht die Antwort geben. Das religiöse Erlebnis Kafkas 
wurde uns ja überhaupt erst dadurch zugänglich, daß es sich nicht in 
einem bloßen Gefühl erschöpft, sondern in Form eines Kultes — der Hin- 
richtungszeremonie — leibliche Gestalt angenommen hat. Überhaupt ver- 
mag ein Gefühl niemals in reiner Gefühlsform in unserem Bewußtsein zu 
bestehen. Immer drängt es nach einer Art Inkarnation in Form von Hand- 
lungen, Gedanken, von Urteilen, von Phantasien, Visionen und Träumen. 
Diese Inkarnationen aber sind es eigentlich, die durch die psychologische 
Theorie zu einer bestimmten Libidoorganisation in Beziehung gesetzt und 
dadurch „verständlich" gemacht werden. So verstehen wir beispielsweise 
die Bezeichnung „Gott -Vater", die der Fromme anwendet, aus der Ab- 
stammung der religiösen Triebe von den Relikten des Ödipuskomplexes. 
So verstehen wir, daß die Verklärung des Verurteilten während der 
Marterung eintritt, aus der sadistischen Komponente, die der der Kafkaschen 
Kultphantasie zugrunde liegenden Libidoorganisation eingefügt ist. Wir 
wiederholen; die Erklärungsmöglichkeit — aber auch die Erklärungs- 
bedürftigkeit — besteht allein für die Erscheinungen, Handlungen, Ge- 
danken oder Phantasien, in denen Gefühlserlebnisse sich äußern — mit 
den Gefühlen selbst hat es eine andere Bewandtnis — und zwar eine merk- 
würdige. Wir wollen uns einmal die Frage vorlegen, was von einem Ge- 
fühl, sagen wir von einem Liebesgefühl, übrig bleibt, wenn wir von allen 
Äußerungsformen abstrahieren. Wir denken uns also bei einem Liebenden 
alle Gedanken ausgelöscht, die sich mit dem geliebten Objekt beschäftigen, 



6 ° Hellmuth K* 



alle Phantasiebilder, die das Objekt zum Gegenstand haben, alle Wünsche, 
die eine geistige oder seelische oder körperliche Vereinigung erstreben, alle 
Handlungen, die diese Wünsche auf irgendeine Weise befriedigen sollen sc 
behalten wir nicht etwa nichts übrig - keineswegs. Bestehen bleibt 'die 
Intensität des Gefühls, seine Innigkeit, seine Stärke, vielleicht auch der 
Grad, in dem es die Seele des Liebenden erfüllt. 

Aber das merkwürdige, im Grunde freilich nicht so merkwürdige 
Resultat dieses etwas anstrengenden Gedankenexperiments ist die Einsicht 
daß wir dieses Gefühl kaum noch von einem anderen Gefühl etwa' 
dem, das ein gewaltiges Inspirationserlebnis begleitet, zu unterscheiden ver~ 
mögen. Wir können vielleicht noch wahrnehmen, ob es spannend oder 
losend ist, druckend oder weitend, stetig oder flackernd und dergleichen 
formale Qualitäten mehr. Aber gerade sein Charakter als Liebesgefühl oder 
als rehgiöses Erlebnis, als Eunsterleben oder Herrschergefühl geht verloren 
Diese Charaktere werden erst an den Äußerungen, an den Inkarnationen 
des Gefühles kenntlich, 

vl . Wem ! T ir / 1S ° SagtCn ' daß eiDe Märungsmöglichkeit und eine Er- 
klarungsbedurftigkeit wesentlich für die Äußerungen der Gefühlserlebnisse 
m Betracht kamen, so hat dies den trivialen Grund, daß nur diese eine 
Man nigfalt k t aufweisen) deren Zuordnung zu e . ner anderen 

ialtigkeit eben die Aufgabe wissenschaftlicher Erklärung darstellt. Das Gefühl 
selbst eme Abspaltung, die natürlich nur begrifflich möglich ist, psycho- 
logxsch ist das Gefühl von seinen Äußerungen nicht zu trennen - ist 
bis auf jene wenigen, wie wir sagten, „formalen« Bestimmungen immer 
das gliche. Erstaunlicherweise ist gerade dieses „immer gleiche" Gefühl 
der Gegenstand unserer Ehrfurcht. Wenn ein Liebender stets die gleichen 
Worte wiederholt, wenn er stammelt oder gar schlechte Gedichte macht 
so erscheint seine Leidenschaft dadurch um nichts weniger respektabel. Die' 
einfaltigen Gebetsformeln eines Ungebildeten setzen unsere Achtung vor 
seiner Frömmigkeit so wenig herab, wie wir die Frömmigkeit eines Mannes 
der sie in wertvollen Kunstwerken ausdrücken kann, deswegen höher ein- 
schätzen. Wir werten allerdings auch die Äußerungen, die Objektivie- 
rungen des Gefühls: die Handlungen nach ethischen, die Kunstwerke nach 
ästhetischen Gesichtspunkten, die wissenschaftlichen Schöpfungen nach ihrem 
Wahrheitsgehalt. Aber diese Wertungen sind nicht abhängig von unserer 
Schätzung des Gefühls, dem die Dinge, auf die sie sich beziehen, ihr Dasein 
verdanken. Denn, wie wir schon sagten, das Gefühl ist immer das gleiche, 
es variiert nur in hezug auf seine Intensität. Und dem entspricht auch der 



^M. 



Frans Kafkas Inferno 



Wertmaßstab, nach dem wir es einschätzen. Je intensiver es ist, um so 
mehr Respekt bringen wir ihm entgegen. Die deutsche Sprache besitzt einen 
Ausdruck, der dieses Wertmoment des Gefühlserlebnisses prägnant bezeichnet, 
und der erkennen läßt, daß es keinem anderen Ding in der Welt, keinem Er- 
zeugnis, keiner Leistung, keiner Gestalt, keinem Wesen um seiner selbst willen 
zugesprochen werden kann als allein dem Gefühl: Es ist das Wort „Tiefe". 

Wer in unserem Bemühen, Phänomene, die wir als Äußerungen des 
religiösen Gefühls erkannten, zu elementaren psychischen Gebilden in Be- 
ziehung zu setzen, wer, sagten wir, in diesem unseren Bemühen die Würdigung 
„der Tiefe" vermißt, die dem Religiösen zukommt, der verkennt, daß ein 
Kult so wenig Tiefe besitzt wie ein Liebesbrief, ein Dogma so wenig wie 
eine wissenschaftliche Theorie, ein Kunstwerk so wenig wie eine körperliche 
Zärtlichkeit — der Kult mag Beziehungsreich sein, der Liebesbrief ausdrucks- 
voll, das Dogma scharfsinnig, die Theorie wahr, das Kunstwerk schön oder 
ergreifend, die Zärtlichkeit reich, — die Bedeutung, die ihnen zukommt, 
ist immer nur eine mittelbare, die sich ableitet aus der Stärke des Erlebnisses, 
das sie hervorrief, und der Stärke dessen, das durch sie erweckt wurde. 

Kehren wir zu unserer psychologischen Erörterung zurück. Da müssen 
wir uns nun einmal die Frage vorlegen, welche Bedeutung die Strafphantasie 
oder vielmehr ihre dichterische Gestaltung und die ihres Zerfalles für K. 
gehabt haben mag. Zur Beantwortung dieser Fragen werden wir uns noch 
einmal dem Ende der Erzählung zuwenden: 

Die Art, in der der Hinrichtungskult in der Kafkaschen Erzählung zerfällt, 
erinnert durchaus an die Erschütterungen, die die christlich-jüdischen Reli- 
gionen Europas in den letzten hundert Jahren erfahren haben. Der erste 
Stoß gegen das „alte System" geschieht durch die Einsetzung des neuen 
Kommandanten, nach unserer Deutung durch die Anerkenntnis des neuen 
Vaterbildes, wie es die tägliche Erfahrung in einem spateren Abschnitt der 
Kindheit der alten, aus der Frühzeit stammenden, unheimlich-allgewaltigen 
Vater-Imago gegenüberstellte. Dieser Vergleich zwischen dem alten und dem 
neuen Vaterbilde entspricht dem Wirken der aufblühenden Naturwissenschaft, die 
dem religiös orientierten Weltbilde ihr auf Tatsachenerkenntnis gegründetes 
entgegenhielt. Erst nachdem so die Glaubwürdigkeit der religiösen Lehren 
in bezug auf theoretische Fragen erschüttert war, konnte eine ethisch- 
wertende Kritik die praktische Geltung der Religionen angreifen, und dieser 
Erscheinung entspricht in der „Strafkolonie" das Auftreten des Reisenden, 
der erst erscheint, wenn schon ein gewisser Verfall des Hinrichtungsver- 
fahrens eingetreten ist, um sein endgültig verdammendes Urteil zu sprechen. 



Hellmuth Ka 



Was geschieht nun weiter mit der obsiegenden Partei? Am Ausgang 
der Erzählung, nach dem Tode des Offiziers, steht der Reisende allein im 
Mittelpunkte der Aufmerksamkeit. Wir können annehmen, daß er jetzt der 
Vertreter des K. sehen „Ich" ist. Er stattet dem Grab des alten Kommandanten 
einen Besuch ab, einen respektvollen Besuch, wie man sagen muß; so 
heißt es denn auch von ihm: „. . . er fühlte die Macht der früheren Zeiten." 
(Strafkolonie, 66.) Das siegreiche „Ich" ist weit davon entfernt zu triumphieren. 
Es fühlt, daß es zwar die Ausübung des grausamen Kultes durch die Klarheit 
seines sittlichen Urteils zu hemmen vermochte, daß aber die Machte, die 
hinter diesem Kult standen, noch ungebrochen sind und auch in dem 
Schattendasein des Todes noch imponieren. Auf dieser Stätte, wo die Prophe- 
zeiung von der Wiederkehr des alten Kommandanten unsichtbar die Luft erfüllt, 
vermag es nicht zu wirken. Die Abreise des „Reisenden" gestaltet sich zur 
Flucht. Der Soldat und der Verurteilte, denen der Reisende sich entzieht, 
die er nicht mitnehmen will, sind sozusagen die Relikte der Hinrichtungs- 
zeremonie. Sie sind die Repräsentanten der primitiven Partialtriebe, die 
nach der Zersplitterung jener kunstvollen Libidoorganisation übrigbleiben 
und beim „Ich" um Befriedigung nachsuchen. Aber das „Ich" ist nicht 
imstande, sie sich einzugliedern, sie neu zu organisieren. Der ganze seelische 

Bezirk, der von dem Strafkult eingenommen wird, ist dem „Ich" verleidet 

dort ist nur „geringes, gedemütigtes Volk". 

Der Reisende begibt sich nach dem Hafen und besteigt ein Boot, um 
sich zum Dampfer bringen zu lassen, indem er den Soldaten und den Ver- 
urteilten zurückscheucht. Es scheint, daß sich in diesem Gang zum Hafen, 
zum Meere also, ein Verzicht ausdrückt, ein sehr weitgehender, — wohl 
ein Verzicht auf das Leben überhaupt. — Wenn die Vernunft das Wahn- 
system einer religiösen Form zerschlagen hat, so kann es oft geschehen, 
daß sie die Triebenergien, die darin untergebracht waren, auf keine Weise 
einer Ich-gerechten Verwendung zuzuführen vermag. Dann kann es sein, 
daß dem „Ich" keine genügenden libidinösen Kräfte mehr zur Verfügung 
stehen, um sich an die Realität zu halten, während auf der anderen Seite 
die aus dem Paradies religiöser Visionen vertriebenen Strebungen des Ödipus- 
komplexes regredieren und dem „Ich" unmittelbar gefährlich werden. 1 
Immerhin steht, mag die Abfahrt des Reisenden vielleicht auch die Bedeutung 



1) In der Erzählung „Das Urteil", die ähnlich wie die „Verwandlung" die Straf- 
phase des Ödipuskonfliktes darstellt, verurteilt am Schluß der Vater den Sohn zum 
Tode des Ertrinkens, den der Sohn willig an sich seihst vollstreckt. 



. 



Frans Kafkas Inferno 65 



des Sterbens haben, der Tod hier nicht so sehr im Vordergrund wie in anderen 
Kafkaschen Dichtungen. 

Daß dieser psychische Ablauf in einer Dichtung Gestalt gewann, muß 
wohl in erster Linie auf die Energie der in die Strafphantasie verwobenen 
Strebungen zurückgeführt werden, die nach einer Auswirkung in der Reali- 
tät hindrängten. Der Gegendruck der kritischen Instanzen prägte dann im 
Lauf einer wahrscheinlich langen Entwicklung den zum „Ich" hinflutenden 
Triebmassen die kunstvolle Form auf, in der sie in der Dichtung ans 
Tageslicht getreten sind. Dies ist natürlich nur ein allgemeines Schema. Von 
den einzelnen Stadien der Entwicklung wissen wir nichts. Ob zum Beispiel 
irgend etwas von der Gestaltung des Straf kultes vorübergehend etwa in 
Tagträumereien ins Bewußtsein getreten war, was möglich erscheint, könnte 
nur durch ein zufälliges Auftauchen biographischen Materials entschieden 
werden. Jedenfalls können wir annehmen, daß zur Zeit, in der die Dich- 
tung entstand, der „Kult" nur als ein verfallender, überwundener bewußt- 
seinsfähig war, und daß der Kampf zwischen der religiösen Form und der 
kritischen Vernunft wohl nur in seiner allerletzten Phase, nämlich dem 
Siege der Kritik, dem bewußten Erleben Kafkas angehörte. 

Ein Stück der Bedeutung, die die Dichtung für Kafka hatte, bestand 
also in der Entladung der sonst von jeder Abfuhr in die Realitätsgestaltung 
abgeschnittenen Libido, die dem Ödipuskomplex zugehört. Dieser Erfolg 
wurde möglich einmal durch die Sublimierungen, die sich der Trieb- 
komplex hatte gefallen lassen müssen, zweitens aber durch die Niederlage, 
die er innerhalb der Erzählung erleidet und die ihm die Sympathie des 
Dichters wie des Lesers sichert. Denn mit dem, was unser Gewissen ver- 
wirft, können wir nur dann sympathisieren, wenn es als ein Überwun- 
denes, Gebrochenes erscheint. 

Wir glauben aber, daß die Kafkaschen Dichtungen für Kafka noch 
einen weiteren Sinn hatten. Während jene erste „ ökonomische" Aufgabe 
der Dichtung, die Triebentspannung, mehr das seit langem Verdrängte und 
mehr das „Es" angeht, hängt dieser zweite Sinn mehr mit der jeweilig 
aktuellen Lage des Dichters zusammen und betrifft mehr das bewußte „Ich". 

Wir meinen nämlich, daß die Dichtungen nicht nur in ökonomischem 
Sinn Handlungen vertreten, sondern geradezu dem praktischen Handeln 
dienen. Sie sind wie Gedankenexperimente, die durch das Kennzeichen des 
künstlerischen Gelingens (worin ja die wenigstens ästhetische Zustimmung 
des Publikums notwendig enthalten ist) zeigen sollen, daß eine gewisse Art 
des Sich Verhaltens, eine gewisse Form, die Probleme des Lebens zu lösen, 



64 Hellmutk K« 



einwandfrei, erträglich, möglich ist. Das „Einen- Ausweg-Suchen", wie es 
im „Bericht für eine Akademie" vorkommt, ist eine typische Tendenz 
nicht nur der Gestalten in den Kafkaschen Dichtungen, sondern der Kafka- 
schen Dichtungen selber, vielleicht der Dichtungen überhaupt. 

Die versuchsweise in der Phantasie vorgestellte Form des Lebens oder 
der Lebensbetrachtung schöpft immer aus der Vergangenheit. Sie ist so- 
zusagen aus dem Material kindlicher Erlebnisse gezimmert. Die erforder- 
liche Energie liefert eine wirksam gebliebene verdrängte Triebmasse, die 
durch ein aktuelles Geschehen mobilisiert ist. Die aktuelle Lage des Dich- 
ters ist für die Art der Verwendung des alten Materials bestimmend. „Das 
Problem", das durch das „Gedankenexperiment" einer Lösung zugeführt 
werden soll, ist aktuell. Inhaltlich stellt die probeweise in die Zukunft 
projizierte Daseinsgestaltung immer eine Art Extrem dar. Es ist, als ob 
der Dichter fragte, was würde sich äußerstenfalls ergeben, wenn . . .? Würde 
ich schlimmstenfalls mich so und so verhalten können? Würde ich kon- 
sequenterweise die Dinge nicht so und so anzusehen haben? 

Es ist keine Frage, daß auch für diesen „Sinn" der Dichtung die von 
Hanns Sachs (a.a.O.) hervorgehobene Bedeutung des „Publikums", dessen 
Teilnahme das Schuldgefühl durch Teilung der Verantwortung mindert, 
eine große Rolle spielt. 

In dem „Bericht für eine Akademie" „versucht" K. den Ausweg in die 
Künstlerexistenz. In der „Verwandlung" (wie in der Erzählung „Das Urteil") 
wird der Weg des Opfers, des Zurücktretens und Sich- Auslöschen» erprobt. 
In der „Strafkolonie" leuchtet die Möglichkeit einer religiös -kultischen Be- 
wältigung des ewigen Vater-Sohn-Problems auf, um dem Vordringen einer 
kritischen und human-vernünftigen Weltanschauung zu erliegen, die im 
Bewußtsein ihrer Triebarmut wiederum den Fluchtweg des Verzichtes vor 
Augen hat. In ihrer unbestechlichen Ehrlichkeit gesteht sich hier die Ver- 
nunft ein, daß sie, entblößt von dem Beistand und der Kraft primitiver 
Impulse, nicht dagegen gefeit ist, einmal dem eben überwundenen Gegner, 
der zum Gott verklärten Vater gestalt, wieder zu erliegen, und während sie 
ein Gebiet, wo sie nur zu zerstören, aber nicht zu wirken vermochte, ver- 
läßt, klingt ihr die Prophezeiung von der Wiederkehr des „alten Komman- 
danten in die Ohren, Fluch und Verheißung zugleich. 

In der „Verwandlung" (ebenso im „Urteil", im „Landarzt", ja auch in 
„Amerika ) ist der für Kafkas Problematik so entscheidende „Vater" ein 
wirklicher Vater, ein Individuum mit höchst persönlicher, privater, oft 
geradezu körperlicher Macht. Die Auseinandersetzung mit ihm ist ein 



Frans Kafkas Inferno 65 



Familienkonflikt, eine Privatangelegenheit'— vor allem ein Kinderstuben- 
erlebnis, das den erwachsenen Dichter nicht unmittelbar an die aktuellen 
Probleme, die die Realität ihm stellt, hinführt. In der „Strafkolonie* da- 
gegen ist der Vater schon zu einer breiteren und unpersönlicheren Macht 
geworden. Das Einzelwesen, das ihn „darstellt" (der alte Kommandant), ist 
tot und so erscheint er in den Schöpfungen und Wirkungen dieses Toten, 
d. h. in der Form des religiösen „Gesetzes", als „übernatürliche Gerechtig- 
keit". Die Auseinandersetzung mit ihm ist ein soziales, ein öffentliches 

Problem. 

In dem Schloß roman sehen wir dann den Vater aufgelöst in die fast 
ganz weltliche Macht einer Verwaltungsbehörde, und der Kampf mit ihm 
stellt sich dar als ein Ringen um Duldung und Anerkennung seitens dieser 
Behörde und um Aufnahme in die männliche Gemeinschaft der werktätigen 
Bewohner des Dorfes, das jener Behörde untersteht. 

Damit ist auch die entschiedenste Hinwendung zur Realität, die es bei 
Kafka überhaupt gibt, vollzogen. Im Schloßroman — er blieb charakteristischer- 
weise Fragment (wie übrigens auch „Amerika" und zu einem relativ ge- 
ringeren Teil „Der Prozeß") — spielt sich ein zäher, mit aller Intensität 
geführter Kampf um Lebensziele ab, der wohl den Höhepunkt der Kraft- 
entfaltung darstellt. Der Prozeß roman, künstlerisch vielleicht dem „Schloß 
noch überlegen, hat es nach unserer Meinung schon vorwiegend mit dem 

Tode zu tun. 

Die Ergebnisse der psychologischen Bearbeitung dieser großen Romane 
und der übrigen Kafkaschen Werke, die den in der vorliegenden Arbeit 
behandelten Stoff quantitativ wohl um das zehnfache übertreffen, können 
hier natürlich nicht weiter mitgeteilt werden. Sie mögen vielleicht einmal 
in einer umfangreicheren Arbeit eine ausführliche Darstellung finden. 



Kaiser: Kafkas Inferno 



I 

Psychoanalytische Biograpkik^ / 






D 



urer 



ALFRED WINTERSTEIN: Dürers „Meianckolie" im Lutte der Psychoana- 
lyse. Mio a Kunstheilagen. Geheftet M,3.~, Ganzleinen M. 4. So 

Inhalt: I) Der Inhalt ** Kupferstiches „Melencolia I» - II) Die historischen Voraussetzungen des Dürerischen 
Konzept« - III) Die Quellen Durers _ IV) Saturn, Melancholie und Analcharakter - V) Dürers Lebens 
VDiTz Tb Pe h rSOnhChkelt " VI) D " T ° d der Mutter - VII > Psychoanalytische Deutung der Melencolia - 



R 



ousseau 



REN£ LAFORGUE: Jean Jacques Rousseau. Eine psyAoanalytisdie Studie. 
Geheftet M. 2.20 

Wir haben nicht die Absicht, Rousseau zu verkleinern, sondern ihn in seiner vollen Menschlichkeit 



zu verstehen" 



(j-oethe 

THEODOR REIK: Warum verlief Goetne Friederike? Geheftet M. €,- 3 Ganz- 
leinen M.. 8.— 

Inhalt: Dichtung und Wahrheit - Ein alter Mann erzählt die Geschichte seiner Liebe - Die Gründe der 
Trennung - Die Verkleidung - Der Kindtaufkuchen - Chronologische und andere Verwirrung - Die 
KuJJangst — Sexualität und Gewissensangst — Der junge Goethe erzählt ein Märchen — Der Dichter über 
die „Neue Melusine" - Der Schatten des Vaters - Der Text der Zwangsbefürchtung - Capriccio dolorosa - 
*reundliche Vision — „Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm" — Coda 

-PHILIPP 5ARASIN: Goethes Aiignon. Eine psydiaanalytisdie Studie. 
Geheftet M.. 2.60, Ganzleinen M. 4.— 

Inhalt: Vorbemerkung — I) Der Meisterroman — II) Goethes Jugendgeschichte — III) Ergänzungen zur 
Jugendgeschichte. Knabenmärchen. Die französischen Schauspieler. Zum frühen Tode der Geschwister Goethes — 
IV) Analytische Deutung der dramatischen Momente. Das Seiltinzermilieu. Mignon und Comelie. Die Vater- 
identiüzierung — V) Analytische Deutung der lyrischen Momente — VI) Zusammenfassung 



k— , 



Psychoanalytische Biographik 






Fem 



ner 



IMRE HERMANN: Gustav TkeoJor leckner. Eine psYcnoaiialvtisdie Studie 

üker individuelle Bedingtheiten wissensdiaftlidker Ideen. 

Geheftet M. 3.—, Ganzleinen M, 4,60 

Inhalt: Biographisches — Die schwere Krankheit — Die Idee der Psychophysik — Die „Tagesansicht" —Das 
Formale im Denken Fechners — Die Begabungsgrundlagen — Fechner als Vorläufer psychoanalytischer Ideen 



l^assalle 

ERVIN KOHN: Lassalle — «1er Führet. Geheftet M. 4.-, Ganzleinen M. fe- 
rnhält- I) Die psychologische Entstehung des Führers — II) Die psychologische Technik der Fahrun« bei 
Lassalle - III) Das Liebesschicksal Lassalles - IV) Die psychische Struktur des Führertums bei Lassalle - 
V) Die Nachfolge Lassalles und das Ende der Organisation 



Jx^eller 

EDUARD HITSCHMANN: Gottfried Keller. Psydtoanaly/se des Diditers, 
seiner Gestalten und Motive. Geheftet M, 3. So 

Das vorliegende Kelle^Buoh hat mir auch als Literarhistoriker einige Lichter aufgesteckt . ..Das 
Buch veräe t un er| n Einblick in die erotischen Probleme bei dem Menschen wie be dem Kunstler Keller. 
StlS? die Hemmungen in seiner persönlichen Liebeswahl und Sexualität und beleuchtet entsprechende 
Motive^iner Dichtung.» (W- &** *V>* B«n, »» J******* «*» ■) 



J^ajka 



HELLMUTH KAISER: Tran* Kafkas Inferno. Geheftet M. J.- 
Kafkas Phantasien, die als Privatmythologie des Dichters bezeichnet werden können, erfahren hier 
eine psychologische Deutung. Es werden besonders die sadisUsch-masochistischen Phantasien der „Verwandlung" 
und der „Strafkolonie" untersucht 



Psychoanalytische Biographik 



i5tnndber& 



KARL BACHLER: August Strindberg. Eine psydioanalytisdie StuJ 
Geheftet M. i.— 

I) Die Eltern — II) Die Frau — III) Der Vater 



H< 



amsun 



EDUARD HITSCHM ANN , Ein Ge, penst au , de, KindLeit Knu, H^suc, 

Geheftet M. 2—, Ganzleinen M. S.So 



-Dostojewski 

JOLAN NEUFELD: Dostojewski. Geheftet M. §.~, Ganzleinen M. S.~ 

eine,, ^SL^^S?Ä£gS5 *— "" * "** ""* ^J*t&J*fSS" * 

( w tVeue Zürcher Zeitung',) 



Tel 



stoi 



N. OiSiSIPOW: Tolstois Kindheitserinnerungen. Ein Beitrag zu Freuds Litido- 
tlieorte. Geheftet M. 6.—, Halbleinen M. y.So 

Inhalt: I) Vorbemerkungen - II) Die „Ersten Erinnerungen" — III) Zwei allererrte Erinnerungen (Da» Indl- 
vidual-Ich und die Ich-Libido — IV) Über den Narzißmus — V) Drei weitere Erinnerungen (Objektlibido) — 
VI) Der Seelenkonflikt - VII) „Die Ameisenbrüder" (Das Supra-Ich) - VIII) Über die infantile Amnesie 



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von Anna Freud und A.J.iStorfer 



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II) Die Traumdeutung 

III) Ergänzungen und Zusatzkapitel zur Traumdeutung / Über den Traum / Beiträge 
zur Traumlehre / Beiträge zu den „Wiener Diskussionen" 

IV) Zur Psychopathologie des Alltagslebens / Das Interesse an der Psychoanalyse / 
Über Psychoanalyse / Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung 

V) Drei .Abhandlungen zur Sexualtheorie / Arbeiten xum Sexualleben und 2ur Neu- 
rosenlehre / Metapsychologie 
VI) Zur Technik / Zur Einführung des Narzißmus / Jenseits des Lustprindps / Massen- 
psychologie und Ich-Analyse / Das Ich und das Es / Anhang 
VII) Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse 
VIII) Krankengeschichten 
IX) Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten /Der Wahn und die Träume 

in W. Jensens „Gradiva" / Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci 
X) Totem und Tabu / Arbeiten zur Anwendung der Psychoanalyse 
XI) Schriften aus den Jahren 1923 — 1926 / Geleitworte zu fremden Werken / Gedenk- 
artikel / Vermischte Schriften j Schriften aus den Jahren 1926 — 1928 

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Unter Mitwirkung des Verfassers herausgegeben 
von Anna Freud und A, J. Storfer 

Studien über Hysterie / Frühe Arbeiten mr Neurosenlehre 1892—1899 

Die Traumdeutung 

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zur Traumlehre / Beiträge . zu den „Wiener Diskussionen" 

Zur Psychopathologie des Alltagslebens / Das Interesse an der Psychoanalyse / 

Über Psychoanalyse / Zut Geschichte der psychoanalytischen Bewegung 

Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie / Arbeiten zum Sexualleben und zur Neu- 
rosenlehre / Metapsyehologie 

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